purchased by the
Mary Stuart Book Fund
established 1893
The Cooper Union Library
DIE LITURGISCHE GEWANDUNG.
Widmungsbihl der Viviansbibel :
Abt Vivian und die Mönche von St Martin zu Tours überreichen die Bibel Karl dem Kahlen.
Paris, Bibl. Nat. (ms. Iat. 1, f. 423).
IE LITURGISCHE
GEWANDUNG
IM OCCIDENT UND ORIENT
NACH URSPRUNG UND ENTWICKLUNG,
VERWENDUNG UND SYMBOLIK.
VON
JOSEPH BRAUN S. J.
MIT 316 ABBILDUNGEN.
FREIBURG IM BREISGAU.
HERDERSCHE VERLAGSHANDLUNG.
1907.
BERLIN, KARLSRUHE, MÜNCHEN, STRASSBURG, WIEN UND ST LOUIS, MO.
J hl
Cum opus, cui titulus est: Die liturgische Gewandung in der Gegenwart und Ver-
gangenheit, a P. Josepho Braun, sacerdote societatis Iesu compositum aliqui eiusdem societatis
revisores, quibus id commissum fuit, recognoverint et in lucem edi posse probaverint, facul-
tatem concedimus, ut typis mandetur, si ita iis, ad quos pertinet, videbitur.
In quorum fldem has litteras manu nostra subscriptas et sigillo muneris nostri muni-
tas dedimus.
Luxemburg, die 8. Januarii 1905.
P. C. Sckaeffer S. J.
Imprimatur.
Friburgi Brisgoriae, die 29 Ianuaiii 1907.
4^ Thomas, Archiep~ps.
Alle Rechte vorbehalten.
Buchdruckerei der Herderschen Verlagsliandlung in Freiburg.
331843
VORWORT.
Das vorliegende Werk ist die Frucht vieljähriger, eingehendster Be-
schäftigung mit der Geschichte der liturgischen Gewandung. Es will nicht
lediglich in großen Zügen, sondern nach Möglichkeit bis ins einzelne ein Bild
des Werdens der liturgischen Gewänder nach Form, Beschaffenheit, Verwen-
dung und Symbolik geben. Nach Möglichkeit; denn nur zu oft geschieht
es, daß die Quellen entweder ganz schweigen oder doch nicht in wünschens-
wertem Maße Auskunft gewähren. Das gilt namentlich für die vorkarolingisehe
Zeit. Aber auch noch später sieht man sich, sobald man Einzelfragen nach-
forscht, nur zu oft vor mehr oder weniger dichtem Dunkel. Je eingehender
sich jemand mit der liturgischen Gewandung der Vergangenheit befaßt, um
so mehr wird er inne, wie vieles wir im einzelnen nicht oder doch bloß
mangelhaft wissen und zum großen Teil wahrscheinlich auch in Zukunft nie-
mals vollkommener wissen werden. Der allein kann wähnen, es herrsche in
der Geschichte der Sakralkleidung' allerwegen lauter Licht und der hellste Tag,
wer sich nur oberflächlich mit derselben beschäftigt hat.
Der Hauptgegenstand der Arbeit sind die liturgischen Gewänder des
Abendlandes. Indessen wurde auch die Kultgewandung der orientalischen
Riten in den Kreis der Untersuchungen gezogen, und es darf ohne Bedenken
versichert werden, daß dieser bislang noch keine so ausgiebige Behandlung
zuteil wurde wie in dem vorliegenden Werke. Leider ist es ganz unmöglich,
ihre Entwicklung über die Hauptzüge hinaus zu verfolgen. Ja für die Ge-
schichte der liturgischen Kleidung der Syrer, Armenier, Nestorianer und
Kopten läßt sich aus Mangel des dazu erforderlichen Materials nicht einmal
das leisten. Es darf daher nicht wundernehmen, wenn den Kultgewändern
der orientalischen Riten nur ein verhältnismäßig kleiner Raum gewidmet ist
und von einer Schilderung ihrer einzelnen Entwicklungsstadien fast ganz Ab-
stand genommen werden mußte.
Die Darstellung baut sich auf den Quellen selbst auf, den Schriften der
Litui'giker, den gelegentlichen Angaben der alten Historiker, den offiziellen
liturgischen Büchern und Gottesdienstordnungen, den einschlägigen synodalen
Bestimmungen, den mittelalterlichen Schatzverzeichnissen, den Monumenten
jeglicher Art und dem noch vorhandenen Bestand an liturgischen Gewand-
stücken aus früherer Zeit. Namentlich wurden im weitesten Umfang diese
alten Paramente und die Inventare, deren Wichtigkeit nicht hoch genug ge-
wertet werden kann, ausgenutzt. Die zahlreichen durch das Werk verstreuten
Auszüge aus den mittelalterlichen Schatzverzeichnissen und die am Schlüsse
gebotene Zusammenstellung der in ihm berücksichtigten liturgischen Gewänder
legen dafür reichlich Zeugnis ab. Natürlich wurde auch zu Rate gezogen,
was andere über die Geschichte der Sakralkleidung geschrieben haben, und
Vi Vorwort.
es gibt solcher Arbeiten sehr viele und sehr gute. Allein nichts wurde daraus
herübergenonnnen, das nicht zuvor, soweit nur eben tunlich, an den Quellen
selbst nachgeprüft worden wäre. Wirklich erwiesen sich nicht wenige An-
gaben als ungenau, ja geradezu als irrig, darunter auch solche, welche wie
ein Erbübel sich bereits durch eine Reihe von Schriften hingezogen hatten.
Sie wurden teils ausdrücklich teils, und dies in den meisten Fällen, still-
schweigend richtiggestellt.
Bei Benutzung der schriftlichen und monumentalen Quellen war leitender
Grundsatz sorgfältige Wertung und Sichtung des Materials; im Vorlegen der
Resultate seiner Forschung aber suchte der Verfasser sich vorsichtiger Zurück-
haltung zu befleißigen. In zahlreichen Fällen war er daher veranlaßt, sich
mit einem größeren oder geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit, mit einem
„könnte", „dürfte" u. a. zu begnügen. Er hegt nicht die Besorgnis, daß
solches dem Werk zum Nachteil gereicht. Gegenteiligen Meinungen von irgend
einer Bedeutung wurde volle Rechnung getragen und keine Schwierigkeit
wurde unberücksichtigt gelassen. Dem Verfasser scheint es ein Gebot wissen-
schaftlicher Ehrlichkeit, auch abweichende Auffassungen, soweit sie nur eben
der Beachtung wert sind, samt ihren Gründen anzuführen. Er könnte es
sich nicht verzeihen, wollte er in Fragen, über die man streitet, lediglich
seine persönliche, wenn auch noch so begründete Meinung vortragen. Ist ja
doch auch nur bei Anwendung des Grundsatzes : Audiatur et altera pars, die
erwünschte Klärung möglich.
Ein allseitig abgeschlossenes Werk zu schaffen, das gleichsam in Sachen
der liturgischen Gewandung das letzte Wort gewesen wäre, konnte angesichts
des in so vieler Hinsicht beschränkten Quellenmaterials unmöglich als Ziel
in Aussicht genommen werden. Der Verfasser erwartet daher auch trotz aller
Sorgfalt, mit der er vorgegangen ist, keineswegs, daß seine Aufstellungen in
allein und jedem die Zustimmung des Lesers finden werden. Möge man die-
selben prüfen und, wo es am Platze ist, richtigstellen. Niemand wird sich
über jede wirkliche Verbesserung aufrichtiger freuen als der Verfasser, dem
es nicht um seine persönliche Meinung, sondern einzig um die Wahrheit zu
tun ist. Bei längerem Zögern hätte er selbst wohl noch dem Bilde, das er
von der liturgischen Gewandung und ihrer Geschichte entworfen hat, den
einen oder andern Strich hinzufügen können. Allein es schien an der Zeit,
einen Abschluß zu machen. Um Wesentliches hätte er, solange kein neues Ma-
terial zu Tage kommt, seine Ausführungen ja doch nicht bereichern können;
lediglich aber die Belege für die Einzelheiten zu mehren, erschien unzweck-
mäßig, weil das zu einer Breite geführt hätte, die der Klarheit und Über-
sichtlichkeit nur geschadet haben würde. Zudem bietet ja das Buch auch
so, wie es vorliegt, die umfassendste und eingehendste von allen Bearbeitungen
der Geschichte der Sakralkleidung, die bisher erschienen. Vielleicht wird der
eine oder andere wünschen, daß in der Darstellung der Entwicklung der
liturgischen Gewandung noch mehr, als es geschehen ist, auf deren Zusammen-
hang mit den jeweiligen äußeren Verhältnissen hingewiesen worden wäre.
Soweit sich darüber etwas Zuverlässiges sagen ließ, ist das Milieu, in dem
und unter dessen Einfluß die Ausgestaltung der Sakralkleidung sich vollzog,
Vorwort. YU
gegebenenorts genügend gezeichnet worden. Im übrigen aber schien es nicht
angebracht, Lücken durch Phantasien und geistreiche Mutmaßungen auszufüllen
und so künstlich einen Zusammenhang zu schaffen, wo für den nüchternen
Forscher ein solcher nicht ersichtlich ist.
Große Sorgfalt wurde auf die Auswahl der Abbildungen gelegt. Ein
Bilderbuch sollte und durfte nicht geschaffen werden, doch mußte alles irgend-
wie Belangreiche durch eine entsprechende Illustration belegt und erläutert
werden. Auch sollte, soviel wie eben möglich, neues, jedenfalls aber bloß
minder leicht zugängliches Material genommen werden. Bevorzugt wurden
Wiedergaben von noch erhaltenen alten Paramenten, welche, weil Photo-
graphien davon nur selten zu haben sind, zumeist vom Verfasser selbst an
Ort und Stelle aufgenommen wurden. Überhaupt stammt von diesem die
Mehrzahl der in dem Werk verwendeten photographischen Abbildungen.
Die Ai'beit will vor allem einen Beitrag zur Geschichte der Liturgie
bilden; doch dürfte sie auch für die Kenntnis der mittelalterlichen Textilien
und Stickereien, für die Archäologie, für die Kunstwissenschaft und für die
Geschichtsforschung von Wert sein, für die letzten Disziplinen, von anderem
abgesehen, namentlich auch deshalb, weil die in ihr niedergelegten Ergebnisse
manchen Anhaltspunkt zur Datierung von Monumenten und illuminierten Hand-
schriften gewähren.
Bei meinen dem mittelalterlichen Paramentenbestand gewidmeten Reisen
habe ich mich allenthalben des freundlichsten Entgegenkommens zu erfreuen
gehabt. Ich fühle mich gedrungen, solches hier mit herzlichstem Dank gegen
alle, die mir gütige Unterstützung liehen, zum Ausdruck zu bringen. Einzig
das Kapitel des Domes zu Brandenburg schlug mir kurzer Hand eine nähere
Besichtigung der dortigen Paramente ab, während mir die Herren Superintendent
Oberdomprediger Dr Hermes und Diakonus Brausewetter mit bereitwilligster
Zuvorkommenheit die Paramentenschätze des Domes zu Halberstadt bzw. der
St Marienkirche zu Danzig zum Zwecke eines Studiums der darin geborgenen
kostbaren Gewandstücke öffneten. Aber auch sonst haben mich manche durch
die Auskünfte, die sie mir auf meine Bitte gaben, oder das Material, das sie
mir zur Verfügung stellten, Ordensgenossen wie Nichtordensgenossen, vielfältig
verpflichtet. Auch ihnen meinen herzlichsten Dank.
Luxemburg, am Feste der Geburt des Herrn 1906.
JOS. BRAUN S. J.
INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . v
Illustrationsverzeiclinis xiv
Literaturverzeichnis xvn
Einleitung.
I. Gegenstand und Methode 1
II. Quellen 5
III. Bearbeitungen 14
Erster Abschnitt.
Die liturgischen Untergewänder.
Erstes Kapitel.
Der A m i k t.
I. Der Amikt nach heutiger Praxis .......... 21
II. Der Amikt als Bestandteil der liturgischen Kleidung im Mittelalter ... 23
III. Die Gebrauchsweise des Amikts 28
IV. Beschaffenheit und Ausstattung des Humerale ....... 32
V. Ursprung des Schultertuches. Seine Namen ....... 44
VI. Das Schultertuch in den orientalischen Riten ....... 49
Zweites Kapitel.
Der Fanone.
I. Der Fanone nach gegenwärtigem Brauch 52
II. Der Fanone seit dem 13. Jahrhundert 53
III. Der Fanone vor dem 13. Jahrhundert 56
Drittes Kapitel.
Die Albe.
I. Die Albe in der Gegenwart 57
II. Name des Gewandes 59
III. Die Albe in karolingischer Zeit .......... 61
IV. Die Albe in vorkarolingischer Zeit ......... 63
V. Form der Albe 69
VI. Beschaffenheit und Ausstattung der Albe ........ 78
VII. Die liturgische Tunika in den orientalischen Riten. Die Epimanikien . . 92
Viertes Kapitel.
Das Cingulum.
I. Das Cingulum nach gegenwärtigem Brauch 101
II. Das Cingulum als Bestandteil der liturgischen Gewandung in der Vergangenheit 102
III. Beschaffenheit des liturgischen Gürtels im Mittelalter 105
IV. Der liturgische Gürtel in den Riten des Orients 115
Inhaltsverzeichnis.
Fünftes Kapitel.
Das Subcinctorium.
I. Das Subcinctorium nach gegenwärtigem Brauch ....
II. Das Subcinctorium im Mittelalter. Sein Alter, seine Beschaffenheit,
anzulegen ...... .....
III. Balteus, Praecinctorium und Semicinctium
IV. Zweck, Ursprung und Bedeutung des Subcinctorium
Sechstes Kapitel.
Rochett und Superpelliceum.
I. Vorbemerkung
IL Rochett als Name eines geistlichen Gewandes
III. Charakter des Gewandes zu Rom und außerhalb Roms
IV. Erste Spuren des Gewandes . . ■
V. Beschaffenheit des Gewandes
VI. Auftreten des Superpelliceum
VII. Name und Gewand in ihrem Ursprung .
VIII. Das Superpelliceum im Ordinationsritus
IX. Beschaffenheit des Superpelliceum
We
ise, es
Seite
117
117
120
123
125
126
129
130
132
135
139
142
143
Zweiter Abschnitt.
Die liturgischen Obergewänder.
Erstes Kapitel.
Die K a s e 1.
I. Die Kasel in der Gegenwart 149
II. Die Namen des Meßgewandes . - . . 152
III. Die Kasel als liturgisches Gewand . . ' . . . . . . . 155
IV. Die Kasel bei den Subdiakonen und Minoristen . 160
V. Die Kasel bei den Diakonen . 163
VI. Anlegungsweise der Kasel bei den Diakonen, Subdiakonen und Akolythen. Die
planeta plicata ............. 166
VII. Die Kasel im liturgischen Gebrauch . . . . . . . . .169
VIII. Die Kasel im Weiheritus . . 172
IX. Form der Kasel im Mittelalter bis zum 13. Jahrhundert ..... 173
X. Änderungen in der Form des Gewandes seit dem 13. Jahrhundert . . . 184
XI. Die Kasel in der neuesten Zeit .......... 197
XII. Stoff des Meßgewandes 200
XIII. Verzierung des Meßgewandes . . . . . . . . • . 209
XIV. Bestickte Meßgewänder 224
XV. Das Meßgewand in den Riten des Ostens ........ 234
XVI. Ursprung des Meßgewandes . . . . . . .... . . 239
Zweites Kapitel.
Dalmatik und Tunicella.
I. Dalmatik und Tunicella nach gegenwärtigem Brauch ...... 247
II. Alter des Gebrauches der Dalmatik ......... 249
III. Der Gebrauch der Dalmatik seit dem 9. Jahrhundert ...... 255
IV. Beschaffenheit der Dalmatik in vorkarolhigischer Zeit ...... 258
V. Beschaffenheit der Dalmatik vom 9. Jahrhundert bis zum späten Mittelalter . 261
Beschaffenheit der Dalmatik seit dem späten Mittelalter .... 270
VI. Die Dalmatik in der Neuzeit ........•■ 280
VII. Alter der Verwendung der Tunika bei den Subdiakonen und Bischöfen . 283
VIII. Namen der Levitengewänder 287
IX. Beschaffenheit der Tunika im Mittelalter und in der Neuzeit .... 289
X. Liturgische Verwendung der Dalmatik und Tunicella . . . . . • 293
XL Ursprung der Dalmatik und Tunicella 299
XII. Die Tunika der Diakone und Subdiakone in den Riten des Ostens. Der Sakkos 302
Inhaltsverzeichnis.
XI
Drittes Kapitel.
Das Pluviale.
Seite
I. Das Pluviale nach gegenwärtigem Brauch 306
IL Name des Gewandes ............ 307
III. Alter des Gewandes ............ 310
IV. Gebrauch des Gewandes ........... 314
V. Form und Beschaffenheit des Gewandes ........ 317
VI. Verzierung des Pluviale 329
VII. Ursprung des Gewandes. Das päpstliche Mantum. Die Cappa magna und Almutia 348
Dritter Abschnitt.
Die liturgischen Bekleidungsstücke der Hände, der Füße und des
Kopfes.
Erstes Kapitel.
Die Pontifikalhandschuhe.
I. Name der liturgischen Handschuhe. Die Pontifikalhandschuhe in der Gegenwart
IL Alter des Gebrauches der Pontifikalhandschuhe
III. Die Pontifikalhandschuhe im 12. und 13. Jahrhundert .
IV. Verleihung des usus chirothecarum an Nichtbischöfe
V. Form und Herstellungsweise der Pontifikalhandschuhe
VI. Ausstattung der liturgischen Handschuhe
VII. Stoff und Farbe der Pontifikalhandschuhe
VIII. Die liturgische Verwendung der Handschuhe
IX. Ursprung der pontifikalen Handbekleidung
Zweites Kapitel.
Die pontifikale Fußbekleidung.
I. Die pontifikale Fußbekleidung in der Gegenwart. Ihre Bestandteile: Sandalen
und Caligae
IL Die liturgische Fußbekleidung in der römischen Kirche bis zur Wende des ersten
Jahrtausends ............
III Die liturgische Fußbekleidung außerhalb Roms bis zum 11. Jahrhundert
IV. Die Bestandteile der liturgischen Fußbekleidung .....
V. Beschaffenheit der beiden Bestandteile der liturgischen Fußbekleidung bis zum
11. Jahrhundert ............
VI. Die Träger der Sandalen und Caligae seit dem Ende des ersten Jahrtausends
VII. Verleihung der pontifikalen Fußbekleidung an Nichtbischöfe
VIII. Beschaffenheit der Sandalen und Caligae vom 11. bis 14. Jahrhundert
IX. Beschaffenheit der Sandalen und Caligae im späten Mittelalter und der Neuzeit
X. Verwendung der sakralen Fußbekleidung im liturgischen Dienst
XL Ableitung der liturgischen Fußbekleidung . . .
359
361
366
367
369
374
378
380
382
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385
388
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393
396
398
399
410
419
421
Drittes Kapitel.
Die M i t r a.
I. Name des Ornatstückes 424
IL Die Mitra in der Gegenwart 429
HI. Erstes Auftreten der pontifikalen Mitra ........ 431
IV. Weitere Verleihungen unter Leo IX. Die Mitra wird bischöflicher Ornat . . 448
V. Die Mitra bei Kanonikern, bei Äbten und bei den Kardinälen .... 452
VI. Älteste Form der Mitra 458
VII. Änderungen in der Form der Mitra 463
VIII. Die Mitra im späten Mittelalter und in der Neuzeit 474
IX. Liturgische Verwendung der Mitra . • 485
X. Die liturgische Kopfbedeckung in den orientalischen Riten ..... 487
XL Ursprung der Mitra 495
XII
Inhaltsverzeichnis.
Viertes Kapitel.
Tiara, Pileolus, Birett.
I. Die Tiara
II. Der Pileolus
III. Das Birett
Seite
498
509
510
Vierter Abschnitt.
Die I nsignien.
Erstes Kapitel.
Der Manipel.
I. Der Manipel in der Gegenwart
II. Namen des Ornatstückes
III. Der Manipel seit der Karolingerzeit
IV. Die ältesten Nachrichten über die Verwendung des Manipels ....
V. Beschaffenheit des Manipels zur Karolingerzeit. Seine Umwandlung in einen
Zierstreifen
VI. Der Manipel seit dem 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit .....
VII. Der Manipel in der Neuzeit ...........
VIII. Tragweise des Manipels ...........
IX. Verwendung des Manipels ...........
X. Die Überreichung des Manipels im Ritus der Subdiakonatsweihe
XI. Das Gegenstück des Manipels in den Riten des Ostens .....
XII. Ableitung des Manipels
Zweites Kapitel.
Die Stola.
I. Die Stola nach der gegenwärtigen Praxis
IL Namen des Ornatstückes . . . . • .
III. Die ältesten Nachrichten über die Stola im Abendland
IV. Die Stola als liturgisches Ornatstück zur Karolingerzeit
V. Gebrauch der Stola .....
VI. Die Überreichung der Stola im Weiheritus
VII. Beschaffenheit der Stola im Mittelalter
VIII. Die Stola in den Riten des Ostens
IX. Ursprung der Stola
Drittes Kapitel.
Das Pallium.
I. Das abendländische Pallium in der Gegenwart . . . . .
IL Alter des römischen Palliums ..........
III. Die Verleihung des Palliums ...........
IV. Liturgischer Charakter des römischen Palliums. Seine Verwendung beim Gottes-
dienst
V. Die Palliumverleihungen im 6. Jahrhundert und der Kaiser . . . .
VI. Bedeutung des Palliums ...........
VII. Gestalt und Beschaffenheit des Palliums
VIII. Ursprung des Palliums
IX. Das bischöfliche Schultergewand in den Riten des Ostens
X. Die bischöfliche Insignie in den Kirchen Galliens, Spaniens und Nordafrikas
Viertes Kapitel.
Das Rationale.
I. Das Rationale in der Gegenwart ..........
II. Das erste nachweisbare Auftreten des Rationale .......
III. Verbreitung des Gebrauches des Rationale
515
517.
520
523
530
535
541
543
545
548
550
554
562
563
569
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589
590
601
608
620
624
626
631
634
639
642
652
664
674
676
678
680
Inhaltsverzeichnis. XIII
Seite
IV. Form und Ausstattung des Rationale 687
V. Ursprung des Rationale 694
VI. Das Rationale als bischöflicher Brustschmuck 697
Fünfter Abschnitt.
Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Erstes Kapitel.
Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder.
I. Die mystische Deutung im Abendland 701
IL Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder in den Riten des Ostens . 707
III. Die symbolische Bedeutung der priesterlichen Gewiinder im Abendland . . 710
IV. Die Symbolik der bischöflichen Ornatstücke ....... 719
V. Die symbolische Bedeutung des Superpelliceum, der Levitengewiinder und des
Pluviale 724
Zweites Kapitel.
Die liturgischen Farben.
IL Das erste Auftreten des liturgischen Farbenkanons
III. Mannigfaltigkeit der liturgischen Farbenregeln in der Vergangenheit
IV. Ursprung und Symbolik der liturgischen Farbenregel .
V. Die Riten des Ostens und die liturgische Farbe ....
VI. Weiß als liturgische Farbe in der vorkarolingischen Zeit
728
729
737
749
753
754
Drittes Kapitel.
Segnung der liturgischen Gewänder. . . . 760
Schlußabschnitt.
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung.
I. Die liturgische Kleidung in ihrer Beziehung zur alttestamentlichen Kulttracht . 765
II. Die liturgische Gewandung in vorkonstantinischer Zeit 767
III. Die liturgische Kleidung vom 4. bis 9. Jahrhundert . . . . . .771
IV. Die liturgische Gewandung vom 9. bis 13. Jahrhundert 779
V. Die liturgische Gewandung im späten Mittelalter und in der Neuzeit . . 781
I. Verzeichnis der besprochenen alten Gewänder ...... 787
IL Übersicht über die dem Werke zu Grunde liegenden monumentalen und schrift-
lichen Quellen 789
III. Sachregister 793
ILLUSTRATIONSVERZEICHNIS.
Bild Seite
Titelbild: Widmungsbild der Viviansbibel
1. Heutiger Amikt 22
2. Spanischer goldbestickter Amiktkragen . 22
3. Amikt und Cingulum 34
4. Anlegungsweise des Amikts nach mittelalter-
licher Weise 35
5. Von der Grabplatte des Kanonikus Job, Peter
von Seckendorf 36
6. Vom Grabmal des Bischofs Gottfried von
Limburg 36
7. Amiktbesatz 37
8. In Seide und Perlen gestickter Amiktbesatz 37
9. Aniiktparura 38
10. In Perlen- und Reliefstickerei ausgeführte
Amiktparura ....... 39
11. Amiktkragen nach Mailänder Gebrauch . 43
12 u. 13. Reliefs der Trajanssäule zu Roni . 46
14. Grabstele des Ccnturio Faltonius ... 47
15. Schultertuch und liturgische Stauchen im ar-
menischen Ritus 49
16. Bischofsweihe. Miniatur eines syrischen Pon-
tifikale 51
17. Fanone 52
18. Grabmal Bonifatius' VIII .... 54
19. Grabfigur Sixtus' IV 54
20. Cosinio Roselli: Papst Silvester ... 55
21. Papst Innozenz II 56
22. Mit Besätzen verzierte Albe nach ambrosia-
nischem Ritus 57
23. Albe von mittelalterlicher Form u. Verzierung 58
24. Subdiakon und Minoristen. Miniatur eines
Sakramentars in Autun 62
25. Sog. Camillus in sackförmiger, gegürteter
Tunika 70
26. Albe des hl. Bernulf 73
27. Albe 74
28-31. Alben 75
32. Albe mit herabfallenden Giren ... 76
33. Albe 77
34. „ 82
35. „ 83
36. Albenparura mit Figurenstickerei ... 8S
37. Albenparura 89
38. Albenparura 89
39. Albe 91
40. Armenischer Diakon und Subdiakon . . 93
41. Armenische Diakonentunika .... 95
42. St Nikolaus. Griechische Miniatur . . 97
43. Teil eines Ledergürtels 104
44. Schnalle eines Gürtels 104
45. Cingulum 107
46. Cingulum 107
47. Cingulum 108
48. Kaisergürtel 109
49. Witgariusgürtel 110
50. Detail des Witgariusgürtels .... 110
51. Ankleidung zur Messe. Miniatur eines Manu-
skriptes von 1380 114
52. Priesterlicber Gürtel im griechischen Ritus 115
53. Gürtel des Subdiakons im griechischen Ritus 115
54. Subcinctoriuin 117
55. Rochett des hl. Thomas Becket ... 133
56. Melozzo da Forli: Piatinas Audienz bei Six-
tus IV 134
Bild Seite
57. Stiftsherr aus Oberwesel in Pelzkleid, Super-
pelliceum und Almutia 140
58. Fra Angelico: Weihe des hl. Laurenthis . 144
59. Stifter. Ausschnitt aus einem Tafelbild
Barthel Bruyns 145
60. Weihe des Bischofs von Bamberg VeitTruch-
seß von Pommersfelden. Miniatur aus dem
Gundekarpontifikale 146
61. Kaselformen 151
62. Hl. Ambrosius 158
63. Kaiser Justinian mit Erzbischof Maximian
und Gefolge 159
64. Papst Honorius I. Mosaik .... 160
65. Elfenbeintafel 167
66. Elfenbeintafel 168
67. Ellenbeinplatte vom Sakramentar des Drogo 170
68. „ 171
69. Elfenbeintafel 177
70. Glockenkasel 178
71. „ 179
72. „ 180
73. „ 181
74. Schnitt der Glockenkasel .... 183
75. Kasel 185
76. Kasel Kalixtus' III 187
77. Kasel des hl. Karl Borromäus ... 190
78. Kasel Pius' V 190
79. Kasel des sei. Petrus Canisius . . . 191
80. Kasel 192
81. „ 193
82—87. Kasein, die Entwicklung der Kasel vom
12. Jahrb. an bietend 195
88. Leinwandkasel 202
89. Musterung der Bernwardskasel . . . 204
90. Lederkasel 207
91. Kasel aus Stroh 208
92. Elfenbeinrelief von der Katbedra Maximians
zu Ravenna 210
93. Miniatur eines Registers Gregors des Großen 211
94. Kasel 212
95. 213
96. Miniatur in Hrabans Laudes S. Crucis . 214
97. Kaselkreuz 215
98. „ 218
99. Kasel 219
100. Kasel mit Kreuz in Perlen .... 220
101. Kaselkreuz in Perlenstickerei . . . 221
102. Kasel 222
103. 223
104. „ 228
105. Kasel, gestiftet von König Stephan d. H,
und seiner Gemahlin Gisela, jetzt ungarischer
Krönungsmantel 229
106. Kasel 231
107. Kasel des Ornats des Ordens vom Goldenen
Vlies 233
108. Griechische Kaselverzierung .... 234
109. Armenischer Priester 235
110. Prozession. Miniatur im Menologium Ba-
silius' II 236
111. Chor der Bischöfe. Miniatur einer Samm-
lung griechischer Marienpredigten . . 237
112. Einsegnung des Archipresbyter. Miniatur
eines syrischen Pontifikale .... 238
Hlustrationsverzeichuis.
XV
Bild Seite
113. Sarkophagskulptur (altcliristlich) . . . 240
114. Relief von der Trajanssäule zu Rom . . 241
115. Grabstele eines Centurio . ' . . . 241
110. Grabstele des Schiffers Blussus . . . 242
117. Buddha mit Tunika, Kasel und Sudarium . 243
118. Hl. Septimius. Mosaik 258
119. Der hl. Optatus 259
120. Dalmatik 260
121. St Laurentius. Miniatur eines Tropars von
Prüm 262
122. Translation der Reliquien des hl. Stephanus.
Miniatur eines Evangeliars .... 262
123. Siegel des Mainzer Domstifts . . . 263
124. Sigebert von Minden mit seinen Klerikern.
Miniatur eines Mindener Codex . . . 266
125. Der Subdiakon Juvenianus. Miniatur eines
Codex 267
126. Dalmatik . 269
127. „ 270
128 271
129. „ 272
130. „ . . . . . . . . 273
131 274
132. Papst Silvester zeigt Kaiser Konstantin
die Bilder der Apostelfürsten. Fresko . 275
133. Spanische Dalmatik 276
134. Dalmatikflügel .277
135. Dalmatik 278
136. „ ........ 279
137 281
138. Tunicella 292
139. Ädil, das Zeichen gebend .... 300
140. Diptychon des Konsuls Felix . . . 301
141. St Johannes Chrysostomus. Mosaik . . 303
142. Griechische Tafelmalerei .... 304
143. Relief vom Deckel des Drogosakramentars 312
144. Piuviale 319
145. Übersicht über die Entwicklung des Pluvial-
schildes 321
146. Pluvialschliefie 322
147. „ 323
148. „ .324
149. „ 324
150. „ 325
151. „ 325
152. „ 326
153. „ 327
154. „ 328
155. Pluvialschild 332
156. Schild und Teile des Besatzes eines Piuviale 334
157. Szenen aus dem Leben der hl. Magdalena.
Pluvialbesatz 335
158. Pluvialstäbe mit Totentanzszenen . . 337
159. Piuviale Nikolaus' IV 338
160. Piuviale aus Syon 339
161. Piuviale aus Hildesheim .... 340
162. Piuviale 341
163. Piuviale. (Rekonstruktion) .... 342
164. Piuviale des Kardinals Albornoz . . . 343
165. Piuviale 344
166. Piuviale des Ornats des Ordens vom Gol-
denen Vlies 345
167. Kanonisation der hl. Katharina. Fresko
Pinturicchios 353
168. Der hl. Franziskus vor Honorius Hf. Fresko
Giottos 354
169. Bischof Albert von Hohenfels und seine
Canonici. Miniatur des Gundekarpontifi-
kale 355
170. Grabplatte des Georg von Schaumburg . 357
171. Armreliquiar 366
172. Pontifikalhandschuh 370
173. Pontifikalhandschuh Peters von Courpalay 370
174. Pontifikalhandschuh im Domschatz zu Prag 371
175—177. Pontifikalbandschuhe .... 372
178—179. „ .... 373
180. Pontifikalhandschuh 373
Bild Seite
181. Stulpen eines Handschuhpaares aus einem
Bischofsgrab ...:... 374
182. Pontifikalhandschuh mit Zipfeln ... 375
183. Pontifikalhandschuh 375
184. „ 376
185. Grabfigur des Bischofs Johannes von Lübeck 376
186—187. Handschuhfibeln aus einem Bischofs-
grabe. Eniailplättchen 377
1S8. Zierscheibchen in Stickerei . . . . 377
189. S. Felicissimus. Mosaik 393
190. Pontifikalschuhe der Grabfigur des Bischofs
Otto von Braunschweig 401
191—192. Pontifikalstrümpfe 403
193. Pontifikalschub St Godehards ... 406
194. Pontifikalschub des Bischofs Bernhard von
Hildesheim 406
195. Pontifikalschub des Bischofs Konrad II.
von AVorms 407
196. Pontifikalschub 409
197. „ 409
198. „ 409
199. Pontifikalstrumpf des Arnold de la Vie . 411
200. Pontifikalstrumpf 411
201. Pontifikalschub 412
202. „ 412
203. Pontifikalsandale 413
204. Pontifikalschuh 413
205. Stiefelartiger Pontifikalschub . . . 414
206-208. Pontifikalschuhe aus den Trierer Bi-
schofsgräbern 415
209. Pontifikalschuh des Erzbischofs Arnold I.
von Trier 416
210—212. Pontifikalschuhe aus den Trierer Bi-
schofsgräbern 417
213. Pontifikalschuhe der Grabfigur Martins V. 418
214. Segnung des Taufwassers. Miniatur eines
Taufrotels 447
215. Erzbischof Friedrich von Köln. Miniatur
einer Sammlung der Hieronymusbriefe . . 450
216. Die Bischöfe Felicius, Faustmus und Jo-
hannes. Miniatur einer Kanonessammlung 451
217. Majestätssiegel Kaiser Karls IV. , . . 457
218. Miniatur in der Vita S. Willibrordi . . 458
219. Hl. Heribert. Ausschnitt einer Miniatur . 459
220. Mitra aus dem Grab des Trierer Erzbischofs
Albero 460
221. Siegel Gottfrieds von Nevers . . . 463
222. Mitra 464
223- - ■ 465
224. „ 466
225. „ 466
226. „ 467
227. Herstellungsweise der Mitra im 12. 'und
13. Jahrhundert 467
228. Mitra . 468
229. „ 469
230. „ 470
231. „ 471
232. „ 472
233. „ 473
234. Entwicklung der Mitra vom 11. Jahrhundert
bis heute 475
235. Mitra des Jean de Marigny .... 478
236. Mitra .479
237. „ 480
238. „ 481
239. „ 482
240. „ 483
241. „ 484
242. „ 485
243. Griechische Mitra 487
244. Liturgische Kopfbedeckung der armenischen
Priester 487
245. Athanasius. Miniatur im Menologium Ba-
silius' II 490
246. Spiridion. Miniatur im Menologium Basi-
lius' H 490
XVI
Illustrationsverzeichnis.
Bild
247.
248.
249.
250.
251.
252.
253
254.
255.
250.
257.
258.
259.
260.
261.
262.
263.
264.
265.
266.
267.
268.
269.
270.
271.
272.
273.
274.
275.
276.
277.
278.
279.
280.
281.
282.
Papst. Miniatur eines Exultetrotels .
St Gregor d. Gr. Von der Bronzetüre des
Luca della Robbia
St Silvester. Fresko ....
Tiara der Grabstatue Benedikts XI.
Fragment der Grabstatue Benedikts XII
Tiara Julius' II.
Vom Grabmal Klemens' VI. .
Vom Grabmal des Kardinals Alanus .
Grabstein Peters Ton Thure
Übersiebt über die Entwicklung des Biretts
an Hand der Grabplatten in den Domen zu
Augsburg, Bamberg, Kegensburg und Würz-
burg . .
Anonymes Konsulardiptychon
Relief vom Palliotto zu Mailand .
Ausschnitt aus einer Miniatur des Gero-
evangeliars
Manipel des bl. Bernulf
Ehemalige Bindevorrichtung am Manipel .
Manipel
Manipel des hl. Edmund . . . .
Manipel
Manipel und Stola
Manipel
Manipel in Goldstickerei. Slavische Arbeit
des 16. — 17. Jahrh
Epigonation . . . . .
St Gregor der Wundertäter. Miniatur des
Menologium Basilius' II
St Nikolaus. (Tauschierarbeit)
St Atbanasius. Mosaik
Doigtier
Bischof Ecclesius. Mosaik . . . .
Altar des Ratchis
Taufszene. Miniatur in einer AVessobrunner
Handschrift
Segnung der Osterkerze. Miniatur eines
Exultetrotels
Diakon. Marmorrelief
Stola
Stola aus dem Grabe Theodorichs II. von Trier
Stola
Stola (Mittelstück)
Stola ."
Seite
500
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509
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542
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552
552
553
561
576
577
583
Bild
283.
284.
285.
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289.
290.
291.
292.
293.
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297.
298.
299.
300.
301.
302
303.
304.
305.
306.
307.
309.
585
310.
587
311.
591
312.
591
313.
595
596
314
597
315.
Seite
Stola (oberes Stück) 599
Weihe der Subdiakone. Miniatur eines syri-
schen Pontifikale 601
Priesterstola des griechischen, syrischen, ar-
menischen und koptischen Ritus . . . 602
Armenische Diakonstola 603
Bittgottesdienst. Miniatur aus einer Honii-
liensammlung Gregors von Nazianz . . 606
St Abibus. Miniatur im Menologium Ba-
silius' II 606
Griechische Priesterstola .... 607
Reichgestickte griechische Priesterstola von
1617 .... .... 607
Koptische Grabstele 619
Modernes Pallium 621
Papst Symmachus. Mosaik .... 626
Papst Markus. Mosaik 645
Hl. Gregor. Miniatur eines Evangeliars aus
St Gereon zu Köln 646
Pallien der hll. Heribert und Anno . . 647
Übersicht über die Entwicklung des Palliums 649
Veneranda mit der hl. Petronilla Fresko
in der Katakombe S. Domitilla zu Rom . 661
Triptychon der Sammlung Harbaville . . ,663
Omopborion in den orientalischen Riten . 665
Reliquientranslation. Elfenbeinplatte . . 669
Der hl. Gregor von Nyssa. Miniatur einer
Sammlung der Homilien Gregors von Nazianz 670
Reichbesticktes griechisches Omophorion . 671
Profanes Omophorion. Miniatur eines Psal-
terium 7 673
Rationale des Bischofs von Paderborn . 677
Rationale (Rückseite) 679
Grabmal des Bischofs Albert von Hohen-
lohe 681
Büste des hl. Lambertus .... 685
Vom Grabmal des Bischofs Heinrich von
Absberg 689
Rationale (Vorderseite) 690
Rationale (Rückseite) 690
Rationale 691
Siegel des Lütticher Bischofs Johannes von
Heinsberg 693
Statue des hl. Klemens 698
Papst Klemens II 699
VERZEICHNIS DER HÄUFIGER BENUTZTEN
MITTELALTERLICHEN WERKE.
Admonitio synodalis '. M. 115, 675 ff.
Alcuini (Pseudo-) De divüiis officiis c. 38 39. M. 101, 1238 ff.
Amalarii Symphos. De ecclesiasticis officiis 1. 2, c. 15 ff ; 1. 3, c. 4. M. 105, 1093 ff 1107.
Bedae (Pseudo-) De Septem ordinibus. M. 94, 553 ff.
Belethi Ioannis Rationale divinorura officiorum c. 32. M. 202, 43.
Berthold von Regensburg, Predigt über die heilige Messe: Wackernagel, Altdeutsche Predigten
Nr 41, Basel 1876, 70.
Brunonis Signiensis Tractatus de sacramentis ecclesiae. M. 165, 1103 ff.
Durandi Rationale divinorum officiorum 1. 3, c. 1 ff, ed. Lugdun. 1612 f, 63 ff.
Expositio brevis antiquae liturgiae gallicanae ep. 2. M. 72, 95 ff.
Germani Constant. (Pseudo-) Mu/rrr/.ij üswpia. Mg. 98, 393 f.
Gilberti Lunic. De statu ecclesiae. M. 159, 997 ff.
laropia ixxhj(naazi7.Tj, Jahrbuch von Odessa IV 2 (1894), 178 ff; in der lateinischen Übersetzung
des Anastasius Bibliothecarius, Revue de l'Orient chretien 1905, 301 ff.
Honorii Augustod. Gemma animae 1. 1, c. 199 ff. M. 172, 604 ff.
Honorii Augustod. Sacramentarium c. 25 ff. M. 172, 760 ff.
Innocentii III. P. De sacro altaris mysterio 1. 1, c. 10 ff. M. 217, 780 ff.
Ioannis Abrincensis De officiis ecclesiasticis. M. 147, 62 210.
Isidori Hispal. Etymologiarum 1. 19, c. 24 ff. M. 82, 689 ff.
Ivonis Carnot. Sermo 3. M. 162, 524 ff.
Liber Patrum : La science catholique, annee 1890, 450.
Nerses von Lampron, Kommentare zur heiligen und göttlichen Liturgie c. 5 25 27 (ed. Venet.
1847, 80 140 145).
Ordo Romanus I, n. 6. M. 78, 940.
Ordo Romanus III, n. 6. M. 78, 978.
Ordo Romanus IX, n. 4. M. 78, 1005.
Ordo Romanus XIII, n. 2-6. M. 78, 1105 ff.
Ordo Romanus XIV, n. 48 ff, c. 103. M. 78, 1153 ff 1233 f.
Ordo Romanus XV, n. 8. M. 78, 1276.
Rabani Mauri De institutione clericorum 1. 1, c. 14 ff. M. 107, 306 ff.
Riculfi Statuta. M. 131, 15 ff.
Roberti Paululi De caeremoniis, sacramentis et officiis ecclesiasticis 1. 1, c. 45 ff. M. 177, 403 ff.
Ruperti Tuitiens. De divinis officiis 1. 1, c. 18 ff; 1. 2, c. 24. M. 170, 21 54.
S. G. K. (St Gallener Kleiderkatalog), S. 777 f dieses Werkes.
Sermonum C sermo XIV. M. 177 927 f.
Sicardi Cremon. Mitralis 1. 2, c. 5 ff. M. 213, 72 ff.
Simeonis Thessalon. De sacra liturgia c. 80 ff. Mg. 155, 257 ff.
Simeonis Thessalon. De divino templo c. 33 ff. Mg. 155, 712 ff.
Sophronii Hierosolym. (Pseudo-) Commentarius liturgicus. Mg. 87, 3, 3986 f.
Speculum de mysteriis ecclesiae c. 6. M. 177, 352 ff.
Theodulphi Aurelian. Paraenesis ad episcopos carm. 1. 5, n. 3. M. 105, 354 ff.
Tractatus de sacramento altaris c. 5 ff. M. 172, 1277 ff.
Walafriedi Strabonis De exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesiasticis
rerum c. 24. M. 114, 951 f.
1 Um die Fußnoten möglichst zu beschränken, werden in der Arbeit die folgenden
Werke nur dann unter dem Text zitiert, wo solches aus besondern Gründen zweckmäßig
ist; im übrigen muß auf das hier gegebene generelle Verzeichnis verwiesen werden. Es
kann das aber auch um so eher geschehen, als die in ihnen den liturgischen Gewändern
gewidmeten Abschnitte nur kürzeren Umfanges und außerdem meist in Kapitel mit besondern
Überschriften eingeteilt sind, so daß ein Vergleich keinerlei Schwierigkeiten bietet.
Braun, Die liturgische Gewandung.
VERZEICHNIS BEMERKENSWERTER FÜR DIE ARBEIT
BENUTZTER INVENTARE.
Abdinghof, Abteikirche. Inventar von 1031 '. M. G. SS. XI 156 f.
— — Inventar von ca 1105. Voyage litteraire de deux religieux Benedictins de la con-
gregation de St-Maur (Paris 1724) 241 f.
Aberdeen, Kathedrale (1436 1465 1550). Innes C, Registrum episcopatus Aberdonensis II
(Edinburg 1845: Publikation des Spalding Club) 127 ff.
Albairs, St-, Abteikirche (ca 1400). Riley O. H., Annales monasterii S. Albani (Cbronicles
and Memorials) II (London 1871) 322 ff.
Allenstein, Pfarrkirche (1581). Hipler, Die ältesten Schatzverzeicbnisse der erinländi-
schen Kirchen (Braunsberg 1886) 40 ff.
Altenburg, Pfarrkirchen (1527). Mitteilungen der geschicbts- und altertumsforschenden
Gesellschaft des Osterlandes zu Altenburg V (1862) 354.
— Bergerkloster (1528). Ebd. 453 f.
Amiens, Kathedrale (1419). Garnier ,T.. Memoires de la Soc. des Antiquaires de Picardie
X (1850) 277 ff.
Anagni, Gaben Bonifaz' VIII. (ca 1300). Annales archeologiques XVIII (1858) 22 ff.
Angers, Kathedrale (1297 1391 1421 ff). Revue de l'art chretien, 3C serie III (1885) 168 ff
299 ff; IV (1886) 170 ff.
Aquileja, Kathedrale (1358 — 1378 1408). Joppi V., Archivio storico per Trieste, 1' Istria
ed il Trentino II (1883) 56 ff; III (1884) 58 ff.
Arles, St-Cesaire (1473). Revue des Societes savantes, 7e serie I (1879) 168 ff.
Assisi, S. Francesco. Inventar von 1320. Abschrift in Dr Bocks Sammlung mittelalter-
licher Inventare im städtischen Suermondt-Museum zu Aachen.
— — Inventar von 1341. Fratini G., Storia della Basilica di S. Francesco in Assisi 168 ff.
Bajos (Diöz. Vieh), S. Benito (972). Marca P. de, Marca Hispanica (Parisiis 1688) c. 899.
Bamberg, Kathedrale (1127). Weber H., Die St -Georgenbrüder am alten Domstift zu
Bamberg (Bamberg 1883) 38 ff.
— Abtei Michelsberg (1483). Abschrift in Dr Bocks Sammlung mittelalterlicher Inventare
im Besitz des städtischen Suermondt-Museums zu Aachen.
Beauvais, Kathedrale (1464). Desjardins, Histoire de la cathedrale de Beauvais (Beau-
vais 1865), Documents 159 ff.
Benediktbeuren, Abteikirche (1032). M. G. SS. IX 223.
Braunsberg, St Marien (1565). Hipler, Die ältesten Schatzverzeichnisse der ermländi-
schen Kirchen 48 ff.
Braunschweig, St Gertrud (Ende des 15. Jahrh.). Vaterländisches Archiv des histor.
Vereins für Niedersachsen Jahrg. 1836, 380 ff.
Breslau, St Elisabeth (1483). Abhandlungen der schlesischen Gesellschaft für vater-
ländische Kultur, philosoph. -histor. Abteil., Jahrg. 1867, 6 ff.
- St Bernhardin und St Jakob (1521). Ebd. 18 ff.
— St Nikolai (1529). Ebd. 22 ff.
Brügge, St Donat (1347). Dehaisnes, L'art dans la Flandre, Documents (Lille 1886) 359 f.
Cambrai, Notre-Dame (1359 u. 1401). Ebd. 402 ff 799 ff.
Cambridge, King's College (1452). The Ecclesiologist XX (1859) 311 ff: XXI (1860)
5 ff; XXIV (1863) 100 f.
1 Wie die Hinweise auf die Angaben der mittelalterlichen Liturgiker, so werden
auch die Verweise auf die Inventare und die ihnen entnommenen Auszüge und Daten der
Vereinfachung des Fußnotenmaterials halber nur in besondern Fällen ausdrücklich durch
genaue Stellenangabe belegt. Da die Inventare in der Regel nur geringen Umfang haben,
größere aber in Rubriken geschieden zu sein pflegen, ist auch so ein Vergleich ohne Mühe
zu bewerkstelligen. Das obige Verzeichnis gibt die älteren gedruckten Inventare von irgend
einer Bedeutung vollständig, die späteren mit Auswahl. Aus den meisten derselben werden
im Verlauf der Arbeit Exzerpte geboten. Eine reichhaltige, fast vollständige Zusammen-
stellung aller bisher im Druck erschienenen Inventare aus dem Mittelalter und der Neuzeit
bietet Ferd. de M61y et Ed. Bishop, Bibliographie generale des Inventaires imprimes,
2 vols., Paris 1892-1895.
Verzeichnis bemerkenswerter für die Arbeit benutzter Inventare. xiX
Canterbury, Kathedrale (1316). Dart, The history and antiquities of the Cathedral
Church of Canterbury (London 1726), App. iv ff.
Chartres, Kapelle des Bischofs Robert von Joigny (1327). Bulletin du Comite de la
langue IV (1857) 309 ff.
— Kathedrale (1322 1353). Mely F. de, Tresor de Chartres (Paris 1885) 101 f.
— St-Pere-en-Vall^e (10. Jahrh.). Revue de l'art chretien, 3° Serie IV (1886) 308.
Chemnitz, Abteikirche (1541). Ermisch, Urkundenbuch der Stadt Chemnitz (Leipzig
1879) 436 f.
— Franziskanerkirche (1539). Ebd. 451.
Chester-le-Stree t, Gaben Athelstans (ca 930). Dugdale, Monasticon anglicanum, nova
editio (1846) I 234.
Chieti, S. Liberatore (1019). Muratori, Antiquitates Italicae medii aevi IV (Milano
1741) 767 ff.
Clairvaux, Abteikirche (1405). Lalore Ch., Le tresor de Clairvaux du XIIe au XVIIIe siecle
(Troyes 1875) 98 ff.
Clermont-Ferrand, Kathedrale (10. Jahrh.). Revue archeologique X (1853) 172 ff.
Cluny, Abteikirche (1382). Revue de l'art chretien, 3« serie VI (1888) 195 ff.
Coldinghham, Klosterkirche (1362—1374). Raine J. , The Priory of Coldingham
(Surtees Society XII, London 1841) xl ff.
C r e ino n a , Kathedrale (984). Historiae patriae monumenta. Codex diplom. Langobardiae 1442 ff.
Dijon, Ste-Chapelle (1563). Arbaumont J. d', Le tresor de la Sainte-Chapelle de Dijon
(Dijon 1887) 1 ff.
Dol (Bretagne), Kathedrale (1410). Bulletin du Comite de la langue II (1853—1855) 64 ff.
Douai, St-Aine (13. Jahrh.). M. G. SS. XXIV 28.
— — Inventar von 1377 und 1386. Dehaisnes, L'art dans la Flandre, Documents 541 ff.
Dover, St Martin (1535). Dugdale, Monasticon anglicanum, nova editio IV 542.
Durham, Kathedrale (1418). Raine J., St Cuthbert (Durham 1828) 142 ff.
- Nachlaß der Bischöfe (12. bis 14. Jahrh.). Raine J., Durham Wills and Inventories
I (London 1835) 1 ff.
Ecouis (Eure), Stiftskirche (1565). Bulletin de la Societe' des Antiquaires de la Nor-
mandie XIV (1888) 390 ff.
Egmond, Abteikirche, Gaben Egberts von Trier (976—993). Miraeus, Codex donationum
piarum I (Lovanii 1723) 71.
El hing, Kirchen und Kapellen (1544 — 1547). Hipler, Die ältesten Schatzverzeichnisse der
ermländischen Kirchen 6 ff.
Eine (915), Testament Riculfs von Eine. Migne, P. lat. 132, 468.
Ely, Kathedrale (1079). Monasticon anglicanum, nova editio I 477.
Enger (10. bis 11. Jahrh.). Diekamp W., Westfälisches Urkundenbuch 92 f.
Exalata (Coxan), Klosterkirche (855). Marca P. de, Marca Hispanica (Parisiis 1688) 788 f.
Ex et er, Kathedrale (1277 1327 1506). Oliver, Lives of the Bishops of Exeter (Exeter
1861) 297 ff.
— Schenkung Leofrics von Exeter (vor 1073). Warren F. E., The Leofric Missal (Oxford
1883) xxn.
Farfa, Abteikirche (ca 947 1119 1122). M. G. SS. XI 536 578 582.
Fecamp, Abteikirche (1362—1375). Bibliotheque de l'Ecole des Chartes, 4^ serie V (1859)
160 ff 399 ff.
Fontenelle (823—833), Gaben des hl. Ansegisus. M. G. SS. II 295.
Frauenburg, Kathedrale (1578). Hipler, Die ältesten Schatzverzeichnisse der ermländi-
schen Kirchen 25 ff.
Freiberg (Sachsen), Franziskanerkirche (1530), Jungfernkloster (1542), Dom (1535).
Ermisch, Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen I 394 519 623.
Freising, Inventar des Chorbischofs Herold (855). Meichelbeck, Histor. Frising. I2 351.
— Kathedrale, Inventar von 1352. Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit XIV
(1867) 303 f.
— Inventar von 1456. Ebd. XV (1868) 14 f.
Gandersheim, Klosterkirche (12. Jahrh.). Ebd. XX (1873) 345.
Genf, Kathedrale (1535). Memoires et documents publies par la Societe d'histoire et
d'archeologie de Geneve V (1849) 126 ff.
Gent, St Bavo (860). Neues Archiv VIII (1882) 374.
Genua, S. Maria di Castello (1253). Vigna R. A., L'antica Collegiata di S. Maria di Ca-
stello in Genova (1859) 184 f.
XX Verzeichnis bemerkenswerter für die Arbeit benutzter Inventare.
Georgenberg bei Goslar, Klosterkirche (ca 1125 — 1150). Heinemann 0. v., Die Hand-
schriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, 1. Abteil., I 175.
Gerona, St Felix (1310)". Florez H., Espana sagrada XLV (1832) 255 ff.
Glasgow, Kathedrale (1433). Innes C. . Registrum episcopatus Glasguensis. Publikation
des Bannatyne Club und des Maitland Club (Edinburg 1843) 329 ff.
Gnesen, Kathedrale (1450). Monumenta Poloniae historica V (1888) 950 ff.
Gottesthal (Rheingau, 1499). Roth, Geschichtsquellen aus Nassau III 202.
Gran, Kathedrale (1528 1553 1592 1609). Dankö J., Geschichtliches aus dem Graner Dom-
schatz 142 ff.
Gubbio, Augustinerkirche (1341). Mazzatinti G., Archivio storico per le Marche e per
F Umbria III (1886) 570 ff.
Halberstadt, Kathedrale, Gaben des Bischofs Konrad (1208). Riant, le comte P., Exuviae
sacrae Constantinopolitanae I 20 ff: II 84 f.
Heilsberg., Pfarrkirche und Schloßkapelle (1581). Hipler, Die ältesten Schatzverzeich-
nisse der ermländischen Kirchen 58 f.
Hereford, Kathedrale (1817). Weib J., A roll of the household expenses of Richard
de Swinfleld, Bishop of Exeter (Camden Society 1854) xxxvi f.
Hermannstadt (Siebenbürgen), St Marien (1440). Serapeum IX (1848) 227 ff.
Hildesheim, Dom (1409). Anzeiger für Kunde deutscher Vorzeit XXV (1878) 207 ff.
Karl der Kühne von Burgund (1467). Laborde, comte de, Les ducs de Bourgogne II 1 ff.
Karl V. von Frankreich (1379). Labarte J., Documents inedits de l'histoire de la France
(Paris 1879).
Kiedrich (Rheingau), St Valentin (1583). Annalen des Vereins für nassauische Altertums-
kunde und Geschichtsforschung XXIX (1898) 220 f.
Kolbatz, Klosterkirche (1509). Baltische Studien XXVII (1877) 267 f.
Köln, St Brigiden (1508 1541 1578 1597 1612). Annalen des historischen Vereins für
den Niederrhein XLV (1886) 118 ff.
— St Georg (ca 1100). Bock, Das heilige Köln (Leipzig 1858), St Jakob 8 ff.
(14. Jahrh.). Ebd. 14 ff.
- St Johann (1406). Ebd., St Johann 14.
Königsberg, Schloßkirche (1518). Hipler F., Mitteilungen des ermländischen Kunst-
vereins III (1875) 56 ff.
Krakau, Kathedrale (1101 u. 1110). Essenwein A., Die mittelalterlichen Kunstdenkmale
der Stadt Krakau (Leipzig 1869), Anhang xxxiii.
Kremsmünster, Klosterkirche (1. Hälfte des 11. Jahrb.). M. G. SS. XXV 669.
Lamspringe (?) , Klosterkirche (10. Jahrh.). Heinemann O. v. , Die Handschriften der
herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, 1. Abteil., I 333.
Lausanne, Kathedrale (1536). Chavannes E., Le tresor de l'eglise cathedrale de Lausanne 50 ff.
Leon, Kathedrale (1063), Gaben des Königs Ferdinand. Florez H., Espaiia sagrada XXXVI
(1787) clxxxix. (1073), Gaben des Bischofs Pelagius. Ebd. i.ix f.-
Lerez, S. Salvador (ca 916). Schenkung König Ordonos II. von Leon. Ebd. XIX (1765) 355.
Lichfield, Kathedrale (1346). Journal of the Derbyshire Archaeological Society IV
(1882) 107 ff.
Lille. St Pierre (1397). Dehaisnes, L'art dans la Flandre, Documents 751 ff.
Limoges, St Martial (12. Jahrh.). Bulletin archeologique IV (1847/1848) 100 f.
- Inventar von 1226—1245. Bibliotheque de l'Ecole des Chartes, 4<> stSrie (1855) I 29 ff.
Lincoln, Kathedrale (1536 u. 1553). Monasticon anglicanum, nova editio VI 1278 f 1287 ff.
London, St Paul (1245 1295 1402). Archaeologia L (1887) 464 ff.
Lüttich, St Laurent (1034). Heibig J., La sculpture au pays de Liege (Bruges 1890) 8 f.
Lyon (1448). Valois V. de, Inventaire du tresor de l'eglise de Lyon (Lyon 1877) 1 ff.
Mailand, S. Ambrogio (11. Jahrh.). Magistretti M., Delle vesti ecclesiastiche in Milano
(Milano 1897) 79 ff.
Mainz, Altmünster (12. Jahrb.). Serapeum, Zeitschrift für Bibliothekswissenschaft XVIII
(1857) 363.
— Kathedrale (12.— 13. Jahrb.). M. G. SS. XXV 239 ff.
- St Quintin. Laib und Schwarz, Kirchenschmuck XXVII (1870) 30.
Marchiennes, Klosterkirche (9. Jahrh.). Dehaisnes, L'art dans la Flandre, Documents 14.
Martinsberg, Klosterkirche (12. Jahrb.). Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission V
(1860) 350 ff.
Mehlsack, Pfarrkirche (1581). Hipler, Die ältesten Schatzverzeichnisse der ermländi-
schen Kirchen 65 f.
Verzeichnis bemerkenswerter für die Arbeit benutzter Inventare. xXI
Meschede (Westfalen), Gaben der Äbtissin Hidda. Neues Archiv XI (1886) 409.
Milz, Klosterkirche (ca 800). Schannat, Corpus traditionum Fuldensium (Lipsiae 1724) 69.
Mittelheim (1492). Roth F. W., Geschichtsquellen aus Nassau III (Wiesbaden 1880) 419.
Monte Cassino. Erwerb des Abtes Desiderius. Chronicon Cassinense 1. 8, c. 18 (M. G. SS.
VII 710).
- Hinterlassenschaft Viktors III. Ebd. c. 74 (M. G. SS. VII 753).
Monza, S. Giovanni. Inventar von ca 910. Bulletin monumental XLVI (1880) 313 f 464 ff.
Inventar von 1275. Ebd. 627 ff.
Muri, Klosterkirche (12. Jahrb.). Hergott M. . Genealogia diplomatica Augustae Domus
Habsburgicae I (Viennae 1737) 313 ff.
Namur, St Aubin (1218). Le Beffroi III (1871) 129 ff.
Nevers, Kathedrale (11. Jahrb.). Revue de l'art chrefien, 4e Serie (1890) 247.
Novara, Kathedrale (1212). Historiae patriae monumenta, Chartarum I 1192 ff.
Obona, Stiftungsurkunde Adelgasters von Asturien (ca 790). Florez, Espana sagrada XXXV 11
(1789) 308.
Oberaltaich, Klosterkirche (ca 1150). Mitteilungen des Instituts für österreichische Ge-
schichtsforschung IV (1883) 288.
Oldesloe, St Peter und Paul (1489). Jahresbericht des Realprogymnasiums in Oldesloe
1889—1890, 4 ff.
Olmütz, Kathedrale. Inventar von ca 1100. Notizenblatt, Beilage zum Archiv für Kunde
der österreichischen Geschichtsquellen II (1852) 231.
Inventar von 1435. Ebd. 170 ff.
Osimo, Kathedrale. Inventar von 1267. Zaccaria F. A., Excursus litterarii per Italiam ab
anno 1742 ad annum 1752 I (Venetiis 1754) 255.
— Inventar von 1379. Compagnoni P., Memorie istorico-critiche della chiesa di Osimo V
(Roma 1783) 146 ff.
Oxford, Lincoln College (1480). Second report of the Royal Commission on historical manu-
Scripts 130 f.
— New College (ca 1450). Ebd. 135.
— St Frideswide (1545). Monasticon anglicanum, nova editio II 166.
Päd na, S. Antonio (1396). Abschrift in der Dr Bockschen Sammlung mittelalterlicher Inven-
tare im Besitz des städtischen Suermondt-Museums zu Aachen.
Palermo, Pfalzkapelle (1309). Annales archeologiques XXV (1865) 296.
Paris, Inventar der Königin Klementine, Witwe Ludwigs X. (1328). Revue de l'art chretien,
4C Serie (1892) 415 f.
Parma, Kathedrale (1483). Pezzana, Storia della cittä di Parma IV, app. 72 ff.
Passau, Gaben des Chorbischofs Madalwin (903). Monumenta Boica XXVIII 2, 201.
Perugia, Inventar des Schatzes des Apostolischen Stuhles (1311). Regesta Clementis Papae V,
app. I (Romae 1892) 369 ff.
Peterborough , Gaben des Bischofs Ethelwold (ca 970). Monasticon anglicanum. nova
editio I 365 382.
— Infirmary Chapel (1539). Ebd. I 365.
— Kathedrale (1539). Ebd. I 382.
Pfäffers, Klosterkirche (Ende 9. Jahrh., 10. Jahrh., ca 1020 1067 1155). M. G. Libri
confrat. 396 ff.
Philipp der Gute von Burgund (1420). Laborde, comte de, Les ducs de Bourgogne II 235 ff.
Philipp der Kühne von Burgund (1404). Dehaisnes, L'art dans la Flandre, Documents
835 ff.
Pisa, S. Michele (ca 1048). Muratori, Antiquitates Italicae medii aevi IV 789 ff.
Poitiers, Kathedrale (1406). Auber, Histoire de la cathedrale de Poitiers (Paris 1849) II 139 ff.
- Kathedrale (1469). Bibliotheque de l'Ecole des Chartes, 3= serie I (1849) 495 ff.
Polnische Kirchen (1522). Lukowski J. et Korytkowski J., loannis de Lasco, Gnesn.
archiep., Liber beneficiorum II (Gnesnae 1880).
Prag, Dom (1354 1355 1387 1396—1512). Chrämovy poklad u sv. Vita u Praza (Prag 1903).
Anhang III ff.
Preßburg, Kathedrale (1425). Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission II (1857) 151 ff.
Priifening, Klosterkirche (12. Jahrh.). Neues Archiv XIII (1888) 560 ff.
Prüm, Klosterkirche (1003). Beyer H., Mittelrhein. Urkundenbuch (Koblenz 1860) 717.
Ravensburg, Stadtkirche (15. Jahrh.). Diözesanarchiv von Schwaben III (1886) 28.
Reading, Abteikirche (13. Jahrh.). Barneid S., The Englisb historical Review 1888, 116 f.
Ribe, Kathedrale (1213). Terpager F., Ripae cimbricae descriptio (Flensburg! 1736) 211 ff.
XXII Verzeichnis bemerkenswerter für die Arbeit benutzter Inventare.
Riquier St-, Klosterkirche, Inventar aus der Zeit Angilberts (ca 800). M. G. SS. XV 177.
— Inventar von 831. Chronicon Centul. 1. 3, c. 3 (M. P. lat. 174, 1257 ff).
Rochester, Kathedrale (11. — 13. Jahrb.). Registrum Roffense, Revue de l'art chretien,
3e serie V (1887) 332.
Rom, St Johann im Lateran (1455). Müntz E., Melanges d'archeologie et d'histoire IX
(1889) 165 ff.
— St Peter (1361 1436 1454 1489). Müntz e Frothingham, II tesoro di S. Pietro, in Archivio
della Societä Romana di storia patria VI (1883) 11 ff.
— Inventar des Schatzes des Apostolischen Stuhles (1295). Bibliotheque de l'Ecole des
Chartes XLVI (1885) 16 ff.
Rouen, Kathedrale (Ende des 12. Jahrb.). Revue de l'art chretien, 3C serie IV (1886)460ff.
Saint-Omer, St-Bertin (867). M. G. SS. XIII 634.
Salisbury, Kathedrale (1212 1222). Jones W. H. R., Registrum S. Osmundill (London 1884)
127 ff.
— Kleinere Kirchen in Wilts und Berks (Ruscombe, Sonning, Hurst etc.). Ebd. I 275 ff.
Sankt Gallen (11. Jahrb.). Stimmen aus Maria-Laach LXVIII (1904) 354.
Schweidnitz (Schlesien), Stadtkirche (1471). Anzeiger für Kunde der deutschen Vor-
zeit XXI (1874) 169 ff.
Siena, Dom (1467). Annales archeol. XXV 263 ff.
Sitten und Valeria (1364). Memoires et documents publies par la Societe de la Suisse
romande XXXIII (Lausanne 1884) 254 ff.
Soignies (1382). Dehaisnes, L'art dans la Flandre, Documents 592.
Speier, Dom (1051). Schannat, Vindemiae litterariae (Lipsiae 1723) 9 f.
Staffelsee, St Michael (ca 810). M. G. Leg. sect. II, I 251.
Sternberg, Augustinerkirche (1527). Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Ge-
schichte XII (1847) 276 ff.
Stolp, Dominikanerkirche (1523 1525). Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks
Küslin II, Kreis Stolp (Stettin 1894) 81.
Susteren, Klosterkirche (1174). Fisenne L. v. , L'art monumental du moyen-äge (Aachen
1880), l" serie, 1. 2, 7.
Todi, S. Fortunato (ca 1300). Archivio storico italiano II (Firenze 1888) 261 ff.
Toledo, Inventar der Kirchensachen des Kardinals Gonzalo, Erzbischofs von Toledo (f 1275).
El arte en Espana, Revista mensual del arte y'de su historia VII (1868) 45 ff.
— Inventar der Kirchensachen des Erzbischofs Albornoz von Toledo (ca 1350). Ebd. 101 f.
Toulon, Kathedrale (1333). Revue des Societös savantes, 7e serie I (1880) 156 ff.
Toulouse, St Sernin (1489). Memoires de la Societe archeologique du midi de la France IV
(1840) 158 ff.
Treguier, Kathedrale (1620). Revue de l'art chretien III (1859) 451 ff.
Trier, Dom (1238). Abschrift in der Dr Bockschen Sammlung mittelalterlicher Inventare
im Besitz des städtischen Suermondt-Museums zu Aachen.
Trond St-, Klosterkirche. M. G. SS. X 230 f.
Venedig, S. Marco (1519). Pasini, II tesoro di S. Marco in Venezia (Venezia 1886), app. CI ff.
Westminster, Abteikirche (1388). Archaeologia LH (1890) 213 ff.
Wien, St Stephan, Kapelle des hl. Morandus. Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission
XIV (1869), Anh. c.
Winchester, Kathedrale. Gaben des Bischofs Heinrich von Blois (ca 1170). The Downside
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Windsor, Königl. Kapelle (1384). Monasticon anglicanum, nova editio VI 1362 ff.
Wormditt, Pfarrkirche (1584). Hipler, Die ältesten Schatzverzeichnisse der ermländischen
Kirchen 83 ff.
Wörthsee (Kärnten), Pfarrkirche (ca 1000). Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit
XV (1868) 95 f.
Würzburg, Dom (1448). Archiv des historischen Vereins von Unterfranken und Aschalfen-
burg IV (1838) 131 ff.
— Neumünster (1230). Ebd. XVI (1863), 2. Tl 246 ff.
— Schottenkloster (1535). Ebd. 45 f.
York, Kathedrale (ca 1360 1364 1483 ca 1500). Raine, The fabric rolls of York Minster
(Durham 1858) 212 ff 275 ff.
Zeitz, St Michael (1514). Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen I, Kreis Zeitz
(Halle 1879) 70 f.
VERZEICHNIS DER TITELABKÜRZUNGEN
ÖFTER ZITIERTER WERKE.
A. E. Med. = Acta Ecclesiae Mediolaneusis. Frederici Card. Borromaei archiepiscopi Medio-
lan. iussu edita. Mediolani 1599.
A. SS. = Acta Sanctorum Bollandiana. Editio novissima. Parisiis 1863 fl'.
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Ag. = Seroux d'Agincourt (J.-B.), Sammlung von Denkmälern der Architektur, Skulptur
und Malerei. Deutsch v. F. von Quast. Frankfurt am Main 1840.
Ann. = Didron, Annales archeologiques. Paris 1844 ff.
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Arts sompt. = Mauge-Ciappori-Louandre, Les arts somptuaires. Paris 1857.
Ass., C. 1. = Assemani (J. A.), Codex liturgicus. Romae 1749 — 1766.
Ass., Bibl. = Assemani (I. S.), Bibliotheca orientalis C'lementino-Vaticana. Romae 1719 — 1728.
Bock, Gesch. = Bock (Dr Fr.), Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters. Bonn
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Bock, Reichski. = Die Kleinodien des heil, römischen Reiches deutscher Nation. Wien 1864.
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Bullet, mon. = Bulletin monumental, ou Collection de memoires et de renseignements sur la
statistique monumentale de France. Paris 1835 ff.
Caerem. = Caeremoniale episcoporum Clementis VIII, Innocentii X et Benedicti XIII iussu
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Cahier = Cahier (P. Ch.) S. .T., Nouveaux melanges d'archeologie. Paris 1874 — 1877.
Cahier et Martin = Cahier (P. Ch.) S. J. et Martin (P. A.) S. J., Melanges d'archeologie.
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Coli. Lac. = Acta et Decreta sacrorum conciliorum recentium sive Collectio Lacensis. Friburgi
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Corp. SS. eccl. = Corpus Scriptorum ecclesiasticorum latinorum. Vindob. 1866 ff.
D. C. = Du Cange, Glossarium mediae et infimae latinitatis. editio nova. Niort 1883 — 1887.
Decret. auth. = Decreta authentica Congr. SS. Rituum edita sub auspiciis SS. D. N. Leonis
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Delisle, Mem. = Delisle (Leop.), Memoire sur d'anciens sacramentaires. Paris 1886.
De Farcy = Farcy (L. de), La broderie du XL siecle jusqu'ä nos jours. Angers 1890;
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Gay = Gay (Victor), Glossaire archeologique. Paris 1887.
Gräven — Gräven (D. H.), Frühchristliche und mittelalterliche Elfenbeinwerke. Rom 1898
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XXIV Verzeichnis der Titelabkürzungen öfter zitierter Werke.
Hard. = Harduini (P. T.) S. J. Conciliorum collectio regia maxima. Parisiis 1715.
Hartzh. = Hartzheim (P. J.) S. J., Concilia Germaniae. Colon. Agripp. 1759—1775.
Hef, Beitr. = Hefele (K. J.), Beiträge zur Kirchengeschichte , Archäologie und Liturgik.
Tübingen 1864.
Hef., Concilien = Hefele (K. J. v.), Conciliengeschichte, 2. Aufl., Freiburg 1873 ff; VIII u. IX,
1. Aufl., Freiburg 18S7— 1890.
Hefner-Alt. = Hefner-Alteneck (Dr J. H. v.), Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften vom
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Hitt. = Hittorpii (M.) De divinis catholicae ecclesiae officiis. Parisiis 1610.
J. = Jaffe (Ph.), Regesta Pontificum Romanorum, editio altera. Lipsiae 1888.
Kirchenlex. = Kaulen (Dr Fr.), Wetzer und Weites Kirchenlexikon, 2. Aufl. Freiburg 1882 — 1901.
Kirchenschmuck = Kirchenschmuck , herausgegeben unter der Leitung des christlichen Kunst-
vereins der Diözese Rottenburg. Stuttgart 1857 — 1870.
Le Brun = Le Brun (Pierre), Explication litterale, historique et dogmatique des prieres et
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M. = Migne, Patrologia latina. Parisiis 1844—1864.
Magistretti = Magistretti (M.), Delle vesti ecclesiastiche in Milano. Milano 1897.
Magistretti, Monumenta = Magistretti (M.), Monumenta veteris liturgiae Ambrosianae, Pon-
tificale in usum ecclesiae Mediolanensis. Mediolani 1897.
Marr. = Marriot (B.), Vestiarium christianum. Londini 1868.
Mart. = Martene (E.), De antiquis ecclesiae ritibus libri tres. Antverpiae 1763 — 1764.
Mart., Mon. = Martene (E.), De monachorum ritibus libri quinque. Antverpiae 1764. Bildet
den vierten Band der Antwerpener Ausgabe von Martenes Werk : De antiquis ecclesiae
ritibus.
Mart , SS. Vet. = Martene (E.) et Durand (U.), Veterum Scriptorum amplissima collectio.
Parisiis 1724—1738.
Mart., Thes. = Martene (E.) et Durand (U.), Thesaurus novus anecdotorum. Parisiis 1717.
Mg. = Migne, Patrologia graeca. Parisiis 1857 — 1866.
M. G. Conc. = Monumenta Germaniae historica, Legum sect. III, concilia.
M. G. Confr. = Monumenta Germaniae historica, Antiquitates, Libri confraternitatum.
M. G. Epp. = Monumenta Germaniae historica, Epistolae.
M. G. LL. = Monumenta Germaniae historica, Leges.
M. G. SS. = Monumenta Germaniae historica, Scriptores.
M. G. SS. Langob. = Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Langobardicarum.
M. G. SS. M. = Monumenta Germaniae historica, Scriptores rerum Merovingicarum.
Miss. = Missale Romanum S. Pii V P. M. iussu editum.
Mitt. = Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission zur Erforschung und Erhaltung der Bau-
denkmale. Wien 1856 ff.
Mor. = Moroni (G.), Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica. Venezia 1840 — 1879.
Mühlb. = Mühlbauer (Wolfg.), Decreta auth. Congreg. SS. Rituum. München 1865—1867.
Supplementum, ibid. 1876—1885.
Mur., Ant. = Muratori (L. A.), Antiquitates Italicae medii aevi. Mediolani 1738 — 1742.
Mur., SS. = Muratori (L. A.), Rerum Italicarum scriptores. Mediolani 1723 — 1738.
Pflugk-Harttung = Pflugk-Harttung (J. v.), Acta Pontificum Romanorum. Tübingen 1881
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Wilp., Kat. = Wilpert (J.), Die Malereien der Katakomben Roms. Freiburg 1903.
Wilp., Sakr. = Wilpert (J.), Malereien der Sakramentskapellen. Freiburg 1897.
Zeitschrift = Zeitschrift für christliche Kunst. Düsseldorf 1888 ff.
EINLEITUNG.
I. GEGENSTAND UND METHODE.
Unter liturgischer Gewandung versteht man diejenige Kleidung, deren
sich die Geistlichen bei Ausübung ihrer gottesdienstlichen Funktionen zu be-
dienen haben. Es gibt nicht bloß im lateinischen, sondern auch in den orien-
talischen Riten eine besondere Kulttracht. Selbst der Protestantismus hat
nicht einmal völlig auf sie Verzicht geleistet.
Die liturgische Kleidung ist bei den verschiedenen Weihestufen eine ver-
schiedene. Am reichsten erscheint sie im abendländischen Ritus, wie
leicht begreiflich, beim obersten aller Liturgen, beim Papst, ausgestaltet. Sie
besteht bei ihm aus dem Amikt, der Albe, dem Cingulum, dem Subcinctorium,
der Stola, der Tuniceila, der Dalmatik, der Kasel, dem Kanone, dem Pallium,
der Mitra und dem Manipel. Bei den Erzbischöfen fehlen von diesen Gewand-
stücken Subcinctorium und Fanone, bei den Bischöfen auch das Pallium, doch
ist bei einigen wenigen der letzteren ein Gegenstück des Palliums, das sog.
Rationale, in Gebrauch. Die priesterliche liturgische Gewandung setzt sich aus
Amikt, Albe, Cingulum, Manipel, Stola und Kasel zusammen, die der Diakone
aus Amikt, Albe, Cingulum, Manipel, Stola und Dalmatik, die der Subdiakone
aus Amikt, Albe, Cingulum, Manipel und Tuniceila. Die niederen Kleriker
tragen nach gegenwärtigem Gebrauch bei ihren Funktionen das Superpelliceum.
Übrigens wird die liturgische Kleidung in ihrer Vollständigkeit von den
Geistlichen nur bei der Vornahme der vorzüglichsten aller ihrer Amtshand-
lungen, bei der Feier des heiligen Opfers, und bestimmten mit derselben in
unmittelbarer Verbindung stehenden Verrichtungen verwendet. Bei andern
Gelegenheiten bedienen sie sich einer vereinfachten liturgischen Gewandung,
bei welcher insbesondere die Albe durch das Superpelliceum und die Kasel
durch das Pluviale ersetzt wird. So trägt der Priester z. B. bei Spendung
der heiligen Taufe Superpelliceum und Stola, der Bischof bei Erteilung der
heiligen Firmung Rochett bzw. Superpelliceum, Amikt, Stola und Pluviale, bei
Abhaltung feierlicher Vespern Amikt, Albe, Cingulum, Stola und Pluviale.
Die liturgische Kleidung in den Riten des Ostens ist derjenigen des
lateinischen Ritus durchaus verwandt. Aber auch untereinander ist der Unter-
schied in Bezug auf die liturgische Gewandung in den verschiedenen dortigen
Riten kein wesentlicher. Vergleichen wir die orientalischen Kultgewänder mit
denen des Abendlandes, so finden wir, wenngleich mit einigen Abweichungen
in Bezug auf Form, Beschaffenheit und Verwendung, allenthalben eine Unter-
tunika (Albe), das Cingulum, die Stola, einen liturgischen Mantel (Kasel) und
das Pallium. Nur vereinzelt sind ein Schultertuch (Armenier, Syrer, unierte
Braun, Die liturgische Gewandung. 1
Einleitung.
Kopten) und die Mitra (Armenier, Maroniten, unierte Chaldäer und unierte
Kopten) gebräuchlich. Das Schultertuch fehlt in den übrigen Riten des Orients
vollständig, anstatt der Mitra trägt man bald einen der Tiara ähnlichen Hut
(Griechen, armenische Priester), bald eine turbanartige Kopfbedeckung (nicht
unierte Kopten), bald endlich eine Art von Kapuze oder Schleier (nicht unierte
Chaldäer). Unbekannt sind im Osten der Manipel — den armenischen Ritus
ausgenommen — , die bischöflichen Handschuhe, Strümpfe und Schuhe, das
päpstliche Subcinctorium , der päpstliche Fanone , das Superpelliceum , das
Pluviale, soweit es ein Gegenstück und ein Ersatz der Kasel ist, die Tuniceila
und Dalmatik. Eigentümlich sind den orientalischen Riten dagegen der Sakkos
des griechischen Ritus, eine der Dalmatik formverwandte und den liturgischen
Mantel vertretende Obertunika der Metropoliten und Bischöfe, das Epigonation
der Bischöfe und Prälaten (Griechen, Armenier) und die Epimanikien oder
liturgische Stauchen, die sich in allen Riten des Orients finden 1.
Im einzelnen gilt von der liturgischen Gewandung der Riten des Ostens folgendes :
In allen haben die Lektoren nur eine Tunika. Die Subdiakone tragen außer
der Tunika einen Gürtel bei den Griechen, den Manipel bzw. Epimanikien bei den
Armeniern, eine Stola bei den Syrern, Chaldäern und Kopten. Die Diakone sind
nach allen Riten mit Tunika und Stola (Orarion) ausgestattet; der Epimanikien be-
dienen sie sich in allen Zweigen des griechischen Ritus, einer liturgischen Kopf-
bedeckung in einzelnen Fällen bei den Armeniern. Die wenigste Verschiedenheit
offenbart sich hinsichtlich der priesterlichen Gewandung. Sie besteht bei allen Orien-
talen aus Tunika, Stola, Gürtel und Epimanikien. Einen Amikt tragen die armenischen
und die linierten koptischen, einen sakralen Kopfschmuck die armenischen und nicht
unierten koptischen Priester. Das Obergewand ist zweifacher Art, entweder ein vorn
geschlossener oder ein vorn geöffneter Mantel. Ersteier eignet dem griechischen,
letzterer allen übrigen Riten.
Ein erheblicherer Unterschied besteht zwischen den spezifisch pontifikalen Gewand-
stücken der verschiedenen orientalischen Riten. Das Epigonation kennen nur Griechen
und Armenier, das Omophorion Griechen, Armenier, Syrer und die katholischen Kopten.
Eine Mitra in abendländischer Form begegnet uns im armenischen Ritus sowie bei
den linierten Kopten , Syrern und Chaldäern, eine sonstige Kopfbedeckung, sei es in
Gestalt einer Krone, eines Hutes, Turbans oder Schleiers, bei den Griechen, nicht
linierten Chaldäern und Kopten. Der Sakkos ist nur dem griechischen Ritus eigen.
Der Vergleich zeigt ein Doppeltes.
Erstens läßt sich eine wesentliche Übereinstimmung zwischen der Sakral-
gewandung der verschiedenen orientalischen Riten nicht verkennen. Die
Hauptstücke derselben sind überall die nämlichen, wenn sie auch in Bezug
auf die Ausstattung und die Tragweise im einzelnen voneinander abweichen.
Es erhellt daraus, daß die Sakraltracht der Riten des Ostens einen gemein-
1 Hier wie im folgenden unterscheiden wil-
den griechischen Ritus, zu dessen Schattie-
rungen auch die Russen, Ruthenen, Bul-
garen, Melcliiten und Italo-Griechen gehören,
den armenischen, den syrischen, den chal-
däischen und koptischen und zählen zu dem
syrischen die monophysitischen Syrer oder
Jakobiten, die unierten Syrer oder sog. reinen
Syrer und die Maroniten, die in der Liturgie
vieles aus dem römischen Brauch herüber-
genommen haben (vgl. Die Synode vom Berge
Libanon aus dem Jahre 1736, in Coli. Lac. II
1H8), zum chaldäischen die nicht unierten
Nestorianer und die unierten Nestorianer, die
eigentlichen Chaldäer. Zum koptischen Ritus
rechnen wir die nicht unierten Kopten Ägyp-
tens, die abessinischen Kopten und die unier-
ten Kopten Ägyptens. Prinzip dieser Unter-
scheidung ist die Übereinstimmung im Ritus.
Eine etwas andere Teilung, wobei indessen
nicht der Ritus, sondern der Gesamtcharak-
ter der verschiedenen Zweige der Kirche
des Ostens maßgebend ist, bei J. Silber-
nagl, Verfassung und gegenwärtiger Be-
stand sämtlicher Kirchen des Orients, Regens-
burg 1904.
I. Gegenstand und Methode. 3
samen Ursprung und Ausgang haben muß, der angesichts des zwischen den
einzelnen Riten bestehenden Gegensatzes unzweifelhaft in eine Zeit hinaufreicht,
da die Ostkirche noch nicht in Sekten zerklüftet war.
Auf der andern Seite ergibt sich aber aus dem Vergleiche auch, daß
die Kultgewandung bei den einzelnen Riten ihre eigene Entwicklung durch-
gemacht hat. Es fehlt ja nicht an mancherlei Unterschieden. Es sind weder
alle Gewänder in allen Kirchen des Ostens Brauch, noch stimmen sie in Bezug
auf die Beschaffenheit und die Weise, wie sie angelegt werden, völlig überein.
Indessen ist auch das durchaus erklärlich. Bei dem selbständigen Charakter
der orientalischen Kirchengemeinschaften konnte ebensowenig wie in Bezug
auf den Ritus hinsichtlich der Kulttracht eine selbständige Fortentwicklung
und Ausbildung ausbleiben.
Außer den bisher erwähnten gibt es aber auch noch eine Anzahl von Gewand-
stücken , welche zwar nicht zu den liturgischen Gewändern im eigentlichen Sinne ge-
hören, jedoch entweder im weiteren Sinne der liturgischen Kleidung beigezählt
werden können oder durch ihre Verwandtschaft mit bestimmten Bestandteilen
der letzteren eine kurze Behandlung oder doch Erwähnung verdienen. Es sind das
Rochett, die Cappa magna, die Almutia, die Mozetta, der griechische Mandyas, die
Tiara, der Pileolus und das Birett. Namentlich erheischt das Rochett eine Be-
sprechung, weil es nicht nur ehedem vielfach als Ersatz des Superpelliceums ver-
wendet wurde, indem man beim Gebrauch nicht zwischen Rochett und Superpelliceum
unterschied, sondern auch noch jetzt hie und da in dieser Eigenschaft Verwertung findet.
Was den Gewandcharakter der einzelnen Stücke der Sakralkleidung
anlangt, so kann man diese in vier Gruppen scheiden: Untergewänder, Ober-
gewänder, Bekleidung der Hände, des Fußes und des Kopfes und Abzeichen.
Zu den Untergewändern zählen der Amikt, der päpstliche Fanone, die Albe
mit ihrem Zubehör, dem Cingulum und den Epimanikien, das päpstliche Sub-
cinctorium und, als Ersatz der Albe, das Superpelliceum (Rochett). Zu den
0 berge wändern rechnen die Kasel, die Dalmatik, die Tunicella und das
Pluviale, welch letzterem passend die Cappa magna, die Almutia und die
Mozetta angeschlossen werden. Die Almutia war ursprünglich allerdings eine
Kopfbedeckung, nicht mantelartiges Bekleidungsstück ; später wurde sie jedoch
jenem ersteren Zwecke ganz entfremdet und zum bloßen Schultermäntelchen.
Der dritten Gruppe gehören an die Pontifikalhandschuhe, die Pontifikal-
strümpfe, die Pontifikalsandalen und die Mitra, von den liturgischen Ornat-
stücken im weiteren Sinne aber Tiara, Pileolus und Birett. Die vierte
endlich umfaßt den Manipel, die Stola, das Pallium und das Rationale'
Die Punkte, welche bei Behandlung der einzelnen Gewänder in Betracht kommen,
sind Ursprung, formelle Entwicklung, stoffliche Beschaffenheit,
Ausstattung, Träger, Verwendung im liturgischen Dienst, Farbe,
mystische Deutung und Segnung. Auf die ersten sechs muß bei jedem der
verschiedenen Ornatstücke eingegangen werden; dagegen empfiehlt es sich, die drei
letzten erst nach Abschluß der den Gewändern gewidmeten Untersuchungen zusammen-
fassend zu besprechen. Die kirchliche Farbenregel, die mystische Deutung und die
Segnung der .liturgischen Kleidung bedeuten nicht nur für diese eine äußerliche, durch
die Beschaffenheit der Gewänder und ihre Verwendung an sich noch nicht gegebene Zutat,
sie haben obendrein auch ihre eigene f4eschichte, die sich übersichtlich nur behandeln
läßt, wenn sie losgelöst von den einzelnen Ornatstücken im Zusammenhang dargestellt
werden. Demgemäß folgt den Abschnitten, welche den Untergewändern, den Ober-
gewändern, der Bekleidung der .Hände, der Füße, des Hauptes und den liturgischen
Abzeichen gewidmet sind, ein weiterer, der sich mit der kirchlichen Farbenregel, der
mystischen Deutung und der Segnung der heiligen Gewänder beschäftigt.
1*
4 Einleitung.
Was die Methode der Behandlung der einzelnen Gewandstücke anlangt,
so werden diese zunächst nach Beschaffenheit und Verwendung geschildert,
wie es der gegenwärtige Brauch will. Die heutige liturgische Kleidung ist
ja das Ergebnis nicht des Zufalls, sondern einer langen Entwicklung. Wer
daher an das Studium ebendieses Prozesses herantreten will, tut gut, vor
allem sich mit dem Kesultat desselben recht vertraut zu machen. Je klarer
und bestimmter dieses vor seinem Geiste steht, um so besser wird er die
verschiedenen Phasen in der Ausgestaltung der liturgischen Gewandung und
die in ihr jeweilig zum Ausdruck kommende Tendenz verstehen.
Die Untersuchung über die Entwicklung der Kultgewänder selbst knüpft
an das nachweisbar früheste Auftreten der letzteren an, um dann von da bis
zur Gegenwart herabzusteigen. Die Erörterung über ihren Ursprung und
ihre Ableitung macht in der Kegel den Beschluß. An sich wäre es freilich
natürlicher, hiermit zu beginnen. Allein so klar im allgemeinen der Ursprung
der liturgischen Kleidung ist, so läßt sich das doch nicht in gleichem Maße
von allen und den einzelnen Bestandteilen derselben sagen. Es genügt, auf
die verschiedenen Meinungen hinzuweisen, welche hinsichtlich der Herleitung
z. B. des Manipels, der Stola, des Palliums bestehen. Außerdem verliert sich
bei manchen der Gewänder die älteste Geschichte zu sehr ins Dunkle, so daß
wir weniger durch positive Nachrichten, als vielmehr durch die Verwandt-
schaft, die zwischen ihnen und den entsprechenden profanen Kleidungsstücken
in Bezug auf Charakter und Form besteht, auf ihren Ursprung hingewiesen
werden. Man denke nur an den Amikt, die Albe, das Cingulum, die Mitra,
die Pontifikalhandschuhe usw. Unter solchen Umständen erschien es nicht
bloß als zweckmäßig, sondern zur möglichsten Klarstellung der Sachlage als
notwendig, die Frage nach der Ableitung der einzelnen Ornatstücke für gewöhn-
lich erst an den Schluß der betreffenden Untersuchung zu setzen. Manche
Irrtümer hinsichtlich des Ursprungs der liturgischen Gewandung haben ihren
Grund vornehmlich in einem allzu aprioristischen Vorgehen. Sie wären ver-
mieden worden, wenn man mehr von der Erscheinung ausgegangen wäre,
welche die einzelnen Gewänder bei ihrem ersten Auftreten und dann in der
Folge gewähren.
Wenn in der Arbeit die Bestandteile der liturgischen Kleidung jeder
für sich, nicht im Zusammenhang miteinander nach bestimmten Epochen be-
sprochen werden, so liegt die Uz-sache hierfür teils in den unleugbaren Vor-
teilen, welche diese Methode zunächst für das Verständnis der Entwicklung
der einzelnen Ornatstücke, dann aber indirekt auch für das der Ausgestaltung
der ganzen Kulttracht bietet, teils in der ungemeinen quantitativen und quali-
tativen Ungleichheit des Nachrichtenmaterials, welches aus den verschiedenen
Zeiten über die Sakralkleider vorliegt. Das gilt besonders für die vorkaro-
lingische Periode, zum Teil aber selbst noch für die Frühe des zweiten Jahr-
tausends. Es geschah sonach nicht ohne Grund, wenn bisher fast allgemein
die Geschichte der liturgischen Gewandung in eine Geschichte der liturgischen
Gewänder aufging. Von Nachteil war hierbei, daß gewisse Fragen allgemeiner
Art nicht oder nicht hinlänglich zur Erörterung kommen konnten und daß
dem Zusammenhang in der Ausgestaltung der Kultkleidung zu wenig Auf-
merksamkeit geschenkt wurde. Um diesen Übelstand in der vorliegenden
Arbeit nach Möglichkeit zu vermeiden, wird ihren Abschluß eine zusammen-
fassende Übersicht über die Entwicklung der liturgischen Gewandung in den
verschiedenen Epochen bilden. Sie wird eine Ergänzung der Untersuchungen
IL Quellen. 5
sein, welche deren einzelnen Bestandteilen gewidmet waren, zugleich aber auch
in einem Gesamtbild das Ergebnis dieser Untersuchungen nach Maßgabe der
einander folgenden Perioden vorführen.
II. QUELLEN.
Die Quellen für die nachfolgende Geschichte der liturgischen Gewänder
sind vor allem Bestimmungen von Konzilien oder sonstige Ver-
ordnungen der maßgebenden kirchlich en Autoritäten betreffs der
sakralen Kleidung, die liturgischen Bücher, die Schriften der Li-
turgiker, die Inventare, die Monumente mit Darstellungen geistlicher
Personen in ihrer liturgischen Tracht und endlich die aus früherer Zeit noch
erhaltenen Ornatstücke. Es erscheint angebracht, auf diese Quellen
etwas näher einzugehen und sie nach Wert und Bedeutung zu würdigen.
Die erste bietet wenig zu bemerken. Eingehender e Bestimmungen über die
liturgischen Gewänder, ihre Beschaffenheit, Form und die für sie zu nehmenden Stoffe
fehlen im Mittelalter vollständig. Es gibt deren weder, die für die ganze Kirche oder
doch das ganze Abendland erlassen wurden, noch solche für einzelne Diözesen oder
Kirchenprovinzen. Selbst Verordnungen, in denen die Zahl der zur liturgischen Ge-
wandung gehörenden Einzelstücke aufgeführt werden, sind selten. Sehen wir von der
„ Synodal ermahnung" (9. Jahrhundert) ab, so beschränken sie sich auf die Statuten
Riculfs von Soissons (889), der Synode von Coyaca (1050 ') und der Synoden von
Lüttich (1287 2) und Cambrai (ca 1300 3). Aber auch die Neuzeit brachte im ganzen
wenig ausdrückliche Bestimmungen über die Sakralkleidung. Die eingehendsten Vor-
schriften erließ über dieselbe der hl. Karl Borromäus, Vorschriften, die zwar in Rom
approbiert wurden, indessen auch so ihre lediglich partikuläre Bedeutung behielten, ein
Punkt, der bei den Reformbestrebungen, wie sie die Mitte des 19. Jahrhunderts bezüglich
des Paramentenwesens hervorbrachte, häufig übersehen wurde. Außer dem hl. Karl er-
liefä nur noch die Prager Synode von 1605 ', gestützt auf die Mailänder Statuten, nähere
Bestimmungen, Bestimmungen, welche dann von der Prager Synode von 1860 5 im
wesentlichen wieder erneuert wurden. Was in den Generalrubriken des Missale und
den Rubriken des römischen Caeremoniale, des Pontificale und Rituale bezüglich der
liturgischen Ornatstücke festgesetzt wird, betrifft fast nur deren Verwendung. Auch was
die Ritenkongregation seit ihrem Entstehen an Entscheidungen erliefä, bezieht sich auf
kaum etwas anderes denn auf Zweifel, die ihr bezüglich des Gebrauches der Gewänder
vorgelegt worden waren. Erst die neueste Zeit brachte verschiedene Dekrete über den
Stoff, die Verzierung und die Form einzelner der letzteren. Wie der Ritus überhaupt,
so beruhte demnach auch die Sakralkleidung mehr auf Brauch und Herkommen als
auf ausdrücklichen kirchlichen Bestimmungen, ein Umstand, der für die Geschichte
ihrer Entwicklung von großer Bedeutung ist. Denn er erklärt, wie die liturgischen
Gewänder im Laufe der Zeit fast unmerklich und ohne daß die kirchlichen Autoritäten
sich gegen ein solches Vorgehen erhoben , die tief eingreifenden Veränderungen er-
leiden konnten, welche mit ihnen vorgingen. Man denke nur an die Kasel, die Dal-
matik, Tuniceila, Mitra. Aber auch für die Verwendung der Sakralkleidung war mehr
die jeweilige, nach Ort und Zeit wechselnde Praxis denn bestimmte Satzungen maß-
gebend. Nur für die Feier der Messe hatte sich schon im 9. Jahrhundert ein Kanon
gebildet, wiewohl noch um die Wende des Jahrtausends in der Praxis bezüglich des
Amikts, wie es scheint, ein Schwanken statthatte. Von besonderer Wichtigkeit sind
eine freilich nicht große Zahl von konziliaren Bestimmungen aus vorkarolingiseher
Zeit hinsichtlich einzelner liturgischer Gewänder.
1 Hard. VI 1, 1025. 4 Ib. VIII 691.
2 Hartz h. III 690. 3 Ib. IV 70. 5 Coli. Lac. V 538.
6 Einleitung.
Die liturgischen Bücher, S akr amentar e, Pontifikalien, Missalien,
Ordines sind besonders wertvoll für die Kenntnis der Verwendung der sakralen
Kleidung und die Symbolik, welche man mit dieser verband. Über die Beschaffenheit
geben sie meist nur indirekt einigen Aufschluß. Namentlich sind für die Geschichte
der Sakralkleidung von Bedeutung die Ordines, Gottesdienstordnungen, Zusammen-
stellungen von Angaben über die Feier der liturgischen Verrichtungen, auch Konsue-
tudinare, Consuetudines, Ordinäre, Agenden u. ä. genannt, vor allem die sog. rö-
mischen Ordines. Sie sind, nachdem schon früher einige derselben herausgegeben worden
waren, am vollständigsten durch Mabillon veröffentlicht worden1. Seine Publikation
umfaßt im ganzen 15 Ordines, von denen nur der vierte (ein kurzes Fragment) und
der siebente (ein Taufordo) für die liturgische Gewandung nicht in Betracht kommen.
Der achte und neunte sind Weiheordines, d. h. sie geben den Ritus wieder, nach dem
zu Eom die heiligen Weihen statthatten. Die Mabillonsche Ordinessammlung ist eine
überaus schätzenswerte Quelle für die Geschichte der römischen Liturgie im allgemeinen
wie der römischen Sakraltracht im besondern. Sie entspricht indessen nicht mehr
allerwegen dem heutigen Stand der kritischen Forschung, weshalb eine Neuherausgabe
der römischen Ordines dringend zu wünschen wäre.
Was das Alter der Mabillonschen Ordines anlangt2, so stammt der erste, von
dem Anhang abgesehen, in seiner jetzigen Form, wie es scheint, etwa aus der Mitte,
der zweite und dritte aus dem Ende des 8. Jahrhunderts. Der einem St Gallener Kodex
entnommene fünfte Ordo ist von hervorragender Bedeutung durch das Verzeichnis der
Bestandteile der liturgischen Kleidung der verschiedenen römischen Geistlichen , vom
Papst angefangen bis zu den Akolythen. Der Kodex, in dem er sich findet, gehört
dem 10. Jahrhundert an, doch ist der Katalog selbst älteren Datums und schon im
Lauf des 9. Jahrhunderts entstanden. Wir werden die Aufstellung, auf die wir uns
des öfteren beziehen müssen, der Kürze halber mit S. G. K. (St Gallener Kleiderkatalog)
bezeichnen. Der sechste Ordo gibt den Ritus der römischen Pontifikalmesse wieder,
wie er um 1000 an manchen Orten außer Rom rezipiert war, von den beiden Weihe-
ordines stammt der erste, der achte Mabillons, etwa aus der zweiten Hälfte des 8.,
der zweite aus dem 9. Jahrhundert. Der zehnte Ordo gehört dem 11. — 12. Jahrhundert
an, der elfte wurde zwischen 1140 — 1143 von einem Kanonikus von St Peter, Benedikt
mit Namen, der zwölfte zu Lebzeiten Cölestins III. (1191 — 1198) von dem Kardinal
Cencius de Sabellis und späteren Papst Honorius III. verfaßt. Der dreizehnte Ordo
wurde unter dem Titel Caeremoniale Romanum auf Befehl Gregors X. (1271 — 1276)
herausgegeben. Der vierzehnte Ordo ist eine im 16. Jahrhundert entstandene Kom-
pilation 3, die außer Auszügen aus Diarien , dem ebengenannten Caeremoniale und
dem gleich zu erwähnenden Ordo des Petrus Amelii auch das in mancher Be-
ziehung wichtige, von Kardinal Jakob Gaietanus Stefaneschi um 1311 verfaßte Ordi-
när enthält. Der fünfzehnte Ordo endlich hat zum Urheber den Bischof Petrus
Amelii von Sinigaglia, 1401 als Patriarch von Grado gestorben. Er führt den Titel:
Liber de caeremoniis ecclesiae Romanae. Ein Mabillon unbekannt gebliebener
römischer Ordo aus dem 9. Jahrhundert , der für die Geschichte der liturgischen
Gewandung verschiedene sehr bemerkenswerte Notizen enthält, wurde von L. Duchesne
herausgegeben '.
Von außerrömischen Ordines ist bisher im ganzen nur wenig veröffentlicht worden,
wenigstens harrt ungleich mehr noch des Augenblicks , da es ans Licht treten soll.
Obendrein ist die Ausbeute, welche sie für die Geschichte der Sakralkleidung liefern,
im allgemeinen nicht in gleichem Maße erheblich wie die, welche die römischen Or-
1 Museum Ital. II, Paris. 1689, 1 ff ; bei schieden, und doch gehören beide verschiedenen
M. 8«, 937 ff. Zeiten an. Sie sind nur deshalb bei Mabillon
2 Über die römischen Ordines vgl. beson- zusammengestellt worden, weil sie im St Gal-
ders auch Ebner 47 ff. Beim fünften Ordo lener Kodex einander folgen.
wird liier nicht zwischen dem Kleiderverzeich- a Cod. Vat. Urbin. 469.
nis und dem eigentlichen Meßordo unter- * Du eh., Orig. 456 ff.
II. Quellen.
dines gewähren. Am ergiebigsten sind noch einzelne der alten monastischen Kon-
suetudinare, namentlich die Consuetudines Farfenses 1.
Von den vorkarolingischen Sakramentaren tut lediglich das altirische sog. Stowe-
Missale, und zwar nur gelegentlich in einem Vorbereitungsgebet, zweier liturgischer Ge-
wänder, der Albe und des Cingulums, Erwähnung -. Erst im 9. Jahrhundert wird der
Sakralkleider in den Sakramentaren etwas häufiger gedacht, doch ist in diesen sowie
den mittlerweile in Gebrauch gekommenen bischöflichen Pontifikalien noch im 10., ja
11. Jahrhundert im ganzen von ihnen bloß selten die Rede. Werden sie aufgeführt,
so geschieht es entweder im Ankleideritus oder bei Darstellung der Weihezeremonien,
hie und da auch in den Rubriken des Gründonnerstags oder Karfreitags. Auch als
die Missalien und Pontifikalien durch Aufnahme reichlicherer Rubriken sich vervoll-
ständigt hatten, werden sie kaum anders als bei diesen Gelegenheiten erwähnt.
Was an Liturgien und Weiheordines der orientalischen Riten herausgegeben
wurde , bietet für die Geschichte der liturgischen Kleidung entweder kein oder doch
nur sehr geringes Material. Obendrein entstammen dieselben meist entweder recht
später Zeit oder sind sehr unsichern Datums. Die meiste Bedeutung haben noch die
von Joh. Morinus (f 1659), den Brüdern Joseph Alois (f 1782) und Joseph Simon
(f 1768) Assemani und H. J. Dom. Denzinger (f 1883) veröffentlichten Weiheordines3.
Von größter Bedeutung sind für die Kenntnis der mittelalterlichen Sakral-
kleidung die Schriften der alten Liturgiker, allerdings nur für die Zeit
von dem Beginn des 9. bis zum letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Was
nach dem letzteren liegt, ist teils infolge seiner Knappheit, teils weil es fast
nur auszugsweise das Rationale des Durandus wiedergibt, ohne Bedeutung.
Aus vorkarolingischer Zeit liegt nur eine kurze liturgische Schrift, die viel-
leicht noch bis zum 6. Jahrhundert hinaufreichende gallikanische Meßerklärung4,
1 Bd. P. Bruno Albers, Stuttgart 1900. Andere
Ordines werden im Laufe der Arbeit erwähnt.
2 Über das Stowe-Missale, dessen ältester
Teil, wozu jenes Gebet gehört, nicht ohne
Grund dem zweiten Viertel des 7. Jahrhun-
derts zugeschrieben wird , vgl. namentlich
Mac C a r t h y , On the Stowe Missal, in Trans-
actions of the Royal Irish Academy XXVII,
Dublin 1886, 135 ff und den hieran sich anschlie-
f3enden Aufsatz von P. S. B aeum e r 0. S. B.,
Das Stowe-Missale, in Zeitschrift für kath.
Theologie XVI, Innsbruck 1892, 446 ff.
3 Die sog. Liturgie des hl. Joh. Chrysost.
unter anderem bei Mg. 63, 901 ff. Eine syrische
Mefiliturgie gab Fabricius Boderianus
im Anhang zur Taufliturgie des Severus von
Antiochien (Antverp. 1572) heraus; die arme-
nische bei L e B r u n III 58 ff. Wegen der
koptischen Meßkleidung vgl. die Angaben des
Rituale des Patriarchen Gabriel (ca 1 140)
bei Renaudot, Collectio liturgiarum orienta-
lium I, Francofordi 1847, 160. Weiheordines
bei Morinus in Desacrisecclesiae ordinationi-
bus IT, Paris. 1655, bei Jos. Alois Asse-
mani in dessen Codex liturgicus ecclesiae
universae VIII, 2-5, Romae 1749— 1766, bei
Jos. Sim. Assemani in Bibliotheca orientalis
Clementino-Vaticanall III, Romae 1719 — 1728,
und bei Denzinger in Ritus orientalium, Cop-
torum, Syrorum et Armenorum in admini-
strandis sacramentis II, Wirceburgi 1863 und
1864; vgl. auch A. von Maltzew, Die Sakra-
mente der orthodox-katholiscben Kirche des
Morgenlandes, Berlin 1898, 301 ff.
4 Über das Alter und den Verfasser der
gallikanischen Meßerklärung sind die An-
sichten sehr geteilt. Martene, ihr erster
Herausgeber (M. 72, 87), hält es nicht für
unwahrscheinlich, daß der hl. Germanus ihr
Verfasser sei oder daß sie doch einen Auszug
aus einer Schrift des Heiligen darstelle. Jeden-
falls glaubt er sie dem 6. Jahrhundert zu-
schreiben zu dürfen. Marriott (Vest. christ.
204, Note 421) weist die Mefierklärung mit der
kurzen Bemerkung: Internal evidence points
to the IX"1 or X"1 Century as the earliest,
at which the Ms. could have been actually
written , frühestens dem 9. oder 10. Jahr-
hundert zu, worin ihm Krieg (Realenc.II 200)
folgt. Thalhofer und Ebner bemerken, die
Expositio brevis antiquae liturgiae gallicanae
werde mit guten Gründen dem Bischof Ger-
manus beigelegt (Thalhofer 159: Ebner
I 70). Duchesne (Orig. 155) sagt: Je ne vois
pas la moindre raison, de contester cette attri-
bution. Ähnlich entscheidet sich Propst (Die
abendländische Messe 316). Nirschl hält die
Autorschaft des hl. Germanus für zweifelhaft
(Patrologie III, Mainz 1885, 517). Franz
meint (Die Messe 340), die Schrift sei, wenn
nicht vom hl. Germanus, so doch wohl noch
aus dem 6. Jahrhundert. Koch (Tübinger
8 Einleitung.
vor, "welche den gallikanisclien Ritus samt dessen liturgischer Kleidung be-
handelt. Denn das angebliche Schriftchen Bedas des Ehrw. De Septem ordini-
bus ist nichts als eines der vielen frühen Exzerpte aus Hrabans und Amalars
Erörterungen über die liturgischen Gewänder, nicht aber die Vorlage derselben.
Die Liturgiker des 9. Jahrhunderts, welche von der liturgischen Kleidung handeln,
sind Hraban (f 856), Amalar (f ca 850), Walafried Strabo (f 849) und Pseudo-
Alkuin l. Hraban schrieb 819, Amalar 820, Walafried um 841, die unter dem Namen
Alküins gehende Schrift De divinis officiis aber entstand um den Ausgang des Jahr-
hunderts. Hraban behandelt nur die priesterlichen bzw. bischöflichen Gewänder, und
zwar kurz und nüchtern , Amalar gibt dagegen eine ausführliche Schilderung der ge-
samten liturgischen Tracht. Allerdings bezweckt er keineswegs, eine Kenntnis der
formellen und qualitativen Beschaffenheit der Sakralgewänder zu vermitteln, er will diese
vielmehr lediglich mystisch erklären ; allein der Umstand, daß er bei ihrer Ausdeutung
auf die Einzelheiten die größte Eücksicht nimmt, macht aus den fraglichen Abschnitten
seiner Schrift eine tatsächliche, zum Teil sehr eingehende Beschreibung der liturgischen
Kleidung. Amalar hat zu seiner Zeit wie bezüglich der mystischen Deutung im all-
gemeinen, so bezüglich seiner Auslegung der liturgischen Gewandung heftigsten Wider-
spruch gefunden. Es wurde sogar auf das perfide Betreiben des Lyoner Diakons Plorus
hin, der Sätze aus dem Zusammenhang riß und ihnen einen falschen Sinn unterlegte,
seiner Deutungsweise von der Synode zu Quiercy 838 eine entschiedene Verurteilung
zu teil. Aber auch in unserer Zeit hat man über Amalar zu hart abgeurteilt, ohne zu
bedenken, daß man einen Mann des 9. Jahrhunderts nicht schlechthin nach den Ge-
pflogenheiten und dem Geschmack des 20. bemessen darf. Amalar war bei aller über-
strömenden Phantasie und bei manchen unserem Empfinden schlecht zusagenden Ge-
dankenflügen und Einfällen ohne Zweifel ein scharfsinniger, groß angelegter Geist, dem
es nur an Schulung fehlte, ein Geist, der die Ideenrichtung der Zeit klar erfaßt hatte,
dessen Schöpfungen daher auch trotz ihrer Verurteilung das ganze übrige Mittelalter
hindurch von größtem Einfluß auf die Auffassung der liturgischen Verrichtungen waren,
ein Geist, der jahrhundertelang auf dem Felde der Deutung der Liturgie und alles dessen,
was in ihren Bereich gehört, wie kein anderer die Herrschaft ausüben sollte, und
theol. QuartalschriftLXXXII [1900] 528) glaubt
die Expositio dem Heiligen mit Rücksicht
darauf, daß sie die Ausweisung der Kate-
chumenen als nicht mehr in Brauch befind-
lichen Ritus darstelle , während dieser doch
noch im frühen 6. Jahrhundert in Gallien be-
kannt gewesen sei, entschieden absprechen
zu sollen. Die Ansicht Marriotts und Kriegs
ist unter allen Umständen abzuweisen; der
Umstand, daß die Schrift eine Erklärung des
gallikanisclien Meßritus gibt, läßt keinen
ernsten Zweifel, daß sie vorkarolingiscli ist.
Die Annahme , daß sie vom hl. Germanus
herrühre, stützt sich auf die Eingangsworte
der Schrift. Indessen bieten diese, wie Koch
mit Recht betont, keine genügende Unterlage
für eine solche Zueignung. Auch wenn man
sie nicht lediglich als Zitat aus einer ver-
loren gegangenen Schrift des Heiligen auf-
faßt, so gewähren sie bei der Unzuverlässig-
keit so mancher mittelalterlichen Aufschriften
doch zu wenig Bürgschaft für ihre Richtigkeit.
Eine andere Frage ist freilich, ob der von
Koch geltend gemachte Grund stichhaltig
genug ist, um die Schrift schlechthin dem
hl. Germanus absprechen zu können. Wie
dem indessen sein mag, jedenfalls ist diese,
und darauf kommt es vor allem an, vor-
karolingisch. Auch mag sie immerhin, wenn
nicht ins 6. Jahrhundert hinein, so doch bis
gegen dasselbe hinaufreichen.
1 Die Schriften dieser und der späteren
Liturgiker sind bereits früher in einem der
Vorrede folgenden besondern Verzeichnis
unter gleichzeitiger Angabe des Bandes und
Ortes, wo sie in der Migneschen Vätersamm-
lung zu finden sind, zusammengestellt. Es
ist daher überflüssig, hier noch einmal die Titel
der Schriften anzuführen. Die Schrift Hra-
bans De institutione clericorum libri tres
und Walafrieds De exordiis et incrementis
quarundam in observationibus ecclesiasticis
rerum wurden jüngst in vortrefflicher Weise
neu ediert von A. Knöpfler, München 1899
und 1901 ; nur geht es wohl nicht an, mit
dem Herausgeber die Schrift De Septem
ordinibus als Werk Bedas und als Vorlage für
Hraban zu betrachten. Ausführlicheres über
die karolingischen Liturgiker, als der Raum
hier gestattet, bei Ebner 73 ff.
II. Quellen. 9
selbst bei Männern wie Innozenz III. Anerkennung und Ausnutzung fand. Amalar
war aber auch , und das macht hier seine besondere Bedeutung aus , ein guter Be-
obachter, und darum verdanken wir ihm einen großen Teil der eingehenden Kenntnisse,
welche wir von der liturgischen Gewandung des 9. Jahrhunderts besitzen. Pseudo-
Alkuin bietet in seiner Abhandlung über die sakrale Kleidung des Neuen Bundes nichts
von Belang. Was er vorbringt, ist nur ein Exzerpt aus Amalar und Hraban. Da-
gegen enthält das Kapitel über die jüdische Kultkleidung verschiedene sehr wert-
volle Notizen über einzelne neutestamentliche liturgische Ornatstücke, die sich bei
keinem der früheren Liturgiker finden und ganz das Eigentum Pseudo-Alkuins sind.
Walafried sagt nur wenig von den liturgischen Gewändern. Mystische Deutungen
meidet er, dagegen macht er einige Bemerkungen über den Ursprung derselben, ein
schwacher Ansatz zu einer Geschichte der Sakralgewandung, der freilich noch für Jahr-
hunderte auch nur Ansatz bleiben sollte.
Pseudo-Alkuin ist der letzte Liturgiker der Karolingerzeit, dem wir Angaben über
die liturgischen Gewänder verdanken. Erst die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts
bringt neue liturgische Schriften, die sich mit denselben beschäftigen, im 12. folgt
dann eine reiche Literatur über die Kultkleider freilich ganz im Geist der Zeit, deren
Streben vor wie nach völlig in der herkömmlichen mystischen Betrachtung und Deutung
der liturgischen Gewänder aufging. Es waren die alten von Hraban und namentlich
Amalar eingefahrenen Pfade, auf denen die Liturgiker auch jetzt voranzogen. Immer-
hin spiegelt sich in den betreffenden Schriften, sofern sie nicht lediglich Exzerpte aus
den karolingischen Liturgikern sind , der mehrfach veränderte Stand der Sakral-
gewandung im 11. und 12. Jahrhundert, genügend wider, so daß sie bei allem Fest-
halten an der alten Deutungsweise manchen wertvollen Beitrag zur Geschichte der
liturgischen Kleidung jener Tage liefern.
Der erste, dem wir im 11. Jahrhundert eine Abhandlung über die Sakralkleider
verdanken, ist Johannes von Avranches (f 1079 ')■ Sie findet sich im Anhang zu dem
von ihm abgefaßten Ordo. Dann folgen Ivo von Chartres (f ca 1117), Bruno von
Segni (f 1123), Rupert von Deutz (f 1135), Honorius (schrieb um 1120). Der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts gehören an Robert Paululus (f ca 1184), Johannes Beleth
(t nach 1165), der indessen nur wenig über die liturgische Kleidung sagt und selbst
dies wörtlich aus der Gemma animae des Honorius oder einer älteren Quelle ent-
nommen hat, aus der auch dieser geschöpft haben mag. In dieselbe Zeit fallen auch
das Speculum de mysteidis ecclesiae mit seinem der Sakralkleidung gewidmeten sechsten
Kapitel, der 14. der hundert Sermones im Anhang der Werke Hugos von St Viktor,
und der irrig Stephan von Bauge zugeschriebene Tractatus de sacramento altaris. Am
Schluß des Jahrhunderts stehen Sicard von Cremona (f 1215) und Innozenz III. (f 1216).
Am selbständigsten von allen erscheinen Rupert von Deutz und namentlich Bruno von
Segni sowie der angeführte Sermo XIV ; am ausführlichsten behandelt die liturgische
Kleidung Honorius. Was Robert Paululus schreibt, ist fast nur Auszug aus des
Honorius Gemma. Auch Sicard ist in hohem Maße Kompilator, während Innozenz III.
zwar ebenfalls nur wenig Neues bringt, immerhin aber das Alte in ansprechender
Weise zu verarbeiten gewußt hat. Der Wende des Jahrhunderts gehört auch eine
gereimte deutsche Meßerklärung an, in welcher die liturgische Gewandung eine zum
Teil recht eigenartige Deutung erfährt -.
Was das 13. Jahrhundert an Werken über die Liturgie schuf, ist für die Ge-
schichte der liturgischen Gewandung fast ohne Bedeutung. Das gilt selbst von dem
Rationale des Durandus, einer ungemein fleißigen, im einzelnen aber wenig geordneten
Sammlung alles dessen, was frommer Sinn bis dahin über die Messe, das Offizium,
1 Näheres über die Liturgiker des 11. bis zügliche Schrift von J. Sauer, Symbo-
13. Jahrhunderts bei Ebner 79 ff und lik des Kirchengebäudes , Freiburg 1902,
Franz 407 ff. Über Honorius und die 12 ff.
Streitfrage betreffs seiner Nationalität, Si- - Kelle, Speculum de mysteriis ecclesiae,
cardus und Durandus namentlich die vor- München 1858, 149 ff.
10
Einleitung
das Kirchenjahr usw. und auch die Sakralkleidung Erbauliches und Mystisches ersonnen
und geschrieben hatte. Veraltetes und im Brauch Stehendes wird in einer Weise ver-
mengt, daß es in manchen Fällen schwer ist, Vergangenheit und Gegenwart zu sondern.
Für die mittelalterliche Anschauungsweise freilich, die nur an mystische Ergründung des
Sinnes der liturgischen Gewänder wie der liturgischen Verrichtungen überhaupt dachte,
war das Rationale das ganze noch übrige Mittelalter das Universalhandbuch der Liturgik l.
Der liturgischen Abhandlungen aus den Riten des Ostens, welche sich
mit Erklärung der Kultgewänder beschäftigen, sind nur sehr wenige.
Die älteste ist die 'Iircopia IxxXir)(?ia<n:i-/.7}, die, anscheinend von einem Mönche ge-
schrieben, sehr wahrscheinlich noch in die vorkarohngische Zeit fällt -. Eine Erweiterung
und Bearbeitung dieser Schrift ist die Muorty-T] fkiupia, die unter verschiedenen Namen geht,
namentlich dem des hl. Germanus von Konstantinopel (f 733), daher auch wohl Pseudo-
Germanus genannt3. Ihr Alter mit Sicherheit festzustellen, ist nicht möglich; jeden-
falls fällt sie aber noch in das erste Jahrtausend. Ebenfalls auf der 'loropia gründet die
von dem Herausgeber, Kard. Angelo Mai, dem hl. Sophronius von Jerusalem (j 638)
zugeschriebene Meßerklärung4. Sie entstand, wie Krasnojeljcev nachgewiesen, im
11. — 12. Jahrhundert. Eine in Fragen und Antworten abgefaßte kurze Erklärung der
heiligen Kleidung, bei welcher St Basilius der Fragesteller ist, St Gregor der Theolog
aber antwortet, scheint ebenfalls aus der Frühe des Jahrtausends herzurühren \ Der
Wende des 14. Jahrhunderts entstammen die auch für die Kenntnis der damaligen
sakralen Gewandung des griechischen Ritus wichtigen liturgischen Traktate des schis-
matischen Metropoliten Simeon von Saloniki (f 1429 6). Eine Deutung der Gewänder
des syrisch-nestorianischen Ritus findet sich in dem „Buche der Väter", das dem
1 2. Jahrhundert zugeschrieben wird 7, Angaben über die liturgischen Gewänder der
Kopten enthält die Schrift Ibn Sabaas (14. Jahrh.): Monile pretiosum in scientia
eeclesiae s. Die armenische Kultkleidung wird ziemlich ausführlich in des Nerses von
Lampron (f 1198) Kommentaren zur heiligen und göttlichen Liturgie behandelt9.
Eine wichtige Ergänzung der schriftlichen Nachrichten, welche über die
liturgische Gewandung aus dem Mittelalter vorliegen, bilden die Inventare.
Sie reichen bis in das Ende des 8. Jahrhunderts hinauf, im ganzen ist in-
dessen, wie leicht begreiflich, ihre Zahl bis zum 13. nicht allzu groß. Aus
dem späten Mittelalter hat sich eine lange Reihe von Schatzverzeichnissen
erhalten. Die älteren Inventare sind sehr knapp abgefaßt und gehen leider
häufiger als wünschenswert über Stoff und Verzierung der Gewänder still-
schweigend hinweg. Doch gibt es kaum eines dieser älteren Inventare, das
nicht von Bedeutung wäre. Die späteren Schatzaufnahmen sind vielfach sehr
eingehend und geben oft umständliche Beschreibungen der Stoffe und Ver-
zierungen der Paramente nach Qualität und Darstellungen. Beispiele sind die
Inventare von St Paul zu London (1245, 1402), des Schatzes des Apostolischen
1 Betreffs der Meßerklärungen des 14. und
15. Jahrhunderts, wobei gewöhnlich auch die
Gewänder gedeutet werden, vgl. das bereits
erwähnte, für die Geschichte der Meßerklä-
rungen des späten Mittelalters unentbehrliche
Werk von A. Franz über die Messe im
deutschen Mittelalter 515 ff.
2 Jahrbuch von Odessa IV 2 (1894) 178 ff.
Krasnojeljcev hält es für möglich, daß die
Schrift vom hl. Basihus herrühre, doch ist
das bloß eine Vermutung. Der Umstand, daß
sie wie die von ihr abhängige filumr/.i) Vziupia
auch dem hl. Basilius zugeeignet wird, ist
für eine solche Annahme nicht Grund genug.
3 Mg. 98, 393 ff. Da in der Schrift die
Ankunft des Antichrist auf das Jahr 6500
= 992 n. Chr. festgesetzt wird, muß sie
vor diesem Termin geschrieben sein.
4 Mg. 87, 3, 3985 ff.
5 N. Krasnojeljcev, Addenda et
Anecdota graecolryzantina , Odessa 1898,
Nr 13.
6 Mg. 155, 257 ff 712 ff.
7 Dom Jean Parisot, Le livre des Pures,
in La Science cath. 1890, 450.
8 Renaudot, Collectio liturg. orient. I,
Francof. 1847, 161.
9 c. 5 25 27 (ed. Venet. 1847, p. 80 140 145).
II. Quellen. H
Stuhles von 1295, des Domes zu Prag (1387, 1396, 1476), der Kathedrale zu
York (1500), des Santo zu Padua (1396), von S. Francesco zu Assisi (1320),
des Domes zu Olmütz (1435) u. a. Die Angaben sind bisweilen so vollständig
und bestimmt, daß man sich ohne Mühe ein klares Bild des betreffenden
Gegenstandes machen kann, zumal wenn man mit den noch erhaltenen Para-
menten und Paramentenresten aus dem Mittelalter vertraut ist. Es ist
bereits eine große Anzahl mittelalterlicher Inventare herausgegeben worden.
Eine ziemlich vollständige Zusammenstellung derselben bietet nebst freilich zu
knapper Inhaltsangabe und unter Bezeichnung der Werke, in denen sie Veröffent-
lichung gefunden haben, Perd. de Mely und Ed. Bishop in dem schätzenswerten Werk
Bibliographie generale des inventaires imprimes (Paris 1892 — 1895).
Die Monumente sind ebenso wichtig als Zeugnisse für den Gebrauch
der liturgischen Kleidung bzw. ihrer einzelnen Bestandteile wie für die Kennt-
nis der Form und Beschaffenheit der letzteren. Besondere Bedeutung haben
sie, wo schriftliche Angaben mangeln. Aber auch da, wo deren vorliegen, sind
sie immerhin eine wertvolle Ergänzung derselben. Allerdings erheischt das
Studium der Monumente einige Vorsicht.
Das Bestreben, das Alter derselben möglichst hoch hinaufzurücken, ist noch
keineswegs ausgestorben, und es fehlt darum noch immer nicht an Bildwerken, die
mehr oder weniger weit über ihre wirkliche Entstehungszeit hinaus datiert werden.
Aber auch bei solchen, bei welchen die früheren Altersbestimmungen als unzutreffend
nachgewiesen wurden, dauert es oft recht lange, bis die richtige Erkenntnis durch-
dringt, so daß die falschen Altersbestimmungen vor wie nach noch eine gute Weile
in den Büchern herumzuspuken pflegen. Wer die Monumente für das Studium der
liturgischen Gewandung ausnutzen will, muß daher, wie überhaupt jeder, der auf ihnen
aufbauen möchte, vor allem sich nach Möglichkeit über das Alter derselben zu ver-
gewissern suchen, wo nicht klare, bestimmte innere oder noch besser äußere Anhalts-
punkte vorliegen, allerdings eine schwierige Sache, bei der man nur zu häufig über
eine gewisse Wahrscheinlichkeit nicht hinauskommt '. Sichere Schlüsse können sich
nur auf sicher datierten Bildwerken aufbauen. Außerdem aber ist zu beachten, daß
die mittelalterlichen Bildwerke in Bezug auf Genauigkeit, Vollständigkeit und Korrekt-
heit der auf ihnen dargestellten liturgischen Gewänder vieles zu wünschen übriglassen.
Hier hat es dem Künstler an Beobachtung der Wirklichkeit gefehlt, dort ist es eine über-
quellende, dekorationslustige Phantasie, welche Feder, Pinsel oder Meißel geführt hat,
anderswo ist es jene den mittelalterlichen Meistern eigene Sorglosigkeit, welcher die
Verstöße und Mängel zuzuschreiben sind. Auch das Stilisieren von Personen und Ge-
wändern trägt seinen guten Teil an den Eigenarten Schuld, welche wir auf den alten
Bildwerken bei der liturgischen Kleidung antreffen. Gewifa herrschte im Mittelalter
in Bezug auf die liturgische Gewandung nicht die straffe Einheit, welche heute, wo
alles durch bestimmte Vorschriften geregelt ist und eine besondere Kongregation über
die Einhaltung des einmal festgelegten Kitus wacht , alle bindet. Allein so bunt,
wie es nach den Bildwerken scheinen könnte, sah es zu keiner Zeit in Bezug auf
Gebrauch, Form, Ausstattung usw. der Sakralkleidung aus. Im allgemeinen darf als
Erfahrungssatz aufgestellt werden, daß die mittelalterlichen Künstler am zuver-
lässigsten sind in Bezug auf das Gesamtbild der Kleidung oder der
einzelnen Gewänder, daß sie dagegen in Bezug auf das Detail aus den vorhin
angeführten Gründen weniger Glauben verdienen. Nichts wäre verkehrter, als in den
Schöpfungen der alten Miniatoren, Glasmaler, Sticker, Bildhauer, Maler eine Art
1 Gerade die Beschaffenheit der litur- Monumente oder sonstwie festgestellt wurde,
gischen Gewandung bildet, wo sie für eine ein wertvolles Mittel zur Datierung mancher
bestimmte Zeit auf Grund zuverlässiger andern Monumente.
12
Einleitung.
von Photographien zu sehen '. Zu den für die Geschichte der liturgischen Gewänder
bedeutsamsten Bildwerken gehören die Bischofssiegel des 12. und 13. Jahrhunderts
sowie die Grabfiguren des 12. und der folgenden Jahrhunderte.
Je häufiger eine bestimmte Eigentümlichkeit in Bezug auf die liturgische
Gewandung auf den Monumenten bezeugt ist, um so mehr darf sie als den tatsäch-
lichen Verhältnissen entsprechend angesehen werden. Vereinzelten Darstel-
lungen wird man nur dann wirklichen Wert und wirkliches Gewicht beizumessen
berechtigt sein, wenn die ganze Ausführung darauf schließen läßt, daß der Künstler
die Wirklichkeit wiedergebe. Wo an allen Enden die Phantasie und Laune des
Künstlers durchscheint, haben sie eine recht zweifelhafte Bedeutung.
Wir machen noch auf eine letzte wichtige Wahrnehmung aufmerksam. Danach
darf es im allgemeinen als Kegel angesehen werden, daß Veränderungen, die mit den
liturgischen Gewändern vor sich gingen, nicht auch schon ohne weiteres und als-
bald auf den Monumenten zum Ausdruck kommen. Die Tradition, die im Mittel-
alter einen ungleich größeren Einfluß auf das Kunstschaffen hatte als gegenwärtig,
wo in der Kunst alles im Fluß ist und alle Welt nach Neuem strebt, machte sich nicht
selten noch eine Reihe von Jahren geltend, und es dauerte bisweilen eine verhältnis-
mäßig geraume Zeit, ehe die Künstler die alte Weise verließen und die Neuerung
zur Darstellung brachten. Aus demselben Grunde aber sehen wir nicht selten umgekehrt
Eigentümlichkeiten auf den Monumenten auftreten, die in Wirklichkeit bereits einige
fünfzig Jahre vom Schauplatz verschwunden waren. Ein geradezu klassisches Beispiel
bietet die Wiedergabe der Mitra. Trotzdem diese schon in der zweiten Hälfte des
11. Jahrhunderts weithin in Gebrauch war, sind Darstellungen derselben auf den Bild-
werken noch bis 1100 sehr selten. Anderseits aber kommen auf den Monumenten
noch nach der Mitte des 13. Jahrhunderts bei Bischofsfiguren Mitren von einer Form
vor, welche einer um 50 — 100 Jahre früheren Periode angehört und längst durch
eine neue abgelöst worden war.
Am allerwichtigsten sind, wie leicht ersichtlich, für die Geschichte der
Entwicklung der liturgischen Kleidung die aus dem Mittelalter noch
vorhandenen Gewänder. Was die Inventare beschreiben oder oft nur
andeuten, was die Monumente in ihrer Weise mehr oder weniger künstlerisch
umgestaltet wiedergeben, sehen wir bei ihnen leibhaftig vor uns. Um so mehr
ist zu bedauern, daß die Zahl derjenigen liturgischen Gewänder, welche mit
Sicherheit dem ersten Jahrtausend zugewiesen werden können, äußerst geling
ist. Will man freilich den laufenden Traditionen glauben, dann gibt es noch
eine ziemliche Anzahl von Paramenten aus dieser Periode. Indessen lassen Form,
Stoff, Ausstattung und was wir sonst von der Geschichte der liturgischen
Gewänder Sicheres wissen, keinen Zweifel übrig, daß sie einer weit späteren
Zeit ihre Entstehung verdanken. Pontifikalhandschuhe eines hl. Cassius (f 558)
zu Narni und eines hl. Sabinus (f ca 566) zu Canosa, die Mitra des hl. Sil-
vester I. (f 335) in S. Martino ai Monti und des hl. Gildas (um 547) zu St-Gildas-
de-Rhuys, die Pontifikalschuhe des heiligen Abtes Germanus (f ca 677) zu Dels-
berg u. a. sind, ganz abgesehen von ihrer Beschaffenheit, welche sie evident
dem zweiten Jahrtausend zuweist, für die Zeit, welcher sie angehören sollen,
1 Man führt wohl, wenn sich auf den Bild-
werken scheinbar altertümelnde Eigenarten
in Bezug auf die liturgische Gewandung zeigen,
solche auf den Umstand zurück, daß dem
Künstler Vorlagen aus früherer Zeit zum
Muster dienten. Wirklich mögen sie sich in
solchen Fällen hie und da auf diese Weise
am besten erklären lassen. Immerhin wird
man sehr wohl zusehen müssen, um nicht
Gefahr zu laufen, sich in leere Hypothesen
zu verlieren und eine Phantasie des Künstlers
als Reminiszenz an alte Zeiten oder ältere
Monumente auszugeben. Man sollte nur dort
so vorgehen, wo Bildwerke aus früherer Zeit
und andere sichere Gründe genügenden An-
halt für eine solche Erklärung bieten.
II. Quellen.
13
Anachronismen. Bei andern, wie z. B. bei der Kasel des hl. Johannes Ange-
loptes (f 432) in S. Urso zu Ravenna, schließt wenigstens die Beschaffenheit
durchaus den Ursprung aus, den die Überlieferung will. Übrigens sind eben-
diese Überlieferungen bei genaueren Nachforschungen bisweilen relativ recht
jungen Datums.
Manche Erwartungen knüpften sich an die koptischen Gräberfunde in den
Gräberfeldern der Provinz Fajüm , zu Antinoe in Mittel- und zu Aehmini in
Oberägypten. Indessen haben diese über die liturgische Gewandung leider keinerlei
Aufschluß gebracht, so belehrend sie auch hinsichtlich der Form und Beschaffen-
heit der profanen Tracht gewesen sind '.
Kecht stattlich ist die Zahl der liturgischen Gewänder, die sich aus dem
11. bis 16. Jahrhundert erhalten haben; insbesondere gilt das von den Kasein, den
Pontifikalschuhen, der Mitra und auch der Albe. Freilich gibt es auch hier manche
unzutreffende Traditionen, indessen fallen die betreffenden Stücke doch immer noch
in Wirklichkeit ins Mittelalter, mögen sie auch um ein, zwei oder vielleicht drei
Jahrhunderte später zu datieren sein, als die örtliche Überlieferung will. Sehen wir
von den Gewändern ab, die sich in protestantischen Kirchen, namentlich in St Marien
zu Danzig, im Dom zu Brandenburg und im Dom zu Halberstadt, in die Gegenwart
gerettet haben und die fast ausnahmslos dem späten Mittelalter angehören , so
verdanken die übrigen noch vorhandenen mittelalterlichen Paramente in den meisten
Fällen ihre Erhaltung dem Umstände, daß sie Reliquien waren oder doch als solche
galten, ein Umstand, dessen glückliche Wirkung namentlich ist, daß wir aus der
Frühe des Jahrtausends, d. i. dem 11., 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts, noch
die bedeutende Zahl von etwa dreißig Glockenkasein besitzen. Wenn es in den katho-
lischen Kirchen Deutschlands aus dem Ende des Mittelalters zwar noch ungemein viele
Reste alter Paramente, aber äußerst wenig unversehrte gibt, so kommt das daher, daß
die fraglichen Gewänder nicht als Reliquien betrachtet wurden und daß man deshalb
kein Bedenken trug , bei veränderter Mode sie dem neuen Geschmack gemäß um-
zugestalten.
Übrigens muß betont werden, daß in den Fällen, wo die Tradition hinsichtlich
des einen oder andern Ornatstückes nach Ausweis der Form und Beschaffenheit des-
selben unzutreffend ist, in der Regel immerhin irgend eine Beziehung des fraglichen
Gewandes zu dem Heiligen , dessen Kamen es trägt , vorliegt. Insbesondere stellt
ein großer Teil solcher Paramente Gewandstücke dar, mit denen der Leib eines
Heiligen bei seiner ersten Erhebung oder einer andern späteren Gelegenheit neu be-
kleidet wurde. Es sind das also Gewänder, die, wenn auch erst in späterer Zeit,
wirklich mit dem heiligen Leib in Berührung kamen und darum mit Recht als eine
Art von Reliquien verehrt werden können und als solche offenbar mit mehr Recht
verehrt werden als die altchristlichen Brandea , Tücher , die man auf die Sehreine
1 Wenn F. X. Kraus die Erwartung aus-
sprach, daß, wie schon jetzt abzusehen sei,
die koptischen Grabfunde wesentliche Ver-
änderungen der Geschichte der liturgischen
Gewandung zur Folge haben würden (Ge-
schichte der christl. Kunst I 5S4), so beruht
das auf einer sehr mangelhaften Kenntnis der
wirklichen Ergebnisse der Nachforschungen
in den koptischen Gräbern. Allerdings hat
mau unter den Textilien, welche ans Licht
kamen, auch Reste von Pallien, einer Stola
bzw. eines Manipels und altchristlicher Infulae
zu entdecken geglaubt. Man wird indessen
gut tun, über derartige Funde, bei deren Be-
stimmung, wie wir fürchten, die Phantasie eine
größere Rolle gespielt hat als die Archäo-
logie, zur Tagesordnung überzugehen. Wenn
man aus Heiligendarstellungen auf koptischen
Gewandstücken auf deren liturgischen Ge-
brauch und Charakter einen Schluß machen
möchte, so übersieht man, daf3 solche im
Orient keineswegs eine Eigentümlichkeit der
Sakralkleidung waren, da es bei den Reichen
Sitte war, auch profane Gewänder mit ihnen
zu schmücken. Vgl. die lehrreiche Rede des
Asterius von Amasea (5. Jahrh.) De divite
et Lazaro (Mg. 40, 167). Heiligenbilder auf
koptischen Grabfunden beweisen also keines-
wegs, daß diese einst liturgischen Zwecken
dienten.
14 Einleitung.
oder die Confessio legte, um sie dann als Reliquien zu versenden. Andere Ornat-
stücke haben mit Reliquienbüsten oder Statuen eines Heiligen in Verbindung gestanden :
denn die Sitte, Büsten oder Statuen mit Gewändern zu schmücken, entstand nicht erst
in der Zeit der Renaissance. So stammt die Mitra Silvesters I. in S. Martino zu
Rom, wie kaum zu bezweifeln, von einer Reliquienbüste des Heiligen, die Mitra und
Dalmatik des hl. Ludwig zu Brignoles aber von einer damit geschmückten Statue.
Die Maße beweisen das hier wie dort. Wieder bei andern Gewändern erklärt sich
die Zuweisung an einen Heiligen durch den Umstand, daß sie Votivgaben zu Ehren
dieses Heiligen waren oder für einen Altar, eine Kapelle desselben gestiftet wurden.
Aus der casula S. N. im Sinne eines zu Ehren des betreffenden Heiligen geschenkten
Meßgewandes wurde im Lauf der Zeit bei zunehmender Verdunklung des Ursprungs
eine casula S. N. im Sinne einer von dem Heiligen herrührenden Kasel. Anderswo
waren ursprünglich authentische Ornatstücke vorhanden. Es trat aber infolge von
Wirren eine Verwechslung ein, und während die echten zu Grunde gingen, erhielten
sich die unechten. Auch kam es wohl vor, daß da, wo man irgend eine wirkliche
Gewandreliquie besaß, sich durch Zufall im Laufe der Zeit andere Ornatstücke zu
dieser gesellten, die dann auch den Namen jenes Heiligen erhielten.
Solche und ähnliche Irrtümer waren um so eher möglich, als unsere Vorfahren
auf der einen Seite große Freunde alles dessen waren, was den Namen Reliquie trug,
anderseits aber in ihrer schlichten, kindlichen Frömmigkeit weiter, als gerade gut,
davon entfernt waren, einen Zweifel an der Authentizität der Reliquien zu hegen,
die kritische Sonde anzusetzen und eine Untersuchung über Echtheit oder Unechtheit
der Reliquien vorzunehmen. Freilich wären sie dazu auch in vielen Fällen schlechter-
dings nicht im stände gewesen. Denn sie waren weder so kritisch geschult, wie es
meistens nötig ist, noch hatten sie die reichen wissenschaftlichen Hilfsmittel, die heute
dem Forscher bei seinen Prüfungen zu Gebote stehen. Es wäre sehr töricht, mit unsern
Vorfahren deshalb zu rechten, weil sie irrtümlich unechte Gewandreliquien für echte an-
gesehen haben. Wenn wir jetzt die Datierungen der Textilien durchgehen, die vor
fünfzig Jahren erfolgten, werden wir manche als zu hoch gegriffen bezeichnen müssen,
und doch waren sie ihrerzeit das Werk von Fachleuten. Um wieviel mehr war also
ein Irrtum im Mittelalter möglich. Und noch jetzt, wo wir die großen Sammlungen
von Textilien besitzen und photographische Abbildungen die letzteren zum wissen-
schaftlichen Gemeingut machen, ereignet es sich oft genug, daß der Fachmann sich
täuscht, falls er nicht, um der Gefahr eines Mißgriffes zu entgehen, nur unter Vor-
behalt und mit vielen Fragezeichen eine Zeitbestimmung versucht. Nur wer von den
tatsächlichen Verhältnissen keine Ahnung hat und von den Schwierigkeiten nichts
weiß, welchen noch jetzt die Datierung von Stoffen begegnet, kann über unechte Ge-
wandreliquien lächeln oder witzeln. Wissenschaft ist das jedenfalls nicht. Der
Forscher aber wird sich freuen, daß infolge solcher leicht verzeihlichen Irrtümer
manches auf unsere Tage gekommen ist, was sonst wie tausend andere Sachen rettungs-
los im Strom der Zeit untergegangen wäre, und zugleich den kindlich-frommen, gläu-
bigen Sinn bewundern, der sich, wie überhaupt im Reliquienkultus, so insbesondere
auch in Bezug auf die Gewandreliquien im Mittelalter vielfach so anheimelnd und er-
bauend äußerte.
III. BEARBEITUNGEN.
Das Mittelalter hat keine Geschichte der liturgischen Gewandung hervor-
gebracht. Eine geschichtliche Betrachtung derselben lag seinen Ideen zu fern.
Die ersten Keime einer solchen, welche sich bei Walafried Strabo finden, blieben
nur Keime. Erst die Neuzeit wandte sich bei dem erwachten historischen
Sinn und dem immer mehr zunehmenden Interesse an der Vergangenheit, wie
der Geschichte der Liturgie überhaupt, so auch derjenigen der liturgischen
Gewandung zu. Ein äußerer Anlaß und Antrieb dazu lag freilich auch in den
Zeitumständen, sofern es galt, die alten katholischen Einrichtungen und Riten
III. Bearbeitungen. 15
gegenüber den Neuerem, welche diese gemäß ihrem Grundirrtum betreffs der
priesterlichen Mittlerschaft aus dem Gotteshause ganz oder fast ganz verbannt
hatten, als altkirchlich und berechtigt zu begründen und zu verteidigen.
Die Untersuchungen bezüglich der liturgischen Kleidung waren übrigens
bis zum 19. Jahrhundert nach alter Weise fast immer mit der Darstellung
der Liturgie verbunden. Besondere Schriften erschienen über dieselbe nur in
geringer Zahl. Eigentümlich ist allen, daß sie sich kaum auf andern als den
schriftlichen Quellen aufbauen. Außer der einen oder andern Angabe des
Papstbuches, einiger Heiligenbiographien und sonstigen historischen Quellen-
werke sind es namentlich die Ordines, die kirchlichen Bestimmungen und die
mittelalterlichen liturgischen Schriften , die ihren Ausführungen zu Grunde
liegen. Die Inventare sind so gut wie ganz unberücksichtigt geblieben. Auch
die Monumente sind nur in sehr geringem Maß verwertet. Obendrein sind
sie, wo sie herangezogen werden, recht oft mißverstanden oder falsch datiert.
Nicht besser verhält es sich mit den Überresten an liturgischen Gewändern
aus früherer Zeit, was um so mehr zu bedauern ist, als seitdem manche der-
selben leider für immer zu Grunde gegangen sind. Abbildungen, die zur Illu-
stration des Textes hie und da gebracht werden, sind meist sehr ungenau und
stilistisch völlig umgearbeitet, daher fast stets ohne Wert. Eine rühmliche
Ausnahme machen die für ihre Zeit ungemein treuen Wiedergaben in Gerberts,
des gelehrten Abtes von St Blasien, Vetus liturgia alemannica, von der weiter
unten die Rede sein wird.
Es würde zu weit führen, auf alle diese älteren Abhandlungen einzugehen, zumal
die meisten jedes selbständigen wissenschaftlichen Wertes entbehren und meist nur
bereits Gesagtes zu wiederholen pflegen. Es ist uns auch hier mehr darum zu tun,
die Art der Bearbeitung der Sakralgewandung im 17. und 18. Jahrhundert im allgemeinen
zu charakterisieren, als eine Anzahl einzelner Schriften aufzuführen. Immerhin müssen
einige Namen genannt werden. Zu ihnen gehört vor allem der des Kardinals Johannes
Bona (f 1674), dessen bündige, verständige Untersuchungen über die liturgischen
Gewänder lange den Liturgikern als Grundlage dienten und auch jetzt noch Beachtung
verdienen. Erweitert und kommentiert wurden sie in der von dem Cistercienser
Robert Sala veranstalteten Ausgabe der Eerum liturgicarum libri duo (Aug. Taiir.
1747 — 1753). Dann erheischt Erwähnung der Cluniacenser Claudius de Vert
(t 1708), dessen Erörterungen über die Sakralkleidung in dem Werk Explication
simple litterale et historique des ceremonies de l'eglise (2. Aufl. Paris 1707 — 1708)
zwar kui'z sind, aber immerhin manche interessante Angabe über den älteren Brauch
in französischen Kirchen bieten. Bemerkenswert ist, daß, während Bona zwar die
mystische Bedeutung der liturgischen Gewänder beiseite läfst , aber nicht verwirft,
de Vert ein abgesagter Feind aller mystisch-symbolischen Auslegung ist. Auch der
Oratörianer Peter Le Brun (t 1729) muß genannt werden, sofern auch er in
seiner Explication litterale, historique et dogmatique des priores et des ceremonies
de la Messe (jüngste Ausgabe Lyon 1843 u. 1850) in seiner Darstellung der Meß-
kleidung Notizen aus französischem Brauche bringt. Was B. Gavanti (f 1638) im
Thesaurus sacrorum rituum über die Geschichte der liturgischen Kleidung bietet,
ist selbst in der von dem Theatiner C. Merati besorgten erweiterten Form (Romae
1736—1738 u. ö.) kaum der Anführung wert; dagegen ist durchaus der Erwähnung-
würdig die Abhandlung , welche Benedikt XIV. seiner oft herausgegebenen Schrift
De sacrosanctae missae sacrificio (neueste Ausgabe Mainz 1874) über die Meß-
gewänder eingegliedert hat, nicht zwar, als ob hier Neues geboten würde, wohl aber
wegen der vortrefflichen Behandlung des Gegenstandes. Ungleich einlässiger ist,
was der Dominikaner Augustinus Kratzer in seiner Schrift De apostolicis
necnon antiquis ecclesiae occidentalis liturgiis (Augustae Vindel. 1786) über die
16
Einleitung.
liturgische Gewandung schreibt. Es gehört zum Besten, was bis zum Ende des
18. Jahrhunderts in liturgischen Werken über diesen Gegenstand gesagt worden ist.
Auch der Traktat über die Sakralkleidung, den Abt Martin Gerbert von St Blasien
(t 1793) seiner Vetus liturgia alemannica, disquisitionibus praeviis, notis et observa-
tionibus illustrata (S. Blasii 1776) eingeflochten hat, verdient alle Anerkennung,
zumal hier mehr als sonst die Bildwerke und noch vorhandene mittelalterliche
liturgische Gewänder berücksichtigt sind. Einige Jahrzehnte älter ist die Schrift des
Dominikus Giorgi (f 1764) : Liturgia Romani Pontificis in celebratione missarum
sollemni (Eomae 1731 — 1744), worin auch die Pontifikalkleidung eine eingehende
Behandlung findet, vielleicht das Vorzüglichste, was bis zum 19. Jahrhundert über
dieselbe geboten wurde. In enzyklopädischer Art werden die liturgischen Gewänder
erörtert in des Dominikus Macri (f 1672) Hierolexicon sive sacrum dictionarium
(ursprünglich italienisch; lateinisch Romae 1677), das später von dessen Bruder Karl
Macri vervollständigt wurde (Venetiis 1712). Ganz der sakralen Kleidung gewidmet
sind die drei Bände des Touler Bischofs Andre as du Saussay (fl675): Panoplia
episcopalis seu de sacro episcopi ornatu (Paris. 1646), Panoplia clericalis seu de
clericorum tonsura et habitu (Paris. 1649) und Panoplia sacerdotalis seu de venerando
sacerdotum habitu (Paris. 1653), alle in Folio, ein höchst umfangreiches Werk, das
aber außer dem allgemeinen Mangel an der nötigen Berücksichtigung der Monumente
obendrein an starker Kritiklosigkeit und ermüdender , nichtssagender Breite der Dar-
stellung leidet, für seine Zeit allerdings eine sehr bemerkenswerte Leistung l.
Die Kultkleidung der orientalischen Riten hat bis zum 19. Jahrhundert
keine zusammenfassende Bearbeitung gefunden. Einzelne Angaben sind ge-
legentlich den vorhin erwähnten Abhandlungen über die abendländischen
Sakralgewänder eingefügt, einlässigere Notizen enthalten des Dominikaners
Jakob Goar (f 1653) Euchologium (Paris. 1647), des Eusebius Re-
naudot (f 1720) Collectio liturgiarum orientalium (neueste Ausgabe Frank-
furt 1847), der Codex liturgicus Ecclesiae universae (Romae 1749 — 1766) des
Maroniten Jos. Alois Assemani (f 1782) und die Bibliotheca orientalis
Clementino - Vaticana (Romae 1755 — 1757) des Jos. Simon Assemani
(f 1768), Jos. Mich. AVansleben (f 1679) oder Vansleb, Histoire de
l'eglise d'Alexandrie (Paris 1677), Kap. 16 der Noten Jak. Gretsers S. J.
(f 1625) und Goars zu Codmus, De officiis magnae ecclesiae et aulae
constantinopolitanae 2, John Glen King, Gebräuche und Zeremonien der
griechischen Kirche Rußlands (aus dem Englischen, Riga 1773) u. a., von
denen einige schon früher erwähnt worden sind.
Neues Leben brachte in das Studium der geschichtlichen Entwicklung
der liturgischen Gewandung das 19. Jahrhundert. Die Reformbestrebungen,
welche gegen die Mitte desselben in Bezug auf Gestalt und Ausstattung, auf
Stoff und Ornamentierung der Sakralkleidung einsetzten, lenkten immer mehr
1 Was an Monographien über einzelne Ge-
wänder aus dem 17. und 18. Jahrhundert vor-
liegt— sie betreffen meist die Mitra (Tiara) und
namentlich das Pallium — ist zu unbedeutend,
als daß es hier besondere Erwähnung er-
heischte; einiges Brauchbare wird ohnehin
gelegentlich genannt werden. Eine Ausnahme
sei nur mit der vorzüglichen Abhandlung
Ruinarts Disquisitio hist. de pallio archi-
episcopali, inOuvrages posthumes II, Parisl724,
gemacht. Die mehrgenannte Schrift M. Sartis
De veteri casula diptycha (Faenza 1753) soll
nicht sowohl, wie der Titel vermuten lassen
könnte, ein Beitrag zur Geschichte der litur-
gischen Gewänder als vielmehr zur Bischofs-
geschichte Veronas sein. Sie handelt nämlich
von den Bildern veronesischer Bischöfe, die
sich auf den Zierbesätzen der fraglichen Kasel
befanden. Der Name casula diptycha, den Sarti
deshalb dieser gab, ist ein Unsinn. Auch hat
Sarti übersehen, daß die fraglichen Stäbe ihr
nicht ursprünglich, sondern von einem älteren
Antipendium (10. Jahrb..) hergenommen waren.
2 M. 157, 181 ff.
III. Bearbeitungen. 17
den Blick auf deren große Vergangenheit. Man sah in der Rückkehr zu den
Traditionen des Mittelalters den einzigen Weg, den Paramenten wieder eine
geziemendere Form und einen geziemenderen Schmuck zu geben. Kein Wunder,
daß unter solchen Umständen auch das Interesse an der Geschichte der litur-
gischen Gewandung von neuem erwachte und dann im Kampf um die Ideale,
die man anstrebte, immer mehr erstarkte. So kam es bald zu größeren und
kleineren Aufsätzen und nicht lange nachher auch zu größeren Monographien
über die Sakralkleidung im allgemeinen oder einzelne ihrer Bestandteile. Von
besonderem Wert war, daß man sich nicht mehr vornehmlich auf die schrift-
lichen Nachrichten gründete, sondern auch in ungleich ausgedehnterem Maße
die zahlreichen Bildwerke früherer Zeit mit Darstellungen liturgischer Gewänder
und ganz besonders das noch vorhandene Material an mittelalterlichen Para-
menten und Paramentenresten verwertete. Man gewann dadurch gegenüber
den älteren Arbeiten über die Sakralkleider ebenso an Gründlichkeit wie an
Weite und Sicherheit.
Manche Momente wirkten fördernd auf diese stärkere Berücksichtigung
der Monumente und der noch erhaltenen Gewänder des Mittelalters ein: die
allgemein erhöhte Wertschätzung der mittelalterlichen Kunst und ihrer Produkte,
auf die man vordem sehr verächtlich herabgesehen hatte, und im Zusammen-
hang damit eine große Pietät gegenüber den Erzeugnissen der Kunst einer vom
christlichen Geist ganz durchdrungenen Vorzeit, die von kirchlichen, staatlichen
und städtischen Behörden, sowie von manchen für die Werke der Vorzeit
begeisterten Privaten angelegten Sammlungen, worin auch die Textilien, kirch-
lichen Stickereien und Gewänder einen ihrer Bedeutung entsprechenden Platz
erhielten, die ungleich vervollkommnete Reproduktionstechnik, bei welcher es
möglich wurde, die Gegenstände in größter Naturtreue wiederzugeben, die
außerordentlich erhöhte Leichtigkeit des Verkehrs, welche ohne allzu große
Beschwerden eine persönliche Einsichtnahme der Monumente und mittelalter-
lichen Gewänder ermöglichte, Sammelwerke mit guten Abbildungen der alten
Kunstdenkmale u. a. Vornehmlich war es die Entwicklung der liturgischen
Gewänder nach Form und Beschaffenheit, welche den Gegenstand der Ab-
handlungen bildete. Eine eingehende Untersuchung über ihre Verwendung
und ihre Symbolik, die bis dahin minder berücksichtigt worden waren, unter-
nahm namentlich der Verfasser dieses Werkes in seinen beiden Mono-
graphien über die priesterliche und pontifikale Gewandung.
Es ist unmöglich, die zahlreichen größeren oder kleineren Aufsätze auch nur
zum Teil zu nennen, welche seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts in den verschie-
densten Zeitschriften über die liturgische Gewandung, über einzelne Bestand-
teile derselben oder noch erhaltene Paramente aus früherer Zeit erschienen. Manche
sind ohne Wert, manche andere wichtige Beiträge zur Geschichte der Sakralkleidung.
Besonders reich an Abhandlungen dieser Art ist der freilich besonders mit Hinblick auf
die Pflege der Paramentik von Dr Fl. Biefj, Pfarrer Laib und Pfarrer Dr Schwarz
gegründete Eottenburger „Kirchenschmuck" (Stuttgart 1857 — 1870). Zahlreiche andere
Aufsätze enthalten die „Mitteilungen der k. k. Zentralkommission zur Erforschung
und Erhaltung der Baudenkmale' (Wien 1856 ff), doch nur in ihren älteren Jahr-
gängen, die jüngere, von dem durch seine ausgebreiteten Kenntnisse der mittelalter-
lichen Kunst und speziell der mittelalterlichen Textilien und Paramente ausgezeichneten
und durch seine kostbare, mit großer Feinsinnigkeit hergerichtete Sammlung bekannten
Domkapitular Prof. Dr Alex. Schnütgen trefflich redigierte „Zeitschrift für christ-
liche Kunst' (Düsseldorf 1888 ff) und die Eevue de Part ehr etien (Paris 1857ff;
Lille 1883 ff), welche namentlich aus der Feder der tüchtigen Charles de Linas
Braun, Die liturgische Gewandung. 2
18 Einleitung.
und Louis de Farcy, sowie des überaus fleißigen, aber zu breitspurigen und bis-
weilen der nötigen Kritik entratenden X. Barbier de Montault viele schätzens-
werte Bausteine zur Geschichte der liturgischen Gewandung brachte. Auch der Grazer
„Kirehenschmuck" (Graz 1870 ff), das Bottenburger „Archiv für christliche Kunst"
(Stuttgart 1884 ff), V. Didrons Annales areheologiques (Baris 1844 — 1881) und das
von A. de Caumont begründete Bulletin monumental lieferten eine größere oder
geringere Zahl sehr brauchbarer Aufsätze über die Sakralkleidung im allgemeinen und
mehr noch über einzelne Gewandstücke. Desgleichen boten eine Beihe guter Beiträge
die BF. Ch. Ca hier S. J. und Arthur Martin S. J. in den Melanges de l'arche-
ologie (Baris 1847 ff) und nach dem Tode des letzteren (f 1856) B. Ch. Cahier
(f 1882) allein in den Nouveaux melanges (Baris 1874 ff).
Der Baum gestattet leider nicht, auch nur die hervorragendsten der Arbeiten
hier anzuführen, welche in diesen Zeitschriften ans Licht traten. Soweit sie nicht
über die Sakralkleidung als Ganzes handelten , sind es namentlich Albe , Kasel,
Fluviale, die pontifikalen Ornatstücke, das Ballium und die liturgischen Farben, denen
sie gewidmet waren. Von Abhandlungen, die in sonstigen Zeitschriften erschienen,
heben wir hervor die in der „Linzer Theol. Quartalschrift" (1897 und 1898) von
B. Beda Kleinschmidt 0. S. Fr. veröffentlichte Serie von Artikeln über die priester-
lichen Gewänder, eine vorzügliche Popularisierung und Verarbeitung der bis dahin
erzielten Besultate der diese betreffenden Forschungen, sowie ebendesselben Aufsätze
über Manipel und Pallium im „Katholik" (1899 und 1900), ferner eine die Tiara
und Mitra betreffende Arbeit des Archäologen E. Wüscher-Becchi in der „Böniischen
Quartalschrift" (1899), die für die spätere Entwicklungsgeschichte der Tiara geradezu
erschöpfende Monographie Eugene Müntz' La Tiare pontificale in Memoires de l'Aca-
demie des Inscriptions et Belles-Lettres XXXVI (1898), der für die ältere Geschichte
des Bluviale bedeutungsvolle Artikel Ed. Bishops: The origin of the cope as a
church vestment, in Dublin Beview CXX (1897) und endlich die an die Mosaiken in
S. Venanzo beim Lateran anknüpfenden, ebenso soliden wie lehrreichen Ausführungen
B. H. Grisars S. J. über die auf jenen vorkommenden liturgischen Gewandstücke
in Civiltä cattolica Jahrg. 1898, I, die erweitert mit Becht in des Verfassers Analecta
Bomana n. XII (Born 1899) aufgenommen zu werden verdienten.
Was im 19. Jahrhundert über die Geschichte der liturgischen Gewandung in
Liturgiken, Archäologien und Kunstgeschichten erschien, ist zum
großen Teil von wenig oder keinem Belang. Das Beste lieferten D. Bock (f 1871)
in Hierurgia or the holy sacrifice of the mass (3. Aufl. London 1892 — 1893) und
The faith of our fathers (London 1849), B. Baff aele Garrucci S. J. (f 1885) in
Storia della arte cristiana nei primi otto secoli della chiesa I (Brato 1873 — 1881),
der gelehrte Herausgeber des Liber Eontificalis L. Duchesne in Origines du culte
chretien (3. Aufl. Paris 1903), der Löwener Professor Can. Keusens in Elements
de l'archeologie chretienne (2. Aufl. Aachen 1885) und namentlich der ebenso ge-
lehrte wie gemütvolle und fromme V. Thalhof er (f 1891) im „Handbuch der katho-
lischen Liturgik" (Freiburg 1883) , unzweifelhaft das Vortrefflichste, was über die
Sakralkleidung in Werken dieser Art in neuerer Zeit geschrieben wurde.
Von enzyklopädischen und Nachschlagewerken, welche wegen ihrer
Behandlung der liturgischen Gewänder Erwähnung verdienen, nennen wir Viktor
Gays (f 1887) leider unvollendet gebliebenes Glossaire archeologique (Baris 1887),
ferner E. Viollet-le-Duc (f 1879), Dictionnaire raisonne III IV (Paris 1873 ff),
B. Atz, Die christliche Kunst in Wort und Bild (Begensburg 1899), Wetz er und
Weites Kirchenlexikon (2. Aufl. Freiburg 1882—1901), Gaet. Moroni (f 1883),
Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica (Venedig 1840 — 1861), dessen ausführ-
liche Artikel über die liturgischen Gewänder zwar nur wenig geordnete und großen
Mangel an Kritik verratende Kompilationen sind, aber von riesigem Fleiß zeugen und
manches Material aus weniger leicht erhältlichen älteren Werken enthalten. Eine gute
zusammenfassende Darstellung der Sakralkleidung bieten C.Krieg in Fr. X. Kraus,
Bealencyklopädie der christlichen Altertümer (Freiburg 1882 — 1886) unter Kleidung
III. Bearbeitungen. 19
und V. Schultze in Eealencypklopädie für protestantische Theologie (Leipzig 1896 ff)
unter Kleider.- Über die gegenwärtige liturgische Gewandung und ihre Bestandteile im
lateinischen und den orientalischen Eiten unterrichtet in vorzüglicher Weise unter
Beigabe ausgezeichneter farbiger Abbildungen nach photographischen Aufnahmen
Herders Konversations-Lexikon.
Von selbständigen größeren oder minder ausführlichen Arbeiten über die
liturgische Kleidung verzeichnen wir vor allem das für die Neubelebimg und das
Studium der Paramentik so bedeutungsvolle und verdienstliche Werk Dr Fr. Bocks
(f 1899) „Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters" (Bonn 1856 — 1871).
Ist es auch jetzt zum großen Teil veraltet, so hat es doch das Verdienst, wesent-
lich dazu beigetragen zu haben , die Sakralkleidung in gründlicherer Weise nach
den Monumenten und den noch erhaltenen Gewändern früherer Zeit zu erfor-
schen und dem Stoff und der Ausstattung der Paramente eine bis dahin ungekannte
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wenn es in Bezug auf die schriftlichen Nachrichten
noch ganz auf den nicht immer kritischen Arbeiten des 17. und 18. Jahrhunderts
fußt und auch die Datierungen von Stoffen und Gewändern nicht selten fehlgehen,
so wird man diese Mängel unzweifelhaft milde beurteilen, wenn man an den be-
deutenden Fortschritt denkt , welche die Kritik in der Ausgabe der historischen
Quellen, in Erforschung der Denkmäler und der damals noch in den Kinderschuhen
steckenden Textilkunde gemacht hat. Das Werk bedeutet einen Markstein in der
wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der liturgischen Gewandung. Eine mit
guten Noten versehene und mit einer geistreichen Einleitung über die Entwicklung der
Sakralkleidung versehene, sehr brauchbare Materialiensammlung in Wort und Bild
schuf der Anglikaner Wharton B. Marriott in seinem Vestiarium christianum
(London 1868). Die Schrift des Anglikaners E. A. S. Macalister Ecclesiastical vest-
ments (London 1896) ist von weit' geringerer Bedeutung. Die beiden von dem Ver-
fasser herausgegebenen Ergänzungshefte zu den „Stimmen aus Maria-Laach" : „Die
priesterlichen Gewänder des Abendlandes" (Freiburg 1897) und „Die pontifikalen Ge-
wänder des Abendlandes" (Freiburg 1898) setzten sich zum Ziel eine möglichst allsei-
tige Untersuchung der betreffenden liturgischen Ornatstücke. Für die ältere Geschichte
der liturgischen Kleidung ist sehr wichtig die kleine, aber inhaltreiche Arbeit
J. Wilperts „Die Gewandung der ersten Christen" (Köln 1898). Wertlos ist die
Schrift P. J. Einaldi-Buccis De insignibus episcoporum commentaria (Regens-
burg 1891), für welche die Forschungen des 19. Jahrhunderts spurlos vorübergezogen
sind, die sich in rührender Bescheidenheit auf das, was das 17. und 18. Jahrhundert
dachte, beschränkt und selbst noch die sog. Silvestermitra in S. Martino zu Rom als
echt behandelt. Eine sehr fleißige und in mancher Beziehung sehr brauchbare Leistung
sind die beiden von den liturgischen Ornatstücken handelnden Bände VII und VIII
des großartig angelegten Werkes La messe (Paris 1883 ff) von G. Rohault de Fleury
(f 1904). Sie bieten aber nur unverarbeitete Materialien, die im Text nach Jahr-
hunderten geordnet sind und bloß bis zum 14. Jahrhundert reichen. Ein empfindlicher
Mangel ist die Kritiklosigkeit, die sich oft in ihnen offenbart und um so unangenehmer
ist, als die Zitate nur zu häufig sehr ungenau sind. Angaben aus Rohault ungeprüft
benutzen, heißt sich der Gefahr aussetzen, fehlzugehen. Der Hauptwert des Werkes liegt
übrigens in den Tafeln, die eine Fülle meist sehr guter Abbildungen bringen. Leider
fehlte es bei der Auswahl an einem festen System , weshalb für manche Punkte die
monumentalen Belege übermäßig gehäuft sind, während anderswo Abbildungen mangeln.
Außerdem sind die Datierungen der Bildwerke mit Vorsicht hinzunehmen, weil nicht
immer zuverlässig. Immerhin bieten die beiden Bände bei allen ihren Mängeln durch
das mit Riesenfleiß gesammelte Material manchen wertvollen Ausgangspunkt für
weiteres Studium. Eine treffliche Arbeit ist C h. de Linas (t 1887), Anciens
vetements sacerdotaux (Paris 1860 — 1863) in 2 Bdn, trefflich sowohl durch das reiche
Material, wobei namentlich Frankreich und die daselbst noch vorhandenen mittelalter-
lichen Gewänder berücksichtigt sind, wie durch die sorgfältige, durchwegs kritische
Verarbeitung desselben. Die Schrift des Mailänder Kanonikus Dr M. Magistretti
2*
20 Einleitung.
Delle vesti ecclesiastiche in Milano (Mailand 1897) enthält gute Notizen über die
Geschichte der liturgischen Gewandung zu Mailand.
Nicht unmittelbar eine Geschichte der liturgischen Gewandung und doch eine
für diese höchst wichtige, ja unentbehrliche Arbeit ist das große Werk des französi-
schen Gelehrten Louis de Farcy, La broderie du XIe siecle jusqu'aux nos jours
(Angers 1890; Supplement 1900) mit seinen vorzüglichen Tafeln und dem kaum
minder wertvollen Text. Die zahlreichen phototypisclien Wiedergaben liturgischer
Ornatstücke aus Mittelalter und Neuzeit bilden eine ungemein lehrreiche Illustration
zur Entwicklung, welche diese sowohl bezüglich der Form als namentlich der Orna-
mentation seit dem 11. Jahrhundert nahmen.
An selbständigen Monographien über einzelne Stücke der Sakralkleidung erschien
im ganzen nicht viel; wir nennen davon E. Berrisch, „Die Stola in ihrer Entstehung"
(Köln 1867), eine allerdings wenig bedeutende Schrift; G. Wilpert, Un capitolo della
storia del vestiario (Borna 1898 — 1899), für die ältere Geschichte von Manipel, Stola
und Fallium von großem Wert; H. Grisar S. J., Das römische Fallium in „Fest-
schrift zum 1100jährigen Jubiläum des deutschen Campo Santo" (Freiburg 1897),
eine vortreffliche Arbeit; H. Thurston, The Fallium (London 1892); DrL. Eisen-
hof er, „Das bischöfliche Bationale" (München 1904), eine sehr beachtenswerte Studie.
Die Schrift des Anglikaners J. Wickham-L egg, The liturgical colours (London
1882), ist eine ungemein fleißige Untersuchung über die liturgischen Farben im latei-
nischen Eitus.
Die Geschichte der liturgischen Gewandung in den Biten des Ostens hat im
19. Jahrhundert keine eingehendere Bearbeitung gefunden. Allerdings bietet sie
auch die äußersten Schwierigkeiten , da schriftliche wie monumentale Quellen nur
sehr spärlich fließen, zum großen Teil sogar ganz fehlen. Über die Sakralkleidung,
wie sie gegenwärtig in den Biten des Ostens in Brauch ist, handelt eingehend der
Artikel der „Stimmen aus Maria-Laach" LIX (1900): „Die liturgische Gewandung in
den Biten des Ostens". Kurze Angaben bieten darüber auch A. v. Maltzew, Die
Sakramente der orthodox-katholischen Kirche des Morgenlandes (Berlin 1898), sowie
J. Silbernagl (j 1904), „Verfassung und gegenwärtiger Bestand sämtlicher Kirchen
des Orients" (2. Aufl. Kegensburg 1904), der indessen die neueste Literatur nicht
genug berücksichtigt hat, ferner M. Bajewski, Euchologion der orthodox-griechischen
Kirche (Wien 1861) u. a. Über ihre Geschichte findet sich einiges in des Verfassers
Schriften „Die priesterliche Gewandung des Abendlandes" und „Die pontifikalen Ge-
wänder des Abendlandes", ferner bei Wilpert, Un capitolo, bei Bohault de
Fleury, La Messe VII VIII, bei C. Krieg in Fr. X. Kraus, Bealencyklopädie,
unter Kleidung, bei A. J Butler, The ancient coptic churches of Egypt (Oxford 1884),
besonders aber bei dem Anglikaner J. Neale (f 1866), History of the holy eastern
church I (London 1850).
Wir können damit schließen. Es sind nur die bemerkenswertesten
Arbeiten hinsichtlich der liturgischen Gewandung, die wir verzeichneten. Auf
andere zu verweisen werden wir in der Arbeit selbst Gelegenheit finden.
ERSTER ABSCHNITT.
DIE LITURGISCHEN UNTERGEWÄNDER.
ERSTES KAPITEL.
DER AMI KT.
I. DER AMIKT NACH HEUTIGER PRAXIS.
Der Amikt (amictus, von amicire, umhüllen) ist ein rechteckiges oder
quadratisches Tuch, welches um Hals, Schultern und Brust geschlungen wird.
Weil er den Schultern aufliegt, heißt er auch Humerale (von humerus, Schulter),
Schultertuch.
Der Amikt muß aus Linnen oder Hanftuch angefertigt werden.
Die Verwendung von Baumwollstoffen, welcher Art dieselben auch sein mögen,
wurde durch das von Pius VIT- ausdrücklich approbierte Dekret der Riten-
kongregation vom 18. Mai 1819 1 verboten. In der Mitte soll dem Amikt,
wie aus der Rubrik des römischen Missale, welche die Anlegung desselben
beschreibt, hervorgeht, ein Kreuzchen aufgenäht oder eingestickt sein.
Natürlich braucht selbiges nicht mathematisch genau in der Mitte des Tuches
zu stehen. Es kann vielmehr nach dem oberen Rande zu angebracht werden.
Reiche Verzierung pflegt der Amikt nicht zu erhalten. Sie wäre auch an-
gesichts der Weise, wie er jetzt getragen wird, zwecklos. Insbesondere ist
eine Wiedereinführung der mittelalterlichen Besatzweise des Schultertuches,
wonach sich der aufgenähte Zierbesatz über der Kasel bzw. Dalmatik kragen-
artig um den Hals legte, untunlich. Sie würde voraussetzen, daß der Amikt,
wie einst im Mittelalter, bis nach Anlegung der Kasel bzw. Dalmatik auf dem
Kopfe ruhen bleibe, was indessen der Anweisung des Missale direkt entgegen
ist. Den Besatz aber, die sog. Parure, als eine Art selbständigen Kollars
behandeln, das man nachträglich an dem Humerale oder auch der Kasel bzw.
Dalmatik befestigt, ist, wo solches nicht auf altem Herkommen beruht, wie
zu Lyon, zu Mailand und in spanischen Kirchen, unzulässig. Immerhin mag
man an dem oberen Saum des Schultertuches eine schmale Bordüre etwa in
Rotstickerei anbringen, da es sich ohne Schwierigkeit so anlegen läßt, daß
dieselbe sichtbar bleibt.
Über die Größenverhältnisse des Amikts ist nichts Bestimmtes vor-
geschrieben. Er muß eine solche Ausdehnung in die Länge und Breite haben,
daß er, wie es das Missale vorschreibt, um Hals und Schultern gelegt
werden kann2. Zum Zweck der Befestigung des Humerale müssen an
1 C. B. decret. gen. 18. Maii 1819 (D. auth. 2 Braun, Winke 28 werden für die Länge
Nr 2600). 0,80-0,90 m, für die Breite 0,60—0,70 m an-
gesetzt.
22
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
seinen beiden vorderen Ecken Schnüre oder Bänder vorgesehen werden. Über
die Weise, wie sie dort angebracht werden, ist nichts angeordnet. Man kann
sie annähen, kann sie aber auch, falls man sie beim Waschen vom Schulter-
tuch zu trennen wünscht, Ösen oder Schleifen einschlingen, mit welchen man
die vorderen Ecken des Amikts versehen hat.
Wie man sich mit dem Amikt zu bekleiden habe, ist in den General-
rubriken des Missale ausführlich beschrieben 1. Man soll ihn an seinen Enden,
und zwar an den Schnüren anfassen, ihn in der Mitte, wo das Kreuzchen
angebracht ist, küssen, dann auf den
Kopf legen , aber alsbald ihn auf die
Schultern herablassen, den Kragen des
Kleides ringsum mit ihm bedecken, hier-
auf die Schnüre von vorn unter den
Armen her zum Rücken führen, sie von
dort wieder zur Brust bringen und endlich
hier zusammenbinden (Bild 1).
Nach dem römischen Ritus muß das Schultertuch vor der Albe an-
Bild 1. Heutiger Amikt.
gelegt werden.
Anders nach dem zu Mailand geltenden ambrosianischen Ritus,
nach welchem erst die Albe und dann der Amikt angezogen wird.
Auch darin hat der ambrosianische Ritus etwas Eigenartiges, daß
er die sog. Amiktparure beibehalten hat. Nur ist diese nicht mehr am Amikt
selbst befestigt. Sie wird vielmehr jetzt an der Kasel oder Dalmatik mittels
Knöpfen festgemacht, jedoch so, daß ihre ursprüngliche Zugehörigkeit zum
Schultertuch noch wohl erkennbar ist und sie einen die Halsöffnung der Kasel
bzw. Dalmatik umgebenden Kragen bildet.
Wie der ambrosianische, so hat auch der Lyoner Ritus das Eigen-
tümliche, daß der Amikt über der Albe getragen werden kann und an den drei
Kartagen sogar in dieser Weise getragen werden muß. Ebenso kennt er den
aus der Amiktparure entstandenen Kragen, nur daß dieser nie zur Kasel, son-
Bild 2. Spanischer goldbestickter Amiktkragen (17. Jahrh.
Berlin, Kunstgewerbemuseum.
dem bloß zur Dalmatik und Tunicella benutzt wird. Ehedem, d. i. bis 1868, be-
dienten sich sogar Diakon und Subdiakon überhaupt keines Amikts, indem man den
Kragen, collet oder colletin genannt, als Ersatz des Schultertuches betrachtete2.
Auch in Spanien hat sich die Amiktparure bei den Ministri als ein
über Dalmatik und Tunicella gelegter Kragen, collarfn, erhalten (Bild 2). Der
1 Miss, ritus celebr. I 8.
2 Nach gütigen Mitteilungen meines Ordensgenossen P. A. Feder S. J.
Erstes Kapitel. Der Amikt. 23
Amikt selbst wird dort jedoch allgemein, den mozarabischen Ritus nicht
ausgenommen, unter der Albe getragen. Selbständiger Ornat geworden, hat
hier die Parure eine ungewöhnliche Form erhalten, während sie z. B. in Mai-
land noch ganz die rechteckige Gestalt, die ihr ehedem eigen war, bewahrt hat.
Bei der Subdiakonatsweihe muß der Ordinandus nach der Vorschrift
des römischen Pontifikale in gewöhnlicher Weise mit Amikt und gegürteter
Albe bekleidet sein. Am Schluß der feierlichen Handlung zieht dann der
Bischof den Amikt über den Kopf des neuen Subdiakons, indem er dabei
die Worte spricht : „Nimm hin den Amikt, welcher die Zucht im Reden be-
deutet, im Namen des Vaters usw. Amen. " Die Zeremonie ist eine Remini-
szenz aus der Zeit, da man noch das Humerale über den Kopf zu legen und
erst nach Anlegung aller andern Gewänder auf die Kasel bzw. Dalmatik und
Tuniceila zurückzuschlagen pflegte.
Erscheint der Amikt in den diesen Ritus begleitenden Worten des Bischofs
als Symbol der Wachsamkeit beim Reden, so ist er in dem Gebet, welches
man beim Anlegen spricht, Sinnbild des Helmes des Heiles, von dem der
Apostel im Epheserbrief (6, 17)Tedet, d. i. der Hoffnung auf den himmlischen
Lohn, die uns im Kampfe gegen die Feinde des Heiles einem festen Helm
gleich Schutz und Schirm gewährt. „Setze auf mein Haupt", so betet der
Priester, „den Helm des Heiles, auf daß ich abwehren möge alle Angriffe
Satans. "
II. DER AMIKT ALS BESTANDTEIL DER LITURGISCHEN KLEIDUNG
IM MITTELALTER.
Das Schultertuch wird im römischen Ritus zuerst gegen Aus-
gang des 8. Jahrhunderts erwähnt.
Die früheste Mitteilung erhalten wir von ihm im 1. römischen Ordo,
welcher, im Kern gregorianisch, in seiner jetzigen Gestalt dem 8. Jahrhundert
angehört. Dieser bemerkt, wo er den Ritus der feierlichen Papstmesse be-
schreibt: „Der Pontifex wechselt mit Hilfe der Subdiakonen seine Kleidung
in folgender Weise. . . . Die Regionarsubdiakonen nehmen, um den Papst
anzuziehen, nach ihrer Ordnung diese Gewänder: der eine das Linnenkleid,
der andere das Cingulum, wieder ein anderer das anagolaium, d. i. den Amikt,
ein weiterer die linnene Dalmatik, ein fernerer die größere Dalmatik, ein
letzter endlich die Planeta, und so bekleiden sie der Reihe nach den Ponti-
fex." In der römischen Kirche zählte sonach schon wenigstens seit der
Mitte des 8. Jahrhunderts das Schultertuch zu den liturgischen Gewandstücken 1.
Auffallend ist, daß der S. G. K. bei Aufzählung der liturgischen Gewänder der
Hebdomadarbischöfe und Priester keines anagolaium gedenkt. Es ist das um so
befremdender, als doch sowohl nach dem von Duchesne herausgegebenen Ordo wie
nach dem S. G. K. selbst die Diakone und Subdiakone sich des anagolaium fana-
golagium) bedienten. Nichtsdestoweniger scheinen jene wirklich bis ins 9. Jahrhundert
kein Schultertuch benutzt zu haben. Aber auch die Ministri trugen es damals noch
keineswegs allzeit beim Gottesdienst. Denn es heißt im Ordo Duchesnes : Quando
(pontifex) dalmaticas induit, et diaconi et subdiaconi similiter induunt se et sub-
diaconi involvunt se anagolagio circa collo et induunt se tunicas albas, quales
habent, sericas aut lineas. Et si pontifex dalmaticas non induerit, diaconi vel sub-
diaconi non se involvunt anagolagio, sed cum tunicis albis et planitis
1 V. Ermoni läßt (D. Cabrol, Diction. d'avch. ehret. I [Par. 1904] 1597) schon Hiero-
nymus vom Amikt reden, hat aber die Stellen, die er dafür zitiert, durchaus mißverstanden.
24 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
ambulant '. Sie hatten also das anagolagium nur an, wenn der Papst bei der Litur-
gie außer den übrigen Gewändern auch eine Dalmatik anlegte und sie dann ebenfalls
mit der Dalmatik und Tunika ausgestattet waren, d. i. bei feierlichen Gelegenheiten.
Sie gebrauchten dagegen das Schultertuch nicht, wenn der Papst ohne Dalmatik fungierte
und sie selbst statt mit der ihnen eigenen Obertunika mit der Planeta (Kasel)
bekleidet waren, d. i. an den Tagen, welche einen Bußcharakter hatten, sowie den ge-
wöhnlichen Ferialtagen, den quotidianis diebus des S. G. K.
Aber selbst der Papst trug den Amikt nicht an allen Tagen ; denn unter den
Gewändern, die er nach dem S. G. K. quotidianis diebus anzog, fehlt nicht nur die
Dalmatik, sondern auch das Schultertuch. Auch er benutzte also dieses ursprünglich
bloß in Verbindung mit der Dalmatik. Das anagolagium war demnach gemäß römi-
scher Anschauung nur Zubehör der Dalmatik, das wie diese allein vom Papste und
seinen Ministri, und zwar bloß an Pesttagen, wenn sie in liturgischer Gala erschienen,
gebraucht wurde. Die Priester und Hebdomadarbischöfe trugen nach dem S. G. K.
nie die Dalmatik, letztere wohl zum Unterschied vom Papste, aber eben darum auch
keinen Amikt. Außerhalb Eoms fand bei der Adoption der römischen Gewandung
eine solche Beschränkung keine Nachahmung, doch auch zu Rom verlor sie sich noch
im 9. Jahrhundert 2, vielleicht unter dem Beispiel von außen her.
Auf den römischen Monumenten des 9. und der vorhergehenden Jahr-
hunderte gewahrt man kein liturgisches Schultertuch. Man betrachte nur die
Mosaiken und Fresken aus dieser Zeit. Wohl erblickt man innerhalb des
Kopfdurchlasses des Obergewandes mehrfach einen hellen Streifen, der sich
rings um den Hals zieht; allein es ist völlig unklar, ob dieser die Unter-
tunika oder einen Amikt andeuten soll. Den Monumenten läßt sich daher
kein Beweis dafür entnehmen, daß im römischen Ritus schon etwa im 6. und
7. Jahrhundert das Schultertuch im Gebrauch gewesen sei. Man kann sich
freilich auch nicht für das Gegenteil auf sie berufen. Denn noch zu einer Zeit,
da das Humerale schon lange allgemein Verwendung fand, im 10., 11. und
12. Jahrhundert, ist auf den römischen Monumenten von ihm fast nie etwas
zu sehen. Es liegt das zum Teil in dem Charakter und der Anlegungsweise
des Schultertuches. Erst als man auch zu Rom angefangen hatte, dieses
wie eine Art von Kopftuch zu behandeln und statt völlig unter, teilweise
sichtbar über dem Obergewand (Kasel, Dalmatik) zu tragen, kommt es nach
und nach auch auf den Bildwerken häufiger zum Vorschein.
Ob es in vorkarolingischer Zeit da, wo der römische Ritus
nicht in Gebrauch war, ein liturgisches Schultertuch gegeben, ist mit Sicher-
heit nicht festzustellen. Nichts wissen wir von dem Brauch in Spanien.
Das Anabolium, von dem der hl. Isidor in seinen Etymologien redet, ist nicht
das sakrale Gewandstück, welches in den römischen Ordines mit anaboladium,
anagolagium, anagolaium bezeichnet wird3. Denn der Heilige beschreibt es
als einen linnenen Umwurf, mit dem die Frauen ihre Schultern bedeckten und
den die Griechen wie die Lateiner auch wohl sindon hießen. Ebensowenig ist
es bekannt, wie es auf den britischen Inseln gehalten wurde. Zwar be-
handelt die dem ehrwürdigen Beda (f 735) zugeschriebene Schrift De septem
ordinibus das Schultertuch als eines der priesterlichen Gewänder; sie ist in-
dessen, wie früher schon gesagt wurde, unecht und ehestens im 9. Jahr-
hundert, wenn nicht später entstanden.
Was endlich den gallikanischen Brauch anlangt, so hängt die Antwort
auf die Frage, ob derselbe ein liturgisches Schultertuch gekannt, ganz von
1 Buch., Orig. 456. 2 Ordo 9 n. 4 (M. 88, 1006). 3 L. 19, c. "25 (M. 82, 693).
Erstes Kapitel. Der Amikt. 25
der Bedeutung ab, welche das Wort pallium in dem 6. Kanon des ersten
Konzils von Mäcon (583) und in der vor der karolingischen Reform ent-
standenen gallikanischen Meßerklärung hat.
Das Konzil von Mäcon verbietet in dem genannten Kanon den Bisehöfen, ohne
pallium die Messe zu feiern '. In der gallikanischen Meßerklärung aber lesen wir
da, wo die liturgische Kleidung beschrieben und gedeutet wird: ,Das Pallium, das
rings um den Hals bis zur Brust geht, hieß im Alten Bunde Bationale. . . . Daß es
den Hals umgibt, ist alten Brauches , weil die Könige und Priester von einem Pal-
lium, einem glänzenden Gewände umgeben waren. . . . Daß aber Fransen an den
priesterlichen Gewändern angebracht werden, hat seinen Grund darin, daß der Herr
dem Moses befahl, es sollten die Kinder Israels an den vier Ecken ihrer Mäntel
(palliorum) Fransen machen, damit das Volk des Herrn nicht bloß im Werk, sondern
auch in der Kleidung Gottes Gebote zum Ausdruck bringe."
Man hat in dem pallium des Konzils von Mäcon und der gallikanischen Meß-
erklärung ein bischöfliches Gewandstück, also nicht das gewöhnliche Schultertuch,
sondern etwa ein Gegenstück des erzbischöflichen Palliums gesehen. Es lag das um
so näher, als der 6. Kanon der genannten Synode in der früher bekannten Fassung
lautete : ut archiepiscopus (irrig statt episcopus) sine palleo (sie) missas dicere non
praesumat. Neuerdings hat man dagegen gesagt, unter dem pallium sei an beiden
Stellen lediglich ein Hals- oder Schultertuch, also eine Art von Amikt zu verstehen -.
Allein diese Auffassung dürfte weder dem Kanon der Synode von Mäcon noch der
Meßerklärung genügend gerecht werden.
Wenn es sich bloß um ein Halstuch handelt, warum schreibt der Kanon dann
nur den Bischöfen und nicht auch den Priestern und Diakonen den Gebrauch eines
solchen bei der Messe vor? Im 5. Kanon verbietet doch das Konzil allen Klerikern,
das Sagum oder sonstige weltliche Kleidung sowie weltliches Schuhwerk zu tragen.
Wenn nun das pallium nur ein gewöhnliches Halstuch ist, warum wird dann im
folgenden Kanon bloß den Bischöfen sein Gebrauch bei der Messe zur Pflicht gemacht ?
Eine Dalmatik, als deren Ergänzung es hätte gelten können, war im gallikanischen
Bitus unbekannt. Warum überhaupt in diesem Falle eine so strenge Vorschrift, da doch
das Schultertuch nach dem Ordo Duchesnes und dem S. G. K. nicht einmal zu
Born an allen Tagen beim Gottesdienst angelegt wurde? Es sind zudem alles höchst
wichtige Sachen, die in den übrigen Kanones zum Ausdruck kommen. Kann man
demnach den 6. Kanon bloß dahin verstehen, es sollten die Bischöfe bei der Messe
ein Halstuch brauchen? Was aber die gallikanische Meßerklärung anlangt, so muß
auffallen, daß sie von allen priesterlichen bzw. bischöflichen Gewändern nur drei
erwähnt, die Kasel, das pallium und die manicae. Würde das Wort nur ein Halstuch
bedeuten, so ist nicht einzusehen, warum die Meßerklärung gerade diesem mit Über-
gehung z. B. der liturgischen Tunika und des Orariums (der Stola) eine so aus-
giebige Deutung und Beschreibung widmet. Ein Schultertuch (Halstuch) ist also das
pallium des Konzils von Mäcon und der Meßerklärung wohl nicht.
Der französische Cluniacenser Claudius de Vert (f 1708) wollte das Schulter-
tuch schon bei einer, wie man sagte, im 7. Jahrhundert in Belief ausgeführten Figur
des hl. Firmin gefunden haben, mit welcher das unter dem Hochaltar der Abteikirche
von St-Acheul bei Amiens gelegene steinerne Grabmal des Heiligen geschmückt war 3.
Leider besteht keine Möglichkeit , seine Angaben am Monument selbst auf ihre
Bichtigkeit zu prüfen, weil dasselbe mitsamt dem fraglichen Bilde mittlerweile zu
Grunde ging. Indessen ist genugsam bekannt, was man von Datierungen wie der-
1 M. G. Leges III, Conc. I 157. Qu'on- juge apres cela, quelle foi on doit
2 Wilp. , Cap. II 50. ajouter ä ce qu'avance M. Thiers . . . qu'on n'a
3 De Vert II 242. Er hält das Denkmal commence ä se servir de l'amict dans l'eglise
für einen Beweis, daf3 schon vor dem 9. Jahr- latine qu'au IXC siecle.
hundert der Amikt in Gebrauch gewesen .
26 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
jenigen de Verts zu halten hat. Es ist nicht zweifelhaft, daß dieser geirrt und ein
Denkmal etwa aus dem 12. bis 13. Jahrhundert in das 7. versetzt hat. Ein Grabmal,
wie es dasjenige des hl. Firmin gewesen sein muß, wäre, wie jeder, der einen
Einblick in die Kunstgeschichte hat, im 7. Jahrhundert ein Anachronismus. Der
Irrtum de Verts erhellt übrigens zur Genüge schon aus der Angabe, es habe der
Amikt den Kopf des Bildes eingehüllt en forme de capuchon fort serre. Denn die
Gepflogenheit, das Humerale um den Kopf zu legen, kam frühestens erst gegen
Ende des 9. Jahrhunderts auf.
Wie es aber auch immer in vorkarolingischer Zeit außerhalb Roms
um den Gebrauch eines liturgischen Schultertuches bestellt gewesen sein mag,
im 9. Jahrhundert bildet das anabolagium 1, id est amictus, quod dicitur
humerale, wie es im 3. Ordo Mabillons heißt, wenigstens de iure überall
da, wo durch die karolingische Reform der römische Ritus Eingang
erhalten hatte, einen Teil der sakralen Gewandung. Darum ist denn
auch seit dieser Zeit von ihm häutig als von einem der liturgischen Gewandstücke
die Rede, namentlich bei den Liturgikern. Schon bald nach Beginn des
9. Jahrhunderts geschieht das in des Hrabanus Maurus Schrift De clericorum
institutione. Es heißt darin im Anschluß an das ephod bath, von dem 1 Kg 2, 18
spricht, superhumerale. Etwas früher noch begegnen uns Amikte in dem
Inventar der Gegenstände, mit welchen Abt Angilbert (f 814) die Kirche des
Klosters Centula (St-Riquier, Somme) die er neu erbaut, bereichert hatte.
Walafried Strabo (f 849) schweigt auffälligerweise von dem Schultertuch, ja
er stellt sogar dem Superhumerale des levitischen Hohenpriesters die mappula,
den Manipel, entgegen, falls nicht etwa unter der mappula eben der Amikt
zu verstehen ist. Sein Verhalten ist um so merkwürdiger, als ja doch schon
sein Lehrer Hraban eine Weile vorher das Schultertuch unter den litur-
gischen Gewändern behandelt hatte. Indessen läßt sich aus Walafrieds
Schweigen um so weniger etwas gegen die Verwendung des Schultertuches
folgern, als sein Zeitgenosse Amalar von Metz (f zwischen 850 und 853) das-
selbe, und zwar unter dem Namen Amictus, bestimmt und wiederholt zu der
liturgischen Kleidung rechnet. Vielleicht liegt die Erklärung für die Nicht-
erwähnung des Amikts bei ihm darin, daß der Amikt zwar bereits de iure
einen Bestandteil der liturgischen Tracht ausmachte, in der Praxis aber noch
keineswegs immer zur Verwendung kam. Daß er selbst im 10. Jahrhundert
noch nicht allgemein gebraucht wurde, ergibt sich beispielsweise aus Gerhards
Miracula S. Udalrici2.
In der Folge begegnet uns der Amikt bei Pseudo-Alkuin, bei Pseudo-
Beda, in der weit verbreiteten und einflußreichen Admonitio synodalis und den
Statuten Riculfs von Soissons. Überall erscheint er hier als eines der bei
der Feier der Liturgie vorschriftsmäßig zu tragenden sakralen Gewandstücke.
Insbesondere bestimmt die Synodalermahnung ausdrücklich: „Niemand singe
die Messe ohne Amikt, Albe, Stola, Fano (Manipel) und Kasel." Riculf
aber verordnet 889 in seinen Statuten unter anderem, es solle der Priester
für die Feier des heiligen Opfers außer den sonstigen liturgischen Kleidern,
die im einzelnen aufgeführt werden, auch zwei reine Amikte vorrätig haben.
In den liturgischen Büchern werden im 9. und 10. Jahrhundert sehr selten
die sakralen Kleider erwähnt, weil selbige fast nur die bei der Messe und
' Bei Mabillon heißt das Schultertuch hier 2 Nr 20 (M. G. SS. IV 422). Die Schrift
ambolagium, wofür ohne Zweifel anabolagium entstammt noch dem 10. Jahrhundert,
zu lesen ist.
Erstes Kapitel. Der Amikt.
*l(
den sonstigen gottesdienstlichen Handlungen gebräuchlichen Gebete enthalten.
Wo sie aber genannt werden, finden wir regelmäßig auch das Schultertuch
darunter. 915 ist von Amikten im Testamente Riculfs von Eine die Rede.
Leider geben uns die Quellen nur wenig Aufschluß darüber, wer vonden
liturgischen Personen außerhalb Roms sich des Amikts zu bedienen pflegte.
Daß der Bischof es trug, geht aus Hrabans und Amalars Angaben hervor.
Daß aber auch die Priester den Amikt gebrauchten oder doch gebrauchen
sollten, daran lassen die „Synodalermahnung" und die Statuten Riculfs von
Soissons keinen Zweifel. Dagegen erfahren wir nicht, wie es sich mit den Diakonen.
Subdiakonen und Akolythen verhielt. Immerhin darf es als sicher betrachtet
werden, daß auch außerhalb Roms schon zur Karolingerzeit die Diakone und
Subdiakone ein Schultertuch verwendeten. Die Gründe, welche hier Anlaß waren,
dem Priester bei der Messe den Gebrauch desselben vorzuschreiben, wie es
die „Synodalermahnung" tat, galten ja doch auch zuletzt für die Ministri. Oben-
drein war die liturgische Gewandung, wie sie fast überall außerhalb Roms in
Aufnahme gekommen war, nur das Nachbild römischen Brauches. Auffällig
ist zwar, daß noch Johannes von Avranches (f 1079) in seiner Gottesdienst-
ordnung bei Angabe der liturgischen Gewänder der Ministri von einem Schulter-
tuch völlig schweigt; indessen ist zu beachten, daß er ebensowenig von einem
Cingulum redet, obschon es nicht zweifelhaft sein kann, daß die Albe bei den
Diakonen, Subdiakonen und Akolythen gegürtet war. Amikt und Gürtel waren
eben mittlerweile zu einem ständigen Zubehör der Albe geworden, das selbst
in den Inventaren nicht einmal immer einzeln aufgeführt wurde. Es mochte
daher Johannes von Avranches überflüssig erscheinen, sie, weil selbstverständ-
lich besonders zu nennen. Es ist wohl nur Zufall, wenn wir außerhalb Roms
erst spät von einem Schultertuch der Diakonen, Subdiakonen und Ako-
lythen hören. Das liegt, wie es scheint, bloß daran, daß keiner der älteren
Liturgiker sich eingehender mit den einzelnen Gewändern der Ministri befaßt.
Hraban, Pseudo-Alkuin, Walafried und Pseudo-Beda handeln lediglich von der
liturgischen Kleidung des Priesters bzw. der Bischöfe. Einzig Amalar beschäftigt
sich mit der Gewandung der Ministri, indessen auch er nur in einigen gelegent-
lichen Bemerkungen. Seine früheste Erwähnung findet außerhalb Roms das
Schultertuch der Diakonen im dritten Kapitel der Synode von Coyaca in Spanien
aus dem Jahre 1050 1. Die ersten Liturgiker, welche ausdrücklich den Amikt
als ein den Bischöfen, Priestern, Diakonen, Subdiakonen und Akolythen, also
allen am Altar fungierenden Klerikern zustehendes Gewand bezeichnen, sind
Gilbert von Limerick2 und Honorius.
Eine der ältesten oder gar die älteste der Darstellungen, auf welcher
das liturgische Schultertuch auftritt, ist eine Miniatur der Bibel, welche von
den Insassen des Klosters vom hl. Martinus von Tours zu Metz Karl dem
Kahlen geschenkt wurde und den Akt der Übergabe des Buches darstellt.
Das Gewandstück nämlich, welches besonders bei einem der auf ihr in ihrer
liturgischen Kleidung abgebildeten Mönche am Hals unter der Kasel hervortritt,
ist augenscheinlich der Amikt und nicht der Saum der AlbeR.
1 Hard. VI1 1026. 3 Vgl. auf dem Titelbild den obersten Geist-
2 De statu eccl. (M. 159, 999): Atque hi liehen rechts. Die Photographie der Miniatur
quattuor ordines (ostiarii, exorcistae, lectores, verdanke ich der Güte des Herrn Prof.
acolythi) in offieiis suis solent indui super- Dr A. Haseloff. Eine brauchbare farbige
humerali, alba et cingulo. Wiedergabe in Arts sompt. pl. 16.
28 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
III. DIE GEBRAUCHSWEISE DES AMIKTS.
Hraban bezeichnet, wie auch die Pastoralhomilie es tut, das Schultertuch
als erstes Gewand der Priester des Neuen Bundes. Auch nach Amalar ist
der Amikt, von dem er sagt: amictus ideo dicitur, quia circumicitur, das
erste Gewandstück. Dagegen muß auffallen, daß er im 1. römischen Ordo
in der Reihe der Pontifikalkleider an dritter Stelle genannt wird. Auch
für die Folgezeit verhält es sich ähnlich. Alle mittelalterlichen Liturgiker
bezeichnen das Humerale als erstes Gewand , nur wenige , z. B. Ivo von
Chartres (f ca 1117) und den Verfasser des Speculum de mysteriis ecclesiae,
ausgenommen. Ebenso wird in den alten Pontifikalien und Sakramentaren
stets zunächst der Amikt genannt; eine Ausnahme bildet fast nur das ambro-
sianische Missale 1. Umgekehrt wird nach dem 3. und 9. römischen Ordo und
dem S. G. K. erst die Albe und dann das Schultertuch angelegt. Beim Papst
finden wir diesen Brauch nach Ausweis des 15. Ordo noch gegen Ende des
14. Jahrhunderts2. Ja noch jetzt trägt derselbe, so oft er feierlich pontifiziert,
ein Schultertuch über der Albe, den sog. fanone, von dem später besonders die
Rede sein wird. Es ist, wie aus einem Vergleich mit dem 13., 14. und 15. Ordo
Mabillons und den Angaben Innozenz' III. und des Durandus erhellt, identisch
mit dem fano des 13. und dem fanum des 15. Ordo, dem orale der beiden
genannten Liturgiker und dem anabolagium des 1. und 3. Ordo Mabillons und des
S. G. K. Allerdings hat der Papst heute nicht mehr Avie ehedem bloß den
fanone, sondern außerdem den gewöhnlichen Amikt, diesen unter, jenen über der
Albe. Es wurde das im Verlauf des 15. Jahrhunderts Sitte als der Fanone seinem
praktischen Zweck ganz entfremdet und zum bloßen Schmuckstück geworden
war. In der Privatmesse bedient sich der Papst lediglich des allgemein ge-
bräuchlichen Schultertuches; seit wann, konnten wir nicht feststellen. Bei
den Bischöfen, Priestern und Ministri muß zu Rom der Brauch, den Amikt
über der Albe zu tragen, etwa um das Ende des ersten oder in der Frühe
des zweiten Jahrtausends abhanden gekommen sein. Jedenfalls bestand er
bei ihnen daselbst, wie aus der Schrift Innozenz' III. De sacro mysterio altaris
erhellt3, schon wenigstens um die Wende des 12. Jahrhunderts nicht mehr.
Die Sitte, den Amikt über der Albe zu tragen, erhielt sich, wie vorhin
gesagt wurde, in der ambrosianischen Liturgie und zu Lyon bis auf die Gegen-
wart. Übrigens findet sich auch noch im römischen Ritus eine schwache Er-
innerung an die ursprüngliche Tragweise des Schultertuches. Beim Pontifikal-
amt und den Pontifikalvespern legen nämlich nach dem Caeremoniale für die
Bischöfe der assistierende Priester, die Ehrendiakone und die Ehrensubdia-
kone, ehe sie das Pluviale bzw. die Dalmatik und Tunicella anziehen, über
ihr Rochett bzw. ihr Superpelliceum (Cotta) ein Schultertuch an4. Daß aber
diese Sitte nicht erst durch das Caeremoniale eingeführt wurde, sondern dem
Mittelalter entstammt, beweisen der 14. und 15. Ordo Mabillons5.
1 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 3; I 173. auch den 13. römischen Ordo nr 5 6 (M. 78,
Magistretti 45. Magistretti irrt übrigens, 1106 1107) und namentlich betreffs der Kar-
wenn er (ebd. 44) meint, Innozenz III. lasse dinalbischöfe den 14. Ordo c. 48 53 (ebd.
den Papst zwei Atnikte tragen. Das Gegen- 1153 1157).
teil ist der Fall. Vgl. De sacrificio missae 4 L. 1, c. 7, n. 1; c. 8, n. 2; L. 2. c. K
1. 1, c. 35 53 (M. 217, 787 793). n. 4; c. 2, n. 4.
2 C. 8 (M. 78, 1277). '■> Ordo 14, c. 46 48 78 u. a.; ordo 15, c. 20
3 L. 1, c. 10 53 (M. 217, 780 793). Vgl. 54 u. a. (M. 78, 1145 1153 1196 1282 1300.
Erstes Kapitel. Der Amikt. 29
Wer dem Gottesdienst in einer Kirche der Franziskaner oder Dominikaner
beigewohnt hat, wird bemerkt haben, daß der Priester beim Austritt aus der
Sakristei mit dem Amikt wie mit einem Kopftuch das Haupt bedeckt hatte
und ihn erst am Altar auf die Schulter niederließ. Es ist diese Sitte, die
uns auch noch bei einigen andern älteren Orden, wie den Trinitariern,
Serviten u. a., begegnet, der Rest eines ehedem allgemeinen Brauches. Nur
war es nicht überall Gepflogenheit, das Schultertuch erst am Altar herab-
zuschlagen. Das gewöhnliche war vielmehr, das Humerale gleich nachdem
man alle liturgischen Gewänder angelegt hatte, und bevor man die Sakristei
verließ, vom Kopf auf die Schultern herabzuziehen und rings um den Hals
zu ordnen.
Bei dieser Anlegungsweise wurde also der Amikt nicht, wie das heute
nach dem römischen Missale geschehen soll, gleich von Anfang um den Hals
gelegt. Man bedeckte vielmehr zunächst mit ihm in der Weise den Kopf,
daß er wie ein Schleier über die Schultern, den Nacken und die Brust herab-
hing, und beließ ihn so, bis man alle andern Paramente, die Kasel eingeschlossen,
angezogen hatte.
Wann der fragliche Brauch aufgekommen, läßt sich nicht genau be-
stimmen. Hraban und Amalar, Pseudo-Beda und Pseudo-Alkuin haben ihn
ersichtlich noch nicht gekannt. Denn sonst würden sie schwerlich unter-
lassen haben, seiner Erwähnung zu tun und ihn mystisch zu deuten. Für
Hraban und Pseudo-Alkuin sinnbildet der Amikt nur die Reinheit der guten
Werke, für Amalar und Pseudo-Beda aber die Wachsamkeit im Reden. Auch
der Ordo Duchesnes weiß noch nichts von der fraglichen Gepflogenheit. Im
Gegenteil sagt er ausdrücklich, man habe das anagolagium um den Hals ge-
wunden: involvunt se anagolagio circa collo (sie).
Es scheint, daß die Sitte, mit dem Humerale beim Ankleiden zunächst
den Kopf zu bedecken, etwa gegen Ende des 9. Jahrhunderts aufzutauchen
begann. Ankleidegebete, in denen der Amikt als ein geistlicher Helm oder
als Schirm des Hauptes bezeichnet wird, die also auf die uns beschäftigende
Gewohnheit hinweisen bzw. sie als bestehend voraussetzen, finden sich schon
in einigen Sakramentaren des 10. Jahrhunderts1.
Anfänglich wie alles Neue nur vereinzelt in Übung, erlangte der Brauch
allmählich immer weitere Verbreitung. Davon zeugen insbesondere auch die
Sakramentare und Pontitikalien des 11. und 12. Jahrhunderts, in denen um
diese Zeit auf ihn hindeutende Ankleidegebete immer häufiger werden3. Von
den damaligen Liturgikern tun Johannes von Avranches (f 1079), Ivo von
Chartres (f ca 1117) und Bruno von Segni (f 1123) seiner noch keine Er-
wähnung. Die ersten unter ihnen, die von ihm reden, sind Rupert von Deutz
(t 1135) und Honorius (schrieb ca 1120). „Der Priester", so bemerkt jener,
„bedeckt mit einer Sorte von Umwurf sein Haupt, bis er ihn über die Hals-
öffnung der Kasel zurückschlägt und wie ein Kopfstück oder eine Bekrönung
1 Marl, L. 1, c. 4, art. 12, ordo 7; 1192 Ambrosiana Cod. D, 84 (ca 1000). Rom,
(ca 900). St Gallen, Stiftsbibliothek Cod. 339 Bibl. Vaticana Cod. lat. 7231 (s. XII— XIII) ;
(s. X). Vgl. auch Mart., 1. c, ordo 6; I 190; ebd. Ottob. Cod. 576 (s. XII) und ebd. Barb.
wo indessen das betreffende Pontificale zu Cod. XII 2 (ca 1200); ferner Rom, Bibl.
hoch hinauf datiert sein dürfte. Angelica Cod. 477 (s. XII) 1092 (s. XII— XIII).
2 Mart., L. 1, c. 4, art. 12, ordo 12 13 Modena, Bibl. Capit. Cod. I 8 (s. XII ex.);
16: I 204 207 214. Florenz, Bibl. Riccard. II 20 (s. XII). Paris, Bibl. nat. f. lat. 10 500
Cod. 299 (s. XI) 300 (s. XI). Mailand, (s. XI), 821 (s. XI), 2293 (s. XI in.) u. aa.
30
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
derselben anpaßt. "
der Sitte bei den Liturgikern regelmäßig die Rede
Seit etwa der Mitte des 12. Jahrhunderts ist dann von
so bei Robert Paululus
(f ca 1184), bei dem Verfasser des Tractatus de sacramento altaris, bei Sicard
von Cremona (f 1215), Innozenz III. (f 1216) und Durandus (f 1296), welche
sie als allgemein in Übung stehend behandeln. Eine sehr interessante und ein-
gehende Beschreibung, wie das Schultertuch auf Grund jener Gepflogenheit
angelegt wurde, findet sich im 14. römischen Ordo2.
Der Gebrauch, den Amikt beim Ankleiden zunächst aufs Haupt zu legen
und erst, nachdem die Kasel übergeworfen war, auf die Schultern zurück-
zuschlagen, hörte in Rom schon gegen Ende des Mittelalters auf. Der Ordo
missae Burchards von Straßburg, des Zeremonienmeisters Sixtus' IV., Inno-
zenz' VIII. und Alexanders VI., kennt ihn nicht mehr. Die Weise, wie in
ihm die Anlegung des Schultertuches beschrieben wird, entspricht schon ganz
den Anweisungen, welche darüber das römische Missale gibt. Dasselbe hat
demnach in die Generalrubriken hinsichtlich des Amiktes nur aufgenommen,
was sich schon seit einer Weile als römischer Brauch herausgebildet hatte.
Zweierlei erinnert jedoch noch im römischen Ritus an die alte Sitte. Das eine
ist das Gebet, welches der Priester bei Anlegung des Schultertuches spricht:
„Setze, o Herr, auf mein Haupt den Helm des Heiles, auf daß ich alle teuf-
lischen Angriffe abschlagen möge", in Verbindung mit der Gewohnheit, das-
selbe beim Ankleiden einen Augenblick über dem Kopf ruhen zu lassen. Das
andere ist die Zeremonie bei der Subdiakonatsweihe, daß der Bischof den
Amikt von den Schultern des Ordinanden über dessen Kopf zieht und dabei
spricht: „Nimm hin den Amikt, durch den die Zucht im Reden bezeichnet
wird, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen."
Dieser Ritus entstammt dem späten Mittelalter. Solange die Minoristen noch
Albe mit Humerale trugen, hatte er keine Bedeutung. Seitdem dieselben
jedoch bei Ausübung ihrer Funktionen sich des Superpelliceums bedienten
— in Rom war das sicher schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
der Fall - - und Humerale samt Albe der Regel nach erst von den Subdiakonen
gebraucht wurden, konnte man in jener Zeremonie einen Hinweis auf den Ordo
des Subdiakonats erblicken.
Mit der Aufnahme des neuen römischen Missale verschwand auch außer-
halb Roms nach und nach die Sitte, das Humerale bis nach Anlegung der
Kasel auf dem Haupte zu belassen. Doch war sie noch bis gegen Ende des
16. Jahrhunderts häufig. In einem Inventar der St Brigidenkirche zu Köln
heißen die Humeralien noch im Jahr 1578 heubtdoecher 3, offenbar wegen des
Brauches, mit ihnen beim Ankleiden den Kopf zu bedecken. Auch der Um-
1 De off. div. 1. 1, c. 19 (M. 170, 22). Die
gewöhnliche Lesart ist: Quidam amictu Ca-
put suura obnubit. Statt dessen ist richtiger
zu lesen: Quodam amictu . . . obnubit (sc.
sacerdos). So lautet die Stelle in der Tat
in Cod. 246 der St Gallener Stiftsbibliothek, in
dessen explicit die Schrift irrig Beda zu-
geschrieben wird.
2 c. 53 (M. 78, 1157): In primis ergo aco-
lythi deferant amictum, quem ponat super
caput pontificis diaconus et eiusdem amictus
ehordulam sinistram diaconus, dextram sub-
diaconus accipiat et post tergum pontificis
ducant et reducant ad anteriorem partem
super cingulum, quas invicem colligare po-
terit ipse pontifex. . . . Planeta complicata,
diaconus de capite pontificis amictum depo-
nat et aptet circa Collum eius.
3 A.Ditges.EineKülnerGerkammer, m„An-
nalen des hist. Vereins für den Niederrhein"
XLV 130. Eine der Bezeichnung heubt-
doecher verwandte Benennung findet sich in
Inventaren der Kathedrale von Lincoln aus
dem 16. Jahrhundert, wo der Amikt ammis
kerchif heißt (kerchif = couvre-chef =
Kopftuch).
Erstes Kapitel. Der Amikt. 31
stand, daß in diesem wie in andern Schatzverzeichnissen des ausgehenden
16. Jahrhunderts noch immer Amiktparuren aufgeführt werden, beweist, daß
die alte Gepflogenheit damals vielfach noch bestand. Wir finden deren z. B.
noch in einem Schatzverzeichnis von St Valentin zu Kiedrich im Rheingau aus
dem Jahre 1583, in Inventaren ermländischer Kirchen aus den Jahren 1597
und 1598 l und einem Graner Inventar vom 30. März 1609. Am längsten
erhielt sich beim Weltklerus in Frankreich die Sitte. Sie dauerte daselbst
an manchen Orten, wenngleich mit mehr oder weniger Einschränkungen und
verschiedenen Eigenheiten, bis ins 18. Jahrhundert fort, so zu Langres,
Narbonne, Angers, Auxerre, Paris, Rochelle, Dijon, Puy. Zu Langres und
Narbonne trugen die Kanoniker das Humerale auf dem Kopf, bis sie zum
Altare kamen. Zu Auxerre war es nur von Allerheiligen bis Ostern ge-
bräuchlich, den Amikt in Form eines Kopftuches zu tragen. Zu Paris be-
hielt man ihn im Winter bis zur Secret, zu Rochelle bis zum Beginn des
Kanons auf dem Haupt. Zu Angers schlug man ihn das ganze Jahr hindurch
nur während des Kanons auf die Schultern. Bloß in Messen vor ausgesetztem
hoch würdigsten Gute trug man ihn während der ganzen heiligen Handlung
um den Hals. In St-Benigne zu Dijon wurde das Humerale über das Birett
gelegt. Ahnlich geschah es vereinzelt auch in der Diözese Puy 2.
Daß es bei verschiedenen Mönchsorden noch jetzt Gewohnheit ist, mit
dem Schultertuch auf dem Kopf zum Altar zu treten und erst dort selbiges
herabzulassen, wurde vorhin schon bemerkt.
Auf die Frage, wo die Gepflogenheit, den Amikt auf den Kopf zu
legen, ihren Ursprung genommen habe, läßt sich eine sichere Antwort
nicht geben. Sollte jedoch der Umstand, daß uns das Ankleidegebet, in
welchem das Gewand als Helm des Heiles und Schutz des Hauptes gedeutet
wird, zuerst, soweit sich darüber ein Urteil bilden läßt, in fränkischen Sakra-
mentaren auftritt, nicht darauf hinweisen, daß sie im nördlichen Frankreich
aufgekommen sei? Römischer Herkunft ist sie allem Anschein nach wohl nicht.
Auch für die andere Frage, was zu dem fraglichen Brauch ge-
führt, fehlt noch eine genügende Lösung. Als zweifellos darf betrachtet
werden, daß nicht eine mystische Erwägung ihn veranlaßte, sondern die
mystische Deutung hier wie auch sonst der Praxis folgte. Auch scheint es
wenig wahrscheinlich, daß der Amikt auf dem Wege zum Altar und bei
etwaigen mit der Messe in Verbindung stehenden Prozessionen statt der sonst
üblichen Kapuze oder in Verbindung mit ihr als eine Art Kopfbedeckung
dienen sollte. Wenn etwas für diese Erklärung sprechen könnte, so ist es die
später in manchen Orden herrschende Gewohnheit, das Schultertuch über die
Kapuze anzulegen. Indessen ist eine solche Gepflogenheit allem Anschein
nach weit jünger als der Brauch , den Amikt bis nach Anlegung der Kasel
auf dem Kopf zu belassen und wohl erst spätmittelalterlich. Außerdem be-
lehrt uns Rupert von Deutz, daß man das Humerale herabzog, sobald man
die Kasel übergeworfen hatte.
Vielleicht daß der Wunsch, das vielfach kostbare Obergewand, zumal
die Kasel, die infolge ihres Schnittes im Nacken einen Bausch zu bilden
pflegte, besser zu schützen, der Grund für die Einführung der Sitte war.
1 Fr. H i p 1 e r , Die ältesten Sckatzverzeich- gehenden Mittelalters im deutschen Nordosten
nisse der ermländischen Kirchen, Braunsberg (Zeitschrift III [1890] 246).
1886, 68 ff und Fr. Dittrich, Inneres Aus- 3 De Vert II 243 261. Roh. VII 19.
sehen und Ausstattung der Kirchen des aus- Le Brun I, traite prelira. art. 4, § 1; 139.
32 Erster Abschnitt. Die liturgischen UntergeTvänder.
Vielleicht auch, daß ästhetische Erwägungen den Anlaß gaben. Die Be-
merkung Ruperts, daß man den Amikt wie ein Kopfstück und eine Krone, d. i.
einen bekrönenden Abschluß, um den Kopfdurchlaß der Kasel herumlege, und
die Angabe des Tractatus de sacramento altaris, der Amikt werde der Zierde
halber über der Kasel zusammengefaltet, dürften darauf hinweisen. Insbesondere
mag aber das Bestreben, an dem Saum des Amikts angebrachte Verzierungen
besser zur Geltung zu bringen, auf die Entstehung des Brauches von Einfluß
gewesen sein. Indessen sind alle diese Erklärungen zuletzt kaum mehr als
bloße Vermutungen.
Wie es sich aber auch mit dem Ursprung der in Frage stehenden Sitte
verhalten mag, jedenfalls war es eine unbedingte Notwendigkeit, das Humerale
in der beschriebenen Weise anzulegen, seitdem man damit begann, das
Schultertuch mit dem im späteren Mittelalter so beliebten kragenartigen Zier-
besatz zu versehen.
IV. BESCHAFFENHEIT UND AUSSTATTUNG DES HUMERALE.
Das Schultertuch der ältesten Zeit haben wir- uns als ein einfaches
rechteckiges oder quadratisches Tuch zu denken, das je nach
der Würde des Trägers größer oder kleiner sein mochte1. Mit Bändern,
die um Brust und Rücken geschlungen werden konnten, scheint es ursprüng-
lich nicht ausgestattet gewesen zu sein. Weder Hraban noch Amalar noch
Pseudo-Alkuin sagen davon das geringste, und doch hätten sie, falls der
Amikt zu ihrer Zeit mit solchen versehen gewesen wäre, es schwerlich
untei'lassen, von ihnen zu reden und sie mystisch zu deuten 2. Man vergleiche
nur, wie eingehend sie die Dalmatik und die Sandalen nach allen ihren Teilen
erörtern. Weiß doch z. B. Amalar für jedes Riemchen der Fußbekleidung
eine entsprechende Auslegung. Wir dürften um so mehr erwarten, daß sie
von ihnen geredet hätten, als die Liturgiker seit dem 12. Jahrhundert ge-
treulich anmerken, daß das Schultertuch mit Schnüren ausgestattet sei, und
was selbige besagten. Der erste, welcher die Bänder ausdrücklich erwähnt
— Ivo von Chartres scheint sie nur anzudeuten — , ist Honorius. Ihm folgen
Robertus Paululus, Sicard von Cremona, Innozenz III., welcher sie vasculi
nennt, und natürlich auch Durandus. Es scheint fast, als seien Bänder zur
Befestigung des Schultertuches demselben erst angefügt worden, als die Sitte
aufkam, den Amikt über den Kopf zu legen und allda bis nach Annahme
der Kasel zu belassen.
Von einer Verzierung des Humerale vernehmen wir schon im Testa-
ment Riculfs von Eine (f 915); denn unter den verschiedenen liturgischen
Gewändern, welche er darin seinem Nachfolger hinterläßt, werden auch vier
goldgeschmückte Amikte genannt. Daß aber kostbare Schultertücher dieser
Art im 10. Jahrhundert keine vereinzelte Erscheinung bildeten, zeigen bei-
spielsweise das Inventar von Clermont-Ferrand, das 15 bonos amictos (sie), cum
auro 5 optimos, alios amictos cum auro 10 verzeichnet, und das von St-Pere-en-
Vallee zu Chartres, das von 12 collaria auri (nach dem Zusammenhang =
humeralia) berichtet. 1051 erwähnt ein Speierer Inventar humeralia cum
1 Ordo 9, n. 4 (M. 88, 1006) ist von einem 2 Auch die Worte des von Duchesne (Orig.
anagolagium grande des Bischofs die Rede. 456) herausgegebenen Ordo: involvunt
Es scheint hiernach, daß das Schultertuch se anagolagio circa collo et induunt
des Bischofs größer war als das der Priester se tunicas, scheinen nicht für eine Bind-
und Diakonen. Vorrichtung zu sprechen.
Erstes Kapitel. Der Amikt.
33
auro texta, 1077 eine Schenkungsurkunde Hugos von Burgund 10 amicti
aurei1. Auch ein noch dem 11. Jahrhundert entstammendes Schatzverzeichnis
von Enger nennt 2 superhumeralia auro parata.
Ein kostbares, örtlicher Überlieferung zufolge dem 11. Jahrhundert ent-
stammendes Humerale befand sich bis zur Aufhebung des Stiftes im Jahre 1802
in der Stiftskirche des hl. Andreas zu Freising. Es sollte wie einige andere
dort aufbewahrte Paramente vom Bischof Ellenhard von Freising (1052 — 1078),
einem geborenen Grafen von Meran und dem Gründer des Stiftes, herrühren.
In einer Handschrift vom Jahre 1728 wird es folgendermaßen beschrieben: „Auf
dem Humerale, welches der Priester auf die Schultern und um den Hals zu
nehmen pflegt, ist in der Mitte angebracht das Lamm Gottes, und an den Ecken
sieht man die vier Tiere der Evangelisten mit Edelsteinen und Gemmen pracht-
voll gestickt."2 Welche Verbreitung im 10. und 11. Jahrhundert der Brauch
hatte, das Schultertuch in dieser oder ähnlicher Weise auszustatten, läßt sich
nicht bestimmen. Bei den Bildwerken aus jener Zeit, namentlich den aller-
dings vielfach unvollkommenen Miniaturen, sind die Humeralien durchweg nur
wenig, meist aber gar nicht sichtbar, so daß aus ihnen ein Urteil über die
Ausstattung des Amiktes nicht zu gewinnen ist. Die Inventare aus dem Ende
des 1. und dem Beginn des 2. Jahrtausends aber erwähnen im ganzen nur
selten Humeralien besserer Art.
Einen besondern Aufschwung nahm die Verzierung des Amiktes im
12. Jahrhundert, und bald kam es zu jenem kragenartigen Humeral-
besatz, der für die ganze übrige Zeit des Mittelalters die Herrschaft
behaupten sollte. Er bestand in einem mehr oder minder breiten Zierstück
von kostbarem Stoff (Bild 3), welcher häufig mit reichen Stickereien und
selbst aufgesetzten Perlen und Edelsteinen versehen war, oder, wenngleich
seltener, in einem dem Humerale unmittelbar eingestickten Zierstreifen. An-
gebracht war er an einer der Langseiten, und zwar an derjenigen, an der
sich die Bänder zum Anbinden befanden. Seine Länge schwankte gewöhn-
lich zwischen 0,40 bis 0,50 m. Beim Ankleiden wurde der Amikt so auf den
Kopf gelegt, daß der Besatz sich von Schläfe zu Schläfe erstreckte, und zwar
entweder einfach oder in der Breite des Besatzes umgeschlagen. Dann
wurden die Bänder um die Brust geschlungen , die Albe , Stola und Kasel
1 d'Achery, Spicileg. III, Paris. 1723,412.
Von einem sehr kostbaren Amikt ist auch
in der Vita des Bischofs Hugo von Auxerre
(1000—1039) die Rede (Hist. episc. Autissiod.
c. 49; M. 138, 277): In amictu lamina aurea
margaritis et lapidibus pretiosis intertexta
quasi regali diademate summi sacerdotis Ca-
put illustrabat. Der Bischof soll ihn samt
andern prächtigen Paramenten von Kaiser
Otto III. erhalten haben. Sowohl die Be-
schreibung des Amikts, bei der dem Verfasser
der Vita ersichtlich ein mit Parura verziertes
Humerale vorschwebte, als auch was über
seine Herkunft gesagt wird, lassen die An-
gaben der Historia als spätere Fabel er-
scheinen, welche auf Zuverlässigkeit keinen
Anspruch erheben kann. Man vergleiche
auch den Widerspruch zwischen der Er-
zählung der Vita Hugonis von den kostbaren
Braun, Die liturgische Gewandung.
Gewändern, mit denen Hugo am Ende seines
Lebens seine Kathedrale bereicherte, und dem
Bericht der Vita Godofredi, der etwa ein De-
zennium später Bischof wurde, über den da-
maligen armseligen Zustand der Paramente
in der Kathedrale : Nulla denique pontificalia,
in quibus missam ipse decenter celebraret,
habebantur indumenta. Die Lebensbeschrei-
bung Hugos wurde allem Anschein nach erst
spät im 12. Jahrhundert geschrieben.
2 Kirchenschmuck I (1857) 15. Vgl. auch
Meichelbeck, Hist. Frising. I 257. Übrigens
geben wir obige Daten nicht wieder, ohne
unser Bedenken an der Echtheit des frag-
lichen Amiktes zum Ausdruck zu bringen.
Die angeblich ebenfalls von Bischof Ellen-
hard herrührende und ebendort beschrie-
bene Albe stammte sicher erst aus späterer
Zeit.
3
34
Erster Abschnitt. Die liturgische Untergewanduna.
angezogen und nun das Schultertuch so über den Hinterkopf herabgelassen,
daß die Verzierung kragenförmig den Hals umgab. Bild 4 veranschaulicht
den Vorgang. Wurde der Amikt auf den Kopf gelegt, wie es Bild 4 an-
deutet, d. i. ungedoppelt, so hatte der Besatz, wenn um den Hals geordnet,
das Aussehen eines umgeschlagenen Kragens. Brachte man jenen in der Breite
der letzteren gedoppelt oder zusammengefaltet auf den Kopf, so ähnelte er
nach dem Herablassen des Humerale einem Stehkragen *.
Belege für das Gesagte liefern die Monumente seit etwa der Mitte des 12. Jahr-
hunderts bis zum 16. Jahrhundert und selbst darüber hinaus die Hülle und Fülle.
Auf französischen Biscliofssiegeln erscheint der Besatz schon um 1150, auf englischen
gegen Ende des Jahrhunderts -. Auf den Siegeln der Mainzer Erzbischöfe ist er mit
Sicherheit erst bei Heinrich IL (1286 — 1288) 3 nachweisbar, auf den Siegeln der
Bischöfe von Paderborn, Münster, Osnabrück und Minden begegnet er uns ebenfalls
kaum vor der Mitte des 13. Jahrhunderts. Begelmäßig tritt er auf denselben erst um
1300 auf4. Auf Kölner Siegeln gewahren wir das Zierstück vielleicht schon bei Philipp
von Heinsberg (1167 bis
1191) und Dietrich von
Bergen (1208-1212),
falls das, was einem Be-
satz ähnelt, nicht etwa
der Amikt selbst ist.
Unzweifelhaft findet es
sich auf dem Siegel Sieg-
frieds von Westerburg
(1275-1297). Auf den
Trierer Siegeln mag es
schon bei Dietrich (1212
bis 1242) vorkommen.
Um 1275 treffen wir die
fragliche Verzierung des
Amiktes auf dem Siegel
des Abtes Adolf von Sieg-
burg und um 1300 auf
dem des tüchtigen Abtes
Arnold von St Martin zu Köln, um 1250 auf dem Siegel des Domes zu Hildesheim.
Um dieselbe Zeit kommt sie auch auf den Hildesheimer, den Halberstädter und Würz-
burger Bischofssiegeln vor.
Auf den italienischen Bischofssiegeln dürfte der Amiktbesatz kaum vor 1250
auftreten. Eegel wird er auf ihnen erst gegen Ende des Jahrhunderts. Als noch
fraglich, vermerken wir ihn auf dem Siegel des Bischofs Egidius von Poligno (1208
bis 1243). Sicher finden wir dagegen das Zierstück auf den ersichtlich unter fran-
zösischem Einfluß stehenden Siegeln der Bischöfe Johannes von Perrara (1252 — 1257)
Bild 3. Amikt und Cingulum. Danzig, Marienkirche. (Nach Hinz.)
1 Bock (Gesch. II 30) beschreibt auch noch
eine zweite im Mittelalter gebräuchliche An-
legungsweise des Amikts (vgl. dazu a. a. O.
Tl 2, 2). Wir haben indessen für dieselbe
keine Bestätigung gefunden, es spricht viel-
mehr alles, was wir vom mittelalterlichen
Amikt und seiner Beschaffenheit wissen, gegen
sie. Jedenfalls ist das Untertüchlein, das
nach Bock bei der oben im Text beschriebe-
nen Weise nötig und Anlaß zu der von ihm
an zweiter Stelle geschilderten Anlegungs-
weise gewesen sein soll, eine Fabel.
2 Man vergleiche die zahlreichen Abbil-
dungen französischer und englischer Siegel
bei Roh. VII VIII sowie unter andern
L. Blancard, Iconographie des Sceaux
des arch. depart. des Bordes - du - Rhone,
Paris 1860.
3 Würdtwein, Nova subsidia dipl. t. IV,
tab. 21 ; V, tab. 22 ff.
4 G. Tumbült, Die westfälischen Siegel
des Mittelalters 2. Hft, 1. Abtl: Die Siegel
der Bischöfe, Münster 1885 (Münster, Pader-
born, Osnabrück, Minden).
Erstes Kapitel. Der Amikt.
35
Jakobus von Feltre (1291 bis ca 1298), Vivianus von Faenza (1282—1287), Otto
von Ventimiglia (1304—1319), Hubertus von. Hontefeltro (1288—1318), Maurus von
Amelia (1286—1300), Monaldus von Civita Castellana (1288—1300), des Kardinals
Berengar von Frascati (1309 — 1323) und des Patriarchen Egidius von Grado
(1296 — 1311). Ebenso weisen den Besatz auf die Siegel des Bischofs Magnus von
Vexiö in Schweden (1295 — 1320), des Bischofs Boderich von Mondoiiedo in Spanien
(1297—1318) und des Erzbischofs Martin von Braga in Portugal (1295-1313)'.
Es kann hiernach wohl keinem Zweifel unterliegen , daß die fragliche
Amikt Verzierung aus Frankreich stammt ; sie begegnet uns also da
zuerst, wo auch die Wiege der Gotik gestanden hat. Es ist bemerkenswert
- die Siegel bekunden das auf das deutlichste — , wie die Ausbreitung ihrer
Verwendung gleichen Schritt mit der Verbreitung der Gotik hält. Wie
diese, so nimmt auch das Zierstück des Amikts zunächst seinen Weg über den
Kanal, während in Deutschland beide erst eine geraume Weile später ihren
Einzug halten und sich einbürgern. Nicht anders verhält es sich hinsichtlich
Italiens und Spaniens.
Bild 4. Anlegungsweise des Amikts nach mittelalterlicher Weise.
Der Besatz umgibt, wie schon gesagt, entsprechend der vorhin geschilder-
ten Anlegungsweise auf den Bildwerken den Hals bald nach Art eines an-
liegenden umgeschlagenen Kragens (Bild 5, S. 36), bald gleicht er, zu-
mal im 14. und 15. Jahrhundert, einem Stehkragen (Bild 6, S. 36). Nicht
selten machen die Monumente den Eindruck, als sei er nicht am Amikt, sondern
an der Kasel bzw. der Dalmatik befestigt. Es ist das namentlich bei Bildwerken
aus dem ausgehenden Mittelalter der Fall. Gewöhnlich wird das jedoch nur
bloßer Schein oder künstlerische Lizenz sein. Daß er indessen wirklich hie und
da statt am Amikt der Einfachheit halber an dem Meßgewand (bzw. dem Leviten-
gewand) angebracht wurde, beweist z. B. die Notiz eines Pontifikale von
Montecassino in der vatikanischen Bibliothek, wonach der Abt für die Messe
casula cum collari2 bekleidet werden soll, falls man nicht lieber die Rubrik
von einer Kasel und einem vom Amikt losgelösten selbständigen Kragen,
1 Nach Originalsiegeln oder Kopien in der
dem Skriptorenhaus der deutschen Ordens-
provinz gehörenden Siegelsammlung. Die den
Bischöfen beigefügten Daten beruhen hier
wie auch sonst in diesem Werke auf P. P i u s
Garns, Series episcoporum (Regensburg 1873)
mit Benutzung der Korrekturen bei P. K. E u-
bel O. Min. Conv., Hierarchia eatholica medii
aevi, Münster 1898.
2 Vatic. Cod. lat. 9340, 4 v.
3*
36
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
wie dieser noch jetzt in Mailand gebräuchlich ist, verstehen will. Hinsichtlich
der Farbe richtete sich das Zierstück, seitdem und wo es einen liturgischen
Farbenkanon gab, gewöhnlich, wenngleich keineswegs ausschließlich, nach
der Farbe des Tagesoffiziums. Insbesondere wurden bessere, reichere und
kunstvollere Besätze ohne strenge Rücksicht auf die jeweilige Tagesfarbe
gebraucht. Bei dem Amiktbesatz konnte um so eher davon abgesehen werden,
als er ja nicht einen wesentlichen Teil des Gewandes ausmachte, sondern
bloß Verzierung war.
In den Inventaren heißt der Besatz des Schultertuches bald parura
oder c o 1 1 a r e , bald p 1 a g a , p 1 a g u 1 a oder p 1 i c a , bald g e m m a , p r a e-
texta, truncus1 oder aurifrisium (auriphrygium), frisium, in
deutschen schilt, brederken (Kragen) und ähnlich. Nicht selten wird er
indessen auch vom ganzen Gewand humerale genannt. So lesen wir z. B.
in einem Olmützer Inventar aus dem Jahre 1435 von gelben oder goldenen
Humeralien, von einem Humerale aus schwarzem Samt, in einem Schatz-
Bild 5. Von der Grabplatte des Kano-
nikus Joh. Peter von Seckendorf (f 1557).
Bamberg, Dom.
Bild 6. Vom Grabmal des Bischofs
Gottfried von Limburg (f 1455).
Würzburg. Dom.
Verzeichnis von Eibin g von grünen, braunen Humeralien, von schwarzen Hume-
ralien, von einem „silbern übergult humeral cum radice Iesse", einem „silbern
übergult humeral mit einem übergulten Marienbild", einem „rot humeral mit
gelben spangen" (Metallplättchen, die als Schmuck aufgesetzt wurden) und einem
weißen Kreuz usw. 2 Selbstredend kann sich eine derartige Benennung nicht
auf den ganzen Amikt, sondern nur auf den Besatz beziehen, der ja auch in
der Tat, weil sich um die Schultern legend, ein Humerale war. Es ist die
Ausdrucksweise wohl zu beachten, andernfalls kommt man zum Irrtum, es
habe ehedem schwarze, rote usw. Schultertücher gegeben.
Von mittelalterlichen Schultertüchern sind nur einige wenige
auf uns gekommen. Es gibt deren ja eines zu Valsainte bei Bulle in
der Schweiz, Neresheim (Württemberg), Rostock (Museum) und Eich-
stätt, zwei zu Halberstadt und drei zu Danzig. Bei dem Neres-
heimer Amikt besteht der Besatz aus einer Goldborte mit schönem, farbigem
1 Inventar von Frauenburg vom Jahre 1598
(Zeitschrift III [1890] 246).
2Hipler, Die ältesten Schatzverzeich-
nisse 7 12 13. Vgl. namentlich auch S. 29.
Erstes Kapitel. Der Amikt.
37
Vogel- und Pflanzenmuster1,
Besatz.
der Eichstätter hat einen einfach gelbseidenen
Von den drei Humeralien im Dom zu Halberstadt ist eines mit rotseidener
Parura versehen , welche mit silbervergoldeten Zierplättchen (fibulae, Spangen) ge-
schmückt ist. Ein zweites
weist einen blauseidenen, mit
blauen, weißen und roten
Perlen bestickten Besatz auf.
Von den drei Schulter-
tüchern in der St Marien-
kirche zu Danzig sind zwei
mit rotsamtener Parura, die
über und über mit silber-
vergoldeten Rosettchen und
Blättchen besät ist, ausgestat-
tet ( Bild 3, S. 34). Bei einer der-
selben sind auf den Rosett chen
kleine, frei herabbaumelnde
Anhängsel aus vergoldetem Bild 7- Amiktbesatz. Danzig, Marienkirche.
Silber angebracht (Bild 7), in
einem Inventar von St Elisabeth zu Breslau aus den Jahren 1483 — 1498 flatterchen
genannt 2. Das glänzendste Stück ist aber das dritte Humerale , dessen Parura mit
einer in Ausführung , Zeichnung und Technik gleich vorzüglichen Stickerei in Seide
und Perlen, Christi Auferstehimg darstellend, geschmückt ist (Bild 8). Der im Besitz
der Kartäuser zu Valsainte befindliche Amikt entbehrt der Parura 3.
Lose Amiktbesätze sind, wenngleich etwas häufiger als vollständige Amikte,
doch im ganzen gleichfalls nur in geringer Zahl erhalten. Die ältesten sind die schön
in farbiger Seide und Gold gestickte Parura im Schatz der Kathedrale zu Sens,
welche als Reliquie des hl. Thomas von Canterbury von dessen Aufenthalt zu
Sens her gilt, jedenfalls aber spätestens aus der Frühe des 13. Jahrhunderts stammt,
und ein der gleichen Zeit angehörender, hochinteressanter Besatz im Dom zu Halber-
stadt, der in späterer Zeit als Einfassung des Kopfdurchschlupfs einer Kasel ver-
wendet wurde und
sich noch jetzt als
solche an dieser be-
findet. Die Parura
in der Kathedrale zu
Sens ist 0,67 m lang,
0,125 hoch und mit
Kreisen gemustert,
die einander über-
schneiden und in der
Mitte mit einem
kreuzförmigen Orna-
ment gefüllt sind.
Der Halberstädter
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Bild 8. In Seide und Perlen gestickter Amiktbesatz.
Danzig, Marienkirche. (Nach Hinz.)
Amiktbesatz ist ca 0,55 m lang und ca 0,08 m hoch und enthält auf tiefblauem Fonds
von schwerem Seidenköper in der Mitte eine Darstellung der Majestas, rechts und
1 Nach gütiger Mitteilung des Herrn Pfarrers
von Neresheim, Schulinspektor K. Schips.
2 Alwin Schultz, Schatzverzeiclmisse
Breslauer Kirchen 10 f : Lobwerg mit silberen
vorgulten flatterchen . . . mit obergnlten span-
geleyn und natterchen . . . mit silbern span-
geleyn und flatterchen vorgultet beslagen.
3 Nach freundlicher Angabe des hochw.
Herrn Bibliothekars Dom Louis Maria de
Massiac.
38
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Bild 9. Ainiktparura (ca 1200). Halberstadt, Dom.
links unter rundbogigen Arkaturen die Bilder von je sechs Aposteln. Die Fleischteile
ausgenommen, ist alles übrige in Goldstickerei ausgeführt, wobei die Abheftfäden so tief
in den Stoff hineingezogen wurden, daß sie für das Auge völlig verschwinden (Bild 9),
eine kunstvolle, im Mittelalter sehr beliebte und geübte Art der Abkeftteehnik '.
Von sonstigen Amiktparuren finden sich bei weitem die meisten und vorzüg-
lichsten in St Marien zu Danzig, darunter solche von ausnehmender Pracht und Kostbar-
keit2. Dieselben entstammen teils dem 15., teils dem beginnenden 16. Jahrhundert.
Echte Perlen sind bei einzelnen von ihnen in geradezu verschwenderischer Fülle an-
gebracht. Das Verderben des guten Geschmackes tritt aber auch schon bei ver-
schiedenen deutlich zu Tage (Bild 10). Beliefstickereien mit fast freistehenden Dar-
stellungen sind auf einem Amiktbesatz trotz aller Kostbarkeit und trotz aller Kunst
oder besser Kunstfertigkeit , mit der sie hergestellt wurden , widersinnig, weil ihrem
Zwecke durchaus zuwider.
Es ist, was wir noch von mittelalterlichen Humeralien und ihren Be-
sätzen besitzen, nur ein winziger Bruchteil der alten Herrlichkeit und keines-
wegs geeignet, uns ein vollständiges Bild von dem Keichtum und der glänzenden
Ausstattung des mittelalterliehen Schultertuches zu geben. Indessen haben
wir einen, wenngleich nur unvollkommenen Ersatz in den zahlreichen Bild-
werken des 13., 14. und 15. Jahrhunderts, welche uns Bischöfe, Priester,
Diakone und Subdiakone mit bald mehr bald minder reich verziertem Amikt
ausgestattet zeigen.
Hier stellt der Besatz ein ungemustertes Zeug dar, dort ist er mit Perlen und
Edelsteinen aufs glänzendste geschmückt ; anderswo gewahren wir auf ihm Inschriften,
Rankenwerk oder gar bildliche Darstellungen. Ein Blick auf die zahlreichen Statuen
an den herrlichen Portalen der mittelalterlichen Dome in Prankreich, Deutschland
und Spanien, auf die Glasgemälde, die sich aus dem späteren Mittelalter noch in
reicher Fülle erhalten haben, auf die Werke des Pinsels, mit denen die alten Meister
die Wände und Altäre der Gotteshäuser schmückten und ganz besonders die prächtigen
Grabmonumente, die uns seit dem 13. Jahrhundert in großer Menge in Deutschland
(Köln, Paderborn, Würzburg, Bamberg, Regensburg usw.), in England, Frankreich,
Spanien und Italien begegnen , zeigt uns, mit welch verschwenderischer Pracht die
Humeralien im Mittelalter ausgestattet zu werden pflegten. Zugleich belehrt er uns,
welche große Verbreitung die Gepflogenheit gewonnen hatte , den Amikt mit dem
kragenartigen Zierbesatz zu versehen.
Den besten Begriff von dem Reichtum der mittelalterlichen Paruren ge-
währen aber die Schatzverzeichnisse des 13., 14., 15. und 16. Jahrhunderts, von
denen zwar nicht alle, aber doch sehr viele von den Humeralien ausführliche
Beschreibungen geben. Wir lernen aus ihren nicht selten bis ins einzelne
gehenden Angaben, daß die Meister, welche die alten Monumente schufen,
1 Vgl. über diese Technik Braun, Winke
132. Bei Verwendung feiner G oldfäden gleichen
die Stickereien täuschend einem Goldgewebe.
2 Abbildungen der meisten bei Hinz, Die
Schatzkammer von St Marien zu Danzig,
Danzig 1870.
Erstes Kapitel. Der Amikt.
39
keineswegs übertrieben haben, wenn sie so prächtige Amikte zur Darstellung
brachten, und daß man ehedem wirklich nichts gespart hat, um dem Amikt
eine würdige, ja oft fast zu glänzende Ausstattung zu geben. Hören wir nur,
was uns das eine oder andere Inventar zu erzählen weiß.
Im Schatzverzeichnis der Kirche von Salisbury aus dem Jahre 1212 werden
zwei goldverzierte und mit Edelsteinen besetzte Amikte und außerdem fünf andere,
die mit Stickereien, und zehn, die mit Aurifrisien versehen waren, erwähnt. Das
Inventar des päpstlichen Schatzes von 1295 nennt unum amictum laboratum
ad aurum tractitium et perlas et flores de serico diversorum colorum, unum amictum
laboratum ad aurum et perlas, unum amictum cum frixio de Romania (Besatz byzantini-
scher Herkunft) ad aurum tractitium, unum amictum ad aurum filatum de opere angli-
cano cum media imagine Salvatoris in medio et sex aliae circa eam, unum amictum cum
frixio anglicano ad imagines medias, unum amictum cum frixio de Alamania u. a., also
Amikte , die mit Perlen und Goldstickerei und aufgestickten Halbbildern prächtig
verziert waren '.
Ein Schatzverzeichnis des Prager Doms vom Jahre 1387 verzeichnet vier mit
Perlen geschmückte Humeralien, von denen eines in großen Perlen die Inschrift
Maria Virgo trug.
In dem Inventar
des Domes zu 0 1-
mütz von 1435
findet sich neben
sonstigen kaum
minder kostbaren
Schultertüchern
ein Amikt mit
einer praetexta aus
Goldstoff, auf wel-
cher außer vier
andern Bildern
Maria Krönung
dargestellt war.
Ebendort treffen wir auch Besätze aus Goldstoff und aus schwarzem Samt für Hume-
ralien ohne Leinwand , d. i. losgetrennt vom Schultertuch, wofür sie bestimmt
waren, an. Sehr reich an Amikten mit kostbaren Besätzen war auch die Schatz-
kammer der Peterskirche in Rom. Dort fand sich beispielsweise dem Schatz-
verzeichnisse von 1361 zufolge unter sonstigen ein Amikt mit einem aus Gold und
Perlen gearbeiteten Aurifrisium. Die Parura eines andern enthielt in sechs Feldern
die Bilder verschiedener Heiligen, Wappen und Blattwerk. Das Aurifrisium eines
dritten Humerale bestand aus drei Feldern, war aber im übrigen ähnlich wie das
letztgenannte eingerichtet. Auch treffen wir neben diesen und andern Schulter-
tüchern gleicher Art im Schatz von St Peter einen alten Amiktbesatz, der mit sieben
Heiligenfiguren geschmückt war und als sehr reich mit Perlen verziert beschrieben wird.
Sehr viele kostbar ausgestattete Humeralien weist das Inventar des Graner
Domschatzes aus dem Jahre 1609 auf. Ausdrücklich erwähnt und näher beschrieben
werden ihrer dreizehn. Da gibt es z. B. ein Schultertuch mit einem Besatz aus
Goldstoff; die Parura eines zweiten ist mit dem aus roten und grünen Edelsteinen
gebildeten Namen Jesu geschmückt. Auf andern waren der Weltheiland mit zwei
Engeln, die auf der Brust einen Edelstein trugen, die Verkündigung, Maria mit Hei-
Bild 10. In Perlen- und Reliefstickerei ausgeführte Araiktparura.
Danzig, Marienkirche. (Nach Hinz.)
1 C. 54 (Bibl. de l'Ecole des Ckartes XLVI
36). Frixium ist gleich frisium oder aurifrisium
(auriphrygium); aurum tractitium bezeichnet
einen mit goldenem oder silbervergoldetem
Lahn hergestellten, aurum filatum dagegen,
wie es scheint, den in neuerer Zeit irrig „Cy-
prisches Gold" genannten Goldfaden. Näheres
über Goldfäden bei Braun, Winke 7.
40 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
ligen , das Lamm Gottes dargestellt oder die Namen Maria und des hl. Johannes in
Edelsteinen angebracht usw. Es waren diese Humeralien offenbar wie die Kasein und
Dalmatiken, wozu sie gehörten, meist Erbstücke des ausgehenden Mittelalters oder
auch der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Balis aber auch in kleineren Kirchen zahlreiche glänzend ausgestattete Amikte sich
vorfanden, beweist ein Einblick in die meist der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
entstammenden Schatzverzeichnisse ermländischer Kirchen. So nennt das Inventar
von Allenstein fünf mit fibulae geschmückte Humeralien, dasjenige der Lieb-
frauenkirche in Braun sb er g Septem humeralia fibulata. octo aurata, varii coloris
auro intei'texta quatuor, ex serico et holoserico varii coloris duodecim. Bas Schatz-
verzeichnis von Heilsberg vermerkt mehr als zehn mit fibulae versehene Schulter-
tücher, in W o r m d i 1 1 treffen wir ihrer sieben an. Daß wir erst recht im Dom zu
Frauenburg einerEeihe prächtiger Humeralien begegnen, ist unter solchen Umständen
nicht zu verwundern. Nach dem Inventar von 1578 waren hier zehn mit Perlen, drei
mit Heiligenbildern, drei mit Laubwerk, eines mit dem Lamm Gottes innerhalb Laub-
werk, zwei alte mit Zierplättchen (fibulae) geschmückt. Eines war mit einem Besatz aus
Goldbrokat versehen, der in der Mitte ein Lamm aus Perlen aufwies, bei dreien
bestand die Parura ganz aus vergoldetem Silber, bei fünfen war sie mit vergoldeten
Spangen und Kügelchen besetzt usw. Bei einfachen Humeralien war der Besatz
aus Samt, aus rotem Brokat und ähnlichen Stoffen angefertigt.
Noch großartiger war der Bestand an kostbaren Amikten im Dom zu Frauenburg
im Jahre 1598. Das Inventar aus diesem Jahre verzeichnet: Humerale unum totum
margaritis contextum cum imagine Agnus Dei — Humeralia duo tota gemmatis floribus
frondeis similis operis decorata — Humerale unum cum imaginibus B. V., S. Catharinae
et Borotheae ex gemmis effigiatis — Humerale cum imaginibus Salvatoris, S. Petri
et Pauli ex gemmis paratum -- Humeralia duo- ex argento solido tota deaurata cum
imaginibus coronationis B. V. et Sanctorum — Humeralia t-ria ex serico viridi cum
bullis maioribus et minoribus argenteis deauratis numero 89 etc. ' Beliebt war es,
besonders im ganzen Norden und Nordosten von Deutschland, den Humeralbesatz mit
silber vergoldeten Zierplättchen zu schmücken, fibulae, Spangen, Löbern,
Berlein u. ä. genannt. Eine zu Heilsberg befindliche Amiktparura zählte deren
nicht weniger als 132 \ Es gab sogar Besätze, die ganz aus Silber gearbeitet
und, um sich dem Hals anpassen zu können, in Glieder abgeteilt waren. So besaß
die St Nicolauskirche zu Elbing nach dem Inventar von 15-44 „3 silberne
überguldete gefaltete Humeralia, davon 2 haben zu 11 und 1 zu 10 gliedern", die
Kirche zum heiligen Leichnam nach dem Inventar von 1547 „1 silbern vergult
groß humeral mit beumen und bildern von silber in sieben fachen", der Altar der
hl. Katharina, welcher der Trägerzunft zugehörte, „1 silbern übergult humeral cum
radice Iesse mit 3 gliedern und 1 silbern übergult humeral mit einem übergulten
Marienbild und 7 übergulten gliedern". Ein zu Allenstein befindlicher Humeral-
besatz aus vergoldetem Silber wog mehr als l1/-: m (= 8/« Pfd.)3.
Zum Schluß noch einige Angaben aus einem S t o 1 p e r und einem Breslauer
Inventar.
Das Inventar von Stolp verzeichnet die Gegenstände, welche 1525 den Domini-
kanern zu Stolp beim Bildersturm „mith gewalt genamen" wurden; darunter 17 Amikte,
die alle mehr oder weniger reich mit Spangen besetzt waren. Item, heißt es in ihm,
1 amith resurectio van Perlen und gokle, de Forstynne gegeven heft. Item 1 amith
van 3 groten Spangen und 34 kleynen dartho. Item een grüen amith, Moria (sie) genannt,
mit 40 Spangen. Item 1 amith ave mit 51 Spangen. Item 1 amith 10 grote Spangen
und 40 kleyne. Item 1 amith mit 12 grote Spangen und 36 kleyne. Item noch
' Di ttri ch , Inneres Aussehen und innere 3 Hipler, Die ältesten Schatzverzeich-
Ausstattung (Zeitschrift III [1890] 246). nisse 9 12 41. Dittrich a. a. O. 246.
2 Ebd. 245.
Erstes Kapitel. Der Araikt.
41
1 amith 4 grote Spangen und 37 kleyne. Item 1 amith roth Sammith mit 3 groten
Spangen und 20 kleynen u. a. '
Das Breslauer Inventar entstammt dem Ausgang des 15. Jahrhunderts und gibt
den Befund an Paramenten in der St Elisabethenkirche zu Breslau wieder. Auch
hier ist die Zahl der mit kostbaren Besätzen geschmückten Humeralien eine sehr
große. Wir heben aus ihr hervor : Item Eyn Humeral Eot Samath mit Perlen mit
vorgulten Cron. Item Czwee Humeral gülden mit Perlenn gehafft mit den nahmen Maria
und mit 18 vorspan (Zierplättchen). Item eyn Humeral gülden mit Perlen gehaft mit
dreyen bilden mitten Imago Salvatoris in Majestate. Item Eyn humeral gülden mit Perlen
gehafft mit dreyen Bilden Mitten imago Beate Marie virginis cum infantulo. Item
eyn humeral Kot Samath mit fünf Silbern bilden mitten Signum Crucifixi mit Silbern
Sternen. . . . Item Czwee humeralia Roth Samath mit perlen gehafft lobwerg mit
Silberen vorgulten flatterchen. Item eyn Humeral uff grwhner Zeyde mit Silberen
großen Spangen gehaft und mitten an den spangen der Buchstabe A mit swartzem
gesmeltze. Item Eyn Humeral von Kempchen Rot und geel mit kleynen vorgulten
Spangeleyn silveren und glackeleyn (Grlöckchen an den Zierplättchen) daran. . . . Item
eyn humeral bloe mit 4 grossin silberen spangyn clor off synt bilde mit bloenn grünen und
brawen gesmelcze off den renden silberne obirgulthe pockiln und Korallyn dartwischen \
In Rom kam die Amiktparura um die Wende des 15. Jahrhunderts
außer Gebrauch. Der Ordo missae Burchards von Straßburg kennt sie nicht
mehr, wie ihm überhaupt die Sitte, den Amikt bis nach Anlegung der Kasel
auf dem Haupt zu belassen, bereits fremd geworden ist. Immerhin gibt es
zu Rom noch aus der Frühe des 16. Jahrhunderts verschiedene Monumente,
welche den Amiktbesatz, wenngleich anscheinend in Form eines Kragens, auf-
weisen. Dazu gehören z. B. die Grabfiguren der Kardinäle Ascanius Sforza (f 1505)
und Hieronymus Basso (f 1507) in S. Maria del Popolo, des Bischofs Pietro
de Vincentia (f 1504) in der seitlichen Vorhalle von Ära Celi, des Kardinals
Johannes Michaeli (f 1503) in S. Marcello al Corso, des Kanonikus von St Peter
Bernardo Capeila (f 1524) in S. Stefano Rotondo und das eines 1538 ver-
storbenen Bischofs in S. Cecilia. Allerdings sind das nur vereinzelte Erschei-
nungen, bei denen obendrein zum Teil Einflüsse von auswärts maßgebend
gewesen sein mögen. Zur Zeit, da das offizielle römische Missale erschien,
1 L. Böttger, Die Bau- und Kunstdenk-
mäler des Regierungsbezirks Köslin II 81.
In einer Anmerkung werden die „ Amitlie" irrig
als Kleider des Marienbildes bezeichnet.
2 Auch die bei Alwin Schultz (Schatz-
verzeichnisse Breslauer Kirchen) mitgeteilten
Inventare aus andern Kirchen zu Breslau ent-
halten Angaben über kostbar geschmückte
Amikte. Von sonstigen sei noch besonders
auf die Schatzverzeichnisse der Kathedralen
zu London (1245) und zu Preßburg (1416),
die Inventare der Pfarrkirche zu Altenburg
(1527) , der Kapelle des hl. Morand in
St Stephan zu Wien (1426) , der Königs-
berger Schloßkirche (1518) und der St Micha-
elskirche zu Zeitz (1514) verwiesen. Überall
eine Fülle kostbarer Amiktbesätze. Bock und
andere haben geglaubt, in denfibulae, Spangen,
in den englischen Inventaren tasselli genannt,
das opus anglicanum wiedererkennen zu sollen,
von dem in mittelalterlichen Schatzverzeich-
nissen öfters die Rede ist. Sie irren indessen.
Die Verwendung von Zierplättchen zur Aus-
stattung der Paramente war nichts, das Eng-
land eigenartig gewesen wäre. Sie war seit
etwa dem 13. Jahrhundert allenthalben ge-
bräuchlich, in Frankreich wie in Italien, in
England wie in Deutschland. Neben dem opus
anglicanum wird in den Inventaren auch ein
opus theotonicum, opus Alamaniae, opus Ro-
manum, opus Lucanum usw. genannt. Meist
handelt es sich bei diesen Bezeichnungen um
Stickereien , doch nicht ausschließlich. So
wird der Ausdruck opus anglicanum auch oft
von Metallarbeiten gebraucht. Beispiele bei
G a y I 33. Wenn dort aus einem Inventar
Karls V. ein Pluviale de points d'Angleterre
angeführt wird, so heißt das nur ein Pluviale
mit englischer Stickerei. Daß es sich um
eine besondere Stickart handelt, folgt nicht
aus der Angabe. Der richtige Sinn von opus
anglicanum, Lucanum, Romanum (= de Ro-
mania) usw. ist: englische Arbeit oder Ware,
Fabrikat von Lucca, Ware aus Byzanz.
42 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
d. i. 1570, hatte die Verwendung des Amiktbesatzes zu Korn völlig aufgehört.
In dem jenem vorgedruckten Ritus celebrandi ist nur von einem Kreuz die Rede,
das in der Mitte des Schultertuches angebracht sein soll.
Außerhalb Roms tritt das Zierstück zu sehr verschiedenen Zeiten
vom Schauplatz ab. Auf den Mainzer Bischofsmonumenten verschwindet es bald
nach Beginn des 16. Jahrhunderts. Jakob von Liebensteins (1504 — 1508)
Grabfigur ist die letzte, welche die Amiktparura aufweist. Damit stimmt
das Zeugnis der Mainzer Bischofssiegel, auf denen die Parura um dieselbe
Zeit aufhört. Anderswo in Deutschland erhält sich die Verzierung des
Amikts bis nahe dem 17. Jahrhundert. So in Ermland, wie die angeführten
Inventare beweisen, in Münster und Paderborn, wie aus dem Grabmal Rem-
bolds von Kerssenbroich (f 1568) im Dom zu Paderborn und der Grabplatte
Johannes' von Hoya (f 1574) im Dom zu Münster erhellt, in Köln, wie sich
aus dem Inventar der St Brigiden- Kirche vom Jahre 1578 ergibt. „Item", heißt
es in letzterem, „noch 5 alven mit ihr heubtdoecher gerüstet und die brederkens
daran geneit." Auch im Rheingau war um den Ausgang des 16. Jahrhunderts
der Amiktbesatz noch nicht ganz außer Gebrauch gekommen. Denn das
Inventar der St Valentinskirche zu Kiedrich verzeichnet unter anderem auch
noch „2 humeral mit güldenen kragen mit perlen und silber bestickt, 2 bloenn
sammat humeral, 1 grünen humeral". In Brixen verordnet die Synode von
1603, es sollten die scutella (Schilde, Paruren) aus den Alben und Humeralien
entfernt und ein gesticktes Kreuz auf dem Amikt, der Stola und dem Manipel
angebracht werden x.
In den Niederlanden war das Zierstüek noch wenigstens bis gegen die
Mitte des 16. Jahrhunderts in Gebrauch, wie die aus Breda stammende Grab-
platte des Priesters Wilhelm (f 1539) im Rijksmuseum zu Amsterdam be-
weist. Zu Gran begegneten wir mit Paruren versehenen Humeralien noch
beim Ausgang des ersten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts.
In Frankreich fand der Besatz des Schultertuches, wenngleich nur
in beschränktem Maße, an verschiedenen Orten, wie z. B. zu Angers, bis ins
18. Jahrhundert hinein Verwendung2. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhun-
derts muß er daselbst noch recht häufig benutzt worden sein. So war die
Amiktparura, das collet, damals, wie du Saussay berichtet, zu Paris außer in
Notre Dame auch noch in den bedeutenderen Stifts- und Pfarrkirchen in Ge-
brauch3. Namentlich erhielt sie sich lange in den Kathedralen Frankreichs;
im Lyoner Ritus kam sie, wie früher bereits bemerkt wurde, bei den Diakonen
und Subdiakonen in Gestalt eines Kragens sogar bis in die Gegenwart.
Zu Mailand schrieb der hl. Karl den Zierbesatz für die ganze mai-
ländische Kirchenprovinz vor. „Das Humerale", so lautet seine Verordnung,
„soll in alter Weise angefertigt werden. Es soll nämlich mit einem Besatz
(fascia) versehen werden, welcher über dem Meßgewand wie ein Kragen den
Hals umgibt. Die Ränder dieses Zierstückes sollen passend geschmückt und
drei Kreuze auf demselben angebracht werden, eines in der Mitte, die beiden
übrigen an den Enden. Die Länge des Besatzes betrage 1 cub. 2 unc. = 0,53 m,
seine Breite 7 unc. — 0,13 m. . . . Wird das Humerale aber ohne Parura ge-
braucht, so muß ein Kreuz, das ca 0,035 m groß ist, etwa zwei Finger vom
oberen Rand entfernt eingestickt oder eingenäht werden." i Auch im ambrosia-
1 C. de eccl. n. 16 (Hartzh. VIII 565). 3 Panoplia episc. 56.
2 Revue 1886, 172. ' A. E. Med. 626.
Erstes Kapitel. Der Amikt.
43
irischen Ritus hat sich die Amiktparura, wie vorhin schon gesagt wurde, in
Form eines Kragens bis in die Gegenwart erhalten (Bild 11). Unter solchen
Umständen kann es natürlich nicht wundernehmen, wenn uns das Zierstück
auf den Bildwerken im Gebiet der mailändischen Kirchenprovinz nicht nur im
ganzen 16. Jahrhundert, sondern auch noch später immer wieder begegnet.
Auch im übrigen Italien scheint sich die Amiktparura an verschiedenen
Orten länger als zu Rom im Gebrauch erhalten zu haben. So wenigstens
nach den Bildwerken zu urteilen. Zu Venedig begegnet sie uns z. B. noch
beim Mosaikbild des hl. Geminianus im Portikus von S. Marco, einem Werke
des Jahres 1535, und in der Accademia bei einem hl. Augustinus von Girolamo
da S. Croce (arbeitete ca 1520 — 1549), zu Florenz aber treffen wir sie nicht nur
im Beginn des 16. Jahrhunderts bei Arbeiten aus der Schule Robbias, z. B.
einem hl. Zenobius in der Opera del Duomo, und
einem hl. Laurentius am Chorgestühl von S. Maria
Novella, einer Schöpfung Baccio d'Agnolos (1460 bis
1543), sondern auch beim Grabmal des Bischofs
Paulus Jovius von 1574 im Kreuzgang von S. Lo-
renzo, dem Fresko Passignanos (1560 — 1638) „Die
Übertragung des hl. Antonin" in S. Marco und der
„Gründung des Servitenordens", einem Fresko im
Kreuzgang der Annunziata. Auch schreibt noch im
17. Jahrhundert Kard. Bona (f 1674): Sunt quidam,
qui amictui ex holoserico vel aurea textura plagulam
assuunt colori et opificio casulae sive stolae con-
similem. Ambrosiani tertio loco amictum sumunt1.
Es waren also zu Bonas Zeiten wohl nicht bloß die
Ambrosianer, welche die Parura noch beibehalten
hatten. Wenn freilich Benedikt XIV. ein Jahr-
hundert später von der in Rede stehenden Gepflo-
genheit spricht2, so denkt er wahrscheinlich nur
an die Ambrosianer. Denn außer ihnen dürfte sich
damals sonst niemand mehr in Italien der Amikt-
parura bedient haben. Wie in Mailand und Lyon,
so starbauch in Spanien der Gebrauch der Parura
nicht ganz aus.
Übrigens wäre es irrig, wollte man glauben, es sei, seitdem einmal die
Amiktbesätze aufgekommen waren, das Schultertuch stets mit solchen aus-
gestattet gewesen. Die Inventare, die neben amictus parati auch von ein-
fachen Humeralien sprechen, beweisen das Gegenteil. Wie es scheint, wurden
die mit Besätzen versehenen Amikte vornehmlich von höher stehenden Geist-
lichen oder an Festtagen getragen.
Nach Hraban, Pseudo-Alkuin und Pseudo-Beda wurde das Superhumerale,
wie sie das Schultertuch nennen, aus Linnen angefertigt. So blieb es auch,
wie wir aus den späteren Liturgikern des Mittelalters sehen, in der Folgezeit.
Wohl hören wir in den Inventaren hie und da von seidenen Humeralien.
Doch ist dann meist der Besatz gemeint. Ganz aus Seidenstoff verfertigte
Amikte kommen zwar auch hie und da in mittelalterlichen Inventaren vor, doch
blieben sie stets Ausnahme. Eine strenge Vorschrift, das Humerale aus Linnen
Bild 11. Amiktkragen nach
Mailänder Gebrauch.
Rer. liturg. 1. 1, c. 24, § 3, II 219.
- De SS. Sacrif. Missae 1. 1, c. 7, n. 5, p. 47.
44 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
anzufertigen, scheint übrigens nicht bestanden zu haben. Es ist uns weder
eine allgemeine noch eine partikulare Bestimmung dieser Art bekannt. Eine
der ersten ausdrücklichen Verordnungen, welche das Humerale aus Linnen ge-
macht wissen will, dürfte diejenige des hl. Karl Borromäus sein. In die
Fußstapfen dieses großen Reformators im guten Sinn eintretend, bestimmte
ein Vierteljahrhundert später auch die Provinzialsynode von Prag vom Jahre
1605, es sollte der Amikt aus weißer Leinwand gemacht werden1.
V. URSPRUNG DES SCHULTERTUCHES. SEINE NAMEN.
Über die Ursachen, welchen der Amikt seine Aufnahme unter die litur-
gischen Gewänder verdankt, finden sich verschiedene Ansichten.
Mittelalterliche Liturgiker und mit ihnen einzelne neuere sahen in ihm
eine Nachbildung des Schulterkleides (ephod, imo/iig, superhumerale)
des jüdischen Hohenpriesters, weshalb jene den Amikt nicht selten Ephod
oder Superhumerale nennen. Daß jedoch der Ephod des Alten Bundes Anlaß
zur Einführung des Humerale gewesen, ist abgesehen von der verschiedenen
Gestalt und Beschaffenheit beider Gewänder schon darum zu verneinen, weil
er mitsamt dem sog. Richtschmuck (chosen, Xöywv, rationale) das oberste und
vornehmste Kleid des alttestamentlichen Pontifex bildete, der Amikt aber,
mag er nun anfänglich über oder unter der Albe getragen worden sein, stets
nur ein nebensächliches TJntergewand darstellte. Nachher freilich, als man
einmal anfing, die Kultgewänder des Neuen Bundes mit denen des Alten
Bundes zu vergleichen, hat man, um eine Analogie für das Schultertuch zu
finden, dasselbe wohl oder übel mit dem Ephod in Verbindung gebracht. Der
einzige Anhaltspunkt hierfür lag in dem Umstände, daß beide über den Schul-
tern getragen wurden (superhumerale — humerale).
Rohault de Fleury2 scheint unter der Voraussetzung, daß der Amikt vor
allem Hauptbedeckung habe sein sollen, zur Annahme zu neigen, das
Kopftuch heidnischer Priester habe zu seinem Gebrauch geführt, wobei der
Schleier, den der Apostel den Frauen für den Gottesdienst vorschreibt, gleich-
sam das Zwischenglied gewesen sei. Allein er übersieht, daß er kurz vor-
her selbst den Kanon des unter Zacharias 743 gefeierten römischen Konzils
anführt, der - - also noch in der Mitte des 8. Jahrhunderts — unter Be-
rufung auf 1 Kor 11, 4 bestimmt, kein Bischof, Priester und Diakon dürfe
am Altare bedeckten Hauptes erscheinen 3. Obendrein sei daran erinnert, daß
das Schultertuch ursprünglich nur ein Halstuch war und die Sitte, es beim
Ankleiden auf den Kopf zu legen, erst nachträglich aufkam. Aber auch dann
war der Amikt noch immer bloß im weiteren Sinne eine Kopfhülle. Der in
Frankreich vorkommende Brauch, ihn bei der Messe bis zu der Sekreta oder
dem Kanon auf dem Kopf zu behalten, ist sehr späten Ursprungs und durch-
aus unrömisch.
Eine dritte Ansicht geht dahin, das Humerale verdanke seine Aufnahme
unter die liturgischen Gewänder mystischen Erwägungen. So hat man
gemeint, es habe vielleicht der Umstand, daß man symbolisch den Helm des
Heiles oder den Schirm gegen die Versuchungen habe darstellen wollen, dazu
' C. 13 (Hartzh. VIII 691). missarum sollemnia praesuraat cum baculo
2 La messe VII 4 10. introire aut velato capite altario assistere
3 C. 13 (Hard. III 1929): Ut nullus epi- (quoniam et apostolus prohibet viros velato ca-
scopus, presbyter aut diaconus ad celebrandum pite orare in ecclesia). lief., Concilien III 517.
Erstes Kapitel. Der Amikt. 45
geführt, es der gottesdienstliehen Kleidung einzufügen, während von anderer
Seite die Vermutung ausgesprochen wurde, der Amikt sei anfänglich nur für
den Priester bestimmt gewesen und habe demselben das sein und symbo-
lisieren sollen, was das erzbischöfliche Pallium ist und bedeutet, eine Insignie
und ein Symbol des Hirtenamtes.
Allein auch diese Erklärungen können nicht befriedigen. Wer die Ge-
schichte der liturgischen Gewänder verfolgt hat, weiß, daß nicht mystische An-
schauungen und Grübeleien die Sakralkleidung geschaffen haben, sondern daß sich
diese naturgemäß aus der Volkstracht herausgestaltete, und daß die mehr oder
minder tiefsinnigen und ansprechenden Deutungen, welche die liturgischen Klei-
der erfahren haben, nicht denselben vorausgingen, sondern an das Bestehende an-
knüpften. Der zweiten Erklärung gegenüber aber ist noch insbesondere zu be-
merken, daß sich unter den mystischen Deutungen des Humerale niemals eine
findet, welche dieses als Symbol des Hirtenamtes betrachtet. Außerdem wider-
spricht sie völlig dem Charakter des Schultertuches. Dasselbe erscheint stets als
minder bedeutsames Untergewand, während das Pallium als auszeichnendes
Abzeichen der erzbischöflichen Würde über allen andern Gewändern getragen
wurde. Außerdem kam es ursprünglich so wenig nur den Priestern zu, daß
diese vielmehr nach römischem Brauch noch bis ins 9. Jahrhundert hinein kein
anagolagium getragen zu haben scheinen; denn der S. G. K. vermerkt es bloß
bei dem Papst, den Diakonen und Subdiakonen, nicht aber den Priestern.
Eine vierte Meinung endlich leitet wie die übrigen liturgischen Gewän-
der so auch den Amikt von einem entsprechenden Bestandteil der Alltags-
tracht ab. Sie ist zweifellos die richtige. Man braucht in der Tat nicht
weit zu gehen, um den Ursprung des Amiktes zu erklären. Er ist nichts
anderes als das im profanen Leben unter Namen wie amictus, focale, pallidum,
pallium, mappula, orarium bekannte und gebräuchliche Hals- oder Schulter-
tuch. Es fand bei allen Klassen der Bevölkerung Verwendung, bei hoch und
niedrig, arm und reich, vornehm und gering, natürlich in verschiedener Be-
schaffenheit und Ausstattung. Bedienten sich doch selbst die römischen Sol-
daten der Halstücher, wie wir aus verschiedenen interessanten Reliefs der
Trajanssäule entnehmen. Wir geben zwei derselben (Bild 12 und 13, S. 46) wieder.
Das eine stellt Soldaten mitten im Kampfe dar. Sie tragen das Koller und
um den Hals ein Halstuch, das unter dem Kinn in einen Knoten geschlungen
ist. Das zweite, einer Belagerungsszene entnommen, zeigt uns zwei Soldaten im
Küraß und eine Anzahl mit der Pänula bekleideter Soldaten. Die einen wie die
andern sind, wie sich deutlich erkennen läßt, mit dem Halstuch versehen.
Häufig trifft man namentlich Halstuch und Pänula zusammen, so z. B.
zweimal auf der Trajanssäule bei Trajan selbst, das eine Mal bei seiner Ein-
schiffung zum zweiten Feldzug gegen die Dacier, das andere Mal bei einer
Opferszene 1, ferner auf Skulpturen der Rostrabrüstung, auf Reliefs des Triumph-
bogens des Septimius Severus auf dem römischen Forum u. a., und zwar be-
weisen die Bildwerke der Rostrabrüstung mit aller Bestimmtheit, daß man sich
des Halstuches nicht bloß beim Militär, sondern auch im bürgerlichen Leben zur
Pänula bediente. Auch die römischen Monumente im Norden weisen treffliche
Beispiele für den Gebrauch des Halstuches auf. Es findet sich auch hier bei
Militär- wie bei Zivilpersonen, und zwar ebensowohl zur Pänula wie unter der
Tunika. Zwei der trefflichsten Beispiele finden sich im römisch-germanischen
1 Vgl. die Abbildung der Szene weiter unten in dem der Kasel gewidmeten Kapitel.
46
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Zentralmuseum zu Mainz. Es sind die Grabstelen des Centurio Faltonius
(Bild 14) und eines Schiffers namens Blussus 1. Ein Sklave Peregrinus
in Pänula und Halstuch erscheint auf einem Speierer Grabstein 2, eine Frau
mit Halstuch auf dem Grabmonument Nr 51 im Museum römischer Altertümer
des Historischen Vereins zu Regensburg. Andere Beispiele bieten die römischen
Altertümer zu Luxemburg. Daß aber Halstücher nicht bloß in den drei ersten
Jahrhunderten, sondern auch noch in den folgenden in Gebrauch waren, dafür
haben wir mancherlei Zeugnisse. Hieronymus redet z. B. in dem Brief an
Nepotian von einem linnenen Amikt, den er gleich darauf sudarium orariumque
nennt3. Es ist also eine Art von Halstuch, wovon er spricht. Von dem
hl. Fulgentius, Bischof von Ruspe (f 533), berichtet sein Biograph, es habe
derselbe unter der Kasel ein schwärzliches oder weißliches Umschlagtuch ge-
tragen, ja bei gutem Wetter innerhalb des Klosters sich auch wohl bloß dieses
Y™^-^*. „S",
$ §
4
-V
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•*p»6
//Mi wmrm*i
Bild 12 und 13. Reliefs der Trajanssäule zu Rom.
Tuches zur Tunika bedient 4. Wiederholt ist ferner von dem Schultertuch in
den alten Mönchsregeln die Rede, wie z. B. in des Hieronymus Übersetzung
der Regel des hl. Pachomius, wo zu den Kleidern, die ein jeder Mönch er-
halten solle, auch ein linnener Amikt gerechnet wird, und in den Regeln des
hl. Isidor, in denen jedem Klosterinsassen außer zwei pallia eine mappula
zugestanden und bestimmt wird, man solle, falls man nicht das pallium trage,
mit der mappula die Schultern bedecken. Von einem palliolum lineum bzw.
einem palliolum lesen wir in den Regeln des hl. Orsiesius und des hl. Fruc-
1 Eine Abbildung des Grabsteines des
Blussus s. unten im Kapitel, welches die Kasel
behandelt. Die Photographien beider Monu-
mente erhielt ich durch die Güte des Herrn
Prof. E. Neeb zu Mainz.
2 Abbildung in Bonner Jahrbücher 1902,
Tl 5, Fig. 3.
3 Ep. 52 ad Nepot. n. 9 (M. 22, 535).
* C. 18, n. 37 (M. 65, 135).
Erstes Kapitel. Der Amikt.
47
tuosus1. Es diente, wie wir von Cassian vernehmen, als Ersatz des Ober-
gewandes'2. Auch unter dem orarium, von dem bei Behandlung der Stola
die Rede sein wird, ist verschiedentlich ein Halstuch zu verstehen.
Was aber war der Anlaß, daß man zu Rom — denn hier geschah das
ohne Zweifel zuerst -- das profane Schultertuch der liturgischen Kleidung
einreihte? Waren es, wie man gesagt hat, praktische Gründe, etwa das Be-
streben, die oft kostbaren Oberkleider gegen Schweiß zu schützen, For-
derungen des Anstandes, welcher eine Entblößung des Halses bei der Liturgie
als wenig geziemend erscheinen lassen mochte, das Bedürfnis nach wärmerer
Kleidung bei den heiligen Funktionen in den oft kalten und zugigen Kirchen,
die Notwendigkeit, für Erhaltung der Stimme Sorge zu tragen? Wie es
scheint, kaum. Die nach Personen und Zeit so beschränkte Verwendung,
welche der Amikt bis ins 9. Jahrhundert zu Rom fand, spricht dagegen. Denn
jene praktischen Gründe galten ja doch
nicht bloß in Bezug auf den Papst und
seine Ministri, sondern auch in Bezug
auf die andern Geistlichen, nicht bloß
hinsichtlich der Dalmatik , sondern
auch hinsichtlich der Kasel und Tu-
nika, und nicht bloß für die Feste,
sondern auch für die sonstigen Tage.
Höchstens ließe sich denken, daß die
Rücksicht auf Schonung der wertvollen
weißen Obertunika des Papstes, seiner
Diakone und Subdiakone auf die In-
gebrauchnahme des Amiktes von eini-
gem Einfluß gewesen sei. Es dürfte daher
wohl zutreffender sein, wenn wir seine
Aufnahme unter die liturgischen Ge-
wänder des römischen Ritus nicht so-
wohl praktischen Erwägungen als viel-
mehr dem Umstände zuschreiben, daß
zur Zeit, da die sakrale Galakleidung
des Papstes und seiner nächsten Mi-
nistri ihre Ausgestaltung erhielt, ein
Amikt überhaupt zum Bestand einer hochvornehmen Festgewandung gehörte,
und
Bild 14. Grabstele des Centurio Faltonius.
Mainz, Rüniisch-german. Zentralmuseum.
es darum angezeigt schien,
ihn auch der Festkleidung des obersten Litur-
gen und seiner unmittelbaren Altargehilfen einzureihen.
Das liturgische Schultertuch begegnet uns mit Sicherheit erst im Verlauf
des 8. Jahrhunderts. Die obigen Ausführungen machen es jedoch mehr als wahr-
scheinlich, daß es schon eine gute Weile vorher in Gebrauch gewesen sei. Sollte
der Abschnitt, in welchem der erste Ordo Mabillons die Weise und Reihenfolge
beschreibt, in denen der Papst mit den liturgischen Gewändern bekleidet
werden mußte, dem gregorianischen Kern des Ordo angehören, so hätte der
Amikt schon um das Ende des 6. Jahrhunderts zu Rom den Charakter eines
1 Hieron., Tratisl. reg. S. Pachom., prae-
fatio 4 (M. 22, 64); reg. S. Isidori (Con-
cord. reg. S. Benedict. Aman. c. 62, § 10
[M. 103, 1244]) ; ebendort auch § 13 ex doctr.
S. Orsiesii (ebd. 1245) und § 17 reg. S. Fruc-
tuosi ep. Bracc. (ebd. 1248).
2 De coenobiorum institutis 1. 1, o. 7 (M.
49, 72).
48
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Kultgewandes gehabt. Allein er ist sehr wahrscheinlich nur ein Einschiebsel
aus der Zeit der Redaktion des Ordo, d. i. dem 8. Jahrhundert.
Was die Namen des liturgischen Schultertuches anlangt, so heißt es auffälliger-
weise in den ältesten römischen Ordines überall anagolaium, anagolagium.
anabolagium ; es muß das daher die offizielle Bezeichnung gewesen sein, welche man
im 9. und 10. Jahrhundert zu Eom für das Gewandstück hatte. Das Wort dürfte
aus anabolaium (gr. avaßolaiov), Umwurf, verderbt sein. Der Name war noch im
11. Jahrhundert die eigentlich römische Benennung des Schultertuches. Denn
in der Bulle vom Jahre 1049, worin Leo IX. dem Stifter das Klosters Heiligkreuz
zu Donauwörth, Mangold von Kyburg, und dessen Nachkommen die Vogtei über das-
selbe überträgt, wird als jährlich nach Rom zu entrichtende Abgabe neben einer
goldverzierten Stola, einem Manipel und einem Cingulum auch ein anabolagium, das
bezeichnenderweise für die Adressaten durch das ihnen verständlichere fano erläutert
wird, genannt: anabolagium i. e. fanonem i. Anderthalb Jahrhundert später war die
Bezeichnung ganz abgekommen, um dem aus dem Norden stammenden Namen amictus
für immer Platz zu machen. Schon Innozenz III. bezeichnet das Schultertuch nur
noch mit amictus. Auch in den Ordines des 13., 14. und 15. Jahrhunderts führt
dasselbe ausschließlich diesen Namen. Statt anagolagium war amictus die offizielle
römische Benennung des Gewandes geworden, die denn auch in das römische Missale,
in das Pontifikale und in das Caeremoniale überging. Außerhalb Boms scheint die
Bezeichnung anagolagium nirgends gebräuchlich gewesen zu sein. Hier hieß es bald
in Erinnerung an das Ephod des alttestamentlichen Hohenpriesters superhumerale, bald
einfach humerale, Schultertuch, bald amictus, vereinzelt auch fano.
Am gewöhnlichsten war der Name amictus. Im klassischen Latein bezeichnet
das Wort allgemein jede Verhüllung, im besondern Sinne aber einen mantelartigen Um-
wurf 2. Der Etymologie nach von derselben Bedeutung wie avaßoXaiov war es zweifels-
ohne ein guter Ersatz für das griechisch-römische verderbte anagolagium. Als Be-
zeichnung des Schultertuches kommt der Ausdruck schon in dem aus dem Beginn
des 9. Jahrhunderts stammenden Verzeichnis der von Angilbert dem Kloster des
hl. Richarius zu Centula (St-Riquier, Somme) geschenkten Paramente vor. Auf die
Verbreitung, welche er gewann, dürfte nicht ohne Einfluß, gewesen sein, daß er bei
Amalar, dessen liturgische Schriften für die Folgezeit von so großer Bedeutung waren,
als Name des Schultertuches gebraucht ist.
Die Bezeichnungen superhumerale und humerale3 waren namentlich in
Deutschland beliebt, anderswo scheinen sie nur wenig angewandt worden zu sein. Wo
immer in deutschen Inventaren vom Schultertuch die Rede ist, heißt es fast regelmäßig
superhumerale und humerale , verdeutscht humeral , umbral , umbalar u. ä. Super-
humerale begegnet uns schon bei Hraban, humerale in einem Inventar von Pfäffers
1 J. 4207. Über die Form ambolagium statt
anabolagium s. oben S. 26. V. Ermoni führt
anagolagium auf gula zurück, ein Verfahren,
das ein wenig an die im Mittelalter beliebte
Ableitungsweise erinnert. (Dom F. Cabrol,
Dictionnaire d'archeologie chröt. I, Paris 1904,
1597). Schon die Endung agium beweist das
Unzutreffende einer solchen Etymologie. Ana-
golagium ist verderbt aus anabolagium und
dieses aus anabolaion. In einem griech.-latein.
Schulgespräch (Corp. Gloss. III 645, 2, bei
Mommsen-Blümn er, Der Maximaltarif
des Diokletian, Berlin 1893, 170) wird das
mit anagolaium sachlich identische ävaßöXcuov
mit palla wiedergegeben : inoirjaa TtBpi tuv
rpä'/pikov ävaßöXcuov, feci circa Collum pallam.
Über das Schultertuch wurde ein i-sväürrjg
Xsuxog, eine Pänula, angezogen.
- Vgl. Forcell. unter amictus I 154 und
namentlich Thesaurus linguae latinae (Leip-
zig 1904) unter amictus I 1899 ff.
3 Beim römischen Juristen Paulus (Dig. 49,
16, 14), der unter Septimius Severus, also
ca 200 lebte, ist von einem humerale der
Soldaten die Rede. Dem Soldaten, heißt es
dort, welcher das tibiale und humerale ver-
kaufe , sollten dafür Prügel als Strafe zu
teil werden. Wie es scheint, ist unter dem
humerale eben das Schultertuch zu verstehen,
welches wir auf den früher erwähnten römi-
schen Monumenten bei Soldaten unter der Pä-
nula um den Hals herum hervorkommen sehen.
Erstes Kapitel. Der Amikt.
49
(Schweiz) aus der Wende des 9. Jahrhunderts. Superhumerale kam übrigens, wohl
weil zu langatmig, schon seit Ausgang des 11. Jahrhunderts bald in Abgang.
P a n o (fanum) ward später zur Benennung des päpstlichen Sonderschultertuches,
das den Gegenstand des folgenden Kapitels bilden wird. Bereits im 13. Jahrhundert
hieß dasselbe fano (fanum).
VI. DAS SCHULTERTUCH IN DEN ORIENTALISCHEN RITEN.
Was die Ostkirche anlangt, so gibt es ein liturgisches Schultertuch
nur im armenischen, syrischen und koptischen Ritus.
Das Schultertuch der Armenier, Vakas (Bild 15), stellt einen Amikt
genau von der Art dar, wie er im Abendland seit Mitte des 12. Jahrhunderts
üblich war, nur daß dem Besatz am oberen Saum durch eingelegten Karton
eine fast bretterne Steifheit gegeben ist. Über Stoff und Farbe bestehen keine
Vorschriften. Der Besatz ist in seiner
Mitte mit einem Kreuz geschmückt.
Wie
im ambrosianischen Ritus wird das Schul-
tertuch über der Tunika getragen, es
bedienen sich seiner aber nur die Bischöfe
und Priester, nicht die Diakone und Sub-
diakone. Angelegt wird es vollständig in
derselben Weise wie ehedem der abend-
ländische amictus paratus. Es kommt
nämlich ebenfalls zunächst auf den Kopf
zu liegen, und zwar so, daß der Besatz
sich von der einen Schläfe zur andern
zieht; dann wird es mittelst der Schnüre
angebunden; hierauf wird der liturgische
Mantel umgeworfen und nun das Tuch
auf die Schultern herabgelassen und kra-
genförmig um den Hals gelegt. Im syri-
schen Ritus ist zwischen Maroniten und
Jakobiten (unierten und nicht unierten)
zu unterscheiden. Bei ersteren ist das
Schultertuch, macnaftä, in allem dem
armenischen Amikt gleich. Bei letzteren
ist es in zweifacher Hinsicht von diesem
verschieden. Erstens hat nämlich der Besatz nicht i'echteckige Gestalt, sondern
die Form eines Kreisabschnittes. Dann ist das Schultertuch bei den Jakobiten
nicht Bischöfen und Priestern gemeinsam, sondern ein privilegiertes Gewand der
Bischöfe. Keinen Amikt gibt es bei den schismatischen Kopten; denn
die lange, mit Kreuzen versehene Binde (ballin, tailasan), welche die Priester
und Bischöfe derselben nach Art eines Turban so um den Kopf schlingen, daß
die Enden über die Schultern herabfallen, ist nicht ein Schultertuch, sondern
eine Kopfbedeckung. Wohl aber ist er bei den unierten Kopten in Gebrauch.
So wie er hier jetzt beschaffen ist, unterscheidet er sich in keiner Weise von dem
lateinischen Humerale. Insbesondere wird er auch wie dieses unter der Tunika
getragen. Ehedem bedeckte man jedoch mit ihm den Kopf, weshalb er mit
reichen Stickereien in Seide, Silber und Gold versehen zu werden pflegte. Nur
während des Evangeliums und des Kanons ließ man ihn auf die Schultern herab 1.
1 Nach gütigen Mitteilungen des koptischen Bischofs von Minieh. Mons. Maximos Sedfaui.
Braun, Die liturgische Gewandung. 4
Bild. 15. Schultertuch und liturgische
Stauchen im armenischen Ritus.
50 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Über die Geschichte des liturgischen Schultertuches des armenischen
Ritus läßt sich nichts feststellen. Fände es sich nur bei den Armeniern, so
ließe sich vielleicht annehmen, es sei durch die Bemühungen der sog. Unitores
im 14. Jahrhundert oder schon bei den Unionsbestrebungen im Beginn des
13. Jahrhunderts bei ihnen eingeführt worden und demgemäß dem abend-
ländischen Ritus entnommen. Allein wir treffen es auch bei den Maroniten
und Syrern, bei welch letzteren es sogar den Charakter eines spezifisch ponti-
fikalen Gewandstückes hat. Seine Heimat ist daher zweifelsohne im Orient
selbst zu suchen, und zwar hat es sich aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer
kapuzen artigen Kopfbedeckung herausgebildet, so daß es also ursprünglich
nicht eine Art Schultertuch, sondern ein Kopftuch gewesen wäre. Nerses von
Lampron erwähnt den Vakas in seiner Erklärung der göttlichen Liturgie noch
nicht; er ist ihm offenbar noch unbekannt. Aber er gedenkt auch in ihr
keiner liturgischen Kopfbedeckung. Indessen redet schon einige Jahrzehnte
früher der Katholikos Isaak in seinen Invectivae adversus Armenos 1 von einem
doppelten y.afiyjXauxwv, mit dem Bischöfe und Hegumene bei der Liturgie ihr
Haupt bedeckten, ein Brauch, den er freilich in scharfen Worten als durch-
aus unstatthaft rügt. Man wird wohl nicht fehl gehen, wenn man das eine
dieser y.ap.rjlw'r/xa als eine Art Kopfschleier auffaßt und auf dasselbe den jetzigen
Vakas zurückführt. Wenn Nerses dieser Kopfbedeckung bei Aufzählung und
Beschreibung der liturgischen Gewänder nicht gedenkt, so dürfte das darin
seinen Grund haben, daß auch er, der von der Erhabenheit der Liturgie so
durchdrungen war, jene za/uykauzia als unzulässig und als Mißbrauch ansah
und darum der gottesdienstlichen Kleidung' nicht zurechnete.
Bei den Nestorianern, welche ein Schultertuch nicht kennen, tragen
die Bischöfe noch jetzt eine Kopf hülle, biruna, von welcher Assemani sagt:
„cidaris, phrygio opere ornata, qua caput tegitur estque instar amictus latini,
quo fratres minores cucullum tegunt, dum e sacrario ad altare pergunt, litur-
giam celebraturi 2. Sie ist dieser Beschreibung zufolge allem Anschein nach
dasselbe Gewandstück wie die syrische Macnaftä und der armenische Vakas.
Auf das Alter der biruna wirft Licht, daß nicht nur Amru (ca 1340) in seiner
Geschichte der nestorianischen Patriarchen3, Ebedjesu (f 1318) in seinem Ab-
riß der Synodalkanones 4 und Barhebräus (y 1286) in seiner Chronik5 sie er-
wähnen, sondern auch schon „das Buch der Väter" (12. Jahrh.) in seiner Aus-
legung der liturgischen Gewänder von ihr spricht. Sie wird jedoch nach einer
Äußerung Georgs von Arbela (f ca 990) noch viel weiter hinaufreichen B.
Daß die Macnaftä der syrischen Bischöfe — und somit auch wohl
der Vakas der Armenier — ursprünglich in der Tat eine Kopfbe-
deckung gewesen ist, geht aus den Miniaturen eines syrischen Manuskriptes
der Pariser Nationalbibliothek7 aus dem Jahre 1239 hervor (Bild 16). Die-
selben stellen die Erteilung der heiligen Weihen dar. Dabei tragen die
Bischöfe um den Kopf eine weiße, kapuzenartige, über der Stirn mit einem
Kreuz geschmückte Hülle, wie man sie auch wohl bei den orientalischen
Mönchen, aus denen die Bischöfe genommen zu werden pflegten und pflegen,
auf den Miniaturen antrifft. Auf den Nacken zurückgeschlagen und oben mit
1 Orat. II, n. 29 (Mg. 132, 1236). 5 Ebd. II 423.
2 Ass., Bibl. III, 2, 683. 3 Ebd. 666. 6 De off. bapt. c. 4 (ebd. III, 2, 257). Der
* Pars 6, c. 6. De privilegiis monaste- Kopfschleier heißt hier maaphra.
riorum (ebd. III, 1, 343). ' f. Syriaques 112.
Erstes Kapitel. Der Amikt.
51
einer steifen Einlage versehen, wäre sie ganz dasselbe Gewandstück, welches
uns in der Macnaftä und dem Vakas entgegentritt \
Es muß auffallen, daß man bei der Macnaftä des syrischen und dem Vakas
des armenischen Ritus eine Verzierungsweise antrifft, welche uns seit
der Mitte des 12. Jahrhunderts auch. bei dem liturgischen Amikt des lateini-
schen Ritus begegnet. Ob zwischen dem eigenartigen Besatz der einen und
der Parura des letzteren eine nähere Beziehung, eine Verwandtschaft be-
steht? Der Gedanke drängt sich unwillkürlich auf. Allein so auffällig auch
die Übereinstimmung ist, so wird es sich zuletzt doch wohl nur um eine zu-
fällige Ähnlichkeit und eine nur scheinbare Verwandtschaft handeln. Ahnliche
Verhältnisse und Umstände
führen zu ähnlichen Resul-
taten. Außer der bloßen
äußeren Übereinstimmung
der Besätze fehlt es an
irgend einem weiteren An-
halt für die Annahme einer
wirklichen verwandtschaft-
lichen Beziehung derselben.
Die bloße äußere Ähnlich-
keit reicht aber offenbar
nicht aus, eine innere Be-
ziehung und Abhängigkeit
der abendländischen Amikt-
parura und des Besatzes
der Macnaftä bzw. des
Vakas mit Grund behaup-
ten zu können. Jedenfalls
stammt die Parura nicht
von einem Zierbesatz der
Macnaftä, da die Kopf-
hülle, mit der die Bischöfe
auf den Miniaturen des
vorhin erwähnten syrischen
Kodex der Pariser Natio-
nalbibliothek ausgestattet
sind, zwar ein Kreuz, aber
noch keine Spur eines pa-
ruraartigen Zierbesatzes aufweisen. Am ehesten ließe sich noch denken, es
sei die abendländische Verzierungsweise des Amiktes zunächst etwa von den
Maroniten oder Armeniern, welche infolge ihrer Beziehungen zu Rom und
zum Abendland auch sonstige Einzelheiten aus dem abendländischen Ritus
sich aneigneten, oder von beiden zugleich herübergenommen und von ihnen
dann auch zu den jakobitischen Syrern verpflanzt worden. Indessen ist das
kaum mehr als eine bloße Vermutung.
Bei den Kopten begegnet uns unter den liturgischen Kleidern im
12. Jahrhundert im Rituale des Patriarchen Gabriel ein epomis genanntes
Bild 16. Bischofsweihe. Miniatur eines syrischen
Pontifikale (1239). Paris, Bibl. Nat.
1 Auch der Name des Gewandes, identisch
mit dem hehräischen miznephet, womit der
Kopfbund des alttestamentlichen Hohenprie-
sters bezeichnet wird, dürfte darauf hinweisen,
daß das Schultertuch ehedem eine Kopf-
bedeckung war.
4*
52
Erster Abschnitt. Die liturgischen Unterge-n-änder.
Gewandstück, das der Priester über der Tunika anlegte, ehe er die Stola
und den Gürtel annahm1. Dasselbe wird auch im 14. Jahrhundert in des
Ibn Sabaa Traktat über die kirchliche Wissenschaft bei Aufzählung der
priesterlichen Kleider erwähnt2. Es handelt sich bei ihm, wie es scheint,
um das Schultertuch, welches noch jetzt bei den unierten Kopten in Gebrauch
ist, so daß letzteres nicht erst in der Folge der Union im koptischen Ritus
Aufnahme gefunden hätte.
In dem verbreitetsten aller orientalischen Riten, dem griechischen,
gibt es weder ein liturgisches Schultertuch, noch hat es jemals in demselben,
soweit sich erkennen läßt, ein solches gegeben. Man hat freilich gesagt, es
habe sich die priesterliche und bischöfliche Stola bei den Griechen aus einem
Halstuch entwickelt; doch ist das mehr behauptet als bewiesen worden.
Wäre dem wirklich so, so darf man mit Recht fragen, warum man, als man
aus dem Halstuch ein bloßes Zierstück gemacht hatte, kein anderes dafür
wieder eingeführt habe, da ja doch die Gründe für den Gebrauch eines solchen
vor wie nach dieselben blieben.
ZWEITES KAPITEL.
DER FANONE.
I. DER FANONE NACH GEGENWÄRTIGEM BRAUCH.
Dem Amikt reiht sich passend der päpstliche Fauone an, da er wie jener
ein Schultertuch ist. Wenn der Papst feierlich pontifiziert, so trägt er außer
dem gewöhnlichen linnenen Humerale noch ein zweites, ihm ausschließlich
eigenes Schultergewand, das den Namen fano, ital. fanoue, führt.
Der Fanone stellt flach ausgebreitet
ein der Kreisform sich näherndes Oval dar,
dessen größter Durchmesser ca 92 cm be-
trägt, und besteht aus zwei übereinander
liegenden Blättern Seidenstoff. Dieselben
sind nur in der Mitte, wo sich die Öffnung
für den Kopf befindet, aneinandergenäht.
Das obere Blatt ist ringsum etwa eine Hand-
breit kleiner als das untere. Mit Futter-
stoff ist der Fanone nicht versehen. Die
beiden Seidenstücke sind von weißer Farbe,
mit roten und goldenen Streifen verziert
und außerdem rundum mit einer schmalen
Goldborde eingefaßt. Auf dem Vorderteil
des Fanone befindet sich ein goldgesticktes
Kreuz; an der hinteren Seite ist im An-
schluß an die Halsöffnung des leichteren Anziehens halber ein Einschnitt
angebracht. Bänder zum Zwecke des Anbindens wie am gewöhnlichen Amikt
befinden sich nicht an ihm (Bild 17).
Die Anlegung des Gewandstückes vollzieht sich in folgender Weise.
Nachdem der Diakon den Papst mit dem linnenen Amikt, der Albe, dem
Cingulum samt Subcinctorium und dem Brustkreuz versehen hat, zieht er
Bild 17. Fanone.
1 Renaudo t, Liturg. Orient, coli. I 160.
2 Ebd. 161.
Zweites Kapitel. Der Fanone. 53
ihm den Fanone mittels der in demselben angebrachten Öffnung so über den
Kopf, daß dieser wie ein Kragen die Schultern, den Kücken und die Brust
bedeckt, und der Teil, welcher mit dem Kreuze geschmückt ist, nach vorn
gerichtet ist. Dann schlägt der Diakon die hintere Hälfte des oberen Blattes
über das Haupt des Papstes, bekleidet diesen mit Stola, Tunicella, Dalmatik
und Kasel, läßt hierauf den über den Kopf des Papstes geschlagenen Teil des
Fanone wieder herab, zieht die vordere Hälfte des oberen Blattes unter dem
Meßgewand hervor und ordnet schließlich das Ganze so um die Schultern
an, daß das Ornatstück diese wie ein Kragen bedeckt.
II. DER FANONE SEIT DEM XIII. JAHRHUNDERT.
Der Fanone war ein liturgisches Sondergewand des Papstes
schon im 13. Jahrhundert, wie Durandus und vorher schon Innozenz III. be-
zeugen. „Der römische Bischof", sagt letzterer, „legt nach der Albe und
dem Cingulum das Orale an, welches er um den Kopf wickelt und auf die
Schultern zurückschlägt; er folgt hierbei der Gepflogenheit des alttestament-
lichen Hohenpriesters, welcher über die Linnentunika und den Gürtel den
Ephod (das Schultergewand) anzog." Ähnlich lauten die Worte des Bischofs
von Mende. Das Recht, den Fanone zu tragen, war dem Papst schon damals
so ausschließlich vorbehalten , daß es, wie sich aus dem Ordo des Jakobus
Gaietanus Stefaneschi ergibt, nicht einmal den Kardinalbischöfen zustand,
sich desselben zu bedienen 1. Ja selbst der papa electus legte das Ornat-
stück erst an , wenn er sich zum Empfang der Bischofsweihe ankleidete 2,
nicht aber auch schon, wenn er sich zu dem der Priesterweihe rüstete.
In den Ordines Gregors X. , des Kardinals Gaietanus und des Bischofs
Petrus Amelii, d. i. im 13., 14. und 15. der Ordines Mabillons, heißt das
Gewandstück nicht orale, sondern wie gegenwärtig fano (fanum). Die letztere
Bezeichnung scheint die vorwiegendere gewesen zu sein. Nach den genannten
Ordines trug der Papst den Fanone bei seiner Konsekration3, bei den Feier-
lichkeiten, die sich an seine Konsekration anschlössen, und dem feierlichen
Krünungsmahl4, bei der feierlichen Messe5, bei der Fußwaschung am Grün-
donnerstag , dem sog. Mandatum 6, und dem Mahl desselben Tages 7. Am
Karfreitag bediente er sich keines Fanone 8, wohl aber wurde die Leiche des
Papstes mit ihm ausgestattet11.
Bei der Messe umgab das Gewandstück nicht bloß den Hals, sondern fiel
auch, abweichend vom gewöhnlichen Amikt, auf die Schultern, den Nacken und
den oberen Teil der Brust herab. Partem illam fanonis, quae dependet ante
pect us pontificis, aptet (cardinalis) decenter sub cruce pallii, sagt der
14. Ordo10. So sehen wir es denn auch auf den Bildwerken des 13., 14. und
15. Jahrhunderts. Bei den älteren Darstellungen pflegt sich das Orale wohl
in einem Bausch oder in einem spitzen Winkel tief über die Brust hinab-
zuziehen, während es Nacken und Schultern fast ganz unbedeckt läßt. Das ist
z. B. der Fall bei den Statuen Bonifaz' VIII. im Lateran (Bild 18, S. 54) und
1 Ordo 14, c. 48 53 (M. 78, 1153 1157). « Ordo 14, c. 84 (ebd. 1207).
- Ordo 13; n. 5 6 (ebd. 1106 1107 1108). 7 Ordo 14, c. 87; ordo 15, c. 70 (ebd. 1209
3 Ordo 13, n. 6 (ebd. 1108). 1312).
4 Ordo 14, c. 23 43 (ebd. 1133 1139). 8 Mor. XXIII 176.
5 Ordo 14, c. 47; ordo 15, c. 8 (ebd. 1151 9 Ordo 15, c. 144 (ebd. 1351).
1277). io Ordo 14, c. 47 (ebd. 1151).
54
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
;ild 18. Grabmal Bonifatius
Koni, Lateranbasilika.
VIII.
im Dom zu Florenz, bei der Grabstatue des-
selben Papstes in der Krypta von St Peter so-
wie der Grabfigur Honorius' IV. in Ära Celi.
Bei andern, namentlich den späteren Bildwerken,
bedeckt es gleichmäßig Brust, Nacken und Schul-
tern. So z. B. auf einem der Bilder des Fra
Angelico in der Kapelle Nikolaus' V. im Vati-
kan (der hl. Laurentius wird von Papst Sixtus
zum Diakon geweiht) 1, einem Gemälde Simone
Martinis (St Gregor d. Gr.) im Museo civico zu
Pisa (sala III, n. 17), dem Gewölbefresko Taddeo
Gaddis in der Sakramentskapelle von Santa Croce
zu Florenz (St Gregor d. Gr.), den Grabstatuen
Martins V. im Lateran, Sixtus' IV. (Bild 19) und
Innozenz' VIII. in St Peter u. a.
Bei den feierlichen Mahlzeiten und
dem Mandatum wurde der Fanone nach Art
einer Kapuze auf den Kopf gezogen.
Den gewöhnlichen
Amikt trug der Papst im
13. Jahrhundert, wenn er
in Pontifikalkleidung war,
außer dem Fanone nicht.
Es geht das aus dem Ordo
Gregors X. mit Bestimmt-
heit hervor. Wo darin von einer etwa vorzunehmenden
Bischofsweihe des erwählten Nachfolgers Petri die Eede
ist, heißt es: „Hat er die Hände gewaschen, so soll er
allen Schmuck anziehen, nämlich zuerst die Albe und
das Cingulum mit dem Subcmctorium, dann das Pektorale,
hierauf den Fanone, weiterhin die Stola, die Tunicella und
die Dalmatik. Ferner nimmt er die Handschuhe und end-
lich die Kasel und die Mitra. Pallium und Ring empfängt
er später zu seiner Zeit." Wie man sieht, ist hier vom
Amikt nicht nur keine Rede, derselbe wird sogar durch den
Wortlaut (allen Schmuck — zuerst) völlig ausgeschlossen 2.
Umgekehrt soll der papa electus, falls er noch zum Priester
zu weihen wäre, für die Priesterweihe mit einem Amikt
unter der Albe bekleidet sein, aber weder eine Tunicella
noch eine Dalmatik, noch die Sandalen, noch das Brust-
kreuz, noch endlich den Fanone tragen3.
Der Amikt fehlt noch am Ende des 14. Jahrhunderts
in der Pontifikalkleidung des Papstes. Es erhellt das aus
der Beschreibung, welche der Ordo des Petrus Amelii von
derselben gibt. Auch hier ist es die Albe, mit welcher
die Kardinaldiakone den Papst, der sich zur feierlichen
Nachtmesse am Weihnachtsfest rüstet, zuerst und vor allen
andern Gewändern bekleiden. Dann folgen Cinctorium
(Cingulum) und Subcinctorium, weiterhin das Pektorale und
erst an vierter Stelle der Fanone '.
Bild 19.
Grabfigur Sixtus' IV.
Eom, Peterskirclie.
(Phot. Alinari.)
1 Vgl. die Wiedergabe des Bildes weiter
unten im Kapitel : Rochett und Superpelliceum.
2 Ordo 13, n. 6 (78 1108).
3 Ebd. 1107.
4 Ordo 15, c. 8 (ebd. 1277); vgl. auch
c. 144 (ebd. 1351).
Zweites Kapitel. Der Fanone.
55
Um den Beginn des 16. Jahrhunderts trägt der Papst, wie sich das aus den An-
gaben des Christoph Marcellus in dem 1516 herausgegebenen Caeremoniale der päpst-
lichen Kapelle ergibt, Amikt und Fano zugleich '. Die Aufnahme des gewöhnlichen
Amikts in die päpstliche Pontifikaltracht muß sich demnach im Lauf des 15. Jahr-
hunderts vollzogen haben.
Zum Pluviale nahm um 1500 der Papst ebenfalls den gewöhnlichen Amikt,
nicht den Fanone 2. Wie er es vorher gehalten, ist aus den römischen Ordines
nicht ersichtlich. Nur so viel läßt sich aus ihnen feststellen, daß der Papst
dann zum Pluviale den Fanone behielt, wenn er nach der Pontifikalmesse für
irgend eine an dieselbe sich anschließende Funktion, wie z. B. die Fuß-
waschung am Gründonnerstag, unter Beibehaltung der übrigen Meßgewänder
die Planeta mit dem Mantum (dem päpstlichen Pluviale) vertauschte 3.
Über die Beschaffenheit und Form, welche das Orale im 13., 14.
und 15. Jahrhundert besaß, liegen nur wenige Nachrichten vor. Innozenz III.
schweigt von derselben ; Durandus beschränkt sich darauf, es sindon zu nennen.
Der Fanone, mit welchem einst die Leiche Boni-
faz' VIII. bekleidet worden war, bestand nach
dem bei der Eröffnung des Grabes im Jahre 1605
über den Befund abgefaßten Protokoll aus einem
höchst zarten weißen Tuch aus reiner Seide, ohne
Goldverzierung und sonstigen Schmuck. Für seine
Gestalt ist die Bemerkung von Belang, er sei
mehreremal über der Albe um die Schultern ge-
wickelt und dann über der Kasel rings um den
Hals geschlagen gewesen4. Im Inventar des
päpstlichen Schatzes aus dem Jahre 1295 werden
angeführt 4 große Oralien, welche mit je 3 Gold-
streifen an den Enden und in der Mitte und außer-
dem mit sonstigen schmäleren Streifchen verziert
waren, 14 Oralien mit breiten, roten oder grünen
Seidenstreifen an der Seite, 4 Oralien mit schwar-
zen Längsstreifen , 1 Orale mit 3 Goldstreifen
an jedem Ende und einem Goldstreifen an der
einen Seite, sowie 13 teils einfachere teils ganz
schmucklose Oralien. Nach dem handschriftlichen Caeremoniale des Paris de
Grassis bestand der Fanone zur Zeit dieses päpstlichen Zeremonienmeisters
aus Linnen, das mit Goldfäden durchwirkt war5. Das Orale, welches Papst
Sixtus auf dem vorhin erwähnten Gemälde des Fra Angelico trägt, ist mit
breiten und schmalen Längsstreifen verziert. Ähnlich das Bild Silvesters von
Cosimo Roselli in der Sistina (Bild 20). Auf dem Gemälde Simone Martinis
im Museo civico zu Pisa6 ist es mit goldenen Doppelstreifen geschmückt; meist
tritt es aber auf den bildlichen Darstellungen als einfaches weißes Tuch auf.
Ein erschöpfendes, völlig klares Bild des mittelalterlichen Fanone des
Papstes gewähren alle diese Angaben nicht ; doch war er jedenfalls nicht ein
Bild 20. Cosimo Roselli:
Papst Silvester.
Rom, Sistina.
1 L. II, c. 14.
2 Burcliard. Argent. bei Can c ellieri,
Storia de' solenni possessi, Roma 1802, 57.
3 Ordo 12, n. 25 ; ordo 14, c. 91 ; ordo 15,
c. 78 (M. 78, 1074 1210 1311).
4 Bzovius, Annal. ad 1303; XIV 51.
5 Giorgi, Liturgia Rom. Pontif. I 148. Die
Ausstattung mit Streifen wurde dem Fa-
none vielleicht in Erinnerung an den mehr-
farbigen Ephod (Schulterkleid) des jüdischen
Hohenpriesters zu teil, als dessen Abbild das
Ornatstück gelten konnte, seitdem es in Rom
päpstliches Sondergewand geworden war.
6 S. oben S. 54.
56
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergevränder.
kragenartiges Ornatstück wie gegenwärtig. Er hatte vielmehr wie der ge-
wöhnliche Amikt noch im 15. Jahrhundert die Gestalt eines Tuches. Das
beweisen die Bildwerke auf das bestimmteste. Wann der Fanone Kragenform
erhielt, läßt sich kaum näher bestimmen, da seit dem 16. Jahrhundert die
Päpste im Pluviale dargestellt zu werden pflegen. Als die Papstfiguren der
Cappella Sistina entstanden (vgl. Bild 20) und Kaffael die Stanzen ausmalte,
scheint er noch kein förmlicher Kragen gewesen zu sein ; doch war er damals
jedenfalls schon auf dem besten Wege dazu.
III. DER FANONE VOR DEM XIII. JAHRHUNDERT.
Nicht ohne Grund wurde vorhin darauf hingewiesen, daß der Papst bis
zum 15. Jahrhundert bei dem Pontifikalamt nur den Fanone, d. i. ein über
die Albe gelegtes Schultertuch, getragen, nicht aber außerdem noch unter
der Albe sich des gewöhnlichen Amikts bedient
habe. Es beweist das nämlich, daß das anagola-
gium (anagolaium, anabolagium), von dem im 1. und
3. römischen Ordo Mabillons, im S. G. K. und im
Ordo Duchesnes die Rede ist, mit dem späteren
Orale (Fanone) im wesentlichen eins ist und daß
somit dieses, wenn auch unter anderem Namen,
bereits im 8. Jahrhundert in Gebrauch war.
Nach dem 1. Ordo bekleiden die Regionarsubdia-
kone den Papst der Reihe nach mit der linea (Albe), dem
Cingulum, dem anagolaium, d. L, wie erklärend bemerkt
wird, mit dem amictus, der linnenen Dalmatik, der größeren
Dalmatik und der Planeta. Ähnlich lauten die Angaben
in dem 3. Ordo, in welchem das anabolagium nicht nur
durch amictus, sondern auch durch humerale erläutert
wird. Der S. G. K. beschreibt die päpstliche Sakralklei-
dung wie folgt: In primis cam.(isia) et cingitur supra.
Dein linea cum cottis, serica et cingulum. Post haee
Bild 21. Papst Innozenz II.
Vom Apsidalmosaik in S. Maria
in Trastevere. (Nach Photographie.)
mittitur anagolagi; exinde dalmatica minore, postea
maiore dalmatica et supra orarium. Post haec planeta et
supra mittitur pallium. Die camisia bedeutet eine Art Rochett, die linea die Albe.
Was cum cottis, serica besagt, ist unklar *. Das anagolagi ist offenbar das anagolaium
des 1. und das anabolagium des S. Ordo. Wie aus den drei Stellen hervorgeht, trug
der Papst im 8., 9. und 10. Jahrhundert nur ein Schultertuch über der Albe, aber
keines unter ihr, gerade wie es noch im 13. und 14. Jahrhundert der Fall war. Es
kann also nicht zweifelhaft sein, daß das anagolagium des 1., 3. und 5. Ordo und
der spätere Fanone ein und dasselbe Gewandstück darstellen.
Beachtenswert ist indessen, daß im Gegensatz zum Orale des 13. Jahr-
hunderts das Schultertuch des 1. und 3. Ordo sowie des S. G. K. noch kein
dem Papst ausschließlich vorbehaltenes Ornatstück war 2.
Wann zu Rom bei den andern Bischöfen, den Priestern, Diakonen und
Subdiakonen die Sitte aufkam, das Schultertuch eher als die Albe anzulegen,
mit andern Worten, wann das anagolagium dort zu einem dem Papst vor-
behaltenen Gewandstück, also zum päpstlichen Orale oder Fanone wurde, ist,
wie früher gesagt wurde, nicht genau festzustellen; der Wechsel muß sich
1 Statt des unverständlichen cum cottis, serica ist vielleicht cum costis sericis, mit seidenen
Besatzstreifen zu schreiben. s Vgl. oben S. 23 f.
Drittes Kapitel. Die Albe.
57
in der Zeit zwischen dem 10. und Ende des 12. Jahrhunderts vollzogen haben.
Auf den Mosaiken der Apsis in S. Maria in Trastevere ist Papst Innozenz II.
(1130 — 1143), der Stifter des Bildwerkes, mit einem weißen Schultertuch
dargestellt, das rings um den Hals über der Planeta gelagert ist (Bild 21).
Ob damals schon das anagolagium zum Orale geworden war ? 1
Die Frage nach dem Ursprung des römischen anagolagium, des Vor-
läufers des späteren Orale (Fano) und jetzigen päpstlichen Fanone, kann hier
übergangen werden. Da es Schultertuch war, gilt von ihm in dieser Hinsicht,
was über die Entstehung des liturgischen Amikts gesagt wurde.
DRITTES KAPITEL.
DIE ALBE.
I. DIE ALBE IN DER GEGENWART.
Die Albe ist eine Tunika, d. h. ein mit engen Ärmeln und einem Durch-
schlupf für den Kopf versehenes, vorn geschlossenes, sackartiges Gewandstück.
Wie der Amikt muß sie kraft des Dekretes vom 18. Mai 1819 aus
weißem Linnen oder Hanfstoff gemacht werden. Das gilt jedoch nur
von der Albe selbst, nicht aber von den
Besätzen oder Spitzen, mit denen
sie etwa verziert wird. Es ist weder
verboten, eine Bordüre aus Seidenstoff
am Saum oder den Ärmeln des Gewan-
des anzubringen, noch mittels Seide
oder Baumwollengarn einen Zierstreifen
dem Albenrand einzusticken, noch end-
lich selbst, mit Spitzen aus Baumwolle
das Gewand zu verzieren, wiewohl
solche keineswegs hier empfohlen wer-
den sollen. Über die sonstige Be-
schaffenheit und die Breite der Spitzen
und Besätze gibt es ebenfalls keine
bestimmten kirchlichen Vorschriften. Es
muß darüber außer dem Brauch und
der gebührenden Bücksicht auf den
Ernst des Gottesdienstes und die Natur
des Gewandes vornehmlich der gute
Geschmack entscheiden 2. Spitzen dürfen
nach neueren Entscheidungen der Riten-
kongregation mit farbigem Stoff unter-
legt werden, damit sie besser wirken 3.
Im Mittelalter versah man (seit etwa dem 12. Jahrh.) die Alben am
Saum und auch wohl an dem Ärmelrand nicht sowohl mit durchlaufenden
Besätzen, als vielmehr mit kurzen Zierstücken, die bei den Ärmeln auf der
Bild 22. Mit Besätzen verzierte Albe nach
ambrosianischem Ritus.
1 de Rossi, Musaici fasc. VII und VIII.
2 Über die Beschaffenheit der Albenbesätze
und Spitzen findet sich Näheres in Braun,
Winke 34 f.
3 C. R. 12. Juli 1892 und 24. November
1899 (Decret. auth. n. 3780 4048). Es steht
also auch nichts im Wege, farbige Stickereien
am Saum der Albe anzubringen.
58
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
oberen Hälfte, beim Saum aber in der Mitte der Vorder- und Rückseite an-
gebracht waren. Gegenwärtig ist diese Verzierungsweise des Gewandes nur
noch in Mailand (Bild 22, S. 57) und einigen Kirchen Spaniens in Gebrauch1.
Doch hat man in neuester Zeit versucht, sie auch anderswo wieder einzuführen
(Bild 23).
Bezüglich der Maß verhält nisse der Albe gibt es keine allgemein gültigen
kirchlichen Bestimmungen. Die Verordnung, welche der hl. Karl betreffs der-
selben erließ2, war, obwohl von Rom approbiert, nur partikulärer Natur; ihre
Geltung ging nie über den Rahmen eines Diözesan- bzw. Provinzialdekretes
hinaus. Obendrein wird sie
selbst nicht einmal in Mai-
land mehr in allem beob-
achtet. Die Maße aber,
welche Gavanti für die Albe
angibt, sind lediglich dem
Mailänder Synodalstatut ent-
nommen, also nicht einmal
die seinerzeit in Rom üb-
lichen3. Auch sind dieselben
niemals von der kirchlichen
Autorität für maßgebend er-
klärt worden.
Genaue Maße lassen sich
überhaupt für das Gewand
nicht angeben, da dieselben
zu sehr durch die Größe des-
jenigen bedingt sind, welcher
das Gewand zu benutzen
hat. Für die Länge bietet
einen ungefähren Anhalt die
Bemerkung des Missale, es
solle die Albe, wenn ge-
gürtet und aufgeschürzt,
ringsum gleichmäßig etwa
eine Fingerbreite vom Boden
3 abstehen (in latitudinem di-
giti vel circiter super terram
' aequaliter fluat). Für ge-
wöhnlich dürfte zu dem
Ende eine Durchschnittslänge von 1,50 — 1,60 m völlig ausreichen. Die Weite
der Albe muß der Art sein, daß sowohl das Schreiten und Knien ohne Be-
schwerde und ohne Beschädigung des Gewandes erfolgen, als auch ein schöner
Faltenfluß sich bilden kann. Für beides genügt es, wenn die Alben einen
Bild 23. Albe von mittelalterlicher Form und Verzierun
(Geai-beitet von f Frl. J. Nellessen zu Kornelimünster.)
1 Die Photographie der Albe verdanke
ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Can.
Dr M. Magistretti zu Mailand.
2 A. E. Med. 626.
3 Gav. II v; II 272. Die Maßverhält-
nisse, wie sie in der Verordnung des hl. Karl
und bei Gavanti sich finden, können nicht
einmal als Norm empfohlen werden. Die ge-
wöhnliche Albe soll nach beiden 16 Ellen,
d. i. 7 — 8 m weit sein, gewiß des Guten zu
viel. Eine mit Zierbesätzen versehene Albe
braucht nach dem Mailänder Statut dagegen
nur 4 Ellen, also nur ca 2 m Umfang zu
Drittes Kapitel. Die Albe. 59
Umfang von ca 3,20 m besitzen, eine Weite, die sie denn auch heute ge-
wöhnlich erhalten.
Was den Schnitt der Alben betrifft, so ist heutzutage diejenige Form
wohl die gewöhnlichste, bei welcher der Albenkörper einen überall gleichweiten
Sack darstellt. Die am oberen Ende zum Zweck eines guten Sitzens des Ge-
wandes nötige Verengerung erreicht man bei ihr dadurch, daß man den Alben-
stoff oben an dem Durchlaß für den Kopf nach Bedürfnis einkräuselt. Von
ganz anderem Schnitt ist eine zweite, der mittelalterlichen Albe nachgebildete
Albenform, die sog. Girenalbe, während eine dritte Albenart, die sog. Spatel-
albe, eine Vermittlung zwischen dieser und der erstgenannten Albenform
darstellt a.
Die Albe kommt den Bischöfen, Priestern, Diakonen und Sub-
diakonen zu, sie kann indessen auch von den Minoristen getragen werden,
wenn auch das den letzteren eigentümliche Gewand nicht die Albe, sondern
das Superpelliceum ist. Gebraucht wird sie für gewöhnlich nur bei der Messe
und den damit in Verbindung stehenden Funktionen. Bei andern wird sie
in der Regel durch das Superpelliceum ersetzt.
Gegenstand einer besondern Zeremonie bei einer der heiligen Weihen
ist die Albe nicht. Die mystische Deutung, welche die Kirche mit ihr
verknüpft, erhellt aus dem Gebet, welches der Priester bei Anlegung des
Gewandes zu sprechen hat: „Mach mich weiß und reinige mein Herz, o Herr,
auf daß ich geläutert im Blute des Lammes die ewigen Freuden genießen
möge." Rein soll der Priester sein, wenn er zum Altar tritt, um denjenigen
zu empfangen, den er einst, geläutert eben durch das Blut des Lammes, das
er beim heiligen Mahl genießt, im Himmel in ewig seligem Jubel zu schauen
hofft und verlangt.
II. NAME DES GEWANDES.
Bei den Liturgikern des Mittelalters, in den römischen Ordines, den
mittelalterlichen Inventaren usw. begegnen wir einer mehrfachen Benennung
des Gewandes. Bald heißt es in Anbetracht des Materials, aus dem es an-
gefertigt ist, einfach linea, bald mit Rücksicht auf den Stoff und den Charakter
des Gewandes tunica linea, bald, weil es bis auf die Füße oder bis zu
den Knöcheln reicht, also der Länge wegen, poderes, talaris oder tunica
talaris, bald wieder, vielleicht im Anschluß an eine Äußerung des hl. Hie-
ronymus, camisia, bald endlich um der Farbe willen alba. Die Bezeich-
nung alba romana, die uns hie und da begegnet, bedeutet, wo damit eine
wirkliche Albe gemeint ist, entweder eine zu Rom gebräuchliche Albenform
oder besagt nur, daß es sich um Alben handelt, die aus Rom gekommen
waren. Von den verschiedenen Namen, mit denen ehedem das zweite litur-
gische Gewand bezeichnet wurde, hat sich fast nur das Wort alba im kirch-
lichen Gebrauch erhalten.
Es ist bemerkenswert, daß das Wort alba, welches in der Vita Claudii c. 14
und c. 19 des Trebellius Pollio zur Bezeichnung einer profanen Tunika angewandt
wird, als Terminus eines liturgischen Gewandes zuerst in Afrika, Spanien und Gallien
auftritt. In Eom scheint es bis zum 2. Jahrtausend, wie aus dem 1. und 3. Ordo
Mabillons und dem S. G. K. hervorgeht, als Name unserer Albe nicht oder kaum in
Brauch gewesen zu sein. Diese hieß hier linea oder camisia. Der Zusatz : quam dicimus
Näheres über den Schnitt der drei Albenarten in Braun, Winke 31 ff.
60
Erster Abschnitt. Die liturgischen TJntergewänder.
albam, der in dem 3. Ordo bei Aufzählung der Pontifikalgewänder irrig statt der linea
der dalmatica linea angefügt wurde, ist ersichtlich nur Glosse des Kopisten. Später er-
scheint freilich auch in der römischen Kirche das Wort alba als Name des Gewandes.
Es muß schon zu Innozenz' III. Zeit daselbst mit Vorzug so geheißen haben. Jeden-
falls war gegen Ende des 13. Jahrhunderts zu Rom alba die vorherrschende Bezeichnung,
wie dies bestimmt aus dem 13., 14. und 15. Ordo Mabillons hervorgeht. Überall heißt
das Gewand darin alba. Wo einer camisia gedacht wird, ist stets die Rede von der
außerliturgischen linnenen Tunika, dem jetzigen Rochett. Im Italienischen hat sich
jedoch bis jetzt der alte Ausdruck camisia in der Umbildung camice als Albenname
erhalten. Der Benennung des Gewandes in den meisten übrigen Sprachen liegt das
Wort alba zu Grunde (deutsch Albe, französisch aube, englisch alb, spanisch alba).
Übrigens ist wohl zu beachten , daß der Ausdruck alba im Mittelalter noch
keineswegs bloß für das sakrale Gewand gebraucht wurde, welchem dieser Name
gegenwärtig ausschließlich zukommt. Im spanischen und gallikanischen Ritus be-
zeichnete man mit ihm die liturgische Tunika der Diakone und der Lek-
toren. Es geschieht das z. B. in der gallikanischen Meßerklärung und im 28. Kanon
der vierten Synode von Toledo '. Später verstand man unter alba nicht selten die Tuni-
cella, das Amtskleid des Subdiakons, wohl wegen der engen Ärmel, welche dieselbe
gewöhnlich mit der Albe im Sinne der camisia gemeinsam hatte. So wird z. B. in
des Beroldus Ordo für S. Ambrogio in Mailand aus der ersten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts die subdiakonale Tunika regelmäßig alba genannt. Selbst die rote dia-
konale Tunika, deren sich die Diakone beim Absingen der Passion bedienten,
heißt darin alba (rubea) 2. Auch in dem Ordo romanus officiorum totius anni,
wie er im 11. und 12. Jahrhundert weit verbreitet war, wird die Tunika des Sub-
diakons mit alba bezeichnet s. Teils bischöfliche, teils diakonale oder subdiakonale
Tuniken waren wohl die alba nigra cum minutis lineis aureis aus der Hinterlassen-
schaft des Bischofs Galfried von Durham (f 1140) und die 10 albae briulatae (bestickt),
welche aus dem Nachlaß des Bischofs Hugo (f 1195) der Kathedrale zufielen, darunter
eine rubea cum aquilis deauratis, duo capita habentibus in parvis rotis, eine alba magna
viridis cum griffonibus, eine alba indici coloris cum griffonibus, leonibus et floribus
in parvis rotis, eine alba viridis cum apostolis, eine alba nigra cum largis orariis
(Saumbesätzen) deauratis 4. Denn es scheint nicht, daß in diesen Fällen, wie das
allerdings sonst in den Inventaren hie und da vorkommt, die Alben lediglich wegen
der Farbe und Beschaffenheit der Besätze als nigrae , brudatae usw. bezeichnet
werden5. Die in einem Inventar von Peterborough aus dem Jahre 1539 erwähnten
7 albes called ferial black, 40 blue albes of divers sortes, 27 red albes for Passion
week waren entweder Alben mit Paruren oder wohl richtiger Tuniken für Akolythen,
Ministrantenröcke G, wie deren z. B. in einem Inventar des Mainzer Domes aus
der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aufgeführt werden : Multae tunicae diversorum
colorum videlicet rubei, virides et violacei coloris, virgulatae, crocei, albi coloris,
quibus utebantur ministri altarium et acolythi et chrismatis portatores. In einem
Inventar von Angers begegnen uns solche unter dem Namen dalmaticae pro pueris 7.
! Hard. III 586.
2 Mur., Ant. IV 867 891 896 899.
3 Hitt. 61 76. Man vergleiche auch das
Pontifikale von Besancon bei Mart. 1. 4,
c. 22 ; III 109, das Pontifikale von St-Germain-
des-Pres (ebd. III 114), ein Kölner Pontifi-
kale der Vaticana (Ottob. Cod. 167) u. a.
■' Vgl. auch die Hinterlassenschaften der
Bischöfe Philipp (f 1208), Richard IL (f 1237):
2 albae, una nigra brudata cum vinea, in
qua sedent aves et alia de serioo non bru-
data, Anton (f 1310); 3 albae de uno panno
aureo indici coloris cum ramis arborum et
floribus et aviculis super ramos et flores
consedentes. (Raine, Durham wills I 1 ff).
5 So sind z. B. in dem Würzburger Inven-
tar von 1448 unter den darin aufgeführten
„grünen" Alben mit ihren Umbralen nach
dem Zusammenhang Alben mit „grünen" Schii-
ten (Paruren) zu verstehen.
c Tunicellen sind jedenfalls nicht gemeint,
da diese in dem Inventar tunicles genannt
werden.
7 Revue 1886, 176. Vgl. auch ebd. zu einem
Inventar von Rouen p. 464, nota 4, ferner das
Inventar von St Paul zu London von 1245:
Drittes Kapitel. Die Albe. 61
Es gibt da weiise, rote, grüne, schwarze usw. Dalmatiken für die Chorknaben. In
Spanien waren an verschiedenen Orten noch bis in die neueste Zeit dalmatikartige
Obergewänder bei den Akolythen in Gebrauch.
Es ist wichtig, auf die verschiedenen Bedeutungen zu achten, welche das Wort
alba hat. Nicht überall, wo eine alba genannt wird, ist die Albe in dem heutigen
Sinne gemeint. Man wird daher in den einzelnen Fällen nachzusehen haben, was
dem Zusammenhang nach darunter verstanden werden muß und zwar gilt das ebenso-
wohl für das späte Mittelalter als auch schon für die ältere Zeit. Andernfalls wird
man sich unvermeidlich der Gefahr aussetzen, der Albe in Beziehung auf Stoff und
Farbe Eigenschaften beizulegen, welche sie nicht oder nur ausnahmsweise und gegen
den gewöhnlichen Brauch hatte oder Stellen auf sie zu beziehen, die zwar von einer
alba, nicht aber von unserer Albe reden.
Es verdient hervorgehoben zu werden , daß der jetzige Name des Ge-
wandes ursprünglich nicht im römischen Ritus in Gebrauch war und daß er
unter Verdrängung der einheimischen Bezeichnung von auswärts in Rom ein-
geführt wurde. Es ist derselbe Vorgang, den wir schon hinsichtlich der Be-
nennung des Schultertuches sich abspielen sahen, ein Vorgang, der auch bei
den Namen verschiedener anderer liturgischen Gewänder wiederkehrt. Rom
hat sich in liturgischen Dingen nicht bloß gebend, sondern auch nehmend
verhalten. Es gab dem Abendland seine eigenen Kultgewänder, es nahm
aber dafür im Laufe der Zeit von ihm die Namen derselben unter Aufgabe
der ursprünglich römischen an.
III. DIE ALBE IN KAROLINGISCHER ZEIT.
Von der Geschichte der Albe oder der liturgischen, d. h. den gottes-
dienstlichen Funktionen allein vorbehaltenen Tunika wissen wir für die acht
ersten Jahrhunderte im ganzen nur wenig. Es empfiehlt sich daher, bevor wir
unsern Blick der vorkarolingischen Zeit zuwenden, uns mit dem Stande der
Dinge im 9. Jahrhundert zu beschäftigen.
Im 9. Jahrhundert war unzweifelhaft eine liturgische Tunika im Sinne
unserer heutigen Albe sowohl in Rom wie überall, wo der römische Ritus
Aufnahme gefunden hatte, in Gebrauch. Es ergibt sich dies aus den Angaben
eines Hraban, eines Amalar von Metz, eines Theodulf von Orleans1, eines
Walafried Strabo, aus dem 1. und 3. römischen Ordo, dem S. G. K., aus den
Sakramentaren und Pontifikalien jener Zeit2, aus der „ Synodal ermahnung",
den Statuten Riculfs von Soissons und Reginos Schrift De ecclesiae disciplina3.
„Keiner", schreibt die Synodalermahnung vor, „feiere ohne Albe die Messe."
Riculf will, es solle der Priester für die Feier des heiligen Opfers eine oder
zwei Alben bereit halten. Nach Regino hat der Bischof bei der Visitation
sich zu erkundigen, ob man sich unterfange, ohne Albe oder in der Alltags-
albe die Messe zu halten.
In fast allen der angeführten Belege ist nur von der priester liehen
und bischöflichen Albe die Rede. Daß die als Cantores fungierenden
Kleriker diese bei Ausübung ihres Amtes trugen und der Subdiakon bei Ab-
lesung der Epistel mit ihr versehen war, sagt uns Amalar4. Als Bestand-
7 dalmaticae puerorum, das von St Arne zu 2 Vgl. z. B. Mart. 1. 1, c. 4, art. 12,
Douai (13. Jahrhundert) octo tunicae puerorum ordo 5 ff, I 186 ff.
neben 11 albae puerorum, die Consuetudines 3 De discipl. eccl. inquisitio n. 66 und 1. 1,
von Farfa (ed. B. Albers, Stuttgart 1900) can. 80 (M. 132, 190 207).
10 14 und sonst (vgl. Ind. III sub tunica) u. a. " De eccl. offic. 1. 3, c. 4 15 (M. 105, 1107
1 Carm. 1. 5,n.3. Par. ad episc. (M. 105355). 1122).
62
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
teil der liturgischen Kleidung aller Ordines, des Papstes, der Bischöfe,
der Priester, der Diakone, der Subdiakone und sonstigen Kleriker erscheint
die Camisia im St Gallener Kleiderverzeichnis. Auch auf einer höchst inter-
essanten Miniatur des der Mitte des 9. Jahrhunderts angehörigen Sakramentars
von Autun 1, welche die verschiedenen Weihestufen in der ihnen eigenen litur-
gischen Kleidung darstellt, tragen nicht nur der Bischof und Priester, sondern
auch der Diakon und Subdiakon, Akolyth und Lektor, Exorzist und Ostiarius
die Albe (Bild 24). Ebenso gewahrt man auf den Elfenbeintafeln der Deckel
des bekannten Drogosakramentars und auf seinen Miniaturen diese nicht bloß
beim Bischof, sondern auch bei den übrigen Klerikern 2. Die Albe war sonach
zur Karolingerzeit ein allen Ordines zukommendes liturgisches Gewand, ohne
das keiner der am Gottesdienst Beteiligten, vom opfernden Papst oder Bischof
an bis zum letzten Kleriker, am Altare erscheinen durfte.
Es ist indessen
nicht außer acht zu
lassen, dal man im
9., ja selbst 10. Jahr-
hundert unter „Albe"
nicht nur die zur li-
turgischen Kleidung
gehörende Linnentuni-
ka, sondern auch den
entsprechenden B e-
standteil der ge-
wöhnlichen kleri-
kalen Tracht ver-
stand. Es scheint aber,
daß man sich in der
Praxis mißbräuchlich
dieser außerliturgi-
schen Albe nicht sel-
ten statt der litur-
gischen bediente bzw.
es sich bei der Messe mit der Alltagsalbe genug sein ließ. Es bestimmt nämlich
im Jahre 889 Eiculf von Soissons : „Wir untersagen aber allerwegen, daß man sich
jener Albe bei der Feier der heiligen Geheimnisse bediene, die man im Alltags-
leben anzieht." Auch die „Synodalermahnung" sagt: „Niemand soll sich vermessen,
in der Albe die Messe zu singen, die er für gewöhnlich trägt." Dementsprechend
soll auch, wie bereits gesagt wurde, nach Eegino von Prüm (f 915) der Bischof
bei der Visitation sich erkundigen, nicht nur ob der Priester ohne Albe, sondern auch
oh er in seiner Alltagsalbe die Messe zu singen sich unterfange. Allerdings erhellt
aus diesen Verordnungen nicht minder, daß die maßgebende kirchliche Auffassung im
9. und 10. Jahrhundert sehr wohl zwischen der Albe, die im Dienst des Kultus stand,
und derjenigen des Alltagslebens, wie sehr dieselben auch im übrigen einander gleichen
mochten, unterschied und die praktische Nichtbeachtung dieses Unterschiedes als
Mißbrauch betrachtete.
Bild 24. Subdiakon und Minoristen. Miniatur eines Sakramentars
in Autun (9. Jahrb.).
1 Das Sakramentar befindet sich im Besitz
des Seminars von Autun (Ms. n. 19 bis).
Delisle, Mem. 96. Abbildungen der Minia-
tur schon bei Gerbert, Vetus liturgia
alleman. I 264, und Itealenc. II 556; seitdem
genauer bei Roh. I, pl. VII und neuestens bei
Wilp., Cap. 77.
2 Bibl. nat. f. lat. 9428. Abbildungen bei
Cahier, Miniatures 116 ff und Roh. I,
pl. IV ff. Man vergleiche unter anderm auch
die Reliefs des Palliotto in S. Ambrogio zu
Mailand (Abbildung bei Roh. I, pl. VIII).
Über das Alter des Palliotto vgl. Stimmen
aus Maria-Laach LVII (1899) 311 ff.
Drittes Kapitel. Die Albe. 63
IV. DIE ALBE IN VORKAROLINGISCHER ZEIT.
Die Schwierigkeit, welche diese Epoche für die Geschichte der Albe
bietet, betrifft nicht den Nachweis, daß man damals bei der Liturgie sich
überhaupt einer Tunika bedient habe, sondern daß bereits eine liturgische,
d. i. einzig für die gottesdienstlichen Verrichtungen bestimmte
Tunika in Gebrauch gewesen sei, die bei andern Gelegenheiten zu benutzen
als ungeziemend und unstatthaft galt. Nicht jedes Gewand, das beim Gottes-
dienst getragen wird, ist ja darum auch schon ohne weiteres ein litur-
gisches Gewand. Andernfalls würde ja auch die Soutane oder die vestis
talaris, mit welcher der Priester bei der Messe unter der Albe nach der
Vorschrift des römischen Missale bekleidet sein soll, zur Sakralgewandung
zählen. Was ein Obergewand (Kasel, Dalmatik) oder Untergewand (Tunika)
zu einem Sakralkleid macht, ist die ausschließliche Bestimmung für liturgische
Funktionen. Aber auch aus dem Umstand, daß das Obergewand liturgischen
Charakter hat, folgt noch nicht sofort das gleiche für das Untergewand, da
ein liturgisches Obergewand keineswegs notwendig als Ergänzung ein sakrales
UntergeAvand fordert.
Daß es von jeher und nicht bloß erst seit dem 4. Jahrhundert Brauch
Avar, bei der Feier der Liturgie sich einer Tunika zu bedienen, ist zu selbst-
verständlich, als daß solches auch nur im geringsten zweifelhaft sein könnte.
War doch die Tunika das allernotwendigste und unentbehrlichste GeAvand-
stück, das Allerweltskleid , dessen sich jedermann, hoch Avie niedrig, arm
wie reich im gewöhnlichen Leben zu bedienen pflegte. Ein ObergeAvand trug
man nicht immer, namentlich nicht zu Hause oder bei der Arbeit. Auf das
UntergeAvand aber verzichtete, abgesehen von den Leuten, deren Beschäftigung
eine Beschränkung der Kleidung auf den Leibschurz oder etwa einen um den
Unterkörper geschlungenen Mantel mit sich brachte, kaum jemand anders
als Bettler und geAvisse Philosophen. Freilich sollte man, nach den zahl-
reichen nackten oder halbbekleideten Figuren der antiken BildAverke zu ur-
teilen, glauben, eine Tunika sei bei den Alten nicht eben ein großes Be-
dürfnis gewesen. Indessen galten die Grundsätze der antiken Ästhetik
glücklichenveise nicht auch im Alltagsleben. Man trug sogar, wenn die
Witterung oder die körperliche Verfassung solches erheischten, eine innere
und eine äußere Tunika oder gar mehrere. So Avissen Avir z. B. aus Sueton,
daß Augustus sich im Winter außer mit einer Toga aus dickem Stoff noch
mit vier Tuniken, einem Hemd und einer Wolljacke bekleidete K Mögen auch
die meisten genügsamer geAvesen sein, die paradiesischen Zustände, Avie sie
auf den Bildwerken uns entgegentreten, entsprachen gewiß nicht dem realen
Leben. Überall, avo dieses dargestellt wird, fehlt die Tunika nimmer. Daß
insbesondere in kälteren Gegenden ein Untergewand dringendstes Bedürfnis
war und zum eisernen Bestand der Kleidung gehörte, liegt auf der Hand.
Die Anschauung der Christen hinsichtlich des Gebrauches der Tunika
erhellt deutlich aus den Fresken der römischen Katakomben. Es sind nur
ganz bestimmte Persönlichkeiten, wie z. B. Jonas, oder allegorische Wesen,
welche ohne Kleider auftreten. Bloß ein Lendenschurz kommt einmal bei
Johannes dem Täufer und einigemal bei Daniel vor2. Die sog. Philosophen-
tracht, das unmittelbar ohne Tunika über dem Leibe getragene Pallium, bei
1 Aug. 82. 2 Wilp., Gew. 5; Sakr. 19; Kat. 69.
64 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untei-gewänder.
"welchem der rechte Arm, die rechte Schulter und teilweise auch die rechte
Seite des Körpers sichtbar blieb, kommt nur sehr vereinzelt vor, und zwar
außer bei dem Propheten Isaias auf der bekannten Darstellung der Mutter
Gottes in S. Priscilla auffallenderweise bloß in zweien der sog. Sakraments-
kapellen in S. Callisto 1. Es sind dort - - und zwar entgegen der sonstigen
Gewohnheit — Moses, Christus und ein Heiliger so dargestellt ; daß hier das
Obergewand ohne eine Tunika auftritt, mag eine Reminiszenz an Gepflogen-
heiten der profanen Kunst sein, wie eine solche auch sonst wohl in der alt-
christlichen Kunst sich bemerklich macht.
Im übrigen fehlt auf den Grabgemälden der Katakomben nie die Tunika,
Dieselbe ist bald gegürtet, bald ungegürtet, bald kurz, bald länger, bald
ärmellos, bald mit kurzen, bald mit langen Ärmeln versehen, bald eine exomis,
welche die rechte Schulter freiließ, bald von gewöhnlicher Form, je nachdem
es dem Brauch der Zeit, in welcher die Bildwerke entstanden, oder dem
darzustellenden Gegenstand entsprach2. Dieselbe Wahrnehmung wie die
Katakombengemälde gestatten im wesentlichen auch die andern christlichen
Monumente der drei ersten Jahrhunderte. Unter solchen Umständen ist es
klar, daß, wenn irgend jemand, dann sicher der christliche Liturg bei der
Darbringung des heiligen Opfers stets, und nicht erst in nachkonstan-
t in i seh er Zeit, sich einer Tunika bediente. So weitherzig und so wenig
feinfühlend man auch in der antiken Welt in mancher Beziehung in Sachen
des Anstandes gewesen sein mag, es wäre unter normalen Verhältnissen un-
zweifelhaft als grobe Ungehörigkeit betrachtet worden, hätte ein Bischof nur
im Pallium ohne Tunika, die rechte Seite mitsamt der Schulter und dem Arm
entblößt, den heiligen Dienst verrichtet.
Wirklich gewahren wir auf den freilich wenig zahlreichen liturgischen Dar-
stellungen, welche uns auf den Sepulkralgemälden begegnen, unter der Pänula bzw.
dem Pallium überall die Tunika, so bei der Einkleidung einer gottgeweihten Jungfrau,
in S. Priscilla an der alten Via Salaria 3 und einigen Taufdarstellungen '. Auch die
Statue des Hippolytus, um von andern Darstellungen, wie z. B. den Papstbildern auf
den Goldgläsern abzusehen, zeigt eine Tunika unter dem Pallium. In der sog. Kon-
sekrationsszene 5 in einer der Sakramentskapellen von S. Callisto soll allerdings ein
Priester in der Philosophentracht auftreten 6. Allein gibt denn wirklich dieses Fresko
die Darstellung der Konsekration wieder? Weist nicht vielmehr der Umstand, daß
auf dem Tisch, neben welchem rechts die weibliche Orans, links die männliche Person
im Philosophengewand steht, nur Brot, nicht aber auch Wein sich findet, samt der
Haltung und dem Gestus des sog. Liturgen die Deutung des Bildes auf den Wandlungs-
moment entschieden ab? Es kann das Fresko nicht einmal als realistische Wiedergabe
der Austeilung der heiligen Kommunion gelten. Denn auch in diesem Falle würde
man auf dem Tische neben der Brotsgestalt die des Weines erwarten, da ja ehedem
die Himmelsspeise den Gläubigen unter beiden Gestalten gereicht wurde. Die Dar-
stellung hat vielmehr , wie auch die Orans beweist , durchaus einen symbolischen
Charakter. Sie will zum Ausdruck bringen, daß der Heiland der gläubigen Seele, hier
durch die Verstorbene als Orans symbolisiert, sich selbst als das Brot des Lebens
zur Speise gibt. Darum auch der Fisch neben dem Brote auf dem Tische. Oder aber
es soll, wie Wilpert meint, in freier Weise natürlich, Christus dargestellt werden, wie
er das Wunder der Vermehrung an einem Eisch und einem Laib Brot wirkt. Daß
1 Ebd. 11 bzw. 19 u. 74. * Wilp., Kat. 260.
2 Wilp., Kat. 65 ff und Gew: 1 ff. 5 Abbildungen bei Kraus, Roma sotter-
3 Abbildung in W i 1 p. , Die gottgeweihten ranea 2 Tat'. VIII, und G a r r. Taf. 7, besser bei
Jungfrauen Tl 1 und besser in Wilp., Wilpert, Kat. Taf. 41 und Sakr. 17.
Kat. Taf. 79. c Kraus a. a. 0. 314 f; Realenc. II 179.
Drittes Kapitel. Die Albe.
65
hierbei der Fisch und das Brot auf einem Tisch liegen, soll andeuten, daß durch das
Wunder symbolisch die Konsekration dargestellt werde '.
Allerdings ist richtig, daß etwa in der Zeit von 150 bis 250 hie und da bei
Geistlichen die Philosophentracht, d. i. ein Pallium ohne Untertunika, in Gebrauch kam.
Am häufigsten scheint das im Osten geschehen zu sein, wenngleich wir nur von
wenigen bestimmten Fällen wissen. So nahm z. B. der alexandrinische Presbyter
Herakles die Philosophengewandung an 2. Im Abendlande dürfte die Philosophentracht
kaum Verbreitung gefunden haben 3.
Jedenfalls folgt daraus, daß einige Geistliehe im Alltagsleben sich des Palliums
ohne Tunika bedienten, nicht auch schon, dafs dieselben je in diesem Anzug an den
Altar getreten seien. Und wenn zuletzt die absolute Möglichkeit, dafs der eine oder andere
das aus falsch verstandener Aszese oder aus Philosophendimkel wirklich getan, nicht
verneint werden kann — denn was ist nicht alles schon vorgekommen — , ein Beweis,
daß tatsächlich solches geschehen sei, ist nicht zu erbringen. Es ist denn doch allzu
kühn, aus des Eusebius Äußerung betreffs des hl. Justinus : 'Iougtivo? sv cptXoco'tpcuv
cr/rjJ.aT! -fjiTjji'Jtov tov ilsiov Aofov xai toi;
Iva7<i>v[£o|Asvo; tjuffpap-p-atjiv *,
auf eine liturgische Verwendung der Philosophentracht bei der Liturgie zu schließen.
Abgesehen davon, daß es bekanntlich mehr als fraglich ist, ob Justinus überhaupt
je Priester war, sind denn doch das Wort Gottes verkünden und das heilige Opfer
darbringen zwei grundverschiedene Dinge. Noch heute kann man das erste ohne
alle sakrale Kleidung tun. Wirklich will Eusebius auch nur sagen, der hl. Justinus
habe als Philosoph die göttliche Wahrheit gepredigt.
Als der hl. Cyprian (f 258) zum Tode geführt wurde, war er nach den Pro-
konsularakten mit einer Untertunika (linea), einer Obertunika (dalmatica, tunica) und
dem Mantel (lacerna, byrrus) bekleidet b. Es war das, wie aus dem Zusammenhang
hervorgeht, seine gewöhnliche Kleidung. Es liegt aber auf der Hand, daß der Heilige
bei der Feier der heiligen Geheimnisse nicht weniger Gewänder angezogen hat wie
im Alltagsleben.
Daß man also in vorkonstantinischer Zeit auch eine Tunika bei der Feier
der heiligen Geheimnisse getragen, kann vernünftigerweise nicht im geringsten
bezweifelt werden. Da jedoch eine Tunika, welche beim Gottesdienst ge-
braucht wird, noch nicht darum allein schon das ist, was wir eine liturgische
Tunika nennen, so bleibt die Frage, ob es damals auch bereits eine eigentlich
liturgische Tunika gegeben habe.
Die einzigen Stellen von einiger Bedeutung, auf welche man sich zu
Gunsten einer bejahenden Antwort etwa berufen könnte, sind erstens die
Worte des hl. Irenäus, in denen er den poderes, die Talartunika des Menschen-
sohnes (Offb 1, 13), „etwas Priesterliches", aliquid sacerdotale nennt6, und
dann das bekannte, im Liber Pontificalis Papst Stephan I. (255 — 257) zu-
geschriebene Dekret, wonach die vestes sacratae nur in der Kirche, nicht
aber im Alltagsleben getragen werden sollten7. Allein der hl. Irenäus be-
1 Über die sog. Konsekrationsszene in S. Cal-
listo vgl. namentlich W i 1 p., Sakr. 15 ff sowie
Kat. 289.
2 Euseb., Hist. eccl. 1. 6, c. 19 (Mg.
20, 569).
3 So adoptierte Tertullian den Philosophen-
mantel, wie aus seiner Schrift De pallio er-
hellt, einer von Witz und Spott überfließenden
Verteidigung des pallium. Übrigens ist die
Behauptung, Tertullian empfehle dasselbe als
für den christlichen Priester einzig passend
(Kraus, Roma sotterr. 314), durchaus im-
Braun, Die liturgische Gewandung.
zutreffend. In der ganzen Schrift findet sich
davon kein Wort. Zudem verteidigt Tertullian
keineswegs schlechthin die Philosophentracht
im Sinne eines pallium ohne Tunika, wie aus
c. 1 u. 5 (M. 2, 1084 1102) hervorgeht. Er will
nur keine Tunika, die aufgeschürzt und ge-
gürtet werden müßte.
4 Euseb., Hist. eccl. 1. 4, c. 11 (Mg. 20,
329).
6 C. 5 (Corp. SS. eccl. III, app. cxin).
6 Adv. haer. 1. 4, c. 20, n. 11 (Mg. 7, 1040).
' Du eh. , L. P. I 154.
5
66 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
zeichnet allem Anschein nach jenen poderes als „etwas Priesterliches" ledig-
lich im Hinblick auf die Talartunika des jüdischen Priestertums ; denn er
fügt unmittelbar an : „Und darum hat Moses nach dieser Weise den Hohen-
priester bekleidet." Was aber das angebliche Dekret Stephans I. anlangt,
so ist es sehr fraglich, ob dasselbe wirklich von diesem herrührt oder ob es
nicht vielmehr erst aus nachkonstantinischer Zeit stammt.
Auch im vierten und den nächstfolgenden Jahrhunderten fehlt es noch
sehr an den wünschenswerten Belegen für die Verwendung einer eigentlich
liturgischen Tunika. Was zunächst die Monumente anlangt, so lassen aller-
dings die Darstellungen von Päpsten, Bischöfen, Priestern und Diakonen auf
den römischen und ravennatischen Monumenten des 6. und 7. Jahrhunderts
deutlich unter der Planeta oder Dalmatik eine Tunika erkennen ; allein sie
sagen uns nicht, daß es sich bei dieser um ein wirklich liturgisches Gewand
und nicht um die Alltagstunika handelt.
Was aber die schriftlichen Zeugnisse betrifft, so muß man sehr wohl
zusehen und untersuchen, ob in ihnen wirklich von einer liturgischen Tunika
im Sinne unserer Albe, von der Tunika der gewöhnlichen Kleidung oder
von einer Obertunika nach Art der Dalmatik die Rede ist. Am ehesten
scheint noch von einem der späteren Albe analogen Gewand die Rede zu sein,
wenn im Brief des hl. Hieronymus an Heliodor1 erzählt wird, der Presbyter
Nepotian habe sterbend seinem Onkel den Auftrag gegeben, seine Tunika, die
er „im Dienste Christi" getragen, Hieronymus als Andenken zu übersenden.
Und doch wird auch hier bei näherem Zusehen die Sache zweifelhaft. Denn es
ergibt sich weder aus den Worten Nepotians noch aus dem Zusammenhang,
ob dieser das fragliche Gewand bei seinen Amtsverrichtungen bloß verwendet
hatte wegen seiner besseren Beschaffenheit oder, weil es als unstatthaft galt,
im Altardienst sich anderer Kleider als solcher zu bedienen, die ausschließ-
lich für die liturgischen Amtshandlungen bestimmt waren. Das letzte mag
freilich das wahrscheinlichere sein. Denn die Anschauung, welche Hieronymus
in seiner Erläuterung von Ez 44, 19 in die Worte kleidet: „Hieraus lernen
wir, daß wir nicht mit den alltäglichen und mit beliebigen, durch die Ver-
wendung im gewöhnlichen Leben beschmutzten Kleidern in das Allerheiligste
eintreten, sondern nur mit reinem Gewissen und in reinen Gewändern des
Herrn Geheimnisse in den Händen halten dürfen. . . . Die göttliche Religion
hat ein anderes Gewand im heiligen Dienst, ein anderes im Alltagsleben" 2,
war zweifelsohne nicht bloß die des Schreibers, sondern auch die seines
Schülers und geistigen Sohnes Nepotian.
Verhältnismäßig früh wird uns aus Gallien von einer liturgischen
Tunika der Diakone und Lektoren berichtet. Es ist von ihr schon bei Gregor
von Tours, in den Kanones der Narbonner Synode von 589, ja bereits in
den neuerdings dem 5. Jahrhundert zugeschriebenen Statuta ecclesiae antiqua
die Rede. Sie hieß alba und war nach den Statuta zweifellos ein eigentlich
liturgisches Gewand, war aber wohl eher ein Gegenstück der römischen Dal-
matik als eine Tunika von der Art unserer Albe, weshalb auch erst bei der
Dalmatik näher auf sie eingegangen werden soll. Unsicher ist, seit wann es
in Gallien bei den Priestern und Bischöfen eine liturgische Tunika gegeben
hat. Um das Ende des 4. Jahrhunderts scheint die Tunika derselben noch
nicht den Charakter eines sakralen Gewandes besessen zu haben. Sulpicius
1 Ep. 60, n. 13 (M. 22, 597). "■ In Ezech. 1. 13, c. 44 (M. 25, 437).
Drittes Kapitel. Die Albe.
67
Severus erzählt nämlich, als eines Tages der hl. Martin von Tours sich bereit
gehalten habe, an den Altar zu treten, um das heilige Opfer darzubringen, sei
ein Bettler in die Sakristei gedrungen und habe dringend um ein Gewand zum
Schutz gegen den Frost gebeten. Darauf habe der Heilige unter seinem Amphi-
balus, einer Glockenkasel, seine Tunika ausgezogen und dieselbe dem Armen
gereicht, damit er sich damit bekleide. Dann habe er den Archidiakon ge-
rufen und ihm befohlen, eine Tunika für einen Armen, worunter der Heilige sich
selbst verstanden, herbei zu besorgen. Unwillig habe jener, da er vom Sach-
verhalt keine Kenntnis gehabt, um weniges Geld eine schlechte, rauhe und
schäbige Tunika in der Nachbarschaft gekauft und dem Bischof gebracht.
Dieser habe ihn herausgehen heißen, alsbald das Gewand angezogen und sich
so zum Altar begeben 1. Hätte, so sollte man glauben, zur Zeit des hl. Martin
in Gallien die Tunika einen ausgesprochen liturgischen Charakter besessen, so
hätte der Heilige schwerlich so handeln können noch auch gehandelt, wie es
Sulpicius Severus berichtet.
Es mag sogar im dortigen Ritus die priesterliche Tunika noch eine gute
Weile länger nicht zu den eigentlich sakralen Gewändern gehört haben.
Denn es ist auffällig, daß die gallikanische Meßerklärung sie bei der Deutung
der liturgischen Kleider vollständig unberücksichtigt läßt, ja sie überhaupt
nur ganz zufällig und nur ganz nebenher nennt2.
Auf den Stand der Dinge in Nordafrika wirft ein bezeichnendes
Licht, was von dem hl. Fulgentius von Ruspe dessen Biograph berichtet.
Der Heilige, so erzählt dieser, habe in der Tunika, in welcher er geschlafen,
das heilige Opfer dargebracht und gesagt, zur Zeit des Opfers solle man
lieber die Herzen als die Kleider wechseln s. Die Handlungsweise des Bischofs
war, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, nicht das Gewöhnliche; man
kann sie als aszetische Sonderbarkeit bezeichnen, sie setzt aber ersichtlich
voraus, daß es zu Lebzeiten des hl. Fulgentius, also im Beginn des 6. Jahr-
hunderts, in der afrikanischen Kirche noch keine eigentlich liturgische Tunika
gab, wenigstens nicht allgemein und nicht kraft Vorschrift oder bindender
Gewohnheit. Wäre ihr sakraler Charakter dort schon über allen Zweifel
erhaben gewesen, hätte der Heilige gewiß bei der Messe sich nicht seiner
gewöhnlichen Tunika bedient.
Aus Spanien besitzen wir nur Nachrichten über eine liturgische Albe
der Diakone und eine sakrale Tunika der Subdiakone 4. Daß es in Irland
im 7. Jahrhundert eine priesterliche liturgische Tunika gab, dürfte vielleicht
aus dem Gebet des Stowe-Missale, welches der Priester bei der Vorbereitung
auf die heilige Messe zu sprechen hatte, gefolgert werden. „Ich bitte dich,
allerhöchster Gott Sabaoth, heiliger Vater, du wollest mich mit der Tunika
der Keuschheit gnädigst umgeben und meine Lenden mit dem Gürtel deiner
1 Dialog. 1. 2, c. 1 (Corp. SS. eccl. I 180).
- M. 72, 98: Proliibet autem manica to-
nica (=tonicae). ne appareat vile vestimen-
tum (wohl die Alltagskleidung). In der Bio-
graphie des hl. Cäsarius von Arles (f 542) wird
erzählt, es habe der Heilige eines Tages einem
Armen, da er sonst nichts gehabt, casulam
qnamprocessoriam habebat, albamquepascha-
lem mit der Weisung gegeben, dieselben an je-
manden aus dem Klerus zu verkaufen (Cy-
prian., Episc. Toi., Vita S. Caesar. 1. 1,
c. 4 [M. 67, 101 7J). Der letzte Umstand und
die Wendung : quam processoriam habebat,
lassen wohl in jenen Kleidern wirklich litur-
gische Stücke erkennen, doch ist unklar, ob
alba paschalis eine Obertunika, die gewöhn-
liche Tunika oder (mit Ergänzung von easula)
eine Kasel bedeutet.
3 Vita S. Fulgentii c. 18, n. 37 (M. 65, 136).
4 Näheres auch über sie unter Dalmatik.
5*
68 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Liebe umschließen" usw., so lautet dasselbe 1. Es scheint darauf hinzudeuten,
daß der Priester, während er dieses Gebet sprach, sich mit einer eigenen,
nur für die gottesdienstlichen Funktionen bestimmten Untertunika bekleidete.
Zu Rom muß es eine liturgische Tunika im Sinne der heutigen Albe
schon eine geraume Weile vor dem 6. Jahrhundert gegeben haben. Denn
das vorhin erwähnte angebliche Dekret Papst Stephans I. gibt unzweifelhaft
den liturgischen Brauch wieder, wie er zur Zeit der Abfassung des ersten
Teiles des Papstbuches, d. i. in dem Anfange des 6. Jahrhunderts, bereits
seit langem bestanden haben muß. Andernfalls hätte ja der Schreiber der
Vita Stephani es unmöglich als von diesem Papst herrührend hinstellen können.
Freilich spricht das Dekret nicht ausdrücklich von der Albe, sondern begnügt
sich, generell den Gebrauch der vestes sacratae im Alltagsleben zu verbieten.
Indessen lautet es so allgemein und ohne jede Einschränkung, daß es wohl
von der Gesamttracht verstanden werden muß, in welcher die an der Feier
der Liturgie beteiligten Geistlichen am Altare erschienen, also nicht bloß von
der Planeta, dem mantelförmigen Obergewand, und der Dalmatik, der Ober-
tunika des Papstes und der Diakone, sondern auch von der Tunika, dem nach
römischem Begriff zur Planeta und Dalmatik unumgänglich notwendigen Unter-
gewand, dem nie fehlenden, weil unentbehrlichsten Teil eines anständigen
Anzuges.
Nach der um 500 entstandenen "Vita S. Silvestri könnte es sogar scheinen, als
ob es bereits im 4. Jahrhundert zu Rom eine liturgische Albe gegeben habe. Dieselbe
erzählt : Zur Zeit dieses Papstes sei ein heiliger Bischof Pamphiliens, Euphrosinus mit
Namen, nach Rom gekommen und habe dort am Altar ein colobium, eine ärmellose,
wallende Tunika, getragen, die ehedem dem Apostel Jakobus gehört habe. Daraufhin
hätten dann auch Silvester, seine Presbyter und seine Diakone Kolobien in Gebrauch
genommen, und so sei es geblieben unter Markus, Julius und Liberius. Da aber
dann die Nacktheit der Arme getadelt worden sei, habe man die Kolobien mit
Dalmatiken vertauscht. Visum est enim melius huic proposito convenire, quod accu-
ratius magis aspectibus placere valeat populorum 2.
Indessen ist die Silvesterbiographie zu voll des Fabelhaften, um als zuverlässig-
gelten zu können 3. Dann scheint es sich in ihr nicht sowohl um eine Unter- wie
um eine Obertunika zu handeln. Ferner steht die obige Erzählung im Widerspruch
mit der Notiz des L. P., dem zufolge bereits Silvester bestimmte, es sollten sich die
Diakone der Dalmatik bedienen. Ausserdem ist es unzutreffend , wenn die Vita
auch den Presbytern die Dalmatik zuweist, da diesen nach römischem Brauch das
Gewand nie zustand. Endlich redet die Biographie nicht sowohl von dem liturgischen
Charakter als der Form der Tunika, Ihre Angaben sind also für den Nachweis, daß
es bereits im 4. Jahrhundert zu Rom eine liturgische Tunika im Sinne der späteren
Albe gegeben habe, ohne Belang.
Ausdrücklich genannt wird die Albe als Bestandteil der römischen
Sakraltracht zuerst in dem 1. Ordo Mabillons.
Seit dem 9. Jahrhundert bietet die Geschichte der Albe, was deren
Charakter als liturgisches Gewand und deren Verwendung im Kultus anlangt,
1 Propst, Die abendländische Messe 44. f. lat. 9432, f. 10) betet es der Bischof, wenn
Über das Alter des Stowe-Missale vgl. oben S. 7. er die bischöfliche Tunika anzieht. Nach dem
Dieses Gebet findet sich auch im Sacramen- Cod. Vatic. 1. 4770 (s. X — XI) spricht der
tarium Ambros. (ed. Pamelius 293) und in Priester es bei Anlegung des Gürtels. Propst
manchen späteren Missalien. Nach einem (a. a. 0. 59) scheint anzunehmen, daß das
Pontifikale von Troyes (s. XI) bei Mart. Gebet aus Rom stammt.
1. 1, c. 4, art. 12, ordo 6; I 190 und einem 2 Duch. , L. P. I 189.
Sakramental- von Amiens (s. IX ; Bibl. nation. 3 Ebd. I, Introduct. cxiv ff.
Drittes Kapitel. Die Albe. 69
bis gegen das 13. Jahrhundert hin kaum etwas Bemerkenswertes. Die Angaben,
die wir über dieselbe bei Pseudo-Beda, Pseudo-Alkuin, Johannes von Avranches
und in sonstigen Quellen finden, decken sich ganz mit dem, was wir von ihr
durch Hraban, Amalar usw. erfuhren. Von einigem Interesse ist zuletzt nur
eine Notiz bei Rupert von Deutz \ die uns belehrt, daß in manchen Klöstern
von der Regel des hl. Benedikt an gewissen Festen nicht nur die beim Gottes-
dienst unmittelbar tätigen Kleriker, sondern überhaupt alle, die im Chor
saßen, eine Albe trugen. Die Sitte bestand nach den Consuetudines Clunia-
censes z. B. bei den Cluniacensern2. Andeutungsweise spricht von ihr auch
Lanfrank in einem Briefe an Johannes von Avranches3. Von den Alben,
welche an diesen Tagen von allen Klosterinsassen, auch den infantes, getragen
wurden, hießen die betreffenden Feste schlechthin festa in albis4, der Aus-
druck festa in albis aber galt hinwiederum als gleichbedeutend mit „hohe
Feste". Es ist nicht so unwahrscheinlich, daß diese Gepflogenheit bereits
schon im 9. Jahrhundert bestand. Wenigstens scheinen die 260 Alben, welche
Angilbert für das Kloster Centula beschaffte, auf einen ähnlichen Brauch
hinzuweisen. Daß selbe lediglich für die Priester und ihre Ministri bestimmt
waren, dürfte die große Zahl der Alben ausschließen.
Auch die Geschichte der Albe seit dem 13. Jahrhundert bringt,
was den Gebrauch des Gewandes bei den gottesdienstlichen Funktionen an-
langt, keinen wesentlichen Wechsel im bisherigen Stand der Dinge. Die einzige
Veränderung von Bedeutung, die in dieser Hinsicht seit etwa 1150 vor sich
geht, besteht darin, daß sich für eine Anzahl von priesterlichen Funktionen
und als liturgisches Gewand der Minoristen anstatt der Albe allmählich ein
Ersatz derselben, das Superpelliceum, einbürgerte. Wir müssen auf diese
Sache bei Behandlung des Superpelliceums näher eingehen und können des-
halb hier von einer Schilderung dieses Wechsels Abstand nehmen. Wir be-
merken daher bloß, daß die Albe bereits im 15. Jahrhundert für gewöhnlich
nur noch bei der Messe und etwaigen mit derselben in Verbindung stehenden
Funktionen getragen zu werden pflegte. Sehr belehrend ist in Bezug auf den
damaligen römischen Brauch der 15. Ordo Mabillons.
V. FORM DER ALBE.
Auf den liturgischen Darstellungen der Katakombenfresken tritt die
Tunika des Liturgen, von der wir allerdings nicht wissen, ob sie ein sakrales
Gewand darstellen soll, in verschiedener Form auf. Der taufende Priester
in der Sakramentskapelle trägt, wie es scheint, eine mittelkurze, geschürzte,
mit Halbärmeln versehene Tunika. Auf der sog. „Einkleidung einer gott-
geweihten Jungfrau" finden wir dagegen bei dem Bischof eine lange, weitärmelige,
ungegürtete Tunika, ähnlich der späteren Dalmatik. Es wäre in der Tat un-
zutreffend, wollte man annehmen, es habe sich der Liturg in den ersten Jahr-
hunderten einer bestimmten Form der Tunika beim Gottesdienst bedient. Die
Tunika, die er unter dem Obergewand trug, entsprach in Bezug auf Form
und Beschaffenheit unzweifelhaft dem gerade herrschenden Brauch.
1 De off. div. 1. 2, c. 23 (M. 170, 54). IV 97 145 148 160 178 186 189 194. Consuet.
2 L. 1, c. 11 (M. 149, 653). Vgl. Mar t., Farfens. (ed. Albers) 43 57 70 86.
De autiquis monach. rit. 1. 3, c. 4, n. 28; 3 Ep. 13 (M. 150, 520).
c. 16, n. 2 27; c. 22, n. 1 ; 1. 4, c. 1, n. 9 ; * Vgl. z. B. den Auszug aus dem Regi-
c. 2, n. 2; c. 3, n. 11; c. 5, n. 1 und sonst; strum Roffense in Revue 1887, 332 ff.
70
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untersrewander.
Die römische Tunika war in der Regel gegürtet ; eine Ausnahme bildete
die tunica laticlavia der Senatoren. Die afrikanische Tunika wurde ursprüng-
lich nicht aufgeschürzt, wie aus Tertullians Schrift De pallio * erhellt. Die
gegürtete Tunika erhielten die Afrikaner von den Römern. In der ersten
Kaiserzeit hatte der Leibrock in der Regel kurze Ärmel, falls er nicht ganz
ärmellos war. Wir haben ihn uns nach den Bildwerken aus dieser Epoche als
eine Art von weitem, unten offenem Sack vorzustellen, der oben in der Mitte
einen Durchlaß für den Kopf besaß, oben an den Seiten mit einem Schlitz
zum Durchstecken der Arme versehen war und bei Erwachsenen etwa eine
Breite von 1,00 bis 1,50 m haben mochte (vgl. Bild 14, S. 47). Durch die Gür-
tung bildete sich bei ihm so etwas wie Ärmel (Bild 25). Wir begegnen dieser
Tunikaform auf den Monumenten äußerst häufig, und zwar finden wir sie bei
Personen aus allen Ständen, ein Beweis für ihre
weite Verbreitung.
Die tunica manicata oder manuleata, lang-
ärmelige Tunika, kommt auf den Fresken der
Katakomben in den beiden ersten christlichen
Jahrhunderten sehr selten und nur bei bestimmten
Personen, namentlich den Magiern und den baby-
lonischen Jünglingen, also besonders bei Orien-
talen, vor2. Auch auf den Profanmonumenten
dieser Zeit bat die Tunika für gewöhnlich ent-
weder keine oder nur kurze Ärmel. Langärmelige
Tuniken zu tragen, galt eben für Männer damals
noch als ungeziemend. Bald nahm die nimmer
rastende Mode den langen Ärmeln freilich das
Unschickliche; in der späteren Kaiserzeit waren
langärmelige Tuniken sehr gewöhnlich. Schon
Tertullian will, daß die Ärmel weder zu kurz
noch an den Händen zu eng seien, nee brachiis
parcae, nee manibus aretae 3. Zur Zeit des
hl. Augustinus galt es für Leute von Stand
sogar als ungeziemend und schimpflich, kurz-
ärmelige zu tragen. Talares et nianicatas tu-
nicas habere, apud Romanos veteres flagitium
erat, nunc autem honesto loco natis, cum tunicati sunt, non eas habere
flagitium est4.
Was die Länge des Gewandes anlangt, so reichte die Tunika in der
ersten Kaiserzeit bei den Männern regelmäßig nur bis mitten vor das Knie,
jedenfalls aber nicht weit über dasselbe5. Lang herabwallende Tuniken zu
tragen, galt als weibisch und unpassend. Ein Wechsel konnte aber bei der
zunehmenden Verweichlichung auch hier nicht ausbleiben und es scheint, daß
die Kaiser selbst mit gutem Beispiel vorangingen. Im 3. Jahrhundert hatte die
Sitte, wonach auch Männer sich lang herabfallender Tuniken bedienten — die
Dalmatik ist eine Abart derselben — , bereits eine weite Verbreitung gefunden,
im 4. war sie nach dem angeführten Zeugnis des hl. Augustinus bei Leuten
Bild 25. Sog. Camillus in
sackförmiger, gegürteter Tunika
1 c. 1 (M 2, 1084).
- Wilp. , Gew. 4 und Kat. 67.
•• De pallio c. 1 (M. 2, 1084).
i De doctr. christ. 1. 3, c. 12, n. 20 (M.
34, 74).
5 Vgl. die Monumente aus jener Zeit.
Drittes Kapitel. Die Albe. 71
von Stand herrschend. Auf dem Triumphbogen Konstantins sind der Kaiser
wie die Vornehmen, die in der Toga zur Entgegennahme der Geldspende vor
dem Kaiser stehen , mit langer Tunika versehen. Treffliche Beispiele fin-
den Gebrauch der Talartunika liefern auch die Konsul ardiptychen, nament-
lich das noch dem 4. Jahrhundert angehörende des Rufinus Probianus. Auch
mit dem Stoff, aus dem die Männertuniken angefertigt wurden, ging im Laufe
der Zeit eine Veränderung vor sich. Ursprünglich wurden sie nach römischem
Brauch für gewöhnlich aus ungefärbter, weißer Wolle gemacht; Leinwand
scheint bei ihrer Anfertigung erst im 3. Jahrhundert eine ausgedehntere An-
wendung gefunden zu haben. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts aber bestand
die Tunika meist aus Linnen und nur noch die äußeren Kleider aus Wolle:
Interiora sunt enim linea vestimenta, lana exteriora 1, sagt der hl. Augustinus.
Es ist wohl nicht zweifelhaft, daß die Geistlichen, seitdem die Talar-
tunika in Gebrauch gekommen war, sich wenigstens beim Gottesdienst dieser
Art von Tunika zu bedienen pflegten. Namentlich darf das mit aller Be-
stimmtheit für die nachkonstantinische Zeit, als die Kirche den Frieden er-
langt hatte, frei auftreten, sich ungehindert entfalten und die Opferfeier mit
dem geziemenden Glanz umgeben durfte, als Regel angesehen werden. Die
wallende, die Blöße der Arme bedeckende tunica talaris manicata mußte der
hohen Würde der christlichen Liturgie MTie des christlichen Liturgen und
seiner Gehilfen am entsprechendsten erscheinen. War ja doch auch eine
Talartunika auf Gottes Geheiß von Moses dem alttestamentlichen Priester als
Kultgewand vorgeschrieben worden in gloriam et decorem, zur Zier und zum
Schmuck 2. Es ist wohl keine Übertreibung der Einwirkung der alttestament-
lichen Kulttracht auf die Bildung der neutestamentlichen, wenn man der
Erinnerung an den Poderes des Alten Bundes auch irgend einen Einfluß auf
die Annahme der Talartunika für den christlichen Kultus seitens der Geist-
lichen zuschreibt. Heißt es doch in der Kanonessammlung des hl. Martin,
Bischof von Braga (f 5S0): „Die Geistlichen sollen nicht mit wohl gepflegtem
Haar ihren Dienst verrichten, sondern mit geschorenem Haupte und sicht-
baren Ohren, und nach dem Vorbilde Aarons eine Talartunika anziehen,
auf daß sie so mit dem für sie passenden Gewände ausgestattet sind." 3
Bei den Laien hielt sich die Talartunika auf die Dauer nicht im Ge-
brauch. Sie hatte für dieselben Avirklich zu viel Unbequemlichkeiten und
Schattenseiten. Die Mode machte darum , wie das auch sonst nicht selten
vorkommt, eine rückläufige Bewegung, und man kehrte nach und nach zur
kurzen Tunika zurück. Man hat das mit dem Hereinbrechen der germanischen
Völker und Einflüssen des Auslandes in Verbindung gebracht. Ohne Grund.
Bei einer großen, vielleicht der größten Masse des Volkes, der arbeitenden
Klasse und dem Militär, war die kurze Tunika, wie leicht begreiflich, über-
haupt nie außer Brauch gekommen. Es ist daher nicht von nöten,
den Blick auf die nordischen Barbaren zu richten, um den
Wechsel der Mode zu erklären.
Lehrreich sind für den Stand der Dinge im 6. und 7. Jahrhundert nament-
lich die aus jener Zeit stammenden römischen und ravennatischen Mosaiken.
Wo auf denselben Laien in realistischer Weise dargestellt werden, und es sich
also nicht um einen bloßen Typus oder etwa einen Heiligen im Kleide der
Seligkeit handelt, gewahren wir bei denselben regelmäßig ein kurzes Unter-
1 Sermo de Script, s. 37, c. 5 (M. 38, 224). "- Ex 28, 40. 3 Can. 66 (M. 84, 583).
72 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
gewand. Ein treffliches Beispiel bietet namentlich die Tracht eines Justinian
und seiner wie seiner Gemahlin Höflinge auf den Mosaiken in S. Vitale zu
Kavenna.
Anders wie bei den Laien und im profanen Treiben verhielt es sich
jedoch bei den Geistlichen und im Kultleben. Hier blieb die Talartunika.
Was die Laien zu einer Änderung in der Tracht führen mußte, fiel bei dem
Klerus weg. Zudem mußte die Talartunika vor wie nach als die für den
Gottesdienst und die gottesdienstlichen Personen passendste, weil würdigste
Tunikaart erscheinen. Versuche von Klerikern, es im außerkirchlichen Leben
und selbst in der Kirche den Laien gleichzutun, begegnen uns nur sehr ver-
einzelt und nur in Gallien und Spanien1.
Über die nähere Beschaffenheit der Talartunika, wie sie seit etwa den
Tagen Konstantins beim Klerus in Gebrauch war — von ihrem liturgischen
Charakter sehen wir hier ab — , erhalten wir vor dem 9. Jahrhundert aus
schriftlichen Quellen keine Auskunft. Von den Monumenten aber geben uns
darüber nur wenige Aufschluß und selbst diese bloß einen recht kümmerlichen.
In den meisten Fällen ist das Gewand, weil es sich um Darstellungen von
Bischöfen und Diakonen handelt, auf den Bildwerken durch die Dalmatik so
sehr verdeckt, daß wir im besten Falle bloß die Mündungen der Ärmel sehen.
Vollständiger erscheint es auf den Mosaiken in S. Venanzo bei dem Presbyter
Asterius und auf dem Fresko in der Katakombe des hl. Pontian beim hl. Vin-
zenz, die beide ohne Dalmatik abgebildet sind. Es reicht hier, wie die Dal-
matik, bis zu den Füßen, ist aber statt mit weiten, mit engen Ärmeln versehen.
Die erste, freilich sehr unzureichende Beschreibung unserer Albe erhalten
wir durch Hraban und Amalar im Beginn des 9. Jahrhunderts.
Nach Hraban ist das zweite Gewand, mit dem sich der Priester bekleidet,
eine tunica linea, welche im Griechischen poderes, im Lateinischen aber talaris
genannt werde. Den Grund dafür, daß es aus Linnen verfertigt werde, findet
er in der Symbolik desselben; wegen seiner Weiße sinnbilde es nämlich die
Enthaltsamkeit und Keuschheit. Dadurch, daß es bis zu den Knöcheln
heruntergehe, ermahne es den Priester, bis zum Ende des Lebens guten
Werken obzuliegen.
Eigentümlicherweise bezeichnet Hraban die linea der Priester des Neuen
Bundes als eng anschließend. Amalar betont nämlich im Gegenteil ausdrücklich,
daß die camisia, die man Albe nenne, d. i. das liturgische Gewand des christ-
lichen Kultus, sich von der linnenen Tunika des jüdischen Opferdienstes durch
die Weite unterscheide. Diese sei eng gewesen, jene aber sei weit.
Den mystischen Grund hierfür findet er in den Worten des Apostels : Non enim
accepistis spiritum servitutis in timore. Die Juden waren durch das Gesetz eingeengt
und wie in Knechtschaft geschlagen, wir aber, die der Sohn Gottes befreit, seien als
Gotteskinder frei.
Das Bild, welches die Monumente des 9. Jahrhunderts von der Gestalt der
Albe vermitteln, läßt sie als eine schlichte Ärmeltunika, die bis zu den Füfsen reicht,
erscheinen. Unten von ziemlicher Weite, hat sie meist sehr enge Ärmel, namentlich
dann, wenn eine zweite Tunika bzw. eine Dalmatik darüber getragen wird. Man
vergleiche die schon früher erwähnte Miniatur in der Bibel Karls des Kahlen
1 Vgl. Synode von Agde (a. 506) can. 20 des hl. Martin von Braga und can. 11 des
(Hard. II 1000) ; Synode von Mäcon (a. 583) zweiten Konzils von Braga (a. 563) (Hard.
can. 6 (M. G. Conc. I 156); den vorhin an- III 351): Item placuit, ut Iectores in habitu
geführten Kanon 66 der Kanonessammlung saeculari ordinati non psallant.
Drittes Kapitel. Die Albe.
73
(s. Titelbild), die Miniatur des Sakramentars von Antun (vgl. Bild 24, S. 62), die Reliefs
der Rückseite des herrlichen Pallioto in S. Ambro gio zu Mailand u. a. Die Erklärung
des Widerspruches, in dem sich Hraban und Amalar bezüglich der Albenweite befinden,
ist wohl darin zu suchen, daß Hraban seine Angabe wörtlich aus Bedas Schrift De
Tabernaculo 1. 8, c. 8, wo vom jüdischen poderes die Rede ist, abschrieb.
Von der Gestalt der Albe, wie sie dem Gewände im Beginn unseres
Jahrtausends eignete, gewährt eine dem hl. Bernulf, Bischof von Utrecht
(f 1056), zugeschriebene und in der bischöflichen fjansenistischen) Kanzlei zu
Utrecht aufbewahrte Prachtalbe ein Bild. Dem Stoff nach besteht sie aus
ziemlich grober Leinwand ; dabei ist sie jedoch, wie Bild 26 zeigt, am unteren
Saum, um den Rand der Ärmel, um den Kopfdurchlaß usw. reich mit Gold-
borten besetzt1.
Die Liturgiker des 12. und 13. Jahrhunderts geben uns von der
Albe eine ziemlich ausführliche Beschreibung. Was wir von ihnen über
die Gestalt und Beschaffenheit des
Gewandes hören, ist etwa folgen-
des: Die Albe steigt bis zu den
Knöcheln hinab ; ihre Ärmel sollen
eng sein. Oben ist sie mit einem
caputium, d. h. einer Öffnung zum
Durchstecken des Kopfes, versehen.
An diesem caputium 2 ist eine lin-
gua, lingula, ligula3, d. i. eine
Schließe oder Bindevorrichtung,
angebracht, welche zum Schließen
des Durchlasses dient. In der
Mitte verengert sich die Albe, er-
weitert sich aber nach unten wie-
der und wallt in reichem Falten-
fluß auf die Füße des Trägers
hernieder.
Daß diese Schilderung der Albe
des 12. und 13. Jahrhunderts zutreffend
ist, zeigt Bild 27, S. 74. Es stellt eine
Albe dar, welche als ein Andenken an
dsn hl. Thomas von Canterbury, der sich ihrer während seiner Verbannung bedient haben
soll, mit andern Meßgewändern desselben Heiligen (Kasel, Stola, Manipel) in der
Kathedrale von Sens aufbewahrt wird.
Bild 26. Albe des hl. Bernulf. Utrecht.
1 Het Gildeboek (Utrecht 1877) 1 ff. Zu
Mainz wurde in St Stephan bis gegen Ende
des vorigen Jahrhunderts eine angeblich
vom hl. Willigis herrührende Albe aufbe-
wahrt. Sie wird von P. J. Gamans S. J.
näher beschrieben (Kirchenschmuck XXVI
[1869] 12). Interessant ist, was derselbe
über den Schnitt des Gewandes sagt. Es
war offenbar eine Albe von der Form, wie
sie seit wenigstens dem Ende des ersten
Jahrtausends bis in die Neuzeit hinein gang
und gäbe war. Der Umstand, daß die Albe
mit Paruren versehen war, scheint dafür zu
sprechen, daf3 sie nicht dem hl. Willigis an-
gehört hat, es sei denn, daß diese Besätze
nachträglich angebracht wurden.
2 Rohault de Fleury (VII 17) ver-
stellt unter dem caputium cum lingula im
etroit capuce avec oreilles. Allein Honorius
sagt ausdrücklich : caputium, quo alba i n-
duitur . . . lingula, quae in caputio
nunc innectitur, nunc resolvitur.
3 Daß die lingula als Schließe oder Binde-
vorricbtung aufzufassen ist, folgt auch aus
Ans. von Havelberg (Liber de ord. ca-
nonic. c. 12; M. 188, 1104), wo die lingua
der tunica pellicea der snalla gleichgesetzt
wird: lingua seil snalla.
74
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Bild 27. Albe. Sens, Kathedrale.
Bei dem Gewände fällt die eigentümliche Form des Oberteils auf. Das
Bruststück ist verhältnismäßig eng; die Ärmel sind nach den Händen zu so
schmal, daß hier ein Schlitz angebracht wurde, um das Anziehen zu erleichtern,
eine Eigentümlichkeit, die wir übrigens nur bei dieser Albe zu beobachten
Gelegenheit hatten. Dagegen haben sie dort, wo sie an den Albenkörper
angenäht sind, eine sehr bedeutende Weite. Sehr weit ist der untere Teil
des Gewandes. Um dem Träger eine freiere Bewegung zu ermöglichen und
einen volleren Faltenfluß zu erzielen, hat man beiderseits zwischen die recht-
eckig geschnittenen Mittelbahnen große Zwickel eingesetzt. Es leuchtet ein,
daß bei dieser Einrichtung in der Tat ein reicher Faltenwurf entstehen mußte.
Alba descendens usque ad talos, medio angustatur, in extremitate multis com-
missuris dilatatur, stringet manus et brachia, sagt Sicard von Gremona ; seine
Worte klingen wie ein genauer Kommentar zu Bild 26.
Eine der Albe von Sens verwandte, einst dem hl. Thomas von Cantilupe,
Bischof von Hereford in England (f 1282), zugehörige Albe befindet sich im
Hospiz zu Lisieux. Ihre Rumpf breite beträgt 1,05 m, der Umfang am unteren
Saum 4,76 m und die Länge 1,90 m. Die Giren an den Seiten sind 1,05 m
hoch und dicht gefältelt. Die Besätze, mit denen das Gewand einst geschmückt
war, sind verschwunden1.
Die Form und Machweise der Albe, wie dieselben im 12. und 13. Jahr-
hundert üblich waren,' erhielten sich das ganze übrige Mittelalter. Es ist im
wesentlichen eine und dieselbe Erscheinung, welche uns in dieser Hinsicht
alle aus dem ausgehenden 12., dem 13., 14. und 15. Jahrhundert noch vor-
' Die Albe galt früher als Reliquie des
hl. Thomas von Canterbury; de Me4y hat in-
dessen nachgewiesen, daß sie mit einigen
andern Paramenten , einer Kasel und drei
Dalmatiken (Tunicellen), vom hl. Thomas von
Cantilupe herrührt (Revue 1891, 91 ff). Die
Beschaffenheit der Dalmatiken hätte übrigens
auch ohne den von de Mely gelieferten Nach-
weis eine Zuweisung der Gewänder an den
hl. Thomas Decket und jede die zweite Hälfte
des 13. Jahrhunderts überschreitende Datie-
rung entschieden verboten.
Drittes Kapitel. Die Albe.
75
handenen Alben bieten. Die Veränderungen sind so wenig bedeutend und so
wenig charakteristisch, daß es in den meisten Fällen schwer, wenn nicht gar
unmöglich ist, lediglich aus Schnitt und Gestalt einen sichern Anhaltspunkt
für die Bestimmung des Alters zu gewinnen.
Ein interessantes Bild der Alben, wie sie im ausgehenden 13., dem 14., und
15. Jahrhundert im Gebrauch waren, bieten fünf Alben in dem Paramentenschatz von
Castel S. Elia bei Nepi in der römischen
oben
1,90
2,02
2,04
2,38
2,46
1.15
1,00
1,00
0,90
0,80
2,26
1,76
2,08
2,16
2,38
Ärmel-
länge
Vordere
Ärmel-
weite
Campagne 1, von denen vier in Bild I Breite
28—31 skizziert sind. Albe jn der
.. unten
Über die höchst bemerkenswerten
Maßverhältnisse dieser Gewandstücke i
gibt dienebenstehendeTabelle Auskunft, 2
bei welcher die beiden Gewandhälften 3
aufeinander gelegt zu denken sind. 4
Bei allen Alben ist die untere 5
Breite sehr auffallend, wenn man mit
ihr die der modernen Albe vergleicht, welche am Saume allerhöchstens etwa 3,00 m
bis 3,20 m zu messen pflegt. Ist doch die Saumweite von Nr 4 und 5 (Bild 31 und 29)
gerade um die Hälfte größer als diejenige unserer heutigen Albe. Selbst bei Nr 1
(Bild 30) ist sie noch bedeutender, als es jetzt bei den Alben, namentlich wie sie in
Italien in Gebrauch sind, der Fall ist. Dagegen ist umgekehrt bei den Alben von
Castel S. Elia die Brustweite um vieles geringer als bei der gegenwärtig üblichen Alben-
1,70
1,80
1,95
1,70
2,17
0,73
0,58
0,70
0,75
0,66
0,17
0,11
0,20
0,14
0,14
Bild 28 — 31. Alben. Castel S. Elia. Die punktierten Linien deuten die Nähte an.
Bild 28 = Nr 3, Bild 29 = >"r 5, Bild 30 = Nr 1, Bild 31 = Nr 4 der Tabelle.
form. Namentlich fällt das bei Nr 5 (Bild 29) auf. Die Ärmellänge schwankt bei den
Alben zwischen 73 cm und 66 cm, die vordere Ärmelweite zwischen 11 cm und 20 cm.
Die eigenartigen Maßverhältnisse der miltelalterlichen Alben sind die Folg*
ihrer Anfertigungsweise. Die Abbildungen 28-
1 Vgl. über den Paramentenschatz von
Castel S. Elia die diesbezüglichen Aufsätze
-31, auf denen die Nähte durch punktierte
des Verfassers in „Zeitschrift" 1899, 291 ff
343 ff, über die Alben 352 ff.
76
Erster Abschnitt. Die liturgischen Unteraewänder.
Linien angedeutet sind, erläutern besser als eine lange Beschreibung den Schnitt der
mittelalterlichen Alben. Dieser ist allerdings bei den vier Alben im einzelnen einiger-
maßen verschieden. Wesentlich ist aber allen die geringe Breite der Mittelbahnen,
die Giren zur Seite des Mittelstückes, deren es bei Nr 4 (Bild 31) rechts wie links
sogar je zweimal vier, im ganzen also je acht gibt, die durch diese Einrichtung be-
dingte Enge in der Körpermitte bei auffallend großer unterer Breite und endlich die
Weite der Ärmel da, wo sie an den Rumpfteil des Gewandes angesetzt sind. Bei
Nr 3 und 5 (Bild 28 und 29) ist diese Ärmelweite, wie die Skizze zeigt, durch Zwickel,
bei Nr 4 (Bild 31) durch eine eigenartige Bildung der Ärmel erzielt worden.
Das Charakteristische der mittelalterlichen Alben ergibt sich hieraus von selbst.
Es liegt einerseits in der Bildung der Ärmel und anderseits, und zwar besonders in
der verhältnismäßig geringen mittleren und großen unteren Weite.
Zwei weitere Eigentümlichkeiten der Alben von Castel S. Elia sind nur die
Folge der eigenartigen Machweise. Die erste besteht in dem Mangel einer Einkräuse-
lung, wie dieselbe bei der modernen
$?■-' ' 1 sackförmigen Albe rings um den
Kopfdurchlaß herum gebräuchlich, ja
notwendig ist, damit dieselbe dem
Oberkörper sich besser anpasse. In-
folge des Schnittes der Alben von
Castel S. Elia war bei denselben das
Einkräuseln überflüssig. Die zweite be-
merkenswerte Eigentümlichkeit liegt
in dem Faltenwurf. Vorn und hinten
fallen nämlich die Alben fast ganz
glatt herunter (Bild 32). Dagegen
gewahren wir an den Seiten infolge
der eingesetzten Giren einen dichten,
malerischen Faltenfluß. Es war daher
auch nicht notwendig, beim Anklei-
den das Gewand, wie das heute zu
geschehen pflegt, auf dem Rücken in
einen massigen, schweren Falten-
bausch zusammenzulegen. Denn es
war schon in der Machweise ein
natürlicher, schöner Faltenwurf ge-
geben.
An die Halsöffhung schließt sich
bei Nr 2 bis 5 ein über die Brust
sich hinabziehender Schlitz an, welcher das Durchstecken des Kopfes erleichtern soll.
Er findet sich nicht in der Mitte des Durchschlupfs, sondern bald an der rechten, bald
an der linken Seite desselben, so daß auf der Brust sich eine Art von schließbarer
Klappe bildet. Dieselbe läuft bei einigen in eine Zunge aus. Es ist die lingua, von
der bei den Liturgikern des 12. und 13. Jahrhunderts wiederholt die Rede ist.
Ein vorzügliches Gegenstück der Alben zu Castel S. Elia bilden sechs Alben
in der St Marienkirche zu Danzig. Es ist
durchaus ein und dasselbe Bild, welches diese
wie jene von dem Gewände gewähren. Die Un-
terschiede, welche zwischen beiden bestehen,
sind nur unwesentlich. Sie beschränken sich le-
diglich auf die etwas abweichenden Maßverhält-
nisse und auf die Bildung des Kopfdurchlasses,
der bei den Alben zu Danzig bloß aus einem
wagerechten Ausschnitt besteht. Über deren
Maße gibt die beifolgende Aufstellung Auskunft.
Bild 32.
Albe mit herabfallenden Giren.
Castel S. Elia.
Breite
Länge
Albe
unten
in der .
,,.,, oben
Mitte
Hinge
1
2
3
4
5
6
1,84
1,84
1,68
2,50
2,00
2,18
1,10
1,05
1,16
1,38
1,14
1,16
2,24
2,24
2,32
2,56
2,22
2,34
1,81
1,61
1,67
1,63
1,81
1,58
0,56
0,58
0,58
0,59
0,53
0,59
Drittes Kapitel. Die Albe.
77
Wie man sieht, ist die Höhe, die Ärmellänge und die Saumbreite bei den Alben
der St Marienkirche etwas geringer, der Albenrumpf dagegen etwas breiter als bei
den Alben von Castel S. Elia. Die obere Breite ist bei beiden ziemlich die gleiche.
Die Danziger Alben werden allesamt aus dem 15. Jahrhundert stammen, während
die Alben von Castel S. Elia zum Teil noch in das 14. und 13. Jahrhundert hinauf-
reichen mögen. Sie zeigen, daß das Gewand im späteren Mittelalter denselben Typus
im äußersten Nordosten Deutschlands aufwies, der ihm im Herzen Italiens eignete. Es
handelt sich ja hier nicht um eine vereinzelte Albe, sondern um eine verhältnismäßig-
bedeutende Zahl derselben.
Von andern mittelalterlichen Alben seien noch erwähnt eine Albe im Kartäuser-
kloster Valsainte bei Bulle (Schweiz), eine Albe in Santa Chiara zu Assisi, gewöhnlich
als Albe des hl. Franziskus bezeichnet, doch wahrscheinlich aus späterer Zeit, eine
Albe im Dom zu Eichstätt, welche unter dem Namen der Albe des hl. Willibald läuft,
eine Albe zu Neresheim in Würt-
^H£
temberg; ferner je eine Albe im sl|§ ' '" -^ . ■■ ^ 'j,-;.y^s,5> ;:'^öl§<
Dom zu Brandenburg, im König-
lich bayrischen Nationalmuseum
zu München, im Museum zu Ro-
stock, im Kensington Museum zu
London, ehedem in der Samm-
lung Bock, im Dom zu Viterbo
und in St Bertrand zu Com-
minges. Zwei gibt es im Pro-
vinzialmuseum zu Hannover, drei
im Dom zu Batzeburg. Alle
folgen dem Typus der Alben von
Castel S. Elia und Danzig '. Nur
die Albe von Comminges bildet
eine Ausnahme, doch ist es mehr
als wahrscheinlich, daß das Ge-
wand im Laufe der Zeit Verän-
derungen erlitten und seine ur-
sprüngliche Form eingebüßt hat.
Die Albe in S. Chiara zu
Assisi, durch ihre Besätze und
die oben an den Giren angebrach-
ten Weißstickereien eine der her-
vorragendsten unter den noch er-
haltenen mittelalterlichen Alben,
ist bemerkenswert durch ihre große Weite von 5,40 m. Sie wird indessen noch
durch die Albe im Dom zu Brandenburg übertreffen, deren unterer Umfang sich bei
einer Länge von ca 1,80 m auf volle 6 m beläuft. Recht anormal sind die Maß-
verhältnisse der Albe im Königl. bayrischen Nationalmuseum (Bild 33); denn bei
einer Länge von 1,90 m und einem Saumumfang von 4,56 m beträgt hier die obere
Breite nur 1,79 m, die Brustweite 0,87 m und die Ärmellänge 0,46 m. Auch die
Maße der Alben im Dom zu Batzeburg sind ungewöhnlich; 1,63 m lang und am
Bild 33. Albe.
München, bayi'isches Nationalmuseum.
1 Bezüglich des Schnittes der Albe zu
Viterbo ließ sich nichts Näheres feststellen.
Von früher vorhandenen, im Strudel der Re-
volution aber vernichteten Alben aus dem
Mittelalter seien kurz genannt eine Albe zu
Angers (Abbildung bei de Farcy, Broderies
et tissus, conserves autrefois dans la Catlie-
drale d' Angers, in Revue 1886, 173), eine
Albe zu Toul (Abbildung und Beschreibung
bei Roh. VII 16 und pl. DXIX), eine Albe
zu Montreuil (Diözese Amiens) und zu Senlis
(ebd. 13). Es waren das alles Alben vom
Typus der Alben zu Castel S. Elia und Danzig
und nach Ausweis des Schnittes und der
Ausstattung Erzeugnisse etwa des 13. oder
14. Jahrhunderts.
78
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Saum 4,20 m weit, sind sie in der Brust nicht weniger denn 1,63 m breit, so daß
die Giren an den Seiten unten nur ea 0,25 m messen. Sehr bedeutend sind die
Maße der Neresheimer Albe. Hat dieselbe doch eine Länge von 1,96 m, eine
untere Weite von 4,63 m, eine obere Breite von 2,35 m, eine Ärmellänge von 0,60 m
und eine Brustbreite von 1,15 m. Die geringsten Maße haben die beiden Alben im
Provinzialmuseum zu Hannover. Die obere Breite ist allerdings noch groß (2,30
bzw. 2,14 m), dagegen beläuft sich die Länge nur auf 1,75 bzw. 1,38 m und die
untere Weite auf 3,12 bzw. 3,10 m. Die Albe zu Valsainte, welche sich durch
interessante Weißstickereien an den Ärmeln , auf den Schultern, unter den Achseln
und um den Kopfdurchschlüpf auszeichnet, ist 1,92 m lang und bei einer Brustweite
von 2,40 m unten 4,76 m weit '.
Den Entwicklungsgang, den die Machweise der Albe im 14. und 15. Jahr-
hundert genommen, in seinen einzelnen Stadien zu verfolgen, ist unmöglich,
weil die Zahl der noch vorhandenen Alben dafür zu gering ist. Es läßt sich
nur so viel feststellen, daß gegen Ausgang des Mittelalters die Mittelbahn des
Albenkörpers durchweg an Breite zunahm, die Giren dagegen schmäler wurden.
Die Vorschriften, welche der hl. Karl Borromäus hinsichtlich der An-
fertigung der Alben erließ, setzen offenbar noch die alte Machweise voraus.
Die Albe sollte 4 cubiti = ca 1,72 m lang sein, so daß sie, aufgeschürzt und
gegürtet, noch bis zu den Füßen reiche. Unten sollte sie, falls sie nicht mit
Paruren verziert werde, die -- enorme - - Weite von 16 cubiti = ca 7 m
haben, damit sie, aufgegürtet und oberhalb des Cingulums im Bausch sich
um den Körper legend, unten einen reichen und schönen Faltenwurf bilde.
Mit Zierbesätzen versehen, sollte sie etwas kürzer und nur 4 cubiti oder etwas
mehr weit sein. Die Ärmel sollten an den Schultern etAva 1 cubitus =
ca 0,43 m breit sein, nach den Händen zu sich jedoch verengern 2. Ihre Länge
wird auf IV2 cubitus = ca 0,65 m angesetzt.
Nach den Statuten des Prager Konzils vom Jahre 1605, des einzigen
deutschen, welches über die Maße der liturgischen Gewänder nähere Be-
stimmungen erließ, soll die Albe drei (böhmische) Ellen = ca 1,70 m lang
und am unteren Saum ebenfalls drei Ellen weit sein 3.
VI. BESCHAFFENHEIT UND AUSSTATTUNG DER ALBE.
In dem 1. und 3. römischen Ordo heißt die Albe linea. Sie wurde also
damals aus Linnen gemacht, sonst hätte man sie nicht schlechthin linea
genannt. Aber auch von Hraban hörten wir bereits, daß das Gewand aus
Linnen hergestellt werde, und ebenso versichert Amalar, daß die camisia
aus Leinwand bestehe. Wenn daher in dem Inventar von St-Riquier, in
1 Die Daten über die Ratzeburger Alben
schulde ich dem liebenswürdigen Entgegen-
kommen des Herrn Dompropstes Ohl , die
Angaben über die Maße der Albe zu Neres-
heim den freundlichen Bemühungen des Herrn
Pfarrers Schulinspektor Schips zu Neres-
heim; über die Alben zu Hannover gab mir
in zuvorkommendster Weise Herr Direktorial-
assistent Runde Auskunft. Ich verfehle nicht,
diesen Herren auch hier den gebührenden Dank
auszusprechen. Abbildung der Albe zu Val-
sainte in Revue 1905, 407.
2 A. E. Med. 626. Die Angabe, es solle
die Albe, falls Besätze zur Anwendung kämen,
unten 4 cubiti = ca 1,72 m weit sein, scheint
schlecht zu der späteren Bestimmung zu
passen, daß Alben ohne Parura 16 cubiti weit
und so paulo latiores sein sollten als albae
grammatis ornatae. Vielleicht ist statt quat-
tuor quattuordeeim oder statt sedecini sex
zu lesen. Selbst ein gutes Stück des Um-
fanges für das Fälteln gerechnet, bleibt der
Unterschied zwischen 2 und 16 Ellen immer
noch zu groß.
3 C. 13 (Hartzh. VIII 691). Mit 3 Ellen
Weite ist der ganze, nicht der halbe Umfang
gemeint: longe tres Ultras producta et Jäte
tres item circumquaque appareat.
Drittes Kapitel. Die Albe.
79
welchem von 260 linnenen Alben berichtet wird, mit denen Angilbert das
Kloster beschenkte, auch 6 sericae albae romanae cum amictibus suis auro
paratae aufgeführt werden, so dürften darunter nicht sowohl gewöhnliche
Alben als vielmehr das Gegenstück der Dalmatik, subdiakonale Tuniken zu ver-
stehen sein. Freilich könnte man dem entgegen auf den Zusatz cum amictibus
suis verweisen, allein es handelt sich im Inventar um albae romanae, nach
römischem Brauch aber gehörte im Beginn des 9. Jahrhunderts das anago-
laium, der Amikt, nicht sowohl zur Albe als zur Dalmatik und Tuniceila 1.
Noch viel weniger ist eine Albe, wie man überall liest, die camisia alba
sigillata olosyrica cum chrisoclavo, welche der angelsächsische König Ethel-
wolf der Peterskirche unter Benedikt III. (855 — 858) zum Geschenk machte 2,
es handelt sich bei ihr vielmehr um eine Decke. Da nämlich in Rom nach
Ausweis der Monumente Bischof und Diakon eine so lange Dalmatik trugen,
daß die Tunika ganz von dieser bedeckt wurde, ist es von vornherein un-
wahrscheinlich, daß man daselbst Alben mit kostbaren Goldbesätzen getragen
habe. Dann aber laut auch die Gesellschaft von Kirchenutensilien wie Corona,
baucae, spata, imagines, gabathae, saraca, vela maiora, unter denen sich die
fragliche camisia befindet, nur an eine Decke denken. Wirklich kommt das
Wort in diesem Sinne auch sonst mehrfach vor. So begegnet es uns in der
Bedeutung von Buchdecke, Altardecke, Decke eines Behälters, ja sogar von
Schabracke (Pferdedecke) 3. Endlich ist der Umstand sehr beachtenswert, daß
nirgends im L. P. sonst einer Schenkgabe liturgischer Kleider an Kirchen
gedacht wird. Wohl hören wir, wie die Päpste in einzig dastehender Wreise
die römischen Basiliken und sonstige Gotteshäuser bedenken, aber unter den
zahllosen Altargeräten, Schaustücken, gottesdienstlichen Einrichtungsgegen-
ständen, Behängen, Decken, Altarverhüllungen (vestes) aus edlem Metall
und den prächtigsten Stoffen findet sich nirgends ein liturgisches Gewand
genannt. Daß der L. P. nicht von einer Schenkung liturgischer Kleider be-
richtet, erklärt sich wohl durch den Umstand, daß damals die Beschaffung der
nötigen Sakralgewänder den einzelnen Klerikern selbst, nicht der Kirche oblag4.
Wie es sich aber immer mit den 6 sericae albae romanae des Inven-
tars von St-Riquier und der „seidenen, mit runden Zierflecken und Gold-
borten geschmückten camisia" Ethelwolfs verhalten mag, Alben aus Seide
waren nicht bloß im 9. Jahrhundert, sondern auch in der Folgezeit nicht
nur sehr selten , sondern stets Ausnahme. Die Liturgiker des 12. und
13. Jahrhunderts betonen immer wieder, daß das Gewand aus Linnen ge-
macht werde. Wenn in den Schatzverzeichnissen des Mittelalters mehrfach
von albae de serico die Rede ist, so darf man sich dadurch nicht täuschen
lassen. In manchen Fällen ist , wie früher des näheren ausgeführt wurde,
gerade wie im Ordo officiorum bei Hittorp die subdiakonale Tunicella ge-
1 S. oben S. 23 f.
2 Du eh. , L. P. II 148.
3 D. C. II 53. Als Hülle des Evangeliars
und Missale finden wir z. B. das Wort im Testa-
ment Riculfs von Eine : camisiae ad textum et
missale 4, unum de auro purpureum, als Altar-
decke in der Stiftungsurkunde des Klosters
Tuiion (Spanien) von 891 : camisiae altaris 3
(Florez, Espana sagr. XXXVII 339). In
einem Verzeichnis der von Alfons II. 812 der
Kathedrale von Oviedo geschenkten Gegen-
stände heißen diese camisiae tunicae de alta-
ria (sie) (ebd. 313), in einem Inventar der
Kathedrale von Lugo von 998 (Florez a. a. 0.
XL 409) : mitrae de mensa.
4 Betreffs der einzigen Schenkung von litur-
gischen Gewändern an geistliche Per-
sonen vgl. die Vita Stephani (Du eh.,
L. P. I 443). In Klöstern war deren Be-
schaffung natürlich Sache der Kirche.
80 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
meint '. in andern handelt es sich um eine ungenaue Bezeichnung einer mit
seidenen Zierbesätzen versehenen Albe, ähnlich wie amictus de aurifrigiis mit
Paruren aus Borten geschmückte Schultertücher bedeuten. Man muß in jedem
einzelnen Falle, wo es sich um albae de serico handelt, zusehen, was darunter
nach dem Zusammenhang oder der Sprechweise des betreffenden Inventars zu
verstehen ist.
Immerhin kommen tatsächlich hie und da wirkliche Alben aus Seide in den Schatz-
verzeichnissen vor. Es wurde eben ehedem mit dem Stoff der Paramente, wie mit
manchen andern liturgischen Fragen, nicht so genau genommen wie jetzt, wo eine Riten-
kongregation über die Beobachtung dessen, was Rechtens und kirchlichen Herkommens
ist, wacht. Solche Alben waren indessen auch im Mittelalter nur vereinzelte Er-
scheinungen. Wirkliche aus Seide gemachte Alben, also keine bischöfliche oder sub-
diakonale Tunicellen sind wohl die quattuor albae de serico des Inventars von
Angers vom Jahre 1297 2, die zwei vestimenta (= albae) de serico im Inventar von
St Paul zu London von 1245 und die tres albae de serico brosdatae (bestickte) des
Schatzverzeichnisses der Kathedrale von Rouen aus dem Ende des 12. Jahrhunderts 3,
kaum aber die alba de serico pretiosissima, welche Bischof Brithwold von Wilton
(f 1045) als Geschenk dem hoehberühmten Kloster Glastonbury in Somersetshire über-
sandte 4. Ob alle die seidenen Alben, welche Chambers erwähnt 5, Alben im heutigen
Sinne gewesen, scheint sehr fraglich, dagegen dürfte die alba de tenui serico vetus
im Schatzverzeiehnis von St Veit zu Prag aus dem Jahre 1354, weil mitten unter
linnenen Alben genannt, wohl eine Albe der gewöhnlichen Art bedeuten. Dasselbe
gilt von 8 albae de serico im Inventar der Kathedrale von Salisbury von 1212. Die
12 albae consutae de serico, welche im Registrum Roffense, dem Gabenverzeichnis der
Kathedrale von Rochester in England, für den Beginn des 13. Jahrhunderts als der
Kirche geschenkt vermerkt werden, sind zwar richtige Alben — denn die sub-
diakonale Tuniceila heißt darin tunica oder tunica epistolaria — , aber mit Seide
besetzte Alben, nicht seidene Alben.
Eine reichere Ausstattung scheint die Albe bis in den Beginn des
12. Jahrhunderts für gewöhnlich nicht erhalten zu haben. Reich verzierte
Alben sind bis dahin eine seltene Erscheinung. Immerhin kommen solche
vor. So begegnen wir im Testament Riculfs von Eine neben zwei albae
planae auch drei albae clarae. Das Inventar von Clermont-Ferrand aus
dem 10. Jahrhundert verzeichnet zwei goldverzierte Alben zum Gebrauch für
den Bischof und eine mit Seide besetzte Albe. Gegen Ende des Jahrhunderts
verehrte Herzogin Hadawiga von Schwaben dem Kloster St Gallen eine
Albe, die in Goldstickerei mit der Hochzeit der Philologie und Merkurs ge-
schmückt war6. Die Albe, welche die Kaiserin Agnes dem Kloster Monte
Cassino schenkte, hatte nicht nur um den Halsausschnitt und die Ärmelsäume
eine reich verzierte Borte, es zog sich auch ein kostbarer Besatz über die Schultern.
Den Saum des Gewandes aber umgab ein Aurifrisium, das fast die Breite
einer Elle hatte7. Eine andere glänzende Albe aus dem Beginn des 11. Jahr-
hunderts wird in der Geschichte der Bischöfe von Auxerre erwähnt8. Auf
der Brust war dieselbe mit einem Zierstück aus Goldstoff, unten aber mit
1 Hitt. 61: subdiaconi albis sericis in- 4 Willi. Malmesbury, De antiq. Glaston.
duantur; 76: subdiaconi lineis aut sericis (M. 179, 1722)
albis. Vgl. auch oben S. 60. 6 Divine worship p. 31.
2 Revue 1886, 173. 6 Ekkeh. IV. Casus c. 10 (M. G. SS. II 123).
3 Ebd. 464. Unmittelbar nach den 3 albae ' Chron. Casin. 1.3, n. 31 (M.G.SS. VII722).
de serico et brosdatae werden aufgeführt 8 C. 49 (M. 138, 277). Die Albe heißt hier
14 albae paratae et 13 sine paraturis. palla. Siehe übrigens oben S. 33, Anm. 1.
Drittes Kapitel. Die Albe. 81
einer Borte aus Brokat, die von den Knien bis zu den Knöcheln reichte,
geschmückt. Die Albe des hl. Bernulf zu Utrecht, von der oben schon die
Rede war (Bild 26, S. 73), ist ein Prachtstück dieser Art. Kostbare Goldborten
fassen die Ärmelmündungen, den Saum und den Kopfdurchlaß des Gewandes
ein. Außerdem ziehen sich vorn und hinten zwei Goldborten von oben
nach unten. Der Besatz am unteren Rande der Albe, eigentlich mehrere
nebeneinander gelegte Borten, hat eine Breite von etwa 0,40m. Das Ge-
wand ist ersichtlich ein ausgezeichnetes Gegenstück sowohl der Albe, welche
Kaiserin Agnes den Mönchen zu Monte Cassino gab, als auch derjenigen,
von welcher die Geschichte der Bischöfe von Auxerre erzählt. Von zwei
albae auro insignes berichtet ein Inventar von St Gallen aus dem 11. Jahr-
hundert; ein Speierer Schatzverzeichnis aus dem Jahre 1051 erwähnt albam
unam, auro texto (Goldstoff) optime ornatam, ein Inventar von Ely (Eng-
land) aus dem Jahre 1079 octo albas, una est de serico cum aurifrisio et
cum amictu, sex cum amictibus et aurifrisio . . ., tres sine amictu cum auri-
frisio. Der Dom zu Bamberg besaß laut Inventar von 1127 im Beginn
des 12. Jahrhunderts acht mit Goldborten besetzte Alben: albae 46, ex his
8 cum aurifrigio.
Auf den Bildwerken des 9., 10. und 11. Jahrhunderts, namentlich den
Miniaturen, ist die Albe fast stets schmucklos. Prachtalben, überhaupt mit
Zierbesätzen versehene Alben, dürften damals wohl nur bei Bischöfen und
sonstigen Würdenträgern als Festalben in Gebrauch gewesen sein. Das deutet
das Inventar von Clermont zur Genüge an. Auch die „Geschichte der Bischöfe
von Auxerre" läßt das durchblicken.
Das 12. Jahrhundert brachte einen um ein bedeutendes gesteigerten
Verkehr mit dem Osten. Die kostbaren Stoffe und Borten, welche der
Orient erzeugte, wurden infolgedessen im Abendlande häufiger als bis dahin.
Zum Überfluß begannen gleichzeitig die Seidenmanufakturen in Sizilien eine
großartige Tätigkeit zu entfalten und überallhin ihre prächtigen Zeuge,
köstlichen Borten und glänzenden Stickereien auszuführen. Auch die Albe
hatte ihren Nutzen davon. Die Zierbesätze werden auf ihr nun immer ge-
wöhnlicher und bei besseren Alben allmählich Regel.
Anfangs hielt man sich bei der Ausstattung der Albe noch an die alte
Weise, wonach man das Gewand am Saum und an den Ärmeln mit einer
den ganzen Rand umziehenden Borte versah. Bald aber bildete sich eine
eigenartige Verzierungsweise der Alben aus. Statt mit einem Vollbesatz wurde
die Festalbe nunmehr mit vier oder fünf kurzen quadratischen oder rechteckigen
Zierstücken (parurae, plagulae, grammata, gemmata, aurifrisia, frisia, fimbriae,
plicae, fasciae u. ä. genannt) versehen (Bild 34, S. 82), die entweder bloß aus
kostbarem Stoff (Damast, Brokat, Samt, Goldtuch) bestanden, oder bald mehr,
bald minder reich und kunstvoll bestickt waren. Bei Prachtalben wurde für
die Besätze weder Gold noch Perlenschmuck noch edles Gestein geschont,
wie aus den Beispielen erhellt, die wir aus Schatzverzeichnissen anführen
werden. Je einer der Besätze erhielt vorn auf den Ärmeln seinen Platz :
ein drittes Zierstück hatte seine Stelle an der Vorderseite der Albe unten
in der Mitte, ein wenig über dem Saum ; ein viertes war entsprechend unten
an der Rückseite des Gewandes befestigt. Wurde eine fünfte plagula ver-
wendet — und solches scheint in Italien nicht selten vorgekommen zu sein — ,
so befand sich dieselbe vorn auf der Brust unterhalb des Schlitzes, der zum
Durchlassen des Kopfes diente. Die Besätze der Ärmel umzogen entweder
Braun, Die liturgische Gewandung. 6
82
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
den ganzen Rand derselben oder waren nur auf der oberen Hälfte angebracht.
Das letztere scheint in Frankreich und Deutschland, das erstere in Italien das
Vorherrschendere gewesen zu sein. Die Parurae oder Grammata, wie sie bei
Durandus und in den italienischen Inventaren gern genannt werden , waren
meist der Albe aufgenäht, damit sie von ihr getrennt werden konnten, wenn
die Notwendigkeit eintrat, das Gewand zu waschen1. Doch finden sie sich
auch dem Albenstoff eingestickt oder eingesetzt, so daß ein Loslösen nicht
möglich war. Ein vorzügliches Beispiel für eine Albe der letzteren Art ist
die Albe in S. Chiara zu Assisi (Bild 35). Die Paruren bestehen bei der-
selben aus kanevasartigen Linnenstücken, die mittelst des sog. Gobelinstiches
mit geometrischer Musterung versehen, dann dem Stoff der Albe eingenäht und
zuletzt mit einem Goldbörtchen eingefaßt wurden.
Bild 34. Albe. Danzig, Marienkirche.
Seitdem sich die kirchlichen Farben fixiert hatten, d. i. seit dem Ende
des 12. Jahrhunderts, pflegte man die Besatzstücke der Albe der Farbe der
Kasel entsprechen zu lassen. Eine allgemeine Vorschrift war das jedoch nicht.
Insbesondere brauchte man Alben mit besseren Paruren häufig ohne Rück-
sicht auf deren Farbe.
Es ist nicht möglich, zu bestimmen, wann die neue Ausstattung der
Albe zum erstenmal aufgetreten ist. Sie scheint sich in der ersten Hälfte
des 12. Jahrhunderts ausgebildet zu haben.
Was aber die Heimat der Albenparuren anlangt, so glauben wir nicht
fehlzugehen, wenn wir, wie die Heimat der Parura des Amiktes, so auch
1 Eine hierauf bezügliche Notiz bei Maca-
lister (Ecclesiastical vestments, London 1896,
67) aus der Kirchenrecbnung von St Peter zu
Sandwich: For washing of an awbe and an
amyce . . . and for sewing on of üie parelles
of the same, V d. Vgl. auch Annalen des histor.
Vereins für den Niederrhein XLV 130: „Item
noch 5 alven mit ir heubtdoecher gerüstet
(gewaschen) und die brederkens (die Paruren)
daan geneit." Oft ist in den Inventaren von
losen Besätzen die Rede, die auf eine ge-
legentliehe Verwendung warteten.
Drittes Kapitel. Die Albe. 83
die der Grammata der Alben im nördlichen Frankreich suchen. Wie die
Gotik zuerst auf französischem Boden , so erscheint auch die neue Besatz-
weise beider Gewänder zuerst auf französischen Monumenten. Woher aber
die Idee zu derselben, vermögen wir nicht zu sagen. Scheibenförmige und
viereckige Zierstücke (segmenta, sigilla) treffen wir schon auf Tuniken des
3. und 4. Jahrhunderts und selbst früherer Zeit an. Bekannt ist ihre aus-
giebige Verwendung auf koptischen Gewandstücken. Auch auf Prachtmäntel
des 11. und 12. Jahrhunderts wurden solche Zierstücke aufgenäht, zumal auf
solche sizilischen oder byzantinischen Ursprungs. Mit der eigentümlichen
Ausstattung der Albe des späteren Mittelalters steht diese Verzierungsweise,
die einen durchaus profanen Charakter hatte, abgesehen von dem entscheiden-
den Umstand, dal?, jene Zierbesätze in ganz anderer Anordnung wie die Pa-
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Bild 35. Albe. Assiai, S CMara.
ruren aufgesetzt wurden, schon darum in keinem Zusammenhang, weil die
Albe vor dem 12. Jahrhundert niemals derartige Besätze aufweist.
Besondern mystischen Erwägungen, wie man sie später mit dieser eigen-
artigen Verzierungsweise der Albe verband, dürften die Paruren ebenfalls
ihre Entstehung nicht verdanken. Denn in diesem Falle würde wohl bei den
zahlreichen Liturgikern des 12. Jahrhunderts sich irgend etwas darüber finden,
während diese doch in Wirklichkeit nicht nur nicht von der Bedeutung der
Besätze, sondern auch von den Besätzen selbst, ja jeder Ausstattung der
Albe schweigen.
Von den Liturgikern des Mittelalters erwähnt zuerst Innocenz III. unsere
Albenbesätze. Der Priester stellt nach ihm Christi Braut dar, und so ge-
ziemt ihm gemäß den Worten des Psalmisten (Ps 44, 10): Astitit regina a
dextris tuis in vestitu deaurato, circumdata varietate, ein herrliches Gewand.
Deshalb das Aurifrisium und die Gemmata (Grammata), „welche an verschie-
denen Stellen und in mannigfaltiger Arbeit der Zierde halber an der Albe
angebracht sind". Ein Echo des großen Papstes bildet Durandus.
6*
84 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Die Pariiren gewannen rasch eine große Beliebtheit, wie aus den Bild-
werken und nicht minder aus den Schatz- und Gabenverzeichnissen hervor-
geht. Am beliebtesten waren sie im Norden, wo allerdings auch die Form
der liturgischen Obergewänder, namentlich die größere Kürze der Dalmatik,
ihre Verwendung begünstigte. In Italien, wo die Dalmatik bis in eine weit
spätere Zeit als in Frankreich, Deutschland und England eine sehr ansehnliche
Länge bewahrte, und wo infolgedessen die Albe beim Bischof und den Diakonen
durch die Obertunika ganz oder fast ganz verdeckt wurde, ging man bald
dazu über, statt die Albe eben die Dalmatik mit Zierbesätzen nach Art der
Albenparuren zu versehen. Immerhin kamen auch im Süden, wie die
Schätzverzeichnisse, die Bildwerke und verschiedene noch vorhandene mittel-
alterliche Alben beweisen, die Grammata, wie sie hier gern genannt wurden,
bei den Alben recht häufig zur Anwendung. Wie die Parura des Humerale
und die Albenparuren gleichzeitig oder doch fast gleichzeitig auf dem Plane
erscheinen, so ging auch ihre Verbreitung im ganzen in gleichem Schritt
vor sich. Bildeten sie ja auch in der Tat eine gegenseitige Ergänzung.
Was über das erste Auftreten des Amiktbesatzes in den einzelnen Ländern
gesagt wurde, gilt daher auch von dem der Paruren der Albe. Um die Mitte
des 13. Jahrhunderts waren auch diese nach Ausweis der Inventare und
Bildwerke fast allgemein gebräuchlich.
Um einen Begriff von der Kostbarkeit und Pracht so mancher mittel-
alterlichen Albenparuren zu erhalten, braucht man nur einen Blick auf die
Monumente des 13., 14. und 15. Jahrhunderts zu werfen. Daß aber die
Künstler wirklich nichts anderes darstellten, als was sie sahen, beweisen die
eingehenden Angaben, welche wir über die Besätze der Alben in manchen
Inventaren aus damaliger Zeit finden.
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, noch gestattet es uns der Kaum, an dieser
Stelle lange Auszüge aus mittelalterlichen Schatzverzeichnissen über die Alben-
paruren zu geben; immerhin empfiehlt es sich, wenigstens einiges von dem hier mit-
zuteilen, was uns die Inventare von deren Pracht erzählen.
So hatte eine Albe gemälä einem gegen Ende des 13. Jahrhunderts aufgestellten
Schatzverzeichnis von Anagni einen Brustbesatz von Gold und dicken Perlen, auf
dem die Bilder des Erlösers und der allerseligsten Jungfrau dargestellt waren. Die
Besätze am unteren Saume (fimbriae) bestanden aus gemustertem Seidenstoff, dem
Papageien und anderes Ornament eingewebt waren, während die Paruren der Ärmel
Bildwerk aufwiesen. Eine andere Albe desselben Verzeichnisses enthielt auf dem
Bruststück eine Darstellung der Flucht nach Ägypten; ihre Ärmelbesätze waren mit
je drei Bildern geziert. Die aufgesetzten Stoffstücke am unteren Eand der Albe
waren aus Goldstoff gemacht und gleichfalls mit Figuren bestickt. Eine Albe in
St Peter zu Eom hatte nach dem Inventar von 1361 Besätze aus indigofarbigem
Stoff. Auf den Stoffstücken, die unten an der Vorder- und Rückseite aufgenäht waren,
befanden sich zwei am Hals gekoppelte, goldene Drachen, deren Schweif in Ranken
auslief. Die Paruren (mappuli) der Ärmel waren mit Blattwerk verziert; an jedem
Ärmel befanden sich — wohl als Verschlußvorrichtung der geschlitzten Ärmel — acht
silbervergoldete Knöpfe. Um die Halsöffnung lief eine einfachere Borte ; der Knopf,
der dort behufs Schlieihmg des Schlitzes angebracht war, bestand wie die Knöpfe
an den Ärmeln aus vergoldetem Silber. • Ein prächtiges Stück war auch die Albe, in
der Bonifaz VIII. (f 1303) begraben wurde1. Sie bestand aus flandrischer Leinwand
und hatte fünf Paruren, auf denen in Gold- und Seidenstickerei die Verkündigung,
Heimsuchung, Geburt und zahlreiche andere heilige Geheimnisse dargestellt waren.
1 Jjzo vi us, Annales ad a. 1303, n. 8; XIV 50. Die Rekognition der Leiche fand 1605 statt.
Drittes Kapitel. Die Albe. 85
Diejenigen, welche sich am Albensaum befanden, waren 3'/o Hand breit und eine
Hand hoch.
Eine reiche Albe, die vordem in der nunmehr verschwundenen Stiftskirche zum
hl. Andreas zu Freising aufbewahrt wurde, wird von einem Kanonikus des Stifts
1728 folgendermaßen beschrieben '. „Die Albe ist vom feinsten Linnen und sehr
lang. An dem Teil der Albe, welcher vom Halse bis zur Brust reicht, hat der Nadel-
maler mit Gold- und Seidenfäden von verschiedener Arbeit das Bild Christi ausgeführt,
welchen Nikodemus vom Kreuze abnimmt, während Maria, die Mutter Jesu, und sein
Lieblingsjünger Johannes zur Seite stehen. Gegen den Saum der Vorderseite sehen
wir mit ähnlicher Kunst dargestellt Christum mit den zwölf Aposteln ; Christus sitzt
in ihrer Mitte ; zu seiner Beeilten steht Petrus, den Schlüssel in der Kechten, das
Buch in der Linken haltend, zur Linken Paulus mit einem Buche. An diese reihen
sich Andreas mit einem Buche usw. an, alle prachtvoll, wenn auch nicht künst-
lich für unsere Zeit (!) ausgeführt. In der Mitte der Albe auf der Bückseite
sieht man die Gestalt eines Weibes, das in der rechten Hand ein Messer trägt, in
der Linken aber eine große Bolle. Über ihrem Haupte steht die Inschrift Synagoga.
Zu ihrer Bechten erblicken wir den König David mit einer Krone auf dem Haupte
und einer gleichen Bolle, zur Linken aber den Propheten Isaias usw., ein anmutiges
Schaustück für Liebhaber des Altertums." Man beachte die sinnvolle Wahl der Dar-
stellungen auf den Besätzen. Wie nüchtern und geistlos erscheint dieser Albe gegen-
über so manche prunkende Albe einer späteren Zeit mit ihrer meterbreiten Spitze !
Besonders kostbare Albenparuren enthält das Schatzverzeichnis des Apostolischen
Stuhles vom Jahre 1295. Da heißt es z. B. : Item unum camisum cum gramitis ad
argentum deauratum tractitium et per diversas partes earum sunt aves, pectorale
(der Brustbesatz) autem est in xamito rubeo, ornato de uno esmalto (Emailplättchen)
in auro in medio cum uno angelo et ad alia esmalta et rosas de auro et sunt ibi una
amatissa (Amethyst), unus smaragdus, unus topacion (Topas), plures fragae (erdbeer-
artige Verzierungen) aureae, diversae perlae grossae ; deficiunt tarnen plures lapides et
topacion. Eine zweite Albe hatte Paruren aus Goldbrokat, auf ilirem Brustbesatz aber
fanden sich außer sonstigem Schmuck vier Medaillons aus Gold und Email mit Blumen,
vier in Gold gefaßte Saphire, drei große, gleichfalls in Gold gefaßte Smaragde, sechs
Bubine und sieben Granate. Eine dritte wies auf den Paruren teils Heiligenfiguren
unter Arkaturen, teils in Goldstickerei ausgeführtes Bankenwerk, auf dem Bektorale
aber eine Darstellung des letzten Abendmahles auf. Bei einer vierten war dem Brust-
besatz die „Sendung des Heiligen Geistes" und den Saumparuren die „Verkündigung"
und „Geburt" aufgestickt. Die Armelparuren sowie ein Schulterbesatz waren in Perlen-
stickerei gearbeitet. Von einer andern Albe sagt das Inventar: Item unum camisum
cum fimbriis (Paruren) de opere anglicano cum historia B. Nicolai et pectorali laborato
ad aurum cum imagine Salvatoris in medio et 4 evangelistis. Im ganzen werden
20 Alben mit mehr oder minder kostbaren Zierbesätzen aufgezählt.
Um etwa dieselbe Zeit führt ein Inventar von Peterborough fünf Alben auf,
quarum parurae sunt de rubeo samito cum ymaginibus, clavibus et rosis ex aurifrigio
bene brusdatis, 11 Alben, quarum parurae sunt de panno Turky (orientalisches Ge-
webe), quae quasi aurum resplendent, eine Albe, deren aus rotem Samt bestehende
Paruren mit Bildwerk und großen in Silber gefaßten Steinen geschmückt waren, eine
weitere Albe, deren seidene Besätze mit Bildern in Gold bestickt waren, und schließlich
eine Albe, die auf den Paruren in kunstvollster Stickerei Szenen aus Christi Leiden
aufwies 2.
Ein Inventar von St Viktor zu Marseille aus dem Jahre 1358 verzeichnet
eine Albe paratam ante et retro in fimbriis et in pectore et in summitatibus
'Kirchenschmuck I (1857) 15. Ähnlich daß sie frühestens dem 12. bis 13. Jahrhundert
Meichelbeck, Hist. Frising. I 257. Die entstammte (vgl. oben S. 33 Anm. 2).
Albe sollte von Bischof Ellenhard (t 1078) - Gay 83. Vgl. dort auch die Auszüge aus
herrühren. Indessen beweisen die Besätze, Inv. von N.-D. zu Paris u. der Kath. zu Amiens.
86 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
pugnorum. Die Saumparuren waren mit je fünf Ganzbildern verziert, auf dem Brust -
besatz war der Erlöser zwischen zwei Engeln dargestellt, auf den Ärmelparuren aber
befanden sieh je fünf Halbbilder. Dazu kam ein Amiktbesatz mit sieben Halbbildern,
in ihrer Mitte Christus. Geschlossen wurden die Ärmel cordello viridi cum acu
argenteo (sie), qui est in eius summitate l.
Besonders groß ist die Zahl der Alben, die reich mit Paruren verziert waren,
in den Inventaren von St Paul zu London aus den Jahren 12452 und 1402, zumal
im letztgenannten, welches deren über 120 notiert. Viele waren mit figürlichen Dar-
stellungen bestickt, z. B. mit Szenen aus dem Leben des hl. Thomas Becket, mit
Brustbildern der Apostelfürsten, mit den Figuren der Apostel, mit Begebenheiten aus
dem Leben des Heilandes und der allerseligsten Jungfrau, mit Heiligenbildern u. ä.
Interessant sind im Inventar von 1402 8 albae cum paruris albis depanno
lineo depictis cum rosis r üb eis, ordinatae pro pueris choristis und
4 albae cum paruris de panno lineo nigri coloris, ordinatae pro pueris
choristis.
Wie beliebt schon früh die albae paratae waren, ergibt sich z. B. aus dem
Registrum Eoffense. Unter der endlosen Reihe der Geschenke an Paramenten, welche
darin aufgezählt werden, spielen eine Hauptrolle mit Paruren versehene Alben. Immer
und immer wieder heißt es darin : Dedit albam paratam, albam cum parura, albam
cum parura de cendal (taftartiger Seidenstoff), albam paratam cum aureis leuneulis u. ä.
Daß es sich aber in diesen Fällen wirklich um einen Albenbesatz im Sinne unserer
Paruren und nicht um Vollborduren handelt, geht daraus hervor, daß in Fällen, wo
letztere gemeint sind, ausdrücklich solches bemerkt wird, so wenn es heißt : duas albas
cum nigris paruris, quae parurae circumdant totam albam, oder albam circumdatam de
pallio optimo. Es erhellt ferner aus der interessanten Angabe des Registrum: Wal-
terus episcopus (1148 — 1182) dedit . . . sandalia brusdata, de quibus facta est parura
ad albam. Denn der Besatz, den man aus diesen sandalia machte, kann unmöglich
eine Vollbordüre gewesen sein, auch wenn man unter ihnen die Pontifikalstrümpfe
verstehen sollte. Lehrreich für den Umfang, den die Verwendung der Paruren im
14. und 15. Jahrhundert gewonnen hatte, sind namentlich die Schatzverzeichnisse
von Cluny (1382), Prag (1354 und 1387), Olmütz (1435), das oben erwähnte Inventar
von St Paul zu London (1402) u. a. Wie bedeutend sie selbst hie und da noch gegen
Ausgang des 16. Jahrhunderts war, bekundet das Inventar von St Brigiden zu Köln aus
dem Jahre 1578, worin neben einer Anzahl von Alben, denen die Besätze angenäht
waren, auch erwähnt werden: „Item zu 77 alven Bretger ohne angeneit", sowie das
Inventar von Kiedrich von 1583, das „3 alpenn mitt bloen sammat schilten, 2- alpenn
mitt rodt verblömet sammat schilten, eyn alb mit rod verblömet damasten schilten,
eyn alb mitt gülden schilten, eyn alb mit weysem damast, eyn alb mit rodem bur-
satt" (Brokat) und „eyn alb mit schwarzen duch" zu verzeichnen hat3.
Natürlich waren im Mittelalter ebensowenig alle Alben mit Paruren
versehen, wie heute alle mit Spitzen ausgestattet sind. Es gab auch einfache
Alben, zumal in Landkirchen und für den werktäglichen Gottesdienst. Von
den fünf Alben zu Kastei S. Elia zeigen beispielsweise nur zwei Spuren oder
Reste von Besätzen.
Überhaupt scheint im allgemeinen auf die Albenbesätze nicht der Fleiß
und Wert gelegt worden zu sein wie auf die Parura des Amiktes. Der
Grund hierfür dürfte vor allem in dem stärkeren Verschleißen liegen, dem
die Albenparuren naturgemäß ausgesetzt waren. Dann aber mochte der
Umstand darauf einwirken, daß dieselben weniger in die Augen fielen als
der Zierbesatz des Schultertuches, welcher wie ein Kragen das Meßgewand
1 Gay 83. s Vgl. auch die Inventare von St Martin
2 Die Alben heißen im Inventar von 1245 zu Dover (1536) und der Infirmary eliapel
vestimenta. zu Peterborough (1539).
Drittes Kapitel. Die Albe. 87
wirkungsvoll abschloß. Auffallend ist diese Verschiedenheit in der Behand-
lung der Albe und des Amiktes namentlich in den späteren Inventaren. So
wird man in den ermländischen Schatzverzeichnissen nirgends einem Alben-
besatz begegnen, der sich auch nur in etwa mit einer der vielen darin er-
wähnten Amiktparuren vergleichen ließe. Es ist überhaupt darin kaum irgendwo
von Albenparuren die Rede. Selbst von den Alben schweigen diese Inven-
tare zum Teil, da dieselben als selbstverständliches Zubehör zur Kasel und
den Levitengewändern angesehen wurden. Ähnlich verhält es sich in dem
Stolper Inventar aus dem Beginn des 16., dem Breslauer aus dem Ende des
15. Jahrhunderts und dem Schatzverzeichnis des Graner Doms. Wie es
scheint, bestanden die Albenparuren hier überall lediglich aus Stoffstücken vom
Material des Meßgewandes, der Dalmatik und der Tunicella, so daß eine be-
sondere Erwähnung überflüssig erscheinen mochte. Wirklich stellen die zahl-
reichen Albenbesätze, welche sich aus dem Ende des Mittelalters in St Marien
zu Danzig erhalten haben, bloße Damaste, Brokate und Samte von der gleichen
Beschaffenheit dar, wie sie sich an den zahlreichen alten Kasein der Kirche
finden, so daß es nicht schwer sein würde, für manche der letzteren aus
dem Haufen der Albenparuren die einst zu ihnen gehörenden Albenbesätze
wieder herauszulesen.
Von den Alben, die sich aus dem Mittelalter in unsere Zeit herübergerettet
haben, weisen nur wenige Paruren von Bedeutung auf. Zu ihnen gehört namentlich
die Albe des hl. Thomas Becket zu Sens mit prächtigen Goldstickereien auf den
Besätzen, wie sie ähnlich die im Grabe Theodorichs von Trier (f 1242) aufgefundenen
Kaselreste aufweisen. Die Albe in St Chiara zu Assisi besitzt Paruren mit den im
13., 14. und 15. Jahrhundert so beliebten Hakenmustern.
Die meisten der noch vorhandenen alten Alben entbehren gegenwärtig der
Besätze, doch lassen sich bei verschiedenen noch deutlich die Spuren derselben er-
kennen. Die Albe im Dom zu Brandenburg ist mit Zierstücken aus Samtbrokat,
die Eichstätter Albe mit Paruren aus gelber Seide geschmückt. Die einzige Albe in
St Marien zu Danzig, welche noch ihre ursprüngliche Ausstattung besitzt, hat Paruren
aus dunkelblauem, fast schwarzem Samt (vgl. Bild 34, S. 82). Die Paruren der drei Alben
im Dom zu Katzeburg bestehen aus rotem, grünem und blauem Samt.
Von losen Albenparuren besitzt ein einfaches, aber schönes, in der Applikations-
technik ausgeführtes Exemplar der Dom zu Xanten '. Es stammt etwa aus dem
Anfang des 15. Jahrhunderts. Etwas reicher ist eine Parura im Königl. Kunst-
gewerbemuseum zu Berlin, ein Muster schlichter Eleganz. Aus grünem Taft an-
gefertigt , ist sie durch Zickzacklinien in über Eck stehende Quadrate eingeteilt,
welche ringsum von einem zierlichen Bankenfries eingefafst werden. Die Quadrate
sind mit je zwei einander zugewandten Vöglein, welche durch ein Bäumchen ge-
schieden werden, ausgefüllt. Die Halbquadrate an den Lang- und Schmalseiten und die
Viertelquadrate in den Ecken enthalten Blattwerk oder Ranken. Die Parura ist von
bester Wirkung, obwohl die Ausführung der Ornamente fast nur in gelber, gelbgrüner
und weifser Seide und fast blofs unter Anwendung einfacher Konturenstickerei erfolgte.
Auch das k. k. Museum für Kunst und Industrie zu Wien besitzt einige hübsche
Albenparuren. Eine erinnert durchaus an die Xantener, nur ist die Ausführung eine
andere (Gold- und Seidenstickerei) 2. Drei andere haben hinsichtlich ihrer Musterung
einige Verwandtschaft mit den eigenartigen Dessins der sog. Kölner Borten 3. Zwei in
reicher Eigurenstickerei gearbeitete Paruren befinden sich im Schatz der Kathedrale
1 Abbildung in Zeitschrift III (1890) 289. 2 Abbildung und Beschreibung ebd. XIII
Aus der Parura ist später unter Zuhilfenahme (1900) 213.
des zu ihr gehörenden Araiktbesatzes ein Be- 3 Ebd. XII (1899) 189. Über die „Kölner
hang angefertigt -worden. Borten" ebd. XIII 1 ff und Braun, Winke 19.
88
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
zu Sens ; sie gehören dem 13. Jahrhundert an und weisen unter reizenden Arkaturen
den Erlöser und die allerseligste Jungfrau mit dem Kind inmitten von je sechs Aposteln
auf '. Eine andere mit Bildwerk verzierte Parura besitzt St-Bertrand zu Comminges ;
sie enthält unter gotischen Bogen die Apostel Philippus, Petrus, Johannes, Matthias
und Jakobus und ist den Inschriften zufolge italienischen Ursprungs (Bild 36).
Die vorzüglichsten voii allen noch vorhandenen mittelalterlichen Albenparuren
besitzt aber der St Veitsdom zu Prag (Bild 37 u. 38) -. Es sind ihrer vier. Jede enthält auf
einem Goldfond, der durch abgeheftete Goldfäden hergestellt und mit Banken in feinster
Perlenstickerei belebt ist, außer dem Halbbild des Heilandes bzw. seiner jungfräu-
lichen Mutter die Halbbilder von je zwei männlichen bzw. je zwei weiblichen Heiligen.
Alle Figuren sind, nur die Fleischteile, das Haar, die Unterseite der Gewänder und
einiges andere kleinere Detail ausgenommen, ganz in Perlen ausgeführt. Umrahmt
ist das Bildwerk von einem Blattfries, bei welchem gleichfalls echte Perlen in reichstem
Maße zur Verwendung gelangt sind. Die Länge der Paruren, die aus der letzten
Hälfte des 14. Jahrhunderts herrühren mögen, beträgt ca 0,31 m, ihre Höhe ca 0,18 m.
Außer den Paruren kamen übrigens nicht selten auch noch Zierstreifen
als Albenornament zur Verwendung. Beliebt war es namentlich, solche
auf den Schultern anzu-
bringen. Sie liefen hier ent-
weder bloß rechts und links
von dem Armelansatz bis
zum Kopfdurchlaß oder an
diesem vorbei von Ärmel zu
Bild 36.
Albenparura mit Figurenstickerei.
Comminges, St-Berirand.
Ärmel. Auch umgab man
wohl den Kopfdurchschlupf
selbst mit einem Börtchen.
Dann finden wir mehrfach
einen, zwei, ja selbst drei
Vertikalstreifen auf der Vor-
der- und Rückseite oder
doch wenigstens der Vorder-
seite des Gewandes. Bei drei Vertikalstreifen befand sich einer in der Mitte,
während die andern sich den Rand der Mittelbahn herabzogen (Bild 39, S. 91).
Auf der Albe im Königl. bayrischen Nationalmuseuni zu München (vgl. Bild 33, S. 77)
geht ein Zierstreifen über die Schultern, ein anderer um den Kopfdurchlaß. Ein dritter
steigt über die Brust vom Kopfdurchlaß bis zur Mitte des Gewandes herab, ein vierter
endlich verläuft quer über die Brust, bildet also mit dem senkrechten Streifen ein
förmliches Kreuz. Eine Saumparura scheint die Albe nie besessen zu haben, dagegen
findet sich bei ihr am oberen Ende der Giren ein Zierstück in Form eines über Eck
stehenden Quadrates angesetzt, von dem die Fältelung der Giren ausgeht, eine Ein-
richtung, welche sich ähnlich auch sonst bei mittelalterlichen Alben findet, wie z. B.
bei den Alben im Hospiz zu Lisieux, in S. Chiara zu Assisi, zu Valsainte und im
Kensington Museum. Das Zierstück ist hier überall dreieckig. Bei den drei ersten
ist es in Weißstickerei mit Rhomben gemustert, bei der letzten mit einem Kreuz bestickt.
Alben, die einen Vollbesatz am Saum aufweisen, scheinen nach Ausweis
der Inventare und Bildwerke im 13., 14. und 15. Jahrhundert im Ganzen nur
selten vorgekommen zu sein. Von allen aus jener Zeit noch erhaltenen Alben
1 Abbildungen in d e F a r c y pl. 23. Die Pa-
rura in St-Bertrand zu Comminges auf pl. 31.
2 Abbildung aller vier Paruren bei A. P o d-
laha und E. Sittler, Topographie der
histor. und Kunstdenkmale Böhmens. Der
Domschatz in Prag, Prag 1903, 185 ff. Eine
ist gut in Farben wiedergegeben bei B o c k,
Gesch. I, Tfl 11.
Drittes Kapitel. Die Albe.
89
Bild 37. Albenparura. Prag, Domschatz.
(Aus Podlaha u. Sittler, Der Domschatz zu Prag )
ist bloß eine mit einem solchen ausgestattet, die aus der Neustädter St Johannes-
Kirche zu Hannover stammende, mit M. XX 6 bezeichnete Albe im Pro-
vinzialmuseum daselbst. Die Bordüre setzt sich aus Vierpässen zusammen,
"Welche mit einem Wappenschild gefüllt sind und durch Blattwerk voneinander
geschieden werden. Bemerkenswert ist, daß aber auch hier in der Mitte des
Saumes die Paruren nicht fehlen.
In der Neuzeit ging es den Albenparuren ähnlich wie dem Besatz des
Amiktes. Während indessen bei letzterem die Verzierung ganz aufhörte, be-
Bild 38. AlbeDparura. Prag, Domschatz.
(Aus Podlaha u. Sittler, Der Domschatz zu Prag.)
90 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
gann bei der Albe eine rückläufige Bewegung, indem wieder Vollbordüren
an Stelle der Paruren traten.
Ein gutes Beispiel einer solchen Albe, eine Schöpfung des 16. Jahr-
hunderts, findet sich in der ehemaligen Stiftskirche zu Goß in Steiermark.
Der breite Besatz, der sich um den ganzen Eand derselben hinzieht, ist teils
in mehrfarbiger Seide teils in Goldstickerei ausgeführt1.
Im allgemeinen hielt das Außermodekommen der Alben- und Amiktparura
gleichen Schritt, wie sie ja auch so ziemlich zur gleichen Zeit aufgetreten
waren und in gleichem Maß sich verbreitet hatten. Freilich auch nur im
allgemeinen. Denn wie wir noch gegen Ende des 16. Jahrhunderts dort Amikt-
besätze antreffen, wo die Zierstücke der Alben, wie es scheint, schon außer
Gebrauch gekommen waren , so begegnen uns umgekehrt diese hie und da
noch, nachdem jene bereits eine Weile von der Bildfläche verschwunden waren.
So hört z. B. auf den Mainzer Bischofsmonumenten die Amiktparura, wie
früher ausgeführt wurde, schon im Beginn des 16. Jahrhunderts auf, während
die Albe noch bei Albrecht von Brandenburg (f 1545), Sebastian von Heusen-
stamm (f 1555) und selbst Daniel Brendel von Homburg (f 1582) die alte Besatz-
art aufweist. Ähnlich gewahrt man auf dem Grabstein eines Willem Symoens
zu Gent (f 1570) nicht mehr die Amikt-, wohl aber noch die Albenparura.
In Deutschland bleibt die Albenparura teilweise noch bis gegen Ende
des 16. Jahrhunderts in Gebrauch. Außer den schon angeführten Grabmälern
der Mainzer Erzbischöfe verweisen wir zum Beweis hierfür auf die Grabplatten
der Bischöfe Rembert von Kerssenbroich (f 1568) im Dom von Paderborn und
Johannes von Hoya (f 1574) im Dom zu Münster. Noch später treffen wir
die Zierstücke als Albenschmuck auf der Grabplatte des Bischofs Johannes
Nasius (f 1590) in der Franziskanerkirche zu Innsbruck. Von den 77 Alben-
paruren, die unter dem Namen „bretgen, brederken" im Inventar der St Brigiden-
kirche zu Köln von 1578 erwähnt werden, war schon die Rede. In dem-
selben Schatz Verzeichnis heißt es: „Item noch 5 alven mit ir heubtdoecher
gerüstet (gewaschen) und die brederkens daan geneit." An einer andern Stelle
findet sich der Vermerk, es seien einer Albe „roth kamelotte (Wollstoff) bretgen"
aufgenäht. Zu Kiedrich im Rheingau waren die „Albenschilde" noch 1583 im
Gebrauch. Zu Brixen untersagte erst die Synode von 1603, ferner scutella
(Schilde) zur Verzierung der Alben zu gebrauchen 2. Die Prager Synode vom
Jahre 1605 scheint die Paruren nicht mehr zu kennen. Was sie über die
Albe sagt, beruht ersichtlich, wie ihre Verordnungen hinsichtlich der Be-
schaffenheit der übrigen Paramente, auf den Bestimmungen des hl. Karl Borro-
mäus. Ausgelassen ist aber, was der Heilige über die Albenparuren sagt,
wohl ein Zeichen, daß diese in der Prager Erzdiözese außer Verwendung
gekommen waren.
In Italien war die Parura, wenn wir von Norditalien, namentlich der
mailändischen Kirchenprovinz, absehen, schon um den Beginn des 16. Jahr-
hunderts kaum mehr gebräuchlich. Zu Venedig treffen wir sie noch auf dem
1535 angefertigten Mosaikbilde des hl. Geminianus im Portikus von S. Marco
und einem Gemälde des Girolamo da S. Croce in der Accademia bei St Augu-
stinus. Zu Mailand verordnete der hl. Karl Borromäus: „Unten an der
Albe vorn und rückwärts und ebenso an den Armelenden mögen quadrat-
förmige Seidenstücke, welche man Grammata oder Auriphrygium nennt, in
Mitt. III (1885) 94. 2 C. De eccl. n. 16 (Hartzh. VIII 565).
Drittes Kapitel. Die Albe.
91
der Farbe und vom Stoff der Kasel aufgenäht werden." . . . Wer nach Mai-
land kommt und im Dome daselbst dem Hochamt beiwohnt, wird bemerkt
haben, daß die Verordnung des hl. Karl bezüglich der Albenbesätze noch
immer befolgt wird (vgl. Bild 11, S. 43 und 22, S. 57). Freilich passen die-
selben herzlich schlecht zu der häßlichen Albenform, wie sie dort gegenwärtig
in Gebrauch ist.
Auch in Spanien hat sich hie und da, wie z. B. zu Sevilla1 und Toledo,
eine wenngleich sehr beschränkte Verwendung der alba parata erhalten. So
tragen zu Toledo am Karfreitag die Sänger der Passion mit Paruren aus-
gestattete Alben 2, wohl im Festhalten an der mittelalterlichen Symbolik, welche
die Albenbesätze auf die Wunden des Heilandes deutete.
In Frankreich ist der mittelalterliche Albenbesatz heute ganz ver-
schwunden. Im vorigen Jahrhundert gab es daselbst jedoch noch einzelne
Kirchen, in denen man
sich an hohen Festen
der albae paratae be-
diente. So geschah es
z. B., wie Montfaucon
berichtet , zu Angers,
wo allerdings derartige
Alben gerade wie die
amictus parati ein Vor-
recht der Kanoniker
der dortigen Kathe-
drale bildeten 3. Wie die
Revolution in Frank-
reich leider eine Menge
der kostbarsten und in-
teressantesten Para-
mente aus dem Mittel-
alter vernichtet hat, so
hat sie auch den trau-
rigen Ruhm, mit man-
chen andern mittel-
alterlichen Überbleibseln im Kultus auch die Albenparuren ganz weg-
geschwemmt zu haben. Auf den Wandel in der Verzierungsweise der Alben
wird übrigens das Aufkommen und die Entwicklung der Spitzenindustrie im
16. Jahrhundert nicht ohne Einfluß gewesen sein. Die prächtigen Spitzen,
welche diese schuf, waren zu einladend, um nicht auch zur Verzierung bei
den Alben verwendet zu werden. In der Tat kamen sie bald als Ausstattung
bei denselben in Gebrauch. Die Verbreitung, die sie hierbei nach und nach
gewannen, bedeutete natürlich das Ende der Paruren. Alben mit Spitzen
werden in einem Inventar von Angers aus dem Jahre 1644 erwähnt4.
Die Albenspitzen haben sich bis auf unsere Tage erhalten und werden
auch wohl nimmermehr aus dem Gebrauche verschwinden. In der Tat wäre es
verkehrt, die Spitzen, oft genug Werke vollendetsten Kunstfleißes, als Schmuck
der Albe zu verschmähen. Richtig und mit gutem Geschmack angewendet,
Bild 39. Albe. London, Kensington-Museum.
1 Wiseman, Vermischte Schritten I
(deutsch Köln 1857) 63.
5 Nach Mitteilungen aus Toledo.
3 Revue 1886, 172. * Ebd. 181.
92 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
sind sie ein sehr brauchbares Mittel zu deren würdiger Verzierung. Es ist
allerdings vielfach mit ihnen Mißbrauch getrieben worden. Sie standen nicht
nur oft genug im Widerspruch zum Stoff der Albe — man denke an die
duftigen Tüllspitzen, die großlöcherigen Guipuren u. ä., sondern erhielten auch
häufig zum Schaden der Würde und des Charakters des Gewandes eine un-
verhältnismäßige Länge; gab es doch genug Albenspitzen, die bis zu einem
Meter breit waren. Der Kampf, den man in den fünfziger Jahren beim Wieder-
erwachen der religiösen Kunst gegen die Spitzen begann, war daher nicht
unberechtigt. Es waren in der Tat Mißbräuche zu beseitigen. Es läßt sich
aber nicht verkennen, daß in der ersten Begeisterung und im heiligen Kampfes-
eifer nicht selten die Kugeln, die man abschoß, weit über das Ziel hinaus-
flogen1. Man verwechselte Mißbräuche mit der Sache selbst und gab nur zu
oft einseitig den eigenen Geschmack für das allein Richtige, allein Kirchliche
aus. Immerhin fiel manches gute Wort, manche treffende Bemerkung, mancher
begründete Tadel, manche aufmunternde Anregung. Die erfreuliche Frucht der
Bewegung war denn auch, daß wenigstens in Deutschland in Bezug auf die
Verwendung der Albenspitzen eine nicht unerhebliche Besserung eintrat.
Der freilich nur vereinzelt gemachte Vorschlag, unter Rückkehr zur
mittelalterlichen Gepflogenheit wieder Paruren zur Verzierung der Alben zu
verwenden, verhallte jedoch leider so gut wie ergebnislos. Nur in England
begann man dieselben von neuem zu verwerten, doch hatten die diesbezüglichen
Bemühungen auch hier weder einen durchschlagenden noch einen nachhaltigen
Erfolg. Dagegen gelang es, zumal in Deutschland, statt der Spitzen gestickte
Bordüren einzuführen, ein Ergebnis, das man immerhin mit Freuden begrüßen
kann. Allerdings gilt auch hier, daß nicht jede gestickte Bordüre als solche
schon ein Muster von Schönheit und eine geeignete Verzierung der Albe ist.
Wer den Inhalt mancher Sakristeischränke mustert und die Dutzendware nicht
bloß einer der sog. Anstalten für christliche Kunst beschaut, wird manches
finden, das weit weniger zur Albe paßt als zahlreiche der vielgelästerten
Spitzen. Das gilt besonders von den in jüngster Zeit so beliebt gewordenen,
auf schwerem Kanevas gestickten Albenbordüren, die zu einer Tischdecke und
ähnlichem oder als Tischläufer passen mögen, für ein leichtes Linnengewand
aber zu steif und massig sind.
VII. DIE LITURGISCHE TUNIKA IN DEN ORIENTALISCHEN RITEN.
DIE EPIMANIKIEN.
Bei allen Riten des Ostens gibt es eine liturgische Tunika, griechisch
sticharion, slavisch stichar, armenisch schapik, syrisch (chaldäisch) kutinä,
koptisch stoicharion, tuniah. Sie kommt allen Klerikern zu, vom Patriarchen
angefangen bis zum Lektor.
Bei den Priestern und Bischöfen wird die Tunika zwar gegürtet, aber
in der Regel nicht auch aufgeschürzt. Sie pflegt daher etwas kürzer zu sein
als die abendländische Albe. Die Tunika der Diakone wird in keinem Ritus
gegürtet, diejenige der Subdiakone und Lektoren nur im griechischen und
koptischen. Eine Obertunika der Diakone und Subdiakone von der Art der
abendländischen Dalmatik und Tunicella ist den Riten des Ostens unbekannt.
1 Man vergleiche namentlich die diesbezüg- um die Besserung und Hebung des Para-
lichen Aufsätze in den älteren Jahrgängen mentenwesens die grüßten Verdienste er-
des „Kirchenschmuck", der sich überhaupt worben hat.
Drittes Kapitel. Die Albe.
93
Diakon und Subdiakon tragen nur eine Tunika, die bei ihnen freilich in ge-
wisser Hinsicht ein Mittelding zwischen Albe und Dalmatik ist. Die priesterliche
und bischöfliche Tunika hat allenthalben enge Ärmel. Bei den Diakonen und
teilweise auch den Minoristen pflegen die Ärmel der Tunika dagegen fast
mittelweit zu sein, namentlich bei den Griechen (Russen) und Armeniern (Bild 40).
In Bezug auf die Farbe der Tunika herrscht in der Ostkirche durchweg
die größte Freiheit. Wenn wir von Schwarz absehen, ist keine Farbe von
ihr ausgeschlossen. Immerhin bevorzugt man für die priesterliche und bischöf-
liche Tunika Weiß. Vorgeschrieben ist dies für selbige bei den Kopten. Ein
buntes Farbenspiel gewähren die Tuniken der Diakone und Minoristen bei
den Armeniern, wie jeder bemerkt
haben wird, der Gelegenheit hatte,
dem armenischen Gottesdienst bei-
zuwohnen. Da sieht man z. B. rote
Tuniken mit breiten gelben oder
blauen Besätzen und gleich da-
neben blaue Tuniken mit roten
oder a-elben Besätzen.
Die Verzierung der Tuni-
ken ist durchweg
recht dürftig.
Der Regel nach beschränkt sie sich
auf ein oben auf der Rückseite
angebrachtes gleicharmiges Kreuz.
Reicheren Schmuck erhält die Tu-
nika nur bei den schismatischen
Kopten und den Armeniern,
doch ist es bei letzteren bloß die
Tunika der Diakone und Minoristen,
welcher eine besondere Ausstattung
zu teil wird. Sie besteht in einer
breiten Bordüre, welche die Ärmel-
mündungen und den Saum des Ge-
wandes umgibt, sowie in einem
kragenförmigen Besatz, welcher den
Durchlaß für den Kopf umzieht.
Außerdem bringt man gern vor den
beiden Schultern bzw. auf den
beiden Oberarmen ein Kreuz bzw.
einen Cherub an, wie man sagt, um die Stelle für den Friedenskuß zu be-
zeichnen. Statt des kragenähnlichen Besatzes trägt man übrigens auch wohl
einen förmlichen, rings mit Fransen versehenen Kragen (Bild 40).
Bordüren und Besatz werden bei einfachen Tuniken bloß aus anders-
farbigen, stark kontrastierenden Stoffen gemacht, bei besseren aber durch
Stickerei hergestellt. Ein interessantes Exemplar einer Tunika der letzteren
Art besitzt das Düsseldorfer Gewerbemuseum (Bild 41, S. 95). Der die Halsöff-
nung derselben umrahmende kragenförmige Besatz weist im Nacken in reicher
Goldstickerei das letzte Abendmahl, vorn die Verkündigung und Cherubim auf.
Die Tunika der schismatischen Kopten soll auf dem Rücken ein Kreuz,
auf den Ärmeln das Bild des hl. Georg und des hl. Michael und vor der Brust
das der allerseligsten Jungfrau mit dem Jesuskinde und darüber ein zweites
Bild 40. Armenischer Diakon und Subdiakon.
94 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Kreuz tragen. Doch kann auf den Ärmeln auch ein Cherub angebracht
werden. In diesem Fall kommt die Darstellung des hl. Georg unter diejenige
der Gottesmutter zu stehen.
Die bischöfliche Tunika des griechischen Ritus soll mit roten
Vertikalstreifen (riozaixoi) verziert sein.
Betreffs des Stoffes der liturgischen Tunika besteht in den Kirchen
des Ostens keine streng bindende Vorschrift. Es kann ebensowohl Seide und
Wolle wie Linnen oder Baumwolle für sie genommen werden, doch pflegt man
bei den Kopten die Tunika des Priesters und Bischofs gewöhnlich aus Linnen
anzufertigen; ähnlich verhält es sich im chaldäischen Ritus. Die diakonale
Tunika wird allgemein, wenn möglich, aus Seide hergestellt.
Die Tunika wird in den Riten des Ostens fast nur bei dem heiligen
Opfer und bei liturgischen Handlungen getragen, die, wie die Erteilung der
heiligen Weihen, in engster Verbindung mit demselben verrichtet werden.
Außerhalb der Messe ist ihr Gebrauch beschränkter als derjenige der latei-
nischen Albe bzw. ihres Surrogates, des Superpelliceum, weil da, wo man
im abendländischen Ritus Albe und Stola bzw. Superpelliceum braucht, bei
den Orientalen gewöhnlich nur die Stola oder die Stola mitsamt dem litur-
gischen Obergewand zur Verwendung kommt.
Bei den Griechen sollte der Lektor an sich keine Tunika, sondern ein
kurzes Phelonion (Kasel) tragen und mit diesem zum Zeichen, daß es sein
Amtskleid sei, bei der Weihe bekleidet werden. In der Wirklichkeit hat sich
aber die Sache schon seit langer Zeit dahin gestaltet, daß auch der Lektor
das Sticharion hat und ihm demgemäß bei der Weihe anstatt des Phelonion
das Sticharion angelegt wird. Ein Rest der alten Praxis hat sich indessen
im russisch-griechischen Ritus erhalten. Denn obwohl auch in ihm die Lek-
toren für gewöhnlich das Sticharion benutzen, wird ihnen doch bei der Weihe
zunächst das Phelonion und erst am Schluß das Sticharion angezogen1.
Auch in den übrigen Riten der Ostkirche pflegt der Lektor bei seiner
Ordination mit der Tunika bekleidet zu werden, wenngleich nicht bei allen
durch den Bischof selbst. Bei den Maroniten, bei welchen die eigenartige
Sitte besteht, bei der Weihe nicht nur dem Lektor, sondern auch dem Sub-
diakon, Diakon und selbst dem Bischof die Tunika anzulegen, spricht der
Konsekrator, während er den Ordinanden mit derselben bekleidet: „Zieh an,
o Herr, diesem deinem Diener die Tunika des Lektorats (Subdiakonats usw.)
zum Lob und Preis der heiligen Dreifaltigkeit und zur Erbauung und Kräftigung
der heiligen Kirche und all ihrer Kinder, auf den Titel des Altares der Kirche
des hl. N., im Namen des Vaters usw."2
Was die Geschichte der liturgischen Tunika in den orientalischen Riten
anlangt, so läßt sich darüber wenig feststellen. Es sind nur ganz vereinzelte
und zudem meist späte Angaben, die wir betreffs derselben erhalten. Auch
die Monumente bringen wenig Aufschluß, zumal aus früher Zeit kaum etwas
an solchen vorhanden ist. Obendrein ist es fast nur die Tunika des grie-
chischen Ritus, über deren Geschichte wir einige nähere Auskunft eimalten.
Die Hauptfrage ist natürlich, seit wann es in den orientalischen Riten
eine liturgische Tunika in dem früher erklärten Sinne 3 gegeben habe. Möglich,
1 v. Maltzew, Die Sakramente der 2 Ass. , C. 1. 1. 8, p. 2 praef. n. 38 ff
orthodox-katholischen Kirche, Berlin 1898, (p. lxxix ff), sowie die dort abgedruckten
309 311. Das Phelonion wird ihnen vor An- einzelnen Ordines p. 28 47 80.
legung des Sticharion wieder ausgezogen. 3 S. oben S. 63.
Drittes Kapitel. Die Albe.
95
daß schon der heilige Poderes (eine bis zu den Füßen herabwallende Talartunika),
der uns in der bei Gelegenheit der Einweihung der Basilika zu Tyrus an die
anwesenden Bischöfe gehaltenen Ansprache des Eusebius von Cäsarea begegnet,
als solche aufzufassen ist. „Freunde Gottes und Priester", so begrüßte der
Redner seine Mitbischöfe, „die ihr bekleidet seid mit der Talartunika und dem
himmlischen Ruhmeskranze." 1 Indessen ist es nicht unwahrscheinlich, daß
Eusebius nur im Bilde gesprochen hat, indem er im Hinblick auf die alt-
testamentliche sakrale Talartunika, statt zu sagen: „mit der Priesterwürde
bekleidet", die Metapher brauchte: „mit dem heiligen Poderes bekleidet".
Denn eine ähnliche, hier jedoch unzweifelhaft bildliche Redeweise findet sich
^mm
bei Gregor von Nazianz in der
Rede auf seine Bischofsweihe 2.
Nicht minder läßt die Wendung
„mit dem himmlischen Ruhmes-
kranze" die allegorische Auf-
fassung der Worte Eusebius'
als die wahrscheinlichste er-
scheinen.
Wie dem indessen auch
sein mag, jedenfalls können die
linnenen Sticharien, wegen deren
sich der hl. Athanasius gegen-
über den Anschuldigungen der
Arianer zu verteidigen veran-
laßt sah 3 — man hatte dem
Heiligen vorgeworfen, er habe
als der erste linnene Sticharien
unberechtigterweise als Abgabe
verlangt — , nicht zum Beweise
dienen, daß es zu des großen
Bischofs Zeit bereits eine Sa-
kraltunika im Osten gegeben
habe, wiewohl man sie oft genug
zu diesem Zweck herangezogen
hat. Denn wenn es sich auch
bei denselben um Tuniken für
Athanasius und seine Kleriker
handelt, so liegt doch kein Grund vor, sie als liturgische Tuniken aufzufassen.
Noch viel weniger aber beweist das Sticharion, von dem in des Palladius Historia
Lausiaca die Rede ist4, die Existenz einer liturgischen Tunika. Denn wenn
dort erzählt wird, es habe der hl. Athanasius, als die Häscher zur Nachtzeit in
seine Wohnung eindrangen, um sich seiner zu bemächtigen, sein Sticharion
und seinen Birrus (Tunika und Mantel) genommen und ein Versteck auf-
gesucht, so ist hier offenbar nur die gewöhnliche Tunika gemeint.
Einer diakonalen Tunika, die, wie es scheint, eine liturgische Tunika
darstellt, geschieht in der 83. Homilie des hl. Johannes Chrysostomus zu
Bild 41. Armenische Diakonentunika.
Düsseldorf, Kunstgewerbemuseum.
1 Hist. eccl. 1. 10, c. 4 (Mg. 20, 849).
2 Or. 10, n. 4 (Mg. XXXV 829). Er schil-
dert hier seine Weihe im Bilde der aaroni-
tischen Priesterweihe (Lv 8, 6 ff).
3 Apologia contra Arianos n. 60 (Mg.
25, 357). Vgl. Sozomenus, Hist. eccl. 1. 2,
c. 22 (Mg. 67, 992).
4 C. 136 (Mg. 34, 1235).
96
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Matthäus Erwähnung: „Das ist eure Ehre, eure Sicherheit und eure Krone
(nämlich zu unterscheiden, wem sie den Leib des Herrn zu reichen haben),
nicht aber, daß ihr in weißer, hellschimmernder Tunika einherzieht", mahnt
dort der Heilige die Diakone K Auch im Testamentum Domini Iesu Christi
dürfte unter dem weißen Gewand, in dem der Diakon im Hospiz sitzen soll,
um sich der Fremden anzunehmen, nach dem Zusammenhang die diakonale
Amtstunika zu verstehen sein 2.
Etwas Bestimmtes läßt sich also über das Alter und die Urgeschichte
einer liturgischen Untertunika in den Riten des Ostens nicht feststellen.
Jedenfalls gab es schon längst eine solche, als die 'lawpia exxXqmaffTtxq ge-
schrieben wurde, und nicht erst zur Zeit, da die unter dem Namen des
hl. Germanus von Konstantinopel gehende Meßerklärung entstand. Die Yaropca
redet allerdings nur von dem Sticharion des Bischofs3, indessen gestattet
natürlich die Verwendung einer liturgischen Tunika bei diesem einen Rück-
schluß überhaupt auf den Gebrauch einer solchen. Bemerkenswert ist, was
die Schrift über die Ausstattung des bischöflichen Sticharion mitteilt. Sie
erzählt nämlich, es sei vorn an den Ärmeln mit Zierstreifen versehen gewesen,
welche sie auf die Handfesseln Christi deutet. Außerdem erfahren wir, daß
seitlich am Gewand Streifen angebracht waren, durch welche das am Kreuz
aus den Wunden des Heilandes rinnende Blut versinnbildet werde; es sind
die bekannten antiken clavi, die sich als Reminiszenz auch noch in den Be-
sätzen unserer Dalmatiken erhalten haben.
Von der Farbe des Sticharion sagt die Schrift nichts. Erst die unter
dem Namen des hl. Germanus gehende Meßerklärung tut ihrer Erwähnung,
wenn sie das Gewand als weiß bezeichnet. Weiß war auch das Sticharion,
das Patriarch Nicephorus von Konstantinopel mit andern Meßgewändern Papst
Leo III. zum Geschenk machte4.
Seit wann es neben weißen auch farbige Sticharien gab, läßt sich nicht
bestimmen. Auf den Miniaturen kommen deren schon ziemlich früh vor, doch
sind diese, was die Farbe der Gewänder anlangt, nicht gerade besonders zu-
verlässig. Gegen Ende des Mittelalters waren jedenfalls nicht mehr aus-
schließlich weiße Tuniken in Gebrauch; denn Simeon von Saloniki redet be-
stimmt von purpurnen bischöflichen Sticharien 5. Weiß oder purpurn war nach
Simeon auch das xaiuaiov. das Amtskleid der Lektoren, das entweder dem
Phenolion, der Kasel, gleichen oder auch die Form eines Sticharion haben
konnte6. Immerhin scheint das Sticharion im Mittelalter vorherrschend von
weißer Farbe gewesen zu sein, besonders bei den Kopten, bei welchen nach
der Kanonessammlung des Ibn 'Assal und den Canones imperiales sogar die
ganze liturgische Gewandung aus weißen Stoffen gemacht sein sollte 7.
Die Besätze, mit denen nach der ^lazopia die Tunika geschmückt wurde,
erwähnt auch Simeon von Saloniki. Er nennt sie notapoi, Flüsse8, und zwar
' Mg. 58, 745.
2 L. 1, c. 24 (ed. Rahmani), p. 83.
3 Jahrb. von Odessa IV 2 (1894) 245. In
den Handschriften wechseln die Lesearten.
Sie haben teils diaxövoug, teils kpzig, teils
iepetg diazüvoug; allein der Zusammenhang
ergibt mit Bestimmtheit , daß nur tspsig,
und zwar im Sinne von Bischöfen, gemeint
sein können, und daß die erste Leseart ein
Schreibfehler, die zweite ein unglücklicher
Korrekturversuch ist. Die Mucniy.7) ßswpia
gibt richtig hpsig.
4 M. 102, 1068.
5 De sacra liturgia c. 79 (Mg. 155, 256).
6 De sacra ordinatione c. 186 (ebd. 396).
7 Renaudot, Coli. iit. orient. I 160 Can.
S Bas. c. 99 (W.Riedel, Kirchenrechtsqnellen
des Patr. von Alexandrien, Leipzig 1900, 272).
8 De sacra liturgia c. 79 (Mg. 155, 256);
De divino templo q. 37 (ebd. 712).
Drittes Kapitel. Die Albe.
97
dienten sicher im griechischen Ritus zur Ver-
war es zu seiner Zeit noch immer ein Vorrecht der Bischöfe, ihr Sticharion
mit denselben zu schmücken. Ob es immer so gehalten worden, ist nicht
mit Sicherheit zu bestimmen, doch ist das wohl am wahrscheinlichsten. Es
ist uns keine Darstellung bekannt, auf der die priesterliche oder diakonale
Tunika mit den fraglichen Streifen geschmückt wäre. Nach Balsamon, also
im 12. Jahrhundert, galten sogar die Ttozafioc auf dem Sticharion als Vorrecht
der Patriarchen1. Auf den Monumenten sind die Trora/joi bald von roter, bald
von dunkelvioletter, meistens aber von schwarzer oder schwärzlicher Farbe.
In der Regel bestehen sie aus zwei parallel nebeneinander laufenden Streifen
(Bild 42). Die nora/xoc
zierung der bischöflichen Tunika. Ob
und in welchem Umfang sie auch in
den andern Riten des Ostens als
Schmuck derselben zur Verwendung
kamen, läßt sich nicht feststellen.
Wie die Funde in den koptischen
Gräberfeldern beweisen, bedienten sich
die Altkopten im Alltagsleben zur
Verzierung der Tunika außer Längs-
streifen, die von oben bis unten reich-
ten, auch breiterer oder schmalerer
Saumeinfassungen, runder, viereckiger
oder herzförmiger Flecke sowie strei-
fenförmiger Besätze, die sich von den
Schultern bis etwa in die Mitte des
Rückens bzw. unter die Brust herab-
zogen und unten mit einem runden
oder ovalen Anhängsel endigten. Es
ist beachtenswert, daß auf diesen Zier-
stücken vielfach auch religiöse Motive
zur Darstellung gekommen sind 2. Ohne
Zweifel wird man sich ähnlicher Orna-
mente, die in Gobelinwirkerei herge-
stellt und teils dem Gewandstoff auf-
gesetzt teils eingearbeitet waren, auch
zur Ausstattung der liturgischen Tu-
nika bedient haben. Die Sitte der
schismatischeh Kopten, die tuniat
noch jetzt auf den Ärmeln, der Brust und dem Rücken mit Bildwerk zu ver-
sehen, mag ein Überbleibsel der alten Gepflogenheit sein, von der uns die
Gräber Kunde brachten.
Auf den Miniaturen des syrischen Pontifikale der Pariser National-
bibliothek ist weder bei den Bischöfen noch Priestern noch Diakonen von
einer Verzierung der Tunika mittelst der Trora/uoi etwas zu sehen. Dagegen
gewahrt man wohl an dem Oberarm der diakonalen Tunika einen Zierbesatz.
Der Fai'be nach sind hier die Tuniken meistens rot, blau oder grün, doch
kommen auch weiße vor. Ob die Darstellungen Zeugnis von dem damaligen
Tatbestand ablegen?
Bild 42. St Nikolaus. Griechische Miniatur.
Rom, Vaticana.
1 Meditata. Mg. 138, 1022.
Braun, Die liturgische Gewandung.
S. oben S. 13, Anm. 1.
98 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Bezüglich der Verwendung, welche die liturgische Tunika beim Gottes-
dienst in den Riten des Ostens erfährt, dürfte es sich in der Vergangenheit
nicht anders denn in der Gegenwart verhalten haben.
Im griechischen Ritus trugen in älterer Zeit nur die Bischöfe, die
Priester und Diakone das Sticharion; die Subdiakone und Lektoren bedienten
sich bei ihren Funktionen statt seiner einer Art von Kasel, des Phelonion.
Wann sich auch bei ihnen das Sticharion einbürgerte, läßt sich nicht genau
angeben. Bis gegen das 12. Jahrhundert war solches wohl noch kaum er-
folgt. Denn in zwei Weiheordines aus der Wende des 1. und der Frühe des
2. Jahrtausends treten die Ordinanden zum Empfang der Diakonatsweihe noch
im Phelonion hin, das ihnen dann bei dieser ausgezogen wird 1. Um 1400
dagegen war bei den Subdiakonen das Phelonion schon eine Weile völlig außer
Gebrauch gekommen und ganz durch das Sticharion ersetzt. Aber auch bei
den Lektoren finden wir dieses bereits um die Wende des 14. Jahrhunderts,
wenngleich bei ihnen nur neben dem althergebrachten Gewand2. Der Wechsel,
durch den bei den Minoristen des griechischen Ritus das Sticharion ganz oder
teilweise an die Stelle des Phelonion trat, mag sich demnach etwa im 12. oder
13. Jahrhundert vollzogen haben.
Seit wann in den übrigen Riten des Ostens die Subdiakone und Lek-
toren eine liturgische Tunika tragen, ist aus Mangel an diesbezüglichen Nach-
richten nicht näher zu bestimmen. Daß es in der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts im armenischen Ritus bei ihnen eine solche gab, ersehen wir
aus den Angaben des Nerses von Lampron, der ausdrücklich die Tunika als
das allen Geistlichen zukommende gottesdienstliche Gewand bezeichnet 3.
Freilich bestand damals bei den Armeniern auch eine Richtung, welche sich
um eine besondere liturgische Kleidung nicht kümmerte und keinen Anstoß
nahm, die heiligen Geheimnisse in der Alltagstracht zu feiern. Nerses von
Lampron deutet selbst solches an 4.
Eine Ergänzung der sakralen Tunika bilden in der Ostkirche die sog.
E p i m a n i k i e n (griechisch i-t/j.avlxia, slavisch narukawnitza, armenisch pazpan,
syrisch zendo, chaldäisch zendä, koptisch kimam). Sie sind, wenngleich mit
einigen geringfügigen Unterschieden, bei allen Riten des Ostens in Gebrauch.
Bei den Armeniern, Syrern, Chaldäern und Kopten bedienen sich ihrer nur
die Bischöfe und Priester, bei den Griechen aller Schattierungen, den Russen,
den eigentlichen Griechen, den Syro-Melchiten, den Italo-Griechen, Bulgaren,
Serben usw. tragen auch die Diakone die Epiinanikien. Bei den Maroniten
scheinen, nach dem Ordinationsritus zu schließen, nur die Bischöfe die Stauchen
anzulegen. Ihrem Gewandcharakter nach sind die Epiinanikien eine Art von
Stauchen, Manchetten oder Stulpen (s. Bild 15, S. 49). Sie sind etwa
0,15 — 0,18 m lang und so weit, daß sie, ohne auf die Hände zu rutschen,
über den Ärmeln der Tunika getragen werden können. Die liturgischen Stauchen
des griechischen Ritus sind gerade wie unsere Manchetten an der Unterseite
offen. Sie werden am Arm mittelst einer an den beiden Schmalseiten an-
gebrachten Schnur befestigt. In den übrigen Riten des Ostens sind die Epi-
1 Vgl. die griechischen Weiheordines bei 3 Kommentar zur göttl. Lit. c. 5 27 (ed.
Ass., C. 1. 1. VIII 4 114 140 141 143. Venet. 80 ff 145 ff).
- Simeon Thess. , De ordinatione c. 162 ' Ebd. Vgl. auch Isaaci Cath. Invect. adv.
186 (Mg. 368 396). Näheres siehe Absch. 2, Arm. II 29 (Mg. 132, 1236): Ours äXkdocoumv,
Kap. 3, § 15: Das Meßgewand in den Riten oürs syouaa ä/.Xa^fjtj.ara. v^q Üsiag kstroupyiag,
des Ostens. rd. Susp ixavüvimv u p.iyag SiAßsorpog.
Drittes Kapitel. Die Albe. 99
manikien ringsum geschlossen, so daß sie nur über den Tunikaärmel ge-
streift zu werden brauchen.
Ein bestimmter Stoff und eine bestimmte Farbe ist für die liturgischen
Stauchen nicht vorgeschrieben. Bei den Priestern und Bischöfen sind diese in-
dessen gewöhnlich von der Farbe und möglichst auch dem Material des Ober-
gewandes, des Phelonion. Die Verzierung der Epimanikien besteht in einem
den Rand derselben umsäumenden Börtchen und einem auf der Oberseite an-
gebrachten gleicharmigen Kreuzchen.
Die geschichtlichen Nachrichten über den Gebrauch der Epimanikien
sind im ganzen spärlich. Bei den Kopten bezeugt ihn nicht bloß Ibn Sabaa
im 14. Jahrhundert, sondern auch schon Patriarch Gabriel im 12 1. Daß sie
auch bei den Syrern bereits im Mittelalter Verwendung fanden, beweisen die
syrischen Weiheordines ; denn ist es auch beim jetzigen Stand der Dinge
noch nicht möglich, sicher das Alter dieser Weiheformulare zu bestimmen,
so ist es doch wohl unzweifelhaft, daß sie nicht erst der Neuzeit entstammen.
Es erhellt das ferner aus der zuerst von Fabricius Boderianus 1572 zu Ant-
werpen veröffentlichten syrischen Meßliturgie, welche der Stauchen als eines
der liturgischen Gewänder des Priesters Erwähnung tut. Allerdings irrt der
Herausgeber, wenn er dieselbe dem Patriarchen Severus von Antiochien (f 539)
zuschreibt. Allein kann sie auch nicht dem 6. Jahrhundert zugewiesen werden,
so ist sie sicher nicht unmittelbar vor dem 16. entstanden. In der Tat er-
scheinen die Stauchen schon in aller Klarheit auf einigen der Miniaturen des
syrischen Pontifikale von 1239 in der Nationalbibliothek zu Paris, so auf der
Darstellung der Bischofsweihe beim Konsekrator (vgl. Bild 13, S. 51). Bei
den Armeniern waren sie bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in
Gebrauch, wie Nerses von Lampron bekundet. Sie waren bei ihnen ein privi-
legiertes Ornatstück der Bischöfe2.
Am günstigsten steht es im griechischen Ritus. Hier vermögen wir die Epi-
manikien nicht bloß mit Bestimmtheit bis zum Beginn des Jahrtausends zu ver-
folgen, sondern auch zur Genüge ihren Ursprung nachzuweisen. Die erste
Nachricht erhalten wir über sie um 1054 in dem Briefe des Patriarchen Peter
von Antiochien an den Patriarchen Michael Carularius 3. Sie erscheinen hier wie
das ejysipwv (Schweißtuch) und das ernzpa^ho^ (Stola) als selbständiges
Ornatstück, also nicht als bloßer Besatz der Tunika. Auch erhellt aus dem
Briefe, daß sie mit Goldverzierungen versehen zu werden pflegten. Da die
Epimanikien vom Patriarchen als allbekannter Bestandteil der liturgischen
Tracht behandelt werden, müssen sie schon eine geraume Weile im Gebrauch
gewesen sein. Wirklich finden wir bereits in dem Menologium des Basilius II.
(t 1025) in der vatikanischen Bibliothek 4 genug Abbildungen der Epimanikien.
Auch die Darstellung des hl. Nikolaus in einem vielleicht noch ins 10. Jahr-
hundert hineinreichenden, spätestens aber dem 11. entstammenden Alten
Testament5 der Vaticana liefert ein gutes Beispiel (vgl. Bild 42, S. 97).
Seit dem 11. Jahrhundert ist dann wiederholt von den Epimanikien die
Rede. Besonders beachtenswert ist, daß es noch um das Ende des 12. Jahr-
hunderts ein ausschließliches Vorrecht der Bischöfe war, sich der liturgischen
Stauchen zu bedienen. Denn auf die Frage, ob es den Hegumenen und
1 Renaudot, Liturg. Orient, collect. I wurden in die übrigen orientalischen Riten
(Frankfurt 1847) 160 161. wohl aus dem griechischen herübergenommen.
- Kommentar zur heiligen und göttlichen 3 Mg. 120, 800. * Vat. gr. n. 1613.
Liturgiee. 27 (ed. Venet. 145 ff). Die Stauchen 5 Vat. reg. gr. 1.
7*
100 Erster Abschnitt. Die liturgische Untergewandung.
Protopopen (Äbten und Erzpriestern) gestattet sei, die Epimanikien zu tragen,
antwortet Balsamon, seit 1193 Patriarch von Antiochien, dem Patriarchen
Marius von Alexandrien schlechthin verneinend l.
Die Sache änderte sich jedoch allmählich. Schon um 1400 fanden, wie wir
von Simeon von Saloniki vernehmen, die Epimanikien auch bei den Priestern
Verwendimg 2. Bei den Diakonen waren sie aber damals noch nicht in
Gebrauch. Bei ihnen haben sie sich also frühestens im Verlauf des 15. oder
16. Jahrhunderts eingebürgert.
Die lazopia und die unter dem Namen des hl. Germanus gehende Meß-
erklärung kennen die Epimanikien noch nicht. Ebenso weiß das von Krasno-
jeljcev veröffentlichte liturgische Fragment nur erst von dem Sticharion, dem
Gürtel, dem Epitrachelion, dem Phelonion und dem Omophorion des Bischofs 3.
Man hat wohl gemeint, die Epimanikien hätten einen ähnlichen Ur-
sprung wie der abendländische Manipel, d. h. sie seien ursprünglich Schweiß-
tücher gewesen. Indessen muß eine solche Hypothese schon darum ab-
gelehnt werden, weil die Epimanikien stets an beiden Armen getragen wurden,
ein doppeltes Schweißtuch aber, eines auf dem rechten und ein anderes auf
dem linken Arm, weder jemals üblich war, noch überhaupt einen Sinn gehabt
hätte. Der Ursprung der liturgischen Stauchen ist aber auch tatsächlich ein
anderer. Sie sind lediglich die von den Ärmeln losgelösten und zum selb-
ständigen Ornatstück gewordenen Xtopia, Zierbesätze des Ärmelsaumes des
bischöflichen Sticharion, von denen die lazopia und die von ihr abhängige
Meßerklärung des hl. Germanus erzählen. Daß diese hopia noch kein für
sich bestehender Gewandteil waren, beweist mit aller Bestimmtheit der Um-
stand, daß die beiden Schriften alsbald auch die purpurnen Vertikalstreifen
der Tunika Xapia nennen.
Anfänglich den Ärmeln aufgenäht, wurden diese Zierbesätze, sei es, um
sie mehr zu schonen, oder um sie zu verschiedenen Sticharien brauchen zu
können, oder um der Notwendigkeit überhoben zu sein, sie beim Waschen
der Sticharien abzutrennen , in der Folge von den Ärmeln dauernd losgelöst
und in der Form von Stauchen zu einem selbständigen Ornatstück umgestaltet.
Als solches folgten sie dann hinsichtlich der Farbe auch nicht mehr der Farbe
der Vertikalbesätze des Gewandes, sondern derjenigen des liturgischen Ober-
gewandes. Es ist ein ähnlicher Vorgang, wie er sich in der Neuzeit im
Abendland zu Mailand, Lyon und in Spanien mit der Amiktparura vollzog.
Wie hier sich der Besatz von dem Schultertuch trennte und zu einem förm-
lichen Kragen (collare, collarfn, collet) wurde, so bildeten sich im Osten die
hopio. der Sticharionärmel zu förmlichen Manschetten um.
Die angegebene Erklärung der Entstehung der Epimanikien erklärt es
denn auch, warum dieselben anfangs ein Privileg der Bischöfe waren. Waren
doch auch schon, wie die Ttorupoi des Sticharion, so ebenfalls die hopiu der
Ärmel desselben ohne Zweifel den Bischöfen als Auszeichnung vorbehalten.
Leider läßt sich auf die Frage, wann sich die so interessante Umbildung
der hopia vollzogen habe, nicht einmal eine annähernd genaue Antwort geben,
1 Resp. 37 (Mg. 138, 987). Wenn uns des 12. Jahrhunderts in dieselbe hineiuge-
daher in der sog. Liturgie des hl. Johannes kommen sein kann.
Chrysostomus (Mg. 63, 903) bei der Vor- 2 De sacra liturg. c. 83 (Mg. 155, 261).
bereitung zur Messe beim Priester die li- 3 N. Krasnojeljcev, Addenda ad
turgischen Stauchen begegnen, so ist klar, anecdota graeco - byzantina (Odessa 1898)
daß der fragliche Passus erst seit dem Ende n. 13.
Viertes Kapitel. Das Cingulum. 101
weil wir zu wenig über das Alter der Varopla und der beiden andern er-
wähnten liturgischen Schriften wissen. Um die Wende des Jahrtausends war
sie jedenfalls schon erfolgt. Vielleicht, daß sie erst im 10. Jahrhundert vor
sich ging. Wenigstens scheinen die Miniaturen der zwischen 867 und 886
für Kaiser Basilius I. angefertigten Pariser Homiliensammlung des hl. Gregor
von Nazianz ' mit ihren Bischofsbildern die Epimanikien noch nicht zu kennen.
Die Verzierung am Saum der Sticharionärmel macht hier noch ganz den Ein-
druck der hopici.
Ein Gegenstück zu den Epimanikien hat es im römischen Ritus zu keiner
Zeit gegeben ; denn die mittelalterlichen Ärmelbesätze der Alben sind nie ein
selbständiges Ornatstück geworden. Dagegen hat der dem griechischen in
vielem verwandte altgallikanische Ritus allem Anschein nach ein Pendant zu den
liturgischen Stauchen der Riten des Ostens gekannt, da die manicae, von
denen in der gallikanischen Meßerklärung die Rede ist, wohl nur als Stauchen,
die zum Schmuck der Ärmel der Tunika dienten, aufgefaßt werden können 2.
VIERTES KAPITEL
DAS CINGULUM.
I. DAS CINGULUM NACH GEGENWÄRTIGEM BRAUCH.
Die Albe muß nach der Vorschrift des Missale und uraltem Brauch
gegürtet werden. Es gehört daher zur sakralen Gewandung als Ergänzung
der Albe das Cingulum, der liturgische Gürtel.
Dasselbe pflegt gewöhnlich aus Linnen (oder Hanf) gemacht zu werden.
Doch kann es nach einer Entscheidung der Ritenkongregation vom 22. Januar
1701 3 auch aus Seide, und nach einem Responsum vom 23. Dezember 1862 4
selbst aus Wolle angefertigt werden, wenngleich es als passender bezeichnet
wurde, das Cingulum aus Linnen herzustellen (22. Januar 1701).
Was die Farbe anlangt, so ist es gleich statthaft, weiße wie farbige
Cingula zu gebrauchen, wenn nur im letzten Fall die Farbe des Gürtels mit
derjenigen des jeweiligen Offiziums übereinstimmt. Wirklich sind denn auch
verschiedenenorts Cingula von der Tagesfarbe in Gebrauch. Unzulässig sind
gelbe Cingula, weil Gelb nicht zu den liturgischen Farben zählt, obwohl
man auch solche wohl antrifft. Das Cingulum tritt in drei Formen auf. Bei
der ersten ist es ein Strick. Bei der zweiten stellt es ein Band von etwa
3 cm Breite dar, welches entweder auf dem Bandstuhl gewebt oder durch
Zusammennähen von Zeugstreifen hergestellt ist. Bei der dritten Art sind
an der Innenseite des Gürtels Bänder angenäht, mit welchen derselbe, statt
mit seinen Enden, angebunden wird.
Wie leicht ersichtlich, braucht bei dieser letzten Art das eigentliche
Cingulum bei weitem nicht so lang zu sein wie bei den beiden andern, auch
wenn man diese nicht gedoppelt anwenden sollte. Ein weiterer Vorteil be-
steht darin, daß die Cingula dieser Form weit weniger dem Verbrauch aus-
gesetzt, ja fast unverwüstlich sind. Es verschleißen oder zerreißen höchstens
die inwendig angenähten Bänder, ein Schaden, der leicht reparierbar ist.
1 Bibl.nat.m.gr.ölOf.Tl^vgl.auchf^O^. 3 C. R, 22. Januar 1781 ad 7 und 23. De-
2 Näheres darüber bei Behandlung der Pon- zember 1862 (Decret. auth. 2067 3118).
tifikalhandschuhe. 4 C. R. 8. Juni 1709 ad 3 (ebd. 2194).
102 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Diese dritte Art des Cingulum, welche eine Verzierung in ausgiebigstem
Maße gestattet, ist gegenwärtig nur mehr in einzelnen wenigen Diözesen, wie
zu Genua, Pisa und Siena, wo wir sie noch vor einigen Jahren antrafen, in
Gebrauch. Ehedem, d. i. in der zweiten Hälfte des Mittelalters, war sie da-
gegen sehr gewöhnlich. Als gegen Ende der fünfziger Jahre die Anregung
zur Besserung des Paramentenwesens erging und auf die mittelalterliche Form
der liturgischen Gewänder als nachahmenswerte Vorbilder hingewiesen wurde,
machte man auch den Vorschlag, das Cingulum nach Weise früherer Zeiten
herzustellen. Indessen wurde ihm nur vereinzelt und nur vorübergehend
Folge gegeben.
Die Cingula der ersten und zweiten Art können einfach und gedoppelt
gebraucht werden. Es hängt davon natürlich ihre Länge ab. Im ersten
Falle genügt es, wenn sie 2,50 m lang sind, im zweiten ist dagegen wohl
mindestens eine Länge von ca 3 m erforderlich.
An das Ende der Cingula pflegen Quasten oder Fransen angesetzt zu
werden. Sie bilden in der Tat einen passenden Abschluß, doch sollten sie
nie zu groß und schwer sein.
II. DAS CINGULUM ALS BESTANDTEIL DER LITURGISCHEN
GEWANDUNG IN DER VERGANGENHEIT.
„Die Albe muß", sagt Durandus, „rings um die Lenden des Bischofs
oder Priesters mit der Zona oder dem Cingulum gegürtet werden, sowohl
damit das herabwallende Kleid das Ausschreiten nicht hindere, als auch, damit
der Priester dadurch gemahnt werde, Sorge zu tragen, daß die durch das
weiße Gewand versinnbildete priesterliche Keuschheit durch keine Stacheln
sündhafter Reize gelöst werde." Entsprechend dem Worte des Herrn: „Eure
Lenden sollen umgürtet sein" (Lk 12, 35), sinnbilde nämlich der Gürtel die
Enthaltsamkeit.
Der Verfasser des Rationale ist nicht der erste, der das Cingulum den
liturgischen Gewändern einreiht. Seit 800 behandeln es alle Liturgiker als
eines der Gewandstücke, deren sich der Priester bei der Feier des heiligen
Opfers zu bedienen habe.
„Das dritte Gewand" — nämlich des Priesters bei der Messe — „ist das
Cingulum oder der balteus", so belehrt uns beispielsweise Hraban; derselbe
umgürte sich mit ihm, damit die Tunika (Albe) nicht auf die Füße herabfließe
und das Gehen erschwere. Der Gürtel sinnbilde die Bewachung des Geistes.
Ebenso erwähnt Amalar das Cingulum unter den heiligen Gewändern; dabei
bemerkt derselbe besonders, es werde nicht über die Tunika (= Dalmatik)
angelegt — denn diese werde nicht gegürtet — , sondern bloß über die Camisia
(= Albe). Fast zur gleichen Zeit setzt Walafried Strabo in der Parallele,
die er zwischen den Kultkleidern des Alten und des Neuen Bundes zieht, den
Gürtel der neutestamentlichen Liturgen dem balteus gegenüber, dessen sich
die jüdischen Priester bei Verrichtung ihres Amtes nach Gottes Anordnung
bedienen mußten.
Eigentümlicherweise scheint die Admonitio synodalis ein liturgisches
Cingulum nicht zu kennen, da ein solches unter den Gewändern, welche der
Priester ihr zufolge am Altare tragen soll, gar nicht genannt wird. Weil
jedoch der Gebrauch eines liturgischen Gürtels durch Hraban , Amalar und
Walafried völlig außer Zweifel gestellt ist, kann sein Fehlen in der „Synodal-
Viertes Kapitel. Das Cingulum. 103
ermahnung" nichts gegen seine Verwendung bei der Liturgie beweisen. Wie
es scheint, ist der Gürtel übergangen, weil man ihn entweder für selbst-
verständlich hielt, oder weil er zwar gebraucht wurde, aber noch nicht eigentlich
den Charakter eines förmlichen liturgischen Gewandstückes hatte. Doch ist
es zuletzt auch möglich, daß eine allgemeine Vorschrift, das Gewand bei der
Messe aufgeschürzt zu tragen, im 9. und 10. Jahrhundert noch nicht bestand,
wenngleich solches damals jedenfalls die Regel und das Gewöhnliche war.
889 bestimmt Riculf von Soissons, es sollten — neben den andern Meßkleidern,
als Albe, Stola, Mappula usw. — die Priester auch zwei zonae i. e. cinctoria
zur Meßfeier vorrätig halten. Als für die Feier des heiligen Opfers vor-
geschriebenes und somit pflichtmäßig bei demselben zu tragendes Gewand-
stück erscheint der Gürtel auch etwa 150 Jahre später in den Bestimmungen
der spanischen Synode, welche 1050 zu Coyaca, Diözese Oviedo, gehalten wurde 1.
Aus vor konstantinischer Zeit haben wir keine Nachricht über die
Verwendung eines Gürtels im liturgischen Dienst. Da die Altarkleidung
damals der Form und Zusammensetzung nach der Alltagskleidung gleich war,
wird man es mit dem Gebrauch eines Cingulum bzw. der Gürtung der Tunika
gehalten haben, wie das eben die Sitte im gewöhnlichen Leben verlangte.
Wo es als geziemend galt, die Tunika aufzuschürzen , wird solches auch am
Altar geschehen sein; wo die entgegengesetzte Sitte herrschte, wie etwa in
Afrika, wird auch bei den liturgischen Verrichtungen die Gürtung' unter-
blieben sein.
Allein auch in der nach konstantinischen Zeit hören wir bis zum
9. Jahrhundert nur sehr wenig von dem Gebrauch eines Cingulum. Was
Irland anlangt, so läßt das Gebet Rogo te, von welchem schon gelegentlich
der Besprechung der Albe die Rede war, es als zweifellos erscheinen, daß
dort der Priester im 7. Jahrhundert gegürtet zum Altar trat.
Im gallikanischen Ritus war keinesfalls die Alba des Diakons
gegürtet; das sagt die gallikanische Meßerklärung ausdrücklich. Von einer
Gürtung oder Nichtgürtung der priesterlichen Tunika schweigt die Schrift.
Wohl heißt es darin: Praecinctio autem vestimenti candidi, quod sacerdos
baptizaturus praecingitur, in signa Ioannis agetur, qui praecinctus baptizavit
Dominum 2. Allein daraus, daß der Priester bei der Taufe — die durch Unter-
tauchen statthatte — seine Tunika gürtete, folgt nicht, daß er das auch beim
Altardienst getan. Immerhin läßt der Umstand, daß die Meßerklärung die
Nichtschürzung der diakonalen Alba hervorhebt, vermuten, daß beim Priester
ein Gürtel zur Verwendung kam. Wirklich wird in den Acta S. Salvii unter
den goldenen Kirchengefäßen und den mit Gold und Edelsteinen geschmückten
Gewändern, deren sich der Heilige bei der Feier der Messe bediente, ein kost-
barer, mit blinkenden Gemmen und Perlen verzierter Gürtel erwähnt3. Ob
auch das lederne Cingulum in St-Trophime zu Arles, welches der Über-
lieferung nach dem hl. Cäsarius (f 542) gehört haben soll 4, liturgischen Zwecken
gedient hat oder ob es von dem Heiligen nur im Alltagsleben verwendet
worden ist, muß dahingestellt bleiben. Das Monogramm pf nebst den bei-
gefügten A und S, mit denen es bestickt ist (Bild 43, S. 104), und das Bild-
1 C. 3 (Hard. VI 1026). VII 176). Salvius lebte zur Zeit Karl Martells.
- M. 72, 97. Die Vita stammt von einem Zeitgenossen.
3 Vita S. Salvii c. 1, n. 3 (A. SS. 26. Juni, 4 Bullet, mon. 1877, 240 ff.
104
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewiinder.
Bild 43. Teil eines Ledergürtels. Arles, St-Trophime.
werk der Elfenbeinschließe, die Wächter am Grabe (Bild 44), sind nicht ent-
scheidend, da derartige religiöse Darstellungen in fränkischer Zeit auch an
profanen Gürteln angebracht wurden.
Aus der spanischen Kirche haben wir kein bestimmtes Zeugnis für den
Gebrauch eines Cingulum bei der Liturgie. Insbesondere herrscht bei Isidor über
ein solches tie-
fes Schweigen,
wo er in den
Etymologien
die verschie-
denen Arten
der Gürtel be-
spricht. Im-
merhin dürfte
die Vorschrift des Konzils von Braga vom Jahre 675, welche den Priestern
gebietet, die Stola gekreuzt über der Brust zu tragen, durchaus auf den Ge-
brauch eines Cingulum hinweisen l, da es nur so möglich war, die Stola haltbar
im Kreuz über die Brust zu legen.
Aus Afrika wird uns berichtet, der hl. Fulgentius habe nie ein Orarium
wie alle Bischöfe, wohl aber wie ein Mönch ein ledernes Cingulum getragen 2.
Es scheint hiernach, daß dort die Weltgeistlichkeit im gewöhnlichen Leben
und darum auch wohl beim Gottesdienst im 6. Jahrhundert einen Gürtel nicht
zu benutzen pflegte. Indessen will die Angabe der Vita S. Fulgentii viel-
leicht nur sagen , es sei Eigentümlichkeit der Mönche gewesen , sich eines
Ledergurtes zu bedienen, nicht aber, es habe das Cingulum ausschließlich
bei den Klosterleuten in Gebrauch gestanden.
Aus Rom kommt die früheste Nachricht über einen liturgischen Gürtel
uns erst in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Er erscheint als das
zweite Stück in der Reihe der päpst-
liehen Pontifikalgewänder 3.
Freilich wird uns durch Jo-
hannes Diakonus von einem Gürtel
Gregors des Großen erzählt, der
bei den Gläubigen eine große Ver-
ehrung genossen habe i. Doch läßt
sich aus seinem Bericht nicht ent-
nehmen, ob der Papst sich des-
selben auch bei der Liturgie be-
dient, und noch weniger, ob schon
damals ein Cingulum in Rom zum notwendigen Bestand der gottesdienstlichen
Gewandung gehört habe.
Daß auf den römischen Monumenten bei den Geistlichen kein Cingulum
wahrnehmbar ist, liegt an dem Umstand, daß die Tunika hier durch die
Dalmatik und Planeta oder doch wenigstens durch die letztere fast völlig
verdeckt wird.
Das Bild , welches wir von der Verwendung eines Cingulum bei den
gottesdienstlichen Funktionen in der abendländischen Kirche für die vorkaro-
Bild 44. Schnalle eines Gürtels. Arles, St-Tropliime.
1 C. 4 (Hard. III 1034).
2 Vita S. Fulgentii c. 18, n. 37 (M. 65,
136).
8 Ordo 1, n. 6 (M. 78, 940).
' Vita S. Gregorii M. 1. 4, n.
228).
(M. 75,
Viertes Kapitel. Das Cingulum. 105
lingische Zeit erhalten , ist ersichtlich mehr als mangelhaft. Ja man kann
kaum von einem Bild , sondern nur von einigen Strichlein reden , von denen
es obendrein sehr zweifelhaft ist , ob sie je auch nur zu einer halbwegs
befriedigenden Skizze ergänzt werden können. Namentlich erhalten wir auf
die Hauptfrage, wann der Gürtel ein offizieller Bestandteil der Altarkleidung
geworden, keinen Aufschluß.
III. BESCHAFFENHEIT DES LITURGISCHEN GÜRTELS IM
MITTELALTER.
In Gallien stellte der Gürtel, wie er allgemein bei hoch und niedrig-
gebräuchlich war, einen Gurt von Leder oder starkem Zeug dar, welcher mit
einer Schnalle geschlossen wurde. Die Museen besitzen zahlreiche Beispiele
solcher Gürtelschließen. Man legte großen Wert auf kostbare Gürtel, namentlich
aber auf reichverzierte Schnallen.
Ein Gürtel dieser Art ist das Cingulum des hl. Cäsarius, von welchem
vorhin die Rede war (Bild 43). Der Gürtel kann als Typus jener Gürtel
gelten , deren man im gallikanischen Ritus sich bedient haben wird. Denn
es ist schwer anzunehmen, daß man in einer Zeit, wo die liturgische Gewan-
dung noch in der Ausbildung begriffen war und der Volkstracht noch nach
Schnitt und Ausstattung viel näher stand als jetzt, dem Gürtel im galli-
kanischen Ritus eine andere als die heimatliche Gürtelform und Ausstattung
gegeben habe.
Das römische Cingulum des Alltagslebens war, wenn wir von dem
Soldatengürtel absehen, in der Regel nicht mit einer Schließe versehen. Es
bestand vielmehr für gewöhnlich nur aus einem Band, dessen Enden mit-
einander verknotet wurden. Es ist die Form, welche das liturgische Cingulum
in der zweiten Hälfte des Mittelalters überall im Okzident besaß und die zu
Rom wohl von jeher für den liturgischen Gürtel gebräuchlich war. Nach
Gallien muß sie bei Gelegenheit der karolingischen Reform gekommen sein ; sie
hieß hier im Unterschiede von der gallikanischen Gürtelform zona romana. Zur
Gürtung der heiligen Kleider des Alten Bundes habe man, sagt uns Pseudo-
Alkuin, sich des balteus bedient, d. i. einer Gürtelart, die aus gezwirntem Byssus,
aus Hyazinth (Blairpurpur), aus Rotpurpur und endlich aus Scharlach in Bunt-
wirkerei nach Weise eines Schlangenfelles in einer Breite von vier Fingern
angefertigt gewesen sei; nun aber seien anstatt des balteus die sog. römischen
Gürtel in Gebrauch gekommen, zonae quas appellant romanas 1.
Man hat geglaubt, unter zonae, quas romanas appellant, seien reich aus-
gestattete und kostbare Cingula zu verstehen, und es seien diese Gürtel, welche
Bischöfe und höhere Geistliche getragen , nicht liturgisch im eigentlichen Sinne,
sondern nach Durandus nur saecularia ornamenta gewesen, womit die damaligen
Grof3en des Reiches prunkten, ähnlich den hohen Beamten, namentlich den Militär-
beamten früherer Jahrhunderte, bei denen die reich verzierte zona hauptsächlichstes
Abzeichen der Würde war 2. Allein mit Unrecht. Die sog. römischen Gürtel Pseudo-
Alkuins sind, wie aus dem ganzen Zusammenhang sich ergibt, wirkliche liturgische
Cingula, und zwar erscheinen sie als ein allgemein gebräuchliches liturgisches Gewand-
stück. Sie sind ebendarum jedenfalls nicht immer kostbar verziert gewesen, wenn-
gleich einzelne, zumal die der Prälaten, mit reichem Schmuck ausgestattet gewesen
sein mögen. Man wird daher den Ausdruck „römische Gürtel" auf die Form zu
beziehen und unter den zonae romanae im Gegensatz zu den gallischen oder profanen
De offic. div. c. 38 (M. 101, 1239). 2 Realenc. II 193.
106 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Cingula, die mit einer Schließe, einer Krampe oder einer ähnlichen Befestigungs-
vorrichtung versehen zu sein pflegten, Gürtel zum Binden, wie sie später uns tat-
sächlich ausschließlich entgegentreten, zu verstehen haben.
In dem Verzeichnis der Paramente, welche Abt Ansegisus (f 883) dem Kloster
Fontanelle schenkte, heißen die zonae romanae cingula romano opere facta '. Denn
wenn romano opere facta an sich auch bedeuten könnte : zu Eom gemacht und aus
Eom eingeführt, so ist hier damit doch wohl gemeint : nach römischer Art angefertigt,
und cingula romano opere facta sonach gleichbedeutend mit zonae romanae.
Seit wann die im späteren Mittelalter so beliebte Einrichtung, an der
Innenseite der Cingula zum Zwecke des Anbindens besondere Schnüre oder
Bänder anzubringen, im Gebrauch gewesen ist, läßt sich nicht bestimmen.
Die Liturgiker, von Hraban und Amalar angefangen bis auf Durandus,
sagen von dieser Bindevorrichtung wie überhaupt von der Form des liturgischen
Gürtels gar nichts. Ebenso lassen uns die Monumente in jener Frage völlig
im Stich. Meist schauen auf den Bildwerken nur die Enden des Cingulum
unter dem Saum der Dalmatik oder Kasel hervor, wenn es überhaupt zum
Vorschein kommt. Darstellungen, auf denen es ganz sichtbar ist — es handelt
sich bei ihnen entweder um Akolythen in der Albe oder um Priester in Albe
und Pluviale — sind äußerst selten. Aber selbst in diesen ganz vereinzelten
Fällen fehlt stets eine Andeutung besonderer zur Befestigung des Cingulum
vorgesehener Bänder oder Schnüre, mit Ausnahme vielleicht einer Miniatur
der Miracula 5 S. Benedicti in der Stadtbibliothek zu Troyes, auf der die weit
voneinander entfernt herabfallenden Enden des Gürtels auf die in Rede stehende
Bindevorrichtung hinweisen mögen. Der Codex soll nach Rohault de Fleuiy
dem 11. Jahrhundert angehören2.
Auch die Inventare geben keinen Aufschluß, da sie von der Einrichtung
des Cingulum in der älteren Zeit nie und selbst später nur ausnahmsweise
sprechen. So heißt es einmal im Inventar des Schatzes des Apostolischen
Stuhles von 1295: Unum cingulum rubeum laboratum ad aurum cum cordone
de serico rubeo et viridi. Der Grund hierfür liegt indessen nicht etwa
in einer äußerst seltenen Anwendung dieser Bindevorrichtung, sondern in ihrer
Alltäglichkeit. Wie gewöhnlich sie gewesen sein muß, erhellt aus dem
14. Ordo Mabillons, wo die chordulae als selbstverständlicher Bestandteil des
Cingulum erscheinen : Subsequenter subcingat (diaconus) eum (pontificem) cin-
gulo cum subcinctorio ... et ipsius cinguli chordulas diaconus invicem liget
et stringat vel ipse pontifex sti'ingere poterit, sicut ei placuerit3. Es hat
darum auch nichts Auffälliges und Besonderes, wenn man gelegentlich des
Neubaues der Peterskirche bei der Leiche Bonifaz' VIII. gemäß dem über
den Leichenbefund aufgenommenen Protokoll ein cingulum ex serico rubro et
viridi pulchre quidem intertextum cum suis chordulis sericis ante pendentibus
suisque globulis et floccis antraf4.
Von den Cingula, welche sich aus dem Mittelalter erhalten haben, gehören alle,
bei welchen besondere Schnüre an der Innenseite des Cingulum zum Zweck des An-
bindens angebracht sind, der späteren Zeit desselben an. Das älteste von ihnen ist
das Cingulum im Schatz der Kathedrale zu Sens (Bild 45) 5. Es wurde 1749 im Schrein
des hl. Edmund von Canterbury (f 1240) zu Pontigny, in den es 1247 bei der Er-
hebung des heiligen Leibes gekommen war, vorgefunden und gelangte 1884 durch die
1 Nr 7 (M. 105, 739): Cingula romano opere 3 C. 53 (M. 78, 1157).
facta auro decorata duo. * ß zo vi us , Annales ad an. 1303; XIV 51.
2 Roh. I, 73. Abbildung pl. X. 5 Vgl. auch de Farcy Taf. 13.
Viertes Kapitel. Das Cingulum.
107
Erben des Grafen de Bastard, der es durch Kauf erworben , in den jetzigen Besitz.
Bei einer Länge von 0,87 m ist es 0,032 m breit und endet beiderseits in je drei
schmale Bändchen von verschiedener Länge, von denen die längsten ebenfalls ca 0,87 m
messen. Außerdem ist jedem Ende eine starke Schnur zum Festbinden angenäht.
Cingulum wie Behänge bestehen aus roter Seide,
sind mit Lilien, Fischen, Vögeln, Vierfüßlern,
Bild 45. Cingulum. Sens, Kathedrale.
Bild 46. Cingulum. Halberstadt. Dom.
Rauten und anderem geometrischen Gebilde sowie den Buchstaben E und M in Gold
durchwirkt und mit gelbem Seidenzeug gefüttert '.
1 Die Angaben L. de Farcys (Broderie
12S), das Cingulum stelle ein Trikotgewebe
dar, ist unrichtig. Dem Anschein nach gleicht
es allerdings einem solchen, allein in Wirk-
lichkeit ist es in derselben Weise gearbeitet
wie so manches andere mittelalterliche Band,
d. i. mittelst zweier Ketten, deren Fäden sich
nach Aufnahme des Einschusses umeinander
108
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Drei Cingula im Dom zu Halberstadt sind jüngeren Datums , doch mag eines
von ihnen, ein wahres Pracht-, um nicht zu sagen Prunkstück, immer noch in das
13. Jahrhundert hinaufreichen (Bild 46, S. 107). Es besteht aus einer 1,08 m langen
und 0,016 m breiten, grünseidenen Borte, der in Gold Löwen, Eosetten und ähnlich
stilisierte Ornamente eingewebt sind.
Als Innenfutter ist roter Taft, als Ein-
lage ein Pergamentstreifen verwendet
worden. An den Enden des Gürtels sind
kostbare, in Posamentierarbeit herge-
stellte Behänge angebracht, welche eine
Länge von 0,76 m haben, in Gold und
farbigen Seidenfäden ausgeführt sind
und unten in Quästchen ausmünden.
Zum Zweck des Anbindens des Gürtels
dienen zwei nahe den beiden Enden
des eigentlichen Gürtels an der Innen-
seite angesetzte kräftige, aus blau-
leinenem Garn gewirkte Bändchen, von
denen das eine gegenwärtig eine Länge
von 0,63 m, das andere von 0,97 m
hat. Die beiden andern Cingula im
Schatz des Domes von Halberstadt
werden wohl kaum weit über das späte
15. Jahrhundert hinausgehen. Bei dem
einen besteht der eigentliche Gürtel
aus einem 3,10 m langen und 0,063 m
breiten schlichten Linnenstreifen, bei
dem andern aus einem 0,075 m breiten,
2,75 m langen, grünseidenen Bande,
dessen beide Enden ein rotseidenes,
mit silbervergoldeten Plättchen ge-
schmücktes Zierstück von fast qua-
dratischer Form angesetzt ist.
Ein sehr interessantes Cingulum
in St Marien zu Danzig (Bild 47) ge-
hört ebenfalls dem 15. Jahrhundert an.
Es ist 2,43 m lang, 0,015 m breit, an
den Enden mit Fransen von 0,15 m
Länge verziert, aus Linnen gemacht
und mit rotem Leder gefüttert. Auf
der Außenseite ist dem Linnengrund
eine Inschrift eingewebt, deren einzelne
Worte durch geometrische Gebilde von-
einander getrennt sind. Inschrift und
Ornamente sind in Gold und farbiger
Seide (blau, rot, braun, grün) aus-
geführt. Die Inschrift lautet : Homo +
quidam + fecit -j- cenam -|- magnam
+ vocavit + multos + et -f- misit
dicere + invitatis + ut -4- venirent -
venite + comedite -|- panem + meum
Bild 47. Cingulum. Danzig, Marienkirche.
+ servum + suu(m) -- h(ora) -4- cene +
quia -f iam -4- parata -|- sunt -f- omnia -}
drehten. Auch ist es nicht zutreffend, wenn
gesagt wird, die Musterung sei in C4old und
»Silber ausgeführt. Sie besteht nur aus Gold.
Was jetzt als Silber erscheint, ist bloß die
infolge Abschleifens der Goldschicht sichtbar
gewordene Silberunterlage des Lahns.
Viertes Kapitel. Das Cingulum.
109
-+- et + bibite + vinum + quod + miscui + vobis -f- orate + pro + me +
Katharina + de + ummen. Die ca 0,50 m langen und ca 0,01 m breiten linnenen
Schnüre an der Innenseite sind mit Kreuzchen, Hakenfiguren, geometrisch stilisierten
Tiergebilden und Rosetten in farbiger Seide verziert und an den Enden mit ca 0,07 m
langen Fransen besetzt. Das Cingulum ist kein Prachtstück, aber in seiner edeln
Einfachheit ungemein gefällig.
Ein Cingulum der ehemaligen Bockschen Sammlung war auf seiner Außenseite
mit kleinen, durch Silberfäden gebildeten Quadraten geschmückt, innerhalb deren sich
auf violettem Fond ein aus Goldfäden hergestelltes Kreuzchen befand, und an den
Enden mit einer aus Goldfaden gearbeiteten Quaste versehen. Im Innern war es mit
violetter Seide gefüttert, seine Länge belief sich auf ],68m, die Schnüre zum Fest-
binden waren, nach der Abbildung des Cingulum zu urteilen, ca 0,45 m entfernt von
den Enden angesetzt '.
Ein Gegenstück zu den genannten Cingula bildet ein Gürtel, welcher im Schatze
der Hofburg zu Wien unter den Reichskleinodien aufbewahrt wird. Bock, der in dem
Werke „Die Kleinodien des heiligen römischen Reiches deut-
scher Nation" eine gute Abbildung und Beschreibung von dem-
selben gegeben hat, setzt ihn in das 12. Jahrhundert, doch
wohl mit Unrecht, da er schwerlich über das 14. Jahrhundert
hinaufreicht. Der Gürtel kann aber auch ursprünglich nicht
zu den Reichskleinodien gehört haben, sondern erst seit dem
Ende des 18. Jahrhunderts, d. i. seitdem sie von Nürnberg
über Prag nach Wien gebracht wurden, ihnen zugesellt worden
sein, da weder v. Murr in seiner ausführlichen Beschreibung
sämtlicher Reichskleinodien vom Jahre 1790 seiner Erwähnung
tut , noch Delsenbach in seinen Abbildungen der Kleinodien
ihn wiedergibt. Wie es scheint, zählte er bis dahin zu dem
böhmischen Krönungsschatze (Bild 48).
Der Gürtel besteht an der Innen- wie Außenseite aus
einem schweren, hellblauen Seidenköper und hat bei einer
Breite von 0,035 m eine Länge von 1,52 m. Etwa 0,34 m
von den beiden Enden ist inwendig eine kräftige Seiden-
schnur von roter Farbe angenäht, welche eine Länge von
0,67 m besitzt und unten in eine rotseidene Quaste ausläuft.
Eigenartig ist, daß sich die beiden Schnüre nicht weit vom
oberen Ende in je zwei und diese sich dann nochmals in je
vier Schnüre teilen. Ringsum ist der Gürtel mit einer kordel-
artigen Einfassung versehen ; seine beiden frei herabfallenden
Enden sind auf beiden Seiten mit Perlen, Edelsteinen und
einem mit Goldfiligran bedeckten Plättchen geschmückt °.
Was von mittelalterlichen Cingula noch dem ersten Jahrtausend oder dem Be-
ginn des zweiten angehört, weiß uns nichts von der fraglichen Bindevorrichtung zu
erzählen. Von zwei Gürteln in St Peter zu Salzburg, welche als Reliquien der
hll. Rupert (ca 700) und Vitalis (ca 730) gelten und etwa 0,025 bzw. 0,03 m breit sind,
wird der eine mittelst Haken und Ösen, der andere mittelst einer Krampe geschlossen s.
Es ist zudem sehr fraglich, ob sie jemals als liturgische Cingula gedient haben. Das
Cingulum des hl. Godehard von Hiklesheim (t 1038) zu Niederaltaich (Niederbayern),
wenn wirklich von diesem Heiligen herrührend, ist ein schmales, schlichtweißes Band
Bild 48. Kaisergürtel.
Wien, Hofburg.
•Bock II 59 u. Tl V, 2. Wohin das
Cingulum gekommen , ließ sich nicht er-
mitteln. Ob auch die vier andern Cingula
der ehemaligen Bockschen Sammlung, welche
ebendort beschrieben werden, mit Bindevor-
richtung versehen waren, ist nicht angegeben.
Ihre Breite von 5—6 cm und die Seiden-
stickereien , mit denen sie verziert waren,
lassen jedoch darauf schließen.
2 Bock, Reichski. 64 u. Tl XIII.
3 Gute Abbildungen nach Photographien bei
Roh. VII, pl. DXXIII.
110
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untererewänder.
ohne Schließe oder sonst eine besondere Einrichtung zum Befestigen. Der prächtige
Witgariusgürtel im Dommuseum zu Augsburg und das dem Schrein des hl. Kuthbert
entnommene Cingulum im Museum der Kathedrale zu Durham (Nordengland) ' sind nur
Fragmente, die keine Spur einer Bindevorrichtung' mehr erkennen lassen. Das schöne,
vollständig erhaltene Cingulum im Beliquienschatz zu Andechs endlich, das noch ins
11. Jahrhundert hinaufreichen mag, ist ohne Schnüre an der Innenseite. Es scheint
sogar, daß es nie als Gürtel, sondern stets als Stola gebraucht wurde, worauf auch
die Bezeichnung Stola S. Ioannis Ev. hinweisen dürfte.
Übrigens wird der Brauch, im Innern des Cingulum
eine besondere Bindevorrichtung anzubringen, sicher bis
ins erste Jahrtausend hinaufreichen. Denn wenn
wir eine solche an einem aus der Ottonenzeit
stammenden, mit den liturgischen Cingula
durchaus verwandten profanen Gürtel antreffen,
so wird sie zweifelsohne auch an besseren litur-
gischen Cingula zur Anwendung gekommen
sein. Der fragliche Gürtel ist heute leider
nur mehr in Abbildung vorhanden. Er gehörte
einst zu den Reichskleinodien, unter welchen
ihn noch v. Murr gesehen und beschrieben
hat, und kam mit einigen andern Stücken
derselben abhanden, als er Ende des 18. Jahr-
hunderts von Nürnberg vor den einziehenden
Franzosen geflüchtet wurde. Die Inschrift wie
die stoffliche Beschaffenheit des Gürtels lassen
keinen Zweifel, daß er von einem der Ottonen
herrührte.
In der Tat ist es auch kaum anders denkbar, als
daß Gürtel wie das jetzt leider nur mehr als Frag-
ment vorliegende Cingulum im Dommuseum zu
Augsburg (Bild 49 u. 50), laut der Inschrift: Wit-
gario tribuit sacro spiramine plenum (sie) + hanc
zonam regina nitens sanetissima Hemma, ein Ge-
schenk der Königin Hemma, Gemahlin Ludwigs des
Deutschen, an Bischof Witgarius von Augsburg
(858 — 887), an der Innenseite Schnüre zum An-
binden besaßen. Der eigentliche Gürtel ist nicht
mehr vorhanden, nur die beiden Endstücke sind er-
halten geblieben. Sie sind 0,035 m breit und zu-
sammen 1,34 m lang und münden in einen trapez-
förmigen Zieransatz von 0,067 m Höhe und 0,047 m
unterer Breite aus , dem ein Adler eingewebt und
als Abschluß eine Reihe zierlicher Quästchen an-
gefügt ist. Inschrift und Adler heben sich in prächtigem Eot von einem aus kost-
barem Goldgespinst, bei welchem der Lahn ganz aus Gold besteht, hergestellten
m
Bild 49.
Witgarius-
gürtel.
Augsburg, Dom
museum.
Bild 50. Detail des
Witgariusaürtels.
1 Der Gürtel wurde gefunden , als man
1827 den bei der Reformation in die Erde
versenkten Schrein des Heiligen aufdeckte
und öffnete. Er scheint mit verschiedenen
andern Paramenten im Laufe des 11. oder
im Beginn des 12. Jahrhunderts den Reliquien
des Heiligen beigegeben worden zu sein. Die
Länge des noch erhaltenen Stückes beträgt
ca 76 cm, seine Breite ca 0,022 m. Der
Gürtel ist aus roter Seide gewirkt und mit
Goldfäden durchweht. Den Rand entlang
laufen zwei Längslinien. Das Futter besteht
aus grüner Seide (Raine, St Cuthbert
[Durham 1820] 209).
Viertes Kapitel. Das Cingulum.
111
Fond ab. Schließen, wie die fränkischen Gürtel sie aufzuweisen pflegten, kann es an
dem Witgariusgürtel nicht gegeben haben. An ein unmittelbares Verknüpfen, wie es
jetzt Brauch ist, ist angesichts der äußerst wertvollen Beschaffenheit desselben ebenso-
wenig zu denken. Es bleibt also nur übrig, anzunehmen, es sei das Cingulum, ähnlich
wie der eben erwähnte kaiserliche Gürtel aus der Ottonenzeit, inwendig mit Bändern
zum Anbinden versehen gewesen '.
Strickf örmige Cingula sollen nach Bock erst im 16. und 17. Jahr-
hundert in Aufnahme gekommen sein. Der eigentlich liturgische Gürtel wäre
ihm zufolge das Bandcingulum , das Strickcingulum aber das Ergebnis des
entstellenden, profanierenden Einflusses, den der moderne Zeitgeschmack wie auf
die übrigen liturgischen Gewänder, so auch auf die Jahrhunderte hindurch
feststehende Gestalt und Beschaffenheit des kirchlichen Gürtels ausübte 2.
Das eine wie das andere ist jedoch irrig. Das Strickcingulum war bereits
um den Ausgang des 15. Jahrhunderts in Italien und speziell in Born in
Gebrauch. Die Bildwerke dieser Zeit lassen daran keinen Zweifel. Beispiele
bieten z. B. Ercole di Robertis (1450 — 1496) „St Augustinus" und Cima da
Coneglianos (1489 — 1508) „St Petrus" in der Brera zu Mailand, Benozzo
Gozzolis (1420—1498) „St Sixtus II." in der Sixtinischen Kapelle u. a. Ja
wir finden schon im Inventar des Apostolischen Stuhles von 1295 mit klaren
Worten ein strickförmiges Cingulum verzeichnet: unum cingulum de cordone
rotundo violaceo cum tribus bottonibus grossis (dicken Knäufen) et appen-
diciis ad nodos (Quasten) per totum ad aurum 3. Die Wahrheit dürfte wohl
1 Im Dommuseum zu Augsburg finden sich
auch noch zwei Fragmente eines zweiten
Cingulum aus dem 9. Jahrhundert, falls sie
nicht etwa Überbleibsel einer Stola sind.
Das kleinere Stück trägt die Inschrift :
OMINE DOMINI NO, dasgrößerelN NOMINE
DOMINI AILBECVND VE . . V XPI IHEV
NOSTRI IN NOMINE DOM. Die Inschrift
ist leider nicht ganz lesbar , immerhin geht
aus ihr zur Genüge hervor , daß das Cin-
gulum die Gabe einer gewissen Ailbecund
ist. Der Name kommt auch in den Libri
Confraternitatum von St Gallen (M. G.
Confr. 334, 12), von Reichenau (ebd. 42, 36;
65, 17; 97, 16; 276, 32; 466, 11) und
Pfäffers (ebd. 44, 13) vor. Vgl. ferner M. G.,
Necrolog. dioec. Salisburg. ind. sub Albegund
485. Die Fragmente sind mit dem Witgarius-
gürtel so sehr verwandt, daß sie zweifellos
derselben Werkstätte zugewiesen werden
müssen. Nicht bloß das Material, kräftiges
karminrotes Seidengarn , sondern auch die
Technik und die Formgabe der Inschrift sind
hier wie dort völlig gleich. Die. Fragmente
unterscheiden sich von dem Gürtel lediglich
durch ihre um ca 2 mm größere Breite und
ihre einfachere Ausführung, sofern die In-
schrift auf ihnen nicht mittelst eines Ein-
schlages von Goldfäden in den Fond, sondern
nur durch anders gerichtete Drehung der
Kettenfäden hergestellt ist.
2 Bock H 61. Wenn derselbe ebd. 51
(vgl. auch He f., Beitr. II 179; Ann.
VI 168: Roh. VII 29, note 2) auf
Grund einer Notiz im Papstbuch meint, der
Pontifikalgürtel des 8. und 9. Jahrhunderts
scheine noch analog mit dem balteus des
Hohenpriesters rund, ähnlich einer Schlangen-
haut , gewebt gewesen zu sein , so ist zu
bemerken, daß der L. P. an dem fraglichen
Ort nicht von Gürteln und noch viel weniger
vonliturgischen Gürteln spricht (vgl. die Stelle
bei Duch., L. P. II 78). Wenn dort nämlich
von einem von Gregor IV. (827 — 844) für
das auf seine Kosten hergestellte Praesepium
in S. Maria in Trastevere gestifteten Bild die
Rede ist, habentem morenas prasinales pre-
tiosissimas II . . . item morenam trifylem
auream . . . morenam in quo pendent gemmas
jachinctas XIII . . . item morenam fylata . . .
omnes morenas cum petinantes eorum , so
kann man unter diesen morenae doch nimmer
Gürtel und am wenigsten Pontifikalgürtel
verstehen.
3 Im Schatz der Kathedrale zu Sens befindet
sich ein strickförmiges Cingulum , welches
als dasjenige des hl. Thomas Becket aus-
gegeben wird und sonach aus dem 12. Jahr-
hundert stammen würde. Es ist aus roter
Seide und Goldfäden gemacht und an den
Enden mit kräftigen Quasten geschmückt.
Seine Beschaffenheit weist jedoch durchaus
auf eine jüngere Entstehungszeit hin. Es ent-
spricht aber auch nicht der Beschreibung,
welche das Inventar von 1446 von dem in-
zwischen offenbar verloren gegangenen Gin-
112
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
sein, daß es schon früh, um nicht zu sagen stets, neben bandförmigen auch
strickförmige Cingula gegeben hat, daß aber bei Gürteln besserer Qualität
bis gegen Ausgang des Mittelalters die Bandform vorgezogen wurde. So
selbst zu Rom, wo dann jedoch die Bandcingula sich rasch aus dem Gebrauch
verloren. Man trifft darum auf den römischen Bildwerken des 16. und 17. Jahr-
hunderts nur mehr strickförmige an, die an den Enden mit kräftigen Quasten
versehen sind. Gute Beispiele bieten die Statuen Leos X. , Pauls III. und
Gregors XIII. in Ära Celi und Klemens' VIII. in S. Maria Maggiore. In der
Stanza della Segnatura trägt Gregor IX. auf Raffaels Fresko „Das kanonische
Recht" ein solches von roter Farbe, das in mächtige Quasten endet. Die
Strickform bürgerte sich in Rom beim Cingulum in dem Maße ein , daß sie
daselbst zur offiziellen Cingulumform wurde und die Ritenkongregation dem-
gemäß in einem partikulären Falle in ihrer Antwort auf eine Anfrage aus
Spanien die Bandform als unzulässig bezeichnete1. Außerhalb Roms er-
hielten sich bandförmige Cingula vielerorts bis in die Gegenwart im Gebrauch,
nur wurden sie im allgemeinen nicht mehr mit besondern Bändern oder Schnüren
zum Anbinden versehen.
Nach der Verordnung des hl. Karl Borromäus soll das Cingulum
7 cubiti = ca 3 m lang, aus weißem Linnen oder zartem Hanf verfertigt und
an den Enden mit Linnenquasten ausgestattet sein 2. Von der Form des
Ornatstückes spricht der Heilige nicht. Seine Bestimmungen wurden fast
wörtlich von der Prager Synode vom Jahre 1605 adoptiert. Cingulum e can-
dido filo conficiatur longitudinis ulnarum quinque. Eius autem capita globulis
eiusdem materiae inserantur, filamentorum manipulis floccisve appensis s. Auch
Gavanti nahm in seinen Thesaurus rituum die Vorschriften des hl. Karl über
die Anfertigung des liturgischen Gürtels herüber.
Hinsichtlich des Materials des liturgischen Gürtels gab es im Mittel-
alter keine Bestimmungen. Gewöhnliche Gürtel dürften der Regel nach aus
Linnen gemacht worden sein. Sieben solcher weifilinnenen Cingula besitzt
noch die St Marienkirche zu Danzig (Bild 3, S. 34). Sie sind ganz unverziert,
2,23 — 2,87 m lang und 0,01 — 0,015 m breit und stellen ein kräftiges, festes, auf
dem Bandstuhl hergestelltes Band dar. An den Enden münden sie in Fransen
aus. Das zu Niederaltaich befindliche Cingulum, welches vom hl. Godehard,
dem späteren Bischof von Hildesheim (1022 — 1038), herrühren soll, ist an-
scheinend aus Wolle gemacht und bei einer Breite von ca 0,02 m etwa
2,25 m lang 4.
gulum des hl. Thomas gibt. Ihr zufolge war
nämlich das Cingulum des Heiligen, welches
man im 15. Jahrhundert zu Sens besaß, nicht
strickförmig, sondern bandförmig: une sain-
ture de soye faite en maniere de s angle,
Riemen, Gurt. Band. (E. Char tr a ir e , In-
ventaire du tresor de l'eglise metropolitaine
de Sens 42. Es ist auffallend, daß der Ver-
fasser, der das fragliche Cingulum ebenfalls
dem hl. Thomas zuschreibt, den Widerspruch
nicht beachtet hat, in dem dessen Beschaffen-
heit zur Angabe des Inventars von 1446
steht.)
> C. R. 24. Nov. 1899 (Decr. auth. Nr 4048
ad 6).
2 A. E. Med. 626.
3 C. 13 (Hartzh. VIII 691).
4 Die für eine Untersuchung höchst un-
günstige Aufbewahrungsweise des Cingulum
(hoch oben im Altar hinter Glas) ließ eine
sichere Feststellung des Stoffes nicht zu.
Ein anderes dem hl. Godehard zugeschriebenes
Cingulum ist in Niederaltaich nicht mehr vor-
handen. Eine wenngleich sehr mangelhafte
Abbildung desselben findet sich in den Monu-
menta boica IX 24. Es war mit Schließe ver-
sehen und wies als Verzierung die stets sich
wiederholende Inschrift Sola fides auf. Die
ungenaue Abbildung gestattet kein Urteil
über das Alter des Gürtels.
Viertes Kapitel. Das Cingulum. 113
Bessere Cingula bestanden aus Seide. So verzeichnet ein dem Ende des
11. Jahrhunderts angehörendes Inventar des St Georgstiftes zu Köln unter
sonstigen auch ein cingulum de pallio und ein anderes de serico. ein In-
ventar von Salisbury aus dem Jahre 1212 neben aliae 12 und 8 zonae nullius
pretii für die Chorknaben 9 zonae de serico, ein Schatzverzeichnis der Kathe-
drale von Chartres aus dem Jahre 1337 : 2 zonae de serico. Das Inventar
von St Peter aus dem Jahre 1361 führt tria cinctoria de serico diversorum
colorum und 6 cinctoria sacerdotalia de serico diversorum colorum et aliqua
laborata de serico ad aurum , dasjenige aus dem Jahre 1436 Cingula von
schwarzer und karminfarbiger Seide auf. Ein um 1200 aufgestelltes Schatz-
verzeichnis der Kathedrale von Rouen weiß von 2 albae cum zonis de serico
und einem balteus (Subcinctorium) mit dazu gehörigen 2 zonae sericae una
alba, altera rubea, zu berichten. Ein Inventar von Angers vermerkt zum
Jahre 1418 eine zona de serico rubri coloris 1, ein Inventar von St Fortunat
zu Todi (ca 1300) unum cingulum latum de serico et auro, item unum cin-
gulum de serico rubeo, item unum cingulum de serico viridi, item unum cin-
gulum de serico albo, item unum cingulum de serico gallo. Bonifaz VIII.
schenkte der Peterskirche, deren Kanonikus er gewesen war, sieben cingula
de serico 2.
Auch die scharlachfarbenen Cingula, die in älteren Schatzverzeichnissen
genannt werden, und mehr noch die goldverzierten Cingula, die sich darin
finden , haben wir uns nach dem Beispiel der Gürtelfragmente im Dom-
museum zu Augsburg und in der Bibliothek der Kathedrale von Durham als
aus Seide gewebt zu denken. Scharlachfarbene erwähnt z. B. ein Inventar
von Benediktbeuren aus dem Jahre 1032: zonae coccinae 4, ein Inventar des
Klosters Abdinghof aus der Zeit des Bischofs Meinwerk: cinctorium coc-
cineum 1, das Inventar desselben Klosters unter Abt Gumbertus: 10 cingula
coccinea, mit Gold durchwebte ein Inventar von Clermont-Ferrand (10. Jahrb.):
zonae 2 aureae, ein Speierer Schatzverzeichnis von 1051: cingula 3 auro
parata, ein Inventar von St Gallen (11. Jahrh.): cingula 5 aurata, und ein
Inventar von Enger (11. Jahrb.): praecingula auro ornata 6. Auch die beiden
Cingula, welche Abt Ansegisus (f 833) dem Kloster Fontanelle schenkte, waren
auro decorata, desgleichen die neun Gürtel, welche Bischof Biculf von Eine
915 seiner Kathedrale hinterließ 3.
Für reiche Ornamentierung bot das Cingulum bei seiner geringen Breite
nur wenig Raum. Insbesondere waren figürliche Darstellungen, welche stets
größere Flächen beanspruchen, als dasselbe zu bieten im stände ist, von
vornherein ausgeschlossen. Das einzig entsprechende Ornament bildeten
kleine geometrische Muster, einfache stilisierte Pflanzen- und Tiermotive,
Wappenschildchen und Inschriften, wie sie auch bei schmalen Borden zur An-
wendung kamen.
Inschriften finden sich auf dem Witgariusgürtel und dem vorhin besprochenen
Cingulum in St Marien zu Danzig. Ein ferneres Beispiel bietet das Cingulum im
Reliquienschatz des Klosters Andechs, dessen Außenseite die auf den Zweck und die
mystische Bedeutung des Ornatstückes hinweisenden Verse eingewebt sind: Zona
iustitiae sie te, pater optime, cinge, + Ut digne benedicas panem mysterialem, während
die Innenseite Felder mit romanischem Rankenwerk und phantastischen Tiergestalten
aufweist. Der Gürtel ist 2,80 m lang und 0,03 m breit. Ein Inventar von Angers
1 Revue 1886, 176. 3 M. 132, 468: zonae 5, una cum auro et
2 Müntz e Frothingham, II Tesoro 12. gemmis pretiosis, aliae 4 cum auro.
Braun, Die liturgische Gewandung. 8
114
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
aus dem Jahre 1467 vermerkt ein schönes, aus Seide und Goldfäden gemachtes Cin-
gulum, dem das ganze Evangelium In principio erat verbum eingewirkt war.
Geometrische Gebilde und geometrisch umgeformte Tier- und Pflanzenmotive
finden sich auf dem Prachtcingulum im Dom zu Halberstadt, dem Danziger Cingulum
und dem hochinteressanten Gürtel im Schatz der Kathedrale zu Sens. Das Inventar
des päpstlichen Schatzes vom Jahre 1295 verzeichnet unum cingulum album ad castella
et scuta cum appendiciis amplis , factis de vernicibus (Zierplättchen) und unum cin-
gulum antiquum rubeum ad castra, scuta et rosas auri.
Außer eingewebten und eingestickten Ornamenten dienten zur Aus-
stattung des Cingulum auch wohl Perlen, Edelsteine und silberver-
goldete oder goldene Zierplättchen. Natürlich kamen solche nur bei
Prachtcingula zur Anwendung, und zwar wurden sie bei denselben namentlich
an den vorn frei herabfallenden Streifen angebracht. Das Inventar des päpst-
lichen Schatzes von 1295 führt eine Anzahl derartiger kostbarer Cingula an.
So heißt es darin : unum cingulum de stri(a)to (gestreifter Stoff) viridi cum
appendiciis factis de vernicibus et cum bottone de crystallo, unum cingulum
de serico albo cum bottonibus et vernicibus ad aurum (Knöpfchen und Plättchen
aus Gold) cum appendiciis, unum cingulum
album ad aurum cum perlis albis et indicis
et nodis de auro lilato. Ein Inventar von
St Peter von 1436 vermerkt ein cingulum
maspillatum de serico rubeo et auro, ein
rotseidenes, golddurchwirktes Cingulum, dem
maspilli, kleine Ornamente aus Edelmetall
oder Kristall, aufgenäht waren '. Ein Bild
solcher Gürtel gewährt das Cingulum im
Schatz der Wiener Hofburg (Bild 50, S. 110).
Die Enden des Cingulum ließ man gern
in Fransen, Quasten oder Trödeln ausmünden.
Bessere Cingula besetzte man unten auch
wohl mit Schellchen, Metallkügelchen und
ähnlichen Behängsein. Unum cingulum de serico diversorum colorum cum
campanellis de argento, heißt es unter Nr 1082 im Inventar des päpstlichen
Schatzes. Auch brachte man wohl an den Enden ein besonderes quadratisches
oder trapezförmiges Kopfstück an, wie es beim Manipel und der Stola zu
geschehen pflegte. Ein Beispiel bietet außer dem Witgariusgürtel eines der
beiden einfacheren Cingula im Dom zu Halberstadt, das in fast quadratische,
mit vergoldeten Silberplättchen besetzte Abschlußstücke ausmündet. Diese
Verzierungsweise muß namentlich im 12. und 18. Jahrhundert beliebt gewesen
sein. Die Monumente dieser Zeit bieten mehrfach Darstellungen von Cingula,
die mit derartigen Endstücken versehen sind. Natürlich waren solche nur
bei Bandcingula anwendbar.
Betont sei übrigens, daß reichere Cingula auch im Mittelalter zwar nicht
selten, doch keineswegs das Gewöhnliche waren. Es muß auffallen, daß in
den Inventaren derartiger Gürtel im ganzen nicht allzuhäufig Erwähnung
geschieht. Beispielsweise führt das Inventar von St Peter von 1361 nur
sechs bessere Cingula auf.
Die Anlegung des Cingulum zeigt eine interessante Miniatur eines dem
14. Jahrhundert entstammenden Manuskriptes. Ein Priester ist im Begriff,
Bild 51. Ankleidung zur Messe
Miniatur eines Manuskriptes von 13
(Nach Kohault de Fleury.)
1 Müntz e Fr o thi n eh am , II Tesoro 78.
Viertes Kapitel. Das Cingulum.
115
sich für das heilige Opfer anzukleiden. Den Amikt und die mit Paruren ver-
sehene Albe hat er schon angezogen, und nun sucht er sich mit Hilfe des
Akolythen das Cingulum umzugürten. Auf dem Betstuhl, der vor dem Priester
steht, liegen die noch übrigen Paramente. Die Darstellung ist ganz aus dem
Leben gegriffen (Bild 51) *.
IV. DER LITURGISCHE GÜRTEL IN DEN RITEN DES ORIENTS.
Ein liturgisches Cingulum (griechisch Ccouy, £wvdptou, slavisch poyas,
armenisch koti, syrisch zünärä, zunnär, koptisch zounarion) ist in keinem der
verschiedenen Riten bei den Diakonen im Gebrauch, dagegen bedienen sich in
allen seiner die Priester und Bischöfe. Die Subdiakone tragen einen Gürtel
nicht bei den Armeniern, Syrern und Chaldäern, wohl aber bei den Griechen
und Kopten.
Der Gürtel der Priester und Bischöfe ist ein ca 1,00 m langes und
ca 0,06 — 0,07 m breites Band, welches entweder mit Schnüren hinter dem Rücken
oder mit einer Schließe unterhalb der Brust befestigt wird (Bild 52). In der
Bild 52. Priesterlicher Gürtel
im griechischen Ritus.
Bild 53. Gürtel des Subdiakons
im griechischen Ritus.
Regel besteht er aus demselben Stoff, aus welchem das liturgische Obergewand
angefertigt wird. Bindet man das Ornatstück hinter dem Rücken an, so ist
vorn in der Mitte entweder eine Agraffe angebracht oder doch wenigstens
ein Kreuz aufgestickt bzw. aufgenäht.
Der Gürtel der Subdiakone stellt ein ca 2,50 — 3,00 m langes und
ca 0,09 — 0,10 m breites, mit drei Kreuzen geschmücktes Band dar. Eine
bestimmte Farbe ist für ihn nicht vorgeschrieben. Von den drei Kreuzen
befindet sich eines in der Mitte, die beiden andern sind nach den Enden zu
angebracht. Die Anlegung des Cingulum erfolgt in eigenartiger Weise. Statt
die Enden auf dem Rücken zu binden, wie es bei den Priestern geschieht,
führt man sie über Kreuz zu den Schultern hinauf, wirft sie von dort nach
vorn und steckt sie hier, ohne sie nochmals zu kreuzen, unter dem Teil des
Cingulum durch, welcher sich unterhalb der Brust quer vorbeizieht (Bild 53).
Zwischen dem priesterlichen bzw. bischöflichen Cingulum einerseits und dem
Cürtel der Subdiakone anderseits, welcher der Form, wenn auch nicht der
Tragweise nach große Ähnlichkeit mit dem diakonalen Orarium (Stola) hat,
ist sonach ein Unterschied.
Bild, des Arsenals (Paris) n. 2002; Abbildung bei Roh. VII, pl. DXXIIL
8*
116
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Über die Geschichte des Cingulum in den orientalischen Riten läßt sich
nur wenig sagen, und das wenige betrifft fast nur den griechischen Ritus.
Für den Gebrauch eines Gürtels bei den Mönchen liegen bereits aus dem
4. Jahrhundert Zeugnisse vor. Wie wenig sich jedoch aus dem Mönchsgürtel
auf den Gebrauch eines liturgischen Cingulum schließen läßt, geht aus der
Bemerkung der Historia Lausiaca hervor: Ingredientes ad Christi communionem
sabbato et dominica zonas solvant et pellem ovilem deponant 1. Die Mönche
bedienten sich also nach der Regel des hl. Pachomius des Gürtels gerade
dann nicht, wenn sie sich den heiligen Geheimnissen nahten.
Ziemlich dunkel ist, was im 22. (61.) der arabisch-nicänischen Kanones
über die Gürtung der Kleriker beim Gottesdienst bestimmt wird3. Wie es
scheint, wird darin verordnet, daß die Priester am Altar gegürtet, die andern
Kleriker (wohl die Diakone) aber ungegürtet ihres Amtes zu walten hätten;
doch ist dieser Sinn des Kanons keineswegs gewiß. Obendrein ist es fraglich,
aus welcher Zeit die Kanones stammen; denn daß sie nicht nicänisch sind,
steht außer Zweifel.
Den ältesten sichern Beleg für den Gebrauch eines liturgischen Gürtels
in den Riten des Ostens bildet die sog. Meßerklärung des hl. Germanus3.
Leider erhalten wir aus ihr keine Auskunft über Form und Beschaffenheit
des Cingulum. Auch in der Folge bleiben wir so gut wie ohne allen Auf-
schluß über diese doch so wissenswerten Punkte. Insbesondere lassen uns auch
die Bildwerke nahezu gänzlich im Stich. Wo auf denselben, wie z. B.
auf vereinzelten Miniaturen des Menologium des Basilius IL in der vati-
kanischen Bibliothek, ein Stückchen des Cingulum zum Vorschein kommt,
scheint es ein Band von der Art des heutigen Bandcingulum darzustellen.
Auffällig ist, daß die Meßerklärung auch den Diakonen ein Cingulum
zuzuschreiben scheint i. Indessen ist es wohl richtiger , wenn man die frag-
liche Stelle auf das priesterliche (bischöfliche) Cingulum bezieht. Ein Diakon
mit gegürteter Tunika dürfte dem griechischen Ritus, um den es sich in der
„mystischen Betrachtung" handelt, denn doch etwas gar zu fremdartig sein.
Wo immer griechische Diakone abgebildet sind, wie z. B. in den „Homilien des
hl. Gregor von Nazianz" der Pariser Nationalbibliothek aus dem 9.5, dem
„Menologium des Basilius" der Vaticana aus dem beginnenden ll.6 oder
den „Homilien des hl. Gregor" der Pariser Bibliothek aus dem 14. Jahrhundert7,
ist das Sticharion stets umgegürtet.
Allerdings sagt einmal Simeon von Saloniki gelegentlich, es werde der
Diakon gegürtet8; wie wir das aber zu verstehen haben, erklärt er uns selbst.
Gegürtet wurden die Diakone mit ihrem Orarium , ihrer Stola -- also nicht
einem eigentlichen Gürtel — , und zwar bloß bei einer bestimmten Gelegenheit,
nämlich bei der Kommunion a. Bei den Griechen war und ist es nämlich
1 Pal lad., Hist. Laus. c. 38 (Mg. 34,
1099).
- Hard. I 473. Die Zählung der Kanones
ist nicht in allen Ausgaben die gleiche. In
dem von O. Braun (De sancta Nicaena
synodo 76) übersetzten Text hat er die
Nummer 22. Die Texte des Kanons sind
teilweise recht verschieden. Die Kanones
werden von Braun dem 5. Jahrhundert zu-
gewiesen. Vgl. auch He f., Concilien I
361 ff.
3 Mg. 98, 393. Vgl. auchKrasnojeljcev,
Addenda ad Anecdota graeco-byzantina (Odessa
1898) n. 13 und Pseudo-Sophroniosn.7
(Mg. 873, 3988).
4 Mg. 98, 396.
5 Ms. grecs 510. 6 Vatic. Cod. gr. 1613.
7 Ms. grecs 543. Der Codex wird von
Roh. VII, pl. DXLIII irrig dem 11. Jahr-
hundert zugeschrieben.
8 De sacra liturgia c. 81 (Mg. 155, 260).
9 De sacris ordinal c. 173 (ebd. 381).
Fünftes Kapitel. Das Subcinctorium. 117
Sitte, daß der Diakon in der Messe vor der Kommunion die Stola von der
Schulter herunternimmt und nach Weise des subdiakonalen Gürtels umlegt,
zum Ausdruck der Demut und Ehrfurcht, wie Simeon sagt.
Was die Verwendung eines Cingulum seitens der Subdiakone anlangt,
so trugen diese in der Frühe unseres Jahrtausends jedenfalls noch kein solches,
wie ein von Assemani mitgeteilter griechischer Weiheordo aus dieser Zeit
beweist1. Im 14. Jahrhundert war es dagegen sowohl zufolge der griechischen
Weiheordines des späten Mittelalters wie der ausdrücklichen Angabe Simeons
von Saloniki2 bei ihnen zweifellos im Gebrauch. Das Cingulum wird also
bei den griechischen Subdiakonen etwa in der Zeit zwischen dem 11. und
14. Jahrhundert aufgekommen sein. Jedenfalls ist die gegenwärtig bei den
griechischen und koptischen Subdiakonen gebräuchliche Anlegungsweise des
Cingulum nicht sehr alten Datums. Man wird sich vergebens auf den zahl-
reichen griechischen Miniaturen und sonstigen Bildwerken bis zum Ende des
Mittelalters nach einem Kleriker umsehen, der so gegürtet erscheint, wie es
jetzt bei den Subdiakonen im griechischen Ritus Sitte ist.
FÜNFTES KAPITEL.
DAS SUBCINCTORIUM.
I. DAS SUBCINCTORIUM NACH GEGENWÄRTIGEM BRAUCH.
Ein zweites päpstliches Sondergewand ist das Subcinctorium, wie schon
der Name besagt, ein Zubehör des Cingulum. Dasselbe stellt wie der Manipel,
dem es nach Gestalt und Beschaffenheit sehr ähnlich ist, einen
in der Mitte zusammengefalteten Stoffstreifen dar, der in der
Farbe mit derjenigen des Meßgewandes übereinstimmt. Nahe
am oberen Ende sind die beiden Hälften durch eine Quernaht
zusammengenäht. Die dadurch gebildete Masche ist so breit,
daß das Cingulum bequem hindurchgezogen werden kann (Bild 54).
Auf dem unteren Ende des einen Streifens ist in Gold ein Lämm-
chen, auf dem des andern, ebenfalls in Gold, ein Kreuz auf-
gestickt. Das Subcinctorium ist nicht am Cingulum angenäht,
sondern stellt ein davon trennbares, selbständiges Gewandstück dar.
Der Papst bedient sich des Subcinctorium nur, wenn er
feierlich pontifiziert. Man legt es ihm an, indem man es an das suj,cinct0riuni
Cingulum streift und ihn dann mit letzterem umgürtet. Es wird
an der linken Seite getragen. Das Subcinctorium hat gegenwärtig keinerlei prak-
tische Bedeutung und besitzt demgemäß bloß den Charakter eines Zierstückes.
II. DAS SUBCINCTORIUM IM MITTELALTER. SEIN ALTER, SEINE
BESCHAFFENHEIT. WEISE, ES ANZULEGEN.
In Rom kann das Subcinctorium bis ins 9. Jahrhundert noch nicht in Ge-
brauch gewesen sein, da weder der 1. Ordo noch der 3. noch endlich der
S. G. K. es unter den liturgischen Gewändern des Papstes erwähnt. Aber
auch außerhalb Roms dürfte es damals wohl noch nicht zur Verwendung
gekommen sein. Denn weder Hraban, noch Amalar, noch Pseudo-Alkuin,
1 Codex liturg. 1. 8, p. 4 141 f. 2 De sacris ordinat. c. 163 (Mg. 155, 368).
118
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
noch Pseudo-Beda, noch endlich Walafried gedenken des Subcinctorium; sie
kennen es ersichtlich nicht als Bestandteil der Pontifikaltracht. Wenn daher
ein Inventar des Klosters vom heiligen Erlöser zu Stendland (bei St-Omer) aus
dem Jahre 867 neben cinctoria 3 auch subcinctorium auro paratum 1 ver-
zeichnet 1 , so wird es sich bei diesem wohl nicht um ein Subcinctorium im
späteren Sinne, sondern um einen reichverzierten Prachtgürtel handeln. Jeden-
falls war damals das Subcinctorium noch kein allgemein gebräuchliches, ja
nicht einmal ein verbreitetes Ornatstück.
Seit dem 12. Jahrhundert ist wiederholt bei den Liturgikern von dem
Subcinctorium , das auch wohl subcingulum genannt wird , als einem wie zu
Rom so auch verschiedenenorts außerhalb Roms gebräuchlichen sakralen
Ornatstücke die Rede.
Schon bei Bruno von Segni (f 1123) geschieht seiner Erwähnung; es wird
von ihm ausdrücklich als spezifisch bischöflicher Ornat hingestellt. Sicard, welcher
lieben subcinctorium auch die Ausdrücke subcingulum und perizoma als Namen des
Gewandstückes anführt, rechnet selbiges zwar nicht mit bestimmten Worten zur
bischöflichen Sakraltracht, behandelt es aber doch als einen Bestandteil derselben.
Ausdrücklich bezeichnen dagegen wieder Innozenz III. , Durandus und auch der
hl. Thomas - das Subcinctorium als ein den Bischöfen zukommendes Ornatstück. Es
muß deshalb auffallen , daß Honorius und Robert Paululus J es auch der liturgischen
Kleidung der gewöhnlichen Priester einreihen. Indessen dürften sich wirklich hie und
da auch Priester des Subcinctorium bedient haben , so z. B. zu Mailand , wo es den
Kardinalpriestern der Metropolitankirche zugestanden zu haben scheint 1. Ein päpst-
liches Sondergewand war das Subcinctorium im 12. und 13. Jahrhundert nicht. Es
entbehrte dieses Charakters selbst noch im Beginn des 14. Jahrhunderts, da der Ordo
des Jakobus Gaietanus es um jene Zeit ausdrücklich zu den liturgischen Kleidern der
Kardinalbischöfe zählt s.
Welche Verbreitung das Subcinctorium im Mittelalter hatte, läßt sich
nicht bestimmen. Mit dem Ausgang desselben scheint es bei den Bischöfen
fast allgemein außer Gebrauch gewesen zu sein. In den spätmittelalterlichen
Pontifikalien ist kaum mehr von ihm die Rede. Wenn es in einem vereinzelten
Falle noch erwähnt wird, mag das meist darin seinen Grund haben, daß das
betreffende Pontifikale eine gedankenlose Kopie einer älteren Vorlage ist 6. In
Mailand kam es noch zur Zeit des hl. Karl Borromäus zur Verwendung,- wie
aus dessen Verordnungen über die liturgische Kleidung erhellt 7. Das römische
Caeremoniale der Bischöfe kennt das Subcinctorium nicht mehr.
1 Folcwini Gesta abb. S. Bertini Sith.
n. 117 (M. G. SS. XIII 634).
2 In Lombard. 1. 4, dist. 24, quaest. 3,
art. 3; ed. Parm. (1858) VII 903.
3 Auch Johannes Beleth rechnet in seinem
Rationale c. 32 (M. 292, 43) ein subcingulum
unter die pviesterlichen Sakralkleider, jedoch
ist es unklar, ob dasselbe mit eben dem
subcingulum eins ist, dem unsere Erörte-
rungen gelten; denn er beschreibt es als
„etwas an der Stola, was mit dem Cingulum
verbunden werde" (est quiddam in stola. quod
ligatur cum cingulo). Vielleicht ist indessen
zu lesen : est quiddam in cingulo, quod ligatur
cum stola. Ivo von Chartres spricht in der
Beschreibung der liturgischen Priesteikleidung
(Sermo 3 [M. 162, 525]) von gewissen nexus
(Verknüpfungen), durch welche die Stola mit
dem Gürtel verbunden werde. Ob er dabei
das subcinctorium im Sinne hat, geht aus
seinen Worten nicht hervor.
1 Magist retti 43. Vgl. auch Synode
von Coyaca c. 3 (1050), wo das Subcinctorium
balteus heißt (Mansi, Coli. Conc. XIX, 791).
6 Ordo 14, c. 48 53 (M. 78, 1153 1157).
6 Der Kopist eines Benediktinerpontiflkale
von Monte Cassino aus dem 14. Jahrhundert
(Vat. lat. 9310 fol. 4v) hat mit dem Worte
semicinthium (= subcinctorium) so wenig
mehr anzufangen gewußt, daß er daraus das
Ungeheuer cimicampamum machte.
■> A. E. Med. 626.
Fünftes Kapitel. Das Subcinctorium. H9
Über die Beschaffenheit und die Gestalt des mittelalterlichen Subcinc-
torium erfahren wir nicht viel. Jedenfalls war dasselbe, wie auch heute
noch, ein selbständiges Gewandstück; es bestand sonach nicht bloß, wie man
wohl geglaubt hat 1, in den vorn herabhängenden Enden des Cingulum.
Bei Bruno , Sicard und Durandus könnte die Sache allerdings einigermaßen
zweifelhaft sein, Honorius und Robert Paululus beschreiben das Subcinctorium jedoch
klar als einen vom Cingulum verschiedenen und trennbaren Ornatteil. Während
nämlich jene nur bemerken : a cinctorio (zona) duplex pendet subcinctorium
(subeingulum) , sagen diese : subcingulum (subcinctorium) duplicatum (d u p 1 e x)
suspenditur. Als ein vom gewöhnlichen liturgischen Gürtel unterschiedenes und
für sich bestehendes Gewandstück erscheint das Subcinctorium auch in den Acta der
Bischöfe von Le Mans (subcinctoria tria , unum pretiosis margaritis ornatum) und
unter dem Namen succincta bei Johannes von Bayon (ca 1326) in den Annalen von
Moyen-Moutier (cingula serica 12, succinctae de serico 2, tertiaque de auro) -.
Da Honorius und Robert Paululus sagen, es werde das Subcinctorium
gedoppelt, d. i. in der Mitte zusammengeschlagen am Cingulum aufgehängt,
so muß dasselbe wohl schon im 12. Jahrhundert ein manipelförmiges Ornat-
stück gewesen sein. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war es
sicher ein solches; denn es heißt im Pontitikale des Wilhelm Durandus:
cingulum cum subcinctorio , quod habet similitudinem manipuli 3. Auch
der 14. Ordo i und ein Pontitikale von Eine5 bezeichnen das Subcinctorium
als ein dem Manipel ähnliches Ornatstück. Bezeichnend für die formelle Ver-
wandtschaft zwischen Manipel und Subcinctorium ist auch, daß im Inventar
Bonifaz' VIII. vom Jahre 1295 die letzteren zum Teil den Manipeln zugesellt
sind. In einem Falle scheint es sogar dem Verfasser des Verzeichnisses
schwer geworden zu sein, zu bestimmen, ob es sich um einen Manipel oder ein
Subcinctorium handle; denn er bemerkt: subcinctorium vel manuale
(andere Bezeichnung für den Manipel) rubeum et indicum cum nodis et mani-
pulis (Quasten) auri filati.
Auf die Ausstattung des Subcinctorium scheint viel Wert gelegt worden
zu sein. Das Inventar Bonifaz' VIII. verzeichnet beispielsweise außer dem
schon angeführten auch ein subcinctorium rubeum ad 8 imagines, ein Inventar
von Prüfening (bei Regensburg) aus dem Jahre 1165 succingula 3 de auro
et argento, ein unter Bischof Arnulf von Speier um 1151 abgefaßtes Ver-
zeichnis der Schätze des Speierer Domes neben cingula 3 auro texto parata
et 1 sine auro baltei (— subcinctorium) 2 auro texti.
Über die Stelle des Gürtels, wo im 12. und 13. Jahrhundert das Sub-
cingulum befestigt wurde, erfahren wir Näheres von Honorius 6 und Durandus.
Nach jenem wäre es mitten vor dem Körper angebracht worden; Durandus
sagt dagegen in seinem Pontifikale 7, es befinde sich an der rechten, und in
seinem Rationale, es hange an der linken Seite herab. In Rom wurde,
1 Marr. 153, note 313: When the zona Auf bildlichen Darstellungen haben wir bis-
and the succinctorium ave distinguished, her nie das Subcinctorium angetroffen, aller-
it seems that by the latter term we must dings begreiflich , weil es durch die Ober-
understand the long ends of the girdle, which gewänder verdeckt wurde.
hang down from the waist nearly to the feet. 4 C. 48 (M. 78, 1153).
Vgl. auch Realenc. II 193. 5 Bei D. C. VII 625.
2 Mabillon, Analecta vet. III (Paris. c L. 1, c. 206 (M. 78, 606): Subcingulum,
1682) 390 , und D. C. sub subcinctorium quod subcinctorium dicitur , circa pudenda
VII 625. duplex suspenditur.
5 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 23; I 221. ' Mart. a. a. 0.
120
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
wie aus der ausdrücklichen Vorschrift sowohl des 14. als auch des 15. Ordo
hervorgeht, das Subcinctorium im Verlauf des 14. Jahrhunderts von dem
Papst wie den Kardinalbischöfen an der linken Seite getragen. Dependere
debet (subcinctorium) a cingulo in sinistra parte, sagt der 14. Ordo1; der 15.
aber mahnt den Kardinaldiakon, welcher den Papst zur Messe ankleidet, er
möge darauf achten , daß das Ornatstück ad latus sinistrum hange 2. Wie
im 14., so verhielt es sich beim Papst auch im 17. 3 und 18. 4 Jahrhundert
und so ist es auch jetzt noch Sitte.
Daß es zur Zeit des hl. Karl Borromäus in der mailändischen Kirche,
wo das Subcinctorium damals noch zur Verwendung kam. Brauch war, das-
selbe links am Gürtel zu befestigen, beweist die diesbezügliche Verordnung
des Heiligen: Cingulum episcopale a sinistro latere duplex, ut vocant, suc-
cinctorium seu succingulum, quo scilicet stola cum cingulo connectitur, habere
debet pro ratione mysterii5.
III. BALTEUS, PRAECINCTORIUM UND SEMICINCTIUM.
Neben den gewöhnlichen Namen subcinctorium und subcingulum führte
das Ornatstück auch noch einige andere. Es erscheint nämlich auch unter
den Bezeichnungen balteus, praecinctorium und semicinctium.
Balteus wird in der Vulgata der Gürtel der jüdischen Priester genannt 6,
doch heißt auch das Laiencingulum darin balteus. Bei den Klassikern bedeutet
das Wort bald allgemein Einfassung, Rand, bald im besondern den Himmels-
gürtel, den Polstergurt an den Säulenkapitälen, den Bauchgurt der Pferde, den
Gurt zum Tragen des Schwertes, das Degengehenk, die Koppel 7.
Isidor von Sevilla beschreibt den balteus als cingulum militare,
dictus, quod ex eo signa dependent ad demonstrandam legionis militaris sum-
mam . . . unde et balteus dicitur non tantum quod cingitur, sed etiam a quo
arma dependent 8. Zur Karolingerzeit bezeichnete das Wort die Schwert-
koppel3, bei Petrus von Pisa heißt der mit sieben Schlüsseln geschmückte
Gürtel, welcher dem Papst bei der Krönung angelegt wurde, balteus 10.
Das gewöhnliche liturgische Cingulum wird selten balteus genannt.
Von den Liturgikern gibt ihm nur Hraban diesen Namen, und zwar zweifels-
ohne im Anschluß an die Vulgata. Wenn Honorius, Sicard und Durandus
vom balteus reden, so meinen sie den sakralen Gürtel der alttestam entlichen
Priester.
1 C. 48 (M. 78, 1153).
2 C. 8 (ebd. 1277).
3 Bonal. 1, c. 24, §15; II 268. Macri,
Notizia dei vocaboli ecclesiast. sub voce Cin-
gulum; Mor. LXX 307.
4 Chiapponi, Acta canonizat. 227. Zac-
caria, Onomasticon rituale sub voce Prae-
cinctorium; Mor. 1. c.
5 A. E. Med. 626.
6 Ex 28, 4 40; 29, 5 8 40 ; 39, 5. Lv
8,7. Dt 23, 13. 1 Kg 18, 4. 2 Kg 18, 11.
3 Kg 2, 5. 4 Kg 3, 21. Jb 12, 18.
7 Porcell., sub balteus, I 309.
8 Etymolog. 1. 19, c. 33 (M. 82, 702). Der
erste Teil der Erklärung beruht auf Varro:
balteum quod cingulum habebant bullatum,
balteum dictum.
9 Caroli M. ep. ad Offam regem Merciae
(M. G. Ep. IV, 146) : iinum balteum et unum
gladium hunniscum. Thegani, Vita Hludov.
Imp. c. 19 (M. G. SS. II 595) : balteo aureo
praecinctus et ense auro fulgenti, und Vita
altera n. 28 (M. G. SS. II 622) : Ipsius
(Ludovici) tempore coeperunt deponi ab epi-
scopis et clericis cmgula balteis aureus et
gemmeis cultris onerata exquisitaeque vestes,
sed et calcaria talos onerantia relinqui, wo
baltei, cingula und cultei offenbar zwar als
zusammengehörig, aber zugleich als vonein-
ander verschieden erscheinen.
10 Vita Paschal. II (Du eh., L. P. II 296).
Statt balteus wird auch oft baltheus ge-
schrieben. Der Einheit halber wählen wir
stets die Schreibweise balteus.
Fünftes Kapitel. Das Subcinctorium.
121
Als Name des Subcinctorium begegnet uns das Wort balteus schon um
das ausgehende 10. Jahrhundert in dem ursprünglich für St-Vast zu Arras be-
stimmten Sakramental' Ratolds von Corbie 1. Cingulum und Balteus werden
in demselben scharf voneinander unterschieden. Erst hilft der Minister dem
Bischof die Albe anziehen, dann umgürtet er ihn mit dem Cingulum, und nun
legt er ihm den Balteus an. Wir erhalten freilich keine Beschreibung des
letzteren, indessen kann denn doch unter ihm nicht wohl ein zweiter voll-
ständiger Gürtel, sondern nur das Ornatstück verstanden werden, welches
sonst Subcinctorium genannt zu werden pflegte.
Etwas später finden wir balteus im Sinn von subcinctorium in einem
Pontifikale von Besancon, in zwei Pontifikalien des Klosters Le Bec (alle drei
frühes 12. Jahrb..) und in einem Pontifikale von Cambrai (Ende des 12. oder
Anfang des 13. Jahrh.) 2. Hier überall ein pontifikales Ornatstück, erscheint
balteus in gleicher Bedeutung als Bestandteil der priesterlichen Kleidung in c. 3
der Synode von Coyaca von 1050. Auch in Inventuren treffen wir das Wort balteus
in der Bedeutung eines vom Gürtel verschiedenen, aber zum Gürtel gehörenden
Ornatstückes an, so in einem noch dem 10. Jahrhundert angehörenden Inventar
von Pfäffers (Schweiz): baltei 11, cinguli insuper 13 3, in dem 1051 unter
Bischof Arnulf abgefaßten Speierer Schatzverzeichnis: baltei 2 auro texti,
cingula 3 auro texto parata et 1 sine auro , und in einem um 1200 ent-
standenen Inventar der Kathedrale von Rouen : balteum pretiosum cum zonis
duabus sericis, una alba, altera rubea. Anderswo ist nicht ersichtlich, ob
unter balteus das Cingulum oder das Subcinctorium zu verstehen ist, so z. B.
wenn in einem Verzeichnis der Paramente und Geräte, welche Bischof Reginard
von Lüttich der Klosterkirche zum hl. Laurentius am Tage ihrer Einweihung
schenkte, auch eine stola cum balteo deaurata genannt wird. Dagegen ist
das Subcinctorium zweifelsohne gemeint, wenn in einer Bulle Johannes' XV.
(986 — 997) dem Abt von Braunau die Erlaubnis erteilt wird, sich bestimmter
bischöflicher Paramente, darunter auch des Balteus, zu bedienen4, und Gilbert
von Limerick zu den pontifikalen Sakralgewändern auch einen Balteus rechnet 5,
ebensowohl, wenn Johannes von Salisbury Papst Alexander III. (1159 bis
1181) an den anulus proprius und balteus erinnert, mit denen derselbe ihn zu
Ferentino ausgezeichnet hatte6.
Es verdient Beachtung, daß beinahe alle Stellen, in denen das Sub-
cinctorium balteus genannt wird, französischen, normannischen und deutschen
Ursprungs sind. Es scheint sonach dieser Name fast nur im Norden in Gebrauch
gewesen zu sein oder doch aus dem Norden zu stammen. Er dürfte seinen
1 Biblioth. nat. f. lat. 12052. Mart. 1. 1.
c. 4, art. 12, ordo 11; 1 203. Über die ur-
sprüngliche Bestimmung vgl. D e 1 i s 1 e , Me-
moire sur d'anciens sacramentaires (Paris
1886) 188.
2 Mart. c. 1 8, art. 11, ordo 10 12; II 57
66; ebd. 1. 1, c. 4, art. 1; I 128.
3 M. G. Confr. S. Galli 397. Das insuper
bezieht sich auf Cingula , von denen vorher
bei Aufführung der Alben mit ihren zu-
gehörigen Humeralien und Cingula die Rede
war. Auch iu einem Inventar aus dem Beginn
des 14. Jahrhunderts werden 15 baltei genannt.
Cingula werden in demselben nicht erwähnt;
wie es scheint, sind selbige gerade wie die
Humeralien nicht eigens verzeichnet worden,
weil man sie als selbstverständliches Zubehör
der Alben betrachtete.
4 M. 137, S47. Die Bulle ist zweifelsohne
interpoliert, so daß es unsicher ist, ob balteus
der ursprünglichen Fassung angehört. Das
Wort Mitra ist sicher später eingeschoben.
5 De statu eccl. (M. 159, 1002) : Utitur etiam
episcopus pro dignitatis honore baculo et
auulo, chirothecis et mitra, balteo, dalmatica
et sandaliis.
6 Ep. 42 (M. 199, 26). Der Brief wurde
ca 1160 geschrieben.
122 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Grund in einer, wenngleich nur entfernten Formähnlichkeit des Subcinctorium
mit der Schwertkoppel haben.
Praecinctorium heißt das Ornatstück in der Missa Illyrica ', einem für
Sigebert von Minden um 1030 geschriebenen Mefiordo. Auch hier wird
zwischen dem Cingulum und einem Praecinctorium unterschieden. Die Anlegung
der Gewänder beginnt mit dem Amikt; dann folgen der Reihe nach Albe,
Cingulum, Praecinctorium, Stola, Subtile (Tunicella) usw. Das Praecinctorium
ist hier offenbar ein vom Cingulum verschiedener , aber seinem Namen nach
zum Cingulum gehörender Ornat, also zweifelsohne das Subcinctorium.
Eine mit praecinctorium verwandte Bezeichnung ist der Ausdruck prae-
cingulum, der sich in einem Inventar von Enger aus dem 11. Jahrhundert
findet: 6 praecingula auroornata, doch scheinen hier lediglich reich geschmückte
Cingula gemeint zu sein.
Im südlichen Italien erscheint das Subcinctorium im 11. und 12. Jahr-
hundert unter dem Namen semicinctium (semicinthium). Denn wenn Leo von
Ostia in der Chronik des Klosters Monte Cassino berichtet, es habe Abt
Desiderius 9 stolas auro textas cum manipulis et semicinthiis suis gekauft 2,
und wenn Anaklet IL, der Gegenpapst Innozenz' IL (1130 — 1143), dem Abt
Franco vom Sophienkloster zu Benevent und dessen Nachfolgern das Recht
verleiht, wie die Bischöfe Mitra, Handschuhe, Dalmatik und Semicinctium zu
tragen °, so kann es kaum zweifelhaft sein , daß hier wie dort unter dem
Semicinctium das Subcinctorium zu verstehen ist.
Das Wort semicinctium (gräzisiert airl|i.ixiv&tov und davon wieder lateinisch auch
semicinthium, semicintium) erscheint in verschiedener Bedeutung. BeiMartial (14,
153) ist es ein Lendenschurz. Isidor von Sevilla bemerkt: Cinctus lata zona, minus
lata semicinctium, minima cingulum4. Was die semicinctia Apg 19, 12 (virtutes non
quaslibet faciebat Deus per manus Pauli, ita ut etiam super languidos deferrentur a
corpore eius sudaria et semicinctia et recedebant ab eis languores) bedeuten, ist nicht
klar. Papst Gregor IL erklärte sie nach dem ehrwürdigen Beda als eine Art
von Schweißtuch5. Theophylakt sagt, a7]u,iy.£vfhoc seien Sudarien, welche Leute
von konsularischem Rang in den Händen trügen 6. Als Leibschurz erscheint das
Semicinctium beim hl. Bernhard De moribus episc. c. 2 7, in der Vita B. Hugonis
de Lacerta 8, bei Heribert De mirac. Cisterc. monach. 9 und sonst mehrfach. Johannes
Balbis (f 1298) schreibt: Semicinctium dicitur eo, quod dimidium cingat. In glossa Actor. 19
dicuntur semicinctia vestes ex uno latere dependentes vel zonae sive vestes noc-
turnales vel genus sudarii, quo hebraei utuntur in capite 10.
Bei Leo von Ostia und in der Bulle Anaklets kann es sich offenbar nicht um
ein Lendentuch handeln. Ebensowenig stellen die fraglichen Semicinctien den gewöhn-
lichen liturgischen Gürtel dar, weil derselbe niemals den Charakter eines privilegierten
Gewandstückes hatte. Daß sie aber auch keinen griechischen Sakralornat bedeuten,
wie man vielleicht wegen der gräzisierenden Richtung in Süditalien vermuten könnte,
etwa das Epigonation , damals noch Enchirion der Bischöfe, ergibt sich daraus, daß
sie in beiden Fällen als Bestandteil der abendländischen Pontifikalkleidung erscheinen
1 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 4; I 177. l Etymolog. 1. 19, c. 33 (M. 82, 702).
Wegen des Alters und Ursprungs der Missa 6 Liber retract. in Actus apost. c. 19 (M.
Illyrica vgl. Stimmen aus Maria-Laach 92, 1027).
LXVI1I 143 ff. ' Mg. 125, 764.
2 L. 3, c. 18 (M. G. SS. VII 711); vgl. in 7 M. 182, 816.
der Fortsetzung der Chronik durch Petrus 8 Mart. , SS. Vet. VI 1145.
Diaconus 1. 3, c. 74 (ebd. 753) : semicintia 7. 9 L. 1, c. 6 (M. 185, 457).
3 J. L. n. 8428. 10 D. C. (sub semicinctium) VII 407.
Fünftes Kapitel. Das Subcinctorium. 123
und insbesondere in der Bulle Anaklets II. auf einer Linie mit der Mitra, den Hand-
schuhen und der Dalmatik stehen.
Es bleibt daher nur übrig , in ihnen das Subcinctorium zu sehen , welches als
bischöfliches Ornatstück gemäß den Ausführungen Brunos von Segni in der Tat
wenigstens im Beginn des 12. Jahrhunderts in Italien bekannt gewesen sein muß
Es liegt aber um so näher, Semicinctium und Subcinctorium als ein und denselben
Ornatteil zu betrachten , als einerseits Leo von Ostia seine semicinctia als eine Art
von Zubehör zur Stola hinstellt (stolae 9 cum . . . semicinctiis suis), und anderseits
das Subcinctorium tatsächlich , wie wir sehen werden , ursprünglich keinen andern
Zweck hatte, als die vorn herabhangenden Stolastreifen zu befestigen. Einen Beweis
für die Identität beider bildet auch das cimicampamum, welches in einem dem 14. Jahr-
hundert entstammenden Pontifikale von Monte Cassino unter den bischöflichen Ge-
wändern erwähnt wird. Denn dieses Ungeheuer von Wort, das wohl aus semicincthium
verderbt ist, kann nach dem Kontext nur das Subcinctorium sein '.
Balteus, Praecinctorium und Semicinctium erscheinen überall, wo sie uns
begegnen, als ein an sich den Bischöfen eigentümliches, aber auch andern als
Auszeichnung verliehenes Ornatstück.
IV. ZWECK, URSPRUNG UND BEDEUTUNG DES SUBCINCTORIUM.
Über die Bedeutung und den Zweck des Subcinctorium sind sonderbare
Ansichten aufgestellt worden. Man hat es für das Gremiale der Bischöfe,
d. i. für jene Decke gehalten, welche dem Bischof auf den Schoß gelegt wird,
wenn er z. B. bei dem Pontifikalamt auf seinem Thron sitzt oder wenn er
bei den Weihen die Salbungen vornimmt; man hat, gestützt auf den Um-
stand, daß Honorius das Ornatstück mystisch als Sinnbild des Studium elee-
mosynae, des Eifers im Almosengeben, deutet, geglaubt, selbiges habe ehe-
dem dazu gedient, den saccone, die Geldbörse des Papstes, zu tragen, gerade
als ob dieser in der heiligen Messe die Geldtasche an der Seite gehabt habe.
Ja man hat sogar in ihm ein Abbild der femoralia, d. i. des unter allen
andern Kleidern auf bloßem Leibe getragenen Schurzes sehen wollen, den
Gott durch Moses den jüdischen Priestern anzulegen befohlen hatte 2. Einer
näheren Erörterung und Widerlegung bedürfen diese Meinungen, deren Un-
haltbarkeit auf der Hand liegt, um so weniger, weil der hl. Thomas und
Durandus klar und bestimmt den Zweck angeben, den das mittelalterliche
Subcinctorium hatte. Per succinctorium , quo stola ligatur cum alba, amor
honestatis significatur, sagt der hl. Thomas im Kommentar zum Lombardus 3 ;
Durandus aber bemerkt: Est subcingulum illud, quod dependet a cingulo,
quo stola pontificis cum ipso cingulo colligatur i. Es bestand also noch im
13. Jahrhundert unser Gewandstück in einer am Gürtel aufgehängten Vor-
richtung, welche dazu diente, die vorn haltlos herabfallenden Stolenstreifen
zu befestigen und auch wohl aufzuschürzen. Man muß nämlich vor Augen
halten, daß die mittelalterliche Stola ein Band war, das nicht selten die bedeu-
tende Gesamtlänge von 3 m und selbst mehr hatte 5. Angesichts dieses Zweckes,
1 Vat lat. 9340 f. 4T: Dum supradicta di- 2 Das Nähere bei M o r. LXX 307 f.
euntur calciatus debet dictus praelatus ab- Moroni hält das Subcinctorium für den Gürtel,
luere (sc. manus) sedendo super cathedram an welchem der Papst die Geldtasche behufs
suam ; deinde servitores debent ipsum induere Almosenspenden getragen hätte,
sicuti nioris et de amito (sie) , de alba et 3 S. oben S. 118.
stola. Et desuper stola zona cum eimicam- * Rationale 1. 3, c. 1, n. 3; f. 64.
pamis etc. Eine spätere Hand hat in Schwarz 5 Wegen der grofsen Länge der Stola im 11.
über das Wort (unguium geschrieben. bis 13. Jahrh. vgl. das Kapitel über die Stola.
124 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
welchem ehedem das Gewandstück diente, begreift man auch leicht seinen
Namen. War es nämlich dazu da , die Stola an- und je nachdem auch auf-
zuschürzen (subcingere), so lag es nahe, dasselbe subcinctorium, subcingulum
zu nennen. Da es ferner, wenn es zur Befestigung der Stola gebraucht
wurde, nicht einen den ganzen Leib umgebenden Gürtel, sondern nur ein
gurtartig vor der Vorderseite desselben sich hinziehendes Band darstellte,
wurde es mit Recht als semicinctium (Halbgurt) und praecinctorium (Vor-
gurt) bezeichnet.
Das Subcinctorium des Papstes ist jetzt nur mehr ein Zierstreifen , der
seine praktische Bedeutung völlig eingebüßt hat. In Rom wird er das schon
im Beginn des 14. Jahrhunderts gewesen sein. Denn der 14. Ordo merkt
an, es sollten die Ministri, welche dem Kardinalbischof beim Ankleiden zu
helfen hatten, die beiden Stolastreifen mit dem Cingulum (cingulo) aufschürzen,
damit sie nicht hinabgleiten könnten 1. Es wurde also nach römischem Brauch
bereits zur Zeit des Jakobus Gaietanus die Stola nicht mehr mit dem Sub-
cinctorium, welches der Pontifex trug — et subsequenter subcingat eum cingulo
cum subcinctorio — , sondern mit dem Cingulum selbst befestigt. In Mailand
diente das Subcinctorium noch in den Tagen des hl. Karl Borromäus seinem
ursprünglichen Zweck, wie das aus der früher angeführten Verordnung des
Heiligen hervorgeht: succinctorium seu succingulum, quo scilicet stola cum
cingulo connectitur. Das römische Caeremoniale der Bischöfe, welches das
Subcinctorium nicht mehr kennt, gibt als zweckmäßig an, die bischöfliche
Stola behufs ihrer Befestigung vorn und rückwärts mit Bändchen zu versehen2.
In Bezug auf die Frage, wo das Subcinctorium zuerst in Gebrauch
genommen worden sei, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Man hat das
Subcinctorium mit dem Epigonation der griechischen Kirche in Verbindung
gebracht und geglaubt, eine Verwandtschaft zwischen diesem zur liturgischen
Ausstattung der Bischöfe und auch wohl sonstiger höheren Geistlichen
gehörenden Ornat und unserem Gewandstück annehmen zu sollen 3. Allein
eine solche Beziehung zwischen Subcinctorium und Epigonation ist nicht nur
nicht nachweisbar, es hat eine solche nie gegeben. Subcinctorium und Epi-
gonation sind zwei ganz verschiedene Dinge.
Das griechische Ornatstück wurde stets an der rechten Seite getragen,
das Subcingulum dagegen fast allzeit links. Dann erscheint ersteres schon
auf Miniaturen des 14. Jahrhunderts als taschenartiger, rautenförmiger Ornat,
welcher an Bändern vom Gürtel herabhängt , während letzteres immer ein
streifenartiges, dem Manipel ähnliches und unmittelbar am Cingulum befestigtes
Gewandstück bildete. Drittens endlich war das Epigonation ursprünglich, und
zwar noch wenigstens bis ins 12. Jahrhundert, ein Enchirion (Schweißtuch),
während das Subcinctorium zur Befestigung der Stola diente, mit einem Schweiß-
tuch also niemals etwas zu tun hatte.
Wie es scheint, haben wir die Heimat des Subcinctorium im Norden zu
suchen, wahrscheinlich im Frankenland, wo uns dasselbe am frühesten begegnet.
Im Norden erhielt es auch, soweit die Quellen ein Urteil gestatten, die größte
Verbreitung. Von dort dürfte es dann etwa um die Wende des Jahrtausends
auch nach Rom seinen Weg genommen haben, um allda ein Bestandteil der
römischen Pontifikalgewandung zu werden.
1 C. 53 (M. 78, 1157). 3 Hef., Beitr. II 180. Realenc. II 193.
2 L. 2, c. 8, n. 14. Bona 1. 1, c. 24, § 15; 11268. Mor. LXX 309.
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceum. 125
SECHSTES KAPITEL.
ROCHETT UND SUPERPELLICEUM.
I. VORBEMERKUNG.
In den Generalrubriken des römischen Missale, welche den Ritus der
Meßfeier behandeln, findet sich die Bestimmung, es solle derjenige, welcher
das heilige Opfer darbringen wolle, die liturgischen Gewänder, falls er welt-
licher Prälat sei, über ein Rochett, falls er aber ein dem Ordensstand an-
gehörender Prälat oder ein Weltpriester sei, über ein Superpelliceum anlegen,
wofern ein solches leicht zu haben sei K Zwischen Rochett und Superpelli-
ceum besteht ein dreifacher Unterschied. Der erste betrifft ihre Form; das
Rochett ist mit engen, das Superpelliceum mit weiten Ärmeln (bzw. mit großen
Stoffstücken, welche deren Stelle vertreten) ausgestattet. Der zweite liegt in
der Verschiedenheit der Personen , welche sich der beiden Gewandstücke
bedienen. Das Superpelliceum kommt nämlich allen Klerikern ohne Unter-
schied der Rangordnung und der Weihestufe zu , das Rochett bildet hin-
gegen ein Kleid, das außer den Bischöfen und Prälaten nur solchen Geist-
lichen zusteht, denen kraft eines Privilegs der usus rochetti verliehen
wurde. Der dritte Unterschied bezieht sich auf den Charakter der beiden
Gewänder. Das Superpelliceum ist liturgisches Ornatstück im engeren
Sinne, während das Rochett wenigstens nach römischer Auffassung nur einen
Bestandteil der außerliturgischen klerikalen Tracht darstellt und nur im
weiteren Sinne, d. i. als Chorgewand, der liturgischen Kleidung zugezählt
werden kann.
„Der Gebrauch des Rochetts", so heißt es diesbezüglich in einer Vor-
bemerkung des römischen Missale, „ist allen verboten, denen es nicht von
Rechts wegen zusteht" ; außerdem ist es, wie andurch bestimmt wird, niemand
gestattet, bei der Feier der Messe oder beim Chorgebet im Rochett oder in
einer Cotta, die nach Art des Rochetts enge Ärmel hat, zu dienen oder zu
assistieren. Dasselbe ist bei den Predigten zu beobachten 2. Der Unterschied
zwischen Rochett und Superpelliceum, der in dieser Bestimmung des Missale
zum Ausdruck kommt, wird auch in einer Reihe von älteren und jüngeren
Antworten der Ritenkongregation betont. So entschied diese unter dem
10. Januar 1852, das Rochett sei bei der Spendung der Sakramente nicht als
vestis sacra zu verwenden, und demgemäß habe man sich sowohl bei der
Verwaltung der Sakramente als auch beim Empfang der Tonsur und der
niederen Weihen des Superpelliceum zu bedienen 3. Selbst diejenigen, welche
von Rechts wegen oder kraft eines Privilegs den Gebrauch des Rochetts haben,
dürfen nur im Superpelliceum die Sakramente ausspenden. Kanoniker, welche
sich des Vorrechtes erfreuen, Rochett und Cappa oder Mozzetta zu gebrauchen,
müssen daher bei Erteilung der Sakramente ein Superpelliceum über das
Rochett anlegen , andere haben sich bei diesen Funktionen bloß mit dem
Superpelliceum zu bekleiden 4. Allerdings wird in der Praxis der Unterschied
1 Ritus eelebrandi tit. 1 , n. 2. Da es hier - Decret. Congreg. Rit. ex mandat. TJr-
wie im Pontifikale superpelliceum heißt, wird bau. VIII. in Praef. ad Missale Rom.
auch im folgenden diese Schreibweise an- 3 Decret. auth. 2993.
gewandt und superpellicium nur in Zitaten 4 C. R. 31. Mai 1817, 17. Sept. 1822,
gebraucht. 16. April 1831 (c. 2578, 2622, 2680).
126
Erste:- Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
zwischen beiden Gewändern nicht allenthalben eingehalten *. Solche Gepflogen-
heiten sind jedoch auch da, wo sie auf altem Herkommen beruhen, nur als
Ausnahme von der Regel anzusehen. Sie heben die tatsächliche Verschieden-
heit der beiden Gewänder nicht auf. Immerhin erheischen sie es, daß wir
uns hier nicht bloß mit dem Superpelliceum, sondern auch mit dem Rochett
näher befassen.
II. ROCHETT ALS NAME EINES GEISTLICHEN GEWANDES.
Rochett, rochettum ist die Diminutivform des mittellateinischen roccus,
das schon in karolingischen Kapitularien 2 und in dem 831 aufgestellten Inventar
von St-Riquier vorkommt. Roccus selbst hängt mit dem althochdeutschen
roch , rocch , rogh , roc sowie dem angelsächsischen rocc und unserem Rock
zusammen 3.
Das Wort rochettum scheint als Name des jetzt allgemein mit demselben
bezeichneten Gewandes vor dem LI Jahrhundert kaum in Gebrauch gewesen
zu sein. In Deutschland kommt es in diesem Sinne schon in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts vor, wie der 10. Kanon der im Jahre 1238
gehaltenen Trierer Synode beweist: „Das oberste Kleid der Priester soll bis
auf die Füße reichen und geschlossen sein; wenn sie aber zum Gottesdienste
gehen, sollen sie eine Camisia, d. i. ein Rochett, anziehen" (camisia i. e.
rochetto induantur) 4. Daß hier unter Rochett nicht das weitärmelige Super-
pelliceum zu verstehen ist, ergibt sich daraus, daß es der Camisia gleich-
gestellt wird. Camisia bezeichnete nämlich im Mittelalter stets eine Albe
oder albenähnliche, d. i. engärmelige Linnentunika. Außerdem folgt das
aus dem 11. Kanon derselben Synode, in welchem zwischen Camisia und
Superpelliceum klar unterschieden wird.
Etwa ein halbes Jahrhundert später sprechen auch die Lüttich er
Synodalstatuten des Jahres 1287 von dem Rochett: „Die Priester sollen
unter den Alben entweder Superpelliceen oder Linnentuniken, die den Namen
saroht oder röchet (sie) führen, tragen." 5 Denn auch in diesem Falle bedeutet
röchet eine engärmelige Linnentunika, d. i. ein Gewand von der Art des jetzigen
Rochetts. Daß dieses röchet nämlich Ärmel hatte, folgt aus den Worten der
Statuten: „Man soll unter den Achseln keine Öffnungen in die linnene
Tunika . . . machen, um die Arme ohne die Ärmel der Linnentunika . . . beim
Altardienst herauszustrecken." ° Daß es aber kein weitärmeliges Gewand war,
1 Auf eine in einem besondern Fall gestellte
Anfrage, ob die Sitte, wonach der ganze
Klerus einer Diözese sich auf Grund alter
Gewohnheit des Rochetts bediene, beibehalten
werden könne , antwortete die Rituskongre-
gation unter dem 27. Februar 1847 : Non
esse inquietandos (Decret. auth. n. 2935).
2 Capit. Lud. I, De monach. n. 22 (Hartzh.
II 4).
3 Grimm, Deutsches Wörterbuch VIII
1093. Sonderbare Ableitungen finden sich
bei Gavanti in der Erklärung der Rubriken
des römischen Missale (G a v. P. 2, tit. 1,
ii. 2; I 168). Seinen Ausführungen zufolge
soll rochettum entweder von (it'r/.oi (= corymbi,
die Fruchtbüschel des Efeu) herkommen,
weil der Saum desselben mit ähnlich ge-
stalteten linnenen Zieraten geschmückt
worden sei, oder von [im — ynmv (weichere,
zartere Linnentunika) oder gar vom hebrä-
ischen rah (sehen) und chetam (Linnen) her-
zuleiten sein. Im letzten Falle würde Rochett
linea vestis speciosa, linum speetabile (glän-
zendes Linnengewand) bedeuten. Es braucht
kaum bemerkt zu werden, daß diese Etymo-
logien nichts als gelehrte Spielereien sind.
4 Hartzh. III 559.
'- C. 5, n. 1 (ebd. 690).
« C. 5, n. 14 (ebd.). Vgl. Syn. von Cambrai
c. Celebrans (ebd. IV, 71).
Sechstes Kapitel. Rochett und SuperpeUiceum.
127
erhellt aus dem Umstand , daß es als ein vom Superpelliceum verschiedenes
Gewand erscheint 1.
Früh begegnen uns auch in England rochettae. Dort werden solche
schon 1222 im Inventar der Kathedrale von Salisbury als zu den Altären des
hl. Paulus und Allerheiligen gehörig und noch etwas vorher 1220 in den In-
ventaren der Pfarrkirchen von Ruscomb und Hill Deverell erwähnt. 1240 be-
stimmt eine unter Walter von Cantilupe zu Worcester abgehaltene Synode, es
sollten in jeder Pfarrkirche zwei Superpelliceen und zwei rochettae sich be-
finden2, eine Synode von Exeter aber verordnete 1287 sogar, es sollten zu jedem
Altar zwei Superpelliceen und ein Rochett gehören3. 1245 ist in dem Schatz-
verzeichnis von St Paul in London von Rochetten die Rede ; eines wird darin
als vom hl. Edmund, Erzbischof von Canterbury, herrührend bezeichnet. Um
1300 rechnet Robert von Winchelsea, ebenfalls Erzbischof von Canterbury, in
der Konstitution, in welcher er festsetzt, was die Parochianen für die Pfarr-
kirche zu leisten hätten , unter die von diesen beizubringenden Gegenstände
neben drei Superpelliceen auch ein Rochett 4. Es ist allerdings fraglich , ob
unter den genannten englischen Rochetten allemal gerade unser Rochett zu ver-
stehen sei. Vielleicht, daß die erwähnten Rochette zum Teil ärmellos statt
engärmelig waren. Denn der dem 15. Jahrhundert angehörige Kanonist Lynd-
woode (f 1446) bemerkt in einer Glosse zur Konstitution Winchelseas : „Das
Rochett entbehrt der Ärmel und unterscheidet sich dadurch vom Superpelli-
ceum, welches mit lang herabfallenden Ärmeln ausgestattet ist; es ist zum
Gebrauch für den Kleriker, welcher dem Priester dient, und auch wohl für
den Priester, welcher die Taufe spendet, bestimmt, damit seine Arme nicht
durch die Ärmel behindert werden." 5 Indessen kannte man in England jeden-
falls bereits früh im 13. Jahrhundert ein Gewand unter dem Namen rochetta.
In Deutschland und im nördlichen Frankreich hieß das Rochett
wohl auch saroht, sarcos, sarcotium , sarrotus, so in den schon erwähnten
Lütticher Synodalstatuten, in den Statuten der Synoden von Passau (1284) "
und Cambrai (1300) 7, in den Statuten Stephans von Firomonte, Abtes von
St-Eloi, und noch 1419 in einem Inventar der Kathedrale von Noyon, welches
5 sarroti modici valoris zu verzeichnen hat 8.
In Rom scheint das Gewand, welches in den Statuten der Trierer und
Lütticher Synode Rochett genannt wird, bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts
unter diesem Namen noch nicht bekannt gewesen zu sein. In dem auf
Befehl Gregors X. (1271 — 1276) herausgegebenen Ordo, dem 13. Mabillons,
findet sich das Wort rochettum noch nirgends. In dem 14. Ordo kommt es
zwar zweimal vor, allein die eine der beiden Stellen9 ist wörtlich dem um
die Wende des 14. Jahrhunderts entstandenen 15. Ordo des Bischofs Petrus
1 C. b n. 1 u. 13. Vgl. auch Conc. Budense
vom Jahre 1279 c. 2 (Hard. VII 792): Prae-
lati deferant . . camisias albas sive rosetas,
quas semper sub cappis deferant.
2 C. 1 (Hard. VII 331).
3 C. 12 (ebd. 1088).
' "C. 4 (ebd. 1212).
5 Chambers 29 f; D. C. (sub v. roccus)
VII 202.
6 C. 2 (Hartzh. III 673): Sacerdotes
portantes . . . hostiam, chrisma et oleum
superpellicio et sarcocio sint induti.
7 C. de euch. (ebd. IV 70) : tunica linea,
quae Gallice dicitur Sarcos.
8 D. C. (sub sarcotium und sarrotus) VII
311 313. Die Etymologie des Wortes ist
nicht sicher : es hängt wohl mit dem alt-
deutschen saro = Rüstung zusammen. Vgl.
Grimm, Deutsches Wörterbuch (unter
sarrock) VIII 1802 und E. Littre, Diction-
naire de la langue francaise sub sarrau
(IV 1828).
9 C. 78 (M. 78, 1196); vgl. ordo 15, c. 20
(ebd. 1282).
128
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
von Sinigaglia entnommen, die andere 1 ist, wie aus einem Vergleich mit der
Parallelstelle des 13. Ordo hervorgeht, ersichtlich verderbt und in ihrer jetzigen
Form der ursprünglichen Fassung des 14. Ordo unzweifelhaft fremd. Der
erste Ordo, in dem das Wort rochettum als Name eines mit dem jetzigen
Rochett identischen Gewandes vorkommt, ist der 15. Ordo Mabillons2.
Das Kleidungsstück, welches uns im 15. Ordo unter dem Namen rochettum
begegnet, heißt im 13. und 14. Ordo camisia oder alba romana. gleich-
viel, von wem die Rede ist3. Im 15. Ordo wird mit diesen Ausdrücken nur
noch die Linnentunika bezeichnet, welche der Papst unter der Cappa bzw.
unter der Meßalbe über den Alltagskleidern trug.
Ein anderer Name des Gewandes war succa (sucta, subta). Er
begegnet uns schon in einer Bulle Nikolaus' III. (1277 — 1280) 4 und einer
Verordnung der Synode von Valladolid (Spanien) aus dem Jahre 1322 5.
Erstere bestimmt, die Kanoniker von St Peter sollten nie in der Kirche er-
scheinen, ohne zum wenigsten die succa zu tragen, letztere, es sollten die
Bischöfe und Prälaten in der Öffentlichkeit mit succae (suctae) bekleidet sein.
Im 15. Ordo findet sich statt succa subta : cum subtis seu rochettis 6. Sajetta
heifät das Gewand neben rochetum (sie) in den Konstitutionen der Lateranen-
siseben Basilika 7.
Seit dem 15. Jahrhundert verschwinden allmählich in Rom die Namen
camisia, alba romana und succa (subta). Schon der Kompilator des 14. Ordo
scheint succa nicht mehr verstanden zu haben, da er aus demselben scuta
gemacht hat 8. Das römische Missale, das römische Pontifikale und das Caere-
moniale episcoporum nennen unser Gewand nur mehr rochettum. Dieselbe
Bezeichnung eignet ihm ausschließlich jeder andern auch in den Statuten des
hl. Karl Borromäus De vita et honestate episcoporum et clericorum 9. In
Spanien war schon nach der Mitte des 15. Jahrhunderts roquetum als Be-
nennung desselben das gewöhnliche. Episcopi veste linea superiore, vul-
gariter roquetum nuneupata, in publico semper utantur10. Es ist inter-
essant, wahrzunehmen, wie auch bei dem uns hier beschäftigenden Kleidungs-
stück ein im Norden ursprünglich heimischer Terminus in Rom Aufnahme
fand, dort den bis dahin gebräuchlichen verdrängte und allmählich im ganzen
Abendland herrschend wurde.
1 C. 10 (M. 78, 1126) : Prior diaconorimi . . .
ponit ei (papae electo), si non habet, albain,
rochetum, camisiam et ornamentum ad niodum
presbyteri super humeros. Ordo 13 , n. 2
(ebd. 1105): ponit ei . . . albara romanam, ca-
misiam (= Albe) et orarium (Stola) ad niodum
presbyteri super humeros. Wie es scheint,
hat der Kompilator mit der alba romana und
dem orarium nichts anzufangen gewußt und
darum romana durch das völlig überflüssige
„rochettum" und orarium durch das höchst
sonderbare ornamentum ersetzt.
2 C. 9 20 68 (ebd. 1277 1282 1310).
3 Auch außer Rom hieß es wohl camisia;
vgl. c. 1 des Konzils von Montpellier 1215
(Hard. VI 2, 2046) und c. 2 des Konzils
von Buda 1279 (ebd. VII 792). Die Kölner
Synode des Jahres 1260 nennt es c. 7 u. 8
vestis camisialis (Hartzh. III 590 591).
Vgl. zu c. 8 das c. 17 der Kölner Synode
von c. 1300 (ebd. IV 42): camisia linea. Die
Provinzialsynode von Aschaffenburg von 1292
verordnet in c. 2 , es solle der Priester bei
Versehgängen ein Superpelliceum , die cam-
panarii eine camisia alba tragen (ebd. IV 7).
4 Bzovius, Annales ad an. 1280: XIII 912.
5 C. 6 (Hard. VII 1466).
6 C. 70 (M. 78, 1312). 7 C. 1 (M. 78, 1396).
8 C. 92 103 (ebd. 1212 1233). C. 92 ist
von einer scuta die Rede, welche die capellani
unter der cotta trugen. Nach c.48(ebd. 1153)
hatten dieselben unter dem Superpelliceum
oder der Cotta eine camisia linea (d. i. das
Rochett) super communes vestes. Scuta und
Rochett sind also eins.
9 A. E. Med. 16 132 168 281 und sonst.
10 Synode von Aranda (1473) c. 5 (Hard.
IX 1505).
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceum.
129
III. CHARAKTER DES GEWANDES ZU ROM UND AUSSERHALB ROMS.
Der Charakter, den das Rochett gegenwärtig nach römischer Anschauung
besitzt, ist ihm nicht erst in der Neuzeit zu teil geworden, es hatte ihn zu
Rom zum wenigsten bereits im 15., 14., ja 13. Jahrhundert. Schon damals
zählte es nicht zu der eigentlichen liturgischen Kleidung. Bei Ausübung-
liturgischer Funktionen mußte man stets je nachdem die Albe oder das Super-
pelliceum tragen. Das Rochett galt nur als auszeichnender Bestandteil der
klerikalen Tracht höher gestellter Geistlichen, vor allem des Papstes, dann
der Kardinäle und Bischöfe, gewisser Kanoniker, wie der von St Peter, der
päpstlichen Kapläne u. a. Bezüglich der Bischöfe hatte schon das 4. Lateran-
konzil 1215 bestimmt: Pontifices in publico et in ecclesia superindumentis
lineis utantur, nisi monachi fuerint 1. Gemeint aber war mit dem linnenen
Überkleid, welches diese sowohl im öffentlichen Verkehr wie in der Kirche
tragen sollten, die camisia, wie aus den Provinzialsynoden des 13. Jahr-
hunderts erhellt, d. i. das Rochett.
Der Papst trug nach dem römischen Brauch, wie er im 14. und 15. Jahrhundert
bestand, das Gewand stets2, alle andern bedienten sich seiner wenigstens bei feier-
lichen Gelegenheiten und kirchlichen Punktionen 3. (Camisiam lineam) semper debet
habere super laneas vestes, quando ad celebrandum vadit, etiamsi religiosus sit, heißt
es im 14. Ordo vom Bischof, der sich zur Pontifikalmesse ankleidet4. Es mußten
also selbst die dem Ordensstande angehörigen Bischöfe, welche sich für gewöhnlich
der Camisia nicht zu bedienen pflegten, bei der heiligen Messe eine solche unter der
Albe haben. Das Rochett wurde bei den Bischöfen nach und nach eine Art von
Insignie und ein Abzeichen der Jurisdiktion, welches darum nach dem Caeremoniale
episcoporum der Papst selbst dem Neuerwählten anlegt, falls derselbe gerade zu Rom
sich authält b.
Wie zu Rom, so verhielt es sich im 13., 14. und 15. Jahrhundert im allgemeinen
auch außerhalb Roms. Auch hier wurden meistens nur die Albe und das Super-
pelliceum als eigentliche liturgische Gewänder angesehen , während die Camisia bloß
als klerikales Kleid galt. Demgemäß drängten denn auch die Synoden und Diözesan-
statuten vielfach darauf, daß man bei der Feier der Messe unter der Albe eine Camisia
habe6. Eine Mainzer Synode vom Jahre 1233 will sogar, daß der Priester bei der
Spendung der Taufe , des Viatikum und der heiligen Ölung mit der camisia alba
unter dem Superpelliceum bekleidet sei '. Ebenso betonen die Synodalverordnungen
im Anschluß an die Bestimmung des 4. Laterankonzils wiederholt, daß die Bischöfe
■ C. 16 (ebd. VII 34).
2 Urban. V. De curia 31 (Mor. LVII 74) :
Rochetto lineo semper Pontifex Maximus
velatus incedit. Auch ordo 13 , n. 3 und
ordo 14, c. 10 (M. 78, 1106 1127) erscheint die
camisia als Teil der päpstlichen Alltags-
kleidung.
3 Ordo 14, c. 46 78 92 103; ordo 15, c. 9
20 68 (M. 78, 1145 1196 1212 1233 1277 1282
1310) u. a.
4 C. 53 (ebd. 1156).
5 L. 1, c. 1, n. 2. Vgl. schon Will, de
C h a m h r e , Continuatio hist. Dunelmensis
(Durham in England), Surtees Society 1839,
127: Bis adiit (Richard von Bury) sunimum
pontificem Ioannem (XXII.) et recepit ab eo
rochetam in loco bullae pro proximo episcopatu
vacante ex post in Anglia.
Braun, Die liturgische Gewandung.
6 Stat. syn. Leod. c. 5, n. 1 (Hartz h.
III 690) ; Syn. Camerac. a. 1300 , c. De
euchar. (ebd. IV 70); Conc. Col. a. 1260,
c. 7 (ebd. III 591). Sacerdotes ipsi quotiescun-
que celebraturi sunt, veste camisiali sub alba
non careant, nealbam, quaeconsecrata
est vestis, ipsorum tunicae valeant im-
mediate contingere nee ipsae tunicae ap-
pareant, Pontif. Guiliemi Durandi apud Mart.
1. 1, c. 4, art. 12, ordo 23; I 221. Vgl.
ebeudort den Auszug aus dem Missale von
Fecamp (c. 1300), ordo 26 (ebd. 228), wo es
in der Vorbereitung auf die heilige Messe
heißt: Sacerdos induat se roqueto, dicens :
Actiones nostras, quaesumus Domine etc. Also
selbst beim Rochett ein Ankleidegebet.
7 Zeitschrift für die Geschichte des Ober-
rheins III, Karlsruhe 1852, 136.
9
130
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
und Prälaten im öffentlichen Leben über den gewöhnlichen Kleidern stets die Camisia
tragen sollten '. Immerhin gab es auch Diözesen, in welchen man von dem römischen
Brauch abwich , indem man zwischen Eochett und Superpelliceum nicht unterschied
und gleichmäßig das eine wie das andere bei liturgischen Akten verwendete -. Außer-
dem stand außerhalb Borns das Eochett nicht bloß im Dienste der Prälaten, sondern
auch der Priester und der Kleriker überhaupt, selbst der Küster s.
IV. ERSTE SPUREN DES GEWANDES.
Unzweifelhaft hat das 4. Laterankonzil durch die vorhin angeführte
Bestimmung auf die Verbreitung des Rochetts einen großen Einfluß ausgeübt,
wie aus den Provinzialsynoden des 13. Jahrhunderts hervorgeht. Irrig wäre
es jedoch, wollte man den Gebrauch des Gewandes erst von jener Verordnung
ableiten. Denn daß es schon vor dem 4. Laterankonzil bekannt war, ist,
so wenig Genaueres wir auch über seine frühere Geschichte wissen, durch-
aus sicher.
Zu Rom muß sogar bereits im 9. Jahrhundert eine Art von Rochett
in Gebrauch gewesen sein. Denn der St Gallener Kleiderkatalog belehrt uns,
daß der Papst und die römischen Diakone unter den liturgischen Kleidern
eine Camisia trugen4. Es wird diese allerdings als gegürtet bezeichnet, allein
solches kann nicht auffallen, da selbst noch im 14. Jahrhundert die alba
romana des Papstes mit einem Cingulum aufgeschürzt wurde. Es heißt im
13. und 14. Ordo nämlich, der Papst müsse über seinen Tuchkleidern eine
alba camisia haben et erit subcinctus cingulo de serico rubeo super camisiam 5.
Derselbe trug also noch gegen 1300 einen rotseidenen Gürtel über seiner
Linnentunika. Wirklich fand man, als man beim Neubau der St Peterskirche
1605 das Grab Bonifaz' VIII. eröffnete, um den Überresten eine andere Ruhe-
stätte anzuweisen , nach Angabe des Protokolls den Papst unter den litur-
gischen Gewändern mit einer gegürteten Camisia bekleidet 6. Der Gürtel
bestand aus Leder, war aber mit roter Seide überzogen und mit vier Schnüren
zum Zweck der Befestigung versehen. Es scheint sogar, daß die camisia,
von welcher in dem Kleiderverzeichnis die Rede ist, bereits den Charakter
eines privilegierten Gewandes hatte. Denn es ist bemerkenswert, daß der
Katalog sie außer beim Papst nur bei den Diakonen erwähnt "', die im 9. Jahr-
1 Vgl. die Synoden von Montpellier (1215)
c. 1 (Hard. VI 2 2046), Valladolid (1322)
c. 6 (ebd. VII 1466), Buda (1279) c. 2 (ebd.
VII 792).
2 Lütticher Synodalstatut c. 5 , n. 13
(Hartzh. III 690).
3 Vgl. die S. 128 A. 3 angeführten Stellen,
dann die Bestimmungen der Synoden von Trier
(1238) c. 10 11 (ebd. II 1559), Cambrai (1300)
c. Celebrans (ebd. IV 71) und Passau (1284)
c. 2 (ebd. III 673). Nach einer Kölner Synode
(1300) sollen die campanarii in der. Kirche
eine camisia linea tragen c. 17 (ebd. IV 42).
Die genannte Synode von Trier bestimmt
c. 16 (ebd.): Campanarii sine camisia in su-
periori non serviant in ecclesia vel alias in
divinis. Als Gewand der campanarii er-
scheint die Camisia auch in der früher (S. 128)
mitgeteilten Verordnung der Asehaffenburger
Provinzialsynode.
1 N. 1 u. n. 3 (M. 78, 985). Bezüglich der
Kleidung des Papstes heißt es : In primis
cam. et cingitur supra. Dein linea . . . : be-
züglich derjenigen der Diakone : In primis
cam. et supra cingulum. Postea tonica alba
et cingulum. . . . Linea und tonica alba be-
deuten hier die Albe, nicht die Tunicella oder
Dahnatik , von welchen gleich darauf die
Rede ist.
5 Ordo 13, n. 3, ordo 14, n. 10 (ebd. 1106
1127).
B Bzovius, Annal. ad an. 1303; XIV 50.
7 Nur beim Papst und bei den Diakonen
ist von zwei Untertuniken die Rede, von
denen die zweite offenbar die liturgische Albe
darstellt. Bei den andern, den Bischöfen,
Priestern, Subdiakonen, ja selbst dem Papst,
wo dessen Alltagsmel.ikleidung beschrieben
wird, verzeichnet der Katalog nur eine Unter-
tunika, die liturgische Albe.
Sechstes Kapitel. Rochett und Supefpellieeum. 131
hundert in Rom bekanntlich eine ungleich bedeutendere Stellung inne hatten
als selbst die römischen Hebdomadarbischöfe. Für das 11. und 12. Jahrhundert
bezeugen den Gebrauch des Gewandes seitens des Papstes Leo von Ostia und
Gerhoh von Reichersberg1. Die camisia oder das Rochett ist demnach zu
Rom nicht erst eine Schöpfung des späteren Mittelalters, höchstens daß das
zweite Jahrtausend eine Erweiterung des Kreises der zum Tragen der camisia
Berechtigten brachte.
Aber auch außerhalb Roms finden sich schon lange vor dem 13. Jahr-
hundert Spuren des Gewandes. Nach Sicard von Cremona trugen die Kleriker
cappae, tunicae laneae, stolae und auch camisiae 2. Da die stolae in der Folge
von Sicard mit cottae und superpellicea identifiziert werden, können unter den
camisiae keine Superpelliceen verstanden werden. Ein liturgisches Gewand
sind sie auch nicht; nur die stolae werden als Sakralkleid bezeichnet. Wir
haben in ihnen demnach klerikale Linnentuniken, d. i. das spätere Rochett,
zu sehen. Noch früher als Sicard reden Gerhoh von Reichersberg und Honorius
von dem Gewand. Gerhoh bezeichnet es als das eigentliche klerikale Kleid,
das ein Bischof aus dem Mönchsstande dann tragen sollte, quando clericorum
choro interesse in aliquo episcopali ministerio cogetur, also wenn er inmitten des
Klerus in irgend einer bischöflichen Funktion öffentlich aufzutreten habe 3.
Honorius führt bezüglich des Gewandes aus : Die Kleriker bedienten sich
weißer Gewänder gleich denen der Senatoren, von welchen dieselben in den
kirchlichen Gebrauch übergegangen seien. Die Kleider seien weit und reichten
bis zu den Füßen; oben seien sie mit einer Bindvorrichtung (ligula) versehen,
die camisia der Priester habe sogar zwei ligulae. Auf den Brauch, bei der
Messe unter den liturgischen Kleidern eine camisia zu tragen, scheint seine
Bemerkung: Primo namque (d. i. bei der Vorbereitung zur Messe) sacerdos
quotidianas vestes exuit et mundas induit, hinzudeuten i. Diese vestes mundae
sind nämlich nicht die liturgischen Kleider. Denn es heißt im Anschluß an
die angeführten Worte weiter: Deinde pectit crines capitis . . . aqua abluit
manus, deinde a sorde eas tergit, hinc humerale sibi imponit. . . . Sie können
darum nur die camisia bedeuten. Klar und bestimmt spricht die vierzehnte
der hundert Reden, welche sich im Anhang der Schriften Hugos von St Victor
vorfinden, von der camisia, welche der Priester am Altar unter der Albe
trug. Dieser soll, wenn er sich zur Meßfeier vorbereitet, die Alltagskleider
ablegen, die Hände waschen und dann die Candida vestimenta anziehen. Als
solche werden genannt die linea inferior, die linea exterior, der Amikt, der
Gürtel usw. Da die linea exterior ausdrücklich als Albe bezeichnet wird
(linea exterior scilicet alba), so liegt auf der Hand, daß die inferior mit der
camisia, d. i. dem später Rochett genannten Gewand, eins ist. In Irland war die
camisia schon wenigstens im Beginn des 12. Jahrhunderts bekannt. Denn
nach Bischof Gilbert von Limerick (f ca 1140) gehörten zur Alltagskleidung,
welche der Priester bei der Messe unter den liturgischen Gewändern zu tragen
hatte, zum mindesten Schuhe, Beinkleider, eine innere Tunika und die camisia5.
Sehr früh begegnet uns des Gewand in England , wo es den Namen
oferslip führte. Der 46. Kanon der unter Edgar (f 975) erlassenen kirch-
1 Chron. Cassin. 1. 3, c. 66 (M. G. SS. VII Die Schrift ist dem Bischof Kuno von Regens-
749); Gerhoh Reich ersb. , De aedif. Dei bürg gewidmet und entstand um 1130.
c. 28 (M. 194, 1268). i L. 1, c. 199 (M. 172, 604).
2 Mitralis 1. 2, c. 1 (M. 213, 59). » M. 149, 1001 : Quotidiana ad missam, ca-
3 De aedificio Dei c. 28 (M. 194, 1269). misia, tnnica, femoralia, calceamentum.
132 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
liehen Vorschriften verbietet allen Welt- und Konventualpriestern , ohne den
oferslip in die Kirche oder das Sakrarium zu kommen oder doch ohne den-
selben am Altar zu erscheinen , um allda ihren Dienst zu verrichten 1. Der
oferslip ist hier ersichtlich nicht die liturgische Albe, sondern die camisia
Gilberts, d. i. die Vorläuferin des Rochetts. Im Frankenreic h war die camisia
sogar schon im 9. Jahrhundert manchenorts unter dem Namen alba im Gebrauch.
Es beweisen das die bei Besprechung der Albe erwähnten Verordnungen 2
aus damaliger Zeit, in welchen den Priestern verboten wird, die alba, deren
diese sich im gewöhnlichen Leben zu bedienen pflegten , an Stelle und als
Ersatz der liturgischen Albe am Altar zu verwenden. Daß aber jene klerikale
Albe der Form nach das gleiche Gewand wie das spätere Rochett darstellte
und daß sie insbesondere enge Ärmel wie dieses hatte, bekundet nicht nur
der Umstand, daß man sie anstatt der engärmeligen liturgischen Albe zu
gebrauchen sich unterfangen hatte, sondern auch ihr Name. Denn unter alba
verstand man gerade wie unter camisia im Mittelalter stets eine eng-
ärmelige Tunika.
Es ist also die camisia in der Tat auch außerhalb Roms weit vor dem
13. Jahrhundert nachweisbar, nur war sie hier zu keiner Zeit und nirgends
ein eigentlich privilegiertes Gewand, sondern lediglich allgemeine klerikale
Tunika. Hatte doch das Rochett nach außerrömischem Brauch selbst im
späten Mittelalter noch keineswegs überall den Charakter, der ihm zu Rom
schon lange eigen war.
Die Herkunft des Rochetts liegt nach dem Gesagten auf der Hand.
Es stammt zweifelsohne von der alten klerikalen camisia her und entstand,
indem diese aus dem allgemeinen Gebrauch ausschied und zum auszeichnenden
Gewand des höheren Klerus wurde, ohne dabei ihren ursprünglichen Charakter,
wonach sie nur außerliturgisches Gewand war, zu verlieren. Dieser Vorgang
vollzog sich am ersten zu Rom. Außerhalb Roms folgte man erst spät dem
römischen Vorbild.
V. BESCHAFFENHEIT DES GEWANDES.
In der Kathedrale von Arras wird ein Rochett aufbewahrt, welches der
Überlieferung zufolge dem hl. Thomas Becket angehört hat 3 (Bild 55).
Da es nach dem Gesagten nicht bezweifelt werden kann, daß bereits das
12. Jahrhundert eine Art von Rochett gekannt hat, so kann deren Zueignung
an den großen Bischof von Canterbury von dieser Seite aus nicht beanstandet
werden. Es liegt aber auch sonst kein Grund vor, die Richtigkeit der Über-
lieferung in Frage zu ziehen. Seiner Form nach entspricht das Kleid ganz
der Albe des 12. Jahrhunderts, deren Gestalt aus Beispielen und den Be-
schreibungen der damaligen Liturgiker bekannt ist 4. Es unterscheidet sich von
ihr nur durch den Umstand, daß es unten statt mit bloß zwei mit vier zwickel-
artigen Einsätzen versehen ist. Daß wir in ihm nicht die gewöhnliche Meß-
albe zu sehen haben, ergibt sich aus seiner geringen Länge von nur 1,25 m.
Das Rochett kam zwei Jahre nach dem Tode des Heiligen in das Kloster
Dommartin, von wo es 1709 nach Abbeville in das dortige Karmeliterkloster
1 C. 46 (Wilkins, D. , Concilia Magnae der subueula in c. 33 (ebd.) ist wohl der
Britanniae I, London 1734, 85, und M. 138, oferslip zu verstehen.
502, wo aber oferslip nicht ganz genau mit 2 S. oben S. 62.
superpelliceum wiedergegeben ist). Auch unter 3 Revue 111 (1859) 145 ff. 4 S. oben S. 73ff.
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceum.
133
gebracht wurde. Seit der Revolution befindet es sich in der Kathedrale zu
Arras. Weil einzig in seiner Art, ist das Gewand natürlich von größter
Bedeutung. Es bietet ein verlässiges Bild eines Rochetts aus dem 12. Jahr-
hundert. Die Ärmel sind vorn eng; unter den Achseln sind Zwickel an-
gebracht. Das Gewand hat in der Brust eine Weite von ca 1,40 m. Von
den vier Stoffstücken, welche dem untern Teil eingefügt sind, befinden sich zwei
seitlich zwischen den beiden Linnenbahnen, aus denen das Rochett beiderseits
zusammengesetzt ist, die beiden andern dagegen in der Mitte dieser Bahnen.
Aus feinem Linnen angefertigt, entbehrt das Kleid jedes Ornaments.
Die camisia blieb bis ins 14. Jahrhundert hinein eine Art von Talar-
tunika. Die päpstliche alba romana des 13. und 14. Ordo mußte sogar eine
solche Länge haben, daß sie, aufgeschürzt, einen über das Cingulum herab-
fallenden Bausch bildete. Et ipsa camisia erit ita longa, quod elevata super
Bild 55. Rochett des hl. Thomas Becket.
ipsum cingulum reflectatur 1. Nach dem Kölner Provinzialkonzil von 1260
sollte die vestis camisialis, welche jeder Celebrans unter der Albe zu tragen
hatte, so lang sein, daß die gewöhnlichen Kleider unter ihr nicht zum Vor-
schein kämen2.
Die Verkürzung des Gewandes scheint zu Rom, wo man in liturgischen
Fragen stets sehr konservativ war, erst um die Zeit angefangen zu haben,
als sich dort der Name rochettum einbürgerte. In der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts wallte nicht einmal mehr die Camisia des Papstes bis zu
den Füßen hinunter, wie z. B. aus dem Fresko Mellozzos da Forli „Die Grün-
dung der vatikanischen Bibliothek durch Sixtus IV." (Bild 56, S. 134) erhellt.
Die Camisia reicht hier nur mehr bis etwa zur Mitte des Schienbeines herab.
rOrclol3,n.3;ordol4,n.l0(M.78,11061127). siali sub alba non careant, ne albain...
2 C. 7 (Hartzh. III 591): Sacerdotes, ipsorum tunicae valeant contingere, nee ipsae
quoties celebraturi sunt missam, veste cami- tunicae appareant.
134
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewäuder.
Daß unter solchen Umständen eine Gürtung überflüssig wurde und darum in
der Tat wegfiel, braucht kaum gesagt zu werden.
Einmal begonnen , dauerte die Verkürzung des Rochetts nicht nur an,
sondern nahm auch , wenngleich langsam , beständig zu. Im allgemeinen
reichte dieses im 16. und auch wohl im 17. Jahrhundert noch bis über die
Bild 56. Melozzo da Forli : Piatinas Audienz bei Sixtus IV. Rom, Vatikan.
(Phot. Alinari.)
Knie, dann schrumpfte es aber dermaßen zusammen, daß es sich vielfach nur
noch eben über die Hüften erstreckte.
In einem Statut Stephans de Firomonte aus dem Jahre 1276 wird den-
jenigen, welche in den oberen Chorstühlen saßen, gestattet, sarrotes simplices
et sine aliqua curiositate zu tragen 1. Hiernach scheint man schon im
13. Jahrhundert reichere Eochette verwendet zu haben. Immerhin kann das
1 Bei B. C. (sub v. sarrot) VII 313. Vgl. auch eine ähnliche Bestimmung der Mailänder
Statuten in A. E. M. 362.
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceuin.
135
nur vereinzelt geschehen sein. Nach Ausweis der Bildwerke war das Ge-
wand bis wenigstens zum Ausgang des Mittelalters eine durchaus schlichte
Linnentunika ohne alle Verzierung. Als dann freilich die Spitzenindustrie
aufkam und ihre prächtigen Erzeugnisse schuf, wurden wie bei andern kirch-
lichen Ornatstücken, so auch bei ihm Spitzen zur Verzierung des unteren
Saumes und der Ärmelränder herangezogen. Anfangs waren dieselben nur
schmal, allmählich aber begannen sie, immer mehr an Breite zuzunehmen. Es
verhielt sich mit ihnen gerade umgekehrt wie mit der Länge des Kleides. Je
mehr die Breite der Spitzen wuchs, um so mehr verkürzte sich das Gewand
selbst. Es kam zuletzt selbst dahin, daß das Rochett nicht selten zu einem
kurzen, zarten, duftigen Spitzengewebe wurde, allerdings ein gewaltiger Gegen-
satz zur ursprünglichen Beschaffenheit des Gewandes. Die in den fünfziger
Jahren unternommenen Versuche, den in kirchlichem Dienst stehenden Gewand-
stücken durch Annäherung an die mittelalterlichen Vorbilder eine bessere
Form zu geben, blieben, wenigstens außer Deutschland, für eine Umgestaltung
des Rochetts so gut wie völlig bedeutungslos.
VI. AUFTRETEN DES SUPERPELLICEUM.
Das Superpelliceum erscheint als ein in der römischen Kirche ge-
bräuchliches liturgisches Kleidungsstück schon in dem auf Befehl Gregors X.
(1271 — 1276) herausgegebenen 13. Ordo. Nach n. 7 trägt es der Kardinal,
welcher dem Papst bei der Messe nach der Papstweihe ministriert, unter dem
Pluviale; nach n. 8 sind bei der Prozession nach der Konsekration des Papstes,
in der quilibet in suo gradu indutus est, die Bischöfe mit dem Pluviale, die
Priester mit der Kasel, Diakon und Subdiakon mit der Dalmatik bzw. der
Tunicella, die Akolythen mit Superpelliceen bekleidet. Nach n. 22 haben die
Kapläne bei der Gründonnerstagsfeier in Superpelliceen ihren Dienst zu ver-
richten ; ebenso müssen sie nach n. 25 am Ostertag in denselben zum Offizium
kommen. Überhaupt haben sie von Ostern bis Allerheiligen an allen festa
duplicia, welche in der päpstlichen Kapelle gefeiert werden, sowie an den auf
Ostern und Pfingsten nächstfolgenden Tagen, bei den Vespern, den Metten
und der Messe im Superpelliceum sich am Gottesdienst zu beteiligen1.
Die Angaben des 13. Ordo hinsichtlich des Superpelliceum behandeln
dasselbe als etwas Allbekanntes. Gewand und Name können daher nicht erst
unter dem Pontifikat Gregors X. sich in Rom eingebürgert haben 2. In der
Tat ergibt sich aus einer Bulle Alexanders IV. (1254 — 1261), welche sich mit
der bei der römischen Markusprozession einzuhaltenden Ordnung befaßt, daß
1 M. 78, 1110 1118 1119. Wenn der Came-
rarius und der Kleriker, welche dem Papst
nach der Krönung bei der Austeilung des Pres-
byteriums (Geldspende) assistierten, und die
Kardinäle bei dem Mahle nach der Papst-
weihe und am Gründonnerstag über ihrer
Camisia ein Superpelliceum trugen (ordo 13,
n. 9; ordo 14, n. 23 43 4.r> [ebd. 1111 1133
1139 114-i]), so erklärt sich das wohl dadurch,
da(.i diese Akte Anhängsel liturgischer Funk-
tionen waren und darum auch einen gewissen
liturgischen Anstrich hatten. Auch der Papst
trug bei jenen Mahlzeiten sakrale Gewänder:
Et attende, quod dominus papa, dum est in
mensa, est indutus omnibus paramentis mis-
salibus, exceptis casula, pallio et chirothecis
(ordo 14, n. 43).
2 In einer Bulle des Vorgängers Gregors X.,
Klemens' IV., für die Kirche von Le Puy ist
ebenfalls schon vom Superpelliceum die Rede.
Es erscheint darin sogar bereits als Symbol
eines kirchlichen Beneflziums, offenbar weil
zu Le Puy offizieller Chorrock. So n. 38 : Quod
nulli in ipsa ecclesia superpellicium conceda-
tur, nisi de legitimo matrimonio . . . quod
clericus, cui amodo superpellicium conceditur,
iuret capitulo ipsius ecclesiae fidelitatem ser-
vare (Bull. rom. [Turin 1858] III 781).
136
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
daselbst schon 1260 das Superpelliceum als liturgisches Kleid in Gebrauch
war 1. Bei den regulierten Chorherren in Rom muß unser Gewand sogar
bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zur Verwendung gekommen
sein. Denn es sendet Abt Stephan von St Genovefa (Paris), nachmals Bischof
von Tournai, dem Kardinal Albinus aus dem Orden der regulierten Kanoniker
ein „superpellicium novum candidum talare" 2.
Im 14. Ordo wird wiederholt neben dem Superpelliceum eine cotta er-
wähnt. So heißt es beispielsweise c. 47 : cardinalis , qui servit , assumat
cottam vel superpellicium ; c. 48 : capellanus camisiam lineam super communes
vestes, superpellicium seu cottam.. . habere debet; und c. 92: capellani in
scutis et cotta seu superpellicio 3. Möglich, daß zwischen superpellicium und
cotta — etwa bezüglich der Länge oder Weite — irgend ein Unterschied
bestand, erheblich und wesentlich kann derselbe jedoch nicht gewesen sein,
weil beide Gewänder durch- und füreinander gebraucht wurden. Am wahr-
scheinlichsten sind jedoch cotta und superpellicium, welches im 15. Ordo, wie
auch anderswo nicht selten verderbt superplicium heißt, nur verschiedene
Namen für ein und dasselbe liturgische Gewand. Was etwa dagegen vor-
gebracht werden könnte, ist der Umstand, daß es im 14. Ordo bezüglich der
Kleidung der Akolythen nur heißt: Acolythi omnes debent esse induti cottis
secundum consuetudinem sanctae romanae ecclesiae 4. Allein es ist zu beachten,
daß nach dem 13. Ordo und verschiedenen Stellen des 14. auch bei den Ako-
lythen vom Superpelliceum die Rede ist, und daß selbst bereits in der Bulle
Alexanders IV. das Superpelliceum der Kleriker der Cotta gleichgestellt wird :
clerici induti . . . superpelliciis sive cottis vadant processionaliter 5.
Seit wann der Name cotta in Rom in Gebrauch ist, läßt sich nicht
bestimmen. Daß man ihn schon im 13. Jahrhundert daselbst kannte, folgt
aus den angeführten Worten Alexanders IV. und einer Bulle Nikolaus' III.
(1277 — 1280) 6. Die costae, von welchen der S. G. K. redet: In prim. camisia
et cingitur supra; dein linea cum costis serica et cingulum . . ., können, wie
unklar auch ihre Bedeutung ist, unmöglich unser Gewand sein.
Außerhalb Roms begegnen uns bereits im 12. Jahrhundert mehrfach
Nachrichten über die Verwendung des Superpelliceum bzw. der Cotta. So
berichtet Wilhelm von Malmesbury (f nach 1142), Walchelm, Bischof von
Winchester (f ca 1080) habe an seiner Kathedrale die Mönche durch Kanoniker
ersetzt und diese mit Cappae und Superpelliceen ausgestattet ". Noch etwas
früher erwähnt Gualter, Kanzler Rogers von Antiochien, in der Schrift Bella
1 Raynald., Annal. ad 1260, n. 13, XIV
(ed. Colon. 1694) 57.
2 Ep. 106 (M. 211, 395).
3 M. 78, 1148 1153 1212.
4 C. 48.
5 Vgl. auch Sicard von Cremona (Mitralis
1. 2, c. 1 : M. 123, 59), wo offenbar ein und die-
selbe stola, d. i. ein und dasselbe sakrale
Kleid der Kleriker superpellicium und cotta
genannt wird. Nach Nebridius von Mündel-
heim bedeutet superpelliceum ein weitärme-
liges, rochettum ein engärmeliges Gewand.
Unter cotta versteht er ein Kleid, quod uudi-
que per circuitum clauditur et sine manicis.
Sie diente bei den Augustinern von Mündel-
heim als Chorrock. Sarrocia hießen nach
Nebridius dort die außerliturgischen Linnen-
tuniken. Sie war ebenfalls ohne Ärmel, aber
an den Seiten offen. Nur unten waren sie
hier etwa vier Finger breit vernäht. Beim
Ausgehen trug man sog. sarrocia parva, d.
i. zwei vier Finger breite, skapulierartig über
Brust und Rücken herabfallende Linnen-
streifen (Nebrid., Antiq. Monast. ep. CXLIII
656). Der Name cotta war im Mittelalter
vornehmlich in Italien in Gebrauch, und noch
jetzt heißt das Superpellicium (französisch
surplis) im Italienischen cotta.
c Lineis fcogi» superpelliciis sive cottis.
Bzovius, Annal. ad ann. 1280, n. 5; XIII
912. Vgl. auch D. C. (s. v. cota) II 596.
7 De gestis Pontif. I (M. 179. 1478).
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceum.
137
Antiochena, welche er als Augenzeuge (1114 — 1119) verfaßte, das Gewand, wo
er erzählt, Ebremarus, der lateinische Erzbischof von Antiochien, sei bei einem
Angriff dem Feinde nicht im Panzer, sondern „im priesterlichen Superpelliceum",
das Kreuz des Herrn in seinen Händen, entgegengegangen 1. Die Regel des
1146 vom hl. Gilbert gestifteten Ordens von Sempringham (England) bestimmte,
es sollten die Priester unter den Meßgewändern das Superpelliceum tragen 2.
Aus den Angaben Anselms von Havelberg (f 1158) 3, Arnos von Reichersberg
(f 1 175) 4, des Prämonstratensers Adam (f 1180) 5, des Abtes Stephan von
St Genovefa zu Paris (f 1203) 6 und des Hugo Metellus (f ca 1 157) 7 geht
hervor, daß das Superpelliceum das die regulierten Augustiner-Chorherren kenn-
zeichnende Obergewand bildete, und daß diese es deshalb nicht bloß beim
Gottesdienst, sondern auch tagsüber im gewöhnlichen Leben trugen. Bei den
Prämonstratensern wurde es einzig bei gottesdienstlichen Verrichtungen ver-
wendet, wie z. B. von den Akolythen, welche am Altare dienten oder den
Priester auf Versehgängen begleiteten, und dem Priester, welcher einem Kranken
die heilige Kommunion oder die heilige Wegzehrung brachte 8. Daß auch in
Schweden um den Ausgang des 12. Jahrhunderts das Superpelliceum in Gebrauch
war, geht aus dem Testament Absalons, Bischofs von Lund (f 1201), hervor.
Derselbe vermacht nämlich seinem Kaplan Thordo ein superpellicium cum pel-
licia de marturibus 9.
Cottae werden im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts in einer testa-
mentarischen Verfügung Gregors von Antivari (f ca 1199) und in einer Schen-
kung Tedeigars von Terracina erwähnt, in welcher bestimmt wird, es sollten
die Kanoniker im Sommer in cottae die kirchlichen Tageszeiten beten 10.
Von den mittelalterlichen Liturgikern erwähnt erst Sicard von Cremona
um die Wende des 12. Jahrhunderts das Superpelliceum und die Cotta.
Dieselben sind für ihn voneinander nicht verschieden, sondern bezeichnen ein
und dasselbe liturgische Gewand, dessen sich die Kleriker an Festen anstatt
der an andern Tagen üblichen gewöhnlichen schwarzen Cappae bedienten11.
Das 11. Jahrhundert weiß nur wenig vom Superpelliceum. Die
Synode von Coyaca (Diözese Oviedo) bestimmte 1050: vestes presbyterorum
1 C. 15 (M. 155, 1023).
2 D. C. (s. v. superpell.) VII 666.
3 De online canonic. c. 10 (M. 188, 1103).
4 Scutiun canonic. (M. 194, 1505).
5 De ordine et habitu canonic. Praemonst.
sermo III, n. 6 7 (M. 198, 465 466).
6 Ep. 106 (M. 221, 395).
7 D. C. 667. Metellus tadelt die Prä-
monstratenser wegen ihrer Kleidung. Unter
anderem sagt er: „Schau, die einen tragen
Superpelliceen, die andern Tuniken, gerade,
als ob man mittelst der Kleider das Reich
Gottes erlange . . . Die tunicati haben von
Norbertus, die superpelliciati abervom hl. Augu-
stinus ihren Ursprung."
8 Adam. Praemonst r. , De ordine et
habitu canonic. Praemonstr. 1. c. Es war in
den Statuten der Prämonstratenser streng
verboten, daß irgend jemand in Anwesenheit
des Konvents ohne Superpelliceum oder Albe
die oberen Altarstufen besteige.
9 M. 209, 760.
10 Bona 1. 1, c. 24, § 20, nota 1; II 289.
Cottus kommt als Name eines laikalen
Kleidungsstückes schon im 9. Jahrhundert
vor; so im 3. Kapitel der Synode von Metz
des Jahres 888 (Hartzh. II 381): „Kein
Kleriker darf Laienkleidung , nämlich cotti
oder mantelli sine cappa, anziehen", und in
der ähnlichen Verordnung der Triburer Synode
von 895: „Kleriker sollen sich keiner welt-
lichen Bekleidungsgegenstände, eines mantel-
lum, eines cottus sine cappa oder kostbarer und
sonderbarer Fußbekleidung bedienen" (ebd. II
409). Das Wort cottus, cotta, welches in
der Vita s. Meinwerci n. 37 (M. G. SS. XI
120) die Form cottis hat, ist allem Anschein
nach mit Kutte, Kittel verwandt, seine Ab-
leitung ist jedoch unsicher.
11 Mitralis 1. 2, c. 1 (M. 213, 59) : Inter clericos
tonsurandi aut illico tonsurati cappis utantur
et stolis in divinis. Diese stolae werden
gleich darauf cotta seil superpellicium ge-
nannt.
138
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewäuder.
sint superpilitium , amictus. alba etc.1 Die Gesta archiepiscoporum Rotho-
magensium (geschr. ca 1080) berichten von einer linea superpellicialis, welche
der Erzbischof Johannes von Avranches (f 1079) trug, als er an einem Festtage
dem Gottesdienst in St-Ouen inmitten der Chorsänger wie ein Praecentor bei-
wohnte 2. Eine Verordnung Eduards des Bekenners endlich bestimmt, ein Hin-
gerichteter, Avelcher ohne kirchliche Zeremonien beerdigt worden sei, solle,
wenn sich seine Unschuld nachträglich herausstelle, ausgegraben und durch den
Priester unter Begleitung von Weihwasser, Kreuz, Kerzen und Incens tragenden,
mit Superpelliceen bekleideten Klerikern nach dem üblichen Kitus von neuem
bestattet werden 3. Im letzten Falle hat das Superpelliceum offenbar den
Charakter eines liturgischen Gewandes.
Seit dem 13. Jahrhundert ist häufig vom Superpelliceum die Rede.
Durandus sagt von ihm : „Außer den vorgenannten Gewändern (Amikt, Albe usw.)
gibt es noch ein anderes Kleid , welches Superpelliceum genannt wird.
Alle, welche irgend welchen Diensten am Altar und beim Gottesdienst ob-
liegen, müssen es über den gewöhnlichen Kleidern tragen. An verschiedenen
Orten macht man es aus den Chrismaltüchern, welche man über die getauften
Kinder legt. Eine lobenswerte , an manchen Stellen bestehende Sitte will,
daß man eine linnene Camisia oder ein Superpellicium über die Alltagskleider
anzieht, ehe man den Amikt anlegt." Außerdem nennt Durandus das Super-
pelliceum neben Amikt , Albe und Cingulum , wo er die liturgische Kleidung
der Akolythen aufzählt i.
Oft beschäftigen sich die Synoden des 13. Jahrhunderts mit unserem Gewand.
Hier nur einige Beispiele. Die Oxforder Synode vom Jahre 1222 ;' und die Lütticher
aus dem Jahre 1287 6 bestimmen, der Kleriker, welcher dem Priester am Altare diene,
habe ein Superpelliceum zu tragen. Nach den Verordnungen- des Erzbischofs Edmund
von Canterbury von 1236 7 und des Bischofs Eicliard Poore von Sarum (Salisbury)
von 1217 s mußte der Priester, welcher das heilige Sakrament zum Kranken brachte,
mit Superpelliceum und Stola bekleidet sein. Eine gleiche Bestimmung erließ 1233
eine Mainzer9, 1238 eine Trierer lü, 1284 eine Passauer Synode11 und 1292 eine Pro-
vinzialsynode zu Aschaffenburg l2. 1280 schreibt «ine Synode von Köln den Gebrauch des
Superpelliceum beim Beichthören vor I3, 1298 verordnet eine Würzburger Synode, es solle
der Priester oder Diakon beim Waschen der Korporalien ein Superpelliceum tragen '*.
Die Statuten Raymunds, Bischofs von Rhodez, aus dem Jahre 1289 wollen, daß der
Priester bei der Messe unter der Albe mit dem Superpelliceum bekleidet sei 15. Die-
selbe Verordnung erließen auch die schon genannte Lütticher Synode, die Kölner
Synode von 1280 u. a. Die Kölner Synode vom Jahre 1280 lc, die Lütticher vom
Jahre 1287, das Konzil von Buda vom Jahre 1279 17 und eine Reihe anderer bestimmen,
1 Mansi, Coli. Conc. XIX 791. Nach der
Rezension des Textes bei Hard. VI 1026
lautet die Verordnung: vestes autem pres-
byteri sint in sacrificio amictus alba etc.
Hefele (Concilien § 546; IV 756) betrachtet,
wie es scheint, die erste Lesart als die bessere.
2 M. 147, 13. Rer. Gall. SS. XI 72.
3 Chambers 27. S ch mi d , Reinh., Die
Gesetze der Angelsachsen (Leipzig 1832)
Anhang XVII.
* Rationale 1. 3, c. 1, n. 10 15 ; c. 2, n. 1 ;
f. 65 v f.
5 C. 10 (Hard. VII 118). Vgl. auch c. 40
der Konstitutionen des Bischofs Richard Poore
von Sarum aus dem Jahre 1217 (Hard. VII 101).
G C. 5, n. 13 (Hartzh. III
7 C. 25 (Hard. VII 272).
8 C. 39 (Hard. VII 101). Vgl. auch c. 9
der Synode von Worcester vom Jahre 1240
(ebd. VII 334).
0 Zeitschrift für die Geschichte des Ober-
rheins III, Karlsruhe 1852, 136.
10 Can. 11 (Hartzh. III 559).
11 C. 2 (Hartzh. III 673).
12 C. 2 (Hartzh. IV 7).
13 C. 8 (Hartzh. III 664).
" C. 3 (Hartzh. IV 26).
15 C. 18 (Mari, Thes. IV 716).
1C Praef. (Hartzh. III 658).
17 C. 19 (Hard. VII 796).
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceum.
139
daß die Pfarrer und überhaupt die niedern Geistlichen in Superpellieeen auf den
Synoden zu erscheinen hätten. Mehrfach findet sich auch die Vorschrift , es sollten
beim Chorgebet von Ostern bis Allerheiligen statt der Cappae Superpellieeen getragen
werden '. Man beachte, daß in einzelnen dieser Verordnungen das Superpelliceum
zwar als gleichartig mit der Camisia (dem Rochett) erscheint , daß es aber in den
meisten den Charakter eines wirklichen Sakralgewandes und eines Ersatzes der litur-
gischen Albe an sich trägt. Auch in Ordinarien des 13. Jahrhunderts, wie z. B.
denjenigen der Regularen von St-Lö zu Rouen 2 und der Kathedrale von Bayeux 3,
erscheint es schon als ausgesprochen liturgisches Gewand.
Aus dem 14. und 15. Jahrhundert Zeugnisse für die Verwendung des
Superpelliceum außerhalb Roms anzuführen, darf nach den aus dem 13. bei-
gebrachten Belegen als überflüssig betrachtet werden. Schon im 14. Jahr-
hundert nimmt das Superpelliceum sowohl zu Rom wie fast allenthalben
außerhalb Roms die gleiche Stellung im Kultus ein, welche es darin in der
Gegenwart besitzt. Es war Chorkleid, der offizielle Sakralornat der niedern
Kleriker und ein Ersatz für die Albe bei der Abhaltung von Prozessionen
und Beerdigungen, der Vornahme von Segnungen, der Spendung der Sakra-
mente, der Teilnahme an Synoden u. dgl. Die Albe wurde bereits im 14. Jahr-
hundert beinahe nur noch bei der Messe und etwaigen mit ihr in unmittel-
barer Verbindung stehenden Funktionen getragen.
VII. NAME UND GEWAND IN IHREM URSPRUNG.
Was den Ursprung des Wortes superpelliceum anlangt, so belehrt uns
Durandus, es sei das mit diesem Namen bezeichnete Gewand so genannt
worden, weil man es ehedem über Pelztuniken (super tunicas pellicias) getragen
habe i. Er fügt zugleich hinzu, noch zu seiner Zeit sei das in einigen Kirchen
üblich. Ähnlich wie der Bischof von Mende erklärt ein englischer Gram-
matiker des 13. Jahrhunderts, Johannes Gerland, die Etymologie des Wortes
superpelliceum. „Unserer Zeit Priester bedienen sich", so bemerkt er nämlich,
„der superlicia oder, wie man auch wohl sagt, der superpellicia; denn die
Priester pflegten Pelzkleider (pellicia) und darüber der Reinlichkeit halber
jenes Gewandstück zu tragen." 5 Die Erklärung, welche Durandus und Gerland
von dem Wort superpelliceum geben, ist durchaus zutreffend. Das Gewand hat
zweifelsohne seinen Namen wirklich von dem Umstand, daß es über pelliceae,
Pelzröcken, getragen wurde. Der Gebrauch der pellicea war sowohl in den
Klöstern wie bei der Stiftsgeistlichkeit sehr verbreitet. Bereits die Aachener
Synode vom Jahre 817 bestimmte, es soll der Abt dafür sorgen, daß jeder
Mönch außer zwei Hemden, Röcken, Cucullen und Cappae auch zwei bis zu
den Knöcheln reichende Pelzkleider erhalte 6. Seitdem ist oft von Pelzröcken
1 Vgl. z. B. c. 13 der Synode von Buda
IHard. VII 794) und c. 11 der Synode von
Worcester vom Jahre 1240 (ebd. 334).
2 M. 147, 160 (lectio in supellicio legatur
inter chorum et altare) ; 161 (ceroferarii
cum thuriferario in supellicüs) ; 176 (post
Nonam onmes fratres munda supellicia
induant . . . tres in supellicüs ad aquam,
crucem et tliuribulum) ; 173 (omnes, qui
legunt vel cantant vel ad altare de cande-
labris serviunt, supellicüs vel albis induantur).
s Chevalier, U. , Ordinaire de l'eglise
cath. de Bayeux (Paris 1902) 8 12 21 48 52
und sonst. Besonders interessant 8 : Ad ves-
peras et matutinas tantum, dum dicit sacer-
dos orationem, puer unus indutus supellicio
(sie) tantum, si fiat sine festo, vel alba
et amictu, si fiat cum festo, tenet super
caput suum librum apertum coram sacerdote,
in quo orationes et capitula conscribuntur.
Albe mit Amikt war also feierlicher als
Superpelliceum.
4 Rationale 1. 3, c. 1, n. 11. f. 6v.
6 Commentar. lib. Ms. Cambridge , Caius
College, f. 209; Bock II 333; Chambers 27.
6 C. 22 (Hartzh. II 4).
140
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
^"s^
der Geistlichen und Mönche die Rede \ und noch auf Bildwerken des späteren
Mittelalters gewahren wir bei Darstellungen von Stiftsherren unter dem Super-
pelliceum die pellicea. Selbst im 15. Jahrhundert muß es noch hie und da
üblich gewesen sein, unter dem Superpelliceum einen Pelzrock zu tragen.
Eine aus Oberwesel stammende und früher in Bockschem Besitz befindliche
Skulptur aus jener Zeit, welche einen Stiftsherrn der dortigen Stiftskirche
darstellt, läßt unter dem Superpelliceum deutlich den pelzgefütterten Talar
erkennen (Bild 57). _ Man bediente sich der pellicea sowohl in der Kirche wie
außerhalb derselben. So aber lag es natürlich nahe, die Linnentunika, welche
man beim Gottesdienst oder, wie es bei den Augustiner-Chorherren Regel war,
selbst im Alltagsleben darüber anlegte, als superpelliceum zu bezeichnen.
Die Pelzkleider waren namentlich in den
feuchtkalten Gegenden des Noi'dens heimisch2.
Sie waren hier in der Tat wegen der mangel-
haften Erwärmung der Wohnungen und Kloster-
räume ein Bedürfnis. Insbesondere aber machte
sie der lange Aufenthalt in den frostigen und
zugigen Kirchen, wie ihn der viele Gottesdienst
und das Chorgebet bei Tag und Nacht erheischte,
zur eisigen Winterszeit als Schutz gegen die
Kälte notwendig. Hiermit hängt es denn wohl
auch zusammen, daß der Name superpelliceum
am frühesten im Norden auftaucht, während
er in Italien erst im 13. Jahrhundert nach-
weisbar ist. Der Name ist allem Anschein nach
keine Schöpfung des Südens, sondern stammt
von dort, wo vor allem die Pelzröcke bei der
Mönchs- und Stiftsgeistlichkeit gebräuchlich
Es bildet das ersichtlich eine Bestäti-
waren.
gung der von Durandus und Gerland gegebenen
Bild 57. Stiftslierr aus Oberwesel
in Pelzkleid, Superpelliceum und
Almutia. Steinskulptur. (Sach Bock.)
Ableitung des Wortes.
Als Zeit des Aufkommens des Ge-
wandes dürfte etwa die Spätzeit des ersten Jahr-
tausends anzusetzen sein. Zum erstenmal wird
es um die Mitte des 11. Jahrhunderts erwähnt. Vorher herrscht in Betreff
seiner das tiefste Schweigen. Nirgends findet sich vor 1050 auch nur eine
1 In der altberühmten Abtei Glastonbury
in England (Somersets.) erhielten zur Zeit des
Abtes Turstin (ca 1080) die Klosterinsassen
neben den übrigen Kleidern alljährlich
eine pellicea (Wilh. M alm e sb u r. , De
antiqu. Glaston. [M. 179, 1732]). Im Kloster
des hl. Martialis zu Limoges bekamen die
Mönche nur alle zwei Jahre ein neues Pelz-
kleid (D. C. s. v. pellicia VI 251). Vgl.
auch die Statuten von St Victor zu Paris
c. 20 (Mart. III 261), die Praemonstratenser-
statuten c. 14 (ebd. 335) u. a. Vgl. nament-
lich auch c. 56 der Statuten von St Victor,
in welchen verordnet wird, daß man, wenn
man tagsüber ohne Cappa umhergehe oder
in der Kirche diese ablege, um als Kantor
zu fungieren, unter dem Superpelliceum eine
tunica oder eine pellicia habenmüsse (ebd. 279).
Statt pellicea wird auch häufig pellicia ge-
schrieben (vgl. D. C. ebd.).
2 Strengeren Seelen , zu denen auch der
hl. Bernardus gehörte, behagte es nicht, daß
man in den Klöstern sich der Pelzkleider
bedient. Als der große Abt von Clairvaux
darum dem Abt Petrus von Cluny Vorwürfe
darüber machte, daß man daselbst derartige
Gewänder dulde, antwortete ihm dieser, daß
man die Pelzröcke aus demselben Grunde trage,
um dessentwillen man sich zu Clairvaux meh-
rerer Tuniken bediene, nämlich „aus Notwen-
digkeit wegen der unerträglichen Strenge der
Kälte" (Petri Ven. epp. 1.1, 11. 28 [M. 189, 123]).
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceum. 141
Spur des Gewandes, weder in den liturgischen Schriften noch in den Konsue-
tudinarien der Klöster, weder bei den Liturgikern noch in den Inventaren.
Ebenso kommt es auf den Bildwerken vor dieser Zeit nirgends vor. Überall
gewahren wir auf ihnen bei den Gelegenheiten und Personen, bei welchen wir
später das Superpelliceum antreffen, an dessen Stelle noch die gegürtete, eng-
ärmelige Albe. Man vergleiche unter andern z. B. die Bildwerke des Drogo-
sakramentars und des Sakramentars von Göttingen 1. Auch der Umstand, daß
im 11. Jahrhundert die liturgische Verwertung des Gewandes noch sehr be-
schränkt war, beweist, daß wir sein Aufkommen nicht allzuweit über das
11. Jahrhundert hinausschieben dürfen.
Am frühesten muß das Superpelliceum beim Chorgebet in Gebrauch ge-
nommen worden sein. Denn es erscheint bis ins 13. Jahrhundert vor allem
als Chorkleid. Aber es fand hie und da auch schon bald bei den Minoristen
an Stelle der gegürteten Albe Eingang. So begegnen uns bereits in der
früher erwähnten Verordnung Eduards des Bekenners die Kleriker, welche
dem Begräbnisse assistieren, in superpelliceis, während es noch vom Priester,
der das Begräbnis vorzunehmen hatte, heißt: cum sacerdote induto alba,
manipulo et stola. Immerhin war das Superpelliceum damals bei den Ako-
lythen und den andern niedern Klerikern noch keineswegs sehr verbreitet.
Denn noch etwa 70 Jahre später bezeichnen Gilbert von Limerick und Hono-
rius Amikt und gegürtete Albe als die jenen zukommende liturgische Klei-
dung, ohne auch nur mit einem Worte des Superpelliceum als eines sakralen
Ornates der Minoristen zu gedenken. Aber auch als das Gewand bei diesen
weithin gebräuchlich geworden war, galt die Albe bei ihnen noch längere Zeit
als das feierlichere.
Bei Spendung heiliger Sakramente und bei Vornahme kirchlicher Seg-
nungen dürfte sich das Superpelliceum erst im Laufe des 12. Jahrhunderts
eingebürgert haben. Bis dahin war es noch immer Brauch, diese Akte in der
Albe zu vollziehen. Sehr lehrreich sind in dieser Beziehung besonders die
Miniaturen des Rituale von Lambach -. Allgemeinere Verwendung erhielt es
bei jenen Funktionen erst im Lauf des 13. Jahrhunderts, um dann freilich
bald bei denselben die Albe ganz zu verdrängen.
Unsicher ist, was das Aufkommen des Superpelliceums veranlaßt hat.
Wahrscheinlich war es indessen ebendasselbe, was dem Gewände seinen
Namen gegeben hat, der Gebrauch der Pelzkleider. Eine engärmelige, gegür-
tete Albe war über diesen nicht gerade bequem. Es lag daher nahe, bei der
Albe, welche von den Stiftsherren beim Chorgebet über den schweren Pelz-
kleidern getragen wurde, die Gürtung wegzulassen und zugleich den Ärmeln
eine größere Weite zu geben. Natürlich konnte der Gebrauch solcher Alben,
wegen der darunter befindlichen pellicea zum Unterschied von der gewöhn-
lichen Albe Superpelliceen genannt, in einer Zeit, wo die liturgische und
namentlich die klerikale Gewandung noch in dem Stadium fortwährender Um-
bildung begriffen war, für die Dauer nicht auf eine Verwendung in Verbindung
mit Pelzkleidern beschränkt bleiben. Allmählich trug man sie auch zu den
sonstigen Kleidern, und nur noch der Name erinnerte an die Entstehung des
Gewandes. In diesem Stadium befand sich das Superpelliceum, als es begann,
sich auch als Ersatz der eigentlich liturgischen Albe zunächst bei den Mino-
risten und dann bei priesterlichen Funktionen einzubürgern.
1 Abbildung in Zeitschrift VII (1894) 75 2 Franz, Das Rituale von St Florian,
(Darstellung eines Versehganges). Freibnrg 1904, Tri 2 ff.
142 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Was endlich die Frage anlangt, wo wir den Ursprung des Superpelli-
ceum zu suchen haben, so ist am wahrscheinlichsten, daß es außerhalb Roms
aufgekommen ist. Hier tritt es am frühesten auf, hier, wo die Pelzkleider
ein ungleich größeres Bedürfnis waren als im Süden , lag auch am ehesten
eine Veranlassung vor, die Albe zum bequemeren Superpelliceum umzubilden.
Außerdem paßt die Änderung nicht gut zu dem konservativen Verhalten, das
man zu Rom in Sachen der klerikalen und liturgischen Gewandung bewies.
Einen besondern Einfluß auf die Verbreitung des Superpelliceum mag der
Umstand ausgeübt haben, daß es einen Bestandteil nicht bloß der Chorkleidung,
sondern auch der gewöhnlichen Tracht der in der zweiten Hälfte des 11. Jahr-
hunderts entstandenen regulierten Augustinerchorherren bildete. Die Erfinder
des Superpelliceum waren diese jedoch keineswegs. Sie nahmen es als etwas
bereits Bestehendes an. Similiter et in toga linea Candida talari et ampla,
quam superpelliceum dieimus, antiquae ecclesiae usum retinentes . . . nihil
novitatis admittunt (sc. canonici reguläres), sagt Anselm von Havelberg be-
züglich des Superpelliceum 1.
VIII. DAS SUPERPELLICEUM IM ORDINATIONSRITUS.
Nach dem römischen Pontifikale legt der Bischof demjenigen, welchen
er unter die Kleriker aufnehmen will , nach Erteilung der Tonsur unter den
Worten: „Es bekleide dich der Herr mit dem neuen Menschen, der nach Gott
erschaffen ist in Gerechtigkeit und wahrer Heiligkeit", ein Superpelliceum
an, welches der Ordinand auf dem Arme mitgebracht hat. Dieser Ritus soll
zunächst zum Ausdruck bringen, daß der Neokleriker in einen neuen Stand
eintritt, indem er aus den Reihen der Laien ausscheidet und dem Klerus ein-
verleibt wird. Dann spricht er aus, daß dieser Standeswechsel nicht in einer
bloß äußerlichen Veränderung der Lebensverhältnisse bestehen dürfe, sondern
von einer Umgestaltung des inneren Menschen begleitet sein müsse.
Der Gebrauch, jemand bei seiner Aufnahme unter die Kleriker die geist-
liche Kleidung zu überreichen, begegnet uns schon früh. Denn die Vita des
hl. Germanus von Auxerre (f 448) erzählt, der Bischof Amator habe dem
Heiligen, als er ihn zum Kleriker gemacht, die ornamenta saecularia aus-
und den habitus religionis, hier wohl nicht die eigentlich liturgische, sondern
die klerikale Gewandung, angezogen2. Es lag in der Tat nahe, die Ein-
gliederung in den Klerus durch Übergabe der klerikalen Kleidung äußerlich
kund zu tun. Nichtsdestoweniger geschieht einer solchen Zeremonie vor 1200
in den alten Weiheordines keine Erwähnung. Erst in einem dem Beginn des
13. Jahrhunderts entstammenden Pontifikale von Sens findet sich im Ritus
der Erteilung der ersten Tonsur die Anweisung : hie induat eum cappa 3. Ein
Pontifikale von Senlis aus der Mitte des 14. Jahrhunderts enthält anstatt
dessen die allgemeiner lautende Notiz: quanclo habitus datur4.
Der Bekleidung der Neokleriker mit dem Superpelliceum als dem ihnen
eigentümlichen liturgischen Gewände wird erst in den aus dem 14. und
15. Jahrhundert stammenden Pontifikalien gedacht5. In älteren ist eine dies-
1 De ord. canonic. c. 10 (M. 188, 1103). (15. Jahrb.); 1152 (14, Jahrb.): 4748
2 N. 5 (Acta SS. 31. Juli; VII 214). (14. Jahrh.); Ottob. 27 (15. Jahrb.); 501
3 Mart. 1. 1, c. 8, art. 7, n. 10; II 17. (15. Jahrh.) ; Borgh. 14 A 1 (14. Jahrh.) ; eben-
Ebenso Cod. Vat. 6748 (14. Jahrh.). so im Pontifikale von St Blasien aus dem
■' Mart. a. a. O. 14. Jahrh. (Gerbert, Monumenta vet.
5 Beispiele bieten Cod. Vat. lat. 1145 liturg. alem. II 45).
Sechstes Kapitel. Rochett und Superpelliceum.
143
bezügliche Rubrik stets nachträglicher Zusatz L Wann die fragliche Zeremonie
aufgekommen sei, ist unsicher. Schwerlich ist sie aber schon vor dem 13. Jahr-
hundert in Brauch gewesen; denn Sicard von Cremona belehrt uns: inter
clericos tonsurandi aut illico tonsurati cappis utantur et stolis in divinis,
d. i. wie aus dem Nachfolgenden erhellt, superpelliciis 2. Es trugen also nach
Sicard ebenso wie die Tonsurierten, so auch schon die noch zu Tonsurierenden
beim Gottesdienst das Superpelliceum. Selbst Durandus redet noch nicht von
der Übergabe unseres Gewandes an die Neokleriker. Diese Zeremonie dürfte
demnach aus der Zeit stammen, in welcher die Albe bei den niedern Klerikern
außer Gebrauch gekommen und das Superpelliceum deren eigentliches Sakral-
kleid und damit zugleich deren Amtsgewand im besondern Sinn geworden war3.
Nunmehr lag es in der Tat nahe, wie den Neosubdiakonen bei der Ordination
die Tunicella, den Neodiakonen die Dalmatik, den Neopresbytern die Kasel,
so auch den Neoklerikern bei ihrer Aufnahme in den geistlichen Stand das
Superpelliceum als Zeichen der neuen Würde zu übergeben. Das Gebet, unter
welchem sich jetzt die Übergabe des Superpelliceum vollzieht, begegnet uns
schon in Pontifikalien aus dem 15. Jahrhundert4.
Aus der Bulle Klemens' IV. (1265 — 1271) für Le Puy ersehen wir, daß
„jemand ein Superpelliceum gewähren" auch wohl Symbol und Ausdruck der
Übertragung einer geistlichen Pfründe war 5, offenbar, weil das Superpelliceum
Chorgewand war.
IX. BESCHAFFENHEIT DES SUPERPELLICEUM.
In der Beschreibung, welche uns Anselm von Havelberg, Gerhoh und
Arno von Reichersberg sowie Sicard von Cremona vom Superpelliceum des
12. Jahrhunderts geben, erscheint dasselbe als eine weite Linnentunika, welche
bis auf die Füße hinabwallte G. Gegürtet war das Superpelliceum nicht.
Von der Länge der Ärmel schweigen Anselm, Arno und Sicard. Die um
die Wende des 12. Jahrhunderts entstandenen Statuten des St Viktorstiftes
zu Paris bestimmen, es sollten die Ärmel nicht mehr als zwei Hand breit
über die Finger hinausgehen 7. Die Säkularkanoniker scheinen vielfach sehr
lange Ärmel an ihren Superpelliceen gehabt zu haben. Denn Gerhoh von
Reichersberg sagt, das Kleid der acephali — so und pseudo-canonici nennt
er die Kanoniker, welche kein gemeinsames Leben führten — sei mit Ärmeln
ausgestattet, die nicht bis etwa zur Hand, sondern bis zu den Füßen gingen
oder gar zugleich mit der toga erst an der Erde endigten 8. Unter dem Kleid
der acephali und der toga versteht er aber, wie aus dem Zusammenhang her-
1 So in Cod. Vat. lat. 5791 und 7114 (beide
aus dem 13.— 14. Jahrh.) und Ottob. 330
(15. Jahrh.).
2 Mitralis 1. 2, c. 1 (M. 213, 59).
3 In Rom war dies wenigstens schon im Be-
ginn des 14. Jahrhunderts der Fall. Denn es
heilst im 14. Ordo c. 48 (M. 78, 1153): Aco-
lythi omnes debent esse induti cottis secundum
consuetudinem sanctae romanae ecclesiae.
* So in Cod. Vat. lat. 1145 und Ottob. 27.
5 N. 38 (Bull. rom. III 781).
,; Bezüglich der Länge des Superpelliceum
sagen die Consuetudines canonic. regul.
S.Victor. Parisiens. c. 20 (Mart. III 262):
„Das Superpelliceum und die wollene Tunika
sollen möglichst von einer Länge sein und
wenigstens eine volle Hand vom Boden ab-
stehen. Es darf zudem kein anderes Gewand
darunter hervorragen. Die Regularkanoniker
mußten das Kleid auch außerhalb des Klosters,
z. B. auf Reisen , tragen. Beim Reiten
durften sie es durch ein Cingulum gürten
(Consuetudines canonic. reg. ex ms. Mor-
bacensi c. 101 102 [Mart.'lII 317]).
7 Mart. a. a. 0.
3 De aedif. Dei c. 29 (M. 194, 1270).
144
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewände
vorgeht und aus der Bedeutung des Wortes toga bei Anselm und Arno folgt 1,
das Superpelliceum derselben. Von der Weite der Ärmel hören wir weder
im 12. noch auch im 13. Jahrhundert etwas. Es berechtigt ihre Länge jedoch
zum Schluß, daß sie auch entsprechend breit gewesen sein müssen 2. Am
Kopfdurchlaß blieb das Superpelliceum bei den Augustiner-Chorherren nach
Arno von Reichersberg ungeschlossen 3.
Im 13. Jahrhundert beginnt für das Superpelliceum die Zeit allmählicher
Umgestaltung. Denn auch ihm sollten Wandlungen ebensowenig erspart
bleiben wie den andern liturgischen Gewändern. Eine der ersten Verände-
rungen, die mit ihm vorgingen, war seine Verkürzung. Die ersten Spuren
derselben finden sich be-
reits im 13. Jahrhundert.
Traf diese Zustutzung
auch zunächst nur das
Superpelliceum, soweit es
außerliturgisches Gewand
war, so fing man jedoch
allmählich an, auch an
dem liturgischen Super-
pelliceum herumzuschnei-
den. Im 14. Jahrhun-
dert war die Verkürzung
noch unbedeutend; im 15.
reichte das Gewand durch-
weg noch bis über die
Mitte des Schienbeins, in
Rom wie überhaupt in
Italien aber sogar fast
noch bis zum Saum des
Talars (Bild 58). Im 16.
und namentlich im 17.
Jahrhundert geht es nur
noch bestenfalls ein
wenig über das Knie. Am
schlimmsten wurde es im
Verlauf des 18. Jahr-
tSild 08. tru Ansx'lico : Weihe des hl. Laurentms. , , rr -n ■ ^
Eom, Vatikan. (Fhot. Anna«.) hunderts. Zu Beginn des
19. war es so weit ge-
kommen , daß das Superpelliceum alleihöchstens nur noch bis zur Mitte
des Oberschenkels, ja vielfach bloß noch ein wenig über die Hüfte reichte.
Natürlich ging die Verkürzung des Gewandes nicht überall gleich rasch vor
sich. Je größer die Neuerungssucht war und je mehr man sich von Bequem-
1 Anseimus Havelb. , De ord. canonic.
reg. c. 10 (M. 188, 1103); Arno, Scutum
canonic. (M. 194, 1505).
2 Vgl. auch die Konstitution Benedikts XII.
vom Jahre 1339 für die regulierten Augu-
stiner-Chorherren zu Avignon c. 19 (Hard.
VII 1589).
3 Scutum canonic. (M. 194, 1505) : Cuius
tunicae (sc. superpellicei) lingua soluta est . . .
sicut lingua interulae vel camisiae semper
clausa est. Auch im spaten Mittelalter finden
sich auf den Bildwerken noch Superpelliceen,
"welche vom Kopf durch! aß an einen bis unter
die Brust reichenden breiten, spitz zulaufen-
den Ausschnitt aufweisen. Ein gutes Beispiel
z. B. auf einem Tafelgemiilde des Meisters
von St Severin im Pfarrhause vou St Ursula
zu Köln : Ecce Homo mit Stifter.
Sechstes Kapitel. Bochett und Superpelliceum.
145
lichkeitsrücksichten leiten ließ, um so schneller vollzog sie sich. Auffallend
ist, daß man auch zu Rom, wo man sich doch in Beziehung auf die andern
Gewänder so konservativ verhielt, und wo das Superpelliceum noch um die
Mitte des 15. Jahrhunderts fast bis zum Saum des Talars ging, bei der Zu-
stutzung tapfer mittat. Wie man sieht, ging es mit dem Superpelliceum wie
mit dem Rochett ; die Verkürzung des einen hielt mit derjenigen des andern
gleichen Schritt.
Eine zweite Umbildung betraf die Ärmel unseres Gewandes. Noch
im 13. Jahrhundert scheinen dieselben durchweg nicht mehr als mittelweit
gewesen zu sein. Dann aber nahmen sie allmählich an Weite zu. Im 15.
und 16. Jahrhundert hatten sie nach Ausweis der Monumente sehr häufig eine
so bedeutende Ausdehnung, daß sie an die Ärmel der Dalmatiken des 6. und
7. Jahrhunderts erinnerten und in langem, dicht-
gelagertem, malerischem Faltenwurf von den
Armen sich herunterzogen (Bild 59).
Einschneidender war eine andere Wandlung,
bei welcher die Ärmel ihren Ärmelcharakter ein-
büßten und zu losen Lappen wurden. Schon im
13. Jahrhundert hören wir davon, daß man da,
wo sich die Ärmel an den Körper des Super-
pelliceum ansetzen, in letzterem wohl einen
Schlitz angebracht habe, um durch diesen, an-
statt durch die Ärmel selbst, die Arme hinaus-
zustecken. Bei dieser Öffnung blieb es jedoch in
der Folge nicht; im weiteren Verlauf ging man
dazu über, die ganzen Ärmel aufzuschlitzen, so
daß dieselben lappengleich von der Schulter herab-
hingen und bei jedem Windzug hinter dem Träger
einherflatterten. Superpelliceen dieser Art treffen
wir schon im 15. Jahrhundert an (Bild 60); sie
erhielten an manchen Orten, namentlich in Frank-
reich1 und Deutschland, das Bürgerrecht und
blieben bis in die neueste Zeit im Gebrauch.
Von Superpelliceen mit aufgeschlitzten Är-
meln war nur ein kleiner Weg zu den sog. Flügel-
röcken, dem Gegenstück der modernen Dal-
matiken und Tunicellen, welche aus einem Brust- und Rückenstück samt zwei
von der Schulter auf die Arme herabfallenden Zeugstücken, den Resten der
ehemaligen Ärmel, bestehen. Man brauchte nur das Gewand auch noch an
den Seiten unterhalb der Armlöcher von oben nach unten aufzuschlitzen, und
der Flügelrock war fertig. Daß man wirklich den Schritt nicht gescheut hat,
erhellt daraus, daß in den letzten Jahrhunderten tatsächlich verschiedenen-
orts Superpelliceen dieser Form in Gebrauch kamen.
Der Flügelchorrock ist im Grunde genommen ebensowenig eine Tunika
mehr als die modernen Dalmatiken, er erinnert nur noch an eine solche.
Besser hat den Tunikacharakter eine andere Abart des Superpelliceum bewahrt,
welche der Ärmel oder ihres Surrogats, der Flügel, gänzlich entbehrt und
seitlich lediglich mit Schlitzen zum Durchstecken der Arme versehen ist; sie
Bild 59. Stifter. Ausschnitt aus
einem Tafelbild Barthel Bruyns.
Köln, Museum.
1 De Vert II 274.
Braun, Die liturgische Gewandung
10
146
Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
stellt eine dem ärmellosen Kolobium der Alten verwandte Tunika dar. Der
Grund für ihre Entstehung waren offenbar Bequemlichkeitsrücksichten. In
England begegnet uns diese Form des Superpelliceum bereits im 15. Jahr-
hundert. Sie hieß daselbst um jene Zeit, wie wir früher hörten, rochetum
und stand in Diensten der Ministranten und des taufenden Priesters.
Das kolobiumförmige Superpelliceum mag wiederum den Weg zu jener
seltsamen Superpelliceenart gebildet haben, bei welcher das Gewand nur noch
ein Überwurf mit einer Halsöffnung zum Durchstecken des Kopfes ganz nach
der Art der mittelalterlichen Kasein war. Beispiele dieser eigenartigen Form
finden sich auf den Malereien des 16. und 17. Jahrhunderts mehrfach, so auf
einem Fresko in der
Kirche degii Eremitani
zu Padua, einem Ge-
mälde im Duomo vecchio
zu Brescia, einem Ge-
mälde Bassanos in der
Sala del Consiglio dei
Dieci „ Papst Alexan-
der III. und der Doge
Ziani" und dem Gemälde
Paolo Veroneses „ Rück-
kehr des Dogen Andrea
Contarini nach dem Siege
bei Chioggia" in der
Bild 60. Weihe des Bischofs von Bamberg Veit Truchseß
von Pommersf'elden. Miniatur aus dem Gundekarpontiflkale.
Eichstätt.
Sala del Maggior Con-
siglio des Palazzo Du-
cale zu Venedig, einem
Mosaik in der Schatz-
kam m er von S . Mar co u . a.
Nicht eine wirkliche
Verkümmerung des Su-
perpelliceum , sondern
nur ein Surrogat ist das
skapulierartige Band,
das sich bei den regu-
lierten Augustiner-Chor-
herren anstatt des aufier-
liturgischen Superpelli-
ceum einbürgerte.
Bei dem schon früh auftretenden Streben, das Superpelliceum bequemer
zu gestalten, begreift es sich, daß ebenso früh Bestimmungen gegen ein solches
Gebaren erlassen wurden. Gegen die unter dem Einfluß der wechselnden
Tagesmode entstandene Gepflogenheit, an den Seiten im Gewand Schlitze zum
Durchstecken der Arme anzubringen, wandten sich schon die Synodalstatuten
des Bischofs Johannes von Lüttich vom Jahre 1287 und die Synode von Cam-
brai aus dem Jahre 1300 1. Eine Konstitution Benedikts XII. aus dem Jahre
1339, die von der Reformation der regulierten Augustiner-Chorherren zu Avignon
handelt, verordnet, es sollten die Kanoniker in der Kirche und den Klaustra
1 C. Celebrans (Hartzh. IV 71).
Sechstes Kapitel. Rocbett und Superpelliceum. 147
der Kathedralen, Konvente und Kollegien sowie überall, wo sie conventualiter
aufträten , große und weite Superpelliceen tragen , deren Ärmel etwa vier
Finger breit über die Hand hinausgingen. Kürzerer Superpelliceen sich zu
bedienen, sei nur außerhalb der Kirche usw., und zwar bloß bei gleichzeitiger
Benutzung der Cappa oder des Mantels gestattet. Doch müßten selbige auch
in diesem Falle noch bis zur Mitte des Schienbeines reichen und Ärmel von
der Breite etwa einer Elle haben 1. Schon 1333 hatte Johannes XXII. in einem
Diplom für die Kanoniker von Villanova festgesetzt, alle sollten Superpelli-
ceen von einheitlicher Form, sc. cum longis manicis, tragen 2. Bezüglich des
liturgischen Chorrockes verordnete das Basler Konzil, man solle zur Abhaltung
des Stundengebetes in der Talartunika und reinen , bis über die Mitte des
Schienbeines reichenden Superpelliceen in der Kirche erscheinen3. Eine gleiche
Bestimmung erließ 1485 eine Synode von Sens 4. Gegen die ärmellosen Super-
pelliceen wendet sich 1585 eine Synode von Aix. „Alle sollen", sagt sie,
„wenn es der Dienst erfordert, sich der Superpelliceen bedienen ; dieselben dürfen
aber weder zerrissen noch schmutzig sein und müssen Ärmel haben. Ärmellose
Superpelliceen, welche dieses Namens nicht würdig sind, sondern vielmehr
Mäntelchen (mantilia) heißen sollten, verbieten wir durchaus."5 Im Super-
pelliceum seitlich unter den Ärmeln Schlitze anzubringen, um durch dieselben
statt durch jene die Anne hindurchzustecken, verbot noch 1640 das in mancher
Beziehung sehr konservative Rituale von Rouen 6.
Sehr eingehende Bestimmungen traf der hl. Karl Borromäus hinsichtlich
des Superpelliceum. Es solle selbiges nicht nach Art des Rochetts enge,
sondern weite Ärmel haben und aus reinem Linnen bzw. Hanftuch angefertigt
werden. Der zur Verwendung kommende Stoff müsse weiß und zart sein;
ungebleichtes und allzu grobes Material dürfe zur Herstellung des Gewandes
nicht gebraucht werden. Die Ärmel sollten so lang sein, daß sie, gefältelt,
noch immer bis zu den Fingerspitzen reichten, und darum etwa eine Länge
von 2 cubiti (= 0,86 m) haben. Ihr vorderer Umfang solle ca 4 cubiti
(= 1,70 m) betragen. Die Halsöffnung sei besser rund als viereckig und
habe sich bezüglich der Größe nach der Kopfdicke zu richten. Ein Schlitz
dürfe vorn auf der Brust nicht angebracht werden. Unten müsse das Gewand
bis über die Knie und etwa bis zur Mitte des Schienbeines reichen. Sein
Umfang solle sich am unteren Ende auf etwa 13 cubiti (= 5,60 m), an den
Schultern aber auf ungefähr 8 cubiti (= 3,40 m) belaufen. Nirgends dürfe das
Superpelliceum allzu große Künstelei und gesuchte Eleganz offenbaren 7.
Sehr bemerkenswert ist auch die Verordnung, welche die Prager Synode
des Jahres 1605 in Bezug auf das Superpelliceum erließ. Sie will, daß es
aus passendem Linnen gemacht werde, daß sein Saum höchstens eine Viertel-
elle vom Boden entfernt sei und daß die Ärmel eine Gesamtweite von zwei
und ein Viertel Ellen besäßen 8. Wäre das Gewand nur immer geblieben,
was es nach diesen Bestimmungen sein sollte !
Eine reiche Ausstattung hat das Superpelliceum im Mittelalter im
allgemeinen nicht gefunden. Bestenfalls wurde es vorn und rückwärts am
unteren Saum mit einem quadratischen oder rechteckigen Besatzstück, der sog.
1 N. 19 (Hard. VII 1589). 5 C. De vita et honest, der. (Hard.X 1544).
2 Giorgi, Liturg. Rom. Pontif. I 333. 6 De Vert II 274.
3 Sess. 21, c. 3 (Hard. VIII 1197). 7 A. E. Med. 635.
1 C. 1 (Hard. IX 1522). 8 C. 13 (Hartzh. VIII 692).
10*
148 Erster Abschnitt. Die liturgischen Untergewänder.
Parura , versehen K Doch dürfte selbst das nicht allzuhäufig vorgekommen
sein. Auf den Monumenten erscheint es durchweg als ein wenngleich falten-
reiches, so doch im übrigen schlichtes Gewand. Mit Beginn der Neuzeit
scheint man auf die Verzierung des Superpelliceum mehr Gewicht gelegt zu
haben. Sah sich doch schon der hl. Karl Borromäus veranlaßt, vor allzu
kunstfertiger und eleganter Herstellung desselben zu warnen. Seitdem dann
die Spitzenindustrie aufblühte, bürgerte sich die Gewohnheit ein, den unteren
Rand und die Ärmelsäume des Gewandes mit Spitzen zu besetzen. Die Miß-
brauche, zu welchen eine gleiche Gepflogenheit bei der Albe und dem Rochett
geführt, machten sich jedoch allmählich auch beim Superpelliceum geltend.
Die Wiedergeburt der christlichen Kunst hat in der übermäßigen und
mißbräuchlichen Verwendung der Spitzen einigen Wandel geschaffen. Die hier-
bei in Aufnahme gekommenen Bordüren in Rot- oder Buntstickerei waren im
Mittelalter bei den Superpelliceen wohl kaum gebräuchlich , sind aber sehr
zweckentsprechend. Die neu erwachten, an bessere Zeit der kirchlichen Kunst-
tätigkeit anknüpfenden Bemühungen haben auch das Verdienst, dem Gewand
vielfach wieder eine würdigere Form verschafft zu haben.
Von dem Gebrauch, das Superpelliceum künstlich zu fälteln, redet schon
der hl. Karl Borromäus. Er bestand bereits beim Ausgange des Mittelalters,
wie z. B. das Porträt des Kanonikus Salviati von Gerard David (Nat. Gallery
zu London) beweist; eine größere Verbreitung und Ausbildung erlangte er
aber wohl erst seit dem 17. Jahrhundert. Der Körper des Gewandes wurde
dabei in zahllose, von oben nach unten laufende Parallelfalten gelegt, während
die Ärmel in die Quere gefältelt wurden. Eine solche Fältelung des Super-
pelliceum , welche natürlich voraussetzt , daß selbiges zuvor durch Stärken
eine gewisse Steifheit erhalten hat, mag ihre Vorteile haben, übertrieben, wie
es oft der Fall war und ist, artet sie aber in Spielerei und geistloses Prunken
aus und macht das Superpelliceum zu einem Zerrbild eines würdevollen litur-
gischen Gewandes.
Von liturgischen Superpelliceen hat sich aus dem Mittelalter leider keines
erhalten. Allerdings soll sich noch ein solches auf Schloß Friedenstein bei
Gotha befinden, und zwar soll sich, wollen wir einer von Bock mitgeteilten Er-
zählung glauben, Kaiser Maximilian I. desselben bedient haben, als er angeblich
gelegentlich einer Wallfahrt nach Echternach am Chordienst der Mönche teil-
nahm 2. Das Gewand hat indessen mit einem Superpelliceum nichts zu schaffen.
Ein interessantes Augustinersuperpelliceum wird in der Pfarrkirche zu
Waldsee (Württemberg) aufbewahrt. Es hat förmliche Skapulierform , ist
ungefähr 1 m lang und besteht aus zwei 1,96 und 1,42 m breiten Stücken
feiner kreppartiger Leinwand, welche oben auf 0,14 bzw. 0,12 m eingekräuselt
und durch zwei 0,29 m lange und IV2 cm breite Bänder miteinander ver-
bunden sind. Das Gewand soll dem ehrwürdigen P. Kügelin, dem Beicht-
vater der seligen Beta von Reute, angehört haben, doch stammt es wie eine
demselben gleichfalls zugeschriebene Kasel in der Pfarrkirche zu Waldsee
wohl aus späterer Zeit und nicht schon aus dem 15. Jahrhundert. Immerhin
ist es ein um so beachtenswerteres Stück, als sich ein derartiges Gewand
sonst kaum erhalten haben dürfte.
1 Ein Beispiel bei Bock, Gesch. II, Tafel 2 Ebd.II337. Kirchenschmuck IV (1858J .57
XLIV. mit farbiger Abbildung.
ZWEITER ABSCHNITT.
DIE LITURGISCHEN OBERGEWÄNDER.
ERSTES KAPITEL.
DIE KASEL.
I. DIE KASEL IN DER GEGENWART.
Das liturgische Obergewand des Priesters und Bischofs ist die Kasel
oder Planeta. Sie bildet mit der Albe den notwendigsten Bestandteil der
Meßkleidung und kann als das Meßgewand im besondern Sinne bezeichnet
werden, da sie nur bei der Messe gebraucht wird. Denn es ist im Grunde
nur eine scheinbare Ausnahme, wenn sich der Priester ihrer auch bei den
Lesungen der Präsanktifikatenmesse am Karfreitag und den Prophetien am
Karsanistag bedient, oder wenn sich die zwölf Priester, welche am Grün-
donnerstag bei der Öl weihe assistieren, mit der Kasel bekleiden. Denn alle
diese Funktionen stehen in innigster Verbindung mit der Tagesliturgie. Ledig-
lich Schmuck ist die Kasel, wenn sie, wie das an verschiedenen Orten üblich
ist, (ohne Manipel und Stola) von Priestern bei der Fronleichnamsprozession
getragen wird, da die bloße Teilnahme an einer Prozession noch kein liturgischer
Akt ist. Symbol der Priesterwürde ist sie, wenn sie von den Priestern, welche
bei der Priesterweihe an der Händeauflegung teilnehmen, angelegt wird1.
Bei der Priesterweihe wird die Kasel dem Ordinanden durch den Bischof selbst
angezogen. Sie wird dabei in den Worten, mit denen der Konsekrator die
Zeremonie begleitet, ausdrücklich als die vestis sacerdotalis bezeichnet. „Nimm
hin", spricht derselbe, „das priesterliche Kleid, das Symbol der Liebe; Gott
ist mächtig genug, dir die Liebe und vollkommenes Werk zu mehren."
Eigentümlich bei diesem Ritus ist, daß die Kasel anfangs auf dem Rücken
noch zusammengerollt bleibt. Erst am Schluß der Messe, in welcher die
Weihe statthatte, wird sie ganz entfaltet, wie um anzudeuten, daß nunmehr
der Neugeweihte völlig bereit zum Altardienst ist.
Die Diakone und Subdiakone gebrauchen die Kasel nur an ge-
wissen Tagen und bei gewissen Gelegenheiten und auch dann bloß in der
Form der sog. planeta plicata. Es sind die Sonn- und Wochentage der Advent-
und Fastenzeit, ausgenommen die Sonntage Gaudete und Laetare, der Grün-
donnerstag und der Karsamstag (Osterkerzenweihe und Messe), die übrigen
Fasttage des Kirchenjahres mit Ausnahme der Vigilien vor Weihnachten,
Pfingsten (Messe), Maria Himmelfahrt, Peter und Paul und Allerheiligen,
sowie der Quatembertage der Pfingstwoche und endlich die Aschen-, Kerzen-
und Palmweihe samt den an die beiden letzten sich anschließenden Prozessionen.
Planeta plicata wird die Kasel genannt, deren sich der Diakon und der
Subdiakon an diesen Tagen und bei den angeführten Zeremonien bedienen,
1 Pontif. Roman, in ordinat. presbyteri.
150 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
weil sie, statt frei von den Schultern herunterzufallen, vorn zusammengefaltet
ist. Beim Subdiakon bleibt das so die ganze Messe hindurch; nur muß er
die Epistel ohne planeta plicata singen, weshalb er dieselbe vor Beginn der
Lesung auszuziehen hat. Der Diakon behält die vor der Brust zusammen-
gerollte Kasel bis zum Evangelium. Dann legt er sie ab, faltet sie, wenn
er sich nicht etwa der sog. stola latior, eines breiten, stolaartigen Bandes, be-
dienen will, streifenartig zusammen und legt sie ganz nach Weise der diako-
nalen Stola wieder um. So trägt er sie bzw. ihr Surrogat, die stola latior,
bis die Kommunion beendet ist; dann zieht er die planeta plicata wieder in
der Gestalt an, wie er sie beim Anfang der Messe trug.
In den römischen Kirchen bedient man sich statt eines vor der Brust
zusammengefalteten Meßgewandes einer vorn verkürzten Kasel, allerdings
nicht ganz im Einklang mit den Rubriken des Missale und den Angaben des
Caeremoniale. Die stola latior (ital. stolone) ist nicht eine Stola, sondern
nur Ersatz der streifenartig zusammengerollten Kasel; sie soll deshalb auch
nicht mit den drei Kreuzen versehen sein, welche man auf der eigentlichen
Stola anbringt 1. Das Missale erlaubt den Gebrauch dieses Surrogates, weil
die moderne Kasel sich schlecht oder kaum in Form der diakonalen Stola
zusammenfalten und benutzen läßt.
Das Missale schreibt den Gebrauch der planeta plicata nur für die
Kathedralen und die sonstigen hervorragenden (Stifts-, Kloster- und Pfarr-)
Kirchen vor. Kleineren Kirchen ist ihre Verwendung sogar ausdrücklich
untersagt. In ihnen sollen Diakon und Subdiakon, wenn sie sich nicht der
Dalmatik und Tuniceila bedienen dürfen, nur in Albe, Stola und Manipel
bzw. in Albe und Manipel fungieren 2. Doch ist auch in manchen Kathe-
dralen und erst recht in vielen größeren Kirchen die planeta plicata nicht
mehr im Gebrauch. Es wäre zu wünschen, daß man sie überall wieder ein-
führte, und wäre es auch nur im Hinblick auf das mehr als tausendjährige
Alter ihrer Verwendung.
Die Kasel oder Planeta, wie sie sich gegenwärtig allenthalben im Ge-
brauch befindet, ist ein skapulierartiger Überwurf, der über Brust und
Rücken herabfällt, an den Seiten die Arme unbedeckt läßt und in der Mitte
mit einem Durchlaß für den Kopf versehen ist. Neben der vollen Überein-
stimmung in der Grundform weisen aber die Kasein in den einzelnen Ländern
eine Reihe von Verschiedenheiten auf. Dieselben betreffen teils den Schnitt,
teils die Machweise, teils die Abmessungen, teils die Verzierungen des Ge-
wandes. Es lassen sich in dieser Beziehung vier Typen unterscheiden, ein
römischer (italienischer), französischer, spanischer und deutscher Typus.
Die römischen Kasein haben durchweg eine Rückenbreite von 0,75 m
und eine Länge von ca 1,20 m. Die Ausschnitte an der Vorderseite können im
Vergleich mit denjenigen der andern Kaseltypen als mäßig bezeichnet werden.
Der Durchlaß für den Hals geht vorn weit herab (Bild 61 c). In der Regel besteht
das Gewand aus zwei Stoffstücken, einem größeren und einem kleineren, welche
auf der Vorderseite vor der Brust aneinandergesetzt sind. Steifes Innenfutter zu
verwenden, ist nicht Brauch. Die Kasein sind darum auch durchweg leicht
und biegsam. Das gilt, wenigstens in der Regel, selbst von solchen, welche
mit Goldstickerei über und über verziert sind. Kasein von bretterhafter
Steifheit sind in Italien meist Importware.
1 C. R. 25. Sept. 1852 (Decret. auth. 3006). 2 Eubricae generales tit. 19, n. 6 7.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
151
Die Ausstattung der römischen (italienischen) Kasein besteht in einem
Stab oder, wie man gewöhnlich sagt, einer colonna (Säule) auf dem Rück-
ten, einer breiten Einfassung des Kopfdurchlasses und einer Art gerad-
balkigen Kreuzes auf der Vorderseite. Bei den gewöhnlichen Kasein werden
Säule, Halseinfassung und Kreuz regelmäßig durch Börtchen imitiert; bei
besseren pflegen sie mit Vorliebe in Goldstickerei hergestellt zu werden. Die
Bildstickerei kommt in Italien bei Ausschmückung der Kasel sehr wenig in
Anwendung. Die immer und immer wiederkehrenden Motive der Stickereien
sind Banken, Ähren, Weinreben, Blumen, Schnörkelwerk und ähnliche. Soll
eine Kasel besonders reich ausgestattet werden, so wird sie mit Goldstickereien
ganz und gar wie übersponnen. Eigens zu diesem Ende gewebte Besätze
werden nur wenig zur Verzierung des Meßgewandes gebraucht.
Vollkommen ist die römische Kasel nicht, sie kann indessen alles in
allem noch als der würdigste und entsprechendste Typus unter den modernen
Kaselformen bezeichnet werden. Ganz besonders steht sie weit über der
spanischen Kasel, einem in jeder Beziehung häßlichen Gewände (Bild 61 d).
Man hat in neuerer Zeit die moderne Kasel vielfach Baßgeige gescholten. Wenn
irgendwo, dann trifft dieser Titel bei der auf den Schultern lächerlich sehmalen,
Bild 61. Kaselformen.
nach unten geigenförmig sich erweiternden spanischen Form des Meßgewandes zu.
Der Durchlaß für den Hals ist bei dem spanischen Kaseltypus weniger lang wie
bei der römischen Kasel, dafür aber sehr weit. Oben hat die spanische Kasel
eben Rückenbreite, sie mißt also daselbst nur etwa 0,45 m. Unten mag sich
ihre Breite auf etwa 0,60 m belaufen. Ihre Länge beträgt bestenfalls etwa
1 m, in der Tat zwerghafte Maße. Ein Kreuz hat die Kasel weder auf der
Brust noch auf dem Rücken; hier wie dort findet sich bloß ein einfacher
Vertikalbesatz. Den Kopfdurchschlupf umsäumt bald eine breitere Einfassung,
bald nur ein schmales Börtchen.
Eine Mittelstellung zwischen dem römischen und dem spanischen nimmt
der französische und der deutsche Kaseltypus ein.
Eine Beschreibung der deutschen Kasel (Bild 61a, b) ist überflüssig,
da sie allbekannt ist. Es sei daher nur bemerkt, daß ihre Länge sich gewöhn-
lich auf ca 1,15 m und ihre Rückenbreite auf ca 0,68 bis 0,70 m beläuft.
Die französische Kasel hat im allgemeinen etwas geringere Ab-
messungen als die deutsche, namentlich was die Länge anbetrifft. An der
Vorderseite ist sie regelmäßig stark ausgeschnitten. Die Halsöffnung, welche
beim deutschen Typus in der Regel ovale oder elliptische Form hat, ist dem
Kopfdurchlaß des römischen Typus nachgebildet, doch etwas breiter. Auf
152
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
dem Rücken ist die französische Kasel ähnlich wie die deutsche mit einem
Kreuz und auf der Vorderseite mit einem bloßen Stab verziert. Sie unter-
scheidet sich von dieser durch die breite Umrahmung des Kopfdurchschlupfes
sowie auch wohl durch die Ecken, welche mit Vorliebe auf französischen
Kasein in die vier von den beiden Kreuzbalken gebildeten Winkel hinein-
gelegt werden. Die Naht, welche den Vorder- und Rückteil verbindet,
liegt bald auf der Schulter, bald unterhalb des Kopfdurchlasses vor der Brust.
Zur Verzierung besserer Kasein dienen mit Vorzug Goldstickereien, nament-
lich solche in Gestalt von Guipes, d. i. über einen dicken, steifen Karton aus-
geführte Hochstickereien.
Zu diesen vier Haupttypen der modernen Kasel ist in neuerer Zeit als
fünfter eine Nachbildung der spätmittelalterlichen Meßgewandform gekommen.
Er hat indessen nur eine geringe Verbreitung erlangt. In Italien und Spanien
hat man nicht einmal Miene gemacht, zum mittelalterlichen Kaseltypus zurück-
zukehren ; in Frankreich, Belgien und England fand er nur vereinzelt Auf-
nahme; am meisten ist er in Deutschland wieder zu Ehren gekommen,
wenngleich auch hier nur in beschränktem Maße, zumal im Süden K
Über den Stoff, aus dem das Meßgewand anzufertigen ist, geben die
Rubriken keine Auskunft. Es bestehen darüber jedoch verschiedene Ent-
scheidungen der Ritenkongregation. Hiernach ist es unzulässig, die Kasein
aus Linnen, Baumwollzeug und selbst Wollstoffen herzustellen 2. Auch dürfen
dieselben nicht aus Glasbrokat, einem Surrogat für Goldbrokat, bei welchem
gesponnene Glasfäden die Stelle der Goldfäden vertreten, gemacht werden 3.
Aus halbseidenen Stoffen darf das Meßgewand nur hergestellt weTden, wenn
die seidene Kette den nichtseidenen Einschlag völlig deckt i. Der eigentliche
Kaselstoff ist also dem heutigen kirchlichen Gebrauch gemäß die Seide, wie
Linnen für die Albe und den Amikt der liturgische Stoff im besondern Sinne
ist. Die Stoffe können gemustert und ungemustert, einfarbig und mehrfarbig,
glatte Zeuge und Samte, mit Gold- wie mit Silberfäden durchwoben sein.
Sind sie mehrfarbig, so muß eine Farbe vorherrschen, damit sich der Farben-
charakter des Gewandes nach ihr bestimmen lasse 5. Der Regel nach wird
das die Farbe des Stoffgrundes sein.
II. DIE NAMEN DES MESSGEWANDES.
Statt mit dem in der Gegenwart gebräuchlichen Namen Kasel und
Planeta bezeichnete man vormals unser Gewand auch mit den Benennungen
amphibalus und infula. Amphibalus hieß es in der gallikanischen
Kirche der vorkarolingischen Zeit. Es führt diesen Namen in der galli-
kanischen Meßerklärung 6, in den Dialogen des Sulpicius Severus 7, den ge-
1 Über die Frage, ob die spätmittelalter-
liche Kaselform als zulässig gelten dürfe,
was gegenwärtig wohl nicht mehr zweifelhaft
sein kann, vgl. insbesondere den vortrefflichen
Aufsatz des jetzigen hochw. Herrn Bischofs
von Rottenburg, P. W. v. Keppler, in dem
„Archiv für christl. Kunst" 1888, Nr 1 — 7;
ferner Thalhof er, Liturgik I 858 und
Braun, Winke 43.
2 Monitum C. R. 28. Juli 1881 (Acta S. Sedis
XIV 144), ferner C. R. 18. Dez. 1877 und
15. April 1880 (Ballerini-Palmieri, Opus
morale IV 791), 17. Dez. 1888 (Analecta Ord.
Capuc. VI 182) und 23. Juni 1892 (Decret.
auth. 3779).
3 C. R. 11. Sept. 1847 (Decret. auth. 2949).
1 Ebd. 23. März 1882 (Decret. auth. 3543).
5 Ebd. 19. Dez. 1829, 12. Nov. 1831, 23. Sept.
1837 (Decret. auth. 2675 2682 2769). Aus-
führlicheres über die Beschaffenheit des Stoffes
des Mef3gewandes bei Braun, Winke 3 ff
und 25.
6 M. 72, 97.
7 Dialog. 1. 2, c. 1 (Corp. SS. eccl. I, 180).
Erstes Kapitel. Die Kasel.
153
reimten Vitae S. Martini des Palliums von Perigneux 1 und des Venantius
Fortunatus 2 u. a. Seitdem der gallikanische Meßritus aufgegeben und durch
den römischen verdrängt wurde, scheint der Name, wenn er überhaupt vor-
her eine größere Bedeutung gehabt, rasch außer Gebrauch gekommen zu sein.
Im gewöhnlichen Leben bezeichnete man mit amphibalus (amphimalus) namentlich
den außerliturgischen Mantel der Geistlichen und Mönche. In diesem Sinne begegnet
uns das Wort in der von dem hl. Audoenus (St-Ouen, f 683) verfaßten Vita S. Eligii
(t 659) s, in der von einem Zeitgenossen geschriebenen Biographie des hl. Fructuosus.
Erzbischofs von Braga (t ca 660 4), bei Gregorius von Tours in der Schrift De gloria
confessorum '*, in der von Cummeneus herrührenden Lebensbeschreibung des hl. Columba,
Abtes von Jona (f 598) 6. Auch in der Vita S. Boniti, ep. Claromontani (f 709),
in der zweimal von einem amphibalus des Heiligen die Bede ist, bedeutet das Wort,
wie es scheint, ein. außerliturgisches Gewand 1. Selbst Mäntel der Laien wurden am-
phibalus genannt, und zwar dürfte sich der Name in diesem Sinne hie und da ziemlich
lang erhalten haben. Denn wir treffen das Wort noch in der Chronik des Erzbischofs
Bomuald von Salerno (f 1181) in dieser Bedeutung an8. Als Frauenmantel erscheint
amphibalus in der Vita S. Wiboradae (10. Jahrh.) ,J.
Der Ausdruck infula ist uns in dem Sondersinn von Kasel vor 1000
bisher nirgends begegnet. Er wird erst im 11. Jahrhundert diese Bedeutung
erhalten haben. Seit dieser Zeit heißt das Meßgewand freilich sehr häutig infula,
vornehmlich in England und Prankreich, seltener in Deutschland und Italien.
So wird in einem dem 12. Jahrhundert entstammenden Inventar der Abtei
Martinsberg (bei Raab in Ungarn) die Kasel infula genannt: 8 infulae cum stolis
manipulisque. Unter demselben Namen erscheint sie ferner in dem Glossar des Eng-
länders Johannes Gerland10. Die infula nämlich, die darin unter den priesterlichen
Gewändern aufgeführt wird, erklärt der Verfasser selbst mit cheisible (= chasuble,
casula). Besonders verbreitet war aber die Benennung infula in Prankreich. His
supradictis (nämlich Albe usw.) imponitur casula, quae alio nomine planeta vel infula
dicitur, heißt es in dem Speculum de mysteriis ecclesiae c. 6 ", und bald nachher:
Habeat (Priester) zonam castitatis, stolam fortitudinis et plenitudinem scientiae, i. e.
charitatem, quam figurat infula. Ebenso klar und bestimmt wird das Meßgewand vier-
mal in dem kurzen 14. Sermo , der sich im Anhang zu den Werken Hugos von
St Victor befindet, mit dem Namen infula bezeichnet. Ein Schatzverzeichnis der
Heiligen Kapelle zu Paris vom Jahre 1363 stellt die infula ausdrücklich der casula
gleich : infula seu casula 12. Dasselbe tun die Statuten der Synode von Cahors aus
dem Jahre 1289 n.
In den Inventaren von Angers führt das Gewand sogar noch im Jahre 1595 diese
Bezeichnung. Erst mit dem Schatzverzeichnis von 1599 heißt es hier chasuble. Den
Namen infula erhielt die Kasel wohl darum , weil sie das Meßgewand in besonderem
Sinne und damit zugleich das Priesterkleid mit Vorzug geworden war. Daher denn
auch der Name erst auftaucht , als die Kasel nicht nur aus dem außerliturgischen
1 L. 4 in initio (M. 61, 1038).
2 L. 3, v. 42 (M. 88, 393).
3 L. 2, c. 6 (M. 87, 517).
I N. 9 (A. SS. 16. April; II 429).
5 C. 59 (M. 71, 871).
« N. 27 (A. SS. O. S. B. I 349). Vgl. auch
S. Greg. M. Epp. 1. XI V, n. 1 5 (M. G. Epp. 11435).
7 N. 9 36 (A. SS. 15. Jan.; I 353 357).
9 Mur., SS. VII 155.
9 N. 4 (A. SS. O. S. B. V 46).
"> Chambers 46.
II M. 177, 353 355. Es ist also unzutreffend,
wenn es Realenc. II 213 heißt, im Spec. eccl.
Hugos von St Viktor sei die Bezeichnung
infula für ein Amt gesetzt. Infula besagt
dort klar und bestimmt ein Gewand, und zwar
nicht die Mitra, sondern die Kasel.
12 D. C. (sub Infula) IV 358.
13 C. 18 (Mart, Thes. IV 715). Man ver-
gleiche auch die sehr lehrreichen Stellen bei
Mart. 1. 1, c. 4, art. 1 (Auszug aus einem
Missale von Auxerre) ; I 127 und 1. 4, c. 23
(Auszug aus einem Rituale von Soissons) ;
III 138; ferner Mart., Mon. 1. 3, c. 14, n. 33
35 (Ex consuet. Sti Dionysü et S. Cornelii
Compend.); IV 138.
154 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Gebrauch verschwunden war, sondern auch im liturgischen Dienst den Charakter eines
spezifischen Meßornates erhalten hatte und nur noch ausschließlich der Meßfeier diente,
d. i. nach Einführung des liturgischen Pluviales.
Gegenwärtig heißt das Meßgewand nur noch planeta (ital. pianeta) und
casula (Kasel, lioll. casuifel, franz. chasuble, engl, chasuble, span. casulla).
Die Etymologie des Wortes planeta ist dunkel. Isidor bemerkt bezüglich
seines Ursprungs : Graeci planetas dictos volunt, quia oris errantibus evagantur. Unde
et stellae planetae i. e. yagae suo errore motuque discurrunt '. Danach wäre der
Name vom griechischen -Xaväu&ai (errare, umherirren, umherschweifen) abzuleiten, und
hätte das Gewand seine Benennung von dem Umstand , daß wegen der Stofffülle der
Saum des Kleides gleichsam in regellosen Palten den Körper umirrte. Die Erklärung
Isidors schmeckt jedoch zu sehr nach jener sonderbaren Deutungsweise, die man auf Schritt
und Tritt bei ihm antrifft. Man hat darum neuerdings gemeint, es sei, weil die
Planeta ursprünglich ein Reisekleid gewesen, der Name vielleicht von ~X«v5.v, 7üXav5<rflai
im Sinne von „reisen, umherziehen" abzuleiten. Dagegen ist indessen zu erinnern,
daß -Xavav, äXaväsflai nur heißt „planlos umherschweifen, in die Irre gehen", nicht aber
umherreisen. Auch kommt die Bezeichnung planeta erst auf, als das Gewand schon
längst nicht mehr Reisegewand war. Man wird deshalb auch diesen Deutungsversuch,
der scheinbar den Ursprung des Namens in einfachster Weise erklärt, auf sich beruhen
lassen müssen. Eigentümlich ist, daß bei den Griechen planeta nie als Bezeichnung des
Meßgewandes in Gebrauch war und ein von ^Xaväcilai gebildetes Wort bei
ihnen überhaupt als Kleidername nicht vorkommt. Sie nannten das der
planeta entsprechende Gewand ysXöviov ('fsXo'vyjc), cpaivoXiov.
Was die Etymologie des Wortes casula anlangt, so leitet Isidor dasselbe von
casa ab. Casula . . . dicta per diminutionem a casa quasi minor casa 2. Casula würde
also Häuschen, Hüttchen bedeuten. Die Erklärung Isidors schließt sich an die Form
des Gewandes an und klingt durchaus wahrscheinlich. Die Kasel bildete in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt in der Tat ein „Hüttchen", weil sie den Träger ringsum völlig
umgab und nur für den Kopf einen Durchschlupf hatte.
Sehr bemerkenswert ist das Verhältnis, in welchem die beiden Be-
zeichnungen planeta und casula zueinander stehen. Planeta ist der eigentlich
römische, casula der außerrömische Name des Gewandes. So war es indessen
von jeher. Nirgends stößt man in den älteren römischen Ordines auf die
Bezeichnung casula. Aber auch sonst kommt der Name, und zwar nicht bloß
in römischen, sondern überhaupt in italienischen Quellen, bis zur Wende des
Jahrtausends nur ausnahmsweise vor. Erst seit dieser Zeit gelangte er in
Italien zu größerer Verbreitung, doch hat er niemals daselbst die alte Be-
zeichnung aus ihrer bevorzugten Stellung verdrängen können. In den römischen
Ordines des 2. Jahrtausends erscheint selbst bis ins späte Mittelalter hinein
planeta stets als die vornehmste Benennung unseres Gewandes. Unter dem
Namen planeta tritt es auch in der Chronik von Monte Cassino, dem Schatz-
verzeichnisse von Anagni und den Inventaren der Peterskirche aus den Jahren
1303, 1361, 1436, 1454—1455 und 1489 und andern italienischen Schatz-
verzeichnissen auf. In der neueren Zeit erhielt das Wort sogar durch die
Aufnahme ins römische Missale und das Caeremoniale der Bischöfe gewisser-
maßen einen offiziellen Charakter. Noch jetzt ist in Italien „pianeta" die
allein gebräuchliche Bezeichnung des Meßgewandes.
Umgekehrt treffen wir außerhalb Roms seit alters nur sehr selten den
Namen planeta an. Es ist eine Ausnahme, wenn das Gewand im 28. Kanon des
vierten Konzils von Toledo planeta heißt 3. In der Schenkungsurkunde Adel-
Etymol. 1. 19, c. 24 (M. 82, 691). ! Ebd. 3 Hard. III 586.
Erstes Kapitel. Die Kasel. ]55
gasters von Asturien aus dem Jahre 781 wird es wie sonst überall casula
genannt 1. Bei den gallischen Schriftstellern der vorkarolingischen Zeit begegnet
uns nie die Bezeichnung planeta. Wenn bei ihnen vom Meßgewand die Rede ist,
wird es entweder amphibalus oder casula genannt. Auch als die karolingische
Reform den römischen Ritus zu den Franken brachte, blieb der Name casula
vor wie nach herrschend. Bei Hraban, Amalar, Walafried, Pseudo-Alkuin und
Pseudo-Beda, in der aus dem Frankenreich stammenden Synodalermahnung, bei
Regino von Prüm, Riculf von Soissons, Riculf von Eine, in den Inventaren von
St-Riquier und in andern Inventaren der Karolingerzeit heißt das Meßgewand
ebenso ausschließlich casula wie in den frühen römischen Ordines planeta.
Allerdings gedenken Hraban und Pseudo-Beda im Anschluß an ihn auch des
Namens planeta, doch erhellt aus der Weise, in der sie das tun, klar, daß
er nicht die bei ihnen gebräuchliche Bezeichnung war: casula, quam Graeci
planeta m vocant2. Auch in den aus fränkischen Kirchen stammenden
Sakramentaren und Pontifikalien führt das Gewand, soweit darin seiner Erwäh-
nung geschieht, regelmäßig, um nicht zu sagen ausnahmslos, den Namen casula.
Seit Beginn des zweiten Jahrtausends wird der Name planeta außerhalb
Roms etwas häufiger, und zwar mögen darauf die Liturgiker des 12. und
13. Jahrhunderts einigen Einfluß ausgeübt haben, doch fand er dort nie
größere Verbreitung. Gegen Ende des Mittelalters scheint er sogar daselbst
wieder fast ganz außer Gebrauch gewesen zu sein.
Aus dem Gesagten erhellt, daß es nicht zutreffend ist, wenn behauptet
wurde: „Seit dem Anfang des 9. Jahrhunderts verschwindet das Wort planeta,
und casula wird allgemein." Das Wort casula ist wie mancher sonstige Name
liturgischer Gewänder in seinem Ursprung außerrömisch. Es ist ihm aber nie
wie andern gelungen, in Rom die dort übliche Bezeichnung zu verdrängen
und die Alleinherrschaft zu erringen.
Eine mittelalterliche deutsche Bezeichnung des Meßgewandes, die noch
in dem dänischen messehagel fortlebt, war meszachel (althochd. missahachul,
missahahul, missihachel, angelsächs. masse hacele) 3.
III. DIE KASEL ALS LITURGISCHES GEWAND.
Als liturgisches Kleid der spanischen Kirche erscheint unser Gewand
unter dem Namen casula schon, wie vorher erwähnt wurde, in der Schenkungs-
urkunde Adelgasters. Unter der Bezeichnung planeta begegnen wir ihm da-
selbst in jener Eigenschaft bereits im 28. Kanon des vierten Konzils von Toledo
(Ü33): Presbyter . . . si a gradu suo iniuste deiectus in secunda synodo in-
nocens reperitur, non potest esse, quod fuerat, nisi gradus amissos recipiat
coram altario de manu episcopi . . . si presbyter, orarium et planetam . . .
sie et reliqui ea in reparationem sui reeipiant, quae, cum ordinarentur, per-
ceperunt. In dem Maße galt also damals schon die Planeta als Stück der
liturgischen Tracht, daß die Übergabe derselben einen Bestandteil des Weihe-
ritus bildete und ihre Rückgabe zum Restitutionszeremoniell gehörte. Eieen-
1 Ann. 0. S. B. II 255. (= Mefimantel) ist aus missa und dem alt-
2 Die Bemerkung ist ohne allen Zweifel hochdeutschen hachul, Mantel, gebildet. Bei
lediglich aus den von Hraban gern benutzten Ulfilas ist 2 Tim 4, 13 das griechische tpO.övrjc,
Etymologien Isidors herübergenommen. mit hakul wiedergegeben (Heine, Ulfilas,
3 So in Bertholds von Regensburg Predigt Paderborn 1878, 210). Vgl. auch E. Gr. Graft,
über die Messe. Wackernagel, Altdeutsche Althochdeutscher Sprachschatz (Berlin 1838)
Predigten (Basel 1S76) 70. Das Wort Messachel unter hachul IV 797.
156
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
türnlieh ist, daß Isidor von Sevilla, der doch auf jener Synode den Vorsitz
führte, in seinen Etymologien der liturgischen Verwendung der Kasel bzw.
Planeta bei Erklärung dieser Namen mit keinem Wort Erwähnung tut. Der
Grund hierfür mag in dem Umstand liegen, daß in jener Zeit unser Gewand
in Spanien noch nicht ein ausschließlich liturgisches Kleid war. Vielleicht
aber auch, daß Isidor darum vom Kultcharakter der casula und planeta
schweigt, weil er die Erläuterung dieser wie so mancher andern Worte un-
verändert aus älteren Scholiasten herübernahm.
Daß in Gallien unter der Herrschaft des gallikanischen Ritus auch
eine Kasel zur Meßkleidung des Priesters gehörte, beweist die gallikanische
Meßerklärung: casula, quam amphibalum vocant, quod (sie) sacerdos induitur.
Nach den Angaben, welche sie von dieser casula macht, kann dieselbe sich
in der Form weder von der Planeta, wie sie uns durch die römischen und raven-
natischen Mosaiken des 6. und der folgenden Jahrhunderte bekannt ist, noch
von dem Meßgewand, wie es uns die älteren mittelalterlichen Liturgiker be-
schreiben, wesentlich unterschieden haben. Die Kasel der gallikanischen Meß-
erklärung ist nämlich ein Umwurf und setzt somit ein Unterkleid voraus;
vorn ist sie nicht offen, sondern geschlossen; weiterhin hat sie weder seit-
liche Schlitze noch Ärmel (unita utrinsecus, non scissa, non aperta; tota unita,
sine manicis). Bezeichnend für den liturgischen Charakter des gallikanischen
Meßamphibalus ist die allerdings auf verkehrter Voraussetzung beruhende An-
merkung der Meßerklärung: „Die Kasel ist, wie man sagt, von dem Gesetz-
geber Moses zuerst angeordnet worden. Der Herr befahl nämlich, ein ver-
schiedenes Gewand anzufertigen, damit der Priester ein solches anziehe, wie
es das Volk nicht anzuziehen wage."
Auch sonst hören wir vom gottesdienstlichen Gebrauch einer Kasel bzw.
eines Amphibalus in Gallien. So erzählt Gregor von Tours von casulae can-
didae, quae per festa paschalia humeris sacerdotum imponuntur 1, und Cyprian
in der Vita des hl. Cäsarius von Arles von einer casula processoria 2, d. i.
einer Kasel, die bei Prozessionen und der Messe gebraucht wurde. Ein
Amphibalus begegnet uns im Sinne eines Meßgewandes bei Sulpicius Severus,
Paulinus von Perigueux und Venantius Fortunatus 3. Er muß nach den Um-
ständen der hier berichteten Begebenheit ein weiter, langer, rings geschlos-
sener Mantel und somit dasselbe Gewand gewesen sein, welches auch in der
gallikanischen Meßerklärung casula und amphibalus heißt. Die Kasel kam
also schon gegen Ende des 4. Jahrhunderts in Gallien als Obergewand beim
heiligen Opfer zur Verwendung.
Aus der nord afrikanischen Kirche besitzen wir unseres Wissens
kein Zeugnis, welches bewiese, daß allda die Kasel bzw. Planeta in der uns
beschäftigenden Zeit als Meßgewand gebraucht worden sei. Beim hl. Augustinus
1 Vita PP. c. 8, n. 5 (M. 71, 1045).
2 L. 1, n. 32 (M. 67, 1017). Als Bestand-
teil der gewöhnlichen klerikalen Tracht er-
scheint die Kasel 1. 2, n. 23 (ebd. 1036), ferner
Vita S. Medardi n. 2 (M. 88, 535) und Test.
S. Caesarii Arel. (M. 67, 1140): casula vil-
losa, zottige Kasel. Eine casula holoserica
sed caprina lanugine mixta sandte Boni-
fatius, der Apostel Deutschlands, ca 742 dem
Bischof Daniel von Winchester fEp. 63 [M. G.
Epp. 3, 330]). Ob es sich hier um eine bloß kleri-
kale oder um eine liturgische Kasel handelt,
ist nicht klar. Der Stoff des Gewandes dürfte
auf eine Meßkasel hindeuten.
3 S. oben S. 67. Die spätere Legende
schmückte die Begebenheit aus, indem sie
hinzudichtete, es sei ein Engel in der Messe
erschienen, welcher mit goldenen Stauchen die
infolge der Kürze der Tunikaärmel entblößten
Arme des Heiligen zum Lohn bedeckt habe.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 157
erscheint die casula einmal als Kleidungsstück eines armen Handwerkers 1,
ein anderes Mal als Gewand des täglichen Lebens ohne nähere Bestimmung
seines Charakters 2, bei Prokop als eine bei Militärpersonen ungebräuchliche
Zivilistentracht, deren sich die Sklaven und gewöhnlichen Bürger bedienten 3.
In der Biographie des hl. Fulgentius ist eine planeta Obergewand (Mantel)
vornehmer Leute, eine casula Oberkleid des Bischofs Fulgentius, der in seinem
Hirtenamt die Mönchstracht beibehalten hatte, sowie seiner Mönche 4. Von
einem liturgischen Charakter der Kasel bzw. Planeta oder doch wenigstens
ihrer Verwertung bei der Litm-gie erfahren wir nichts.
Daß zu Rom im 8. Jahrhundert die Planeta zu den liturgischen Ge-
wändern zählte, ersehen wir aus dem 1. und 8. römischen Ordo. In jenem
begegnet sie uns als liturgisches Gewand des Papstes und der Subdiakone, in
diesem als das der Priester. Für die frühere Zeit fehlen bestimmte schrift-
liche Nachrichten über eine liturgische Planeta in der römischen Kirche. Wohl
erzählt uns Johannes Diakonus in der Vita S. Gregorii M. von planetati, die sich
bei einem feierlichen Aufzuge im Gefolge des Papstes Gregor d. Gr. befanden5.
Allein wenn auch unter ihnen römische Kleriker in der Planeta zu verstehen
sind, so braucht doch die Planeta, mit welcher diese bekleidet aufzogen, nicht
als ein liturgisches Gewand angesehen zu werden; denn nach dem 1. Ordo
mußten die Diakone, welche den Papst zur Kirche geleitet hatten, vor dem
Sekretarium , ähnlich wie der Pontifex selbst i n demselben 6, die Kleider,
welche sie auf dem Wege getragen, mit andern — liturgischen — vertauschen.
Auch ist es nicht unwahrscheinlich, daß Johannes Diakonus bloß dem Brauch
seiner Zeit gemäß sich ausdrückt, wenn er von planetati spricht. Jedenfalls
war zu Gregors d. Gr. Zeit in Rom die Planeta noch nicht ausschließlich
liturgisches GeAvand. Der Biograph des Papstes erzählt nämlich 7, es habe
dieser im Atrium des Klosters zum hl. Andreas zwei Bilder kunstreich malen
lassen, die noch zu des Schreibers Zeit vorhanden waren. Das eine stellte
den regionarius Gordianus, den Vater Gregors, stehend neben dem sitzenden
hl. Petrus, das andere die Mutter des Heiligen, namens Silvia, dar. Gordianus
war aber auf dem Bilde außer mit caligae (hier wohl Senatorenschuhen) und
der Dalmatik mit einer kastanienfarbigen Planeta bekleidet. Hiernach ge-
hörte also noch zur Zeit Gregors d. Gr. die Planeta in Rom zur Laientracht ;
denn für die Annahme, Gordianus sei römischer Kleriker gewesen und darum
mit Dalmatik und Planeta auf jenem Bilde dargestellt, fehlt die hinreichende
Begründung.
Als Gewand eines persischen Abtes 8, der nach Rom gekommen war,
und als Kleid eines römischen Mönches 9 erscheint eine casula in des Johannes
Diakonus Vita Gregors d. Gr. Inwieweit allerdings der Gebrauch der Kasel
seitens der Mönche, wie er an beiden Stellen zum Ausdruck kommt, nicht
bloß dem 9. Jahrhundert, der Zeit der Entstehung der Vita, sondern auch den
Tagen Gregors d. Gr. selbst entspricht, muß dahingestellt bleiben10. Die
beiden Erzählungen, in denen bei Johannes Diakonus die Kasel eine Rolle
1 August in., De civ. Dei 1. 22, c. 8, n. 9 vestimenta sua; n. 6: Pontifex mutat vesti-
(M. 41, 765). nienta sua.
2 Ders., Sermo 107, c. 5 (M. 38, 630). 7 Vita S. Gregor. 1. 4, n. 83 (M. 75,
3 Pro co p., De hello vandalico II, c. 26. 229).
4 Vita S. Fulgentii c. 18 29 (M. 65, 136 146). 8 L. 4, n. 63 (M. 75, 213).
5 L. 2, n. 43 (M. 75, 104). 9 L. 2, n. 45 (ebd. 106).
" N. 5 (ebd. 939): Diaconi... egrediuntur 10 Von planeticae ist bei Cassian (De liabitu
secretarium et ante fores eiusdem mutant monach. 1. 1, c. 7 [M. 49, 71]) die Rede, doch
158
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
spielt, sind dem Pratum spirituale des Moschos entnommen K In diesem aber
ist im zweiten Fall nicht von einer casula, sondern von einer tunica die Bede,
im ersten findet sich in ihm statt der casula des Biographen Gregors d. Gr.
das unverständliche Wort xouaouiiv.
Wie für Born, so ist auch für die andern Kirchen Italiens die
liturgische Verwendung der Planeta im 7. und den vorhergehenden Jahr-
hunderten schriftlich nicht bezeugt. Nichtsdestoweniger kann es an-
gesichts der bildlichen Darstellungen des 5., 6. und 7. Jahrhunderts keinem
Zweifel unterliegen, daß damals in Italien, sowohl in Bom wie außerhalb
Borns, die Planeta einen Bestandteil der Meßgewandung bildete.
Das älteste der liier in Betracht kommenden Monumente sind die Mosaiken in
der Kapelle des hl. Satyrus bei der Kirche des hl. Ambrosius zu Mailand 2. Noch dem
5. Jahrhundert entstammend, stellen sie unter andern die hll. Mater-
nus und Ambrosius in Dalmatik und Planeta dar (Bild 62). Ihnen
Tjürden in Bom die musivischen Darstellungen in S. Cosma e
Damiano der Zeit nach zunächst stehen, wenn die Figur des
Papstes Felix III. (526 — 530), welche auf denselben mit der Planeta
bekleidet erscheint, sich noch in ihrem anfänglichen Zustande
befände ; leider kann sie infolge der vorgenommenen Veränderungen
nicht mehr als ursprünglich angesehen werden. Von größerer
Bedeutung ist daher das noch der ersten Hälfte des 6. Jahr-
hunderts angehörige bekannte Mosaikbild in S. Vitale zu Ra-
venna 3, welches den Erzbischof Maximianus mit seinen Klerikern
in dem Augenblick darstellt, da er den Kaiser Justinian, den
ein reiches Gefolge umgibt, am Portal der Kirche empfängt und
ins Gotteshaus geleitet (Bild 63). Die Diakone Maximians sind
mit Dalmatiken bekleidet. Der Bischof selbst trägt über der
lang- und weitärmeligen, mit dem Clavus ausgestatteten Dalmatik
noch eine Planeta und das erzbischöfliche Pallium. In der letzten
Hälfte desselben Jahrhunderts entstanden auch in S. Apollinare
in Classe musivische Darstellungen, welche vier Bischöfe in der
Planeta aufweisen 4. Es sind dies die ravennatischen Erzbischöf'e
Ecclesius, Severus, Ursus und Ursicinus. Auch diese tragen gerade
wie Maximian in S. Vitale Dalmatik, Planeta und Pallium. Die
Rechte zum Segen oder Redegestus erhoben, haben sie in der
vom Obergewand verhüllten Linken das Evangelienbuch. Zu den
für die Geschichte der Planeta wichtigen Bildwerken des 6. Jahr-
hunderts muß ferner ein Gemälde gerechnet werden, welches zwar
nicht mehr vorhanden ist, das uns aber durch den Berieht eines Augenzeugen, des Jo-
hannes Diakonus, bekannt ist5. Im Kloster des hl. Andreas zu Rom befindlich,
stellte es Papst Gregor d. Gr. in Dalmatik, Planeta und Pallium dar. In der Linken
hielt der Papst ein Evangelienbuch, mit der Rechten machte er das Zeichen des heiligen
Kreuzes6. Nach Angabe des Erzählers war das Bild, das in einer rota gypsea, in einem
Medaillon aus Gipsstuck, angebracht war, noch zu Lebzeiten des Papstes entstanden.
Bild 62.
Hl. Ambrosius.
Mosaik. Mailand, S. Satiro.
ist unter ihnen kein liturgisches, nicht ein-
mal ein spezifisch klerikales Gewand ver-
standen. Cassian belehrt uns, daß die Mönche
(Ägyptens) keine planeticae trugen, sondern
sich mit einem Umschlagtuch begnügten.
Die planeticae sind ohne Zweifel identisch
mit den planetae, welche Isidor von Sevilla
in seinen Mönchsregeln den Mönchen zu
tragen untersagt fc. 12 [M. 83, 882J).
' C. 151 192 (Mg. 87, 3018 3072).
2 Garr. IV. tav. 236.
3 Ebd. tav. 264. 4 Ebd. tav. 267.
5 Ioan. Diac. a. a. 0. 1. 4, n. S4 (M.
75, 231).
6 Besser ist vielleicht die Angabe des
Johannes Diakonus dahin zu berichtigen, es
habe der Papst mit der Rechten den Rede-
gestus gemacht. Redegestus und Segens-
gestus sind auf den altchristlichen Monu-
menten nicht oder kaum unterscheidbar.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
159
Aus dem 7. Jahrhundert entstammen die römischen Mosaiken in S. Agnese
fuori le Mura (Bild 64-, S. 160) und im Oratorium des hl. Venantius bei der lateranen-
sischen Taufkirche '. Auf jenen sind die Päpste Honorius I. und Symmachus, auf diesen
Johannes IV. mit seinem Nachfolger Theodorus, die heiligen Bischöfe Venantius und
Maurus und der Presbyter Asterius mit der Planeta ausgestattet.
Dem 7. Jahrhundert, vielleicht sogar dem 6., mag auch noch ein Fresko in der
Katakombe des Ponzian angehören, welches den hl. Vincentius als Priester in gelb-
brauner Planeta darstellt -. Ob und inwieweit die mit der Planeta bekleideten
Bilder der heiligen Päpste Kornelius und Sixtus II. und der heiligen Bischöfe Cyprian
und Optatus in der Korneliusgruft , wie Wilpert will, noch dem 6. Jahrhundert zu-
zuschreiben sind, mag auf sich beruhen bleiben '.
Der Umstand, daß die Bischöfe und Priester auf den italienischen Bildwerken
des 6. und 7. Jahrhunderts regelmäßig in der Planeta dargestellt sind, läßt keinen
Zweifel daran übrig, daß diese damals in Italien zur liturgischen Tracht gehörte.
Bild 63. Kaiser Justinian mit Erzbischof Maximian und Gefolge.
Mosaik. Ravenna, S. Vitale. (Phot. Alinari.)
In der Folge ist es ja allgemeine Sitte, die Kleriker auf den Bildwerken in den
Gewändern darzustellen, welche am meisten den jeweiligen Weiherang der abzubildenden
Personen kennzeichnen, d. i. in den liturgischen. Warum sollen wir also für das 6. und
7. Jahrhundert eine andere Darstellungsweise annehmen ?
Außerdem sind ja auch die Päpste und Bischöfe der römischen und ravenna-
tischen Mosaiken über der Dahnatik und der Planeta mit dem Pallium ausgerüstet.
Dieses aber galt nach römischer Anschauung als durchaus liturgisches Ornatstück 4.
Haben wir aber das Pallium, mit dem jene Personen versehen sind, als Sakralgewand
anzusehen, warum dann nicht auch ihre Planeta?
1 Garr. IV, tav. 272 274; besser bei
de Rossi, Mus. fasc. 3 4 13 14.
- Wilp., Kat. TM 258.
3 Ebd. TA 256; dazu. Textband 502 f. Was
hier Wilpert zur Begründung seiner Ansicht
anführt, ist wohl nicht ausreichend, um die
Fresken der zweiten Hälfte des 6. Jahrhun-
derts zuschreiben zu können. Die Fransen
an den Ärmeln und der Seite der Dahnatik
scheinen vielmehr auf eine spätere Zeit hin-
zuweisen.
4 Vgl. das Kapitel über das Pallium.
160
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Dazu kommt, daß die Päpste und Bischöfe auf den musivischen Darstellungen,
wenn sie auch nirgends bei einer liturgischen Funktion beschäftigt sind, so doch das
Evangeliar oder das Kreuz tragen. Es weist das darauf hin, daß wir sie uns nicht
als im alltäglichen Leben sich bewegend, sondern so zu denken haben, wie sie bei
den heiligen Amtsverrichtungen zu erscheinen pflegten, d. i. in ihren Sakralgewändern,
und daß also auch die Planeta zu denselben zählte.
Nehmen wir endlich hinzu, daß im 8. Jahrhundert die Planeta in Rom Sakral-
kleid war, daß sie in Spanien als solches schon für das 7. Jahrhundert bezeugt ist,
daß in Gallien der Amphibalus selbst schon im 4. Jahrhundert bei der Feier der
Liturgie verwendet wurde, und beachten wir weiterhin, daß nach römischer Sitte zum
Feieranzug stets ein Obergewand gehört und darum auch die Bischöfe im 6. und
7. Jahrhundert nicht ohne solches zelebriert haben werden, dann ist es kein Zweifel, daß
die Planeta auf den mailändischen, römischen und ravennatischen Mosaiken, welche die
Päpste und Bischöfe als planetati darstellen, die beim
Gottesdienst gebräuchliche Planeta wiedergibt.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergibt sich,
daß wenigstens schon um die Wende des 4. Jahr-
hunderts die Planeta (die Kasel, der Amphibalus) in
der Westkirche als Obergewand in liturgischen Dien-
sten stand, allerdings nicht ausschließlich, wie heut-
zutage. Denn Laientracht war sie verschiedenenorts
noch gegen 600, wenn nicht noch länger. Als Mönchs-
tracht begegnet sie uns im 6. Jahrhundert in Afrika
und noch im 9. Jahrhundert bei Johannes Diakonus.
Einen Teil der gewöhnlichen klerikalen Tracht bildete
sie aber, wenn auch vielleicht nicht überall im Abend-
land, noch im 8. Jahrhundert, wie aus einer Verord-
nung des deutschen Nationalkonzils vom Jahre 742
und dem 3. und 8. Kapitel der Regel Chrodegangs
hervorgeht.
Das deutsche Nationalkonzil, welches unter dem Vor-
sitz des hl. Bonifatius gefeiert wurde, bestimmt, es sollten
die Priester und Diakone nicht wie die Laien das sagum,
sondern Kasein nach Sitte der Diener Gottes (ritu servorum
Dei), d. i., wie aus der Einleitung der Synodalakten hervor-
geht, der Kleriker, tragen '. Das 3. und 8. Kapitel der Regel
Chrodegangs aber besagen 2: Wer aus dem Klerus innerhalb
der Klausur einen Kleriker bei sich habe — nämlich zur Bedienung — , der solle dafür
sorgen, daß dieser eine Planeta samt den übrigen Gewändern besitze, damit er an Sonn-
und Festtagen in der ihm geziemenden Tracht im Gotteshause sich einfinden könne ; die
Kleriker aber, welche außerhalb des Klosters in der Stadt ihren Aufenthalt hätten,
sollten an allen Sonntagen mit der Planeta bzw. ihren Amtskleidern gemäß
dem 0 r d o r o m a n u s zum Kapitel kommen. Die letzte Bestimmung ist darum
besonders interessant, weil sie zeigt, daß auch nach römischem Brauche da-
mals die Planeta ihren außerliturgischen Charakter noch nicht ganz verloren hatte.
Bild 64. Papst Honorius I
Mosaik. Rom, S. Agnese.
(Nach de Rossi.)
IV. DIE KASEL BEI DEN SUBDIAKONEN UND MINORISTEN.
Als liturgisches Gewand befand sich im 8. und 9. Jahrhundert und zum
Teil noch längere Zeit nachher die Kasel nicht bloß im Dienst des zelebrie-
renden Priesters, sondern überhaupt aller Kleriker. Sie war demnach in jener
1 C. 7 (M. G. Conc. II, 4).
2 Ebd. 1100 1102. Vgl. auch das S. 153 über den klerikalen Amphibalus Gesagte.
Erstes Kapitel. Die Kasel: 161
Zeit im Unterschied von der späteren Praxis noch nicht ausschließlich priester-
liches Meßgewand. Die Sache mag heute auffallend erscheinen ; sie ist aber,
wenigstens für die römische Kirche bzw. den römischen Ritus, nicht zu
bezweifeln.
Den Beweis liefern die römischen Ordines. Man durchgehe nur den 1. Ordo
Mabillons. Da empfängt nach dem Evangelium der subdiaconus sequens das Evan-
gelienbuch und reicht es dem Zelebranten zum Kusse hin , indem er es vor seiner
Brust auf der Planeta hält; derselbe Subdiakon nimmt später die Patene, die bis
dahin der Akolyth getragen , super planetam , der Kegionarsubdiakon aber hat die
Mappula des Pontifex, bevor er sie diesem übergibt, auf dem linken Arm über der
zurückgerollten Planeta liegen. Als liturgisches Kleid der Akolythen erscheint unser
Gewand im 1. Ordo, wenn es heißt: „Derjenige, welcher das Evangelium lesen wird,
bereitet das Evangeliar nach Brechung des Siegels — das Evangelienbuch befand sich
in einem versiegelten Behälter — auf der Planeta eines Akolythen, oder, wenn es
wegen größerer Bücher notwendig sein sollte , während zwei Akolythen es auf den
Planeten halten." Auf seiner Planeta trägt ferner ein Akolyth das Evangeliar, das
für die Lesung zurecht gemacht war, zum Altar ; auf der Planeta hält er später auch
den Scyphus , ein größeres , becherartiges Gefäß , in welches der Opferwein gegossen
wurde. Als liturgisches Gewand der Diakone erscheint die Planeta im 1. Ordo nicht;
diese tragen sie zwar, wenn sie mit dem Pontifex zum Altare ziehen ; sind sie aber
im Presbyterium angekommen, so müssen sie dieselbe ablegen (priusquam veniant
ante altare, diacones in presbyterio exmmtur planetis). Dagegen ist der Primicerius
nach dem 1 . Ordo mit der Planeta ausgestattet 1.
Als liturgisches Kleid des Subdiakons erscheint die Planeta auch noch im
2. Ordo 2 mehrfach und einmal wohl eingangs des 3. Ordo 3. Als Sakralkleidung des
Akolythen begegnet sie uns im 2. Ordo einmal \ im 3. aber gar nicht. Nach dem
St Gallener Kleiderkatalog b bildet die Planeta einen Teil der liturgischen Kleidung
des Papstes, der Hebdomadarbischöfe und der römischen Presbyter. Der Diakon trägt
sie nur, usque dum venitur presbyterio, wo ein Akolyth sie ihm abnimmt. Unter der
Gewandung des Subdiakons wird sie allda nicht mehr genannt, wohl aber dem Akolythen
mit dem Bemerken zugeschrieben, wenn er am Lesepult psalliere, habe er sie
abzulegen (et quando in gradu psallitur, planeta abstollitur). Auch der 1. Ordo sagt
bezüglich des Klerikers, der am Karsamstag nach der Kerzenweihe die Lektionen zu
singen hatte 6 : Lector exuit se casula. Aus dem 8. Ordo ersehen wir, daß den Ako-
lythen die Planeta bei der Weihe angezogen, den zu Diakonen zu Ordinierenden aber
bei derselben ausgezogen wurde ''.
Wie lange in der römischen Kirche die Gepflogenheit sich erhalten habe,
die Akolythen und Subdiakone bei der heiligen Messe mit Kasein bekleidet
amtieren zu lassen, läßt sich nicht genau bestimmen. Bei den Subdiakonen
hörte sie auf, das gewöhnliche liturgische Obergewand zu sein, seitdem
dieselben nach Weise der Diakone mit einer besondern Obertunika, der
späteren Tunicella, ausgestattet zu sein pflegten. Wir haben uns diesen Wechsel
indessen wohl nicht so zu denken, als ob die Sache mit einem Schlage ge-
ändert worden wäre. Wahrscheinlich vollzog er sich in der Weise, daß zu-
nächst den Subdiakonen nur für bestimmte höhere Feste die der Dalmatik
ähnliche Obertunika anstatt der Planeta zugestanden, dann aber ihnen deren
Verwendung allmählich auch für andere Tage gestattet wurde, bis das Gewand
zuletzt das gewöhnliche Obergewand der Subdiakone an Stelle der ihnen vor-
dem eigenen Kasel geworden war.
1 N. 5 7 8 10 13 17 20 (M. 78, 939 ff). 4 N. 2 (ebd. 969). 5 Ebd. 985.
2 N. 3 8 (ebd. 969 972). p N. 40 (ebd. 955).
3 N. 5 (ebd. 978). " N. 1 3 (ebd. 1000 1001).
Braun, Die liturgische Gewandung. 11
162 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Um das Ende des 8. und den Beginn des 9. Jahrhunderts war die
Planeta in Rom noch das gewöhnliche Amtskleid der Subdiakone. Denn so
muß noch Amalar bei seinem damaligen römischen Aufenthalt die Lage der
Dinge gefunden haben, da er in seiner Darstellung des römischen Ritus schreibt,
es komme die Kasel allen Klerikern insgemein zu. Der Wechsel scheint etwa
seit der Mitte des 9. Jahrhunderts vor sich gegangen zu sein. Jedenfalls war
er um die Wende des Jahrtausends schon vollendete Tatsache geworden.
Doch auch bei den Akolythen hat der Gebrauch der Kasel das erste
Jahrtausend, wie es scheint, kaum überdauert. Wir hören allerdings von
ihr als der Tracht der Leuchter- und Weihrauchfaßträger noch im 6. Ordo K
Ebenso tragen noch nach dem von Hittorp herausgegebenen Ordo officiorum
eine Kasel die Akolythen, welche nach der Feier am Gründonnerstag die
Altäre entblößen 2. Allein es ist sehr unsicher, ob und inwieweit der 6. Ordo
und der Ordo officiorum in dieser Beziehung nicht bloß den außerrömischen,
sondern auch den römischen Brauch wiedergeben.
Daß im 9. Jahrhundert auch außerhalb Roms die Kasel den Mino-
risten als liturgisches Bekleidungsstück diente, erfahren wir mit aller Be-
stimmtheit von Amalar, der sie als das generale indumentum bezeichnet und
von ihr sagt: pertinet generaliter ad omnes clericos3. Seine Angabe erhält
eine Bestätigung durch eine interessante Notiz der „Geschichte der Über-
tragung der heiligen Märtyrer Chysanthus und Daria" , die vielleicht ein
Werk Markwards von Prüm (f 853) ist, jedenfalls aber der Zeit der Trans-
latio unter Lothar im Jahre 844 nahe steht. „Es ist Ortsgebrauch", so lesen
wir hier, „daß auf Ostern die Kleriker bei den Vespern dieselbe Kleidung tragen,
die sie sonst bei der Messe anziehen. Nun geschah es, daß der custos — der
Kleriker, der die Küsterdienste versah — , nach Sitte wie die andern gekleidet,
in die Kirche ging, um die Lampen anzuzünden. Als er aber etwas unvorsichtig
zu Werke ging und unter den Lampen stand, floß das Ol einer derselben
heraus und beschmutzte einen Teil der Planeta, mit der er gerade be-
kleidet war."1 Der Ortsgebrauch bestand darin, daß Ostern alle Kleriker
auch bei dem Abendgottesdienst die Planeta trugen, nicht aber darin, daß an
diesem Tage auch die niedern Geistlichen sich ihrer bei der Messe bedienten.
Das erscheint in der Erzählung vielmehr als etwas Gewöhnliches.
Es muß außerhalb Roms selbst noch im 10. und 11. Jahrhundert ver-
schiedenenorts die Kasel bei den Akolythen in Gebrauch gewesen sein. Der
viel verbreitete 6. Ordo und der Ordo vulgatus officiorum Hittorps bekunden
das. Es waren indessen wohl meist nur außergewöhnliche Gelegenheiten, bei
denen jene die Kasel anzogen. So ist in einem Pontifikale von Poitiers, das
Martene dem 10. Jahrhundert zuschreibt, in den Rubriken der Olweihe am
Gründonnerstag von einer Planeta der Akolythen die Rede : Subdiaconus tradit
(ampullam) acolytho, qui super lineam indutus planeta rotunda atque mun-
dissima desuper sindone amicitur5. Eine andere Gelegenheit waren die Kar-
freitagszeremonien und die Entblößung der Altäre am Gründonnerstag 6.
1 N. 1 (M. 78, 989). * Hist. Translat. SS. mm. Chrys. et Dar.
2 Hitt. 64 68. n. 27 (A. SS. 0. S. B. IV 1 ; V 582).
3 De ecclesiast. off. 1. 2, c. 19 (M. 105, 5 Marl 1.4, c. 22; III 106.
1095); cf. 1. 3, c. 15 (ebd. 1122): Ministri " Vgl. auch bei Warren, Leofric Missal
casula se exuunt, quando lectoris sive can- 261 die Rubriken für Gründonnerstag und
toris officium assumunt ... albam sine casula Karfreitag, eine Interpolation des 11. Jahr-
portat lector seu cantor in singulari officio. hunderts.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 163
Auch war es nach dem 6. Ordo noch hie und da Brauch, daß an Fest-
tagen alle im Chor Anwesenden Kasein trugen : Et cum tintinnabulum ad
tertiam sonuerit, omnes simul f rat res in chorum ordinatim con venire
debent, humeralibus et albis, apud quosdam autem casulis induti.
V. DIE KASEL BEI DEN DIAKONEN.
Die Verwendung der Planeta von seiten der Diakone war schon vor
dem 5. Jahrhundert, d. i. seitdem die Dalmatik ihr Amtsgewand geworden,
in Rom natürlich nur mehr Ausnahme. Wohl trugen auch sie die Kasel
auf dem Wege zur Kirche, ja selbst noch auf dem Wege zum Altare. Doch
mußten sie das Gewand, sobald sie ins Presbyterium eintraten, ausziehen und
es dem Regionarsubdiakon geben, der es seinerseits wieder den Akolythen
der Regio anvertraute, aus der die Diakone kamen '.
Beim Gottesdienst selbst trugen die römischen Diakone die Planeta nur
an bestimmten Tagen. Doch erhellt aus den Ordines nicht hinreichend,
wann und nach welcher Regel solches geschah. Nach dem von Duchesne
herausgegebenen Ordo waren die Diakone bei der Bittprozession am Licht-
meßtage mit planetae nigrae ausgestattet; bei den großen Litaneien und bei
der Kai freitagsfeier erscheinen sie nach demselben in planetae fuscae2. Allem
Anschein nach wurde gerade wie später so auch schon im 8. Jahrhundert
die Kasel von den römischen Diakonen nur noch in der Fasten- und Advents-
zeit sowie an andern Bußtagen getragen.
Außerhalb Roms bestand die Sitte, wonach Diakon und Subdiakon
an Fasttagen, wofern auf dieselben kein Fest fiel, sich der Kasel statt der
Dalmatik bedienten, sicher hie und da bereits im 9. Jahrhundert. Denn
sowohl Amalar Avie Pseudo-Beda und Pseudo-Alkuin bezeugen, daß der Diakon
an bestimmten Tagen die Kasel statt der Dalmatik trage3. Immerhin kann
diese Gepflogenheit im 9. Jahrhundert außerhalb Roms nicht sehr verbreitet
gewesen sein. Sagt nämlich Amalar, daß der Diakon an einigen Orten
von Septuagesima an und in der Adventszeit die Dalmatik nicht gebrauche4,
so folgt daraus, daß sich die Diakone zu seiner Zeit für gewöhnlich auch
in dieser Zeit der Buße der Dalmatik und nicht der Kasel zu bedienen pflegten.
Wo der Brauch in Übung stand , war er sicher aus dem römischen Ritus
herübergenommen. Unter der Herrschaft des gallikanischen Ritus hatten im
Frankenreiche die Diakone in der Fastenzeit pro humiliatione die Stola aus-
gelassen.
Die römische Auffassung, wonach die Dalmatik (und entsprechend die
subdiakonale Tunicella) Gewänder sind, welche Freude und festliche Stimmung
atmen und daher für gewisse Tage als nicht passend erachtet wurden, brach
sich seit dem 11. Jahrhundert immer mehr Bahn. Die Praxis, wie sie damals
hinsichtlich des Gebrauches von Kasel bzw. Dalmatik und Tunicella an vielen
1 Ordo 1, n. 8 und Ordo 5, n. 3 (= S. G. K.) sehen mußten (De offic. div. c. 7 18 [M. 101,
(M. 78, 941 985). 1181 1208]), desgleichen den Ordo vulgatus
2 Orig. 468 474 479. Vgl. auch die An- bei Hitt. 24 (Lichtmeß) und 71 (Karfreitag),
gaben Pseudo-Alkuins . nach welchen Ponti- 3 Amalar. , De offic. eccles. 1. 2, c. 21
fex und Klerus am Lichtmeßtag zur Bitt- (M. 105, 1097). Pseudo- Alcuin, De offic.
prozession schwarze Kleider anlegen und am div. c. 89 (M. 101, 1243). Pseudo-Beda,
Karfreitag der Archidiakon und die Dia- De Septem ordinibus (M. 94, 555).
kone sich zur Abhaltung der gottesdienst- 4 De offic. eccles. 1. 1, c. 1 ; 1. 3, c. 40 (M.
liehen Funktionen mit planetae fuscae ver- 105, 996 1159).
11*
164 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Orten beobachtet wurde, beschreibt uns Johannes von Avranches mit den
Worten: „Im Advent und von Septuagesima bis Gründonnerstag, ferner an
den Quatembertagen und bei Totenfeierlichkeiten sollen Diakon und Subdiakon
Kasein anziehen, falls jedoch ein Festtag einfallen sollte, desgleichen am
Gründonnerstag und Karsamstag Dalmatik und Tunicella." !
Allgemein war übrigens der Brauch im 11. Jahrhundert noch keines-
wegs. Denn der Verfasser des Micrologus, wahrscheinlich Bernold von Kon-
stanz (f 1100), bemerkt hinsichtlich desselben ausdrücklich: Quidam infra ad-
ventum Domini casulis pro dalmaticis utuntur, quidam more solito vestiuntur.
Im Kapitel De septuagesima schreibt er allerdings einfachhin : Abbin c usque
in coenam Domini Te Deum, Gloria in excelsis, Ite missa est, item dalmaticae
et subdiaconalia antiquo more dimittuntur 2. Auch Gilbert von Limerick,
der um dieselbe Zeit lebte, läßt die Diakone bloß in der Fastenzeit sich der
Kasel anstatt der Dalmatik bedienen 3. Man unterschied also an verschiedenen
Orten in Bezug auf die Benutzung von Dalmatik und Tunicella bzw. Kasel
seitens der Diakone zwischen Advent und Fastenzeit und verbannte nur in
letzterer, als der Zeit größeren Bußernstes, die Dalmatik und Tunicella aus
dem Gebrauch.
In den noch immer sehr unvollständigen Pontifikalien und Missalien
des 11. und 12. Jahrhunderts findet sich selten eine Notiz über den Gebrauch
der Kasel statt der Dalmatik und Tunika. Höchstens daß in den Rubriken
für die Lichtmeßprozession und den Karfreitag sich darüber ein Vermerk findet.
Bei Rupert von Deutz ist es schon allgemeine Sitte, daß man im Advent
(und natürlich um so mehr in den Fasten) Dalmatik und Tunicella nicht ge-
brauchte, während er von der Kasel allerdings mit einer, doch wohl nur zeit-
lichen Einschränkung sagt: Utuntur autem interdum casulis4. Ein halbes
Säkulum später spricht aber Robert Paululus von der Gepflogenheit, an Buß-
tagen statt der Dalmatik und Tunika die Kasel zu tragen, ohne Einschränkung5.
Jedenfalls war dieselbe den Ausführungen zufolge, welche ihr Durandus an-
gedeihen läßt, gegen Ende des 13. Jahrhunderts überall in Übung.
Der Verfasser des Eationale führt eine Reihe von mystischen Gründen an,
warum der Diakon und der Subdiakon in der Fasten- und Adventszeit nicht Dalmatik
bzw. Tunicella tragen, sondern statt deren die Kasel anlegen c.
Unter anderem bemerkt er, es geschehe das, um anzudeuten, es seien die Ministri
des Priesters in jenen Tagen zu derselben Vollkommenheit verpflichtet , wozu dieser
überhaupt; dann auch, um darauf hinzuweisen, daß Diakon und Subdiakon aus Liebe
dienen sollen , da ja die Kasel die charitas versinnbilde, nicht aber aus Furcht , wie
es im Alten Bunde, dem Gesetze der Furcht, der Fall gewesen, zumal aber zur Zeit
des Fastens, das, ohne Liebe geübt, ohne Verdienst bleibe.
Des Durandus Auslegungen sind nichts als mystische Spekulationen. Über den
wirklichen geschichtlichen Ursprung des Brauches geben sie keinen Aufschluß.
Einen verständigeren Versuch , ihren Grund zu erklären , hatte schon vorher
Rupert gemacht. Er meint, es sei nicht als geziemend angesehen worden, daß die
Ministri , welche in den Bußzeiten sich der Dalmatik und Tunicella nicht bedienen
dürften, an den Sonntagen und an den einfallenden Festen immuniti, wie er kurz vor-
1 De offic. eccles. (M. 147, 38). Vgl. auch sagen, daß man die Kasel nur an jenen Tagen
Warren, Leofric Missal 261. der Adventszeit gebrauche, an denen ein
2 Micrologus c. 30 47 (M. 151, 1003 1012). Fest bzw. ein Sonntag einfalle.
3 De statu eccl. (M. 1-59, 1000). 5 De caerim., sacram. et offic. eccles. 1. 3,
< De div. offic. 1. 3, c. 2 (M. 170, 58). Mit c. 8 9 (M. 177, 442).
dieser letzten Bemerkung will Rupert wohl c L. 2, c. 9; 1. 3, c. 11 : f. 57 74 75.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 165
her bemerkt, d. i. ohne Obergewand dem Priester am Altare dienten, und darum habe
man ihnen denn für die Zeit der Buße zum Ersatz gestattet , die Kasel zu tragen.
Allein auch diese Deutung ist, wenn ihr auch ein richtiger Gedanke zu Grunde
liegt , nicht befriedigend. Eine eigentümliche Erklärung versucht de Vert , ein
geschworener Feind aller mystischen Deutung, der alles, Zeremonien wie Gewänder,
lediglich aus rein praktischen Veranlassungen herleitet '. Ihm sind die Stationen die
Ursache für die Einführung des fraglichen Gebrauchs. Da diese nämlich , meint er,
in Zeiten fielen, in welchen es an schlechtem, unfreundlichem Wetter und häufigen
Regenschauern nicht fehle , so hätten die Diakone , welche an ihnen teilzunehmen
hatten, es vorgezogen, Dalmatik und Tunika zu Hause zu lassen und sich der Kasel
als eines schützenden Mantels zu bedienen. Die Folge hiervon sei aber gewesen, dafä
sie sich auch bei der Messe in der Stationskirche dieses Gewandes hätten bedienen
müssen, da sie ja doch nicht wohl Dalmatik und Tunika hätten mitnehmen können.
So aber sei es nach und nach Sitte geworden , dafä die Ministri in der Fasten- und
Adventszeit Kasein trügen. Comme un homme , fügt er zur Erklärung hinzu , mar-
chant par la pluie dans les rues en gros manteau, s'en servirait aussi dans ses visites
et ne penserait pas ä faire porter avec lui son habillement ordinaire. Die Erklärung
de Verts ist nicht zutreffend. Denn erstens trugen die Diakone die Planeta, so oft
sie mit dem Pontifex sich zur Kirche begaben, und nicht bloß bei schlechtem Wetter.
Zweitens aber hatten sie nach dem 1. Ordo vor der Messe die Kleider, welche sie
während des Zuges zum Gotteshause getragen, mit andern zu vertauschen.
Der richtige Grund wird, wie schon vorhin angedeutet wurde, in dem
Umstand zu suchen sein, daß die Tage, an welchen die Diakone eine dunkel-
farbige Planeta trugen, den Charakter der Trauer und der Buße besaßen.
Wenn bei den Römern weiße Kleider als Ausdruck der Freude und festlicher
Stimmung, als Zeichen der Trauer aber vestes pullae galten, und wenn man
deshalb nach römischer Sitte im gewöhnlichen Leben bei Gelegenheiten, die
einen Trauercharakter hatten, eine toga pulla oder ein pallium pullum an-
legte, so mochte es nicht angezeigt erscheinen, daß die Diakone an Buß-
tagen in ihrem Festgewand, der weißen, mit den Purpurclavi versehenen
Dalmatik, amtierten. Es mußte vielmehr als passender betrachtet werden,
daß sie sich dann bei ihren Funktionen statt der lichten Tunika eines den
Ernst der Zeit verkündenden Obergewandes, also nach Lage der Dinge einer
planeta fusca (nigra) bedienten. Eine solche trug ja auch, wie wir aus
dem Ordo Duchesnes und den Angaben Pseudo-Alkuins2 ersehen, zum Aus-
druck der Bußstimmung der Pontifex. Es hätte sicher wenig gepaßt, wenn
der Pontifex und alle andern Kleriker in dunkler Trauergewandung, die Dia-
kone aber in ihrer weißen, mit den roten Clavi versehenen Dalmatik er-
schienen wären. Daher also wohl die römische Gepflogenheit, daß der Diakon
an Bußtagen eine dunkelfarbige Kasel trug.
Der Brauch, wonach Diakone und Subdiakone an bestimmten Tagen
sich der Kasel statt ihrer gewöhnlichen Gewänder bedienen sollen, erhielt sich
das ganze Mittelalter und wurde auch in das römische Missale und in das
Caeremoniale der Bischöfe aufgenommen, wenngleich mit der Beschränkung
auf die Kathedralen und sonstige hervorragende Kirchen3. Doch dürfte er
auch vorher wohl kaum in kleineren Kirchen allgemein in Übung gestanden
haben.
1 Explicatiou p. 309, note b. welchen auch die Diakone sich ihrer zu be-
2 S. obenS. 163, Anm. 2. Als die Subdiakone dienen pflegten, und zwar aus dem gleichen
eine besondere, der Dalmatik ähnliche Amts- Grund, aus dem diese sie dann trugen.
tunika bekamen, behielten sie den Gebrauch 3 Rubr. general. XIX, n. 6 7. Caerem. episc.
der Planeta natürlich an den Tagen bei, an 1. 2, c. 13, n. 9; 18, n. 3.
166
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
VI. ANLEGUNGSWEISE DER KASEL BEI DEN DIAKONEN, SUB-
DIAKONEN UND AKOLYTHEN. DIE PLANETA PLICATA.
Nach dein römischen Missale tragen Diakon und Subdiakon, wie früher
ausgeführt wurde, die Kasel an den Tagen, an welchen sie sich ihrer ab-
weichend von der gewöhnlichen Ordnung statt der Dalmatik und Tunicella
bedienen, nicht wie der Priester, sondern in Form der planeta plicata. Dieser
Brauch stammt nicht erst aus neuerer Zeit, sondern ist ein Erbe aus alten
Tagen. Im 14. Jahrhundert erwähnt ihn der 14. römische Ordo, in der
zweiten Hälfte des 13. Durandus, welch letzterer zugleich nach seiner Weise
weitläufig erörtert, was es bedeute, wenn Diakon und Subdiakon die Kasel
vorn über die Arme hinaufhöben, anstatt sie nach Weise der Priester rechts
und links auf ihnen zusammenzufalten, warum der Subdiakon die Epistel
ohne Kasel singe, der Diakon aber die seinige vor dem Evangelium nach
Art der Stola umlege und erst gegen Ende der Messe sich wieder in der
anfänglichen Form mit dem Gewand bekleide. Im 12. Jahrhundert reden
Honorius und Robert Paululus von ihm, im 11. Johannes von Avranches1, um
den Beginn des 11. die Consuetudines Farfenses2, in der zweiten Hälfte des 10.
die Concordia regularis St Dunstans. Hie aütem mos casularii tantummodo
quadragesimali et quattuor temporibus usu praecedentium patrum observetur:
subdiaconus quoties casula induitur, exuat eam dum legit epistolam, qua leeta
rursus ea induatur. Diaconus vero ad evangelium legendum exuat casulam
et duplicans eam circumponat sibi in sinistra scapula, annectens alteram sum-
mitatem eius cingulo albae. Peracto communionis sacramento induat eam ante-
quam collecta finiätur3, sagt beispielsweise St Dunstans Concordia. Es ist
im wesentlichen die gleiche Praxis, wie sie uns später bei Durandus, im
14. Ordo und im römischen Missale begegnet, nur daß nicht angegeben wird,
wie der Diakon vor dem Evangelium und nach der Kommunion und der Sub-
diakon vor und nach der Epistel ihre Kasel zu tragen pflegten. Bemerkens-
wert ist, daß die Concordia den Brauch als aus der Väter, d. i. früherer Zeit,
stammend bezeichnet. Wirklich läßt er sich bis in die Frühe des 9. Jahr-
hunderts nachweisen. Diaconus, qui non est indutus dalmatica, casula legit
circumcinctus, ut expedite possit ministrare . . ., ipsa habet pertusas subtus
alas, quoniam Christum vult imitari, qui lancea perfossus est in latere et vult,
ut nos sequamur eius vestigia, quod significat pertusus in latere, sagt Amalar4.
Was er mit der letzten Bemerkung meint, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich
1 M. 147, 34 38.
2 Albers, Consuet. Farf. 27.
3 M. 137, 488.
4 L. 4, c. 21 (M. 105, 1097) : Schon Pseudo-
Alkuin scheint mit den Worten: Ipsa pertusas
habet subtus alas etc. nicht viel haben an-
fangen können ; denn er hat nur den ersten
Teil der Stelle aus Amalar aufgenommen.
Pseudo-Beda hat auch den zweiten aus-
geschrieben, dabei jedoch die Worte Amalars
zu verdeutlichen gesucht. Er schreibt: «Bis-
weilen liest der Diakon, umgeben (circum-
datus) mit einer Kasel, auf daß er frei zur
Verkündigung des Evangeliums hinzutreten
oder den Tisch des Herrn bereiten könne.
Die Kasel ist aber an der rechten Seite offen,
wo der Arm herausgesteckt werden soll, weil
der Urheber des Evangeliums, den der Dia-
kon nachahmen soll , an der rechten Seite
mit der Lanze durchbohrt wurde." Amalar
hat vielleicht sagen wollen , daß die Kasel
im Gegensatz zur Dalmatik wie ein Gewand
aussehe, das an den Seiten aufgeschlitzt sei,
Pseudo-Beda aber, daß sie den rechten Arm
des Diakons völlig frei lasse, wenn dieser sie
zusammengefaltet auf der linken Schulter
trage. Es liegt kein Grund vor, die Worte
beider auf wirkliche, zum Zwecke des Durch-
steckens der Arme im Gewand angebrachte
Schlitze zu deuten, zumal der römische Brauch,
den Amalar wie Pseudo-Beda wiedergeben,
allem Anschein nach solche nie gekannt hat.
Erstes Kapitel: Die Kasel.
167
denkt er daran, daß die Kasel, wenn sie auf den Armen aufgerollt war, im
Gegensatz zu der mit Ärmeln versehenen Dalmatik, an den Seiten gleichsam
offen war. Aber auch der Sinn des circumcinctus, „umgürtet", liegt keines-
wegs allzu offen am Tage. Indessen gibt Amalar selbst in seiner zweiten
Vorrede zur Schrift De ecclesiasticis officiis einen Kommentar zu der eben
angeführten Stelle, der an Deutlichkeit kaum etwas zu wünschen übrig läßt 1.
Hiernach geschah das circumcingere in der Weise, daß sich der Diakon beim
Alleluja (nach dem Graduale) seiner Planeta entledigte, dann die Stola und mit
ihr zugleich die Planeta hinter dem Rücken her
unter den rechten Arm zog und so beide bis gegen
Ende der Messe beließ. Nach dem ersten Ordo
legte der Diakon die Kasel schon etwas vorher in
dieser Weise an, nämlich nach Schluß der Oration:
Igitur diaconus, quando dixerit (sc. pontifex): Per
omnia saecula saeculorum post Gloria in excelsis
Deo, levant (sie) planetas in scapulas2. Von dem
Subdiakon heißt es im Anschluß an diese Worte:
Similiter et subdiaconi levant, sed cum sinu; sub-
diaconus vero de schola statim ubi imposuerit anti-
phonam ad introitum levat planetam cum sinu.
Ähnlich der 2. Ordo 3. Es zogen also auch die Sub-
diakone die Kasein auf die Schulter hinauf, jedoch
so, daß sich bei ihnen (vorn) ein tief herabhängen-
der Faltenbausch (sinus) bildete. Seinen Grund
hatte das wohl in dem Umstand, daß die Sub-
diakone die heiligen Geräte und Bücher, wie die
Patene, das Evangeliar u. ä., eben mittelst der Pla-
neta anfassen mußten. Über die Weise, in welcher
die Lektoren und übrigen niedern Kle-
riker die Kasel trugen, lassen uns Ordines wie
Liturgiker völlig im dunkeln. Das einzige, was
wir von ihnen vernehmen 4, ist, daß wie die Sub-
diakone vor Absingung der Epistel, so sie vor
Vornahme der Lesung die Kasel ausziehen mußten.
Auch die Bildwerke geben uns keinen befriedigen-
den Aufschluß. Denn der mantelartige Umwurf,
den wir auf der schon früher erwähnten Miniatur
des Sakramentars von Autun mit der Darstellung
der verschiedenen Weihestufen (vgl. Bild 24, S. 62)
bei dem Lektor, Exorzist, Akolyth und Ostiarius über deren Albe gewahren,
ist wohl nicht eine Kasel in der Form, in der sie die Diakone vom Evangelium
an anzulegen pflegten, sondern die Sindon, mit der jene Kleriker die Opferkelche,
die Patene, die Wasserkrüge und das sonstige Opfergerät zu halten hatten5.
Bild 65. Elfenbeintafel.
Frankfurt, Stadtbibliothek.
1 Amalar., Praefatio altera (M. 105, 992):
Quando versus de Alleluia canitur, exuit se
planeta diaconus stolamque post tergum ducit
subtus alam dexteram una cum planeta et
parat se ad ministrandum ac in eo habitu
perseverat usque dum Apostolicus recesserit
de altari.
- N. 51 (M. 78, 960).
3 N. 3 (ebd. 969).
4 Ordo 1, n. 40 (ebd. 955); Ordo 5, n. 3
= S. G. K. (ebd. 985); AmaL, De off. eccl.
1.3, c. 15 (M. 105, 1122).
5 Man hat geglaubt, in dem Umwurf das
(Mantel-)Pallium sehen zu sollen, welches
auf altchristlichen Bildwerken so oft auftritt.
Indessen kann von einem solchen bei ihm
168
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Auf der Frankfurter Elfenbeintafel sind die Cantores nach Weise der Priester
mit der Kasel bekleidet (Bild 65, S. 167), doch mag dieselbe hier nicht
eine eigentliche Kasel, sondern, wenngleich mit Auslassung der Kapuze, die
dieser damals noch sehr ähnliche Cappa darstellen sollen. Denn auf dem
Gegenstück des Elfenbeins, der ehemaligen Spitzerschen , jetzt in englischem
Privatbesitz befindlichen Tafel, ist das fragliche Gewand in aller Deutlichkeit
mit einer Kapuze versehen (Bild 66). Freilich ist wie in andern Fällen, so
auch im vorliegenden unsicher, was zuletzt auf Rechnung der Wirklichkeit
und was auf die des Künstlers fällt. Halten wir
übrigens vor Augen, daß die Tätigkeit der Ako-
lythen beim Gottesdienst im 9. Jahrhundert sehr
verwandt war mit derjenigen der Subdiakone,
welche damals ebenfalls noch zu den Minoristen
zählten , so liegt der Schluß nahe , daß sie die
Kasel in ähnlicher Weise wie diese getragen haben.
Mußten sie doch auch, wie wir vorhin hörten, wenn
sie lasen, gerade wie diese bei der Epistel das
Gewand ablegen.
es sei die Kasel der Lek-
Man hat gesagt,
toren usw. kleiner
gewesen als die der Priester 1.
Wirklich mag sie hie und da geringere Maßverhält-
nisse gehabt haben als diese. So führt, um von
den Darstellungen des Frankfurter und Spitzerschen
Elfenbein abzusehen, auf welchen die Kasel bzw.
Cappa der Cantores merklich kürzer als die Kasel
des Bischofs ist, das Inventar von St-Riquier vom
Jahre 831 im Verzeichnis der Paramente einer
Nebenkirche casulae parvae sericiae 2 an2. Ob es
aber allgemein und namentlich zu Rom so gehal-
ten worden sei, ist mehr als fraglich. Man hat sich
freilich auf die Worte des 1. römischen Ordo be-
rufen: Parat evangelium, qui lecturus est, reserato
sigillo ex praecepto archidiaconi super planetam
acolythi et, si necesse fuerit propter maiora evan-
gelia, duobus acolythis super planetas tenentibus3.
Allein der richtige Sinn dieser Rubrik dürfte wohl
nur sein: Ist das Evangelium zu groß, als daß ein
Akolyth es bequem halten könnte, so sollen das
zwei tun, natürlich auf ihren Planeten. Wie dem
indessen sein mag, ein ganz kleines Gewand, eine
Art von bloßem Schultermäntelchen, waren die Kasein der Lektoren und
Akolythen jedenfalls nicht; denn die früher angeführten Stellen des 1. Ordo
setzen notwendig voraus, daß sie eine ziemliche Größe hatten.
Bild 66. Elfenbeintafel.
Kusthall House, Tunbridge (Wells)
England.
unmöglich die Rede sein. Denn im 9. Jahr-
hundert gab es unter den liturgischen Ge-
wändern, die doch auf der fraglichen Miniatur
zur Darstellung kommen , kein derartiges
Pallium. Was unter dem in Frage stehenden
Tuch zu verstehen ist, erhellt aus Du eh.,
Orig. 461 : Et veniunt acolythi . . . involuti
cum sindonibus et unus ex illis . . . tenens
patenam ... et alii tenentes seiffos cum fontes,
alii saecula (zur Aufnahme der sacrae species) .
1Hef, Beitr. II 201; Thalhofer I
883 u. a.
2 Chron. Cent. 1. 8, c. 8 (M. 174, 1261).
3 Ordo 1, n. 5 (M. 78, 940).
Erstes Kapitel. Die Kasel. 169
Die Gründe, welche den Brauch, mit dem wir uns bisher beschäftigten, veranlagten,
hat schon Durandus richtig erkannt, wenn er — freilich neben andern Erklärungs-
versuchen — meint, die Ministri trügen die Kasel in einer von derjenigen beim Priester
abweichenden Form , sowohl um sich von diesem besser zu unterscheiden , als auch
um ungehinderter ihren Dienst versehen zu können. Den letzten führt schon Amalar
an. Er war indessen nicht der Hauptgrund, das war vielmehr derjenige, den Durandus
an erster Stelle nennt. Denn wenn beim Mangel von Diakonen ein Priester als
Diakon fungierte, so behielt er, wie der 1. Ordo ausdrücklich anmerkt', die ganze
Zeit des Gottesdienstes seine Kasel in der gewöhnlichen Weise an , wiewohl es doch
auch für ihn bequemer gewesen wäre , das Gewand schärpenartig umzulegen. Der
Hauptgrund kann also nicht die Notwendigkeit gewesen sein, Unzuträglichkeiten, die
aus dem Gebrauch der Kasel für die Ministri entstehen konnten , durch eine andere
Anlegungsweise der letzteren vorzubeugen — ein Punkt, der ja auch zuletzt nur beim
Diakon zutraf — , sondern die Absicht, an den Tagen, an welchen alle beim Gottes-
dienst Beschäftigten in der Planeta amtierten , die Priester von den Sichtpriestern
äufserlich zu unterscheiden und die Diakone , Subdiakone , Lektoren usw. durch die
Art, wie sie die Kasel trugen, als solche zu kennzeichnen. Daneben mögen dann
freilich auch Rücksichten auf größere Bequemlichkeit auf die Bildung des Brauchs
von Einflufä gewesen sein.
Interessant ist die mystische Deutung, welche Amalar dem fraglichen Brauch
gibt, soweit dieser den Lektor oder Cantor betrifft. Das Amt des Lektors oder
Cantors , meint er , ist eine Art Kriegsdienst , und zwar treten diese Kleriker bei der
Lesung oder dem Absingen (des Responsoriimi nach der Lesung und des Tractus) in
einen Emzelkampf ; sie gehen aber, um ihres Dienstes zu walten, aus dem Chor heraus,
machen also gleichsam einen Marsch. Wer jedoch einen Marsch antritt, kann all die
frommen Werke nicht üben, welche durch die Kasel versinnbildet werden, und so also
ist es nach Amalar zu verstehen, weshalb Lektor und Cantor die Kasel ausziehen,
wenn sie die Lectio verlesen oder das Responsorium singen wollen. Es liegt auf der
Hand, daß diese Erklärung nur eine der vielen mehr oder minder gesuchten Deutungen
ist, die frommes Grübeln nachträglich zur eigenen oder fremden Erbauung erfunden
hat. Der geschichtliche Grund der fraglichen Gepflogenheit ist in ihr nicht gegeben.
VII. DIE KASEL IM LITURGISCHEN GEBRAUCH.
Wie die Kasel zur Karolingerzeit noch nicht ausschließlich priesterliches,
ja noch nicht einmal ausschließlich liturgisches Gewand war, so war sie noch
viel weniger schon ausschließlich Meßgewand. Sie wurde das erst seit der
Wende des Jahrtausends , als sich das Pluviale als liturgisches Gewand ein-
bürgerte und die Kasel, ausgenommen bei der Messe und den damit in Ver-
bindung stehenden Akten, zu ersetzen begann. Bis dahin erscheinen darum
auch die Priester und Bischöfe auf den Bildwerken stets in der Planeta,
gleichviel, bei welcher liturgischen Handlung sie dargestellt sind. Sehr in-
struktiv sind in dieser Hinsicht z. B. die Miniaturen des Sakramentars Drogos
von Metz (f 855) 2 und die mit liturgischen Szenen geschmückten Elfenbein-
platten vom Deckel des Sakramentars. Da sehen wir den Bischof bei der
Messe, bei der Erteilung der heiligen Weihen, der Konsekration der heiligen
Öle, der Segnung des Taufwassers und der Vornahme der Taufe, bei der Kircb-
weihe, bei der Erteilung der heiligen Ölung und bei Exorzismen ; überall trägt
1 N. 51 (ebd. 960). Etwas anders im Ordo trägt er aber auch hier die Planeta in gewöhn-
Duchesnes (Orig. 464), nach dem der Prie- licher Weise, wie aus den Worten: descendens
ster, welcher die Stelle des Diakons ver- de ambone induit se planita, erhellt,
tritt, wie dieser das Evangelium procinctus - Die Miniaturen bei Cahier, Ivoires
de planita singt. Beim weiteren Ministrieren 116 ff.
170
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
er die Kasel (Bild 67 u. 68). Belehrend sind auch die Miniaturen des Göttinger
Sakramentars, welche den Bischof bei der Spendung der heiligen Ölung, der
Verkündigung der Skrutinien und der Rekonziliation der Büßer darstellen a.
Auch hier tritt derselbe überall in der Kasel auf. Nur bei ein paar Dar-
stellungen des Drogosakramentars ist er mit der Cappa bekleidet. Es sind
die Spendung der Firmung (vielleicht besser die Salbung des Täuflings mit
dem Katechumenenöl), eine Totenerweckung und eine Teufelsaustreibnng.
An schriftlichen Angaben über den Gebrauch der Kasel liegt nur sehr
wenig vor. Was wir indessen davon besitzen, bestätigt, was die Bildwerke
erzählen. So verneh-
men wir aus dem sog.
Egbertpontifikale, dem
Pontifikale von Aletis
(StMalo)unddemPon-
tifikale Dunstans, daß
Bischof wie Ministri
bei der Kirchweihe mit
den Gewändern beklei-
det sein mußten, cum
quibus divinum myste-
rium (ministerium) ad-
implere debent , also
mit der Kasel und den
übrigen Meßgewän-
dern 2. Hinsichtlich der
Kran kenversehgänge
schreibt das Pontifikale
von Aletis vor: Sacer-
dos . . . induat se super-
humerali, alba et stola
cum phanone atque
planeta, si affuerit, si
alias, casula non in-
duatur 3.
Natürlich trug man
bei der Spendung der
Sterbsakramente , der
Taufe u. ä. die Kasel
nur, wenn diese Funktionen in feierlicher Weise vollzogen wurden, wie man
ja auch später nur in solchen Fällen sich des Pluviale bediente.
Einen deutlichen Hinweis auf den Wechsel, der sich im 11. Jahrhundert
hinsichtlich der Verwendung der Kasel vollzog, finden wir in einem Brief
Lanfranks an Erzbischof Johannes von Rouen. Letzterer, der uns bereits
bekannte Johannes von Avranches, hatte in einem Schreiben an Lanfrank die
Meinung ausgesprochen, es müsse der Bischof bei der Kirchweihe außer den
Bild 67. Elfenbeinplatte vom Sakramental' des Drogo.
(Nach Kraus, Kunst und Altertum in Elsaß-Lothringen.)
1 B e i s s e 1 , Ein Sakramentar aus Fulda,
in Zeitschrift IX (1S94) 65 ff. Vgl. ferner
ein Elfenbein im Museum zu Amiens aus
dem 9. Jahrb.. bei Roh. VII, pl. dlxviji.
2 Mart. 1. 2, c. 13, ordo 2 3 4; II 247
250 255. Das Pontif. von Aletis heißt hier
Pontif. Gemmeticense (Jumieges).
3 Ebd. 1. 1, c. 7, art. 4, ordo 1; I 301.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
171
andern pontifikalen Gewändern auch die Kasel tragen. Darob ist dieser jedoch
erstaunt und bemerkt in seiner Antwort, er könne sich nicht erinnern, es
irgendwo bemerkt zu haben, daß man die Konsekration der Kirche in der
Kasel vollzogen habe. Man habe sich vielmehr stets bei der Weihe der Cappa,
der Kasel aber erst bei der Messe bedient. So habe es auch Papst Leo
gehalten , als er die Kirche von Remiremont konsekrierte 1. Man merkt
deutlich, daß man in einer Zeit steht, da man anfängt, darüber Erörterungen
anzustellen, wann die Kasel zu gebrauchen sei und wann nicht, und man die
Kasel schon vielfach als eigentliches Meßgewand betrachtet.
Solange die Kasel
noch die weite Form
hatte, mußte sie an
den Seiten aufgehoben
und auf den Armen
zusammengelegt wer-
den, damit der Cele-
brans seine Hände frei
gebrauchen konnte. Es
geschah dies nicht erst
am Altar nach dem
Confiteor, wie man ge-
sagt hat, sondern schon
in der Sakristei. So
war es, wie aus dem
1. und 3. Ordo klar
hervorgeht, in Rom be-
reits im 8. und 9. Jahr-
hundert üblich, so hielt
man es dort auch noch,
wie aus den Ausfüh-
rungen Innozenz' III.
erhellt2, im 13. und,
wie der 14. Ordo be-
weist, im 14. Jahrhun-
dert : Subsequenter dia-
conus a dextris et sub-
diaconus a sinistris
Bild 68. Elfenbeinplatte vom Sakramentar des Drogo.
(Nach Kraus, Kunst und Altertum in Elsaß-Lothringen)
planetam super brachia
pontificis apte complicent3, ja solange die Kasel an den Seiten ein Aufrollen
erheischte, d. i. bis in die Neuzeit hinein 4. Daß es auch außer Rom so Brauch
Avar, ergibt sich aus Sicards Mitralis 5, aus des Durandus Rationale 6 und seinem
kaum weniger einflußreichen Pontifikale 7.
1 Ep. 13 (M. 150, 520).
2 De sacrif. missae 1. 1, c. 78 vgl. mit 1. 2,
c. 1 13 (M. 217, 795 801 806).
3 C. 53 (M. 78, 1158).
4 Caerem. episc. 1. 2, c. 8, n. 19.
5 L. 2, c. 8 vgl. mit dem Prologus zu 1. 3,
und 1. 3, c. 2 (M. 213, 89 94).
0 L. 4, c. 7; f. 103.
7 Mart. 1.1, c. 4, art. 12, ordo 23; I 221.
Das Pontifikale ist nicht von Durandus d. J.,
wie Ehrensberger, H. (Libri liturgici, Frei-
burg 1897, 548) meint, sondern von Durandus
d. Ä. Denn im Pontifikale beruft sich Durandus
auf sein Rationale, z. B. De praemissis sin-
gulis rationes in nostro Rationali posuimus
(ebd. 222).
172 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Die Kasel erst am Altar nach dem Confiteor zu ordnen, dürfte nur ver-
einzelt üblich gewesen sein. Es lag ja dafür auch kein Grund vor. Eine
solche Gepflogenheit bestand nach einem alten Ordinarium des 13. Jahr-
hunderts zu Laon 1. Auch Johannes Beleth wird zum Zeugen für dieselbe
angerufen , doch ist hier die Sache zum mindesten sehr unklar 2. Er gibt
offenbar keine historische Reihenfolge, sonst würde aus seinen Angaben folgen,
der Bischof habe die Kasel sogar erst, nachdem er die Orationen gesungen und
das übrige gebetet, auf den Schultern zusammengefaltet.
VIII. DIE KASEL IM WEIHERITUS.
Bei der Priesterweihe legt der Bischof, wie wir früher hörten, dem
Ordinanden, nachdem er dessen Stola über die rechte Schulter gezogen, eine
Kasel an, deren Vorderteil herabhängt, während die hintere Hälfte bis nach der
Kommunion zusammengefaltet bleibt.
Es ist ein sehr alter Brauch, den Neopresbytern bei ihrer Ordination
die Planeta (Kasel) zu übergeben. In Spanien war er schon wenigstens
im Anfang des 7. Jahrhunderts bekannt. Als Teil des römischen Weihe-
ritus wird er zuerst im 8. Ordo erwähnt3, der bezüglich des Zeremoniells
der Priesterweihe bemerkt: „Der Archidiakon zieht ihm (dem Ordinanden)
die Dalmatik aus und legt ihm dann die Planeta an." Sogar der Akolyth
wurde bei seiner Weihe diesem Ordo zufolge mit dem Gewand bekleidet, was
allerdings nicht wundernehmen kann. Denn diese Zeremonie steht ganz im
Einklang mit der schon besprochenen römischen Gewohnheit, wonach auch
die niedern Kleriker sich der Kasel bedienten. Beim Subdiakon wird im
8. Ordo vorausgesetzt, daß er bereits die Planeta trage, da der Archidiakon
oder der Bischof ihm bei seiner Weihe den Kelch in ulnas foras planeta
legen soll.
In das gregorianische Sakramental- erhielt unser Ritus seit dem 9. Jahr-
hundert, vielleicht aber auch schon etwas früher, Aufnahme. Übergibt aber
nach dem 8. Ordo noch der Archidiakon dem Neopresbyter die Kasel, so tut
solches nach den Pontifikalien und Sakramentaren des 10. Jahrhunderts und
der Folgezeit regelmäßig der Bischof selbst. Ein besonderer Begleitspruch
scheint hierbei nicht überall und allzeit Brauch gewesen zu sein. Verschiedene
Sakramentare begnügen sich bloß mit der Bemerkung: „Hier bekleidest du
ihn mit der Kasel"; andere haben für die Anlegung der Stola und Kasel
nur einen Begieitspruch.
In den älteren Pontifikalien und Sakramentaren , besonders angelsächsischen,
lauten die Begleitworte meist: „Der Segen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes steige über dich herab, auf daß du im Priesterstand gesegnet seiest
und sühnkräf'tige Opfergaben für des Volkes Sünden und Übertretungen dem all-
mächtigen Gott darbringest, dem Ehre und Ruhm ist in alle Ewigkeit." Häufig ist
aber auch das Gebet: „Mit dem Gewände der Unschuld bekleide dich der Herr." Es
erhielt sich in manchen Pontifikalien bis ins 14. Jahrhundert. Die Worte, welche
der Bischof jetzt nach dem römischen Pontifikale zu sprechen hat, kommen schon im
12. Jahrhundert vor '. Gewöhnlicher werden sie indessen erst im 13. und 14. Jahr-
hundert; doch haben sie noch im 15. keineswegs allgemein in die Pontifikalien Auf-
nahme gefunden.
' Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 20; I 218. 2 Rationale c. 33 (M. 202, 43).
Irrig steht hier in der Überschrift: ecclesiae ■' N. 1 2 4 (M. 78, 1000 1001).
Lugdunensis. Es muß heißen: Laudunensis. ' Mart. 1. 1, c. 8, art. 12, ordo 8; II 53.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 173
Scharf tritt der Charakter der Kasel im Gebete eines Pontifikale von Seez aus
dem Jahre 1045 hervor: Eecipe planetam, ut possis legaliter celebrare missam -
„Nimm hin die Planeta, damit du ordnungsgemäß die Messe feiern könnest." l
Die Liturgiker reden bis zum 13. Jahrhundert kaum von der uns be-
schäftigenden Weihezeremonie, vermutlich, weil sie diese nur als einen Ritus
von untergeordneter Bedeutung, der lediglich zur Solemnität gehöre, be-
frachteten. Im 13. Jahrhundert aber erwähnt Durandus sie nicht nur, sondern
rechnet sie sogar zum Wesen der Priesterweihe 2. Vermutlich hat das seit
dem 12. Jahrhundert in Aufnahme gekommene Gebet: „Nimm hin das priester-
liche Kleid usw." zu dieser seiner Meinung beigetragen, sofern in ihm aus-
drücklich die Kasel als das Priestergewand bezeichnet wird.
Die Anlegung der Kasel bei der Weihe der Priester war in der Form,
wie sie nunmehr das römische Pontifikale als Weihezeremonie vorschreibt,
dem 13. Ordo zufolge3 sicher bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts
in Rom gebräuchlich. Wie weit dieselbe in die Vergangenheit zurückreicht,
läßt sich nicht sagen, doch scheint sie verhältnismäßig jungen Ursprungs zu
sein. Außerhalb der römischen Kirche hielt man mehr oder minder lang an
dem älteren und einfacheren Weihezeremoniell fest, welches ein anfängliches
Zusammengefaltetsein und folglich auch die nachherige Entfaltung des Gewandes
nicht kannte.
Über die Art und Weise, wie die Kasel bei der Weihe gefaltet wurde,
sagt ein dem 14. Jahrhundert angehörendes Pontifikale der Vaticana: „Die
Planeta soll bloß im Nacken zusammengelegt werden, so daß sie lediglich im
Nacken nicht herunterfällt, an der Vorderseite aber sich zwischen Hand und
Arm befindet (d. i. hier lang herabhängt)." 4
IX. FORM DER KASEL IM MITTELALTER BIS ZUM
XIII. JAHRHUNDERT.
Nach den bildlichen Monumenten zu urteilen, war die Planeta der vor-
karolingischen Zeit ein weiter, glockenförmiger Überwurf, der nur eine Öffnung
zum Durchlassen des Kopfes hatte, im übrigen aber ganz geschlossen war.
Das letzte hebt, wie wir bereits hörten, auch die gallikanische Meßerklärung
ausdrücklich hervor. Ließ man das Gewand herunterhängen, so waren die
Arme und selbst die Hände völlig unter demselben geborgen. Denn nach den
römischen und ravennatischen Mosaiken des 6. und 7. Jahrhunderts reichte
die Planeta damals wenigstens bis zu den Knieen, vielfach sogar über die-
selben. Wollte man die Hand frei benutzen, so war man genötigt, die Planeta
über den Arm zurückzuschlagen. In der Tat ist, um auf einige Beispiele hin-
zuweisen, bei Maximian auf dem Mosaik in S. Vitale, der in der Rechten das
Kreuz trägt, das Gewand auf den rechten Arm hinaufgezogen (Bild 63, S. 159).
In gleicher Weise tragen ihre Planeta Ecclesius, Ursus, Severus und Ursicinus
auf den Mosaiken in S. Apollinare in Classe, welche die Rechte zum Segen
oder Redegestus erhoben haben. Der hl. Vinzentius auf dem Fresko in der
' Le Brun I, traite prelim. art. 4, § 1, inter manum et brachium. Andere Ponti-
chasuble; I 47, note e. fikalien des 14. und 15. Jahrhunderts, welche
2 Rationale 1. 2, c. 10 : f. 61. den Gebrauch, die Kasel bei der Weihe auf den
3 N. 6 (M. 78, 1107). Rücken zu falten, im Ordinationsritus er-
4 Cod. Vat. lat. 1153, f. 5V: Planeta plicata wähnen, sind z. B. Cod. Vat. lat. 5791 und
super collum tantum, ita quod non descendat Ottob. 27 330 501 574. Vgl. auch Mar t.
solum super collum et a latere anteriore stet 1.1, c. 8, art. 11, ordo 17: II 85.
174
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Katakombe des Pontian hebt beide Arme zum Gebet empor. Hier ist daher
die Kasel auf beiden Armen emporgerafft.
Planeten aus vorkarolingischer Zeit haben sich unseres Wissens leider
nicht erhalten. Eine ehemals zu Vreden aufbewahrte und nunmehr im bischöf-
lichen Museum zu Münster befindliche Kasel des hl. Sixtus II. (f 258) * stammt
aus der Wende unseres Jahrtausends. Aus derselben Zeit datiert das Meß-
gewand des hl. Ebbo (f 750) in der Kathedrale zu Sens, ein byzantinisches
Gewebe von der Art der Adlerkasel zu Brixen, dem Löwenstoff zu Siegburg
u. ä. Die Kasel des hl. Johannes „des Engelschauers" im Dom zu Ravenna
ist, wie Stoff, Ausstattung und Besatz mit aller Bestimmtheit beweisen, eine
Arbeit des 11. bis 12. Jahrhunderts. Dasselbe gilt von einem Meßgewand,
welches zu Dokkum (Friesland) aufbewahrt wird. und dem hl. Bonifatius zu-
gehört haben soll 2. Die Kasel des hl. Regnobert (f ca ö68) zu Bayeux mag
dem 12. Jahrhundert entstammen3.
Es ist zu bedauern, daß sich aus vorkarolingischer Zeit keine Kasein
erhalten haben. Es ist kaum möglich, bloß an der Hand der Monumente den
genauen Schnitt des Gewandes festzustellen. Nur auf Grund von noch vor-
handenen Gewandstücken läßt er sich mit Sicherheit bestimmen. Mit Hilfe
der Monumente kommt man über eine gewisse allgemeine Gestalt nicht hinaus.
Die Skizzen, welche Rohault de Fleury von den Kasein auf ravennatischen
und römischen Mosaiken in seiner chronologischen Übersicht über die Kasel-
form gibt, sind denn auch nur Produkte der Phantasie4.
Auch im 9. und im Beginn des 10. Jahrhunderts sind wir, was die
Form des Meßgewandes anlangt, noch allein auf die Monumente angewiesen.
Es sind besonders einige späte Mosaiken in Rom , wie die musivischen Dar-
stellungen in den Apsiden von S. Prassede, S. Marco, S. Cecilia, sowie die
karolingischen Miniaturen und Elfenbeine, aus denen wir unsere Kenntnis der
Kasel zu schöpfen haben. Unter den Miniaturen verdient besondere Er-
wähnung die Darstellung der Bibel Karls des Kahlen , auf der die Mönche
von St Martin zu Tours5 dem Fürsten die Bibel überreichen, unter den Elfen-
beinen die Deckelskulpturen des Drogosakramentars. Die Liturgiker des
9. Jahrhunderts lassen uns über die Form der Planeta ganz im unklaren.
Genaueren Aufschluß über Schnitt und Form des Meßgewandes erhalten
wir erst seit Ausgang des 10. Jahrhunderts. Die Liturgiker wissen uns
freilich auch jetzt nur wenig davon zu berichten. Alles, was sie erzählen, läuft
auf einige allgemeine Bemerkungen hinaus. Sie schildern die Kasel als ein
Gewand, das ringsum geschlossen, ohne Schlitz (undique clausa, una est et
integra; Rupert) und so lang und weit war, daß es auf den Armen, vor
der Brust und auf dem Rücken in Falten gelegt werden mußte (duplicatur in
pectore et inter humeros; triplicatur in clextro brachio ... in sinistro; Honorius).
Hatte der Priester sie angelegt, so schien sie gleichsam aus zwei Hälften zu
' Braun, Die sog. Sixtus-Kasel von Vreden
in Zeitschrift XII (1899) 23.
2 Über die Form des Gewandes erhielten
wir freundliche Mitteilung durch Herrn
Iiwliiuitf'ii v.ui ll'ul "liim zu Jutfaas bei
Utrecht. Ein Stück des Stoffes sahen wir im
erzbiscböflichen Museum zu Utrecht.
; De Farcy in Memoires de la Societe
des antiquaires de la Normandie 1881; Roh.
VII 141 und pl. DLXXVII.
1 La messe VII 179. Das Gesagte gilt
überhaupt von den Rekonstruktionen, welche
dort Rohault de Fleury auf Grund der Monu-
mente versucht hat. Die chronologische
Folge der Kaselformen, welche er bietet, gibt
darum ein ganz unzutreffendes Bild von der
Entwicklung des Meßgewandes.
5 Nicht zu Metz, wie es infolge Übersehens
bei der Korrektur oben S. 27 heifit. Abbildung
der Miniatur siehe Titelbild.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 175
bestehen (in anteriorem et posteriorem partem quodammodo dividitur; Eupert),
welche so ziemlich gleich waren (suppar est post tergum et ante pectus ;
Pseudo- Beda).
Das ist alles. Um so wichtiger sind darum für die Geschichte der Form
der Kasel die Monumente des 11., 12., 13., 14. und 15. Jahrhunderts, deren
es eine unabsehbare Menge gibt; nur muß man sich sehr hüten, alles und
jedes, was uns auf ihnen entgegentritt, unbesehen als gute Münze und als
unverfälschtes Abbild der Wirklichkeit hinzunehmen. Das gilt namentlich
von den Bildwerken des 11., 12. und selbst teilweise noch denen des 13. Jahr-
hunderts.
Die Phantasie hat bei den Künstlern zu allen Zeiten eine große Rolle
gespielt; im besondern Maß ist das aber bei nicht wenigen Darstellungen aus
der Frühe unseres Jahrtausends der Fall , die obendrein nur zu oft große
Unfähigkeit verraten, die Wirklichkeit korrekt wiederzugeben. Es ist deshalb
einige Vorsicht in der Benutzung der Monumente aus dieser Zeit durchaus
von nöten, wenn man nicht zu irrigen Schlüssen gelangen will.
Wenn z. B. auf einzelnen Bildwerken die Vorderseite der Kasel wie
spitz zugeschnitten erscheint, so daß sie bisweilen unten einen Wrinkel von
etwa 45 Grad zu bilden scheint, so tun wir nicht gut, darum schon, wie
solches in der Tat geschehen ist, von einer barocken Kasel zu reden. Der-
artige Eigentümlichkeiten fallen nicht auf Rechnung des Gewandes , sondern
der Künstler. Um Einzelheiten gar nicht ängstlich besorgt, haben diese die
Kasel so wiedergegeben , wie sie aussah , wenn der Priester sie trug , also
scheinbar unten spitz zulaufend. Dabei haben sie aber, was man ihnen aller-
dings verzeihen darf, den Faltenwurf darzustellen vergessen, der sich vorn bildete,
wenn man das Gewand auf den Armen zusammenlegte.
Ein treffliches Beispiel, wie wenig man aus derartigen Bildwerken auf eine
Verstümmelung der Kasel schließen darf, bieten die Fresken der Unterkirche
von S. demente zu Rom. Wollte man die Figur des die Messe lesenden
Papstes Klemens für maßgebend halten, so sollte man freilich glauben, es
habe das Meßgewand bereits im 11. Jahrhundert eine gar sonderbare, vorn
merkwürdig zugespitzte Form angenommen. Vergleicht man aber das Bild
mit den zahlreichen andern Fresken der Unterkirche aus derselben Zeit, den
Darstellungen der Päpste und des Priesters Calepodius auf dem Apsismosaik
in S. Maria in Trastevere u. a , auf denen das Gewand ganz normal erscheint,
so wird man bald inne, daß das Aussehen der Kasel des hl. Klemens lediglich
auf Künstlerlaune und Künstlerfreiheit zurückzuführen ist.
Sehr gewöhnlich ist ferner auf den Monumenten die Kasel an der Vorder-
seite kürzer wie an der Rückseite. Man hat daraus schließen wollen, es sei
das Gewand bereits vorn mehr oder weniger verkürzt worden. Auch diese
Folgerung ist indessen unrichtig. Daß das Gewand vor der Brust kürzer
erscheint, ist durchaus natürlich, weil durch die Form des Körpers, durch den
Schnitt des Gewandes und durch die Art, in der die Kasel auf den Armen
zurückgerollt wurde, begründet. Man mache nur einmal mit einer Glocken-
kasel die Probe. Man wird alsbald finden, daß sie trotz gleicher Länge der
Vorder- und Rückseite hinten tiefer herabsteigt als vorn. Die Wahrnehmung
liil.it sich selbst bei Kasein gewöhnlicher Form machen. In diesem Punkte
entsprechen also die Bildwerke genau der Wirklichkeit. Unrichtig ist nur,
was man aus Unkenntnis des tatsächlichen Verhältnisses aus denselben hat
folgern wollen.
176 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Wir müssen noch auf einen Punkt aufmerksam machen, der gleichfalls
zu Mißverständnissen Anlaß gegeben hat. Wir finden auf einigen älteren
Bildwerken Kasein, die scheinbar mit einer Kapuze ausgestattet sind. Sollen
wir daraus folgern , daß es wirklich Kasein gab , die mit einer solchen ver-
sehen waren? Der Schluß wäre nicht berechtigt. Die Möglichkeit freilich,
daß hie und da gelegentlich derartige Kasein gebraucht worden sind, läßt
sich nicht bestreiten; denn was ist nicht schon alles vorgekommen. Jeden-
falls war aber solches, wo es geschah, nicht die Eegel, sondern eine der
gewöhnlichen Praxis zuwiderlaufende Ausnahme. Keiner der alten Liturgiker
erwähnt die Kapuze, nicht einmal der sonst bis ins kleinliche gehende Amalar.
Namentlich ist aber für den Stand der Dinge das Verhalten Hrabans be-
zeichnend, der in seiner den Etymologien Isidors entnommenen Definition der
Kasel gerade den die Kapuze betreffenden Passus ausläßt. In der Tat, welchen
Zweck hätte diese auch an dem Meßgewand gehabt, da ja die Messe un-
bedeckten Hauptes gefeiert werden mußte ? Wirklich handelt es sich auf den
Darstellungen , die eine Kapuze an der Kasel aufweisen oder aufzuweisen
scheinen, entweder nicht um die Meßkasel, sondern um ein zwar kaselförmiges,
im Gebrauch aber unserem Pluviale analoges Gewand, oder es erklärt sich
die scheinbare Kapuze aus der eigentümlichen Machweise der Kasel. Ihr
Schnitt war nämlich, wie wir später sehen werden, derart, daß sie, angezogen,
im Nacken einen kapuzenähnlichen Bausch bildete. Man suchte das freilich
häufig dadurch zu beseitigen, daß man den Kopfdurchlaß erweiterte, doch
geschah das nicht immer oder doch nicht allzeit in ausreichendem Maß, wie
die noch vorhandenen zahlreichen Glockenkaseln aus dem 11., 12. und 13. Jahr-
hundert beweisen. Es kann deshalb keineswegs wundernehmen, wenn der
fragliche Bausch sich hie und da auch auf den Bildwerken zeigt.
Eines der besten Beispiele bilden die Miniaturen des Weiherotels Landulfs IL von
Benevent (1108 — 1119) ' in der Casanatense zu Rom aus dem Anfang des 12. Jahr-
hunderts. Hier ist der Bauseh in auffälliger Weise sichtbar. Aber es handelt sich,
wenn man das Original genau betrachtet, auch nur um einen Bausch. So sieht eine
Kapuze nicht aus. Klar wird die Sache aber ganz besonders aus der Miniatur, welche
die Übergabe der Kasel an die Neopresbyter darstellt. Denn das Meßgewand, welches
einer der Ordinanden in der Hand hält, ist zweifelsohne kapuzenlos. Auch ist bemerkens-
wert, daß dasjenige, was wie eine Kapuze aussieht, nur auf dem Weiherotel Landulfs,
nicht aber auf seinem ebenfalls in der Casanatense befindlichen Taufrotel, noch auch
den übrigen verwandten beneventanisch-kapuanischen Miniaturen auftritt. Bei der An-
nahme, es handle sich um eine wirkliche, in Brauch stehende Kapuze, wäre das schwer
zu erklären. Anders, wenn man sich die Sache als den gewöhnlichen Kaselbausch denkt,
den der eine andeutete, der andere unangedeutet ließ , ein dritter mit künstlerischer
Lizenz etwas kapuzenähnlich gestaltete. Ein anderes treffliches Beispiel bietet eine
Elfenbeinplatte in der königlichen Bibliothek zu Berlin mit der Darstellung Bischof
Sigeberts von Minden (Bild 69), einer Arbeit des frühen 11. Jahrhunderts. Neben
Sigebert stehen zwei Priester wie der Bischof in liturgischer Gewandung. Wer die
Figuren ohne nähere Prüfung betrachtet, könnte glauben, Kasein mit Kapuzen bei
denselben zu finden. Dem Kenner entgeht es indessen nicht, daß die scheinbare
Kapuze nur ein Kaselbesatz ist, den der Künstler allerdings in der Absicht, ihn mehr
zur Geltung zu bringen , etwas stark herausgearbeitet hat. Eine Bestätigung erhält
das durch eine zu dem Elfenbein durchaus parallele und mit ihm gleichzeitige Miniatur,
welche ebenfalls Bischof Sigebert inmitten seiner Kleriker darstellt -. Hier tritt die
scheinbare Kapuze klar als das auf, was sie wirklich ist, als Besatz.
' Nicht Landulfs I. (957-983), wie Wil- beiWilp., Gew. und Cap. Ag., Mal. Tfl 37 f.
pertsagt (Gew. 52. Cap. 93). Abbildungen 2 Berlin, kgl. Bibl.j Theol. quart. 3, f. 1\
Erstes Kapitel. Die Kasel.
177
Schon auf einigen karolingischen Monumenten scheint die Kasel mit einer
Kapuze ausgestattet zu sein, so z. B. auf dem Widmungsbild der Bibel Karls
des Kahlen und den Elfenbeinplatten auf dem Deckel des Drogosakramentars.
Doch gilt auch hier, was von den im ganzen wenig zahlreichen gleichartigen
Miniaturen des 11. und 12. Jahrhunderts gesagt wurde. Namentlich macht
auf dem Elfenbein des Deckels des Drogosakramentars für den oberflächlichen
Blick das Pallium im Nacken des Bischofs die Täuschung vollkommen, doch
auch nur für den oberflächlichen Blick. Denn untersucht man die Sache
etwas näher, so wird man bald gewahr, daß
es sich um den Kaselbausch, nicht um eine
Kapuze handelt.
Es gibt nur vier Bildwerke, auf denen uns
eine mit einer wirklichen Kapuze versehene Kasel
entgegentritt: ein Elfenbeinrelief auf dem Deckel
des Drogosakramentars (Salbung mit dem Kate-
chumenenöl oder Firmung) , zwei Miniaturen des-
selben Sakramentars (die gleiche Szene und Be-
gebenheiten aus dem Leben des hl. Arnold, Bischofs
von Metz, darunter namentlich eine Teufelsaustrei-
bung und eine Totenerweckung durch Salbung mit
dem heiligen Ol) und die ehemalig Spitzersche, jetzt
in englischem Besitz ' befindliche Elfenbeintafel
(Erteilung des feierlichen bischöflichen Segens).
Es handelt sich in diesen Fällen jedoch nicht um
das Mei3gewand , sondern um die Cappa , von der
in einem späteren Kapitel ausführlicher die Bede
sein wird. In den drei ersten Fällen begegnen
wir ihr bei einem Bischof, in dem letzten bei den
Cantores 2.
Fragt man, warum der vorhin erwähnte
Bausch im Nacken des Kaselträgers sich nicht
regelmäßig auf den Monumenten bemerklich mache,
so ist die Antwort schon gelegentlich andeutungs-
weise gegeben worden. Weil der Bausch keines-
wegs eine Annehmlichkeit war, zumal bei schweren
Stoffen, pflegte man ihn durch Erweiterung des
Kopfdurchschlupfs zu beseitigen. Er war also auch
in der Wirklichkeit bei weitem nicht immer an der
Kasel vorhanden. Außerdem aber war es den alten Künstlern um nichts weniger als
eine photographisch genaue Wiedergabe des Gegenstandes zu tun.
Die beste Quelle für die Kenntnis der Form, welche das Meßgewand
gegen Ende des 10., im 11., 12. und noch im Beginn des 13. Jahrhunderts
besaß, bilden die aus jener Zeit noch erhaltenen Kasein. Ihre Zahl ist so
groß, daß sie uns einen völlig befriedigenden Aufschluß über Machweise und
Schnitt des Gewandes in damaliger Zeit geben. Einige davon sind freilich in
Bild 69. Elfenbeintafel.
Berlin, Kg]. Bibliothek.
1 Der jetzige Besitzer ist Esq. Frank Mac-
lean, Rusthall House, Tunbridge, Wells.
■ Näheres über die Darstellungen im Ab-
schnitt, welcher sich mit dem Pluviale be-
schäftigt, woselbst auch eine Abbildung des
Reliefs vom Deckel des Drogosakramentars
gegeben ist. Die Kapuze , welche sich auf
dem Widmungsbild des St Bernwardsevan-
Brann, Die liturgische Gewandung.
geliars im Dom zu Hildesheim an der Kasel
des hl. Bernward (Abbildung bei Beissel,
Das St Bernwardsevangeliar Tl 4) zu finden
scheint, ist, wie sich bei genauerem Zusehen
ergibt, nichts als eine schildförmige Dekoration
des Gewandes , wie sie die Glockenkasel in
St Godehard zu Hildesheim aufweist. Die
Darstellung ist übrigens sehr verzeichnet.
12
178
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
M-
späterer Zeit mehr oder weniger zugestutzt worden und haben darum für das
Studium der Form des Meßgewandes nur dann Wert, wenn sie bei und trotz
aller Verstümmelung den ursprünglichen Schnitt genügend erkennen lassen.
Die Mehrzahl ist indessen der Form nach völlig intakt.
Besonders reich ist an Kasein aus der Wende des ersten und der Frühzeit
des zweiten Jahrtausends Deutschland. Zu Augsburg befinden sich ihrer drei,
eine in St Ulrich und zwei im Dommuseum; alle drei werden dem hl. Ulrich zu-
geschrieben (Bild 70).
Die Schloßkirche zu Aschaffenburg ' und St Stephan zu Mainz 2 besitzen je eine
Kasel des hl. Willegis, die ehemalige Abtei zu Brauweiler 3 und der Dom zu Xanten
je eine, der Überlieferung nach vom hl. Bernhard benutzte, jedenfalls aber dem
12. Jahrhundert entstammende Kasel. Die frühere Benediktinerkirche zu Niederaltaich
(Bayern) bewahrt ein Meßgewand des hl. Godehard, Bischofs von Hildesheim (t 1038),
auf. Eine zweite, demselben Heiligen zugeschriebene Kasel, die jedoch in Wirklich-
keit erst aus dem
12. Jahrhundert
stammt, findet sich
in St Godehard zu
Hiklesheim. StEm-
meram zu Regens-
burg darf sich eines
Meßgewandes des
hl. Wolfgang (Bild
71), die Pfarrkirche
zu Iburg einer Ka-
sel Bennos von Os-
nabrück (j 1088),
der Dom zu Hikles-
heim der Kasel
des hl. Bernward
(f 1022), die Pfarr-
kirche zu Deutz der-
jenigen des hl. Heri-
bert von Köln
(t 1029) rühmen.
Die sog. Sixtus-
kasel im bischöf-
lichen Museum zu Münster wurde schon erwähnt. Auch in dem kgl. bayrischen National-
museum zu München gibt es eine Kasel aus der Frühe des Jahrtausends. Eine weitere
befindet sich im Dom zu Würzburg ; sie mag dazu gedient haben , die Gebeine des
hl. Bruno bei deren Erhebung zu bekleiden (Bild 72, S. 180). Besonders reich aber ist
der Dom zu Bamberg an Kasein dieser Art, bewahrt er doch deren nicht weniger
als vier auf, die alle in den Beginn des 11. Jahrhunderts hinaufreichen.
Von mehr oder weniger stark beschädigten Meßgewändern müssen erwähnt
werden die dem hl. Bruno zugeschriebene Kasel im Dom zu Würzburg von der Art
der Bamberger Paramente , ehedem ein ungemein prächtiges Stück , das außer dem
Futter leider nur Reste des ursprünglichen Oberstoffes aufweist, das Meßgewand des
Bischofs Meinwerk in der Bußdorfkirche zu Paderborn, von dem nur mehr das Futter
vorhanden , dessen Oberstoff aber samt den Besätzen bis auf winzige Spuren ver-
-*^
'
Bild 70. Glockenkasel. Augsburg, Dommuseuin.
1 Abbildung bei Kuli. VII. pl. dlxxxv.
- Abbildung (jedoch mangelhaft) ebd.
pl. dlxxxiv; farbig, aber auch sehr mangel-
haft iiinl in anrichtigen Farben bei Hefner-
Alt., Trachten. Frankfurt a. M. 1879. Tfl 40.
3 Abbildung bei Bock II, TU 32 Sieistnicht
nur in derFarbe ungenau, sondern auch hinsicht-
lich der Richtung, in welcher sich die Muste-
rung des Stoffes bewegt. Statt nämlich horizon-
tal zu verlaufen, geht sie von unten nach ohen.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
179
schwunden ist, die im Privatbesitz des Herrn Domkapitular Schnütgen zu Köln befind-
liche, an den Seiten stark beschnittene Kasel des hl. Anno, ein sehr entstelltes, an-
geblich vom hl. Benno von Meißen herrührendes Meßgewand in der Liebfrauenkirche
zu München, sowie die St Wolfgangskasel im Dom zu Regensburg, von der im Grund
nur noch die in Goldstickerei hergestellten Besätze vorhanden sind ; denn alles andere
an ihr ist aus späterer Zeit.
Auch in Ö s t e r r e i c h - U n g a r n erfreut man sich noch einer bemerkenswerten Zahl
von Kasein aus dem 11.— 13. Jahrhundert. Je zwei gibt es deren in St Peter zu Salz-
burg, zu St Paul in Kärnten und im Dom zu Brixen (Bild 73, S. 181), je eine im Kloster
Martinsberg (Ungarn), im Stift Melk, zu Goß (Steiermark) und Marienberg' (Tirol). Die
beiden herrlichen , ganz mit Bildwerk bestickten Kasein zu St Paul stammen aus
St Blasien im Schwarzwald; einige der angeführten Kasein haben im Lauf der Zeit
die verwüstende Wirkung der Schere an sich erfahren müssen , so eine der Brixener
Kasein, dann das Gößer und das Marienberger Meßgewand. Eine von Gisela, der
Gemahlin Stephans d. Hl., gestiftete Kasel war ursprünglich auch der erst bei der
Bild 71. Glockenkasel. Begensburg, S. Emmeram.
Krönung Maria Theresias aufgeschlitzte ungarische Krönungsmantel im Kron-
schatz zu Ofen.
In Belgien besitzt man aus der Frühe des Jahrtausends nur noch eine völlig
unversehrte Kasel. Sie befindet sich in der Kathedrale zu Tournai und wird dem
hl. Thomas Becket zugeschrieben. Ein Meßgewand in St-Donat zu Arlon, das vom
hl. Bernard gelegentlich gebraucht worden sein soll, ist schon an den Seiten merklich
zurückgeschnitten und dürfte, wenn solches nicht erst in späterer Zeit geschah, wohl
kaum über die Mitte des 13. Jahrhunderts hinaus anzusetzen sein. Eine Kasel in
St-Michel zu Courtrai, die wie die Tournaier dem hl. Thomas Becket angehört haben
soll, hat, wenn wirklich von dem Heiligen herstammend, ebenfalls ihre ursprüngliche
Form nicht bewahrt. Für Holland verzeichnen wir die schon früher erwähnte
Kasel zu Dokkum.
Frankreich war noch im 18. Jahrhundert sehr reich an Kasein aus dem 10.,
11., 12. und 13. Jahrhundert, darunter solchen von außerordentlichem Wert1. Von
den wenigen , welche dem Wüten der Revolution glücklich entronnen und überhaupt
: Einige derselben sind nach alten Skizzen abgebildet bei Roh. VIII, pl. dcv dcix dcx.
12*
ISO
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
in der Form intakt auf die Gegenwart gekommen sind , seien hier etwa erwähnt die
beiden unter dem Namen des hl. Ebbo , bzw. des hl. Thomas Becket gehenden Meß-
gewänder im Schatz der Kathedrale von Sens ', die Kasel des hl. Edmund von Canter-
bury (f 1240) zu Provins - und ein dem hl. Ivo (f 1303) zugeschriebenes, doch wohl
älteres Meßgewand zu Louannec 3 (Diözese St-Brieuc). Nicht mehr vollständig sind
die Kasein zu St-Rambert-sur-Loire 4. Biville und Maubeuge, wenn sie überhaupt vor
1250 fallen. Zwei in St-Sei'nin zu Toulouse aufbewahrte Meßgewänder ä, von denen eines
dem hl. Petrus Martyr (f 1252) , das andere dem hl. Dominikus zugeschrieben wird,
dürften ihrer Form und sonstigen Beschaffenheit nach kaum vor Ende des 13. Jahr-
hunderts entstanden sein.
Italien ist an Meßgewändern aus der Frühe unseres Jahrtausends sehr arm.
Es gehören zu ihnen außer einer Kasel in S. Trinitä zu Florenz . welche von dem
hl. Bernardo degli Uberti (f 1133) herstammen soll c, die sehr beschädigte, reich bestickte
Bild 72. Glockenka.sel. Würzljurg, Don
Kasel des hl. Johannes des „Engelschauers" in S. Urso zu Bavenna, eine kostbare
Arbeit des 12. Jahrhunderts, und zwei Linnenkasein zu Castel S. Elia bei Nepi ".
Es ist eine stattliche Anzahl von Kasein, die wir aufzählen konnten.
Sie sind zweifellos hinreichend, um uns von der Form und dem Schnitt der
Kasein des 10., 11., 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts ein anschauliches
und genügend vollständiges Bild zu geben, zumal es ja nicht bloß Meßgewänder
aus nur einem, sondern aus ganz verschiedenen Ländern sind.
Alle angeführten Kasein haben oder hatten doch ein und dieselbe Ge-
stalt. Es sind bzw. waren Glockenkasein im vollen Sinne, so genannt
wegen der großen Ähnlichkeit mit einer Glocke. Alle weisen das Charak-
teristikum der Glockenkaseln auf; sie haben alle Avesentlich die gleiche Länge
VII.
1 Oft abgebildet, am besten bei Rol
pl. dxc und de F a r c y pl. 11.
- Abbildung bei Roh. VIII, pl. ucvn.
; Ebd. pl. dcviii.
4 Ebd. VII, pl. hlxxx ; VIII, pl. dovidcviii.
5 Vgl. die Skizzen und Details ebd. VIII,
pl. pcxi.
0 Abbildung ebd. VII, pl. dlxxxix.
7 Zeitschrift, Jahrg. XII (1899) 343 ff. Ab-
bildungen in Bild 86—88, S. 195 u. 202.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
181
an der Vorderseite, an der Rückseite und über den Armen. Hie und da mag
eine kleine Differenz bestehen, doch ist dieselbe mehr zufällig als beabsichtigt.
Nicht selten ist sie nur scheinbar und die Folge unrichtigen Messens. Legt
man die beiden Gewandhälften so übereinander, wie es der Schnitt erfordert,
so wird man kaum je eine auch nur etwas nennenswertere Verschiedenheit
hinsichtlich der Länge entdecken. Übrigens weiß , wer sich eingehend mit
der mittelalterlichen Kunst befaßt hat, sehr wohl, wie wenig es unsern Vor-
fahren um strenge Symmetrie und Regelmäßigkeit zu tun war und wie wenig
skrupulös sie sich im Einhalten der gleichen Maße zu beweisen pflegten.
Am stärksten tritt der Unterschied in den Maßverhältnissen bei der
St Willegiskasel zu Mainz auf, welche an der Vorderseite um ca 0,30 m
kürzer ist als an der Rückseite, wiewohl sie daselbst immer noch die bedeu-
tende Länge von 1,20 m aufweist. Eine andere Ausnahme bildet die dem
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Bild 73. Glockenkasel. Brixen, Don
hl. Thomas Becket zugeschriebene Kasel in der Kathedrale zu Sens. Sie
mißt an der Vorderseite ca 0,10 m und über den Armen ca 0,20 m weniger
als im Rücken.
Jedenfalls beweisen die zahlreichen noch vorhandenen Meßgewänder aus
dem IL, 12. und 13. Jahrhundert mit aller Bestimmtheit, daß ein systemati-
sches, aus Bequemlichkeitsrücksichten hervorgehendes Beschneiden der Kasel
bis tief in das 13. Jahrhundert noch nicht Brauch war. Wo die Kasel von
der vollen Glockenform etwas abweichende Maße aufweist, liegt das, falls
diese noch die ursprünglichen sind, und das Gewand nicht in späterer Zeit
eine Veränderung erlitten hat, an zufälligen Ursachen, wie Mangel an aus-
reichendem Stoff und ähnlichem. Insbesondere aber war es so wenig Sitte, die
Vorderseite der Kasel zu verkürzen, daß man selbst noch im späteren Mittel-
alter sich lediglich darauf beschränkte, die Seitenlänge und die Gesamtlänge
überhaupt zu vermindern. Ein besonderes Zustutzen der Vorderseite ist nicht
einmal im 14. und 15. Jahrhundert Brauch geworden.
182 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Legt man eine der Gloekenkaseln aus der Frühe unseres Jahrtausends
so aufeinander, daß ihre beiden Hälften sich decken, so erhält man einen
Kreisteil, dessen beide Geradseiten, falls nicht etwa die Spitze behufs Er-
weiterung des Kopfdurchlasses abgeschnitten wurde , unter einem rechten
Winkel aneinanderstoßen, also ein Kreisviertel.
Spreitet man aber das Gewand auseinander, nachdem man es vorn in der Mitte
von oben nach unten aufgeschlitzt hat, so gleicht es genau einem Pluviale. Es stellt
dann nämlich einen Kreisteil dar, der bisweilen ein wenig über einen Halbkreis hinaus-
geht, bisweilen auch ein wenig hinter demselben zurückbleibt, gewöhnlich aber einen
vollen Halbkreis bildet. Hierbei verlaufen die in der Regel sehr breiten Stoffstreifen
ihrer Länge nach von der Peripherie senkrecht zum Durchmesser, gerade wie es auch
heute noch bei der Chorkappe der Fall ist, nicht aber parallel zu diesem.
Die Anfertigung der Glockenkasel war hiernach sehr einfach. Man brauchte
nur ein Pluviale zu machen bzw. ein halbkreisförmiges Gewand herzustellen, dann
dieses an der Vorderseite von unten an bis nahe zum oberen Ende zu vernähen, und
die Kasel war im wesentlichen fertig ' (Bild 74 a u. b).
So einfach diese Art von Herstellung des Meßgewandes war, so hatte sie doch
zwei üble Folgen. Da sie ohne Rücksicht auf die Höhe und Breite der Schultern
geschah, so bildete sie im Nacken einen unschönen, einer Kapuze nicht unähnlichen
Bausch -. Das war der erste Nachteil. Der andere bestand darin , daß , falls der
Gewandstoff gemustert war, die Muster auf der Rückseite senkrecht aufwärts stiegen,
während sie sich auf der Vorderseite wagerecht hinzogen und in der Mitte kopfüber
aneinanderstießen. Zur Hebung des zweiten Nachteils empfahl es sich , die Naht an
der Vorderseite mit einem Zierstreifen zu verdecken , der gleichsam einen Übergang
zwischen den einander entgegenlaufenden Mustern herstellte. Diese Borte war somit,
solange man das Meßgewand in der angegebenen Weise herstellte, nicht bloß ein
Ornament, sondern hatte auch eine aus der Natur der Sache sich ergebende praktische
und ästhetische Bedeutung (Bild 74 a u. b).
Um dem erstgenannten ebenso unschönen wie lästigen Übelstand wenigstens
einigermaßen zu begegnen, schnitt man häufig die obere Ecke des Meßgewandes
ab, indem man gleichzeitig den Schlitz, der als Kopfdurchlaß diente, in der
Weise entsprechend erweiterte, daß man durch Beseitigung der vorn noch
übrig bleibenden Einspränge einen trapezförmigen oder, jedoch seltener, ovalen
Ausschnitt herstellte (Bild 74 a). Beide Arten von Durchlässen für den Kopf
erhielten sich im ganzen Mittelalter, ja mit einiger Modifizierung bis in die
Gegenwart. Noch jetzt erinnert die Form der Halsöffnung römischer Kasein
an den Schlitz der Glockenkasein.
Außer dem Durchschlupf für den Kopf gab es an dem Meßgewand für
gewöhnlich keine weitere Öffnung. Schlitze zum Durchlassen der Arme
dürften sehr selten und lediglich Ausnahmen gewesen sein. Ein Beispiel
eines mit Armlöchern versehenen Kaselgewandes bietet die Kasel des Stiftes
Melk ; sie ist aber auch das einzige. Obendrein kann man fragen , ob die
0,50 m langen und in Schulterhöhe beginnenden Schlitze 3 bei ihr ursprüng-
1 Die beschriebene Anfertigungsweise der einer Kasel, bei der sich beide ungewöhn-
Kasel war die gewöhnliche, doch nicht die licherweise schräg über das Gewand hin-
ausschließliche. Bei Herstellung des Meß- ziehen, bildet z.B. das Meßkleid des hl. Bern-
gewandes kam auch die Form der zu Gebote ward zu Hildesheim.
stehenden Stoffstücke in Betracht. Waren 2 S. oben S. 176. Man kann den Bausch
diese unregelmäßig geformt, so hat man sich noch heute am Pluviale beobachten,
geholfen, so gut wie es ging. In einem 3 Nach gütiger Mitteilung des hochw. P.
solchen Fall konnte natürlich von einem Dr Ed. Katschthaler zu Stift Melk. Die
regelrechten Verlauf der Nähte und Stoff- Kreuze auf der Kasel sind zweifelsohne erst
muster nicht die Hede sein. Das Beispiel in späterer Zeit aufgesetzt worden.
Erstes Kapitel. Die Kasel
183
lieh sind oder ob sie nicht vielmehr in später Zeit angebracht wurden. Die
einzige uns bekannte Darstellung einer mit Öffnungen für die Arme aus-
gestatteten Kasel befindet sich auf einem Bischofsgrabmal aus dem 13. Jahr-
hundert im Dom zu Freising1; doch scheint es fast, als hätten wir es hier
bloß mit einem Erzeugnis künstlerischer Phantasie zu tun.
Von einer Kapuze findet sich bei keiner der noch erhaltenen Glocken-
kaseln eine Spur. Allerdings redet ein Vredener Kanonikus Nünning im An-
fang des 18. Jahrhunderts von einem capucciolum der Sixtuskasel : ad cer-
vicem in dorso capucciolum defluit, capiti forte, dum convenit, imponendum.
Doch haben wir an ihr von einem solchen nichts finden können. Die eigent-
liche Sixtuskasel, der jetzige Innenstoff des Gewandes, war sicher mit einer
Kapuze nicht ausgestattet. Das Gewand wurde in späterer Zeit umgedreht
und mit einem andern Oberstoff versehen. Vielleicht, daß Nünning den breiten,
kapuzenartigen Besatz, mit dem es bei dieser Gelegenheit um die Halsöffnung
herum ausgestattet worden sein muß, für eine Kapuze gehalten hat. An-
gesichts des defekten Zustandes, in dem sich das Meßgewand zur Zeit des
Kanonikus befand, wäre ein solcher Irrtum wohl begreiflich2.
Bild 74. Schnitt der Glockenkasel.
Die gestrichelten Linien bezeichnen die Form des Gewandes, wenn es vorn aufgeschnitten und
auseinandergespreitet gedacht wird; die punktierten geben die Nebennähte und zugleich den
Lauf des Stoffmusters an.
Ahnlich wie mit der Kaselkapuze steht es mit den Schnüren, welche
man nach Bock seitlich an den Glockenkaseln angebracht haben soll, um
diese in gleichmäßigem Faltenwurf heraufziehen und in der Gegend des Ober-
arms in beliebiger Höhe befestigen zu können und so zu verhindern, daß die
aufgehäufte Masse der schweren Seidenstoffe bei Verrichtung der heiligen
Opferhandlung lästig und hinderlich werde3. Den einzigen Beweis bilden
die Schnüre an der Willegiskasel in St Stephan zu Mainz; allein dieselben
sind, wie ihre Beschaffenheit beweist, erst in späterer Zeit und wohl über-
haupt nicht einmal mehr im Mittelalter hinzugefügt worden. An allen andern
Kasein aus dem Mittelalter fehlt die Einrichtung4. Insbesondere aber wird
1 Abbildung bei v. Hefner-Alt. III 149.
Zwei Kasein in S.Marco zuVenedig, die indessen
erst dem 15. Jahrhundert entstammen, hat
man der Bequemlichkeit halber an den Seiten
vom Saum an etwa eine Spanne weit auf-
geschnitten. Ähnlich ist es bei der Kasel
Kalixts III. (1455 — 1458) zu Valencia ge-
schehen. Wahrscheinlich wurden indessen
diese Schlitze , die wir sonst bei keiner
mittelalterlichen Kasel gefunden haben, nach-
träglich angebracht.
2 Braun, Die sog. Sixtus-Kasel von
Vreden, in Zeitschrift XII (1899) 26 ff.
3 Bock, Gesch. I 433.
4 Die Kasel Kalixts III. zu Valencia ist
zur Erleichterung des Aufraffens auf den
Seiten in Schulterhöhe mit einem Knopf und
etwa 0,20 m vom Saum mit einer Schleife
^84 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
man bei den vielen sonstigen noch vorhandenen Glockenkasein des 11. — 13. Jahr-
hunderts vergeblich nach Spuren von Schnüren zum seitlichen Aufraffen des
Gewandes fahnden. Nicht anders verhält es sich mit den vielen Hunderten von
mittelalterlichen Bildwerken, auf denen eine Kasel vorkommt. Nirgends auch
nur ein Anzeichen der fraglichen Vorrichtung. Es ist in der Tat auffällig,
wie man die Behauptung Bocks so unbesehen hat hinnehmen und immer
wieder von neuem hat wiederholen können.
X. ÄNDERUNGEN IN DER FORM DES GEWANDES SEIT DEM
XIII. JAHRHUNDERT.
Im Verlauf des 13. Jahrhunderts — der Zeitpunkt ist nicht näher be-
stimmbar — beginnt ein neues Stadium in der Entwicklung der Planeta. Es
hebt die Zeit der systematischen und fortgesetzten Zustutzung des Meß-
gewandes an, deren letzte Frucht die moderne Kasel ist. Das Beschneiden betrifft
sowohl die Gesamtlänge als auch, und zwar ganz besonders, die Seitenlänge.
In erster Beziehung ist noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Verkürzung
gering; erst um das 17. Jahrhundert kommt es zu einem entschiedeneren
Zustutzen. Anders verhält es sich mit der Seitenlänge der Kasel, die schon
gegen Ausgang des Mittelalters vielenorts eine beträchtliche Verminderung-
erfahren hatte.
Fragen wir nach den Gründen, welche die Umgestaltung der Kaselform
herbeiführten, so muß vor allem der Wechsel im Kunstgeschmack ge-
nannt werden. Leichte, flotte, aber zugleich eben- und gesetzmäßige Linien-
führung ist für die Gotik charakteristisch, ein groß angelegter, lang gezogener,
weich fließender, lebensvoller Faltenwurf, eine Eigentümlichkeit des Bildwerkes
des gotischen Stiles bis ins 15. Jahrhundert hinein. Dabei waren an die Stelle
der vollen Rundung einander schneidende Bogen getreten. Es war aber da-
mals eine Zeit, wo die Kunst eine wirkliche Volkskunst war, wo sie noch das
ganze Leben beherrschte und alles in den Kreis ihres Wirkens zog, wo Kirche
und Haus, Hausrat und Kleidung den Einfluß der Zeitkunst an sich verspürten
und nach deren Grundprinzipien umgeschaffen wurden. Unmöglich konnte unter
solchen Umständen die kirchliche Gewandung und namentlich das priesterliche
Obergewand von dem Einfluß der neuen Kunstrichtung unberührt bleiben.
Man hat die Kasein des 13., 14. und 15. Jahrhunderts gotische Kasein
genannt. Der Name hat an sich ebensowenig Sinn wie der Name Gotik
überhaupt. Und doch, nimmt man einmal die Benennung Gotik hin, dann
ist auch die andere, „gotische Kasel", immerhin bezeichnend. Wir verstehen
darunter eine Kasel, bei der die Grundanschauungen der Gotik in der Form
wie im Faltenwurf, soweit das möglich ist, ihren Ausdruck gefunden haben.
Es ist ganz sicher, daß Kasein, die auf den Armen mäßig zurückgeschnitten
sind und infolgedessen einen leichteren Faltenwurf ermöglichen, und außer-
dem unten, vorn wie rückwärts, statt in eine volle Rundung in eine leichte
Spitze ausgehen, entschieden ein „gotischeres" Gepräge an sich tragen als
eine allenthalben gleich lange, unten runde und auf den Armen einen mächtigen
Bausch bildende Glockenkasel.
Es ist sicher nicht ohne Grund, daß das seitliche Beschneiden des Meß-
gewandes, das notwendig auch eine mehr oder weniger starke Zuspitzung
versehen. Auch hier ist indessen die Ein- die ca 0,20 m langen Schlitze, die man vom
richtung wohl ebensowenig ursprünglich wie Rand aus über den Seiten angebracht hat.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
18;
der unteren Enden desselben im Gefolge hatte, in Frankreich wie überhaupt
im Norden nicht nur zuerst begann, sondern auch am raschesten und energisch-
sten fortschritt. Gewiß konnte sich auch der Süden dem mit der Gotik herr-
schend gewordenen Zustutzungstrieb ebensowenig wie der Aufnahme dieser
selbst völlig entziehen. Allein wie hier die Gotik nur in beschränktem Maße
und in einer durch die überlieferten Baugepflogenheiten und antiken Re-
miniszenzen nicht wenig veränderten Auffassung und Formengabe Boden fand,
so vollzog sich auch der Umbildungsprozeß des Meßgewandes daselbst unter
dem Einfluß uralter, tief eingewurzelter Sitte im ganzen in weit langsamerem
Tempo und minder durchgreifend.
Indessen dürfte es nicht ausreichen, die Änderung in der Form und dem
Schnitt des Meßgewandes lediglich auf einen Wechsel in den Kunstprinzipien
und dem künstlerischen Geschmack zurückzuführen. Das Bestreben, dem
Meßgewande eine bequemere Form zu geben, hat sicherlich zu dessen
allmählicher Umgestaltung auch
seinen guten, wenn nicht gar den
größten Teil beigetragen.
In der Tat läßt sich nicht
verkennen, daß die alten Glocken-
kaseln nicht gerade immer für
den Träger eine Annehmlichkeit
waren, daß vielmehr die durch
die Länge und Weite dieses Ge-
wandes bedingte und auf den
Armen lastende Faltenmasse unter
Umständen für den Zelebranten
sehr lästig werden konnte. Das
mußte besonders dann der Fall
werden, wenn, wie das im späten
Mittelalter sehr gewöhnlich ge-
schah, das Meßgewand aus schwe-
rem, steifem Brokat, aus Gold-
stoff oder kräftigem Samt an-
gefertigt wurde.
Bezeichnend für das Gewicht, das schon im 13. Jahrhundert die Kasein
infolge der Stoffmenge und der Ausstattung wohl hatten, ist eine Mitteilung
der Mainzer Chronik1, worin von einem Meßgewand erzählt wird, das wegen
des dabei verwendeten Goldes so steif war, daß es nicht in Falten gelegt
werden konnte , und so schwer , daß ein sehr kräftiger Mann dazu gehörte,
um in ihm die heilige Messe zu feiern. Die Bischöfe und Prälaten hätten
sich seiner an Festtagen bedient, aber nach dem Evangelium und Offertorium
es mit einem biegsameren vertauscht und in diesem dann das heilige Opfer
vollendet. Daß aber ähnliche Kasein damals durchaus keine Seltenheiten waren,
sondern oft genug vorkamen, beweisen zur Genüge die Inventare aus jener
Zeit. Eine Idee solcher schwer mit Gold bestickten Meßgewänder gibt eine
Kasel im Dom zu Halberstadt (Bild 75) 2.
Unter solchen Umständen ist es wohl begreiflich, wenn man dazu über-
ging, die manchmal allzu ungefügen Kasein handlicher und bequemer zu ge-
Bild 75. Kasel. Halberstadt, Dom.
M. G. SS. 25, 239.
- Vgl. auch die Glockenkaseln im Dom zu Bamberg.
156 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
stalten, indem man sie an den Seiten zurückschnitt und dadurch die Last
und die Faltenmenge , welche auf den Armen sich aufzuhäufen pflegte, ver-
minderte. Was so auf der einen Seite dem Meßgewand zum Vorteil gereichte,
der kostbare Stoff und die prächtige Ausstattung, wurde auf der andern der
alten majestätischen Form der Planeta zum Verderben.
Wir werden übrigens mit der Annahme schwerlich fehlgehen, daß hie
und da auch Ersparnisrücksichten für die Einführung des Zustutzungs-
systems maßgebend gewesen sind, und es ist wohl nicht bloß Zufall, daß die
Verkürzung der Kasein beginnt, nachdem sich bestimmte liturgische Farben aus-
gebildet hatten. Riculf von Soissons konnte sich noch damit bescheiden, daß
er seinen Priestern vorschrieb, sie sollten eineMeßkasel besitzen. Seit dem
13. Jahrhundert war das nicht mehr tunlich, da wenigstens in größeren Kirchen
entsprechend den 4 — 6 ja 7 Kirchenfarben auch ebensoviele Kasein vorhanden
sein mußten.
Der Umbildungsprozeß, der sich mit dem Meßgewand im 14. und 15. Jahr-
hundert vollzog, betraf, wie schon vorhin bemerkt wurde, vor allem die
Seitenlänge desselben. Alle andern Veränderungen, die bezüglich der Form
der Kasel vor sich gingen, sind sekundärer Natur, namentlich die Verkürzung
der Vorder- und Rückseite und die beim Ausgang des Mittelalters auftauchende
Änderung im Schnitt. Bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts bildeten die
Schrägseiten der Kasel, wenn man diese mit ihren beiden Hälften überein-
anderlegte, regelmäßig vor wie nach einen rechten Winkel. Dann aber führte
die inzwischen mächtig voran geschrittene seitliche Zustutzung des Meßgewandes
dazu, dieses, bei dem von einem ergiebigen Faltenwurf und einem Anschmiegen
an den Körper schon seit einer Weile nicht mehr wohl die Rede sein konnte,
besser den Schultern anzupassen. Man ließ zu dem Ende die Schrägseiten
statt unter einem rechten unter einem stumpfen Winkel aneinanderstoßen,
indem man dadurch dem Schulterteil des Gewandes den steilen Anstieg be-
nahm und eine flachere Form gab.
Die Umwandlung der Kasel von der Glockenform zur heutigen Skapulier-
form vollzog sich übrigens weder plötzlich noch an allen Orten zu gleicher
Zeit. Hier hielt man zäher an der alten Form fest, während man anderswo
munter mit dem Strom der Zeit schwamm. Auch scheint die weite, faltige
Kasel am ehesten aus dem Alltags gottesdienst verschwunden zu sein,
während sie bei feierlichen Gelegenheiten sowie bei den Bischöfen und
sonstigen Di gnitare n noch längere Zeit im Gebrauch blieb.
Am konservativsten war man in Ralien ; der Norden war demselben in
der Zustutzung der Kasel um wenigstens ein halbes Jahrhundert voraus. Über
die Kasel in Deutschland zu Ende des 15. Jahrhunderts finden wir eine inter-
essante Notiz in der gedruckten „Auslegung des Amts der heyligen Messe"
(Augsburg 1486). Dort heißt es bei Deutung der Kasel: „Die casula. das
ist das obergewandt oder oberkleid das wir nennen und heyssen das meß-
gewandt, das solt gewönlich rott seyn und glocken weytte. und nicht aus-
gespitzt und geschnitten seyn. als man sie denn in disen teutschen landen
pfligt ze machen."
Um die Mitte des 13. Jahrhunderts hatte die Kasel selbst in Deutsch-
land noch keine namhafte Veränderung hinsichtlich der Form erlitten. Denn
damals beschreibt sie uns Bertold von Regensburg in seiner treuherzigen, an-
sprechenden Weise noch mit den Worten: „Der meßachel ist gar michel und
allumbe ganz und geschaffen als ein glog und als der himel, und so ihn der
Erstes Kapitel. Die Kasel.
1S7
prister uf die arme leget, so ist er geschaffen als ein schilt vorn und hinten und
bezeichnet die große minne, die got zu dem menschen hat."1 Zu Bertolds
Zeit war also das MeßgeAvand ersichtlich noch eine Glockenkasel , jedenfalls
kann es an den Seiten noch nicht in merklicher Weise zugestutzt geAvesen sein.
Im allgemeinen stellt noch im 14. und selbst bis ins 15. Jahrhundert
hinein die Kasel auf den BildAverken eine solche Stofffülle und eine so reiche
Faltenmasse auf den Armen dar, daß an eine übermäßige Zustutzung für diese
Zeit noch nicht zu denken ist. Dasselbe beAveisen auch die Meßgewänder
dieser Periode, soAAreit sie unverändert und unbeschnitten sich in die Gegen-
Avart gerettet haben.
Die Kasel des hl. Petrus Martyr zu St-Sernin in Toulouse hat auf den Armen
eine Länge von ca 1,10 m, das ebendort aufbewahrte, dem hl. Dominikus zugeAviesene,
der Beschaffenheit des Stoffes und der Stickerei nach aber vielleicht erst im 14. Jahr-
hundert entstandene MeßgeAvand eine Seitenlänge von nahe 1 m. Die Kasel, welche
Grimaldi im Grab Boni-
faz' VIII. fand , als man
1605 dasselbe öffnete, ging
nach dem Protokoll über
den Leichenbefund noch um
eine kleine Strecke über die
Hände hinaus, hatte also
über den Armen jedenfalls
noch eine Länge von ca
1,10 m. Die vom hl. Ber-
nardin gebrauchte Kasel
in der Opera del Duomo
zu Siena mißt an den Seiten
ca 1,10 m. Sie scheint im
frühen 15. Jahrhundert aus
einem älteren Stoff her-
gestellt Avorden zu sein,
wenigstens stammen aus
dieser Zeit die Besätze des
Gewandes. ZAvei ebenfalls
dem 15. Jahrhundert an-
gehörige, aus schlichtem,
violettem "Wollstoff ge-
machte Kasein in S. Marco
zu Venedig haben vorn und rückwärts eine Länge von 1,37 m, an den Seiten aber
eine solche von 1,20 m. Eine von Blanka, der zweiten Gemahlin Philipps von Valois,
in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gestiftete Kasel zu Briennon (Yonne) mißt
1,55 m im Rücken, gegen 1 m auf den Seiten2.
Die dem seligen Thomas von Biville (f 1257) der Tradition nach einst angehörige,
zu Biville befindliche Kasel hat über den Armen nur eine Länge von ca 0,95 m, ein
Anzeichen, daß das GeAvand, Avenn unbeschnitten, wohl aus etwas späterer Zeit stammt.
Von zwei MeßgeAvändern im historischen Museum zu Bern hat eines bei einer
Gesamtlänge von 1,50 m auf den Armen ca 0,95 m. Es gehört dem 14. Jahrhundert
an, ist italienischer Herkunft und wahrscheinlich an den Seiten etwas zurückgeschnitten.
Das andere stammt von Bischof Aimo von Lausanne (f 1517); es Aveist auf den Armen
nur noch 0,67 m auf3.
Bild 76. Kasel Kalixtus' III. Valencia.
1 Wackernagel, Altdeutsche Predigten,
Basel 1876, Nr 41, S. 70.
5 Abbildimg bei Roh. VIII, pl. dcxviii.
3 Abbildung der Kasel Aimos bei de Farcy,
Suppl. pl. 163 ; eine Skizze der ersten bei Roh.
VIII, pl. dcxiv, der sie aber zu hoch datiert.
188
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obera;ewänder.
Die Kasel, die von Kalixtus III. (1455 — 1458) bei der Kanonisation des
hl. Yinzenz Ferrerius getragen wurde und nun zu Valencia aufbewahrt wird, hat eine
Seitenlange von ca 0,90 m (Bild 76, S. 187). Man hat das Gewand an den Seiten vom
Band an so weit eingeschlitzt, daß es nur mehr bis über den Ellenbogen reicht, die auf-
geschlitzten Teile aber flügelartig rechts und links vom Arm herabhängen , eine Ein-
richtung, welche auch die beiden Wollkaseln in S. Marco, deren schon Erwähnung
geschah, aufweisen.
Von den zwei Meßgewändern zu Eichstädt ist die sog. Liutigerskasel in
St Walburga eine vortreffliche Arbeit aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts. Das
interessante Dessin des Stoffes besteht aus Quadraten, denen Eosetten eingefügt sind.
Das Kreuz auf dem Bücken des Gewandes weist bereits horizontale Arme auf; es
enthält eine gut gestickte Darstellung des Gekreuzigten. Im Bücken 1,36 m lang,
hat es auf den Schultern im Einklang mit der Zeit seiner Entstehung eine Länge von
0,60 m. Das andere Meßgewand, die St "Willibaldskasel im Dom, ist älteren Datums,
aber später an den Seiten beschnitten worden. Es ist aus ungemusterter gelber Seide
gemacht, wie die Form der Besätze bekunden, italienischen Ursprungs und allem An-
schein nach in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden. Besonders bemerkens-
wert sind die interessanten griechischen oder doch gräzisierenden Figurenstickereien auf
dem Besatz der Bückseite. Das Gewand hat eine Länge von 1,51 m; auf den Schultern
mißt es 0,75 m K
Zwei Kasein in der Alten Kapelle zu Begensburg haben eine Länge von 1,40
bzw. 1,38 m; über den Seiten messen sie 0,50 bzw. 0,56 m; sie gehören dem
15. Jahrhundert an, falls sie nicht etwa wegen Schadhaftigkeit um diese Zeit an den
Seiten auf ihre jetzige Breite zugestutzt wurden. Jedenfalls reichen sie nicht weit
über das 15. Jahrhundert hinaus -.
Die größte Zahl spätmittelalterlicher Meßgewänder befindet sich in dem Herzog-
lichen Museum zu Braunschweig , dem Dom zu Brandenburg , der Marienkirche zu
Danzig , dem Dom zu Halberstadt und zu Castel S. Elia bei Nepi. Das Herzogliche
Museum zu Braunschweig besitzt 30 Kasein, welche zum Teil aus dem 14., zum Teil
aus dem 15. Jahrhundert herstammen. Die größte Länge derselben beträgt 1,45 m,
die geringste 1,31 m; bei den meisten schwankt sie zwischen 1,40 und 1,35 m. Die
Seitenlänge fällt von 1,17 m bis auf 0,67 in, bei der Mehrzahl der Kasein hält sie
sich zwischen 1,00 und 0,85 m. Von einer Zustutzung kann wohl nur bei einem der
Meßgewänder die Bede sein ; alle übrigen geben sich , abgesehen von den Besätzen,
die bei einzelnen in neuerer Zeit hinzukamen, in dem Zustande, in welchem die sog.
Beformation sie fand. Ein Teil der Kasein ist aus einem ungemusterten grünen,
violetten, roten und blauen Wollstoff gearbeitet, die meisten bestehen jedoch aus Seide,
Brokatellen und Brokaten.
Der Schatz von St Marien zu Danzig darf sich rühmen, die höchst bedeutende
Zahl von 79 mittelalterlichen Kasein zu bergen. Sie gehören zum Teil noch dem
14., meist aber dem 15., einige dem frühen 16. Jahrhundert an. Ihre Länge schwankt
zwischen 1,45 und 1,30 m; über den Armen messen sie, soweit sie aus dem 14. und
1 Abbildung der Gewänder in „Eichstätts
Kunst", München 1901, 2f u. 78. Übereinesehr
schadhafte Kasel zu Altenburg (Südtirol)
vgl. Mitt. 1895, 259.
2 Fischbach Fr., Ornamente der Gewebe
vi undTfl 144 145. Nach Fischbach (ebd.) rührt
der Stoff der Gewänder aus der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts her. Denn eine arabische
Inschrift auf einer Dalmatik und einer Tuni-
ceila, welche zu einer der Kasein gehören,
soll nach Karabacek lauten: „Verfertigt hat
dieses Feierkleid der Meister Abdul Aziz in
seiner Fabrik für Wilhelm IL (von Sizilien)".
Indessen ist die Übersetzung nach einer freund-
lichen Mitteilung des P. L. Cheikho S. J. zu
Beirut (St Josephs-Universität) unrichtig. II
faut etre devin pour lire le nom de Guil-
laume II, roi de Sicile ; en tout cas les lettres
qu'on voit ne le montrent pas. Der Stoff
stammt wie die durchaus gleichartigen Zeuge
bei einer Kasel im Herzoglichen Museum zu
Braunschweig , einer Kasel zu Kulm und
einem Pluviale in St Marien zu Danzig
frühestens aus dem 14. Jahrhundert. Es sind
Brokatgewebe, bei welchen die Goldfäden aus
vergoldeten Lederriemchen bestehen.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 189
15. Jahrhundert stammen und nicht im 16. Jahrhundert seitlich zugestutzt wurden,
ca 0,75 — 0,60 m. Einige im 16. Jahrhundert entstandene Meßgewänder haben nur
mehr eine Seitenlänge von ca 0,40 m.
Im Dom zu Halberstadt finden sich, abgesehen von den Kaselresten und ver-
schiedenen späteren Kasein, noch mehr denn 30 vollständige Kasein aus dem Mittel-
alter. Einige reichen noch ins 18. Jahrhundert hinauf, so namentlich das prächtige,
aus kräftigem blauem Seidenköper bestehende, mit goldgestickten Adlern geschmückte
Meßgewand, das indessen allem Anschein nach in späterer Zeit an der Seite beschnitten
wurde. Die übrigen fallen zumeist in das 14. und 15. Jahrhundert '. Bei einigen
der Halberstadter Kasein belauft sich die Länge auf mehr denn 1.50 m, im all-
gemeinen schwankt dieselbe bei ihnen jedoch zwischen 1,45 — 1,35 m. Die Seiten-
länge beträgt bei den älteren Gewändern ca 1,10 — 0,95 m, um dann allmählich bis
zum Beginn des 16. Jahrhunderts auf ca 0,50 m herabzusinken.
Auch das bayrische Nationalmuseum besitzt unter seinen zahlreichen , meist
freilich später beschnittenen Meßgewändern noch eine Anzahl solcher , die , aus dem
15. Jahrhundert stammend, ihre ursprüngliche Form ganz oder doch nur mit geringer
Veränderung beibehalten haben.
Von den Kasein zu Castel S. Elia wird weiter unten ausführlicher die Kede sein.
Das 16. Jahrhundert, das für die Neubelebung des kirchlichen Lebens
und kirchlichen Geistes so bedeutungsvoll wurde und ganz besonders durch
seine segensreichen Reformen auf dem Gebiete der Liturgik eine neue Periode
eröffnete, hat der Kasel nichts Gutes gebracht. Wäre man nur auf dem
Standpunkt stehen geblieben, auf dem man beim Beginn der neuen Zeit an-
gelangt war! Das 16. Jahrhundert hat zwar nicht die wenig schöne Meß-
gewandform geschaffen, die noch jetzt trotz aller dagegen aufgewandten Be-
mühungen den Markt beherrscht, allein es hat denn doch mit dem überlieferten
Schnitt endgültig gebrochen. Wohl war das Meßgewand, wie es am Schlüsse
des 16. Jahrhunderts in Brauch war, im ganzen noch ein erträglicher,
ja im Vergleich mit der späteren Kasel sogar noch ein würdiger Ornat.
Allein das mittelalterliche Meßgewand war es nicht mehr, und der Name
Kasel war bei ihm in jeder Beziehung nur mehr eine bloße Reminiszenz, ein
Wort ohne Bedeutung. Schon die Kasel des 15. Jahrhunderts hatte bloß noch
mit teilweiser Berechtigung ihren Namen wahr gemacht. Das Meßgewand des
beginnenden 17. Jahrhunderts war in keinem Sinne ein „Hüttchen" mehr.
„Nostra aetate ac superioribus aliquot saeculis casula ab utraque parte
concisa ante et retro sine errore ullo producitur usque ad talos adeoque ac-
cisa atque in aliam speciem deformata, ut si cum antiqua casula, unde de-
fluxit, componatur, vix suum nomen tueatur, sagt mit Recht Stephan Durant
im Anschluß an Wilhelm Lindanus (j 1588) in seiner 1592 erschienenen
Schrift De ritibus ecclesiae catholicae2.
Selbst in Rom, wie überhaupt in Italien, wo die Kasel am längsten
der alten Form treu geblieben war, hatte das Meßgewand, abgesehen von
etwas größerer Breite, schon am Ende des 16. Jahrhunderts wesentlich die
jetzige Form.
1 Verschiedene sind mit älteren, kostbaren Arbeit des 15. Jahrhunderts. Das Meßgewand
Besätzen verziert, so z. B. Nr 209, welche selbst dürfte jedoch kaum dieser Zeit an-
wohl ebenfalls noch aus dem 13. Jahrhundert gehören, sondern weit älter sein. Es ist
datiert, und Nr 208. Ein merkwürdiges schwer anzunehmen, daß man im 15. Jahr-
Gewand ist Nr 206. Es besteht aus plüsch- hundert im Norden noch eine Glockenkasel
artigem, grünem Samt und stellt eine Glocken- neu hergestellt habe.
kasel dar. Das mit Heiligen in Reliefstickerei 2 L. 2, c. 9, n. 8 ; (ed. Colon. 1592)
verzierte , geradbalkige Kaselkreuz ist eine p. 326.
190
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Es ist interessant, die der Wende des 15. Jahrhunderts entstammenden Grab-
figuren in den Basiliken Korns in Bezug auf die Kasel mit römischen Bildwerken
aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts zu vergleichen. Dort ist sie noch ein langes,
weites Gewand mit mächtigem Faltenbausch auf den Armen, hier legt sie sich fast
völlig glatt, falten- und runzellos dem Körper an und schließt im besten Fall etwas
über der Mitte des Oberarmes ab. Man halte nur einmal die Kardinäle auf den
Grabmonumenten in S. Maria del Popolo, einen Christoforo della ßovere (f 1480),
einen di Castro (f 1506), einen Costa (f 1508) und einen Podocatharos (t 1500) und
die Statuen an der Fassade von S. Susanna aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts
gegeneinander.
Eines der frühesten Beispiele einer schon ziemlich stark beschnittenen Kasel
bietet zu Kom das Grabmal des Kanonikus von St Peter, Bernardo Capella (f 1524),
in S. Stefano Kotondo, welches dem Verstorbenen nach seinem Tode von zwei Freunden
aesetzt wurde. Das Gewand reicht unter sehr mäßigem Faltenwurf nur noch eben
Bild 77. Kasel des hl. Karl
Rom, S. Maria Maggio]
Borromäus.
Bild 78. Kasel Pius' V.
Rom, S. Maria Maggiore.
über den Oberarm hinaus. Kecht bezeichnend tritt der Wechsel in den Maßen der
Kasel an zwei Meßgewändern hervor, die in S. Maria Maggiore aufbewahrt werden.
Das eine stammt vom hl. Karl Borromäus, der bekanntlich Erzpriester der Basilika
war (Bild 77), das andere vom hl. Pius V. (Bild 78). Jenes ist ca 1,45 m lang,
1,10 m im Rücken, 0,90 m vor der Brust weit und auf den Armen 0,60 m lang.
Dieses hat ebenfalls eine Länge von 1 ,45 m , dagegen beträgt die Bücken breite nur
mehr 0,95 m, die vordere Breite 0,73 m und die Seitenlänge über den Armen 0,50 m \
Bemerkenswert ist, daß Paul IV. (1555 — 1560) den Versuch machte,
die Kasel auf ihre frühere Form zurückzubringen. Oldoinus berichtet dar-
über in seinen Zusätzen zu Chacons Vitae Rom. Pontificum : Pontificum in-
dumenta, quae a maiestate formaque desciverant, suo splendori ac figurae
1 Die Kasel des hl. Karl Borromäus im
Dom zu Mailand weist auf den Armen eine
Länge von ca 0,54 m auf, im Rücken mißt sie
in die Breite ca 1,06 m. Die Länge des Ge-
wandes beläuft sich auf 1,27 in. Es sind,
wie man sieht, so ziemlich dieselben Mal.ie.
welche der Kasel des hl. Karl in Maria
Erstes Kapitel. Die Kasel
191
restituit 1. Die indumenta können hier nach dem Zusammenhang nur als
liturgische Gewänder gefaßt werden, und zwar wird man bei ihnen in Anbetracht
der damaligen Verhältnisse, wenn nicht allein, so doch vorzugsweise an die
Kasel zu denken haben. Der gutgemeinte Versuch hatte leider keine nach-
haltige Wirkung.
Um die Wende des Jahrtausends war die Rückenbreite der römischen
Kasel schon auf 0,85 m und ihre Länge über den Schultern auf ca 0,45 m
herabgesunken, Maße, welche genau den Angaben Gavantis in dessen 1628
erschienenem Thesaurus entsprechen 2.
Zur Charakterisierung der römischen Kaselform des ausgehenden 16. Jahr-
hunderts kann ein Meßgewand dienen, dessen sich der sei. Petrus Canisius zu Freiburg
in der Schweiz während seiner letzten Lebenstage bediente. Ob es römischen Ursprungs
ist, läßt sich nicht feststellen, jedenfalls gibt es aber nach Schnitt und Maßverhält-
nissen treu die damalige römische Kasel wieder
(Bild 79). .1 ^
Es ist aus einfarbig grüner, leichter Taffet-
seide angefertigt und höchst einfach; die Stäbe sind
durch Börtchen imitiert. Seine hintere Hälfte ist V
85 cm breit; die nur sehr mäßig ausgeschnittene
Vorderseite ist bloß um ein weniges schmaler. Auf a
den Schultern hat es eine Länge von 0,45 m. Das
Gewand besteht aus zwei Stoffstücken, einem grö-
ßeren und einem kleineren. Jenes bildet den Rück-
teil und zugleich die obere Partie des Vorderteils,
dieses das untere Stück des letzteren. Die Weise
der Anfertigung der Kasel ist aus der beistehenden
Skizze ersichtlich. An dem größeren Stück wurden
die Abschnitte o und o' um ab bzw. cd nach vorn
geschlagen und das kleine Stück an die nunmehr
vorn in gerader Linie liegenden Seiten ef und gh
angenäht. Dann wurde dem Ganzen ein leichter
Piquestoff als Putter untergelegt und schließlich
durch Börtchen der Besatz nachgebildet. Das
1,32 m lange Gewand hat infolge seiner eigen-
tümlichen Anfertigung eine Öffnung zum Durch-
lassen des Kopfes, wie sie in ähnlicher Weise bei gj^j
der früher geschilderten Herstellung der Planeton
des 11. Jahrhunderts entstand.
Im übrigen Italien vollzog sich die Umbildung der Kasel in derselben
Weise und demselben Tempo wie zu Rom. Man braucht, um sich davon zu
überzeugen, nur die Bildwerke in Neapel. Florenz, Pisa, Siena, Ravenna,
Bologna, Venedig, Verona, Mailand usw. zu studieren. Es ist nicht nötig,
auf Einzelheiten einzugehen. Nicht darf jedoch das Bestreben des hl. Karl,
der Vergewaltigung der Kasel in seinem Machtbereiche ein Ende zu machen,
unerwähnt bleiben. Um dem Gewand eine würdige Form zu erhalten, be-
stimmte der Heilige, es solle die Kasel etwas mehr als 3 Cubiti = ca 1,30 m
breit und ebenso lang oder noch etwas länger sein, so daß sie fast bis zu
den Knöcheln reiche3. Freilich konnten auch die Bemühungen des hl. Karl
Kasel des sei. Petrus Canisius.
Exaeten, Canisius-Kolleg.
1 C i a c o n i i - 0 1 d o i n i Vitae Rom. Pontif. III,
Romae 1677. 832.
- Gav. H 273.
3 A. E. Med. 627. Es wird dort ausdrück-
lich noch bemerkt , es müsse die Kasel so
breit sein , daß sie unterhalb der Schulter
noch eine Faltung von der Breite einer
Spanne zulasse.
192
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
die unwiderstehlich dahinrauschende Zeitströmung nicht aufhalten. Es ging
in Mailand wie anderswo. Um die Wende des 16. Jahrhunderts war die
Kasel auch dort bei denselben Maßen angelangt, die um diese Zeit in Korn
und dem übrigen Italien bei dem Meßgewand üblich geworden waren. Selbst
die zu Rom und Mailand aufbewahrten Kasein des großen Mailänder Erz-
bischofs entsprechen nicht einmal mehr ganz jenen Maßen.
Eine treffliche Planeta aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts befindet sich
in der Opera del Duomo zu Florenz (Bild 80). Sie ist 1,41 m lang, im Rücken
0,98 m breit und auf den Schultern 0,50 m lang. Das Meßgewand, welches St Gemi-
nianus und St Markus zu
Venedig auf den Mosaiken im
Portikus von S. Marco aus
den Jahren 1535 und 1545
tragen, ist von etwas grö-
ßeren Maßverhältnissen als
die Florentiner Kasel, die
man Kardinal Alexander
Farnese zuschreibt. Aus dem
Anfang des 17. Jahrhunderts
mag die prächtige Kasel
stammen, welche in der Ka-
pelle der Familie Chigi des
Domes zu Siena aufbewahrt
wird. Man eignet die Ent-
würfe zu den Stickereien,
mit denen sie in reichstem
Maße bedeckt ist, fälschlich
Eaffael zu (Bild 81). Das
Gewand hat bei einer Länge
von ca 1,30 m eine Rücken-
breite von ca 0,90 m und eine
Schulterlänge von ca 0,45 m.
Eine bemerkenswerte Ka-
sel italienischen Ursprungs
aus der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts besitzt das
Stift Einsiedeln. Ihre Länge
beträgt 1,12 m, ihre Rücken-
breite von Schulter zu Schul-
ter 0,93 m. Der Stoff des
Gewandes besteht aus derber
Leinwand, der mittelst kräf-
tiger, dunkelblauer Seidenfäden Hirsche. Vögel und Lilien eingewoben sind. Das
Kreuz mit dem Kruzifixus ist nachträglich der Kasel aufgesetzt worden 1.
Im Norden machte auch im 16. Jahrhundert die Kasel den Verbildungs-
prozeß rascher durch als im Süden. Hier finden wir bereits in der ersten
Hälfte desselben Meßgewänder von einer Form , wie sie uns in Italien erst
gegen 1600 begegnen. So hat beispielsweise die 1528 von Bischof Carandolet
der Kathedrale von Besancon geschenkte Kasel 2 bei einer Länge von ca 1,30 m
Bild SO. Kasel. Florenz, Opera del Duomo.
1 Nach den gütigen Mitteilungen des hoch w.
Herrn P. Odilo Ringholz. Gute Abbildung des
Gewandes in P. Odilo Ringholz, Geschichte
des Stifts Einsiedeln I, Einsiedeln 1904, 256.
2 De Parcy pl. 73. Bischof Carandolet
von Palermo war Dechant von Besancon.
Die Kasel ist eine Arbeit aus Bruges und
datiert.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
193
eine Rückenbreite von nur 0,94 m und eine Schulterlänge von ca 0,48 m.
Die Kasel Friedrichs von Brandenburg im Dom von Halberstadt mißt bei
0,90 m im Rücken auf den Schultern nur 0,45 m. Ebenso weist das durch
seinen Stoff und namentlich seine glänzenden Stickereien in Goldlasurtechnik
berühmte Meßgewand des Kanonikus Sibert von Ryswick (f 1540) im Schatz
des Xantener Domes bei einer Gesamtlänge von 1,45 m eine Rückenbreite
von nur 0,95 m und über den Schultern eine Länge von bloß 0,45 m auf.
Sehr lehrreich sind für die Kenntnis der Kasel des 16. Jahrhunderts und
ihrer Umbildung die Grab-
mäler der Erzbischöfe im
Dome zu Mainz. Das Meß-
gewand, mit dem Kurfürst
von Henneberg (f 1504) be-
kleidet erscheint, ist noch
weit und faltenreich; das-
selbe gilt von demjenigen
seiner nächsten Nachfolger.
In der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts aber verliert
es auf den genannten Monu-
menten seinen reichen Fal-
tenwurf und schrumpft bis
zum Beginn des 17. Jahr-
hunderts immer mehr zu-
sammen. Dann aber ver-
schwindet die nunmehr allzu
bedeutungslos gewordene
Kasel von den Denkmälern,
um durch das mächtigere
und wirkungsvollere Plu-
viale ersetzt zu werden.
Auch die Grabmäler
der Trierer Erzbischüfe Jo-
hann von Metzenhausen
(f 1540) und Johann von
Schönenberg (f 1599) im
Dom zu Trier sind für den
Entwicklungsprozeß , den
die Kasel bei uns nahm,
recht bezeichnend. Bei ersterem
Bild 81. Kasel. Siena, Dom, Kapelle Chig
Mitte
reicht das Meßgewand noch bis zur
des Unterarmes, bei letzterem nur noch ein wenig auf den Oberarm.
Eine vorzügliche Übersicht über Form, Schnitt und Größenverhältnisse des Meß-
gewandes im 12., 13., 14., 15. und 16. Jahrhundert liefern eine Anzahl Kasein,
welche sich zu Castel S. Elia bei Nepi in der römischen Campagna erhalten haben.
Sie bieten eine förmliche Entwicklungsreihe des Gewandes durch das spätere Mittelalter
hindurch bis in die Frühe der neueren Zeit hinein, und zwar besteht dieselbe nicht, wie
etwa in einem Museum, aus Kasein, die aus den verschiedensten Orten und Gegenden
zusammengetragen wurden, es sind Meßgewänder — und das gibt ihnen eine besondere
Bedeutung — aus einer und derselben Kirche. Das Bild, welches sie uns von der
Umgestaltung der Planeta vermitteln, ist darum ein durchaus treues und lebenswahres
Spiegelbild der Wirklichkeit.
Braun, Die liturgische Gewandung. 13
194
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Län
ge der Kasel
Nr
auf den
Armen
vorn
rück-
wärts
Entstelmngszeit 1
1
0,45
1,30
1,30
| 16. Jahrb..,
2
0,50
1,54
1,41
| 2. Hälfte
3
4
5
0,59
0,66
0,69
1,39
1,50
1,48
1,39
1,50
1,60
1 16. Jahrb..
( 1. Hälfte
6
0,80
1,33
1,33
15. Jahrh.
7
8
1,20
1,22
1,58
1,55
1,58
1,55
14. Jahrh.
9
1,45
1,50
1,84
13.— 14. Jahrh
10
11
1,60
1,62
1,60
1,60
1,60
1,62
12.— 13. Jahrh.
Sie zeigen uns aber nicht nur, wie es sich mit der allmählichen Umwandlung
des Meßgewandes im mittleren Italien verhalten hat. Da nämlich die Verbildimg des
Gewandes allenthalben im Abendland wesentlich den gleichen Gang nahm , wenn sie
sich auch in dem einen Lande rascher
vollzog als in dem andern, so kann das
Bild, welches wir durch die Kasein von
Castel S. Elia von der Entwicklungs-
geschichte des Meßgewandes erhalten, mit
allem Fug als Eeflex der allmählichen
Umgestaltung der mittelalterlichen
Kasel überhaupt betrachtet werden.
Es sind im ganzen 11 Meßgewänder,
welche die schlichte Landkirche birgt.
Ihre Maßverhältnisse erhellen aus neben-
stehender Tabelle.
Bei nur zwei Kasein ist der Vorderteil
um ein nennenswertes kürzer als der Rück-
teil ; die Mehrzahl weist vorn und rück-
wärts dieselbe Länge auf; bei einer ist sogar die vordere Hälfte um 0,13 m länger
als die hintere. Es sei hierauf besonders aufmerksam gemacht; denn es zeigt, wie
wenig bis in die Neuzeit hinein das Bestreben herrschte, die Kasel vorn zu verkürzen,
und wie verkehrt es ist, aus künstlerischen Lizenzen oder scheinbaren Ungenauigkeiten
der Monumente den Schluß zu ziehen, man habe schon im 11. Jahrhundert die Kasel
der Bequemlichkeit halber vorn zugestutzt. Die Kasein von Castel S. Elia beweisen
aufs schlagendste, daß für Bildwerke, auf denen das Meßgewand vorn kürzer aussieht
als auf dem Bücken, eine andere Erklärung gesucht werden muß 2.
Beachtenswert ist ferner, wie bei den Kasein im ganzen die Tendenz sich äußert,
um so mehr an Länge abzunehmen , je näher sie der Neuzeit kommen. Am inter-
essantesten ist aber die Tabelle mit Rücksicht auf die Seitenlänge der Meßgewänder.
Dieselbe fällt von 1,62 m auf 0,50 m, mit andern Worten: bei Kasel 11 und 10
gleich der Gesamtlänge des Gewandes beträgt sie bei Kasel 2 und 1 nur noch ca ein
Drittel derselben.
Wie schon früher bemerkt wurde, bestand die Umgestaltung des Meß-
gewandes vor allem und wesentlich in der seitlichen Zustutzung.
Die sonstigen Veränderungen, welche mit ihm vor sich gingen, die Verkürzung
nach unten und die Einführung eines neuen Schnittes zum Zwecke, das Gewand der
Schulter besser anzupassen, stehen in ursächlichem Zusammenhang mit der seitlichen
Beschneidung der Kasel. Je mehr diese an den Seiten zusammenschrumpfte , um so
mehr mußte sie auch unten verkürzt werden, sollte ihr nicht alles Ebenmaß genommen
werden. Je mehr man ferner durch die Zurückschneidung an den Seiten die Bildung
eines Faltenwurfes auf dem Oberarm erschwerte, um so mehr mußte man daran denken,
dem Meßgewand eine Form zu geben, bei der es sich möglichst glatt den Schultern
anlegte. Klar tritt dieser Gang der Dinge bei den Skizzen 82 — 87 zu Tage, welche die
Kasein Nr 1, 5, 6, 7, 9 und 11 der Tabelle wiedei-geben. Sie bieten eine Darstellung der
Umbildung des Meßgewandes in den verschiedenen Phasen seiner Entwicklung vom
12. bis zum 17. Jahrhundert, wie man sie sich besser und vollständiger kaum wünschen
könnte. Zugleich zeigen sie aber auch den tiefgreifenden Unterschied zwischen der ur-
sprünglichen Glockenform des Gewandes und der Skapulierform, auf welche dieses durch
das anhaltende Zustutzen bis zum Schluß des 16. Jahrhunderts gebracht worden war.
Übrigens muß betont werden , daß trotz aller Beschneidung die Kasel
bis in das 17. Jahrhundert im Norden wie im Süden immer noch ein würdiges
1 Ka9el Nr 3 ist aus einem Meßgewand
des 14. Jahrhunderts durch seitliche Be-
schneiduiiü beriresti-lll worden. Audi die
Kasein Nr 2 und 4 wurden aller Wahrschein-
lichkeit nach in gleicher Weise aus älteren
Meßgewändern gemacht. 2 S. oben S. 175.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
195
Bild 87.
Bild 82 — 87. Kasein, die Entwicklung der Kasel vom 12. Jahrh. an bietend.
Castel S. Elia.
13*
196 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Meßgewand blieb, wenngleich es natürlich schon lange nicht mehr das Ideal
eines solchen war. Die eigentliche Verbildung der Kasel hebt erst in der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an. Bis dahin hatte das Gewand durch-
gängig noch überall die angemessene Rückenbreite von 0,80 m. Nun sinkt
diese zunächst auf 0,75 m, dann im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf 0,70 m
und zuletzt gar auf 0,65 — 0,60 m herab, ■ hier etwas früher, dort etwas später.
Damit aber nicht bloß auf den Armen, sondern auch vor der Brust
keine lästigen Falten entständen, blieb man dabei nicht stehen, nur die Breite
des Gewandes zu verringern, sondern ging auch dazu über, die vordere Hälfte
der Kasel recht gründlich vor den Schultern auszuschneiden. Es war ein
Radikalmittel , durch welches indessen der Zweck, den man verfolgte , voll-
kommen erreicht wurde; denn nunmehr gestattete auch das schwerste und
steifste Meßgewand den unbehinderten Gebrauch der Arme. Daß dadurch
die Vorderseite der Kasel die häßliche Gestalt einer Geige oder eines Schurzes
erhielt, machte keinen Eindruck. War doch das Gewand nun wahrhaft be-
quem geworden. Und dann gewährte ja eine solche gründliche Zustutzung
des altehrwürdigen Kleides volle Möglichkeit, ■ die schwersten und strotzendsten
Goldstickereien auf ihm anzubringen und so der Prunksucht die weiteste
Rechnung zu tragen1.
Die Führerschaft in der Vergewaltigung des Meßgewandes hatte Frank-
reich übernommen. Zwar schrieb noch im Jahre 1651 das Rituale von Rouen vor,
es sollte die Form der heiligen Gewänder eingehalten werden, welche die von
den Vätern getroffene Anordnung und das ehrwürdige Alter der Kathedralkirche
vorschreibe, und darum müßten die Kasein oder Planeten nach beiden Seiten
hin eine solche Ausdehnung haben, daß sie wenigstens den ganzen Arm be-
deckten2. Ja es waren, wie Lebrun-Desmarettes (de Moleon) in seinen Voyages
liturgiques de France berichtet, noch 1718 an bestimmten Tagen in einzelnen
Kirchen Kasein von mittelalterlicher Form in Gebrauch und es hatte damals
überhaupt das Meßgewand an verschiedenen Orten noch eine solche Breite,
daß es bis auf den Arm des Priesters herabging. Allein das waren Ausnahmen
und keineswegs der Ausdruck für den Geist und Geschmack der Zeit. Besser
paßte zu demselben die Anschauung, die nach de Vert ein Pariser Caeremoniale
zum Ausdruck bringt, wenn es bestimmt: revolutae illae partes ut superfluae
amputandae sunt3. Die Falten auf den Armen waren überflüssig und mußten
darum beseitigt werden. Aber auch in Deutschland, Spanien, Portugal und
den Niederlanden brach man gründlich mit der überlieferten Kaselform. Die
zahlreichen Meßgewänder des 18. Jahrhunderts, die sich in den Sakristeien
noch erhalten haben, legen vollwichtiges Zeugnis dafür ab. Man hatte sich
zu sehr in den Bann des französischen Beispiels begeben. Wie auf dem Ge-
biet der Kunst, des Wissens, der Etikette, der profanen Tracht usw., so war
dieses auch auf dem der Paramentik tonangebend geworden. Lyon und Paris
beherrschten den Paramentenmarkt samt den Sakristeien und beglückten alle
Welt nicht bloß mit ihren „reizenden" , den kirchlichen Farbenregeln freilich wenig
entsprechenden Stoffen, sondern auch mit ihren von „wahrhaft modernem und
ausgesucht geläutertem Geschmack zeugenden" fertigen liturgischen Gewändern.
Am konservativsten war man in Italien, namentlich zu Rom, wo das
Meßgewand stets eine erträgliche Form beibehielt und kaum je zu den kläg-
1 Eine Reihe derartiger höchst kostbarer - Ioan. Prevotii Observat. ad libr. Ioan.
Kasein sind abgebildet bei de Farcy pl. 88 Abrinc. de off. eccl. n. 122 (M. 147, 88).
91 96 103 128 130 u. a. " De Vert 318 note.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 197
liehen Maßverhältnissen herabgewürdigt wurde, die außer Italien allenthalben
gang und gäbe waren.
Das 17. und namentlich das IS. Jahrhundert sind denn auch vornehm-
lich die Zeit, da man die Schere an ältere Meßgewänder legte. Welche Bar-
barei und welche unbeschreibliche Geschmacklosigkeiten man dabei bewies,
bezeugen laut die verstümmelten Stickereien, die Heiligen, denen die Füße
amputiert wurden oder die man geradezu halbierte. Unsere Sakristeien und
Museen weisen Hunderte von Beispielen dafür auf. Falls eine Kasel nicht
als Reliquie eines Heiligen galt, fand sie keine Barmherzigkeit. Daher die
eigentümliche Tatsache, daß sich aus der Frühe unseres Jahrtausends so viele
unversehrte Meßgewänder erhalten haben, aus dem ausgehenden Mittelalter
und selbst dem 16. Jahrhundert jedoch in katholischen Kirchen nur äußerst
wenige. Wenn man intakte Kasein aus dieser Zeit sehen will , muß man
vor allem nach Danzig (St. Marien), Halberstadt (Dom) und Brandenburg (Dom)
gehen. Aus protestantischen Kirchen stammt in den meisten Fällen wohl auch,
was wir an unbeschnittenen .spätmittelalterlichen Kasein in den Museen finden.
Etwas spezifisch Katholisches war freilich das Zustutzen des Gewandes
nicht. Wo, wie in Dänemark und Schweden, die Kasel sich bis in die Gegen-
wart beim protestantischen Gottesdienst in Gebrauch erhielt1, hat sie den-
selben Prozeß durchgemacht, der sich mit dem Meßgewand im katholischen
Ritus vollzog. Es gibt in Schweden noch eine große Zahl Kasein aus dem
ausgehenden Mittelalter. Sie bieten indessen dasselbe Bild, welches uns so
manches Meßgewand aus jener Zeit in katholischen Sakristeien gewährt. Das
Beschneiden des altehrwürdigen Gewandes lag in dem Geschmack der Zeit
und der herrschenden Mode. Es wurde daher überall geübt, wo dieses sich
in Gebrauch befand, bei den Katholiken wie bei den Protestanten.
XI. DIE KASEL IN DER NEUESTEN ZEIT.
Auch in der neuesten Zeit hat das Meßgewand seine Geschichte. Die
Bestrebungen, den liturgischen Gewändern statt der bisherigen entarteten
Formen eine würdigere, der Heiligkeit der liturgischen Feier und dem re-
ligiösen Anstand entsprechendere Gestalt zu geben, kam vor allem der Kasel
zu gut. Das Bedürfnis nach einer Umgestaltung der Kasel war in der Tat
zu schreiend, um ungehört zu verhallen. Wenn irgendwo, dann galt es hier,
nach mancherlei Seiten hin, nach Stoff, Anfertigungsweise, Ausschmückung
und Form hin Wandel zu schaffen. So erhoben sich denn, unterstützt durch
manche Bischöfe, in England, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland
eine Reihe von Männern, welche, voll Begeisterung für die gute Sache, un-
ermüdlich alle Kräfte für eine gründliche Reform der Kasel einsetzten. Als
anzustrebendes Ziel galt möglichste Einführung eines Meßgewandes, wie es
im späteren Mittelalter in Gebrauch war.
1 Auch in Deutschland blieb die Kasel bei (Kirchenlex. IX 573). Zu Hannover, Grimma
den Protestanten manchenorts bis tief in das und Lübeck erhielt sie sich bis in den An-
17., ja bis ins 18. Jahrhundert neben der fang des vorigen Jahrhunderts (ebd. VII 175).
Albe als liturgisches Gewand in Gebrauch Ebenso trug die sächsische Hof- und Pfarr-
(vgl. Stimmen aus Maria-Laach LV [1S98] geistlichkeit bis ins 19. Jahrhundert Kasein,
104). Zu Rostock wurde sie im Beginn des und zwar recht farbige und mit Goldstickerei
18. Jahrhunderts aus der Liturgie verbannt, geschmückte (C. Gurlitt, Kirchen, Stutt-
zu Nürnberg wurde sie erst 1810 abgeschafft gart 1906, 75).
198 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Die Prager Synode vom Jahre 1860 sagt bezüglich der Kasel: Dolemus
autem impraesentiarum casulas esse adeo decisas contra debitam maiestatem
et in aliam prope speciem deformatas, ut si cum prisca et propria liuius in-
dumenti forma componantur, vix suum tueantur nomen. . . . Longe pateant ad
minimum ulnas duas et ab utroque latere infra humeros aliquatenus dependeant;
fasciam porro habeant decentis latitudinis assutam ab anteriori et posteriori
parte usque ad extremum dependentem, cui altera fascia transversalis crucis
quandam speciem exprimant 1. Sie verlangte also für das Gewand eine Breite
von ca 1,20 m, d. i. das gleiche Maß, welches das Prager Konzil vom Jahre
1605 in Anlehnung an die Bestimmungen des hl. Karl vorgeschrieben hatte 2.
Die Dekrete der Prager Synode wurden von Rom bestätigt, ein Umstand, der
für die Frage nach der Erlaubtheit der sog. gotischen Kasein nicht ohne
Bedeutung ist. Denn diese sind es ja, welche das Konzil im Sinne hatte,
wenn es auch nicht ausdrücklich von gotischen Kasein redet.
In Deutschland haben sich namentlich Dr Bock und der von Pfarrer
Laib und Dr Schwarz herausgegebene Kirchenschmuck wie um die Regeneration
des Paramentenwesens überhaupt, so besonders um die der Kasel großes und
dauerndes Verdienst erworben.
Man nannte die mittelalterliche Kasel, deren Einführung man wieder
anstrebte, gotische, altdeutsche und Bernarduskasel, eine kleinere Form aber,
die sich an die Verordnungen des hl. Karl anschloß, Borromäuskasel. Auch
wurde der Vorschlag gemacht, sie altrömisches Meßgewand zu heißen. Die
Namen waren allesamt nicht besonders glücklich, die Bezeichnungen „alt-
deutsche", „altrömische" und „Bernarduskasel" sind sogar schlechthin falsch3.
Die in Frage stehende Form des Meßgewandes war nie etwas spezifisch
Deutsches oder Römisches, zur Zeit des hl. Bernard aber hatte dieses, wie
die zahlreichen Kasein des 12. Jahrhunderts und namentlich die beiden Kasein
zu Xanten und Brauweiler beweisen, noch die volle Glockenform. Am ent-
sprechendsten wäre wohl die Bezeichnung „spätmittelalterliche" Kasel form
gewesen; denn es war ja das Meßgewand des ausgehenden Mittelalters, das
man wieder in Gebrauch zu bringen suchte. Vielleicht, daß in diesem Falle
die Wiedereinführung der alten Form auf etwas weniger Schwierigkeit ge-
stoßen wäre. Man darf nicht vergessen, daß das Wort „Gotik" in den fünfziger
und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch für viele, namentlich aber
in Italien, einen Übeln Beigeschmack hatte. Die Schwierigkeiten waren so
groß, daß es sogar eine Weile den Anschein hatte, als sollte eine völlige Ver-
urteilung der Rückkehr zur spätmittelalterlichen oder „gotischen" Kasel form
— denn nur diese, nicht die Glockenkasel kam in Frage — seitens der Riten-
kongregation erfolgen.
Die Veranlassung gab der Umstand, daß sich Dr Bock zu Rom in der
Anima einer gotischen Kasel bei der Messe bedient hatte. Die Sache war
aufgefallen und kam vor die Kongregation der Riten, vor der sich Dr Bock
zur Rechtfertigung auf Bischof Johann Georg von Münster berief. Dieser
1 Tit. 5, c. 7 (Coli. Lac. V 538). Gewand aus den Tagen des Heiligen stammt;
2 C. 13 (Hartzh. VIII 691). jedenfalls ist seine heutige Form nicht aus
3 Die Bezeichnung „Bernarduskasel" rührt jener Zeit. Dagegen ist wohl nicht zweifel-
von Dr Bock her und knüpft an eine Kasel haft, daß der hl. Bernard zu Aachen zelebrierte
im Münster zu Aachen an , in welcher der und der betreffende Text der Miracula S. Bern,
hl. Bernard bei seinem Aufenthalt zu Aachen 1. 6, c. 4 lauten muß wie M. 6. SS. XXVI
das heilige Opfer dargebracht haben soll. 132; denn daß er in einem Tage von Jülich
Allein es ist wenig wahrscheinlich, daß dieses nach Maastricht zog, ist unannehmbar.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 199
wurde zu einem Bericht aufgefordert, den er denn auch unter dem 10. Juni
1859 der Kongregation einreichte. Die Denkschrift wurde dem apostolischen
Zeremonienmeister Msgr Johannes Corazza übergeben, welcher darüber ein
sehr ausführliches Votum in 131 Nummern abfaßte. Die üblichen Fragen am
Schlüsse desselben lauteten, 1. ob der Bischof die Vollmacht habe, in seiner
Diözese ohne Anfrage beim Heiligen Stuhl und ohne Rücksicht auf die Form, wie
sie in der römischen Kirche gebräuchlich sei, eine längst in Abgang gekommene
Form des Meßgewandes wieder einzuführen ; 2. ob die sog. gotische Form zu
tolerieren oder zu verbieten sei; 3. ob die sog. Baßgeigenform geduldet oder
untersagt werden solle und 4. was in Betreff der Angaben des Gavantus und
der römischen Form zu sagen sei, die dem Bischof von Münster zufolge durch
kein positives Gesetz oder Dekret angeordnet sei. Der Referent schlug vor,
auf Nr 1 mit Nein, auf den ersten Teil von Nr 2 und 3 gleichfalls mit Nein,
den zweiten mit Ja zu antworten. Bezüglich Nr 4 ging sein Antrag dahin,
die römische Form solle nach Beratung mit dem Papst für maßgebend erklärt
werden. Die Bischöfe aber sollten angewiesen werden, zu verordnen, es
dürften neue Gewänder nur gemäß den Maßen und der Form der römischen
angefertigt werden, die vorhandenen aber könnten, wenn die Abweichungen
gering seien, aufgebraucht werden, andernfalls seien sie umzuändern 1.
Indessen kam es zur wirklichen Verurteilung nicht, wie der päpstliche
Zeremonienmeister im Eifer für den römischen Usus gewollt, noch wurde
eben dieser Usus für einzig maßgebend erklärt. Das Zirkular vom 21. August
1863 enthielt sich einer allgemeinen und definitiven Entscheidung, während
es in einer andern Frage, der Aufbewahrung des Allerheiligsten in einem
sog. Sakramentshäuschen zur Seite des Altars, ein kategorisches Verbot er-
ließ, und begnügte sich mit der Bemerkung : eadem perdurante disciplina — es
meint den durch Gewohnheit eingeführten Gebrauch der seitlich zugestutzten
Kasel - - necnon sancta Sede inconsulta nihil innovari posse. Als Grund gibt
es nicht die verpflichtende Kraft des Brauches der römischen Kirche, son-
dern den Umstand an, daß Änderungen dieser Art, weil der erprobten Sitte
der Kirche zuwider, Verwirrung stiften und bei den Gläubigen Aufsehen er-
regen könnten. So wenig beabsichtigte das Dekret ein Verbot, daß es die
Bischöfe verbis amantissimis einlud, falls etwa in ihrer Diözese tatsächlich
der Wechsel in der Form der Kasel stattgehabt, über Grund und Veran-
lassung davon zu berichten2.
Die Utrechter Provinzialsynode vom Jahre 1865 nahm das Dekret zum
Anlaß, für den Bereich der Utrechter Kirchenprovinz jede andere als die
römische Kaselform ausdrücklich zu untersagen3. Das Rottenburger Ordinariat
verordnete unter dem 24. November 1863, daß vorerst und bis zur weiteren
Entscheidung des Heiligen Stuhles bei Anschaffungen neuer Paramente nur
auf den hergebrachten römischen Stil das Absehen genommen werden dürfe4.
Das Limburger Ordinariat will in seinem Erlaß vom 20. November 1863
zwar nicht den Gebrauch der gotischen Meßgewänder verbieten, aber doch
deren weiteres Anschaffen widerraten, weil ein positives Verbot seitens des
Heiligen Stuhles über kurz oder lang erfolgen könne5. Die Prager Synode
1 Analecta iuris Pontif. 1888 fasc. 239 240 '- Analecta iuris Pontif. fasc. 61 ; Mühl-
und die Besprechung des Votums in „Archiv bau er, Decreta auth. II, München 1865, 628.
für christl. Kunst' 1891, 21 ff u. 44 ff durch 3 C. 2 (Coli. Lac. V 850).
den gegenwärtigen hochw. Herrn Bischof ' Vogt, Verordnungen 318.
Dr P. W. Keppler. 5 Eichstätter Pastoralblatt 1864, 27.
200 Zweiter Abschnitt, Die liturgischen Obergewänder.
von 1860 war, während noch die Sache in Rom verhandelt wurde, in ihren
von Korn approbierten Statuten, wenn auch nicht formell unter dem Namen
gotische Kasel, so doch tatsächlich zur spätmittelalterlichen Kasel zurück-
gekehrt.
Es war ein Fehler gewesen, daß man beim Bestreben, die Kaselform
des späteren Mittelalters wieder einzuführen, mehr als zweckmäßig den für
manche abschreckenden Namen „gotische Kasel" betont und zugleich sich zu
sehr den Anschein gegeben hatte, als gäbe es außer der Gotik keine wahrhaft
kirchliche Kunst. Auch wäre ein ruhigeres und vorsichtigeres Eintreten für
die frühere Form des Meßgewandes der Sache unzweifelhaft weit förderlicher
gewesen als der gewiß bestgemeinte, aber nicht immer genug überlegende
Eifer, den man im Kampfe um die Reform der Kasel entwickelte.
Eine endgültige formelle Entscheidung und eine Verwerfung der sog.
gotischen Kasel ist bisher nicht erfolgt und dürfte auch wohl noch nicht so bald
in Zukunft erfolgen, nachdem in jüngster Zeit durch die Jubiläen Leos XIII.
unbeanstandet Meßgewänder spätmittelalterlicher Form als Gaben ihren Weg
nach Rom gefunden haben und auch die neueste editio typica des Caeremoniale
episcoporum die Rubrik beibehalten hat, wonach die Ministri die Kasel auf
dem Arm des Bischofs zurückfalten sollen, damit sie ihn nicht behindere1.
Im Gegenteil dürfen solche Kasein, und zwar auch dann, wenn sie mit Gabel-
kreuz ausgestattet sind, nunmehr als zweifellos zulässig gelten, seitdem der päpst-
liche Visitator bei der jüngsten Visitatio apostolica zu Rom gelegentlich seiner
Tätigkeit im Campo Santo keinen Anstand gegen die dort befindlichen Meß-
gewänder dieser Art erhoben, sondern ihre Verwendung beim heiligen Opfer
gestattet hat.
XII. STOFF DES MESSGEWANDES.
Über den Stoff, aus dem in vorkarolingisc her Zeit das Meßgewand
gemacht zu werden pflegte, fehlt es an Nachrichten. Für gewöhnlich mag
es damals noch aus wollenen Zeugen, Leinwand oder Baumwollstoffen her-
gestellt worden sein. Doch hat es sicher schon früh auch seidene Meßgewänder
gegeben, zumal in hervorragenderen .Kirchen, in denen man alle Mittel daran
setzte, den Gottesdienst mit möglichster Pracht zu feiern. Allerdings waren
im 4. und 5. Jahrhundert die Seidenzeuge noch immer sehr kostbar, indessen
war ihr Preis doch keineswegs mehr so enorm, daß man unmöglich an die An-
fertigung seidener Kasein hätte denken können. Wenn man die Mittel besaß,
die Kirchen nicht bloß mit linnenen, sondern auch mit halbseidenen und ganz-
seidenen Wandbehängen auszustatten — und solches geschah, nach Ausweis
der Charta Cornutiana, der 471 abgefaßten Stiftimgsurkunde einer bei Tivoli
gelegenen Dorfkirche, selbst in kleineren Kirchen — , so konnte erst recht
die Beschaffung seidener Gewänder an dem Kostenpunkt kein Hindernis finden.
Im 9. Jahrhundert waren seidene Kasein nicht einmal im Franken-
land mehr etwas Ungewöhnliches. Die Stoffe zu denselben kamen aus Byzanz,
Syrien, Persien, Arabien, Ägypten, Indien und selbst dem äußersten Osten
Asiens. Es ist zum Erstaunen, welch eine Fülle der kostbarsten Meßgewänder
sich schon im Beginn des 9. Jahrhunderts in den Sakristeien bevorzugter
Kirchen angehäuft hatte. Unter den Paramenten , welche Angilbert dem
Kloster St-Riquier schenkte , befanden sich z. B. casulae de pallio (Seiden-
1 L. 2, c. 8, n. 19. Surgit episcopus et in- aptatur et revolvitur diligenter, ne illum im-
duitur planeta, quae hinc inde super brachia pediat.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 201
stoff) 30, de purpura 10, de storace (gelber Seidenstoff) 6, de blatta (eine
Purpurart) 15, de cendato (leichterer Seidenstoff) 5. Aus dem 831 auf-
gestellten Inventar von St-Riquier heben wir hervor: casulae sericae nigrae 10,
persae (pfirsichblütenfarbige) sericae 3, ex blatta 1, ex pallio 20, galbae (gelb)
sericae 5, melnae (gelblich) sericae 3, ex cendato 4. Ansegisus gab dem
Kloster Fontanelle um dieselbe Zeit casulas ex cindato indici coloris (blau-
seidene) 3, viridis coloris ex cindato item 3, item rubei sive sanguinei coloris
ex cindato 1, blatteam item casulam 1. In den Gesta abbatum Trudonensium
wird uns zum Jahre 870 von casulae 12 preciosae de pallio berichtet1. Gegen
Ausgang des 9. Jahrhunderts waren die Seidenstoffe im Frankenland bereits
so wenig selten mehr, daß Riculf von Soissons seinen Priestern vorschreiben
konnte, es solle ein jeder eine seidene Kasel für die Messe vorrätig halten.
Im 11. und 12. Jahrhundert muß die Verwendung von Seide zur An-
fertigung der Kasein schon etwas recht Gewöhnliches gewesen sein, da sonst
Abt Stephan von Citeaux um 1110 sich wohl nicht veranlaßt gesehen hätte,
zum Ausdruck der strengen Armut, die er in den Klöstern seines Ordens
gepflegt wissen wollte, den Seinen den Gebrauch seidener Meßgewänder zu
verbieten. Die Statuten des Heiligen erlauben nur solche aus Baumwolle
oder Leinwand2. Wirklich lassen die Inventare dieser Zeit keinen Zweifel
an dem ausgedehnten Gebrauch seidener Kasein. Besonders lehrreich sind die
diesbezüglichen Angaben der Chronik von Monte Cassino und des Registers
von Rochester. Nicht ohne wesentlichen Einfluß auf die bedeutende Ver-
mehrung solcher Meßgewänder war die Einführung der Seidenfabrikation in
Sizilien und die hohe Blüte, zu der gerade damals die Seidenindustrie in
Spanien gelangte. Doch hatte auch wohl die durch die Kreuzzüge veranlaßte
Erhöhung des Verkehrs mit dem Orient und die damit im Zusammenhang
stehende häufigere Importierung orientalischer Seidenstoffe keinen geringen
Anteil daran.
Im 13., 14. und 15. Jahrhundert strotzen die Inventare geradezu von
Kasein aus Brokaten, Brokatellen, Damasten, Samten, Köper, Cendel (Taft)
und andern Seidenzeugen von oft kaum mehr zu deutenden Namen. Der
Grund für diese Steigerung des Verbrauchs der Seide im Dienste des Kultus
lag einerseits in dem mächtigen Aufschwung, den das ganze gesellschaftliche
und wirtschaftliche Leben, die Kunst und namentlich auch die Äußerungen des
religiösen Sinnes im 13. Jahrhundert genommen hatten, anderseits in der
erhöhten Produktion und dem vermehrten Angebot der mannigfachen Arten
von Seidenzeugen. Die Seidenfabrikation hatte sich aus Sizilien zuerst nach
dem südlichen und dann auch nach dem mittleren und nördlichen Italien ver-
pflanzt und namentlich zu Lucca, Genua und Venedig rasch zu herrlichster
Blüte entfaltet. Die Stoffe, welche hier erzeugt wurden, waren zum großen
Teil mehr oder weniger freie Nachbildungen orientalischer Gewebe, da noch
immer die prächtigen byzantinischen, syrischen, mamelukischen, sarazenischen
und maurischen Muster den Markt beherrschten. So aber entstand bald ein
lebhafter Konkurrenzkampf zwischen Orient und Okzident, der zur Folge
hatte, daß sich eine wahre Flut von Erzeugnissen der Seidenfabrikation über
1 M. G. SS. X 230. Wenn Leo IV. ca 850 Papstbriefe in „Neues Archiv" V [1879] 383),
den Judex Leo in Sardinien beauftragt, lana so scheint es sich hier nicht um liturgische
marina für jeden Preis zu kaufen, weil er sie Kleider , sondern um die außerliturgische
für seine und seiner Palastgeistlichen Festtags- Festgewandung zu handeln,
kleidung nötig habe (Britische Sammlung der 2 Exordium Cisterc. c. 17 (M. 166, 1509).
202
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obereewänder.
das Abendland ergoß. Das byzantinische Kaiserreich entsandte seine panni
de Romania, Syrien sein diasprum de Antiochia; aus Ägypten und Persien
kamen die panni tartarici, aus Bagdad der baldequinus, von Cypern die panni
Cyprenses. Die Mauren boten ihre glänzenden panni hispanici zum Kauf an,
Lucca das bald hochberühmte opus lucanum, Venedig seine herrlichen panni
de Venetiis, Genua seine kaum geringer geschätzten panni ianuenses. Kein
Wunder, daß bei dem Eifer, der alle Welt für die Förderung der Ehre
Gottes erfüllte, dem tiefgläubigen Frommsinn des Volkes, das mehr auf den
Glanz des Gotteshauses und des Gottesdienstes wie auf den Schmuck und
die Behaglichkeit des eigenen Heims bedacht war, und jener wahrhaft fürst-
lichen Freigebigkeit gegenüber den Kirchen, welche hoch und niedrig im 13.,
14. und 15. Jahrhundert beseelte, die Schränke und Truhen der Sakristeien
sich immer mehr mit kostbaren seidenen. Meßgewändern füllten.
Allerdings gab es auch
jetzt noch vor wie nach Meß-
gewänder aus Wollzeugen, aus
Leinwand und Baumwolle. Be-
finden sich doch unter den
30 mittelalterlichen Kasein im
Herzoglichen Museum zu Braun-
schweig nicht weniger als zwölf,
die aus feinem einfarbigem ro-
tem , grünem oder violettem
Wollstoff gemacht sind. In-
dessen waren nach Ausweis der
Inventare derartige Meßgewän-
der bei weitem nicht mehr das
Gewöhnliche, namentlich nicht
in hervorragenderen Kirchen.
Insbesondere begegnet man im
späteren Mittelalter in den In-
ventaren nur selten mehr Kasein
aus Linnen oder Baumwolle.
Ganz ausgestorben waren solche
freilich noch nicht. Erwähnt doch sogar das Schatzverzeichnis des Aposto-
lischen Stuhles aus dem Jahre 1329 noch unam planetam albam de tela
bombacina seu fustamica, tarnen modici valoris. Desgleichen sind in den
Inventaren von St Peter aus dem 14. und 15. Jahrhundert noch eine An-
zahl von Kasein dieser Art verzeichnet1. So heißt es zum Jahre 1361: 9 pla-
netae de panno lineo albo cum aliquibus crucibus de sindone rubeo sine signo
et sine fodere (Futter); zum Jahre 1436: planetae albae de panno lineo
numero 6, zum Jahre 1454/1455: planetae lineae inter bonas et malas
numero 15. Beispiele solcher Kasein aus Leinwand befinden sich noch jetzt
zu Castel S. Elia, in St-Donat zu Arlon, im Dom zu Halberstadt. Zu Castel
S. Elia gibt es ihrer nicht weniger denn fünf (Bild 88), während der
Dom zu Halberstadt ihrer zwei besitzt. Die Besätze dieser Meßgewänder
bestehen meist in schmalen Streifen von roter Seide oder blauer Leinwand.
Statt einfachen Linnens benutzte man auch wohl mit dem Model bedruckte
■&■
Bild 88. Leinwandkasel. Castel s. Elia.
1 Müntz e Frothingham, II tesoro di S. Pietro 39 81 97.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
203
Leinwand. Ein derartiges Meßgewand besitzt z. B. noch die Kirche zu Husaby
in Schweden1, ein anderes veröffentlichte der Strafiburger Antiquar Forrer
unter der romanhaften Bezeichnung „Pestkasel" 2. Eine solche bedruckte
Kasel ist auch wohl in einem Inventar der Kathedrale von Chälons aus dem
Jahre 1410 gemeint, wenn es darin heißt: casula de tela nigra, duplex de
tela alba, depicta de diversis operibus factis ad colores et supra partem nigram
loco aurifrisii est una banda stricta ad crucem de pari opere3.
Die einzigen Bestimmungen über den Stoff des Meßgewandes, welche
aus dem Mittelalter vorliegen, wurden bereits erwähnt; es sind die Verord-
nung Riculfs von Soissons aus dem Ende des 9. und das Statut des hl. Stephan
Harding aus dem Beginn des 11. Jahrhunderts. Möglich, daß auch sonst
noch gelegentlich ähnliche partikuläre Bestimmungen über das Material der
Kasein erlassen wurden, doch ist das jedenfalls schwerlich häufig vorgekommen.
Ein allgemein verbindliches Gebot ist niemals im Mittelalter in Betreff dieses
Punktes ergangen.
Die Stoffe, welche man im Mittelalter zur Kasel verwendete, scheinen
bis ins 12. Jahrhundert hinein meist einfarbig gewesen zu sein. Darauf
lä&t schon der Umstand schließen, daß diese auf den Monumenten, angefangen
von den Mosaiken des 5., 6. und 7. Jahrhunderts bis zu den Miniaturen des 12.,
regelmäßig als einfarbiges Gewand auftritt, obschon es doch sonst an bunt-
gemusterten Kleidern auf ihnen nicht fehlt. Es ist fast eine Ausnahme, wenn
sie auf dem Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen und einigen wenigen
verwandten Darstellungen mit Gruppen von je drei Goldpunkten verziert ist.
Noch bemerkenswerter und wichtiger ist jedoch, daß die noch vorhandenen
Kasein aus dem 10. und 11. Jahrhundert beinahe alle einfarbig gelb, purpurn,
blau, braun usw. sind. Etwaige Muster sind auf ihnen nicht durch Wechsel
in der Farbe, sondern, wie es bei den Damastgeweben geschieht, durch Wechsel
in der Bindung erzielt worden. Sie sehen aus, als ob sie dem Grund bloß
eingeritzt wären, und sind in ihren Einzelheiten oft nur mit Mühe erkennbar.
Sie sind die Vorläuferinnen ausgebildeter Damaste und als solche für die Ge-
schichte der Textilkunst von großer Bedeutung. Die einzigen Beispiele, welche
eine andersfarbige Musterung aufweisen, sind die Adlerkasel zu Brixen mit
ihren mächtigen dunkeln Adlern auf rotpurpurnem Grund und die sog. Ebbo-
kasel im Schatz der Kathedrale zu Sens mit ihren großen gelben Weinblättern
und Rosetten auf weißem mit Adlern damaszierten Fond.
1 Revue 1867, 211. Eine Kasel aus be-
drucktem Linnen, welche wir in einer Privat-
sainmlung zu Robecco bei Cremona sahen,
dürfte, wie es scheint, nur das Futter einer
Kasel gewesen sein.
2 Die Kunst des Zeugdrucks , Straßburg
1898, Tfl sxvi, 87. Forrer hat die Bezeich-
nung „Pestkasel" Bock entlehnt. Pestkasein
nannte dieser die Linnenkasein, weil er meinte,
man habe sie getragen, wenn man zur Pest-
zeit den vom schwarzen Tod Befallenen das
Viatikum gebracht. Linnenkasein habe man
alier, statt, wie Vorschrift, Kasein aus Seide,
zu diesem Zwecke genommen , um sie nach
dem Gebrauch waschen zu können und so
weitere Ansteckung zu verhüten (Bock
II 2-19 und Die Anfange der Druckerkunst
in Bild und Schrift, Leipzig 1866, 14).
Bock hat außer acht gelassen , daß es im
13., 14. und 15. Jahrhundert nicht Sitte war,
bei Verseilgangen das Meßgewand zu tragen,
sondern Albe oder Superpelliceum (vgl. oben
S. 138) und Stola, daß überhaupt eine Kasel
bei dieser Funktion und zumal bei Pestkranken
sehr unbequem und unangebracht gewesen
wäre, und daß Bestimmungen über den Stoff
des Meßgewandes erst mehrere Jahrhunderte
später erlassen wurden, nicht aber, wie Bock
annimmt, schon im Mittelalter bestanden. Aus-
führlicheres über die angeblichen Pestkasein
in einem Aufsatz des Verfassers in „Stimmen
aus Maria-Laach" LIX (1900) 361 ff.
3 De Farcy 67. Sonst sind uns bedruckte
Linnenkasein in Inventaren nicht begegnet.
204
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänc
Eine erhöhte Verwendung von zwei- und mehrfarbigen Seiden-
zeugen scheint erst das 12. Jahrhundert gebracht zu haben. Im 13. werden
solche Stoffe dann unter dem Einfluß der allgemein steigenden Prachtliebe
mit immer größerer Vorliebe gebraucht, im 14. und 15. aber ist ihre Ver-
wertung zur Herstellung der Meßgewänder etwas ganz Gewöhnliches, wie
nicht nur die noch vorhandenen, manches Tausend betragenden Kaselreste aus
jener Zeit, sondern auch die Inventare mit ihren oft ins einzelne gehenden
Beschreibungen der Kaselstoffe bekunden.
Die Dessins, welche sich auf den mittelalterlichen Paramentenstoffen
finden, sind äußerst mannigfaltig, doch haben die einzelnen Perioden ihre be-
sondern, die betreffende Zeit kennzeichnenden Typen1. Für die gemusterten
Stoffe der Frühe des 2. Jahrtausends kommen deren namentlich zwei in Be-
tracht. Für den einen ist eine Einteilung in Felder charakteristisch. Sie
sind bald größer bald
kleiner und bestehen
meist aus Kreisen, die
sich in wagerechter und
senkrechter oder in
schräger Richtung an-
einander reihen , oder
aus spitz-ovalen , von
wellenförmigen Streifen
eingeschlossenen Kom-
partimenten, doch auch
wohl aus Polygonen,
vierpaßähnlichen Gebil-
den u. ä. Gefüllt sind
die Felder bald mit Tier-
unholden (Löwen, Dra-
chen, Greife, Adler usw.),
die hier einzeln, dort
paarweise angebracht
sind (Bild 89), bald mit
leichten phantastischen,
halb geometrischen und
halb vegetabilischen Gebilden. Ein zweiter häufiger Typus der Dessins auf
den Geweben des 10., 11. und 12. Jahrhunderts besteht in größeren oder
kleineren sitzenden, schreitenden oder aufspringenden Tiergestalten, welche
ohne alle Umrahmung einzeln oder zu zweien in regelmäßigen horizontalen
Reihen übereinander angeordnet sind. Ein Beispiel desselben bietet die Brixener
Adlerkasel mit ihren gewaltigen Adlern, eines der hervorragendsten Specimina
dieses Typus (Bild 73, S. 181).
Im 13. Jahrhundert verschwinden die bisherigen Typen allmählich. Sie
werden durch einen neuen verdrängt, der bald zu größter Beliebtheit gelangt,
das ganze 14. Jahrhundert tonangebend ist und sich bis tief in das 15. hinein
zu behaupten weiß. Reichen doch seine letzten Vertreter bis zur Wende des
15. Jahrhunderts. Die starre Anordnung und Teilung ist verschwunden. In
lebendiger Komposition überspinnt ein Gemisch von Tiergebilden , Ranken-
Bild 89. Musterung der Bernwardskasel. Hildesheim, Do
1 Selbstverständlich kann hier nur auf die
charakteristischsten aufmerksam gemacht
werden , da kein Abriß der Geschichte der
Weberei geboten werden kann und soll.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 205
und Laubwerk, Monden, Sonnen, Sonnenstrahlen, Wolken und Inschriften in
immer neuen und wechselnden Verbindungen die Stoffe. Man weiß nicht,
was man an diesen Mustern mehr bewundern soll, die schier endlose Er-
findungsgabe der Zeichner oder ihren feinen Sinn für harmonische Gruppierung,
ebenmäßige Verteilung von Grund und Musterung und wohltuende, bei aller
Frische zart abgestimmte Farbenzusammensetzung. Ein besonderer Vor-
zug dieser Stoffe vor den früheren besteht in der reichlichen Verwendung
von Gold, wie sie freilich erst durch Benutzung des sog. Cyperngoldes an
Stelle echter Goldfäden ermöglicht wurde. Waren vordem nur einzelne
kleinere Partien der Dessins, wie z. B. Köpfe, Klauen, Krallen, obere Flügel-
teile, in Gold broschiert worden, so wurde jetzt mit Hilfe des billigeren,
mittels vergoldeten Häutchen hergestellten Goldfadens, der ohne große Kosten
durch den ganzen Stoff hindurchgeführt werden konnte, das ganze Muster in
Gold ausgeführt.
Sehr interessant und nicht minder belehrend ist, was die Schatzverzeich-
nisse des 14. und 15. Jahrhunderts über die Muster der Paramentenstoffe
erzählen. Wer sich mit den mittelalterlichen Textilien vertraut gemacht hat,
glaubt manchmal die Gewebe selbst vor sich zu sehen , so eingehend sind
nicht selten die Beschreibungen, welche von den Stoffmustern nach Gegen-
stand und Farbe geboten werden. Zu den vorzüglichsten Inventaren dieser
Art gehört das Inventar von St Veit zu Prag aus dem Jahre 1387.
Es ist eine bunte Folge von Dessins , die es zu verzeichnen weiß , und kaum
minder bunt ist die Eeihe der Motive, die bei den Mustern zur Verwendung gekommen
sind. Da begegnen uns Greife, Adler, Hasen, grolle und kleine Vogelgestalten, Löwen,
Leoparden , Elefanten , Hirsche , ein- und mehrschwänzige Drachen , Hunde , Fische,
geflügelte Eosse, Schwäne, Pfauen, Pelikane und andere mehr oder weniger phantastische
oder naturalistische Tiergestalten; dann Rosen, Lilien, Glockenblumen, großes und kleines
Blattwerk und sonstige meist nur als flores bezeichnete vegetabilische Gebilde ; ferner
Kreuze, Sterne, Pfauenfedern, sarazenische (litterae gentiles) und lateinische Inschriften,
Kronen , Kreise , schachbrettartige , gewürfelte und gestreifte Musterungen , Punkte,
kleine goldene Scheiben nach Art von Goldmünzen, Türme; weiterhin Frauengestalten,
geflügelte Frauenköpfe, Mädchen mit einem Körbchen und kleinen Vögeln, Hände, die
Hunde festhalten, mit Ketten am Fuß gefesselte Tiere, wasserschöpfende Mädchen,
strahlende Sonnen u. a. im mannigfaltigsten Wechsel und immer neuen, von geradezu
unerschöpflicher Phantasie zeugenden Verbindungen. Aus den vielen hier nur einige
Beispiele. Da gab es ein schwarzes Pluviale, auf dem in Gold gewebt Hunde in Umfriedi-
gungen dargestellt waren , über ihnen die Sonne, welche ihre Strahlen auf sie herab-
sandte. Auf einem andern sah man auf rotem Fond in Gold große Vögel, zwischen
deren Krallen ein Menschenhaupt angebracht war , im Wechsel mit kleinen Vögeln
dargestellt, welche im Schnabel einen Zweig und in den Krallen ein Tuch hielten ;
wieder ein anderes wies auf rotem Grund goldene Hirschkälber und grüne Bäume
auf. Zahlreich sind die Muster, in die goldenes oder farbiges Blumen- und Banken-
werk mit Drachen, Löwen, Adlern oder sonstigem mehr oder weniger phantastisch
behandeltem Getier eingewoben waren. Auf einem Seidenstoff, den Herzog Johannes von
Görlitz bei den Execpuien eines Paulus von Wlassym geschenkt, gewahrte man auf
grünem Fond in Gold Löwen, Bäume, pelikanartige Vögel, die auf den Bäumen ihre
Jungen atzten , und Drachen , die mit den Löwen kämpften. Ein anderes Zeug ent-
hielt auf rotem Grund inmitten von Ranken und Blumen in Gold und farbiger Seide
goldene Vögel, die mit den Klauen kleine Tiere gepackt hatten, sowie goldene Hunde,
die aus einem von Strahlen umglänzten Dorngebüsch hervortraten. Ein Pluviale aus
rotem Brokat war mit goldenen Vögeln, Vierfüßlern und Buchstaben gemustert. Auf
einem gelb und weiß gestreiften Altarbehang' waren Reiter in gelben Kreisen zur
Darstellung gekommen.
206 Zweitei Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Das hervorstechendste Gewebemuster des 15. Jahrhunderts ist der Granat-
apfel. Eine Schöpfung des ausgehenden 14. Jahrhunderts, wußte es bald mit
den immer neuen reizenden Variationen, in denen es auftrat, allen andern
Dessins den Rang abzulaufen. Seine höchste Blüte fällt etwa in die Mitte
des 15. Jahrhunderts. Es sind wahrhaft köstliche Formen, in die es sich
um diese Zeit kleidet. Dann beginnt es allmählich zu entarten, ohne jedoch
an Beliebtheit zu verlieren. Nachklänge des Granatapfelmusters erhalten sich
im ganzen 16. Jahrhundert; ja selbst im 17. treten noch häufig genug Spuren
desselben auf.
Es war eine Zeit, da man in den Mustern der mittelalterlichen Stoffe viel
Symbolik finden wollte. Kaum ein Dessin, für das man nicht eine mystische Deutung
versucht hätte , und zwar wußte der eine für die Tierunholde oder den Granatapfel
noch eine tiefsinnigere Erklärung als der andere. Kein Wunder, daß man die mittel-
alterlichen Stoffe mit Vorzug als kirchlich pries. Man war indessen auf einem Irrweg,
wie heute jeder gesteht, der sich näher mit den mittelalterlichen Textilien beschäftigt
hat. Die religiöse Symbolik, welche man in diesen zu finden vermeinte, ist den Künstlern,
welche die Muster entwarfen , in den allermeisten Fällen durchaus fremd gewesen.
Ein beträchtlicher Teil der Paramentenstoffe war bis zum Ausgang des Mittelalters
sarazenischen oder maurischen Ursprungs ; die Seidenzeuge aber, welche Lucca, Venedig
und Genua schufen , erweisen sich zum sehr großen Teil als mehr oder minder freie
Kopien orientalischer Dessins, bei denen selbst die arabischen Inschriften, Lobpreisungen
Allahs oder irgend eines Sultans, ein Koranspruch u. ä. nachgebildet wurden. Es hat
allerdings auch Stoffe mit spezifisch christlich-religiösen Mustern gegeben , sie waren
aber keineswegs häufig. Unter den vielen Tausenden von Resten mittelalterlicher
Gewebe, die in unsern Sakristeien und Museen aufbewahrt werden, findet sich nur
ein äußerst kleiner Bruchteil, dessen Musterung eine christlich-religiöse Symbolik zu
Grunde liegt. Man war im Mittelalter ungemein frei in der Verwendung gemusterter Stoffe.
Würde man auf den Gegenstand der Muster gesehen haben, hätte man sicherlich bei Aus-
wahl der Paramentenstoffe mit mehr Unterscheidung verfahren. Denn Löwen, die Gazellen
würgen, Falken, die auf Hasen stoßen, zähnefletschende Hunde, die an der" Kette
liegen, Halbmonde um Halbmonde, Mädchen, die Wasser schöpfen, um Hunde damit zu
tränken , Frauengestalten , die aus einer Tritonsmuschel hervorragen und Netze aus-
werfen, Schwäne, die über das Wasser rudern, Affen im Spiel mit einem Hund, der
auf einem vierräderigen Karren sitzt, ein Hund im Kampf mit einem ergrimmten
Schwan, Anrufungen Allahs u. ä. sind nicht gerade passende Darstellungen für Meß-
gewänder und sonstige Paramente. Allein der Gegenstand des Musters war es nicht,
der anzog und gefiel, sondern dessen Wirkung. Die Löwen, Hunde, Drachen, Adler,
Wolken, Strahlen und was sich sonst noch an Dessins dem Blick immer wieder auf
den mittelalterlichen Stoffen darbietet, waren für ihre Zeit dasselbe, was die Tulpen,
Blumenbouquets u. ä. auf den Seidenzeugen des 17. und 18. Jahrhunderts darstellten,
bloßes Ornament. Man verband mit ihnen nicht mehr Sinn wie mit den arabischen In-
schriften, welche uns bald als sarazenische Originale bald als mehr oder weniger gute Kopien
auf so zahlreichen mittelalterlichen Stoffen begegnen und so sehr als bloßes Ornament
angesehen wurden, daß die lucchesischen Seidenweber sie schlechthin kopierten, obwohl
es ihnen ein leichtes gewesen wäre , sie durch religiöse Sprüche in lateinischer oder
italienischer Sprache zu ersetzen. Was bei den Stoffen Eindruck machte und gefiel,
ist ebendasselbe, was sie allzeit für Paramentenstoffe als vorbildlich erscheinen läßt,
die reiche Pracht, die edle Komposition, die feste Stilisierung, die geschmackvolle
Farbengebung , die Vermeidung aller plastischen Behandlung des Dessins, die Ur-
sprünglichkeit der Darstellung und der schier unerschöpfliche Reichtum der Erfindung
in Verbindung mit weisestem Maßhalten.
Auch der Umstand, daß man die gleichen gemusterten Gewebe sowohl im All-
tagsleben und zu profanen Zwecken , als auch im Dienste des Kultus und zu kirch-
lichen Zwecken zu verwenden pflegte, bekundet, wie wenig man mit den Dessins eine
Erstes Kapitel. Die Kasel.
207
religiöse Symbolik verband. Dieselben Muster, welche wir auf mittelalterlichen Kasein
und sonstigen Paramenten antreffen, kamen bei profanen Festtagskleidern, bei De-
korationsstücken weltlicher Prachträume, ja selbst bei Pferdeschabracken vor.
Erst die allerneueste Zeit sollte über den Stoff der Kasel feste Bestim-
mungen bringen. Nicht einmal die eingehenden Vorschriften des hl. Karl bezüg-
lich des Meßgewandes und die diesbezüglichen Verordnungen der Prager Synode
vom Jahre 1605 hatten über ihn ein Wort verlauten lassen. Es gab darum
auch bis ins vorige Jahrhundert hinein in den Sakristeien neben seidenen und
halbseidenen vor wie nach wollene und, wenngleich nur vereinzelt, aus Lein-
wand gemachte Meßgewänder. Aus demselben Grunde begreift es sich, wie es
möglich war, daß man im 18. Jahrhundert sogar dazu übergehen konnte,
Kasein aus Leder anzufertigen.
Es war keineswegs wertloses Zeug, was man zur Herstellung dieser
ledernen Meßgewänder verwertete. Das
Leder war nach Art der Ledertapeten ver-
goldet, mit Blumen bemalt und mit Pres-
sungen versehen, aber es war doch zuletzt
nur ein Stoff, der sich allenfalls für einen
Koller, nicht aber für ein Meßgewand eignete.
Es hat sich noch eine ziemliche Anzahl
von Lederkasein erhalten. Ein aus schwarzem,
teilweise vergoldetem und versilbertem Leder
hergestelltes Meßgewand befindet sich zu Ken-
denich in der Nähe von Köln. Ein weiteres
besitzt die Kirche zu Billerbeck. Das bischöfliche
Museum zu Münster bewahrt noch zwei lederne
Meßgewänder samt den dazu gehörigen Stolen
und Manipeln auf. Das eine hat einen silbernen,
buntgemusterten Grund und ein rotes, mit Gold-
und Silbermusterung versehenes aufgemaltes
Kreuz ; bei dem andern ist der vergoldete Grund
mit Blumen ausgestattet, während die Stäbe Gold-
muster auf Silbergrund aufweisen. Das Landes-
museum zu Zürich besitzt drei Lederkasein. Zu
allen dreien ist noch die Stola, zu einer auch
der Manipel vorhanden. Sie gleichen vollständig
den Kasein im bischöflichen Museum zu Münster.
Auch im kgl. Kunstgewerbemuseum zu Berlin gibt es drei Lederkasein, von denen
die eine einen Goldfond mit silbernen Banken und blaue, silbergemusterte Stäbe,
die zweite einen mit Goldblumen geschmückten roten Fond und silberne, gold-
gemusterte Stäbe, die dritte einen blau lasierten Silbergrund mit silbernen und farbigen
Dessins und goldene, mit silberner und farbiger Musterung versehene Stäbe aufweist.
In Württemberg befinden sich noch Lederkasein zu Delkhofen (O.-A. Spaichingen),
zu Mochenwangen (O.-A. Ravensburg), in der Schloßkapelle zu Oppenweiler (O.-A.
Backnang) und in der Altertumssammlung zu Stuttgart '. Auch das Germanische
Museum zu Nürnberg und das bischöfliche Museum zu Eichstätt besitzen je ein
Exemplar dieser ledernen Meßgewänder (Bild 90). Eine Lederkasel mit zugehörigen
ledernen Levitengewändern birgt die Stiftskirche zu Oberwesel.
Die Lederkasein, welche recht häufig gewesen sein müssen2, stellen in
jeder Beziehung den Höhepunkt der Verbildung der einst so majestätischen
Bild 90. Lederkasel.
Eichstätt, Bischöfliches Palais.
1 P. W. Keppler, Württembergs kirchl.
Knnstaltertümer, Rottenburg 1888, lxxvi.
- Vgl. auch Swoboda, Das Parament und
seine Geschichte, in „Mitt. desK. K. Museums",
208
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Glockenkasel dar. Sie sind überkurz und überschmal und gleichen an der
Vorderseite vollständig einem Kinderschürzchen. Es mußte in der Tat das
faltenreiche Meßgewand erst zum leblosen, steifen, platten Küraß werden,
ehe Mißgeburten wie die Lederkasein das Tageslicht begrüßen durften. Dauer-
haft waren dieselben freilich; sie waren, wo sie nicht etwa von Mäusen ge-
fressen wurden, wirklich unverschleißbar, höchstens, daß man sie hie und da
einmal mit etwas Lack, Farbe und Blattgold aufzuputzen hatte. Die Leder-
kasein blieben noch teil-
weise bis in das 19. Jahr-
hundert hinein im Gebrauch,
wenngleich neue in dem-
selben wohl kaum mehr
angefertigt worden sein
dürften.
Die Lederkasein waren
eine arge ästhetisch-litur-
gische Verirrrung und doch
noch nicht die schlimmste.
Eine ärgere war die Kasel
aus Stroh, von der im
„ Kirchenschmuck " erzählt
wird. Von moderner Form
natürlich und mit Verzie-
rungen und Besätzen ver-
sehen, die gleichfalls aus
t*» Stroh gemacht waren,
wurde sie als Meßgewand
bei der ersten Weihnachts-
messe — der Hirtenmesse —
gebraucht1. Die Meinung
dessen, der die Kasel an-
fertigen ließ, war gewiß
gut, das Gewand aber,
wenn man es so überhaupt
nennen kann, der ärgste
Frevel am guten Geschmack
und an der liturgischen
Sitte, ein ästhetisch-litur-
gischer Unsinn. Eine Kasel
dieser Art befindet sich im
Dom zu Prag (Bild 91).
Seit etwa dem Beginn des 18. Jahrhunderts entsprachen die gemusterten
Stoffe wenig mehr dem Ernst und der Würde des Gottesdienstes. Die Dessins
waren zu unruhig, zu bunt, zu schwulstig, später zu naturalistisch, zu nüchtern.
Dazu kam seit dem Ende des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Re-
volution der qualitative Niedergang der Seidenstoffe. Es mußte sich daher
Bild 91. Kasel aus
(Aus Podlaiia u. Sittler,
Stroh. Prag, Domschatz.
Der Domschatz zu Prag.)
Neue Folge, 10. Jahrg., Hft 7, Wien 1895;
ferner die Kataloge der Ausstellungen zu
Münster von 1879 (5 Lederkasein), Brüssel
von 1888 (1 Lederkasel), Augsburg von 1886
(1 Lederkasel), Paderborn von 1899 (2 Leder-
kasein j und zu Wien von 18S7( 10 Lederkasein).
1 Jahrg. 1857, I 60. Gemeint ist wohl die
Strohkasel im Dom zu Prag.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 209
das Bestreben derjenigen, welche in den fünfziger Jahren des letzten Jahr-
hunderts alle Hebel zu einer Reform des Paramentenwesens in Bewegung
setzten, auch, und zwar nicht zum wenigsten, auf die Herstellung von Ge-
weben nach dem Muster der mittelalterlichen Seidenstoffe richten. Die Be-
mühungen sind bekanntlich nicht fruchtlos geblieben. Man hat in Anlehnung
und teilweise unter Kopierung alter Stoffe Brokate, Brokatelle, gemusterten
Samt und Samtbrokate geschaffen , die sich kühn neben die mittelalterlichen
Seidengewebe stellen dürfen, ohne fürchten zu müssen, von denselben in den
Schatten gestellt zu werden.
XIII. VERZIERUNG DES MESSGEWANDES.
Schon auf den Mosaiken des 6. und 7. Jahrhunderts finden wir die
Kasel mit einem Besatz versehen. In S. Venanzo zu Rom besteht derselbe
in einer Einfassung des Halsdurchschlupfes und einem über die Brust sich
hinabziehenden Zierstreifen. Auf ravennatischen Mosaiken, wie den Figuren
des hl. Ecclesius und des Bischofs Maximian in S. Vitale und den Bischofs-
bildern der Apsis von S. Apollinare in Classe, hat er die Form eines Gabel-
kreuzes 1. Die ungemein geringe Breite, den hier die Besätze besitzen, könnte
allerdings bei oberflächlichem Zuschauen dazu verleiten, in ihnen lediglich die
Gewandnähte zu erkennen. Indessen unterliegt es bei genauerem Studium
keinem Zweifel , daß es sich nicht um eine Darstellung der Kaselnähte,
sondern um die eines Zierbesatzes handelt. Denn erstens pflegen sonst nie
die Nähte der Gewänder auf den Mosaiken angedeutet zu werden; zweitens
ist nicht ersichtlich, weshalb sie hier ausnahmsweise wiedergegeben wurden ;
drittens dürften an den Stellen , wo die Schrägstreifen sich finden , Nähte
überhaupt keinen Sinn haben; viertens endlich gibt es verschiedene Bildwerke
aus der Zeit, aus welchen die Mosaiken entstammen, auf welchen das, was
auf diesen zuletzt bei oberflächlicher Betrachtung als Nähte gelten könnte,
sich mit aller wünschenswerten Klarheit und Bestimmtheit als gabelförmiger
Zierbesatz kundtut. Was dabei besonders interessiert, ist der Umstand, daß
die auf diesen Monumenten abgebildeten Personen, welche eine mit einem
Gabelkreuz geschmückte Kasel tragen, Laien, und zwar vornehmlich Juden,
darstellen. Diese Bildwerke sind eine Elfenbeintafel mit der Szene der Blinden-
heilung im Museo archeologico zu Mailand (Bild 92, S. 210), eine Elfenbeinpyxis
im Britischen Museum, auf welcher die Hinrichtung und Verehrung des hl. Mennas
zur Darstellung gebracht ist2, eine Miniatur der Wiener Genesis3 und zwei
Miniaturen des Evangeliars von Rossano (Unteritalien)*. Die Elfenbeintafel
entstammt der Kathedra des hl. Maximian (546 — 556) im Dom zu Ravenna.
Die Person, welche darauf eine mit einem Gabelkreuz versehene Kasel (Pänula,
Planeta) trägt, ist der Blinde, welcher vom Heiland das Augenlicht zurück-
erhielt. Auf der Pyxis findet sich der gabelkreuzförmige Besatz bei einer
der Personen, welche den hl. Mennas verehren, der Stellung und Tracht nach
1 Auf den Abbildungen, die von den Mo- 2 Gr ä ven, Frühchristliche und mittelalter-
saiken bei Garrucci und sonst vorliegen, liehe Elfenbein werke Ser. 1, Nr 17.
kommen die Besätze vielfach nicht genug 3 Wickhoff, Fr., Die Wiener Genesis,
zur Geltung. Die gabelkreuzförmigen Besatz- Wien 1895, Tfl xvi.
streifen der Planeta auf den ravennatischen 4 Haseloff, Codex purpureus Rossa-
Mosaiken weisen unseres Erachtens bestimmt nensis Tfl i n. Abbildung auch bei B ei ssel, St.,
auf eine Beeinflussung derselben durch die Geschichte der Evangelienbücher, Freiburg
Kunst des Ostens hin. 1906, 33.
Braun, Die liturgische Gewandung. 14
210
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
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ruf y mr '-<m >»':Jifr' <m ■my'li»
■* E-- -ii#--'ifcv,*'ifc --.»>• £--# : fr-
Bild 92. Elfenbeinrelief von der Kathedra
Maximians zu Ravenna. Mailand, Mus. arch.
einem Mann aus gewöhnlichem Stande.
Die Miniaturen des Codex von Rossano,
welche das Gabelkreuz aufweisen, sind die
Auferweckung des Lazarus und der Ein-
zug Jesu. Auf beiden sind es Juden, bei
welchen sich die mit dem gabelkreuzartigen
Besatz geschmückte Kasel findet. Auf der
Miniatur der Wiener Genesis, „Isaak bei
Abimelech", treffen wir das Gabelkreuz
gleichfalls bei Juden, Isaak und seinen Be-
gleitern, an. Hervorgehoben muß werden,
daß die das Kreuz bildenden Besatzstreifen
auch auf diesen Bildwerken fast überall
sehr schmal sind.
Selbst beim Ausgang des 10. Jahr-
hunderts finden sich auf Kasein noch Gabel-
kreuze von äußerst geringer Breite. Bei
der Adlerkasel zu Brixen (Bild 73, S. 181)
sind die Besätze z. B. nur etwa 5 mm breit ;
kaum breiter war der gabelkreuzförmige
Besatz, mit dem eine in den Stürmen der
Revolution zu Grunde gegangene, gleichfalls
mit mächtigen Adlern gemusterte Kasel in St Arnold zu Metz ausgestattet
war. Bei einer der St Ulrichskasein im Dommuseum zu Augsburg wird
das Gabelkreuz von einem Kördeichen gebildet (Bild 70, S. 178). Auch
das Gabelkreuz, mit dem die Kasel Gregors des Großen auf der Miniatur
eines dem 10. Jahrhundert entstammenden Registrum S. Gregorii in der
Stadtbibliothek zu Trier geschmückt ist (Bild 93), besitzt nur eine sehr
geringe Breite.
Sehr reich ist die Kasel der Mönche des Klosters zum hl. Martin zu
Tours auf dem Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen mit Besätzen verziert
(Titelbild). Es umgibt hier sowohl den Saum wie den Kopfdurchschlupf des
Gewandes eine Borte; außerdem zieht sich ein vertikaler Zierstreifen in der
Mitte der Vorderseite von oben bis unten herab. Dazu kommt bei drei
Mönchen ein Besatz, der von dem Streifen auf der Brust aus über die beiden
Schultern läuft und auf dem Rücken unter einem spitzen Winkel zusammen-
stößt. Es scheint fast, als habe man eine Kapuze imitieren wollen; eine
wirkliche Kapuze findet sich jedoch bei keinem der Mönche.
Übrigens sind mit Borten (Aurifrisien, auriphrygium, aurifrisium) ver-
zierte Kasein auf den Bildwerken des 1. Jahrtausends keineswegs das Ge-
wöhnliche. Es ist bezeichnend, daß bis ins 10. Jahrhundert hinein das Meß-
gewand in der Regel als ein ganz einfaches, jedes Zierbesatzes entbehrendes
Gewand auftritt, höchstens, daß es etwa um den Hals eine schmale Bor-
düre aufweist.
Erst gegen die Wende des Jahrtausends werden auf den Monumenten
mit Zierstreifen versehene Kasein häufiger. Bald umgibt ein Besatz bloß
den Kopfdurchlaß, bald umrandet er auch den Saum oder zieht sich senkrecht
über die Vorderseite des Gewandes herab. Hier mangelt jeder Zierbesatz,
dort gesellt sich zu dem Vorderstab und der Einfassung des Kopfdurchschlupfs
und des Saums ein Vertikalstreifen in der Mitte der Rückseite, während
Erstes Kapitel. Die Kasel.
211
anderswo die Besätze ein förmliches Gabelkreuz bilden. Auch kommt es
vor, daß die Umbordung des Kopfdurchlasses wie zu einem breiten Kragen
ausgestaltet erscheint. Kurz, es herrscht auf den bildlichen Darstellungen
des 10., 11. und 12. Jahrhunderts ein völliger Wirrwarr in der Anbringung
der Besätze.
Daß indessen dieses Durcheinander nicht lediglich auf die Phantasie
der Künstler zurückzuführen ist, sondern ein Spiegelbild der Wirklichkeit
darstellt, beweisen die zahlreichen Meßgewänder, die wir aus dieser Zeit be-
sitzen. Bald fehlt bei ihnen jeder Besatz, wie z. B. bei der St Heriberts-
und der Bennokasel (Iburg), bald beschränkt derselbe sich auf eine Ein-
fassung des Halsdurchlasses, wie bei der St Bernwards- und der Sixtuskasel,
bald besteht er außer in der Umbordung des Kopf durch schlupf es
noch in einem Vertikalstab, sei es bloß an der Vorderseite oder zugleich
an der Vorder- und Rückseite des Gewandes, wie bei der St Bernardskasel
zu Brauweiler und Xanten u. a. Ein Gabelkreuz finden wir bei der Adler-
kasel zu Brixen, den beiden Kasein im Dommuseum .zu Augsburg, der St Mein-
werkskasel zu Paderborn, den beiden St Wolfgangskaseln in St Emmeram
und dem Dom zu Regensburg, der St Regnobertskasel zu Bayeux, dem jetzigen
ungarischen Krönungsmantel (ursprünglich ein von Stephan dem Heiligen und
seiner Gemahlin gestiftetes Meßgewand) u. a. Bei einer der St Ulrichskaseln
im Dom zu Augsburg scheint indessen das aus zwei parallelen Börtchen be-
stehende Gabelkreuz eine Zugabe aus späterer Zeit zu sein. Die St Willegis-
kasel zu Aschaffenburg, welche jetzt ebenfalls ein Gabelkreuz aufweist, war
ursprünglich nur mit Vertikalstreifen geschmückt. Bei der St Willegiskasel in
St Stephan zu Mainz zieht sich ein schmales, in eine Spitze auslaufendes,
0,20 m langes Goldbörtchen von der Einfassung des Kopfdurchlasses an eine
Spanne weit über den Rücken herab.
Um den Sauni ist ein Besatz angebracht bei der Kasel im Dom zu
Ravenna, bei einer der St Ulrichskasein
im Dom zu Augsburg, bei der St Wolf-
gangskasel zu St Emmeram in Regens-
burg, bei einer der Salzburger Kasein,
bei dem Meßgewand des hl. Thomas
von Canterbury zu Sens, der Kasel des
hl. Edmund zu Provins u. a. Er ist
bei keiner übermäßig breit, da seine
Breite nie 0,10 m weit übersteigt, und
besteht meistens aus einer Goldborte.
Auch an der Innenseite ist bei
einigen Kasein den Saum entlang ein
Besatz aufgenäht, so bei der St Mein-
werkskasel, der Kasel im kgl. bayrischen
Nationalmuseum zu München u. a. Er
hatte den Zweck, den beim Aufraffen
des Gewandes zum Vorschein kommen-
den Partien der Unterseite ein gefällige-
res Aussehen zu verleihen. Als Futter
der Kasein wurde nämlich für gewöhn-
lich nur geringwertiger Stoff, grauliche, Bild 93. Miniatur des Registers Greg
gelbliche , rötliche oder blaue Lein- des Großen. Trier, stadtbftiiothek.
14*
212
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
wand verwendet; nicht selten ließ man es sogar ganz beiseite, weil es bei
den schweren, kräftigen Seidenstoffen, wie sie zur Anfertigung der Kasein
gebraucht wurden, nicht nur kein Bedürfnis war, sondern unter Umständen
sogar sehr lästig werden konnte1. Der Besatz war in solchen Fällen eine
Art Ersatz für einen besseren Futterstoff. In Fällen, in denen die Kasel des
Futters ganz entbehrte, mochte er außer dieser ästhetischen auch noch die
praktische Aufgabe haben, den Saum, der am ehesten Schaden leiden konnte,
zu stärken.
Eine merkwürdige Verzierung weist die in St Godehard zu Hildesheim auf-
bewahrte Kasel auf. Eine Skizze derselben, welche die Hälfte der Vorder- wie der
Rückseite darstellt, überhebt uns einer näheren Beschreibung (Bild 94). Das Gewand
ist nicht das einzige seiner Art. Ähnlicher Ausstattung ist nämlich auch das Meß-
gewand des hl. Thomas Becket in der Kathedrale zu Sens. Von einer dritten Kasel
des gleichen Typus haben wir nur noch aus der Abbildung und Beschreibung, die
Montfaucon von ihr hinterließ, Kenntnis 2. Sie befand sich in der Kathedrale zu Angers
und galt, indessen mit Unrecht, als
Meßgewand des hl. Bischofs Lupus
(t ca 680). Leider wurde sie, wie so
vieles andere, von den Stürmen, die
am Ende des 18. Jahrhunderts über
Prankreich dahmbrausten , unwieder-
bringlich weggerafft.
Ebenfalls ein Opfer der Revolution
wurde eine sehr interessante Kasel in
der Kathedrale zu Angers, bei welcher
der Besatz auf dem Rücken durch eine
oben und unten von Rankenwerk des
Übergangsstiles umspielte Reihe von
fünf übereinander stehenden Medaillons
ersetzt war 3. Montfaucon hat auch
von ihr glücklicherweise eine Skizze
hinterlassen. Roch eigenartiger ist
die Verzierung zweier um 1200 ent-
standener Meßgewänder im Schatz der
Kathedrale zu Reims. Eines davon ist
Wie man sieht, hat sich hier der Zierbesatz der Rückseite
zu einem förmlich baumartigen Gebilde entwickelt.
Zu bestimmten Typen des Kaselbesatzes kommt es erst seit etwa dem
Beginn des 13. Jahrhunderts. Es sind deren zwei, von denen man den einen
den nordischen, den andern den italienischen oder römischen nennen kann,
Bild 94. Kasel. Hildesheim, St Godehard.
in Bild 95 wiedergegeben
1 Selbst von den kostbaren Kasein, die im
Inventar von St Peter (1361) verzeichnet
werden , entbehrten viele , wie ausdrück-
lich bei ihnen angemerkt ist , des Futters
(sine fodere). Wenn man heute klagt, daß
Meßgewänder von mittelalterlicher Form sehr
lästig, weil zu schwer seien, so kommt das
daher, daß man sie gerade wie moderne
Kasein behandelt, d. h. sie nicht nur mit
einem kräftigen Futter, sondern obendrein
noch mit einem besondern Zwischenstoff ver-
sieht. Würde man sich mit einem leichten
Futter begnügen oder, wo der Oberstoff das
zuläßt, lediglich mit einem Raudbesatz an
der Innenseite des Gewandes, so würden die
Klagen bald verstummen.
2 Roh. VII 144, pl. dlxxix. Vgl. auch
die Angaben de Farcys in Revue 1886, 184.
Zu Angers befanden sich vor der Revolution
noch eine größere Anzahl von mittelalter-
lichen Kasein (ebd. 1885, 183 und Roh.
VII 144 171 ; VIII, pl. dcix dcx). Eines der
Meßgewänder wurde irrtümlich dem hl. Licinius
(f ca 605) zugeschrieben.
3 Ebd. VIII, pl. dcix.
4 Nur die Verzierung ist ursprünglich, das
Gewand selbst ist erneut. Gute Wiedergabe bei
d e Farcy pl. 25, farbig bei Bock II, Tfl xn.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
213
nicht als ob diese ausschließlich im Norden bzw. ausschließlich in Italien zur
Verwendung gelangt seien, sondern weil der eine im Norden, in Deutschland,
Frankreich, England, der andere in Italien vorherrschte.
Beim nordischen Typus war auf jeder der beiden Hälften des Meßgewandes
ein sog. Gabelkreuz angebracht. Die beiden Kreuze hatten entweder, wenn-
gleich nur selten, ähnlich wie das Pallium die Form eines Y oder — und das
war die Regel — die eines
T
und stießen auf den Schultern oder dem Ober-
arm mit ihren Schrägbalken zusammen.
Wir haben diese Verzierungsweise der Kasel schon auf den ravennatischen
Mosaiken angetroffen. Aber auch im Norden kannte man sie bereits eine gute
Weile vor dem 13. Jahrhundert. Sie findet sich hier schon auf Bildwerken
des 10. und 11. Jahrhunderts, wie z. B. einer Miniatur der aus Fulda stammen-
den Laudes S. Crucis Hrabans in der Vatikanischen Bibliothek (Bild 96, S. 214) \
der früher erwähnten Darstellung Gregors des Großen in dem Trierer Fragment
des Registrum S. Gre-
goriiM. (Bild 93, S. 211)
und ein wenig später
bei Bischof Bernward
auf dem Widmungsbild
des Bernwardevange-
liars im Dom zu Hildes-
heim2. Auch bei den
Kasein, die sich aus dem
Ende des 10. und .der
Frühe des 11. Jahrhun-
derts erhalten haben,
kommt bereits der gabel-
förmige Besatz vor, so
z. B. , wie wir früher
hörten, bei der Adler-
kasel zu Brixen und einer der St Ulrichskasein im Dommuseum zu Augsburg,
dann bei den Kasein des hl. Wolfgang zu Regensburg und des hl. Meinwerk
zu Paderborn sowie dem später als Krönungsmantel verwendeten Meßgewand,
welches 1031 König Stephan der Heilige und Königin Gisela der Marienkirche
zu Stuhlweißenburg zum Geschenk machten. Ebenso muß die Kasel, von
welcher die Geschichte der Bischöfe von Auxerre in der Biographie Hugos
von Chälon (1000 — 1039) erzählt, mit einem gabelförmigen Besatz versehen
gewesen sein. Denn wenn dort berichtet wird, ihre handbreiten Besätze hätten
ein Bild des Schulterkleides und Richtschmuckes (des Alten Testamentes) nach
Art des erzbischöflichen Palliums geboten, so kann das offenbar nur von einem
Gabelkreuz verstanden werden3.
Der gabelförmige Kaselbesatz ist also keineswegs eine Erfindung des
13. Jahrhunderts. Während er aber vordem nur vereinzelt zur Anwendung
kam, war er seit Ausgang des 12. Jahrhunderts ein sehr gewöhnlicher Schmuck
des Meßgewandes, besonders aber in Deutschland, Frankreich und England,
so daß er hier zum förmlichen Typus wurde.
1 Vat. Reg. Lat. Cod. 124. - Beissel, St., Des hl. Bernward Evangelienbuch, Hildes-
heini 1891, Tfl iv. 3 Hist. episc. Autiss. c. 49 (M. 138, 278).
Bild 95. Kasel. Keims, Kathedrale.
214
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewäuder.
Die Frage, wie es zur Entstehung des Gabelkreuzes gekommen, hat eine ver-
schiedene Beantwortung erfahren. Die einen, wie z. B. Thalhofer, führen sie auf
mystische Erwägungen zurück. „Galt einmal", so sagt dieser, „das Meßgewand als
iugum Domini, dann lag es gewiß nahe, auf demselben (zunächst auf der Bückseite)
das Kreuz des Erlösers, das eigentliche iugum Domini, abzubilden.' ' Andere, wie
Bock , haben im Gabelkreuz eine Nachahmung des erzbischöflichen Palliums sehen
wollen. „Es lag nahe", meint derselbe, „durch eine reiche Stickerei in Gold- und
Seidenfäden auf beiden Teilen des Meßgewandes die Form des griechischen Tau als
ornamentales Beiwerk unbeweglich aufzunähen und zu befestigen , die als auszeich-
nendes Ornatstück nur die Erzbischöfe und Metropoliten in ähnlicher Form und An-
legungsweise beweglich auf der Planeta zu tragen das Vorrecht besaßen." Bock
beruft sich dann zur Stütze seiner Ansicht auf die bereits angeführte Notiz aus
der „Geschichte der Bischöfe von Auxerre" und schließt: „Durch eine kunstreiche
Stickerei, die in ihrem Äußern die Gestalt des erz bischöflichen Palliums nachahmte,
wurde also bereits im 12. Jahrhundert auf der Dorsal- und Pektoralseite der
bischöflichen Kasel der Mangel des ebengedachten , nur Erzbischöfen zustehen-
den Ornates weniger sicht-
bar." 2
Die eine wie die andere
Erklärung ist jedoch un-
zutreffend. Es gab einen
gabelförmigen Besatz bei
der Kasel, wie die früher
erwähnten Bildwerke be-
kunden, schon im 6. Jahr-
hundert, ja noch früher, und
zwar war er nicht eine Eigen-
tümlichkeit einzig der 1 i t u r-
g i s c h e n Planeta, sondern
Schmuck der Planeta (Kasel)
überhaupt, da er sich ja
auf den Monumenten nicht
bloß bei Bischöfen, sondern
auch bei Laien, ja selbst bei
Juden findet. Er kann also
ursprünglich weder als Dar-
stellung des Kreuzes noch als Nachahmung des Palliums, sondern nur als bloßes
Ornament gedacht worden sein.
Kreuz wird der Besatz auch erst in dem späteren Mittelalter genannt und
selbst dann keineswegs allgemein. Vor dem Ende oder frühestens der Mitte des
13. Jahrhunderts ist diese Bezeichnung ganz ungebräuchlich. Das früheste Beispiel,
das uns bisher vorkam, findet sich in dem Begister von Bochester und stammt aus
der Zeit zwischen 1258 — 1279. Dazu kommt die sehr bemerkenswerte Tatsache, daß
bei allen sonstigen Deutungen, welche die alten Liturgiker der Kasel zu teil werden
lassen, keiner, nicht einmal Durandus, von einem Kreuze redet, womit man die-
selbe als Sinnbild des iugum Domini zu verzieren pflege. Und doch sollte man das
bestimmt erwarten , ■ falls der gabelförmige Besatz in der Tat jener mystischen An-
schauung seinen Ursprung zu verdanken gehabt oder damals auch nur als Kreuz
gegolten hätte 3. Er hat offenbar in den Augen eines Bruno von Segni , Ivo von
Chartres, Honorius, Sicard, Innozenz usw. nur dekorativen Zweck gehabt. Es dürfte
Bild 96. Miniatur in Hrabans Laudes S. Crucis (10. Jahrh.)
Koni, Vatikan.
1 Liturgik I 880. 2 Bock II 107.
3 Auch in dem angeführten Passus der
Gesta epp. Autiss. wird der Kaselbesatz, der
darin mit überschwenglichen Worten ge-
schildert wird, mit keiner Silbe Kreuz genannt;
es wird nur seine Ähnlichkeit mit dem alt-
testamentlichen Rationale und dem erzbischöf-
lichen Pallium hervorgehoben.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
215
übrigens auch schwer fallen, für das erste Jahrtausend in der christlichen Kunst über-
haupt Kreuze in Gabelform nachzuweisen. Im späten Mittelalter erscheint das Kreuz aller-
dings nicht selten in der Form eines schrägarmigen oder gegabelten Kreuzes , weil
man es liebte, das Kreuz des Herrn in naturalistischer Weise als Lebensbaum mit schräg
aufsteigenden Asten erscheinen zu lassen, im ersten Jahrtausend tritt es dagegen stets
als horizontalarmiges Kreuz auf. Eine wirkliche Kreuzesdarstellung in Gestalt eines
Gabelkreuzes dürfte selbst noch für das 12. Jahrhundert ein Anachronismus sein.
Gegen die Ansicht Bocks , wonach das Gabelkreuz auf das Pallium zurück-
zuführen ist, wäre im besondern zu bemerken : erstens, der fragliche Kaselbesatz hat
abweichend vom Pallium in der ältesten Zeit regelmäßig nicht j -, sondern
form; zweitens haben die Besätze bisweilen eine so minimale Breite -- man denke
nur an die Brixener Adlerkasel, an das früher
erwähnte Meßgewand des hl. Ulrich im Dom
zu Augsburg und an die Miniatur des Registers
Gregors des Großen in der Stadtbibliothek zu
Trier — , daß schon ein ziemlich guter Wille
dazu gehört, in ihnen Verwandte des erzbischöf-
lichen Palliums zu sehen ; drittens erscheinen
die gabelförmigen Besätze auf den Bildwerken
so wenig als Kopien des Palliums , daß sie
sich nicht bloß auf den ravennatischen Mo-
saiken, sondern auch auf den angeführten
Miniaturen der Laudes S. Crucis des Hraban und
des Registers Gregors des Großen in Verbindung
mit diesem dargestellt finden. Wenn aber der
Schreiber der Vita Hugos von Chälon den
Kaselbesatz, von dem er erzählt, als dem Pallium
ähnlich bezeichnet, so folgt daraus eben nur
eine gewisse formelle Übereinstimmung beider,
nicht aber auch , daß der Besatz eine beab-
sichtigte Nachahmung des Palliums war, und
noch viel weniger, daß das Gabelkreuz über-
haupt dem Bestreben, das Pallium zu kopieren,
sein Dasein verdankt.
Die Blüte des Gabelkreuzes fällt in
das 13. und 14. Jahrhundert. Im Verlauf
des 15. kommt es allmählich in Abgang, Bild 97 Kaselkreuz. Danz.g, Marienkirche,
doch währt es lange, bis es ganz von dem
Meßgewand verschwunden ist. An einzelnen Orten erhält es sich bis tief ins
17. Jahrhundert hinein in Gebrauch. So findet es sich z. B. in Lüttich noch
auf Grabsteinen aus den Jahren 1605 (Hof des alten bischöflichen Palastes)
und 1641 (Kreuzgang von St Paul). In St-Maurice zu Angers aber gab man
das Gabelkreuz erst Ende des 17. oder Anfang des 18. Jahrhunderts auf1.
Immerhin waren das nur vereinzelte Erscheinungen ; schon in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts war nicht mehr das Gabelkreuz das Gewöhnliche,
sondern das horizontalarmige.
Eine Abart des Gabelkreuzes und zugleich wohl die Mittelform zwischen
dem gabelförmigen und dem horizontalarmigen war ein Kreuz, dessen Quer-
balken zwar schräg anstiegen, sich aber nicht bis auf die Schultern hinauf-
zogen. Es wurde meist nur auf der Rückseite des Meßgewandes angebracht
1 Revue 1885, 184.
216 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
und scheint im Verlauf des 14. Jahrhunderts aufgekommen zu sein. Im 15.
war es nach Ausweis der Monumente, die häufig Darstellungen von ihm
bringen, recht beliebt. Vorzügliche Beispiele dieser Kaselkreuzart , der wir
noch auf dem Grabmal des Trierer Erzbischofs Johannes von Schönenberg
(f 1599) im Dom zu Trier begegnen, birgt die Schatzkammer von St Marien
zu Danzig. Sie gehören zum Teil zu den hervorragendsten Werken spätmittel-
alterlicher Figurenstickerei (Bild 97, S. 215).
Eine andere, doch sehr seltene Umbildung des Gabelkreuzes, die aber erst
aus der Wende des 15. Jahrhunderts zu datieren scheint, bestand darin, daß
man in der Absicht, eine größere Fläche zur Anbringung von Stickereien zu
schaffen, die Schrägbalken fast bis zum Kopfdurchschlupf erbreiterte. Trotz
aller reichen Nadel arbeiten, mit denen man diese Abart des Gabelkreuzes versah,
war dieselbe doch nur eine wenig schöne Verzierung des Meßgewandes.
Horizont alarmige Kreuze kamen vereinzelt schon um die Mitte des
13. und in der Frühe des 14. Jahrhunderts vor. So treffen wir ein solches
in Verbindung mit einem Gabelkreuz bereits auf der dem hl. Petrus Martyr
(f 1252) zugeschriebenen Kasel in St-Sernin zu Toulouse und für sich allein
zu Castel S. Elia auf einem Meßgewand aus der ersten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts an (Bild 88, S. 202).
Es handelt sich indessen bei derartigen Beispielen bis zum Ende des
14. Jahrhunderts nur um Ausnahmen, nicht um die Regel. Erst dann ge-
winnt das horizontalarmige Kreuz größere Verbreitung. In Deutschland und
Frankreich drängt es im Laufe des 15. Jahrhunderts das Gabelkreuz nach
und nach ganz in den Hintergrund und wird hier an dessen Stelle zum vor-
herrschenden Kaselbesatztypus. In Frankreich erhält sich dabei die breite
Einfassung des Kopfdurchschlupfs, der wir bei den Kasein des 12. und 13. Jahr-
hunderts nicht selten begegnen, während diese in Deutschland entweder ganz
außer Anwendung kommt oder zu einem schmalen Börtchen zusammen-
schrumpft.
In der Regel wurde das geradbalkige Kreuz nur auf der Rückseite der
Kasel angebracht. Indessen kam es auch wohl vor, daß man beide Seiten
mit einem solchen bedachte. Ein frühes Beispiel eines derartigen Meßgewandes
ist die Bild 88 wiedergegebene Kasel zu Castel S. Elia (14. Jahrhundert), ein
spätes eine Kasel in der Kathedrale von Bergamo 1 ; ein anderes aus der Wende
des Mittelalters sahen wir in einer Privatsammlung zu Robecco bei Cremona,
in die es aus einer Kirche des Aostatales gelangt war. Auch die Melker
Kasel ist mit zwei Kreuzen versehen, die indessen jünger als das Gewand
selbst sind. Auf den Bildwerken begegnen uns ebenfalls seit dem 14. Jahr-
hundert hie und da Kasein mit horizontalarmigem Kreuz auf der Vorder- wie
der Rückseite. Ein gutes Beispiel aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts
liefert eine aus der „Groote Kerk" zu Gouda stammende Skulptur im Rijks-
museum zu Amsterdam.
Am meisten scheinen Kasein mit zwei horizontalarmigen Kreuzen in Italien
vorgekommen zu sein, wo allerdings der Umstand, daß die Vorderseite hier
regelmäßig mit einem kreuzartigen Besatz versehen wurde, das häufigere Auf-
treten eines doppelten horizontalbalkigen Kreuzes auf dem MeßgeAvand leicht
erklärt. Zum Typus ist diese Verzierungsweise der Kasel indessen auch in
Italien nicht geworden, obschon der hl. Karl Borromäus ausdrücklich bestimmte,
1 Abbildung bei Beltrami, L'arte negli arredi sacri della Lombardia, Milano 1897, tav. xix.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 217
es solle auf beiden Gewandhälften ein durch mindestens 8 unciae (= ca 0,14 m)
breite Streifen gebildetes Kreuz aufgenäht werden 1. Es ist interessant , zu
beobachten, wie selbst die vom hl. Karl stammenden Kasein in S. Maria
Maggiore zu Rom und im Dom zu Mailand nur den gewöhnlichen Besatz der
italienischen Meßgewänder, einen Stab auf der Rückseite und ein Kreuz auf
der Vorderseite, aufweisen. In Deutschland müssen Kasein mit geradbalkigem
Kreuz auf Brust und Rücken stets nur Ausnahmen gewesen sein. Unter den
zahlreichen Meßgewändern aus dem Mittelalter, die sich hier bis zur Stunde
erhalten haben, ist uns nur ein Beispiel bekannt, welches auf der Vorder-
wie Rückseite ein solches aufweist, die Kasel zu Stift Melk. Wenn es in
der „Nachfolge Christi" heißt: „(Sacerdos) habet ante se et retro dominicae
crucis signum" 2, so ist hier unter dem doppelten Kreuz das eigentliche Gabel-
kreuz zu verstehen, mit welchem sowohl die Vorder- wie die Rückseite des
Meßgewandes versehen wurde.
Es war sogar in Deutschland im 15. Jahrhundert sehr gewöhnlich, die
Vorderseite der Kasel bei Anwendung des horizontalarmigen Kreuzes ohne
allen Besatz zu lassen. So Aveisen von den zahlreichen mit einem derartigen
Kreuz auf dem Rücken geschmückten Meßgewändern in dem Museum zu
Braunschweig , dem Dom zu Halberstadt, dem Dom zu Brandenburg und
St Marien zu Danzig nur sehr wenige vorn den jetzt allgemein gebräuchlichen
Vertikalstreifen auf.
Welche Einflüsse die Umwandlung des Gabelkreuzes in das horizontal-
balkige herbeigeführt haben, ist mit Sicherheit nicht zu sagen. Es waren
wohl mehrere Faktoren, die den Wechsel bewirkten, so die seitliche Ver-
kürzung der Kasel, die im Norden schon um das Ende des 14. Jahrhunderts
einen bedeutenden Grad erreicht hatte, ferner die seit dem 14. Jahrhundert
mächtig gestiegene Vorliebe für Kaselbesätze mit reicher Figurenstickerei und
darum auch für breitere Besätze, als Gabelkreuze es sein können, ohne schwer,
plump und unschön zu werden, endlich und wohl am meisten das Bestreben,
durch ein eigentliches Kreuz das Geheimnis sinnfällig anzudeuten, bei dessen
Feier sich der Priester der Kasel bedient, die unblutige Erneuerung von Christi
Kreuzestod. Es ist wohl nicht ohne Grund, daß zur Zeit, da das horizontal-
armige Kreuz an Verbreitung gewinnt, auch die Darstellung des Gekreuzigten
auf der Kasel häufiger wird. Um die Wende des 15. Jahrhunderts gab man
sogar dem Kreuz häufig die Gestalt eines förmlichen, mit knorrigen Asten
besetzten Baumes (Bild 98, S. 218).
Der zweite Besatztypus, den wir oben den italienischen nannten,
weil er in Italien vorherrschte, wie im Norden das Gabelkreuz, bestand- aus
einem Stab auf der Vorder- und der Rückseite des Meßgewandes, einer
Einfassung der Halsöffnung von wenigstens der halben Breite der Vertikal-
besätze und einem kurzen Querstück zwischen der Bordüre des Kopfdurch-
lasses und dem oberen Ende des vorderen Stabes, der vornehmsten Eigen-
tümlichkeit des Typus. Querbalken eines Kreuzes zu sein, war nicht der
ursprüngliche Zweck dieses Querbesatzes. Er wurde vielmehr aus praktischen
und ästhetischen Rücksichten angebracht. Aus praktischen; denn er sollte
das Einreißen des Kopfdurchlasses verhüten; aus ästhetischen, weil er den
um die Halsöffnung angebrachten Borten an ihrem unteren Ende einen passenden
Abschluß geben und eine Überleitung zu dem vorderen Vertikalstab bilden sollte.
A. E. Med. 627. - L. 4, c. 5, n. 3.
218
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
v
Er ging deshalb auch ursprünglich nicht oder nur wenig über die Bordüre des
Kopfdurchschlupfes seitlich hinaus. Selbst im 15. und 16. Jahrhundert springt
der Querbesatz noch häufig bloß um ein geringes über die Einfassung des
Kopfdurchschlupfes vor, wie das außer den zahlreichen bildlichen Darstellungen
z. B. die Kasein zu Castel S. Elia, die Kasein von S. Marco zu Venedig, die
Kasel des Papstes Kalixt IL und die Kasein des hl. Karl zu Rom (S. Maria
Maggiore) und Mailand (Dom) beweisen.
Es ging überhaupt keine wesentliche Wandlung mit dem Besatz seit
dem 13. Jahrhundert vor sich. Die hauptsächlichste Veränderung betraf seine
Breite. Im 13. Jahrhundert erscheint er meistens noch recht schmal, dann
aber erwacht auch in Italien die Vorliebe für breite, die Anbringung reicher
Figurenstickerei ermöglichende Besätze. Im übri-
gen gewährt in Bezug auf die Verzierungsart
die italienische Kasel des 14. und 15. Jahrhun-
derts dasselbe Bild, welches das Meßgewand im
13. bot. Der Besatztypus kommt schon auf den
unter Innozenz II. (1130—1143) angefertigten
Apsismosaiken in S. Maria in Trastevere beim Pres-
byter Calepodius vor. Seit dem 14. Jahrhundert
gewahrt man auf den italienischen Bildwerken
kaum eine andere Besatzart auf der Kasel mehr.
Gute Beispiele finden sich auf dem Meß-
gewand des hl. Bernardo degli Uberti in S. Trinitä
zu Florenz, der Kasel des hl. Bernardin von Siena
in der dortigen Opera del Duomo, den beiden
Meßgewändern in S. Marco zu Venedig sowie den
andern vorhin genannten Kasein.
Die Neuzeit bietet wenig Bemerkenswertes
in Bezug auf die Form des Kaselbesatzes. Die
Typen, welche das ausgehende Mittelalter als Erbe
hinterließ, erhielten sich ohne weitere Umbildung
bis in die Gegenwart. Nur bekamen nunmehr
alle Kasein Besätze, während sie im Mittelalter,
ja noch teilweise bis in das 16. Jahrhundert nicht
selten ganz ohne solche geblieben waren, doch
wurden bei gewöhnlichen Meßgewändern Kreuz
und Stäbe gern durch schmale Börtchen nach-
gebildet, namentlich in Italien.
Im allgemeinen waren die Besätze jetzt stets von ziemlicher Breite. Die
Neuzeit hatte aus dem späten Mittelalter auch die Vorliebe für breite Besätze als
Vermächtnis herübergenommen. Ja je mehr das Gewand an Breite abnahm,
um so mehr schien das Kaselkreuz an Ausdehnung gewinnen zu sollen, gleich
als ob ein mächtiges Kreuz einen Ersatz für die unbedeutende Wirkung des
zusammengeschrumpften Gewandes hätte bieten sollen. Allerdings dürfte auf
die Erbreiterun g des Kaselbesatzes auch noch eine andere , praktische Er-
■ wägung Einfluß gehabt haben.
War nämlich das Kaselkreuz recht breit, so reichte bei der geringen
Ausdehnung des Meßkleides selbst zur Anfertigung des Rückteiles eine
Stoffbreite aus. Man konnte in diesem Fall sogar bei etwas Nachdenken und
Übung durch kluges Zuschneiden das Material für die Stola und den Manipel
Bild 98. Kaselkreuz.
Berlin, Kunstgewerbemuseum.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
219
aussparen, so daß man bei Kasel und Zubehör fast mit 21/2— 3 m Stoff, die
Breite zu 54 cm gerechnet, auskam. Allerdings ein gewaltiger Unterschied
im Vergleich mit den Glockenkaseln früherer Zeit, zu denen bei gleicher
Breite das Dreifache erforderlich gewesen war!
Was die Beschaffenheit der Kaselbesätze anlangt, so bestanden sie
bis in das 13. Jahrhundert hinein gewöhnlich aus gewebten Borten. Die-
selben hatten durchweg eine Breite von 3 — 8 cm. Breitere Borten scheinen
nur selten verwendet worden zu sein , häufiger dagegen schmälere , doch
wurden auch wohl zwei oder drei schmälere Besätze nebeneinander angebracht,
wie z. B. bei der Glockenkasel in
St Emmeram zu Regensburg und
einer der Kasein im Dommuseum
zu Augsburg.
Es haben sich noch manche
dieser Borten erhalten. Sie stellen
ein vorzügliches, äußerst dauerhaftes,
fast lederartig festes Gewebe dar.
Zu ihrer Herstellung wurde eine
Doppelkette gebraucht und die beiden
Kettenfäden nach der jedesmaligen
Einführung des Einschlages um-
einander gedreht. Bei der Mehrzahl
dieser Borten ist reichlich Gold zur
Anwendung gebracht worden. Das-
selbe besteht bis in das 12. Jahr-
hundert hinein aus einem massiv
goldenen Metallriemchen, welches um
einen Seidenfaden gesponnen ist,
dann aus einem silbervergoldeten,
gleichfalls um einen Seidenfaden ge-
sponnenen Metallstreifchen. Der irrig
sog. cyprische Goldfaden, ein Surro-
gat echter Goldfäden , bei dem ein
vergoldetes Häufchen um einen
Linnenfaden gedreht ist, gehört erst
dem späteren Mittelalter an. Die
zu den Borten im 11. und 12. Jahr-
hundert gebrauchten Goldfäden sind
von äußerster Feinheit. Um ihre Wirkung zu erhöhen, pflegte man die fertig
gewebte Borte zu walzen. Es ist erstaunlich, wie vortrefflich sich diese durch
ihr Material ungemein kostbaren Borten durch alle die Jahrhunderte hindurch
erhalten haben. Vorzügliche Beispiele derselben bieten die sog. Sixtuskasel im
bischöflichen Museum zu Münster, die beiden Willegiskaseln zu Mainz und
Aschaffenburg, die Brixener Adlerkasel, die Kasein im Schatz des Bam-
berger Domes und namentlich die St Wolfgangskasel in St Emmeram zu
Regensburg.
Die Borten des späteren 12. und des 13. Jahrhunderts, bei denen das rein
goldene Metallstreifchen durch ein silbervergoldetes ersetzt und obendrein mehr
farbige Seide verwendet ist, haben weniger gut der Zeit zu trotzen verstanden,
obschon auch sie sich immer noch als sehr haltbar erwiesen haben.
Bild 99. Kasel. Krakau, Dom. (I'liot. J. Krieger.)
220
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Die Musterung der Besätze bestand bis ins 13. Jahrhundert hinein fast
nur aus geometrischen Gebilden, aus stilisierten Ranken und phantastischen
Tieren. Figurale Darstellungen bürgern sich auf ihnen erst ein, als die Stick-
kunst beginnt, mit ihren Schöpfungen die Stäbe zu beleben. Schon das
13. Jahrhundert bringt manche herrliche, mit Bildwerk reich geschmückte
Kaselbesätze hervor; die eigentliche Blütezeit derselben fällt aber in das 14.
und 15. Jahrhundert.
Die Darstellungen, denen wir auf ihnen begegnen, sind sehr mannigfaltig.
Sie nehmen vor allem natürlich Bezug auf den Heiland und sein Leben, doch
auch, und zwar ganz besonders, auf die allerseligste Jungfrau und die Geheim-
nisse ihrer irdischen Pilgerschaft bis zu ihrer Aufnahme in den Himmel und
ihrer Krönung , auf
die Engel, die Apostel
und die Heiligen, na-
mentlich auf die vom
Volk verehrten Pa-
trone und die Titel-
heiligen der Kirchen
und Altäre. Es ist
ein äußerst wechsel-
volles Bild, was sich
bei der Durchmuste-
rung der Kaselreste
aus alter Zeit oder
beim Durchlesen der
Inventare des späte-
ren Mittelalters dem
Auge oder der Phan-
tasie darbietet. Es
waren diese Sticke-
reien keineswegs aus-
nahmslos Kunst-
werke ; sie waren zum
Teil handwerksmä-
ßige , kunstlose , ja
rohe Arbeiten. Aber
es gab unter ihnen
auch zahllose Perlen wahrer Kleinkunst, Nadelmalereien, die in ihrer edeln Aus-
führung den Vergleich mit den besten Schöpfungen des Pinsels nicht zu scheuen
brauchten. Die vielen Reste mittelalterlicher Kaselbesätze in den Kirchen,
Museen und Privatsammlungen legen dafür beredtes Zeugnis ab.
Das ausgehende 15. und das beginnende 16. Jahrhundert sehen auf den
Kaselstäben Stickereien in Hochrelief entstehen. Es sind meistens Einzel-
figuren wie der Gekreuzigte (Bild 98, S. 218), Maria und Heilige, die in Relief-
stickerei auf dem Kaselkreuz angebracht werden, doch kommen in dieser
Stickweise auch
ragendste Beispiel
aus dem Leben des heiligen Bischofs Stanislaus (Bild 99, S. 219).
Technisch betrachtet, waren diese über Werg modellierten Reliefstickereien
vielfach sehr kunstreich, vom ästhetischen Standpunkt aus und als Ornamente
Bild 100. Kasel mit Kreuz in Perlen. Aachen, Münster.
ganze Szenen auf demselben zur Ausführung. Das hervor-
tildet wohl eine Kasel im Dom zu Krakau mit Darstellungen
Erstes Kapitel. Die Kasel.
221
eines Gewandes müssen sie indessen entschieden verurteilt werden. Sie
bekunden, daß der Sinn für das wahrhaft Schöne schon im Weichen begriffen
und die Vorliebe zum Bizarren und Sonderbaren erwacht war, und daß man
das Verständnis für die wahre Bedeutung der Besätze bereits in hohem Maße
verloren hatte und das zur Hauptsache zu machen begann, was als Ornament
doch nur Nebensache war.
Häufig werden seit dem 13. Jahrhundert auch Perlen, seltener Edel-
steine zur Verzierung der Kaselbesätze verwendet. Die Inventare führen
sehr oft Aurifrisien dieser Art an. Eine interessante Kasel, deren Stab in
eigentümlicher Weise aus Perlen gebildet wird, ist die sog. St Bernardskasel
im Münster zu Aachen. Eine Abbildung des Gewandes (Bild 100) überhebt
uns einer näheren Beschreibung. Ein
anderes interessantes, ganz mit feinen
Perlen besticktes Kreuz findet sich im
Berliner Kunstgewerbemuseum (Bild
101). Öfters wurden ferner im späteren
Mittelalter gestanzte vergoldete Me-
tallplättchen zur Ausschm ückung der
Kaselstäbe gebraucht (Bild 102, S. 222).
Sie hatten die Form von Rosetten, Vier-
pässen, Rauten u. ä. und waren in der
Mitte mit Ornamenten, ja selbst mit
religiösen Darstellungen, z. B. Szenen
aus dem Leben Christi, versehen. Statt
gestanzter kamen auch wohl, wie die
Inventare bezeugen, mit Emailbildchen
geschmückte Zierplättchen zur Ver-
wendung.
Übrigens wurden auch im späteren
Mittelalter neben bestickten immer noch
häufig gewebte Besätze gebraucht.
Hauptbezugsquellen derselben waren
im 14. Jahrhundert den Inventaren zu-
folge Lucca (opus lucanum), Venedig
(opus venetum), Siena (opus senense),
Romania, d. i. Griechenland (opus ro-
manum), Cypern (opus cyprense oder
cyprianum) und der sarazenische Osten (opus tartaricum). Im 15. kommen
dazu Florenz mit seinen schon den Einfluß der Renaissance atmenden Floren-
tiner und der Niederrhein (Köln) mit den ebenso wirkungsvollen wie charak-
teristischen sog. Kölner Borten, die hier eine besondere Erwähnung ver-
dienen. Sie gehören zu den vorzüglichsten Borten, welche im Mittelalter von
der Hand des Webers geschaffen wurden. Der Grund war bei ihnen entweder
in dem fälschlich sog. Cyperngold oder in farbiger Seide hergestellt. Im
letzten Falle liebte man es, in bestimmten Abständen und in regelmäßiger
Wiederkehr mit der Farbe zu wechseln. Das Ornament, für welches satte,
kräftige Farben, namentlich ein tiefes Blau und ein leuchtendes Rot bevor-
zugt wurden, bestand bald in fortlaufenden Ranken, bald in reizend stilisierten
Bäumchen, Blumen, Rosetten, kurzen, in die Quere gestellten Inschriften,
Wappenschildchen und ähnlichen Motiven, die in mannigfachen Zusammen-
Bild 101. Kaselkreuz in Perlenstickerei.
Berlin, Kunstgewerbemuseum.
9.9.9.
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Stellungen miteinander kombiniert wurden, bald endlich in freistehendem oder
unter Baldachinen angebrachtem Figurenwerk (dem Gekreuzigten, der alier-
seligsten Jungfrau, Heiligen usw.). Bei Borten mit figürlichen Darstellungen,
welche den Höhepunkt der Fabrikation bildeten, wurden nur die Hauptteile der
Figur auf dem Webstuhl fertiggestellt, nicht aber auch die Einzelheiten, wie
die Gesichter, das Haar, Köpfe, Hände und Füße, die Falten und die Musterung
des Gewandes. Alles das Avurde nachträglich durch die Hände des Stickers
oder der Stickerin ergänzt
(gemischte Technik). Wie
bekannt, hat man in jüng-
ster Zeit zu Krefeld die
Herstellung der alten Köl-
ner Borten, von denen
sich noch manche Über-
bleibsel erhalten haben,
mit Glück von neuem ins
Leben gerufen.
Die Bildstickerei
stellt um das Ende des
16. Jährhunderts auf den
Kaselstäben fast ganz ihre
Tätigkeit ein. Ganz mit
figürlichen Darstellungen
ausgestattete Besätze sind
im 17. Jahrhundert Aus-
nahmen. Vorzügliche Bei-
spiele finden sich auf der
Kasel Oliers, des Stifters
der Sulpicianer in St-Sul-
pice zu Paris ', und na-
mentlich einem Meß-
gewand in der ehemaligen
Jesuitenkirche zu Köln,
einer Arbeit des Laien-
bruders Johannes Lütgen,
der von 1643 bis 1673
im Kölner Kolleg als acu-
pictor, wie die Kataloge
sagen, tätig war. Bild
103 gibt die Bückseite
wieder. Auf der Vorder-
seite sind übereinander Christus als Feldherr, unter seinem Mantel heilige
Kreuzesträger , zwei weibliche Heilige (Cäcilia? und Lucia) und die Apostel
Petrus und Paulus dargestellt. Kreuz und Stab, die beide in sog. Lasur-
stickerei über Goldfäden hergetellt sind, dürfen sich in ihrer äußerst delikaten
Ausführung kühn den besseren Werken des Mittelalters anreihen 2. Den
Grund der Kasel bedecken in Gold ausgeführte, technisch vollendete, aber
allzu schwere und massige Hochstickereien (Ranken, Früchte, Vögel), die
Bild 102. Kasel. Halberstadt, Dom.
Abbildung bei de Farey pl. cxv.
2 Zeitschrift XVIII (1905), 301 ff.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
223
zu den flachen Stickereien des Kreuzes und des Stabes in auffallendem Kon-
trast stehen.
Wollte man den Kaselbesatz mit Bildwerk verzieren , so begnügte man
sich für gewöhnlich damit, in der Kreuzung der Balken ein Medaillon mit ein-
gesticktem Bilde anzubringen. Indessen geschah nicht einmal das allzu oft.
In der Regel ließ man es in der Mitte des Kreuzes bei irgend einem Symbol
bewenden; für die Balken und Stäbe selbst aber wollte die Mode Arabesken,
klassizierende Ranken, Riemen- und Kartuschenwerk u. ä. Bei besseren Meß-
gewändern wurden die Stickereien mit Vorliebe in steifem, schwerem Gold-
oder Silberguipe (der bekannten Hochstickerei, bei welcher die Gold- bzw.
Silberfäden über dick aufgelegte Fäden
oder kräftigen Karton gespannt und
so auf dem Grund aufgenäht werden)
ausgeführt. Es ist das die Reliefstickerei,
die wir schon um 1500 in Blüte fanden.
Technisch betrachtet, sind die Sticke-
reien auf den Kaselbesätzen im 17. Jahr-
hundert durchweg gute, ja vielfach aus-
gezeichnete Arbeiten von ungemeiner
Sauberkeit und Glätte und reich ent-
wickelter, mannigfaltiger Technik. Lei-
der entsprach der Sorgsam keit in der
Ausführung und der Ausbildung der
Technik nicht im gleichen Maße der
gute Geschmack. Es war denn doch
das immer wiederkehrende, an die An-
tike sich anlehnende, monotone Ranken-
gewirr ein schlechter Ersatz für das
herrliche Bildwerk, welches die früheren
Künstler mit der Nadel auf die Kasel-
besätze zu zaubern verstanden hatten.
Im 18. Jahrhundert gewähren die
bestickten Kaselstäbe im großen und
ganzen dasselbe Bild wie im 17., nur
daß auch aus dem Medaillon in der
Mitte des Kreuzes das Bild verschwin-
det, und daß das Ornament sein antiki-
sierendes Gepräge verliert und einen naturalistischen Charakter erhält oder zu
willkürlichem Schnörkelwerk wird. Die technische Ausführung der Stickereien
stand auch jetzt noch auf einer hohen Stufe, dagegen nahm der gute Ge-
schmack immer mehr ab, wie das namentlich in der üppigen Anwendung über-
ladener Goldstickereien zu Tage trat.
Das 19. Jahrhundert sah bei seinem Anbruch die kirchliche Stickkunst
wie die Kunst überhaupt auf einer tiefen Stufe, bis auch ihr in den fünfziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts die Reformbewegung in Deutschland, Frank-
reich, Belgien und Holland neues Aufblühen brachte. Es entstanden in An-
lehnung an die mittelalterliche Technik wie die mittelalterliche Darstellungs-
weise Kaselbesätze, die sich kühn neben den alten Meisterwerken sehen lassen
durften. Namentlich gingen aus stillen Klosterräumen, in denen frommer Eifer
für die Zierde des Heiligtums im Verein mit hoher Kunstfertigkeit, feinem
Bild 103. Kasel. Köln, ehem. Jesuitenkirche.
Arbeit des Laienbruders Joh. Lütgens.
224 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Verständnis für Stil und edlem Geschmack waltete, manche herrliche Sticke-
reien zur Ehre Gottes und zum Schmuck der Kaselbesätze hervor. Besondere
Erwähnung verdienen die zahlreichen vollendeten Schöpfungen der technisch
ebenso geschulten wie feinsinnigen und kunsterfahrenen Schwestern vom
Armen Kinde Jesu zu Aachen und Simpel veld (holländisch Limburg).
Es war kein Vorteil für die Kasel, daß sich in dem letzten Viertel des
vorigen Jahrhunderts die aufstrebende Industrie mit ihrer Stickmaschine und
ihrer künstlerisch wertlosen Dutzendware und die sog. Anstalten für christliche
Kunst mit ihren Spekulationen der Paramentenstickerei bemächtigten. Was
von ihnen in den letzten zwanzig Jahren auf den Markt gebracht wurde, ist
vielfach so stil- und charakterlos und künstlerisch so minderwertig, daß man
oft, trotz aller ihrer Gebrechen, die Zeit des Rokoko wieder herbeiwünschen
möchte.
Spanien und Italien blieben mit ihren Kaselstickereien stilistisch
auf dem Standpunkt des 18. Jahrhunderts. Eine Rückkehr zur mittelalter-
lichen Stickweise wurde in Spanien nur in bescheidenstem Maße, in Italien
kaum versucht.
Die Verwendung von eigens zu diesem Zweck gewebten Kaselbesätzen
nahm seit dem 17. Jahrhundert allenthalben ab. Die Besätze wurden, was
allerdings auch schon früher vielfach geschehen war, nun gern durch schmale
Parallelbörtchen imitiert oder, was gleichfalls schon im Mittelalter Brauch
gewesen war, aus Streifen andersfarbigen, gemusterten oder ungemusterten
Stoffes hergestellt. Eigens als solche gewebte Kaselbesätze kamen erst im
19. Jahrhundert wieder mehr in Aufnahme. Es war indessen bis über die
Mitte des Jahrhunderts hinaus technisch und namentlich stilistisch betrachtet
nur sehr geringwertiges Zeug, was an Kreuzen und Stäben zu Lyon fabriziert
und von dort überallhin vertrieben wurde. Es mag genügen , an die Urnen,
die Genien mit Fackeln und die Monumente mit Zypressen zu erinnern , die
auf den Stäben schwarzer Kasein mit Vorliebe dargestellt wurden. Erst der
Anschluß an mittelalterliche Motive führte eine teilweise Wandlung zum
Besseren herbei.
XIV. BESTICKTE MESSGEWÄNDER.
Außer zur Verzierung der Besätze wurde die Stickkunst auch zur Aus-
schmückung des Meßgewandes selbst herangezogen. Das geschah namentlich,
seitdem die Kasel zu einem skapulierförmigen Gewand geworden war, das
die Arme nicht weiter bedeckte und darum auch nicht weiter belastete. So
lange sie bis tief auf die Arme herabreichte und beim Gebrauch über den-
selben in Falten zusammengelegt werden mußte, empfahl es sich wenig, das
ganze Gewand mit Stickereien zu verzieren, weil solches sie sehr unbequem
gemacht haben würde. Wirklich treffen wir in den mittelalterlichen In-
ventaren nicht allzu häufig ganz mit Stickereien versehene Kasein an. Selbst
das Schatzverzeichnis des Apostolischen Stuhles aus dem Jahre 1295 und die
Inventare von St Peter aus dem Jahre 1361 wissen nur wenig von solchen
zu berichten. Es verhält sich eben mit dem Meßgewand anders wie mit dem
Pluviale. Pluvialien , die vollständig bestickt waren , kamen im Mittelalter
häutiger vor. Begreiflich, weil hier der Grund wegfiel, welcher verbot, die
Kasein in dieser Weise zu verzieren. Da nämlich das Pluviale vorn geöffnet
war, brauchte es nicht, wie es beim Meßgewand zu geschehen hatte, auf die
Arme emporgehoben und dort in Falten gelegt zu werden.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
225
Die Ausführung der Stickereien erfolgte bei bestickten Kasein entweder
in Gold oder in farbiger Seide. Im ersten Fall diente als Stickgrund weißer
oder farbiger Seidenstoff, im zweiten Leinwand. Bei Linnengrund wurde außer
dem Muster auch der Fond ausgestickt. Die Stickereien selbst bestanden für
gewöhnlich nur in ornamentalen Motiven von der Art, wie sie sich auf den
gewebten Stoffen fanden, also in bald größeren, bald kleineren animalischen,
vegetabilischen oder geometrischen Gebilden, welche in regelmäßigen Reihen
übereinander angebracht wurden, hier dicht aneinander, da wie verstreut.
Beispiele von Kasein, die in dieser Weise bestickt erseheinen, sind die Meß-
gewänder in S. Urso zu Ravenna und in S. Godehard zu Hildesheim, eine Kasel im
Dom zu Halberstadt, sowie eine leider um das Ende des 16. Jahrhunderts stark
verstümmelte Kasel in der Kathedrale zu Anagni. Das erstgenannte Gewand ist
auf dunkelblauem Fond, dem eine leichte Musterung wie eingeritzt ist, mit Miniatur-
adlern und Möndchen , das zweite auf bräunlichem Seidengrund mit kleinen Rosetten
und Möndchen bestickt. Die Kasel in der Kathedrale zu Anagni stammt aus der
Schenkung Bonifaz' VIII. und muß ursprünglich ein ungemein prächtiges Stück gewesen
sein. Sie besteht aus einem schweren Seidenköper von leuchtend roter Farbe und ist
mit großen, kreisförmigen Feldern verziert, in denen doppelküpfige Adler, Löwen,
Greife und anderes phantastisches Getier angebracht sind. Auch hier ist die Stickerei
ganz in Gold ausgeführt. Das Gewand wird im Verzeichnis der Paramente, welche
Bonifaz VIII. der Kathedrale von Anagni verehrte, mit den Worten aufgeführt: una
planeta de samito laborato de auro cum acu ad leones, papagallos , grifos et aquilas
cum geminis capitibus et aurifrisio de samito laborato de auro ad ymagines genera-
logiae Salvatoris cum perlis et lapidibus pretiosis '. Auf dem Halberstädter Meßgewand
(Bild 75, S. 185) sieht man in Reihen geordnet goldene Adler mit dazwischen ein-
gestreuten goldenen Rosetten auf dunkelblauem seidenem Grund. Ein ferneres vor-
zügliches Exemplar war die zweite der früher erwähnten, durch die Revolution leider
vernichteten Kasein in der Kathedrale zu Angers, welche mit Möndchen, Sternen und
kleinen Löwen bestickt war9. Auch die Kaselfragmente, die man im Grabe Theo-
dorichs IL von Trier fand, geben ein gutes Bild der in Frage stehenden Verzierung
des Meßgewandes, bei welcher den Künstlern ersichtlich die prächtigen Goldbrokate
als Vorbilder vorschwebten. Das Gewand war mit einem förmlichen Ketz goldgestickter
Spitzwecken, wie sie beim Überschneiden von Kreisen entstehen, überzogen. Da, wo
dieselben aneinanderstießen, war ein Knöpfchen angebracht, in den von den Spitz-
wecken eingeschlossenen Feldern aber befand sich eine Rosette. Das glänzendste und
großartigste Beispiel bildet aber eine der Bamberger Kasein. Sie ist mit mächtigen
Rundmedaillons bedeckt, in welchen ein Reiter hoch zu Roß dargestellt ist, in der Linken
ein Zepter, in der Rechten einen Falken, auf dem Haupt eine Krone, während am Boden
Krieger liegen und ein Löwe sich mächtig gegen Roß und Reiter aufbäumt 3. Die Umrahmung
der Medaillons und die Zwickel zwischen denselben haben eine Füllung von Rankenwerk,
dem Tiergestalten eingegliedert sind , erhalten. Verbunden sind die Reitermedaillons
untereinander durch Scheiben , in welchen zwei Vögel symmetrisch auf einem Baum
angebracht sind. Über die Mitte der Vorderseite zieht sich gegenwärtig ein breiter
Vertikalstreifen aus gelbem Brokat, eine Zutat aus neuerer Zeit. Er dürfte Ersatz
für eine ehedem hier befindliche Goldborte sein. Übrigens sind von der ursprüng-
lichen Kasel nur noch die Stickereien übrig; der dunkelblaue Seidenstoff, auf dem
1 Unter samitum ist hier, wie auch sonst
häufig, nicht Samt, sondern Seidenköper zu
verstehen. Unseres Erachtens wurde ur-
sprünglich mit dem Namen examitum, catexa-
mitum, xamitum , samitum nicht ein sechs-
fädiger, besonders starker Stoff, also eine
Art sog. Gros, bezeichnet, wie man gewöhn-
lich sagt, sondern ein Stoff, hei dem die
Braun, Die liturgische Gewandung.
Bindung allemal erst beim sechsten Faden
statthatte, d. i. ein sog. sechsschäftiger Köper.
2 Ein getreues Gegenstück zur Stickerei
bildet die Musterung des Mantels Ottos IV.
im Herzogl. Museum zu Braunschweig. Far-
bige Abbildung bei Bock, Reichski. Tfl x.
3 Abbildung bei Bock II, Tfl xxxm und
in Farben bei Bock, Reichski. Tfl xlii.
15
226 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
dieselben in ungemein geschickter Weise aufgenäht sind, ist nicht mehr der alte, sondern
stammt aus dem Ausgang des Mittelalters. Er ist bereits der dritte Grundstoff. Bock
läßt das Gewand, das unseres Eraclitens stets als Kasel gedient hat, frühestens im
12. Jahrhundert entstanden sein; man wird es indessen richtiger wohl dem 11., und
zwar dessen Frühzeit zuweisen.
Die Inventare wissen, wie schon bemerkt wurde, im ganzen nur wenige
mit Stickereien versehene Kasein zu verzeichnen , doch ist zu beachten , daß
ihre Angaben mehrfach unvollständig oder unklar sind, so daß nicht sicher
erhellt, ob eine Kasel aus Brokat oder eine goldgestickte Kasel gemeint ist.
Es mag daher in Wirklichkeit mehr der Meßgewänder der letzteren Art
gegeben haben, als es nach den Inventaren scheinen könnte.
Schatzverzeichnisse , die bestimmt von goldbestickten Kasein reden , sind z. B.
das Inventar des päpstlichen Schatzes von 1295, das Verzeichnis der Gaben, welche
Bonifaz VIII. der Kathedrale von Anagni spendete , das Inventar von St Paul zu
London von 1295, das Schatzverzeichnis von Cluny von 1382, das Inventar von
S. Francesco zu Assisi von 1320 u. a. So heißt es im Inventar von St. Paul: Item
casula de radice Iesse , quam dedit rex Henricus , breudata cum stellis et lunis et
dorsali (Besatz auf der Bückseite) cum ymagine crucis , 16 lapidibus insertis , et de-
ficiunt 2 lapides , im Inventar von Cluny (in Übersetzung) : item une chasuble noire
travaillee ä l'aiguille avec des figures et des lettres d'or, item une chasuble couleur
indienne travaillee ä l'aiguille avec des cercles d'or et des figures; und im Schatz-
verzeichnis von Assisi : una planeta de diaspro laborato ad acum de auro ad figuras
cum perlis cum fregio (= frisio) aureo a pede (am Saum) ; item alia planeta in eampo
albo laborata de auro ad acum ad figuras avium et arborum et perlis ; item alia planeta
cum campo rubeo laborata ad acum cum griffonibus et eatenis et aliis figuris de auro.
Auch die Chronik von Mainz berichtet uns von einem mit goldenen Möndclien und
Sternen bestickten purpurnen Meßgewand. Es war jene früher erwähnte Kasel, die
wegen der Menge der Goldstickereien nach dem Bericht des Chronikschreibers kaum
in Falten gelegt werden konnte und wegen ihrer Schwere nur bis nach der Opferung
getragen zu werden pflegte , um dann mit einer leichteren vertauscht zu werden l.
Die meisten dieser goldbestickten Meßgewänder entstanden im 11., 12.
und 13. Jahrhundert, d. i. zu einer Zeit, in welcher der aus vergoldeten
Häutchen hergestellte Goldfaden noch nicht oder nur erst wenig zur Verwendung
kam. Damals mochte es allerdings bei dem geringen Preis der Arbeit empfehlens-
werter sein, um an Gold zu sparen, das Gewand mit Mustern in Gold zu be-
sticken, statt es mit solchen zu durchweben. Anders verhielt sich jedoch die
Sache, als jenes Surrogat echter Goldfäden an die Stelle rein goldener oder
silbervergoldeter zu treten begann. Nun konnte man ohne Schwierigkeit den
Goldfaden als Schuß durch die ganze Breite des Stoffes gehen lassen, ohne
diesen allzusehr zu verteuern und allzu schwer zu machen. Es war daher
auch nicht mehr nötig, die Kasel in mühsamer und langwieriger Arbeit mit
Goldornamenten zu besticken, und so begreift es sich unschwer, weshalb die
Inventare des 14. und 15. Jahrhunderts fast nur Meßgewänder aus Brokat
verzeichnen. Was noch in dieser Zeit an goldgestickten Kasein erwähnt wird,
dürften aus früheren Tagen stammende Gewänder sein.
Außer Kasein, welche mit ornamentalen Goldstickereien nach Art der
Goldbrokate geschmückt waren , gab es im Mittelalter aber auch solche,
die ganz mit figürlichen Darstellungen bestickt waren. Une chasuble rouge,
ouvrage avec des cercles et des figures de saints en or heißt es z. B. in dem
Inventar von Cluny; item una planeta de samito albo ad ymagines sanctorum
1 S. oben S. 185.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
227
et angelorum et aliarum figufarum de auro in dem Inventar von S. Francesco
zu Assisi; item una planeta contexta ad aurum de serico de historia
Salvatoris ab annuntiatione beatae virginis im Anagneser Gaben Verzeichnis 1.
Es hat sich noch eine verhältnismäßig beträchtliche Anzahl solcher bild-
bestickter Meßgewänder erhalten. Die älteren sind in Gold auf farbigem
Seidengrund, die jüngeren in Seide oder Seide und Gold auf Linnengrund aus-
geführt. Einige sind leider stark beschnitten oder sonst stark beschädigt.
Im wesentlichen unversehrt sind drei derartige Kasein im Dom zu Bamberg,
zwei zu St Paul in Kärnten, eine im Schatz der Kathedrale zu Anagni, ferner
das später zum ungarischen Krönungsmantel gemachte Meßgewand im Kron-
schatz zu Preßburg und die zum Meßornat des Ordens vom goldenen Vlies
gehörige Kasel in der k. k. Schatzkammer zu Wien. Nur Torsos sind die
Kasein zu Marienberg (Tirol) , Goß (Steiermark) und eine Kasel im Dom zu
Würzburg.
Von den drei Bamberger Kasein stellt eine, das Werk eines gewissen Ismael, in ihrem
Bildwerk den Sternenhimmel dar: DESCRIPTIO TOCIVS ORBIS + PAX ISMA-
HELI QVI HOC ORDINAVIT, sagt eine diesbezügliche Inschrift 2. Indessen kommen
zu den Sternbildern auch einige religiöse Bilder, wie der thronende Heiland, die aller-
seligste Jungfrau, Johannes der Täufer, Maria mit dem Kinde usw. Die Darstellungen
sind durch entsprechende Inschriften erläutert , die für die Sternbilder auf einer um
700 im Frankenreich entstandenen und etwas später bearbeiteten lateinischen Über-
setzung der griechischen Schoben zu Arats Sterngedicht fußen. Das Gewand stammt,
laut der in mächtigen Unzialen den Saum entlang angebrachten Inschrift : 0 DECVS
EVROPAE CESAR HENRICE BEARE ANGEAT (augeat) IMPERIVM IBTI (tibi)
REX Q (qui) REN (regnat) WINE (in evum), aus den Tagen Heinrichs des Heiligen,
also aus dem Beginn des 11. Jahrhunderts"'. Daß es von Anfang an zum Ge-
brauch beim Gottesdienst bestimmt war , also stets als Kasel gedient hat , daran
läßt die unter dem Bilde des Erlösers angebrachte Weiheinschrift: SVPERNE VSYE
SIT GRATV(M) HOC CESARIS DONVM keinen Zweifel. Die Meinung Bocks, es sei
ursprünglich ein Mantel Heinrichs gewesen und ein Geschenk Ismaels , des Herzogs
von Apulien , später aber von dem Kaiser seiner Lieblingsstiftung , dem Dom zu
Bamberg , übergeben worden , ist nicht bloß leere Vermutung , sondern tut auch den
Inschriften des Gewandes Gewalt an. Übrigens ist auch bei diesem nur die Stickerei
alt; der dunkelblaue, mit dem Granatapfel gemusterte Seidenstoff, der als Fond dient,
gehört dem späten 15. Jahrhundert an. Den ursprünglichen Grund der Stickerei bildete
ein tiefblauer, schwerer Seidenköper.
1 Vgl. auch das Inventar von Lincoln (1539) :
Inprimis a chasuble of white cloth broidered
with images and angels of gold with costly
orphreys of gold, having The Trinity in the
back, the holy Ghoost beeing of pearls . . .
gift of John Weiburne sometime treasurer
(1351—1381).
- Adelheid, die Mutter König Roberts von
Frankreich (f 1031), schenkte der Abtei
St-Denis ein kostbares „ornamentum quod
vocatur orbis terrarum" (Helgaudi, Vita
Roberti regis [M. 141, 918]). Bock hat das-
selbe für eine Kasel und für ein Gegenstück
der Bamberger Kasel angesehen, doch dürfte
es sich nach dem Zusammenhang bei Helgaud
schwerlich um ein Meßgewand handeln. Dem
Kloster des hl. Martin stiftete Adelheid eine
Kasel , auf der im Nacken die Maiestas
Domini zwischen anbetenden Cherubim und
Seraphim , auf der Brust aber das Lamm
Gottes zwischen den Evangelistensymbolen
in Goldstickerei angebracht war (ebd. 918).
3 Abbildung in Buntdruck bei Bock,
Reichski. Tfl xli, in Zinkätzung in Zeitschrift
XII (1899), Sp. 327 ff. Die beste Besprechung
des Bildwerkes bietet der vortreffliche Aufsatz
vonProf.Ernst Maas, Inschriften und Bilder
des Mantels Kaiser Heinrichs IL, ebd. 321 ff.
Die Ausführungen Bocks im Text zu den
„Kleinodien" S. 192 ff und der „Geschichte"
I 167 ff werden hier in manchen Punkten
korrigiert und die Inschriften als aufs Arats
Sterngedicht sich gründend nachgewiesen und
richtig erklärt. Irrig scheint es uns indessen,
wenn das Bildwerk des Mantels mit Sternen-
gewändern des altheidnischen Kultus oder
römischer Kaiser in Verbindung gebracht
wird.
15*
228
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Die Kasel mit dem Sternenhimmel ist unzweifelhaft ein ungemein hervorragendes
Stück, und doch ist ein zweites der drei mit Bildwerk verzierten Meßgewänder des
Bamberger Domschatzes noch weit ausgezeichneter, allerdings nicht hinsichtlich des
Materials und der Technik, welche bei beiden Gewändern die gleichen sind, wohl aber
durch größeren Reichtum und tieferen Gehalt des Bilderschmuckes '. Die Anordnung
des Bildwerks erhellt aus Bild 104. Der Gedanke, welcher in ihm versinnlieht wird,
ist die Verheißung des Heilandes , die Erwartung und Geburt desselben und die
Spendung des in Christus gegebenen Heiles an die Juden und Heiden durch die
Stiftung und Wirksamkeit der Kirche. Ihre segensreiche Tätigkeit bei den Juden
wird durch die Wunder Petri bei den Juden (links), die zum Frommen der Heiden
durch seine Taten zu Rom (rechts) dargestellt. Dort schauen wir Petrus den Lahmen
heilen , Tabitha zum Leben erwecken usw. , hier gewahren wir ihn zusammen mit
Paulus den Simon Magus bekämpfen und für den Glauben sterben. Wenn dabei auch
das Ende Neros zur Darstellung kommt, so will das wohl auf den schließlichen Sieg
der Kirche und das Ende ihrer Widersacher hinweisen. Alle Bilder sind durch Um-
IVifK'fft
m
1
" V*,*V"' 'jfrvr^'.V ^*VJgft".':' ftf'Vrf??*,»!; Oft.*
^>Ci. ... ■ -s.jC
m0^
Bild 104. Kasel (11. Jahrb.). Bamberg, Dom. (Nach Bock.)
schritten erläutert. Am großartigsten gedacht ist die Bildergruppe in der Mitte der
Kasel ; in der Mandorla tritt der Heiland aus seiner Himmelsherrlichkeit hervor. Von
den acht Kreisen, die sich um die Mandorla lagern, stellen sechs ebensoviele der großen
O-Antiphonen symbolisch dar , während der siebte durch die Wiedergabe von Beth-
lehem auf die bekannte Weissagung des Propheten Michäas und der achte auf die
Prophetie Balaams hindeutet. Die vier Kreisausschnitte endlich , welche die Gruppe
oben und unten zur Rechten und Linken abschließen , enthalten Personen , welche
unter lebendig bewegten Gesten dem Kommen des Heilandes entgegenharren. In der
Tat, nur wenige Meßgewänder dürften jemals mit einem gleich bedeutungsvollen und
inhaltreichen Bilderschmuck versehen worden sein. Schade , daß das künstlerische
Können des Stickers nicht auf gleicher Stufe mit dem technischen stand und die
Stickerei darum manche zeichnerische Mängel aufweist. Allerdings haben dieselben
zum Teil in der Technik ihren Grund, die hier zur Anwendung kam. Goldstickerei,
bei der nach Art eines Brokates alles in Gold ausgeführt wird , ist für figürliche
Stickereien die allerundankbarste Stickweise , zumal wenn es sich wie hier um Dar-
stellungen von geringer Größe handelt. Ein Mangel ist auch die Einteilung des Grundes
1 Farbige Abbildung bei Bock, Reichski. Tfl xliii.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
229
in kreisförmige Medaillons , deren Folge am Rand des Gewandes unschöne Kreis-
segmente mit halben Figuren und verstümmelten Inschriften sind '.
Ungleich besser ist in dieser Beziehung die Weise , in welcher das Bildwerk
auf dem jetzigen ungarischen Krönungsmantel angeordnet ist (Bild 105). Hier hat
der Künstler von einer regelmäfsigen Flächeneinteilung' abgesehen und es vorgezogen,
die Darstellungen in vier Zonen übereinander anzubringen. Der Bilderschmuck dieses
ehemaligen Meßgewandes stellt die Verherrlichung Christi dar und darf als eine grofs-
artige Blustration des Tedeum bezeichnet werden '-. Die obere Zone weist in der Mitte
in einer Mandorla Christus als Sieger über die höllischen Mächte auf; rechts davon ist
Christi Auffahrt, links der Gottesgebärerin Aufnahme dargestellt. Die Trennung zwischen
der oberen und der zweiten Zone wird durch die Schrägstreifen des Gabelkreuzes ge-
bildet, mit dem, wie schon früher gesagt wurde, die Kasel verziert ist. Dieselben ent-
halten in Rundmedaillons Brustbilder von Engeln. Die zweite Zone ist durch die Vertikal-
Bild 105. Kasel, gestiftet von König Stephan d. H. und seiner Gemahlin Gisela,
jetzt ungarischer Krönungsmantel. (Nach Bock.)
besätze des Gewandes, von denen jetzt freilich nur mehr der rückseitige vorhanden ist,
in zwei Hälften geschieden. Beide enthalten Christus, der das eine Mal durch die bei-
gefügten A und 12, das- andere Mal durch die Worte principium und finis gekennzeichnet
ist, umgeben von je zwei der großen und je sechs der kleinen Propheten. Ein Band
scheidet die zweite Zone von der dritten. Die Inschrift, die auf ihm an gebracht ist,
enthält die Widmung : CASULA HEC OPERATA ET DAT(A) ECCLESIAE SANCTAE
MARIAE SITAE IN CIVITATE ALBA ANNO INCARNACIONIS XRI MXXXI IN-
DICCIONE XIII A STEPHANO REGE ET G1SLA R. s Die dritte Zone zeigt in der
1 Die dritte Kasel im Schatz des Bamberger
Domes können wir hier übergehen, weil wir
doch bei Besprechung des Rationale näher
auf sie eingehen müssen.
- Farbige Abbildung bei Bock, Reichskl.
Tri xvii.
3 Nach Bock I 157 wäre das Gewand von
der kunstsinnigen Königin Gisela mit eigenen
Händen angefertigt worden. Wenn er das
aus der Inschrift erschließt, hätte er auch
wohl den hl. Stephan als eigenhändigen Ver-
fertiger bezeichnen müssen. Ein Irrtum ist
es, wenn Bock im Text zur Tafel (Reichskl.
88) die Halbbilder der unteren Zone unter den
sonderbarsten Konjekturen als Könige deutet
und den an der Vorderseite angebrachten,
230
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Mitte in spitzovalem Medaillon Christus als Herrscher, rechts und links unter Arka-
turen je sechs Apostel. Der Raum oberhalb dieser Arkaturen ist mit kleinen, lebhaft
bewegten menschlichen Figuren gefüllt, vielleicht eine Darstellung der Ecclesia mili-
tans oder der Welt der vorchristlichen Zeit, der die Propheten das Heil in Christus
verkündeten. Die unterste, vierte Zone ist von der darüberliegenden dritten durch
einen mit vegetabilischen und animalen Motiven ornamentierten Streifen geschieden
und weist in Rundmedaillons zwischen Rankenwerk, dem Pfauen eingefügt sind, in
der Mitte die Halbbilder Stephans und Giselas , zur Rechten und Linken aber die-
jenigen von je fünf heiligen Märtyrern als Vertretern des chorus martyrum auf. Wahr-
scheinlich schlofä sich an diese vierte Zone noch ein Streifen mit Brustbildern heiliger
Bekenner und Jungfrauen an, von dem sich noch ein kurzes, jetzt an der Vorderseite
des Gewandes angebrachtes Stück erhalten hat. Das einst vorn geschlossene Gewand
wurde gelegentlich der Krönung Maria Theresias ' größerer Bequemlichkeit halber auf-
geschlitzt, wobei ein Teil der dort befindlichen Stickereien verloren ging, darunter
namentlich der größte Teil eines Medaillons und eines darüber befindlichen rechteckigen
Feldes -. Die Kasel ist wie die Bamberger ganz in Goldstickerei auf blaupurpurnem,
kräftigem Seidenstoff ausgeführt.
Auch die sehr schadhafte und fast nur aus Fetzen bestehende Kasel im Dom zu
Würzburg gehört nach Material, Technik, Stil und Charakter des Bildwerkes zur Gruppe
der Kasein im Bamberger Domschatz 3. Es kann darum wohl nicht zweifelhaft sein,
daß auch sie wie diese der Frühe des 11. Jahrhunderts entstammt. Die Überlieferung
will, daß sich Bischof Bruno (f 1045) ihrer bedient habe. Zur Zeit, da das Gewand
noch intakt war und in seinem ursprünglichen Glanz strahlte , muß es ein wahres
Prachtstück gewesen sein, das den Vergleich mit dem jetzigen ungarischen Krönungs-
mantel und den Kasein im Kaiserdom zu Bamberg kaum zu scheuen brauchte. Es
war mit großen Medaillons geschmückt, welche, nach den spärlichen Resten zu urteilen,
Christus und Heilige enthielten.
Sehr verschieden von den bisher beschriebenen Kasein sind die beiden Meß-
gewänder zu St Paul. Während bei jenen nur der Bilderschmuck in Stickerei her-
gestellt ist und sie darum den Anschein erwecken, als seien sie aus goldbroschiertem
blauem Purpur hergestellt, ist bei diesen sowohl das Bildwerk wie der Fond auf grober,
kanevasähnlicher Leinwand mit der Nadel angefertigt. Während ferner dort, abgesehen
von den zum Abheften nötigen roten Seidenfäden, ausschließlich Gold zur Verwendung
kam , diente hier entweder lediglich farbige Seide oder Seide in Verbindung mit
Gold als Stickmaterial.
Die eine der beiden Kasein zu St Paul entstammt etwa der Mitte des 12. Jahr-
hunderts; die Form, welche die Mitra auf verschiedenen Darstellungen hat, macht
das zweifellos. ■ Als Stiche sind bei der Kasel nur der Zopfstich und der Kettenstich
verwendet worden. Im Zopfstich sind Grund und Ornamente ausgeführt ; der Ketten-
stich diente zur Markierung der Konturen , der Falten und des sonstigen Details,
wie z. B. der Gesichtszüge.
mit Brustbildern von Heiligen verzierten
Streifenrest als Überbleibsel des vorderen
Vertikalstabes ausgibt. Die Stellung dieser
Brustbilder läßt keinen Zweifel übrig, daß sie
von einem horizontal verlaufenden Zierstreifen
herrühren, wie es ein Saumstreifen war.
1 Er asm us Froelichs S. J. Casulae
S. Stephani Reg. Hung. vera imago et ex-
positio, Viennae 1754, 54.
- Die Kasel zu Martinsberg (vgl. oben
S. 179) enthält dieselben Darstellungen wie
der jetzige ungarische Krönungsmantel, jedoch
nicht in Stickerei , sondern in Malerei auf
einem feinen, jetzt stark gedunkelten (sei-
denen?) Stoff. Die Figuren und Ornamente
sind farbig, die Konturen derselben schwarz-
braun (Jahrb. der k. k. Zentralkommission I,
Wien 1857, 105). Ob sie die Vorlage zur
Oiselakasel ist oder eine Kopie, wagen wir
nicht zu entscheiden, da wir sie nicht von
Augenschein kennen.
3 Zu dieser Gruppe gehören auch die schon
erwähnte Kasel mit den Reitern im Dom zu
Bamberg, der sog. St Kunigundenmantel da-
selbst, der Besatz der St Wolfangskasel im
Dom zu Regensburg und die sog. Tunika
Heinrichs IL im kgl. bayr. Nationalmuseum
zu München.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
231
Die Anordnung des Bilderschmuckes ist aus Bild 106 ersichtlich. Der quadra-
tischen Felder, in welche die Fläche des Gewandes eingeteilt ist, gibt es im ganzen 38,
von denen indessen 12 unvollständig sind. Sie werden durch geometrisch gemusterte
Streifen voneinander getrennt und sind bis auf die vier kleinsten Quadratfragmente
allesamt mit figuralen Darstellungen gefüllt. Das Bildwerk gliedert sich in vier Gruppen.
Die erste umfaßt auf acht Feldern Begebenheiten aus dem Leben des Erlösers (Ver-
kündigung, Geburt, Anbetung durch die Weisen, Taufe, Gefangennehmung, Geißelung,
Kreuzigung, Christus als Weltrichter) ; die zweite auf vier Feldern acht Bilder von Pro-
pheten (David und Salomon , Isaias und Jeremias , Ezechiel und Daniel , Job und
Balaam); die dritte auf 12 Feldern vorbildliche Szenen aus dem Alten Bunde (Evas
Erschaffung, Kain und Abel, Melchisedech und Aaron, Isaaks Verheißung, Isaaks
Opferung, Joseph in die Zisterne versenkt, Moses und Elisäus , Aarons Stab, Josue
und Judas, Verkündigung der Geburt Samsons , Samuel erschlägt Agag, Naamans
Heilung im Jordan); die vierte endlich auf zehn Feldern Heiligenfiguren (Gregor
Bild 106. Kasel. St Paul (Kärnten).
d. Gr. , Nikolaus und Blasius , Laurentius , Stephanns und Vinzentius , Sebastianus
und Georg, Eegula und Felix, Benediktus und Gallus, Verena, Agnes und Cäcilia,
Oswald und Mauritius, Ulrich und Konrad, Erasmus und Pantaleon). Zur Füllung
der von figürlichen Darstellungen freien Felder wurden romanisch stilisierte Drachen
und Ranken benutzt. Den Saum umgibt als Abschluß eine breite Borte , welche in
kreisförmigen Medaillons die Brustbilder von Persönlichkeiten aus dem Alten und
Neuen Testament enthält. Jenem wurden die kleinen Propheten, die Könige Ezechias
und Josias, Esther und die Eltern Johannes' des Täufers entnommen; diesem die
Evangelisten und Apostel, Kaiser Konstantin, St Helena und Kaiser Otto (L).
Die zweite Kasel datiert aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts; sie steht
zeichnerisch wie technisch um ein bedeutendes höher als ihre ältere Schwester. Der
Fond ist wie bei dieser über straminartigem Linnen im Zopfstich hergestellt. Ebenso
wurden auch bei ihr die Umrisse, die Faltenlinien und ähnliches im Kettenstich ge-
stickt, dagegen ist das Figurenwerk teils im Küperstich, teils in Goldabheftarbeit
ausgeführt.
Die Kasel ist oder besser war einst in 36 quadratische Felder eingeteilt, von denen
26 vollständig, 10 unvollständig waren. Über die Mitte der Bückseite verläuft von oben
232
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
nach unten ein mit neun Scheibenmedaillons verzierter Streifen. Das Bildwerk, welches
diese umschließen , besteht aus dem Lamm Gottes , den Evangelisten und den vier
großen Propheten. Die dem Vertikalstreifen rechts und links zunächstliegende Reihe
von je fünf Feldern enthält Szenen aus dem Neuen Testament (die Verkündigung und
Heimsuchung , die Geburt Christi und ihre Offenbarung an die Hirten , die Anbetung
durch die Weisen, die Taufe, Geißelung und Dornenkrönung, Christus am Kreuz, die
Grablegung , Auferstehung und Vorhölle). Alle übrigen Felder weisen Darstellungen
aus dem Leben des hl. Nikolaus auf. Geschieden werden die Felder durch Bänder,
die zum Teil mit vegetabilischem oder geometrischem Ornament , zum Teil mit er-
läuternden Inschriften versehen sind. Zur Füllung der Felder, welche sich für figürliche
Darstellungen als zu klein erwiesen, wurden auch hier Pflanzen- und Tiermotive benutzt '.
Auch bei den gegenwärtig verstümmelten Kasein zu Marienberg und Goß sind
Muster und Grund in Seidenstickerei hergestellt. Auf dem Marienberger Meßgewand
sind oben auf dem Bücken in Rundmedaillons das Lamm Gottes und die vier Evan-
gelistensymbole angebracht. Das Lamm Gottes befindet sich in der Mitte eines
aus romanischen Ranken bestehenden Kreuzes ; die Evangelistensymbole haben in dem
Raum zwischen dessen Armen eine Stelle erhalten. Über der Brust ist, begleitet von
zwei Engeln, in ovalem Medaillon der Weltrichter dem Gewand aufgestickt. Im übrigen
überziehen den Fond mächtige, mit Blättern reichbesetzte Bäume, eine ganz eigenartige
Dekoration. Die Kasel mag der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstammen2.
Die aufs äußerste zugestutzte und schrecklich entstellte Gösser Kasel weist auf
dem oberen Teil der Rückseite in einem großen Kreise den Heiland auf dem Throne,
auf dem unteren Engel unter rundbogigen Arkaturen auf. Die Vorderseite schmückt
oben eine Kreuzigungsgruppe, gleichfalls in großem Kreise, unten gewahrt man Apostel
unter Rundbogen. Die Kasel ist mitsamt einem Pluviale, einer Dalmatik, einer Tuni-
ceila und einem Antependium die Stiftung einer Äbtissin Kunigunde aus der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts3.
Aus dem sj}äten Mittelalter gibt es nur noch eine ganz mit figürlichen Dar-
stellungen bestickte Kasel, das zum Meßornat des Ordens vom Goldenen Vlies gehörende
Meßgewand in der k. k. Schatzkammer zu Wien, künstlerisch betrachtet unstreitig das
Vollendetste, was mittelalterliche Sticker an Bilderkasein hervorgebracht haben. Es ist
keine Glockenkasel mehr, denn seine Länge beträgt über den Schultern nur noch
ca 0,60 m. Ebenso ist der Schnitt, wie der stumpfe Winkel beweist, welchen die
Schrägseiten bilden , schon ein anderer geworden. Allein es wäre eine Glockenkasel
bei der hier beliebten Stickweise auch schlechthin unbrauchbar gewesen.
Auf der Rückseite der Kasel (Bild 107) ist, und zwar teils auf dem Gabelkreuz
teils auf dem Gewand selbst, in großen Figuren die Verklärung, auf der Vorderseite
die Taufe Christi dargestellt. Die noch übrige Fläche beleben anbetende Engel in
1 Ausführlich werden die beiden Kasein
besprochen in Hei der, Liturgische Gewänder
aus dem Stifte St Blasien im Schwarzwald
(Jahrbuch der k. k. Zentralkommission zur Er-
forschung und Erhaltung der Baudenkmäler
IV 111 ff) nebst guten Teilillustrationen.
Abbildung der ganzen Vorderseite beider
Kasein bei Kraus, Der Kirchenschatz von
St Blasien (Freiburg, Akademische Verlags-
handlung), Atlas Tfl i ir, wo indessen die
Unterschriften vertauscht sind. Dazu Kraus,
Die Kunstdenkmäler der Großherzogtums
Baden, Kreis Waldshut, 103. Die Kasein
wurden zuerst beschrieben und abgebildet
von Abt Gerbert von St Blasien (Liturgia
allem. I 247 267, tab. vi vu). Die Abbildungen
sind für ihre Zeit überraschend getreu.
2 Über die Marienberger Kasel vgl. Mitt.
1895, 189 ff, nebst Skizzen.
3 Über das Gösser Meßgewand vgl. nament-
lich ebd. 1858, 57 ff. Eine mangelhafte farbige
Abbildung der Vorderseite des Gewandes
findet sich Beilage II des „Kirchenschmucks"
Jahrg. 1874. Skizzen der Vorder- und Rück-
seite ebendort Beilage I. Eine gute photo-
typische Abbildung beider bei De Farcy 77.
Die Darstellungen auf der Marienberger Kasel
decken sich vollständig mit dem bildlichen
Schmuck des von Adelheid , der Mutter
Roberts von Frankreich, dem Kloster des
hl. Martin verehrten Meßgewandes (s. oben
S. 227, Anm. 2), nur daß, was bei diesem
die Brustseite schmückte, bei jener auf der
Rückseite angebracht ist und umgekehrt.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
233
langgezogenen, sechseckigen Feldern. Die figürlichen Darstellungen sind mit Ausnahme
der Fleischteile, des Haares und ähnlicher Einzelheiten in vollendetster Lasurstickerei,
die Goldborten , welche die Umrahmung der Sechsecke bilden , im Korbstich , die
Eosetten an den Ecken der Felder, die Bänder der Spruchbänder und Nimben und
ähnliches in Perlstickerei hergestellt. Der einzige Mangel ist die hier schlecht angebrachte
Einteilung der Gewandfläche in Sechsecke. Was bei den zur Kasel gehörigen drei
Pluvialien vortrefflich wirkt, weil sich dort die Felder radienförmig und ohne Ver-
stümmelung um einen Mittelpunkt gruppieren können , wirkt hier unschön , da weder
die strahlenförmige Anordnung zur Geltung kommt, noch ein Zerschneiden einzelner
Felder bei der Form des Gewandes sich vermeiden ließ. Die Kasel steht mit ihrem
Zubehör, drei Pluvialien, Dalmatik und Tunicella, im späten Mittelalter vereinzelt da.
Sie dürfte schwerlich zu ihrer Zeit ein Gegenstück gefunden haben.
Ein namhaftes Hinder-
nis für die Bestickung des
ganzen Meßgewandes bildeten
im Mittelalter seine große
Länge und Weite und die
damit im Zusammenhang
stehenden Unzuträglichkeiten
beim Gebrauch derartig be-
stickter Kasein. Selbst in
der Spätzeit hatte es im Ver-
gleich mit den Kaselmaßen
im 17. und 18. Jahrhundert
immer noch sehr beträcht-
liche Größenverhältnisse. In
dem Grade, wie das Meß-
gewand seit dem 16. Jahr-
hundert an Ausdehnung ab-
nahm, mußte daher, wie leicht
begreiflich, bei der Pracht-
liebe der Renaissance die Vor-
liebe für bestickte Kasein
zunehmen.
Wirklich entstanden Bild 107 Kasel des Ornats des Ordens vom Goldenen
schon im 16. und in der Frühe Vlies, wien, t. k. Schatzkammer.
des 17. Jahrhunderts zahl-
reiche ganz mit Stickereien überzogene Kasein. Die Regel war, den Fond
entweder mit größeren Ranken in klassischem Geschmack oder kleinerem,
dicht zusammengerücktem Ornament auszufüllen, wobei gern den Rand des
Gewandes entlang eine breite Borte gestickt wurde. Als Arbeitsmaterial wurde
zu den Stickereien mit großer Vorliebe Gold und Silber gebraucht. Figürliche
Darstellungen waren durchaus Ausnahmen. Die vorzüglichsten, mit Bildwerk
verzierten Kasein aus dieser Zeit sind die bereits gelegentlich erwähnten Kasein
in der Kapelle der Chigi im Dom zu Siena und in der Opera del Duomo zu
Florenz (Bild 80, S. 192 und 81, S. 193); aber selbst diese weisen auf den
neben dem Besatz liegenden Flächen zuletzt nur mäßigen figürlichen Schmuck
auf, der überdies bei dem Florentiner Meßgewand stark antikisiert, jeder tieferen
Bedeutung bar ist und statt in Stickerei mit dem Pinsel hergestellt wurde.
Besonders beliebt wurden bestickte Kasein seit der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts, d. i. zur Zeit, da das Meßgewand in das letzte Stadium seiner
234 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Verbildung getreten und ein weiteres Zustutzen desselben kaum mehr möglich
war. Mit Vorzug wurden jetzt möglichst schwere und in die Augen fallende
Gold- und Silberguipes unter reichlicher Verwendung von glitzerndem Bouillon
und glänzendem Platt zum Besticken des Gewandes gebraucht, das nur zu
häufig infolgedessen zu zwei steifen Brettern oder zu einem Küraß wurde.
Es war. wie wir schon früher bemerkten, als ob man die Wirkung, welche
die Kasel hinsichtlich ihrer Form eingebüßt hatte, durch Entfaltung größten
Prunkes hätte wettmachen wollen. Welches Gewicht das Meßgewand infolge
dieser Gold- und Silberstickereien bisweilen erhielt, beweist z. B. das zum
Klementinenornat im Dom zu Köln 1 gehörende Meßgewand , Avelches nicht
weniger denn 13 Kilo wiegt. Und doch kann man es noch nicht als das
prunkvollste und schwerste bezeichnen. Wird doch von de Farcy eine Kasel
aus dem Jahre 1690 erwähnt, welche ein Gewicht von 18 Kilo erreichte2.
Es kann kein Zweifel sein, daß derartige Meßgewänder, so glänzend sie
auch sein mochten und so vollendet auch . die Technik der auf ihnen an-
gebrachten Stickereien war, bei ihrer Steifheit, ihrer Schwere und dem auf-
dringlichen Charakter der Verzierungen, mit denen sie förmlich beladen waren,
als Geschmacksverirrung zu bezeichnen sind. Es verdient hervorgehoben zu
werden, daß man am längsten noch in Italien guten Geschmack bei An-
fertigung bestickter Kasein bewahrte. Statt mit unbeholfenen Bossagesticke-
reien verzierte man hier bis ins 18. Jahrhundert hinein das Meßgewand gern
mit leichten, biegsamen Anlegearbeiten, bei welchen dieses mehr als anderswo
Weichheit und Schmiegsamkeit behielt.
XV. DAS MESSGEWAND IN DEN RITEN DES OSTENS.
In den Riten des Ostens tritt das priesterliche Obergewand in zAveierlei
Formen auf. Bei den verschiedenen Zweigen des griechischen Ritus
ist es im wesentlichen der mittelalterlichen Glockenkasel gleich, nur daß sich
bei ihm im Rücken statt des ganz ungebräuchlichen
Vertikalbesatzes regelmäßig ein durch aufgenähte Bor-
ten gebildetes, ein gesticktes oder ein gewebtes Kreuz
angebracht (Bild 108) findet. Auf der Vorderseite
kommt auch beim griechischen Meßgewand häufig ein
schmaler, die Naht in der Mitte bedeckender Zier-
streifen vor.
Das Gewand heißt <p e X 6 v i o v {(pzlüvqc,, <paivuhov.
<pacv6/7]c), slavisch felon. Bei der Messe wird es vorn
bis zur Brusthöhe aufgehoben, damit es den Priester
bei Ausübung seiner Funktionen nicht belästige, ähnlich
wie im Mittelalter die abendländische Kasel aus gleichem
Grunde rechts und links auf den Armen zu-
Bild 108. Griechische sammengerafft wurde. Um den Faltenbausch, der dabei
Kaselverzierung. vor ^ grus^ entsteht, zu verringern, ist es vielfach
Danzig\ Marienkirche. _. T_ n« .. - _. - ...
Brauch, die Vorderseite des Gewandes zu verkurzen,
gerade, wie die mittelalterliche lateinische Kasel aus demselben Motive an
den Seiten zugestutzt wurde. Indessen ist das Beschneiden nie so bedeutend,
daß die Wirkung des Phelonion dadurch irgendwie merklich litte.
1 .Klementinenornat" heißt dieser von Erz- Feier der Kaiserkrönung seines Bruders
bischof Klemens August, der ihn 1740 um Karls VII. anfertigen ließ,
den Preis von 6200 Taler zu Lyon für die 2 De Farcy 77.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
Art l
Bei den übrigen Riten des Orients, den Armeniern, Syrern, Chaldäern
und Kopten, hat das priesterliche Obergewand (arm. schurtschar, syr. phainä,
chald. maaphrä, phainä, kopt. burnos, felonion, kuklion) die Form des lateini-
schen Pluviale (Bild 109); doch fehlen die Besätze, welche dieses vorn be-
säumen, und der im Rücken angebrachte Schild. Dafür ist hinten wie bei
dem Phelonion ein gleichbalkiges, mäßig großes Kreuz angebracht.
Bezüglich des Stoffes des priesterlichen Obergewandes gibt es in den
orientalischen Riten keine bestimmten Vorschriften. Wenn möglich , pflegt
man es aus Seide zu machen, doch kann es auch
aus Woll- und andern Zeugen hergestellt werden.
Bei den Armeniern, Syrern, Chaldäern und
Kopten kommt das Gewand nur dem Priester zu ;
bei den Griechen eignet das Phelonion außer dem
Priester auch dem Lektor, nur daß es bei diesem
kürzer ist als bei jenem. Außerdem kommt es
den Lektoren mehr in der Theorie denn in der
Praxis zu, da diese für gewöhnlich bei ihren
Funktionen das Sticharion, die Tunika1, tragen.
Die Verwendung, welche das Phelonion
und das ihm entsprechende Obergewand der
übrigen Riten bei den liturgischen Verrichtungen
linden, ist etwas umfassender als die der latei-
nischen Kasel. Denn sie werden nicht bloß beim
heiligen Opfer, sondern überhaupt gebraucht, so
oft eine liturgische Funktion sollemniter vollzogen
wird, z. B. bei feierlichen Trauungen, bei der
feierlichen Abhaltung des Officium divinum, bei
Prozessionen u. ä. , bei den linierten Orientalen
anstatt des Pluviale auch bei feierlichen, aus dem
lateinischen Ritus herübergenommenen Andachten.
Wie im lateinischen, so wird auch in den orien-
talischen Riten der Priester bei seiner Weihe
mit dem Meßgewand bekleidet.
Bei den Russen, den Ruthenen, Bulgaren
und Italo-Griechen wird von den Bischöfen statt
des Phelonion der Sakkos (griech. (ti/xxoq, slav. sakkos) getragen; bei den
Griechen und den Gräco-Melchiten bildet derselbe eine Auszeichnung der
Metropoliten. In den übrigen orientalischen Riten ist der Sakkos nicht in
Gebrauch 2.
Die Geschichte des priesterlichen Obergewandes der orientalischen Riten
bietet nicht viel des Bemerkenswerten. Obendrein hebt sie hier erst ver-
hältnismäßig spät an , nicht als ob vorher ein solches in den Riten des
Ostens noch nicht in Brauch gewesen wäre, sondern weil es an genügenden
Nachrichten über dasselbe mangelt. Es ist nur äußerst wenig an Bildwerk
aus der Zeit vor dem 9. Jahrhundert bekannt, auf welchem das liturgische
Phelonion zur Darstellung käme. Wohl sind z. B. auf den Mosaiken der
St Georgskirche der Presbyter Romanus und der Bischof Philippus in einer
Planeta abgebildet, allein ein gleiches Oberkleid tragen auf ihnen ebenso
Bild 109. Armenischer Priester.
S. oben S. 94.
2 Näheres über den Sakkos am Schluß des folgenden Kapitels.
236
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
die hll. Kosmas und Damianus. Überdies findet sich in der Kleidung der
beiden kein sonstiger Anhaltspunkt, der uns berechtigte, ihre Planeta als
etwas über die gewöhnliche Tracht Hinausgehendes anzusehen. Nicht besser
verhält es sich mit der Darstellung des Bisehofs Eusebius von Cäsarea in dem
syrischen Evangeliar der Laurentiana aus dem Jahre 586. Eusebius trägt
auf derselben eine hellbraune Tunika und eine dunkelbraune (kastanienfarbige)
Glockenkasel. Irgend etwas, was darauf hinwiese, daß wir ihn uns in
liturgischer Gewandung zu denken haben, ist auch hier nicht vorhanden. Ein
Monument, welches ein zweifellos liturgisches Phelonion aufweist, ist die
bekannte Trierer Elfenbeintafel mit der Darstellung einer Reliquientranslation,
vorausgesetzt, daß dieselbe wirklich dem 6. Jahrhundert und nicht einer
späteren Zeit angehört. Was man nämlich zu Gunsten jenes älteren Datums
vorgebracht
hat 1, erscheint
keineswegs so
ausschlag-
gebend, daß je-
der Zweifel da-
ran schlechthin
als unberechtigt
bezeichnet wer-
den könnte. Ein
anderes frühes
Beispiel des li-
turgischen Phe-
lonion scheinen
zwei Miniaturen
mit den Bildern
des Patriarchen
Theophilus von
Alexandrien
(f 412) zu bie-
ten, welche sich
in einem wahr-
scheinlich noch
im 5. Jahrhundert geschriebenen, eine Weltchronik enthaltenden Papyrus
finden. Theophilus ist in beiden Fällen in gelber Tunika, rotbraunem bzw.
blauviolettem Mantel und kurzem Omophorion, in der Linken ein mit einem
Kreuz geschmücktes Buch haltend abgebildet2.
Auch was an schriftlichen Nachrichten über den liturgischen Gebrauch
des Gewandes aus der Zeit vor dem 9. Jahrhundert vorliegt, ist höchst un-
bedeutend. ' Es beschränkt sich fast einzig auf die Angabe des Panegyrikus auf
den hl. Rabulas, Bischof von Edessa, wonach dieser, außer seiner gewöhn-
lichen ännlichen Kleidung zwei Mäntel zur Verwendung bei dem Gottesdienst
hatte, einen für den Sommer, den zweiten für den Winter3. Die 'lavopia
Bild 110. Prozession
Miniatur im Menologium Basilius'
Koni, Vatikan.
1 Vgl. besonders J. Strzygowski, Orient
oder Rom, Leipzig 1901, 85 ff.
2 A. Bauer und J. Strzygowski, Eine
alexandrinische Weltchronik , Wien 1905,
Tfl 6" und 6y. Das Gewand ist nicht ganz
klar dargestellt, doch kann wohl kein Zweifel
sein, daß es ein auf die rechte Schulter auf-
gerafftes Phelonion wiedergeben soll.
3 Bibliothek der Kirchenväter: Bickell,
Syrische Kirchenväter 188.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
237
redet nur andeutungsweise von dem Phelonion ; denn es ist nicht ganz klar,
ob auch unter der arokrj des Bischofs, von der sie spricht, dasselbe zu ver-
stehen ist. Das (peXöviov aber, von dem wir sonst einige Male bei älteren
griechischen Schriftstellern hören, bezeichnet entweder ein außerliturgisches
klerikales Gewand oder eine laikale Kleidung 1.
Seit dem 9. Jahrhundert begegnet uns das Plielonion des griechischen
Ritus häufig auf den Bildwerken. Es hat genau das Aussehen der abend-
ländischen Glockenkasel und ist auch im Gegensatz zur späteren Praxis
wie diese an den Seiten, nicht vorn aufgehoben und auf den Armen
statt vor der Brust in Falten gelegt (Bild 110).
Bis in das 11. Jahrhundert hinein erscheint das Plielonion auf dem Bild
stets als einfarbiges, gänzlich schmuckloses Gewand, gleichviel ob es sich bei
Priestern, Bischöfen, Metropoliten oder Patriarchen findet. Dann ändert sich
die Sache und es wird Brauch, das patriarchale Phelonion zum Unterschied
von dem der übrigen hierarchischen Bangstufen durch
eingewebte Kreuze auszuzeichnen. Man nannte ein solches
Phelonion von den vielen Kreuzen, mit denen es ver-
ziert war, 7ro?MffTauptov. Die frühesten uns bekannten
Darstellungen von nohjaraupia bieten zwei Miniaturen
der Vatikanischen Bibliothek. Die eine (Bild 111) ge-
hört einer dem 11. Jahrhundert entstammenden Samm-
lung von Marienpredigten, die andere der um 1100 ent-
standenen und Kaiser Alexios Komnenos (1081 — 1118)
gewidmeten Panoplia des Euthymios2 an. Ihre erste
schriftliche Erwähnung finden die noXuaraupta im 12. Jahr-
hundert bei Balsamon, der sie ausdrücklich als patriar-
chales Vorrecht bezeichnet. Auf die Anfrage des Patri-
archen Markus von Alexandrien, ob es den Hegumenen
und Protopapen erlaubt sei, die Epimanikien und das Epi-
gonation zu tragen, antwortet dieser nämlich, es sei das
ebensowenig statthaft, wie daß die Bischöfe sich des den
Patriarchen zustehenden Sakkos und des diesen gleich-
falls vorbehaltenen Polystaurion bedienten3.
Später kamen die mit Kreuzen geschmückten Phelonien auch bei den
Metropoliten in Aufnahme. Es muß das spätestens im Laufe des 14. Jahr-
hunderts geschehen sein, da diese zur Zeit Simeons von Saloniki, d. i. um
1400, das Tco/.'jora'jpiov bereits zu tragen pflegten4. Den gewöhnlichen Bischöfen
war es jedoch damals noch nicht gestattet, ein mit Kreuzen geschmücktes
Phelonion zu tragen 5. Übrigens wurden nur die weißen (bzw. die als weiß
geltenden), nicht aber die violetten Phelonien mit Kreuzen geschmückt. Die
purpurnen mußten, wie uns der bulgarische Erzbischof Demetrius Chomatenus
Im '&&
Bild 111. Chor der
Bischöfe. Miniatur einer
Sammlung griechischer
Marienpredigten.
Rom, Vatikan.
1 Vgl. z.B. Theophyl. Simocattes, Hist.
1.7, n.6, Bonnae 1834, 280. Menander
Prot., Fragm. hist., Bonnae 1829, 439.
Chron. Pasch, ad an. 419, Bonnae 1832, 574.
Iohannis Laurentii Lydi De magistrat.
1. 1, n. 7: 1. 3, n. 8, Bonnae 1837, 126 201.
Auf die sog. Liturgie des hl. Johannes Chry-
sostomus und das Typicum Sabbae c. 45 hin-
zuweisen, halten wir für überflüssig, da die
Stellen, in welchen des Phelonion in ihnen
Erwähnung geschieht , späte Einschiebsel
sind.
2 Cod. Vat. gr. 666. Eine Abbildung bei
Seroux d'Agincourt, Malerei TU lviii.
3 Resp. ad Marcum Alex. resp. 37 (Mg.
138, 989. Vgl. auch Balsamon, Meditata
(ebd. 1021 1025). Oüzs yäp eräxxoog oüts
-oXoaraüpia ävdtduaxovTai (die Bischöfe).
4 Resp. ad Gabriel. Pentapol. qu. 19 (Mg.
155, 872). 5 Ebd.
238
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
(ca 1200) in seinem Schreiben an den Metropoliten von . Dyrrhachium, Kon-
stantin Cabasilas, belehrt, weil Ausdruck der Trauer, nach herrschendem Brauch
stets einfarbig und ohne Verzierung sein K
Wann es Gewohnheit wurde, das Phelonion vorn statt seitlich auf-
zuheben und zusammenzurollen, läßt sich nicht bestimmen. Wäre das in den
Antiquites de Tempire de Russe abgebildete, angeblich von Bischof Niketas
(12. Jahrhundert) herrührende Phelonion echt, und wären die Ösen, welche zum
Aufraffen des Gewandes an dessen Vorderseite angebracht sind, ursprünglich, so
hätte schon sehr früh die Sitte bestanden, dasselbe vorn aufzurollen. Indessen
läßt die ebendort wiedergegebene Musterung des Phelonion keinen Zweifel daran,
daß wir es bei demselben mit einem Gewand nicht aus dem 12., sondern etwa
dem 16. Jahrhundert zu tun haben2. Unsicher ist auch, seit wann die jetzt
vielfach beliebte Verkür-
zung der Vorderseite des
Gewandes datiert. Noch
auf den Bildern des aus-
gehenden Mittelalters
hängt dieses vorn regel-
mäßig weit herab. Ob
das ein Reflex der Wirk-
lichkeit oder eine Folge
der künstlerischen Tra-
dition ist, welche be-
kanntlich in der griechi-
schen religiösen Kunst
stets eine so bedeutende
Rolle spielte und noch
spielt, ist nicht festzu-
stellen ; pflegt doch selbst
noch auf den bildlichen
Darstellungen aus der
Neuzeitdas Gewand nach
alter Weise an der Vor-
derseite weit herabzu-
steigen.
Wie die Kasel des lateinischen Ritus, so war übrigens auch das Phelonion
lange Zeit kein ausschließlich priesterliches Gewand 3. Denn als die Legaten
Hadrians II. (867 — 872) in Konstantinopel ihren Einzug hielten, wurden sie,
wie das Papstbuch berichtet4, von Geistlichen jedes Ordo, die alle im Phelonion
erschienen waren, in Empfang genommen. Die einzigen, welche sich des
Gewandes, wie es scheint, für gewöhnlich nicht bedienten, waren die Diakone,
welche im Sticharion und dem Orarium zu amtieren pflegten. Bei den Sub-
diakonen muß das Phelonion bis um das 12. Jahrhundert noch in Gebrauch
gewesen sein. Im späteren Mittelalter war es dagegen bei ihnen ganz ab-
Bild 112. Einsegnung des Archipresbyter. Miniatur eines
syrischen Pontifikale (1239). Paris, Bibl. Nat.
1 Mg. 119, 949.
2 Tfl 99 u. 100. Auf TU 101 ist das Phe-
lonion eines Bischofs Sergius vom Dreifaltig-
keitskioster abgebildet, welches gleichfalls
auf der Brust mit einer Vorrichtung zum Auf-
heben des Vorderteils versehen ist, indessen
ebensowenig wie das angebliche Phelonion
des Bischofs Niketas über das 16. Jahrhundert
zurückreichen dürfte.
3 Siehe oben S. 237 die Zitate aus alteren
griechischen Schriftstellern.
< Duch., L. P. II 180.
Erstes Kapitel. Die Kasel. 239
gekommen, indem sie sich nunmehr bei ihren liturgischen Funktionen des
Sticharion bedienten *.
Bei den Lektoren erhielt sich das Phelonion in einem gewissen Maße
bis auf die Gegenwart, doch war es schon im späteren Mittelalter nicht mehr
deren einziges liturgisches Gewand, da sie sich bereits um 1400 statt seiner
auch wohl des Sticharion zu bedienen pflegten 2. Außerdem war schon wenigstens
damals das Lektorenphelonion oder xa/iiatov, wie es auch genannt wurde,
kleiner als das prieslerliche, offenbar, damit es sich von diesem unterscheide B.
Über das Gegenstück des Phelonion in den übrigen Kirchen des Ostens
können wir kurzerhand weggehen. Die wenigen Notizen, die wir darüber
zusammenstellen konnten, bieten nichts von Belang. Bemerkenswert ist nur,
daß nach Ausweis der Miniaturen des dem Beginn des 13. Jahrhunderts an-
gehörenden syrischen Pontifikale in der Nationalbibliothek zu Paris die Phaina
damals noch ein ringsum geschlossener Mantel ganz von der Art des griechi-
schen Phelonion war (Bild 112). Die Pluvialeform hätte demnach das priester-
liche Obergewand bei den Syrern und demgemäß auch wohl bei den andern
Riten erst im späteren Mittelalter erhalten. Bei den Armeniern trugen
wenigstens schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts nach Nerses von
Lampron nur die Bischöfe und Priester den Schurtschar, nicht die übrigen
Kleriker, insbesondere nicht die Subdiakone und Lektoren. Derselbe war beim
Katholikos, aber auch nur bei diesem, mit Kreuzen geschmückt, wohl in Nach-
ahmung des TznhjoTo.üpwv der griechischen Patriarchen 4.
XVI. URSPRUNG DES MESSGEWANDES.
Wo wir den Ursprung des Meßgewandes zu suchen haben, kann keinem
auch nur einen Augenblick zweifelhaft sein , der an der Hand der schrift-
lichen Zeugnisse wie namentlich der Monumente die profane Tracht der sechs
ersten christlichen Jahrhunderte studiert. Beide beweisen mit aller Bestimmt-
heit, daß die Kasel, welche der Liturge am Altare trägt, auf ein Obergewand
der gewöhnlichen Volkskleidung der römisch-griechischen Welt nachchrist-
licher Zeit zurückgeführt werden muß.
Die schriftlichen Zeugnisse wurden schon früher angeführt. Planeta
und casula erscheinen in denselben nicht nur als ein Bestandteil der Altar-
kleidung, sondern als Stück der gewöhnlichen klerikalen Tracht, der Mönchs-
gewandung und der Kleidung der Laien , der Vornehmen wie der Leute
geringen Standes 5.
Fast noch erdrückender ist das Zeugnis der Monumente, auf welchen
uns bei Leuten jeder Art und jeden Geschlechtes sehr häufig ein mit der
Planeta in ihrer ursprünglichen Gestalt unverkennbar verwandtes Obergewand
begegnet.
Dasselbe tritt in zwei Hauptformen auf. Bei der einen ist es, gerade
wie es die Glockenkasel war, ringsum völlig geschlossen und nur mit einer
1 Ass. C. 1. VIII, pars 4, 114 137; vgl. (Mg. a. a. 0. 396): Kapimov üitep y xazä
indessen die Rubrik am Schluß des Ordo rüirov tpaivoXiou /j.ixpoü r/ cm%dpiov ix Xifou.
subdiaconatus (142), wonach dem Subdiakon Vgl. auch c. 156 (ebd. 365).
nach der Weihe das Phenolion ausgezogen * Erklärung der göttl. Liturgie c. 5 (ed. Venet.
und der Gürtel gelöst werden soll. 80ff). Auch der Katholikos Isaak erwähnt das
2 Vgl. oben S. 98. Gewand (Adv. Arm. orat. 1, c.8[Mg. 132, 1 179]).
' Simeon Thess., De ordinat. c. 186 5 S. oben S. 153 157.
240
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen übergewunden
Öffnung zum Durchlassen des Kopfes versehen (Bild 113). Bei der andern
ist es vorn in der Mitte vom Saum bis etwa unterhalb der Brust aufgeschlitzt
(Bild 114 und Bild 13, S. 46), offenbar, um bequemer die Arme gebrauchen
und das Gewand leichter über die Schultern und Arme zurückschlagen zu können.
Bei beiden Formen sehen wir das Gewand auf den Monumenten gerade
wie die mittelalterliche Glockenkasel bald auf beiden Schultern, bald nur auf
einer, bald endlich auf den Armen zusammengerollt. Bisweilen hat es infolge-
dessen das Aussehen, als ob es an den Seiten stark beschnitten wäre. Es
bieten die Monumente in solchen Fällen ein Bild desselben, wie es uns auch
die Miniaturen aus der Frühe des 2. Jahrtausends von der Kasel bisweilen
gewähren. Man hat daraus geschlossen, es habe schon in altchristlicher Zeit
ein Gegenstück zur Kasel des Barock gegeben. Allein man wird wohl richtiger
die scheinbare seitliche Verkürzung des Gewandes den Künstlern oder besser
Handwerkern zur Last legen, aus deren Hand das Bildwerk hervorging. Sie
haben wie ihre mittelalterlichen Kollegen den Mantel in der
Form dargestellt, wie er gewöhnlich getragen wurde, dabei
aber infolge Unachtsamkeit oder künstlerischer Unfähigkeit
die Falten entweder ganz oder nahezu ganz vergessen.
Daß es sich wirklich bei derartigen Bildern nur um eine
Ungenauigkeit in der Darstellung handelt, liegt bei einzelnen
Monumenten ganz klar zu Tage, so z. B. auf einer Grabstele
eines Centurio in der vatikanischen Sammlung, auf der unser
Mantel fast nur mehr einem Skapulier gleicht, das auf den
Schultern leicht umgeschlagen ist (Bild 115). Ein Ding wie
dieses Obergewand konnte doch einem Soldaten wahrlich
keinen Schutz bieten. Es kann sich darum auf der Stele
unmöglich um eine korrekte Wiedergabe der Wirklichkeit
handeln.
Die zweite Hauptform, bei welcher das Gewand vorn bis
Bild 113. ZUr Brust aufgeschlitzt ist, kommt namentlich bei Soldaten
Sarkophagskulptur vor ^ begreiflich, weil diesen besonders daran gelegen sein
„ . ' '' musste, auch dann noch, wenn sie mit demselben bekleidet
Mantua, Dom. ' _ '
waren, im Gebrauch der Hände möglichst unbehindert zu sein.
Die Länge des Mantels ist auf den Monumenten verschieden. Bald reicht
er bis über die Kniee, bald bis in die Mitte des Oberschenkels; hie und da
ist er selbst noch kürzer. Im Nacken ist er sehr häufig, zumal bei Militärs,
mit einer Kapuze versehen.
Vortreffliche Beispiele für das Gesagte liefern aus dem Beginn des 2. Jahr-
hunderts verschiedene Reliefs der Trajanssäule zu Rom , auf denen nicht nur die
Soldaten das in Rede stehende Gewand tragen , dessen Beschaffenheit auf einzelnen
der Darstellungen (Bild 13, S. 46) in besonders vorzüglicher Weise erkennbar ist, sondern
auch Trajan selbst zu wiederholten Malen damit bekleidet ist, so bei seiner Ein-
schiffung zum zweiten Feldzug gegen die Dacier und sogar bei der Vornahme eines
Opfers (Bild 114). Ein römischer Bürger ist mit unserem Oberkleid dargestellt auf
einem wohl noch dem 2. Jahrhundert angehörigen Grabcippus in der vatikanischen In-
schriftengalerie '. Bildwerke aus der Zeit des Septimius Severus mit der Darstellung
unseres Gewandes finden sich am Triumphbogen des Severus auf dem römischen
Forum, am Bogen der Wechsler bei S. Giorgio in Velabro zu Rom, auf der Grabstele
eines Infanteristen im lateranensischen Museum - und auf der Stele eines Kavalleristen
Wilp. , Gew. Fig. 14.
2 Wilp., Cap. Fig. 28.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
241
in der Inschriftengalerie des Vatikans '. Sind es hier überall Soldaten , bei welchen
wir dasselbe gewahren , so sind es auf den Schranken der Rednerbühne des Forums
Zivilisten, welche mit ihm bekleidet sind.
Auch die außeritalischen römischen Monumente aus der Kaiserzeit liefern viele
treffliche Beispiele, so verschiedene Cippen im Römischen Museum zu Regensburg, die
Grabsteine des Sklaven Peregrinus im Museum zu Speier 2 und des Schiffers Blussus
im Germanisch-römischen Zentralmuseum zu Mainz (Bild 116, S. 242), das Fragment eines
mächtigen Grabmonumentes am ehemaligen Mansfeldschen Schlosse zu Klausen bei
Luxemburg usw. Andere finden sich auf Abbildungen römischer Skulpturen in den
noch großenteils unedierten Manuskripten des Jesuiten Alexander Wiltheim (f 1684),
eines hervorragenden Kenners und Sammlers römischer Altertümer, welche um so mehr
von Wert sind , als sie manche inzwischen zu Grunde gegangene Monumente wieder-
geben :. Bemerkenswert ist, daß das Gewand in den Provinzen häufiger als zu Rom
bei Zivilisten vorkommt. Zu Rom herrschte eben noch zu sehr die Toga, wenn auch
Bild 114. Relief von der Trajanssäule
zu Rom.
Bild 115. Grabstele eines Centurio.
Rom, Vatikan (Galerie der Inschriften).
nicht als Alltagskleid, so doch als Oberkleid bei feierlichen Gelegenheiten, weshalb
denn auch dort die Künstler für ihre Darstellungen die Toga bevorzugten. In den
Provinzen war diese zwar auch das offizielle Staatskleid, doch stand sie hier weit
weniger im Vordergrund, teils weil die Verhältnisse auf ein praktischeres Gewand
hinwiesen, als es gerade die Toga der Kaiserzeit war, teils weil die überkommene Sitte
in der Fremde naturgemäß weniger Einfluß auszuüben vermochte.
Aus dem 3. Jahrhundert stammt das bekannte Fresko in S. Priscilla, welches
einen Bischof auf seiner Kathedra in unserem Mantel darstellt ; dem Beginn des 4.
angehörende Bildwerke, auf denen dieser uns begegnet, sind ein Fresko in S. Callisto
(der hl. Nemesius), Malereien in S. Pietro e Marcellino (Oranten) ' und ein Relief des
Triumphbogens Konstantins d. Gr. (römische Bürger).
3 Im Besitz der historischen Sektion des
1 Wilp., Gew. Fig. 12.
2 Jahrbuch des Vereins von Altertumsfr.
im Rheinland Hft 108 109, Bonn 1902, Tfl 5,
n. 3 4. Wegen der Abbildung des Grabsteines
des Blussus vgl. oben S. 46 Anm. 1.
Braun, Die liturgische Gewandung.
Institut Grand-ducal zu Luxemburg.
* Wilp., Rat. Tfl 110 160 185 223. Die
Darstellungen in S. Pietro e Marcellino
scheinen von einer Hand herzurühren.
16
242
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Monumente des ausgehenden 4., des 5. und 6. Jahrhunderts, die eine besondere
Erwähnung verdienen , sind das Diptychon des Probian (Berlin , Kl. Bibliothek) , auf
dem die Notare unser Gewand tragen > , dann die in jeder Beziehung so wichtige
Holztüre von S. Sabina auf dem Aventin, auf der wir es bei römischen Bürgern, bei
Soldaten und bei Juden gewahren -. die Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom und
S. Apollinare Nuovo zu Ravenna 3 , wo es die Juden charakterisiert , ein prächtiger
altchristlicher Sarkophag im Dom zu Mantua 4, verschiedene altchristliche Sarkophage
mit der Darstellung des Durchgangs durch das Rote Meer 5 und der zur letzten Ruhe-
stätte des Dogen Domenico Morosini (f 1262) benutzte altchristliche Sarkophag im
Portikus von S. Marco zu Venedig mit seinen zwei Reihen von abwechselnd männ-
lichen und weiblichen, durch ein Rauchfaß getrennten Oranten. Alle Männer tragen
gleichmäßig über einer langen, engärmeligen Tunika einen der Glockenkasel ähnlichen,
auf den Schultern zusammengelegten Überwurf. Auf dem Sarkophag von Mantua
sehen wir den mit gegürteter Tunika und einer Kasel bekleideten Verblichenen von
seiner Gattin Abschied nehmen. Interessant ist hier der unter der Halsöffnimg des
Mantels befindliche kleine, oben geschlossene Schlitz, welcher offenbar des leichteren
Anziehens halber angebracht wurde (Bild 113,
S. 240). Auf den Sarkophagen mit der Szene des
Durchgangs durch das Rote Meer dient das Ge-
wand ähnlich wie auf den obengenannten Mosaiken
zur Kennzeichnung der Juden.
Auch die Frauen trugen den unserer Kasel
ähnlichen Mantel. Interessante Beispiele aus der
Frühe des 1. Jahrhunderts liefern einige Tonfiguren
und sechs Wandgemälde aus Pompeji im Museum
von Neapel. Letztere stellen Frauen , die einen
Totentanz aufführen G, die Tonfiguren 1, von denen
sich auch im Musee Guimet zu Paris drei vor-
zügliche Exemplare finden, Klageweiber dar. Im
ersten christlichen Jahrhundert mag hiernach das
Gewand bei den Frauen besonders zu Trauer-
zwecken gedient haben. Später finden wir es jedoch
selbst bei hochstehenden Persönlichkeiten ; so tra-
gen es z. B. auf den Mosaiken in S. Vitale die Damen,
Bild 116. Grabstele des Schiffers
Blussus.
Mainz, G erm.-rümisches Zentralmuseuni.
welche den Hofstaat der Kaiserin Theodora bilden s.
Griechische Monumente aus frühchristlicher
Zeit mit Darstellungen des Gewandes sind selten ;
doch ist zu beachten , daß überhaupt griechische Bildwerke aus dieser Epoche nicht
gerade häufig sind. Es gehören zu ihnen verschiedene Miniaturen im Kodex von
Rossano und der Wiener Genesis, die Menaspyxis im Britischen Museum ,J, eine ägyp-
tische Arbeit, wie es scheint, und eine Elfenbeintafel im Museo archeologieo zu
Mailand, die unter ägyptischem oder griechischem Einfluß entstanden sein dürfte und
einst zur Kathedra Maximians im Dom zu Ravenna gehörte (vgl. Bild 92, S. 210).
1 Wilp., Cap. Fig. 5; besser bei E. Mo-
linier, Les ivoires pl. iv.
2 Wieg and, Das altchristliche Haupt-
portal an der Kirche der hl. Sabina, Trier
1900, Tfl 5 8 12 21.
3 Garr. tav. 219, 3; 220, 3; 248, 6;
249, 3 4; 250, 4 5 6; 252, 2. Die raven-
natischen Abbildungen sind besser bei Ricci,
Ravenna, Bergamo 1903, 27.
* Die Abbildung bei Garr. (tav. 320, 1),
welche die Figur in einer Art von Toga zeigt,
ist unrichtig.
5 Beispiele derselben finden sich zu Arles,
Nimes , Spalato. Vergleiche die freilich
mangelhaften Abbildungen bei Garr. tav.
308 , 2 und 309 , 12 4. Peyre, Nimes,
Arles, Orange (Paris 1903) 93.
6 Abteilung der Pompejanischen Fresken
Nr 9352—9357.
7 Museo Naz. mezzanino n. 4326 4825
6302 6681.
8 Abbildung bei Garr. tav. 264. Kraus,
F. X., Geschichte der christl. Kunst I, Freiburg
1896, 443. » Vgl. oben S. 209.
Erstes Kapitel. Die Kasel.
243
Aber nicht bloß in Rom. Gallien, Germanien und Griechenland, sondern
auch im Orient muß das Gewand in Gebrauch gewesen sein. Es ist sehr
bemerkenswert, daß es ebensowohl auf den angeführten griechischen Bild-
werken wie auf den Mosaiken Roms und Ravennas und einer Anzahl alt-
christlicher Sarkophage vorwiegend bei Darstellungen von Juden vorkommt.
Auf den griechischen Monumenten bleibt das so bis in das zweite Jahrtausend
hinein. In späterer Zeit, als die Tradition und Schablone die Kunst des
Ostens beherrschten , mag diese Gepflogenheit bei ihnen allerdings bloß ein
Erbstück aus früheren Tagen gewesen sein. In der altchristlichen griechischen
Kunst , welcher ein stark realistisches Gepräge eigen ist , war sie jedoch
ebenso wie auf den durchaus gleichartigen römischen Monumenten wohl Hin-
ein Abbild der wirklichen Verhältnisse.
Wir haben indessen auch einen direkten Beweis, daß wenigstens schon
im zweiten nachchristlichen Jahrhundert das Gewand im Orient ein sehr
gebräuchliches und dabei angesehenes Kleidungsstück
gewesen sein muß : die damals unter dem syro-römi-
schen Einfluß entstandenen buddhistischen Gandhara-
skulpturen. Es sind keine geringeren als Buddha und
seine Schüler, die auf diesen Bildwerken mit ihm be-
kleidet erscheinen, und zwar so regelmäßig, daß das
Gewand eine Art von Charakteristikum derselben
bildet. Es sind merkwürdige Darstellungen, die nicht
selten wie ein getreues Bild eines christlichen Priesters
aus altchristlicher Zeit in seiner liturgischen Gewan-
dung aussehen. Fehlt doch selbst das Sudarium vorn
auf dem linken Arm bei manchen nicht (Bild 117) 1.
Der römische Name des Gewandes war pae-
nula. Es gab bei den Römern verschiedene Arten
von mantelartigen Obergewändern. Man unterschied,
um von einigen selten vorkommenden Namen ab-
zusehen, bei den Männern toga, pallium, lacerna,
birrus, chlamys (sagum, paludamentum) und paenula2.
Vergleichen wir, was wir über diese Gewänder wissen,
mit den Monumenten, so ergibt sich, daß der kaselartige Mantel, der uns so
oft auf denselben begegnet, nur paenula geheißen haben kann.
Eine Schwierigkeit scheinen freilich die Definitionen zu bilden , welche Isidor
von Sevilla im Anschluß an den Kommentator des Persius 3 und Eucherius von Lyon
(f ca 450) 4 von der Pänula geben. Nach Isidor bzw. dem Scholiasten des Persius
war dieselbe ein mit langen Fransen versehener Mantel : paenula est pallium cum
fimbriis longis. Eucherius bezeichnet sie als verwandt mit der lacerna (einem auf der
Brust mit einer fibula befestigten Um- oder Überwurf), aber mit clavi, d. i. von oben
nach unten herablaufenden Zierstreifen , versehen : est quasi lacerna descendentibus
clavis. Wer indessen die höchst ungenaue Definitionsweise der alten Scholiasten
kennt, wird weder den Worten Isidors bzw. des Kommentators des Persius noch denen
des Eucherius eine Bedeutung beimessen. Zudem lassen sie sich genügend mit den
Bildwerken und sonstigen Angaben in Einklang bringen. Isidor bzw. sein Gewährs-
Bild 117. Buddha mit
Tunika, Kasel und Sudarium.
Kalkutta India Museum.
1 Abbildung in The ancient monuments,
temples and sculptures of India. Part I. The
earliest monuments, London 1897, und The
Journal of Indian art vol. VIII, n. 63 69.
Auf die Gandhara-Skulpturen wurde ich durch
meinen Ordensgenossen P. Jos. Dahlmann
freundlichst aufmerksam gemacht.
2 Vgl. darüber namentlich Wilp., Gew. 7 ff.
3 Etymol. 1. 19, c. 14 (M. 82, 691).
4 Instr. ad Salon. 1. 2, c. 10 (M. 50, 820).
16*
244 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
mann mag die zottige Hegen- und Winterpänula der älteren Zeit, Eucherius aber jene
Pämilaform , welche vorn bis auf die Brust aufgeschlitzt war und darum ohne große
Ungenauigkeit als quasi lacerna bezeichnet werden konnte, im Sinne haben. Wenn
letzterer aber auch von clavi deseendentes, Vertikalbesätzen, redet, so liegt kein ernst-
licher Grund vor, deren wirkliches Vorkommen bei der Pänula zu bezweifeln.
Von der Pänula — zusammenhängend mit pannus, Tuch, Gewebe — ist
bei den lateinischen Schriftstellern sowohl aus der Zeit der Republik wie der
Kaiserzeit wiederholt die Rede. Sie begegnet uns bei Plautus, bei Cicero und
Varro, bei Horaz, Martial, Lampridius u. a. 1 Bei Plautus ist sie ein Sklaven-
kleid 2, bei Cicero erscheint sie als Reisemantel und als Obergewand eines
Maultiertreibers 3. Bei Varro hat die Pänula den Charakter eines Regen-
mantels 4, während Horaz sie nicht undeutlich als Überwurf für den Winter
bezeichnet 5. Nach Martial scheint sie für gewöhnlich nur von Leuten niederer
Klasse getragen worden zu sein 6. Doch hören wir von Sueton, daß auch der
freilich zu Extravaganzen geneigte Caligula sich der Pänula bedient habe.
Es waren allerdings bestickte und mit Edelsteinen verzierte paenulae 7. Ebenso
bedienten sich bereits nach dem Dialogus de oratoribus , der gewöhnlich
dem Tacitus zugeschrieben wird, die Advokaten bei Gericht der Pänula8.
Der Verfasser des Dialogus sieht darin eine der Ursachen des Niederganges der
Gerichtsreden, da das Gewand die freie Bewegung und die Entfaltung eines
großartigen Gestus hindere und den Redner zu einer bloßen Unterhaltung mit
dem Richter zwinge.
Eigentlich römische Tracht war aber selbst gegen Ende des 2. Jahr-
hunderts die Pänula noch nicht geworden. Es war vielmehr gegen alle Sitte
und Gewohnheit , daß Commodus zu Leichenfeierlichkeiten , denen er selbst
präsidierte, die Senatoren — diese Lesart ist wohl vorzuziehen — nicht in
der Toga , sondern in der Pänula entbot 9. Beim Volk muß diese indessen
schon im Beginn des 3. Jahrhunderts sehr verbreitet gewesen sein , da von
Kaiser Makrinus berichtet wird, er habe zu Ehren seines Sohnes Diadumenianus,
den er zum Cäsar hatte ausrufen lassen, dem Volk rosenfarbene paenulae zu
spenden beabsichtigt 10, und um etwa dieselbe Zeit Ulpian die Pänula neben
dem Pallium zu den vestimenta communia, d. i. zu den Kleidungsstücken,
welche Männer und Frauen ohne Unterschied gebrauchten, rechnet 11. Alexander
Severus gestattete den Senatoren (senes), sich der Kälte halber innerhalb der
Stadt der Pänula zu bedienen ; den römischen Matronen erlaubte er jedoch
bloß , auf Reisen dieselbe anzulegen 12. Lampridius , der uns das berichtet,
weist zur Erklärung dieser Verordnung darauf hin, daß die Pänula stets als
ein Reise- oder Regenmantel gegolten habe (cum id vestimenti genus semper
itinerarium aut pluviale fuisset). Bei Tertullian ist die Pänula einmal ein
bürgerliches Obergewand, dessen sich Christen wie Heiden bedienten, ein
anderes Mal ein Soldatenmantel 1S. Im Maximaltarif Diokletians gehört die
Pänula noch nicht gerade zu den kostbarsten Gewändern. Sie ist auf 4000 bis
5000 Denare (den Denar zu l>/5 Pfennig) gewertet, während z. B. ein gallisches
1 Die Stellen sind gut zusammengestellt 6 Epig. 5, 27. 7 Cal. 52.
bei Marriott 192 ff; vgl. auch Forcell. s N. 39. " Lamprid. in Comm. IG.
II, 276 und Marquardt, Das Privatleben ,0 Id. in Anton. Diadurn. 2.
der Römer, Leipzig 1886, 564. " Dig. 34, 2, 23.
2 Most. IV, 11, 74. n Lamprid. in Alex. Sev. 27.
3 Mil. 20; P. Sest. 38; Att. 13, 33. » De orat. c. 15 (M. 1, 1171); De Corona
4 Apud Nonn. 14, 3. milit. c. 1 (M. 2, 95). Unklar ist Apolog.
5 Epist. 1, 11 18. adv. gent. c. 6 (M. 1, 301).
Erstes Kapitel. Die Easel.
245
Sagum auf 8000 Denare angesetzt ist '. Im Kleidergesetz vom Jahre 382 wird
bestimmt, es solle kein Senator ein militärisches Kleid für sich in Anspruch
nehmen und darum nicht die militärische Chlamys, sondern Kolobium (Talar-
tunika) und Pänula tragen; die Offizialen, deren Aufgabe es war, die Beschlüsse
zum Vollzug zu bringen und das Notwendige durchzuführen, also die Exekutiv-
beamten, sollten sich einer gegürteten Tunika und der Pänula bedienen. Es
handelt sich in diesem Erlaß übrigens nicht um die offizielle Tracht, der
Senatoren, das „Staatskleid", sondern, wie wir sagen würden, um die „Interims-
kleidung". Bezüglich des „Staatskleides" der Senatoren sollte es beim alten
bleiben, und vor wie nach die Toga als solches gelten: Cum autem vel con-
ventus ordinis canclidati coeperit agitari vel negotium eius sub publica iudicis
sessione cognosci togatum eundem interesse mandamus 2.
Die Monumente geben im Verein mit diesen Angaben der römischen
Schriftsteller ein treffliches Bild von dem Wechsel der römischen Mode, bei
welchem die Pänula, anfangs nur ein Kleid der Sklaven, geringer Leute und
der Soldaten , bei besseren Ständen höchstens Reise- und Regenmantel , der
Toga immer mehr Terrain abgewinnt und sich zuletzt als AlltagsgeAvand selbst
in den höchsten Kreisen einbürgert.
Die Bezeichnung paenula verlor sich im Lauf der Zeit; an ihre Stelle
trat der uns schon bekannte Name planeta, der seitdem nie mehr aus dem
Gebrauch verschwinden sollte. Der Zeitpunkt dieses Wechsels in der Be-
nennung des Gewandes läßt sich nicht bestimmt feststellen. Von vestes
planeticae redet, wie früher gesagt wurde, bereits Cassian (Anfang des 5. Jahr-
hunderts), von planetae die Vita S. Fulgentii (erste Hälfte des 6. Jahrhunderts).
In Gallien und Afrika wurde die paenula von ihrer Gestalt casula, in
Gallien nach ihrer Anlegungsweise auch amphibalus genannt.
Bei den Griechen hieß das Gewand (pcuv6h)Q, (paivöXu, ipzh'ivqc,, cpaivöfoov,
navjöXwv. Es wird schon beim Komiker Rinthon (ca 300 v. Chr.) und dem
Mechaniker Athenäus (ca 150 v. Chr.) erwähnt. Später wird es im zweiten
Brief des hl. Paulus an Timotheus (4, 13) 3, bei Epiktet (2. Jahrhundert
n. Chr.), bei Artemidor (ca 150 n. Chr.), bei Julius Pollux (Ende des 2. Jahr-
hunderts n. Chr.), bei Johannes Laurentius Lydus (f ca 565), bei Menander
Protector (Ende des 6. Jahrhunderts), bei Theophylakt Simokattes (Anfang
des 7. Jahrhunderts) und in dem um die Mitte des 7. Jahrhunderts entstandenen
Chronicon paschale genannt 4. Bei Simokattes handelt es sich um ein kleri-
kales Gewand, wie es scheint s, bei allen übrigen aber um ein laikales Kleidungs-
stück. Bei Lydus finden wir es bei den Advokaten 6 ; im Chronicon paschale
erscheint es als Bestandteil der Tracht des Stadtpräfekten von Konstantinopel ".
Bezeichnend für die Bedeutung, welche der <pzh)vqq allmählich erlangt hatte,
ist die bildliche Redensart bei Menander: ipaivdhov u.riooöaaadai = herab-
kommen, unter seinen Stand herabsteigen 8.
1 M o m m s e n - B 1 ii m n e r , Der Maximal-
tarif des Diokletian 154 ff.
2 Cod. Theod. 1. 14, tit. 10 de habitu (ed.
Haenel, Lipsiae 1837, 1400*).
3 So wenigstens nach der gewöhnlicheren
Auffassung ; man hat nämlich den pshrsTjg
im 2. Timotheusbrief auch als Buchhülle aus-
gelegt. An der fraglichen Stelle bittet der
Apostel den Adressaten , er möge ihm bei
seinem Herkommen die paenula (ps/iunjs),
die er bei Karpus in Troas zurückgelassen
habe, sowie die Bücher und zumal die Perga-
mente mitbringen.
1 Sophokles, Griechisches Lexikon
(Leipzig und New York 1893) unter <pafjöfojq
(S. 1132) und TiaivöAim (S. 831).
5 Hist. 1. 7, n. 6 (Bonnae 1834, 280).
6 De magistrat. 1. 3, n. 8 (Bonnae 1837, 201).
1 Ad an. 419 (Bonnae 1832, 574).
8 Fragm. bist. (Bonnae 1829, 439).
246 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Es kann nach dem Gesagten keinem Zweifel unterliegen, daß die liturgische
Planeta oder Kasel von dem Gewand herkommt, welches die Römer paenula,
die Griechen (paivöhjQ, <psX6vrjQ, die Syrer phainfl nannten. Zur Kaiserzeit in
der ganzen griechisch-römischen Welt bekannt, war es ein wirklicher Allerwelts-
mantel. Denn wir finden es zu Rom und überhaupt in Italien wie in Ger-
manien, in Gallien wie im Norden Afrikas, in Griechenland wie in Syrien, ja
im äußersten Nordwesten Indiens in Gebrauch, und zwar galt es damals sogar
zu Rom nicht mehr als ein gering gewertetes Kleidungsstück der Sklaven, Maul-
tiertreiber, Soldaten und Leute ähnlichen Schlages, oder als bloßer Regen-
mantel, dessen man sich nur bei Wind und Wetter bediente. Selbst hier war
es allmählich zu Ansehen gekommen und ein beliebtes, weil praktisches Ober-
gewand geworden, in dem man mit allen Ehren in der Öffentlichkeit auftreten
konnte. Wohl hatte die Toga offiziell noch immer, und zwar noch für lange
Zeit das Vorrecht, das eigentliche römische Staatskleid zu sein. In Wirk-
lichkeit aber war ihre Verwendung bereits eine sehr beschränkte geworden.
Hatte sich doch die Pänula nicht bloß auf dem Forum, sondern selbst schon bei
den Gerichtshöfen heimisch gemacht. Sogar bei den Senatoren war sie anstatt
der Toga im Lauf der Zeit nicht zwar zur amtlichen, aber doch zur außer-
amtlichen Tracht emporgestiegen.
Unter solchen Umständen ist es leicht erklärlich, daß das Gewand auch
bei den christlichen Liturgen sich einbürgerte, und zwar nicht bloß zu Rom
und überhaupt im Abendland, sondern auch im Osten.
Welche Ursachen darauf eingewirkt haben, daß die Pänula eine so
weite Verbreitung in der ganzen römisch-griechischen Welt fand, läßt sich
nicht feststellen. Möglich, daß die Soldatenpänula, die mit den römischen
Soldaten überall hinkam , darauf von Einfluß gewesen ist. Indessen ist es
ja auch von wenig Belang, klarzulegen, wie das zuging. Nicht die Gründe
der allgemeinen Verbreitung des Gewandes sind es, was uns hier zuletzt inter-
essiert, sondern die Tatsache dieser seiner allgemeinen Verbreitung. Denn diese
gibt uns den Schlüssel zur Lösung der Frage, wie es kam, daß jenes später
ebensowohl im Osten wie im Westen einen Bestandteil der liturgischen
Kleidung bildet. Das priesterliche Obergewand ist nicht etwa im Orient aus
dem profanen ipsh'ivyc, entstanden und dann vom Abendland adoptiert worden,
noch haben umgekehrt die Riten des Ostens es dem lateinischen Ritus ent-
lehnt, nachdem in diesem aus der Pänula die sakrale Planeta geworden war.
Es ist vielmehr hier wie dort autochthon , d. h. es hat sich hier wie dort
gleichmäßig aus dem gewöhnlichen Mantel des Alltagslebens herausgebildet,
der im Abendland freilich schon lange völlig außer Gebrauch gekommen ist,
im Orient aber sich noch jetzt, wenngleich mit Veränderungen, in Gestalt
des Burnus der Araber erhalten hat.
Den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem die Pänula bzw. der profane
(fzhWr^ bei den Liturgen in Gebrauch kam, ist unmöglich. Es geschah
schwerlich überall zu gleicher Zeit. Immerhin darf angenommen werden, daß
solches nicht erst erfolgte, als die Fesseln für die Kirche gefallen waren und
diese frei ihre Wirksamkeit entfalten konnte. Wirklich ist schon der Bischof
auf dem Fresko der „Einkleidung einer gottgeweihten Jungfrau" in der Kata-
kombe der hl. Priscilla zu Rom , einem Werk des 3. Jahrhunderts , mit der
Pänula bekleidet. Natürlich hatte das Gewand damals noch keinen spezifisch
liturgischen Charakter. Diesen erhielt es erst in weit späterer Zeit, als die
Mode eine rückläufige Bewegung begann, und es zunächst bei den Laien, dann
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila. 247
aber auch als Alltagsgewand bei den Geistlichen wieder außer Brauch kam.
Erst von da ab kann man von einer spezifisch liturgischen Planeta, einem
eigentlich liturgischen Phelonion reden.
Man hat auffälligerweise mehrfach geglaubt, die paenula {yekövrjQ), von
welcher der Apostel Paulus im 2. Timotheusbrief 4, 13 redet, als liturgische
Kasel auffassen zu sollen. Eine solche Annahme heißt indessen die Entwicklung
der sakralen Gewandung völlig verkennen. Sie entbehrt aber auch allen
Grundes. Haben doch schon zur Zeit des hl. Hieronymus einzelne Exegeten
unter jener paenula sogar eine Bücherumhüllung verstanden 1. Bedeutet sie,
was allerdings das wahrscheinlichste ist, ein Gewand, so ist sie lediglich der
(psXövrjQ des Alltagslebens. So und nicht anders fassen denn auch Tertullian 2,
Pelagius 3, Johannes Chrysostomus * und Eucherius ä sie auf. Von einer An-
deutung, daß sie vielleicht ein Sakralgewand gewesen, findet sich bei keinem
von diesen auch nur eine Spur; ein Zeichen, wie fern noch eine liturgische
Pänula im späteren Sinn ihrem Ideenkreis lag. Besonders bezeichnend ist
wie für die Bedeutung der paenula beim hl. Paulus, so überhaupt für die
Frage nach der Existenz einer sakralen Pänula in vorkonstantinischer Zeit
das Verhalten Tertullians in seiner Schrift De oratione. Es gab damals Christen,
welche in Nachahmung der Heiden beim Beten die Pänula ablegten. Tertullian
will das als abergläubisch und töricht tadeln , und er bemerkt deshalb mit
dem ihm eigenen Salze, wenn man die Pänula beim Gebet abzulegen habe, so
hätten das denn doch wohl vor allem die Apostel, die uns über das Verhalten
beim Gebet belehrten, begriffen; man müßte denn annehmen, Paulus habe
seine Pänula bei Karpus vergessen, als er betete. Ob wohl Gott, welcher die
drei Jünglinge im Feuerofen in ihren Pluderhosen und Mützen erhörte, nicht
auch die höre, welche mit einer Pänula bekleidet seien? Es liegt auf der
Hand, daß Tertullian weder die Pänula des Timotheusbriefes für ein Meßgewand
gehalten noch überhaupt eine liturgische Pänula gekannt hat.
ZWEITES KAPITEL.
DALMATIK UND TUNICELLA.
I. DALMATIK UND TUNICELLA NACH GEGENWÄRTIGEM BRAUCH.
Das liturgische Obergewand der Diakone ist die Dalmatik, das der
Subdiakone die Tuniceila. Gemäß dem jetzigen Brauch sind beide der Form
und Verzierung nach nicht mehr voneinander verschieden. Dalmatik und
Tunicella sind nur noch zwei Namen für ein und dasselbe Gewand. Nach
dem bischöflichen Caeremoniale soll sich allerdings die subdiakonale Tunika
von der Dalmatik dadurch unterscheiden , daß sie etwas engere und längere
Ärmel als diese hat 6, weshalb denn auch die Provinzialsynode von Prag aus
dem Jahre 1860 verordnete, es solle die Tunicella mit engeren und kürzeren
Ärmeln als die Dalmatik versehen werden und überhaupt etwas kleiner als
diese sein 7. Allein praktisch wird der Unterschied nicht einmal zu Rom mehr
festgehalten.
1 Chrysost. in 2 Tim 4, 13 (Mg. 62, i A. a. 0.
656). Hieron., Ep. 36, n. 13 ad Damas. 5 Instruct. ad Salon. 1. 2, c. 10 (M. 50, 820).
(M. 22, 458). * L. 1, c. 10, n. 1 ; von einem Unterschied
2 De orat. c. 15 (M. 1, 1171). in der Länge der Gewänder ist keine Rede.
3 In 2 Tim 4, 13 (M. 30, 895). ' Tit. 5, c. 7 (Coli. Lac. V 539).
248 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
In Frankreich, England, Spanien, Deutschland usw. stellen die
Dalmatik und Tunicella in ihrer gegenwärtigen Gestalt einen skapulierähn-
lichen Überwurf mit einem Durchlaß für den Kopf und viereckigen, von der
Schulter über den Oberarm herabfallenden Zeuglappen, den Überbleibseln der
ehemaligen Ärmel, dar. Eine wirkliche Tunika sind sie noch in Italien. Zwar
sind sie auch hier an den Seiten bis unter die Achseln aufgeschlitzt, doch
haben sie noch förmliche Ärmel.
Die Verzierung der Dalmatik (Tunicella) besteht vor allem in zwei
von der Schulter bis zum Saum hinabgehenden Streifen, welche bei der
italienischen Dalmatik schmal, bei der deutschen und französischen aber von
ziemlicher Breite sind und durch einen Querbesatz verbunden zu werden
pflegen. Bei der Dalmatik, wie sie in Frankreich üblich ist, befindet sich
dieses Querstück in der Kegel hart oben am Kopfdurchlaß, bei der deutschen
vor der Brust bzw. mitten auf dem Kücken, bei der italienischen tief unten
nahe am Saum des Gewandes, und zwar stellt es bei den beiden ersten einen ein-
fachen, breiten Streifen dar, während es beider letzten aus zwei schmalen Borten
besteht, die so weit voneinander entfernt sind, daß sie mit den Vertikalstreifen
nahezu ein Quadrat bilden. Dalmatiken, die, ähnlich dem Meßgewand, bloß
mit einem Stab versehen sind, kommen nur in Deutschland und Frankreich
vor, aber auch hier nicht als das Gewöhnliche. Der Besatz ist bei solchen
in der Mitte der Vorder- und Rückseite angebracht und meist von be-
deutender Breite.
Die Vertikalstreifen bilden eine für die Dalmatik (Tunicella) charak-
teristische Verzierung. Ein Schmuck mehr nebensächlicher Art sind die
Besätze, welche am Saum der Ärmel bzw. deren Surrogats, der Ärmellappen,
aufgesetzt werden , sowie die Fransen , mit denen man gern die seitlichen
Schlitze und den unteren Rand versieht. Die früher so beliebten , von der
Schulter auf den Rücken herabfallenden Quasten sind, wenigstens in Deutsch-
land, in jüngerer Zeit stark in Abgang gekommen.
Über den Stoff der Dalmatik und Tunicella gibt es weder in den
Rubriken eine Vorschrift, noch bestehen darüber sonst ausdrückliche Bestim-
mungen; indessen liegt auf der Hand, daß es nicht passend ist, sie aus minder-
wertigen Zeugen herzustellen. Es sollte nur Seide zu ihnen genommen werden.
Nicht nötig ist, daß sie genau aus dem gleichen Stoff gemacht oder gleich
kostbar sind wie das Meßgewand, zu dem sie gehören, wofern sie nur die
gleiche Farbe haben 1.
Die Gelegenheiten, bei denen die beiden Gewänder zur Verwendung
kommen, sind nach dem römischen Missale die missa solemnis sowie die feier-
lichen Prozessionen und Benediktionen. Nicht gebraucht werden sie jedoch
an den Tagen, welche den Charakter der Buße haben 2, desgleichen nicht bei
der Aschenweihe sowie ebenfalls nicht bei der Kerzen- und Palmenweihe und
der an diese sich anschließenden Prozession 3, weil Dalmatik und Tunicella von
alters her die Bedeutung eines Festgewandes besitzen. Tunicella und Dalmatik
sind das spezifische Obergewand der Subdiakone und Diakone; darum
werden denn auch diese bei ihrer Weihe mit ihnen feierlich durch den Bischof
bekleidet. „Die Tunika der Freude und das Gewand des Jubels ziehe dir an
der Herr. Im Namen usw.", spricht der Bischof, wenn er dem neuen Sub-
diakon die Tunicella anlegt. „Es bekleide dich der Herr mit dem Gewand
1 C. RR. 4. Juli 1817 (Decret. auth. 2578). 2 Siehe S. 148. 3 Rubricae generales
tit. 19, n. 5 6.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
249
des Heiles und dem Kleid der Freude, und mit der Dalmatik der Gerechtig-
keit umgebe er dich auf immerdar. Im Namen usw." sind die Worte, mit
welchen er die Übergabe der Dalmatik an den eben geweihten Diakon am
Ende der heiligen Handlung begleitet.
Außer den Diakonen und Subdiakonen bedienen sich beider Gewänder
aber auch die Bischöfe, wodurch, wie gewöhnlich gesagt wird, angedeutet
werden soll, daß in diesen alle Ordines vereinigt sind, sowie diejenigen Prä-
laten, welchen kraft eines allgemeinen oder persönlichen Privilegs der
Gebrauch der Pontifikalgewänder zusteht. Während indessen Diakon und Sub-
diakon die Dalmatik und Timicella auch bei andern Funktionen als dem
heiligen Opfer tragen , dürfen die Bischöfe und die genannten Prälaten sie
lediglich bei der Messe und bei Funktionen, welche innerhalb der Messe statt-
haben, also nur in Verbindung mit der Kasel benutzen, nie zugleich mit dem
Pluviale. Die Nichtbischöfe, welche sich des Vorrechtes erfreuen, die beiden
Gewandstücke zu gebrauchen, dürfen solches obendrein nur an den Tagen,
bei den Gelegenheiten und an den Orten, für welche ihnen, sei es gemäß den
allgemeinen Regeln 1, sei es kraft ihres besondern Privilegs , die Benutzung
der Pontifikalkleidung zugestanden wurde.
II. ALTER DES GEBRAUCHES DER DALMATIK.
Die Dalmatik war zu Rom sicher schon in der zweiten Hälfte des 4. Jahr-
hunderts bei dem Papst und den Diakonen in Gebrauch. Die allem Anschein
nach zu Rom geschriebenen, jedenfalls aber die römischen kirchlichen Ver-
hältnisse auffallend berücksichtigenden Quaestiones Veteris et Novi Testa-
menti stellen das außer Zweifel. Man hatte behauptet, David sei Priester
gewesen, und zum Beweise dessen angeführt, daß er nach Angabe der Heiligen
Schrift den priesterlichen Ephod getragen habe. Der Verfasser der Schrift
widerlegt nun dieses Argument, indem er darauf hinweist, daß ja doch auch
die Diakone wie die Bischöfe eine Dalmatik trügen, ohne deshalb ebenfalls
Bischöfe zu sein: Quasi non hodie diaconi dalmaticis utantur sicut et epi-
scopi2. Es müssen also zu Rom zur Zeit der Entstehung der Quaestiones,
d. i. zur Zeit Damasus' I. (366 — 384), sowohl der Papst wie die Diakone
sich bereits der Dalmatik bedient haben. Übrigens gesetzt auch, ihr Verfasser
habe bei jener Bemerkung nicht lediglich den Stand der Dinge im Auge
gehabt, wie er damals zu Rom lag, so behält trotzdem sein Zeugnis seinen
vollen Wert. Denn wenn es auch dann nicht ausschließlich auf Rom und
die römischen Verhältnisse bezogen werden kann, so gilt es doch jedenfalls
wenigstens in erster Linie bezüglich des römischen Brauches, da die Dal-
matik bis zur Karolingerzeit hin gerade für den dortigen Ritus ein charak-
teristischer Ornat war.
Wollen wir dem Papstbuche glauben, so geschah zu Rom die Einführung
der Dalmatik im Kultus durch Silvester I. (314 — 335). Hie constituit, ut
1 Decret. Alexandri VII. circa usum ponti-
ficalium vom 27. September 1659 und die Kon-
stitution Pius' VII. „Decet Romanos ponti-
fices" vom 4. Juli 1823 in Decret. auth. n. 1131
und 2624.
2 Quaest. 46 (M. 35, 2246). Über den un-
genannten Verfasser ist man nicht einig (vgl.
Bardenhewer, Patrologie, Freiburg 1901,
387). Das Alter der Schrift ergibt sich aus
Quaest. 44 (M. 35, 2243), wo es heißt, es seien
seit der Erfüllung der Weissagung Daniels
von den Jahrwochen durch die Geburt und
das Leiden Christi sowie dem Untergang
Jerusalems etwa 300 Jahre verflossen : Et
quis ambigat de hoc numero , cum trecenti
circiter anni nunc super hunc numerum in-
veniantur. Sie entstand also wohl unter
Damasus I. (367—385).
250
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
diaconi dalmaticis in ecclesia uterentur, berichtet dieses1, und so klingt
es wie ein Echo ohne Ende von da an durch alle folgenden Zeiten nach.
Dagegen soll nach der Vita S. Silvestri erst unter Liberius (352—366) die
Dalmatik liturgisches Gewand geworden sein2.
Leider sind nicht bloß die Angaben des mit Fabeln angefüllten Silvester-
lebens, sondern auch die Notizen in den älteren Papstbiographien des Papst-
buches wenig zuverlässig. Wie die Dinge liegen, ist es daher unmöglich, auch
nur mit einiger Sicherheit zu bestimmen, ob wirklich die Dalmatik unter
Silvester I. im römischen Ritus Aufnahme fand oder erst unter Liberius oder
sonst einem Papste; ob das Gewand, wie die Vita anzudeuten scheint, beim
Papst und den Diakonen zu gleicher Zeit in Gebrauch kam, oder ob es sich
zunächst bloß bei jenem und dann erst bei diesen einbürgerte ; endlich ob die
Dalmatik eingeführt wurde, um die Diakone vor den übrigen Klerikern aus-
zuzeichnen, wie das dem Papstbuch am meisten entspricht, oder lediglich auf
Grund praktischer und ästhetischer Erwägungen. Immerhin sind die An-
gaben des Silvesterlebens und der Silvesterbiographie im Papstbuch insofern
wenigstens für die Geschichte der Dalmatik nicht ohne Belang, als auch sie
beweisen, daß diese nicht erst gegen Anfang des 6. Jahrhunderts, sondern
schon eine geraume Zeit vor der Abfassung der beiden Schriften zu Rom Ver-
wendung gefunden haben muß.
Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß die Dalmatik bereits im 3. Jahr-
hundert im römischen Kultus Eingang fand. Wenn damals nämlich der
hl. Cyprian (f 258) zu Karthago sich ihrer bei der Liturgie bediente, so geschah
ähnliches, wenigstens seitens des Papstes, zu gleicher Zeit auch wohl schon zu
Rom, wo ja das Gewand als profanes Kleidungsstück bereits recht gebräuchlich
geworden war. Daß aber jener sie tatsächlich bei den gottesdienstlichen Ver-
richtungen getragen habe, dürfen wir mit allem Fug aus den Akten seines
Martertodes schließen. Denn wenn er diesen Akten zufolge selbst im Alltags-
leben außer der Tunika und dem Mantel eine Dalmatik anzog3, wird er es
sicher erst recht in gleicher Weise bei der Feier der heiligen Geheimnisse
gehalten haben, bei der er doch zweifelsohne nicht weniger reich gekleidet
war als auf der Straße. Es war aber auch die Lage der Christen im 3. Jahr-
hundert zu Rom keineswegs so armselig und so ungünstig mehr, daß nicht
wenigstens der Papst hätte daran denken können, bei der Liturgie die im
1 Du eh., L. P. I 171.
2 S. oben S. 68. Die Vita S. Silvestri stammt
aus dem Beginn des 6. Jahrhunderts. Der erste
Teil des L. P. entstand nach Duchesne (L. P. In-
trod. p. xxxinff) unter Hormisdas (514 — 523).
P. Grisar setzt ihn (Zeitschrift für kath. Theo-
logie, Innsbruck 1887, 426 ff) in die Zeit des
Pontifikats Bonifaz' II. (530—532). Dagegen
verweist Mommsen in der Vorrede zu der in
den Monuroenta Germaniae von ihm besorgten
neuen Ausgabe des Papstbuches selbst die Ab-
fassung der ersten Redaktion in die erste Hälfte
des 7. Jahrhunderts (Proleg. c. 1, p. xvm),
doch halten Duchesne (Melanges d'archeologie
et d'histoii-e XVIII 381 ff) wieP. Grisar (Ana-
lecta Romana, Romae 1899 660 ff) an ihrer
Datierung fest. Mit Recht. Wenn Mommsen
(Proleg. p. xvii) unter anderem darum will,
daß der älteste Teil des L. P. erst nach
Gregor d. Gr. entstanden sei, weil der L. P.
den Papst Telesphorus sieben Fastenwochen
anordnen läßt, Gregor aber erst sechs kennt,
so ist zu erwidern, daß es bekanntlich auch
nach Gregor bis jetzt in der römischen Kirche
nie sieben Fastenwochen gegeben hat. Noch
schwerer begreiflich ist aber, wie er (ebd. p. xvi)
die ordinationes im Brief Gregors d. Gr. an
Secundinus (1. 9, c. 147 [M. G. Epp. II 147])
als Weihen verstehen und daraus dann einen
weiteren Beweis für seine Aufstellung her-
leiten konnte, da doch der richtige Sinn von
ordinatio an jener Stelle evident ist. Ordi-
natio heißt dort nicht Weihe , sondern Ver-
ordnung, wie auch sonst in den Briefen Gregors
(vgl. den Index ebd. II 570).
3 Acta proconsularia c. 5 (Corp. SS. eccl.
III, app. cxm).
Zweites Kapitel. Dalmatik und Timicella.
251
gewöhnlichen Verkehr schon weit verbreitete, der Erhabenheit der gottes-
dienstlichen Verrichtungen so ganz entsprechende Dalmatik in Verwendung
zu nehmen. Im Gegenteil mußten die verhältnismäßig langen damaligen
Friedensperioden, in denen es sogar nicht an Begünstigungen seitens einzelner
Kaiser fehlte und das Christentum in den höheren Kreisen manche Anhänger
gewann, notwendig darauf hinwirken, daß sich der Gottesdienst nach Mög-
lichkeit mit der ihm gebührenden äußeren Würde und Zier vollzog. Gab
es doch zu Rom im 3. Jahrhundert auch schon eine große Anzahl eigentliche
öffentlich bekannte, wenn auch noch nicht staatlich als solche anerkannte
Kirchen1. Dazu kommt, daß wir wirklich bereits auf einem Katakomben-
fresko des 3. Jahrhunderts bei einem Bischof unter der Pänula (Kasel) eine
dalmatikartige Tunika, um nicht zu sagen eine richtige Dalmatik antreffen.
Es ist die Szene der Einkleidung einer gottgeweihten Jungfrau in S. Priscilla2.
Demnach ist es keineswegs so ganz unwahrscheinlich, daß die Dalmatik schon
im Laufe des 3. Jahrhunderts zu Rom beim Gottesdienst in Gebrauch kam,
wenigstens beim Papste. Wenn daher Silvester I. wirklich die ihm im
L. P. zugeschriebene Verordnung erlassen haben sollte, was in sich durch-
aus nichts Unmögliches enthält, so ist dieselbe wohl dahin zu deuten, daß er
durch sie den Gebrauch der Dalmatik auf die Diakone ausdehnte, um diese
dadurch als die nächsten Ministri des Papstes vor den übrigen Klerikern aus-
zuzeichnen. Ob freilich die Dalmatik schon in vorkonstantinischer Zeit
ein eigentlich liturgisches Gewand war, falls sie damals wirklich beim Gottes-
dienst Verwendung fand, muß dahingestellt bleiben. Um das Ende des 4. Jahr-
hunderts dürfte sie aber wohl schon einen eigentlich sakralen Charakter be-
sessen haben. Die Art und Weise, wie der Verfasser der Quaestiones Novi
et Veteris Testamenti von ihr spricht, scheint darauf hinzuweisen.
Träger der Dalmatik waren, wenn vielleicht nicht ursprünglich, so
doch schon im 4. Jahrhundert zu Rom der Papst und die römischen Dia-
kone, und zwar hatten nach römischer Auffassung nur sie das Recht, sich
des Gewandes zu bedienen. Andere Bischöfe und andere Diakone bedurften dazu
einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Genehmigung des Papstes. Eine
solche gab z. B. Papst Symmachus (498 — 514) den Diakonen des hl. Cäsarius
von Arles3 und nahezu ein Jahrhundert später Gregor d. Gr. unter Beifügung
von zwei römischen Originaldalmatiken dem Bischof Aregius von Gap, der ihn
bei seiner Anwesenheit zu Rom darum gebeten hatte, für diesen selbst und seinen
Archidiakon*. Wir begegnen selbst noch um die Mitte des 8. Jahrhunderts
einer Verleihung des Rechtes an auswärtige Diakone. In der Bulle nämlich,
in welcher Abt Fulrad von St Denis 757 von Papst Stephan IL (752 — 757)
die Erlaubnis empfängt, sechs Diakone beim Gottesdienst verwenden zu dürfen,
erhalten diese Diakone zugleich die Ermächtigung, „allzeit bei Ausübung ihres
Ministeriums das Ehrengewand der Dalmatik anzuziehen" 5.
1 Die Beweisstellen sind sehr gut zu-
sammengestellt in Kirsch, J. P., Die christ-
lichen Kultusgebäude in vorkonstantinischer
Zeit, in „Festschrift zum elfhundertjährigen
Jubiläum des deutschen Campo Santo", Frei-
burg 1897, 6 ff.
2 Abbildung in Wilp., Die gottgeweihten
Jungfrauen ffl 1 und Wilp., Kat. Tfl 79.
Warum man das Gewand des Bischofs nur
als Armeltunika bezeichnet, die obere Tunika
der Orans des Fresko und anderer Oranten
aber als Dalmatik, will nicht recht einleuchten.
Ich sehe dafür keinen genügenden Grund.
3 Vita S. Caesarii Arel. 1. 1, c. 4 (M. 67,
1016) : Diaconos ipsius ad romanae instar
ecclesiae dalmaticarum fecit habitu prae-
minere.
* Epist. 1. 9, ep. 107 (M. 77, 1034).
5 J. 276; M. 89, 1018: Congruum pro-
speximus . . . sex constituere diaconos , qui
252
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Es sind im ganzen nur einige wenige Fälle bekannt, in welchen aus-
wärtigen Bischöfen und Diakonen die Erlaubnis gewährt wurde, sich der Dal-
matik zu bedienen; sie sind ohne Zweifel nicht die einzigen, welche erfolgten,
doch hat sich von den meisten alle Kunde verloren. Indessen hat man es
auch zu Born mit der Notwendigkeit einer ausdrücklichen Genehmigung zum
Gebrauch der Dalmatik wohl schwerlich allzu streng genommen und manch-
mal als Tatsache hingenommen, was man ohnehin kaum hätte ändern können.
Welche Verbreitung der Gebrauch der Dalmatik bis etwa zum Ende
des 6. Jahrhunderts bei auswärtigen Bischöfen und Diakonen gewonnen hatte,
sei es unter stillschweigender Anerkennung der tatsächlich erfolgten Herüber-
nahme des Gewandes , sei es mit ausdrücklicher Genehmigung seitens des
Papstes, läßt sich nicht bestimmen. Schon zu Ende des 4. Jahrhunderts
mag sie manchenorts bei den einen wie den andern eingebürgert gewesen sein,
wie vielleicht die früher angeführte Stelle aus den Quaestiones Veteris et
Novi Testamenti andeutet. Fanden wir sie doch selbst bereits im 3. Jahr-
hundert beim hl. Cyprian. Zu Mailand begegnet sie uns schon auf den dem
5. Jahrhundert entstammenden Mosaiken in der Kapelle des hl. Satyrus bei
den Bildern der hll. Ambrosius (Bild 62, S. 158) und Maternus, zu Ra-
venna aber erst auf den kurz vor 550 entstandenen Mosaiken in S. Vitale
bei dem Ersbischof Maximin und seinen Diakonen, woraus natürlich keines-
wegs folgt, daß sie daselbst erst im 6. Jahrhundert in Gebrauch genommen
worden sei.
Man hat aus der Definition, welche Isidor von Sevilla in seinen Etymo-
logien von der Dalmatik gibt: Dalmatica vestis primum in Dalmatia provincia
Graeciae texta est, tunica sacerdotalis Candida cum clavis ex purpura1, ge-
schlossen, daß das Gewand schon damals eine so große Verbreitung bei den
Bischöfen gefunden habe, daß der Heilige sie geradezu die „priesterliche
Tunika" nenne2. Indessen läßt sich das aus den Worten des großen Bischofs
von Sevilla doch wohl keineswegs folgern. Noch weniger aber berechtigen
sie zu dem Schluß, daß damals vielleicht auch schon Priester sich nach Weise
der Bischöfe der Dalmatik bedient hätten.
In Spanien und Gallien entsprach der diakonalen Dalmatik im
6., 7. und 8. Jahrhundert eine 'Tunika, welche Alba genannt wurde. Sie
stolam dalmaticae decoris induantur, ut sie
sacrum peragant omni tempore ministerium.
Eine Bulle, in welcher Gregor III. (731—741)
den Bischöfen Englands mitteilt, er habe
Tatwin, dem Erzbischof von Canterbury, den
Gebrauch der Dalmatik und des Palliums
verliehen und zum Primas von Britannien
bestellt, ist verdächtig; die Bulle des Papstes
Zacharias (741 — 752), in welcher dem Erz-
bischof Austrobert von Vienne das Recht
gewährt wird, das Gewand zu tragen, ist
gefälscht.
1 Etymol. 1. 19, c. 22 (M. 82, 684).
2 Wilp. , Gew. 39. Ob überhaupt Isidor
von der diakonalen und bischöflichen Dal-
matik spricht ? ob er nicht vielmehr an ein
Gewand des heidnischen Kultus bei seiner
Erklärung des Wortes denkt? Es ist auf-
fällig, daß er in seinen Etymologien sonst
nirgends auch nur das Geringste über die
christliche Kultkleidung des Neuen Bundes
verlauten läßt. Man vergleiche tunica (1. 19,
c. 22 ; ebd. 685), casula, planeta (c. 24 : ebd.
691), stola, anaboladium (c. 25 ; ebd. 692 f),
cingulum (c. 33 ; ebd. 702) und namentlich
auch pallium (c. 24; ebd. 689). Ganz
fehlen sudarium , mappula , campagus , udo
und, was besonders auffallend ist, alba und
orarium. Unter solchen Umständen ist es
offenbar sehr fraglich , ob Isidor bei sacer-
dotalis an ein Gewand des christlichen Kultus
denkt. Um mit Sicherheit den Sinn der
Stelle feststellen zu können, müßte man die
Quelle kennen, aus der Isidor geschöpft hat.
Im Itinerarium Hierosolymitanum n. 38 wird
von einem sarazenischen Priester auf dem
Berg Horeb erzählt, der mit einer Dalmatik
und einem linnenen Pallium bekleidet war
(Corp. SS. eccl. XXXIX 184) : Sacerdos ipsorum
indutus dalmatica et pallium lineum (sie).
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
25;
findet in den Quellen aus dieser Zeit wiederholte Erwähnung. So ist bei
Gregor von Tours (f 594) in der Historia Francorum von einem Archidiakon
die Rede, der am Weihnachtstage mit der Alba bekleidet den zur Kirche
kommenden Bischof in Empfang nimmt und einladet, zum Altar zu gehen1.
In der Vita S. Aridii begegnen uns Diakone, die in albis eine Bittprozession
um Abwendung übermäßigen Regens abhalten 2. Die Synode von Narbonne
vom Jahre 589 verordnet, es solle sich weder der Diakon noch der Lektor
unterfangen, vor Ende der Messe die Alba auszuziehen8; der 41. Kanon der
Statuta ecclesiae antiqua aber verbietet den Diakonen, die Alba anders als
zur Zeit der Messe und Lesung, also außerhalb der liturgischen Funktionen
zu tragen4. Nach dem 28. Kanon der vierten Synode von Toledo war es in
Spanien Brauch, den Diakonen bei ihrer Weihe außer dem Orarium auch die
Alba zu überreichen5. Demgemäß bestimmt die Synode in dem gleichen
Kanon, es solle die Restitution eines etwa unschuldig abgesetzten Diakons
durch die Zurückgabe beider Gewandstücke erfolgen. Auch Isidor von Sevilla^
erwähnt in seiner für die Folge so einflußreichen Schrift De ecclesiasticis
officiis im Kapitel, das von den Diakonen handelt, die diakonale Alba: Levitae
altari albis induti assistunt6. Eine freilich sehr mangelhafte Beschreibung
der Diakonalalba des gallikanischen Ritus gibt die unter dem Namen des hl. Ger-
manus gehende Meßerklärung. Wir erfahren daraus, daß sie von weißer
Farbe sein mußte, aus Seide oder Wollstoff bestand und ungegürtet ge-
tragen wurde.
Die Alba war zweifelsohne ein eigentlich liturgisches Gewand. Der
12. Kanon der Synode von Narbonne und noch mehr der 41. Kanon der
Statuta und der 28. Kanon der vierten Synode von Toledo bekunden das mit
aller Bestimmtheit. Seit wann sie jedoch ihren sakralen Charakter besaß, und
seit wann sie überhaupt im Gebrauch war, läßt sich nicht feststellen.
Ein privilegiertes Gewand der Diakone, wie die römische Dalmatik, war
diese Alba nicht. Sie kam auch den Lektoren zu, wie sich aus dem 12. Kanon
der Narbonner Synode ergibt, und wich in Bezug auf ihre Farbe, Form und
sonstige äußere Erscheinung von der subdiakonalen Tunika so wenig ab, daß
der 9. Kanon des zweiten Konzils von Braga es den Diakonen einschärfen zu
sollen glaubt, das Orarium über der Tunika zu tragen, weil man sie sonst
nicht von den Subdiakonen unterscheiden könne7. Wenn es eine Verschieden-
heit zwischen der Alba der Diakone und derjenigen des niederen Klerus gab,
1 L. 4, c. 44 (M. 71, 306).
2 C. 8 (ebd. 1124).
3 Can. 12 (Hard. III 493).
4 Ebd. I 981. Über Alter und Herkunft
der Statuta ecclesiae antiqua, bekannter unter
dem Namen der Kanones des sog. 4. Konzils
von Kartbago, liegen manche Untersuchungen
vor. Die Hauptarbeit ist die der Gebrüder
Ballerini im Appendix zu den Opera Leonis
Mag. II, c. 3, § 4 (M. 56, 104 ff), welche sie
als eine private Arbeit aus der zweiten Hälfte
des 5. Jahrhunderts bezeichnen. Vgl. auch
Hef., Concilien II 68. A. Malnory nimmt
dagegen die Statuta für Cäsarius von Arles
in Anspruch und setzt ihre Entstehung in
dieZeitvon502bis506(Congres scientif. inter-
nat. II, Paris 1888, 428 ff), während J. Peters
sie nach Spanien versetzt, wo sie in der
ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts zusammen-
gestellt sein sollen (Congres scientif. inter-
nat. II, Brüssel 1894, 220 ff; vgl. auch
TübingerQuartalschriftl896,693ff). Maassen
glaubt sich (Geschichte der Quellen und der
Literatur des kanonischen Rechts, Graz 1870,
382 ff) für Arles als Ursprungsort und die
zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts als Ent-
stehungszeit entscheiden zu sollen , P. H.
Brewer aber weist die Statuta auf Grund
neuerer , demnächst zu veröffentlichender
Forschungen Hilarius von Arles (f 449) zu
und lälit sie um 441 geschrieben sein.
s Hard. III 586.
6 C. 8 (M. 83, 789).
7 Hard. III 351.
254
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
so kann derselbe höchstens darin bestanden haben, daß man zur diakonalen
Alba besseres Material, namentlich auch Seide nahm.
Auf den Monumenten tritt vor dem 9. Jahrhundert im ganzen nur selten
die liturgische Dalmatik auf, weil Darstellungen von Bischöfen und Diakonen auf den-
selben bis dahin nicht häufig sind. Das früheste Bildwerk, auf dem sie uns begegnet,
ist das schon genannte Mosaik in der Satyruskapelle bei S. Ambrogio zu Mailand
mit den hll. Ambrosius und Maternus. Dann folgen die Mosaiken in S. Vitale zu
Ravenna (Bild 63, S. 159) und S. Apollinare in Classe, Werke aus der Mitte und der
zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts. In Kom lassen sich nach dem jetzigen Bestand
der Denkmäler mit Sicherheit Darstellungen mit der liturgischen Dalmatik erst im
7. Jahrhundert nachweisen l. Die frühesten Beispiele bieten daselbst die Mosaiken in
S. Agnese fuori le Mura und in der Kapelle des hl. Venantius bei der lateranensischen
Taufkirche. Dort erscheinen Honorius I. (Bild 64, S. 160) und Symmachus, hier
Johannes IV. , sein Nachfolger Theodorus , die heiligen Bischöfe Venantius , Maurus,
Domnio und der heilige Diakon Septimius im Schmuck der Dalmatik. Häufiger werden
Darstellungen, auf denen sie auftritt, auch zu Kom erst im 9. Jahrhundert.
Von einem eigenartigen Brauch, der im 6. Jahrhundert zu Rom bestand, erfahren
wir durch eine Bestimmung einer unter Gregor d. Gr. (ca 595) gehaltenen römischen
Synode. Es hatte sich daselbst ex amore fidelium die Sitte eingebürgert, den Leichnam
der verstorbenen Päpste auf dem Wege zur Begräbnisstätte mit Dalmatiken zu be-
decken. Nach erfolgter Beisetzung zerriß das Volk dieselben, und die Stücke wurden
dann als Kelicpuien pro sanctitatis reverentia unter die Gläubigen verteilt. Der Papst
verbietet diesen Brauch als durchaus unpassend und verordnet aufs strengste, daß in
Zukunft überhaupt keinerlei Decke auf die Bahre eines Papstes gelegt werden dürfe -.
Man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man es der Bedeutung, welche die Dalmatik in
Rom hatte, zuschreibt, daß man gerade zu dem genannten Zwecke die Dalmatik ver-
wendete 3. Auch bei der Bestattung von Diakonen kam es zu Rom vor, daß man über
die Bahre eine Dalmatik ausbreitete, wie aus einer Notiz im vierten Buche der Dia-
loge Gregors des Großen erhellt. Es wird dort nämlich berichtet . ein Besessener
1 Über die Fresken in S. Callisto, auf denen
die hll. Kornelius, Cyprian, Sixcus und Op-
tatus unter der Planeta die Dalmatik tragen,
vgl. oben S. 159.
2 Hard. III 497: Praesenti decreto con-
stituo , ut feretrum quo romani pontificis
corpus ad sepeliendum ducitur, nullo tegmine
veletur. Suam decreti mei curam gerere
sedis huius presbyteros et diaconos censeo.
Si quis vero ex eorum ordine haee curare
neglexerit, anathema sit.
3 C. 40 (M. 77, 397). Wenn Li eil (Die
Kirche des hl. Quiriakus zu Taben , Trier
1895 , 46) die Sitte mit dem angeblichen
Dekret des Papstes Eutychian (275—283):
Ut quicumque fidelium martyrem sepeliret,
sine dalmatica aut colobio purpurato nulla
ratione sepeliret (Du eh., L. P. I 159), in
Zusammenhang bringt, so geschieht das ohne
Grund, da ihr Zweck ein ganz anderer war.
Bei jener Verordnung erscheint die mit Pur-
purstreifen besetzte Dalmatik als Erkennungs-
zeichen der Märtyrereigenschaft des Toten,
während auf die Bahre des Papstes Dal-
matiken nur gelegt wurden, um nachher in
Stücke gerissen zu werden , die dann als
Andenken aufbewahrt wurden. Aber auch
Liells Behauptung , nach Aufhebung der
blutigen Verfolgung sei der Gebrauch, von
dem das Dekret Eutychians redet, bei Bischöfen
und Diakonen , die im Rufe der Heiligkeit
gestorben waren, beibehalten worden, ent-
behrt einer genügenden Unterlage. Oder ist
die römische Sitte, welche Gregor sich ab-
zuschaffen veranlaßt sah, und das vereinzelte
Faktum, von dem derselbe in den Dialogen
berichtet, wirklich schon ein Beweis? Erst
recht unberechtigt ist es jedoch, wenn Liell
den fraglichen Gebrauch als einen nicht bloß
zu Rom, sondern auch anderswo herrschenden
hinstellt (a. a. 0. 19). Unzutreffend ist es
endlich, wenn er meint, Papst Gregor habe
den Gebrauch, über die Leichen von Bischöfen
und Diakonen eine Dalmatik zu spreiten,
wieder auf die Märtyrer beschränkt. Das
Statut der römischen Synode sagt davon nicht
das Geringste. Wohl spricht es von vela-
mina a sacris corporibus apostolorum rnar-
tyrumque, allein sind denn etwa diese Hüllen,
welche man über die Gräber der Apostel-
fürsten — denn nur diese können gemeint
sein — und der heiligen Märtyrer ausbreitete,
mit den dalmaticae Eutychians ein und das-
selbe?
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
255
habe die Dalmatik berührt , welche auf der Bahre des zur Zeit des Papstes Sym-
machus (498 — 514) verstorbenen Diakons Pasehasius gelegen habe, und sei alsbald
geheilt worden.
III. DER GEBRAUCH DER DALMATIK SEIT DEM IX. JAHRHUNDERT.
Um das 9. Jahrhundert gehörte die Dalmatik ziemlich allgemein zum
Bestand der liturgischen Gewandung, und es bedurften weder die Bischöfe
noch die Diakone weiterhin einer besondern Ermächtigung, sie zu tragen,
die einen als Obertunika unter der Kasel , die andern als das ihnen eigen-
tümliche liturgische Obergewand. Daß sie sich bei den Diakonen allent-
halben eingebürgert hatte, mag teilweise darauf zurückzuführen sein, daß
man das angebliche Dekret Silvesters I. als allgemein geltende liturgische
Vorschrift auffaßte, ein Standpunkt, auf dem natürlich von der Notwendigkeit
einer speziellen Erlaubnis zum Gebrauch des Gewandes nicht die Rede sein
konnte. In Gallien aber war die karolingische Reform auf die Verbreitung,
welche die Verwendung der Dalmatik daselbst bei den Bischöfen und Diakonen
gewonnen hatte, sicher nicht ohne Einfluß.
Um das zweite Viertel des 9. Jahrhunderts war der Gebrauch des Ge-
wandes bereits so allgemein geworden, daß nach der Versicherung Walafried
Strabos hie und da selbst Priester dasselbe unter der Kasel tragen zu dürfen
glaubten 1. Wirklich sind auf dem Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen
alle Mönche von St Martin zu Tours mit einer einzigen Ausnahme - - einer
ist nämlich als Diakon gekleidet — in Dalmatik und Kasel dargestellt, ob-
schon doch keiner von ihnen Bischof war (Titelbild).
Zu Rom war es jedoch noch keineswegs Brauch, daß Priester sich der
Dalmatik bedienten. Hatten ja, wie aus dem S. G. K. hervorgeht, daselbst
nicht einmal die sieben Hebdomadar- oder Kardinalbischöfe, d. i. die Bischöfe
der sieben suburbikarischen Diözesen, welche an den Wochentagen in Ver-
tretung des Papstes in der Laterankirche abwechselnd den Dienst versahen
und bei den feierlichen päpstlichen Messen assistierten, bis ins 9. Jahrhundert
hinein das Recht, sie zu tragen. Der Grund hierfür lag ohne Zweifel im
Bestreben , diese bei ihren Funktionen von dem Papst durch die Kleidung-
besser zu unterscheiden. An Stelle der Dalmatik waren sie deshalb bloß mit
einer tunica alba, wie der S. G. K. sagt, bekleidet, d. i. mit einer Tunicella.
Indessen trugen sie die Dalmatik wohl nur zu Rom nicht, während sie in
ihren eigenen Diözesen sich derselben sicher bedienen durften, da ja hier der
Grund wegfiel, um dessentwillen sie zu Rom ohne das Gewand zu amtieren
hatten. Sie waren also keineswegs vollständig von dem Gebrauch der Dal-
matik ausgeschlossen. Ebendarum aber wurden auch sie wie alle andern
Bischöfe bei ihrer Konsekration mit dieser bekleidet2. Übrigens mag sich
1 De rerum eccl. exordio et increm. c. 24
(M. 114, 952): Ubi intelligitur, non omnibus
tunc fuisse concessum, quod nunc pene omnes
episcopi et nonnulli presby terorum sibi
licere existimant, id est, ut sub casula dal-
matica vestiantur.
■ Ordo 9, n. 4 (M. 78, 1005). Der Weihe-
ordo, wie er sich hier findet, ist ganz all-
gemeinen Charakters und galt daher zweifels-
ohne auch bezüglich der suburbikarischen
Bischöfe. Es liegt kein Grund vor . seine
Geltung einzig auf die übrigen Bischöfe der
römischen Kirchenprovinz und auf Bischöfe
anderer Provinzen, deren Weihe zu Rom
statthatte, zu beschränken. Wenn der Ordo
die Anweisung gibt, den Consecrandus vor
der heiligen Handlung unter anderem auch
mit der Dalmatik zu bekleiden , und zwar
nicht bloß mit der dalmatica minor, der tunica
alba des S. G. K , sondern auch der dalmatica
maior, der eigentlichen Dalmatik, so stand
dem auch bei den Kardinalbischöfen nichts
256
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
schon zeitig im 9. Jahrhundert die Sache dahin geändert haben , daß die
Suburbikarbischöfe auch zu Rom die Dalmatik trugen.
Seit welcher Zeit die römischen Kardinalpriester von der Dalmatik Ge-
brauch machen durften , ist nicht genau festzustellen. Um den Beginn des
1 1. Jahrhunderts waren sie sicher schon im Besitz dieses Privilegs. Denn
in dem Schreiben Klemens' II. an den Abt von Fulda aus dem Jahre 1046
sagt der Papst ausdrücklich: Dalmaticas nostri cardinales presbyteri ferunt1,
und als Viktor IL 1057 den Kardinalpriester Friedrich von Lothringen zum
Abt von Monte Cassino machte, verlieh er ihm zwar nochmals das Recht, die
Sandalen und die Dalmatik zu gebrauchen, bemerkte jedoch dabei, daß der
Neuernannte dasselbe eigentlich bereits vom Apostolischen Stuhl iure cardi-
nalatus empfangen habe2. Wie es scheint, datiert die Ingebrauchnahme des
Gewandes seitens der Kardinalpriester etwa aus der ersten Hälfte des 10. Jahr-
hunderts. Denn bald nach 950 beginnen die Verleihungen des Privilegs an
Äbte und an auswärtige Kardinalpriester.
Das früheste bekannte Beispiel einer Ei'teilung des Privilegs an Abte fällt in
die Zeit Johannes' XIII. (965—972), welcher 970 dem Abt des Klosters vom hl. Vin-
zenz zu Metz auf Ansuchen des Bischofs Theodorich Dalmatik und Sandalen ver-
lieh s. Im Jahre 986 ermächtigte dann Johannes XV. (985 — 996) den Abt Petrus
des Klosters S. Pietro in Celo d' oro zu Pavia, 994 aber den Abt Hatto von Fulda,
sich der Dalmatik zu bedienen J. Gregor V. (996 — 999) gewährte 998 das Privileg dem
Abt Alarich von Reichenau und seinen Nachfolgern auf Bitten Kaiser Ottos 5, Leo IX.
(1049—1054) 1050 dem Abt Fulco von Corbie, 1054 dem Abt Albuvinus von Nien-
burg auf Fürsprache des Abtes Richerius von Monte Cassino 6, Viktor IL (1055 — 1057)
1057 dem Abt Friedrich von Monte Cassino7, Nikolaus IL (1058—1061) dem Abt
Desiderius daselbst 8. Alexander IL (1061 — 1073) begabte mit dem Eecht, die Dalmatik
zu gebrauchen, 1063 den Abt Egelsinus vom St Augustinuskloster zu Ganterbury und
1069 den Abt Reinbert von Echternach9, Urban IL (1088—1099) 1088 den Abt
Hugo von Cluny10, Paschalis IL (1099— 1118) 1102 den Abt Anselm von S. Pietro in
Celo d'oro zu Pavia11, 1109 den Abt Pontius von Cluny, 1113 den Abt Johannes von
Nonantula und 1114 den Abt von S. Michele della Chiusa l2. Weitere Verleihungen
begegnen uns bis zum letzten Viertel des 12. Jahrhunderts unter Honorius IL (1124
bis 1130), Eugen III. (1145—1153), Alexander III. (1159-1181) und den Gegen-
päpsten Anaklet IL (1130—1138), Viktor IL (1159—1164), Paschalis III. (1164 bis
1168) und Calixt III. (1168—1178). Bei allen diesen Privilegien handelt es sich
übrigens nie um die Dalmatik allein, sondern stets zugleich um andere Teile des
Pontitikalornates. Bis ca 1050 sind es Dalmatik und Sandalen, deren Gebrauch den
im Weg, denen es ja nach dem oben Gesagten
nur verwehrt war, zu Rom in Vertretung des
Papstes oder als dessen Assistenten die Dal-
matik zu tragen, nicht aber, sich ihrer in
der eigenen Kathedrale zu bedienen. Wegen
des 9. Ordo vgl. neuerdings J. K ö s t e r s,
Studien zu Mabillons römischen Ordines,
Münster 1905 , 25 ff, dessen Ausführungen
jedoch sowohl in Einzelheiten wie iu ihren
Ergebnissen meines Erachtens teils nicht
genug begründet teils unzutreffend sind.
Von großem Nachteil für die Untersuchung
war, daß der Verfasser sich nicht über das
Alter der Handschriften in der Stiftsbibliothek
zu St Gallen, welche den 9. Ordo enthalten,
vergewisserte. Es mußte das den unumgänglich
notwendigen Ausgangspunkt derselben bilden.
1 J. n. 4134.
2 Ebd.4B68. Ähnlich in der Bulle Nikolaus'II.
für den Abt Desiderius von Monte Cassino
(ebd. 4397). Daß in den angeführten Stellen
nur von den Kardinalpriestern die Rede ist,
nicht von den Kardinalbischöfen, liegt daran,
daß es sich in den fraglichen Verleihungen
nur um eine Erteilung des Privilegs , die
Dalmatik zu gebrauchen, an Priester handelte.
3 Ebd. n. 3741.
4 Ebd. n. 3826 3853. 5 Ebd. n. 3880.
0 Ebd. n. 4212 4335. ' Ebd. n. 4368.
8 Ebd. n. 4397; M. 143, 1306.
9 J. n. 4541 4667. 10 Ebd. n. 5372.
11 Ebd. n. 5891 ; vgl. auch die Erneuerung
des Privilegs im Jahre 1105 (ebd. n. 6011).
12 Ebd. n. 6242 6354 6385.
Zweites Kapitel. Dahnatik und Tunicella.
257
Äbten gestattet wird; dann gesellen sieh zu denselben Mitra und Handschuhe oder
die Mitra bzw. die Handschuhe allein. Einige Bullen enthalten eine genaue Angabe
der Tage und der Gelegenheiten, für welche den Adressaten die Erlaubnis gegeben
wird , die Dalmatik zu tragen, die meisten schweigen jedoch darüber, wahrscheinlich,
weil die Eegeln für den Gebrauch des Gewandes als bekannt vorausgesetzt wurden.
Als Anlaß für die Erteilung des Privilegs wird in den Bullen bald das Verdienst des
Empfängers , bald die von diesem gestellte Bitte um Gewährung jenes Vorrechtes,
bald die ihm von einflufäreichen Persönlichkeiten zu teil gewordene Empfehlung oder
ähnliches bezeichnet.
Die erstbekannte Erteilung des Hechts, die Dalmatik zu tragen, an K a r d in a 1-
priester auswärtiger Kathedralen fällt in das Pontifikat Benedikts VII.,
welcher 975 den Kardinalpriestern von Trier für den Fall, daß sie dem Erzbischof
beim Pontifikalamt Assistenz leisteten oder in seiner Vertretung als Hebdomadare
im Dom zelebrierten , gestattet , sich dabei der Dalmatik und der Sandalen zu be-
dienen'. Eine Bulle, in welcher Benedikt VIII. (1012—1024) 1012 den zwölf Kardinal-
priestern von Magdeburg den Gebrauch der Dalmatik erlaubt, unterliegt hinsichtlich
ihrer Echtheit einigen Bedenken2. Leo IX. (1049 — 1054) erneuerte 1049 dem Erz-
bischof Eberhard von Trier das Privileg, welches Benedikt VH. dessen Vorgänger
Theodorich für seine Kathedrale gegeben hatte 3 ; den Kardinalpriestern von Besancon
aber erlaubte er nicht nur, sondern gebot er 1051 sogar, die Dalmatik zu tragen,
wenn sie an den Festen des Herrn , der Mutter Gottes , des Erzengels Michael , der
Apostel, des Erzmärtyrers Stephanus und einiger anderer Heiligen, sowie am Aller-
heiligen- und Kirchweihtage an dem von ihm selbst am 3. Oktober 1050 geweihten
Hochaltar der dortigen Kathedrale zelebrierten J. Eine Bulle, in welcher Leo IX. für
die Kölner Kathedrale sieben Kardinalpriester verordnet und denselben zugleich ge-
stattet , Festtags an den beiden Hauptaltären der Kirche mit der Dalmatik bekleidet
die Messe zu feiern, ist nicht ganz einwandfrei 5. Sicher wurde indessen das Privileg
100 Jahre später dem Erzbischof Arnold durch Eugen III. (1145 — 1153) für seine
Kathedrale gegeben 6.
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so ergibt sich als Praxis im
11. Jahrhundert: die Dalmatik ist das liturgische Obergewand der Diakone;
ebenso bildet sie allgemein einen Bestandteil der Pontifikalkleidung der Bi-
schöfe. Von den Priestern haben nur die römischen Kardinalpriester de iure
ein Recht, nach Weise der Bischöfe unter der Kasel die Dalmatik zu tragen.
Andere Priester dürfen solches nur kraft besonderer Ermächtigung seitens
des Apostolischen Stuhles. Es ist das die Praxis, welche von da an für alle
Folgezeit bis in die Gegenwart hinein in Geltung bleiben sollte. Sie ist der
Abschluß einer langsamen, durch manches Jahrhundert sich hindurchziehenden
Entwicklung.
Eine Insignie, d. i. das Abzeichen des Ordo. war die Dalmatik nie. Sie
hätte das ja auch nur bei den Diakonen sein können. Nun aber erscheint
sie niemals als diakonales Abzeichen. Das ist vielmehr schon zur Karolinger-
1 Ebd. n. 3783. "- Ebd. n. 3989.
3 Ebd. n. 4161.
1 Ebd. n. 4249; M. 143. 668.
'- J. n. 4271. J. hält den die Kaiser-
krönung betreffenden Passus für eingeschoben,
das übrige für echt, andere (vgl. J. a. a. O.)
bezeichnen die ganze Bulle als unecht. J.s
Ansicht dürfte den Vorzug verdienen. Wäre
die Bulle Leos IX. nur eine Bearbeitung der
Bulle Eugens III. , so versteht man nicht,
warum die Fälscher unterließen, auch die
Mitra aufzunehmen, die in letzterer den sieben
Braun, Die liturgische Gewandung.
Kardinalpriestern verliehen wird. In einer
Bulle Leos IX. aber paßt das Fehlen der
Mitra sehr gut. Außerdem ist es schwer
begreiflich , daß Eugen noch 1152 sieben
Kölner Diakonen und Subdiakonen das Recht
gewährt, die Sandalen zu tragen, wenn diese
sich nicht bereits infolge eines älteren Privi-
legs jenes Vorrechts erfreuten und sonach
Eugens Bulle nur Bestätigung eines älteren
Privilegs war. Eine erstmalige derartige
Verleihung ist für 1152 zu ungewöhnlich.
6 Ebd. n. 9515; M. 180, 1487.
17
258
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
zeit die Stola. Die Dalmatik war lediglich ein liturgisches Gewand, wie
z. B. die Kasel der Priester und die Pontifikalschuhe der Bischöfe und die
Tunicella der Subdiakone. Wohl war und ist es mit Ausnahme der Bi-
schöfe und Kardinäle de iure keinem andern als den Diakonen gestattet, sich
der Dalmatik zu bedienen1, indessen ist nicht jedes privilegierte Gewand
auch schon eine Insignie. Aber auch in der vorkarolingischen Zeit war die
Dalmatik kein Abzeichen des diakonalen Ordo. Wohl betrachtete man
sie anfänglich zu Rom als Vorrecht der römischen Diakone, doch nur in dem
Sinne, wie überhaupt ein auszeichnendes Gewand ein Vorrecht bildet. Es
verhielt sich mit der Dalmatik ähnlich wie mit gewissen modernen außer-
liturgischen Gewandstücken, z. B. dem Rochett, der Mozetta und der Cappa.
Sie sind privilegierte Gewänder bestimmter hervorragender Geistlichen, aber
nicht auch Insignien derselben. Außerdem aber war die Dalmatik zu keiner
Zeit ein den Diakonen allein und ausschließlich zukommender Ornat, den
niemand sonst besessen hätte. Wenn man daher auf die Bahre des Diakons
Paschasius dessen Dalmatik legte 2, so beweist das noch keineswegs, daß diese
als Abzeichen des diakonalen Ordo betrachtet wurde. Bildete sich ja im
6. Jahrhundert auch der Brauch, auf die Bahre der Päpste eine Dalmatik
auszuspreiten, und doch war diese zu keiner Zeit päpstliche Insignie.
IV. BESCHAFFENHEIT DER DALMATIK IN VORKAROLINGISCHER
ZEIT.
Die Dalmatik erscheint auf den Monumenten der vorkarolingischen Zeit
stets als eine lange, mit weiten Ärmeln ausgestattete Tunika. So schon auf
dem früher erwähnten Fresko in S. Priscilla, so später
auf dem Mosaik in S. Satiro zu Mailand, so auf den
ravennatischen Mosaiken des 6. und den römischen Mo-
saiken des 7. Jahrhunderts (Bild 118). Ein Unterschied
zwischen der Dalmatik der Diakone und Bischöfe ist nicht
zu bemerken. Sie ist bei beiden ganz dasselbe Gewand.
Die Weite der Ärmel muß sehr bedeutend gewesen
sein. Auf den musivischen Darstellungen in S. Venanzo
zu Rom kommt ihre vordere Breite nahezu der halben
Länge des Gewandes, ihr Gesamtumfang also beinahe
dessen ganzer Länge gleich. Ebenso verhält es sich auf
dem Mosaik in S. Satiro zu Mailand (Bild 62, S._158).
Dagegen sind auf den ravennatischen Mosaiken die Ärmel
der Dalmatik etwas enger, wenngleich auch hier ihre
Weite sich noch wenigstens auf ein Drittel der Gewand-
länge beläuft.
Was die Farbe betrifft, so ist die Dalmatik auf den
Bildwerken der vorkarolingischen Zeit stets weiß. Eine
Ausnahme bildet nur die Darstellung des hl. Ecclesius auf
dem Apsismosaik in S. Vitale zu Ravenna, auf welcher das
Gewand mit farbiger, aus Kreisen bestehender Musterung
Bild 118 Hl.Septimius. versehen ist_ Indessen ist dieses hier in seiner jetzigen Gestalt
Mosaik. , ,. , n ,_",..
Kom, s. venanzo. nicht mehr ursprünglich, sondern das Ergebnis einer im
1 Priester tragen natürlich die Dalmatik, wenn sie an Stelle von Diakonen fungieren, aber
dann auch nur die Dalmatik. 2 S. oben S. 254.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
259
12. Jahrhundert vorgenommenen Restauration.
Seine ganze Beschaffenheit läßt daran keinen Zwei-
fel. Die Dalmatik ist nämlich auch noch in anderer
Beziehung sehr auffällig und befremdend. Sie
ist sehr kurz, kaum daß sie unter der Planeta
hervorkommt, am Saum ungewöhnlicherweise mit
breiter Borte versehen und an der rechten Seite
der Vertikalbesätze mit roten Fransen geschmückt,
alles Dinge, die mit Sicherheit auf eine spätere
Restauration hinweisen K Wie die Dalmatik zu
Ravenna im 6. Jahrhundert aussah, zeigt die Dar-
stellung des Bischofs Maximian und seiner Dia-
kone auf der Seitenwand des Chores von S. Vi-
tale (Bild 63, S. 159).
Über den Stoff, aus dem die Dalmatik ge-
macht zu werden pflegte, können die Monumente
natürlich keine Auskunft geben. Es fehlt aber
darüber für die uns beschäftigende Periode auch
an genügenden sonstigen Angaben.
Im gewöhn-
lichen Leben waren um die Wende des 4. Jahr-
hunderts die Dalmatiken, wie der Maximaltarif
Diokletians zeigt, aus Leinwand, Wolle oder
Halbseide gemacht. Später, als die Seide häutiger
und billiger geworden war, hat es jedenfalls auch
ganzseidene profane Dalmatiken gegeben. Auch
beider liturgischen Dalmatik wird ursprüng-
lich Leinwand oder feiner Wollstoff die Regel
gewesen sein, später wurde indessen sicher auch
Seide zu ihrer Anfertigung verwendet. In dem-
selben Maße, in welchem die Kirche über größere
Mittel verfügte und das Ansehen und die Stellung
des Klerus nach außen sich hob, mußte ja auch
der Glanz, mit dem man die Feier des Gottes-
dienstes umgab, und der Reichtum der litur-
gischen Gewandung zunehmen. Es ist bemerkens-
wert, daß im 8. Jahrhundert zu Rom die untere
Dalmatik den Namen dalmatica linea führte2.
Die obere Dalmatik, d. i. die Dalmatik im eigent-
lichen Sinne, wird daher schon damals für gewöhnlich nicht aus Linnen,
sondern entweder aus Wolle oder aus Seide angefertigt worden sein.
Die Verzierung der Dalmatik bestand, wie es scheint, ursprünglich nur
in den sog. Clavi und in Besätzen am Saum der Ärmel, später aber auch
in Fransen, welche teils am Armelrand teils unten an der Seite des Gewandes
angebracht wurden. Die Clavi waren zwei schmale, über die Vorder- und
Rückseite der Dalmatik von den Schultern bis zum Saume verlaufende Vertikal-
streifen. Sie sind auf den ältesten Monumenten von dunkler, an tiefes
Violett erinnernder Farbe, auf späteren Darstellungen dagegen rot. Rote
Bild 119. Der hl. Optatus.
Rom, Callistuskatakonlbe.
S. unten im Kapitel Stola, Absehn. 3.
Ordo 1, n. 6 (M. 78, 940); vgl. ordo 3,
n. 6 (ebd. 978).
matik, gewöhnlii
Wegen di
her Tunica,
r unteren Dal-
vel. S. 284.
260
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Clavi begegnen uns zuerst auf den Mosaiken in S. Venanzo, jedoch nur auf
der Dalmatik der hll. Venantius und Domnio. Bei den übrigen sind sie von
schwärzlichblauer oder braungrauer Farbe.
Die Zierstreifen, welche den Ärmelsaum umziehen, setzen sich in der
Regel aus zwei schmalen, nahe nebeneinander stehenden Streifen zusammen.
Fransen begegnen uns schon auf dem Mosaik in S. Venanzo bei den Figuren
Johannes' IV. und des hl. Domnio. Sie sind hier unten links an der Dal-
matik angebracht und dienten, wie in späterer Zeit, zweifelsohne als Abschluß
der Ränder eines Schlitzes, mit dem man dort behufs Erleichterung des An-
ziehens das Gewand zu versehen pflegte. Eine ausgiebigere Verwendung mögen
die Fransen erst gegen Ende des 9. Jahrhunderts gefunden haben. Eine be-
stimmte Regel scheint für ihre Anbringung nicht bestanden zu haben, wenigstens
i ■ '-'" 'i th
Bild 120. Dalmatik. Moyen-Moutier.
finden sie sich auf den bildlichen Darstellungen bald an der rechten , bald
an der linken Seite des Gewandes. Fransen am Ärmelsaum kommen bei
dem Bild des hl. Optatus auf dem Wandgemälde der vier heiligen Bischöfe in
S. Callisto vor (Bild 1 19, S. 259) ; auf den römischen Mosaiken begegnen Avir ihnen
erst im 9. Jahrhundert. Die Ärmelfransen auf dem Fresko in S. Callisto
dürften ein Anzeichen sein , daß dieses später als im 6. Jahrhundert ent-
standen ist.
Eine treffliche Illustration zum Gesagten liefert eine zu Moyen-Moutier auf-
bewahrte Dalmatik, welche von den einen dem hl. Hildulf (f 707), von andern dem
hl. Leodegar (f 678) zugeschrieben wird, jedenfalls aber spätestens aus dem 8. oder
9. Jahrhundert stammt. Das Bild, welches das Gewand bietet, ist im wesentlichen
dasselbe, welches uns die Mosaiken von S. Venanzo und S. Vitale von der Dalmatik
gewähren (Bild 120).
Das Gewand ist 1,40 m lang, oben bei ausgestreckten Ärmeln 1,95 m, unten
0,92 m breit. Die Länge der Ärmel beträgt 0,515 m, ihre Weite 0,67 m. An den
Ärmelsäumen sind Fransen angebracht; außerdem umziehen dieselben ca 10cm vom
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
2(31
Rand entfernt zwei rote, 0,014 m breite, zu beiden Seiten von einer roten Linie be-
gleitete Streifen , zwischen denen vereinzelte , mit einer kreuzartigen Verzierung im
Innern versehene Kreise angebracht sind. Die clavi werden durch einen roten Mittel-
streifen von 0,014 m Breite, der rechts und links von einem ganz schmalen roten
Streifchen eingefaßt ist, gebildet. Clavi und Ärmelbesätze sind von Seide '.
Die Dalmatik von Moyen - Moutier ist für die Geschichte der Dalmatik um so
wichtiger, als sie in ihrer Art einzig dasteht.
Möglich allerdings , daß auch noch die 1833 im Schrein des hl. Quiriakus zu
Taben an der Saar aufgefundene Dalmatik bis ins 8. Jahrhundert hinaufreicht. Sie
besteht aus weißer, durch Alter vergilbter Seide mit einer technisch wie zeichnerisch
gleich interessanten Musteruiu
Ihre Länge beträgt 1,42 m, die Breite auf den
Schultern 0,73 m, am Saum 0,92 m. Über Vorder- und Bückseite ziehen sich zwei
schmale, aus roter Seide geschnittene und dem Gewandstoff aufgenähte Vertikalbesätze.
Die Ärmel fehlen gegenwärtig. Vielleicht , daß sie abgetrennt wurden , als man das
Gewand als Decke der Reliquien des Heiligen in dessen Schrein legte. Daß sie ur-
sprünglich vorhanden waren, deutet der Schnitt des nach oben zu sich verjüngenden
Gewandes genugsam an "-.
V. BESCHAFFENHEIT DER DALMATIK VOM IX. JAHRHUNDERT BIS
ZUM SPÄTEN MITTELALTER.
Im 9. Jahrhundert macht sich in Bezug auf die Form des Gewandes zu
Rom noch keine Veränderung bemerkbar, gleichviel ob es sich um die dia-
konale oder pontifikale Dalmatik handelt. Wie die Mosaiken in S. Marco
zu Rom, S. Prassede und S. Cecilia zeigen, hat es überall noch dieselbe Weite,
dieselbe Länge und dieselbe Breite der Ärmel wie vordem. Auch in der Folge
erweist man sich zu Rom und überhaupt in Italien noch lange Zeit sehr kon-
servativ. Die Miniaturen, zumal die der Exsultetroteln des 11. und 12. Jahr-
hunderts, die Fresken der Unterkirche von S. demente und andere Monu-
mente legen hierfür reichlich Zeugnis ab. Erst im 12. Jahrhundert treten
vereinzelte leise Spuren einer beginnenden systematischen Verkürzung des Ge-
Avandes auf.
Etwas anders als im Süden vollzieht sich die Entwicklung des Ge-
wandes im Norden. Hier erfährt es schon im 9. Jahrhundert eine deutlich
1 Journal de la Societe d'archeologie
lorraine Jahrg. 1854, 101 ff. Über Gewand-
fragmente aus rotem, taffetaitigem, dünnem
Seidenstoff in S. Ambrogio zu Mailand, welche
als Reste einer Dalmatik des hl. Ambrosius
bezeichnet werden , vgl. Revue 1899 , 307.
Ein früherer , mehrfach abweichender Be-
richt ebendort 1860, 652. Schon im 11. Jahr-
hundert glaubte man in S. Ambrogio die
Dalmatik des hl. Ambrosius zu besitzen. Ob
die Fragmente, welche Form und Schnitt des
Gewandes nicht mehr erkennen lassen, wirk-
lich von dem Heiligen herrühren , muß auf
sich beruhen bleiben. Von einer beim Gottes-
dienst von ihm gebrauchten Dalmatik stam-
men sie indessen nicht, da die liturgische
Dalmatik bis ins 10. Jahrhundert hinein stets
von weißer Farbe war.
2 Li eil, Die Kirche des hl. Quiriakus zu
Taben, Trier 1895, 38 ff mit Skizze der Dalmatik
und vortrefflicher Abbildung des Stoffmusters.
Der Verfasser sieht in dem Gewand ein alt-
christliches Kolobion (ärmellose Tunika) aus
dem 4. Jahrhundert. Was er jedoch an
Beweisen für seine Ansicht vorbringt, hält
einer ruhigen Prüfung keinen Stand. Eine
angebliche Dalmatik des hl. Lambertus in
der Liebfrauenkirche zu Maastricht ist erst
in jüngster Zeit in eine Dalmatik umgetauft
worden. Vordem hieß sie Superpelliceum
des hl. Lambertus. Die ältesten Nachrichten
über das Gewand reichen nicht über die Neu-
zeit hinaus. Clavi und Zierbesätze fehlen.
Der Stoff, eine Art gemusterter Gaze, ist
nach Musterung wie Technik ein Unikum ;
eine sichere Datierung des Gewandes ist
nicht möglich, es scheint indessen verhältnis-
mäßig jungen Ursprungs zu sein. Wir
würden nicht wagen, es dem hl. Lambertus
wirklich zuzuschreiben. Abbildung und ge-
naue Beschreibung bei Braun, Die Dalmatik
des hl. Lambertus (Zeitschrift 1899, 375fl'J.
262
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
wahrnehmbare Verringerung seiner Länge. Man ver-
gleiche z. B. das Widmungsbild in der Bibel Karls des
Kahlen (Titelbild), die Miniaturen des Sakramentars
von Autun (Weihestufen und der hl. Gregor der
Große), die Bischofsbilder im Metzer Kanon 1 u. a.
Am frühesten begann man bei der bischöflichen
Dalmatik mit der Verkürzung. Bei der d i a k o n a 1 e n
hielt man, wie es scheint, an der alten Form etwas
zäher fest, doch betrat man auch bei ihr nur zu
bald den gleichen Weg. So ist z. B. bereits auf
dem unter Erzbischof Angilbert (824—860) an-
gefertigten Mailänder Palliotto, der Arbeit des fränki-
schen Mönches Wolvinius, bei dem Diakon die Dal-
matik merklich verkürzt. Im 10. Jahrhundert muß
nicht bloß bei der Dalmatik der Bischöfe, sondern
auch bei der Diakonendalmatik im Norden das Zu-
stutzen bereits sehr um sich gegriffen haben, um
nicht zu sagen, allgemein üblich gewesen sein. Die
Darstellungen auf dem im Grab des hl. Kuthbert zu
Durham gefundenen Manipel, einer Arbeit aus der
Frühe des 10. Jahrhunderts2, Miniaturen des Tro-
pars von Prüm in der Pariser Nationalbibliothek
(Bild 121) und andere Bildwerke bekunden das zur
Genüge. Überall kommt auf ihnen unter der Dalmatik mehr oder weniger die
Albe zum Vorschein. Auch sind schon die Ärmel von geringerer Weite, als
es noch auf den Monumenten des 9. Jahr-
hunderts der Fall zu sein pflegt.
Übrigens war die Veränderung,
welche die Dalmatik im Norden erfuhr,
nach Ausweis der Bildwerke noch im 11.,
ja 12. Jahrhundert im ganzen wenig be-
Bild 121. St Laurentras.
Miniatur eines Tropars von
Prüm. Paris, Bibl. Nat.
deutend und bloß ein Anfang.
Erst gegen
Ausgang des letzteren wurde sie er-
heblicher.
Eine auf Bildwerken des 12. Jahr-
hunderts häufige Eigentümlichkeit der
Dalmatik besteht in Ausschnitten,
welche seitlich unten an Stelle bloßer
Schlitze bei ihr angebracht erscheinen.
Sie schließen oben bald geradlinig, bald
mit einer Rundung ab und sind regelmäßig
mit breiten Borten eingefaßt. Diese Ein-
richtung findet sich fast ausschließlich auf
deutschen, französischen und englischen
Monumenten. Eines der ältesten Bild-
werke, auf denen die Dalmatik mit jenen
Ausschnitten ausgestattet erscheint, ist
eine Miniatur des etwa um die Mitte des
1 Abbildung in Farben
pl. xv.
bei Louanilre
Bild 122. Translation der Reliquien des
hl. Stephanus. Miniatur eines Evangeliars.
Brüssel, kgl. Bibliothek.
2 Abbildung bei Roh. VII, pl. dxxxi, wo
der Manipel irrig als Stola bezeichnet ist.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
263
11. Jahrhunderts entstandenen Echternachter Evangeliars in der kg]. Biblio-
thek zu Brüssel. Sie stellt die Übertragung der Reliquien des hl. Stephanus
dar. Die Ausschnitte der Dalmatik sind hier noch gering (Bild 122).
Monumente aus der Wende des Jahrhunderts , auf denen sie bei dem Gewand
vorkommen, sind ein Tragaltar im Dom zu Paderborn ', eine Emailplatte in St Severin
zu Köln 2 und eine Miniatur in einem Pontifikale des Britischen Museums mit der Dar-
stellung des hl. Gregor des Großen 3. Ein wenig spätere Beispiele liefern verschiedene
Miniaturen des Salzburger Antiphonars *. Bildwerke aus der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts, welche die Ausschnitte aufweisen, sind unter andern mehrere Illustrationen
des Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg 5, die Miniaturen eines Evangeliars der
kgl. Bibliothek zu Stuttgart6, das Bild des hl. Heribert in einem aus Deutz stammen-
den Codex der fürstl. Bibliothek zu Donaueschingen '. Um 1200 bietet gute Beispiele
der Einrichtung die zweite Keihe der Eichstätter Bischöfe im Gundekarpontifikale 8.
Auf Siegeln ist die Einrichtung auf-
fallenderweise bei der Dalmatik weit sel-
tener, wenngleich sie auch auf ihnen bei
dieser nicht völlig fehlt. So treffen wir
sie auf den Siegeln der Bischöfe Alexan-
der (f 1147) und Kobert (t 1166) von Lin-
coln , Robert III. von Chartres (f 1 1 64) 9,
Hermann (f 1254) und Berthold (f 1267)
von Würzburg 10 an. Auch das Siegel des
Mainzer Domstiftes weist die Ausschnitte
auf (Bild 123).
Dafä dem Befund auf den Bildwerken
ein wirklicher Tatbestand entsprochen
haben muß, steht bei der grollen Zahl
der aus den verschiedensten Gegenden
stammenden und sich durch das ganze
12. Jahrhundert, ja vereinzelt selbst noch
bis in die zweite Hälfte des 13. hinziehenden
Beispiele außer Frage. Die barocke Form,
welche die Ausschnitte auf den Miniaturen
hie und da haben, wird indessen nur ein
Produkt der Phantasie der Künstler sein.
Die Ausschnitte der Dalmatik
verlieren sich auf den Bildwerken seit
etwa 1200 mehr und mehr, doch kommen sie vereinzelt noch bis gegen Ende
des 13. Jahrhunderts vor.
Über den Stoff, welcher zur Herstellung der Dalmatik verwendet zu
werden pflegte, erhalten wir auch in dieser zweiten Periode kaum je nähere
Nachrichten. Die Liturgiker schweigen sich darüber vollständig aus, und auch
Bild 123.
Siegel des Mainzer Domstifts
(13. Jahrli.).
1 Abbildung bei Bock, Die byzantinische
Zellenschmelze, Aachen 1890, Tfl 6. O.V.Falk e,
Deutsche Schmelzarbeiten des Mittelalters,
Frankfurt 1904, Tfl 10.
'* Bock, Das heilige Köln , St Severin.
O. v. Falke a. a. O. Tfl 2.
3 Cotton. Claudius A. III. Farbige
Abbildung bei Westwood, Facsimiles of
the miniatures of the anglo-saxon manuscr.
pl. L und A. Fiih, Geschichte der bil-
denden Künste, Freiburg 1903, Tfl 19.
Bei Goyau-Perate, Der Vatikan, Ein-
siedeln 1898, 37 irrig dem 10. Jahrhundert
zugeschrieben.
4 Lind, Ein Antiphonar mitBilderschmuck,
Wien 1870, Tfl 4 21 26 34 45.
5 Herr ade de Landsberg, Hortus de-
liciarum, Straßburg 1901, pl. xm liii lix lxi.
c Abbildung bei Roh. VII, pl. dlvi.
7 Roh.VII.pl.Div. 8„Eichstätts Kunst "36.
3 Roh. VII, pl. DLIII DCLIV.
10 Heffner, Die Würzburger Siegel im
Archiv des Historischen Vereins für Aschaffen-
bura und Unterfranken Tfl 6, n. 2.
264 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
die Inventare, von denen man doch am ehesten Aufschluß zu erwarten
berechtigt wäre, reden fast nie von dem Material des Gewandes. Immerhin
darf angenommen werden, daß wenigstens die Dalmatiken, Avelche man an
den höheren Festen gebrauchte, bereits im 11. und namentlich im 12. Jahr-
hundert regelmäßig aus Seide bestanden. Das läßt sowohl die reiche Aus-
stattung, welche man nach den Inventaren und den Bildwerken der Dalmatik
damals gern zu geben pflegte, als namentlich auch die Musterung, welche das
Gewand auf den Miniaturen aus jener Zeit häutig aufweist, vermuten. Denn
diese Musterung ist von ähnlicher Art wie die, welche uns auf den aus jenen
Tagen noch erhaltenen Seidenzeugen begegnet. Außerdem aber waren damals
nicht einmal seidene Subdiakonaltuniken etwas Außerordentliches mehr, und
dann bot ja auch im 11. und 12. Jahrhundert die Beschaffung der nötigen
Seidenstoffe weiter keine erheblichen Schwierigkeiten.
Im Beginn des 13. Jahrhunderts waren seidene Dalmatiken unzweifelhaft
schon so wenig selten, daß sie fast als das Gewöhnliche bezeichnet werden
dürfen. Man vergleiche z. B. die durch ihre genauen Angaben ausgezeichneten
Inventare von Salisbury (1222) und Mainz (erste Hälfte des 12. Jahrhunderts) 1.
Sie geben ein treffliches Bild des Bestandes der Sakristeien in den größeren
Kirchen damaliger Zeit. Nahezu alle in ihnen aufgeführten Dalmatiken er-
scheinen als aus Seide gemacht.
Was die Farbe anlangt, so wird die Dalmatik bis zur Wende des
Jahrtausends nach wie vor der Regel gemäß weiß gewesen sein. Jedenfalls
war sie es noch im 9. Jahrhundert. „Weiß soll die Dalmatik erglänzen, frei
von entstellenden Falten", singt Theodulf in seiner Paränese an die Bischöfe.
Bei Amalar ist der candor der Dalmatik Sinnbild eines unbefleckten Lebens.
Hraban spricht von der Farbe des Gewandes nicht ausdrücklich; daß er in-
dessen bei seinen Ausführungen an die weiße, mit Purpurstreifen verzierte
römische Dalmatik denkt, zeigt der Umstand, daß er deren purpureos tramites,
die purpurnen Besätze, erwähnt. Auch das Verhalten der karolingischen Minia-
toren ist bemerkenswert. Bei aller Vorliebe, welche sie für färbige Gewandung
hegen, und bei all ihren Sonderlichkeiten in der Anwendung der Farbe verwenden
sie für die Dalmatik regelmäßig entweder Weiß oder eine ersichtlich Weiß ver-
tretende helle Farbe. Daß zu Rom im 9. Jahrhundert das Gewand von weißer
Farbe war, bekunden die Mosaiken in S. Marco, S. Prassede u. a.
Seit dem Beginn des zweiten Jahrtausends werden aber farbige Dal-
matiken allmählich häufiger, namentlich außerhalb Italiens, wo die alte
Tradition, die in Rom so tief wurzelte, fehlte und die Neigung zur Weiter-
bildung der liturgischen Gewandung sich stets stärker geltend machte als im
konservativeren Süden. Indessen blieb wohl noch bis gegen Ausgang des
12. Jahrhunderts bei dem Gewand allenthalben Weiß vorherrschend. Sowohl
Johannes von Avranches wie Honorius nennen die Dalmatik schlechthin
Candida, und noch Sicard von Cremona sagt von ihr: est saepius Candida. . .
propter munditiam. Auch auf den Bildwerken ist im 11. und 12. Jahrhundert
das Gewand noch in den meisten Fällen von weißer oder doch heller Farbe.
Am frühesten scheinen bei den Bischöfen farbige Dalmatiken in Aufnahme
gekommen zu sein. Das Speculum de mysteriis ecclesiae bezeichnet sogar
- wenngleich zweifelsohne in übertriebener Weise ■ — die Pontifikaldalmatik
einfachhin als hyazinthfarbig (purpurn).
Sehr instruktiv ist auch das Register von Rochester.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tiinicella. 265
In den Inventaren dieser Zeit wird wie des Stoffes, so auch der Farbe
nur ausnahmsweise gedacht. So verzeichnet das Register von Rochester eine
Dalmatik aus weißem Damast, welche Erzbischof Lanfranc (f 1089) geschenkt
hatte, zwei Dalmatiken aus weißer, gemusterter Seide, welche Bischof Ernulf
(f 1124) gestiftet, eine, wie es scheint, rotseidene Dalmatik, die von Bischof
Gwalerannus (f 1184) gegeben worden war, und eine Dalmatik aus weißem
Damast, welche Bischof Gilbert (f 1214) der Kathedrale verehrt hatte.
Farbige Dalmatiken wurden erst das Gewöhnliche, seitdem sich ein litur-
gischer Farbenkanon herausgebildet hatte, d. i. seit der Spätzeit des 12. Jahr-
hunderts , und zwar offenbar gerade infolge der Fixierung bestimmter litur-
gischer Farben. Gab es einmal eine liturgische Farbenregel für das Obergewand
des zelebrierenden Priesters, so mußte es in der Tat passend erscheinen,
daß ihr auch das Obergewand der Diakone, die Dalmatik, und die ponti-
fikale Dalmatik folgten. Es entspricht ganz diesen Verhältnissen , wenn
Christian von Mainz in seiner Chronik gelegentlich der Beschreibung des vor-
maligen Domschatzes bei Aufzählung der Kasein alsbald auch der zu ihnen
gehörenden gleichfarbigen Dalmatiken und Tunicellen gedenkt.
Die Verzierung der Dalmatik bestand noch bis gegen das 13. Jahr-
hundert nach altem Brauch in den für das Gewand charakteristischen clavi.
Noch der große Innozenz III. betont, um von den diesbezüglichen Äußerungen
der früheren Liturgiker abzusehen , es müsse die Dalmatik vorn und rück-
wärts mit zwei von oben bis zum Saum laufenden roten Streifen versehen
sein. Wir finden denn auch die roten clavi auf den bildlichen Darstellungen
bis wenigstens zur Wende des 12. Jahrhunderts, d. i. bis sich die liturgische
Farbenregel ausbildete. Dann verschwanden sie entweder ganz von dem
Gewand oder es traten je nach der Beschaffenheit der Kasel andersfarbige an
ihre Stelle.
Freilich können auch schon vorher die clavi nicht mehr ausnahmslos
und in jedem Fall zur Anwendung gekommen sein. Denn es finden sich
bereits vor dem 13. Jahrhundert mehrfach Darstellungen der Dalmatik, auf
denen diese der roten Vertikalstreifen völlig entbehrt. Zum Teil mag das
allerdings seinen Grund in einer Vergeßlichkeit des Künstlers haben. In-
dessen kommen Dalmatiken ohne die clavi denn doch zu häufig vor, als daß
das Fehlen der letzteren stets auf Rechnung des Malers zu setzen wäre. Man
darf nicht vergessen, daß das Gewand sich schon lange in einem Stadium der
Entwicklung befand , bei welcher es zwar langsam , aber in stetigem Fort-
schritt immer mehr von seiner ursprünglichen Eigenart einbüßte, zumal fern
von Rom, wo keine Tradition einen hemmenden Einfluß ausübte.
Auch die schmalen Zierstreifen , die einige Zentimeter entfernt um den
Rand der Ärmel herum angebracht wurden, bleiben bis ins 12. Jahrhundert
hinein sehr beliebt, zumal zu Rom, wo z. B. noch das unter Innozenz II.
(1130 — 1143) entstandene Apsismosaik von S. Maria in Trastevere gute Bei-
spiele dieser Verzierung der Dalmatikärmel aufweist (vgl. Bild 21, S. 56).
Dann gehen sie in einen mehr oder minder breiten, dicht am Ärmelrand sich
hinziehenden Besatz über. Auf deutschen Miniaturen findet sich dieser schon
in der Frühe des 11. Jahrhunderts, wie beispielsweise auf einer den Bischof
Sigebert von Minden inmitten von Geistlichen darstellenden Miniatur in der
kgl. Bibliothek zu Berlin (Bild 124, S. 266) beim Diakon zur Linken des Bischofs.
Am Saum des Gewandes einen Besatz aufzunähen, war in vorkaro-
lingischer Zeit nicht üblich ; seit dem 9. Jahrhundert fängt man jedoch an,
266
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
vom 9. bis 13. Jahrhundert gern der Dalmatik zu teil werden ließ
früher gesagt wurde
auch hier einen solchen anzubringen. Er findet sich bereits bei den Diakonen-
darstellungen auf dem im Grab des hl. Kuthbert zu Durham gefundenen
Manipel und etwas später auf Miniaturen des Prümer Tropars in der Pariser
Nationalbibliothek (vgl. Bild 121, S. 262). Im 11. Jahrhundert sind Besätze
am Saum der Dalmatik auf den Bildwerken schon sehr häufig ; noch mehr
ist das im 12. der Fall. Auch hier scheint der Norden vorangegangen zu
sein, doch liefern selbst zu Rom bereits im 11. Jahrhundert die Fresken
in der Unterkirche von S. Clemente und nicht lange nachher die Mosaiken
von S. Maria in Trastevere gute Beipiele des Saumbesatzes der Dalmatik.
Von eigentümlicher Art war die Fransenverzierung, welche man
Wie
hatte man schon wenigstens im 7. Jahrhundert an-
gefangen, das Gewand unten an den
Seiten, den dort angebrachten Schlitz
entlang, mit Fransen zu besetzen. Etwas
später, wie es scheint, hatte man dann
auch solche am Ärmelsaum hinzugefügt.
Gegen das 9. Jahrhundert nun kommen
zu diesen Fransen an der Seite und an
den Ärmeln noch kleine Fransenbüschel
an den clavi. Die seitlichen Fransen
wurden nach Amalar, welcher uns die
erste Beschreibung dieses Fransen-
systems gibt, nur an der linken Seite
angebracht, die Ärmelfransen nur am
linken Ärmel. Wie die Fransenflocken
an den clavi angesetzt wurden, ob nur
von einer oder von beiden Seiten der-
selben her, geht aus Amalars Worten
nicht bestimmt hervor. Die Fransen
an der Seite und dem Ärmel waren wie
das Gewand von weißer, die an den
clavi angenähten Fransenbüschel wie
die clavi von roter Farbe. Die Zahl
dieser Büschel betrug im ganzen bald
56, bald 60, so daß auf den einzelnen
clavus entweder 14 oder 15 fimbriae
kamen. Im letzten Falle sollten sie nach Amalar die „fünfzehn Äste der
Gottesliebe" versinnbilden, von denen der Apostel Paulus im ersten Brief an
die Korinther (13, 4 — 7) spricht, wenn er sagt: Caritas patiens est, benigna est,
non aemulatur, non agit perperam, non inflatur, non est ambitiosa, non quaerit
quae sua sunt, non iritatur, non cogitat malum, non gaudet super iniquitäte,
congaudet autem veritati, omnia suffert, omnia credit, omnia sperat, omnia
sustinet.
Eine vorzügliche Illustration zur Schilderung , Avelche Amalar vom
Fransenschmuck der Dalmatik gibt, bilden die Skulpturen auf der Frankfurter
Elfenbeintafel und deren Gegenstück, dem ehemaligen Spitzerschen Elfenbein
(Bild 65, S. 167 und Bild 66, S. 168). Es ist fast, als ob er bei seiner
Beschreibung diese Tafeln vor sich gehabt hätte. Sowohl beim Bischof wie
bei den Diakonen finden sich Fransen nur am linken Ärmel, an der linken
Bild 124. Sigebert von Minden mit seinen
Klerikern. Miniatur eines Mindener Codes
(ca 1030). Berlin, tgl. Bibliothek.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
267
Seite und an den clavi; bei letzteren sind sie paarweise rechts und links
vom Streifen, dem stipes caritatis, wie Amalar sagt, angebracht. Am Ärmel
und an der Seite des Gewandes bilden die fimbriae eine fortlaufende Reihe,
an den Vertikalbesätzen vereinzelte Büschel.
Andere Bildwerke weichen mehr oder minder von den Angaben Amalars
ab, so z. B. das Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen (vgl. Titelbild)
und die Bischofs-
darstellungen im
Metzer Kanon. Bei
beiden fehlen an
der Seite die Fran-
sen; bei den clavi
sehen wir sie nur
an deren linker
Seite. Armelfran-
sen finden sich nur
auf der Miniatur
der Bibel, und zwar
teils am rechten,
teils am linken Är-
mel, überall aber in
Gestalt vereinzel-
ter roter Flocken.
Auf den r ö-
mischen Mosaiken
des 9. Jahrhunderts
kommen Fransen nur
an den Ärmeln und
der Seite des Ge-
wandes vor. Im ein-
zelnen herrscht aber
auch hier keine Über-
einstimmung. So ge-
wahrt man z. B. in
S. Marco bei der
Dalmatik des heili-
gen Diakon Agapitus
Fransen bloß an bei-
den Ärmeln , beim
heiligen Diakon Feli-
cissimus außerdem
unten links, und bei
dem Titelheiligen der
Bild 125.
Der Snbdiakon
(9. Jahrb.).
Juvenianus. Miniatur eines Codex
Rom, Bibl. Vallicelliana.
Kirche, dem Papste St Markus, außer an beiden Ärmeln auch unten rechts. Ganz
fehlen die Fransen auf den Mosaiken in S. Cecilia ; nur an der Seite der Dalmatik
sind sie angebracht auf den Mosaiken in S. Prassede bei Papst Pasehalis (unten links)
und einem heiligen Diakon (unten rechts). Eine Miniatur in einem Codex der Valli-
celliana (Rom), den man dem 9. Jahrhundert zuschreibt, zeigt uns die Fransen in merk-
würdiger Anordnung. Außer den mit Fransenbüscheln besetzten clavi und den Besätzen,
welche den Ärmelsaum der Dalmatik umgeben, laufen noch zwei breite rotfarbige, mit
vereinzelten Fransenflocken zu beiden Seiten geschmückte Zierstreifen quer oben über
den Ärmel. Der Miniator hat hier seiner Phantasie offenbar allzusehr die Zügel
schießen lassen (Bild 125).
268 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Angesichts der großen Mannigfaltigkeit, welche hinsichtlich der Fransen
auf den Bildwerken zu Tage tritt, ist es zweifellos, daß in Bezug auf die An-
bringung derselben eine einheitliche, feste Praxis nicht bestanden haben kann,
und daß, was Amalar darüber sagt, nur eine der vielen Weisen, die Dalmatik
mit fimbriae zu schmücken, darstellt. Es hing offenbar von örtlichen Gewohn-
heiten, vom Geschmack des einzelnen, von mystischen Erwägungen, die man
mit den Fransen verband, und ähnlichem ab, in welchem Umfang und in
welcher Weise diese zur Verwendung kommen sollten. Auch kann die frag-
liche Verzierungsweise des Gewandes bei aller Verbreitung, die sie im 9. und
10. Jahrhundert im Norden gehabt haben mag, in jener Zeit dort keineswegs
allgemein üblich gewesen sein; denn es fehlt nicht an Bildwerken aus den
Tagen der Karolinger, auf denen das Gewand vollständig der Fransen ent-
behrt. Dahin gehören z. B. die Darstellungen der Messe auf einem der Deckel-
elfenbeine (Bild 67, S. 170) und den Miniaturen des Drogosakramentars, die
Miniaturen des Sakramentars von Autun und die von Frankenhand geschaffenen
Reliefs des Palliotto von S. Ambrogio zu Mailand. Auch Hraban spricht nicht
von den fimbriae der Dalmatik, obwohl er ihrer purpurnen Vertikalstreifen
und der Armelbesätze Erwähnung tut.
Wann und wo die Sitte aufkam, nicht bloß an dem seitlichen Schlitz
und dem Armelrand Fransen anzubringen, sondern obendrein die clavi mit
roten Flöckchen zu verzieren, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Da sie
bereits im Beginn des 9. Jahrhunderts bestand, muß sie sich spätestens im
Lauf des 8. Jahrhunderts gebildet haben , und zwar geschah das allem An-
schein nach im Frankenland. Hier findet sie ja zuerst bei Amalar Erwähnung,
hier tritt sie auch zuerst auf den Bildwerken auf.
In Italien mag der Brauch überhaupt niemals große Verbreitung gefunden
haben. Bruno von Segni scheint nur von den Fransen an der Seite des
Gewandes zu sprechen. Auch ist die Zahl der italienischen Monumente,
auf welchen die fraglichen Fransen an den clavi der Dalmatik angebracht
sind, im ganzen nur gering. Um so beliebter wurde die Gepflogenheit im
Norden. Es ist keine bloße Wiederholung der Ausführungen Amalars, wenn
das Speculum de mysteriis ecclesiae, Robert Paululus und Honorius von
den an den Zierstreifen der Dalmatik angebrachten fimbriae reden. Es
gibt bis tief ins 12. Jahrhundert hinein zahlreiche Bildwerke, welche für
diesen Brauch Zeugnis ablegen. Begegnen uns die fimbriae an den clavi
doch noch auf der gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen zweiten
Serie der Bischofsbilder im Pontifikale Gundekars von Eichstätt. Erst
mit dem Ausgang des Jahrhunderts kommt die Sitte im Norden endgültig
in Abgang.
Allgemein war hier der Brauch indessen auch im 11. und 12. Jahr-
hundert nicht geworden. Man kann sogar fragen, ob er überhaupt das Gewöhn-
lichere gewesen sei. Denn neben den freilich zahlreichen Darstellungen, auf
welchen die Dalmatikbesätze mit Fransenflöckchen geschmückt erscheinen,
gibt es aus dieser Zeit fast noch mehr, auf welchen sie derselben gänzlich ent-
behren. Der Umstand aber, daß Honorius, Robert Paululus und das Speculum
der Gepflogenheit gedenken, beweist besten Falls bloß, daß man noch immer
die Vertikalbesätze und Armeiborden der Dalmatik gern mit fimbriae ver-
sehen habe, nicht aber auch, daß solches damals regelmäßig geschehen oder
gar Vorschrift gewesen sei, wie man aus Unkenntnis des Avirklichen Tat-
bestandes behauptet hat.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
269
Sowohl die Form der Fransen wie die Weise, in der sie den clavi an-
gesetzt erscheinen, sind auch im 11. und 12. Jahrhundert auf den Bildwerken
noch immer sehr verschieden. Wie im 9. und 10. Jahrhundert, so kann des-
halb auch jetzt weder in der einen noch in der andern Übereinstimmung
geherrscht haben. Selbst wenn man manches der dichtenden Phantasie oder
besser der Willkür der Künstler zuschreibt, bleibt noch immer zu viel Mannig-
faltigkeit, als daß man an eine mit dem Geist des Mittelalters ohnehin wenig
harmonierende einheitliche Praxis bezüglich der Fransen und ihrer Verwendung
glauben könnte. In Frankreich muß es nach Johannes von Avranches J
und dem Speculum de mysteriis ecclesiae Sitte gewesen sein , außer den
üblichen Flöck-
chen der Verti-
kalbesätze auch
auf Brust und
Rücken einem
dort angebrach-
ten Querbesatz
je drei Fransen-
büschel anzu-
nähen. Sie soll-
ten die heiligste
Dreifaltigkeit
symbolisieren.
Dalmatiken
des 9., 10., 11.
oder 12. Jahrhun-
derts , deren Be-
sätze mit fimbriae
geschmückt wä-
ren, haben sich
leider nicht er-
halten. Es fehlt
überhaupt , um
von der Dalmatik
zu Taben , die
vielleicht noch in
die vorkarolingi-
sche Zeit hinaufreicht, abzusehen, ganz an Dalmatiken, welche mit einiger Sicherheit
der uns hier beschäftigenden Periode zugewiesen werden könnten.
Ein als Dalmatik des hl. Ulrich bezeichnetes , aus purpurfarbigem , gelb und
grün gemustertem (Vögel in Kreisen) Brokatell gemachtes Gewand in St Ulrich zu
Augsburg, dürfte den ungemein engen Ärmeln zufolge eher eine Tunika gewesen sein,
wenn es überhaupt, was aber schwerlich der Fall ist, von dem Heiligen herrührt.
Eine zu Ambazac befindliche, dem hl. Stephan von Muret (fll24) zugeschriebene Dal-
matik wird erst dem 13. Jahrhundert entstammen2. Zwei Dalmatiken in der Alten
Kapelle zu Kegensburg, welche zu den früher erwähnten Kasein 3 daselbst gehören,
dürften wie diese frühestens aus dem Ende des 14. Jahrhunderts datieren. Eine der-
selben (Bild 126) scheint keine besondern Veränderungen in späterer Zeit erfahren
zu haben , bei der andern werden dagegen später die seitlichen Schlitze vergrößert
und Saum , Schlitze und Ärmel mit Fransen besetzt worden sein. Auch muß der
Bild 126. Dalmatik. Regensburg, Alte Kapelle.
1 De offic. eccles. in fine (M. 147, 62) : voll-
ständig ebd. 210.
2 Abbildung bei Rob. VII, pl. dxlvi.
3 S. oben S. 188.
270
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Kopf durchschlupf eine Erweiterung erlitten haben. Die vordere Ärmelweite beträgt
bei dem zweiten der beiden Gewänder 0,35 m, die Länge 1,20 m, die Weite am
unteren Saum 1,20 m. Die entsprechenden Maße des ersten sind 0,25, 1,35 und
1,28 m. Ein Besatz fehlt an beiden Dalmatiken.
V. BESCHAFFENHEIT DER DALMATIK SEIT DEM SPATEN
MITTELALTER.
Als Stoff gebrauchte man zur Dalmatik in den letzten Jahrhunderten
des Mittelalters mit Vorzug Seide. Ein Blick in die vielfach sehr ins einzelne
gehenden Inventare dieser Zeit läßt daran keinen Zweifel. Es wurden sogar
mit Vorliebe zu ihrer Herstellung bessere Seidenstoffe verwendet. Unter den
zahlreichen Dalmatiken, welche sich aus dem späten Mittelalter erhalten haben,
ist dementsprechend denn auch kaum die eine oder andere, die nicht aus
Seide bestände. Das ist namentlich da besonders bemerkenswert , wo sie
sich, wie zu Danzig, in großer
Anzahl in unsere Zeit hinein
gerettet haben, nicht weil man
bestrebt gewesen wäre, sie
wegen ihres kostbaren Stoffes
vor dem Untergang zu be-
wahren, sondern weil sie ihrer
Zeit lediglich beiseite gelegt
wurden und dann bis in unsere
Tage völliger Vergessenheit
anheimfielen. In den Inven-
taren werden die Dalmatiken
in der Regel in Verbindung
mit der Ivasel, zu welcher sie
gehörten, aufgeführt.
In Deutschland begegnet
uns etwa seit dem Ausgang
des 14. Jahrhunderts die eigen- .
tümliche Sitte, die Dalmatik
aus Stoffen von verschiedener
Farbe und Musterung zusammenzusetzen. Eine bestimmte Regel gab es dafür
nicht. Bald bestanden bloß Giren und Rumpf, bald bloß Ärmel und Rumpf, bald
Giren, Ärmel und Rumpf aus ebenso vielen verschiedenen Stoffen. Hie und
da ging die Laune und Geschmacklosigkeit selbst so weit, die Vorderseite
des Gewandes aus ganz andern Zeugen zu machen als die Rückseite. Treff-
liche Belege des Gesagten liefern die Dalmatiken im Dom zu Halberstadt
und in St Marien zu Danzig. Bei einzelnen sind nicht weniger denn vier
verschiedene Stoffe zur Verwendung gekommen, einer für den Gewandkörper,
ein zweiter für die Ärmel, ein dritter für den unteren Teil der Giren, ein
vierter für den oberen Teil derselben (Bild 127). Das abschreckendste Beispiel
einer derartigen Dalmatik findet sich im herzoglichen Museum zu Braun-
schweig, eine wirkliche Musterkarte von Stoffen, bei der auf einer Seite sich
selbst der Rumpf aus zwei verschieden gemusterten Seidenzeugen zusammen-
setzt. Zum Teil mag die Entstehung solcher Gewänder sich durch das
Bestreben erklären, vorhandene Stoffreste zu verwerten. Doch trug sicherlich
auch ein Stück Mode die Schuld daran. Die Periode, in der wir mehrstoffige
Bild 127. Dalmatik. Danzig, Marienkirche.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
271
Dalmatiken antreffen , ist dieselbe Zeit , in der auch im profanen Leben die
buntscheckige Tracht blühte.
Bestickte Dalmatiken werden nur selten in den Inventaren erwähnt
und wohl auch in Wirklichkeit nicht häufig gewesen sein. Finden sich deren
doch selbst im Verzeichnis der Schätze Bonifaz' VIII. nur etwa drei ver-
zeichnet, während in dem sehr detaillierten Inventar von St Peter aus dem
Jahre 1361 auch nicht eine einzige, wie es scheint, aufgeführt wird.
Zwei schöne Beispiele derartiger Dalmatiken , Arbeiten des 13. Jahrhunderts,
besitzt der Dom zu Halberstadt. Bei der einen besteht der Rumpf aus rotem Seiden-
köper , während die Ärmel aus gelber Seide gemacht sind ; die andere ist ganz aus
einem schweren, hochroten Seidenstoff angefertigt. Bei beiden Gewändern ziehen sich
ild 128. Dalmatik. Halberstadt, Dom.
über die Vorder- wie Rückseite in einer Entfernung von beiläufig 0,35 bzw. 0,30 m
voneinander drei schmale Streifen von oben bis unten , von welchen in bestimmten
Abständen nach rechts und links Ranken ausgehen wie eine Reminiszenz an die ehe-
maligen fimbriae. Den Raum zwischen diesen Vertikalstreifen füllen bei der einen
Dalmatik außer kleinen über den Grund zerstreuten Ornamenten Centauren, die einen
Hirsch jagen (Bild 128), auf der andern Löwen ', die von einem Doppelkreis umrahmt
sind. Alle Stickereien sind in Gold, und zwar in ungemein zarter Abhefttechnik, aus-
geführt. Die Ärmel wurden ohne Verzierung belassen.
Eine andere reich in Gold bestickte Dalmatik birgt die Kathedrale zu Anagni.
Das Gewand entstammt ebenfalls dem 13. Jahrhundert, hat aber leider zu Ende des
16. Jahrhunderts durch eine Restauration seine ursprüngliche Form eingebüßt. Sie
wurde von Bonifaz VIII. der Kathedrale geschenkt und ist wie die früher erwähnte
Abbildung bei Bock II, Tfl 5.
272
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Kasel ', der sie entspricht, ein sehr kostbares Stück. Der ganze Fond des Gewandes
ist auch hier mit mächtigen Kreisen bedeckt, in denen doppelköpfige Adler, zu
Paaren gestellte Papageien und Greife angebracht sind. Den freien Raum zwischen
den Kreisen füllt wie bei ähnlich gemusterten Brokaten ein kreuzförmig gestaltetes
Blattornament. Im Inventar der Gaben , welche Bonifaz VIII. der Kathedrale von
Anagni zukommen ließ, ist die Dalmatik verzeichnet als: Item una dalmatica rubea
cum grifis et aliis avibus , aquilis cum duobus eapitibus et paraturis in manicis et
fimbriis ad ymagines et pernas (= perlis) -.
Sehr selten müssen Dalmatiken gewesen sein, welche mit figürlichen
Darstellungen bestickt waren. Zwei ungemein kostbare Gewänder dieser Art
sind in dem Verzeichnis der Geschenke, die Bonifaz VIII. der Kathedrale von
Anagni machte, mit den Worten vermerkt: Item una dalmatica contexta de
Bild 129. Dalmatik. Goß (Steiermark).
auro, argen to et serico cum 82 plactis de auro et perlis ad ystoriam beati
Nicolai; item una dalmatica de samito rubeo cum diversis passionibus sanctorum
ad ymagines salvatoris et virginis in pectorale et foderata sennato (= cendato)
viridi. Die zweite dieser Dalmatiken ist ganz verschwunden. Die erste da-
gegen ist zwar noch vorhanden, jedoch inzwischen in eine Kasel umgewandelt
1 S. oben S. 222.
2 Bei der Restauration hat die Dalmatik
leider ihre kostbaren gestickten Besätze ver-
loren. Die jetzt auf ihr angebrachten schmalen
Böi'tchen stammen aus dem Ende des
16. Jahrhunderts. Eine Tuniceila im Schatz
der Kathedrale von Anagni von derselben
Art wie die Dalmatik ist nicht ursprünglich,
sondern wurde um das Ende des 16. Jahr-
hunderts aus einem Pluviale angefertigt, das
im Verzeichnis Bonifaz' VIII. beschrieben
wird : Item unum pluviale de samito rubeo
laborato ad acum de auro battuto ad grifos.
pappagallos et aquilas cum duobus eapitibus
et aurifrisio cum pernis. Von diesem Pluviale
wurde auch genommen, was seiner Zeit
zur Restauration der schadhaft gewordenen
Dalmatik nötig war.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
273
und zu dem Ende aufs bedauerlichste verstümmelt worden. Nur die Ärmel
dienen noch ihrem alten Zweck; sie sind jetzt an einer Bilderdalmatik des
Schatzes, welche um das Ende des 16. Jahrhunderts aus einem mit Figuren-
werk auf das glänzendste bestickten Pluviale hergestellt wurde, angebracht 1.
Die einzige mit Bildwerk bestickte Dalmatik aus dem 13. Jahrhundert,
welche im wesentlichen wohlerhalten auf die Gegenwart gekommen ist, be-
findet sich zu Goß in Steiermark. Sie bildet mit der früher erwähnten Kasel,
einem Pluviale, einer Timicella und einem Antependium einen vollständigen
Ornat. Die Veränderungen, die mit ihr vorgegangen sind, bestehen in der
Hauptsache bloß in einer Verkürzung ihrer Länge und in einer Vergrößerung
des Halsausschnittes. An figuralen Darstellungen findet sich nur eine auf
dem Gewand, die Verkündigung, im übrigen besteht alles Ornament aus
geometrischen Gebilden und phantastischen, quadratischen Feldern eingefügten
Tiergestalten.
Ein Kunstwerk
und schön kann
die Dalmatik
nicht gerade ge-
nannt werden,
dafür ist die Ar-
beit zu derb, das
Arrangement zu
unruhig und die
Farbengebung
zu bunt, aber sie
ist interessant
und kunstge-
schichtlich un-
zweifelhaft aller
Beachtung wert
(Bild 129).
Aus dem
14. Jahrhundert
gibt es keine
Bilderdalmatik ;
dem 15. gehört die mit Bildwerk auf das großartigste bestickte Dalmatik des
burgundischen Meßornats in der k. k. Schatzkammer zu Wien an (Bild 130).
Den Fond des Gewandes bedecken die Darstellungen männlicher Heiligen, auf
den Besätzen haben lobpreisende Engel Platz gefunden. Anordnung des Bilder-
schmucks, Technik und Material sind bei der Dalmatik (wie die übrigen
Bestandteile des Ornats eines der hervorragendsten Erzeugnisse der Stickkunst
aller Zeiten) die gleichen wie bei der schon beschriebenen Kasel.
Manches Bemerkenswerte bieten in dem uns beschäftigenden Zeitraum
Form und Ausstattung der Dalmatik.
Im 13. Jahrhundert beträgt die Länge des Gewandes etwa 1,40 — 1,30 m.
In Italien und insbesondere in Rom bleibt es so auch noch im 14. Jahrhundert,
während im Norden, wo sich die auf Verkürzung des Gewandes hinzielende
Bild 130. Dalmatik
Wien, k. k. Schatzkammer.
1 Das Pluviale war ebenfalls ein Geschenk
Bonifaz' VIII. und wird im Gabenregister
beschrieben als : Item unum pluviale laboratum
Braun, Die liturgische Gewandung.
ad aurum de auro battuto et serico de di-
versis ystoriis et passionibus sanctorum,
foderatum de purpura ad aves croceas.
18
274
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obersiewänder.
Tendenz nach wie vor stärker als im Süden geltend machte, die Länge damals
nur selten mehr 1,30 m überschritten haben dürfte. Im 15. Jahrhundert er-
scheint auch in Italien die Dalmatik schon merklich zugestutzt, in Deutsch-
land aber war ihre Länge um diese Zeit bereits auf 1.25 — 1,20 m herabgesunken.
Im 16. Jahrhundert war das Gewand auch in Italien nur mehr ca 1,20 m lang.
Die Ärmelweite bleibt in dieser Periode sich ziemlich gleich. In der
Regel bewegt sie sich zwischen 0,30 bis 0,35 m. Unter 0,25 m scheint sie
nach Ausweis der Monumente und der noch erhaltenen Dalmatiken nur selten
herabgestiegen zu sein. Ebenso dürfte sie aber auch kaum je 0,40 m über-
schritten haben.
An den Seiten des Gewandes war regelmäßig zur Erleichterung des
Anziehens ein Schlitz angebracht. Nur bei Dalmatiken, welche durch An-
fügung von Giren unten eine Breite erhalten hatten, daß Schlitze überflüssig
erscheinen mochten , fehlten allenfalls
solche. Was die Länge der Schlitze
anlangt, so reichten dieselben im 13.
und teilweise noch im 14. Jahrhundert
durchweg nur bis etwa zur Mitte der
Seiten. Dann werden sie immer größer,
bis sie zuletzt vom Saum bis zu den
Ärmeln gehen. Die Ärmel selbst blie-
ben noch im 15. Jahrhundert fast aus-
nahmslos geschlossen. Wenn Dalma-
tiken, die aus der Wende des Mittel-
alters stammen, auch unter dem Ärmel
aufgeschlitzt sind, so ist der Schlitz
regelmäßig erst in späterer Zeit an-
gebracht worden , als es Brauch ge-
worden war, die Ärmel durch Ärmel-
lappen zu ersetzen. Das einzige Beispiel
einer Dalmatik aus dem 15. Jahrhundert,
deren Ärmel an der Unterseite von
Anfang an geöffnet waren, bildet die
zum Meßornat des Ordens vom Goldenen
Vlies gehörende Dalmatik (Bild 130, S. 273). Sie werden hier mit Hilfe von
Knöpfen und Schleifen geschlossen. Allein es begreift sich angesichts der
schweren Stickereien, mit denen die Ärmel bedeckt sind, unschwer, daß man
hier dazu überging, diese aufzuschlitzen. Andernfalls wäre es kaum möglich
gewesen, das Gewand anzuziehen.
Auch der Kopfdurchschlupf wurde bisweilen mit seitlichen Schlitzen,
welche nach Anlegung des Gewandes mit Schnüren geschlossen wurden, ver-
sehen. Im 15. Jahrhundert wurde es Brauch, an den Enden dieser letzteren eine
Quaste anzubringen, welche man von den Schultern über Brust und Rücken
oder auch bloß über den Rücken herabhangen ließ. Frühe Beispiele dieser Ein-
richtung, welche in Italien aufgekommen zu sein scheint, bieten die Fresken Fra
Angelicos in der Kapelle Nikolaus' V. im Vatikan (vgl. Bild 58, S. 144). Später
wurden aus der einen Quaste oft zwei, drei oder gar ein ganzes Quastenbündel ;
außerdem wendete man nun häufig Schnüre mit Quasten als bloßen Zierat
auch bei solchen Dalmatiken an, bei denen sich keine Schlitze neben dem Kopf-
durchschlupf befanden und die Schnüre daher nicht zum Zubinden dienen konnten.
Bild 131. Dalmatik. Sens, Kathedrale.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
275
Was das Gesamtbild der Dalmatik anlangt, so muß seit dem 13. Jahr-
hundert jene Form vorgeherrscht haben, bei welcher sich das Gewand von
den Ärmeln an nach unten zu mehr oder weniger erweiterte. Es gibt
unter den zahlreichen noch vorhandenen Dalmatiken aus dem 13., 14. und
15. Jahrhundert nur sehr wenige, bei welchen der Gewandrumpf überall
die gleiche Breite hat. Zu ihnen gehören z. B. die Dalmatiken im Hospiz
zu Lisieux (Frankreich) und eine Dalmatik samt Tunicella im Historischen
Museum zu Bern. Die meisten nehmen nach unten an Weite zu , die einen
nur mäßig, wie z. B. die sog. Ebbo-Dalmatik in der Kathedrale zu Sens,
eine aus äußerst dünnem, violettem Taft gemachte, mit einfachen Zier-
streifen versehene bischöfliche Dalmatik (Bild 131), andere dagegen in
bedeutendem Mai? (vgl. Bild 127, S. 270).
Eine große Mannigfaltigkeit
herrschte im 13., 14. und 15. Jahr-
hundert hinsichtlich der Aus-
stattung der Dalmatik. Fran-
senbüschel an den clavi waren
nicht mehr üblich. Wenn Duran-
dus ihrer noch gedenkt, so sind
seine Worte kein Spiegelbild des
damaligen Brauches, sondern ohne
Rücksicht auf die bestehenden
Verhältnisse wörtlich aus älteren
Liturgikern herübergenommen.
Sogar die clavi waren stark in
Abgang gekommen, und das nicht
bloß außerhalb Roms, sondern
selbst bei den römischen Dal-
matiken. Man durchlese nur das
Inventar Bonifaz' VIII., das Ver-
zeichnis der Paramente, welche
derselbe Papst der Kathedrale von
Anagni schenkte, und die Inven-
tare von St Peter, zumal das
detaillierte Inventar vom Jahr
1361. Nur sehr selten werden
darin Dalmatiken verzeichnet, welche von der Schulter bis zum Saum sich
hinziehende Vertikalbesätze aufwiesen. Auch die römischen Monumente des
13. Jahrhunderts lassen diese Zierstreifen durchweg vermissen (Bild 132).
Erst gegen das 15. Jahrhundert kommen die Vertikalbesätze wieder mehr in
Gebrauch, in Rom und überhaupt in Italien sowie in Spanien in Form
schmaler, etwa 2 — 3 cm breiter Streifen, in Deutschland und Frank-
reich dagegen in Gestalt breiterer Borten, die bald eigens zu diesem Zweck
gewebt oder gestickt, bald aus einem zum Gewandstoff kontrastierenden Stoff
geschnitten waren. Man begnügte sich sogar hie und da nicht einmal mit
zwei Vertikalstreifen , sondern brachte , wie Dalmatiken in den Domen zu
Halberstadt und Brandenburg bekunden, ihrer auch wohl drei auf den beiden
Gewandseiten an. Anderseits ließ man freilich, wie die zahlreichen Dalmatiken
in St Marien zu Danzig zeigen, auch noch im 15. Jahrhundert häufig alle
Besätze fort.
IS*
Bild 132. Papst Silvester zeigt Kaiser Konstantin
die Bilder der Apostelfiirsten. Fresko.
Rom, S. Quattro Coronati (Kapelle des hl. Silvester).
276
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obere;ewänder.
Nach römischem Brauch bestand die Ausstattung der Dalmatik im
13., 14. und 15. Jahrhundert aus Besätzen (paraturae) die den Rand der
Ärmel rings umgaben und, wenn breit, in den Inventaren auch wohl schlecht-
hin manicae, Ärmel, genannt zu werden pflegten, aus den fimbriae (grammata,
listae. aurifrisia, fasciae), d. i. parurenartigen Zierstücken am Saum der
Vorder- und Rückseite des Gewandes , und dem aurifrisium ad Collum , einer
schmalen , den Kopfdurchschlupf umziehenden Borte. Dazu kamen vielfach
noch aurifrisia ad spatulas, Borten, welche vom Hals der Länge nach über die
Schulter bis zum Ärmelansatz liefen , ferner aurifrisia ad brachia , Borten,
welche die Stelle verdeckten, wo die Ärmel dem Rumpf angesetzt waren,
dann Zierbesätze auf Brust und Rücken nach Art der fimbriae des Saumes
und endlich , jedoch häufiger
erst seit dem 15. Jahrhundert,
zwei aus einer Borte gebildete
Vertikalbesätze von der Art
der ehemaligen clavi, aurifrisia
genannt. Auffallend ist die ge-
ringe Übereinstimmung, welche
den Inventaren zufolge zwischen
den verschiedenen Besätzen in
Bezug auf Stoff, Farbe, Muste-
rung, Stil und Technik ge-
herrscht haben muß. Allein
das Mittelalter liebte eine bunte
Mannigfaltigkeit und war da-
bei keineswegs engherzig und
feinfühlig, eine Wahrnehmung,
die man auf allen Gebieten
des damaligen Kunstschaffens
machen kann.
Besondere Beachtung ver-
dient der Wechsel, welcher mit
den Maßverhältnissen der fim-
briae (Saumbesätze) allmählich
vor sich ging. Im 13. und
14. Jahrhundert haben sie die
Form eines langgezogenen, ver-
hältnismäßig niedern Recht-
ecks, im 15. aber nähern sie sich einem Quadrat oder nehmen selbst völlig
Quadratsgestalt an. Die fimbriae, welche man bei der Dalmatik der Leiche
Bonifaz' VIII. antraf, besaßen nach dem Protokoll über den Leichenbefund
eine Länge von ca 0,7 m und eine Höhe von ca 0,35 m. Die Saumbesätze
einer dem 14. Jahrhundert entstammenden Dalmatik (richtiger wohl Tuni-
cella) in der Pfarrkirche zu Castel S. Elia haben bei einer Länge von 0,73 m
eine Höhe von nur 0,24 m.
Die Besätze auf den Schultern und über den Ärmelnähten verschwinden
gegen Ausgang des Mittelalters; ein gleiches gilt von den Zierstücken auf
Brust und Rücken des Gewandes, so daß um den Beginn des 16. Jahrhunderts
die Ausstattung der Dalmatik zu Rom und überhaupt in Italien bereits wesent-
lich dieselbe ist, wie sie ihr gegenwärtig daselbst gegeben zu werden pflegt.
Bild 133. Spanische Dalmatik.
Berlin, Kunstgewerbemuseum.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
277
In Frankreich und Deutschland scheint bis zum Ausgang des Mittelalters
eine auch nur einigermaßen einheitliche Verzierungsweise der Dalmatik nicht
bestanden zu haben. Häufig blieb diese ohne allen und jeden Besatz, ausgenommen
etwa eine Einfassung des Kopfdurchlasses; in andern Fällen versah man sie
nur am Saum und den Ärmeln mit einer schmäleren oder breiteren Borte. Auch
wurden wohl auf den Schultern Zierstreifen (aurifrisia ad spatulas) angebracht
oder, wenngleich bis ins 15. Jahrhundert im ganzen nur seltener, die Vorder-
und Kückseiten des Gewandes mit parallelen Vertikalbesätzen verziert. Saum-
paruren, wie sie in Italien an der Tagesordnung waren, sind in Frankreich und
Deutschland nur vereinzelte Erscheinungen. Beispiele bieten die Dalmatik
von Ambazac, zwei Dalmatiken des Historischen Museums zu Bern und die
angebliche Dalmatik des hl. Ludwig von Anjou zu Brignoles1.
Eine größere Übereinstimmung in der Verzierungs-
weise tritt erst im Verlauf des 15. Jahrhunderts ein.
Die Ärmel erhalten am Saum einen mittelbreiten Besatz,
vorn und rückwärts werden zwei breite Vertikalstreifen
angebracht und zwischen diesen auf Brust und Rücken
(Deutschland) oder nahe am Kopfdurchlaß (Frankreich)
ein Querbesatz eingefügt. Es ist die Besatzweise, die
dann seit dem 16. Jahrhundert allmählich typisch wird.
In Spanien mag man im Mittelalter, den Monu-
menten nach zu urteilen, hinsichtlich der Ausstattung
der Dalmatik mit Vorliebe römischem Brauch gefolgt
sein. Noch im 16. und 17. Jahrhundert erinnert dort
das Gewand, was seine Besätze anlangt, einigermaßen
an die Weise, wie man im 13., 14. und 15. Jahrhundert
dasselbe in Italien zu schmücken pflegte (Bild 133).
Inwieweit Fransen nach römischem und außer-
römischem Gebrauch im späteren Mittelalter als Schmuck
der Säume der Dalmatik Verwendung fanden, läßt sich
schwer bestimmen. Allzuhäufig scheinen sie indessen
keineswegs benutzt worden zu sein. Jedenfalls bilde-
ten sie keine ständige Verzierung des Gewandes. Die
noch erhaltenen Dalmatiken aus jener Zeit lassen daran
keinen Zweifel. Es sind nur wenige, welche an dem Saum und den seit-
lichen Schlitzen oder gar an den Ärmeln mit Fransen besetzt sind ; die meisten
entbehren ihrer. Auch in den Inventaren ist, selbst wo eingehendere Be-
schreibungen der Dalmatiken gegeben werden, nur selten von ihnen die Rede.
Häufiger werden sie an dem Gewand erst gegen Ausgang des Mittelalters.
Die einzige auf uns gekommene Dalmatik, welche, wie es scheint, noch nach
früherem Brauch nur am linken Ärmel und am Schlitz der linken Seite mit
Fransen umsäumt war, ist die Dalmatik Theobalds von Nanteuil, Bischofs von
Beauvais (1283— 1300) "-.
Eine eigentümliche, übrigens seltene Verzierung haben zwei im Dom zu
Brandenburg befindliche Dalmatiken. Auf ihrer Rückseite ist oben nahe dem
Bild 134. Dalmatikflügel.
Danzig, Marienkirche.
1 Abbildung bei Roh. VII, pl. dxlix, besser
Revue IV 561. Das Gewand scheint, wie
seine Maße vermuten lassen, eine Dalmatik zu
sein, die im 15. Jahrhundert für eine Statue
des Heiligen angefertigt wurde. Es hat einen
Gesamtbrustumfang von nur 0,90 m und ist
dazu nicht einmal bis zur halben Seitenhöhe
offen.
s Revue 1860, 653 ff mit Abbildung der
Dalmatik.
278
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Rande ein Paar silbervergoJdeter Löwenköpfe aufgenäht, aus deren
Maul einst eine Quaste herabhing. Die Dahnatiken stammen aus der Wende
des 15. Jahrhunderts1.
Noch merkwürdiger ist ein Schmuck , welchen wir bis tief in das
16. Jahrhundert hinein im Norden und Nordosten Deutschlands wiederholt
bei dem Gewand antreffen. Er bestand in dreieckigen, von Fransen ein-
gefaßten und mit vergoldeten Silberplättchen reich besetzten Seidenstücken,
welche von den Schultern auf den Rücken herabhingen. Sie waren ur-
sprünglich wohl nicht bloß als Verzierung gedacht, sondern sollten auch, wie
es scheint, gleich den vorhin erwähnten Quasten zum Verschließen eines an
dem Kopfdurchschlupf angebrachten Schlitzes dienen. Die St Marienkirche zu
Bild 1S5. Dalmatik. Xanten, Dom.
Danzig bewahrt noch zwei dieser Zierstücke auf (Bild 134, S. 277). Daß diese
wirklich in der angegebenen Weise verwendet wurden, bekundet ein Gemälde
des St Barbaraaltars in derselben Kirche, welches die Bestattung der Heiligen
durch Engel darstellt. Die Dalmatik, welche einer der Engel trägt, weist
auf der Rückseite zwei Behänge von derselben Art wie jene Zierstücke im
Schatz von St Marien auf. Man nannte diese dreieckigen , reich verzierten
Zeugstücke „Flügel, scapularia". So heißt es z. B. in einem Elbinger In-
ventar aus dem Jahr 1544: 1 Kestlein, darin 4 flügel zu Dahnatiken mit
4 silbern übergulten bildern und vergulten spangen ... 8 paar flügel zu Dal-
1 Ein Inventar von St Elisabeth zu Breslau
von 1483 bis 1498 erwähnt czwene newe
diene Rücke von Rottem Samath mit czween
Silbern Knewffenn. Diese Knäufe waren
wohl auf dem Rücken angebracht und Gegen-
stücke der Löwenköpfe.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
279
matiken mit übergulten spangen und knöpfein . . . schwartze flügel mit leberchen;
und in einem Allensteiner Sehatzverzeichnis von 1581: Dalmaticae 2 dama-
scenae ruhrae cum scapularibus 3 plene fibulatis et 4to in extremitatibus
tantummodo. Ebenso verzeichnet das Inventar der Dominikanerkirche zu
Stolp von 1523: item 58 Rosetten Spangenn unde 4 Bordtspangenn up den
twe flögein tho den Dyakenn Röcken und mit 10 Knöpenn K
Die Besätze der Dalmatiken mit Bildstickereien zu versehen, scheint
nicht einmal im späteren Mittelalter sonderlich Brauch gewesen zu sein. Es
gibt unter den noch vorhandenen Dalmatiken aus dieser Zeit nur wenige,
welche auf den Stäben figurale Darstellungen aufweisen ; aber auch die
Inventare erwähnen nur selten solche. Kommt doch in dem an kostbaren
Dalmatiken so reichen Inventar von St Peter aus dem Jahre 1361 nur eine
vor, bei der vermerkt ist, daß auf ihren fimbriae (Saumbesätzen) je drei
Heiligenbilder in
Rundmedaillons
angebracht seien.
Nicht besser ver-
hält es sich im
Inventar der
Schätze des Apo-
stolischen Stuh-
les aus dem Jahre
1295. Ein wenig-
günstiger steht es
um bestickte Dal-
matikbesätze im
Verzeichnis der
Paramente, wel-
che Bonifaz VIII.
der Kathedrale
von Anagni
schenkte, da sich
unter den vielen
hier genannten
Dalmatiken doch
wenigstens drei befinden, welche auf den Stäben Figurenwerk aufwiesen : Item una
dalmatica . . . cum ymaginibus Salvatoris et apostolorum Petri et Pauli ex parte
ante et beatae Virginis, sei Ioannis et sei Nicolai a tergo in fimbreis de auro
et in manicis cum 10 ymaginibus . . . item una dalmatica . . . cum fimbriis ad
ystoriam sei Eustacii ... et manicas ad minutas ymagines et aves. Die dritte
wurde schon erwähnt 2.
In der Tat boten die Besätze der Dalmatik mit etwaiger Ausnahme der
Querstücke am Saum oder auf Brust und Rücken wegen ihrer geringen Breite
Bild 136
Bern, Hist. ]\Iu.seiim. (Phot. de Farcy.)
zu wenig Raum für figurale Darstellungen.
Es ging, falls das Bildwerk nicht
1 Im Inventar von St Veit zu Prag aus dem
Jahre 1387 werden als Verzierung der Dalma-
tik und des Subtile tricae erwähnt, so Nr 226 :
Integer ornatus de nachone (eine Art von
Brokatell) blavo ... et subtile ac dyalmatica
habent tricas de rubeo serico, und Nr 233 :
Integer ornatus albus . . . dyalmatica et sub-
tile habent tricas dependentes de rubeo serico.
Unter tricae werden sonst Flechten ver-
standen ; was sie hier bedeuten , ist unklar,
am wahrscheinlichsten Vertikalbesätze.
2 S. oben S. 272.
280
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
miniaturartig klein oder die Besätze zu breit und schwer werden sollten, kaum
anders, als Einzelfiguren auf ihnen anzubringen. Die sind es denn auch
fast allein, welche man auf ihnen antrifft. Vorzügliche in dieser Weise
mit Heiligenfiguren geschmückte Dahnatikbesätze finden sich zu Greven und
Vreden (beide in Westfalen), zu Xanten (Bild 135, S. 278) sowie im Histo-
rischen Museum zu Bern (Bild 136, S. 279). Bei der Dalmatik im Berner
Museum sind auf den entsprechend hohen, nach italienischer Weise am Saum
angebrachten Querbesätzen Szenen aus dem Leben Christi (der Jesusknabe im
Tempel, die Hochzeit zu Kana) zur Darstellung gekommen.
Die Zahl der Dalmatiken , welche sich aus dem späteren Mittelalter erhalten
haben, ist, wie früher schon gelegentlich bemerkt wurde, eine beträchtliche. Die Mehr-
zahl derselben findet sich in Deutschland; namentlich sei , um von einzelnen
Exemplaren abzusehen, auf die Dalmatiken im Dom zu X anten, in der St Marien-
kirche zu Danzig, in den Domen zu Halberstadt und Brandenburg und
in der Alten Kapelle zu Regensburg hingewiesen. Von den zahlreichen Halber-
städter Dalmatiken gehören zwei noch dem 13., die übrigen zum Teil dem 14., zum
Teil dem 15. Jahrhundert an. Die Mehrzahl der Danziger entstammt dem 15., einige
dem 14. und 16. Jahrhundert '. Von spätmittelalterlichen Dalmatiken in Österreich
sind besonders bemerkenswert die Dalmatiken zu Goß und zu Wien , von denen
schon ausführlicher die Rede war. In der Schweiz haben sich unseres Wissens
keine andern erhalten als die drei, welche sich samt den zu ihnen gehörenden Tuni-
cellen im Historischen Museum zu Bern befinden (vgl. Bild 136, S. 279) 3.
Auch Italien ist sehr arm an Dalmatiken aus dem Mittelalter. Was sich an
solchen noch zu Anagni befindet, ist leider nicht mehr in dem ursprünglichen Zustand.
Einige Dalmatiken in der Opera del Duomo zu Orvieto und im Museo degli Arrazzi
zu Florenz scheinen gleichfalls nicht mehr intakt zu sein. Zwei dalmatikartige
Gewänder in der Pfarrkirche zu Castel S. Elia bei Nepi sind angesichts der un-
gewöhnlich schmalen Ärmel wohl keine Dalmatiken, sondern Tunicellen.
Auch Frankreich kann sich nur mehr einer recht beschränkten Zahl mittel-
alterlicher Dalmatiken rühmen. Sie sind fast alle schon gelegentlich erwähnt worden.
Wir reihen daher hier noch an die unten leider um etwa 15 — 20 cm verkürzte
Dalmatik des sei. Peter von Luxemburg in St-Pierre zu Avignon s. Die Dalmatiken
im Hospiz zu Lisieux, die bis vor kurzem als Reliquien des hl. Thomas Becket galten,
wurden seitdem als solche des hl. Thomas von Gantilupe nachgewiesen '.
VI. DIE DALMATIK IN DER NEUZEIT.
Die Geschichte der Dalmatik in der Neuzeit läßt sich mit wenig Strichen
zeichnen. Zu Rom ist um die Mitte des 16. Jahrhunderts der Typus fertig,
der dort von nun an für alle Folgezeit maßgebend bleibt. Die fimbriae der
Inventare, d. i. die Paruren am Saum, sind bei dem Gewand verschwunden
oder werden, richtiger gesagt, durch zwei parallele Horizontalborten angedeutet.
Die Länge des Gewandes, dessen Ärmel stets geschlossen sind, beträgt ca
1,20 m. Frühe treffliche Beispiele bieten zwei Dalmatiken in S. Maria Maggiore
1 Im Dom zu Halberstadt beläuft sich die
Zahl der Dalmatiken und der ihnen nach
Stoff, Form und Ausstattung gleichartigen
Tunicellen auf 24, zu St Marien in Danzig
auf 18, im Dom zu Brandenburg auf 19, zu
Xanten auf 10.
2 Abbildungen der beiden andern bei d e
Farcy, Suppl. pl. 164, wo sie jedoch irr-
tümlich als Heroldsröcke (tabars) bezeichnet
sind. Vgl. wegen der Dalmatiken auch
J. Stammler, Der Domschatz von Lausanne
und seine Überreste, in „Katholische Schweizer-
Blätter" X (1894) 38 ff 85 ff 91 ff.
3 Abbildungundßeschreibungbei de Linas,
Anciens vttements sacerdotaux I 57 ff.
* Bullet, mon. 1849, 262 ff mit Abbildung
und Revue 1891, 91 f. Vgl. wegen der Zu-
weisung auch oben S. 74, Anm. 1.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tnnicella.
281
zu Rom, von denen die eine vom hl. Pius V., die andere vom hl. Karl Bor-
romäus stammt. Es sind Dalmatiken, wie sie noch jetzt in Italien allent-
halben gebräuchlich sind (Bild 137).
Außerhalb Roms dauert die Entwicklung über das 16. Jahrhundert hinaus
fort. Bezüglich des Besatzes hatte sich auch hier bereits zu Ende des Mittel-
alters ein Typus gebildet, der seitdem eine wesentliche Veränderung nicht
mehr erlitt. Dagegen hatte die Weiterbildung, besser Verbildung des Ge-
wandes in Bezug auf die Maßverhältnisse und die Form noch keineswegs
ihren Abschluß gefunden.
Schon im 15. Jahrhundert war es, wie wir hörten, wenngleich nur ver-
einzelt, vorgekommen, daß man auch die Ärmel des Gewandes aufschlitzte.
Im 16. Jahrhundert wurde diese Gepflogenheit immer häufiger und im 17. dann
allgemein gebräuchlich. Schon um 1650 dürften im ganzen Norden Dalmatiken
mit geschlossenen Är-
meln kaum mehr ge-
macht worden sein.
Anfangs wurden die
Ärmel mittels Haften
oder Bändern, die man
an den Schlitzen an-
gebracht hatte, nach
Weise eines geschlos-
senen Armeis zusam-
mengebunden , doch
kam auch das bald
außer Gebrauch, und
schon im 17. Jahr-
hundert waren bei der
diakonalen Dalmatik
die Ärmel allenthalben
zu Flügeln geworden,
welche lose über den
Oberarm herabhingen.
Bei der bischöflichen
Dalmatik erhielten
sich die Bänder aus
Zweckmäßigkeitsrücksichten ; in der Tat waren sie ja hier auch kaum zu ent-
behren. Den Grund zur Änderung der Form der Ärmel haben wir in dem
leidigen Bestreben zu suchen, das Gewand möglichst bequem zu gestalten.
Es war das aber auch die Triebfeder, dieses immer mehr nach Länge und
Weite zuzustutzen.
Im 16. Jahrhundert betrug die Länge der Dalmatik durchweg noch
1,20—1,15 m. Im 17. Jahrhundert sehen wir sie dann auf 1,15 — 1,10 m
und im 18. sogar auf nur 1,00 m herabsinken. Weiter konnte man allerdings
nicht gehen. Man hatte die äußerste Grenze in der Zustutzung des Gewandes
erreicht. Die stets zunehmende Verkürzung der Länge bedingte aber auch
eine entsprechende Verringerung der Weite, sollte nicht alles Verhältnis ge-
stört werden. Wirklich fiel denn auch die untere Breite der Dalmatik von
etwa 1,00 m im 16. Jahrhundert allmählich auf bloß 0,75 m im 18., die Brust-
weite aber in gleichem Maße von ca 0,75 m auf ca 0,50 m. Zuletzt ging
Bild 137. Dalmatik. Rom, S. Maria Maggiore.
282 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
man sogar nicht selten dazu über, der größeren Bequemlichkeit halber die
Vorderseite der Dalmatik, ähnlich wie man es bei der Kasel zu machen
pflegte, vor den Armen auszuschneiden. Je mehr dabei der Sinn für die
Wirkung der Form schwand, um so mehr legte man auf glänzende Aus-
stattung Wert. Auch in diesem Punkt verhielt es sich mit der Dalmatik
wie mit dem Meßgewand. Noch jetzt gibt es zahlreiche Dalmatiken aus dem
17. und 18. Jahrhundert, welche über und über mit schweren Gold- und
Silberstickereien bedeckt sind. Es sind zum Teil wirkliche Prunkstücke, darauf
berechnet, möglichst großen Effekt zu machen, aber gleich den Pracbtkaseln
aus jener Zeit auch nur Prunkstücke. Religiöse Motive treten bei ihren
Stickereien sogar noch mehr zurück wie bei diesen. Für gewöhnlich geht
das Ornament bei ihnen ganz in Arabesken, pseudo-klassischem Rankenwerk
und allerlei Schnörkelwesen auf. Am wenigsten war auf den Dalmatiken
ein Plätzchen für figürliche Darstellungen mehr übrig, und wäre es selbst
nur ein bescheidenes Brustbild gewesen, namentlich im 18. Jahrhundert.
Nur in Spanien erhielt sich die Figurenstickerei auf den Dalmatiken
noch eine Weile über das 16. Jahrhundert hinaus. Die breiten, rechteckigen
Besätze, welche man hier vor wie nach bei besseren Dalmatiken am Saum
anzubringen pflegte, waren, weil für Bildstickerei besonders geeignet, ohne
Zweifel darauf von Einfluß. Die bildlichen Darstellungen sind vornehmlich
in der sog. Lasurtechnik ausgeführt (Bild 133, S. 276). Im 17. Jahrhundert
verschwinden indessen auch auf der spanischen Dalmatik allmählich die figür-
lichen Stickereien \
Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen der alten Glockenkasel, wie
sie uns auf den frühchristlichen Bildwerken entgegentritt und sich bis ins
13. Jahrhundert in Gebrauch erhielt, und dem überkurzen und überschmalen
Miniaturmeßgewand, wie es allmählich infolge einer durch Jahrhunderte sich
hinziehenden Verkümmerung im 18. Jahrhundert Mode geworden war. Indessen
fast noch gewaltiger ist der Kontrast zwischen der weihevollen, bis auf die
Füße herabwallenden Dalmatik des ersten Jahrtausends mit ihren mächtigen,
bauschigen Ärmeln, ihren Purpurstreifen und dem edlen, vollen Faltenfluß,
mit welchem sie den Körper umhüllte, und dem armseligen, pygmäenhaften,
geflügelten Skapulier, womit das altehrwürdige Gewand die lange Reihe seiner
verschiedenen Entwicklungsphasen in der Zeit des Rokoko endlich beschließen
sollte. Der Grund aber für die Verkümmerung beider Gewänder war hier
wie dort neben dem Verlangen nach größerem Glanz in der Ausstattung vor
allem die stets wachsende Sucht nach immer größerer Bequemlichkeit. Die
schlimmste Entartung waren wie die Lederkasein die Lederdalmatiken, gleich
geschmacklos in Bezug auf Form, Material und Verzierung, aber würdig der
Zeit der Aufklärung , deren Errungenschaft sie waren. Beispiele solcher
Dalmatiken finden sich noch in der Stiftskirche zu Oberwesel am Rhein und
zu Kremsbrücken in Kärnten.
Bei der Erneuerung des Paramentenwesens im Beginn der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts wandte man auch der Verbesserung der Dalmatik sein
Augenmerk zu und erzielte in Deutschland wirklich eine bemerkenswerte
Reform. Insbesondere erhielt die Dalmatik bessere Maßverhältnisse. Zu völlig
geschlossenen Ärmeln kehrte man leider nicht zurück, doch wurde es viel-
fach Brauch, an den Ärmeln wieder Haften oder Schnüre zum Schließen an-
Eine Anzahl vorzüglicher Besätze sind abgebildet bei de Farcy pl. 79 176.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
283
zubringen. Weniger Glück hatte das Bestreben in Frankreich und Belgien.
Die römische Dalmatik bedurfte kaum einer verbessernden Hand, da sie bis
in die Gegenwart alles in allem eine genügend würdige Form bewahrt hatte.
VII. ALTER DER VERWENDUNG DER TUNIKA BEI DEN SUBDIAKONEN
UND BISCHÖFEN.
Eine subdiakonale Obertunika war zu Rom, wie aus dem Schreiben
Gregors des Großen an den Bischof Johannes von Syrakus erhellt, schon im
6. Jahrhundert vorübergehend in Gebrauch ; sie wurde aber gegen Ende des-
selben durch Gregor „im Einklang mit der alten Sitte der Kirche", wie es
in dem Briefe heißt, wieder abgeschafft1. Seitdem bedienten sich die Sub-
diakone von neuem wie vorher der Planeta, und zwar wohl bis in den An-
fang des 9. Jahrhunderts. Jedenfalls geschah das noch um die Mitte des
8. Jahrhunderts, d. i. zur Zeit, da der 1. Ordo entstand. Denn trotzdem
dieser den Ritus der feierlichen Papstmesse am Ostertag beschreibt, treten in
ihm die Subdiakone doch überall nur in Planeten, nirgends in einer der
diakonalen Dalmatik verwandten Tunika auf. Allein es scheint zu Rom
selbst um das Ende des 8. Jahrhunderts bei den Subdiakonen eine solche
noch nicht zur Verwendung gekommen zu sein, da auch der 2. und 3. römische
Ordo, die aus jener Zeit stammen mögen, die Subdiakone noch immer in der
Planeta ihres Amtes walten lassen -.
Amalar kennt schon die subdiakonale Dalmatik, wie er das GeAvancl
nennt3. Das gleiche gilt vom Ordo Duchesnes und vom S. G. K. Auch in
den Inventaren des 9. Jahrhunderts ist bereits von der Tunika der Sub-
diakone die Rede. So verzeichnet das Inventar von St-Riquier vom Jahre 831
neben 31 Dalmatiken hrocci serici 15, lanei 11, sericus albus 1, persi (pfirsich-
blütfarbige) serici 2. In einer Nebenkirche befanden sich zusammen mit
Kasein und Dalmatiken hrocci de pallio 3. Ein Schatzverzeichnis von St Bertin
aus dem Jahre 867 erwähnt unter den liturgischen Gewändern eine dalmatica
subdiaconalis , ein Inventar von St Trond aus dem Jahre 870 dalmaticae 9
cum tunicis subdiaconalibus. In der Kirche zu Staffelsee befand sich laut
der um 810 gemachten Aufnahme des Bestandes außer 2 planetae castaneae,
1 planeta de lana facta et tincta, 7 albae und 1 dalmatica auch 1 linea,
worunter nach dem Zusammenhang nur die subdiakonale Tunika verstanden
werden kann.
Bildwerke aus dem 9. Jahrhundert, welche einen Subdiakon in seiner
Tunika wiedergeben, sind ein Relief des Mailänder Palliotto 4, die Miniatur des
1 Bp. 1. 9, n. 26 (M. G. Epp. II 59) : Sub-
diaconos autem ut spoliatos procedere
facerem , antiqua consuetudo ecclesiae fuit.
Sed placuit cuidam nostro pontifici , nescio
cui, qui eos vestitos procedere praecepit.
Nam vestrae ecclesiae (in Sizilien) numquid
traditionem a Graecis acceperunt ? Unde
liabent ergo hodie ut subdiaconi in eis in
tunicis procedant, nisi quia hoc a matre sua
romana ecclesia perceperunt. Spoliati kann
liier nach dem Zusammenhang nur heißen
„ohne besondere Obertunika' , wie die Dia-
kone sie trugen, vestiti „mit einer solchen".
Aus dem Brief geht hervor, daß der Brauch
viin Rom sich auch schon nach Sizilien ver-
pflanzt hatte. Die gedruckten Ausgaben
haben auf Grund eines Codex lineis statt in
eis, doch ist in eis wohl das Richtige.
2 S. oben S. 161.
3 De offic. eccles. 1. 2, c. 26 (M. 105,
1102): Dalmatica diaconi et sui ministri
(d. i. des Subdiakons), quae est itineri ha-
bilis, cura proximorum est. Ob indessen
vielleicht nicht besser zu lesen ist: Dal-
matica episcopi et sui ministri , d. i. des
Diakons (vgl. c. 22; ebd. 1098).
4 Das Relief stellt St Ambrosius am Altar
in Schlaf versunken dar. Ein Diakon , der
hinter ihm steht, zupft ihn an der Schulter,
wie um ihn zu wecken, während ein Sub-
9g4 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Sakramentars von Autun mit der Darstellung der Weihegrade (vgl. Bild 24,
S. 62) und eine Miniatur in Codex B 25 2 der Vallicelliana zu Rom mit der
Figur des Subdiakons Juvenianus (Bild 125, S. 267).
Wir werden, alles in allem genommen, wohl nicht fehlgehen, wenn wir
die Einführung einer Obertunika bei den Subdiakonen an Stelle der bis dahin
ausschließlich gebräuchlichen Planeta für Rom etwa in die erste Hälfte des
9. Jahrhunderts setzen. Außerhalb Roms mag der Wechsel etwas früher vor
sich gegangen sein. Wenigstens würde es sich so am leichtesten erklären,
daß schon im Inventar von Staffelsee die linea aufgeführt wird und bereits
um 850 das Relief des Palliotto eine Darstellung des Gewandes aufweist.
War man ja doch außerhalb Roms ungleich fortschrittlicher wie zu Rom,
wo man konservativen Sinnes möglichst am Alten festzuhalten liebte.
Welche Verbreitung die subdiakonale Tunika im Lauf des 9. Jahrhunderts
fand, läßt sich bei dem Mangel an diesbezüglichen Nachrichten nicht fest-
stellen. Zur Zeit Drogos von Metz (826 — 855) kam sie jedenfalls noch nicht
allgemein zur Verwendung, da auf den durch Treue der Darstellung so wich-
tigen Elfenbeinreliefs der Deckel des Drogosakramentars die Subdiakone
lediglich in gegürteter Albe wiedergegeben sind.
Wie es in vorkarolingischer Zeit außerhalb Roms im Abendland
hinsichtlich einer Obertunika der Subdiakone gehalten wurde, ist unklar.
Aus Gallien fehlt jegliche Nachricht über eine solche wie überhaupt über
die Kleidung, in welcher diese ministrierten. Die Lektoren trugen wie die
Diakone die Alba1. In Spanien hatten die Subdiakone zufolge dem 9. Kanon
der Synode von Braga aus dem Jahre 561 bei ihren Amtsverrichtungen
eine ungegürtete Tunika. Dieselbe kann , wie schon früher gesagt wurde,
von der diakonalen Albe nicht merklich verschieden gewesen sein, weil die
Synode vorschreibt, es sollten die Diakone das Orarium über der Tunika
tragen, damit sie sich so von den Subdiakonen genügend unterschieden2.
Ungleich früher als bei den Subdiakonen finden wir die Tunika zu Rom
bei dem Papste. Sie erscheint schon im 1. Ordo als Bestandteil der päpst-
lichen Pontifikalkleidung und hieß dalmatica minor , dalmatica linea oder
schlechthin tunica. Die römischen Kardinal priester und Hebdomadarbischöfe
durften sich nach dem S. G. K. nur dieser Tunika bedienen 3. Bei den übrigen
Bischöfen war die Verwendung des Gewandes allem Anschein nach im
9. Jahrhundert nur erst wenig verbreitet, zumal im Norden. Denn weder
Hraban noch Walafried tut seiner bei Aufzählung der bischöflichen Sakral-
gewänder irgendwelche Erwähnung. Amalar widmet zwar der Tunika einige
Worte1, deutet aber durch die Art und Weise, wie er von ihr spricht,
genugsam an, daß es damals noch keineswegs bei den Bischöfen die Regel
war, außer der Dalmatik auch die Tunika zu tragen. Es hat überhaupt
lange gedauert, bis sich diese neben der Dalmatik als fester Bestandteil der
Pontifikalkleidung allenthalben eingebürgert hatte; war sie doch erst gegen
diakon (Lector'?) die Epistel singt. Als St Mar- wurde und dort die Beisetzung seines Freundes
tin von Tours gestorben war, so erzählt Gregor vornahm. ' S. oben S. 253.
von Tours (De mirac. S. Mart. 1. 1 , c. 5 2 Hard. III 351 und oben S. 253.
[M. 71, 918]), stand zur Zeit, da er bestattet 3 S. oben S. 255 f.
werden sollte, St Ambrosius am Altar, um das * De offlc. eccles. 1. 2, c. 22 (M. 105, 1098) :
heilige Opfer darzubringen. Allein plötzlich Si quis voluerit uti duabus tunicis (gemeint
fiel er in einen tiefen Schlaf, während dessen sind Dalmatik und Tunicella) , ostendet se
er wunderbarerweise nach Tours entrückt esse diaconum et sacerdotem.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella. 285
Ende des 12. Jahrhunderts bei den Bischöfen allgemein in Gebrauch. Bis
dahin ließen es sich diese noch immer vielfach mit der Dalmatik genug sein,
die dann häufig schlechthin statt dalmatica tunica genannt wurde. So kennen
z. B. nur eine Tunika, d. i. die Dalmatik, das Sakramental" von Corbie aus
dem Ende des 10. Jahrhunderts1, der Weiheordo bei Hittorp2, die Gemma
animae des Honorius, Gilbert von Limerick, Rupert von Deutz und ein inter-
essanter anonymer Traktat über die bischöflichen Gewänder in einer dem
12. Jahrhundert entstammenden Handschrift der St Gallener Stiftsbibliothek 3 ;
der Tractatus de sacramento altaris aber macht die Bemerkung, der Bischof
ziehe über der Albe eine oder, wie andere wollten, zwei Tuniken an. Bei
Ivo von Chartres ist die Sache nicht ganz klar. Wie es indessen scheint,
spricht auch er nur von einer Tunika, d. i. der Dalmatik; denn von den
beiden Tuniken, die er dem Bischof zuschreibt, bedeutet eine unzweifelhaft
die Albe4.
Zwei Tuniken im Sinne von Dalmatik und Tunicella zählen zur Pon-
tifikalgewandung Hugo von St Viktor, Robertus Paululus, Sicard von Cremona
und Innozenz III. Im Sacramentarium gedenkt auch Honorius der Tunika.
Sie heißt hier subucula5.
Bei den Subdiakonen war die Tunika schon um die Wende des Jahr-
tausends so gebräuchlich, daß man Tunika und Manipel kurzerhand als vestes
subdiaconales zu bezeichnen pflegte, ähnlich wie Stola und Dalmatik vestes
diaconales genannt wurden. Der Subdiakonat hatte allmählich eine höhere
Bedeutung gewonnen, und schon war die Zeit nicht fern, da er den ordines
maiores zugesellt werden sollte. Es ist daher leicht verständlich , daß
bei den Subdiakonen die Tunika schnell allgemeine Aufnahme fand. Das
höhere Ansehen, welches dem Subdiakonat nach und nach zu teil geworden
war und seine Inhaber fast den Diakonen gleichstellte, mußte in der Tat
gebieterisch dazu drängen, daß ihnen ein Gegenstück zur diakonalen Dal-
matik in Gestalt einer besondern Obertunika beigelegt und der Gebrauch
der Planeta, wo ein solcher stattgehabt, auf jene Tage beschränkt wurde,
für welche die festtägliche Tunika nicht jmssend erschien. Schon um die
Wende des Jahrtausends ist die Zahl der subdiakonalen Tuniken in den Schatz-
verzeichnissen bisweilen eine sehr bedeutende. So führt z. B. ein Inventar
von Prüm aus dem Jahre 1003 neben 28 dalmaticae diaconales nicht weniger
als 24 dalmaticae subdiaconales auf.
Übrigens bedienten sich nicht an allen Orten alle Subdiakone ohne
Ausnahme der Tunika. In Mailand, wo das Gewand Alba hieß, durften es
beispielsweise lediglich die Subdiakone der Kathedrale — die sog. ordinarii -
und solche Subdiakone, welche Äbte waren, tragen6, allen übrigen war der
Gebrauch der Alba verboten. So war es dort noch gegen Ende des 13. Jahr-
hunderts Brauch. Immerhin werden Gepflogenheiten dieser Art doch mehr
den Charakter von Ausnahmen besessen haben. Es war sogar manchenorts
üblich, daß auch die Akolythen nach Weise der Subdiakone über der
Albe eine Tunika trugen. Ceroferarii et thuriferarii, sagt z. B. das Ordinarium
von Bayeux aus dem 13. Jahrhundert, in omni festo cum quattuor cappis
1 Hart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 11; I 203. 4 M. 162, 5'22 524.
2 Hitt. 109. 5 C. 26 (M. 172, 761).
3 Cod. 777, f. 89 ff. Der Verfasser rechnet 6 Magistretti 46; vgl. auch ebenders.,
zu den bischöflichen Gewändern auch das Pontificale in usum ecclesiae Mediolanensis,
Rationale, ein Schultergewand. Mediolani 1897, 40.
286 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
de stallo altiore induuntür super albam et amictum tunicis sericis1. Das
Inventar des Domes zu Mainz weiß von einer großen Zahl derartiger Tuniken
zu erzählen : item multae tunicae diversorum colorum, vid'elicet rubei, viridis
et violacei coloris, virgulatae, croceae, albae, quibus utebantur ministri altaris
et acolythi et chrismatis portatores. Ein Inventar von Soignies aus dem Jahre
1382 erwähnt 4 tournikials d'enfans. Die Sitte muß namentlich in England,
Spanien und Frankreich häufig gewesen sein. In Spanien hat sie sich ver-
einzelt bis in die Gegenwart erhalten ; in England ging sie mit dem Umsturz
der alten kirchlichen Ordnung zu Grunde; in Frankreich dauerte sie nach
Ausweis der Inventare hie und da noch bis wenigstens ins 17. Jahrhundert2.
Man nannte die Akolythentunika auch wohl dalmatica, so in den Inventaren
von Angers von 1297 bis 1643 und noch jetzt in Spanien, sowie alba, so be-
sonders in England ; 7 albes called ferial black, 40 blue albs of divers sorts,
red albs for Passion week 27, sagt beispielsweise ein Inventar von Peter-
borough von 1539 3.
Zu Rom müssen Akolythentuniken nach den Angaben des S. G. K. schon
im Lauf des 9. Jahrhunderts in Gebrauch gekommen sein. Um die Wende des
ersten Jahrtausends begegnen uns solche zu Farfa, wo den Consuetudines
Farfenses zufolge an bestimmten hohen Festen sämtliche pueri in tunicis er-
schienen, an andern dagegen wenigstens die Akolythen, welche die Evangeliare
zu tragen oder die Prophetie bzw. die Epistel zu singen hatten i. Sie mögen
zu Farfa in Nachahmung römischer Sitte eingeführt worden sein. Auch in
Frankreich dürften bereits im 10. Jahrhundert hie und da Akolythentuniken
üblich gewesen sein. Denn unter den corcibals 8 et alios vetulos 5 samt
den camsili (sie) serici 3 und den rocci serici 3 im Inventar von Clermont-
Ferrand können wohl nur Akolythengewänder verstanden werden.
Abten scheint das Recht, die Tunika zu tragen, in älterer Zeit nur
sehr selten verliehen worden zu sein; wenigstens hören wir nur ausnahms-
weise von der Erteilung dieses Privilegs. Johannes XV. gewährte es 990
dem Abt Folcuin von Lobbes, Alexander III. 1169 dem Abt von La Cava,
1176 dem Abt von Monreale und 1177 dem Abt von St-Vaast zu Arras5.
Möglich, daß das Vorrecht, sich der Dalmatik zu bedienen, wie es manchen
Äbten zu teil wurde, das andere, auch die Tunika zu gebrauchen, ohne weiteres
einschloß; indessen ist das keineswegs sicher, da ja im 11. und 12. Jahrhundert
nicht einmal bei den Bischöfen der Gebrauch von Tunika und Dalmatik all-
gemein war. Im Gegenteil macht der Umstand, daß in den Bullen für Lobbes,
La Cava, Monreale und St Vaast die Tunika ausnahmsweise ausdrücklich
erwähnt wird, es wahrscheinlicher, daß den Äbten wirklich für gewöhn-
lich nur der usus dalmaticae bewilligt wurde. Erst als um das 13. Jahr-
hundert die Tunika zum selbstverständlichen Bestandteil der Pontifikalkleidung
und zu einer Art von Zubehör der bischöflichen Dalmatik geworden war,
bedurfte sie in den Bullen, wodurch den Äbten der Gebrauch der Pontifikalien
gestattet wurde, keiner besondern Nennung mehr.
1 Chevalier, Ordinaire et coutumier de Inventar von St Johann zu Köln von 1406
Bayeux 3 6 et passim. neben 8 leisröcke (Levitentuniken) auch 2
2 Vergleiche z. B. (Revue 1886, 176) die scholarenröcke.
Inventare von Angers , in denen noch zum 3 Macalister, Ecclesiast. vestments,
Jahre 1643 Akolythentuniken aufgeführt London 1896, 65. Vgl. auch oben S. 60.
werden. Ein Inventar von St-Omer aus dem 4 Albers, Cousuet. Farfens. 10 14 23 43
Jahr 1557 (ebd. 464, note 4) verzeichnet 57 83 (pueri toti tunicas habeant).
36 tuniques pour les enfants de choeur, ein 5 J. 3837 11591 12683 12770.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
287
VIII. NAMEN DER LEVITENGEWÄNDER.
Die Dalmatik hat ihren Namen nie gewechselt. Sie hieß so zur Zeit,
da sie zu Rom in Gebrauch kam und dann von dort aus sich im übrigen Abend-
land einzubürgern begann, und sie heißt noch jetzt so nach kirchlichem Sprach-
gebrauch. Nur hier und dort wurde im Mittelalter das Gewand mit dem
allgemeinen Namen tunica bezeichnet1. Die Namen der subdiakonalen Ober-
tunika waren ehedem sehr mannigfaltig. Die hauptsächlichsten Bezeich-
nungen waren subtile und tunica (tunicella). In Italien, England und Frank-
reich wurde sie vornehmlich tunica genannt. In Deutschland herrschte etwa
seit der Wende des Jahrtausends die Benennung subtile vor.
Wir begegnen dem Namen subtile schon in einem unter Abt Hesso im Beginn
des 10. Jahrhunderts entstandenen Inventar der Klosters Pf äffers in der Schweiz
und einem Inventar der königlichen Basilika zu Monza von ca 910 2. Im 11. und
12. Jahrhundert bildet er in den Schatzverzeichnissen deutscher Kirchen die ständige
Bezeichnung für die subdiakonale Obertunika. Man vergleiche die Inventare von
Pfäffers aus dem 11. und 12. Jahrhundert, das Inventar von Wörthsee in Kärnten
(ca 1000) und Lamspringe (?) (10. bis 11. Jahrhundert), das Verzeichnis der Para-
mente , welche Bischof Meinwerk von Paderborn dem Kloster Abdinghof gab , die
Angaben Adams von Bremen betreffs der liturgischen Gewänder, welche Kaiser Hein-
rich IV. dem Dom zu Hamburg schenkte 3, die Notiz Ekkehards des Jüngeren über
die Paramente, welche Hedwig von Schwaben dem Kloster St Gallen verehrte4,
die Inventare von St Gallen (11. Jahrhundert), Enger (11. Jahrhundert), Benedikt-
beuren (1032), Speier (1156), St Georg zu Köln (ca 1100), Krakau (1101), Bamberg
(1127), Martinsberg in Ungarn (12: Jahrhundert), Prüfening bei Regensburg (1165),
Altmünster zu Mainz (12. Jahrhundert), Gandersheim (12. Jahrhundert), Neumünster
zu Würzburg (1230), Trier (123S) u. a. ä Nur sehr selten führt die subdiakonale Ober-
tunika in den älteren deutschen Schatzverzeichnissen einen andern Namen, wie z. B.
im Inventar von Prüm von 1003, wo sie dalmatica subdiaconalis heißt. Auch
Honorius nennt in seiner Gemma animae das Obergewand des Subdiakons subtile e.
Er ist der einzige von allen Liturgikern , bei dem es diesen Namen trägt , ein Um-
stand, der unzweifelhaft nicht wenig zu Gunsten der Annahme spricht, daß Honorius
ein Deutscher war oder doch in Deutschland seine Schrift verfaßte 7.
Der Name subtile erhielt sich in Deutschland bis ins späte Mittelalter
hinein. Wir finden ihn z. B. noch in den Inventaren von Freising (1352).
Prag (1354, 1387, 1396, 1413) und Olmütz (1435). Wie es gekommen, daß
1 Ein älterer französischer Name der Dal-
matik ist wardecor; sie heißt so z. B. im In-
ventar der Kapelle Roberts von Flandern von
1319 (Dehaisnes, L'art en Flandre, Docu-
ments 225) ; ältere deutsche Benennungen
siehe unten am Schluß des Abschnittes.
- Der Verfasser des Inventars, ein gewisser
Subdiakon Adalbertus, muß, wie die Schreib-
weise Perengarius statt Berengarius , tal-
matica statt dalmatica , ein Süddeutscher
gewesen sein.
3 Gesta Pontif. Hammaburg. eccl. 1.3, n.44
(M. G. SS. VII 352).
4 Ekkeh. IV, Casus S. Galli c. 10 (M. G.
SS. II 123).
5 Auch in der sog. Missa lllyrica heißt die
Tunika subtile (Mart. 1. 1, c. 4, art. 12,
ordo 4; I 177). In Frankreich scheint der
Name nur sehr wenig gebräuchlich gewesen
zu sein. Ein Beispiel findet sich in einem
Obituarium der Sorbonne ad an. 1324 : Idem
dominus (Gilbertus de Sancta Aldeghonde)
dedit ornamenta bona, videlicet casulam . . .
et subtile subdiaconi (Recueil des Histoires
de la France, Obituaires I 739).
6 Gemma 1. 1, c. 229 (M. 172, 613) : Sub-
diacono . . . subtile et sudarium adduntur.
1 Wenn auch S i c a r d (Mitralis 1. 2, c. 8
[M. 213, 85]) das Gewand subtile nennt, so
kommt das daher, daß seine Worte einfach-
en der Gemma des Honorius entlehnt sind.
Ahnlich verhält es sich später bei Durandus
(1. 3, c. 10; f. 73), der zudem genügend an-
deutet, daß subtile für ihn nicht die gewöhn-
liche Bezeichnung war: tunica quae alibi
subtile.
288 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen ObergewUnder.
man das Gewand subtile genannt, ist unklar. Bei Ezechiel (16, 10) und Isaias
(19, 9) bedeuten subtilia feine Gewebe oder Gewänder aus feinem Stoff. Mög-
lich, daß man der subdiakonalen Obertunika im Anschluß an diese Stellen
der Heiligen Schrift darum den Namen subtile gab, weil sie aus besserem und
feinerem Stoff als die untere Tunika, die Albe, gemacht wurde.
Als spezifisches Obergewand der Subdiakone hieß die Tunika vestis
subdiaconalis oder auch wohl, wie z. B. im Verzeichnis der liturgischen
Geräte und Paramente, welche Bischof Reginard von Lüttich dem Kloster
St Laurentius 1034 bei Gelegenheit der Konsekration der Klosterkirche
schenkte, schlechthin subdiaconale.
Auch dalmatica subdiaconalis wird die Tunika der Subdiakone
wiederholt genannt, wohl im Anschluß an die römischen Ordines, welche von
einer dalmatica maior und minor sprechen. Als sich im späten Mittel-
alter der Unterschied in Bezug auf die Form der Dalmatik und Tunicella
verwischt hatte, verlor sich vielfach auch der Unterschied in der Bezeich-
nung, so daß beide Gewänder gleichmäßig Dalmatik genannt wurden.
Die, wie es scheint, nur ganz vereinzelt gebräuchliche Benennung linea1
dürfte sich an den Ausdruck dalmatica linea des 1. römischen Ordo anlehnen
und sich auf den Umstand gründen, daß die subdiakonale Tunika ursprüng-
lich nur aus Linnen gemacht zu werden pflegte.
Der Name alba, welchen sowohl die Tunika der Subdiakone wie der
Bischöfe im Mittelalter nicht selten führte, wird teils von der Ähnlichkeit, welche
diese wegen ihrer engen Ärmel mit der gewöhnlichen Albe hatte, teils von
der weißen Farbe, welche die Tunika ursprünglich besaß, herkommen. Dieses
letztere Moment geriet freilich im Lauf der Zeit so gründlich in Vergessen-
heit, daß man ohne alles Bedenken von albae rubrae, virides, nigrae usw.
redete2. Übrigens mag sich in dem Namen alba auch eine Erinnerung an
die liturgische Tunika der Diakone und Lektoren des gallikanischen Ritus
erhalten haben.
Stricta tunica oder kurz stricta wurde das subdiakonale Ober-
gewand an einigen Orten genannt, weil sie von geringerer Weite als die
Dalmatik war und namentlich engere Ärmel als diese besaß3. Der Name
blieb auch, als sich der Formunterschied zwischen Dalmatik und Tunicella
verloren hatte, doch erlangte er nie weitere Verbreitung4. Er begegnet uns
noch im 16. Jahrhundert in der italienischen Umbildung stretta in einem
Caeremoniale von S. Marco zu Venedig als gemeinsame Bezeichnung der Dal-
matik und Tunicella5.
Der Name roccus gehört der älteren Zeit an. Wir treffen ihn z. B.
im Inventar von St-Riquier, im Testament Riculfs von Eine0 und noch im
11. Jahrhundert, wenngleich in angelsächsischer Umformung im Testament
Leofrics von Exeter (f 1072) 7 an. Leofric vermacht darin unter andern
liturgischen Gegenständen seiner Kathedrale 3 pistel roccas, Tuniken für die-
jenigen, welche die Epistel sangen, die Subdiakone.
1 Vgl. z. B. das Inventar von Staffelsee. 5 Civiltäcattolical899, ser. 17, vol. 8, S. 460.
2 S. oben S. 60. Vgl. auch das Schatzverzeichnis von S. Marco
3 Gemma 1. 1, c. 229 (M. 172, 613). aus dem Jahre 1519.
4 Er findet sich z. ß. im Inventar von " Vgl. auch die Inventare von Fontanelle
St Johann im Lateran von 1455, im Inventar und St Bavo zu Gent.
des Santo zu Padua vom Jahre 1396 und 7 Warren, Leofric Missal p. xxn. Im
dem des Domes zu Aquileja von 1358 bis Registrum Roffense heißt das Gewand ähnlich
1378. tunica epistolaria.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella. 289
Die Benennung tunicella, Diminutiv von tunica, kam allem Anschein
nach erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts in Gebrauch. Allerdings treffen wir
schon in einem Inventar von Marchiennes aus dem 9. Jahrhundert den ganz ver-
wandten Namen tunichellus an : tunichelli 5 ; jedoch bleibt dieser bis in das 13. Jahr-
hundert eine durchaus vereinzelte Erscheinung. Die Bezeichnung tunicella
findet sich bereits in dem auf Befehl Gregors X. herausgegebenen Caeremoniale
romanum1 sowie im Rationale und Pontifikale des Durandus2, doch kann sie
noch um das Ende des Jahrhunderts nicht sehr verbreitet gewesen sein.
Denn das Verzeichnis der Paramente, welche Bonifaz VIII. der Kathedrale
von Anagni schenkte, kennt sie noch gar nicht, im Inventar des päpstlichen
Schatzes vom Jahre 1295 aber begegnet sie uns bloß einmal. Dagegen ist
im Inventar desselben vom Jahre 1327 3 und im Schatzverzeichnis von St Peter
aus dem Jahre 1361 tunicella bereits die ständige Bezeichnung für die sub-
diakonale Tunika. In nordischen Inventaren kommt der Name erst wieder
im Anfang des 14. Jahrhunderts vor, so 1335 im Schatzverzeichnis der Kathe-
drale von Tournai und bereits 1319 in der französischen Umformung tournikel
im Inventar der Kapelle Roberts von Flandern i. Übrigens gelangte er bis
zum Ende des Mittelalters im Norden nirgends zu größerer Verbreitung.
Besonders zäh hielt man in Frankreich nach Ausweis der Inventare an der
Benennung tunica fest. Ähnlich geschah es auch in England, wo indessen
in der Volkssprache sich die Diminutivform tunacle (von tunicula) herausbildete.
Mittelalterliehe deutsche Bezeichnungen für Dalmatik und Tunicella
waren korerock, lessrock, 1 eisrock und namentlich dienrock,
dienst rock, dienerock5.
IX. BESCHAFFENHEIT DER TUNIKA IM MITTELALTER UND IN DER
NEUZEIT.
Über die Form und Beschaffenheit der subdiakonalen Obertunika
erfahren wir Näheres erst im 9. Jahrhundert. Wie dieselbe damals zu Rom
aussah, zeigt die Figur des Subdiakons Juvenianus auf der schon erwähnten
Miniatur des Codes B 25 2 der Vallicelliana. Juvenianus , welcher dem
hl. Laurentius ein Buch überreicht, trägt eine bis auf die Füße reichende,
dem Körper sich ziemlich dicht anschließende Tunika von weißer Farbe (vgl.
Bild 125, S. 267). Die Ärmel sind eng; Schlitze an den Seiten fehlen; die
Ausstattung des Gewandes besteht in einem schmalen, die Ärmelsäume um-
gebenden Zierstreifen. Daß es sich bei ihm nicht um die gewöhnliche untere
Tunika oder Albe handelt, ergibt sich aus dem Umstand, daß es der Gürtung
entbehrt.
Ein etwas anderes Bild der subdiakonalen Tunika gewährt die Dar-
stellung des Subdiakons im Sakramental' von Autun (vgl. Bild 24, S. 62). Wir
haben hier das Gewand in der Umbildung, wie es im Frankenland in Gebrauch
war, vor uns. Es reicht nur bis zur Mitte des Schienbeins, dagegen sind
die Ärmel Aveiter, als es auf der Miniatur des Codex der Vallicelliana der
Fall ist. Von Zierstreifen ist an ihm nichts zu bemerken.
1 N. 6 (M. 78, 1107). 4 Dehaisnes, L'art dans la Flandre,
■ L. 5, c. 2, n. 6, f. '256; Marl 1. 1, c. 4, Doeuments 225.
art. 12, ordo 23; I 221. 5 Vgl. z. B. die Inventare von Breslau,
3 Denifle-Ehrle, Archiv für Literatur St Quintin zu Mainz, Odesloe, Schweidnitz,
und Kirchengeschichte des Mittelalters I, St Stephan zu Wien (St Moranduskapelle),
Berlin 1885, 319. Zeitz u. a.
Braun, Die liturgische Gewandung. 19
290 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Die Entwicklung, welche die subdiakonale Obertunika in der Folge nimmt,
vollzieht sich analog der Umbildung der Dalmatik ; die Länge verringert sich
langsam, aber stetig; an den Seiten werden Schlitze angebracht, die immer länger
werden und zuletzt die ganze Seite bis zum Ansatz der Ärmel einnehmen.
Die Ärmel, welche anfänglich nur eine sehr mäßige Weite hatten, gewinnen
im Gegensatz zu den Ärmeln der Dalmatik an Umfang, bis zuletzt zwischen
der diakonalen und subdiakonalen Obertunika kaum mehr ein Unterschied
wahrnehmbar ist. Um das Ende des Mittelalters sind Dalmatik und Tunika
vielfach gar nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Man studiere z. B.
nur die Dalmatiken und Tunicellen im Dom zu Halberstadt, in St Marien
zu Danzig, im Dom zu Brandenburg, im Historischen Museum zu Bern und
in der Alten Kapelle zu Regensburg. Es ist in den meisten Fällen schlechter-
dings unmöglich, zu bestimmen, welches Gewand die Dalmatik und welches
die Tuniceila darstellen soll.
Den Entwicklungsgang der Tunicella vom 9. bis zum 16. Jahrhundert
näher ins einzelne zu verfolgen, ist unmöglich, weil die Liturgiker zu wenig
Aufschluß über die Form des Gewandes geben, und auf den Monumenten die
subdiakonale Tunika verhältnismäßig nur selten auftritt.
In Rom und überhaupt in Italien kam die Verbildung der Tunicella
wie die der Dalmatik im 16. Jahrhundert zum Abschluß. In Frankreich,
Deutschland, Spanien, kurz außerhalb Italiens dauert sie gerade
wie bei dieser bis in das 18. Jahrhundert hinein fort, d. i. bis aus der einstigen
Talartunika ein bis kaum zu den Knieen reichendes, mit Ärmellappen statt
Ärmeln versehenes Skapulier geworden war. Der Unterschied zwischen der
Tunicella und Dalmatik war aber auch in Italien schon im 16. Jahrhundert
verwischt. Wohl bestimmte noch die dritte Mailänder Synode, es sollte die
Tunika der Subdiakone engere Ärmel haben als die Dalmatik 1. Allein einen
nachhaltigen praktischen Erfolg hatte diese Verordnung ebensowenig wie die
Anweisung des 1600 auf Befehl Klemens' VIII. herausgegebenen römischen
Caeremoniale : (Tunicella) eiusdem forma est, cuius est dalmatica diaconi nisi
quod strictiores longioresque aliquantulum manicas habere debet2.
Nur bezüglich der pontifikalen Tunicella und Dalmatik erhielt sich ein
Unterschied hinsichtlich der Weite der Ärmel, begreiflich, da ja die Dalmatik
über die Tunicella angezogen werden muß.
Als Stoff, aus dem die Tunika hergestellt wurde, diente anfänglich
Leinwand 3. Doch gab es nach dem Ordo, den Duchesne herausgegeben hat,
schon im 9. Jahrhundert neben leinenen auch seidene Subdiakonaltuniken:
Et induunt se (subdiaconi) tonicas albas, quales habent, sericas aut lineas.
Das Inventar von St-Riquier aus dem Jahre 831 bestätigt das, da es neben
31 Dalmatiken im ganzen nicht weniger denn 18 seidene Tuniken vermerkt;
bei 15 fehlt eine Angabe der Farbe, eine wird als weiß bezeichnet, zwei als
pflrsichblütenfarbig. Im späteren Mittelalter war bei der Tunicella gleichwie
bei der Dalmatik Seide das Gewöhnliche; andere Stoffe waren mehr Ausnahme,
und zwar nicht bloß bei der pontifikalen, sondern auch bei der subdiakonalen
Tunicella. Die Inventare lassen daran keinen Zweifel. Das Material, aus
dem in denselben die Tuniken gemacht erscheinen, sind immer wieder die-
selben prächtigen Cendelzeuge, Köper, Damaste, Brokate, Samte usw., aus
1 A. E. Med. 627. 3 Ordo 1, n. 6 ; ordo 3, n. 6 (M. 78, 940
2 L. 1, c. 10, n. 1. 978): linea dalmatica.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella. 291
denen auch die in ihnen aufgeführten Kasein hergestellt sind. Bemerkens-
wert und auffällig ist, daß es nach Ausweis des Inventars von St-Riquier
schon in der Frühe des 9. Jahrhunderts farbige Tuniken gab. Eine pur-
purne Tunika wird 915 im Testament Riculfs von Eine erwähnt. Indessen
mag die Verwendung von Tuniken dieser Art eine der Neuerungen sein,
welche das Frankenreich bei der liturgischen Gewandung hervorbrachte. In
Rom dürfte es um diese Zeit wohl noch kaum farbige Tuniken gegeben haben.
Der Grund, weshalb bei der Tunika früher als bei der Dalmatik sich die
Farbe einbürgerte, liegt vielleicht darin, daß es bei ihr keine alte Tradition
gab wie bei der Dalmatik; sie war ja ein jüngeres Gewand.
Man hat behauptet, die bischöfliche Tunicella sei bis ins 13. Jahrhundert vor-
herrschend hyazinthfarbig', d. i. blaurot, gewesen. Allein die Liturgiker sagen nichts
davon. Amalar redet, wenn er von einer hyazinthfarbenen Tunika spricht, von dem
alttestamentlichen Meil. Auch die Angaben Ivos von Chartres beziehen sich auf dieses
aaronitische Kultgewand. Auf keinen Fall besagen seine Worte, daß die Pontifikal-
tunika stets oder doch der Regel nach hyazinthfarbig zu sein pflegte. Was Johannes
von Avranches bei Besprechung der Tunika bezüglich der Farbe bemerkt, ist nur eine
Exegese der Worte des Pentateuchs : Facies tibi tunicam hyacinthinam (Ex 28, 31).
Nach dem Speculum de mysteriis ecclesiae war die dritte Tunika des Bischofs, wie
es darin heißt, also die pontifikale Dalmatik, hyazinthfarbig. Sicard meint, wenn er
die Tunika als hyazinthfarben bezeichnet, das eine Mal die Obertunika des alttesta-
mentlichen Hohenpriesters, das andere Mal folgt aus seinen Worten lediglich, daß die
bischöfliche Tunika auch wohl hyazinthfarbig war, nicht aber, daß sie stets diese
Farbe hatte. Wie es um die Farbe der Pontih'kaltunika im frühen 12. Jahrhundert
in Wirklichkeit stand, hören wir von Bruno von Segni, dessen Worte es außer Zweifel
stellen, daß es für dieselbe damals im Gegensatz zum hyazinthfarbigen Meil des Alten
Bundes keine bestimmte Farbe gegeben hat '.
In den Inventaren ist bis zum 13. Jahrhundert von der Farbe der Tunika kaum
jemals die Rede. Für gewöhnlich führen sie nur die Zahl der vorhandenen Tuniken an,
höchstens, daß sie noch über die Ausstattung eine besondere kurze Notiz anfügen.
Wo sie aber von deren Farbe reden , bestätigen sie , was uns Bruno von Segni hin-
sichtlich der Farbe des Gewandes sagt.
Tunicae coccineae 5 werden in einem Inventar des Klosters Abdinghof zu Pader-
born aus der Zeit des Abtes Gumbert erwähnt. Eine grüne Tunika erwarb für das
Kloster Monte Cassino Abt Desiderius, der spätere Papst Viktor III. (f 1087) '-, eine
pfirsichblütenfarbene schenkte ihm Robert Guiscard3. Das Register von Rochester
führt als Gabe des Erzbischofs Lanfrank eine tunica epistolaris aus schwarzem Purpur,
als Gabe Bischof Ernulfs (1114 — 1123) drei violette und zwei rote Tuniken und als
Geschenk Bischof Gilberts (1185 — 1215) eine Tunika aus weißem Damast an '. Rote
Tuniken begegnen uns auch schon in des Beroldus Caeremoniale von S. Ambrogio.
Als sich ein liturgischer Farbenkanon gegen Ende des 12. Jahrhunderts
bildete, wurde derselbe natürlich auch für die Tunicella maßgebend. In den
Inventaren kommt das seitdem wie bei der Dalmatik gewöhnlich in der Weise
zum Ausdruck, daß die Tunicellen nicht mehr gesondert für sich aufgezählt,
sondern in Verbindung mit Kasel und Dalmatik unter dem Gesamtnamen
ornatus integer verzeichnet werden.
1 Tract. de sacr. eccl., c. de tunica (M. significat, qiiod candidi esse debent et im-
165, 1104): Tunica in veteri testamento maculati, si autem alterius coloris tunica
liyachithina solummodö erat et alterius coloris fuerit, est et alterius significationis.
uon erat ... Et tali quidem tunica apostolus " Chron. Cassin. 1. 3 , n. 18 (M. G. SS.
indutus dicebat : „Nostra conversatio in coelis VII 711).
est' (Phil 3, 20). Ad hanc igitur tunicam 3 Ebd. 1. 3, n. 58 (ebd. 743).
respiciat episcopus. Si enim Candida fuerit, 4 Revue 1887, 335.
19*
292
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Oberajewänder.
Was die Verzierung der Tunika anlangt, so wurden, soweit wenigstens
die Monumente ein Urteil darüber zulassen, nie die Purpurclavi, das für
die Dalmatik charakteristische Ornament, dazu verwendet. Ebenso finden wir
niemals bei dem Gewand die eigenartigen fimbriae, Fransenflöckchen, mit der
man, wie wir sahen, die Dalmatik bis tief ins 12. Jahrhundert hinein gern
zu bedenken pflegte. Wohl aber scheint man im 11. und 12. Jahrhundert
nicht selten die Tunika mit kostbaren Borten oder Goldstickereien geschmückt
zu haben. Wiederholt begegnen uns derartige Tuniken in den Inventaren aus
jener Zeit. Es werden darin sogar eigentümlicherweise häufiger reich ver-
zierte Tuniken als reich verzierte Dalmatiken aufgeführt. In manchen Fällen
dürfte es sich freilich bei solchen goldverzierten Tuniken um bischöfliche Tuniken
handeln, sicher aber nicht immer. Ihren Grund mag diese ungleiche Be-
handlung der bei-
den Gewänder
darin haben, daß
für die Dalmatik
damals noch eine
bestimmte tra-
ditionelle Verzie-
rungsweise mit-
tels der Purpur-
streifen bestand,
nicht aber für
die Tunika, und
man somit in der
Ausstattung der
letzteren weni-
ger durch alten
Brauch gebunden
und beschränkt
war.
Schon das Te-
stament Eiculfs von
Eine erwähnt roc-
cum purpureum
cum auro, und nur
wenig später das dem 10. Jahrhundert angehörende Inventar von Clermont-Ferrand
tunicas duas cum auro. Abt Desiderius erwarb für Monte Cassino eine grüne
Tunika (tunica diapistinj cum urna (Borte) amplissima a pedibus et manibus ac sca-
pulis ; Kaiser Heinrich II. schenkte dem Kloster eine Tunika aus Damast , aureis
operibus ornatam, Viktor III. aber hinterließ ihm außer 19 einfachen fünf tunicae
paratae, d. h. mit Zierbesätzen geschmückte Tuniken l. . Das Inventar von St Gallen
verzeichnet neben 18 andern drei aurata, d. i. mit Goldborten oder Goldstickereien
versehene subtilia. Im Domschatz zu Bamberg befanden sich im Anfang des 12. Jahr-
hunderts unter den 14 darin vorhandenen subtiliae (sie) nicht weniger denn neun,
welche mit kostbaren Goldborten ausgestattet waren. Die Kathedrale von Ely (Eng-
land) besaß 1079 tunicae tres cum aurifriso (sie) ; im Schatzverzeichnis des Klosters
Prüfening bei Eegensburg aus dem 12. Jahrhundert aber werden duo subtilia argento-
fregiata (= frisiata) , zwei mit Silberborten verzierte Subtilien , notiert. Ein sehr
kostbares Gewand muß auch das subtile pene aureum gewesen sein, welches Hadawiga,
Bild 138. Tunicella. Castel S. Elia.
1 Chron. Cassin. 1. 2, n. 43;
n. 74 (M. G. SS. VII 656 753).
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella. 293
Tochter des Herzogs Heinrich von Schwaben, mitsamt einer gleichen Dalmatik dem
Kloster St Gallen schenkte, später aber, da ihr der Abt ein von ihr gewünschtes Anti-
phonarium verweigerte, mit echt weibischer Verschlagenheit zurückzubekommen wufäte '.
Als das Charakteristikum der Dalmatik, die roten clavi, gegen Ausgang
des 12. Jahrhunderts außer Brauch kam, verschwindet in Bezug auf die Ver-
zierungsweise jeder Unterschied zwischen beiden Gewändern. Es ist daher
überflüssig, auf die Ausstattung, welche die Tunicella im späteren Mittel-
alter und in der Neuzeit fand, näher einzugehen. Was in dieser Beziehung
des weiteren betreffs der Dalmatik ausgeführt wurde, gilt alles auch hin-
sichtlich der Tunicella.
Von den noch vorhandenen mittelalterlichen Tunicellen geht keine über
das 13. Jahrhundert hinaus; sie entstammen alle der Zeit, in der sowohl be-
züglich der Form als namentlich bezüglich der Verzierung ein Unterschied
zwischen Dalmatik und Tunicella sich kaum mehr bemerklich machte. Hin-
sichtlich des Stoffes sind am bemerkenswertesten die Tunicellen in der
Alten Kapelle zu Regensburg, durch ihre mit vorzüglichen Bildstickereien ge-
schmückten Besätze eine Tunicella im Historischen Museum zu Bern und einige
Tunicellen im Dom zu Xanten. Ganz in Stickerei hergestellt sind die Tuni-
cella zu Goß, doch ohne figürliche Darstellungen, und die großartige, zum Meß-
ornat des Ordens vom Goldenen Vlies gehörende Tunicella in der k. k. Schatz-
kammer zu Wien, das vollkommene Gegenstück der früher besprochenen und
abgebildeten Dalmatik (vgl. Bild 130, S. 273). Die Tunicellen in St Marien zu
Danzig weisen keine Besätze auf, sind aber wie zum Ersatz dafür aus zwei oder
mehreren verschiedenen Seidenstoffen hergestellt. Zwei leider sehr schadhafte
Tunicellen zu Castel S. Elia (Bild 138), Arbeiten aus dem 14. Jahrhundert,
bestehen aus blauer repsartiger Seide und sind unten wie die damaligen
italienischen Dalmatiken mit einem paruraartigen Zierstück, auf den Schultern
aber und über der Ansatznaht der Ärmel mit einem schmalen Börtchen ge-
schmückt. Sie gewähren ein gutes Bild der charakteristischen Verzierung,
welche man damals in Italien dem Gewand zu geben pflegte.
X. LITURGISCHE VERWENDUNG DER DALMATIK UND TUNICELLA.
Über die Verwendung, welche Dalmatik und Tunicella im Mittelalter beim
Gottesdienst fanden, erfahren wir, abgesehen von gelegentlichen Äußerungen
einzelner noch erhaltener Ordinäre und Consuetudinare , im ganzen nur
wenig. Sie bildeten das liturgische Obergewand der Diakone und Subdiakone,
vornehmlich dann, wenn diese als Ministri beim feierlichen Amt tätig waren,
und waren sonach vor allem das Gegenstück des priesterlichen Meßgewandes.
Indessen wurden sie auch bei sonstigen gottesdienstlichen Feierlichkeiten ge-
braucht, wie z. B. bei Reliquientranslationen, bei feierlichen Empfängen, bei
Prozessionen und ähnlichem und entsprachen dann nach Ingebrauchnahme des
Pluviale dem Pluviale des fungierenden Priesters (vgl. Bild 122, S. 262).
Die Bischöfe, Äbte und sonstige Prälaten, welchen der Gebrauch von
Dalmatik und Tunicella zugestanden war, bedienten sich derselben nur bei
feierlichen liturgischen Funktionen. Bei der Privatmesse hatten sie wie alle
andern Priester die Kasel unmittelbar über der Stola und Albe. Der Papst trug
dagegen nach dem S. G. K. bei derselben über der Albe zwar nicht die Dal-
1 Ekkeh. IV, Casus S. Galli c. 10 (M. G. SS. II 123).
294
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
matik, aber eine seidene Tunika 1. Später freilich verwendete auch er bei
ihr nur noch die gewöhnliche Priesterkleidung 2.
Zum Pluviale scheint man sich nach römischem Brauch niemals
der Dalmatik und Tunicella bedient zu haben. Jedenfalls war es so schon
im späteren Mittelalter zu Rom Sitte. Außerhalb Roms war dagegen die
Praxis bei den Bischöfen eine verschiedene. Meistens wird man freilich auch
hier die Gewänder nur in Verbindung mit der Kasel getragen haben3; jedoch
geschah das keineswegs überall, namentlich nicht in der Spätzeit des Mittel-
alters. Die spätmittelalterlichen Monumente mit ihren zahlreichen Bischofs-
figuren, bei denen Dalmatik und Tunicella zusammen mit dem Pluviale vor-
kommen, lassen daran keinen Zweifel4. Es sind ihrer zu viele und zu ver-
schiedenartige, als daß man für das gleichzeitige Vorkommen der drei Gewänder
lediglich die Phantasie des Künstlers verantwortlich machen dürfte. Angesichts
der liturgischen Eigenarten, welche um jene Zeit allenthalben eingerissen
waren, und des Mangels an klaren, bestimmten Vorschriften kann ja auch
ein solches Abweichen vom römischen Ritus nicht im geringsten befremden.
Wirklich beweist z. B. ein Mainzer Pontifikale aus dem Beginn des 14. Jahr-
hunderts, daß man sich damals zu Mainz der Dalmatik und Tunicella auch
wohl zum Pluviale bediente5.
Die Gepflogenheit, wonach zu jenen Zeiten des Kirchenjahres,
welche einen Büß Charakter besitzen, Diakon und Subdiakon ohne
Dalmatik und Tunicella zu amtieren haben, indem sie diese entweder
ganz weglassen oder durch die planeta plicata ersetzen, stammt aus Rom
und verbreitete sich von dort im übrigen Abendlande. Die lichte Dalmatik
entsprach, Avie früher schon gesagt wurde, nach römischer Anschauung zu
wenig der liturgischen Eigenart gewisser Abschnitte und Tage des Kirchen-
jahres. Für die Buße und Trauer, welche dieselben beherrschten, erschien
ein dunkles Obergewand anstatt der Freude und Festesstimmung' kündenden
Dalmatik und Tunicella angemessener. Daher denn die Dalmatik und ent-
sprechend später auch die subdiakonale Tunika zu diesen Zeiten durch eine
braune oder schwarze Planeta ersetzt wurde 6. Die Anschauung, welche diesem
Brauche zu Grunde lag, ist dieselbe, welche den Ordo officiorum vulgatus
sagen heißt: Quam litaniam (die litania maior am St Markustag) observare
debent omnes christiani . . . non pretiosis vestibus induti, und: Nullus autem
his diebus (den Rogationstagen) vestimenta pretiosa induetnr, quia in sacco
et cinere lugere debemus ".
1 Cotidianis diebus, sagt der S. G. K., d. i.
bei der Privatmesse.
2 So wohl schon im 13. Jahrhundert, wie
wir aus dem im 13. Ordo, n. 6 (M. 78, 1108)
mitgeteilten Ritus der Priesterweihe eines
zum Papst erwählten Diakons mit Fug folgern
zu dürfen glauben.
3 Vgl. z. B. Mart. 1. 1, c. 6, art, 7,
ordo 13 19 (Auszüge aus Pontifikalien von
Besancon und Lyon) ; I 289 294 , und 1. 4,
c. 22 (Auszüge aus einem Pontifikale von
Aix, einem Ordinarium von Rouen und einem
Pontifikale von Arles) ; III 84 85 116. Eben-
so Chevalier, Ordinarium Bayocense
(13. Jahrh.) 61 118 135.
4 Bei den Darstellungen aus der früheren
Zeit des Jahrtausends erscheint das Pluviale
in der Regel bei den Bischöfen allein ohne
Dalmatik und Tunicella, und zwar nicht bloß
zu Rom, sondern selbst im Norden. Beispiele
bei R o h. VIII, pl. doxxi ff. Andere im Salz-
btirger Antiphonar, im Echternachter Evan-
geliar der kgl. Bibliothek zu Brüssel , in
einem Liber officialis der Einsiedler Biblio-
thek (Nr 112) usw.
■r' Mart. 1. 4, c. 22 (Auszug aus einem
Mainzer Pontifikale) ; III 119: Episcopus in-
dutus dalmatica et subtili vel tantum alba, si
volet, et desuper pluviali.
6 S. oben S. 165. ' Hitt. c. 89.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
295
Die Tage, an welchen zu Rom von den Diakonen und Subdiakonen
anstatt der Dalmatik und Tunika die Kasel getragen wurde, waren, wie
früher ebenfalls schon ausgeführt wurde \ die Sonntage und Ferien des Ad-
vents und der Zeit von Septuagesima bis Ostern, sowie die Quatembertage.
Auch bei der Prozession am Lichtmeßtage und den Bitttagen trat die Kasel
an Stelle des gewöhnlichen diakonalen und subdiakonalen Obergewandes 2.
Außerhalb Roms herrschte in Bezug auf die Beiseitelassung der Dal-
matik und Tunicella an den Bußtagen im Mittelalter lange eine sehr ver-
schiedene Praxis. Am ehesten wurde die Nichtverwendung jener Gewänder
seitens der Diakone und Subdiakone in der Zeit von Septuagesima bis Ostern
allgemein ; länger dauerte es hiermit dagegen bezüglich des Advents und der
Zeit zwischen Septuagesima und Aschermittwoch. War doch selbst im 12. Jahr-
hundert hinsichtlich dieser Zeiten der Brauch noch keineswegs einheitlich 3.
Dabei beließ man es häufig, wie es scheint, lediglich bei Nichtbenutzung der
Dalmatik und der Tunicella, ohne an deren Stelle die planeta plicata treten
zu lassen. Ganz unklar ist, inwieweit der römische Brauch, an den Quatember-
tagen, an den Bitttagen und bei der Prozession am Lichtmeßtage das diakonale
und subdiakonale Obergewand durch die Kasel zu ersetzen, außerhalb Roms
Verbreitung fand. Es fehlen darüber so gut wie ganz alle Nachrichten.
Eine Ausnahme von der Regel, welche den Diakonen und Subdiakonen
in der Fastenzeit den Gebrauch der Dalmatik und Tunicella verbot, bildete
der Gründonnerstag, und zwar war der Grund hierfür die feierliche 01-
weihe, welche an diesem Tage statthatte: Diaconi (induunt) dalmaticas pro
reverentia chrismatis, heißt es im 10. Ordo Mabillons4. So war es von
alters her Brauch. Hora autem tertia ingressi sacrarium induantur dalmaticis
tarn pontifex quam omnes diaconi vel omni ornamento, sagt schon der 1. rö-
mische Ordo Mabillons 5. Ähnlich lautet die Angabe des von Duchesne heraus-
gegebenen Ordo: Diaconi cum dalmaticis et subdiaconi non induunt planitas
(sie) 6. Auffallend ist, daß der Ordo die subdiakonale Tunika nicht erwähnt,
da diese ihm doch keineswegs mehr etwas Unbekanntes war. Indessen galt
auch wohl vom Gründonnerstag die eingangs des Ordo gemachte Bemerkung:
Quando dalmaticas induit (seil, pontifex), et diaconi similiter induunt se et
subdiaconi . . . induunt se tonicas albas quas habent, sericas aut lineas 7. Aus-
drücklich nennt die Tunika ein von de Rossi veröffentlichter Ordo der Funk-
tionen an den drei Kartagen, worin es zur feria V heißt: Posteaquam de
secretario exeunt, subdiaconi cum albis vestibus procedunt et diaconi cum
dalmaticis 8, und noch deutlicher der etwas jüngere Ordo officiorum bei Hittorp :
Presbyteri vero et ceteri clerici hora tertia induant se vestimentis sollemnibus
et diaconi dalmaticis atque subdiaconi albis sericis induantur ,J.
' S. oben S. 163.
2 Du eh. , Orig. 474 479.
3 Um schon Gesagtes hier nicht noch ein-
mal zu wiedei-holen , verweisen wir für
Näheres auf unsere diesbezüglichen früheren
Ausführungen (S. 163 ff).
4 N. 3 (M. 78, 1010). Nach Honorius wäre
auch die Rekonziliation der Büßer, -welche
an diesem Tag statthatte, Grund für den
Gebrauch der Dalmatik und Tunika gewesen :
Vestes sollemnes i. e. dalmatica et subtile
hodie portantur, quia poenitentes ad missas
sanetitatis vestes reparantur et chrisma at-
que oleum baptizandis quasi coelestes vestes
hodie praeparantur (Gemma 1. 3, c. 85 [M.
i72, 665]).
5 N. 30 (M. 78, 951). Vgl. auch Pseudo-
Alkuin, De offic. div. c. 16 (M. 101, 1206).
6 Du eh., Orig. 466. 7 Ebd. 456.
8 Inscript. christ. II, Romae 1888, 34.
11 Hitt. 62. Vgl. auch Mart. 1. 4, c. 22
(Auszüge aus Pontifikalien von Besancon,
Beauvais und St-Germain-des-Pres) ; III 109
110 114 u. a.
296
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Bezüglich der Verwendung der Levitengewänder bei Totenmessen
herrschte im Mittelalter eine verschiedene Praxis. In der ältesten Zeit mag
es am gebräuchlichsten gewesen sein, daß die Diakone und Subdiakone bei
denselben entweder ohne jedes liturgische Obergewand bloß in der Albe oder
wie in der Fasten- und Adventszeit in Albe und Ivasel fungierten. Kasein
statt Dalmatik und Tuniceila schreiben für die Exequien z. B. die Con-
suetudines von Farfa (10. — 11. Jahrhundert)1 und das Ordinarium des Bischofs
Johannes von Avranches vor2, während ein Ordinarium von Bayeux3 (13. Jahr-
hundert) will, daß die Leviten bei Messen für Verstorbene lediglich in Alben
amtierten. Als sich jedoch ein liturgischer Farbenkanon herausgebildet hatte
und Schwarz die charakteristische Farbe für den Totengottesdienst geworden
war, änderte sich die Sache, und der Gebrauch von Dalmatiken und Tunicellen
wurde bei demselben bald sehr gewöhnlich. Die Inventare des späteren Mittel-
alters mit den darin immer wieder vorkommenden schwarzen Levitengewändern
stellen das außer Zweifel.
Schon die Mainzer Chronik (ca 1250) vermerkt neben zwei roten, grünen usw.
auch zwei schwarze Kapellen mit je einer Dalmatik und einem Subtile. Seit dem Ende
des 13. Jahrhunderts aber entbehrt wohl kaum ein Inventar schwarzer Leviten-
gewänder. Hie und da werden sie in den Verzeichnissen mit der ausdrücklichen Be-
merkung aufgeführt, daß sie pro missis defunctorum bestimmt seien4.
Zu Rom müssen schwarze Dalmatiken und Tunicellen schon wenigstens um das
Ende des 13. Jahrhunderts bei den Exequien in Gebrauch gewesen sein. Denn wenn
nach römischem Brauch schwarze Paramente nur, wie Innozenz III. schreibt, in die
abstinentiae et afflictionis , pro peccatis et pro defunctis gebraucht wurden, an Buß-
tagen aber die Levitengewänder nicht zur Verwendung kamen, so können die schwarzen
Dalmatiken und Tunicellen, welche im Inventar der Schätze des Apostolischen Stuhles
vom Jahre 1295 aufgeführt werden, nur bei den Totenmessen gebraucht worden sein.
Um 1400 schreibt der 15. römische Ordo für Allerseelen ausdrücklich schwarze Leviten-
gewänder für die Ministri vor5.
Ob auch der Papst bzw. die Bischöfe an Bußtagen ursprünglich
ohne Dalmatik fungierten, ist nicht ganz klar. Nach dem Ordo Duchesnes galt
im 9. Jahrhundert als Regel, daß die Diakone die Dalmatik und die Subdiakone
die Tunika trugen, so oft der Papst sich der Dalmatik bediente, daß sie
aber, falls der Papst eine solche nicht anzog, in Albe und Planeta fungierten6.
Es entsprachen somit Dalmatik und Tunika bei den Ministri der Dalmatik
beim Pontifex. Wenn daher erstere in der Fastenzeit, an den Bitttagen und
bei ähnlichen Gelegenheiten statt ihres sonstigen liturgischen Obergewandes die
Planeta trugen, so benutzte also wohl auch der Papst dann die Dalmatik
nicht. Eine Bestätigung scheint diese Schlußfolgerung in der Rubrik des
1. Ordo Mabillons zu finden7: Hora autem tertia (seil, feriae V in Coena
Domini) ingressi sacrarium induuntur dalmaticis tarn pontifex quam omnes
diaconi. Wenn hier nämlich hervorgehoben wird, daß am Gründonnerstag
1 Consuet. Parfens. (ed. Albers) 124 195 200.
2 M. 147, 38.
3 Chevalier, Ordinaire et coutumier
de l'eglise cath. de Bayeux 41. Das
etwa aus derselben Zeit entstammende Ordi-
narium von St-Lo zu Rouen schreibt für
die Totenmessen Dalmatik und Tuniceila
vor (M. 147, 191). Das gleiche tut ein Rituale
von Corbie bei M a r t. , Mon. 1. 5 , c. 10,
n. 45 ; IV 261 ; dasselbe wurde zufolge der
Praefatio Martenes im Jahre 1411 zusammen-
gestellt.
4 Vgl. z. B. die Inventare von Angers in
Revue 1885, 172 ff.
'- C. 132 (M. 78, 1346). 6 Orig. 456.
7 N. 30 (M. 78 , 951). Vgl. auch die in-
haltlich gleiche Angabe im Ordo Duchesnes:
In eadom die hora V procedunt ad ecclesiam
et mutant se vestimentis suis tarn pontifex
quam et diaconi cum dalmaticis (a. a. O. 466).
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
297
Pontifex und Diakone die Dalmatik zu gebrauchen hätten, so werden an
den andern Tagen der Fastenzeit wohl entsprechend Pontifex und Diakone
sie nicht getragen haben. Wie dem indessen gewesen sein mag, später
galt die Unterscheidung zwischen vestes quadragesimales und non quadra-
gesimales nur für die liturgische Tracht der Ministri. Wenn in der Folgezeit
in den liturgischen Büchern, Sakramentaren, Pontifikalien , Ordinären u. a.
oder bei den Liturgikern davon die Rede ist, daß in der Fastenzeit Dalmatik
und Tunicella nicht angezogen würden, so wird das immer nur bezüglich der
Diakone und Subdiakone, nicht aber bezüglich der Bischöfe oder des Papstes
gesagt. Als daher das Caeremoniale der Bischöfe in Beschreibung der Kar-
freitagszeremonien bestimmte, es solle der Bischof bei denselben mit allen
pontifikalen Gewändern, ausgenommen die Handschuhe und die Pontifikal-
sandalen, angetan sein, also auch mit Dalmatik und Tunicella1, verordnete
es nur, was schon seit Jahrhunderten Brauch gewesen war.
Der Ritus, wonach der Bischof den Diakonanden bei der Weihe die
Dalmatik anlegt, ist in seinen Anfängen sehr alt. In Spanien war es schon
zur Zeit der vierten Synode von Toledo Brauch, daß die Diakone bei ihrer
Weihe außer mit dem Orarium auch mit der Alba, der in den spanischen
Kirchen üblichen diakonalen Tunika , bekleidet wurden 2. Es lag in der
Tat zu nahe, den eben geweihten Diakon mit seinem Amtsgewande auszu-
statten, als daß solches nicht im Weiheritus einen Platz hätte erhalten sollen.
Für Rom wird uns die Zeremonie zuerst in dem 8. und 9. römischen
Ordo Mabillons bezeugt. Nach dem 8. Ordo trug der zum Diakon zu Weihende,
weil noch Subdiakon, beim Beginn seiner Weihe eine tunica alba und darüber
die planeta, also Albe und Kasel. Letztere wurde ihm dann im Verlauf der
heiligen Handlung ausgezogen, dafür aber ihm am Schluß derselben die dia-
konale Obertunika, die Dalmatik, angelegt3. Etwas genauer beschreibt den
Hergang der 9. Ordo. Hiernach befand sich das indumentum der Ordinanden,
d. i. die Dalmatik, anfangs in der Hut eines ihnen beigegebenen Klerikers.
Beim Beginn der Weihe überreichte derselbe das Gewand dem Archidiakon,
der es alsbald dem zu weihenden Diakon übergab. Dann folgte der Weihe-
akt, worauf der Archidiakon den Neugeweihten die Stola umlegte und zuletzt
der Bischof ihnen die Dalmatik anzog. Und nun standen sie da induti dia-
conilia indumenta, wie der Ordo sagt 4.
Von Rom aus verbreitete sich der Brauch allmählich auch im übrigen
Abendlande, doch dauerte es bis ins späte Mittelalter, ehe er sich allgemein
eingebürgert hatte. Der Grund hierfür mag gewesen sein, daß die Ministri
die Dalmatik und Tunika nicht ausnahmslos bei allen Funktionen trugen, und
daß deshalb diese Gewänder nur als ornamentum, wie Bruno von Segni
sagt, nicht aber als Insignien, als Abzeichen des Ordo galten.
1 L. 2, c. 25, n. 6.
2 Can. 28 (Hard. III 586). S. oben S. 253.
3 N. 3 (M. 78, 1001).
* N. 2 (ebd. 1005). Im Text heifst es aller-
dings, und zwar in allen mir bisher zu Gesicht
gekommenen Handschriften wie Drucken,
von denen derjenige Migne-Mabillons der un-
genaueste ist: Et pontifex induit eos planetis,
doch ist planetis offenbar ein Schreibfehler
anstatt dalmaticis, da es unmittelbar darauf
heil.it: et staut induti diaconilia indumenta,
d. i. mit der den Diakonen eigenen Dalmatik.
Aber auch, was in n. 8 (ebd. 1008) bezüglich
der Gewänder gesagt wird , mit denen der
Diakon bei der Weihe bekleidet wurde , be-
weist, daß statt planetis dalmaticis zu lesen
ist : Et revestit eos ; si enim diaconi ordi-
nandi sunt, orarios et dalmaticas, si veropres-
byteri. orarios et planetas. Die Zeremonie
wird übrigens in n. 8 etwas anders dargestellt
wie in n. 2, doch sind die Angaben hier er-
sichtlich durcheinander geworfen.
298 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Vor dem 12. Jahrhundert ist in den liturgischen Büchern im Weihe-
ritus des Diakonats nur äußerst selten von der Bekleidung mit der Dalmatik
die Rede, im Ritus der Subdiakonatsweihe aber von der Anlegung der Tunika
nie. Selbst im 12. und 13. Jahrhundert werden diese Zeremonien noch keines-
wegs häufig erwähnt. Erst seit dem 14. Jahrhundert finden sie allgemeinere
Aufnahme in den Ritus der Diakonats- und Subdiakonatsweihe. Recht be-
zeichnend für die geringe Wertschätzung, die man ihnen entgegenbrachte, ist,
was ein um 1214 für Apamea in Syrien1 geschriebenes lateinisches Pontifikale
und ein in der vatikanischen Bibliothek befindliches Pontifikale von Cagliari
aus dem 14. bis 15. Jahrhundert hinsichtlich der Überreichung der Tunicella
sagen: Tradat eis tunicam, si paratam habuerit2. Nach einem dem 12. Jahr-
hundert entstammenden Pontifikale von Besaneon sollen bei ihrer Weihe nur
diejenigen Diakone und Subdiakone mit Dalmatik und Tunika bekleidet Averden,
qui in monasteriis morantur3, d. i. welche Kathedral-, Stifts- oder Kloster-
kirchen angehörten; denn monasteria ist hier wohl in diesem weiteren Sinne
zu fassen, also im Gegensatz zu kleineren Kirchen und gewöhnlichen Pfarr-
kirchen, nicht aber bloß im engeren Sinne von Klosterkirchen4. Sollte in-
dessen monasteria wirklich in dieser letzten Bedeutung zu nehmen sein, so
dürfte die Rubrik etwa dahin sich erklären, daß die diaconi und subdiaconi
saeculares von selbst und ohne weiteres das Recht hatten, Dalmatik und
Tunicella zu tragen, daß aber die dem Mönchsstand angehörenden Diakone
und Subdiakone dasselbe erst erhielten durch die besondere Übergabe der
Gewänder bei der Weihe. Ein Pontifikale von Magalone in der vatikani-
schen Bibliothek will eigentümlicherweise, daß die Tunika allen Neosubdia-
konen überreicht, von den Neodiakonen jedoch nur einer mit der Dalmatik
bekleidet werde5. Der Codex gehört dem 15. Jahrhundert an und beweist, wie
wenig Bedeutung man selbst damals noch der Zeremonie hie und da beilegte.
Der erste Liturgiker, welcher der Überreichung der Dalmatik gedenkt,
ist Sicard von Cremona; doch geht aus seinen Worten klar hervor, daß die
Zeremonie damals noch keineswegs allgemein gebräuchlich war: Dalmatica,
si cui datur, sollemnitatis est et non substantiae 6. Die Übergabe der Tuni-
cella an den neugeweihten Subdiakon erwähnt zuerst von den alten Liturgikern
der Verfasser des Tractatus de sacramento altaris 7.
Seit wann es üblich wurde, mit der Zeremonie einen Begleitspruch zu ver-
binden, wie es jetzt geschieht, läßt sich nicht feststellen. Der 8. und 9. rö-
mische Ordo Mabillons und der Ordo Duchesnes enthalten keinerlei Andeutung
eines solchen. Auch im Weiheordo bei Hittorp findet sich noch kein der-
artiges Gebet, wie man überhaupt in den liturgischen Büchern bis zum 12. Jahr-
hundert niemals ein solches antrifft. Selbst in den Pontifikalien des 12. Jahr-
hunderts ist ein die Zeremonie begleitendes Gebet noch eine durchaus ver-
einzelte Erscheinung.
Am frühesten scheint ein Gebet bei Übergabe der Tunika an den Neo-
subdiakon aufgekommen zu sein. Es läßt sich bis ins 12. Jahrhundert nach-
1 Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 14; ins spätere Mittelalter nur die Subdiakone
II 70. der Kathedrale und die Äbte , welche Sub-
- Cod. Vat. Lat. 4747, f. 13v. Ebenso 5791 diakone waren, die alba, d. i. die Tunika,
(13— 14f) f. 38 a. tragen durften (s. oben S. 285).
3 Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 10; 6 Cod. Vat. Ottob. 330, f. 52".
II 62. B Mitralis 1. 2, c. 2 (M. 213, 04).
* Man erinnere sich, daß zu Mailand bis 7 C. 5 (M. 172, 1277).
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella. 299
weisen; denn wir begegnen einem solchen schon in dem vorhin erwähnten
Pontifikale von Besancon, im Tractatus de sacramento altaris und bei Sicard
von Cremona. Im Tractatus lautet es: Induat te vestimento salutis et in-
dumento iustitiae circumdet te semper. Im Pontifikale von Besancon und bei
Sicard lautet es etwas abweichend: Tunica iucunditatis et indumento laetitiae
induat te Dominus. Es ist dies dasselbe Gebet, welches später ins römische
Pontifikale Eingang fand. Bemerkenswert ist, daß von den Pontifikalien,
welche bereits die Übergabe der Tunika in den Ritus der Subdiakonatsweihe
aufgenommen haben, manche selbst noch im 14. Jahrhundert eines die Zere-
monie begleitenden Gebetes entbehren. Erst im 15. wird ein solches in den
Weiheordines allgemein.
Im Ritus der Diakonatsweihe konnten wir ein Gebet für die Über-
gabe der Dalmatik erst im 14. Jahrhundert nachweisen. Eines der frühesten
Beispiele bietet der 14. Ordo Mabillons 1. Die Pontifikalien begnügen sich
bis dahin regelmäßig mit der kurzen Rubrik: Hie traditur dalmatica, cum
consecrati fuerint, induantur dalmatica, oder ähnlichem. Noch im 15. Jahrhundert
fehlt das Gebet mehrfach. Die Sache ist auffallend. Ob vielleicht die Er-
klärung darin zu suchen ist, daß es, nachdem sich der Unterschied zwischen
Dalmatik und Tunicella bezüglich der Form verwischt hatte, als überflüssig
betrachtet wurde, auch noch die Anlegung der Dalmatik mit einem besondern
Gebet zu begleiten? Das Gebet, welches die Pontifikalien des 14. und 15. Jahr-
hunderts für die Zeremonie angeben, hat einen verschiedenen Wortlaut. Am
häufigsten kommen vor: Induat te Dominus novum hominem , qui seeundum
Deum creatus est in iustitia et sanetitate veritatis, und : Induat te Dominus
vestimento salutis et indumento laetitiae circumdet te. In nomine etc. Aus
dem letzteren, welches sich auch im 14. Ordo Mabillons findet und also schon
wenigstens im 14. Jahrhundert zu Rom gebräuchlich war, hat sich das Gebet
entwickelt, welches das römische Pontifikale jetzt den Bischof sprechen läßt,
wenn dieser den Neodiakon mit der Dalmatik bekleidet.
XI. URSPRUNG DER DALMATIK UND TUNICELLA.
Ihren Ursprung hat die Dalmatik von einem gleichnamigen Gewände
genommen, das zur Zeit der Antonine, also etwa im Verlauf des 2. Jahr-
hunderts, zu Rom in Gebrauch kam. Diese profane Dalmatik war kein ein-
heimisches Kleidungsstück, sondern wurde wie so manches andere zur Kaiser-
zeit von außen nach Rom importiert. Schon Kommodus und Heliogabal
bedienten sich ihrer, wenn sie in der Öffentlichkeit auftraten, wie deren Bio-
graph berichtet, ein Vorgehen, das natürlich der weiteren Verbreitung des
Gewandes nur förderlich sein konnte2.
Die Dalmatik war eine Tunika, und zwar im Gegensatz zu der bei den
Römern von alters her gebräuchlichen Tunikaart, die zur Vervollständigung
einen Um- oder Überwurf erheischte, eine Obertunika, etwa im Sinne unseres
Überrockes. Natürlich hindert nichts, auch zu ihr einen Mantel zu tragen,
was denn auch tatsächlich oft geschah. So berichten, wie wir schon hörten,
die Akten der Hinrichtung des hl. Cyprian, der Heilige sei, da er auf dem
Richtplatz erschien, mit der Untertunika, der Dalmatik und der Lacerna, einer
vorn aufgeschlitzten Mantelart, bekleidet gewesen3. Eine Toga findet sich
1 N. 103 (M. 78, 1234). 2 Hist. Aug. Comm. 8, 8; Heliog. 26, 2. Vgl. auch Pert. 8, 2.
3 S. oben S. 65.
300
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Öbergewänder.
über der unteren Tunika und Dalmatik bei den Statuen zweier Adile im
Kapitolinischen Museum zu Rom (Bild 139). Ebenso gewahren wir bei Dar-
stellungen der Konsuln auf den Konsulardiptychen über der nicht selten reich
gemusterten Dalmatik eine Toga, und zwar meist eine solche von der Art
der zwar prächtigen, aber in Bezug auf die Form bereits stark verbildeten
toga picta des 4. und 5. Jahrhunderts (Bild 140) 1.
Die Dalmatik wurde sowohl nach Ausweis der Monumente wie des Maximal-
tarifs Diokletians nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen getragen.
Die Männerdalmatik wrar ursprünglich etwas kürzer als die Frauendalmatik.
Wo auf den älteren Malereien der Katakomben bei Männern eine Dalmatik
vorkommt, was übrigens nur selten der
Fall ist , geht sie nur bis etwa zur
Mitte des Schienbeins. Allmählich nahm
jedoch die Männerdalmatik an Länge
zu, bis sich zuletzt in Bezug auf diese
zwischen der Dalmatik der Männer und
Frauen kaum mehr ein Unterschied be-
merklich machte.
Gegürtet wurde die Dalmatik nicht
oder doch nur ausnahmsweise. Die
Ärmel waren weit, aber anfänglich nur
mäßig lang, indem sie gewöhnlich nur
bis zum Ellenbogen oder bis zur Mitte
des Unterarms reichten und so den von
der unteren Tunika bedeckten Vorderarm
zum Vorschein kommen ließen. Dann
gewannen die Ärmel an Länge, und
zwar, wie es scheint, rascher bei der
Frauen- als bei der Männerdalmatik,
doch müssen sie auch bei dieser schon
eine gute Weile vor Beginn des 6. Jahr-
hunderts den ganzen Arm bedeckt haben ;
denn sonst hätte sich wohl schwerlich
die um diese Zeit entstandene Erzäh-
lung der Silvesterlegende, von der früher
die Rede war, bilden können.
Als Material zur Anfertigung der
Dalmatik dienten für gewöhnlich Lein-
wand und Wollzeug2, doch gab es auch halbseidene und seidene Dalmatiken.
Daß es nicht immer feine Stoffe waren , die zur Herstellung des Gewandes
gebraucht wurden, bekundet der Maximal tarif, wenn er neben andern auch
rauhhaarige Männerdalmatiken aufführt 3.
Wollte man der Dalmatik eine Verzierung geben, so versah man sie
auf der Vorder- und Rückseite mit je einem oder gewöhnlicher mit je zwei
Vertikalstreifen. Außerdem pflegte man in diesem Fall gern um den Rand
der Ärmel herum einen oder zwei Besätze anzubringen. Beliebt waren nament-
lich purpurne Zierstreifen. Notwendig waren diese Verzierungen, clavi ge-
Bild 139. Adil, das Zeichen gebend.
Rom, Kapitol.
1 Andere Abbildungen bei Wilp., Gap.
3 ff.
2 Edict. Dioclet. ed. Mommsen -BKimner
XIX, 9 14 28 30; XXVI, 39—43 49—53
59-63, p. 150 152 153 170.
8 Ebd. XIX, 30, p. 153.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tunicella.
301
iiannt, nicht ; denn der Maximaltarif verzeichnet sowohl Dalmatiken mit Streifen
aus Purpunvolle wie daÄ/iazixäQ äor/tj.o>jq, streifenlose Dalmatiken. Ebensowenig
bildeten sie einen der Dalmatik ausschließlich zukommenden Schmuck. Nur
das Gewand, nicht dessen Ornament, war aus der Fremde nach Rom gekommen;
die clavi, Streifen, ein altrömischer Schmuck der Tunika, waren echt römisch;
man denke nur an den latus clavus der Senatoren und den angustus clavus
der Ritter. Die Streifen waren, wie die Monumente bekunden, durchweg
schmal, indessen kamen auch wohl breitere clavi vor.
Ein spezifisches Gewand bestimmter Personen von Stand scheint die
Dalmatik nie gewesen zu sein, es müßten denn die Senatoren sie an Stelle
ihrer ungegürteten , mit breiten Purpurstreifen verzierten Standestunika, der
sog. tunica laticlavia, angenommen haben. Immerhin wurde sie als Überrock
nur von Leuten aus besseren Klassen getragen,
und so kann es natürlich nicht auffallen, wenn
wir sie auch beim Gottesdienst in Gebrauch kommen
und zum liturgischen Gewände werden sehen.
Bezüglich der Heimat der Dalmatik sagt Isidor
von Sevilla in seinen Etymologien: Dalmatica
vestis primum in Dalmatia, provincia Graeciae, texta
est. In der Tat weist der Name des Gewandes auf
Dalmatien als seinen Herkunftsort hin 1. Woher
Isidor seine Angabe hat, ob er sie, wie so viele
andere Erklärungen, einem älteren Schriftsteller
oder dem Namen dalmatica entnahm, ist unbekannt.
Sie ist eine stereotype Redensart geworden, mit
der später die Liturgiker immer wieder ihre Aus-
führungen über die Dalmatik einzuführen pflegten.
Neben ihren gewöhnliehen Namen soll die Dal-
matik bisweilen die Benennung colobium , colobus ge-
führt haben. Auffallend wäre das in keiner Weise;
pflegt man ja doch auch sonst im praktischen Leben,
dem die exakte Sprache der Wissenschaft fern liegt,
gern die Benennungen verwandter Gegenstände miteinan-
der zu vertauschen. Man denke nur an die modernen
Namen mancher Kleidungsstücke. Auch ist aus der täg-
lichen Erfahrung bekannt, wie sehr die Ausdrücke nicht
bloß nach Zeiten, sondern auch nach Orten wechseln.
So ist es jetzt, so war es früher. Im vorliegenden Fall aber war eine Vertauschung
der Namen um so leichter möglich, als man mit colobium (von -/.oXoßo?, verstümmelt,
beschnitten, zugestutzt) an sich und zunächst zwar eine ärmellose Tunika bezeich-
nete2, bisweilen jedoch auch eine kurzärmelige3. Wirklich scheint im Maximaltarif
Diokletians 4 colobium nur ein anderer Name für die Männerdalmatik zu sein. Ebenso
dürfte im Theodosianischen Kleideredikt vom Jahre 382, in welchem den Senatoren
gestattet wird5, sich außeramtlich des Colobium zu bedienen, dieses Colobium die
Männerdalmatik bedeuten. Dagegen sind, wie es scheint, im angeblichen Dekret des
Papstes Eutychian, wonach die Märtyrer non sine dalmatica aut colobio purpurato
Bild 140.
Diptychon des Konsuls Felix.
Paris, Nationalbibliothek.
1 Isid., Etymol. 1. 19, c. 22 (M. 82, 684).
2 Doroth., De doctrina c. 12 (Mg. 88,
1632). Rufin., Hist. monach. c. 3 (M. 21,
407). Nach Dorotheus war das Colobium
der Mönche mit Purpurstreifen versehen. Bei
Rufmus wird es mit einem linnenen Sack
verglichen.
3Cassian, De coenob. inst. 1. 1, c. 5
(M. 49, 69).
J Edict. XXVI 39. 5 S. oben S. 245.
3()2 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
bestattet werden sollten '. und ebenso bei Eusebius - Colobinm und Dalmatik zwei
verschiedene , wenngleich der Art nach, verwandte Kleidungsstücke. Auf keinen Fall
aber bezeichnet die tunica pectoralis sine manicis, von der bei Ammianus Marcellinus
die Rede ist 3, eine Dalmatik , wie man gesagt hat. Sowohl der Zusammenhang, in
dem sie als regale indumentum erscheint , wie die nähere Bestimmung pectoralis
schließen durchaus eine solche Bedeutung aus.
Der Ursprung der Tunika bedarf keiner Darlegung. Das Gewand ist
nichts als eine Nachbildung der liturgischen Dalmatik, wobei bloß die clavi
weggelassen wurden.
XII. DIE TUNIKA DER DIAKONE UND SUBDIAKONE IN DEN RITEN
DES OSTENS. DER SAKKOS.
In den Riten des Ostens ist bei den Diakonen und Subdiakonen nie eine
Obertunika im Sinne der Dalmatik und Tunicella gebräuchlich gewesen.
Allerdings hat wenigstens gegenwärtig die Tunika, welche dieselben bei der
Liturgie über der Alltagskleidung tragen, insofern mit der Dalmatik und Tuni-
ceila, wie diese im Mittelalter beschaffen waren, einige Ähnlichkeit, als auch
sie nicht gegürtet wird, Ärmel von mittlerer Weite besitzt und häufig nicht
mehr weiß, sondern farbig ist. Nichtsdestoweniger ist die diakonale und sub-
diakonale Tunika in den Kirchen des Ostens nach ihrer ganzen geschichtlichen
Erscheinung im wesentlichen nicht ein Gegenstück der Dalmatik und Tunicella,
sondern der lateinischen Albe. Nur insofern, als sie über der Alltagskleidung
getragen wurde und wird, kann man sie in gewissem Sinn als Obertunika
bezeichnen ; also nicht mit Rücksicht auf eine liturgische untere Tunika, wie
sie im Abendland in Gestalt der Albe in Gebrauch war und ist, sondern mit
Bezug auf die Tunika des geAvöhnlichen Lebens •*.
Eine wirkliche Obertunika ist aber der pontifikale Sakkos, der freilich
nur im griechischen Ritus gebräuchlich ist. Bei den Italo-Griechen, den Russen
Ruthenen und Bulgaren wird dieses Gewand von allen Bischöfen getragen,
bei den Graeco-Melchiten und den Griechen bildet es dagegen eine Aus-
zeichnung des Patriarchen und der Metropoliten.
Der Sakkos ist der lateinischen Dalmatik durchaus verwandt. Wie das
Phelonion folgt er jetzt der liturgischen Tagesfarbe, soweit es eine solche im
griechischen Ritus gibt. Seine Ärmel sind weit und wie bei der römischen
Form der Dalmatik gewöhnlich geschlossen. An den Seiten des Gewandes
aber pflegen behufs bequemeren Anziehens Schlitze angebracht zu werden.
Der Sakkos ist, wie es scheint, im Laufe des 11. Jahrhunderts in Gebrauch
gekommen. Seine früheste Erwähnung findet er bei Balsamon 5. Auf Bild-
werken kommt das Gewand erst im 14. Jahrhundert vor, wenigstens sind
uns bis jetzt ältere nicht bekannt geworden. Allerdings hat Rohault de Fleury
zwei Miniaturen mit Darstellungen des Sakkos abgebildet, welche er dem
11. Jahrhundert zuschreibt6. Eine von ihnen gehört einer Homiliensammlung
1 Du eh., L. P. I 159. II 208 und Wilp., Gew. 37 sowie Wilp.,
2 Haeres. 1. 1 , c. 15 (Mg. 41, 245): o.XX Kat. 88, wo das Gewand als Dalmatik auf-
ixsedyj axoXaq el'r oUv ainzsyövaq oi rotoüroc gefaßt wird.
äfsßäXXouro y.ai daXij.axvi.aq eir ouv y.oXoßi- * Näheres über die Tunika der Diakone
uyjaq ix -XaTuirfjijMiv diä -nppupaq AXoupyo- und Subdiakone in den Riten des Ostens s.
6<püq 7.azeo?.eua.ij.ivo.q. Die Worte ix nXa- oben S. 92 ff.
Tuarj/j.vif xrX. gehören nach dem Zusammen- 6 Meditata (Mg. 138, 1021 1025). Resp.
hang auch zu crxoXij.q sl'r' oij'j d/j.-e%övaq. ad Marc. Alex. n. 37 (ebd. 990).
3 Rer. gest. 14, 9. Vgl. dazu Realenc. ''■ Roh. VII, pl. dxliii.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
303
Gregors von Nazianz in der Nationalbibliothek zu Paris, die zweite einem
Rotel mit der Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus in der Bibliothek zu
Genf an. Allein er hat das Alter beider Miniaturen um ein bedeutendes zu
hoch angesetzt; denn anstatt dem 11. entstammt die Pariser Handschrift dem
14., die Genfer aber sogar erst dem 15. Jahrhundert1.
Anfangs war der Sakkos, wie aus den Angaben Balsamons hervorgeht, ein
ausschließlich patriarchales Ornatstück ; er blieb ein solches jedoch nicht lange ;
denn schon im Beginn des 13. Jahrhunderts hatten einzelne Metropoliten das
Recht, ihn zu tragen. Eine Korrespondenz zwischen dem Metropoliten Caba-
silas von Dyrrhachium und dem Metropoliten von Bulgarien, Demetrius Choma-
tenus, bekundet das 2. Indessen
war, wie sich gleichfalls aus
diesem Briefwechsel ergibt, den
Metropoliten der Gebrauch des
Sakkos nur in sehr beschränk-
tem Umfang, weil bloß an den
drei hohen Pesten, Weihnachten,
Ostern und Pfingsten, gestattet.
Auf die Anfrage des Cabasilas, ob
das Gewand auch purpurn sein
dürfe, antwortet nämlich Choma-
tenus verneinend, weil die Pur-
purfarbe Ausdruck und Zeichen
der Trauer sei, der Sakkos aber
bloß an den angeführten drei
Festtagen getragen werden dürfe.
Übrigens stand das Gewand noch
im Beginn des 15. Jahrhunderts
keineswegs schlechthin allen Me-
tropoliten zu. Wie Simeon von
Saloniki sagt, kam es damals
vielmehr lediglich den „exxpcrot
tojv äpyuzpimv" , den hervor-
ragendsten unter den Erzbischö-
fen, den „iiaipavoc zcov dpyi-
stuoxükwv" zu3. Die andern
Metropoliten bedienten sich statt
seiner des nokuaraüpiov 4. Bis
gegen Ende des Mittelalters erscheint der Sakkos nur selten auf den Monu-
menten. Der Grund ist in dem Gesagten angedeutet. Solange er noch ein Sonder-
gewand weniger Personen war, hatte er für die darstellende Kunst zu wenig
Bedeutung, als daß man eine häufigere Wiedergabe desselben für diese Zeit
erwarten könnte. Zwei Bildwerke mit Abbildungen des Gewandes aus dem
14. bzw. 15. Jahrhundert wurden schon erwähnt. Bei beiden ist der Sakkos
Bild 141. St Johannes Chrysostomus. Mosaik.
Venedig, S Marco.
1 Genauen Aufschluß über die Genfer
Handschrift verdanke ich der Güte des Herrn
Professor E. A. Stiickelberg zu Basel. Die
Pariser habe ich selbst eingesehen ; sie wird
übrigens auch in dem neuen, von Omont an-
gefertigten Katalog der griechischen Manu-
skripte der Nationalbibliothek als dem 14. Jahr-
hundert angehörend bezeichnet.
2 Mg. 119, 949.
. ' 3 De div. templo c. 43 und Resp. ad Gabr.
Pentapol. q. 19 (Mg. 155, 716 872).
* S. oben S. 237.
304
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
mit Kreuzen geschmückt, die im Unterschied von den Kreuzen, wie sie bei den
Polystaurien vorkommen, von einem Kreis umrahmt sind, eine Eigentümlichkeit,
welche wir bei ihm übrigens auch sonst nicht selten auf den Monumenten an-
treffen. Eine andere, auch historisch sehr interessante Darstellung des Gewandes
aus dem 15. Jahrhundert findet sich auf einem Fresko in S. Maria Novella zu
Florenz, dem Grabmonument des Patriarchen Joseph von Konstantinopel, der
am Unionskonzil zu Florenz teilgenommen hatte, aber vor der Rückkehr in
die Heimat am 10. Juni 1439 starb und in S. Maria bestattet wurde. Das
Gemälde gibt den Patriarchen in Lebensgröße in seiner patriarchalen Gewandung
wieder. Von sonstigen Monumenten des späten Mittelalters mit Abbildungen
des Sakkos seien nur noch die Mosaiken in der Cappella Zeno von S. Marco
mit der Darstellung des hl. Johannes Chrysostomus erwähnt (Bild 141, S. 303).
Bemerkenswert ist, daß gerade dieser Heilige vornehmlich im Sakkos ab-
Bild 142. Griechische Tafelmalerei. Roin, Vatikan (Museo cristiano).
gebildet wird. Ein griechisches Tafelgemälde im Museo cristiano des Vatikans,
worauf wir ihn ebenfalls in diesem Gewand erblicken , bringen wir zur
Wiedergabe (Bild 142), weil hier die Kreuze des Sakkos gegen die Gewohn-
heit der kreisförmigen Einfassung entbehren. Von Bock irrig dem 13. Jahr-
hundert zugeschrieben 1,
gehört es in Wirklichkeit frühestens dem Ausgang
des Mittelalters, richtiger aber wohl erst dem 16. Jahrhundert au.
Ein wirklicher Sakkos aus dem Mittelalter hat sich in St Peter zu
Rom erhalten. Er wurde seinerzeit von Bock unter dem falschen Namen
„Kaiserdalmatik" in dem Prachtwerk „Die Kleinodien des heiligen römischen
Reiches deutscher Nation" in guten Abbildungen veröffentlicht2. Das Gewand
1 Reichski. 109.
2 Tfl 18 19, dazu im Textband S. 95 bis
110. Die ganze, für ein Stück wie dieses
Gewand schon recht bedeutende Literatur
ist gut zusammengestellt bei A. Colasanti,
Nuovi riscontri sulla Dalmatica Vaticana, in
Nuovo Bollettino di archeologia christiana
VI II, Roma 1902, 155.
Zweites Kapitel. Dalmatik und Tuniceila.
305
kam im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts in den Schatz von St Peter und
entstammt etwa dem Ende des 14. oder dem Beginn des 15. Jahrhunderts *.
Aus schwerem blauen Seidenstoff gearbeitet, ist es über und über mit vor-
züglichen Bildstickereien geschmückt. Auf den Schulterstücken ist die Aus-
spendung des heiligen Sakramentes durch Christus an die Apostel unter den
Gestalten von Brot und Wein dargestellt, auf der Vorderseite die Verklärung
auf Tabor, auf der Rückseite Christus, umgeben von Engeln und von Heiligen
aus allen Ständen in der himmlischen Glorie. In den Zwickeln unter dem
letzten Bild befinden sich links Abraham als Seelenvater, rechts der gute
Schacher mit dem Kreuz auf der Schulter. Bemerkenswert ist, daß das
Gewand, ähnlich wie die deutsche Dalmatik, nicht nur an den Seiten, sondern
auch unter den Armen offen ist. Wie es den Anschein hat, war dem von
Anfang so, und sind die Ärmel nicht erst in späterer Zeit aufgeschlitzt worden.
Ferner ist die blaue Farbe des Sakkos beachtenswert. Zur Zeit, da das
Gewand entstand, war der Brauch bezüglich seiner Farbe ersichtlich schon
minder streng geworden.
Ein anderer mittelalterlicher, reich bestickter Sakkos hat sich zu Moskau
erhalten; er stammt aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts (ca 1417) 2.
Wie es zur Einführung des Sakkos gekommen ist, darüber liegen Nach-
richten nicht vor. Sicher ist solches jedoch nicht ohne Mitwirkung des Kaisers
geschehen. Der Sakkos, der Abkömmling der reich bestickten Dalmatik der
Konsuln, von der uns die Konsulardiptychen ein Bild hinterlassen haben, war
ein den Kaisern eigenes Prachtgewand 3. Wir finden diese häufig auf den
byzantinischen Bildwerken in demselben dargestellt i. Es liegt darum auf der
Hand, daß die Patriarchen ihn nicht ohne Erlaubnis der Kaiser in Gebrauch
nehmen konnten, am wenigsten aber der Hofpatriarch zu Konstantinopel.
Wenn wir daher den Sakkos im 12. Jahrhundert auch bei den Patriarchen
antreffen , so läßt sich das nur unter Annahme der Verleihung eines dies-
bezüglichen Privilegs seitens des Kaisers erklären, durch welches die Patriarchen
vor allen andern besonders ausgezeichnet und als gewissermaßen neben den
Kaisern stehend hingestellt werden sollten. Es verdient hervorgehoben zu
werden, daß das Gewand zu einer Zeit auf dem Plan erscheint, da der Ab-
fall der griechischen Welt von Rom vollkommen geworden war, und es den
Kaisern darum zu tun sein mußte, nunmehr ihre Patriarchen auch in deren
äußerer Erscheinung irgendwie als die Päpste des Ostens zu charakterisieren.
1 Näheres über das Auftreten des Sakkos
im Schatz von St Peter, sein Alter und seine
ursprüngliche Bestimmung in des Verfassers
Aufsätzen: Das Alter der sog. Kaiserdalmatik
im Schatz von St Peter, in „Stimmen aus
Maria-Laach" LVII (1899) 575 ff, und La
dalmatique du tresor de St-Pierre, in Revue
1901, 52 ff. Colasanti hat in jüngster Zeit
versucht, nachzuweisen, daß der Sakkos im
11. Jahrhundert entstanden sei. Sein Ver-
such kann nicht als geglückt bezeichnet
werden. Der ganze Beweis Colasantis gründet
sich auf eine Auswahl von Miniaturen, einige
völlig ungenügende Ausführungen über die
byzantinischen Seidenwebereien und ein ein-
ziges, hier bedeutungsloses palermitanisches
Inventar. Ungleich belangreichere sind
Braun, Die liturgische Gewandung.
unberücksichtigt geblieben , die späteren
griechischen Stickereien, Tafelgemälde, Wand-
malereien und Mosaiken in keiner Weise
herangezogen.
2 Mitteilungen der Gesellschaft für alt-
russische Kunst 1874, 45 und Repertorium
für Kunstgeschichte XV 376.
3 Codin., De offic. palat. constant. c. 6 17
(Mg. 157, 69 104).
4 Vgl. z.B. G. Schlumberger, L'öpopee
byzantine ä la fln du Xe siecle I, Paris 1896,
45 81 141; Wilp., Cap. 91 93; N. Konda-
koff , Geschichte des byzantinischen Emails,
Frankfurt 1892, 146 245; H. V. Sauerland
und A. Haseloff, Der Psalter Erzbischof
Egberts von Trier TU 45; D. C. X, Tfl 5 6;
Gräven I, Nr 57 73.
20
306 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewiinder.
DRITTES KAPITEL.
DAS PLUVIALE.
I. DAS PLUVIALE NACH GEGENWÄRTIGEM BRAUCH.
Das Pluviale (pluviale, cappa) ist ein bis zu den Füßen reichender,
"vorn geöffneter, mit Schließen vor der Brust befestigter liturgischer Mantel.
Es heißt auch wohl Chor kappe, Vesper mantel, Rauchmantel,
Benennungen , welche sich aus den Punktionen erklären , bei denen es
gebraucht wird.
Die Länge des Gewandes beträgt etwa 1,40 m. Ausgebreitet stellt es
so ziemlich einen Halbkreis dar. Die Geradseite entlang, an welcher nach der
Mitte hin die Schließen zur Befestigung des Gewandes angenäht werden,
zieht sich ein breiter Besatzstreifen. Im Nacken ist das Pluviale mit dem
sog. Schild , d. i. einem schildförmigen , über den Bücken herabhängenden
Stoffstück, versehen, welcher bald an dem Rande des Gewandes selbst, bald
unterhalb des die Geradseite begleitenden Besatzes beginnt, mit Börtchen
sowie häufig auch mit Fransen eingefaßt und am unteren Ende nicht selten
mit einer Quaste verziert ist. Am Saum wird es gern mit einem schmalen
Börtchen oder einer kurzen Franse besetzt. An französischen Pluvialen ist
häufig in der Mitte der Geradseite ein Ausschnitt für den Hals angebracht,
damit sich das Gewand nicht allzusehr im Nacken aufbausche.
Die Farbe des Pluviale hat dem liturgischen Farbenkanon zu entsprechen.
Von dem Stoff des Gewandes gilt, was in dieser Beziehung hinsichtlich der
Dalmatik und Tunicella gesagt wurde. Auch für den Chormantel ist kein
bestimmtes Material ausdrücklich vorgeschrieben , indessen ist es jedenfalls
das angemessenste, ihn aus seidenem oder wenigstens halbseidenem Stoff
herzustellen.
Das Pluviale kommt nicht einem bestimmten Ordo ausschließlich zu.
Denn es darf, wie aus dem römischen Caeremoniale erhellt, auch von bloßen
Klerikern getragen werden. So können bzw. sollen die clerici ad baculum et
mitram im Pontifikalamt und den Pontifikalvespern und die cantores bei Ab-
singung des Tedeum in der feierlichen Matutin mit dem Pluviale bekleidet
sein1. Immerhin zählt dieses vornehmlich zu den priesterlichen Gewändern,
und zwar ist es das liturgische Obergewand des Priesters und Bischofs bei
allen jenen feierlichen Funktionen, bei welchen die Kasel nicht gebraucht
werden darf. Akte dieser Art sind die Prozessionen, die feierlichen Segnungen,
z. B. die Einweihung von Kirchen, die Aschen-, Kerzen-, Palmen- und Tauf-
wasserweihe u. a., die feierlichen Vespern und Laudes, die Begräbnisse und die
Absolutio am Katafalk nach der Totenmesse, der Segen mit der Monstranz,
die Austeilung des Weihwassers vor dem Hochamt 2. Auch der beim Ponti-
fikalamt assistierende Priester soll mit dem Pluviale bekleidet sein. Bei Bitt-
prozessionen darf nur der Officiator es anziehen; bei feierlichen theophorischen
Prozessionen können dagegen auch die Dignitare es tragen. Bei den feier-
lichen Vespern und Laudes bedienen sich außer dem Celebrans auch die vier
1 Caerem. 1. 1 , c. 1 1 , n. 5 6; 1. 2, c. 6, gebraucht wird, sind mit Nachweis der be-
n. 15. treffenden kirchlichen Entscheidungen gut
2 Ruhricae generales tit. 19, n. 3. Die ver- zusammengestellt bei Victor ab Appeltern,
schiedenen Fälle, in denen das Pluviale Manuale Iiturgicum I 79.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
307
oder sechs Priester, die Assistenz leisten, des Pluviale K Wie man sieht, findet
das Gewand eine sehr weitgehende Verwendung bei den liturgischen Funktionen.
Stehen die Akte, bei denen es gebraucht wird, in Verbindung mit der
Messe, so trägt man das Pluviale über der Albe, andernfalls über dem
Superpelliceum.
II. NAME DES GEWANDES.
Während heute das Gewand im kirchlichen Sprachgebrauch am häufigsten
Pluviale genannt wird, war im Mittelalter der Name Cappa vorherrschend.
Das Wort kommt als Bezeichnung eines Gewandstückes erst im nachklassischen
Latein vor.
Eine Art von Kapuze ist mit ihm gemeint, wenn Gregor von Tours in der Vita
des hl. Nicetius von einer capsa (cappa) spricht, die an einer von diesem Heiligen
herrührenden Kasel angebracht war ~. Ebenso versteht Isidor von Sevilla unter cappa
eine Kopfbedeckung3. Auch die cappa des hl. Martinus, die von den fränkischen
Königen als Palladium mit in den Krieg geführt wurde und Anlaß zu mancherlei
Legendenbildung wurde, mag eine Kapuze gewesen sein.
Als Name eines mantelartigen Kleidungsstückes kommt das Wort cappa
schon in den gegen das Ende des 7. Jahrhunderts geschriebenen Virtutes S. Frusei
abbatis vor *. Häutiger begegnet es uns in dieser Bedeutung jedoch erst zur Karo-
lingerzeit, so in der Regel Chrodegangs 5 , in den Briefen Alkuins6, in c. 61 der
Aachener Synode von 817 7 , im Schreiben Theodemars von Monte Cassino an König-
Karl8, in der wohl im 9. Jahrhundert entstandenen Vita S. Goari9, in c. 6 der
Synode von Metz von 888 10, den Inventaren von St-Riquier aus der Frühe des
9. Jahrhunderts u. a.
Zu Monte Cassino bezeichnete man mit cappa jenes Oberkleid der Mönche,
welches man in Gallien cuculla zu nennen pflegte , d. i. ein sackartiges , ärmelloses,
an den Seiten bis oben aufgeschlitztes, mit einer Kapuze versehenes Gewand, das,
übergeworfen , seitlich an einer oder zwei Stellen zugenestelt wurde. Bei den
Mönchen in Italien war es schmaler und kürzer als bei den Mönchen in Gallien, wie
Theodemar ausdrücklich hervorhebt. In Gallien verstand man unter cappa bald
einen klerikalen Mantel, bald einen Mönchsmantel, denselben, welchen
man zu Monte Cassino casula oder mantus nannte. Der Unterschied zwischen der
klerikalen und mönchischen cappa scheint darin bestanden zu haben, daß die erstere
vorn aufgeschlitzt, die letztere aber nach Art einer Glockenkasel ringsum geschlossen
war. Die Aachener Synode vom Jahre 817 verbietet nämlich den Mönchen, cappas
disconsutas zu tragen11; nur aus zottigem, schwerem Stoff gemachte durften offen sein,
begreiflich, da sie sonst kaum zu brauchen gewesen wären. Zu Rom war die klerikale
Cappa ein ringsum geschlossenes Gewand, wie die cappa more romano consuta
beweist, welche Bischof Arno von Salzburg Alkuin zum Geschenk sandte 1=.
1 Caerem. 1. 2, c. 3, n. 1.
2 M. G. SS. M. I 696.
s Etymol. 1. 19, c. 31, n. 3 (M. 82, 699).
4 M. G. SS. M. IV 442.
5 C. 29 (M. 89, 1113).
6 Ep. 8 (M. G. Epp. Carol. aevi II 33) :
Alkuin beauftragt den Flaccus Albinus, ihm
schwarze und rote cappae aus Ziegenhaar
nach England zu schicken; ep. 84 (ebd. 127) :
er dankt seiner Schwester Gisla für die ihm
gesandte cappa; ep. 184 (ebd. 309): er teilt
dem Erzbischof Arno von Salzburg mit, daß
er die ihm von diesem geschenkte cappa romano
more consuta empfangen habe.
7 Hard. IV 1232; vgl. c. 22 (ebd. 1230).
5 M. G. Epp. Carol. aevi II 512.
9 M. G. SS. M. IV 416.
10 Hard. VI 411.
11 C. 61 (Hard. IV 1232); disconsutus hat
denselben Snm wie inconsutus bei Rupert
von Deutz, De div. offic. 1. 2, c. 24 (M.
170, 54) : Cappae ab anteriore parte patulae
sunt et omnino praeter solam necessariam
fibulam inconsutae.
12 Ep. 184 (M. G. Epp. Carol. aevi II 309).
Die Kardinalscappa blieb zu Rom das ganze
Mittelalter hindurch an der Vorderseite ge-
schlossen; höchstens, daß sie zum leichteren
20*
308 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Als Name eines liturgischen Gewandes ist das Wort cappa erst seit dem
Ende des 8. Jahrhunderts nachweisbar '.
Im späteren Mittelalter bedeutete cappa erstens den gewöhnlichen klerikalen
oder mönchischen Mantel, zweitens die sog. Cappa choralis, ein beim Chor-
gebet gebräuchliches , meist bis auf einen Schlitz in der Mitte der Vorderseite ganz
geschlossenes, also kaselartiges Gewand aus schwarzem Stoff, und drittens das litur-
gische Pluviale. Die gewöhnliche klerikale und mönchische Cappa wurde seit
etwa dem Ende des 12. Jahrhunderts vielfach mit weiten Ärmeln versehen. Sie hiefs
dann cappa manicata. Ein solches Vorgehen, bei dem das Gewand seines Mantel-
charakters verlustig ging und sich zu einer Art von Tunika umbildete, wurde indessen
von verschiedenen Synoden mit allein Ernst untersagt 2, freilich nur mit teilweisem Erfolg.
Als Name des Pluviale war das Wort cappa während des Mittelalters
im ganzen Abendland gebräuchlich, am verbreitetsten war er in dieser Be-
deutung jedoch außerhalb Italiens. Nur selten, daß uns hier in den
alten Inventaren, welche ja besonders in Betracht kommen, der Name pluviale
begegnet. Dementsprechend ging das Wort denn auch allenthalben außerhalb
Italiens als Benennung des Pluviale in die Volkssprache über: Chorkappe,
kap (holländisch), chape (französisch), cope (englisch), capa (spanisch).
In Italien herrschte schon im Mittelalter der Name jiluviale, italienisch
piviale, vor. Das Wort erscheint bereits in dem um 830 — 840 entstandenen
Pontifikalbuch des Agnellus. Es werden nämlich hier in der Vita Mauri
(f ca 642) unter den Gegenständen, welche das der Kirche von Ravenna zu-
gehörige Patrimonium in Sizilien jährlich als Abgabe zu entrichten hatte,
neben iacintae casulae, laenae et cetera indumenta auch pluviales syriae ex-
ornatae aufgeführt 3. Leider erhalten wir weder über den Zweck dieser
seidenen , verzierten pluviales , noch über ihre Form von Agnellus nähere
Auskunft. Ein Jahrhundert später wird in dem Verzeichnis der durch Hilde-
brand von Castello Matenano 947 der Abtei Farfa genommenen Kostbarkeiten
ein pluviale aufgeführt i. Da es inmitten anderer gottesdienstlicher Paramente
erscheint, war es ohne Zweifel selbst gleichfalls ein solches. Die um das
Ende des 10. Jahrhunderts aus Cluny übernommenen Consuetudines von Farfa
gebrauchen statt pluviale die Bezeichnung cappa. Liturgische Gewandstücke
waren ferner die pluvialia octo , welche in einem Inventar des Klosters
S. Liberatore zu Chieti aus dem Jahre 1019 zugleich mit planetae sericae
quattuor et castaneae tres cum tunicis et amictis et stolis et mappulis suis
unter den indumenta sacerdotalia erwähnt werden 5. Auch das pluviale de
purpura und das pluviale de pallio valde bonum, von welchen der Bericht
des Abtes Bonus über die Einrichtung von S. Michele zu Pisa um das Jahr
1048 spricht, hatten nach dem Zusammenhang unzweifelhaft liturgischen
Charakter 6.
Im Norden kommt das Wort pluviale bereits in einer Schenkung des
Chorbischofs Madalwin von Passau aus dem Jahre 903 vor, und zwar be-
zeichnet es hier ohne Zweifel ein zu liturgischen Zwecken dienendes, von der
Gebrauch der Hände in der Mitte des Körpers a. 1215, c. 3; Conc. Lat. IV, c. 16; Conc.
mit einem Schlitz versehen wurde. Salisber. a. 1217, c. 10 (Hard. VI 1931 1976
1 Vgl. die Nachweise im folgenden Para- 1991 2046; VII 34 91); sonstige Belege bei
graphen. D. C. sub cappa.
2 Vgl. z. B. Syn. Eborac. a. 1195, n. 6; 3 M. G. SS. Langob. 350.
Constit. Gallon. Card. a. 1208, c. 3; Syn. * M. G. SS. XI 536.
Avenion. a. 1209, c. 18; Conc. Montispes. '■ Mur., Ant. IV 769. 6 Ebd. 789.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
309
Kasel verschiedenes Gewandstück 1. Von einem pallium pluviale ist um das
dritte Viertel des 10. Jahrhunderts in der Biographie des hl. Odo von Cluny
die Rede. Es wird dort erzählt, es sei dem Heiligen in einem Traumgesicht
St Martin erschienen stola splendida indutus , super quam pallio pluviali
utebatur et episcoporum more ferulam gerebat 2. Eine vestis pluvialis be-
gegnet uns in der um 1060 von Wibert, Archidiakon zu Toul, geschriebenen
Vita Leos IX. 3 Sie wird ausdrücklich mit der cappa identifiziert : quae cappa
vocitatur, und scheint den päpstlichen Mantel zu bedeuten. In den römischen
Ordines heißt das Gewand stets pluviale. Die ersten, welche seiner unter
diesem Namen gedenken, sind der 10. und 11. Ordo; beide entstammen der
Frühe des 12. Jahrhunderts 4. Die Cappa, welche in den römischen Ordines
hie und da erwähnt wird, bedeutet bald, wie auch sonst im Mittelalter häutig,
die Cappa choralis oder den klerikalen Mantel, bald das mantum des Papstes,
d. i. den Papstmantel.
Wie sehr in Italien schon im Mittelalter die Bezeichnung pluviale vor-
herrschte, zeigen am besten die Inventare, welche das Gewand fast nur unter
dem Namen pluviale, piviale, aufführen. Durch die Aufnahme in das römische
Missale, Caeremoniale und Pontifikale erhielt das Wort offizielle Bedeutung.
Was die Etymologie des Wortes pluviale anlangt, so muß dasselbe ursprüng-
lich ein Gewand bezeichnet haben , welches zum Schutze gegen den Regen diente,
also wohl einen Mantel , der mit einer Kapuze versehen war. Im Laufe der Zeit
stumpfte sich indessen, wie es auch in andern Fällen nicht selten geschieht, diese Be-
deutung dahin ab, daß man überhaupt einen mit einer Kapuze ausgestatteten Mantel
pluviale nannte , auch wenn er nicht gegen den Regen getragen wurde. Zur Zeit,
als das Pluviale unter die liturgischen Gewänder Aufnahme fand , dürfte der anfäng-
liche Sinn des Wortes schon ganz verdunkelt gewesen sein ; denn die Funktionen,
bei denen der Mantel zur Anwendung kam , vollzogen sich ja vornehmlich in der
Kirche oder sonstigen bedeckten Räumen, in denen ein „Regenmantel" offenbar keinen
Sinn hatte.
Der Ursprung des Wortes cappa, statt dessen auch wohl capa geschrieben wird,
ist unsicher. Isidor von Sevilla, nach welchem es eine Kopfbedeckung bedeutet, meint,
es komme entweder von dem Buchstaben Kappa her, mit dem die Kopfbedeckung
wegen ihrer beiden Spitzen Ähnlichkeit habe, oder es sei auf caput zurückzuführen ä.
Es bedarf kaum der Bemerkung, dafä diese rein äußerlichen Ableitungsversuche wie
so manche andere in den „Etymologien" unmöglich ernst genommen werden können.
Eine andere Erklärung bringt cappa mit capere in Verbindung : capa sie dieta , quia
quasi totum capiat hominem. Sie soll sich nach Du Cange ° ebenfalls in den Etymo-
1 Monum. Boica XXVIII , pars 2, p. 201 :
Tradidit namque suum apparatum i. e. sicut
ipse paratus ad missam solitus fuerat stare :
pluviale purpureum auro paratum , casulam
purpuream siricam de sirico precioso, stolas
2 cum anfanone auro et gemmis paratum
(sie). Unter dem pluviale mag hier vielleicht
eine mit Kapuze versehene Kasel zu verstehen
sein, wenn nicht etwa, was wohl das richtige
ist, ad missam solitus fuerat stare als minder
genaue Angabe zu betrachten ist.
2 L. 2, n. 2 (M. 133, 61): vgl. Nagoldi,
Vita S. Odonis n. 29 (ebd. 97).
3 L. 2, c. 8 (M. 143, 496).
1 In den früheren römischen Ordines ist
weder von einer Cappa, noch einem Pluviale
die Rede, mit Ausnahme des 6., welcher die
dem Priester assistierenden Priester mitCappae
ausgestattet sehen will. Dieser aber ist nicht
sowohl ein eigentlich römischer Ordo als viel-
mehr eine Darstellung der Pontifikalmesse,
wie sie sich auf der Grundlage des römischen
Ritus außerhalb Roms vollzog, daher denn
auch durchsetzt mit nichtrömischen Elementen,
wozu unter anderem die Cappa der Assistenten
samt deren Namen gehören mag.
5 Etymol. I. 19, c. 31 (M. 82, 699).
s A. a. O. s. v. cappa II, 110. Aus Du Cange
ist die Erklärung vielfach von andern, selbst
von Grimm, Deutsches Wörterbuch V 188,
unbesehen und ohne weiteres als Äußerung
Isidors herübergenommen worden.
310
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
logien finden, in Wirklichkeit kommt sie jedoch darin nirgends vor. Ob die Ableitung
an sich zutreffend ist oder ob nicht cappa vielleicht hesser mit capsa in Verbindung
gebracht wird, möge dahingestellt bleiben.
In älteren spanischen Inventuren wird das Pluviale auch wohl mantus
genannt, so z. B. in einem Verzeichnis der Paramente, welche König Ferdinand
1063 der Kathedrale von Leon hei der. Translation der Reliquien des hl. Isidor
von Sevilla schenkte: mantos 2 aurifrissos (sie). Ebenso in einem Inventar der
Kathedrale von Leon aus dem Jahre 1073: tres mantos, unum ciquilatonem
et duos morgones. Eine Bedeutung hat dieser Name nie gewonnen. In spät-
mittelalterlichen deutschen Inventaren heißt das Pluviale gewöhnlich köre
kappe (korkappe), doch auch wohl rauchkasel 1.
III. ALTER DES GEWANDES.
Die früheste Erwähnung findet das Gewand in der Stiftungsurkunde
des Klosters Obona in Spanien aus dem Ende des 8. Jahrhunderts, in dem
Inventar von St-Riquier2 und im Verzeichnis der gottesdienstlichen Gegen-
stande , welche der hl. Ansegisus zufolge seiner von einem Zeitgenossen
verfaßten Biographie dem Kloster Fontanelle schenkte. Wenn nämlich die
Stiftungsurkunde von Obona neben drei Kasein unam cappam sericam, das
Inventar von St-Riquier neben 40 Kasein cappam castaneam (kastanienfarbig)
auro paratam unam, sericam unam und die Vita S. Ansegisi neben zwölf
Kasein cappas romanas duas, unam videlicet ex rubeo cendato (rotes, un-
gemustertes Seidenzeug) et fimbriis viridibus ornatam, alteram ex cane pontico,
quem vulgo beuvrum nuneupant, similiter fimbriis sui coloris decoratam ver-
zeichnet, so können unter diesen von den Kasein offenbar irgendwie ver-
schiedenen cappae nur liturgische Gewandstücke verstanden werden. Das beweist
ebensowohl ihre Kostbarkeit wie der Umstand, daß sie mitten unter sonstigen
gottesdienstlichen Paramenten aufgeführt werden. Insbesondere gilt solches
von den cappae, von welchen in der Vita S. Ansegisi die Rede ist, da diese
ausdrücklich als vestimenta ecclesiastica bezeichnet werden. De vestimentis
ecclesiasticis, heißt es hier, largitus est . . . dalmaticas . . . roecum sub-
diaconalem . . . planetas . . . cappas romanas. Es liegt um so weniger ein
Grund vor, an der liturgischen Bestimmung der fraglichen cappae zu zweifeln,
weil bereits in Inventaren aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts die cappae
in einer Anzahl auftreten, die sich nur bei Annahme einer gottesdienstlichen
Verwendung des Gewandes erklären läßt 3. So gab es in St Bavo zu Gent
' So z. B. im Inventar von St Michael zu
Zeitz aus dem Jahr 1514.
2 Chron. Centul. 1. 3, c. 3 (M. 174, 1258).
Das Inventar erwähnt auch cappae 377, wie
schon das Schatzverzeichnis aus dem Beginn
des Jahrhunderts cappae 200 aufgeführt hatte.
Diese cappae waren indessen keine litur-
gischen Gewandstücke, sondern cappae, welche
von den München an den höchsten Feier-
tagen beim Gottesdienst angezogen wurden,
also Feiertagsrnäntel, die man in der Sakristei
aufbewahrte, weil sie niemand besonders zu-
gewiesen waren, sondern an den Festtagen in
der Sakristei zum Gebrauch in der Kirche
unter die Mönche verteilt wurden.
3 E. Bishop hat in seinem vorzüglichen
Aufsatz : The origin of the cope as a church
vestement (Dublin Review CXX 31) Bedenken
gegen die liturgische Bestimmung der cappae
der Inventare von St-Riquier und Fontanelle.
Dieselben sind indessen um so weniger be-
gründet, als der Verfasser selbst die nur
zwei Jahrzehnte späteren cappae von St Bavo
zu Gent als kirchliche Gewänder ansieht.
Daß die eine Cappa, welche in der Vita des
hl. Ansegisus erwähnt wird , aus Biberpelz
bestand, kann nichts verschlagen. Biberpelz
war ein kostbares Material. Auch darf wohl
an die zahlreichen Lederkasein des IS. Jahr-
hunderts erinnert werden.
Drittes Kapitel. Das Pluviale. 311
schon 851 nicht weniger als 24 kostbare cappae de pallio, die etwas später
freilich bei dem Einfall der Normannen zum größten Teil abhanden kamen.
Denn ein nach dem Abzug der Feinde und nach Wiederherstellung der Ordnung
aufgestelltes Inventar vermerkt neben casulae 7 nur noch cappae 3. Zu St Trond
besaß man um 870 neben 12 casulae pretiosae de pallio 33 cappae pretiosae
de pallio. Im Jahre 877 schenkte Abt Hilduin der Abtei St-Bertin cappam
nivei coloris, rubeis intersectam volucrum figuris K Ein Inventar von Mar-
chiennes aus dem Ende des 9. Jahrhunderts verzeichnet 18 cappae gegenüber
nur 8 Kasein, ein Inventar von Pfäffers gleichfalls aus der Wende desselben
6 Cappae neben 6 casuculae.
Die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts ist ersichtlich die Zeit, in der
die cappa Aufnahme unter den liturgischen Gewändern fand und die Ivasel
aus einer Reihe von Funktionen, bei welchen diese bis dahin zur Anwendung
kam, zu verdrängen begann. Im 10. Jahrhundert war ihr Gebrauch bereits
weit verbreitet. Die Inventare und Gabenverzeichnisse aus dieser Zeit lassen
daran keinen Zweifel.
Man vergleiche beispielsweise die Schenkung Madalwins von Passau von 903
(pluviale purpureum, auro paratum), das Testament Kiculf's von Eine von 915 (capas
duas, una purpura et alia bition [blattion]), die Dotationsurkunde des Klosters S. Sal-
vador von Lerez aus dem Jahre 916: 12 vestimenta sacra sacerdotalia (Kasein) et
4 cappas sericas, ein Inventar von Lamspringe (?): casulae 4, cappae 5; ferner die
Schenkung des Bischofs Abraham von Ereising (957 — 994): cappae cum aureis fibulis
paratae 62, aliae cappae de probatissimis palliis 16, planetae auro paratae 6, das
Inventar von Clermont-Ferrand : casulas optimas 5, cotidianas 2 . . . capas 27, die
Schenkung des Bischofs Ethelwold für Peterborough : 6 masse hacelan (Kasein) and
4 caeppan ; weiter das Inventar von Wörthsee (Kärnten) : cappae 2, planetae 6, das Testa-
ment Brunos von Köln : Monasterio Sosacio fundando . . . cappa et casula ex nostris '■',
das Verzeichnis der durch Hildebrand von Castello Matenano abhanden gekommenen
Kostbarkeiten des Klosters Parfa: pluviale unum; dann das Inventar der von Bischof
Odalrich erworbenen und der Kathedrale von Cremona geschenkten Paramente aus
dem Jahre 984 : pluviales dedimus 4 cum frisis aureis et 1 iterum sine auro, 3 quoque
alia de manibus raptorum eruimus , die Schatzverzeichnisse von Pfäffers aus dem
10. Jahrhundert u. a. Dazu kommen noch gelegentlieh vereinzelte Nachrichten. So
erzählt Helgaud , es habe Adelheid , die Mutter des Königs Robert , zu Ehren des
hl. Martin cappam unam intextam auro, duas vero de argento gestiftet 4. Abt Immo
von St Gallen bereicherte 675 sein Kloster mit stolas deauratas, cappas, dalmaticas,
subtilia5, um die Mitte des 10. Jahrhunderts aber gab es zu St Gallen eine ca2)pa
aquilifera, eine mit Adlern verzierte cappa G.
Im 11. Jahrhundert muß die liturgische Cappa oder, was dasselbe ist, das litur-
gische Pluviale sich bereits allgemein Eingang verschafft haben. Es gibt wohl kaum
ein Inventar größerer Kirchen aus dieser Zeit, in dem sich nicht auch eine Anzahl
mehr oder minder kostbarer Pluvialien verzeichnet fände. Beispiele bieten die Schatz-
verzeichnisse von Speier (1051) mit cappae 12, quarum 8 auro texto ornatae, von
Kremsmünster (1014) mit cappae coccineae 26, von Kloster Abdinghof zu Paderborn
(1031) mit cappae 25, von Prüm (1003) mit cappae 29 neben casulae 30, von Benedikt-
beuren (1032) mit casulae 9, aber cappae 12, von Enger (ca 1000) mit 6 cappae,
2 auro ornatae, von Ely in England (1079) mit 34 cappae, 4 earum cum aurifriso,
von St-Laurent zu Lüttich (1034) mit cappae 9 ex palliis optimis, von St Gallen
1 Folcuini Gesta abb. S. Bertini Sithiens. 5 Cas. S. Galli cont. II, c. 1 (M. G. SS.
n. 85 (M. G. SS. XIII 622). II 150).
- M. G. SS. XXIV 321. 3 Ebd. IV 275. e Ekkeliardi IV Casus S. Galli c. 3 (ebd.
4 M. 141, 917. II 108).
312
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
(11. Jahrhundert) mit cappae 32, davon 8 cappae auro paratae, von Pfäffers unter
Abt Hartmann (1012—1026) mit 6 cappae und unter Abt Ulrich (1067— 1080) mit
8 cappae.
Die ältesten bildlichen Wiedergaben der Cappa entstammen der
Mitte des 9. Jahrhunderts; sie finden sich auf zwei Miniaturen, den Initialen
0 und D, und auf einer der Deckelskulpturen des Drogosakramentars. Das
Relief (Bild 143) und die Initiale O stellen die Spendung des Sakramentes der
Firmung dar, während die Initiale D Begebenheiten aus dem Leben des
hl. Arnold, Bischofs von Metz, insbesondere eine Teufelaustreibung und eine
durch Salbung mit dem heiligen Ol bewirkte Totenerweckung erzählt. Die
Cappa erscheint auf allen drei Bildwerken mit einer Kapuze ausgestattet, im
übrigen aber sieht sie einer Kasel völlig gleich. Das Belief und die Initiale O
lassen es allerdings ein wenig fraglich, ob wir uns das Gewand vorn als offen
oder als geschlossen zu denken haben. Indessen wird jeder diesbezügliche
Zweifel durch die Initiale D beseitigt, bei
welcher die Cappa in aller wünschenswerten
Deutlichkeit als vorn geschlossen darge-
stellt ist.
Ein anderes frühes Beispiel der Cappa
liefert die vielleicht noch dem 9. Jahrhun-
dert angehörende Elfenbeintafel der Maclean-
schen Sammlung (Bild 66, S. 168). Sie stellt
die Erteilung des bischöflichen Segens dar.
In der Mitte steht der Bischof neben dem
Lectorium, die Rechte zum Segen erhoben;
über ihm sind fünf Diakone in der Dalmatik
angebracht, zu seinen Füßen aber gruppieren
sich um ihn sieben Cantores in gegürteter
Albe und Cappa. Auch hier ist das Gewand
vorn geschlossen 1.
Vor der Brust aufgeschlitzte Cappae,
also Cappae nach Art unseres heutigen
Pluviale , kommen auf den Monumenten
vor dem 11. Jahrhundert nicht vor. Die
beiden ältesten Beispiele dürften eine Miniatur eines aus Minden herrühren-
den Codex der kgl. Bibliothek zu Berlin 2 und eine Federzeichnung in dem
Pontifikale von Aletis (St-Malo) in der Stadtbibliothek zu Rouen 3 bieten.
Die Berliner Miniatur stellt den Bischof Sigibert von Minden auf seinem
Thronsessel dar, zur Linken einen Diakon, zur Rechten einen Priester. Alle
sind in ihre liturgischen Gewänder gekleidet, der Bischof in Pontifikaltracht,
um die Schultern das Rationale, der Diakon in Albe, Stola und Dalmatik,
der Priester in Albe und vorn offener, auf der Brust mit einer Schließe be-
festigter Cappa. Eine Kapuze fehlt bei dem Gewand. Die Miniatur muß
zwischen 1022 und 1036 entstanden sein. Die Federzeichnung im Pontifikale
von Aletis gibt die Einweihung einer Kirche wieder. Der konsekrierende
Bischof ist in vollem Ornat abgebildet, nur trägt er statt der Kasel ein
Pluviale, das mit großer rechteckiger Fibel über der Brust zusammengehalten
Bild 143. Relief vom Deckel des
Drogosakramentars.
Paris, Nationalbibliothek.
1 Vgl. wegen des Gewandes auf den vier
angeführten Bildwerken auch oben S. 177.
2 Theol. 4°, n. 3, p. 1.
3 Eine allerdings sehr mangelhafteAbbildung
bei Müller und Mothes, Archäologisches
Wörterbuch I 55.
Drittes Kapitel. Das Pluviale. 313
wird. Die Federzeichnung scheint ebenfalls noch der Frühe des 11. Jahr-
hunderts anzugehören. Eine um etwa ein halbes Jahrhundert jüngere Dar-
stellung einer vorn offenen Cappa findet sich auf einer früher schon er-
wähnten Miniatur eines Evangeliars der kgl. Bibliothek zu Brüssel. Wir er-
blicken das Gewand hier bei einem Bischof, der die Reliquien des hl. Stephanus
überführt (Bild 122, S. 262).
Nachrichten über die Art der Verwendung der Cappa beim Gottesdienst
erhalten wir erst in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Sie finden sich
in der englischen Concordia regularis 1, den Consuetudines Farfenses, die, weil
aus Cluny herübergenommen , zugleich die Praxis von Cluny enthalten 2,
den Consuetudines von St-Vanne (Viton) zu Verdun 3 und den aus Einsiedeln
stammenden Consuetudines von St Emmeram zu Regensburg 4, also ausschließlich
in Dokumenten, welche den Brauch in Benediktinerklöstern wiedergeben. Über
die Verwertung einer liturgischen Cappa in andern Kirchen kommen uns die
frühesten Nachrichten erst im 11. Jahrhundert zu.
Den römischen Ordines der Karolingerzeit, d. i. dem 1., 2. und 3. Ordo
Mabillons und dem Ordo Duchesnes, sowie dem St Gallener Kleiderverzeichnis
ist die Verwendung der Cappa noch völlig fremd. Der einzige liturgische
Mantel, welchen sie kennen, ist die Kasel5.
Aber auch die Liturgiker des 9. Jahrhunderts wissen noch nichts von
ihrem Gebrauch beim Gottesdienst. Bei Hraban und Walafried ist das freilich
von keiner Bedeutung, da sie nur von der pontifikalen Meßkleidung handeln.
Auch bei Pseudo-Alkuin kann es nicht auffallen, da seine Ausführungen über
die liturgischen Gewänder, einige fragmentarische Bemerkungen ausgenommen,
lediglich Auszüge aus Amalar sind. Bemerkenswert ist das Schweigen da-
gegen bei Amalar. Er behandelt die gesamte liturgische Gewandung. Nichts-
destoweniger tut er der Cappa und ihres Gebrauches mit keinem Worte Er-
wähnung. Er übergeht sie selbst da, wo er, seine Erörterungen über die
liturgischen Gewänder kurz zusammenfassend , omnem clericorum ornatum
aufzählt. Mehr noch, er versichert uns mit aller Bestimmtheit, daß die Kasel
das allen Geistlichen gemeinsame Gewand sei, gerade wie später Honorius
vom Pluviale sagt: a singulis ordinibus portatur, und zwar bedienten sich
ihrer nach Amalar insbesondere auch die Cantores, die beim Gottesdienst be-
teiligten offiziellen Sänger 6.
Unter solchen Umständen liegt es auf der Hand, daß zur Zeit, da Amalar
zu Metz seine Schrift De ofticiis ecclesiasticis verfaßte, d. i. um 820, die litur-
gische Verwendung der Cappa statt der Kasel noch eine ganz vereinzelte
Erscheinung gewesen sein muß. In der Tat wird vor Abfassung der Schrift
nur einmal der liturgischen Cappa gedacht, in der Schenkungsurkunde Adel-
gasters für Obona. Denn das Inventar von St-Riquier datiert erst von 831,
die Schenkung der beiden cappae an das Kloster Fontanelle aber, von welcher
die Vita S. Ansegisi erzählt, fällt in die Zeit, da der Heilige Abt dieses
Klosters war, d. i. zwischen 823 und 833.
1 M. 137, 475 ff. 5 S. oben S. 169. Die Bezeichnung cappa
2 Alb er s, Consuetud. Farfen. Index sub romana in der Vita S. Ansegisi dürfte da-
cappa xxxviii. 3 Mar t. , Mon. IV 297 ff. her nur auf die Form der fraglichen Ge-
4 P. 0 dilo Rin gh o lz: Des Benediktiner- wänder gehen, nicht aber zum Schluß be-
stifts Einsiedeln Tätigkeit für die Reform rechtigen, daß damals auch zu Rom schon
deutscher Klöster, in Studien und Mitteilungen die Kappe beim Gottesdienst in Gebrauch
aus dem Benediktiner- und Cistercienserorden gewesen sei.
VII, Würzburg 1886, 269 ff. 6 S. oben S. 161 f.
314
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
IV. GEBRAUCH DES GEWANDES.
Wenn im vorhergehenden der Gebrauch der Cappa bis in das 9. Jahr-
hundert hinaufgeführt wurde, so soll damit nicht gesagt werden, daß er da-
mals bereits der gleiche war wie gegenwärtig und im späteren Mittelalter.
Es dauerte vielmehr eine gute Weile, bis die Kasel ausschließlich Meßgewand
geworden 1 und bei den übrigen liturgischen Funktionen die Cappa an ihre
Stelle getreten war. Noch auf den Miniaturen des Göttinger Sakramentars
gewahren wir beim Bischof überall die Kasel, selbst bei Spendung der heiligen
Ölung und der Entgegennahme der Beichte. Ähnlich schreibt noch das Ponti-
fikale von Aletis für die Versehgänge nicht etwa die Cappa, sondern die
Planeta vor2. Ja es konnte sich selbst noch in der zweiten Hälfte des
11. Jahrhunderts zwischen Lanfrank und Erzbischof' Johannes von Kouen eine
Meinungsverschiedenheit darüber erheben, ob der Bischof bei der Konsekration
der Kirchen die Kasel, wie letzterer wollte, oder die Cappa, wie Lanfrank
meinte, zu tragen habe3. Zu Rom war es damals, wie sich aus dem Briefe
Lanfranks ergibt , bereits Brauch geworden , daß sich der Konsekrator bei
dieser Funktion der Cappa bediente. Wie man sieht , herrschte noch im
11. Jahrhundert im Gebrauch von Kasel und Cappa Schwanken. Leider ist
es nicht möglich, dem Prozeß, bei dem die Kasel mehr und mehr der Cappa
weichen mußte, in seinen einzelnen Phasen nachzugehen, da die Angaben
darüber allzu spärlich sind.
Über die Praxis, welche im 10. Jahrhundert hinsichtlich der Verwendung
der Cappa herrschte, geben die vorhin erwähnten monastischen Consuetudines
mancherlei Aufschlüsse. Für das 11. Jahrhundert bieten die Consuetudines
von Eynsham4, eine Bearbeitung der Concordia regularis St Dunstans, die
Consuetudines von Cluny 5 und Hirsau 6 , die Decreta Lanfranks7 und der
Ordo des Erzbischofs Johannes von Rouen s manche Belehrung. Der Brauch
war weder überall noch zu den verschiedenen Zeiten derselbe. Im einzelnen
finden sich bezüglich der Verwertung der Cappa beim Gottesdienst vielfache
Abweichungen. Das Bild, welches wir in den angeführten Schriften von dem
Gebrauch des Gewandes erhalten, ist nur in seinen Grundzügen das gleiche.
Sieht man von der in manchen Klöstern und Stiftskirchen herrschenden
Sitte ab, wonach an bestimmten Tagen alle Mönche, die Laienbrüder und
Oblaten eingeschlossen bzw. alle Stiftsgeistliche in der Cappa dem Amt und
der ihm vorhergehenden Prozession beiwohnten 9
eine Sitte, bei der es sich
1 S. oben S. 169.
2 Mart. 1. 1, c. 7, art. 4, ordo 1: T 301:
Induat se . . . planeta, si affuerit; sin alias,
casula non induatur. Das Pontifikale wird
bei Martene als Pontifikale von Jumieges
bezeichnet.
3 Lanfranci ep. 13 (M. 150, 520). Wenn
nach dem Liber de offic. eccl. des Erzbischofs
Johannes von Rouen (M. 147, 42) am Feste
des hl. Johannes Ev. die bei der Messe
ministrierenden Priester Kasein tragen soll-
ten, so geschah das, weil dieses Fest das
Fest der Priester war, wie das Fest des
hl. Stephanus das der Leviten und der Tag
der unschuldigen Kindi-r das dc-r Chorknaben.
Wie darum am St Stephanstag Diakone in
Dalmatik den Chor dirigierten, so waren am
St Johannistag die assistierenden Priester in
Kasein gekleidet.
1 Winchester Obedientiaries' Rolls 179 ff
(Dublin Review CXX 27).
5 Uldalrici Cluniac. monachi Consuet. Clu-
niac. 1.3 (M. 149, 635 ff).
6 S. Gruilielmi abb. Hirsaug. Constitut.
Hirsaug. 1.2 (M. 150, 927 ff).
7 Lanfranci Decreta pro ordine S. Bene-
dicti (ebd. 443).
8 Liber de offic. eccl. (M. 147, 27 ff).
0 Die Sitte muß schon zu St-Riquier im
Beginn des 9. Jahrhunderts geherrscht haben,
wie die ungemein große Zahl der cappae
(200 bzw. 377) in den damaligen luventaren
Drittes Kapitel. Das Pluviale. 315
offenbar nicht um eine eigentlich liturgische Verwendung des Gewandes
handelte — , so sind es namentlich fünf Gelegenheiten, bei denen dieses ge-
braucht zu werden pflegte.
Vor allem bedienten sich dieCantores, der Chordirigent und die Sänger,
welche im Chor am Ambo das Invitatorium, die Responsorien, das Graduale,
das Alleluja usw. absangen, der Cappa, und zwar galt diese im besondern
Sinn als das den Cantores eigentümliche liturgische Gewand. Cappa vestis
propria cantorum est, sagt Honorius, obschon er zugleich bemerkt: a singulis
ordinibus portatur1. Doch trugen die Cantores nicht an allen Tagen das
Gewand, sondern nur an durch den Ortsgebrauch bestimmten Festen. Nach
dem Ordinarium des Erzbischofs Johannes von Rouen war beispielsweise an
den gewöhnlichen Sonntagen nur der Cantor, welcher das Alleluja sang, mit
der Cappa bekleidet; an Festen schwankte die Zahl der im Pluviale amtierenden
Sänger je nach dem Rang des Festtages zwischen zwei und sechs.
Zu Farfa sangen beim Officium das Invitatorium bald zwei , bald vier
in der Cappa, doch nur an Festtagen ; an den andern Tagen trugen die Sänger
beim Invitatorium lediglich die Albe. Bei der Messe war an gewöhnlichen
Tagen, wie z. B. der Vigil vor Weihnachten, an den Sonntagen Septuagesima,
Sexagesima , Quinquagesima, den Sonntagen der Fastenzeit u. ä. , nur einer
der Cantores mit der Cappa bekleidet, an Festtagen dagegen je nach deren
Qualität drei, vier, sechs, acht oder zwölf.
Zweitens bediente sich der Cappa der Priester, welcher beim Magnificat
der Vespern und bei der Matutin die Altäre zu inzensieren hatte; doch nur
an Festtagen. An hohen Festen waren es in einzelnen Klöstern zwei Priester,
welche in Cappa die Beräucherung der Altäre vornahmen.
Eine dritte Gelegenheit, bei welcher das Gewand Verwendung fand,
bildeten die Prozessionen. Sie waren entweder mit der Abhaltung des
Officiums innig verbunden, wie z. B. Sonntags, am Lichtmeßtage, am Palm-
sonntag usw., so daß sie regelmäßig im Verlauf des Kirchenjahres wieder-
kehrten, oder sie hatten nur bei besondern Anlässen statt, wie bei Reliquien-
translationen und Empfängen hoher geistlicher oder weltlicher Würdenträger.
Bald trugen bei den Prozessionen nur die Offiziatoren, Priester und Cantores,
bald der ganze Konvent die Cappa. Es hing das teils vom lokalen Brauche,
teils von dem liturgischen Rang der Prozession und der Würde der Person
ab, welcher der Empfang galt.
Die vierte Gelegenheit, bei welcher die Cappa getragen wurde, waren
die feierlichen Segnungen. Zu Farfa kam diese schon im 10. Jahrhundert
bei der Einsegnung des Abtes zur Verwendung, und zwar war sowohl der
amtierende Bischof wie der Electus mit ihr bekleidet2. Bei der Vornahme der
Kirchweihe mag sie sich auch bereits im 10. Jahrhundert eingebürgert haben;
jedenfalls war sie bei ihr in der zweiten Hälfte des 12. schon sehr gebräuchlich.
Bei der Kerzensegnung wurde es verschieden gehalten. Während z. B. die
Concordia regularis Dunstans will, daß der Abt in Cappa die Zeremonie
vornehme3, schreiben die fast hundert Jahre jüngeren Decreta Lanfranks
des Klosters beweist (s. oben S. 310). Nur (f 1072) werden unter den Paramenten,
jene Gewänder sind als liturgische zu be- welche der Bischof seiner Kathedrale gab,
trachten, welche von den beim Gottesdienst auch 8 cantercaeppa genannt,
amtlich tätigen Personen als Amtskleidung - Albers, Consuet. Farfen. 142; vgl.
getragen werden. auch Üdalrici monachi Consuet. Cluniac. 1. 3,
1 In der Schenkung Leofrics von Exeter c. 1 (M. 149, 733). 3 M. 137, 488.
316 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
vor , sie solle nur in Albe und Stola vollzogen werden K Bei der Weihe
der Asche war das Gewand nirgends üblich, nicht einmal zu Farfa2, wo man
doch sonst mit seiner Verwertung keineswegs sparsam war.
Den ausgedehntesten Gebrauch scheint man von der Cappa in dem pracht-
liebenden Cluny und in den Klöstern gemacht zu haben, welche die Con-
suetudines von Cluny übernommen hatten. Anderswo, wie zu Einsiedeln, Canter-
bury und Rouen, war er weit seltener. Bei Begräbnissen dürfte die Cappa
im 10. und 11. Jahrhundert nirgends benutzt worden sein; der amtierende
Priester erschien bei ihnen bloß in Albe und Stola. Wenn wir auf zwei
Miniaturen eines Antiphonars zu Salzburg, von denen die eine das Begräbnis des
hl. Johannes Ev., die andere das des hl. Rupert darstellt, einen Priester im
Pluviale die Einsegnung der Leiche vornehmen sehen, so ist hier das Gewand
wahrscheinlich eine Zutat des Miniators. Das Antiphonar entstammt nach
Ausweis der Form, welche die Mitra auf den Miniaturen hat, etwa der Mitte
des 12. Jahrhunderts3. Bei Absingung des Evangeliums am Schluß der dritten
Nokturn des Officiums nach dem Tedeum war der Hebdomadarpriester mit
Albe, Manipel, Stola und Kasel bekleidet, welche er während des Hymnus
in der Sakristei anlegte4.
Die fünfte Gelegenheit endlich bildeten die Synoden. Schon um das
Ende des 11. Jahrhunderts war es Brauch, daß die Bischöfe auf ihnen die
Cappa trugen5. Im 12. Jahrhundert wird uns diese Sitte durch das Ordi-
narium von Limoges 6 bezeugt.
Wenn also auch von einer Einheit in der Verwendung des Gewandes
bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts keine Bede sein kann, so war immer-
hin die spätere Praxis damals bereits in den Hauptzügen fertig, und es be-
durfte nur eines Ausbaues, einer Befestigung und einer Verallgemeinerung
des bestehenden Brauches. Sie erfolgten im Verlauf des 12. Jahrhunderts7.
Im Beginn des 13. hatte die Entwicklung im großen und ganzen ihren Ab-
schluß erreicht, und das Pluviale unter den liturgischen Gewändern die Stellung
sich erobert, welche es seitdem bis auf die Gegenwart ununterbrochen be-
hauptet hat. Was das römische Missale und etwas später das Caeremoniale
bezüglich der Verwendung des Gewandes bestimmten, war nichts anderes,
als was schon das ganze spätere Mittelalter hindurch gang und gäbe ge-
wesen war. Die liturgischen Bücher aus dieser Zeit, die Missalien, Ponti-
fikalien, Ordines, Ritualien, Konsuetudinare , Ordinäre und wie sie immer
heißen mögen, beweisen das zur Genüge. Von den Liturgikern des 12. Jahr-
hunderts ist Honorius der erste, welcher von der Cappa redet, leider ohne
über ihre Verwendung nähere Angaben zu machen. Er begnügt sich mit
der schon früher angeführten Bemerkung, daß die Cappa das den Cantores
im besondern zustehende Gewand sei, daß sie im übrigen aber von allen
Geistlichen getragen werden dürfe 3. Die Cappae, deren Rupert von Deutz Er-
wähnung tut, wenn er in der Schrift De officiis divinis schreibt: cappam in
1 Sect. 2 (M. 150, 452). ° Mart. 1. 3, c. 1, ordo 3; II. 311.
- Albers, Consuet. Farfen. 31. 7 Ein Pontiflkale von Besaneon (12. Jahrb.)
3 Lind, EinAntiphonar mit Bildersclinmck, läßt den Bischof in purpurner Cappa am
Wien 1870, Tfi 4 und 34. Aschermittwoch die Ausweisung der Büßer
4 Lanfranc. Beeret, sect. 7 10 (M. 150, vornehmen (Mart. 1. 1, c. 8, art. 7, ordo 13;
473 479). S. Guilielmi abb. Hirsaug. Con- I 289) ; ein Rituale von Narbonne (12. Jahrb.)
stitut. Hirsaug. c. 82 ("ebd. 1007). schreibt für die Ascheuweihe die Cappa plu-
5 Eadmeri Historia novorum in Anglia vialis vor (ebd. 1. 4, c. 15, ordo 1; III 50.)
1. 2 (M. G. SS. XIII 143). 8 Gemma 1. 1, c. 227 (M. 172, 612).
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
317
maioribus festis superinduimus, sind, wie es scheint, nicht das eigentlich litur-
gische Pluviale, sondern die Festtagscappa, welche man in den Benediktiner-
klöstern an hohen Festen im Chor beim feierlichen Gottesdienst zu tragen
pflegte 1.
Von den römischen Ordines Mabillons ist der 6. Ordo der erste, der
von der Existenz und Verwendung der Cappa Mitteilung macht. Er gibt
indessen bloß an, daß die dem Bischof assistierenden Priester mit ihr aus-
gestattet seien 2. Aber auch die dem 12. Jahrhundert entstammenden Ordines
erzählen nur wenig von dem Pluviale, wie die Cappa in ihnen stets genannt
wird, teils weil sie überhaupt von der liturgischen Kleidung, welche sie
offenbar als bekannt voraussetzen, kaum etwas Belangreiches sagen, teils
weil sie bloß eine bestimmte Summe von Funktionen besprechen. Es sind
nur ganz vereinzelte Angaben, welche sie über den Gebrauch des Gewandes
machen. So lesen wir im 10. Ordo Mabillons, daß am Gründonnerstag bei
der Ölweihe und den Karfreitagszeremonien die Bischöfe dem Papste im
Pluviale zu assistieren und beim Begräbnis eines römischen Klerikers vier
Bischöfe, Kardinalpriester oder Erzpriester im Pluviale die Inzensation des
Altares vorzunehmen hatten3. Im 11. Ordo wird uns berichtet, daß die
iudices und praefecti navales, welche den Papst bei seiner feierlichen Heim-
kehr von der Stationskirche begleiteten, und die notarii, die im Chore der
Stationskirche der Stationsmesse anwohnten, das Pluviale trugen4. Der
12. Ordo endlich läßt das Gewand gebrauchen den Kardinaldiakon, welcher
beim Mahl am Weihnachtstag die Tischlesung hatte, die Kardinäle bei der
Prozession nach S. Croce am Karfreitag und den Papst beim Zug nach S. Lorenzo
beim Lateran am Osterfest6. Eine sehr interessante Notiz findet sich in n. 46
des 12. Ordo. Wir erfahren dort, daß die mappularii und cubicularii, welche
bei der Weihe eines Bischofs beschäftigt gewesen waren, das Recht auf das
Pluviale des Neukonsekrierten hatten. Wollte letzterer dieses behalten , so
mußte er es mit einer nach seinem Rang und Vermögen vom camerarius be-
messenen Geldsumme auslösen6.
V. FORM UND BESCHAFFENHEIT DES GEWANDES.
Zur Karolinger zeit war die liturgische Cappa, nach den Bildwerken
zu urteilen, ein nach Weise der Kasel vorn von unten bis oben geschlossener,
mit einer Kapuze versehener Mantel. Ob es damals auch schon an der Vorder-
seite aufgeschlitzte und auf der Brust mit einer Schließe befestigte gegeben
hat, muß dahingestellt bleiben. Unwahrscheinlich ist das allerdings nicht,
da ja in jener Zeit nach gallischer Sitte auch die klerikale Cappa, wie
vorhin gesagt wurde , an der Vorderseite offen gewesen sein dürfte 7. Die
cappae romanae, von welchen in der Vita S. Ansegisi die Rede ist, waren
1 L. 2, c. 24 (M. 170, 54).
2 N. 1 (M. 78, 989). Vgl. oben S.309, Anm.4.
3 N. 3 13 37 (ebd. 1009 1013 1023).
4 N. 19 21 (ebd. 1033).
5 N. 5 28 32 (ebd. 1066 1075 1077).
6 Ebd. 1088. Die mappularii und cubicularii
waren Bedienstete , deren Aufgabe es war,
bei den Stationen die Teppiche, Behänge,
den Betschemel, die Kissen u. ä. zu tragen,
auszubreiten bzw. aufzustellen und wieder
mitzunehmen. So beschreibt Ordo 12 n. 45
ihr Amt. Auch hatten sie für heißes Wasser
zu sorgen , so oft der Papst an einer Bitt-
prozession teilnahm, damit derselbe, der in
solchen Fällen stets barfuß zu gehen hatte,
nach Beendigung der Feier seine Füße waschen
könne. Desgleichen hatten sie die mappula
(eine Art von Baldachin) zu tragen , unter
welcher der Papst von der Türe der Stations-
kirche zum Altar derselben schritt. Von
dieser mappula hatten sie ihren Namen.
7 S. oben S. 307.
318
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
aller Wahrscheinlichkeit nach rings geschlossene Gewänder. Darauf läßt die
cappa more romano consuta, welche Bischof Arno von Salzburg Alkuin
zum Geschenk machte, schließen 1 ; denn wenn diese auch wohl nur eine ge-
wöhnliehe klerikale Cappa war, so zeigt sie doch, welche Form das Gewand
damals nach römischem Brauch zu haben pflegte.
Im 11. Jahrhundert war die liturgische Cappa nach Ausweis der
früher erwähnten Miniaturen schon vorn aufgeschlitzt, und so blieb es dann
für die ganze Folgezeit Regel. Die früheste Beschreibung der Cappa geben
Rupert von Deutz und Honorius. Beide bezeichnen sie im Einklang mit den
bildlichen Darstellungen als ein vorn offenes Gewand , das nur mittelst einer
Fibel geschlossen wurde.
Ein Schild, wie er jetzt am Pluviale angebracht ist, war diesem ur-
sprünglich fremd. Statt seiner war ihm oben im Nacken eine Kapuze an-
genäht. Sie ist uns schon auf Bildwerken der Karolingerzeit begegnet2. Auf-
fällig ist, daß auf den Darstellungen des Gewandes, welche dem 11. Jahrhundert
entstammen, eine Kapuze nicht vorgesehen ist3. Ob diese wirklich häufig
weggelassen wurde, seitdem das Pluviale vorn offen war und sich infolge-
dessen auch ohne sie von der Kasel deutlich unterschied? Klar kommt sie
auf den beiden eben angeführten Miniaturen des Salzburger Antiphonars
zum Vorschein *. Ein wirkliches mittelalterliches Pluviale mit Kapuze hat
sich zu St Paul in Kärnten erhalten; die Kapuze ist jedoch bei ihm bereits
so klein, daß sie niemals praktischen Zwecken gedient haben kann (Bild 144).
Beträgt doch ihre Länge nur 0,45 m und ihre Höhe nur 0,22 m. Sie beweist,
daß die als Kopfbedeckung gebrauchte Kapuze nicht unmittelbar durch den Schild
ersetzt wurde, sondern daß sich zwischen beide als Übergangsform eine Zier-
kapuze einschob , indem jene zunächst zur Miniaturkapuze und als solche
zum bloßen ornamentalen Anhängsel wurde und erst dann zu einem einfachen
Zeugstück verkümmerte.
Wann die eigentliche Kapuze in Abgang kam und durch die Zierkapuze
ersetzt wurde, läßt sich nicht näher bestimmen. Wie so manche andere
Änderung in Bezug auf die Form und Beschaffenheit der liturgischen Ge-
wandung wird auch diese an den verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten
vor sich gegangen sein. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war die
Umbildung schon vollzogen, wie das aus dieser Zeit stammende Pluviale
von St Paul mit seiner Miniaturkapuze beweist.
Der Hauptgrund der Änderung dürfte in der stofflichen Beschaffenheit
des Pluviale zu suchen sein. An einem Prachtgewande, wie es die liturgische
Cappa schon im 10. Jahrhundert so häufig war, hatte eine wirkliche Kapuze
nur wenig praktische Bedeutung mehr. Oder wie hätte man eine Kapuze
länger als Kopfbedeckung verwenden sollen, die aus so kostbaren Zeugen
angefertigt war, wie sie damals zur Herstellung des Chormantels gern ge-
1 S. oben 8. 307. Um 1020 kommt die
Bezeichnung cappa romana in der Historia
Ademars von Chavannes gelegentlich der
Beschreibung der Weihe und Inthronisation
des Bischofs Giraldus von Limoges (1. 3,
n. 49 [M. G. SS. IV 138]), im 12. Jahrhundert
aber in einem Ordinarium von St-Martial zu
Limoges vor (M a r t. 1. 3 , c. 1 , ordo 3 4 ;
II 311). Auch in einem Tabularium von
St-Cybar zu AngoulSme (D, C. sub cappa
II 112), das ebenfalls wohl noch der Frühe
des Jahrtausends angehören dürfte , findet
sich der Ausdruck. In allen drei Fällen ist
ohne Zweifel das Pluviale gemeint, d. i. die
liturgische Cappa in der damals allgemein
gebräuchlichen Form. Hinzugefügt sei, daß
Limoges wie Angouleme im Südwesten Frank-
reichs liegen.
2 S. oben S. 312 s Ebd.
1 S. oben S. 316.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
319
braucht wurden? Wäre sie doch in diesem Falle nur zu bald schmutzig ge-
worden und verdorben. Um so eher aber konnte die Kapuze zu einem bloßen
Ornament verkümmern, weil die meisten Gelegenheiten, bei denen man sich
des Gewandes bediente, wie z. B. die Inzensierung des Altares, die Vornahme
der feierlichen Segnungen, die Prozessionen in der Kirche und dem Claustrum
und ähnliches, eine Bedeckung des Kopfes als überflüssig erscheinen ließen,
für die Fälle aber, wo der Gebrauch einer solchen zweckmäßig war, sich all-
mählich eine besondere Kopfbedeckung eingebürgert hatte.
Am frühesten begegnet uns diese bei- den Cantores. Schon Honorius er-
wähnt sie bei ihnen : Cantores caput pileis ornant. Ja es reichen die ersten
Spuren dieser Kopfbedeckung der Cantores bis in das Ende des ersten Jahrtausends
hinauf. Eine Urkunde des Erzbischofs Willegis von Mainz aus dem Jahre 976
bringt uns, wie es scheint, bereits von ihr Kunde. Der Cantor und Prior
Bild 144. Pluviale. St Paul (Kärnten).
Gozmarus des Stifts Aschaffenburg hatte durch grobe Unvorsichtigkeit einen
Schüler mit der Schreibtafel erschlagen. Willegis verurteilte ihn deshalb zur
Absetzung von Amt und Einkommen, trennte die Kantorie und das Priorat
voneinander und entzog dem Inhaber der Kantorie das Recht, die Abzeichen
des Chorregenten, Stab und Infula, hier wohl der pileus cantorum des Ho-
norius , die Cantormütze , zu tragen 1. Der Grund für die Einführung der
Mütze bei den Cantores mag die Absicht gewesen sein, ihnen eine Art von
Abzeichen zu geben. Aber auch bei den andern Geistlichen gab es zur Zeit,
da die Kapuze zum Zierstück wurde, beim Chorgebet schon eine besondere
Kopfbedeckung, die bald mutzen- bald kapuzenartige Almucia 2. Es ist wohl
1 Gudenus, Codex diplom. I 354. Bei
der vielfachen Bedeutung, welche infula im
Mittelalter hatte, könnte man freilich an sich
auch an die Cappa des Cantors denken ; in-
dessen wird denn doch wegen der Bemer-
kung des Honorius über den pileus der Sänger
die infula am besten als pileus aufgefaßt.
- Näheres am Ende dieses Kapitels.
320 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
kaum zweifelhaft, daß ihr Auftreten mit der Umbildung der Kapuze ebenfalls
in einem inneren Zusammenhang steht.
Bei einer Kapuze, die bloßer Zierat war, blieb es nicht lange. Sie
wurde schon im Verlauf des 13. Jahrhunderts zu einem bloßen schildförmigen
Zeugstück, das freilich noch lange caputium oder capulum hieß und auch
noch durch seine dreieckige Form an die ursprüngliche Kapuze erinnerte.
Anfangs war das capulum klein, nicht größer als die Miniaturkapuze, an
deren Stelle es getreten war, eher sogar kleiner als diese und meist ein regel-
rechtes, gleichseitiges Dreieck. Im 14. Jahrhundert wurde es jedoch langsam,
aber stetig größer, während seine Seiten zu gleicher Zeit sich bogenförmig
zu krümmen begannen. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatten seine
Maße und die Krümmung der Seiten bereits so sehr zugenommen, daß es wirk-
lich war, was der Name, den es nun erhielt, besagte, ein clipeus, Schild.
Eine weitere Veränderung hob dann um die Mitte des 15. Jahrhunderts
an. Der Spitzbogen, in dem der Schild unten endigte, erhielt eine stark ge-
drückte Form, bei der vielfach kaum mehr die Spitze wahrnehmbar war.
Auch artete er wohl in einen völligen Eselsrücken aus. Im 16. Jahrhundert
verschwand der spitzbogige Abschluß ganz, um zunächst von einem halbrunden
und hierauf von einem halbovalen abgelöst zu werden. Damit war eine Form
des Schildes gefunden, welche für lange Zeit nicht mehr vom Plan verschwinden
sollte und sich selbst gegenüber den Reformversuchen beim Wiederaufblühen
der Paramentik im 19. Jahrhundert im großen und ganzen als sieghaft er-
wies (Bild 145).
Die einzige Weiterentwicklung, die seitdem mit dem Schilde vor sich
ging, bestand in der Zunahme seiner Maßverhältnisse. War er um 1500 noch
immer bloß mäßig groß, so war er bis zum 18. Jahrhundert ein den Rücken
in seiner ganzen Breite bedeckendes, bis über die Körpermitte herabhangendes
Zeugstück geworden. Das bei der Wiederbelebung des Sinnes für edlere
Formen der Paramente sich geltend machende Bestreben, den Schild auf ein
bescheideneres Maß zurückzuführen, hatte nur teilweisen Erfolg.
Man kann die Frage aufwerfen, ob das Pluviale oder die liturgische
Cappa im Mittelalter stets mit einer Kapuze bzw. einem Schild ausgestattet
worden sei. Eine diesbezügliche Vorschrift hat nie bestanden, wenigstens
findet sich keine Spur einer solchen. Doch war es jedenfalls das gewöhnliche,
weshalb denn auch Honorius schlechthin bemerkt: In supremo caputium habet.
Auffällig ist, wie schon bemerkt wurde, daß auf den Miniaturen, zumal den
früheren, das caputium oder der clipeus häufig fehlen. Indessen könnte das
zuletzt auf einer dem Künstler zur Last fallenden Vergeßlichkeit oder auf der
zeichnerischen Unfähigkeit des Miniators beruhen. Wichtiger ist, daß an ver-
schiedenen der noch vorhandenen mittelalterlichen Pluvialien ein Schild nicht
bloß gegenwärtig fehlt, sondern auch nie angebracht gewesen zu sein scheint.
Immerhin dürften das nur Ausnahmen gewesen sein, die sich zum Teil aus
der besondern Beschaffenheit der betreffenden Gewänder — meist handelt es
sich bei ihnen um ganz bestickte Pluvialien — genügend erklären. In der
Tat wird beispielsweise im Inventar des apostolischen Schatzes von 1295 nur
bei einem von 26 Pluvialien das Fehlen des caputium vermerkt. Im Schatz-
verzeichnis von St Peter aus dem Jahre 1361 ist bei keinem von 83 Pluvialien
das Nichtvorhandensein eines Schildes notiert, wohl aber wird dieser bei 66
aus irgend einem firund, wie der Stickereien oder des Stoffes wegen, aus-
drücklich erwähnt.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
321
Damit die Cappa von den Schultern nicht hinabgleite, mußte sie, seit-
dem sie vorn aufgeschlitzt war, vor der Brust mittels Haken und Ösen zu-
sammengehalten werden. Diese waren entweder unmittelbar am Saum des Ge-
wandes befestigt oder an rechteckigen, vorn in der Brustgegend angebrachten
Laschen angenäht. Bei reicheren Pluvialien wurden diese Laschen gern
mit Stickereien oder aufgesetzten Perlen und Edelsteinen verziert. Item cappa
una quae fuit Warneri de Sandford cum morsu de aurifrisio cum lapillulis
multis in morsu. . . . Item cappa una quae fuit magistri Ioannis de Brideport
cum morsu de aurifrisio continente lapides 18, heißt es z. B. in dem Inventar
von Salisbury aus dem Jahre 1212. Item pluviale . . . cum firmali cum duobus
buttonibus (Zierknöpfchen) de perlis et tertio de auro, in quo uno, scilicet
medius , est unus balassus (Rubin) in castone (Einfassung) de auro , merkt
das Inventar des päpstlichen Schatzes von 1295 an. Man nannte die Be-
festigungsvorrichtung allgemein fibula, morsus, firmale, firmarium. Im be-
sondern aber bezeichnete man mit diesen Worten eine Spange oder Agraffe,
die vielfach an dem Pluviale an Stelle bloßer Haken oder Laschen angebracht
Bild 145. Übersicht über die Entwicklung des Pluvialsehildes.
zu werden pflegte, um das Gewand über der Brust zusammenzuhalten. Sie
führte auch die Namen monile oder pectorale.
Schon früh wurden solche Agraffen zum Schließen des Pluviale an-
gewendet, wie nicht nur die vorhin erwähnten Miniaturen des 11. Jahr-
hunderts beweisen, sondern auch die Inventare von Wörthsee (ca 1000): cappae
cum fibulis aureis, und von Ely (1079): 4 tasselli ad usus earum capparum.
Sie waren häufig sehr kostbar und kunstreich mit Filigrau, Schmelzen, Perlen
und Edelsteinen ausgestattet. So verzeichnet schon ein Inventar von Martins-
berg in Ungarn, das ins 12. Jahrhundert hinaufreichen mag, eine cappa, quae
habet super se pectorale aureum smaldo paratum.
Derartige Agraffen müssen namentlich in England sehr beliebt gewesen sein,
da die englischen Inventare sie in großer Zahl anführen. Bereits das Schatzverzeichnis
von Salisbui'}7 aus dem Jahre 1212 erwähnt ihrer 5 : cappa una . . . cum morsu argenteo,
in quo continetur lapis unus cameu et alii 13 et lapilluli 9 a latere; item cappa
una . . . cum morsu argenteo continente lapides 35 et a latere lapides 19 cum magna
multitudine margaritarum usw. Ungemein reich an solchen Agraffen war dem In-
ventar von 1245 zufolge St Paul zu London. Es besaß deren 17 aus vergoldetem
Silber, 4 aus vergoldetem Kupfer und 7 aus Holz, das mit Silberblech überzogen war.
Alle waren mit Steinen , Perlen oder Schmelzen mehr oder weniger kostbar verziert ;
Braun, Die liturgische Gewandung. 21
?22
Zweiter Abschnitt, Die liturgischen Oberaewänder.
12 wiesen obendrein bildliche Darstellungen auf, wie die Maiestas Domini, Szenen aus
dem Leben Christi, die Krönung Maria, die Apostel Petrus und Paulus und andere
Heilige. Ein Inventar der Kathedrale von York aus dem Jahre 1548 vermerkt im
ganzen 11 morsus, darunter einen von 2, einen andern von 1 Pfund 8'/2 Unzen.
Aber auch in nichtenglischen Schatzverzeichnissen werden die Agraffen oft in
großer Zahl erwähnt. So führt das Inventar von Cluny aus dem Jahre 1S82 ihrer volle
19 unter dem Namen pectorale auf, darunter 8 aus massivem , vergoldetem Silber.
Eine der Agraffen war mit einer Kamee geschmückt, um die sich je 6 von Bubinen
umgebene, dicke Perlen und große Saphire gruppierten, eine andere mit den Bildern
des hl. Petrus und zweier Engel, die von 3 Saphiren, 2 Bubinen, 1 Kristall und
12 sonstigen Edelsteinen umrahmt waren. Die übrigen wiesen, mit Ausnahme einer
einzigen, figürliche Darstellungen als Verzierungen auf. Das Inventar der Kathedrale
zu Cambrai von 1359 kennt 32 tassiaux (Sing, tassiel), wie in Flandern die Agraffen
genannt wurden, das von 1401 sogar 55, große und kleinere, die einen quadratisch,
andere rund, wieder andere vierpaßförmig, einige in Form des Buchstabens (J).; alle
aber mehr oder weniger reich ausgestattet mit Perlen, Edelsteinen, Heiligenstatuetten,
Niellos, Emailbildchen usw. In St-Ame zu Douai besaß man 1377 und 1386 19 tas-
siaux von ähnlicher Art wie die in den
Schatzverzeichnissen von Cambrai aufge-
führten, ungerechnet eine Anzahl kostbarer,
mit figürlichen Darstellungen bestickter und
mit Perlen und Edelsteinen besetzter
Schließen aus Stoff.
Wenn in den Inventaren die Pluvial-
schließen nicht immer ausdrücklich genannt
werden, so kommt das wohl daher, daß
sie vielfach als selbstverständlicher Teil
des Pluviale, an welchem sie befestigt
waren, betrachtet wurden.
Der Pluvialfibel erging es übrigens
ähnlich wie der Kapuze. Auch sie
wurde allmählich ihrem praktischen
Zweck entfremdet und zum bloßen
Schmuck, nur war hier der Grund für
den Wandel ein anderer. War es dort
der Umstand, daß die Kapuze keine praktische Bedeutung mehr besaß, dann
hier das Bestreben, die Schließe möglichst prächtig auszugestalten. Zum bloßen
Zierstück geworden, war die Fibel in der Regel nicht mehr dauernd am Plu-
viale angebracht, sondern so eingerichtet, daß. man sie mittels Haken oder
Ösen beim Gebrauch an den Laschen, welche das Gewand über der Brust zu-
sammenhielten, aufhängen und nach der Benutzung wieder von diesen loslösen
und für sich aufbewahren konnte. So hielt man es namentlich dann, wenn
das Gewicht der Schließe ein bedeutenderes war. In der Tat war es auch
kaum tunlich, solche Agraffen an ihrem zugehörigen Pluviale aufzubewahren.
Dementsprechend werden denn auch häufig die morsus, oder wie die Schließen
immer heißen, in den Inventaren getrennt für sich als ein besonderes Schmuck-
stück aufgeführt. So beispielsweise schon in den Schatzverzeichnissen der
Kathedrale von Salisbury (1212) und von St Paul zu London (1245) und dem
Inventar der Schätze des Apostolischen Stuhles vom Jahre 1295. Item, heißt
es hier z. B., unum Annale pro pluviali de auro cum V zaffiris grossis et
IV perlis et VIII granatellis cum acu argentea; pond. I m. et dimid. unc. . . .;
item quoddam aliud firmale pro pluviali de ligno guarnitum de auro et XI vitris
Bild 146. Pluvialscllließe. Elten, Pfarrkirche.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
:::>:;
zaffirini coloris; pond. I m. et II unc. . . .; item quoddam Annale de argento
deaurato cum V imaginibus in tabernaculis; pond. lim. et III unc. et dimid. *
Noch haben sich manche mittelalterliche Pluvialagraffen erhalten, zumal
in Deutschland, wenngleich was davon vorhanden ist, zuletzt nur einen ver-
schwindenden Teil des ehemaligen Bestandes ausmacht.
Eine schöne, silbervergoldete Fibel im Schatz der Münsterkirche zu Essen (ca 1500)
hat die Form eines Vierpasses, den ein achtseitiger Stern durchquert. Unter spät-
gotischen Baldachinen thronen in der Mitte Maria mit dem Kinde und derselben zur
Seite die beiden Stiftspatrone Kosmas und Damian -. Ein morsus von ebenso edeln
Formen als guter Ausführung aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts befindet sich
in der ehemaligen Stiftskirche zu Elten am Niederrhein (Bild 146). Er besteht aus
vergoldetem Silber, stellt einen Vierpaß von 14 cm Durchmesser dar, den ein Quadrat
durchschneidet, und weist
auf dem Bande aufge-
stiftete silberne Kosetten,
in der Mitte aber unter
vorspringendem Balda-
chin die Standfigur des
hl. Vitus auf, rechts und
links vom Wappen derStif-
ter begleitet. Ein zweiter
morsus im Schatz der-
selben Kirche ist kreis-
rund und hat 15 cm im
Durchmesser. Die Mitte
nimmt Christus ein, der
zwischen Maria und Jo-
hannes auf grün email-
liertem Berge steht. Die
auf der Agraffe ange-
brachten Wappen bekun-
den , daß dieselbe um
das Ende des 14. Jahr-
hunderts entstand. Von
eigenartigem, ganz pro-
fanem Charakter ist eine
dritte Pluvialschließe in
dem Schatz zu Elten. Sie
stellt einen Vierpaß mit
stark geschwungenem
Rahmen dar, dessen Inne-
res durch eine in mächtigem Relief gearbeitete turmreiche Burg ausgefüllt wird.
Im geöffneten Tor steht ein Knappe, auf den von der Brüstung des Oberbaues des
Tores ein Mann herabschaut. Das Stück ist sehr interessant, aber ursprünglich
schwerlich für gottesdienstliche Zwecke bestimmt gewesen. Der Durchmesser der
Agraffe (15. Jahrhundert) beträgt ca 14 cm3.
Bild 147. Pluvialscllließe. Aachen, Münster.
1 Biblioth. de l'Ecole des Chartes XLIII
(1882) 637. Wenn der Herausgeber meint,
auch die XLV (1884) 46 genannten nuscae
seien wahrscheinlich Agraffen für Pluvialien,
so ist das irrig. Es sind sog. Phylakterien,
an Bändern oder Kettchen aufgehängte Me-
daillons, in welchen sich Reliquien befanden.
- Abbildung bei G. Humann, Die Kunst-
werke der Münsterkirche zu Essen, Düssel-
dorf 1904, Tfl 58.
3 Abbildung in Kunstdenkmäler des Kreises
Rees, Düsseldorf 1892, Tfl 4. Eine schöne Fibel
in der Pfarrkirche zu Kempen (E. 16. Jahrh.)
s. Kunstd. des Kr. Kempen, ebd. 1891, 76.
2t*
324
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Bild 148. Pluvialschließe. Aachen, Münster.
Eine große Zahl mittelalter-
licher Pluvialfibeln enthält der
Aachener Münsterschatz. Eine
derselben , eine Arbeit aus dem
Beginn des 16. Jahrhunderts, ist
in späterer Zeit in ein Paxtäfel-
chen umgewandelt worden. Sie
stellt eine sechsblätterige Kose
dar, in welche ein Dreipaß gelegt
ist. Derselbe enthält in der Mitte
unter luftigem Baldachin den
vor der Gottesmutter mit dem
Jesuskind knienden Donator,
rechts und links dessen Patrone.
Zwei andere, in ihrem Entwurf
ebenso originelle wie in der Aus-
führung reiche Agraffen sind ein
Geschenk Ludwigs von Ungarn
(Bild 147, S. 323). Sie sind 22 cm
hoch bei 19 cm Breite und wurden
zwischen 1340 und 1367, wie
es scheint, zu Klausenburg an-
gefertigt. Die Abbildung über-
hebt uns einer näheren Beschrei-
bung. Viel edler als die beiden letztgenannten ist eine vierte Fibel des Aachener
Schatzes. Ein rechteckiger, mit Perlen und Rosettchen dicht besetzter Rahmen
ist durch einen Querstab in eine größere obere und eine kleinere untere Abteilung-
geschieden. Die obere enthält unter zierlichen Baldachinen in vortrefflichster Arbeit
eine Gruppe der Verkündigung : Maria auf dem Throne zur Linken , den Engel
mit dem Spruchband zur Rechten , eine Blumenvase in der Mitte. Den mit Rauten
gemusterten Hintergrund bedeckt durchsichtiges blaues Email. Die untere Abteilung
ist durch Pilaster in drei Kammern geteilt, von denen die mittlere die Statuette eines
heiligen Papstes , die beiden seitlichen den hl. Christophorus bzw. den knienden
Donator aufweisen. Von den vier Kreisabschnitten , welche sich an die Seiten des
Rechtecks anlehnen , enthält der obere einen Engel , der untere das Wappen des
Stifters; die seitlichen füllt Maßwerk. Die Umrahmung der Abschnitte ist in Über-
einstimmung mit derjenigen des Rechtecks
gleichfalls mit kleinen Rosetten und Perlen
besetzt. Die 20 cm hohe und 18,5 cm breite
Agraffe entstammt der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts und ist eine der schönsten
ihrer Art (Bild 148).
Ungemein reich an alten Pluvialschließen
ist der Schatz der Stiftskirche zu Tongern
(Belgien). Zählt er deren doch nicht weniger
als ein volles Dutzend, von denen die Mehrzahl
SB' entweder ganz oder doch in ihren Haupt-
X^ ^r bestandteilen noch dem 15. Jahrhundert an-
gehören. Zwei derselben stellen einen Vierpaß
[ \ dar, in dessen Mitte unter einem reichen Bal-
dachin Maria mit dem Kinde angebracht ist,
während auf den seitlichen Pässen in durch-
sichtigem Email der Geschenkgeber und sein
Bild 149. Pluvialsclüieße. Wappen dargestellt erscheint. Eine dieser
Tongern, Pfarrkirche. beiden Schließen ist laut Inschrift eine Stiftung
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
325
Bild 150. Pluvialschliefie. Tongern. Pfarrkirche.
des Kanonikus Johannes Cleinjas (Bild 149).
Zwei andere Agraffen des Schatzes, durch-
aus genaue Gegenstücke, haben die Form
einer sechsblätterigen Eose (Bild 150) von
0,15 m Durchmesser. In ihrer Mitte ge-
wahren wir innerhalb eines Kreises auf ehe-
mals blau emailliertem Fond in Belief die
allerseligste Jungfrau mit dem Kind, um-
geben und getragen von Engeln, während
wir in den acht Bässen die in durchsich-
tigem Email ausgeführten Brustbilder von
Christus und sieben Aposteln bemerken.
Zwei weitere Schließen, ebenfalls Gegen-
stücke, weisen als Schmuck in getriebener
Arbeit den Verrat des Judas und die Kreuz-
tragung auf. Nur das Mittelstück ent-
stammt jedoch bei ihnen dem Mittelalter ;
die sehr unbedeutende Umrahmung ist das
Werk einer im 17. Jahrhundert erfolgten Restauration (Bild 151). Von den übrigen
Pluvialagraffen des Schatzes verdient noch Erwähnung ein Paar, das sich ebensowohl
durch seine wirkungsvolle, originelle Umrahmung wie die auffallende Gröfäe von 0,195 m
Durchmesser auszeichnet. Das Bildwerk des Mittelfeldes ist bei ihnen älter als der Rahmen,
indessen durch Restaurationen in späterem Geschmack verändert (Bild 152, S. 326).
Eine Fibel aus dem 1 6. Jahrhundert in der Kirche zu Hamont (belgisch Lim-
burg) ist im Lauf der Zeit wie ihre oben besprochene Aachener Schwester zum Pax-
täfelchen umgestaltet worden. Sie hat im Durchmesser 1 6 cm, ist vierpaßförmig und
enthält in der Mitte auf einem mit zierlichen Ranken gemusterten Untergrund in Relief
eine Kreuzigungsgruppe , flankiert von den Aposteln Petrus und Paulus. Eine gute
Agraffe aus dem 17. Jahrhundert besitzt die Kirche des Beginenhofes zu Tongern. Inner-
halb eines Kranzes steht unter einem Bogen Maria mit dem Kind. Rechts und links ist
je ein Herold mit einem Wappenschilde angebracht. Die allerseligste Jungfrau wächst
aus einem Lilienkelche hervor. Die Inschrift auf der 14 cm im Durchmesser haltenden
Agraffe lautet im flämischen Dialekt: HOOCHSTE • VE(R)HEVE • KEYSERINE • TER •
NOOT • MA(RIA) • WEEST • O(NS) • VRI(N)DINNE • REYN • LILYE • ONBESMET.
Eine im Besitz der St Ursulakirche
zu Köln befindliche Fibel stellt einen
Vierpaß dar, aus dessen Ecken Blattwerk
hervorwächst. Das Bildwerk, welches sie
schmückt, besteht in Statuettchen der
Gottesmutter, eines heiligen Apostels und
des hl. Franziskus. Das Schmuckstück
mag dem Ende des 15. Jahrhunderts
angehören und hat 0.165 cm im Durch-
Eine interessante Agraffe von ausge-
sprochenen Renaissanceformen, die bezüg-
lich des Grundschemas, eines Vierpasses,
und der Anordnung des Bildwerkes im
Mittelfeld aber noch ganz auf dem Boden
des Mittelalters steht, besitzt der Dom zu
Paderborn2. Sie ist 16 cm breit. In den
Pässen sind beflügelte Engelköpfchen dar- Bild 151.
Pllivialschliefie. Tongern, Pfarrkirche.
1 Abbildung bei Bock, Das heilige Köln,
Leipzig 1858, Tfl 8.
2 Abbildung in Bau- und Kunstdenkmäler
des Kreises Paderborn, Münster 1899, Tfl 56.
326 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
gestellt; unter den Bogen in der Mitte der Fibel gewahren wir Maria, St Liborius
und St Kilian.
Von sonstigen Pluvialagraffen seien noch kurz erwähnt eine herrliehe Fibel
im Kunstgewerbemuseum zu Berlin, welche 1484 für den Dom zu Minden von Gold-
schmied Beiuecke vam Dressche verfertigt wurde (Bild 153), eine überaus zarte und
edle Arbeit, eine Fibel im ungarischen Nationalmuseum zu Pest aus dem Beginn des
16. Jahrhunderts ' ; eine einfache, aber schöne Schliefse mit der Darstellung der hl. Anna
„selbdritt" in der Johanneskirche zu Herford; eine kupfervergoldete, mit einer Statuette
der hl. Agatha verzierte Agraffe im grofsherzoglichen Museum zu Darmstadt - ; eine
mit Silberstatuetten der hll. Bartholomäus , Johannes Baptista und Margareta ge-
schmückte Agraffe im St Bartholomäusdom zu Frankfurt a. M. ; zwei aus der letzten
Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende Fibeln im fürstlich hohenzollernschen Museum
zu Sigmaringen ; zwei Pluvialschließen im Kothschildmuseum zu Frankfurt, von denen
eine die Verkündigung, die andere eine Bischofsfigur aufweist3; eine prächtige, mit
Statuettchen der Mutter Gottes , der Apostel Petrus und Paulus und der hll. Kosmas
und Damian gefüllte Agraffe im königlich bayrischen Nationalmuseuni zu München;
drei Pluvialschliefsen der ehemaligen Sammlung Felix zu Leipzig, von denen eine in
Niello Szenen aus dem Leben des Erlösers
(Verkündigung, Geburt, Kreuzigung, Auf-
erstehung und Gericht) enthält, während
auf den zwei andern eine Anbetung der
heiligen drei Könige in Niello bzw. Belief
die Mitte einnimmt ', endlich die glänzende
Agraffe in der kaiserlichen Zeichenschule
zu Petersburg in Form einer zehnblätterigen
Rose 5.
Von dem gewöhnlichen Tyrjus weicht
ganz ab eine Fibel in der Pfarrkirche zu
Villingen (Baden). Sie besteht aus einem
größeren mittleren und zwei kleineren
seitlichen Schilden. Diese enthalten je einen
knienden Engel mit Kerze in der Hand,
jener Maria mit dem hl. Johannes dem
Täufer und St Katharina. Die seitlichen
Bild 152. Pluvialschliefie. Tongern, Pfarrkirche. Schildchen sind bestimmt , an den beiden
Säumen des Pluviale angenäht zu werden.
Das eine ist an dem Mittelschild durch eine Scharnier befestigt, das andere wird mit
ihm durch einen Stachel verbunden (Bild 154, S. 328).
Was den Stoff des Gewandes anlangt, so kommen bereits früh Plu-
vialien aus besseren Zeugen vor. Schon die Stiftungsurkunde von Obona
(Ende des 8. Jahrhunderts) erwähnt eine cappa serica. Erinnert sei ferner an
die aus rotem Cendel (Seidentaft) gemachte Cappa, welche St Ansegisus Fon-
tanelle schenkte, an die cappa serica des Inventars von St-Riquier, die
cappae 33 preciosae de pallio und 24 de pallio der Inventare von St Trond
und Gent, die drei reich mit Gold- und Silberverzierungen geschmückten
Cappae, welche Adelheid zu Ehren des hl. Martin stiftete, die kostbaren
Cappae des Inventars von Clermont-Ferrand usw., von welchen ebenfalls be-
reits die Rede war. Mit dem 11. Jahrhundert nimmt die Zahl der kostbaren
1 Abbildung in Mitt. XII (1867) 110. 868 506. Durch die Versteigerung 1886 in
2 Abbildung bei Hefner-Alt. Tfl 318. verschiedene Sammlungen zerstreut.
3 Abbildung bei Luthmer, Gold und 5 Sie stammt aus der Sammlung Leven zu
Silber, Leipzig 1888, Tn 28, 5 7. Köln; Abbildung bei Hei deloff, Die Orna-
1 Katalog der Sammlung Felix Nr 867 mente des Mittelalters IX, Tfl 3.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
327
Pluvialien um ein namhaftes zu. Je mehr sich der liturgische Charakter der
Cappa und die Stellung, welche sie unter den liturgischen Gewändern er-
halten hatte, befestigte, und je mehr die Gelegenheiten zunahmen, bei welchen
sie zur Verwendung kam, um so mehr mußte in der Tat das Bestreben dahin
gehen , bessere Gewebe zu ihr zu verwenden ; war doch kein anderes Ge-
wand wie gerade sie geeignet, an Festtagen dem Gottesdienste besondern
Glanz zu verleihen. Man denke nur an die zwölf Cantores, welche manchen-
orts dann mitten im Chor mit Prachtpluvialien bekleidet das Alleluja sangen.
Es ist nicht nötig, aus den Inventaren des 11. Jahrhunderts Einzelheiten an-
zuführen, es mag genügen, auf das S. 311 Gesagte hinzuweisen. Sehr be-
zeichnend für den Stand der Dinge in damaliger Zeit ist es, wenn das Register
von Rochester anmerkt, Erzbischof Lanfrank von Canterbury (f 1080) habe
auf einmal 25 seidene, mit reichem Besatz geschmückte Cappae nach Rochester
gesandt1; noch bezeichnender aber ist, wenn Leo von Ostia in der Chronik von
Monte Cassino erzählt, Abt Desiderius habe auf das Gerücht hin, daß der
Kaiser nach Italien komme, 20 Stück
kostbaren Seidenstoffes gekauft, um die-
sem damit, wenn nötig, ein Geschenk zu
machen, dann aber, als die Rede ging,
der Kaiser habe sein Vorhaben aufge-
geben, sofort aus ihnen Pluvialien an-
fertigen lassen 2. Das Inventar des Domes
zu Bamberg aus dem Jahre 1127 führt
84 Cappae auf, von denen 26 mit kost-
baren Besätzen versehen waren. Sie
müssen ebenfalls noch aus dem 11. Jahr-
hundert stammen, da nach dem großen
1081
Brandunglück vom Jahre
wegen
Bild 153. Pluvialschließe.
Berlin, Kunstgewerbemuseum.
Umstand sehr entgegen, daß im
des dadurch notwendig gewordenen Neu-
baues des Domes in den nächsten Jahr-
zehnten schwerlich eine Anschaffung der-
selben möglich war.
Dem Bestreben, das Pluviale aus
besseren Stoffen herzustellen, kam der
12. Jahrhundert infolge des gesteigerten Verkehrs mit dem Orient die sara-
zenischen, persischen und byzantinischen Stoffe in immer wachsenden Mengen
ins Abendland importiert wurden, und daß bald auch in diesem selbst die Seiden-
industrie zur höchsten Blüte gelangte. Schon um die zweite Hälfte des 13. Jahr-
hunderts hatten manche Sakristeien einen wahren Überfluß an Pluvialien aus
Goldbrokat und den verschiedenartigsten gemusterten und ungemusterten Seiden-
stoffen. Noch mehr war das aber im 14. und 15. Jahrhundert der Fall. Man
durchgehe nur die Schatzverzeichnisse der Kathedrale von Rouen (ca 1200),
der Kathedrale von Salisbury (1212), des Domes zu Monza (1275), die Inven-
tare von St Paul zu London (1245, 1295 und 1402), das Verzeichnis des Schatzes
1 Das Register gibt auch über die Schen-
kungen von kostbaren Cappae während des
12. und 13. Jahrhunderts manche Auskunft.
So stiftete Mönch Clemens (ca 1100) eine rote
und eine schwarze, Mönch Hugo von Totes-
clive (ca 1115) zwei grüne und eine weiße
Cappa. Bischof Gilbert (f 1215) cappambonam
de rubeo samit. Eine cappa principalis für
die höchsten Festtage , welche Bischof Ernulf
(f 1124) seiner Kathedrale verehrte, war mit
silbernen Schellchen ausgestattet usw.
2 L. 3, n. 18 (M. G. SS. VII 711).
328
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
des Apostolischen Stuhles aus dem Jahre 1295 und der Paramente, welche
Bonifaz VIII. der Kathedrale von Anagni schenkte, das Inventar von S. An-
tonio zu Padua (1396) und von S. Francesco zu Assisi (1320), die Schatz-
verzeichnisse von St Peter zu Rom (1361, 1436, 1455, 1489), der Kathedrale
von Angers (1297, 1418 und 1421), der Kathedrale von Cambrai (1359 und
1401), der Stiftskirche St-Ame zu Douai (1377 und 1386), der Stiftskirche
St-Pierre zu Lille (1397) und des St Veitsdomes zu Prag (1354 und 1387),
das Inventar des Domes zu Olmütz (1435), der Kathedralen von Peterborough
(1539) und Lincoln (1536) u. a. Es sind Berge von brokatenen, seidenen
und in den späteren auch samtenen Pluvialien, die wir in manchen dieser
Listen antreffen.
So vermerkt das Inventar von Salisbury beispielsweise 58 Cappae, nach der
Beschreibung, die von ihnen gegeben wird, größtenteils von der kostbarsten Art ; das
Inventar von St Paul aus dem Jahre 1245 führt 34 cappae magis preciosae neben
40 minus preciosae auf, dasjenige aus dem Jahre 1402 108 Cappae, die man fast alle als
sehr wertvoll bezeichnen darf. Unter den Paramenten, welche Bonifaz VIII. der Kathedrale
von Anagni schenkte, waren nicht weniger als 16 der hervorragendsten Pluvialien,
von denen manche Pracht-
stücke ersten Eanges ge-
wesen sein müssen. Das
Inventar von St Veit zu
Prag aus dem Jahre 1387
weiß von mehr als 150Cappae
zu berichten, ein wahres
Lager der interessantesten
und glänzenden Seidenzeuge ;
das der Kathedrale zu Peter-
borough von 1539 verzeich-
net ca 115, das der Kathe-
drale von Lincoln aus dem
Jahre 1536 gar 253 Cappae,
davon 121 rote, 59 weiße,
7 purpurfarbige, 37 blaue,
20 grüne und 9 schwarze. Nicht gerade soviel Pluvialien besaß der Dom zu Olmütz,
doch zählt das Schatzverzeichnis von 1435 deren immerhin ca 70 auf, die sich stofflich
auf jeden Fall mit den Cappae zu Prag und Lincoln messen durften.
Das Inventar der Kathedrale zu Cambrai von 1359 notiert 34, das von 1401
114 Pluvialien; das Schatzverzeichnis von Cluny aus dem Jahre 1382 verzeichnet
ihrer 67. In St-Ame zu Douai hatte man, um auch einige minder bedeutende Kirchen
anzuführen, 1377 und 1386 wenigstens 38 ', in St-Pierre zu Lille 1397 54, in der
Pfarrkirche U. L. Frau zu Hermannstadt in Siebenbürgen 1440 12 Pluvialien. Noch
jetzt gibt es im Dom zu Brandenburg aus vorreformatorischer Zeit 16, im Dom
zu Halberstadt 28 und in St Marien zu Danzig 26 fast ausnahmslos kostbare
Chorkappen.
Der Grund, warum in manchen Kirchen sich eine so große Zahl von
Pluvialien aufspeicherte, lag zum Teil in dem Frommsinn fürstlicher und nicht-
fürstlicher Wohltäter, zum Teil, und wohl nicht zum wenigsten, in der vielen-
orts bestehenden Gewohnheit, wonach jeder neue Canonikus entweder bei
Antritt seiner Pfründe oder innerhall) einer bestimmten Frist nach deren
Besitzergreifung ein Pluviale zu beschaffen hatte, das er, solange er lebte
Bild 154. Pluvialschliese. Villingen, Münster.
1 In dem Abdruck des Inventars bei De-
haisnes, L'art dans la Flandre, Documenta
546 sind nur die 38 besseren Pluvialien auf-
genommen worden.
Drittes Kapitel. Das Pluviale. 329
oder an der betreffenden Kirche als Canonikus tätig war, selbst benutzte, bei
seinem Tode oder seinem Abgang aber der Sakristei als Eigentum hinterließ.
Man nannte solche Pluvialien Cappae professionis. Die Sitte reicht bis ins
12. Jahrhundert hinauf. So wurde für die Stiftskirche zu Aschaffenburg schon
1193 die Bestimmung getroffen, es sollten die Stiftsherren statt sonstiger un-
nützer Ausgaben bei Besitznahme ihrer Pfründe der Kirche zu Ehren Gottes
und des hl. Petrus eine pm'purne Cappa im Wert von V/2 Mark zum Ge-
schenk machen 1. In der Kathedrale von Angers führte Bischof Nikolaus
(1260 — 1290) den Brauch ein2. Das Pluviale, das hier die Domherren inner-
halb der nächsten drei Jahre nach Antritt ihrer Präbende zu beschaffen hatten,
mußte aus Seide bestehen und 12 Livres kosten. In St- Arne zu Douai hatten
die Stiftsherren nach den dortigen Statuten für die Chorkappe, welche sie bei
Besitzergreifung ihres Benefiziums der Kirche zu schenken verpflichtet waren,
wenigstens 10 Florins auszulegen3.
Natürlich mußten unter solchen Umständen sich nach und nach viele
Pluvialien in den Sakristeien mancher Stifts- und Domkirchen ansammeln.
Die Praxis hatte unzweifelhaft ihre guten Seiten; sie hatte aber auch ihre
Nachteile, da sie notwendig zu Luxus und Rivalität führen mußte.
VI. VERZIERUNG DES PLUVIALE.
Schon früh wurden Fransen als Verzierung am Saum des Pluviale
angebracht. Fimbriae quoque subter ornatae sunt (sc. cappae), sagt Rupert
von Deutz; sicut illa (sc. tunica hyacinthina legis) tintinnabulis, ita ista
(sc. cappa) insignitur fimbriis. Auch Honorius gedenkt der fimbriae. Später,
als die Kapuze zum Schild geworden war, wurde es sehr gebräuchlich, auch
den Rand des clipeus mit Fransen zu besetzen.
Auch in den Inventaren kommen bereits früh mit Fransen besetzte
Cappae vor. Man erinnere sich nur an die Cappae, von denen in der Vita
Ansegisi die Rede war. Handelte es sich bei diesen mit grünen bzw. grau-
braunen Fransen verzierten Cappae auch noch nicht um liturgische Pluvialien
im vollen Sinne der späteren Zeit, so haben wir in ihnen doch jedenfalls die
Anfänge der nachmaligen liturgischen Cappa zu sehen und dürfen darum
immerhin auf sie verweisen. Ein kostbares Pluviale, das Abt Desiderius für
Monte Cassino erwarb, war mit Goldfransen ausgestattet4. Übrigens ist in
den mittelalterlichen Inventaren von den Fransen nur ausnahmsweise die
Rede. Ob man die fimbriae für einen selbstverständlichen Schmuck der
Cappa hielt, den man keiner Erwähnung für wert erachtete, oder ob sie
nicht so häufig angewandt wurden , wie das nach den Äußerungen eines
Rupert und Honorius scheinen könnte? Das letztere dürfte das wahrschein-
lichere sein; denn auch auf den Monumenten kommen im 12., 13. und
selbst 14. Jahrhundert Fransen nicht allzuoft an den Pluvialien vor. Sie
1 Gudenus, Codex diplom. I 321. 3 Dehaisnes, L'art dans la Flandre,
- Revue 1884, 271. Die Sitte bestand auch Documents 546, note 4. Auch die Chor-
zu Barcelona (Mart. , Thes. IV 611). Das raäntel in den Inventaren von Salisbury,
Pluviale, das die neu aufgenommenen Stifts- St Paul zu London, Prag, St Peter u. a.
Herren zu Neuchätel binnen Jahresfrist zu rührten zum großen Teil von den Canonici her,
geben hatten, mußte einen Wert von 50 Pfund wie die Inventare bei manchen ausdrücklich
haben (Hurter, Innozenz III., Hamburg angeben.
1838, III 376). Andere Beispiele bei D. C. i Chron. Casin. 1. 3, n. 18 (M. G. SS.
sub cappam solvere II 112. VII 711).
330 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
werden auf den bildlichen Darstellungen erst im 15. Jahrhundert an den-
selben gewöhnlicher.
Mit den Monumenten stimmen die noch vorhandenen, im ganzen recht
zahlreichen mittelalterlichen Pluvialien überein. Auch hier treten fimbriae
fast nur an den Cappae aus späterer Zeit auf. Wo sie sich bei älteren Plu-
vialien finden, sind sie, wie sich unschwer erkennen läßt, in den meisten
Fällen eine Zutat der Folgezeit.
Anstatt Fransen gebrauchte man übrigens auch Quästchen, Glocke hen,
kurz, was immer als ein mit Fransen verwandtes Ornament galt, zur Ver-
zierung des Saumes. So geschah es ja auch bei der Stola, dem Manipel und
den Behängen der Mitra. Eine solche mit langen Schellchen am unteren
Saume versehene Cappa aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts hat sich
im Aachener Münster erhalten. Dieselben sind an einer stark gedrehten
Seidenkordel über dem reich gestickten Besatz angebracht, welcher den unteren
Rand des Gewandes umzieht. Schon in der Frühzeit unseres Jahrtausends
waren Pluvialien, die statt mit Fransen mit Glöckchen geschmückt waren,
nichts Unbekanntes. Von dieser Art war z. B. die Cappa, welche Bischof
Ernulf von Rochester (1114 — 1124) seiner Kathedralkirche schenkte. Ein
Pluviale, das Abt Konrad von Christ Church zu Canterbury 1108 hinterließ,
war unten mit nicht weniger als 140 silbernen Glöckchen besetzt 1. Auch in
späterer Zeit kommen in den Inventaren noch mit Schellchen ausgestattete
Chorkappen vor. So heißt es z. B. in einem Inventar von St Georg zu Köln
aus dem 14. Jahrhundert: Item cappa cum tyntinabulis (sie).
Zur Einfassung und Verzierung des unteren Saumes wurde auch wohl
ein Börtchen gebraucht, und zwar bald anstatt der Fransen, bald zugleich
mit solchen. Es hatte der Regel nach nur eine geringe Breite und erlangte
nie eine größere Bedeutung. Mit Stickereien scheint es den Inventaren zufolge
nur sehr selten bedacht worden zu sein.
Im Rücken des Pluviale wurde nur ganz vereinzelt ein Zierstreifen an-
gebracht. Ein Beispiel bietet das bestickte Pluviale zu St Paul in Kärnten.
Um so beliebter waren Besätze oder Aurifrisien an den Vor der säumen des
Gewandes. Sie finden sich schon auf der früher erwähnten Miniatur mit der
Darstellung Sigeberts von Minden2. Ebenso sind ohne Zweifel die Besätze an
der Vorderseite des Pluviale gemeint, wenn in den Inventaren des 10. und
11. Jahrhunderts von cappae auro paratae die Rede ist.
Wie die Kaselbesätze bestanden auch diese Aurifrisien bis ins 13. Jahr-
hundert hinein vornehmlich aus gewebten Borten von geringer Breite; bei
besseren Pluvialien wurden mit Vorliebe Goldborten verwendet. Die Ära be-
stickter Besätze beginnt auch für die liturgische Cappa erst im 13. Jahr-
hundert. Anfangs waren es , gerade wie bei der Kasel , vornehmlich sta-
tuarische Darstellungen oder Brustbilder von Heiligen, mit welchen man die
Aurifrisien schmückte. Bald aber ging man dazu über, ihnen ganze Szenen
mit der Nadel aufzumalen. Natürlich setzte das voraus, daß die Besätze eine
entsprechende Breite erhielten. Schon das Anbringen von Einzelfiguren hatte
dabin geführt, sie zum Zweck der Aufnahme solcher zu verbreitern. Erst
recht wurde das aber nötig, seitdem man den Aurifrisien förmliche Gruppen
aufstickte. Es ist dieselbe Erscheinung, welche wir bereits bei der Kasel
wahrzunehmen Gelegenheit hatten.
1 Chambers 39. "- Vgl. Bild 124, S. 266.
Drittes Kapitel. Das Pluviale. 331
Die Darstellungen trugen auch auf den Aurifrisien der Pluvialien bis
gegen Ende des 14. Jahrhunderts den Charakter von Flachornament an sich.
Selbst die Baldachine und Lauben, unter denen das Bildwerk seinen Platz hatte,
waren von bloß geometrischer Bildung; eine Perspektive gab es bei ihnen ent-
weder noch gar nicht oder doch nur in sehr geringem Maße. Das 15. Jahr-
hundert sieht die Perspektive unter dem Einfluß der Tafelmalerei, wo sie
bereits zur Herrschaft gelangt war, auch auf den Aurifrisien der Pluvialien
ihren Einzug halten. Figuren und Szenen werden nun mit Vorliebe unter
perspektivisch nach innen sich vertiefenden Baldachinen dargestellt und dem-
entsprechend dann natürlich auch selbst perspektivisch behandelt.
Technisch betrachtet hielten sich die Stickereien zunächst noch immer
im Bereich des Flachornaments. Indessen ging man auch in dieser Beziehung
allmählich vom alten Brauche ab. Aus der Flachstickerei wurde die Hoch-
stickerei, die dann um die Wende des Jahrhunderts auch auf den Chorkappen
manche Probe hohen Könnens, aber auch des Verfalles des guten Geschmackes
liefern sollte.
Rein ornamentale Stickereien scheinen im Mittelalter auf den Aurifrisien
weniger zur Anwendung gekommen zu sein. Wo man nicht in der Lage war,
Bildwerke auf denselben anzubringen, pflegte man sich mit gewebten Borden
zu behelfen.
Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts kommen figürliche Darstellungen
auf den Besätzen des Pluviale immer mehr in Abgang. Wie auf den Kasel-
stäben, so tritt auch auf den Aurifrisien der Cappa an deren Stelle bloßes
Ornament. Nur daß noch bestenfalls ein verschämtes Symbol, der Name
Jesu, das Auge Gottes, ein Pelikan, das Lamm oder ein Kreuz daran er-
innerte, daß die Stickerei gottesdienstlichen Zwecken zu dienen bestimmt war.
Auf der Kapuze dürften Stickereien erst angebracht worden sein, als
sie zum bloßen Zierat geworden war. Das caputium des prächtigen Pluviale
von St Paul enthält auf der Oberseite zwei Figuren, den hl. Blasius und
einen vor diesem knienden Abt, ohne Zweifel den Donator, auf der Unterseite
zwei Drachen (Bild 144, S. 319). Häufiger wurden die Stickereien auf dem ca-
putium, als es sich zum Schild umgebildet hatte. Natürlich bot dieser, solange
er (wie es im 13. und 14. Jahrhundert der Fall war) nur eine mäßige Größe
hatte, keinen Platz für Darstellungen von bedeutenderem Umfang. Es waren
darum entweder nur Einzelfiguren, wie der Heiland, die Gottesmutter oder
Heilige, oder doch nur kleinere Gruppen, was man auf dem Schild anbrachte.
Nicht selten begnügte man sich sogar mit dem Wappen des Besitzers oder
Stifters oder mit irgend welchen symbolischen Darstellungen. Sehr instruktiv
sind in dieser Beziehung durch ihre eingehenden Angaben die Inventare von
St Peter zu Rom vom Jahre 1361 und von St Veit zu Prag aus dem Jahre
1387. Da heißt es z. B. im Schatzverzeichnis von St Peter: In cuius caputio
est ymago Salvatoris et beate Virginis . . ., in cuius caputio est figura beate
virginis Marie . . ., in cuius caputio est imago beati Petri . . ., in cuius caputio
est ymago cuiusdam pontificis cum mitra in capite . . ., in cuius caputio est
ymago cuiusdam episcopi benedicentis etc. Nur ein einziges Mal heißt es:
in cuius caputio sunt quatuor ymagines episcoporum, vier Bischofsbilder, die
wir uns indessen wohl als Halbbilder zu denken haben. In dem Prager In-
ventar von 1387 aber lesen wir z. B. : in capulo arma Domini archiepiscopi
Pragensis . . ., in capulo clipeus cum flammis argenteis et rubeis sericis . . .,
in capulo habens arma ecclesiae et arma Arnesti (des Prager Erzbischofs)
332
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
et aquila cum duobus eapitibus .... in capulo unius est imago sancti Wenceslai
et in alterius imago, sancti Sigismundi ... in capulo imago duorum ange-
lorum .... in capulo habens imaginem (sancti Sigismundi) et armis ex utra-
que parte imaginis.
Bestanden die Aurifrisien an der Vorderseite des Gewandes nur aus
gewebten Borten oder wurden sie (was nicht selten der Fall war) bloß
aus irgend einem vom Grundstoff des Pluviale sich abhebenden Zeug ge-
macht, so ließ man auch am Schild die Stickereien meistens fehlen. Man
gebrauchte dann zu ihm entweder den Stoff, aus dem man den Besatz an-
Bild 155. Pluvialschild (Ende des 15. Jahrb.). Paris, Sammlung M. Hochon.
(Phot. de Farcy.)
gefertigt, oder gewöhnlicher denjenigen, welchen man zum Pluviale selbst
verwendet hatte. Auch in dieser Beziehung ist das Inventar von St Peter
von 1361 ungemein lehrreich. Unter den vierzig dort aufgezählten Pluvialien
der Benefiziaten finden sich nur einige wenige, auf deren caputium Bildwerk
angebracht war. Bei den übrigen heißt es : cum caputio de eodem panno (näm-
lich wie das Pluviale selbst) . . , cum caputio de eodem panno et frisio . . .,
cum caputio de dyaspero giallo cum aliquali frisio . . ., cum caputio de eodem
aurifrisio und ähnlich.
Es ist zweckmäßig, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß es selbst noch
im späten Mittelalter neben sehr reichen auch manches einfache Pluviale ge-
geben hat, weil die Sache hie und da in übertriebener Weise so dargestellt
wird, daß man fast auf den Glauben kommen sollte, man habe damals kaum
Drittes Kapitel. Das Pluviale. 333
andere als mit Stickereien auf den Stäben und dem Schild versehene Plu-
vialien gekannt. Gewiß waren reich bestickte Cappae in jener Zeit nicht
selten, zumal in den bedeutenderen Stifts- und Klosterkirchen sowie den hervor-
ragenderen Pfarrkirchen; sie waren sogar infolge der Verhältnisse häufiger
als jetzt, aber derartige Pluvialien waren zuletzt nur Gewänder für die hohen
Feste und dem Vorrat an einfacheren Pluvialien gegenüber durchweg die
Minderzahl. Die Inventare beweisen das zur Genüge.
Je mehr der Schild der Cappa an Ausdehnung gewann, um so mehr bot
er natürlich Raum für Bildwerk. Man kann denn auch an zahlreichen Plu-
vialien des 15. Jahrhunderts die Beobachtung machen, mit welchem Eifer die
Sticker diesen Umstand ausgenutzt haben, um statt bloßer Einzelbilder figuren-
reiche Gruppen auf dem clipeus anzubringen; indessen ist es sicher der Wirklich-
keit nicht minder entsprechend , wenn man annimmt, daß umgekehrt gerade
das Verlangen, Platz für reichen bildnerischen Schmuck zu erhalten, nicht
wenig zur Vergrößerung des Schildes beigetragen habe (Bild 155).
Es würde selbstredend zu weit führen, wollten wir auf alle oder auch nur einen
größeren Teil der vielen Pluvialien näher eingehen , die sieh aus dem Mittelalter er-
halten haben, ja selbst sie auch nur einzeln aufzählen. Immerhin dürfte es am Platze
sein, auf einige durch die Stickereien ihrer Besätze und des Schildes hervorragende
Beispiele aufmerksam zu machen.
Eines der vorzüglichsten ist unstreitig eine aus dem Domschatze von Lausanne
stammende Cappa im Historischen Museum zu Bern. Auf Schild und Besätzen sind
die sieben Sakramente dargestellt. Der Schild weist die heilige Eucharistie als Opfer
(Messe) und Speise (Kommunion) auf, das linksseitige Aurifrisium die Taufe, die letzte
Ölung und die Firmung, das rechtsseitige die Priesterweihe, Ehe und Beichte. Die auf
den Besätzen sich findenden Szenen sind unter Nischen angebracht, welche sich in flach
geschweiftem Bogen dem Beschauer zu öffnen. Die Darstellungen sind ebenso trefflich
komponiert und edel, wie die technische Ausführung in jeder Beziehung vorzüglich ist.
Aus der großen Zahl der Halberstädter Pluvialien , unter denen mehrere auch
hinsichtlich der Stickerei Beachtung verdienen , sei die Cappa des Dompropstes von
Gharwen (1506) hervorgehoben. Ihre Besätze sind Beispiele später Reliefstickereien.
Auf dem Schild ist die Krönung Maria dargestellt, auf den Stäben gewahren wir
unter Baldachinen die hll. Stephanus, Laurentius, Liborius, Wolfgang, Petrus, Paulus,
Johannes Baptista und Andreas.
Von den vielen Pluvialien der Danziger Marienkirche sind zwei besonderer Be-
rücksichtigung wert. Das eine ist eine italienische Arbeit aus dem Beginn des
15. Jahrhunderts. Auf dem Schild erblicken wir in der Mitte Maria mit dem Jesus-
kind in offener Landschaft, in den Ecken herniederschwebende Engel, in der Hand
eine Blume, wie um sie dem Kind zu überreichen. Die Besätze sind mit Heiligen-
figuren und charakteristischen Baldachinen gefüllt. Die Darstellungen sind ebensowohl
stilistisch bemerkenswert wie technisch hervorragend durch die meisterhafte An-
wendung des sog. Modellierstiches ' (Bild 156, S. 334).
Noch vorzüglicher ist ein zweites Pluviale, auf dessen Aurifrisien in einer Folge
von zehn Szenen das Leben der hl. Maria Magdalena, wie es durch die Legende
gestaltet wurde, zur Darstellung gelangt ist (Bild 157. S. 335). Die erste zeigt uns die
Heilige als Weltkind inmitten von sechs Tieren, den Symbolen ihrer Laster. Es folgt
der Besuch am Grabe usw. Den Beschluß macht die letzte Kommunion der Heiligen.
Die einzelnen Bilder werden überragt von einem architektonischen Überbau. Eine
lebendige, edle Darstellung und eine vortreffliche technische Ausführung lassen die
Stäbe der Cappa als wirkliche Meisterwerke der Stickkunst erscheinen. Ein Schild
fehlt dem Gewände, das der Frühe des 15. Jahrhunderts angehören dürfte.
Über den sog. Modellierstich vgl. Braun, Winke 123.
334
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Gute, teilweise sogar -vorzügliche Bei-
spiele von Pluyialbesätzen und Pluvial-
sehilden, die in der sog. Lasurmanier aus-
geführt sind , finden sich in dem an alten
Paramenten reichen Dom zu Xanten. Sie
entstammen dem 16. Jahrhundert. Die
Stickereien haben leider stark gelitten. Den
ersten Platz unter ihnen dürfte die Chor-
kappe einnehmen, welche samt zugehöriger
Kasel , Dalmatik und Tuniceila dem Dom
von dem 1540 verstorbenen Canonikus
Sibert geschenkt wurde. Die Stickereien
dieser Paramente stellen, wie „Die Kunst-
denkmäler der Rheinprovinz" mit Recht
sagen, „den Höhepunkt der niederrheinischen
Nadelmalerei um 1540" dar. Die Komposi-
tionen sind ebenso meisterhaft in Ausdruck,
Gewandung und Raumausfüllung, wie die
technische Durchführung vollendet und von
einer fast raffinierten Virtuosität zeugend.
Der Künstler arbeitet mit wenig Farben ;
Blau , Grün , Purpur , Orange und Braun
durchziehen in vertikalen feinen Seidenfäden
den Grund und umspinnen die Goldfäden ;
Köpfe und Hände sind in feinem Platt-
stich ausgeführt. Die gleichzeitigen nieder-
rheinischen Denkmale des Lasurstiches in
Kaikar, Wissen, im erzbischöflichen Museum
zu Utrecht stehen der Xantener Kapelle
weit nach" '.
Ins 14. Jahrhundert führt uns das Pluviale von Harlebeke im Musee Cinquan-
tenaire zu Brüssel. Die Stickereien der Saumbesätze, welche bereits die ansehnliche
Breite von 20 cm haben , stellen das Martyrium der zwölf Apostel dar. An den
Pfeilern, auf denen sich der die einzelnen Szenen oben abschließende Giebel aufbaut,
sind allerliebste musizierende Engel angebracht. Der Schild ist in seinem jetzigen
Zustand ein Konglomerat verschiedener Stücke , unter denen sich indessen auch die
mit zwei Vögeln geschmückten Reste des kleinen ursprünglichen clipeus befinden.
Der Charakter der Stickereien läßt dieselben deutlich als opus anglieanum, als englische
Arbeit des 14. Jahrhunderts erkennen.
Von älteren italienischen Pluvialien sei hier - - von andern wird weiter unten
die Rede sein — nur eines Pluviale gedacht, das sich im Besitze der Universität zu
Perugia befindet. Dasselbe enthält auf seinen Besätzen und dem Schild Darstellungen
aus dem Leben der Gottesmutter, welche mit vorzüglicher technischer Ausführung
all den Reiz der umbrischen Malereien des ausgehenden 15. Jahrhunderts verbinden.
Die Stickereien gehören zu dem Vortrefflichsten , was die um jene Zeit vielgepflegte
Lasurmanier in Italien geschaffen hat.
Als Kuriosa seien endlich noch zwei Pluvialgarnituren erwähnt, auf denen uns Toten-
tanzszenen entgegentreten. Die eine gehört dem Dom zu Osnabrück (Bild 158, S. 337),
die andere der Kirche St-Nicolas-en-Havre zu Mons an -. Ein Totentanz auf Para-
menten ist nicht gerade geschmackvoll, noch auch der Idee eines liturgischen Gewandes
entsprechend. Immerhin ist eine solche Verirrung nicht so groß wie die, welche man
im 18. und im Beginn des 19. Jahrhunderts beging, als man Totenköpfe, Totengebeine,
Bild 156. Schild und Teile des Besatzes
eines Pluviale. Danzig, Marienkirche.
1 C 1 e m e n , Die Kunstdenkmäler
Kreises Mors, Düsseldorf 1892, 139.
des " Nähere Beschreibung
Maria-Laach" LX 118 ff.
in „Stimmen aus
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
33c
Aschenkrüge, Genien mit umgestürzter Fackel und ähnliches auf die Besätze der beim
Totengottesdienst gebrauchten Gewänder zauberte.
Bisher war nur von Pluvialien mit bestickten Aurifrisien und besticktem
Schild die Rede. Es hat deren aber auch gegeben, die ganz in Stickerei her-
gestellt waren, und zwar meinen wir nicht bloß solche, die man nach Art
eines Gewebes mit bestickten Ornamenten, Möndchen, Rosetten, Seraphim,
Blumen, Wappenbildern und ähnlichen Dingen überstreut hatte -- Pluvialien
dieser Art kamen noch in der Zeit des Rokoko vor — , sondern solche, welche
ganz und gar mit Bildwerk überdeckt waren. Die Neuzeit hat keine Cappae
dieser Art hervorgebracht, das Mittelalter dagegen manche. Es ist nicht zu
viel behauptet, wenn man sagt, daß gerade diese Pluvialien den Höchststand
der mittelalterlichen Paramentik bezeichnen.
Wohl hat es auch reich bestickte Kasein gegeben. An keinem der
liturgischen Gewänder aber haben Sticker und Stickerinnen so ihren Kunst-
sinn und ihre Kunstfertigkeit erprobt, wie an dem Pluviale. Der Grund,
warum sie eben dieses vor der Kasel bevorzugten, lag zum Teil in dem Um-
stand, daß es durch den ganzen Verlauf seiner geschichtlichen Entwicklung
den Charakter eines Prachtgewandes erhalten hatte, zum Teil in der ihm
eigentümlichen Beschaffenheit, welche es ungleich geeigneter zur Anbringung
reichster figürlicher Stickereien erscheinen ließ als das Meßgewand. Denn
während dieses in dichtem Gefältel sich dem Körper anlegte - - eine Folge
der Notwendigkeit, das Ge-
wand auf den Armen zu-
sammenzuraffen — , floß
das Pluviale in wenigen
langen Falten glatt zum
Boden herab.
Es waren durchaus keine
vereinzeltenErscheinungen, die-
se ganz und gar mit Heiligen-
figuren oder Szenen aus der
heiligen Geschichte überstiekten
Pluvialien ; es hat ihrer im 1 3.,
14. und 15. Jahrhundert eine
große Zahl gegeben. Item unum
pluviale laboratum ad acum de
auro battuto et serico de di-
versis ystoriis et passionibus
sanetorum , foderatum de pur-
pura rubea ad aves croceas,
lesen wir im Verzeichnis der
Paramente, welche Bonifaz VIII.
der Kathedrale zu Anagni
schenkte. Item una magna
cappa deaurata ad imagines,
heifät es in einem Inventar von
Chartres von 1327. Item cappa
Godofredi de Wesenham de rubeo
sameto, brodata cum ymaginibus
regum et episcoporum 2 . . . ; item
cappa, quam dedit Edwardus
filius regis Henrici, breudata
Bild 157. Szenen aus dem Leben der hl. Magdalena
Pluvialbesatz. Danzig, Marienkirche.
336 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
cum regibus , angelis , episcopis et rosis . . . ; item cappa pretiosa quae fuit Thomae
de Cantilupe de rubeo sameto breudata ymaginibus episcoporum , regum et aposto-
lorum, schreibt das Inventar von St Paul zu London von 1295 bei Aufzählung
der zahlreichen Cappae.
In primis, vermerkt das Inventar von St Peter aus dem Jahre 1861, unum
pluviale, quod dedit Basilicae bonae memoriae papa Ioannes XXII, de auro cum multis
et diversis historiis novi et veteris testamenti et aliis compassibus ad perlas cum
uno pulchro aurifrisio de auro , ornatas ad iiguras diversorum animalium et avium
de perlis et vitreolis in civilis caputio ornato de perlis sunt duo angeli incensantes et
in pede ipsius est unum monile rotundum de perlis plenum ; a pede vero ipsius plu-
vialis est unum aurifrisium rubei et viridis coloris mirae pulcliritudinis . . . ; item
unum pluviale de auro cum infinitis imaginibus diversarum ystoriarum sanctorum de
opere anglicano , scilicet cum ystoria passionis Christi et beati Petri cum aurifrisio
mirae pulchritudinis ad figuras diversorum animalium et avium de perlis et vitriolis
et in caputio ornato de perlis sunt duo angeli incensantes et a pede (am Saum)
ipsius est una vitis de perlis cum avibus et animalibus infra ipsam vitem, quod
transivit (sie) Basilicae sanetissimus pater Clemens papa VI . . . ; item unum pluviale de
auro de opere anglicano quod fuit Bonifatii papae VIII cum imagine in modum ponti-
ficis cum Corona, amicto pallio pontificali, et libro de perlis et a medietate infra in
cireuitu imagines apostolorum cum frisio ornato de perlis minutis et crueibus nigris
de serico et in caputio est annuntiatio dominae nostrae , a pede vero est aurifrisium
ornatum de perlis . . . ; item unum aliud pluviale de (opere) anglicano , quod fuit
Nicolai III cum diversis figuris et in campo aureo . . . , in medio eius praeeipue est
imago salvatoris cum luna et sole ab utraque parte et duobus angelis uno a dextris
et alio a sinistris . . . ; item unum pluviale de cassamito viridi cum diversis compaxibus
aureis et diversis imaginibus salvatoris et apostolorum Petri et Pauli ... in cuius
caputio est imago salvatoris et beatae virginis (wohl die Krönung Maria) '. Be-
merkenswert ist, daß unter den zahlreichen Kasein des Inventars sich keine findet,
die wie die angeführten Pluvialien ganz mit Figuren bestickt war.
Auch das Inventar Bonifaz' VIII. vom Jahre 1295 gedenkt eines mit Bildern
geschmückten Chormantels : Item unum pluviale anglicanum cum campo toto de auro
filato cum multis imaginibus sanctorum et figuris avium et bestiarum cum frisio ad perlas.
Das Inventar Karls V. von Frankreich vom Jahre 1379 schreibt: Une chappe
ä ymages sur champ d'or d'ouvraige d'Angleterre, l'orfroi et la broderie ä perles . . . ;
une autre chappe ä prelat, brodee sur or ä ymages de point; im Inventar von Poitiers
von 1406 aber lesen wir: Une autre fort belle chappe, . . . en laquelle est comprise
toute la Bible en ymages et enrichie d'un magnifique orfroi In einem Inventar der
Kathedrale zu Lyon von 1448 sind verzeichnet eine cappa preciosa . . . contexta cum
acu de auro, seminata in campo de virga Jesse . . ., und eine cappa, iam antiqua,
aurea brodata cum acu . . . seminata de Passione. Ungemein reich an figurierten
Pluvialien war ehedem die Kathedrale von Bourges, so reich, daß sie in dieser
Beziehung selbst St Peter zu Born übertraf. Verzeichnet doch das Inventar
von 1537 ihrer nicht weniger denn sechs. Drei wiesen Bilder aus dem Leben des
Heilandes und Maria, eine vierte Marterszenen, eine fünfte den Jessebaum auf. Die
sechste hieß La chappe du Te Deum von den auf ihr dargestellten Ordnungen heiliger
Männer und Frauen 2. Andere mit Bildern bestickte Chorkappen werden in dem In-
ventar von Cluny (1382) und den Verzeichnissen der Schätze Philipps des Kühnen
(1404), Philipps des Guten (1420) und Karls des Kühnen (1467) aufgeführt. In
der Kapelle Philipps des Kühnen gab es ihrer ganze fünf, von denen zwei Floren-
tiner Herkunft waren.
In der Ste-Chapelle zu Bourges besaß man noch 1757 zwei mit figürlichen Dar-
stellungen bestickte Pluvialien , von denen die eine Szenen aus dem Leben des
1 Über cassamitum = catexamitum vgl. bedeutet ein rundes, viereckiges oder vier-
oben S. 225, Anm. 1 ; compaxus (compassus) paßformiges Feld. - Kevue 1888, 176.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
337
hl. Ludwig von Marseille, die
andere Begebenheiten aus dem
des heiligen Königs Ludwig
aufwies '. Drei fernere fanden
sich bis zur Revolution in
der Abtei La- Chaise -Dieu
(Auvergne). Man schrieb sie
irrtümlich dem Stifter der
Abtei, dem hl. Robert, zu ; die
Abbildung, welche wir durch
Montfaucon von einer der-
selben besitzen, wie die Be-
schreibung, die wir von ihnen
erhalten , lassen in ihnen
unschwer Schöpfungen des
14. Jahrhunderts erkennen.
Eines der Pluvialien hieß La
caille (Wachtel), weil zwischen
den Heiligendarstellungen
außer andern Tieren beson-
ders häufig eine Wachtel an-
gebracht war. Die Besätze
an der Vorderseite wiesen
Heilige unter Baldachinen auf,
der Schild das Lamm Gottes,
das Gewand selbst die Kreuzi-
gung und die zwölf Apostel.
Von den beiden andern Chor-
kappen nannte man die eine
La Pentecöte, die andere La
Toussaint '-', Namen, die zur
Genüge verraten, was auf
denselben dargestellt war.
Sehr eigenartig war der Bilder-
schmuck auf einem Pluviale
in der Kathedrale zu Chartres.
Über das ganze Gewand zogen
sich mit Fischen belebte Flüsse
hin, die einander kreuzten
und so Medaillons bildeten.
An den Kreuzungspunkten
sah man große Krebse. Der
Bilderschmuck des Pluviale
bestand in einer Kreuzigungs-
gruppe , die unterhalb des
Schildes angebracht war, einer
Darstellung der thronenden
Gottesmutter , die nach dem
Saum der Rückseite zu ihren
Platz gefunden hatte, und den
1 Girardot, Tresor de la
cathedrale de Bourges 26 46.
Revue 1888, 176.
- Roh. VIII 5 und pl. dcxxv. Bild 158.
Braun, Die liturgische Gewandung.
Pluvialstäbe mit Totentanzszenen. Osnabrück, Dom.
22
338 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
von Vogelgestalten begleiteten Figuren der Apostel, welche sich rechts uns links an
Maria anreihten. Das Pluviale befand sich noch 1620 im Besitz der Kathedrale '.
Doch wozu die Inventare erzählen lassen, da es doch noch jetzt eine
verhältnismäßig stattliche Anzahl dieser Praclitpluvialien des 13. , 14. und
15. Jahrhunderts gibt.
Wohl das älteste derselben , es mag in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts
hinaufreichen , ist das früher bereits erwähnte Pluviale von St Paul in Kärnten
(Bild 144, S. 319). Der ganze Grund des Gewandes ist mit Kreisen von nahezu 30 cm
Durchmesser ausgefüllt, die auf der einen Hälfte des Pluviale Szenen aus dem Leben
des hl. Blasius , auf der andern Szenen aus dem des hl. Vincentius enthalten. Die
Bedeutung der jedesmaligen Darstellung erhellt aus der in der Umrahmung angebrachten
Umschrift. Die Zwickel zwischen den Kreisen werden durch romanische Ranken und
sonstiges dem Baum entsprechendes Ornament , namentlich romanisch stilisierte
Kreuze, belebt. Über die Mitte der B-ückseite zieht sich von oben nach unten ein
11 cm breiter Zierstreifen, der das Gewand in zwei Hälften teilt, eine Einrichtung,
die, wie schon gesagt wurde, bei Chormänteln eine große Seltenheit ist. Die Stickerei
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Bild 159. Pluviale Nikolaus' IV. Ascoli Piceno. (Phot. Alinari.)
ist in Seide auf derbem Linnen aufgeführt. Die Zeuglasche, welche vorn am Saume
behufs Sehließens des Gewandes angebracht ist, weist die Brustbilder Christi und der
hll. Blasius und Nikolaus auf'-.
Etwas jünger als das Pluviale von St Paul ist die Chorkappe in der ehemaligen
Klosterkirche zu Goß in Steiermark, eine Arbeit aus der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts3. Wie die zugehörige Kasel, Dalmatik und Tunicella eine Stiftung der
Äbtissin Kunigundis IL, ist sie auch in Bezug auf den Charakter der Darstellungen und
der angewendeten Technik diesen Gewändern durchaus gleichartig. Ihre Verzierung
besteht teils aus Hakenmustern untermischt und wechselnd mit Flechtwerk, geometrischem
Bandornament und treppen artigen Gebilden, teils aus quadratischen Feldern, in denen
phantastisches Getier, Adler, Elefanten, Löwen, Greife und ähnliches angebracht sind.
1 Gay I 822. Vergleiche auch das In-
ventar von York (1500) : Item 3 capae rubeae
opere acus operatae cum historiis Bibliae ;
ferner Durliam, Wills and Inventories
21 27, das Inventar von Fecamp (1375), das
Schatzverzeichnis von Lincoln (1536), das
Inventar von Amiens (1419) u. a.
2 H e i d e r , Liturgische Gewänder aus Stift
St Blasien im Schwarzwald, in Jahrbuch der
k. k. Zentralkommission IV, Wien 1860, 135ff
und Kraus, Kunstdenkmäler des Großherzog-
tums Baden, Kreis Waldshut III 104, wo
auch die Literatur über das Pluviale.
3 Abbildung bei de Farcy 773.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
339
Figurales Bildwerk findet sich nur auf der Rückseite des Pluviale. Es beschränkt
sich auf das Bild der Gottesmutter, die das Jesuskind an ihrer jungfräulichen Brust
nährt, die vier Evangelistensymbole und eine Darstellung der Don atrix Kunigundis. Maria
und die Evangelistensymbole sind in Scheiben angebracht, die Stifterin unter einem
Rundbogen. Die Kapuze bzw. der Schild fehlt gegenwärtig, vielleicht, daß solches
von Anfang an der Fall war. Schön ist das Gewand nicht , noch auch technisch
eine Musterleistung, jedoch sehr interessant.
Ungleich vorzüglicher, ja wirklich vortrefflich ist ein aus derselben Zeit stam-
mendes Pluviale in der Kathedrale zu Ascoli (Bild 159). Es wurde dieser von
Nikolaus IV. (f 1292) zum Geschenk gemacht und soll auf Bestellung Nikolaus' III.
(f 1280) durch einen französischen Meister angefertigt worden sein. Das Gewand
ist ein Papstpluviale im vollsten Sinne des Wortes. Der Fond des Bildwerks ist
in Gold- und Silberstickerei hergestellt. Neunzehn zum Teil allerdings unvoll-
ständige Rundmedaillons mit eingeschriebenem Achtpaß verteilen sich in drei Reihen
über die ganze Fläche. Die drei mittleren enthalten ein Brustbild Christi, Christi
Kreuzigung und Maria mit dem Kind zwischen zwei Engeln thronend, die 16 übrigen
Bild 160. Pluviale aus Syon. London, Kensiugton-Museuni. (Phot. de Farcy.)
Darstellungen von Päpsten. Sechs derselben schildern das Martyrium der hll. Petrus,
Marcellus, Alexander, Klemens, Kornelius und Fabianus, sechs zeigen uns die heiligen
Bekennerpäpste Silvester , Hilarius , Leo , Gregor I. , Lucius und Anastasius in-
mitten von je zwei heiligen Bischöfen , die übrigen vier weisen die Brustbilder
Innocenz' IV. (1243—1254), Alexanders IV (1254—1261), Urbans IV. (1261 bis
1264) und Klemens' IV. (1265 — 1268) auf, jedes begleitet von dem Brustbilde eines
Bischofs. Der winzige Schild enthält zwei inzensierende Engel , ein hier beliebtes
Motiv. Aurifrisien ziehen sich sowohl am Vordersaum hinab wie rings um den
unteren Rand. Sie waren einst mit Perlen reich besetzt. Es ging diesen indessen
wie so vielen andern Kostbarkeiten : man mußte sie herabnehmen , um sie zur Be-
zahlung einer von Napoleon I. auferlegten Kriegskontribution zu verwenden.
Sonstige Prachtpluvialien aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind das
Pluviale des hl. Ludwig von Anjou zu St-Maximin (Var), der unter dem Namen
Syon cope bekannte Ghormantel im Kensington-Museum, ein aus Daroca stammendes
Pluviale im Museum zu Madrid und ein dem Bischof Wedekind von Hildesheim einst
angehöriger, nach dessen Tode aber vom Kensington-Museum erworbener Chormantel.
Reste einer Cappa aus dieser Zeit finden sich an einer Dalmatik im Schatz der
Kathedrale von Anagni.
22*
MO
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen öbergewänder.
Das Pluviale von St-Maximin ist leider am unteren Rand stark beschnitten '.
Außerdem fehlen die Aurifrisien, der clipeus und ein breiter Streifen in der Mitte des
Gewandes, den man vermutlich herausgeschnitten hat, um daraus einen Kaselbesatz
oder ähnliches zu machen. Dreißig auf vier Reihen verteilte Rundmedaillons mit
Szenen aus dem Leben des Heilandes und seiner heiligen Mutter, ein völliges Marien-
leben bildend, füllen, besser füllten den in Goldstickerei hergestellten Grund. In den
Zwickeln zwischen den Scheiben haben vierflügelige Engel Platz gefunden, die sich
in ausgezeichneter Weise dem Raum anpassen.
Die sog. Syon-Cappa im Kensington-Museum (Bild 160, S. 339) ist mit 19 in drei
Reihen angeordneten Medaillons bedeckt -. Sie haben die Form eines Vierpasses
durch den ein Quadrat geschoben ist, und sind nach Art eines aus Ringen bestehenden
Netzes ineinander gekettet. Die Darstellungen, welche sie enthalten, sind: Christus am
Kreuze, Christus und Magdalena, Christus und Thomas, Maria Tod, Maria Begräbnis
und Krönung, St Michael und die zwölf Apostel, von welchen letzteren indessen vier
nur noch in winzigen Resten vorhanden sind. Der Raum zwischen den Vierpässen ist
Bild 161. Pluviale aus Hildesheim. London, Kensington-Museum. (Phot. de Farcy.)
mit sechsflügeligen Seraphim ausgefüllt. Der Fond des Pluviale ist in grüner, der-
jenige der Medaillons in roter Seide ausgestickt; die Figuren sind in Gold, Silber und
farbiger Seide gearbeitet. Die Besätze unten und am vorderen Saume sind um etwa
ein Jahrhundert jünger als das Gewand selbst.
Das Pluviale von Daroca ist gleichfalls mit drei Reihen von Vierpässen ge-
schmückt, aus deren Ecken rechte Winkel hervorwachsen; doch sind die Medaillons
nicht ineinandergeschlungen, sondern durch eine vierköpfige Schlange miteinander ver-
knüpft. Die drei übereinander stehenden Medaillons in der Mitte des Gewandes geben
oben den Engeldienst nach der Versuchung Christi, darunter Christus am Kreuze und
unten die Verkündigung wieder, die übrigen Szenen der Schöpfung und des Sündenfalls.
In den Zwickeln zwischen den Pässen gewahren wir auch hier sechsflügelige Engels-
gestalten. Der ursprüngliche clipeus ist verloren gegangen. Die Besätze am Vordersaum
weisen Bilder von Bischöfen und Königen unter steil ansteigenden, auf Löwenköpfen
1 Abbildung bei de Farcy 402.
2 Das Pluviale rührt aus dem Kloster Syon
bei Lsleworth (England) her. Zur Zeit der
sog. Reformation nach Portugal gabracht,
kam es mit den Nonnen, die es besaßen, im
Beginn des 19. Jahrhunderts nach England
zurück. Von den Eigentümerinnen dem Earl
of Shrewsbury zum Dank für die ihnen ge-
währte Gastfreundschaft geschenkt, gelangte
es 1864 durch Kaufan das Kensington-Museum.
Drittes Kapitel. Das Pluviale
341
ruhenden Baldachinen auf. Der Grund des Pluviale und der Medaillons ist ganz in Gold
gestickt; die Figuren sind in Seide ausgeführt, die Umrahmung der Medaillons in Gold.
Das Gewand, welches leider durch die Ungunst der Zeit stark gelitten hat, ist eines
der interessantesten seiner Art '.
Die vorhin erwähnten Chormantelreste an einer Dalmatik im Schatz der Ka-
thedrale zu Anagni sind die letzten Überbleibsel eines glanzvollen Pluviale, das
Bonifaz VIII. dieser seiner Lieblingskirche verehrte. Seltener, vielleicht niemals, sind
Stickereien in so brutaler Weise zerschnitten und in so widersinniger Weise zu einem
Gewände verarbeitet worden , wie das hier in der Zeit der Renaissance mit einem
Meisterwerk der Stickkunst aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts geschehen ist.
Die Ärmel der Dalmatik sind einer gleichfalls von Bonifaz VIII. herrührenden , ganz
mit Bildern aus dem Leben des hl. Nikolaus bestickten Dalmatik entnommen, als diese
das Geschick ereilte , in eine Kasel verunstaltet zu werden. Das Bilderpluviale,
welches der Papst der Kathedrale gab, war mit Marterszenen bestickt. Wirklich finden
wir solche auf der Dalmatik des Schatzes von Anagni. Die Umrahmung der Dar-
stellungen ist von ähnlicher Art wie bei den Medaillons auf dem Pluviale im Kensington-
Bild 162. .Pluviale. Bologna, Museo civico. (Phot. Alinari.)
Museum und der Cappa von Daroca, nur dafä die einzelnen Pässe Dreiblattform
haben. Den Baum zwischen den Vierpässen nehmen Engel ein. die auf Thronen sitzen 2.
Bei dem Hildesheimer Pluviale, einem auch durch seine charakteristische Stick-
technik bedeutsamen Stück, das leider seinen Weg in die Fremde genommen hat, bilden
1 Abbildimg des ganzen Gewandes nebst
Detail bei de Farcy pl. 21 22.
2 Abbildung ebd. pl. 36. De Farcy (126)
irrt, wenn er meint, die Ärmel der Dalmatik
und die im Text erwähnte Kasel seien Reste
eines Pluviale ; sie stammen von der im In-
ventar der Geschenke Bonifaz' VIII. ver-
zeichneten Dalmatik: Item una dalmatica,
contexta de auro, argento et serico cum octo-
ginta duobus plactis (sie) de auro et pernis
ad historiam beati Nicolai. Ebenso ist die
Meinung Barbiers de Montault (Annales
archeolog. XVII 273), die Dalmatik sei
identisch mit der im Inventar erwähnten
una dalmatica de samito rubeo cum diversis
passionibus sanetorum ad imagines salvatoris
et virginis in pectorali, unzutreffend, wie
die Angabe de samito rubeo beweist. Im
Schatz der Kathedrale gibt es gegenwärtig
auch ein mit Bildern ganz besticktes Pluviale,
das als völliges Gegenstück des Chormantels
des hl. Ludwig von Anjou gelten könnte.
Wenn wir das prächtige Stück im Text nicht
anführen, so hat das seinen Grund in dem
Umstand, daß selbiges ursprünglich eine Kasel
war und erst später seine jetzige Form und
Verwendung erhielt: Item una planeta con-
texta ad aurum et de serico de historia sal-
vatoris ab anuntiatione beatae virginis et
nativitate Christi usque ad resurrectionem
et de assumptione beatae virginis, heißt es
im Inventar der Gaben Bonifaz' VIII. Die
beste Reproduktion des Gewandes bei d e
Farcy 53.
542
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewiinder.
die Rundmedaillons keine horizontalen, sondern vertikale Eeihen (Bild 161, S. 3-10).
Außerdem hat man dadurch, daß man sie ineinander hat übergreifen lassen, alle Zwickel
vermieden. Bemerkenswert ist der gewebte Besatz, der sich über die Mitte des Rückens
von oben nach unten zieht. Der kleine, geradseitige clipeus ist mit geometrischen
Figuren bestickt. Die Medaillons sind mit Darstellungen von Marterszenen (im
ganzen 29), die Segmente mit Drachen gefüllt. Die Behandlung der Gewandungen
mit ihren geometrischen Musterungen erinnert an die Stickereien von Goß, nur ist die
Arbeit beim Hildesheimer Pluviale ungleich sauberer und zarter. Gold ist nur an
den Rosetten zur Verwendung gekommen , welche an den Verbindungspunkten der
Kreissegmente angebracht sind. Was die Komposition der Szenen, den Ausdruck und
die Haltung der dargestellten Figuren, die Drappierung und ähnliches anlangt, kann
sich das Gewand mit seinen Genossen in Ascoli usw. unzweifelhaft nicht im ent-
ferntesten messen. Dagegen ist es als Beispiel deutscher Stickerei und um seiner
Technik willen zum mindesten ebenso interessant wie diese.
Der Wende des 13. Jahrhunderts oder dem Beginn des 14. gehören außer einem
großartigen Pluviale im Museo civico zu Bologna zwei im ganzen noch ziemlich gut
erhaltene Chormäntel in St-Bertrand zu Comminges sowie die Reste einer Cappa im
Bild 163. Pluviale. (Rekonstruktion.) Pleasington, Lancashire. (Phot. de Farcy.)
Corpus Christ House zu London an. Etwas späteren Datums, doch immer noch aus
der Frühe des 14. Jahrhunderts wird ein Pluviale sein, das von Papst Gelasius IL
(t 1119) dem Dom zu Pisa geschenkt worden sein soll und gegenwärtig im Museo
civico daselbst ausgestellt ist. Seit etwa dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts
entstanden das Prachtpluviale von S. Giovanni im Lateran zu Rom, der Chormantel
im Dom zu Pienza, ein Pluviale in der Kathedrale von Toledo, die Reste einer im
englischen Privatbesitz (Familie Bowden zu Pleasington, Lancashire) befindlichen Cappa
sowie die Überbleibsel eines Chormantels im bischöflichen Museum zu Vieh (Spanien).
Auch die bedeutenden Fragmente eines mit Bildern bestickten Pluviale zu Steeple
Aston (Oxfordshire) in England werden dieser Zeit zugeschrieben ; wir möchten sie
indessen lieber dem Anfang des 14. Jahrhunderts zuweisen.
Von den beiden Pluvialien in St-Bertrand zu Comminges schließt sich das eine
hinsichtlich der Ausstattung im wesentlichen noch an den Typus an, welcher für die
Pluvialien des 13. Jahrhunderts charakteristisch ist1. Immerhin bietet es manches
Neue. Die Kreise sind zu beiden Seiten nach Art eines Kranzes mit Blättern besetzt
und durch mittelgroße, gleichfalls kranzartige Ovale miteinander verbunden. Da, wo
Abbildung ebd. pl. 81.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
343
Kreise und Ovale sich berühren, sind Vierfüßler der mannigfachsten Art angebracht. Die
Ovale enthalten allerlei Vögel, eine wahre Menagerie, die Rundmedaillons Propheten-
gestalten, der Raum zwischen den Medaillons Szenen aus der Leidensgeschichte samt
der Darstellung der Himmelfahrt des Herrn, der Sendung des Heiligen Geistes und der
Krönung Maria. Man könnte das Pluviale in Anbetracht all des Getiers, das auf dem-
selben , und zwar zum Teil in ungemeiner Lebenstreue , seinen Platz gefunden,
„Arche" ' nennen.
Auch die Chormantelfragmente zu Steeple Aston haben die Erinnerung an die im
13. Jahrhundert beliebte Ausstattungsweise des Pluviale noch keineswegs verloren '. Nur
daß die Vierpässe, die in drei Reihen übereinander den in Gold gestickten Fond
überziehen und außer der Kreuztragung, der Kreuzigung und Maria Krönung Marter-
szenen wiedergeben, bereits eine freiere Form bekommen haben, und daß sie, ähnlich
wie die Kreise auf dem Chormantel von Comminges, mit Blättern versehen sind. Die
Zwickel zwischen den Medaillons beherbergen den englischen Löwen , auf denA uri-
frisien am Vordersaume gewahrt man musizierende Engel — hoch zu Roß, eine eigen-
«sp
Bild 104. Pluviale des Kardinals Albornoz. Toledo, Museum.
artige Darstellung. Sie werden durch Vierpässe voneinander geschieden, welche in
der Mitte die englische Rose, in den einzelnen Pässen aber die auf englischen Sticke-
reien traditionellen Vögel und Vierfüßler aufweisen.
Eine sehr bemerkenswerte Arbeit ist das leider nur unvollständig vorhandene
Pluviale in Corpus Christ House 2. Es ist auf seidenem Fond mit dem Jessebaum
geschmückt, hier ein Weinstock, der in der Mitte des unteren Saumes aus der Seite
des schlafenden Jesse ausgeht und sich aufsteigend nach rechts und links über das
ganze Gewand verzweigt. Die Stammväter des Herrn und Maria mit dem Jesuskind
befinden sich in kreisförmigen Feldern , in welche die einzelnen Reben auslaufen.
Außer den Ahnen des Erlösers haben auch Propheten, die von diesem weissagten, in
Medaillons solcher Art auf dem Gewand einen Platz gefunden. Der übrige Teil des
Fonds wird in ungemein gefälliger und harmonischer Weise durch kleinere Ranken,
durch Blattwerk und Trauben belebt.
Ein Pluviale ganz verwandter Art begegnet uns schon 1245 im Inventar von
St Paul zu London 3. Der Jessebaum scheint bei den englischen Pluvialstickern
1 Abb. ebd. pl. 150. - Abb. ebd. pl. 42.
3 Cappa G. de Wesenham de rubeo samito,
bene breudata lesse et stirpe per totum et
apostolis in anteriore parte et crncifixo. Die
Apostel in anteriore parte haben wir uns wohl
auf dem Aurifrisinm zu denken, welches den
344
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
recht beliebt gewesen zu sein. Er findet sich unter anderem auch auf einer Stickerei,
welche von de Farcy veröffentlicht wurde und die mittlere Partie eines englischen
Chormantels oder wohl besser den Besatz einer Kasel gebildet haben dürfte '.
Der Chormantel zu Pisa besteht aus rotem Wollstoff2. Seine Musterung setzt
sich aus vier Reihen Medaillons von der bekannten Vierpaßforni zusammen. Die
Zwickel zwischen den Medaillons sind mit einer Eosette angefüllt , von der vier
Ranken ausgehen, die Medaillons aber enthalten Brustbilder von Heiligen. Die Stickerei
ist teils in farbiger Seide, teils in Gold gearbeitet. Den Besatz an der Vorderseite
des Gewandes schmückt in der Mitte das Brustbild des hl. Petrus ; seine übrigen Dar-
stellungen geben Szenen aus dem Leben Christi wieder. Den unteren Saum umzieht
eine mit einer Ranke bestickte Borte. Der Schild fehlt.
Das Pluviale im Museo civico zu Bologna nennt de Farcy das Nonplusultra
aller Pluvialien. Das Lob ist wohl etwas übertrieben. Wer indessen Gelegenheit hatte,
dasselbe an Ort und Stelle näher zu studieren , wird immerhin gestehen müssen, daß
es einer der vorzüglichsten Chormäntel ist, die wir aus dem Mittelalter noch besitzen.
Eine Abbildung überhebt uns der Beschreibung (Bild 162, S. 341). Kann sie auch von
der allseitigen Vorzüglichkeit der Nadelmalereien, mit denen das Gewand ausgestattet
Bild 165. Pluviale. Pienza, Dom. (Pliot. Lombai-di.)
ist, keinen Begriff geben, so ermöglicht sie doch wenigstens eine Idee von der Weise,
wie der Künstler das Bildwerk angeordnet hat.
Im 13. Jahrhundert liebten es die Sticker, in Nachahmung der mit eingewebten
Medaillons gemusterten Stoffe den Fond des Pluviale mit aneinandergereihten Kreisen
oder Vierpässen zu besticken und in diese dann das Bildwerk einzufügen. Es
hatte dies jedoch einen großen Übelstand im Gefolge. Da die Cappa ausgebreitet
nicht ein Rechteck, sondern ein Halbrund darstellt, konnten nämlich verschiedene der
Medaillons nur unvollständig auf dem Gewand Platz finden. Die zerschnittenen Kreise
und verstümmelten Figuren sind also keineswegs überall das häßliche Ergebnis einer
unverständigen Zustutzung aus späteren Tagen. Wir finden sie auch bei Pluvialien,
an welche sieh eine Schere nie nachträglich herangemacht hat.
Das Pluviale im Museo civico zeigt nun einen neuen Typus. Der Sticker hat
auf dem Gewand in der Richtung der Radien eine doppelte Reihe von Arkaturen
vorderen Saum entlang angebracht war. Wo
die Kreuzigungsgruppe sich befand, ob in der
Mitte des genannten Saumbesatzes oder auf
dem clipeu8, muß dahingestellt bleiben.
1 Abbildung ebd. pl. 41. Auch de Farcy
möchte sie für einen Kaselbesatz halten. Sie
ist eine äußerst feine Arbeit. Die Figuren
und der Jessebaum sind in Seide gestickt.
Der Fond wurde mittels Abheften von Gold-
fäden gebildet, und zwar wurde er dabei in
kunstreicher Weise durch den Wechsel im
Lauf der Fäden mit Vierpässen gemustert,
welche mit einem Leoparden gefüllt sind.
2 Abbildung bei Roli. VIII, pl. dcxxv.
P4
oa
346 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
angebracht, von denen sich die untere auf der Peripherie, die obere auf einem zur
Peripherie parallelen, die beiden Bogenzonen trennenden Fries erhebt; dann hat er unter
diesen zwei Folgen von Bogen die Szenen aus dem Leben des Heilandes, die er sich
zum Vorwurf wählte, angeordnet ; unzweifelhaft ein ebenso glücklicher wie geistreicher
Gedanke. Der Typus erscheint übrigens auf dem Bologneser Chormantel erst in
seinem Anfang. Die beiden Arkadenreihen stehen noch zu los und zu unvermittelt
übereinander. Vollständiger durchgebildet ist er bei dem zweiten Pluviale von
St-Bertrand zu Comminges *. Die trennenden Friese sind hier fortgefallen und die
Bogen durch Doppelranken ersetzt, die einander umwinden und eine doppelte Reihe
von Arkaturen, eine obere kürzere und eine untere längere, imitieren. In seiner ganzen
Vollendung tritt der Typus seit etwa dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts bei den
Prachtpluvialien von Toledo, von Pienza, von S. Giovanni im Lateran, den im Privat-
besitz der Familie Bowden zu Pleasington befindlichen Chormantelresten (Bild 163, S. 342)
und den Pluvialfragmenten zu Vieh auf'2. Wir haben hier überall drei Bogenzonen. Die
Architektur ist bald strenger bald freier, immer aber als Flachornament behandelt.
Die in der Mitte des Gewandes senkrecht übereinander sich erhebenden Bogen, welche
regelmäßig Doppelbogen sind, enthalten stets Gruppen, wozu mit Vorliebe die Ver-
kündigung, die Geburt Christi, die Anbetung durch die Weisen, die Kreuzigung und
die Krönung Maria verwendet werden. Unter den übrigen Bogen sind bald Einzel-
figuren bald gleichfalls Gruppen angeordnet. Nur Gruppen besitzen unter den Bogen das
Pluviale von S. Giovanni im Lateran und das von Pienza. In den Zwickeln zwischen den
einzelnen Zonen haben meistens musizierende Engel Platz gefunden. Bei dem Pluviale von
Toledo (Bild 164, S. 343), welches sich durch eine sehr strenge, zugleich aber ungemein
edle Behandlung der Architektur auszeichnet, sind die Zwickel ganz weggefallen, dafür
aber oberhalb der die Bogen bekrönenden Wimperge zur Ausfüllung des Baumes die für
die englische Stickerei des Mittelalters charakteristischen Vögel dargestellt. Bei dem Plu-
viale von Pienza (Bild 165, S. 344) sind statt der Engel in der unteren Zwickelreihe die
Apostel in sitzender Stellung, in der oberen die Brustbilder von acht Ahnen des Heilandes
angebracht. Eine eingehende Beschreibung der angeführten Pluvialien, die unstreitig
einer Monographie würdig wären, gestattet der Baum nicht. Die Abbildungen der Plu-
vialien von Bologna, Pleasington (Rekonstruktion), Toledo und S. Giovanni im Lateran
mögen einen teilweisen, allerdings sehr geringen Ersatz bieten. Immerhin werden sie
das Gesagte besser verstehen helfen und eine allgemeine Idee dieser Prachtpluvialien geben.
Aus dem 15. Jahrhundert verzeichnen wir die drei zum Ornat des Goldenen
Vlieses gehörigen Cappae (Bild 166, S. 345) in der k. k. Schatzkammer zu Wien. Die
Errungenschaft des 14. Jahrhunderts, die drei konzentrischen Zonen sind auch hier
zur Anwendung gekommen, weggefallen ist dagegen eine zusammenhängende Archi-
tektur. Der Meister, der die Zeichnung für die Pluvialien entwarf, ist wieder auf die
frühere Musterungsweise mittels Medaillons zurückgegangen. Indessen hat er sich doch
den Fortsehritt zu nutze gemacht, den das 14. Jahrhundert zu verzeichnen hatte.
Er hat die Medaillons, die er als langgezogene, nach oben zu sich verjüngende Sechs-
ecke bildete, parallel zur Peripherie in Form eines Halbkreises nebeneinandergelagert
und überdies die obere und untere Reihe in Weise der Bienenzellen in die mittlere
hineingreifen lassen. Die Lösung ist genial, doch läßt sich nicht verkennen, daß die
Einrichtung der Frische, des Wechsels und des Lebens entbehrt, welche der Dekoration
der Prachtpluvialien des 14. Jahrhunderts in so hohem Maße eigen ist. Viel trägt
allerdings dazu bei, daß die Umrahmung der Felder zu schwer und zu breit ist, ein
Fehler, der sich um so fühlbarer macht, je luftiger und lebendiger innerhalb der
Medaillons die Architektur behandelt ist , unter welcher das Bildwerk seinen Platz
gefunden.
Im übrigen dürfte man kaum ein Parament finden , welches sich hinsichtlich
der Technik und der künstlerischen Ausführung wie des Adels und des Liebreizes
Abbildung bei de Farcy pl. 31. und Vieh ebd. pl. 43 153; vgl. für jenes und
Abbildungen der Pluv. von S. Giovanni die C. zu Pienza auch Revue 1888, 179 440.
Drittes Kapitel. Das Pluviale. 347
des Bildwerkes mit den Pluvialien des Ordens vom Goldenen Vlies messen könnte. Es
sind geradezu herrliche Figuren , diese Engel in der ersten und die Heiligen in der
zweiten und dritten Felderreihe, wahre Meisterwerke, korrekt in der Zeichnung, edel
in der Haltung , voll Andacht und Innigkeit. Kaum daß sich etwas Vollendeteres
mit der Nadel schaffen ließe.
Die Aurifrisien der drei Pluvialien enthalten sitzende Heiligengestalten unter
spätgotischer, stark gedrückter, mit Perlen reich besetzter Architektur. Die Schilde,
in deren Form schon die eindringende Renaissance merkbar zum Worte kommt, weisen
den Heiland als Weltenrichter bzw. die Gottesmutter und den hl. Johannes den
Täufer auf.
Die Wiener Pluvialien sind die jüngsten der noch vorhandenen mittel-
alterlichen Bilderpluvialien. Sie sind das Erzeugnis flandrischen Kunstfleißes,
um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden und in Lasurstickerei aus-
geführt. Die Fleischteile und die Haare ausgenommen, ist alles andere über
Goldfäden mittels feinster Überfangstiche hergestellt.
Flandern war im 15. Jahrhundert ein Hauptfabrikationsplatz großartiger
und kunstvoller Stickereien, im 13. und 14. waren es Frankreich und nament-
lich England. Immer und immer wieder stößt man in den Inventaren des
13. und 14. Jahrhunderts auf das opus anglicanum, d. i. auf englische Ar-
beiten , englische Stickereien. So bezeichnet z. B. , wie wir hörten , das
Schatzverzeichnis von St Peter 1361 drei der darin erwähnten Pracht-
pluvialien ausdrücklich als opus anglicanum 1. Es ist denn auch der größte
Teil der vorhin beschriebenen Chormäntel des 13. und 14. Jahrhunderts in
der Tat englischen Ursprunges. Drei sind deutscher Provenienz, die Cappae
von St Paul, Goß und Hildesheim ; italienischer Herkunft dürfte das Pluviale
im Museo civico zu Pisa sein. Bei einigen, wie dem Chormantel von St-Maximin,
mag es zweifelhaft sein, ob sie in Frankreich oder England entstanden sind.
Dagegen sind englisches Fabrikat die Pluvialien von Toledo, S. Giovanni im
Lateran, Pienza, Steeple Aston, Vieh, Comminges, das im Privatbesitz be-
findliche Pluviale zu Pleasington und die Chormantelreste in Corpus Christ
House zu London, die Syon-Cappa und wohl auch die Cappa von Daroca.
Der Stil, die Behandlung der Architektur und der Charakter der ornamen-
talen Motive lassen darüber keinen begründeten Zweifel. Wahrlich, ein glän-
zenderes Monument hätten sich die englischen Sticker nicht setzen können,
als sie es in Gestalt all dieser Prachtpluvialien getan haben. Aber auch in
Italien entstanden herrliche, mit Figurenwerk bestickte Pluvialien. In den
Inventaren Philipps des Kühnen und Philipps des Guten wird ein derartiger
Chormantel ausdrücklich „ouvraige de Fleurence" genannt. Er muß eine
Arbeit des ausgehenden 13. oder beginnenden 14. Jahrhunderts gewesen sein,
denn die Darstellungen befanden sich in Feldern „de quatre demi compas",
d. h. in Vierpässen. Ein solches opus Florentinum mögen die Pluvialreste
an der Dalmatik zu Anagni sein. Ebenso ist wohl die Chorkappe im Museo
civico zu Bologna italienische und zwar Florentiner Arbeit.
Die Neuzeit hat keine mit Bildwerk verzierten Pluvialien mehr geschaffen.
Verschwanden doch seit dem Ende des 16. Jahrhunderts selbst von den Be-
sätzen und dem Schilde rasch die figürlichen Darstellungen. Wohl entstanden
kostbare Chormäntel, allein bestenfalls überzog man dieselben in Gold- oder
Seidenstickerei mit allerhand Ranken, Blumen und Schnörkeln, oder sogar,
wie im 18. Jahrhundert, mit chinesischen Landschaften. Was man aber auch
1 Vgl. auch die Iaventare Karls V. von Frankreich, Philipps des Guten u. a.
348 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
so schuf, mit den Prachtpluvialien des 13., 14. und 15. Jahrhunderts kann
es nicht in Vergleich kommen, am wenigsten aber, was den geistigen Gehalt
der Stickereien betrifft.
VII. URSPRUNG DES GEWANDES. DAS PÄPSTLICHE MANTUM.
DIE CAPPA MAGNA UND ALMUTIA.
Man hat die liturgische Cappa auf die römische lacerna zurückgeführt.
In der Tat war diese ein dem Pluviale gleichartiges Gewand, weil auch sie ein
vorn ganz geöffneter Mantel war, der über der Brust mit einer Bindvorrichtung
oder einer Spange geschlossen wurde. Auch darin ähnelt die lacerna der
Cappa, daß sie gern mit einer Kapuze versehen wurde. Abbildungen eines
Mantels von der Art der lacerna finden sich mehrfach auf den römischen und
ravennatischen Mosaiken. Auffallenderweise erscheint er hier stets als das
die alttestamentlichen Priester charakterisierende Obergewand. So tragen
ihn auf den Mosaiken in S. Maria Maggiore zu Rom z. B. Melchisedech, Jethro,
die Priester, welche die Bundeslade begleiten usw. 1 ; auf den Mosaiken in
S. Vitale zu Ravenna und S. Apollinare in Classe Melchisedech 2 ; auf dem
musivischen Wandschmuck in S. Apollinare nuovo zu Ravenna die Hohen-
priester und Priester in den Szenen: Jesus vor dem Hohen Rat, Judas vor
den Hohenpriestern, Jesus vor Pilatus und Jesus zum Tode geführt 3.
Nichtsdestoweniger liegt kein Grund vor, das Pluviale auf die lacerna
der Kaiserzeit zurückzuführen. Abgesehen davon, daß es liturgisches Gewand
erst wird, als der Name lacerna schon längst außer Gebrauch gekommen war,
ist ja die liturgische Cappa in ihrem Ursprung nachweislich eins mit dem
gleichnamigen Mantel, den die Geistlichen, die Mönche und auch die Laien
im Frankenland zu tragen pflegten. Von einer unmittelbaren Ableitung aus
der lacerna kann also auf keinen Fall die Rede sein.
Aber auch eine mittelbare scheint fraglich. Denn unter der zur Alltags-
tracht der Geistlichen und Mönche gehörenden Cappa verstand man zur Zeit,
da sich aus ihr das liturgische Pluviale entwickelte - - und so blieb es das
ganze übrige Mittelalter — , nicht bloß einen vorn geöffneten, sondern auch
einen vorn ganz oder teilweise geschlossenen Mantel von der Art der alten
paenula, welche auf den Monumenten vorn bald ganz vernäht, bald bis zur
Brust, vereinzelt sogar bis oben aufgeschlitzt erscheint 4. Was hindert also,
die Cappa statt auf die lacerna auf die paenula oder casula zurückzuführen,
zumal sie auf den ältesten Darstellungen wirklich als vorn geschlossenes Ge-
wand erscheint?
Übrigens kommt es zuletzt wenig darauf an, ob man in letzter Linie
die liturgische Cappa von der lacerna oder der paenula (casula) herleitet,
zumal diese durchaus verwandte Mäntel waren. Die Hauptsache ist — und
das steht außer Frage — , daß sie keine künstliche Schöpfung ist, daß sie
sich vielmehr gerade wie die übrigen gottesdienstlichen Gewänder allmählich
1 Garr. tav. 215' 2182 2203. nicht im Okzident, sondern in der Kunst des
2 Ebd. 262 ' 2665. Ostens erhalten hat.
3 Ebd. 250° 2513i5. In der griechischen ' Ein treffliebes Beispiel einer vorn ganz
Kunst erhielt sich das Gewand als Charak- aufgeschlitzten paenula, die mit einer Schnur
teristikum der jüdischen Priester die ganze über der Brust zusammengebunden ist, bildet
Folgezeit, in der abendländischen verlor es die Stele eines römischen Soldaten Largennius
schon früh diese Eigenschaft. Es kann wohl im Museum zu Straßburg (Abbildung im
kein Zweifel sein, daß es jene Bedeutung Bonner Jahrbuch LXVI, Tfl 8).
Drittes Eapitel. Das Pluviale. 349
aus der Alltagstracht herausgestaltet hat. Wir haben aber, wie es scheint,
die Entstehung der liturgischen Cappa in den spanischen und fränkischen
Klöstern zu suchen. Von liier verbreitete sich dann ihre liturgische Ver-
wendung allmählich im übrigen Abendland. Von großem Einfluß hierauf war
ohne Zweifel der Umstand, daß die Gebräuche hervorragender Abteien gern
von andern Klöstern derselben Ordensfamilie, zumal Tochterklöstern, adoptiert
wurden. Insbesondere mögen die manchenorts herübergenommenen Gewohn-
heiten von Cluny, in denen der Gebrauch der Cappa bei gottesdienstlichen
Verrichtungen bereits sehr entwickelt erscheint, nicht wenig zur Befestigung
des liturgischen Charakters des Gewandes und zur weiteren Ausbildung der
Verwendungsweise beigetragen haben. Wann die liturgische Cappa zu Rom
in Brauch kam, läßt sich leider nicht näher bestimmen. Eine klerikale Cappa
gab es dort schon wenigstens um den Beginn des 9. Jahrhunderts, wie die
cappa more romano consuta beweist, welche Arno von Salzburg Alkuin schickte.
Der Prozeß, durch den die klerikale Cappa zum liturgischen Gewand
wurde, vollzog sich allem Anschein nach in drei Phasen. In der ersten ist sie
lediglich festtägliches Obergewand der Mönche bei der Teilnahme am Gottes-
dienst und den Prozessionen anstatt der gewöhnlichen schwarzen Cappa. In
der zweiten erscheint sie als das eigentümliche gottesdienstliche Obergewand
der bei der Messe und dem Offizium tätigen Cantores; in der dritten wird
sie bei einer Reihe von Funktionen das liturgische Obergewand des Priesters
an Stelle der bis dahin bei diesen üblichen Kasel.
In dem ersten Entwicklungsstadium war die Cappa noch kein liturgisches
Gewand , sondern nur ein besserer Festtagsmantel , der in der Sakristei
aufbewahrt und durch den Prior, den Sakristan oder wer sonst immer da-
mit beauftragt war, den Mönchen beim jedesmaligen Gebrauch übergeben
wurde. In dieser Bildungsphase finden wir sie in dem um das Jahr 800 ent-
standenen Inventar von St-Riquier. Denn die darin erwähnten 200 cappae
bedeuten offenbar nichts anderes als feiertägliche Mönchscappae. An die
Alltagscappae kann bei ihnen nicht gedacht werden, da diese nicht zum Be-
stand der Sakristei gehörten ; für liturgische Cappae im späteren Sinne ist
ihre Zahl zu groß.
Nicht überall mochten aber genug Festtagscappae vorhanden sein, noch
auch die Mittel ausreichen, solche in hinreichender Zahl zu beschaffen. In
diesem Falle konnte es angebracht erscheinen, zum wenigsten die Cantores an
Festtagen mit einer besondern Cappa zu versehen. Wo jedoch die andern Mönche
eine solche an bestimmten vorzüglichen Festen allesamt trugen, mochte es als
passend gelten, daß die Sänger in Anbetracht ihrer hervortretenden Stellung
beim Gottesdienst sich auch an minderen Festen der Cappa bedienten. Nach
römischem Brauch sollten sie freilich die Kasel tragen. Allein es ist mehr
als fraglich, ob das auch außerhalb Roms bei Aufnahme des römischen Ritus
überall Brauch geworden sei. Jedenfalls verschwand die Kasel bei den Cantores
hier schon bald und trat die Cappa an deren Stelle. Diese hatte vor der
Kasel den Vorzug, daß die Sänger sie nicht abzulegen brauchten, wenn sie
zum Ambo gingen, um dort das Invitatorium usw. zu singen. Denn die Cappa
wich in ihrer Erscheinung genügend von der Kasel ab, um die Cantores von dem
am Altar fungierenden Priester äußerlich zu unterscheiden. Der Grund, wes-
halb die Sänger nach römischem Brauch die Kasel für ihre Funktionen aus-
zuziehen hatten, fiel also weg. Namentlich war das der Fall, wenn die Can-
tores sich einer vorn aufgeschlitzten Cappa bedienten, welche zudem den
350 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Vorteil mit sich brachte, daß die Sänger freier und ungehinderter ihre Arme
gebrauchen konnten.
Dem ersten Schritt folgten bald fernere. Der nächste mag darin be-
standen haben, daß man die Cappa bei der Inzensation des Altars während
der Matutin und den Vespern zu gebrauchen begann. Weitere Funktionen
waren die feierlichen Segnungen, an welche sich Prozessionen anschlössen,
wie die Kerzen- und Pahnenweihe.
Damit war die Cappa im Prinzip ein liturgisches Gewand geworden, und
es konnte sich nur noch darum handeln, daß sie als solches allgemein an-
erkannt wurde, und daß die Gelegenheiten sich endgültig fixierten, bei denen
sie anstatt der Kasel zur Verwendung zu kommen hatte.
Die einzelnen Stadien in der Entwicklung der liturgischen Cappa lassen
sich zeitlich nicht genau bestimmen. Sie ging nicht überall in gleichem Schritt
voran. Hier blieb man länger beim alten, dort war man fortschrittlicher.
In manchen Klöstern und Kirchen scheint man noch eine gute Weile seit dem
ersten Auftauchen des Gewandes selbst an Festtagen keine Cappa gebraucht
zu haben, indem die Cantores an ihnen lediglich in der Albe fungierten. Zu
Rom, wo man von jeher sehr konservativ war, kann die Cappa kaum lange
vor der Wende des Jahrtausends unter die liturgische Kleidung Aufnahme er-
halten haben. Im 9. Jahrhundert war sie nach Ausweis des S. G. K. dort
wohl noch nicht in Gebrauch.
Man hat dem Pluviale ein sehr ehrwürdiges Alter zugeschrieben l.
Seinen Grund hat das zum Teil darin, daß man den Fragepunkt ver-
kannte. Um nicht in die Irre zu gehen, muß man die Frage so formulieren:
Seit wann hat es neben und anstatt, d. i. als Ersatz der Kasel für be-
stimmte Funktionen ein besonderes liturgisches Obergewand im Sinne eines
Mantels gegeben? Aber auch eine sehr ungenügende Ausnützung der monu-
mentalen und schriftlichen Quellen hat nicht wenig zu den Schiefheiten bei-
getragen, welche betreffs des Alters und der Entstehung unseres Pluviale
geäußert wurden.
In den orientalischen Riten kennt man kein dem Pluviale analoges
liturgisches Gewand. Hier gibt es für alle feierlichen Funktionen nur eine
Mantelart2, welche allerdings bei den Armeniern, Syrern, Nestorianern und
Kopten der Form nach mit unserem Chormantel verwandt ist. Der Mandyas
(t/.avd'jag) der griechischen Bischöfe , ein vorn offener Mantel , hat keinen
sakralen Charakter, sondern ist nur ein außerliturgisches Ehrenkleid, ähnlich
wie die lateinische Cappa magna. Er ist gegenwärtig gewöhnlich von violetter
Farbe und mit schrägen, meist weiß und roten Zierstreifen versehen, den sog.
Strömen (noxap.o'i). Außerdem ist vorn unten an jeder Ecke dem Mantel ein
viereckiges Zierstück aufgesetzt, die sog. Gesetzestafeln, welche die heiligen
Schriften des Alten und Neuen Testamentes versinnbilden sollen. Die Streifen
gelten als Symbole der Ströme der göttlichen Wahrheiten, welche gleichsam
vom Bischof aus sich unter das gläubige Volk ergießen sollen. Die vier-
eckigen Besätze unten am Gewand sind mit den rüßha eins, mit denen man
nach Ausweis der Monumente schon im 4. Jahrhundert die chlamys zu ver-
zieren pflegte. Sie waren bald unten an den Ecken, bald höher hinauf in
1 Nach Gay (Annal. arch. II 154) würde angebliche Testament Leodebods von Aniane
z. B. die Cappa nicht bloß bis ins 6. Jahr- aus dem Jahr 667 (M. 88, 1188), in dem
hundert hinaufreichen, sondern selbst seit Be- schon Cappae erwähnt werden , ist unecht,
ginn desselben obligatorisch gewesen sein. Das - Vgl. oben S. 234 ff.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
351
der Gegend der Brust angebracht. Das älteste bekannte Beispiel bietet der
zu Almendralejo (Estremadura) gefundene Silberdiskus mit der Darstellung
des Kaisers Theodosius und seiner Söhne 1. Um ein und ein halbes Jahrhundert
jüngere liefern die Mosaiken in S. Vitale zu Ravenna (Bild 63, S. 159).
Im Anschluß an das liturgische Pluviale sei kurz einiger mit demselben
verwandten Gewandstücke gedacht , die zwar keinen eigentlichen sakralen
Charakter haben bzw. hatten, jedoch immer noch im weiteren Sinne den litur-
gischen Gewändern beigezählt werden können. Es sind das päpstliche Mantum,
die Cappa magna, die Cappa choralis und die Almucia.
Das Mantum, welches seit dem 11. Jahrhundert bis in die Spätzeit
des Mittelalters eine so hervorragende Bedeutung hatte, wird auch wohl
cappa, ehlamys und pluviale genannt. Den Namen pluviale führt es nament-
lich in den römischen Ordines, welche das Gewand bald mit mantum, bald mit
pluviale, bald mit beiden Namen zugleich bezeichnen : mantum sive pluviale 2.
Das Mantum war von roter Farbe und galt wie die Tiara als Abzeichen
der päpstlichen Würde. Habes nunc forsitan, schreibt Petrus Damiani an
Cadalous von Parma, der sich unter dem Namen Honorius IL als Gegenpapst
gegen Alexander IL aufgeworfen hatte, mitram (= Tiara), habes iuxta morem
romani pontificis rubeam cappam 3. Die Immantatio, d. i. die Bekleidung mit
der cappa rubea nach erfolgter Papstwahl, war der äußere Ausdruck der
Übergabe der päpstlichen Regierungsgewalt, also eine Art symbolischer, von
den dazu befugten Wählern nach der Wahl vorgenommener Investitur. Sie
bildete gleichsam die tatsächliche Einweisung in die durch den Wahlakt dem
Gewählten zugefallenen Rechte, wie sie seitens des letzteren die wirkliche
Übernahme dieser Rechte samt allen damit verbundenen Vollmachten bedeutete.
Von den römischen Ordines erwähnt zuerst der 12. Ordo Mabillons die
Zeremonie*. Ausführlicher beschrieben wird sie im Ordo Gregors X. (1272
bis 1276). Danach ging sie in der Weise vor sich, daß der Kardinalarchidiakon
dem Electus zunächst seine gewöhnliche Cappa auszog, dann ihm Röchet (alba
romana), Albe (camisia) und Stola (orarium) anlegte und nun ihm unter den
Worten: Investio te de papatu romano, ut praesis urbi et orbi, das Mantum
urnhing5. Wie man sieht, kommt die Bedeutung der Zeremonie in diesen
Begleitworten klar und bestimmt zum Ausdruck.
Eine eigenartige Rolle spielte das Mantum infolge dieser mit der Im-
mantatio verbundenen Symbolik bei der Papstwahl des Jahres 1159. Während
Kardinal Roland (Alexander III.) aus löblicher Bescheidenheit, wie Arnulf
von Luxeuil sagt, das Pluviale, das ihm fast aller Hände nach getätigter
1 Jetzt zu Madrid. Abbildung bei Ca hier,
Curiosites pl. VII.
2 Ordo 18, n. 2 3; ordo 15, c. 24 (M. 78,
1105 1106 1287).
3 Epp. 1. 1, n. 20 (M. 144, 242). Andere
Stellen, in denen die Bedeutung des Mantum
zum Ausdruck kommt, bei Zopf fei, Papst-
wahlen 168 und Grauert, Das Dekret
Nikolaus' II. von 1059, in Historisches Jahr-
buch 1880, 556.
4 C. 48 (M. 78, 1097) : De pluviali rubeo
ipsum ammantat.
5 N. 2 (ebd. 1105). Die Angabe des Ordo
hinsichtlich der Immantatio stammt un-
zweifelhaft aus früherer Zeit und nicht erst
aus dem Ende des 13. Jahrhunderts. Das
beweisen die Namen der liturgischen Ge-
wänder: camisia und orarium. Zu Gregors X.
Zeit gebrauchte man dafür, wie die übrigen
Abschnitte des Ordo beweisen, alba und stola.
Wenn Petrus Diakonus in der Chronik von
Monte Cassino 1. 4, c. 2 (M. G. SS. VII 761)
bezüglich der Immantatio Urbans II. erzählt:
Mox eum cappam laneam exuentes purpuream
induunt et in pontificali solio ponunt, so ist
das ersichtlich ganz dasselbe wie das, was
wir aus der Angabe des Ordo Gregors X. über
den Akt erfahren.
352 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Wahl anboten, zurückwies, warf sich sein Mitbewerber, der Kardinal Octavian
und Gegenpapst Viktor IV., ein Pluviale, das ihm einige wenige darreichten,
mit solcher Hast um die Schultern, daß er es völlig verkehrt anzog und die
Fransen den Hals umgaben, während das obere Ende des Gewandes den
Boden berührte 1. Wirklich entschied das Afterkonzil von Pavia auf Grund
der früheren Immantatio zu Gunsten Viktors IV. gegen den rechtmäßig er-
wählten Alexander III. : A saeculo non est exauditum, quod post unius im-
mantationem die transacta alius postea fuerit immantatus 2. Demgemäß schrieb
denn auch Bischof Eberhard von Bamberg an Erzbischof Eberhard von Salz-
burg: Praevaluit tandem pars domni Victoris . . . quia domni Victoris im-
mantatio prior, illa posterior, quo solo Innocentius Anacleto (nämlich bei der
Doppelwahl im Jahre 1130) praevaluit3.
Die Bedeutung des Mantum verlor sich infolge des Aufenthaltes der
Päpste zu Avignon und des daran sich anschließenden großen Schismas. Der
Ordo des Petrus Amelii scheint die Immantatio nicht mehr zu kennen. Er
begnügt sich mit der Bemerkung, der Electus wechsele die Kleider.
Die älteste Nachricht über das Mantum findet sich in dem sog. Con-
stitutum Konstantins 4. Denn wenn darin dem Papst unter andern Gnaden-
erweisen auch das Vorrecht gewährt wird, eine chlamys purpurea nach Weise
der Kaiser zu tragen, so dürfen wir wohl mit Grund annehmen, daß zur Zeit,
da das Dokument entstand, beim Papst eine solche schon gebräuchlich ge-
wesen sei.
Was die Form des Mantum anlangt, so war es im 12. Jahrhundert
jedenfalls ein vorn ganz offener Mantel. Das beweist die vorhin erwähnte
Erzählung Arnulfs von Luxeuil. Ein Gewand von der Art der Kasel hätte
sich unmöglich so anziehen lassen, wie es durch Kardinal Octavian mit dem
ihm in Eile dargereichten Pluviale geschah. Auch der Name pluviale , den
der päpstliche Mantel bereits im 12. Jahrhundert neben mantum führte5,
bekundet, daß dieser schon damals ein dem liturgischen Pluviale gleichartiges
Gewandstück war. Welche Gestalt es vor dem 12. Jahrhundert besaß, ob
es damals vorn offen oder geschlossen war, läßt sich nicht sagen.
Von dem päpstlichen Mantum ist die päpstliche Cappa rubea zu unter-
scheiden, von der in den späteren römischen Ordines hie und da die Kede ist.
Sie war aus Wollstoff oder Samt gemacht, vorn bis zur Brust offen und
hatte eine mit Hermelin gefütterte Kapuze. Der Papst bediente sich
ihrer bei der Totenvesper an Allerheiligen . in den Weihnachtsmetten und
bei ähnlichen Gelegenheiten, doch nur in der Zeit zwischen Allerheiligen und
Ostern 6. Sie blieb bis zum Pontifikat Pius' VI. in Gebrauch, seit dessen Tode
sie nach Moroni nicht mehr zur Anwendung kam 7. Einen eigentlichen litur-
gischen Charakter hatte die Cappa rubea nicht, sie war vielmehr ein Gewand
von der Art der heutigen Cappa magna.
Diese Cappa magna ist das Vorrecht der Kardinäle, Patriarchen, Erz-
bischofe, Bischöfe und bestimmter sonstiger Prälaten. Die Cappa der Kar-
dinäle ist in der Regel rot und nur zu gewissen Zeiten, wie in der Fastenzeit,
1 Arnulfi Lexov. ep. 23 24 (M. 201, 37 42) ; < Hinschius, Decret. Pseudo-Isidor. 253.
Gerhch Reichersb., De investigat. antichristi 5 Auch in Rom, wie aus dem ordo 12,
1. 1 (Watterich, Vitae Pontif. II 505) ; c. 48 (M. 78, 1097) hervorgeht.
Duch. , L. P. II 397 f. c Vgl z. B. ordo 15, n. 7 75 131 138 (ebd.
2 M. G. LL. (ed. Pertz) II 126. 1276 1315 1345 1347).
3 M. G. SS. XX 487. ' Mor. 8, 83.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
353
und bei sonstigen bestimmten Gelegenheiten von violetter Farbe; bei den
übrigen Prälaten ist sie stets violett. Kardinäle und Prälaten , die einem
Orden angehören, welcher eine eigene Tracht hat, bedienen sich einer Cappa
von der Farbe der Ordensgewandung 1.
Durch besonderes Privileg wird auch Kapiteln als Auszeichnung das Recht
verliehen, die violette Cappa magna zu tragen, wenngleich mit gewissen
Einschränkungen. Sie darf nur in der betreffenden Kirche benutzt werden,
außerhalb derselben aber bloß dann, wenn das Kapitel kollegialiter. d. i. als
Korporation, auftritt. Außerdem müssen die Canonici die Cappa zusammen-
gefaltet über den linken Arm legen oder zusammengebunden unter dem linken
Arm befestigen. Sie zu entfalten ist nur gestattet, wenn eine diesbezügliche
besondere Erlaubnis vorliegt.
Die Cappa magna ist mit großer Kapuze versehen, die im Winter je
nach dem Rang des Trägers mit Hermelin oder grauem Pelzwerk, im Sommer
aber mit roter Seide gefüttert ist. Bei den Kardinälen, Bischöfen und Prälaten
ist sie obendrein mit langer
Schleppe (eauda) versehen,
welche von einem Kleriker,
dem sog. caudatarius, nach-
getragen wird.
Die rote Kardinalscappa
(Bild 167) wird schon im
Ordo des Petrus Amelii er-
wähnt, doch ist dort auch
die Rede von grünen Cappae
der Kardinäle 2. Zur Zeit, da
c. 118 des 14. Ordo entstand,
war die Cappa rubea bei die-
sen noch nicht in Gebrauch.
Nur den päpstlichen Legaten
war es, solange sie als Le-
gaten fungierten , gestattet,
eine cappa rubei coloris an-
zulegen3. Wenn die Kardinäle auf Giottos Fresko „St Franziskus von Assisi"
(Bild 168, S. 354) zum Teil eine rote Cappa tragen, so wird man das wohl auf
Bild 167. Kanonisation der hl. Katharina.
Fresko Pinturicchios. Siena, DomlnMiotliek.
Rechnung des Künstlers zu setzen haben. Auch der cauda
der
gedenkt schon
Ordo des Petrus Amelii i.
Entstanden ist die Cappa magna aus der mittelalterlichen Cappa choralis,
weshalb sie noch immer in den Entscheidungen der Ritenkongregation diesen
Namen führt.
Die Cappa choralis war ein mit einer Kapuze versehener, bis zu
den Füßen reichender, bald ganz geschlossener, bald halb offener, bald vorn mit
einem Schlitz zum Durchstecken der Hände versehener Mantel aus schwarzem
Wollstoff. In den mittelalterlichen Ordinären, Consuetudinaren und Statuten ist
oft von ihr die Rede. Sie wurde beim Chorgebet, bei Bittprozessionen sowie
den gewöhnlichen Prozessionen benutzt, welche in der Fastenzeit und an Buß-
tagen mit dem Offizium verbunden waren. Im einzelnen war indessen der Brauch
1 Ausführlicheres über die Cappa magna
der Kardinäle und Prälaten ebd. 85 ff.
2 Ordo 15, n. 145 (M. 78, 1353).
Braun, Die liturgische Gewandung.
3 Ordo 14, n. 118 (ebd. 1273).
4 Ordo 15, n. 145 (ebd. 1353): Tunc (ca-
merario) cauda (cappae) non portatur.
23
354
Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Oberaewänder.
in den verschiedenen Kathedral- und Stiftskirchen nicht der gleiche. Übrigens
bediente man sich beim Chorgebet der Cappa nicht das ganze Jahr hindurch,
sondern nur im Winter; im Sommer begnügte man sich mit dem Superpelliceum
oder Rochett und der Almucia. Als Winter galt nach römischem Brauch die
Zeit von Allerheiligen bis Ostern, genauer von der Totenvesper am Aller-
heiligentage bis zum Karsamstag1. Zu Bayeux begann man die Winter-
ordnung' mit den Metten am Fest des hl. Hieronymus (30. September)2; in der
Kathedrale zu Paris nach Beendigung der Oktav des hl. Dionysius 3, also am
17. Oktober; zu Vienne mit dem Feste des hl. Martin von Tours (11. November) 4.
Bild 168. Der hl. Franziskus vor Honorius III. Fresko Giottos.
Assisi, Oberkirche von S. Francesco. (Phot. Älinari.)
Wann sich aus der Cappa choralis die im Grunde nichts anderes ist als
die gewöhnliche Cappa clericalis, der Alltagsmantel der Geistlichen, die Cappa
magna entwickelt hat, läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Da der
Ordo des Petrus Amelii bereits das Gewand, wenn auch nicht dem Namen,
so doch der Sache nach kennt, muß solches spätestens im Lauf des 14. Jahr-
hunderts geschehen sein. Im 15. begegnet uns die Cappa magna auch schon
bei französischen Bischöfen; denn die Domherren von Notre-Dame beklagen
sich, daß sich der Bischof von Meaux unter Verletzung des Vorrechtes
des Bischofs und der Kirche von Paris hier in einer Cappa cum cauda ge-
zeigt und die cauda hinter sich habe nachtragen lassen 5. Als die Heimat
1 Constitut. Lateran. Gregor. XI. n. 14
(M. 78, 1396).
- Chevalier, Ordinaire de Bayeux 252.
3 Mar t. 1. 1, c. 5, ordo 1; II 182.
1 D. C. sub cappa II 191.
■'' De Vert II 278, note a.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
355
der Cappa magna wird man die päpstliche Kurie, als ihr Vorbild die Cappa
rubea des Papstes anzusehen haben.
Die Almucia (almutia, almucium, armucia, armucium), deren vorhin
Erwähnung geschah, war ursprünglich eine bloße Kopfbedeckung. Die Statuta
Massiliensia identifizieren sie mit der Kapuze 1, dagegen erscheint sie in den
Statuten von St Viktor zu Paris (12. Jahrhundert) im Gegensatz zur Kapuze
als eine Art von Mütze 2. Auch in den Statuta Viennensis ecclesiae 3, den
Synodaldekreten der Synoden von Ravenna aus den Jahren 1314 und 1317 4,
den Konstitutionen Benedikts XII. für den Augustinerorden vom Jahre 1339 5
und den Bestimmungen des Konzils von Sens des Jahres 1485 6 ist unter
almucia eine mützenartige Kopfbedeckung verstanden.
Bild 169. Bischof Albert von Hohenfels (t 1355) und seine Canonici.
Miniatur des Gundekarpontifikale. Eichstätt, Ordinariat.
Radulfs Statuten von Bayeux (ca 1270) unterscheiden zwei Formen der
Almucia7. Die eine stellte eine förmliche, etwas über die Ohren reichende
Mütze dar; die zweite lief im Nacken nach Art einer Kapuze in eine Spitze
aus und verlängerte sich nach unten in dem Maße, daß sie über Brust und
Kücken kragenartig herabhing (Bild 169). Sie wird an einer andern Stelle
geradezu caputium genannt. Die erste Art der Almucia sollten jene Canonici
der zweiten Stallumreihe tragen, welche Priester oder bei Jahren waren; die
übrigen dieser Reihe mußten unbedeckten Hauptes am Chorgebet teilnehmen.
Die einer Kapuze ähnliche Almucia war dagegen den Canonici der oberen
Stalla vorbehalten. So war es wenigstens früher, wie Radulf sagt, gewesen.
' D. C. sab almucia II 191.
■ N. 16 (Mari 1. 4 app.; III 292).
3 D. C. a. a. 0.
1 Rubr. 10 (Hard. VII 1387): capita co-
operiant pileo vel bireto vel armutia ob-
longa ad au res.
5 N. 40 (Bull. rom. IV 446) : Infra ec-
clesias, claustrum, capitulum, refectorium . . .
non caputiis, sed almuciis honestis utantur.
6 C. 1 (Hard. IX 1522): non caputia, sed
almucia vel bireta tenentes in capite.
7 Chevalier, Ordinaire de Bayeux 353.
23*
356 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Dekan Heribert (1238 — 1258) hatte seinerzeit solchen Canonici der unteren
Stalla, welche sich zu langer Almucien bedienten, erbarmungslos den Befehl
gegeben, diese auf das gehörige Maß zurückzuschneiden. Zur Zeit, da die
Statuten abgefaßt wurden, hatte sich aber, wie ihr Verfasser klagt, der
Unterschied in dem Maße wieder verwischt, daß selbst die jüngeren Canonici
der unteren Stalla im Chor, ja sogar draußen almucias cornutas ante et retro
super humeros pendentes trugen.
Im 15. Jahrhundert erscheint die Almucia zwar auch wohl noch in Form
einer Kopfbedeckung, meist aber ist sie zu einem förmlichen Kragen ge-
worden, bei dem ihre ursprüngliche Bestimmung ganz oder fast ganz in den
Hintergrund getreten war. Dieser Kragen hatte am häufigsten die Form eines
Schultermäntelchens, das gegen Ausgang des 15. Jahrhunderts gewöhnlich
bis über die Ellbogen reichte, also den Oberarm völlig verhüllte (Bild 170).
Bei einer zweiten Form stieg er hinten zwar bis zur Mitte des Rückens hinab,
dagegen bedeckte er die Schultern nur bis zu den Armen, während er vorn
in zwei lange, schmale Streifen auslief, die nach Art einer Stola über die
Brust hinabhingen (vgl. Bild 59, S. 145) 1. Zwar war an dem Kragen vor
wie nach gewöhnlich noch eine kleine Kapuze angebracht, doch war sie ihm
mehr als bloße Reminiszenz an die frühere Bestimmung der Almucia, denn
zu praktischem Gebrauch angefügt. Als Kopfbedeckung diente vielmehr das
Birett, dessen Verwendung seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in er-
höhtem Maße zugenommen hatte. Die Bildwerke des 15. und beginnenden
16. Jahrhunderts bieten zahlreiche Beispiele beider Formen der Almucia, deren
Umwandlung in ein kragenartiges Gewandstück zum nicht geringen Teil eben
die Folge der immer größeren Verbreitung war, welche das Birett damals als
Kopfbedeckung beim Chorgebet fand.
Was das Material anlangt, aus dem die Almucia bestand, so wurde sie
schon im 13. Jahrhundert, wie die Statuten von Bayeux beweisen, gern aus
Pelzwerk angefertigt. Zu gewöhnlichen Almucien bediente man sich der
Lamm- oder Kalbfelle, zu besseren nahm man die Pelze von Eichhörnchen,
Mardern u. ä. Im Innern fütterte man sie entweder mit Pelz oder mit
Wollzeug oder Seide. Indessen gab es auch Almucien, die ganz aus Seide
oder Wollstoff2 gemacht waren. Es waren das besonders jene, welche die
Form eines schmalen Schulterkragens hatten.
Bei den Almucien, die aus Pelz hergestellt waren, brachte man gern
am Saum Pelztroddeln an (Bild 170).
Auch die Almucia war nie ein eigentliches liturgisches Gewand, sondern
nur ein Bestandteil der Chorkleidung. Wann sie Aufnahme unter diese er-
hielt, ist nicht festzustellen 3. Zu Bayeux gehörte sie schon in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts zu ihr. Die Almucia wurde auch im Sommer
beim Chorgebet getragen. Diese ausgiebige Verwendung wurde Anlaß, daß
sie zuletzt so eine Art von Insignie der Canonici wurde. Daher kommt es,
daß man bei den Grabfiguren von Stiftsherren aus dem Ausgang des 15.
und dem Beginn des 16. Jahrhunderts regelmäßig die Almucia antrifft, es sei
denn, daß der Verstorbene in der Meßgewandung dargestellt wird. Zahlreiche
1 Vgl. auch die diesbezüglichen Angaben illius coloris , cuius eappae esse debent,
bei D. C. sub almucia I 191. existant.
2 Constit. Benedicti XIV. Ordinis canoni- 3 Wegen des noch nicht genügend er-
corum S. Augustini n. 40 (Bull. rom. IV 446) : klärten Namens almucia vgl. W i e g a n d,
Almutiae autem , si de panno fuerint, Deutsches Wörterbuch II 224.
Drittes Kapitel. Das Pluviale.
357
Belege hierfür liefern z. B. die Grabplatten im Dom zu Würzburg, im Kreuz-
gang des Domes zu Regensburg, in der Heiligen Nagel-Kapelle des Bamberger
Domes, zu Freising, Halberstadt u. a. Das 5. Mailänder Provinzialkonzil vom
Jahre 1579 bezeichnet das Gewandstück ausdrücklich als msigiie canonicorum \
Wenn das Provinzialkonzil dabei vorschreibt, die Canonici sollten, je
nachdem es Brauch sei, die Almucia entweder auf den Schultern oder auf den
Armen tragen, so bekunden diese Worte, daß das Gewand nicht nur nicht auf-
gehört hatte, Kopfbedeckung zu sein, sondern daß es überhaupt schon vielfach
jede praktische Bedeutung verloren hatte. In der Folge geschah das in noch
höherem Grade. Wo es sich überhaupt in Gebrauch erhielt, war es zuletzt
lediglich Abzeichen, Distinktivum der Canonici oder der sonst zum Tragen der
Almucia Berechtigten. Es wurde deshalb auch fast nur mehr auf dem linken
Arm getragen und während des Chorgebetes auf das
Pult des Chorstuhles gelegt 2. Gegenwärtig ist die
Almucia nicht viel mehr im Gebrauch, so zu Amiens,
Arras, Bayeux, Chartres; an ihre Stelle trat manchen-
orts durch päpstliches Privileg die sog. Mozzetta.
Die Mozzetta (Mozetta) ist ein mit einer
Miniaturkapuze versehener Schulterkragen, welcher
vorn mittelst einer Reihe von Knöpfchen geschlossen
wird. Sie ist ein Privileg der Kardinäle und Bischöfe,
doch wird auch den Canonici hervorragender Kathedral-
und Stiftskirchen vom Papst das Vorrecht erteilt, sich
der Mozzetta zu bedienen. Die Mozzetta besteht aus
Seide oder feinem Wollzeug und ist bei den Kardi-
nälen bald rot, bald violett, bei den übrigen Prälaten
aber violett, sofern die Kardinäle und Prälaten nicht
einem Orden mit eigener Ordenskleidung angehören.
Denn dann hat sie, wie die Cappa magna, die Farbe
der Ordenstracht 3.
Über das Alter der Mozzetta sind die fabel-
haftesten Ansichten ausgesprochen worden ; hat man
sie doch bis in die altchristliche Zeit hinaufführen
wollen 4. Es ist das um so auffälliger, als sie in
Wirklichkeit ein verhältnismäßig sehr junges Gewand-
stück ist. Unwahrscheinlich ist, daß bereits das man-
tellum, welches im Ordo Gregors X. bei Beschreibung des Festmahls nach der
Papstweihe erwähnt wird: cardinales omnes habebunt superpelliceum cum
camisia et mantello, mit der späteren Mozzetta identisch ist ä. Immerhin war
diese jedoch schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Gebrauch.
Das beweist das Fresko Melozzos da Forli „Die Übergabe der vatikanischen
Bibliothek an den Bibliothekar Piatina", auf dem Papst Sixtus IV. in Rochett
und Mozzetta dargestellt ist (Bild 58, S. 144). Das Bild wurde 1477 gemalt.
Bild 170. Grabplatte des
Georg von Scbaumburg
(t 1514). Bamberg, Dom.
1 Conc. V. Mediol. c. de div. offic. (A. E. Med.
271). Vgl. 0. R. 20. Juli 1765 (Decret. autb.
2478).
2 Bei den Pfarrern der Stadt Köln hat sieb
die Almucia in Gestalt eines weißen Pelz-
kragens erbalten. In einer Entscheidung
der Ritenkongregatiou vom 29. März 1851
(Decret. autb. 2986) heißt die almucia zan-
f'arda. Die Anfrage kam aus der Diözese Adria.
3 Näheres in Kirchenlexikon VIII 1968.
Genaue Angaben über die Verwendung im
Caerem. episc. 1. 1, c. 3.
i Mor. XLVII 27.
5 N. 9 (M. 78, 1111).
358 Zweiter Abschnitt. Die liturgischen Obergewänder.
Unsicher ist, seit wann die Mozzetta als spezifisch bischöfliches Gewand gilt.
Im 16. Jahrhundert hatte sie schon diesen Charakter \ Vielleicht, oder wohl
besser wahrscheinlich, daß es von Anfang an so war.
Was den Ursprung der Mozzetta anlangt, so wird sie meist von der
Cappa abgeleitet; sie wird nämlich als verkürzte Cappa ausgegeben und
demgemäß ihr Name mozzetta auf das italienische mozzo, verstümmelt (von
mozzare, abschneiden), zurückgeführt. So bereits von Pallavicino in seiner
Geschichte des Konzils zu Trient, auf dem es bekanntlich wegen der Mozzetta
zu vielen Erörterungen kam, weil die spanischen Bischöfe durchaus bei
den Sitzungen in ihr erscheinen Avollten -. Andere möchten es vorziehen,
das Gewandstück auf die Almucia zurückzuführen. In der Tat besteht
zwischen der zum Schulterkragen gewordenen Almucia und der Mozzetta in
der Form eine sehr große Ähnlichkeit. Auch bietet zuletzt die Ableitung
des Namens mozzetta von almucia nicht mehr Schwierigkeiten wie die des
Wortes „Mütze", das sich im ausgehenden Mittelalter aus almucia entwickelte3.
Wir müssen es dahingestellt sein lassen , welche Ableitung die richtige ist.
Es ist interessant, zu sehen, wie wenig klar der Ursprung eines Gewandes ist,
dessen erstes Auftreten doch gar nicht einmal so fern liegt. Da kann man
sich wirklich nicht wundern, wenn Meinungsverschiedenheiten und Unsicher-
heit hinsichtlich der Ableitung solcher liturgischer Gewänder bestehen, deren
Gebrauch in die altchristliche Kirche zurückreicht.
1 Conc. IV. Medio]., Const. pars III, c. de mozza, che perciö volgarmente e chiamata
Episc. (A. E. Med. 168). mozzetta.
2 Storia del Concilio di Trento 1. 15, c. 13, 3 Wiegand, DeutschesWörterbuchI1224;
n. 5 (Roma 1833); II 859: cappa breve o Grimm, Deutsches Wörterbuch VI 2839.
DRITTER ABSCHNITT.
DIE LITURGISCHEN BEKLEIDUNGSSTÜCKE
DER HÄNDE, DER FÜSSE UND DES KOPFES.
ERSTES KAPITEL.
DIE PONTIFIKALHANDSCHUHE.
I. NAME DER LITURGISCHEN HANDSCHUHE. DIE PONTIFIKAL-
HANDSCHUHE IN DER GEGENWART.
Die Pontifikalliandschuhe können gleich der Kasel als ein liturgisches
Ornatstück in besonderem Sinne bezeichnet werden. Der Bischof, oder wer
immer die Erlaubnis hat, sie zu tragen, bedient sich ihrer nämlich bloß bei
der Feier des heiligen Opfers. Es ist durch Dekret der Ritenkongregation vom
21. Juli 1855 selbst als unstatthaft bezeichnet worden, bei Erteilung des sakra-
mentalen Segens die Handschuhe zu gebrauchen, sei es mit, sei es ohne
Schultervelum 1.
Die offizielle Benennung der Pontifikalliandschuhe ist chirothecae. Ehe-
dem wurde das Ornatstück in den liturgischen Büchern auch wohl manicae
und wanti (vuanti, wanta, guanti und ähnlich) genannt. Manicae heißen die
Handschuhe beispielsweise im Sakramentar von Corbie2, in einem um 1100
entstandenen Pontifikale von Salzburg3 und in dem Weiheordo bei Hittorp 4.
Mit dem zumeist in Frankreich, Deutschland und dem Norden überhaupt ge-
bräuchlichen wantus, woraus später das französische gant, das spanische und
portugiesische guante und das italienische guanto sich gebildet hat, bezeichnete
man vornehmlich den Handschuh des gewöhnlichen Lebens ; als Name des
pontifikalen Ornatstückes kommt das Wort weniger häufig vor5. Schon im
12. Jahrhundert war chirotheca die vorherrschende Bezeichnung des Pontifikal-
handschuhs. Insbesondere heißt dieser ausschließlich so in den päpstlichen
Bullen und bei den Liturgikern des 12. und 13. Jahrhunderts.
Nach dem gegenwärtigen Brauch werden die Pontifikalliandschuhe aus
Seide angefertigt. Dort, wo sie den Rücken der Hand bedecken, sind sie
1 Decret. auth. 3031.
2 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12. ordo 11 ; I 203.
3 Ebd. 1.1, c. 8, art. 11, ordo 8; II 53.
4 De div. offic. 109. Manica hat als Be-
zeichnung eines liturgischen Ornatstückes
einen mehrfachen Sinn. Bald bedeutet das
Wort den Pontifikalhandschuh , bald den
Manipel, bald endlich liturgische Stauchen,
diese jedoch nur im altgallikanischen Ritus.
In den einzelnen Fällen muß der Zusammen-
hang über den jeweiligen Sinn von manica
entscheiden.
5 So in einem Pontifikale von Besancon
(ca 1100) bei Mart. 1. 2, c. 1, ordo 3 ; II 153
und in einem Pontifikale von St Remigius
zu Reims, ebd. ordo 6; II 156. Auch in In-
ventaren und Gabenverzeichnissen findet sich
die Bezeichnung wantus , so im Testament
Riculfs von Eine (915), den Inventaren von
Clermont-Ferrand (10. Jahrhundert) , dem
von Cremona (984) und noch im Schatzver-
zeichnis von Oberaltaich (ca 1150). Über
wantus vgl. D. C. sub wantus VIII 401 und
Barraud in Bullet, mon. 1867, 249 ff.
360 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
mit einem Kreuze verziert; auch pflegt das untere Ende, wo der Einschlupf
sich befindet, mit einem Zierstreifen oder sonst einem Ornament versehen zu
sein. Wie für Kasel, Stola und Manipel, so gelten auch für die Handschuhe
die Bestimmungen über die liturgischen Farben ; nur gibt es keine schwarzen,
weil bei Totenmessen und bei der Karfreitagsfeier, bei welchen allein schwarze
Paramente zur Verwendung gelangen, das Ornatstück nicht benutzt wer-
den darf.
Der usus chirothecarum steht von Rechts wegen nur dem Papst, den
Kardinälen und Bischöfen zu. Wie indessen der Gebrauch der Mitra, der
bischöflichen Fußbekleidung, der Dalmatik und Tunicella kraft eines Privilegs
Äbten, Dignitaren von Kathedral- und Stiftskirchen und sonstigen Prälaten
gestattet wird, so auch derjenige der Pontifikalhandschuhe, natürlich mit den-
selben größeren oder geringeren Beschränkungen, welche für das Tragen der
andern Pontifikalien, sei es nach den allgemeinen kirchlichen Bestimmungen 1,
sei es nach dem jeweiligen Indult, gelten.
Nach dem römischen Caeremoniale soll der Bischof, wenn er sich zur
Messe rüstet, mit den chirothecae ausgestattet werden, sobald er mit der
Dalmatik bekleidet worden ist. Das Anziehen des rechten Handschuhs hat
der Diakon, das des linken der Subdiakon zu besorgen. Der Bischof behält
das Ornatstück nur bis zur Händewaschung vor der Opferung2. Von da an
amtiert er bis zum Schluß der Messe ohne die Handschuhe. Für die Dauer
des Kanons ist das leicht begreiflich; daß der Bischof sie aber auch nach
der Kommunion nicht wieder anlegen dürfe, besagt eine ausdrückliche Ent-
scheidung der Ritenkon gregation vom 5. März 1870 3. Die Verwendung, welche
die chirothecae bei der Liturgie finden, ist demnach von sehr beschränktem
Umfang.
Bei der Bischofs weihe werden die Handschuhe dem Neukonsekrierten
von dem Konsekrator selbst unter Beihilfe der assistierenden Bischöfe an-
gezogen. Die Zeremonie vollzieht sich am Schluß der Messe nach dem Segen,
sobald das Haupt des Neugeweihten mit der Mitra geschmückt worden ist.
Das Gebet , unter welchem die Bekleidung der Hände stattfindet, lautet: „Umgib,
o Herr, dieses deines Dieners Hände mit der Reinheit des neuen Menschen,
der vom Himmel herabstieg, auf daß er durch die heilsame Gabe, welche er
mit seinen Händen dir aufopfert, so sich deinen Gnadensegen verdienen möge,
wie einst Jakob, dein Liebling, sich den väterlichen Segen erwarb, weil er,
an den Händen mit der Böcklein Fellchen bedeckt, dem Vater gar willkommene
Speise samt Trank darbrachte, durch Christus, unsern Herrn, der sich dir für
uns in der Weise des sündigen Menschen selbst hingab. Amen." Christus
belud sich mit unsern Sünden. Mit ihm, der für unsere Sünden genugtat, d. i.
mit der durch ihn den Menschen zuteil gewordenen Gerechtigkeit, müssen
die Hände des Bischofs bekleidet sein, wenn er Gottes Gnadensegen durch
das heilige Opfer herabfleht, so wie einst Jakobs Hände mit den Fellchen
der Böcklein verhüllt waren, als er dem Vater das gewünschte Mahl dar-
reichte und sich den Erstgeburtssegen erbat. Daran sollen die Handschuhe
den Bischof allzeit erinnern.
1 Allgemeine Norm für den usus ponti- stitution Pius' VII. „Decet Romanos Ponti-
ficalium seitens der Nichtbischöfe sind die fices" vom 4. Juli 1S23 (ebd. 2624).
Dekrete Alexanders Vil. vom 27. September - Caerem. episc. 1. 2, c. 8, n. 19 57.
1659 (Decret. autb. 1131) und die Kon- 3 Decret. autb. 3213.
Erstes Kapitel. Die Pontiflkalhandscliulie.
361
II. ALTER DES GEBRAUCHES DER PONTIFIKALHANDSCHUHE.
In den frühesten römischen Ordines herrscht betreffs der liturgischen
Handschuhe völliges Schweigen. Wir hören im 1. und 3. Ordo Mabillons,
mit welchen Gewändern die Regionarsubdiakone den Papst bekleiden sollen,
sehen gleichsam, wie diese den Pontifex mit Albe, Cingulum und Schulter-
tuch, mit der Tunicella, der Dalmatik und Planeta, mit Pallium und Mappula
ausstatten; von chirothecae erfahren wir nichts. Es wird hier und im Ordo
Duchesnes beschrieben, wie der Papst die Oblationen entgegenzunehmen und
dann die Hände zu waschen habe, ohne daß der Handschuhe auch nur im
geringsten Erwähnung geschieht 1. Ebensowenig ist endlich von dem Ornat-
stück im S. G. K. die Rede, das uns doch mit der gesamten liturgischen Fest-
und AlltagsgeAvandung des Papstes sowie der Sakralkleidung der sonstigen
römischen Geistlichen bis zu den Akolythen herab bekannt macht.
Dieses völlige Schweigen der ältesten römischen Ordines unter Um-
ständen, unter denen Reden sozusagen Pflicht gewesen wäre, kann unbedenklich
als Beweis betrachtet werden, daß es zur Zeit ihrer Entstehung, also im
8. und 9. Jahrhundert, zu Rom noch keine Sakralhandschuhe gab. Wären
dort solche schon damals in Gebrauch gewesen, so hätten sie doch zweifellos
an irgend einer Stelle der Ordines Erwähnung finden müssen, zumal aber in
dem S. G. K. und in der Angabe des 1. oder 3. Ordo, mit welchen Gewändern
der Papst für die Messe versehen werden mußte. Nach Barraud und Rohault
de Fleury wären im römischen Ritus freilich schon im 6. oder 7. Jahrhundert
die liturgischen Handschuhe zur Verwendung gelangt 2. Allein beide über-
sehen, daß der Weiheordo bei Hittorp, auf welchen sie sich stützen, nicht
den Tagen Pipins, wie sie annehmen, sondern erst dem 11. Jahrhundert an-
gehört. Es ist allerdings richtig, daß im Ordo vulgatus sich Stücke befinden,
welche in das 8. Jahrhundert hinaufreichen, ja noch älter sind; allein das
gilt bei weitem nicht von allen seinen Teilen und am wenigsten von dem
fraglichen Weiheordo.
Sehr früh sollen schon in Gallien liturgische Handschuhe gebräuchlich
gewesen sein. Wenn man indessen die Beweise hierfür etwas näher anschaut,
erkennt man bald, daß es um dieselben herzlich schlecht steht. Was in der
Vita der hll. Maria Magdalena und Martha von den Pontifikalhandschuhen
des hl. Fronto 3 und in den Acta S. Hildeverti von denjenigen des hl. Hildevert
1 Ordo 1, n. 14; ordo 2, n. 9 ; ordo 3, n. 12
(M. 78, 944 973 980). Vgl. desgleichen den
von Duchesne herausgegebenen römischen
Ordo (Orig. 459).
2 Bullet, mon. 1867, 207: L'Ordre ro-
main , que le pape Etienne envoya aux
eglises de France a la demande de Pepin et
qu'Hittorp a publie dans son recueil, con-
tient les rites , que Ton doit suivre pour
l'ordination des eveques. II est prescrit de
mettre apres l'Evangile les sandales aux
pieds du nouveau prölat et de lui donner
aussitöt les gants. Cet ordre, fait on re-
marquer, n'a pas ete compose expres pour
etre envoye' aux eglises des Gaules. Celle
de Rome s'en servait auparavant et peut-etre
depuis assez longtemps. On peut donc en
conclure que l'usage des gants remonte au
moins au VI° ou au VIIe siecle. So auch
Roh. VlII 192. Hittorp gibt zwei Ordines
für die Bischofsweihe, einen älteren (De div.
offic. 106) und einen jüngeren (ebd. 109).
Nur der letzte erwähnt die Handschuhe ; ihn
kann darum Barraud bloß im Auge gehabt
haben.
3 C. 49 (M. 112, 1506). Es wird dort
berichtet , an dem Sonntagmorgen , an
welchem die hl. Martha zu Tarascon habe
begraben werden sollen, habe sich St Fronto
in der Kirche zu Perigueux befunden, um das
heilige Opfer zu feiern. Indem er aber auf
das herbeikommende Volk gewartet, sei er
auf dem Bischofsstuhl eingeschlafen. Da sei
nun plötzlich der Heiland dem Bischof er-
362 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
von Meaux (f ca 680) 1 erzählt wird, sind späte, kaum vor 1000 ent-
standene Legenden. Die Handschuhe, von denen in den Biographien des
hl. Betharius, Bischofs von Chartres (f ca 600) 2, und des hl. Philibert, Abtes
von Jumieges (f 684) 3, die Rede ist, bedeuten nach dem Zusammenhange
lediglich Handschuhe des gewöhnlichen Lebens, wie sie im Norden allgemein
gebräuchlich waren. Ein in St-Sernin zu Toulouse aufbewahrtes Handschuh-
paar, welches der hl. Remigius dem hl. Germerius von Toulouse (f ca 560)
zum Geschenk gemacht haben soll, entstammt statt dem 6. erst dem 13. Jahr-
hundert. Selbst Rohault de Fleury, welcher doch die liturgischen Hand-
schuhe bereits im 6. Jahrhundert in Gebrauch sein läßt, bemerkt bezüglich
desselben: Le caractere romain de cet objet ne semble pas le reporter au
delä du XIIe siecle 4.
Die manualia oder manicae endlich, welche in der dem hl. Germanus
von Paris (f 576) zugeschriebenen Meßerklärung unter den übrigen dort an-
geführten liturgischen Gewändern genannt werden 5, sind nicht Handschuhe,
sondern eine Art von Stauchen.
„Bei den sacerdotes (Bischöfe oder wohl besser Bischöfe und Priester)",
so heißt es dort, „ist es Sitte, manualia, d. i. manicae, nach Art der Arm-
bänder (armillae) anzuziehen, welche der Könige oder (heidnischen?) Priester
Arme umgeben. Sie bestehen aber aus irgend einem kostbaren Wollzeuge
(vellere) 6, nicht aus hartem Metall, wohl damit alle sacerdotes insgemein,
schienen und habe ihn mit hinüber nach
Tarascon genommen, damit er, wie er es der
hl. Martha versprochen, an deren Begräbnis
teilnehme. Inzwischen habe zu Perigueux
das Volk sich in der Kirche versammelt und
eine Weile auf den Beginn des Gottesdienstes
gewartet. Da es dann jedoch über die Ver-
zögerung ungeduldig geworden, sei man zu
StFronto, der scheinbar noch immer geschlafen
habe, hingetreten, um ihn zu wecken. Erwacht,
habe dieser erzählt, was geschehen sei, und
hinzugefügt , man möge nach Tarascon
schicken und den Ring und die grauen
Handschuhe (chirothecas criseas) holen, die
er allda der Hand des Sakristans übergeben,
während er den Leib der Heiligen im Grab
beigesetzt. Solches habe man dann auch
getan und es hätten die Boten richtig die
bezeichneten Gegenstände zu Tarascon vor-
gefunden. Den Ring und einen der Hand-
schuhe habe man nach Perigueux mitgebracht,
der andere sei zu Tarascon als Beweis des
stattgefundenen Wunders verblieben. —
Die Vita B. Mariae Magdalenae et sororis
eius Marthae wurde von Faillon (Monuments
inedits sur l'apostolat de Sainte Marie-Made-
leine en Provence) fälschlich Hraban zuge-
schrieben (A. SS. 17. Oct., VIII 29 ff "et
25. Oct. XI 394). Sie ist nur die Erweiterung
einer älteren Legende, über deren Alter und
Wert Näheres bei Duchesnes, Fastes epis-
copaux I 326 ff. Dieselbe findetsich unter ande-
rem in der Legenda aurea Jakobs de Voragine,
wo der Vorfall, der sich beim Begräbnis der
hl. Martha ereignete , wörtlich wie iu der
Vita des Pseudo-Hraban erzählt wird.
1 A. SS. 27. Maii, VI 705. Es wird daselbst
berichtet , die Handschuhe des Bischofs,
welche dieser vor der Konsekration aus-
gezogen habe , hätten drei Stunden lang an
einem Sonnenstrahl in der Luft geschwebt.
Ähnliche Legenden wiederholen sich auch
in den Leben anderer Heiligen.
2 A. SS. 2. Aug., I 170. In der Rezension
der M. G. (SS. M. III 617) steht statt chiro-
thecae richtig manicae. Manicae ist un-
zweifelhaft das Ursprüngliche , da zur Zeit
der Abfassung der Vita S. Betharii chiro-
theca noch nicht gebräuchlich war. Chiro-
theca ist erst im 10. Jahrhundert nach-
weisbar.
3 C. 2 A. SS. 20. Aug., IV 77.
J Ebd. VIII 194. Im Schatz des Aachener
Münsters wird ein Handschuhpaar aufbe-
wahrt, das irrtümlich dem hl. Germanus von
Paris zugeschrieben wird. Seine riesenhaften
Maßverhältnisse beweisen , daß es sich bei
ihm entweder nur um Hüllen für Armreli-
quiare oder um Handschuhe, die über Eisen-
handschuhe angezogen wurden, handeln kann.
5 M. 72, 97.
0 Daß vellus hier nicht , wie es wohl ge-
schehen ist (Barraud in Bullet, mon.
1867, 229), als Leder zu nehmen ist, ergibt
sich aus der Angabe der Meßerklärung, daß die
Diakonalalbe sirico aut vellere gemachtwerde;
da diese offenbar nicht aus Leder angefertigt
wurde, muß vellus Wollstoff bezeichnen.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandscliuhe.
563
auch die, welche in der Welt eine mindere Stellung einnehmen, sie leichter
haben können. Das kleine Gewandstück, welches lediglich bei der Feier des
heiligen Opfers gebraucht wird, bezeichnet etwa, daß unsere Hände nicht mit
weltlichen Ehren belastet, sondern mit der erhabenen Ausübung der Gebote
Gottes umgeben werden sollen. Prohibet autem manica tonica, ne appareat
vile vestimentum aut quocumque indignum tactum sordium super divina sacri-
ficia, quo manus immolantis discurrunt." 1
Man hat unter den manualia bzw. manicae Handschuhe verstanden,
wohl, weil manica anderswo wiederholt in dieser Bedeutung vorkommt 2; doch
dürfte eine solche Auffassung kaum zur Beschreibung passen, welche die
Meßerklärung von ihnen gibt. Sie erscheinen vielmehr als ein armbandartiges,
bis zu den Händen reichendes und zur Tunika (manica tonica [= tonicae,
tunicae]) gehörendes Schmuckstück, das nicht wie sonst aus Metall, sondern
aus Zeug gemacht war, also als Gegenstück der Stauchen oder Manchetten,
welche in den Riten des Ostens wenigstens schon im 10. — 11. Jahrhundert bei
der Feier der Liturgie gebraucht wurden und unter dem Namen sTiifiavixia be-
kannt sind 3. Es ist um so weniger zweifelhaft, daß dies der Sinn des Wortes
ist, weil unmittelbar vorher bei Besprechung der Kasel manica den Sinn von
Ärmel hat.
Es kann selbst in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Gallien
noch keine liturgischen Handschuhe gegeben haben. Bei den Liturgikern
der Karolingerzeit, bei Hraban, Amalar und Walafried Strabo, findet sich
ebensowenig eine Bemerkung bezüglich einer sakralen Handbekleidung wie
bezüglich der Mitra, obschon es nach der Weise, wie sie die liturgischen Ge-
wänder besprechen, offenbar ist, daß sie den ganzen zu ihrer Zeit gebräuch-
lichen pontifikalen Ornat behandeln wollen. Besonders klar tritt dieses Fehlen
der chirothecae an zwei bezeichnenden Stellen bei Amalar zu Tage.
An der ersten zählt dieser den liturgischen Ornat des summus pontifex (hier
wohl im Sinne von Erzbischof) auf. Danach hatte derselbe, im Einklänge mit der
Anzahl der Gewänder, welche dem levitischen Hohenpriester eigneten, vom Kopf bis
zu den Füßen acht Ornatstücke : den Amikt, die Albe, das Cingulum. die Stola, die
1 Das barbarische Latein und vielleicht
auch Schreibfehler bieten für Verständnis
und Übersetzung des letzten Satzes große
Schwierigkeiten. Der Siun desselben scheint
zu sein : Die manica der Tunika hindert, daß
das vile vestimentum, wohl die Alltagstunika,
zum Vorschein kommt; zugleich sorgt sie
dafür, daß selbiges bei den Handbewegungen
des Opfernden die Opfergaben nicht in un-
passender Weise berührt. So unseres Er-
achtens salva meliore interpretatione.
2 So in den Aachener Kapitularien vom
Jahre 817 c. 22 (M. G. LL. Capit. I, 345):
Manicas, quas vulgo wantos appellamus, und
in der ca 730 geschriebenen Vita S. Guthlaci
(t 714) n.26"(A. SS. 11. April., II 44). Im
ersten Fall handelt es sich um Mönchshand-
schuhe, im zweiten um die eines vornehmen
Laien. Auch in c. 12 der Mönchsregeln des
hl. Isidor (M. 83, 882) hat manica den Sinn von
Handschuh. Andere Beispiele s. oben S. 359.
3 S." oben S. 9!). Auch in der Schenkungs-
urkunde der Äbtissin Emhilda des Klosters
Milz aus dem Jahr 800 werden manicae er-
wähnt: manicae 6 . . . manicae purpureae 10.
Sie sind nach dem Zusammenhang liturgische
Ornatstücke und allem Anschein nach mit
den manicae der gallikanischen Meßerklärung
eins. Handschuhe sind sie auf keinen Fall.
Aber auch Manipel können nicbt unter ihnen
verstanden werden, da diese in der Urkunde
fanones beißen: oraria purpurea 4. fanones
auro argentoque parati 7 , cetera purpurata
(mit Purpurbesatz versehen) 3. Die manicae,
welche in einem Inventar von Staffelsee
(Bayern) aus dem ersten Dezennium des
9. Jahrhunderts erwähnt werden : manicas
sericas auro et argento paratas et alias sericas 4,
sind gemäß dem Zusammenhang allem An-
schein nach Manipel. An Pontifikalhand-
scliuhe zu denken, verbietet auch hier durch-
aus der Umstand, daß es sich um ein In-
ventar einer gewöhnlichen Klosterkirche
handelt.
364 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
beiden Tuniken (Tuniceila und Dalmatik) und das Pallium. Über die Zahl der jüdischen
Pontifikalkleider hinaus kam ihm außerdem noch ein vestimentum pedum, die bischöf-
liche Fußbekleidung, und das sudarium in manu, die Mappula oder der Manipel zu.
Von einem vestimentum manuum, d. i. von liturgischen Handschuhen, schweigt Ama-
larius vollständig : eine Sache, die um so auffälliger ist, als derselbe das Schweißtuch
in manu der Erwähnung für wert hält '. An der zweiten Stelle wiederholt der Litur-
giker kurz den ganzen Ornat (omnem ornatum) der Geistlichen, d. i., wie aus der
Aufzählung erhellt, der Bischöfe, Priester und Ministri. Aber auch hier spricht er
mit keiner Silbe von der liturgischen Handbekleidung 2. Ob Amalar wohl, so darf
man mit allem Recht fragen, an beiden Stellen die chirothecae übergangen hätte,
wenn sie zu seiner Zeit im römischen Ritus des Frankenreiches zum liturgischen Ornat
des Bischofs gehört hätten? Will man dagegen geltend machen, daß er doch auch
Stab und Ring nicht erwähne, obschon diese bereits seit langem Insignien der Bischöfe
waren, so ist zu bemerken, daß er nicht von den bischöflichen Insignien, sondern
von der liturgischen Gewandung handeln will und tatsächlich handelt. Er hatte daher
keine Veranlassung, von Ring und Stab zu sprechen, die ja auch niemand als „vesti-
menta" betrachten wird3.
Erst das 10. Jahrhundert bringt uns von der Verwendung liturgischer
Handschuhe Kunde. Schon um 900 werden in zwei Inventaren der Basilika
zu Monza manicae, wie es scheint, im Sinne von Pontifikalhandschuhen
aufgeführt i. 915 vermacht Riculf von Eine seiner Kathedrale außer andern
liturgischen Gewändern wie caligae, sandalia, amictus, albae, stolae, zonae,
manipuli und casulae episcopales auch vuanti paria unum (sie). Etwas später
1 De offic. eccl. 1. 2, c. 22 (M. 105, 1098).
2 Ebd. c. 26 (ebd. 1102).
3 Es können daher die zwei kastanien-
farbigen, mit Gold verzierten wanti des 831
aufgestellten Inventars von St Riquier samt
den beiden dort erwähnten linnenen wanti
keine liturgischen Handschuhe im späteren
Sinne sein. Die Äbte hatten ja auch im
Beginn des 9. Jahrhunderts noch nicht das
Recht, sich der Pontifikalhandschuhe zu be-
dienen. Die wanti castanei auro parati 2,
linei 2 mögen angelegt und getragen worden
sein , wenn man mit heiligen Gegenständen,
z. B. mit Reliquien, umzugehen hatte. Wenn
man aber nach dem Bericht des von Johannes
Longus (f 1383) verfaßten Chron. monast.
S. Bertini c. 13 (Mart., Thes. III 516) im
14. Jahrhundert zu St-Bertin bei St-Omer
außer andern Gewändern des hl. Folcuin,
Bischofs von Terouanne (f 855), auch dessen
Mitra und Handschuhe zu besitzen sich
rühmte, so dürfen wir heute ohne Bedenken,
wie die zweifellos falsche Mitra, ebenso diese
Handschuhe als unecht bezeichnen. Wahr-
scheinlich übrigens, daß es sich bei diesen
Handschuhen , der Mitra und den andern
Gewandstucken um Gegenstände handelte,
mit denen in späterer Zeit bei einer Re-
kognition der Leichnam des Heiligen neu
bekleidet worden war, und die man dann bei
einer neuen Erhebung irrtümlich für ur-
sprünglich ansah, ein Vorgang, der sich im
Mittelalter wiederholt abspielte.
* Manicas 1 paratas heißt es im ersten,
manicas 2 im zweiten der beiden Inventare.
Manipel können nicht gemeint sein, da sie
unter dem Namen mappula besonders auf-
geführt werden : zudem weist die Ausdrucks-
weise des ersten Inventars auf einen als Paar
vorhandenen Gegenstand hin. Handschuhe bloß
zum Anfassen von Reliquiaren u. ä. scheinen
durch den Zusammenhang ausgeschlossen.
Es kann also bloß an liturgische Stauchen
oder an liturgische Handschuhe gedacht
werden. Die meiste Wahrscheinlichkeit hat
die letzte Auffassung für sich, da um den
Beginn des 10. Jahrhunderts wohl kaum mehr
liturgische Stauchen zur Verwendung kamen,
und es obendrein fraglich ist, ob man je in
der Mailänder Kirchenprovinz solche gebraucht
habe. Auffallen könnte nur, daß in dem In-
ventar einer nichthischöflicheu Kirche Ponti-
fikalhandschuhe erwähnt werden. Jedoch läßt
sich das hier genügend erklären. Das zweite
Inventar ist überschrieben : De capella domni
Perengarii (sie) regis, quando ego Adalbertus
magistro meo Egilolfo praesentavi. Dieser
Egilolf, dem der Kustos der Schätze, der
Subdiakon Adalbert, bei einer Visitation die
ihm anvertrauten Geräte und Paramente vor-
wies , ist aber kein anderer als Bischof
Egilolf von Mantua, der in einem Dokument
Berengars von 902 zugleich als sacri palacii
nostri archicapellanus erscheint. Es ist also
leicht zu verstehen, wenn im Inventar Ponti-
fikalhandschuhe erwähnt werden.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalliandschuhe. 365
verzeichnet ein Inventar von Clermont-Ferrand neben galeas (caligas) paria
tria gantos paria quattuor. Im letzten Viertel des 10. Jahrhunderts begegnen
uns liturgische Handschuhe im Sinne der nachherigen Pontifikalliandschuhe
im Inventar von Cremona und im Sakramentar Ratolds von Corbie, hier unter
dem Namen manicae1. Das letztere weist den Bischof, der sich zur Feier des
heiligen Opfers rüsten will, an, zunächst sich mit den pontifikalen Strümpfen,
den Sandalen, dem Amikt, Cingulum und Balteus, der Stola und Tunika zu
bekleiden, dann die Hände zu waschen und sich das Haar ordnen zu lassen.
Hierauf soll der Minister ihm die manicae anziehen und an die rechte Hand
über die manica, die hier offenbar einen Handschuh, und zwar einen sog.
Fingerhandschuh, bedeutet, den bischöflichen Ring legen. Der Bischof hat die
manicae zu behalten, bis er nach Entgegennahme der Opfergaben die Hände
wäscht. Dann soll er sich ihrer entledigen und des weiteren ohne Hand-
schuhe fungieren. Auch der um 1030 zusammengestellte, unter dem Namen
Missa Illyrica bekannte Ordo kennt die Pontifikalliandschuhe bereits, wie aus
der Rubrik ad induendas manus erhellt 2.
Welche Verbreitung die liturgischen Handschuhe während des 10. Jahr-
hunderts hatten, läßt sich nicht feststellen. Groß wird dieselbe aber damals
noch nicht gewesen sein, da des Ornatstückes nur in dem Sakramentar von
Corbie Erwähnung geschieht. Alle übrigen schweigen von demselben. Freilich
ist nicht zu übersehen, daß die Pontifikalien und Sakramentare damaliger Zeit
überhaupt über die Pontifikalkleidung nur wenig Angaben machen, wie sie
selbst mit Rubriken erst spärlich versehen erscheinen. Indessen sind ja auch
sonstige Nachrichten über die Existenz der Pontifikalliandschuhe im 10. Jahr-
hundert noch selten. Denn es sind im ganzen doch nur vier Inventare, welche
solche erwähnen.
Zu Rom muß die Verwendung liturgischer Handschuhe sicher schon in
der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts heimisch gewesen sein, da seit 1075
der Apostolische Stuhl wiederholt einzelnen Äbten das Privileg erteilt, wie
die bischöfliche Dalmatik, die Sandalen und Mitra, so auch die chirothecae
zu gebrauchen.
Allerdings folgt aus einer solchen Gewährung der Befugnis, die Handschuhe zu
tragen, an sich noch nicht, daß man sich auch zu Eom ihrer beim Gottesdienst be-
dient habe. So gestattete der Papst im 11. und 12. Jahrhundert mehrfach Bischöfen
den Gebrauch des Bationale 3, ohne daß dieses jemals ein Bestandteil der römischen
Pontifikalkleidung gewesen wäre. In unserem Falle liegt die Sache indessen anders,
da ja die Pontifikalhandschuhe nicht lange nachher tatsächlich auch als Ornatstück
des römischen Ritus sich nachweisen lassen \
Ob aber die römische Kirche auch schon im 10. Jahrhundert die sakrale
Handbekleidung gekannt habe, ist unsicher. Wohl gibt es zwei Bullen Io-
hannes' XV. aus den Jahren 986 und 993 5, in welchen der Papst den Äbten
der Klöster Cielo d'Oro zu Pavia und Braunau die Erlaubnis erteilt, sich der
Pontifikalhandschuhe zu bedienen. Doch gestatten dieselben nicht einmal
1 M art. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 11 ; I 203. die Hände der Leiche mit den Pontifikalhand-
2 Ebd. ordo 4; I 177. schuhen bekleidet (Grimaldi, Instrum. au-
3 Über das Rationale, einen liturgischen thent. translat. ss. corporum et ss. reliqua-
Sclmlterschmuck, s. unten Abschnitt 4. rum e veteri in moram principis apostolorum
4 Als im Jahr 1606 gelegentlich des basilicam (Bibl. Vatic, Barber. XXXIV,
Neubaues der Peterskirche das Grab Ha- n. 49, f. 184v).
drians IV. (f 1159) eröffnet wurde, fand man 5 J. n. 3826 3849.
366 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
einen sichern Schluß auf die Verwendung liturgischer Handschuhe außerhalb
Koms, weil beide Schriftstücke nicht zuverlässig sind.
Interessant ist es, daß schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts
Honorius in seiner fiemma animae den Gebrauch der Pontifikalhandschuhe
auf die Apostel zurückführt l, freilich ohne auch nur im geringsten einen
Beweis dafür zu versuchen. Und doch waren erst 200 Jahre verflossen, seit-
dem die Handschuhe unter den liturgischen Gewändern einen Platz erhalten
hatten. So rasch geraten Dinge oft in Vergessenheit.
III. DIE PONTIFIKALHANDSCHUHE IM XII. UND XIII. JAHRHUNDERT.
Von den Liturgikern, welche um die Wende des 11. und in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts schrieben, schweigen Ivo von Chartres und Rupert
von Deutz bezüglich der Pontifikalhandschuhe. Bei Ivo mag
das einigermaßen auffallen, bei Rupert kaum, da dessen
Behandlung der Sakralkleidung auch sonst lückenhaft ist.
Von Belang ist aber nicht einmal das Schweigen des Bischofs
von Chartres, da ja seine Zeitgenossen Bruno von Segni,
Honorius und Gilbert von Limerick die .Handschuhe aus-
drücklich zu dem bischöflichen Sakralornat rechnen.
In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zählen der
Verfasser des Speculum mysteriorum ecclesiae sowie Robert
Paululus die chirothecae zu den specifisch bischöflichen Ge-
wändern, um 1200 tun solches Sieard und Innozenz III.
Novem autem sunt ornamenta pontificum specialia, videlicet
caligae, sandalia, succinctorium, tunica, dalmatica, mitra et
chirothecae, anulus et baculus, sagt letzterer.
Unter den römischen Ordines Mabillons spricht erst
der 13. von den chirothecae2. Sie erscheinen in ihm als
Bestandteil der Pontifikalkleidung des Papstes. Der 14. Ordo
erwähnt außer den Sakralhandschuhen des Papstes auch die-
jenigen der Kardinalbischöfe3. Daß im 10., 11. und 12. Ordo
Mabillons, welche allesamt dem 12. Jahrhundert entstammen,
die Pontifikalhandschuhe nicht vorkommen, erklärt sich durch
den Umstand, daß dieselben überhaupt von der liturgischen
Kleidung nirgends eingehender handeln und nur das eine oder
andere Gewand gelegentlich und fast wie durch Zufall nennen.
In den Weihe-Ordines begegnen uns die Handschuhe schon gegen das
12. Jahrhundert, wenngleich erst sehr vereinzelt4. Doch werden sie bald
auch schon in dem Ritus der Benedictio abbatum erwähnt6.
Auf den Monumenten treten die Pontifikalhandschuhe auffälligerweise
in ziemlich später Stunde auf. Im 12. Jahrhundert sind die Bildwerke, auf
welchen sie uns begegnen, noch äußerst selten. Genannt sei das prächtige
Bild 171.
Armreliquiar.
Essen, Münstei-scnatz.
(Nach Humann.)
1 L. 1, c.215 (M. 172, 609). Chirothecarum
usus ab apostolis — nicht epistolis, wie bei
Hittorp und Migne steht — traditus est.
Honorius folgen oder besser schreiben ab :
Robert Paululus, De caerimoniis, sacramentis
et offic. eccl. 1. 1, c. 56 (M. 177, 406), Sicard,
Mitralis 1. 2, c. 5 (M. 213, 79) und Durandus,
Rationale 1. 3, c. 12 (a. a. O. f. 75). Bei
Durandus heißt es: Pontifex iuxta ritum
apostolorum manus operit chirothecis.
2 N. 6 (M. 78, 1108).
3 C. 48 53 (ebd. 1153 1157).
4 Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 8 (Ponti-
fikale von Salzburg); II 53. Hitt. 109.
6 Ebd. 157. Mart. 1. 2, c. 1, ordo 3 (Ponti-
n'kale von Besancon) ; II 153.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandsehuhe.
367
Armreliquiar mit Reliquien des hl. Basilius im Schatz der Münsterkirche zu
Essen (Bild 171). Horizontale Reihen kleiner schräger Linien, die sich in
der einen nach rechts und in der folgenden nach links neigen, deuten die
Technik an, in welcher sich der Künstler den Handschuh hergestellt dachte1.
Zahlreicher werden bildliche Darstellungen mit Wiedergabe der Pontifikal-
handsehulie erst nach 1200, besonders seit 1250 2. Um diese Zeit finden
sie sich auch zuerst auf den Siegeln, so z. B. auf dem Siegel Roberts von
Beauvais (1237—1248), Thomas'" von Reims (1251—1263), Wilhelms von
Sens (1258—1267), Erhards von Auxerre (1271—1279), Guidos von Bourges
(1276 — 1281) 3, Johannes' von Langres (1295 — 1305), Siegfrieds von Augsburg
(1208—1227), Hermanns von Halberstadt (1296—1304), Siegfrieds von Köln
(1275—1297), Heinrichs II. von Mainz (1286—1288)* u. a. Auch auf den
Bischofsbildern des Gundekar-Pontifikale zu Eichstätt zeigen sich die Handschuhe
erst bei Reimboto von Meilenhard (f 1297), also erst um das Ende des 13. Jahr-
hunderts 5. Der Grund, warum die Handschuhe bis ins 13. Jahrhundert
hinein nur selten auf den Bildwerken auftreten, mag teils in der Schwierig-
keit liegen, welche ihre bildliche Wiedergabe den Künstlern bot, teils vielleicht
in dem Umstand, daß sie bis dahin als ein wenig bedeutsames Ornatstück
galten. In der Tat konnte die geringe Verwendung, die sie in der Liturgie
fanden, ihnen nur einen sehr untergeordneten Wert verleihen. Es mag selbst
einigermaßen fraglich sein, ob die Handschuhe schon vor der Mitte des 12. Jahr-
hunderts allgemein bei den Bischöfen in Gebrauch gewesen sind. Wenigstens
ist es auffallend, daß in den Inventaren bis dahin fast nur ausnahmsweise
von Pontifikalhandschuhen die Rede ist. Auf den Siegeln kommen die Hand-
schuhe erst vor, oder vielleicht besser, sind sie erst erkennbar, als sich ihr
unteres Ende zu einer Art von weiten Stulpen entwickelt hatte.
IV. VERLEIHUNG DES USUS CHIROTHECARUM AN NICHTBISCHÖFE.
Die Sakralhandschuhe erscheinen niemals als ein spezifisch römisches
Ornatstück wie die Dalmatik, die Sandalen, die Caligae und die Mitra. Nirgends
findet sich insbesondere eine Andeutung, daß jemals der Apostolische Stuhl
einen Bischof mit dem Recht, sich ihrer zu bedienen, begabt hätte. Da-
gegen hatten die liturgischen Handschuhe nach römischem Brauch und Recht
stets den Charakter eines bischöflichen Sondergewandstückes, welches Nicht-
bischöfen nur kraft einer päpstlichen Ermächtigung zustand. Die ersten Bei-
spiele einer solchen bringt das Pontifikat Johannes' XV., welcher, wie schon
erwähnt wurde, die chirothecae dem Abte der Klöster S. Pietro in Cielo d'Oro 6
'G. Humann, Die Kunstwerke der Münster-
kirche zu Essen, Düsseldorf 1904, Tfi 39,
S. 291. Der Verfasser hat nicht beachtet,
daß die Hand des Armreliquiars einen Hand-
schuh aufweist.
2 Hervorragende Beispiele liefert das Bild-
werk der Portale französischer Kathedralen,
wie Chartres, Amiens und Reims.
3 Roh. VIII 195.
4 Würdtwein, Nova subsidia IV, tab. 21.
5 Sonstige Beispiele aus derselben Zeit
siehe bei Roh. VIII 196, pl. dclxxix, sowie
bei Barraud, Des gants dans les ceremonies
religieuses (Bullet, mon. 1867, 22 f). Wegen
der französischen Bischofssiegel vgl. auch
G. Demay, Le costume au moyen äge d'apres
les sceaux, Paris 1880, 293 : IIs ne paraissent
sur les sceaux d'un facon distinete , mais
saus details que vers le milieu du 13e siecle.
6 J. n. 3826. Die Bulle scheint zum mindesten
interpoliert zu sein. Es existiert eine ganze
Reihe von Bullen, in welchen dem Abte von
S. Pietro in Cielo d'Oro neben andern be-
deutsamen Privilegien das Vorrecht verliehen
wird, sich bischöflicher Ornatstücke, wie der
Dalmatik, der Sandalen, der Handschuhe und
später auch der Mitra, zu bedienen. Eines
dieser Dokumente, eine Bulle Kalixts IL
368 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
und Braunau verlieh1, wofern es mit den betreffenden Bullen seine Richtig-
keit hat. Jedoch ist das sehr fraglich, da die darin gewährten Privilegien
im Vergleich mit denjenigen, welche in unzweifelhaft echten Bullen noch
in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts verliehen werden, ungewöhnlich
weit gehen. Namentlich gilt das von dem Braunauer Dokument. Überhaupt
lassen sich sichere Verleihungen des Privilegs erst um das letzte Viertel
des U. Jahrhunderts nachweisen. Wohl liegen zwei Bullen vor, in denen
Leos IX. dem Abt Balduin von S. Pietro in Cielo d'Oro2 und dem Abt Jo-
hannes von S. Giustina zu Padua 3 den usus chirothecarum gewährt. Allein
das erste dieser Dokumente ist nicht über alle Zweifel erhaben, das zweite
sicher eine Fälschung. Wenn aber die Chronik von Monte Cassino berichtet,
Leo habe dem Abt Richerius daselbst gestattet, sich der Pontifikalhandschuhe
zu bedienen4, so beruht diese Angabe auf einem Irrtum des Chronisten.
Allerdings mag Leo dem Abte die Erlaubnis erteilt haben, sich gewisser Ponti-
fikalien zu bedienen ; doch muß diese sich, auf die Sandalen und die Dalmatik be-
schränkt haben. Das beweisen die noch vorhandenen Bullen Viktors IL (1057) 5
und Nikolaus' II. (1059) 6, welche des Eicherius Nachfolgern, den Äbten Friedrich
und Desiderius, nur das Privileg zu teil werden lassen, Sandalen und Dalmatik zu
tragen. Hätte Leo IX. ihrem Vorgänger schon den usus chirothecarum gestattet, so
wäre die Nichterwähnung der Handschuhe in den Bullen Viktors und Nikolaus' kaum
erklärlich.
Die erste Urkunde, an deren Zuverlässigkeit ein ernster Zweifel wohl
nicht mehr erhoben werden kann, ist die Bulle, in welcher Alexander IV.
1070 dem Abt von S. Pietro in Cielo d'Oro den usus chirothecae zugesteht7.
Urban IL verleiht dann die chirothecae 1088 dem Abte Hugo von Cluny8,
Paschalis IL 1105 Anselm von S. Pietro in Cielo d'Oro9, dann 1109 Pontius von
Cluny lu und 1113 Johannes von Nonantula u. Der Afterpapst Anaklet IL erfreut
1130 mit ihnen Simon von Eastede in Oldenburg12 und zwischen 1131 und 1136 Franco
von S. Sophia zu Benevent 13. Honorius IL gewährt den Gebrauch der Pontifikal-
handschuhe 1125 dem Abt Tribunus von S. Giorgio Maggiore zu Venedig '*, Alexander III.
aber 1159 Eainald von Monte Cassino15, 1169 Marin von La Cava16 und 1176 dem
Abte des von Wilhelm IL gegründeten Klosters Monreale auf Sizilien n. Die Echtheit
aller dieser Privilegien steht außer Frage; es kamen somit die Handschuhe schon
sicher seit etwa dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts bei einzelnen Äbten kraft
einer besondern päpstlichen Ermächtigung zur Verwendung.
Es muß übrigens auffallen , daß der usus chirothecarum verhältnismäßig nicht
gerade häufig den Äbten zu teil wird. Selbst das Eecht, die Mitra zu tragen, wird
vom 11. April 1120 für Abt Balduin, ist
sicher unecht (J. n. 6841). Folgt daraus zwar
nicht, daß auch die übrigen Fälschungen
sind , so ist doch die Unechtheit der Bulle
Kalixts dem Vertrauen auf die Zuverlässig-
keit der andern nicht gerade förderlich
(Pflugk-Harttung II 74). Die Ponti-
fikalstrümpfe, welche in den späteren Bullen
nicht mehr genannt werden , heißen in der
Bulle Johannes' XV. auffälliger- und un-
gewöhnlicherweise pedules.
1 J. n. 3849. Die Bulle ist unzweifelhaft
interpoliert. Fraglich ist nur, was Einschiebsel
ist. Die mitra gehört jedenfalls nicht dem
ursprünglichen Text an; sie findet sich in
der Tat nicht in der Rezension bei Ludewig,
Reliquiae manuscr. dipl. VI 54. Unverständ-
lich ist, was die mapilla (M. 137, 847)
bzw. die manipularii bei Ludewig bedeuten
sollen. Ob Baldachin bzw. Baldachinträger'?
2 J. n. 4233. Hier heißen die Pontifikal
strumpfe richtig nach römischem Brauch
udones, sie werden jedoch merkwürdigerweise
doppelt erläutert: i. e. licinis sive pedulibus.
3 Ebd. n. 4300.
4 Chron. Cassin. 1. 2, c. 79 (M. G. SS.
VII 683).
6 J. n. 4368.
7 Ebd. n. 4679.
9 Ebd. n. 6011.
11 Ebd. n. 6354.
13 Ebd. n. 8428.
15 Ebd. n. 10594.
17 Ebd. n. 12683.
6 Ebd. n. 4397.
8 Ebd. n. 5372.
10 Ebd. n. 6242.
12 Ebd. n. 8372.
11 Ebd. n. 7211.
16 Ebd. n. 11591.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandschuhe. . 369
ihnen weit öfter gewährt als der Gebrauch der Pontifikalhandschuhe. So wurde schon
1063 Egelsinus, Abt vom Augustinuskloster zu Canterbury, und 1078 Manasses, Abt
von Bergues, mit der pontilikalen Kopfbedeckung, nicht aber mit den Handschuhen aus-
gezeichnet. Noch zur Zeit des hl. Bernhard kann der usus chirothecarum bei den Äbten
nur wenig verbreitet gewesen sein. Wenn der Heilige nämlich in seinem Brief an Bischof
Heinrich von Soissons einige Äbte wegen ihrer übermäßigen Sucht nach pontifikalen
Ornatstücken bitter tadelt, so versteht er darunter bloß Dalmatik, Mitra und Sandalen.
Immerhin ist es beachtenswert, daß schon im 12. Jahrhundert die chirothecae, wenn-
gleich nur vereinzelt, im Ritus der Abtsbenediktion erwähnt werden ', und noch mehr,
daß sich 1100 die Synode von Poitiers veranlaßt sah, den Äbten das Tragen der
Pontifikalhandschuhe ausdrücklich zu verbieten , falls ihnen solches nicht durch ein
Privileg von dem Apostolischen Stuhle gestattet worden sei t.
V. FORM UND HERSTELLUNGSWEISE DER PONTIFIKAL-
HANDSCHUHE.
Die pontifikalen Handschuhe des 10. und 11. Jahrhunderts waren, wie
sich aus dem Sakramentar von Corbie ergibt, sog. Fingerhandschuhe. Das
ist aber auch das einzige, was wir über dieselben wissen, da über ihre sonstige
Beschaffenheit keinerlei Nachrichten vorliegen. Die Inventare, welche Hand-
schuhe erwähnen, begnügen sich damit, die Zahl der Paare zu nennen. Über
Stoff, Farbe und Ausstattung schweigen sie.
Im 12. und 13. Jahrhundert werden die bischöflichen Handschuhe mehr-
fach als inconsutiles bezeichnet, so in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts
von Honorius und einem Pontifikale von Besancon 3, um 1200 von Sicard
und einem Pontifikale von Reims4 und im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts
von Durandus. Da aus Stoffstücken (Seide, Wollzeug, Leinen) zusammen-
genähte Gewänder offenbar nicht inconsutiles, ungenäht, heißen können,
müssen also die Pontifikalhandschuhe im 11. und 12. Jahrhundert vielfach
aus einem nahtlosen Gewebe bestanden haben. In der Tat stellen die bischöf-
lichen Handschuhe, welche in St-Sernin zu Toulouse aufbewahrt und dem
13. Jahrhundert zugeschrieben werden, sowie diejenigen des hl. Ludwig von
Anjou (f 1297) zu Brignoles eine Art von Trikot dar. Auch die Handschuhe in
S. Trinitä zu Florenz, welche dem hl. Bernardo degli Uberti zugeeignet werden
(Bild 172, S. 370), jedenfalls aber dem 12. oder doch dem frühen 13. Jahrhundert
angehören, sind mit der Nadel gearbeitet. Sie sind nicht gestrickt, sondern
stellen eine eigenartige Maschenarbeit dar, wie sie uns auch bei einem Paar
Pontifikalstrümpfen in der Kirche zu Delsberg (Schweizer Jura) begegnet. In
derselben Technik waren auch die Handschuhreste gearbeitet, die man in
einem Bischofsgrab im Speierer Dom fand, als man die Gräber im Königs-
chor daselbst öffnete. Sie ist ferner angedeutet auf dem Handschuh des schon
erwähnten Armreliquiars der Münsterkirche zu Essen aus dem 12. Jahrhundert.
Ebenso machen die Handschuhe bei einzelnen der Bischofsstatuen, welche den
südlichen und nördlichen Portalbau der Kathedrale von Chartres schmücken,
den bestimmten Eindruck, als sollten sie ein durch Nadelarbeit hergestelltes
1 DasBenediktionsformular wird irrig Theo- dors (H. J. Schmitz, Die Bußbücher, Mainz
dor von Canterbury (f 690) zugeschrieben, 1883, 540; über Theodors Autorschaft 510 ff).
so von B o n a (Rerum liturg. 1. 1, c. 24, § 12 ; 2 C. 5 M. S d r a 1 e k , Wolfenbüttler Frag-
il 247) und noch von de Linas (Revue 1861, mente, Münster 1891, 137.
639). Nur der kurze einleitende Kanon ist 3 Mart. 1. 2, c. 1, ordo 3; II 153.
aus c. 3 des fälschlich sog. Pönitentiale Theo- * Ebd. ordo 6; II 156.
Braun, Die liturgische Gewandung. 24
370 Drittel- Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Gewebe wiedergeben1. Auch im 14. und 15. Jahrhundert waren chirothecae
inconsutiles in Gebrauch.
So waren die Handschuhe, welche man .1605 an den Händen der Leiche Boni-
fatius' VIII. fand -, gemäß dem über die Eröffnung des Grabes aufgenommenen Protokoll
ex serico albo ad acum, also durch Nadelarbeit und nicht aus zusammengenähten Seiden-
stücken hergestellt. Auf der Nadel angefertigt sind auch die Handschuhe Peters von Cour-
palay im Cluny-Museum zu Paris (Bild 173) und in der Stadtbibliothek zu Amiens3;
ferner ein aus dem Ende des 14. Jahrhunderts stammender Handschuh in St Veit zu Prag
(Bild 174), zwei aus dem 15. datierende Handschuhpaare im Dom zu Brixen (Bild 175 — 177,
S. 372), vier um den Ausgang des 15. und den Beginn des 16. Jahrhunderts entstandene
Handschuhe im Dom zu Halberstadt (Bild 1 78 — 79, S. 373) und ein der Frühe des 1 6. Jahr-
hunderts, wie es scheint, angehörendes Handschuhpaar in St-Bertrand zu Comminges 4.
Der Handschuh im Cluny-Museum ist mittels eines un-
gemein feinen Seidenfadens im
Schlingenstich hergestellt; alle
andern stellen ein trikotartiges
oder gestricktes Gewebe dar.
Neben den auf der Nadel
entstandenen Pontifikalhand-
schuhen gab es aber vom 12.
bis 16. Jahrhundert auch solche,
die aus Stoffstücken zu-
sammengenäht waren. Von
dieser Art sind beispielsweise
die Handschuhe, welche in
Conrlens (Savoyen) aufbewahrt
werden und vielleicht noch ins
13. Jahrhundert hineinreichen
(Bild 180, S. 373). Sie bestehen
aus einem weißen, auf der
Oberfläche wolligen Stoff und
wurden hergestellt, indem man
ein Stück Zeug von der doppel-
ten Breite der Handschuhe und
einer Länge von 27 cm nahm,
es in der Mitte faltete, die
Langseiten zusammennähte, oben drei Finger hineinschnitt, dieselben ver-
nähte und dann an den Seiten in schräger Richtung Daumen und kleinen
Finger ansetzte5.
Bild 172.
Pontifikalkandschuh.
Florenz, S. Trinitä.
Bild 173. Pontifikalhandschuh
Peters von Courpalay.
Paris, Musee Cluny.
1 Abbildung bei Bock II, Tfl 14 und in
Monographie de la Cathedrale de Cbartres,
Paris 1867, pl. xx.
2 Bzovius, Annal. ad 1303, XIV 52.
3 Die Handschuhe stammen aus einem Grab
der Kirche Sfc-Germain-des-Pr6s zu Paris.
Der Pariser Handschuh (rechte Hand) wird
in seiner Aufschrift und von Rohault de
Fleury (La messe VIII 193) dem Abt Morard
von St-Germain-des-Pr6s (990 — 1014) , von
de Linas aber (Revue 1861, 634) dessen
Nachfolger Ingon (1014 bis ca 1025) zu-
geschrieben. In Wirklichkeit barg das Grab
den Leichnam des 1334 gestorbenen Abtes
Peter von Courpalay. Vgl. Näheres Bullet,
mon. 1867, 226. Der Handschuh der linken
Hand in der Stadtbibliothek zu Amiens
scheint Rohault de Fleury und de Linas nicht
bekannt gewesen zu sein. Über die Technik,
in welcher die Handschuhe hergestellt sind,
vgl. Braun, Winke 111 und Bild 44.
' Abbildung und Beschreibung in Revue
1861, 617 636. Vgl. auch Bo ck II, Tfl 19 4.
5 Barbier de Montault, Les gants
pontißcaux, in Bullet, mon. 1876, 673. Die
Handschuhe sollen dem hl. Thomas von
Erstes Kapitel. Die Pontifikalliandschuhe.
371
In der Neuzeit
kamen die aus Stoff-
stücken verfertig-
ten Pontifikalliand-
schuhe außer Ge-
brauch. Der hl. Karl
Borromäus be-
stimmte ausdrück-
lich : Chirothecae
episcopales contex-
tae esse debent1.
Von der Größe
der Pontifikalliand-
schuhe schweigen
die Liturgiker des
12. und 13. Jahr-
hunderts. Die Hand-
schuhe, welche sich
zu Conflens erhal-
ten haben, besitzen
eine Länge von
27 cm, reichen also
überdasHandgelenk
hinaus. Noch etwas
länger sind diejeni-
gen, Avelche sich in
St-Sernin zu Tou-
louse befinden ; sie
kommen bis auf
28 cm. Bei beiden
Handschuhpaaren
sind die Finger im
Verhältnis zu ihrer
Länge unverhältnis-
mäßig breit. Die
Brixener Hand-
schuhe sind 25 cm,
die Handschuhe von
St-Bertrand zu Com-
minges 29 cm lang.
Auf den Bildwerken
des 12. und 13. '
Jahrhunderts gehen
die Handschuhe
regelmäßig über das
Handgelenk.
Bis ca 1250
scheint der untere
3** :
'
X
t -
■■'.»*v
mm
V
Bild 174. Pontifikalhandschuh im Domschatz zu Prag.
(Aus Podlaha und Sittler, Der Domschatz zu Prag.)
Canterbury angehört haben. Doch stimmt
damit nicht die Beschaffenheit des Börtchens,
■welches den Einschlupf umrandet und auf eine
spätere Zeit hinweist. ' A. E. Med. 627.
24*
372 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Teil der chirothecae kaum breiter gewesen zu sein als der obere. Seit etwa
der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts trifft man dagegen auf den Monu-
menten häufig Handschuhe, welche sich nach dem Einschlupfe zu stauchenartig
erweitern oder besser, mit einem stauchen- oder stulpenartigen An-
satz versehen sind, der gern mit Stickereien oder sonstigem Schmuck verziert
wurde. Diese Stulpen hieß man manicalia oder pugnalia. Sie waren vielfach
so eingerichtet, daß sie leicht vom Handschuh losgetrennt werden konnten,
und sie werden demgemäß in den Inventaren auch wohl für sich aufgeführt.
Ein vorzügliches Beispiel solcher Handschuhstulpen wurde in einem Bischofs-
grabe im Dom zu Spalato gefunden 1. Sie zeichnen sich, wie Bild 181, S. 374
bekundet, durch reiche figürliche Stickereien aus.
Nicht selten erweiterten sich die Handschuhe am Einschlupf so sehr, daß
sie zipfelartig vom Handgelenk herunterhingen (Bild 182, S. 375). An dem Ende
~ I %
£' >
Bild 175 — 177. Pontifikalhandschuhe. Brixen, Dom.
des Zipfels wurde als Abschluß gern ein Glöckchen oder Quästchen angebracht.
Solche Handschuhe müssen im 14. und 15. Jahrhundert, wenn anders wir den
zahlreichen bildlichen Darstellungen (Gemälden wie Skulpturen) Glauben schenken
dürfen, namentlich in Deutschland, England und Frankreich beliebt gewesen
sein. Allgemein, wie man wohl gesagt hat, waren sie jedoch damals nicht
im Gebrauch. Das beweisen zur Genüge die aus dem 14. und 15. Jahrhundert
noch erhaltenen Beispiele von Pontifikalliandschuhen, welche fast alle der
stauchenartigen Erweiterung am Einschlupf entbehren.
Auch in der Neuzeit wurden die Pontifikalhandschuhe trotz allem Wechsel in Mode
und Geschmack vor wie nach gern mit stauchenartigen Ansätzen versehen. So blieb es
selbst noch im 18. Jahrhundert, wie unter andern eine Anzahl aus dieser Zeit stammender
Beispiele im Dom zu Würzburg, im Münster zu Freiburg im Breisgau (Bild 183, S. 375),
zu Kamp am Niederrhein (Bild 181, S. 376) und im bayrischen Nationalmuseum zu
Mitt. 1887, LXXXVIII.
Erstes Kapitel. Die Pontiflkalhandschuhe.
373
München bekunden. Wenn Bock klagt ': „Im 18. und vollends in den ersten Jahrzehnten
des 19. Jahrhunderts erlitten die bischöflichen Handschuhe eine solche verflachende und
modernisierende Umformung, daß sie in neuester Zeit
hinsichtlich des Schnittes und der stofflichen Ausdehnung
in manchen Diözesen so ziemlich mit fein gewirkten
Salonhandschuhen über-
einstimmen ; die alte
Dauerhaftigkeit und Ge-
diegenheit, desgleichen
die althergebrachte Ver-
zierungsweise, die Erwei-
terung des untern orna-
mentalen Saum es mW eise
von breiten Stulpen, die
den bischöflichen Hand-
schuhen ein kirchliches
Äufäere geben, sind heute
gänzlich verschwunden",
so ist das ihm zwar wie-
derholt nachgeschrieben
worden, aber nichtsdesto-
weniger zum mindesten
stark übertrieben. Pon-
tiflkalhandschuhe ohne
Stulpen und ohne jede
Erweiterung hat es selbst
in den besten Zeiten des
Mittelalters übergenug
gegeben
hinein nicht an Handschuhen gefehlt hat, welche mit Ansätzen
versehen waren. So namentlich zu Rom, wo mit solchen
stauchenartigen Endstücken ausgestattete Pontiflkal-
handschuhe bis jetzt in Gebrauch blieben. Die litur-
gischen Handschuhe haben überhaupt bis in die Gegen-
wart durchweg eine durchaus würdige Form bewahrt,
falls man nicht mit Bock ganz unzutreffenderweise
meint, weite, lang herabhangende Stulpen seien das,
was den Pontifikalhandschuhen ein kirchliches Aussehen
gebe. Denn in diesem Falle müßte man ja nicht nur
allen Handschuhen des 11. und 12. Jahrhunderts, son-
dern auch sehr vielen des 13., 14. und 15. wie der
Folgezeit den Charakter der Unkirchlichkeit zuerkennen.
Außerdem erfreute sich zur selben Zeit, als die trichter-
förmigen, unten in eine Spitze endigenden Stauchen an
den pontifikalen chirothecae üblich waren, nicht minder
die profane Handbekleidung dieser Ansätze; ja es dürfte
wohl kaum einem Zweifel unterliegen, daß sie bei den
Pontifikalhandschuhen aufkamen, weil sie bei den pro-
fanen Mode geworden waren. Immerhin kann durchaus
empfohlen werden , bei Herstellung von Pontifikal-
handschuhen denselben unten eine entsprechende
stauchenartige Erweiterung zu teil werden zu lassen, Bild 180 pontifikalhandschuh.
da ihnen eine solche nur zur Zier gereicht. Conflens, Savoyen.
Bild 178 — 179. Pontifikalhandschuhe. Halberstadt, Dom.
während es umgekehrt die ganze Neuzeit hindurch bis ins 19. Jahrhundert
die sich erbreiterten,
1 Geschichte II 148.
374 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
VI. AUSSTATTUNG DER LITURGISCHEN HANDSCHUHE.
Bezüglich der Ausstattung unseres Ornatstückes sagt Innozenz III. :
Chirotheca circulum aureum desuper habet. Er versteht unter dem circulus
ein auf dem Handschuh in der Mitte des Handrückens angebrachtes goldenes
oder vergoldetes, mehr oder wenig verziertes Plättchen (Bild 185, S. 376). Es
hieß auch wohl tassellus, fibula, monile, paratura und ähnlich und war meist
von runder Gestalt; doch gab es auch vierpaß- und rosettenförmige, rauten-
förmige u. a. Zu seiner Verzierung dienten Edelsteine, Perlen und namentlich
figürliche oder symbolische Darstellungen, die bald bloß graviert, bald reich in
Email ausgeführt waren. So waren von den Zierplättchen der Handschuhe im
Schatz des Apostolischen Stuhles, worin sie esmalti genannt werden, nach dem
Bild 181. Stulpen eines Handschuhpaares aus einem Bischofsgrab. Spalato, Dom.
Inventar von 1295 zwei aus Gold gemacht und in Email mit Bildchen der
Auferstehung und Darstellung im Tempel geschmückt. Zwei andere be-
standen aus Silber; das Emailbildchen, mit dem sie versehen waren, um-
gaben kleine Granaten, Saphire und Rubine. Ein drittes Paar trug einen
orientalischen Saphir, den ein Kranz kleinerer Edelsteine umstand. Von losen
esmalti, die sich gerade nicht auf Handschuhen befanden, wies ein Paar Maria
bzw. das Lamm Gottes auf; auf einem zweiten sah man die sog. Majestas
und Maria, auf einem dritten den Erlöser und Maria, auf einem vierten (es
wird als aus Paris stammend bezeichnet) die Verkündigung und Maria mit
dem Jesuskind. Als Darstellungen, welche auf den circuli angebracht zu
werden pflegten, waren neben dem Bilde des Heilands und der Gottesmutter
besonders beliebt das Lamm Gottes, die segnende Rechte Gottes und das
Kreuz. Man bevorzugte sie vor andern ohne Zweifel im Hinblick auf das
heilige Meßopfer, bei dem sich der Bischof der chirothecae bediente. Das
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandschuhe.
375
Kreuz wies darauf hin, daß sich unter den Händen des
Pontifex das Kreuzopfer von Golgatha zwar unblutig, aber
wirklich erneuere; das Lamm Gottes erinnerte an die Opfer-
gabe, welche der Bischof mystisch auf dem Altare schlachtet ;
die segnende Hand Gottes aber symbolisierte die Allmacht
Gottes, in deren Kraft der Stellvertreter Christi Brot und
Wein in den Leib und das Blut des Heilandes wandelt.
Zierplättchen finden sich noch an den Pontifikalhandschuhen
in St-Sernin zu Toulouse, einem Handschuhpaar im Dom zu Brixen
(Bild 175, S. 372) und dem Handschuh in St Veit zu Prag (Bild
174, S. 371). Die Plättchen der Toulouser Handschuhe sind aus
vergoldetem Kupfer gemacht und mögen etwa dem 13. Jahrhundert
p r-fii- iii a Ti 1 angehören , während die aus kräftigem weißem Seidengarn ge-
niitZinfeln strickten Handschuhe selbst wohl einer späteren Zeit entstammen.
Die Darstellungen , mit denen sie geschmückt sind, bestehen in
dem Lamm Gottes mit dem Siegeskreuz, begleitet von Sonne und Mond und einem
einfachen Kreuz mit ausladenden Balkenenden. Ursprünglich müssen die Plättchen
emailliert gewesen sein '. Die Fibeln des Brixener Paars sind eine schöne Arbeit des
12. bis 13. Jahrhunderts. Eine von ihnen ist mit dem Brustbilde der Gottesmutter,
die andere mit dem des hl. Paulus versehen.
Ausgeführt sind diese Bildchen in byzantini-
sierendem, durchsichtigem Zellenschmelz von
vortrefflicher Technik. Die Art der Befesti-
gung läßt vermuten, daß sie ursprünglich
nicht für Handschuhe bestimmt waren, sondern
einem Beliquiar oder einem ähnlichen Gegen-
stand entnommen wurden. Die Handschuhe
selbst rühren mitsamt der stauchenartigen
Verzierung des Einschlupfs erst aus dem späten
Mittelalter her. Auf dem Medaillon des Prager
Handschuhs ist in durchsichtigem Email
St Benedikt in Priestertracht dargestellt. Zwei
interessante Zierplättchen, welche 1872 in
einem Bischofsgrab der Kathedrale von Cahors
gefunden wurden und in der ersten Hälfte
des 13. Jahrhunderts entstanden sein werden,
sind in Limoger Schmelz mit dem Lamm
und der Rechten Gottes geschmückt2. An
ihrem Band hat man eine Anzahl kleiner Löch-
lein angebracht, um sie mittels dieser den
Handschuhen aufnähen zu können (Bild 186 bis
187, S. 377). Die in den Gräbern der Trierer
Erzbischöfe Hillin (t H69) und Arnold(t 1183)
seinerzeit entdeckten circuli waren statt aus
Metall in Goldstickerei hergestellt 3.
Statt mit metallenen circuli versah
man nämlich die Pontifikalhandschuhe
häutig mit Medaillons, die aus Zeug ge-
1 Abbildung in Bullet, mon. 1876, 784.
Der Text zu ihnen S. 800 ff. Die Abbildung
bei Bock II , Tfl 19 2 3 ist durchaus
fehlerhaft. Dasselbe gilt von der Wiedergabe
durch de Linas (Revue 1861, 617).
Bild 183. Pontifikalhandschuh.
Freiburg, Münster.
2 Abbildung in Bullet, mon. a. a. 0. ; Text
S. 785 ff.
3 v. Wilmowsky, Die historisch-denk-
würdigen Grabstätten im Dom zu Trier 6 18
u. Tfl 5.
376 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füf3e u. des Kopfes.
macht waren. Sie wurden entweder mit Stickereien
geschmückt oder mit Perlen und Edelsteinen besetzt
und scheinen meist scheibenförmig gewesen zu sein.
Ein gutes Beispiel bietet der Handschuh in S. Trinitä
zu Florenz (Bild 172, S. 370). Zwei andere traf man vor
einigen Jahren bei Aufdeckung der Kaisergräber in einem
etwa dem Ende des 12. Jahrhunderts angehörenden Bischofs-
grabe des Speierer Domes an. Sie waren in kostbarer
Goldstickerei hergestellt und enthielten das Lamm Gottes
und die Rechte Gottes. Auch in dem Grabe des 1223
gestorbenen Bischofs Herväus von Troyes entdeckte man
auf den Handschuhen goldgestickte Zierscheibchen dieser
Art *. Das eine trug das Lamm Gottes mit der Um-
schrift Agnus Dei, das andere die segnende Rechte Gottes
nebst Sonne und Mond mit der Legende In nomine Patri(s)
et Filii et Spiritu(s) (Bild 138). Hand
und Lamm waren in weißlicher Seide,
die Inschriften samt den sie ein-
fassenden Kreisen in Gold gestickt.
Drei ähnliche Medaillons finden sich im Dommuseum zu Trier.
Sie stammen aus Gräbern Trierer Erzbischöfe. Zwei weisen
die Dextera Dei, eines das Agnus Dei auf. Ihres Schmuckes
beraubt sind die Zierscheibchen auf den Handschuhen zu Con-
flens -. Von welcher Beschaffenheit die Medaillons waren, denen
man bei den Handschuhen der Leiche Hadrians IV. (f 1159)
gelegentlich des Umbaues von St Peter begegnete, ist aus dem
Bericht, der darüber vorliegt, nicht ganz klar ersichtlich 3.
Im späten Mittelalter kam die Sitte auf, den Rücken
der Handschuhe vollständig mit Ornamenten zu über-
sticken, statt ihn nur mit einem metallenen oder stoff-
Bild 184.
Pontifikalhandschuh.
Kamp (Niederrhein).
liehen circulus zu versehen.
Ja man ging so weit, auch
Bild 185. Grabfigur
des Bischofs Johannes
von Lübeck (f 1350).
Lübeck, Dom.
die Finger und die Innenseite in ähnlicher Weise zu ver-
zieren. Gute Beispiele derartiger Pontinkalhandschuhe
sind die Handschuhe im Dom zu Halberstadt (Bild 178,
179, S. 373) und von St-Bertrand zu Comminges, sowie
eines der Handschuhpaare zu Brixen.
Von einer Saum Verzierung spricht Innozenz III.
nicht. Sie kam in der Tat nicht immer zur Anwendung,
wiewohl sie für gewöhnlich nicht leicht gefehlt haben
wird. Wie die Bildwerke und die noch vorhandenen
mittelalterlichen Handschuhe bekunden, bestand sie ent-
weder in einer förmlichen Bordüre oder in einem den Rand
des Einschlupfes entlang laufenden gestickten Ornament.
Die Ausstattung, welche das 12. und 13. Jahrhundert
den Pontifikalhandschuhen zu teil werden ließ, wurde für
dieselben bis auf unsere Tage typisch. Wie im 12. und
13., so wurden sie im wesentlichen auch im 14. und 15.,
1 Bullet, mon. 1876, 781 ff.
2 Vgl. oben Bild 180, S. 373.
3 Ph. Laur. Dionysius, Sacr. Vat. Bas.
cryptae monumenta, Roma 1773, 124: Agni
formam cum cruce et litteris Agnus Dei,
quae chirotheeis intexta apparebant. Vgl. auch
den handschriftlichen Bericht über den Be-
fund in der Barberinisclien Bibliothek (s. oben
S. 365); am ehesten wird man an bestickte
Scheibchen zu denken haben.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandschuhe.
377
16. und 17., 18. und 19. Jahrhundert verziert. Etwaige Unterschiede sind
nur nebensächlicher Art und betreffen kaum etwas anderes als den jeweiligen
Stil des Ornamentes. Nur in den Motiven, welche bei dem Medaillon auf
dem Handrücken verwendet wurden, ging seit dem Ausgang des Mittelalters
insofern ein Wechsel vor sich, als sich dieselben vereinfachten und auf den
Namen Jesus oder ein Kreuz beschränkten. Es ist ein ähnlicher Vorgang, wie er
sich seit derselben Zeit auch in der Verzierung der übrigen Paramente vollzog.
Die Zahl der Pontifikalhandschuhe aus mittelalterlicher Zeit, die auf uns ge-
kommen sind, ist nicht groß. Die Pontifikalhandschuhe waren ein Ornatstück, das
nicht bloß wenigen zustand, sondern obendrein nur bei sehr wenigen Gelegenheiten
Verwendung fand. Es war daher nie eine namhaftere Menge derselben vorhanden. Auch
hatte man kaum je Veranlassung, alte, schadhaft gewordene Handschuhe aufzubewahren,
da, was an ihnen Wert besaß, leicht abgetrennt werden konnte. Es ist deshalb leicht
erklärlich, daß wir nur noch eine sehr beschränkte Zahl mittelalterlicher Pontifikalhand-
schuhe besitzen. In Italien finden sich noch liturgische Handschuhe aus dem Mittel-
alter in S. Trinitä zu Florenz und in der Kathedrale zu Narni , welch letztere
irrtümlich dem hl. Cassius zugeschrieben werden. In Deutschland und Österreich
Bild 186 — 187. Handschuhfibeln aus einem Bischofsgrabe.
Limoger Emailplättchen.
Cahors, Kathedrale.
Bild 188. Zierscheibchen
in Stickerei.
Troyes, Kathedrale.
gibt es solche in den Domen zu Brixen, Prag und Halberstadt, in England zu Oxford
(New College), in Prankreich zu Conflens (Pfarrkirche), Toulouse (St-Sernin), Paris
(Cluny -Museum) und Amiens (Stadtbibliothek). Kur die Pontifikalhandschuhe in
S. Trinitä zu Florenz mögen noch dem 12. Jahrhundert angehören, dagegen können
die angeblichen Handschuhe des hl Thomas von Canterbury zu Conflens diesem wohl
nicht mehr zugewiesen werden. Alle übrigen, die Handschuhe in St-Sernin zu Tou-
louse nicht ausgeschlossen, datieren aus dem 14., 15. oder dem Beginn des 16. Jahr-
hunderts '. Keiner der angeführten Handschuhe kann besonders kostbar genannt
werden. Um Handschuhe mit kostbarer Ausstattung kennen zu lernen, muß man zu
den Inventaren greifen. Besonders zahlreich sind Pontifikalhandschuhe dieser Art
im Inventar des Apostolisehen Stuhles vom Jahre 1295 vertreten.
Im ganzen werden in ihm außer sechs einfachen 22 mehr oder weniger reich
ausgestattete Handschuhpaare samt drei Paaren prächtiger, in Gold- und Perlen- bzw.
1 Ein Handschuhpaar in der Kathedrale
zu Moutiers (Savoyen) , das vom hl. Petrus
von Tarantaise (f 1171) herrühren soll, wird
von Barbier de Montault (Bullet, mon.
1877, lOff) dem 15. Jahrhundert zugeschrieben.
In Wirklichkeit aber reicht es wohl kaum
weit über das Ende des 16. hinaus. Darin
aber hat Barbier ohne Zweifel recht, daß
die Handschuhe früher die Reliquien des
Heiligen schmückten und infolgedessen nach-
her schlechthin als Handschuhe augesehen
wurden, die dieser im Leben getragen habe.
Übrigens beweisen außer der Beschaffenheit
auch die geringen Maße der Handschuhe,
daß sie vom hl. Petrus bei seinen Lebzeiten
nicht haben gebraucht werden können.
378 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Bildstickerei hergestellter und mit Schmelzplättchen und Edelsteinen reich besetzter
pugnalia verzeichnet. Aber auch in andern Inventaren finden sich kostbare Hand-
schuhe. Duo paria cirothecarum ornata laminis argenteis deauratis et lapidibus in-
sertis ; item duo cirothecae similis operis -- nämlich wie eine vorherbeschriebene,
mit Perlen und Edelsteinen besetzte Mitra — , in quibus deficiunt multi lapilli, heißt
es beispielsweise in einem Schatzverzeichnis von St Paul zu London aus dem Jahre
1295. Das Inventar von St Paul von 1402 erwähnt tria paria chirothecarum epi-
scopalium aurifrisiata cum margaritis et monilibus argenteis deauratis. Das Schatz-
verzeichnis von Prag aus dem Jahre 1387 vermerkt: Cyrotecae argenteae cum limbo
(Bordüre), videlicet circa manicam argentum deauratum habentes et in parte superiori
agnus in fibula et in secunda episcopus in cathedra. Aliae cyrothecae cum fibulis,
quarum in una est Christus et in alia Virgo gloriosa. Das Inventar von 1397 fügt
diesen Handschuhen noch bei: Item duo manicalia pulcra cum crucibus de perlis
albis in examito rubeo ; quaelibet habet unum monile aureum ; in uno deficit unus lapis
et habet in circuitu zapfryros. Von den Pontifikalhandschuhen, welche in einem In-
ventar der Kathedrale von Canterbury aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts auf-
geführt werden, war ein Paar mit einem rautenförmigen Zierplättchen, das mit Perlen
und Edelsteinen besetzt war, geschmückt; ein zweites war mit silbernen Plättchen
und kleinen Edelsteinen verziert; bei vier Handschuhpaaren werden nur tasselli argentei
notiert. Ein Paar, das aus Linnen gemacht war, wies aufäer den tasselli auch Perl-
stickereien auf1. Das Inventar von Cluny (1382) verzeichnet 22 Paar verzierter
Handschuhe, leider ohne diese im einzelnen näher zu beschreiben.
Handschuhe, welche Erzbischof Dietrich von Köln (1414 — 1463) dem Herzog von
Cleve verpfändete, werden folgendermafäen geschildert2: „Zum irsten ein Paar Henschen
mjt Perlen, der ejne mjt den drjn Konyncgen, der andere mjt ejne Crucefix. Item
ein ander Paar Henschen yechlichen mit ejnre Broidschen (das Medaillon) up der
Handt mjt Gestejntz. Item in dem Myddel ejn Sofir wigende II. Mr. XIIII. Loit
Goultz geacht vur . . . CXXXI Guld."
VII. STOFF UND FARBE DER PONTIFIKALHANDSCHUHE.
Als Stoff gebrauchte man im Mittelalter für die liturgischen Hand-
schuhe gewöhnlich Linnen (Baumwolle) oder Seide, doch werden auch
Pontifikalhandschulie aus Wolle erwähnt. So verzeichnet z. B. ein Inventar
der Kathedrale von Angers zum Jahre 1467: unum par cyrothecarum de lana
alba. Ein Handschuh dieser Art ist der aus derber Wolle gestrickte Pontifikal-
handschuh in St Veit zu Prag (Bild 174, S. 371) 3. In der Frühzeit des Jahr-
tausends scheint vornehmlich Linnen bei Anfertigung liturgischer Handschuhe
zur Verwendung gekommen zu sein 4, im späteren Mittelalter wurde indessen
wohl vorwiegend Seide gebraucht. Es ist bezeichnend, daß das Schatz-
verzeichnis der Kathedrale von Canterbury vom Jahre 1321 bei einem Hand-
schuhpaare besonders anmerkt, daß es aus Linnen bestehe: item unum par
de lino cum tasselis et perlis. Immerhin bekunden die Handschuhe im Dom
zu Halberstadt, daß noch um die Wende des Mittelalters linnene Handschuhe
vorkamen.
1 Schon Erzbischof Hubert (f 1205) schenkte
der Kathedrale chirothefcarum paria tria omnia
gemmis et auro parata (Revue 1861, 636).
Er gab der Kathedrale auch chirothecas sine
auro. Manche andere gute Beispiele sind
zusammengestellt bei Gay 760.
2 Bock II 145.
3 Nach gütiger Mitteilung des hocliw.
Herrn Kanonikus Dr A. Podlaha.
4 Bock (II 135) läßt Bruno von Segni
sagen, es sollten die Pontifikalhandschulie aus
Linnen angefertigt sein. Ähnlich de Linas
(Revue 1861, 633) und Moroni (Dizionario
XXXIII 95). Allein der Heilige redet mit
keinem Worte an der fraglichen Stelle des
Tractatus de sacramentis ecclesiae vom Stoff
derselben (M. 165, 1108). Moroni scheint
die Quelle des Irrtums zu sein.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandschuhe. 379
In der Neuzeit verloren sich linnene Pontiflkalhandscliuhe ganz aus dem
Gebrauch und wurde es Regel, die liturgischen Handschuhe nur noch aus
Seide anzufertigen, ohne daß jedoch solches je ausdrücklich vorgeschrieben
worden wäre. Selbst die Mailänder Synodalstatuten des hl. Karl enthalten
sich hinsichtlich des Stoffes der Handschuhe jeglicher Bestimmung.
Von der Farbe der liturgischen Handschuhe redet unter den Liturgikern
des 12. und 13. Jahrhunderts nur Durandus. Es scheint, daß der Verfasser
des Rationale bloß weiße gekannt hat. Wirklich sind die Pontifikalhand-
schuhe zu Florenz, Conflens, Toulouse und Prag, um von den dem späteren
Mittelalter angehörenden abzusehen, alle von weißer Farbe. Ebenso waren
die Handschuhe, welche man 1606 bei der Leiche Bonifaz' VIII. fand, aus
weißer Seide gemacht. Es mag sogar fraglich sein, ob schon im 14. und
15. Jahrhundert der liturgische Farbenkanon für die Pontifikalhandschuhe ge-
golten habe.
Man hat freilich gemeint, der auf Befehl Gregors X. herausgegebene römische
Ordo deute an, daß es bereits damals zu Rom Handschuhe in der Tagesfarbe gegeben
habe. Mit Unrecht. Wenn es darin heißt: (electus in papam) lotis manibus induetur
omni ornamento suo, scilicet primo alba, cingulo cum subcinctorio, postea pectorali,
demum fanone (das päpstliche Schultertuch), postea stola, deinde tunicella et postea
dalmatica; subsequenter recipit chirothecas et demum casulam et mitram in capite
suo sine pallio et annulo pastorali, quae postea recipiet in suo loco et vestimenta
erunt coloris tempori convenientis1, so will die letzte Bemerkung offenbar
nur im allgemeinen sagen, es habe die Pontifikalkleidung des Papstes der jeweiligen
Tagesfarbe zu entsprechen. Wollte man aus derselben schließen, auch die Handschuhe
seien damals schon den Vorschriften über die liturgischen Farben' unterworfen ge-
wesen, so müßte man, was jedoch durchaus unzulässig ist, ein gleiches für die Mitra
und das Schultertuch annehmen.
Als ferneren Beweis, daß schon im 13. Jahrhundert für die Handschuhe die
liturgische Tagesfarbe maßgebend gewesen sei, hat man eine Vergabung Gottfrieds von
Loudon (1234 — 1255) angeführt, durch welche dieser der Kathedrale von Le Mans
quinque paria cirothecarum et duas paraturas argenteas deauratas ad opus earumdem
eirotheearum übermachte'2. Ces plaques, meint de Linas3, s'adaptaient donc
tour ä tour aux cinq paires de gants, transport inutile, si ces der-
nieres avaient toutes äffe et e la meme couleur. Indessen heißt das doch
zu viel aus den Worten der Schenkung herauslesen. Oder wo sagt diese, daß die
paraturae abwechselnd bald bei dem einen, bald bei dem andern Paar zu ge-
brauchen seien? Man kann die Sache doch auch dahin verstehen, daß die Besätze
bestimmt waren, nacheinander zur Ausschmückung der fünf Paare zu dienen, so
daß sie also, ähnlich wie die Parura am Amikt, so lange an den einzelnen Hand-
schuhen blieben, bis letztere durch Verschleiß oder Schmutz zum ferneren Gebrauch
ungeeignet geworden waren. Es dürfte das sogar die einzig richtige Auffassung sein.
Oder ist es wahrscheinlich, dafä man jedesmal nach der Verwendung der Handschuhe
die paraturae wieder lostrennte und Handschuhe und Zierbesätze bis zur demnächstigen
Verwertung gesondert aufbewahrte ?
Es bleibt also noch der Beweis zu führen, daß schon das 13. Jahrhundert
Pontifikalhandschuhe in der jedesmaligen Tagesfarbe gekannt habe. Wohl mögen
damals schon farbige Handschuhe vorgekommen sein. So sollen die Handschuhreste,
welche man im Grabe des Bischofs Herväus von Troyes (f 1223) fand, einen violett-
bräunlichen Ton aufgewiesen haben ; doch kann dieser freilich auch die Wirkung der
Zersetzung und Vermoderung gewesen sein. Sicher gab es im 14. und 15. Jalir-
1 Ordo 13, n. 6 (M. 78, 1108). 3 Revue 1861, 637, note 4. Vgl. Bock
- Mabillon, Vet. analecta III 390. II 143.
3S0 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
hundert neben weißen auch wohl farbige Handschuhe, wie die rotseidenen Handschuhe
Wilhelms von Wykeham" (f 1404) in New College zu Oxford beweisen. Aus Hand-
schuhen dieser Art indessen folgern, daß bereits im 13., 14. und 15. Jahrhundert für
die pontifikale Handbekleidung die liturgische Tagesfarbe maßgebend gewesen sei, ist
ebensowenig zulässig, wie aus roten und blauen Mitren des 15. Jahrhunderts den
völlig falschen Schluß ziehen, daß damals für die Mitra der kirchliche Farbenkanon
gegolten habe.
Es dürfte kaum möglich sein, den Zeitpunkt auch nur annähernd zu be-
stimmen, zu dem die liturgische Farbenregel auch auf die Pontifikalhandschuhe
ausgedehnt wurde. In Rom bestand im 14. Jahrhundert ein Unterschied
zwischen chirothecae piretiosae und chirothecae sine perlis, von denen die
ersten der mitra pretiosa, die letzten der mitra alba simplex entsprachen 1.
Von der Farbe der Handschuhe ist dagegen in keinem römischen Ordo die
Rede. Die Unterscheidung zwischen chirotheca pretiosa und chirotheca sine
perlis sowie ihre Zusammenstellung mit mitra pretiosa und mitra simplex
scheint sogar bestimmt darauf hinzudeuten, daß der liturgische Farbenkanon
damals auf die Handschuhe noch keine Anwendung fand.
Auch das römische Pontifikale und das Caeremoniale der Bischöfe ent-
halten keine Bestimmung über die Farbe der Pontifikalhandschuhe. Dagegen
schrieb der hl. Karl Borromäus ausdrücklich vor, daß die liturgischen Farben,
mit Ausnahme von Schwarz, auch für die sakrale Handbekleidung Geltung
haben sollten und demnach weiße, rote, grüne und violette Handschuhe vor-
rätig zu halten seien 2. Es ist die erste ausdrückliche Bestimmung über die
Farbe der Pontifikalhandschuhe, welche uns begegnet ist.
VIII. DIE LITURGISCHE VERWENDUNG DER HANDSCHUHE.
Ihre Hauptverwendung fanden die liturgischen Handschuhe von
Anfang an beim Pontifikalamte. Sehr bezeichnend für ihren Charakter als
Bestandteil des bischöflichen Meßornates ist namentlich eine Rubrik des Ritus
der Benedictio abbatum in einem Pontifikale von Besancon (12. Jahrhundert) und
von Reims (ca 1200): De manu episcopi accipiat baltheum et wantos inconsutiles
ad cantandam missam3. Allein ihr Gebrauch beschränkte sich im Mittel-
alter noch keineswegs überall lediglich auf die Meßfeier, wie in der Gegenwart.
So bediente sich beispielsweise im 13. Jahrhundert zu Bayeux der Bischof der
Pontifikalhandschuhe auch, wenn er an bestimmten hohen Festtagen das Of-
fizium abhielt oder an den Prozessionen teilnahm i, und schon Alexander III.
hatte den Äbten von Monte Cassino und La Cava den Gebrauch der Hand-
schuhe bei Konzilien gestattet5. Eine derartige ausgedehntere Verwendung
der liturgischen Handschuhe mag namentlich im späteren Mittelalter nicht
1 Ordo 14, c. 82; ordo 15, c. 65 (M. 78,
1204 1301). Eine Angabe in c. 144 des
ordo 15, wo von der Weise die Rede ist, wie
der Papst zum Begräbnis zu bekleiden sei,
lautet zu unbestimmt, um daraus einen Schluß
ziehen zu können (ebd. 1351).
- A. E. Med. 627.
3 Mar t. 1. 2, c. 1, ordo 3 6; II 153 156.
4 Chevalier, Ordinaire et coutumier
de l'6glise cath. de Bayeux (XI1IC s.) 61 166
et passim. Zu Bayeux trug auch der Cantor
nach altem Brauch an höheren Feston Hand-
schuhe (ebd. 4 316: cantor ob honorem digui-
tatis . . . cyrothecis adornatur).
5 Bullar. Roman, (ed. Taur.) II 663 : Usum
chirothecae ... ad missas seu in consessu con-
cilii habendun] concedimus; Pflugk-Hart-
tung, Acta III 221: In conciliis Romanorum
Pontificum seu exequiis magnarum ecclesiasti-
carum personarum et nobilium defunctorum.
In der letztgenannten Bulle wird dem Abt
von La Cava also auch der usus chirothe-
carum für Exequien hoher geistlicher und
weltlicher Standespersonen gewährt.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandschuhe.
381
selten gewesen sein. Wenigstens lassen darauf die zahlreichen Bildwerke
schließen, auf denen sich die Pontifikalhandschuhe in Verbindung mit dem
Pluviale finden. Was die ältere römische Praxis hinsichtlich des Gebrauches
der Pontifikalhandschuhe betrifft, so fehlt es darüber leider an ausreichenden
Nachrichten ; indessen spricht der konservative Sinn, der zu Rom hinsichtlich
des liturgischen Brauches herrschte, für die Annahme, es seien die Hand-
schuhe dort stets nur bei der Messe verwendet worden. So geschah es
daselbst sicher im späteren Mittelalter. Wenn nach dem 13. und 14. Orclo
der Papst die Handschuhe auch bei dem feierlichen Zuge trug ], der nach
seiner Krönung und am Gründonnerstag statthatte, so war das lediglich
eine Ausnahme; vielleicht die einzige, wenn man überhaupt hier von einer
Ausnahme reden kann. Trat doch der Papst dann nicht bloß in Pontifikal-
handschuhen, sondern in voller Meßkleidung auf, nur daß die Tiara an Stelle
der Mitra getreten war ; denn er sollte bei dieser Gelegenheit als der Priester-
könig erscheinen. Wie die übrigen Gewänder, hatten auch die Handschuhe
bei jener Feier lediglich symbolische Bedeutung. Nur insofern wich im
späten Mittelalter zu Rom der Brauch vom jetzigen ab, als noch bis ins
15. Jahrhundert hinein die Pontifikalhandschuhe auch bei der Liturgie des
Karfreitags zur Verwendung kamen 2. Bei Totenmessen war aber ihr Ge-
brauch daselbst bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts unzulässig3.
Nach dem Sakramentar von Corbie trug der Bischof die Handschuhe
nur von Beginn der Messe bis zur Händewaschung, welche nach Entgegen-
nahme der Opfergaben vor der Opferung stattfand. Damit stimmt überein,
was im 14. Ordo Mabillons und im Pontifikale des Durandus 4 betreffs der Ver-
wendung der chirothecae vermerkt ist. Denn auch nach diesen bediente sich
der Pontifex der Handschuhe nur bis zur Händewaschung vor der Opferung.
Daß es jedoch nicht gerade überall so gehalten wurde, zeigen ein Mainzer
Pontifikale des ausgehenden 13. Jahrhunderts5 und ein um 1400 entstandenes
Missale eines Klosters der Diözese Basel 6. Nach letzterem behielt der Abt
die chirothecae bis nach der Opferung und der Inzensierung der Oblata, nach
ersterem sogar bis zum Beginne des Kanons; außerdem trug er sie beiden
zufolge wieder nach der Kommunion. Auch zu Evesham zog der Abt nach
der Kommunion die Handschuhe wieder an. Außerdem war es dort Brauch,
daß derselbe sich ihrer bei feierlichen Prozessionen sowie bei den Karfreitags-
zeremonien bediente 7.
1 Ordo 13, n. 8; ordo 14, c. 19 (M. 78, 1110
1130). Wenn es an der ersten der beiden
Stellen heißt, der Papst sei im Pluviale auf-
gezogen , so beruht das auf einer Verderbt-
heit des Textes, der, wie er bei Migne sich
findet , überhaupt keinen Sinn gibt. Den
richtigen Text gibt ordo 14, c. 19. Aber
auch aus ordo 13, n. 9 erhellt klar, daß der
Papst bei dem Zug nicht das Pluviale, sondern
die Kasel trug. Deponit (nämlich am Schluß
desselben) pallium et casulam tantum ac
chirotbecas et resumit pluviale (ebd. 1111).
Die Sitte , wonach der neu konsekrierte
Bischof nach seiner Weihe in seinen litur-
gischen Gewändern feierlich heimzog, wird
auch in andern Pontifikalien erwähnt, doch
war er dabei statt mit der Kasel mit dem
Pluviale bekleidet. Vgl. z. B. Mart. 1. 1,
c. 8, art. 11, ordo 17; II 88; Vat. Cod. lat.
4748, f. 17 u. a. Der Brauch war offenbar
eine Nachahmung der römischen Praxis.
2 Ordo 14, c. 93; ordo 15, c. 76 77 (M. 78,
1216 1217 1318 1319). Der Pontifex behielt
die Handschuhe nur bis zur missa praesancti-
flcatorum.
3 Ordo 15, c. 132 (ebd. 1347).
4 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 23;
I 221.
6 Ebd. ordo 18; I 217.
B Ebd. ordo 32; 1 235.
7 Offic. eccl. abbat, in Evesham monast.
(Bradshaw Society), London 1893, c. 12 15 88.
382 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Hinsichtlich des Zeitpunktes, da der Bischof die Handschuhe anlegte,
herrschte im Mittelalter keine einheitliche Praxis. An dem einen Ort zog er
sie an, sobald er sich mit der Dalmatik, anderswo erst, wenn er sich mit
der Kasel versehen hatte. In Rom war es schon um die Wende des 12. Jahr-
hunderts Sitte, sie unmittelbar nach der Dalmatik anzulegen, und so blieb es
daselbst durch das ganze Mittelalter bis in die Neuzeit l.
Über die Rolle, welche den chirothecae im Weiheritus während des
Mittelalters zukam , liegen nur vereinzelte Nachrichten vor. Nach einem
Mainzer Pontifikale aus dem Ausgange des 13. Jahrhunderts hatte die Zere-
monie, mit den Handschuhen die Hände des Electus zu bekleiden, gleich nach
der Salbung derselben innerhalb der Messe statt 2, nach einem Lyoner Ponti-
fikale von ca 1400 aber gerade wie jetzt am Schlüsse des heiligen Opfers3.
Dagegen werden nach einigen Weiheordines aus dem Beginne des 12. Jahr-
hunderts dem Konsekranden schon gleich bei Beginn der Feier manicae an-
gezogen 4. Natürlich mußten in diesem Falle die Handschuhe vor der Salbung
der Hände wieder ausgezogen werden. Angelegt wurde dem Electus das
Ornatstück bald durch den Konsekrator selbst, bald durch die demselben
assistierenden Bischöfe, bald durch den Archidiakon. Es herrschte auch hierin
im Mittelalter keine Übereinstimmung.
Im Eitus der Beneclictio abbatum wird, wie schon gelegentlich bemerkt wurde,
die Überreichung des Ornatstückes bereits im 12. Jahrhundert erwähnt. Doch konnte
hier natürlich die Zeremonie nur dann statthaben, wenn der Abt sich kraft eines
Privilegs des usus chirothecarum erfreute.
Das Gebet, welches gemäß den älteren Pontifikalien gesprochen wurde,
während der Archidiakon unter Beihilfe von Subdiakonen in Gegenwart zweier
Bischöfe dem Konsekranden die Handschuhe anzog, lautete: „Allmächtiger,
mildreichster Gott, wir bitten deine unermeßliche Güte, du wollest die Hände
dieses deines Dieners, unseres Mitbruders, sowie sie äußerlich mit diesen Hand-
schuhen umhüllt werden, auch innerlich mit deines Segens Tau besprengen, daß,
was immer sie zu segnen oder zu weihen haben, durch dich gesegnet und
geweiht werde." Nach den Pontifikalien des späten Mittelalters verrichtete
der Konsekrator selbst bei Anlegung der Pontifikalhandsehuhe das Gebet. Das
heutzutage bei dieser Zeremonie gebräuchliche findet sich schon im Pontifikale
des Durandus 5.
IX. URSPRUNG DER PONTIFIKALEN HANDBEKLEIDUNG.
Über den Ursprung der liturgischen Handschuhe läßt sich nur weniges
sagen. Dieselben sind ein dem Abendlande durchaus eigentümliches Ornat-
stück. In der Kirche des Ostens haben chirothecae niemals bei der Liturgie
Verwendung gefunden. Es können darum die Pontifikalhandsehuhe nicht aus
der griechischen Kirche entlehnt worden sein; sie sind vielmehr zweifellos im
Abendlande selbst aufgekommen.
1 Innocent. III. , De sacrif. missae 1. 1, 3 Ebd. ordo 18; II 94. Vgl. auch Vat. Cod.
c. 10 41 57 (M. 217, 780 789 795). Ordo Borgh. 72 (s. XIV) und Vat. Cod. lat. 1152
13, n. 6; ordo 14, c. 48 53 (ebd. 78, 1108 (s. XIV).
1153 1157). Vgl. auch Sicard., Mitralis ' So der Ordo vulg. bei Hitt. 109 und
1.2, c. 8 (M. 213, 88j. ein Salzburger Pontifikale (Mart. a. a. O.
2 Marl 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 16; ordo 8; II 53).
II 82. 6 Vat. Cod. lat. 1145, f. 35.
Erstes Kapitel. Die Pontifikalhandschuhe. 383
In der römischen Kirche müssen die Handschuhe sich im Verlaufe des
10. Jahrhunderts eingebürgert haben. Sie treten also dort etwa gleichzeitig
mit der Mitra auf. Zwischen der pontifikalen Kopfbedeckung und den Pontifikal-
handschuhen ist jedoch insofern ein großer Unterschied, als jene sich bei
ihrem ersten Auftreten als spezifisch römisches Ornatstück kundgibt, während
bei diesen ein solch ausschließlicher Charakter niemals wahrzunehmen ist. Da
nun die frühesten Pontifikalhandschuhe im Frankenreiche auftauchen, so scheint
die Annahme nicht unbegründet, daß sie eben hier zuerst unter die liturgischen
Gewänder Aufnahme erhielten, daß sie von dort sich dann allmählich über
das Abendland verbreiteten und dabei gegen die Wende des Jahrtausends
auch zu Rom Eingang fanden.
Wie ist es aber zur Entstehung der liturgischen Handschuhe gekommen?
Daß dieselben zuletzt auf die Handschuhe des Alltagslebens zurückzuführen
sind, welche namentlich im Norden weitverbreitet und bei allen Ständen 1,
zumal aber den vornehmen, gebräuchlich waren, liegt zu Tage. Fraglich ist
nur, was ihre Aufnahme unter die Sakralkleider veranlaßt hat.
Es ist gesagt worden, die Handschuhe seien eingeführt worden, um die
Hände des Bischofs gegen die zur Winterszeit gewiß oft sehr empfindliche
Kälte zu schützen. Ebenso hat man gemeint, es sei geschehen, um den häufig
sehr kostbaren Hirtenstab gegen die Ausdünstungen der Hände und damit
zugleich gegen Verderben zu sichern. Beides ist jedoch mehr als unwahr-
scheinlich. Dagegen spricht sowohl die beschränkte Verwendung, welche die
Handschuhe bei den pontifikalen Funktionen fanden, als im besondern der
Umstand, daß sie nicht bloß im Winter, sondern auch im Sommer getragen
wurden, und nicht bloß zugleich mit dem Stab, sondern, wie schon aus dem
Sakramentar von Corbie erhellt, auch ohne denselben.
Der Hauptgrund dürfte vielmehr die Absicht gewesen sein, nach Art
der bereits lange üblichen liturgischen Fußbekleidung auch die geweihten
Hände des Bischofs mit einem entsprechenden Schmuck zu versehen. Wer
die Entwicklung der Pontifikalgewandung verfolgt, dem kann nicht entgehen,
daß die hervorragende Stellung, welche die Bischöfe seit der .Karolingerzeit
einnahmen, ihren Einfluß auch auf die Ausgestaltung der bischöflichen litur-
gischen Tracht ausübte. Mehr denn je gingen diese darauf aus, sich beim
Gottesdienst mit möglichster Pracht zu umgeben. Was immer der Osten an
kostbaren Zeugen und Borten schuf, wurde ohne Bücksicht auf Kosten und
Mühen ins Abendland gebracht, um hier den Bischof bei seinen heiligen Funk-
tionen zu zieren. Unter solchen Umständen mußte man es begreiflicherweise
nachgerade vermissen, daß es zwar für die Füße des Bischofs eine eigentliche
liturgische Kleidung gab, nicht aber für die Hände, die doch weit unmittel-
barer am heiligen Dienst beteiligt waren. Und so erklärt es sich leicht,
wenn die Bischöfe seit dem Ende des 9. Jahrhunderts dazu übergingen, ihre
Hände mit einem entsprechenden Schmuck auszustatten, und wie im gewöhn-
lichen Leben, so auch beim Gottesdienst mit Handschuhen zu bekleiden.
1 Auch in den Klöstern waren Handschuhe, von Corhie aus dem Jahre 822 gewähren den
und zwar .sowohl Finger- wie Fausthandschuhe, Klosterinsassen wantos duos (1. 1 , c. 3
keineswegs unbekannt. Das 22. der Aachener [M. 105, 538]). Die Constitutio Ansegisi abbat.
Kapitel „de monachis" vom Jahre 817 be- Fontanellensis wirft für Anschaffung der
stimmt, es solle jeder Mönch im Sommer Handschuhe ein Pfund jährlich aus: ad
wantos und im Winter muffulas vervecinas wantos 1. 1 (ebd. 750); vgl. auch die manicae
(Fausthandschuhe aus Schöpsenfell) erhalten (= wanti) des c. 12 der Regeln des hl. Isidor
(M. G. LL. c. 1, 345). Die Statuten Adalhards (M. 83, 882).
384 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füfse u. des Kopfes.
Wir sagten, der Hauptgrund: denn es mag auf die Einführung der
Pontifikalhandschuhe auch das praktische Bestreben von Einfluß gewesen sein,
die Hände des Bischofs bis zur Vornahme der Opferung möglichst gegen Ver-
unreinigung zu sichern. Dafür spricht zunächst die eigenartige, auf den
Beginn der Messe beschränkte Verwendung, welche die Pontifikalhandschuhe,
wie das Sakramentar von Corbie beweist, schon im 10. Jahrhundert fanden.
Dann ist es wohl nicht ohne Grund, wenn bereits die älteste bekannte mystische
Deutung in den bischöflichen chirothecae das Symbol der Reinheit sieht K
Endlich ist auch die Antwort bemerkenswert, welche Bruno von Segrii auf
die Frage gibt, warum die Hände des Bischofs mit Handschuhen bekleidet
würden. „Ich antworte", sagt er, „kurz und bündig: damit sie rein, sauber,
von allem Schmutze frei und lauter seien."
ZWEITES KAPITEL.
DIE PONTIFIKALE FUSSBEKLEIDUNG.
I. DIE PONTIFIKALE FUSSBEKLEIDUNG IN DER GEGENWART.
IHRE BESTANDTEILE: SANDALEN UND CALIGAE.
Im Gegensatze zu dem Hohenpriester des Alten Bundes, der barfuß
seinen Dienst verrichtete, trägt der Bischof bei Darbringung des heiligen
Opfers eine besondere Fußbekleidung, die Sandalen und die Caligae,
d. i. liturgische Schuhe und Strümpfe. Sie bilden wie die Pontifikalhandschuhe
einen spezifischen Meßornat, da sie nur bei der Meßfeier, nicht aber auch bei
andern pontifikalen Amtshandlungen zur Verwendung kommen. Sie werden
dem Bischof angezogen, während er die Vorbereitungsgebete zur Messe ver-
richtet2. Das Anlegen der Sandalen und der Caligae, welches beim rechten
Fuß beginnt, hat der Subdiakon, welcher die Epistel singt, unter Beihilfe der
Akolythen und der bischöflichen Diener zu besorgen. Sache des Subdiakons
ist es auch, die durch ein Velum verhüllten Sandalen und Caligae mit ver-
deckten Händen vom Kredenztisch herbeizuholen und nach Schluß der Messe
dem Bischof die pontifikalen Schuhe und Strümpfe auszuziehen 3.
Die Sandalen und Caligae tragen zu dürfen ist ein bischöfliches
Vorrecht4. Äbten und sonstigen Prälaten steht ihr Gebrauch nur kraft
eines besondern Privilegiums zu. In dieser Beziehung gilt bezüglich der
liturgischen Fußbekleidung dasselbe, was hinsichtlich der Pontifikalhandschuhe
bemerkt wurde. Sandalen und Caligae folgen nach gegenwärtigem Gebrauch
der Tages färbe. Schwarze gibt es nicht, da der Bischof sich weder in
Totenmessen noch am Karfreitag der pontifikalen Schuhe und Strümpfe be-
dient5. Über ihre Beschaffenheit und Form bestehen keine ausdrück-
lichen Vorschriften. Die Gewohnheit will jedoch, daß der Oberteil der Schuhe
und die Strümpfe, welch letztere sowohl durch Wirkerei als auch durch Zu-
sammennähen von Stoffstücken hergestellt werden können, aus Seide gemacht
seien. Behufs Befestigung werden die Caligae am oberen Ende zweckmäßig
mit Bändern versehen. Die Schuhe, die von den alten Sandalen nur mehr den
Namen haben, hinsichtlich der Form aber von ihnen vollständig verschieden
' Sie findet sich im Sakramentar von Corbie. * Von den Kardinälen bedienen sich nur
2 Caerem. episc. 1. 2, c. 8,- n. 7. die Kardinalbischöfe und die Kardinalpriester
3 C. K. vom 27. März 1824 (Decret. der liturgischen Fußbekleidung.
auth. 2G34J. 5 Caerem. episc. 1. 2, c 11, n. 2 et c. 25, n.fi.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
385
sind, haben meist Pantoffel form und können oben und an den Seiten mit
Stickereien verziert werden. Ein Kreuz auf der Mitte des Oberteiles an-
zubringen, ist nicht notwendig und zu Rom sogar nur bei den Sandalen des
Papstes, nicht aber bei denen der Kardinäle oder Bischöfe gebräuchlich 1.
Bei der Bischofsweihe sind Sandalen und Caligae nicht der Gegenstand
einer besondern Zeremonie. Das Gebet, welches der Bischof nach dem römischen
Missale bei Anlegung der liturgischen Fußbekleidung spricht, lautet: „Be-
schuhe, o Herr, meine Füße zur Verkündigung des Evangeliums des Friedens
und beschütze mich unter dem Schirme deiner Fittiche." Der Bischof ist
vor allen der Herold des Friedensevangeliums. Er hat daher stets gerüstet
zu sein, dahin zu eilen, wo das Brot der göttlichen Lehre dem christlichen
Volke gebrochen werden muß. Das Sinnbild dieses Bereitseins ist die ponti-
fikale Fußbekleidung, bei deren Anlegung deshalb der Bischof um die Gnade
einer rechten Bereitwilligkeit zur Predigt des Evangeliums fleht. Der zweite
Teil des Gebetes bezieht sich auf die Caligae, das Symbol des göttlichen
Schutzes, dessen der Verkündiger der Heilsbotschaft bei der Ausübung seines
hohen Amtes bedarf.
II. DIE LITURGISCHE FUSSBEKLEIDUNG IN DER ROMISCHEN
KIRCHE BIS ZUR WENDE DES ERSTEN JAHRTAUSENDS.
Eine liturgische Fußbekleidung ist, anders wie die pontifikale Mitra und
die sakrale Handbekleidung, nicht erst die Schöpfung des ausgehenden ersten
Jahrtausends. Sie tritt uns vielmehr im römischen Ritus schon recht früh
entgegen. Indessen wurde die Zeit, welche die Mitra und die Handschuhe
in den Kultus einführte, doch auch für die liturgische Fußbekleidung insofern
sehr bedeutungsvoll, als sie aus dieser ein ausschließlich pontifikales Ornat-
stück machte.
Die sakrale Beschuhung kam vor allem stets dem Papste zu. Als
Stephan III. (752 — 757) dem Abte Fulrad von St-Denis 757 das Recht ver-
lieh, sich des udonis ac subtalaris calciamentum zu bedienen, bezeichnete er
diese Fußbekleidung als ornatum apostolici vestimenti, als Bestandteil der
päpstlichen Gewandung2. Dieselbe war dem Papste sogar in einem solchen
Maße eigen, daß sie als eine Art von Abzeichen desselben galt.
Als darum Kaiser Konstans den Papst Martin I. (649 — 655) zu Kon-
stantinopel widerrechtlich seiner Würde beraubte, ließ er ihm nicht nur, wie
ein Zeitgenosse des Heiligen und Augenzeuge der von diesem erlittenen Miß-
handlungen berichtet, das psachnion (Pallium) abreißen, sondern auch die
Riemen seiner campagi zerschneiden 3. Ahnlich berichtet der Liber Pontificalis
in der Vita Stephani IV. (768 — 772), es habe der Diakon Maurianus dem
' Die Pontifikalstrttmpfe sind nicht mehr
überall in Brauch , so nicht in vielen Diö-
zesen Deutschlands. Man begnügt sich mit
den gewöhnlichen violetten bischöflichen
Strümpfen.
- J. n. 2330. Wegen der Echtheit des Doku-
mentes , welche Pflugk-Harttung leugnet,
vgl. Hist. Jahrb. 1883 , 587 , worin Grauert
für dieselbe eintritt. Dafür auch 0 eisner,
Jahrbücher des fränkischen Reiches, Leipzig
1871, 287. Aus dem Inhalt der Bulle dürfte
Braun, Die liturgische Gewandung.
sich schwerlich ein Grund für die Unecht-
heit hernehmen lassen; aber auch sonst liegt
unseres Erachtens kein genügender Anlaß
vor, ihre Echtheit in Frage zu ziehen. Fulrad
war nur Priester, weshalb der liturgische
Schuh, dessen Gebrauch ihm gestattet wird,
in der Bulle ganz richtig subtalaris genannt
wird (vgl. die Angaben des S. G. K.).
3 Commemoratio eoium, quae saeviter acta
sunt in sanctum . . . martyrem Martinum
papam (M. 129, 595).
25
386 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füf3e u. des Kopfes.
Afterpapst und Eindringling Konstantin zum Zeichen seiner Absetzung das
Orarium (hier Pallium) vom Halse genommen und die campagi von den Füßen
geschnitten 1.
Nichtsdestoweniger ist es unzutreffend und eine Übertreibung, wenn die beiden
Mönche Theodosius und Theodorus in ihrem um 670 geschriebenen Hypomnestikon
die Bemerkung machen, es trage diese Beschuhung kein anderer unter deu Menschen
als der römische Papst -. Denn wir treffen genau dieselbe Puläbekleidung, wie sie die
Päpste Honorius I. (625—638) und Symmachus (498 — 514) auf dem um 630 ent-
standenen Mosaik der Apsis von St Agnese fuori le Mura haben (Bild 64, S. 160),
bereits um die Mitte des 6. Jahrhunderts auf den musivischen Darstellungen in S. Vi-
tale zu Eavenna (Bild 63, S. 159) bei Erzbischof Maximian von Ravenna und seinen
Ministri, ja sogar schon gegen das Ende des 5. Jahrhunderts bei den hll. Ambrosius
und Maternus auf dem Mosaik der Kapelle des hl. Satyrus bei S. Ambrogio zu Mai-
land (Bild 62, S. 158) an. Ebenso finden wir sie beim Presbyter Vincentius auf
einem dem 6. — 7. Jahrhundert entstammenden Fresko in S. Callisto zu Rom3. Dafs
ferner die Diakone von Messina bereits um die Mitte des 6. Jahrhunderts die campagi
trugen, erhellt aus dem Schreiben Gregors d. Gr. an den Bischof Johannes von Sy-
rakus. „Wir haben gehört", so schreibt der Papst, „es hätten sich die Diakone von
Catania unterfangen, mit campagi beschuht (zur Messe) aufzuziehen. Bisher ist so etwas
in ganz Sizilien nur den Diakonen von Messina erlaubt gewesen, welche dazu von
unsern Vorgängern unzweifelhaft ermächtigt wurden. Da man nun ein so verwegenes
Beginnen nicht leicht nehmen darf, so wolle Eure Fraternität mit aller Gründlichkeit
den Sachverhalt untersuchen. Sollte die Nachricht, die wir erhielten, der Wirklichkeit
entsprechen, so möge Eure Fraternität uns auch genau mitteilen, ob die Diakone. von
Catania aus sieh oder auf Anstiften von irgend einem andern hin der Sache sich
unterfangen haben, damit wir das Nötige anordnen." 3 Es war also schon unter den
Vorgängern Gregors d. Gr. den Diakonen von Messina gestattet worden, sich des
campagus bei ihren Amtsverrichtungen zu bedienen.
Daß auch die römischen Diakone zu Gregors Zeit den campagus
trugen, wird in dem Schreiben an Johannes nicht ausdrücklich ausgesprochen.
Indessen kann das Vorrecht, welches des Papstes Amtsvorgänger den Diakonen
von Messina verliehen hatte, wohl nur als Zuwendung einer den Diakonen
von Rom zustehenden Fußbekleidung aufgefaßt werden. So war ja auch vor
Gregor in Sizilien nach dem Vorbild der römischen Kirche eine Amtstunika
für die Subdiakone eingeführt worden. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich,
daß zu Gregors d. Gr. Lebzeit zu Iiom eine liturgische Beschuhung nicht bloß
bei den Diakonen, sondern auch bei den Subdiakonen und Akolythen
im Gebrauche war. Jedenfalls verhielt es sich so um den Beginn des 8. Jahr-
hunderts.
1 Duch., L. P. I 472; vgl. dazu nota 21,
p. 482. Was hier und in der Commemoratio
berichtet wird , wirft ein helles Licht auf
eine bisher ungedeutete Stelle in des A g-
nellus Liber pontificalis (M. G. SS. Langob.
352), von der noch der Herausgeber desselben
in den M. G. , Holder-Egger , gestand (ebd.
nota 4) : Hoc quid sibi velit , non intelligo.
Es wird dort erzählt, Papst Vitalian habe
den scbismatischen Erzbischof Maurus von
Ravenna exkommuniziert, worauf dieser das
gleiche mit Bezug auf den Papst getan.
Darüber seien beide gestorben. Wie nun
berichtet werde, sei die Sache nach längerer
Zeit zu Rom auf einem Konzil beraten worden
und hätten dann die Bischöfe zum Zeichen der
Absetzung beider summitatem cunpadis pedis
dexteri zerschnitten. Liest man statt des
verderbten cunpadis das richtige campagi, so
erklärt sich die — freilich fabelhafte — An-
gabe des romfeindlichen Agnellus auf die ein-
fachste Weise. Der campagus galt damals als
Symbol des Amtes, sein feierliches Zerschnei-
den war also Ausdruck der Amtsentsetzung.
- M. 129, 685. Sie tun das mit Bezug
auf einen als Reliquie des hl. Martin I. auf-
bewahrten campagus.
s Ep. 1. 8, n. 27 (M. G. Epp. II 28).
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
387
Unter den Vorrechten nämlich, welche der Verfasser des Constitutum
Constantini den Kaiser Konstantin clericis diversis ordinibus eidem
romanae ecclesiae servientibus verleihen läßt, befindet sich auch
dieses, daß sie sich der Auszeichnung erfreuen sollten, sicut noster senatus
calceamenta uti cum udonibus, i. e. candido linteamine 1. Es wurde demnach
zur Zeit, da die pseudo-konstantinische Schenkung entstand, sonder Zweifel
schon lange das auszeichnende Schuhwerk von den verschiedenen Ordines
des römischen Klerus getragen.
Selbst im 9. Jahrhundert fand eine liturgische Fußbekleidung in Rom
noch bei Geistlichen aller Ordines Verwendung. Denn Amalar berichtet in
seiner Erklärung des römischen Meßritus und der römischen Sakral-
kleidimg ausdrücklich von den sandalia des Bischofs, des Priesters, des Dia-
kons und des Subdiakons. Ebenso weist noch das St Gallener Kleider-
verzeichnis den Presbytern, Diakonen und Subdiakonen, ja selbst den Akolythen
eine liturgische Beschuhung zu 2.
Der 1. und der 3. römische Ordo reden weder von den campagi noch
von den udones, obschon sie doch genau angeben, mit welchen Gewändern
der Papst vor dem Amte zu bekleiden war. Dem oberflächlichen Blick mag
das auffällig erscheinen. Die Sache erklärt sich indessen sehr leicht. Mit
der Fußbekleidung versahen sich Papst und Ministri bereits vor dem feier-
lichen Aufritt zur Kirche, in welcher Station zu halten war. Ein Wechsel
der Beschuhung in der Sakristei war infolgedessen natürlich nicht notwendig.
Wenn jemand die Bischofsweihe empfangen sollte, wurde er nach dem 8. Ordo
Mabillons, welcher noch ins 8. Jahrhundert hinaufreichen wird, im Sekre-
tarium während der Absingung des Graduale mit den campobi (verderbte
Lesart für campagi) versehen 3.
Ob campagi und udones von Anfang an ein ausschließlicher M e ß-
ornat wie die jetzigen Sandalen und Caligae waren, muß dahingestellt
bleiben. Es ist bemerkenswert, daß noch auf den Bildwerken des 6. und
7. Jahrhunderts selbst Laien mit derselben Fußbekleidung versehen sind,
welche wir auf ihnen bei den Päpsten, bei Bischöfen und sonstigen Geist-
lichen gewahren. Beispiele liefern die Mosaiken in S. Cosma e Damiano (die
Titelheiligen)1 und S. Teodoro (der hl. Theodor und ein zweiter ungenannter
Heiliger)5 zu Rom und der musivische Wandschmuck in S. Vitale (das Gefolge
Justinians und Theodoras) zu Ravenna.
1 Hinscliius, Decret. Pseudoisidor. 253.
Ob man unter den römischen Klerikern der
Schenkung nur die Kardinalkleriker versteht,
wie Grauert (Histor. Jahrbuch IV [1883] 48)
will (vgl. auch S che f f er- Boich o r st in
Mitteilungen des Institutes für österreichische
Geschichtsforschung X [1889] 305 f und
Sägmüller, Tätigkeit und Stellung der
Kardinäle, Freiburg 1896, 159, Anm. 3), oder
den ganzen Weltklerus Roms, ist hier von
keinem Belang.
2 Die Interpunktion, wie sie in dem Ab-
druck des S. G. K. bei Mabillon (M. 78, 985)
im Anfang von n. 3 sich findet, ist sinnlos.
Statt presbyter romanus similiter, praeter tan-
tum subtalares, quos mittit presbyter et dia-
conus. In primis cam. etc. ist zu lesen : quos
mittit presbyter, et diaconus in primis cam.
Nach der jetzigen Interpunktion werden auch
dem Diakon die subtalares zugeschrieben, ob-
schon sich aus dem Folgenden ergibt, daß
er wie der Bischof die campagus genannte
Schuhart trug.
3 N. 8 (ebd. 1004).
4 Entstanden unter Felix IV. (526—530).
Garr. tav 253.
5 6. — 7. Jahrhundert. Garr. tav. 252.
Auch auf dem Mosaik in S. Venanzo zu
Rom tragen die Laien Paulinianus, Telius,
Antiochianus und Gajanus jetzt dieselbe
Fußbekleidung wie die Bischöfe Domnio usw.
Es ist wahrscheinlich , daß solches schon
im wesentlichen vor der in diesem Jahr-
hundert erfolgten Erneuerung der Fall war.
25*
388 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Die offiziellen Namen für den liturgischen Schuh waren bis ins 10. Jahr-
hundert hinein zu Korn campagus und subtalaris. Gegen die Wende des Jahr-
tausends kommen dann beide allmählich außer Gebrauch, indem sie der Bezeichnung
sandalia Platz machen. Im 12. Jahrhundert ist die neue Benennung fast ausschließlich
üblich. Schon die Bullen des 11. Jahrhunderts, in welchen Äbten das Recht ver-
liehen wird, die liturgischen Schuhe zu tragen, reden mit verschwindenden Ausnahmen
nur noch von sandalia. Dieses Wort begegnet uns als Name der sakralen Fußbekleidung
zuerst im Norden. Sandalia heißt dieselbe z. B. schon bei Hraban, bei Amalar, bei
Walafried Strabo u. a., während der S. G. K. den liturgischen Schuh noch campagus
bzw. subtalaris nennt. Der Name Sandalia dürfte sich, wie sich aus den Aus-
führungen Hrabans ergibt, an Mk 6, 9 anlehnen. Immerhin mag auch die sandalen-
artige Form des Schuhes, von der später die Rede sein wird, zum Aufkommen der
Bezeichnung beigetragen haben.
Der älteste Name für den sakralen Strumpf bzw. die unmittelbar über den
Füßen getragene, bis zu den Knieen reichende innere Fußbekleidung ist u d o (o d h o,
odo). Das Wort kommt im klassischen Latein nur selten vor. Bei Martial (Epigr.
14, 140) bedeutet es wohl einen Filzschuh. Diokletians Maximaltarif zählt die udones
zu den Gewandstücken, welche der braecarius, der Hosenmacher, Schneider, anfertigte *.
Ulpian rechnet sie nicht zu den vestes, sondern zu den calceamenta -. Als terminus
technicus der inneren Fußbekleidung erhielt sich das Wort bis gegen das zweite Jahr-
tausend; dann verschwindet es, um der Bezeichnung caliga Platz zu machen. Caliga
bezeichnete bei den Römern den Soldatenschuh und noch in den Regeln des hl. Benedikt
und des Magisters einen schweren Winterschuh 3. Später verknüpfte man aber mit
ihm die Bedeutung Strumpf, und es wurde dann caliga der Sondername für den ponti-
fikalen Strumpf. Wie es seheint, geschah letzteres gleichfalls zuerst im Norden.
So wiederholt sich auch bei der liturgischen Fußbekleidung, was sich schon bei andern
zum Kultus gehörenden Gewandstücken wahrnehmen ließ, daß eine dem Ursprung
nach außerrömische Benennung zu Rom Eingang findet und die dort gebräuchliche
Bezeichnung allmählich ganz verdrängt. Die Caligae hießen übrigens im späteren Mittel-
alter auch wohl sotulares (soculares), verderbt aus subtalares ; so in einem Inventar
von Angers: Duo paria sandaliorum cum socularibus; ferner in einem Schatzverzeichnis
von Amiens (1347): sandalia pontificalia de dyaspreto rubeo cum sotularibus — et
sunt sotulares ipsi operati de auro cum nodulis et armis Franciae et Navarrae und
in den Gesta der Bischöfe von Le Mans 4, wo berichtet wird, Gottfried von London
habe der Kathedrale sandalia et sotulares rubei serici, auri preciosorumque lapidum
varietate distincta geschenkt.
III. DIE LITURGISCHE FUSSBEKLEIDUNG AUSSERHALB ROMS
BIS ZUM XL JAHRHUNDERT.
Am frühesten begegnen uns campagi und udones in der Mailänder
Kirche, früher noch als selbst in Rom. Denn es ist gewiß nicht Zufall, wenn
auf dem Mosaik in der Kapelle des hl. Satyrus (5. Jahrhundert) nur Am-
brosius und Maternus, nicht aber die neben ihnen stehenden hll. Gervasius,
Protasius, Nabor und Felix mit solchen ausgestattet sind, letztere vielmehr
bloße Füße und die gewöhnlichen Sandalen aufweisen. Die Fußbekleidung
soll ersichtlich den Stand der beiden heiligen Bischöfe andeuten.
In Sizilien bedienten sich die Diakone von Messina des campagus
seit etwa der Mitte des 6. Jahrhunderts; zu Gregors d. Gr. Zeit aber hatten
Ebenso weist Rufinianus auf dem Fresko ' Mommsen-Blümner , Der Maximal-
in dem Cümeterium der Generosa, das nach tarif des Diokletian 113.
de Rossi vor 682 entstanden sein muß, die ■ Dig. 34, 2, 25, § 4.
gleiche Beschuhung auf ( Abbildung bei de 3 Benedict. Anian. Concordia regul. c. 62,
Rossi, Roma sott. III, tav. Li, besser bei § 1 28 (M. 103, 1229 f 1252).
Wilp., Kat. Tri 262). * C. 44 (Mabillon, Vet. Anal. III 390).
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
389
auch die Cantanenser Diakone angefangen, ihn zu tragen. Daß auch sizili-
anische Bischöfe damals von ihm Gebrauch machten, wird zwar nicht be-
richtet, ist aber sehr wahrscheinlich. Denn wenn sich Diakone auf Sizilien des
campagus rühmen konnten, so werden sich seiner erst recht die Bischöfe erfreut
haben. Wir hören überhaupt niemals davon, daß Rom Bischöfen die Erlaubnis
verlieh, sich seiner zu bedienen. Es scheint, daß diese dazu nie einer Er-
mächtigung bedurften.
Zu Bavenna müssen campagi und udones schon vor der Mitte des
6. Jahrhunderts sowohl beim Bischof wie auch bei den Diakonen in Be-
nutzung gewesen sein. Auf den Mosaiken in S. Vitale zu Ravenna und S. Apol-
linare in Classe, welche ca 547 und 567 entstanden, finden sie sich nämlich
nicht bloß bei den Bischöfen Maximian, Ecclesius, Ursicinus, es sind vielmehr
ebenso die Diakone Maximians in 8. Vitale mit ihnen ausgestattet.
Wie weit sie sonst noch in Italien im 6. und 7. Jahrhundert ver-
breitet waren, läßt sich nicht sagen1. Nach England mögen sie zugleich mit
dem römischen Ritus durch den hl. Augustinus gekommen sein2; doch fehlt
es an Nachrichten über ihre Verwendung daselbst.
Freilich soll im 3. Kapitel des Pönitentiale Theodors von Canterbury (f 690),
das seit dem 12. Jahrhundert in den Pontifikalien mehrfach dem Ritus der Abtsweihe
vorausgeschickt wurde, von der liturgischen Fußbekleidung die Eede sein 3. Es heißt
darin : In ordinatione abbatis episcopus debet missam cantare et eum benedicere . . .
et dat ei baculum et pedules. Indessen ist erstens die Autorschaft Theodors mehr
als fraglich. Dann aber scheint pedules ein Schreibfehler für regulas zu sein '. Ein
um 1200 entstandenes Pontifikale von Sens schreibt richtig : dat ei baculum et re-
gulam 5. Tatsächlich wird auch in keinem Formular für die Einsegnung der Äbte
der Übergabe einer besondern Fußbekleidung weiter gedacht ; wohl aber werden nach
allen dem Abte außer dem Stab, wie das auch sehr bezeichnend ist, die Ordensregeln
übergeben e. Drittens endlich, was sollen überhaupt die pedules im Kapitel Theodors
bedeuten? Unter den pedules wurde keine Schuhart, sondern die innere Fußbekleidung,
also eine Art von Strumpf verstanden. In diesem Sinne begegnet uns das Wort
wiederholt in den Mönchsregeln. Auch waren die pedules kein dem Abte ausschließlich
zustehendes Gewandstück. Vielmehr trugen alle Mönche dieselben, zumal zur Winters-
zeit 7. Allerdings kommen in späterer Zeit pedules hie und da, wenngleich nur sehr
1 In der Vita S. Fulgentii (t ca 529), die
von einem Schüler des Heiligen verfaßt
wurde , werden calceamenta clericorum er-
wähnt. Es ist darunter aber allem Anschein
nach keine sakrale , sondern eine außer-
liturgische Beschuhung der Geistlichen zu
verstehen. Es folgt das aus dem Gegensatz,
in welchem dieselben zur mönchischen winter-
lichen caliga und sommerlichen caligula
gesetzt werden. Der Biograph will nur sagen,
der hl. Fulgentius habe sich, seitdem er
aus einem Mönch Bischof geworden, aus
Demut weiterhin der den Mönchen eigenen
Fußbekleidung bedient. Sic studio humilitatis
ambitionem vestium fugit, ut nee ipsa calcea-
menta suseipiens clericorum aut ultimis
(vilissimis) caligis in tempore hiemis , aut
caligulis in tempore aestatis uteretur. Intra
monasterium sane interdum soleas aeeipiebat,
frequenter nudis pedibus ambulabat (c. 18
[M. 65, 136]).
2 Nach B e d a sandte Gregor d. Gr. dem
hl. Augustinus durch Mellitus, Justus, Pau-
linus und Rufinianus , die er dem Apostel
Englands zu Hilfe schickte, quae ad eultum
erant ac ministerium necessaria, darunter
auch sacerdotalia vel clericalia indumenta.
Auch übersandte er ihm das erzbischöfliche
Pallium, indem er gleichzeitig selbiges für
die demnächst zu kreierenden Metropoliten
von York und London (Canterbury) in Aus-
sicht stellte (Hist. eccl. 1. 1, c. 29 [M. 95, 69]).
3 Roh. VIII 179 u. a.
4 Vielleicht veranlaßt durch ein Mißver-
ständnis der angelsächsischen p, g und e.
5 Mart. 1. 2, c. 1, ordo 5; II 155. Vgl.
auch ebd. ordo 1 ; II 147 : dat ei regulam.
6 Hitt. 155. Mart. 1. 2, c. 1; II 146.
7 Cf. Benedict. Anian., Concordia regul.
c. 62 (M. 103, 1229 ff). Vgl. auch D. C. sub
pedules VI 246. Bei Ulpian (Dig. 34, 2,
25 , § 4) werden die pedules gleich den
390 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
vereinzelt, im Sinne der Pontifikalstrümpfe vor '. Indessen welchen Sinn hat eine
Übergabe der Pontifikalstrümpfe ohne die der Sandalen? Und dann kamen ja die
Pontifikalstrümpfe erst in weit späterer Zeit bei den Äbten in Gebrauch.
Ein imbegreifliches Mißverständnis ist es, wenn de Linas den ehrwürdigen Beda
von der liturgischen Fußbekleidung sprechen läßt. Bede (De fabernaculo), sagt der-
selbe 2, enumerant les habits de lin, qui doivent envelopper le corps du pretre, dit
au sujet des f'asciae crurales et pedules: Genua, ne ab orationis instantia
torpeant, tibias et pedes, ne ad malum currant. Beda redet an der fraglichen Stelle 3
von der Tunika, nicht von fasciae crurales et pedules. Auch spricht er nicht von
der Gewandung der christlichen, sondern der jüdischen Priester, bei denen es be-
kanntlich eine derartige Fußbekleidung nicht gab.
Die früheste Nachricht, die wir aus Gallien über eine liturgische Fuß-
bekleidung erhalten, findet sich in dem bereits erwähnten Dokument Stephans III.
vom Jahre 757, in welchem der Papst dem Abt Fulrad von St-Denis den
Gebrauch der udones und der subtalares gestattet.
Allerdings geschieht der subtalares schon in Urkunden der Bischöfe
Innocentius (f 541), Domnolus (f 552), Hadoindus (f 652) und Berarius
(f 678) von Le Mans Erwähnung4. Allein diese Schriftstücke sind nichts
als spätere Fälschungen zum Zwecke der Wahrung vermeintlicher Rechte0.
Unecht ist auch die von 667 datierte Schenkung Leodebods von Aniane
mit ihren sandalia duo ad missam6.
Im gallikanischen Ritus scheint es eine besondere Beschuhung nicht
gegeben zu haben, wenngleich es den Klerikern durch den 20. Kanon des
Konzils von Agde aus dem Jahre 506 7 und durch den 5. Kanon des Konzils
von Mäcon vom Jahre 583 8 untersagt worden war , calciamenta saecularia,
nisi quae religionem decent, anzuziehen.
Für die Aufnahme der liturgischen Fußbekleidung im Franken-
reich war die Reformtätigkeit Karls d. Gr. von höchster Bedeutung. Ein
Kapitular des Kaisers aus dem Jahre 789 beschäftigte sich unter anderem
auch mit den calciamentis secundum usum romanum 9. Leider ist von dem
betreffenden Kapitel nur mehr der Titel vorhanden, so daß es nicht hin-
länglich klar ist, ob es sich darin um eine sakrale oder eine profane Fuß-
bekleidung handelte; doch ist nach der Überschrift wie dem Zusammenhang-
kaum daran zu zweifeln, daß an die erstere gedacht ist.
fasciae crurales und den impilia (Filzsocken)
zu den vestes gerechnet, quia partem cor-
poris vestiunt.
1 So in zwei, allerdings wenig zuverlässigen
Bullen für S. Piefcro in Cielo d'Oro zu Pavia
(J. n. 3826 4233) und in einer Handschrift des
12. (nicht 11.) Jahrhunderts bei Gerbert,
Monum. liturg. alem. II 52.
2 Revue 1863, 241. So auch aus de Linas
Roh. VIII 179.
3 De tabernac. L. 3, c. 8 (M. 91, 480).
* Es heißt darin, das Kloster des hl. Carilef
zu Anisola (St-Calais-du-Desert, Mayenne)
solle jährlich an die Mutterkirche von Le
Mans außer andern Abgaben ad opus epi-
scopi . . . subtalares 2 entrichten (Mabillon,
Vet. Analect. III 85 105 163 181 233). Nicht
die Bischöfe hinterließen die subtalares den
Äbten des Klosters des hl. Carilef, wie
de Linas (Revue 1862. 620) sagt. Es hatten
diese vielmehr die subtalares zum Gebrauch
des Bischofs von Le. Mans jährlich zu liefern.
In der Bestätigungsurkunde Chilperichs,
welche derjenigen des Bischofs Domnolus
beigefügt ist, wird sogar ausdrücklich be-
merkt: et 2 subtalares ad missam cantandam
optimos (ebd. 107; cf. 184: duo subtalares
ad officium suum peragendum).
5 Paul Roth, Beneflzialwesen, Erlangen
1850, 451. Havet, Les chartes de St-Calais,
in Bibliotb. de l'Ecole des Chartes SLV1II
(1887) 5 f.
6 M. 88, 1188.
7 Hard. II 1000.
8 M. G. LL. sect. III, Conc. I 156.
9 Ebd. sect. II, Cap. I 64.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung. 391
Seit dem Ende des 8. Jahrhunderts ist in der Tat wiederholt von einer
liturgischen Beschuhung die Rede, zuerst bei Theodulf von Orleans1, dann
bei Hraban, Amalar, Walafried Strabo, Pseudo-Alkuin u. a. Von keinem wird
sie als spezifisch bischöflicher Ornat bezeichnet. Amalar redet sogar aus-
drücklich von den Sandalen des Bischofs, des Priesters, des Diakons und des
Subdiakons 2. Ein gleiches tut Pseudo-Alkuin, dessen Ausführungen indessen
zum größten Teil fast wörtlich von Amalar entlehnt sind.
Daß sich wirklich im 9. Jahrhundert im Frankenreiche nicht die Bischöfe
allein einer besondern Beschuhung beim heiligen Opfer bedienten, erhellt aus
Kapitel 371 des ersten Buches der Kapitularensammlung des Benedikt Levita:
„Ein jeder Priester soll das Meßopfer nach dem römischen Ordo in Sandalen
darbringen."3 Ein gleiches ergibt sich aus c. 105 der Kapitel Herards von
Tours aus dem Jahre 858, welches bestimmt, es sollten die Priester in San-
dalen die Messe feiern 4. Unklar ist, wohin die Tendenz dieser Bestimmungen
wie auch des Kapitulars Karls d. Gr. aus dem Jahre 789 ging. Wollte man
durch Einführung der römischen Fußbekleidung eine minder passende in
Gallien gebräuchliche beseitigen, oder hat man ihre Aufnahme vorgeschrieben,
weil man sie als Bestandteil des römischen Ritus ansah, oder sollte endlich
die Herübernahme der auszeichnenden römischen Beschuhung eine Ehrung für
den gallischen Klerus darstellen?
Übrigens kann die Verwendung einer sakralen Fußbekleidung seitens
der Priester und des übrigen Klerus im Frankenlande während des 9. Jahr-
hunderts nicht allgemein gewesen sein; denn die sandalia werden weder in
der sog. Admonitio synodalis noch in den Capitula Riculfs von Soissons unter
die Ornatstücke gerechnet, deren sich der Priester bei der Messe zu bedienen
und die er darum für die Feier des heiligen Opfers vorrätig zu halten hatte.
Zudem muß die sakrale Beschuhung spätestens im Verlauf des 10. Jahr-
hunderts bei dem niedern Klerus dort wieder außer Gebrauch gekommen sein,
wo sie etwa im 9. von ihm getragen zu werden pflegte. Denn die Sandalen
waren bereits um die Wende des Jahrtausends im Norden allgemein ein durch-
aus pontifikales Ornatstück geworden.
IV. DIE BESTANDTEILE DER LITURGISCHEN FUSSBEKLEIDUNG.
Wie die sakrale Fußbekleidung gegenwärtig aus zwei Stücken besteht,
so setzte sie sich auch schon im ersten Jahrtausend aus zwei Bestandteilen
zusammen, dem Schuh und der inneren Umhüllung des Fußes.
Man hat freilich gesagt, von den Pontifikalstrümpfen sei erst bei Ivo
von Chartres (f ca 1117) die Rede, und es habe die liturgische Fußbekleidung
im 9. Jahrhundert nur in Sandalen bestanden3. Beides ist jedoch durchaus
unzutreffend.
Von den Caligae redet nicht erst Ivo, sondern schon 1046 Klemens II.
in seinem Schreiben an den Abt von Fulda und das Sakramental- von Corbie
gegen das Ende des 10. Jahrhunderts. Usum sandaliorum , caligarum ac
dalmaticarum . . . cunctis . . . abbatibus . . . abradentum omnino iubemus, sagt
1 Carm. 1. 5 , n. 3 (M. 105, 355): Linea 3 Baluzius, Capit. reg. Franc. I 903;
crusque pedesque tegaut talaria nt apte, qui M. 97, 750.
super, addatur campagus ipse decens. 4 Ebd. I 1293; M. 121, 771.
2 De eccles. off. 1. 2, c. 26 (M. 105, 5 ßealenc. II 215. Vgl. auch Hef., Beitr.
110). II 221 und Thalliofer 893.
392 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füf3e u. des Kopfes.
Klemens1; das Sakramental- aber bemerkt: Prius quidem minister deferat
caligas usque ad genua tendentes . . . deinde minister det sandalia2. Es
werden die Caligae sogar bereits im Testament Riculfs von Eine (f 915)
(caligae et sandalia paria duo) und dreiviertel Jahrhundert früher in einem
Inventar von St-Riquier erwähnt (sandalia cum caltionibus [= caligis]).
Ebenso rechnet schon Amalarius mit ausdrücklichen Worten ein Linnen
(linum calceamenti), womit die Füße bekleidet würden (quo pedes vestiuntur) 3,
zur sakralen Beschuhung. Noch etwas früher unterscheidet Theodulf von Orleans
in seiner Ermahnungsrede an die Bischöfe klar und bestimmt zwischen dem
eigentlichen Schuh und der inneren Umhüllung des Fußes und des Schienbeins
(linea crusque pedesque tegant talaria) und dem darüber befindlichen campagus
(ut apte, qui super, addatur campagus ipse decens). Beide Bestandteile der
sakralen Fußbekleidung werden ferner bereits in Konstantins Constitutum, im
Privileg Stephans für den Abt Fulrad und im St Gallener Kleiderkatalog erwähnt.
Auch auf den Mosaiken zu Rom, Ravenna und Mailand sind beide auf das
deutlichste erkennbar. Man betrachte nur Papst Paschalis I. auf den musivischen
Darstellungen in S. Cecilia, S. Maria in Domnica und S. Prassede, und die
Päpste Gregor IV. und Markus samt den Diakonen Felicissimus und Agapitus
auf denjenigen in S. Marco zu Rom; dann die Bilder Honorius' I. und Symma-
chus' in S. Agnese fuori le Mura, des Erzbischofs Maximian und seiner Ministri
in S. Vitale zu Ravenna und der hll. Ambrosius und Maternus in S. Satiro zu
Mailand. Das gleiche gilt von den Cömeterialfresken, wie z. B. der Darstellung
des hl. Vincentius in der Katakombe des Pontian und des hl. Kornelius in
S. Callisto. Nirgends ist der Fuß bloß und lediglich mit einer Sandale ver-
sehen, wie das bei den Darstellungen Christi und der Apostel die Regel ist.
Überall besteht die Fußbekleidung vielmehr aus einer weißen Bedeckung, die
sich fest um den Fuß, das Gelenk und das Schienbein legt -- den udones — ,
und dem Schuh - - dem eigentlichen calceamentum oder campagus.
Unter diesen Umständen hat es offenbar nichts zu bedeuten, wenn Gregor der
Große im Schreiben an Johannes von Syrakus nur vom campagus, oder Hraban,
Pseudo-Alkuin, Walafried und Pseudo-Beda nur von den sandalia reden. Die
udones waren ein selbstverständliches und zugleich minder bedeutsames Zu-
behör des Schuhes. Daher gehen Hraban, Pseudo-Alkuin und Walafried in
ihren sehr kurzen Ausführungen über die liturgische Beschuhung nur auf die
Sandalen ein. Gregor aber wird unter dem campagus als dem vorzüglicheren
Teile die ganze Fußbekleidung verstehen. Wie wenig sein und der andern
Schweigen ein Beweis gegen den Gebrauch der udones ist, folgt aus dem
Umstände, daß noch in den päpstlichen Bullen des 11., 12. und 13. Jahr-
hunderts fast niemals die caligae, sondern nur die sandalia erwähnt werden.
Allein sagt man nicht, daß „Hraban und Pseudo-Alkuin die Existenz der bischöf-
lichen Strümpfe geradezu in Abrede stellen"1? Allerdings, doch mit Unrecht.
Denn wenn Pseudo-Alkuin schreibt: Est autem genus calceamenti, quo induuntur
ministri ecclesiae, subterius quidem solea muniens pedes a terra, superius vero nil
operimenti habens patet '', so ist damit nur gesagt, daß die Sandalen eine Art von
1 M. 142, 580. praedicandum; c. 26: Calceamenti linea pro-
2 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 11; hibitio pedum ad malum i'estinandos, san-
I 203. dalia ornatus iter praedicatoris (M. 105,
3 De eccles. off. 1. 2, c. 18: Sicut per linum, 1095 1102).
quo pedes vestiuntur, castigatio pedum * Hef. , Beitr. II 221.
significatur, ita per sandalia profectus ad 5 De divin. offic. c. 89 (M. 101, 1242).
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
393
Beschuhung seien, welcher das Oberleder fehle (nil operimenti habens). Wenn aber
Hraban bemerkt: Sicut ergo sandalia partem pedis tegunt, partem inopertam relinqunnt,
so bedeutet das ersichtlich bloß, die Sandalen bedeckten den Fuß nur zum Teil (näm-
lich unten), nicht aber, sie würden über den nackten Fuß angezogen und ließen diesen
demgemäß oben entblößt zum Vorschein kommen. Aber heißt es nicht bei Hraban
mit klaren Worten unmittelbar vorher : Hoc calceamentum mysticam significationem
habet, ut neque pes sit tectus, neque nudus ad terram, i. e. ut nee oecultetur
evangelium, nee terrenis commodis innitatur l ? Gewiß ; allein auch Amalarius be-
merkt: Sandalia subtus cooperiunt pedem, desuper nudum relinquunt, während er
doch zu gleicher Zeit und fast in demselben Atemzuge von einem Linnen redet, wo-
mit die Füße bekleidet würden (linum, quo pedes vestiuntur). Hraban und Amalar
wollen nur sagen, daß der sakrale Schuh so beschaffen sei, daß er nicht den ganzen
Fuß, sondern die Fußsohle allein vollständig bedecke.
V. BESCHAFFENHEIT DER BEIDEN BESTANDTEILE DER LITUR-
GISCHEN FUSSBEKLEIDUNG BIS ZUM XI. JAHRHUNDERT.
Die u d o n e s haben auf den Monumenten stets eine weiße Farbe 2.
Wie das Constitutum, Theodulf von Orle'ans und Amalar angeben, be-
standen sie aus Linnen. Wie lange sie ein bloßes Tuch
blieben, das um das Bein geschlagen wurde, und wann
sie die Gestalt eines Strumpfes erhielten, läßt sich nicht
bestimmen. Im 10. Jahrhundert, d. i. zur Zeit, in wel-
cher die Bezeichnung caliga in Gebrauch kommt, hatten
sie jedenfalls Strumpfform , aber auch im 8. und 9.
war das, dem Namen udo nach zu urteilen, wohl schon
der Fall.
Der Schuh, welcher bis ins 10. Jahrhundert im
wesentlichen auf den Bildwerken dieselbe Form aufweist,
ist weder eine Sandale, wie sie auf den altchristlichen
Monumenten auftritt, noch allseitig geschlossen (Bild 189).
Er besteht, aus einer Sohle, aus niedrigen, vielfach kaum
bemerkbaren Seitenstücken, einer Kappe, welche die Ferse
umschließt, und einem Oberleder, das nur eben die Spitze
des Fußes bedeckt. Behufs Befestigung sind an dem Schuh
verschiedene Riemen angebracht. Kreuze sind auf den
Vorderstücken nicht vorhanden3, doch findet sich auf ihnen
wohl ein T-, ein lanzett- oder ein lilienförmiges Ornament,
in welches entweder das Oberleder ausläuft oder welches
wie in dieses hineingeschnitten ist. Die Farbe der Schuhe
ist auf den Monumenten überall die schwai'ze, selbst bei „ '
den Bildern der Päpste. Rote Sakralschuhe sind also im Mosaik,
ersten Jahrtausend noch nicht in Gebrauch gewesen. Eom, s. Marco.
1 Die Worte Hrabans sind der Erklärung
des ehrw. Beda zu Mk 6, 9 entnommen (M. 92,
187). Es ist dort von den Sandalen der Apostel
die Rede. Aus Beda haben überhaupt die
mittelalterlichen Liturgiker manches geholt ;
doch haben sie nicht immer darauf geachtet,
ob das, was sie ihm entnahmen, genau passe.
2 Vgl. außer den S. 392 angeführten Bild-
werken auch die früher wiedergegebenen
Miniaturen einer Handschrift der Vallicelliana
zu Rom und des Codex Reg. 124, f. 3b
der Vaticana (Bild 125, S. 267 imd Bild 96,
S. 214).
3 Die Kreuze, welche jetzt die Schuhe der
Päpste Honorius und Symmachus auf dem
Mosaik in S. Agnese schmücken , sind ganz
neuen Datums (de R o s s i , Mus. fasc
III IV.
394 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Hraban sagt von der Beschaffenheit der liturgischen Schuhe nur sehr
wenig. Wir entnehmen ihm bloß, daß diese oben offen Avaren und infolge-
dessen den Kücken des Fußes unbedeckt ließen. Walafried schweigt ganz
von ihr. Ausführlich beschäftigt sich dagegen Amalar mit den Einzelheiten
der Sandalen, so daß wir durch ihn ein ziemlich vollständiges Bild der sakralen
Beschuhung des 9. Jahrhunderts erhalten1.
Hiernach waren damals die liturgischen Sandalen im Äußern schwarz, im Innern
aber mit weißem Leder gefüttert. Oben, wo der Fuß in den Schuh eintrat, war das
schwarze äußere und das innere weiße Leder mit vielen Fäden vernäht, damit sie sich
beide beim Gebrauch nicht voneinander lostrennen könnten. Im einzelnen unterscheidet
Amalar bei der sakralen Beschuhung drei Hauptteile: die Sohle, die von der Sohle rück-
wärts aufsteigende Kappe und das den Fuß vorn deckende Oberleder. Dazu kamen
ein Stück weißen Leders, das zwischen Sohle und Fuß lag, und das weißlederne Futter.
Auf dem Oberleder befanden sich drei vom Schuster angebrachte Streifen, von denen
einer über die Mitte des vorderen Teiles des Fußes bis zu dessen Spitze lief, die andern
beiden aber an den Seiten aufstiegen und sich bis zum Besatz in der Mitte erstreckten.
Die Zeichnung, welche Amalar von der sakralen Beschuhung entwirft, entspricht
im wesentlichen dem Bild, welches die Mosaiken und Fresken zu Bom, Ravenna und
Mailand gewähren (Bild 62, S. 158; 63, S. 159; 64, S. 160; 189, S. 393). Es ist fast,
als ob der Metzer Chorbischof diese bei seiner Beschreibung vor Augen gehabt hätte.
Die Sandalen Amalars sind offenbar nichts anderes als die zu Bom übliche liturgische
Fußbekleidung der Geistlichen, die mit dem römischen Ritus auch ins Frankenreich kam.
Auffallend ist, daß auf den allerdings nicht zahlreichen fränkischen Bild-
werken des 9. Jahrhunderts bei den Geistlichen eine Fußbekleidung, wie sie von
Amalar beschrieben wird, kaum je vorkommt, selbst da nicht, wo dieselben mit litur-
gischen Handlungen beschäftigt sind. Sollten damals Sakralschuhe von der Form
der römischen campagi diesseits der Alpen nur erst wenig verbreitet gewesen sein,
oder haben wir den Mangel auf Rechnung der Schöpfer der fraglichen Darstellungen
zu setzen? Daß dieselben sich Freiheiten gestattet, ist unverkennbar, da die Schuhe
nicht einmal immer oben offen sind, was doch nicht bloß nach Amalar, sondern auch
nach Hraban und Pseudo-Alkuin der Fall gewesen sein muß.
Amalar unterscheidet zwischen den sandalia des Bischofs und Diakons
einerseits und denen des Priesters und Subdiakons anderseits. Wirklich
machte man im 9. Jahrhundert zu Rom einen derartigen Unterschied. Denn
nach den Angaben des St Gallener Kleiderverzeichnisses trugen der Papst, die
Bischöfe und die Diakone campagi, die Priester und Subdiakone subtalares.
Die odhones, die innere Fußbekleidung, war bei allen gleich.
Worin die Verschiedenheit der campagi und subtalares bestanden, sagt
uns Amalar in seiner Beschreibung der liturgischen Fußbekleidung. Hiernach
1 De eccles. off. 1. 2, c. 25 (M. 105, 1100) :
Solea . . . subtus est. . . . Lingua de corio
albo, quae subtus calcaneum est. . . . Lingua,
quae inde surgit et est separata a corio san-
daliorum. . . . Lingua superior. . . . Intrin-
secus de corio albo circumdata sunt san-
dalia . . . extrinsecus nigrum apparet. . . .
Superior pars sandaliorum, per quam pes in-
trat, multis filis consuta est, ut non sepa-
rentur duo coria. . . . Linea opere sutoris
facta procedens a lingua sandalii (nämlich
der lingua sandaliorum quae super pedem
est) usque ad finem eius. . . . Lineae pro-
cedentes ex utraque parte . . . ipsae recapitu-
latae sunt ad medianam lineam, quae usque
ad finem currit. . . . Corrigias supererogatas
sandaliis, quae manibus huc illucque ducuntur,
ut ligentur. Zum Verständnis der an sich
nicht gerade klaren Ausführungen Amalars
trägt viel die mystische Deutung bei, welche
dieser mit den einzelnen Angaben verbindet.
Bock (a. a. 0. II 5) versteht unter der linea
opere sutoris facta die innere linnene Fuß-
bekleidung. Dem widerspricht indessen die
Beschreibung, welche Amalar von den lineae
gibt. Dieselben bedeuten an der fraglichen
Stelle wohl einen vom Schuster vorn auf
dem Oberleder angebrachten Streifen.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
39c
unterschied sich der Schuh des Bischofs und des Diakons von demjenigen
des Priesters und des Subdiakons durch das Vorhandensein bzw. den Mangel
einer ligatura, also eines besondern Bund- oder Riemenwerkes K Wir haben
uns demnach die subtalares wohl als mehr niedrige Schuhart nach Weise
unserer Pantoffel zu denken. Dazu paßt auch, was wir sonst von den sub-
talares hören 2. In der Tat trägt der Subdiakon Juvenianus auf der schon
erwähnten Miniatur einer Handschrift der Vallicelliana eine pantoffelartige
Beschuhung, während der hl. Laurentius als Diakon Schuhe mit Riemen von
der Art der campagi an den Füßen hat (Bild 125, S. 267).
Pontifikale Fußbekleidungen, die auch nur mit einiger Sicherheit dem ersten
Jahrtausend zugeschrieben werden könnten, fehlen.
Die Sandale des hl. Silvester I., welche in S. Martino ai Monti zu Rom auf-
bewahrt wird, dürfte erst dem 13. Jahrhundert entstammen. Älter mag der Rest
eines Pontifikalschuh.es des heiligen Papstes Martin sein, welcher ebendort gezeigt
wird 3. Doch wird auch er seiner Beschaffenheit zufolge schwerlich dem ersten
Jahrtausend angehören. Die Überbleibsel eines Schuhes, welche als Reliquie des
hl. Amon, zweiten Touler Bischofs (Ende des 4. Jahrhunderts), in St-Gengoul zu
Toul aufbewahrt werden, bieten wenig Anhaltspunkte für eine Datierung. Die Durch-
brüche des Oberleders scheinen auf das 11. und 12. Jahrhundert hinzuweisen J.
Drei Sandalen und zwei Paar Caligae, welche sich zu Delsberg bei Basel finden,
sollen von dem heiligen Abt Germanus von Moutier-Granval (f ca 677) herrühren;
sie würden demnach ins 7. Jahrhundert hinaufreichen 5. Die Zueignung ist jedoch
ein Anachronismus, da zu Lebzeiten des Heiligen die Abte sich noch nicht der Pon-
tificalia erfreuten. Die Strümpfe sind nach Ausweis ihrer Beschaffenheit frühestens
im 12., ein Paar vielleicht erst im 13. Jahrhundert entstanden. Von den Sandalen mag
eine noch dem 11. Jahrhundert entstammen; die beiden andern aber, welche ein Paar
bilden und in der Form durchaus verwandt mit den Pontifikalschuhen sind, die man
im Grabe des Bischofs Konrad IL von Worms (f 1192) antraf, werden etwa in die
zweite Hälfte des 12. zu setzen sein. Daß die Sandalen und Caligae dem hl. Germanus
zugeschrieben werden, mag vielleicht daher kommen, daß die Reliquien des Heiligen
ehedem mit ihnen bekleidet waren.
Zu Mederzell auf der Reichenau endlich gab es vordem ein Paar Sandalen,
welche Abt Gerbert von St Blasien (f 1798) seinerzeit als Pontifikalschuhe des heiligen
Bischofs Egino von Verona (f 802), des Gründers von Niederzeil, bezeichnen zu
dürfen glaubte. Er fand sie durch Zufall im Pfarrhause daselbst6; eine Tradition
kann es also zu seiner Zeit in Betreff des Sandalenpaares nicht gegeben haben.
Gerbert meint, es sei unzweifelhaft dem Grabe des hl. Egino in der Mitte der Apsis
der Kirche entnommen worden, wie solches ja auch in andern Fällen geschehen sei.
Allein irrtümlicherweise ; denn die campagi (sandalia) waren im 9. Jahrhundert von
schwarzer Farbe, wie sowohl die Monumente als die ausdrücklichen Angaben Amalars
bezeugen, während die Sandalen zu Niederzell aus rotem Leder bestanden. Was ihre
1 De eccles. off. c. 25 (M. 105, 1100) : Epi-
scopus habet ligaturam in suis sandaliis,
quam non habet presbyter . . . diaconus
ipse ligaturam habet (sc. in sandaliis) . . .
subdiaconus . . . necesse est, ut habeat dis-
similia sandalia, ne forte aestimetur dia-
conus.
2 D. C. sub subtalares VII 639. Isidor
von Sevilla sagt in seinen Etymologien
(1. 20, c. 34 [M. 82, 705]): subtulares (sc.
vocantur) quod sub talo sunt, quasi sub-
talares.
3 Skizzen der beiden Sandalen bei Roh.
VIII, pl. DCLXXVII.
4 Ebd. pl. dclxxvi und 182.
5 Skizzen der Schuhe ebd. pl. dclxxvi und
DCLXXVII.
6 Gerbert, Vetus Liturg. alemann. I 252
(mit Abbildung) : Casu in aedibus parochiali-
bus cellae inferioris in insula Augiae divitis re-
perimus. . . . Sandalia a nobis reperta aerique
incidi curata, componuntur uno ex corio abs-
que elevatiori solea . . . coriumque molle est,
ubique sibi simili colore, uti videtur, puniceo.
396 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Form anlangt, so waren sie mit dem Sandalenpaar von Delsberg sehr nahe verwandt.
Sie werden deshalb wohl derselben Zeit wie dieses , d. i. der Spätzeit des 1 2. Jahr-
hunderts, zuzuweisen sein '.
VI. DIE TRÄGER DER SANDALEN UND CALIGAE SEIT DEM ENDE
DES ERSTEN JAHRTAUSENDS.
Bei den Liturgikem des 12. Jahrhunderts hat die liturgische Fußbekleidung
durchaus den Charakter eines bischöflichen Gewandstückes; so um den Beginn
des Jahrhunderts bei Ivo von Chartres, Bruno von Segni, Rupert von Deutz
und Honorius, im weiteren Verlaufe desselben bei Robert Paululus, sowie den
Verfassern des Speculum de mysteriis ecclesiae und des Tractatus de sacra-
mento altaris, gegen 1200 endlich bei Sicard von Cremona und Innozenz III.
Die sakrale Beschuhung war allzeit vornehmlich ein bischöfliches
Ornatstück; zu einem den Bischöfen vorbehaltenen wurde sie indessen erst,
wie es scheint, im Verlauf des 10. Jahrhunderts. Die Bullen, in welchen
seit etwa der zweiten Hälfte desselben Äbten und andern hervorragenden
Geistlichen die Ermächtigung zu teil wird, sich der Sandalen zu bedienen,
beweisen mit aller Bestimmtheit, daß die liturgische Fußbekleidung damals
bereits den Charakter eines privilegierten bischöflichen Ornatstückes erlangt
hatte. Auch ein ebenso interessantes wie lehrreiches Vorkommnis, von welchem
Hermannus Contractus berichtet 2, bezeugt das.
Berno, Abt von Reichenau, so erzählt dieser, habe 1032 von Johannes XIX.
die Bestätigung der Privilegien seines Klosters erhalten. Dabei sei ihm denn auch
insbesondere wieder gestattet worden, sich bei der Meßfeier der Sandalen zu bedienen.
Darüber sei aber Warmann, Bischof von Konstanz, in dessen Sprengel Reichenau lag,
sehr zornig geworden und habe den Abt bei Kaiser Konrad als sui pervasor officii
et honoris verklagt. Zuletzt sei Berno wirklich gezwungen worden, Privileg und
Sandalen an Warmann auszuliefern, damit sie auf der nächstfolgenden Gründonnerstags-
synode öffentlich, verbrannt würden.
In Rom waren um dieselbe Zeit die Sandalen und Caligae nur mehr
bei den Kardinalbischöfen, Kardinalpriestern und Kardinal-
diakonen im Gebrauch. Wir erfahren das aus einem Schreiben Riemens1 IL
an den Abt von Fulda 3.
Der Abt von Fulda hatte sich an Papst Klemens IL mit der Bitte um Be-
stätigung der Privilegien seines Klosters gewandt. Auf dieses Ansuchen antwortet
nun der Papst 1046 mit den bezeichnenden Worten: „Den Gebrauch der Sandalen,
der Caligae und der Dalmatik , welcher durch die heiligen Kanones Deinem Ordo
untersagt ist, wollen Wir kraft apostolischer Autorität nicht bloß bei Dir und Deinen
Kachfolgern, sondern überhaupt bei allen lebenden und zukünftigen Äbten der Klöster
auf dem ganzen Erdenrund durchaus abgeschafft wissen, wenngleich es einige Päpste
auf diesem Stuhle gegeben hat, welche, durch die Tyrannei der Schlechten ge-
zwungen, unziemlicherweise das Eurer und verschiedenen andern Kirchen gewährt
haben, was der heiligen Väter Satzungen ersichtlich zuwider ist. . . . Fast die ganze
Welt weiß, daß unsere Bischöfe, Kardinalpriester und Kardinaldiakone besonderer
1 F. X. Kraus bezeichnet in seinen Kunst- nach St Blasien gebracht, um dort abgezeichnet
denkmälern des Großherzogtunis Baden, Kreis und dann in der Liturgia alemannica wieder-
Konstanz I 300, denen man allerdings größere gegeben zu werden. Wie dem Verfasser
Genauigkeit zutrauen sollte, mit ausdrück- auf der Reichenau mitgeteilt wurde, sind sie
lieben Worten die Sandalen als noch vorhanden, seitdem nicht mehr nach Niederzell zurück-
tatsächlich aber sind diese bereits seit ca 140 gekommen.
Jahren nicht mehr auf der Reichenau. Sie : Chron. ad ann. 1032 (M. 143, 235).
wurden nämlich seinerzeit von Abt Gerbert s M. 142, 580.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
397
Auszeichnungen sich erfreuen, welche derartigen Rangstufen anderer Kirchen nicht
zustehen. . . . Wenn es Unsere Vorgänger für angebracht erachtet hätten, so würde
gewiß die Abtei St Paul, welche dem römischen Stuhle weit näher steht und be-
freundeter ist als alle andern, das Vorrecht der Dalmatik und Sandalen genießen.
Was also St Paulus nicht von St Petrus erbittet, sollen erst recht die übrigen jüngeren
Heiligen von Uns nicht zu erlangen trachten."
Fragt man, wie es geschehen sei, daß die liturgische Fußbekleidung zu
Rom ein Vorrecht der Kardinäle wurde und bei den andern Klerikern außer
Gebrauch geriet, so wird man wohl den Grund für diesen Wandel in da-
gegen die Neige des Jahrtausends mächtig steigenden Bedeutung der römischen
Kardinäle zu sehen haben. In der Tat, je mehr diese aus der Schar der
Geistlichen hervortraten, je mehr sie an Einfluß und Ansehen vor dem übrigen
Klerus zunahmen, um so mehr mußte es für sie zu Auszeichnungen und
Privilegien kommen. Die hervorragende Stellung, welche die Kardinäle all-
mählich gewonnen hatten, konnte unmöglich ohne mancherlei Ehrenrechte
bleiben, und das nicht bloß im gewöhnlichen Leben, sondern mehr noch bei
den kirchlichen Funktionen, bei welchen ja die Kardinäle als die eigentlichen
Gehilfen des Papstes erschienen.
Außerhalb Roms kann, wie schon bemerkt wurde, eine besondere litur-
gische Beschuhung bei der niedern Geistlichkeit nicht allgemein, ja kaum
weit verbreitet gewesen sein K Hier hatte es somit keine Schwierigkeit, daß
sie nach und nach ein Vorrecht der Bischöfe wurde. Daß solches aber tat-
sächlich geschah, darauf mag neben andern Ursachen insbesondere der Wandel
von Einfluß gewesen sein, der sich zu Rom hinsichtlich der Träger der
liturgischen Fußbekleidung vollzog.
Übrigens verblieb nicht einmal den Kardinaldiakonen auf die Dauer
der usus sandaliorum et caligarum. Sie scheinen diesen sogar schon im Be-
ginne des 12. Jahrhunderts nicht mehr besessen zu haben, da Ivo von Chartres
die Sandalen nur den Bischöfen und den Kardinalpriestern zuweist 2. Sicher war
das bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts der Fall. Denn nach
dem auf Befehl Gregors X. herausgegebenen Ordo durfte selbst ein zum Papst
erwählter Diakon beim Empfang der Priesterweihe noch nicht die liturgischen
Schuhe und Strümpfe tragen °. Es hat sich also die jetzige Praxis, wonach
von den Kardinälen nur die Kardinalbischöfe und Kardinalpriester sich der
Sandalen und Caligae bedienen dürfen, nicht erst beim Ausgange des Mittel-
alters oder gar in der Neuzeit gebildet.
1 Eine interessante Notiz über die bei der
Messe zu tragenden gewöhnlichen klerikalen
Kleidungsstücke findet sich bei Gilbert
von Limerick, De statu ecclesiae (M. 159,
1001) : Quotidiana ad missam ut paucissima
quattuor, camisia, tunica, femoralia, calcea-
menta. Adduat tarnen Romani caligas. In
Irland bestand also die klerikale Tracht, die
der Priester bei der Messe unter und außer
der liturgischen Gewandung zu tragen hatte,
aus einer klerikalen Albe, dem Bock, Bein-
kleidern und Schuhen. Nach römischem Brauch
kamen Strümpfe hinzu.
2 Sermo 3 (M. 162, 525): Utuntur episcopi
et cardinales presbyteri sandaliis.
3 N. 6 (M. 78, 1107); vgl. auch ordo 14,
c. 103: De ordinatione diaconi cardinalis, wo
zwar der Mitra, nicht aber der Sandalen ge-
dacht wird (ebd. 1233). Auffallen könnte
allerdings, daß noch Eugen III. dem Erz-
bischof Arnold von Köln 1151 das Privileg
erteilt, ut Septem presbyteri cardinales in
praedicta ecclesia (sc. Coloniensi) ordinentur,
qui induti dalmaticis et mitra ornati ad
principalia duo altaria eiusdem ecclesiae cum
totidem diaconis, quibus sandaliorum usuni
concedimus , missarum sollemnia in festivis
diebus tantummodo administrent (J. n. 9515).
Indessen handelt es sich hier nur um Be-
stätigung eines bereits durch Leo IX. 1052
verliehenen Privilegs. (Wegen der Echtheit
der Bulle Leos IX. s. oben S. 257 Anm. 5.)
398 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
VII. VERLEIHUNG DER PONTIFIKALEN FUSSBEKLEIDUNG AN
NICHTBISCHÖFE.
Wenn Stephan III. 757 dem Presbyter Fulrad, Abt von St-Denis, die
udones und subtalares gewährte, so bedeutete das für diesen nur eine durch-
aus persönliche Auszeichnung. Der Papst hebt ausdrücklich hervor, es solle
das Vorrecht in keiner Weise auch für die Nachfolger Fulrads gelten, viel-
mehr solle die ihm zu teil gewordene Beschuhung nach seinem Ableben zu-
gleich mit seiner Leiche dem Grabe übergeben werden. Das Privileg blieb
auch, wie es scheint, für die nächsten zweihundert Jahre eine ganz ver-
einzelte Erscheinung, vielleicht weil seit Karls Reformtätigkeit im Franken-
reiche die Priester glaubten, sich ohne besondere Ermächtigung der liturgischen
Fußbekleidung bedienen zu können.
Erst um das dritte Viertel des 10. Jahrhunderts begegnet uns eine neue
Verleihung des usus sandaliorum an Äbte, also um die Zeit, da die liturgische
Beschuhung einen ausschließlich pontifikalen Charakter erhalten hatte. Eben
damals stoßen wir auch wieder nach langem Zwischenraum auf einen Fall, in
dem Diakone das Recht erhalten, sich der sakralen Fußbekleidung zu bedienen.
Die Verleihungen sind vor dem Beginn des neuen Jahrtausends nicht
zahlreich. Johannes XIII. gestattet 970 dem Abte des St Vinzenzklosters
zu Metz1, Benedikt VII. 975 den Kardinalpriestern und Kardinaldiakonen
von Trier2, Johannes XV. 990 dem Abt Folcuin von Lobbes3 und 994 Hatto
von Fulda4, Gregor V. 998 Alavicus von Reichenau und dessen Nach-
folgern5, Silvester IL 999 Erkanbald von Fulda6 den usus sandaliorum.
Häufiger werden die Privilegien im 11. Jahrhundert. 1012 erlaubt
Benedikt VIII. das Tragen der Sandalen zwölf Kardinalpriestern und sieben
Kardinaldiakonen der Kirche von Magdeburg7. Johannes XIX. gewährt
dann 1031 Berno von Reichenau8 das Vorrecht, während Leo IX. es 1049
den Kardinalpriestern und Kardinaldiakonen von Trier 9, 1050 Fulco von Corbie 10,
1052 den Kardinalpriestern, Kardinaldiakonen und Kardinalsubdiakonen der
Kölner Metropolitankirche n, 1054 Albuvinus von Nienburg an der Saale 12
zugesteht. Viktor IL erlaubt den usus sandaliorum 1057 Friedrich von
Monte Cassino 1S, Alexander IL 1063 Egelsinus vom St Augustinuskloster
zu Canterbury u, 1069 Reinbert von Echternach 15, 1070 Benediktes von S. Pietro
in Cielo d' Uro zu Pavia 16, Gregor VII. 1078 Manasses von Bergues 17 und
Urban IL 1088 Hugo von Cluny 1S. Sehr zahlreich sind die Zuwendungen
im 12. Jahrhundert 19.
Wenn die Bullen des 11. und 12. Jahrhunderts, in welchen Nichtbischöfen der
usus sandaliorum gewährt wird, der Caligae fast gar nicht gedenken 20, so wird das
1 J. n. 3741. 2 EW. n. 3783.
3 Ebd. n. 3837. * Ebd. n. 3853.
5 Ebd. n. 3880. « Ebd. n. 3907.
' Ebd. n. 3989. Vgl. wegen der Echtheit
der Bulle oben S. 257.
8 Ebd. n. 4093. 9 Ebd. n. 4161.
10 Ebd. n. 4212.
11 Ebd. n. 4271 (doch nur die Sandalen, nicht
auch schon die Mitra).
12 Ebd. n. 4335. Nach dem Chron. Cass. 1. 2,
c. 79 (M. G. SS. VII 683) verlieh Leo IX.
die Sandalen auch Abt Richerius von Monte
Cassino. S. oben S. 368.
13 J. n. 4368. " Ebd. n. 4541.
15 Ebd. n. 4667. IS Ebd. n. 4679.
17 Ebd. n. 5090. Die Verleihung wird hier
indessen als zweifelhaft bezeichnet.
18 Ebd. n. 5372.
19 Vgl. z. B. ebd. n. 5891 6385 7211 9280
9439 9515 9749 10594 12861 14469 14492
14503 17418.
20 Sie werden nur in den Bullen Johannes' XV.
und Leos IX. für S. Pietro in Cielo d'Oro
zu Pavia unter der auffälligen Bezeichnung
pedules bzw. udones i. e. licini sive pedules
erwähnt, während sie in den späteren Bullen
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung. 399
seinen Grund in dem Umstand haben, daß sie unter den sandalia als dem vornehmsten
und hauptsächlichsten Bestandteil die ganze pontifikale Fußbekleidung verstehen. Die
Caligae bildeten ja nach römischem Gebrauch kein für sich bestehendes Ornatstück.
sondern nur eine Ergänzung des pontih'kalen Schuhes. Wer von den sandalia redete,
dachte ohne weiteres auch an die innere Bedeckung des Fußes, und wer die Ermäch-
tigung erhielt, sich der Sandalia zu bedienen, hatte damit zugleich das Recht auf deren
Zubehör, die Caligae, bekommen. In den Verleihungsurkunden diese ausdrücklich zu er-
wähnen, mochte daher, weil es sich bei ihnen um etwas Selbstverständliches handelte,
überflüssig erscheinen. Daß unter den sandalia der päpstlichen Bullen aber wirklich beides,
die Pontifikalschuhe wie die Pontifikalstrümpfe, zu verstehen sind, ergibt sich beispiels-
weise aus einer Bulle Innozenz' III. für Abt Hamelin von Vendöme aus dem Jahre 1205 l.
Denn wenn es darin heißt: Sandaliorum usum , tunicae et dalmaticae, mitrae et
annuli, sicut eis presbyteri cardinales utuntur, vobis in perpetuum auctori-
tate apostolica confirmamus, so ist hier mit den Sandalen offenbar die ganze aus-
zeichnende Fußbekleidnug der römischen Kardinalpriester einschließlich der Caligae
gemeint. Es wäre auch höchst sonderbar, wenn Innozenz III. Hamelin die Schuhe,
die Tunika, die Dalmatik, den Ring und selbst die Mitra, nicht aber die liturgischen
Strümpfe der Kardinalpresbyter gewährt hätte. Übrigens spricht schon vor der Mitte
des 11. Jahrhunderts das Schreiben Klemens' IL an den Abt von Fulda nicht nur von
Sandalen, sondern auch von Caliga. , welche durch seine Vorgänger Abten zugestanden
worden seien.
Den nicht von Rechts wegen zum Gebrauch der pontifikalen Fußbekleidung
befugten Prälaten wurde der usus sandaliorum gerade wie der der andern Pontifikalien
bisweilen nur unter bestimmten Einschränkungen verliehen. So durfte der Abt von
S. Michele della Chiusa (Diözese Turin) sich der liturgischen Beschuhung nur an
Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Weihnachten, Epiphanie und den Festen der
Mutter Gottes, des hl. Michael und des hl. Benedikt bedienen ~.
Gegenüber der im 11. Jahrhundert stark zunehmenden Sucht mancher Abte,
wie die Bischöfe die liturgische Beschuhung zu gebrauchen, und der damit im Zu-
sammenhang stehenden eigenmächtigen Anmaßung dieses Rechtes sah sich eine Synode
von Poitiers aus dem Jahre 1100 zu dem ausdrücklichen Verbot veranlaßt: Ut nullus
abbatum utatur cirotecis, sandaliis, anulo, nisi quibus fuerit per Privilegium a ro-
mana ecclesia concessum 3.
VIII. BESCHAFFENHEIT DER SANDALEN UND CALIGAE VOM XL BIS
XIV. JAHRHUNDERT.
Was wir über die Beschaffenheit der pontifikalen Fußbekleidung bei den
Liturgikern des 12. und 13. Jahrhunderts vernehmen, gewährt nur ein frag-
mentarisches Bild derselben. Selbst die weitläufigen Ausführungen des Bischofs
von Mende deuten mehr die Veränderungen an, welche im Laufe der Zeit mit
derselben vorgegangen waren, als daß sie darüber klaren Aufschluß gewähren.
Zudem offenbart sich bei kaum einem andern Ornatstück in den Ausführungen
eines Honorius, Sicard, Durandus und Genossen so sehr der Einfluß Amalars,
als gerade bei den Sandalen. Was sie uns über diese erzählen, ist zum großen
Teil fast nur eine wörtliche Wiedergabe dessen, was der Metzer Diakon
geschrieben hatte. Das Bild, welches sie von der pontifikalen Fußbekleidung
für S. Pietro nach gewöhnlichem Brauch damit das Recht, sich der Gewandung der
nicht genannt werden, ein Punkt , welcher Kardinalpresbyter zu bedienen. Vgl. auch
nicht gerade zu Gunsten der Zuverlässigkeit Sägmüller, Tätigkeit und Stellung der
jener beiden Bullen spricht. Kardinäle 163, Anm. 2.
1 M. 225, 749. Innozenz III. übergibt in 2 Pf lu gk-Hartt un g, Acta II 207.
der Bulle dem Abt Hamelin die Titelkirche 3 C. 5 (S d r a 1 e k , Wolfenbüttler Frag-
von S. Prisca zu Rom und in Zusammenhang mente 137).
400 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
zeichnen, ist daher hie und da eher dasjenige der sakralen Beschuhung des
9. als derjenigen des 12. und 13. Jahrhunderts.
Fassen wir es kurz zusammen, was die Liturgiker über die pontifikale
Fußbekleidung sagen.
Die Caligae reichten nach Ivo 1, Innozenz III. und Durandus bis in die
Gegend des Knies, woselbst sie sorglich festgebunden wurden. Zu Ivos Zeit
bestanden sie noch aus Byssus oder Linnen; Sicard berichtet dagegen schon,
sie seien aus Seide angefertigt2. Da die Pontifikalstrümpfe im „Mitralis"
als Sinnbild der Reinheit der Füße hingestellt werden, so mögen sie noch
um die Wende des 12. Jahrhunderts von weißer Farbe gewesen sein. Zu
Durandus' Zeit war das aber jedenfalls schon anders geworden, da er die
Caligae ausdrücklich als hyacinthinae i. e. aerei seu coelestis coloris, also als
blauviolett bezeichnet 3.
Die Sandalen waren nach Ivo oben an verschiedenen Stellen durch-
brochen, nach Robert Paululus hatten sie oben Offnungen ; nach Sicard und
nach dem Speculum war das Oberleder teilweise mit Schlitzen ausgestattet;
Innozenz III. und Durandus nennen dasselbe fenestratum, mit Fenstern ver-
sehen. Einer Bindevorrichtung gedenken Rupert von Deutz, Honorius, Sicard,
Innozenz und Durandus, ohne indessen zu vermelden, wie sie beschaffen gewesen
sei. Nach Sicard sollen die Sandalen vier oder doch wenigstens zwei lingulas
Ugandas (Laschen), unum super pedem, aliain a calcaneo surgentem, haben4.
Von Zierstreifen auf dem Oberleder der Sandalen sprechen Honorius,
Sicard und Durandus ; der Verfasser des Mitralis gibt außerdem an, es würden
die Pontifikalschuhe auch wohl mit Gemmen geschmückt. Von der Farbe
reden Sicard und Durandus ; wir erfahren von ihnen , daß schwarze und
rote Sandalen in Gebrauch waren.
Als Stoff, aus dem die pontifikalen Schuhe hergestellt wurden, nennen
die Liturgiker, soweit sie seiner Erwähnung tun, lediglich Leder. Diese An-
gabe schließt indessen nicht aus, daß der lederne Oberstoff, wie es tatsächlich
häufig geschehen sein mag, einen Überzug von Seide erhielt. Es war ja in
diesem Falle nicht eigentlich die Seide, aus der die Sandalen gemacht waren ;
vielmehr diente diese bloß zur Ausstattung der aus Leder angefertigten Schuhe.
Später verhielt sich die Sache freilich umgekehrt, als Seide und Samt den
eigentlichen Oberstoff bildeten, dünnes, weiches Leder aber nur das Futter.
Die bildlichen Darstellungen aus dem 11., 12. und teilweise selbst noch
dem 13. Jahrhundert gewähren sehr wenig Aufschluß über die pontifikale Fuß-
bekleidung der damaligen Zeit. Von den Caligae ist auf ihnen kaum etwas
wahrzunehmen; die Schuhe aber treten, wo immer sie hinreichend zum Vor-
schein kommen, in so mannigfaltiger Gestaltung und Ausstattung auf, daß
es unmöglich ist, aus ihnen einen sichern Schluß auf die tatsächliche Form
und Beschaffenheit der damaligen bischöflichen Sandalen zu machen.
1 Sermo 3 (M. 162, 525).
- L. 2, c. 5 (M. 213, 72) : Igitur holosericae
caligae illara pedum signiflcat munditiem,
de qua Dominus ait: Qui lotus est totus, non
indiget, nisi ut pedes lavet.
3 In ordo 13, n. 3 (M. 78, 1106) wird von
caligae de rubeo panno des Papstes gesprochen.
Es handelt sich dort allerdings nur um außer-
liturgische Strümpfe, doch dürfte die An-
nahme nahe liegen, er habe sich roter Caligae
auch bei der Messfeier bedient, gerade wie die
Bischöfe nach Durandus dabei hyazinthfarbige
(violette) trugen.
4 Unter den lingulae werden bei Sicard die
Laschen zu verstehen sein, die an den Ponti-
fikalschuhen des 11. und 12. Jahrhunderts
angebracht zu werden pflegten und mit einer
Schnur oben am Fuße angebunden wurden.
Näheres siehe unten in der Beschreibung der
noch vorhandenen Sandalen aus jener Zeit.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fufäbekleiduna
401
Bald sind sie, wenngleich nicht allzu häufig, noch ganz niedrig und den-
jenigen des 9. Jahrhunderts ähnlich, bald gleichen sie Pantoffeln, bald förm-
lichen Schuhen, wie sie uns auch bei Laien begegnen. Die einen Darstellungen
weisen im Oberleder der Schuhe Schlitze oder sonstige Öffnungen auf, bei andern
fehlen solche. Hier endet das Oberleder auf der Mitte des Spanns in einem
lanzettförmigen Ausläufer, dort schließt es mit einer Spitze oder mit einer
Rundung ab. Bald finden sich an den Schuhen Riemen, bald mangeln diese.
In manchen Fällen entbehren die Sandalen jeden Schmuckes, in andern zieht
sich ein Streifen vom Fußgelenk oben über den Schuh bis zur Fußspitze;
wieder in andern zieren außer dem Besatz in der Mitte noch zwei von der
Seite zum mittleren Streifen schräg verlaufende und mit demselben eine Art
von Gabel bildende Börtchen das Oberleder. Auch erscheint dieses wohl mit
Ranken und Blumen gemustert oder mit Steinen geschmückt. Hinsichtlich
der Farbe der Schuhe herrscht auf den bildlichen Darstellungen ebenfalls der
größte Wechsel; hier sind die Schuhe golden, da grün, dort rot, blau,
schwarz usw.
Offenbar hat die Phantasie der Künstler bei der Wiedergabe der Fuß-
bekleidung keine geringe Rolle gespielt. Die Sache ändert sich erst im
Verlauf des 13. Jahrhunderts. Seit dieser Zeit nehmen die Sandalen auf den
Bildwerken eine gleichmäßigere
Form an. Insbesondere erscheint
nun auf den Monumenten häufig
eine vorn ziemlich spitz aus-
laufende und den ganzen Fuß
deckende Schuhart, welche auf
dem Vorderstück eine gabelartige
Verzierung trägt1 (Bild 190).
Angesichts des Wirrwarrs,
Bild 190. Pontifikalschuhe der Grabfigur
des Bischofs Otto von Braunschweig (f 1279).
Hildesheini, Dom.
welcher auf den Monumenten aus
dem 11., 12. und 13. Jahrhundert hinsichtlich der Form und Beschaffenheit der
liturgischen Beschuhung herrscht, sind natürlich von besonderer Wichtigkeit
die Sandalen und Caligae, welche sich aus dieser Zeit erhalten haben. Sie bilden
zu der Beschreibung, welche die Liturgiker des 12. und 13. Jahrhunderts von
der pontifikalen Fußbekleidung geben, eine ungleich bedeutungsvollere Ergän-
zung als die Bildwerke. Dasselbe gilt von den Pontifikalstrümpfen und Pon-
tifikalschuhen, die man gelegentlich der Eröffnung von Bischofsgräbern zu be-
obachten in der Lage war.
Pontifikaler Caligae gibt es aus dem 12. und 13. Jahrhundert zwei Paar zu
Delsberg (Schweiz) ; es sind die früher erwähnten, dem hl. Germanus von Moutier-
Granval irrig zugeschriebenen Pontifikalstrümpfe. Als weiteres Beispiel kann das
zum ehemaligen Krönungsornat der deutschen Könige gehörende Caligapaar im kaiser-
lichen Schatze zu Wien angeführt werden. Denn wenn dieser Ornat auch nie einen
eigentlich liturgischen Charakter besessen hat, so waren doch die zu ihm gehörenden
Gewandstücke Nachbildungen der entsprechenden Teile der Pontifikaltracht ".
Von den beiden Paar Caligae zu Delsberg ist das eine (Bild 191, S. 403) mittels
eines halbstarken Linnenfadens in einer Art von Masehenarbeit, welche einigermaßen
an Schlingenwerk erinnert, hergestellt. Es ist die gleiche Technik, welche auch der
1 Eine gabelförmige Verzierung ist wohl
gemeint, wenn Grimaldi die Schuhe Boni-
faz' VIII. mit den Worten beschreibt: San-
dalia nigri coloris acuta et cuspidata more
Braun, Die liturgische Gewandung.
gothico sine cruce ex serico nigro ad flores
parvos auro intextos longitudinis l'/2 palm.
(Bzovius, Annales ad 1303, XIV 51).
2 Vgl. unten Kap. 3 (Mitra), V.
26
402 Drittel' Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Pontifikalhandschuli in S. Trinitä zu Florenz aufweist. Die Caligae dürften nach
Ausweis des Börtchens, welches den Einschlupf umsäumt, dem 12. Jahrhundert ent-
stammen. Sie sind 70 cm lang und mit Bändern zum Anbinden versehen. Von den
beiden andern Pontifikalstrümpfen (Bild 192) ist nur einer vollständig erhalten. Er
ist ca 67 cm lang und besteht aus einem weißen Seidendamast arabischen oder sizi-
lianischen Ursprungs ; oben ist er mit einem Bandbesatz, zwischen Saum und Ferse
aber mit zwei Querstreifen geschmückt. Die Sohle ist aus Linnen gemacht. Auch
hier sind am Einschlupf zum Zweck der Befestigung des Strumpfes Bänder an-
gebracht. Von dem zweiten Strumpf sind nur noch Bruchstücke vorhanden. Nach
dem Muster des Damastes zu urteilen, dürfte das Caligapaar dem Ende des 12. oder
besser dem beginnenden 13. Jahrhundert zuzuweisen sein.
Die zum einstigen Krönungsornat der deutschen Könige gehörenden Caligae sind
sizilianische Arbeit und gemäß der Inschrift des Randbesatzes ursprünglich für Wil-
helm IL von Sizilien angefertigt. Sie bestehen aus schwerem hochroten Seidendamast
und sind aus zwei Teilen , dem Fuß- und dem Schienbeinstück , zusammengenäht.
Ersteres ist völlig schmucklos ; letzteres ist mit Goldstickereien verziert, ineinander-
greifenden Vierpässen, in deren Mitte sich ein vierblätteriges Bosettchen befindet.
Die jetzigen der Befestigung der Strümpfe dienenden Bänder gehören erst einem der
letzten Jahrhunderte an. Den oberen Band umgibt eine gewirkte Bordüre mit ara-
bischer Inschrift in kufischen Schriftzeichen. Die Caligae haben von der Ferse bis
zum oberen Bande eine Höhe von 60 cm und reichen somit über das Knie '.
Es sind nur einige wenige Beispiele von Pontifikalstrümpfen des 12. und
13. Jahrhunderts, von denen wir berichten können. Immerhin geben sie ein
genügendes Bild des inneren Bestandteiles der damaligen bischöflichen Fuß-
bekleidung. Von besonderem Interesse ist dabei, daß aus ihnen unwiderleglich
das Vorhandensein und die Verwendung von Caligae, die auf der Nadel
gearbeitet waren, hervorgeht. Es ist nämlich gesagt worden, die Pontifikal-
strümpfe des 12. und 13. Jahrhunderts seien stets aus Stoffstücken her-
gestellt worden. Die Delsberger Caligae beweisen das Gegenteil.
Von den Entdeckungen bei Gelegenheit der Eröffnung von Bischofsgräbern inter-
essieren hier am meisten die Caligae, welche man in den achtziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts im Dom zu Worms bei der Leiche des Bischofs Konrad von Sternberg
(f 1192) antraf. Der Tote war nach Brauch in pontifikaler Tracht. Unterschenkel und
Füße waren in offenen, unvernähten Seidenstoff eingeschlagen und darüber mit Strümpfen
von feiner Maschenarbeit bedeckt, welche mit ganz schmalen, linear gemusterten
Borten rings umschnürt waren 2. Leider hat man von den Strümpfen damals keine
Skizze aufgenommen. Es kann indessen wohl kaum zweifelhaft sein, daß sie in der-
selben Technik hergestellt waren wie das erstbeschriebene Delsberger Caligapaar.
Jedenfalls beweist auch die Wahrnehmung, die man bei der Leiche Konrads von
Sternberg machte, das Unrichtige der Behauptung, es habe im 12. Jahrhundert keine
auf der Nadel gearbeiteten Pontifikalstrümpfe gegeben.
Die Strümpfe, welche man im Grabe Bonifaz' VIII. fand, bestanden nach Grimaldi
aus Taftseide und waren, wenn der Berichterstatter nicht etwa irrig Dunkelviolett für
Schwarz gehalten hat, von schwarzer Farbe 3.
Von bischöflichen Sandalen hat sich aus dem 12. und 13. Jahrhundert
noch eine gute Anzahl erhalten. Es gibt deren, außer den bereits erwähnten
zu Delsberg und Rom , weitere zu Hildesheim (Dom) , Trier (Domschatz),
Niederaltaich (Bayern), Castel S. Elia bei Nepi, Worms (Paulusmuseum),
1 Bock, Reichski. 56 und Tfl 12. „Westdeutsche Zeitschrift", Korrespondenz-
2 Schneider, Ein Bischofsgrab des Blatt VI (1887), Nr 1, Sp. 8.
12. Jahrhunderts 9. A. Schnütgen in 3 Bzo vius a. a. 0.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
403
Chälons-sur-Marne (Kathedrale)1, Pontigny2, Chelles (Diözese Meauxs) und
Rivadeo in Spanien 4. Dazu kommen Fragmente von Sandalen zu Toul
(St-Gengoul) 5, im Museum von Lausanne 6, im Musee Cinquantenaire zu Brüssel "'
und im Cluny-Museum zu Paris. Zu Castel S. Elia finden sich drei Paare;
Chelles besitzt wie Delsberg eineinhalb Paar. Auch die aus der Altarmensa
der Kapuzinerkirche zu Stavelot stammenden Fragmente im Brüsseler Museum
lassen deutlich eineinhalb Paar unterscheiden.
Nicht mehr vorhanden, aber durch Beschreibung und Abbildung genügend
bekannt sind außer dem schon genannten Niederzeller Sandalenpaar einige
Pontifikalschuhe, die jetzt wieder mit den Leichen, bei welchen man sie an-
traf, in der Erde ruhen. Es
sind die Schuhe der Trierer
Erzbischöfe Bruno (f 1124),
Albero (f 1152) und Hillin
(t 1169)8.
Ein Teil dieser Pontifikal-
schuhe ist "bestimmt datiert. Die
Hildesheimer Sandalen stammen
aus dem Grabe Bernhards IL
(t 1153), die Trierer aus dem des
Erzbischofs Arnold I. (f 1183), die
Sandalen zu Pontigny aus dem
Schrein des hl. Edmund von Can-
terbury (f 1240). Die bischöf-
lichen Schuhe zu Rivadeo rühren
aller Wahrscheinlichkeit nach von
Bischof Pelagius IL (f 1218) her,
dem einzigen Bischof von Riva-
deo, das nur kurze Zeit als Bistum
bestand. Der Pontifikalschuh im
Paulusmuseum zu Worms wurde
dem Grabe des Bischofs Konrad
von Sternberg (f 1192) entnom-
men9, die Reste der Pontifikal-
sandalen, welche im Museum von
Lausanne aufbewahrt werden,
fanden sich im Grabe des Bischofs
Roger (f 1212). Das genaue
Datum macht diese Pontifikal- Bild 191—192. Pontifikalstrümpfe. Delsberg
1 Abbildung bei de Farcy 122 und pl. 10.
Die Schuhe des hl. Malacbias kamen durch
den letzten Abt Louis-Maria Rocourt nach
Chälons. Einer von ihnen wurde 1838 durch
Bischof de Prilly dem Prior von Valbonne
geschenkt. Ob er noch existiert , ist un-
gewiß. (Nach den gütigen Mitteilungen des
P. L. Carrez S. J.) Übrigens scheinen die
Schuhe erst aus der Zeit zu stammen, da
die Erhebung des Leibes des Heiligen
statthatte, d. i. aus dem Ende des 12. Jahr-
hunderts. Eine Mitra des hl. Malachias,
die auf dem gleichen Wege von Citeaux
in die Kathedrale zu Chälons gelangte,
entstammt nach Ausweis ihrer Form , Maße
und Beschaffenheit erst dem 15. Jahrhun-
dert.
2 Abbildung ebd. pl. 14.
3 Abbildung bei de Linas, Anciens vete-
ments sacerdotaux III, Paris 1863, 3.
4 Abbildung in Museo Espafiol de Anti-
güedades II 399.
5 Abbildung bei Roh. VIII, pl. dclxxvj.
G Abbildung ebd. pl. dclxxviii.
7 Abbildung in Bullet, mon. 1872, 397.
s Abbildung und Beschreibung bei v. Wil-
rn o w s k y , Die Grabstätten der Erzbischöfe
im Dom zu Trier 6 9 15 und Tfl 4 5.
0 Abbildung und Bericht bei Schneider
a. a. 0.
26*
404 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
schuhe natürlich sehr bedeutungsvoll für die Geschichte der Entwicklung der pon-
tifikalen Beschuhung im 11., 12. und 13. Jahrhundert. Sie sind aber auch darum von
großem "Wert, weil sie eine sichere Norm zur Datierung anderer Sandalen bieten, über
deren Alter entweder keine oder nur legendenhafte Angaben vorliegen.
Alle diese Schuhe haben eine von derjenigen der Pontifikalsandalen
vorkarolingischer und karolingischer Zeit merklich abweichende Form. Sie
ähneln wenig oder gar nicht mehr Sandalen im eigentlichen Sinne, sondern
sind entweder schon vollständige Schuhe geworden oder stehen doch der
Schuhform nicht mehr fern.
Im einzelnen lassen sich drei Typen unterscheiden. Beim ersten läuft
das Oberleder vorn und an den Seiten in zusammen fünf oder drei lange,
zungenförmige Laschen aus, welche bis zum Fußgelenk reichen. Die mittlere
derselben befindet sich auf dem Rücken des Fußes, die andern steigen seit-
wärts auf. Alle sind am Ende mit einem Haken oder einer Ose versehen,
durch welche man eine von den Ecken der Kappe ausgehende Schnur hin-
durchzog, um mit ihr die Laschen rings um den Fuß festzubinden. Die Kappe
war durchweg ebenso biegsam wie der übrige Oberteil. Über der mittleren
Zunge pflegte vom oberen Ende bis zur Fußspitze eine schmälere oder breitere
Borte oder ein dieselbe ersetzendes Ornament, z. B. sich umeinander windende
Schlangen (Brüssel), angebracht zu werden.
Zu diesem Typus gehören die Pontifikalsandalen zu Hildesheim, Trier,
Lausanne, Niederaltaich, Brüssel, dann einer der Delsberger Schuhe und zwei
Paare der Sandalen zu Castel S. Elia. Auch die Schuhe, die man in den
Gräbern der Trierer Erzbischöfe Bruno und Albero fand, wiesen ihn auf.
Ob auch diejenigen Hillins, ist aus der Skizze, welche v. Wilmowsky davon
anfertigte, nicht genügend ersichtlich, doch wahrscheinlich, da ihn noch die
Sandalen seines Nachfolgers Arnold I. zeigen 1.
Beim zweiten Typus, der etwas jünger ist, sind die Laschen in der
Verkümmerung begriffen. Die mittlere hat sich zu einem lanzett- oder herz-
förmigen Zierstück umgebildet. Die andern dienen noch zum Zweck der Be-
festigung; sie sind aber kürzer und schmäler geworden, während gleichzeitig
das Oberleder an den Seiten an Höhe gewonnen hat.
Klar tritt dieser zweite Typus bei den Pontifikalsandalen auf, die man
bei der Leiche Konrads II. von Worms antraf 2. Außerdem gehören ihm die
früher zu Niederzeil befindlichen Schuhe, ein Paar Sandalen zu Delsberg und
die drei Pontifikalschuhe zu Chelles 3 an.
Beim dritten Typus endlich, dem jüngsten, haben wir einen förmlichen,
bis zu den Knöcheln reichenden und den Fuß völlig einschließenden Schuh
vor uns. Laschen und Riemen sind verschwunden, dagegen sind die Sandalen
vorn am oberen Ende mit einem kurzen Schlitz, einem kleinen Ausschnitt oder
einer Ausbauchung versehen, die das Anziehen erleichtern sollten.
1 Auch bei den zum Krönungsornat der
deutschen Könige gehörenden Schuhen findet
sich der Typus , doch erscheinen hier die
Laschen schon merklich verkürzt. Ebenso
war er einem zweiten Sandalenpaar der Reichs-
kleinodien eigen , das aber seit 1794 ver-
schwunden und nur mehr aus der Beschrei-
bung v. Murrs und der Abbildung bei Delsen-
bach bekannt ist (vgl. Bock, Reichski.
21 nebst Tfl 4 sowie Anhang Nr 3, S. 4).
2 Auch die Sandalen, die man 1606 bei der
Leiche Hadrians IV. (f 1159) sah, gehörten
nach einer freilich mangelhaften Skizze Gri-
maldis, Instrum. auth. translat. ss. corporum
et ss. reliquiarum e veteri in novam Principis
apostolorum basilicam pars 2, f. 184'' (Vat.
Barb. XXXIV), wohl dem zweiten Typus an.
3 Nach de Linas (Revue 1862, 347) viel-
leicht Frauenschuhe; mit Unrecht (etwas anders
ders. übrigens in Anciens vetem. III 201).
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung. 405
Zu diesem Typus, der den Übergang zu den Pontifikalschuhen des späteren
Mittelalters bildet, zählen die Sandalen zu Pontigny, Rivadeo, eines der drei
Schuhpaare zu Castel S. Elia, sowie auch wohl die angebliche Pontifikalsandale
Silvesters I. in S. Martino ai Monti zu Rom. Bei den Pontifikalschuhen zu
Chälons wird der Schlitz durch einen Überschlag verdeckt, der an der Seite
mittelst eines Knopfes geschlossen wird.
Verschiedenen der noch vorhandenen Pontifikalschuhe aus dem 12. und
13. Jahrhundert fehlt eine Sohle im gewöhnlichen Sinne, so den Sandalen
im Dom zu Hildesheim und zu Chelles. Auch bei den Pontifikalschuhen zu
Niederzell mangelte sie. Andere besitzen eine dicke, mit Leder überzogene
Kork- bzw. Holzsohle, wie die Sandalen zu Chälons, Castel S. Elia und Rivadeo.
Was das Material anlangt, aus dem der Oberteil der Sandalen an-
gefertigt ist, so besteht dieser bei fast allen aus Leder. Bei einigen, z. B. einem
Paar Sandalen in Castel S. Elia und den Pontifikalschuhen Arnolds I. von
Trier, ist das Oberleder mit dünner Seide überzogen; die andern haben es
beim bloßen Leder belassen. Aus Zeug ist bloß bei zweien der angeführten
Sandalen der Oberteil angefertigt, bei den Pontifikalschuhen zu Pontigny und
der sog. Silvestersandale zu Rom, beide Schöpfungen des 13. Jahrhunderts.
Den Oberteil der Pontifikalschuhe aus Zeug, Seide oder Samt zu machen,
dürfte kaum vor dem 13. Jahrhundert, der Zeit, da die Sandalen sich zum
förmlichen Schuh ausbildeten, aufgekommen sein. Jedenfalls wurde solches erst
damals gewöhnlicher. Wiederholt hören wir darum auch seit dieser Zeit von
Sandalen aus Seidenstoffen. So berichten die Gesta der Bischöfe von Le Mans,
Gottfried von Loudon (f 1255) habe der Kathedrale von Le Mans Pontifikal-
schuhe aus roter Seide geschenkt, während uns das Inventar von Salisbury
aus dem Jahre 1212 von duo paria sandaliorum, unum de serico indico, . . .
et aliud de viridi cendali brusdato, und das Schatzverzeichnis von St Paul zu
London aus dem Jahre 1245 von Sandalen aus rotem und blauem samitum
(Seidenköper, nicht Samt in unserem Sinne) zu erzählen weiß. Gegen Ende
des 13. Jahrhunderts muß es schon sehr gebräuchlich gewesen sein , die
Pontifikalschuhe aus Seide herzustellen. Von den zehn Sandalenpaaren z. B.,
die 1295 im Schatzverzeichnis Bonifaz' VIII. vorkommen, werden nicht weniger
denn vier ausdrücklich als aus roter oder violetter Seide gemacht notiert;
eines bestand aus weißem sarazenischem Seidenstoff, bei den andern fünf aber
schließt der Wortlaut eine Anfertigung aus Zeug zum mindesten nicht aus.
Die meisten der aus dem 12. und 13. Jahrhundert noch vorhandenen
Sandalen sind reich ornamentiert. Die Verzierungen, welche vornehmlich
in Rankenwerk bestehen, sind teils in Stickerei, teils in Aufnäharbeit ge-
arbeitet. Im letzten Falle ist das aufgesetzte Ornament mit Vorzug aus ver-
goldetem Leder gemacht. Beispiele einer solchen Verzierungsweise liefern unter
andern die Sandalen zu Brüssel, Delsberg und Castel S. Elia (Bild 198, S. 409).
Ganz vergoldet ist der Pontifikalschuh Konrads von Sternberg im Paulus-
museum zu Worms ; ferner war ursprünglich vergoldet eines der drei Sandalen-
paare zu Castel S. Elia. Die Pontifikalsandale des hl. Malachias in der Kathedrale
zu Chälons-sur-Marne und die Sandalen von Pontigny sind von roter Farbe;
rot waren auch die nunmehr verschwundenen Niederzeller Pontifikalschuhe.
Von blau grüner bzw. blauer Färbung sind die angeblichen Schuhe des
hl. Silvester in S. Martino ai Monti, die St Godehardssandalen zu Niederalt-
aich und die beiden andern Sandalenpaare zu Castel S. Elia. Die übrigen
vorhin erwähnten Pontifikalschuhe sind entweder schwarz (z. B. Delsberg,
406 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Brüssel, Chelles) oder lassen infolge des Alters oder der Grabesfeuchtigkeit
die Farbe nicht mehr hinreichend erkennen.
Eine. Eigentümlichkeit von verschiedenen der auf uns gekommenen Ponti-
fikalschuhe (Chälons, Trier, Castel S. Elia u. a.) bilden die zahlreichen kleinen
Löchlein, die allenthalben im Oberleder, im Vorderstück, an den Seiten
und an der Kappe
angebracht sind. Von
diesen Löchlein redet
auch Reginald von
Durbam, wenn er in
der Beschreibung der
bischöflichen Schuhe,
mit denen nach seiner
Angabe der Leichnam
des hl. Cuthbert aus-
gestattet war, sagt:
In pedibus calcea-
menta pontiücalia gerit, quae vulgus sandalia vocare consuevit. Quae ex
regione superiori multis foraminibus minimis patere videntur, quorum opera-
mina artificiosa es industria taliter confecta comprobantur 1.
Die Löchlein haben manche Erörterungen veranlaßt. Man hat geglaubt, ihr
Zweck sei gewesen, die Ausdünstungen des Fußes austreten zulassen. Doch ist das sicher
unzutreffend; denn die zahlreichen kleinen Durchbrechungen des Stoffes befinden sich
nicht nur an Schuhen, die oben völlig geschlossen sind, sondern auch, und zwar vor-
nehmlich, an denjenigen Sandalen, welche mit Zungen bzw. mit tief herabgehenden
Ausschnitten versehen sind und darum etwaigen Ausdünstungen des Fußes mehr als
hinreichenden Austritt gewährten. Andere haben den Grund für die Anbringung der
Bild 193. Pontifikalschuh St Godeliards. luederaitaich.
Bild 194. Pontifikalschuh des Bischofs Bernhard von Hildesheim (t 1153).
HildesTieim, Dom.
zahlreichen Löchlein darin gesucht, daß nach einer mystischen Anschauung die San-
dalen unten geschlossen, oben aber offen sein soften. Sie beachten aber nicht, daß
1 De admir. B. Cuthb. virt. c. 42 (ed.
Snrtees Society, Newcastle 1*35, 88). Die
Pontifikalsandalen, welche Reginald mit diesen
Worten beschreibt, sind nicht diejenigen des
8. Jahrhunderts, sondern die seiner eigenen
Zeit , d. i. des 12. Jahrhunderts. Damals
trug der Leichnam die ursprünglichen San-
dalen nicht mehr, da diese nach der von einem
Zeitgenossen des Heiligen verfaßten Vita
S. Cuthberti n. 14 bei der ersten Eröffnung
aus dem Sarge genommen worden waren
(A. SS. 20. Mart., III 123).
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
407
die Löchlein fast winzig klein sind, und daß sie nicht nur auf dem Fuß, sondern auch
an dessen Seiten bis zu den Sohlen und selbst an der Kappe sich finden. Freilich
wissen die alten Liturgiker allerlei mystische Erklärungen, warum die Sandalen oben
aperturas hätten, warum sie daselbst pertusa, forata, perforata, quibusdam loeis aperta,
qmbusdam clausa seien und warum ihr Oberleder fenestratum sei. Indessen ist es
erstens am wahrscheinlichsten, daß sie dabei nicht an die kleinen Öffnungen, sondern
an die großen und tief hinabsteigenden Einschnitte des Oberstoffes denken. Dann
aber dürften ihre Ausführungen kaum etwas mehr als eine symbolische Deutung sein,
welche sie nachträglich mit einer vorhandenen Gepflogenheit verknüpften. Man darf
nicht vergessen, daß die alten Liturgiker bei all ihren langen Erörterungen kaum je
über den wirklichen Grund einer Sache Aufschluß geben, sondern sich damit begnügen,
allerlei mystische Beziehungen in die sich ihnen darbietenden Erscheinungen hinein-
zulegen bzw. aus denselben herauszulesen. Der wahre Zweck der Löchlein war rein
ornamentaler Art. Sie sollten die Einförmigkeit des Grundes in einfacher, aber ge-
fälliger "Weise brechen, in Verbindung mit Eankenwerk aber angebracht, die Banken
wirkungsvoller hervortreten lassen. Dann aber dienten sie, wie aus zwei der San-
Bild 195. Pontifikalschuh des Bischofs Konrad II. von Worms.
"Worms, Piuilusmuseum. (Nach Schneider.)
dalenpaare von Castel S. Elia hervorgeht, auch zur Aufnahme kleiner Silbernieten.
Bei einem dieser Paare hat sich noch der größere Teil dieser Meten erhalten, bei
dem andern finden sich wenigstens noch so viele vor, daß sich der Zweck der Löch-
lein, die hier eine netzförmige Musterung bilden, mit aller Bestimmtheit feststellen läßt.
Zum besseren Verständnis und zur Vervollständigung der vorstehenden
Ausführungen über die Pontifikalschuhe des 11. bis 13. Jahrhunderts dürfte
es sich empfehlen, ihnen eine etwas ausführlichere Beschreibung einiger be-
sonders typischer Sandalen anzureihen. Es sind: der Pontifikalschuh des
hl. Godehard zu Niederaltaich, die Schuhe des Bischofs Bernhard von Hilcles-
heim und des Bischofs Konrad von Worms, die drei Sandalenpaare zu Castel
S. Elia und die Pontifikalschuhe zu Rivadeo.
Über die Form der St Godehardssandale gibt die nebenstehende Skizze (Bild 193)
Aufschluß '. Von den Laschen, die auf der Abbildung vollständig erscheinen, sind
1 Leider war es nicht möglich , von dem
Schuh eine photographische Aufnahme her-
zustellen , da er hoch oben im Altar hinter
festem Glasverschluß aufbewahrt wird. Es
war selbst nicht wenig schwierig, auch nur
eine Skizze von ihm zu machen. Ob der
Schuh wirklich vom hl. Godehard herrührt,
muß dahingestellt bleiben. Zur Zeit, da der
Heilige Abt des eben nach hundertjähriger
Auflösung neu wieder eingerichteten Bene-
408 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
zum Teil nur noch Eeste vorhanden. Der Oberstoff des Schuhes besteht aus dunkel-
farbigem, blaugrünem Leder, das Futter aus weißem Leder. Zwischen Oberstoff und
Futter scheint eine Einlage von Linnen eingeschaltet zu sein. Über den Spann zieht
sich ein schmaler Zierbesatz, der sich nahe an der Spitze des Fußes gabelförmig teilt.
Auch den Band und die Ausschnitte des Oberleders umzieht eine schmale Borte. Die
Ranken und Vögel, mit denen dieses verziert ist, sind mittels Seide in Konturstickerei
ausgeführt. Die Sohle ist eigens eingesetzt, aber weich. Fast eine Kopie des Schuhes
ist eine der Delsberger Sandalen. Auch der Pontifikalschuh, den man im Grab Alberos
von Trier fand, weist den gleichen Typus auf.
Die Pontifikalschuhe Bernhards von Hildesheim (Bild 194, S. 406) haben eine Länge
von 28 cm und eine Höhe von 12 cm. Sie sind aus einem weichen braunen Leder
gemacht und innen mit feinem weißen Leder gefüttert. Ob das jetzige Braun der
Außenseite den Schuhen immer eigen war oder ob es sich erst durch Zersetzung der
Farbe im Grabe bildete, läßt sich nicht erkennen. Da das Futterleder indessen sein
Weiß beibehielt, dürfte auch mit der Farbe des Außenleders keine Veränderung vor
sich gegangen sein. Sohlen und Oberleder bestehen aus demselben weichen Stoff. Im
Gegensatze zu andern Sandalen haben die Pontifikalschuhe Bernhards am Einschlupf
nur vier Ausschnitte und darum nur drei Laschen. Zwei weitere Ausschnitte sind
zu eiförmigen , mit der Spitze aufwärts gerichteten Durchbrechungen der Kappe
verkümmert. Die drei Laschen sind oben durch Umschlagen des Leders mit Ösen
zur Aufnahme des Bandes versehen, mit welchem der Schuh oberhalb des Fußgelenkes
befestigt wurde. Vorn befinden sich im Oberleder vier große, fast kreisrunde Öffnungen.
Sowohl die vier Ausschnitte als die sechs Löcher in dem Vorderleder und der Kajnpe
waren ehedem mit zwei ca 5 — 6 mm voneinander entfernten Metallgoldfäden umsäumt.
Hie und da haben sich noch Spuren dieser Fäden erhalten. Im übrigen war die Ver-
zierung der Schuhe einfach ; sie beschränkte sich auf einen Pfeil über der mittlem Lasche,
auf ein rhombenförmiges Gebilde, welches die vier Kreise auf dem Vorderstück einschloß,
und drei senkrechte Linien zu beiden Seiten der Sandalen. Alle diese Ornamente
sind leicht in das Leder eingeritzt. Ehedem waren diese Ritzen mit einem Goldfaden
ausgelegt. Leider haben die Sandalen eine üble Restauration durchmachen müssen ;
derselben gehören nicht nur die mit Bronzepulver hergestellten Goldtupfen und Striche,
sondern auch die aufgesetzten Goldkördeichen an. Die Schuhe Bernhards sind ein
vorzügliches Beispiel des älteren Sandalentypus.
Bei dem Schuh Konrads von Worms (Bild 195, S. 407) besteht der Oberteil aus
prächtig vergoldetem Leder mit einem Unterstoff aus starkem Gewebe. Die Laschen sind
ersichtlich in der Rückbildung begriffen, immerhin jedoch gut zu erkennen. Auch
dienten sie noch zur Aufnahme der Schnur, mit dem der Schuh am Fuß angebunden
wurde. Eigenartig ist die Verzierung des Oberstoffes. Sie besteht in sehr sorgsam und
geschickt aufgenähten Seidenkordeln, die, größere und kleinere Kreise bildend, ein geo-
metrisches Zeugmuster nachahmen. Ein einfaches Kreuz füllt die kleineren, ein vier-
paßartiges die größeren Kreise. Die Verzierung verbreitet sich über die ganze Ober-
fläche. Die Abheftstiche sind durch die Unterlage des Leders durchgeführt. Die Länge
der Sandale beträgt ca 28 cm, ihre Höhe ca 10 cm. Die Sohle ist dünn und weich,
umgewandt angenäht und absatzlos. Die Pontifikalschuhe Bischof Konrads stellen ein
instruktives Specimen des mittleren Sandalentypus dar.
Von den drei Paaren Pontifikalsandalen zu Castel S. Elia ist dasjenige am
ältesten, von welchem in Bild 196 ein Schuh wiedergegeben ist. Die Sohle besteht bei
ihm aus einer kräftigen Korkplatte, welche unten mit schwarzem, seitlich aber mit
weißem Leder überzogen ist. Auch im Innern sind die Sandalen mit weißem Leder
diktinerklosters Niederaltaich war, hatten Gregor IX. (Mon. Boica XI 211). Wenn der
dessen Abte, wie kaum zu bezweifeln ist, Schuh vom hl. Godehard stammt, wird er
noch nicht das Recht, Pontifikalsandalen zu also wohl als Reliquie des Heiligen von
tragen. Den Gebrauch der Mitra und des Hildesheim nach dem früheren Wirkungs-
Ringes erhielten sie sogar erst 1240 durch kreis desselben gekommen sein.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
409
Bild 196. Pontifikalschuh.
Castel S. Elia.
ausgestattet. Das Oberleder ist
mit blauer Seide bekleidet. Das
Schiingenornament auf dem Vor-
derstück besteht aus nebeneinander
gelegten, mit Seidenfäden aufgehef-
teten vergoldeten Lederriemchen,
denen man im 12. Jahrhundert
auch sonst mehrfach begegnet, so
z. B. bei einem der Delsberger
Pontifikalschuhe. Dort, wo die
durch die Goldriemchen hergestell-
ten Bänder einander schneiden, sind sie mit silbernen Nieten am Oberleder befestigt,
zu beiden Seiten aber werden sie von Kettenstichen in gelber Seide begleitet. Auf
der Kappe und den Seitenteilen der Schuhe steht eine arabische Inschrift in großen
Kufen, welche durch ein vergoldetes Lederstreifchen gebildet und gleichfalls von Ketten-
stichen eingefaßt werden. Der Grund, welchen Inschriften und Ornament übrig lassen,
ist teils mit kleinen Bosettchen aus vergoldetem Leder verziert, in deren Mitte sich
eine silberne Niete befindet, teils von feinen Lochlein durchbrochen, in welche ebenfalls
ein Silberknöpfchen von der Größe
eines kräftigen Stecknadelkopfes
befestigt ist.
Die Länge der Sandalen be-
trägt SO cm, die Sohlenhöhe 1 '/a cm,
die Kappenhöhe 10 cm. Schade, daß
ihr Oberteil nicht mehr intakt ist.
Es sind nämlich die Laschen im
Laufe der Zeit abgerissen worden;
nur ihre Ansätze sind noch vor-
handen, jedoch als solche deutlich
erkennbar. Die ganze Technik
der Sandalen, ihre Form und ihre Ausstattungsweise lassen sie als eine Arbeit
aus dem 12. Jahrhundert erscheinen.
Das zweite Sandalenpaar (Bild 197) gehört ebenfalls noch dem 12. Jahrhundert
an. 30 cm lang, hat es eine Kappenhöhe von 13 cm. Die Korksohlen, welche eine
Dicke von 2 cm besitzen, sind
an den Seiten und unten mit
rotem Leder überzogen. Das
Oberleder besteht aus ursprüng-
lich weißem, aber rot gefärbtem
und dann vergoldetem Eselsleder.
Im Innern sind die Schuhe mit
rotem Leder gefüttert.
Eine besondere Verzierung
haben die Sandalen weder auf
dem Vorderteil, noch an der
Kappe, doch ist das ganze Ober-
leder mit zahllosen Löchlein
versehen , welche eine regel-
mäßige, netzartige Quadrierung Bild 198. Pontifikalschuh. Castol S. Elia.
bilden und einst mit Silberstift-
chen gefüllt waren. Noch jetzt finden sich solche, wie schon vorhin bemerkt wurde,
in einzelnen Löchlein eingenietet vor.
Die Laschen zum Anbinden des Schuhes sind noch ziemlich gut erhalten, doch
schon verhältnismäßig klein. Die Form bezeichnet das Übergangsstadium vom ersten
zum zweiten Typus.
Bild 19V. Pontifikalsclm
Castel S. Eli:
410 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Das dritte Paar (Bild 198, S. 409), welches wir unter den mittelalterlichen Para-
menten in Castel S. Elia antreffen, vertritt den dritten, jüngsten Typus. Die Länge des
Schuhes beträgt SO cm, die Kappenhöhe 16 cm. Die Korksohlen sind hier 21/i cm
dick. Inwendig sind die Sandalen mit rotem Leder ausgefüttert, während die Sohlen
unten mit dunkelbraunem, seitlich mit vergoldetem Leder bedeckt sind. Das Ober-
leder hat gegenwärtig eine tiefbraune Färbung, ursprünglich war es jedoch mit grüner
Farbe bemalt, von der sich noch verschiedene Eeste erhalten haben. Über den Spann
zog sich einst der Länge nach ein vergoldeter Lederstreifen. Ein ähnlicher Streifen
an den Seiten ist noch vorhanden. Die übrigen Teile des Oberleders sind mit Banken
romanischer Bildung, wie sie auch an den Pontifikalschuhen Arnolds I. von Trier,
des hl. Edmund von Canterbury zu Pontigny und andern vorkommen, gänzlich
übersponnen.
Die Pontifikalsandalen zu Bivadeo bestehen aus Leder. Die Sohle ist aus Fichten-
holz gemacht und unten sowie an den Seiten mit Kalbleder überzogen. Über das
Vorderleder laufen in der Längsrichtung der Schuhe abwechselnd vergoldete und ver-
silberte Streifen, die durch ein rotes Bändchen voneinander getrennt sind. Die drei
vergoldeten sind mit einer Prägung versehen, die bei dem mittleren ein netzförmiges
Muster, bei den beiden andern bloße Querlinien darstellt. Die beiden versilberten
weisen eine grüne Zickzacklinie auf. Die Streifen enden an einem versilberten Band,
das sich etwas hinter der Mitte des Fufäes quer über den Spann zieht. An der Ferse
und den beiden Knöcheln steigt je ein versilberter, von einer roten Linie eingefaßter
und mit eingeprägten Querlinien belebter Streifen senkrecht von der Sohle zum Fuß-
gelenk herauf, wo er durch ein versilbertes Band begrenzt wird, das horizontal
den Fuß umgibt. Die Seiten der breiten Sohle sind mit einer Bänke geschmückt,
welche sich aus zwei roten und einer mittleren grünen Linie zusammensetzt. An der
Spitze ragt das Oberleder schnabelförmig ein wenig hervor. In der Form zeigen
die Schuhe das gewöhnliche Bild der Sandalen des dritten Typus. Die Verzierung
ist dagegen sehr eigenartig l.
IX. BESCHAFFENHEIT DER SANDALEN UND CALIGAE IM SPÄTEN
MITTELALTER UND DER NEUZEIT.
Es bleibt noch übrig, auf die Beschaffenheit der pontifikalen Fußbeklei-
dung im späten Mittelalter und in der Neuzeit etwas näher ein-
zugehen.
Von den Caligae des 14. und 15. Jahrhunderts geben uns einige noch
vorhandene Pontifikalstrümpfe des ausgehenden Mittelalters ein gutes Bild.
Es scheinen auf der Nadel gearbeitete Caligae allmählich außer Mode ge-
kommen und die pontifikalen Strümpfe nur oder doch fast nur noch aus den
kostbaren sarazenischen, maurischen und italienischen Seidenstoffen gemacht
worden zu sein, mit denen Europa vom Orient, von Italien und Spanien in
damaliger Zeit wie überschwemmt Avurde.
1 Museo Espafiol de Antigüedades II 899.
Wir fügen noch ein paar Worte über zwei
an sich zwar unwichtige, immerhin aber der
Erwähnung würdige Reste bischöflicher Ponti-
fikalsandalen des 13. Jahrhunderts an. Frag-
mente von Sandalen , die dem hl. Ludwig
von Anjou zugeschrieben werden und dem-
gemäß dem Ende des 13. Jahrhunderts ent-
stammen würden, befinden sich zu St-Maximin
(Var). Soweit sich aus den noch vorhandenen
Teilen die ehemalige Form erkennen läßt,
scheinen sie die Form eines niederen Schuhes
gehabt zu haben. (Näheres Revue 1862, 352.)
Der Oberstoff war aus einem reichen Brokat
gemacht und mit einer Einlage von Linnen
und gelbseidenem Futter versehen. Andere
Reste von Sandalen , deren Oberstoff an-
scheinend aus Seide bestand und mit einem
aus Goldborten hergestellten Gabelkreuz ver-
ziert war , entdeckte man in einem ins
13. Jahrhundert hinaufreichenden Biscbofs-
grab der Kathedrale von Chälons-sur-Marne
(Abbildung in Bullet, de la Soc. Nat. des
Antiq. de France 1895, 193).
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fufsbekleidung
411
Die Caligae, welche man bei der Leiche Peters von Courpalay, Abtes von
St-Germain-des-Pres (f 1334), gelegentlich der 1799 vorgenommenen Eröffnung seines
Sarges antraf, waren aus einem dunkelvioletten Seidendamast angefertigt, der mit
goldenen Vögeln in Sechsecken, goldenen Lilien und ähnlichem gemustert war1.
Aus grünem sarazenischen Seidendamast besteht ein Pontifikalstrumpf des
Kardinals Arnold de la Vie (f 1335), welcher im Cluny-Museum zu Paris (Bild 199)
aufbewahrt wird. Er ist 63 cm lang. Die Köpfe, Füße, Krallen und Hufe der dem
Stoff eingewebten Adler und Antilopen sind in G-old broschiert.
Die Caligae Wilhelms von Wainfleet, Bischofs von Winchester (f 1486), welche
sich im Besitze des Maria Magdalena-Kollegs zu Oxford, der Stiftung Wilhelms, be-
finden, sind aus einem mit
Vögeln, Blumen, Strahlen ver-
zierten Brokat gemacht. Sie
sind 50 cm lang und zum
Zweck des Anbindens oben in
einer Entfernung von 14 cm
vom Eand seitlich mit einem
Knopf versehen, dem auf der
andern Seite eine Schnur ent-
spricht. Inwendig sind sie
mit Linnen gefüttert.
Ein Pontifikalstrumpf des
späten Mittelalters im Dom zu
Halberstadt (Bild 200) ist aus
einem leichten Seidentaft von
bräunlichvioletter Farbe her-
gestellt, welcher von gelblichen,
in schräger Richtung das Bein
umziehenden Streifen durch-
quert ist. Die Länge des
Strumpfes beträgt vom oberen
Rande bis zur Zehe 78 cm.
Die Gepflogenheit, die
pontifikalen Strümpfe aus
Seidenstücken zusammen-
zunähen, erhielt sich, wo
überhaupt Caligae in Brauch
blieben, wie z. B. in Italien,
bis in die Gegenwart. Es
kann das angesichts des
Aufschwunges, den die
Strumpfwirkerei seit dem 16. Jahrhundert nahm, auffällig erscheinen. Allein
es erklärt sich ohne Schwierigkeit, wenn man bedenkt, daß die Caligae
nach der seit Jahrhunderten herrschenden Praxis nicht eigentlich Bekleidung
der bloßen Füße sind, sondern einen Alltagsstrumpf voraussetzen, und daß
sie darum im Grunde nur eine Art von Überzug über letzteren darstellen.
Als Beispiel der Caligae der Neuzeit können die Pontifikalstrumpf e des hl. Pius V.
dienen, welche in der Kathedrale zu Mondovi aufbewahrt werden und 1898
zu Turin ausgestellt waren. Sie sind, ihrem Zwecke entsprechend, sehr weit
und in ihrem oberen Teile aus einem reich gemusterten Brokat gemacht. Der
Bild 199. Pontifikalstrumpf
des Arnold de la Vie.
Paria, Musee Cluny.
Bild 200.
Pontifikalstrumpf.
Halberstadt, Dom.
1 Revue 1863, 245. Reste der Caligae finden sich im Cluny-Museum zu Paris.
412 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Bild 201. Pontifikalsclmh. Kopen
, ^ationalmusenm.
Fußteil besteht aus einem ein-
facher gemusterten Brokat.
Den Einschlupf umsäumt eine
dreifache Goldkordel.
Von Pontifikalschuhen
haben sich aus dem späteren
Mittelalter nur wenige Exem-
plare erhalten.
Zu ihnen gehören die leider
stark restaurierten Pontifikalsan-
dalen in der Kathedrale von Comminges. Sie werden dem hl. Bertrand (f 1123) zu-
geschrieben. Form und Beschaffenheit lassen jedoch keinen Zweifel, daß diese Zuweisung
irrig ist. Die Schuhe stammen aus dem späten Mittelalter, frühestens aber aus dem
Ende des 13. Jahrhunderts. Als Oberstoff ist eine auf grobem Linnen im Kreuzstich aus-
geführte Seidenstickerei benutzt, welche sich schachbrettartig aus Quadraten zusammen-
setzt. Die Quadrate selbst sind abwechselnd mit einem Löwen, einem Stern oder einem
Kreuz gefüllt. An der Innenseite der Schuhe ist ein langer Schlitz angebracht, der
mittels Knopfe geschlossen .wurde '.
Ein zweites Beispiel spätmittelalterlicher Pontifikalschuhe liefern die im Maria
Magdalena-Kolleg aufbewahrten Sandalen des Bischofs Wilhelm von Wainfleet. Der
Oberteil wird durch einen roten Samt gebildet, welcher mit Blumen in Gold und
Blättern in gelber und grüner Seide gemustert ist. Der Schlitz befindet sich bei ihnen
statt seitlich auf dem Fuße.
Ein weiteres Paar zeigt man zu Strengnäs in Schweden (Södermanland). Die
Schuhe sollen dem Bischof Konrad Kogge (f 1501) zugehört haben. Ihr Oberstück
besteht aus gelber Seide und ist mit einem gabelförmigen Besatz ausgestattet. Der
Schlitz liegt wie bei den ersterwähnten Sandalen an der Innenseite des Schuhes; die
Sohlen sind 0,015 m dick2.
Ein viertes Paar sahen wir im Schatz des Domes von Halberstadt. Es ist in
seinem oberen Teil aus rotem Samt gemacht und ohne alle Verzierung. Der Schlitz
ist auch hier an der Seite angebracht. Die Schuhe mögen aus dem 15. Jahrhundert
herrühren und sind 0,29 m lang, 0,15 m hoch 3.
Ein fünftes Sandalenpaar besitzt der Dom zu Brixen. Der Oberstoff ist hier
ein Brokatell, der auf violettem Grund Greife, Blattwerk und die Inschrift grifone auf-
weist. Den Schlitz gewahrt man wiederum an der Innenseite. Je fünf Löcher, die
rechts und links von ihm vorgesehen sind, dienten zur Aufnahme einer Schnur, mittels
deren der Schuh festgebunden
wurde. Die Länge der San-
dalen beträgt 0,27 m, die Höhe
ca 0,10 m.
Auch das Nationalmu-
seum zu Kopenhagen hat noch
ein Paar interessanter Ponti-
fikalsandalen , welche einer
freilich wenig verbürgten Über-
lieferung zufolge aus Kloster
Sorö (Dänemark) stammen sollen und etwa der Zeit um 1500 angehören (Bild 201).
Ihre Länge beträgt 0,25 m, ihre Höhe 0,08 m; sie nähern sich also schon wieder ein
wenig der Pantoffelform. Im übrigen weisen sie noch den bei den Pontifikalschuhen
im späteren Mittelalter herrschend gewordenen Typus auf. Der Schlitz, an dessen
Bild 202. Pontifikalscliull. Halberstadt, Dom.
1 Revue 1862, 349. Abbildung 336.
2 Revue 1867, 218. De Linas hält die
Schuhe für Arbeiten des 13. Jahrhunderts,
besser wird man sie indessen wohl dem
14. Jahrhundert zuschreiben.
3 Eine Kopie im Kestner-Mus. zu Hannover.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
413
Bild 203. Pontifikalsandale. Hildesheim, St Godehard.
Seiten oben Löclilein zum Durch-
ziehen eines Eiemens angebracht
sind, befindet sich oben auf dem
Fuß und ist 0.09 m lang. Die
Sohlen der Schuhe sind dünn und
weich ; den Oberstoff bildet ein
dunkelroter Brokat '.
Alle angeführten Pontifi-
kalschuhe stellen einen förm-
lichen Schuh dar, wie wir ihn
im 13. Jahrhundert gebräuchlich werden sahen. Der Umstand, daß die fünf
Schuhe sich auf Frankreich, Deutschland, England und Schweden verteilen,
dürfte beweisen, daß diese Sandalenform im 14. und 15. Jahrhundert, wenn
nicht allgemein gebräuchlich, so doch sehr weit verbreitet war. Auch zu
Rom wird sie, soweit die Monumente einen Schluß erlauben, damals in Ge-
brauch gewesen sein.
Wie die Pontifikalschuhe im 16. Jahrhundert gemäß römischer Ge-
pflogenheit beschaffen waren, lehrt eine Sandale Pius' V. in der Kathedrale
von Mondovi. Sie ist aus rotem Samt angefertigt, mit dicker Sohle versehen
und auf dem Vorderblatt mit zwei Goldbörtchen besetzt, von denen sich eines
von der Schuhspitze bis zum Gelenk, das andere von der Sohle bis zur Sohle
quer über die Mitte des Spanns hinzieht. Der Form nach stellt die Sandale
einen wirklichen Schuh dar. Ein Schlitz fehlt sowohl an der Seite wie
oben auf dem Spann, statt dessen läuft die Kappe in zwei zungenförmige
Laschen aus, die sich vor dem Fuße treffen und durch eine Schnur zusammen-
gebunden wurden.
In Deutschland treffen wir im 16. Jahrhundert eine ganz eigenartige
bischöfliche Fußbekleidung. Sie ist mehr pantoffel- als schuhartig, ohne
Bindevorrichtung' und an der Spitze von außerordentlicher, geradezu häßlicher
Breite. Ein Sandalenpaar, das sich im Schatz des Halberstädter Domes be-
findet (Bild 202), ist ein Beispiel dieser Art von Pontifikalschuhen. Es ist
aus rotem, mit dem sog. Granatapfelmuster versehenem Samt angefertigt, auf
dem Spann mit einem Einschnitt versehen und bei einer Kappenhöhe von
nur 7 cm 30 cm lang. Man sollte fast meinen, es handle sich hier eher um
einen Überschuh, als einen
eigentlichen Schuh. Wie der
schon ziemlich entartete Gra-
natapfel beweist, stammen die
Sandalen aus der Frühe des
16. Jahrhunderts.
Schuhe dieser Art finden
sich im 16. Jahrhundert sehr
häufig auf deutschen Bischofs-
monumenten. So gewahren wir
sie z. B. bei den Grabstatuen
der Mainzer Erzbischöfe Albrecht
von Brandenburg (f 1545), Sebastian von Heusenstamm (f 1555) und Wolfgang von
Dalberg (f 1601). Selbst im fernen Osten treffen wir sie an, so auf dem Grabdenkmal
des Bischofs Petrus Kostka (f 1595) in der ehemaligen Domkirche zu Kulmsee. Sie
Bild 204. Pontifikalsohuh. Berlin, Kunst;
ewerbemuseum.
1 Auskunft über die Schuhe verdanke ich
der Liebenswürdigkeit des Herrn Museums-
direktors Mollerup, diePhotographie derselben
der Güte des Herrn Inspektors Dr Mackeprang.
414 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
scheinen sich vereinzelt bis tief ins 17. Jahrhundert in C4ebrauch erhalten zu haben,
da sie uns noch auf dem Monument des Bischofs Adolf von der Eecke (f 1661) im
Dom zu Paderborn begegnen.
Diese Schuhform war dem profanen Leben entnommen. Zahlreiche Bild-
werke des 16. Jahrhunderts weisen sie auf. Als sie hier aus der Mode
kam, verschwand sie auch wieder aus dem Kultus. Die Sandale, welche dann
an ihre Stelle trat, war der römischen nachgebildet. Beispiele von Pontifikal-
schuhen dieser letzten Art sind nicht selten. Ein treffliches Exemplar besitzt
z. B. die St Godehardskirche zu Hildesheim (Bild 203, S. 413). Es stammt
aus dem 17. Jahrhundert, vielleicht sogar aus der Frühzeit desselben, und
besteht aus rotem Samt. Auf dem Vorderblatt sind die Schuhe nach Weise
der Sandalen Pius' V. mit zwei gelbseidenen Besatzstreifen in Kreuzesform
verziert, dagegen fehlt ihnen die jenen eigene dicke Sohle. Sie haben eine
solche von nur mäßiger Stärke, jedoch mit hohem Absatz. Auch ist die
Kappe des Schuhes, im Unterschied von den Sandalen Pius' V., vom Vorder-
teil durch einen tiefen Einschnitt getrennt
und selbständig behandelt ; indessen endet
sie auch hier in zAvei auf dem Spann
zusammenstoßende Laschen, welche die
Verwandtschaft mit der römischen Schuh-
form deutlich erkennen lassen.
Ein anderes Paar von Sandalen dieser
Art begegnet uns im Schatz des Freiburger
Münsters. Es ist kostbarer als die Hildes-
heimer Sandalen ausgestattet, da bei ihm auf
dem Spann statt einfacher Besätze, wie bei
diesen, schwere Goldstickereien , in deren
Mitte sich ein Kreuz befindet, angebracht
sind. Allein es dürfte auch etwas jünger sein
und wohl erst dem 18. Jahrhundert angehören.
Das Schuhpaar mag aus Konstanz herrühren.
Ein drittes Paar von Pontifikalschuhen von
der Form, wie sie den Sandalen Pius' V. eigen
ist, besitzt das königliche Kunstgewerbemuseum
zu Berlin (Bild 204, S. 413). Den Oberstoff bildet ein weißer Reps, welcher mit barocken,
in Gold und Seide ausgeführten Ranken und Blumen bestickt ist. Die Schuhe gehören
etwa dem Anfang des 18. Jahrhunderts an. Auch sonst haben sich noch manche
Pontifikalschuhe dieser Art erhalten. So gibt es ihrer im historischen Museum zu
Frankfurt zwei Paare, in der Sammlung des historischen Vereins für Unterfranken zu
Würzburg ein Paar, im Dom daselbst fünf Paare, im Cluny-Museum zu Paris sieben
Paare usw. Es sind das alles Schöpfungen des 17., meist aber des 18. Jahrhunderts.
Ein in neuerer Zeit unternommener Versuch, die Pontifikalstrümpfe und
die Pontifikalschuhe miteinander zu verbinden, hatte als Ergebnis eine Art
von Stiefel. Das bischöfliche Museum zu Münster besitzt einige Exemplare
dieses ebenso unschönen wie aller kirchlichen Überlieferung widerstreitenden
Surrogates (Bild 205).
Ein recht anschauliches Bild von der Entwicklung, welche die bischöf-
lichen Sandalen vom 12. bis ins 18. Jahrhundert hinein genommen haben,
bieten die Beobachtungen, welche bei der Eröffnung der Trierer Bischofs-
gräber gemacht wurden. Leider sind die Mitteilungen, welche v. Wilmowsky
über den Befund der pontifikalen Fußbekleidung gibt, bei weitem nicht so
vollständig, wie man wünschen möchte; doch finden sie eine teilweise Er-
Bild 205. .Stiefelartiger Pontifikalsclmh.
Münster, Bischöfl. Museum.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
415
gänzung in den Abbildungen, welche derselbe nach den von ihm gemachten
Aufnahmen seinen Ausführungen beigefügt hat1 (Bild 206 — 208).
v. Wilmowsky bespricht die Pontifikalschuhe von acht Trierer Erzbisehöfen.
Die Sandalen Brunos (f 1124) bestanden nach seinen Wahrnehmungen aus einfachem
Leder (Bild 206). Der Oberteil war durchbrochen. Bezüglich der Mafäverhiiltnisse
sagt v. Wilmowsky: „Die Sandale ist 41/» Zoll (= 12 cm) am Ballen breit, von der
Fußspitze bis zum Ballen 3s/i Zoll (= 10 cm) lang; der dreieckige Ausschnitt ist
l'/4 Zoll (= 3,4 cm) groß und von der Spitze des Fußes bis zu seinem Gelenke
53/i Zoll (= 15 cm) erhalten.' Die Beschuhung des Erzbischofs Albero (f 1152)
war gleichfalls aus Leder gemacht, doch war sie mit Seide überzogen und auf dem
Spann mit einer breiten, an den Rändern der Laschen und der Ausschnitte des Vorder-
stückes aber mit einer schmalen Goldborte verziert (Bild 207). Bei den Sandalen
Hillins (f 1169) bestand die Sohle aus Korkholz; das Leder des Oberteils und der
Kappe war auch hier mt Seide bekleidet. Die Sandalen waren reich mit Gold bestickt
und mit farbigen Edelsteinen geschmückt. Der Grund zwischen den Mustern war mit
den feinen Löchlein belebt, von denen vorher die Bede war (Bild 208). Reicher noch
Bild 206 — 208. Pontifikalselmke aus den Trierer Bischofsgräbern.
(Nach v. Wilmowsky.)
als die Pontifikalschuhe Hillins waren diejenigen Arnolds I. (t 1183), wahre Pracht-
stücke ihrer Art (Bild 209, S. 416). Ihre Sohle war von dichtem, festem Leder; das obere
Stück wurde durch ein feines, rot gefärbtes Leder gebildet, das mit Seide von gleicher
Farbe bedeckt und mit kunstreich verschlungenem romanischem Rankenwerk in Gold
bestickt war. Die Stickereien waren im Stepp-, Kreuz- und Kettenstich ausgeführt.
Die kleinen Löchlein, die sich auch hier über den Fond ausgestreut fanden, waren
mit einem Goldfaden zierlich eingefaßt. Außerdem waren die Schuhe mit wasser-
hellen Bergkristallen , leichtgelben Topasen , violetten Amethysten und bläulichen
Saphiren besetzt. Von dem oberen Ende der mittleren Lasche lief ein Zierstreifen
bis zur Fußspitze. Haken, in welche die Laschen ausliefen , dienten zur Aufnahme
der goldenen Litze, mittels deren der Schuh am Fersengelenk festgebunden war.
Die Sandalen Boemunds IL (f 1367) hatten die Gestalt eines hoch ansteigenden Schuhes ;
sie bestanden aus gemustertem Goldstoff und waren oben auf dem Fuße mit einem
Einschnitt versehen (Bild 210, S. 417). Bei den Pontifikalschuhen Ottos von Ziegenhain
(t 1430) (Bild 211, S. 417) diente als Oberstoff ein schachbrettartig gemustertes Zeug.
Die Vierecke wechselten in Gold und Schwarz und waren von kleinen weißen und
großen grünen Perlen besetzt. Auch diese Sandalen hatten die Form eines hohen
' v. Wilmowsky, Der Dom zu Trier 57 und Tfl 8; Die Grabstätten der Erzbischöfe im
Dom zu Trier 6 9 15 und Tfl 4 5.
416 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Schuhes ; sie waren mit einem goldenen Schnällchen geschlossen '. Die Beschuhung
der Erzbischöfe Jakob von Elz (f 1581) und Johann Philipp von Walderdorf (f 1768)
bot wenig Bemerkenswertes mehr. Sie war nach v. AYilmowsky nicht mehr schuh-
artig, also wohl, wie auch die Abbildung anzudeuten scheint, pantoffelartig und ent-
behrte jeder Verzierung (Bild 212). Bei der Beschuhung Jakobs von Elz war das
Oberstück aus Wollstoff hergestellt, bei derjenigen Philipps von Walderdorf aus
Goldtuch. Ein Kreuz fand sich auf keinem der Pontifikalschuhe der Trierer Bischofsgräber.
Die Entdeckungen in den Grabstätten der Erzbischöfe von Trier geben an sich
und zunächst nur ein Bild der Entwicklung, welche die bischöflichen Sandalen in
der Trierer Kirche im Verlaufe unseres Jahrtausends genommen haben. Doch dürfen
wir sie nach allem, was wir sonst von der Geschichte der Pontifikalschuhe gehört
haben, im wesentlichen als Spiegelbild des Wechsels überhaupt betrachten, welcher mit
der sakralen Beschuhung seit dem 12. Jahrhundert vor sich ging. Wie sollte es
auch anders sein können ? Hat doch auch die Umbildung der sonstigen liturgischen
Paramente in dieser Zeit allenthalben im Abendlande in der Hauptsache denselben
Gang eingehalten.
Passen wir das über die Entwicklung des Pontifikalschuhes Gesagte kurz zu-
sammen, so ergibt sich folgendes Bild. Ursprünglich als campagus weder eine eigent-
liche Sandale noch ein wirklicher Schuh, stellte er ein Mittelding zwischen beiden dar,
Bild 209. Pontifikalschuh des Erzbischofs Arnold I. von Trier.
Trier, Dom. (Nach v. Wihuowsky.)
bei welchem Ferse und Fußspitze durch eine Kappe bedeckt waren, während er im
übrigen durch Riemen am Fuß festgehalten wurde. Um die Wende des Jahrtausends
wurden die Riemen sowie die Vorderkappe zu langen zungenförmigen Laschen,
welche oben durch eine von der hintern Kappe ausgehende Schnur vor dem Fuß-
gelenk zusammengebunden wurden. Im 12. Jahrhundert begannen diese Laschen
langsam, aber stetig zu verkümmern, bis sich schliefälich die Sandale im 13. Jahr-
hundert zum völligen Schuh umgebildet hatte. Diese Form behauptete sich von da
an im wesentlichen unverändert das ganze späte Mittelalter hindurch. In der Neuzeit
fing dann eine Art von rückläufiger Bewegung an, bei welcher der Pontifikalschuh zu
einem Pantoffel wurde, der gern, namentlich aber nach römischem Brauch mit Hilfe
von zwei von der Kappe ausgehenden Laschen am Fuß festgehalten wurde.
Die Frage, seit wann ein Kreuz auf dem Vorderstück der Pontifikal-
schuhe angebracht worden sei, ist sehr verschieden beantwortet worden. Hat
man es doch schon auf den alten Mosaiken entdecken wollen. Die Sucht,
alles in möglichst ferne Zeiten hinaufzuführen, mag dabei nicht wenig im
Spiel gewesen sein.
1 Man beachte, wie die Schuhe Boemunds
und Ottos, was die Form betrifft, genau dem
Bild entsprechen, welches uns die noch vor-
handenen Pontifikalschuhe des 14. und
15. Jahrhunderts (s. oben S. 412) vermitteln.
Bei v. Wilmowsky ist das Grab Ottos von
Ziegenhain irrtümlich als das Theodorichs
(t 1242J bezeichnet.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
417
Wenn wir ins Auge fassen, was wir von den Liturgikern des Mittel-
alters von Hraban bis auf Durandus, zumal aber von Amalar über die Pon-
tifikalschuhe hören, und was die Bildwerke und besser noch die erhaltenen
Sandalen früherer Tage uns erzählen, dann kann es uns nicht zweifelhaft
sein , daß das Kreuz auf den bischöflichen Schuhen erst sehr spät einen
Platz erhielt.
Allerdings tritt schon auf dem leider nicht mehr vorhandenen Sandalenpaar von
Niederzeil ein gabelartiger Besatz auf. Im 13. Jahrhundert war ein solcher auf den
Pontifikalschuhen sogar recht häufig. Es wäre indessen verkehrt, wollte man annehmen,
es hätten diese als Dreizack aufgenähten Börtchen ein Kreuz darstellen sollen. Sie
waren nur als Zierbesatz gedacht. Immerhin werden sie als Keim anzusehen sein,
aus dem sich später das Kreuz entwickelte ; doch dauerte es damit noch bis etwa
zum Ende des 14. Jahrhunderts.
Selbst auf den Sandalen der Päpste kommt ein Kreuz erst im 14. Jahrhundert auf l.
Bei den zehn Sandalenpaaren Bonifaz' VIII. , die im Inventar von 1295 eine so ein-
gehende Beschreibung erfahren, ist von einem solchen noch mit keinem Worte die Rede.
-
x^L ~ . ~
Bild 210 — 212. Fontifikalschuhe aus den Trierer Bischofsgräbern.
(Nach v. Wilmowsky.)
Eines der frühesten Beispiele eines geradbalkigen Kreuzes auf Pontifikalsandalen
findet sich bei der Grabfigur Bonifaz' IX. (1389 — 1404)-. Dabei läuft aber hier, wie auch
auf den Grabmälern Martins V. (Bild 213, S. 418), Nikolaus' V., Pauls IL, Sixtus' IV.,
Alexanders VI., Julius' IL, Pius' V. und selbst Benedikts XIV., der Querstreifen
noch von der Sohle auf der einen Seite des Schuhes über die ganze Breite des Ober-
stoffes bis zur Sohle auf der andern Seite, während sich gleichzeitig der Längsstreifen
von der Fußspitze bis zum oberen Ende des Vorderstückes erstreckt.
In Deutschland treffen wir derartige Besätze schon bei den Pontifikalschuhen
der Grabfigur des Kölner Erzbischofs Friedrich von Saarwerden (f 1414) im Dom zu
Köln an3. Im 16. Jahrhundert begegnen wir ihnen auf der Grabplatte des Bischofs
Johannes von Hoya (f 1574) im Dom zu Münster und ihrem Pendant, der Grabplatte
des Bischofs Bembert von Kerssenbroich (f 1568) im Dom zu Paderborn, ferner bei
mehreren Statuen heiliger Bischöfe im Chorumgang des Münsterischen Domes. Auch die
Sandalen, die man an den Füfsen der Leiche des Mainzer Erzbischofs Adam von Bicken
1 Wegen der Kreuze, welche sich jetzt
auf den Schuhen der Päpste Honorius I. und
Symmachus auf dem Apsismosaik in S. Agnese
fuori le Mura finden, vgl. oben S. 393, Anm. 3.
2 Abbildung des beim Neubau der Peters-
Br.iun, Die liturgische Gewandung.
kirche zerstörten Grabmals in Ciaconii-Oldoini
Vitae et res gestae Pontif. Rom. II, Romae
1677, 695.
3 Vgl. auch die Sandalen der Grabstatue Ru-
perts von der Pfalz (f 1480) im Bonner Münster.
27
418 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
(f 1604) fand, waren vorn oben mit sich kreuzenden Bändern besetzt1. Der Hildes-
heimer Sandalen aus St Godehard (Bild 203, S. 413) ist schon früher gedacht worden.
Immerhin war ein solches Kreuz keineswegs allgemein oder auch nur
das Gewöhnliche. Häufig fehlen alle Besätze, in andern Fällen zieht sich
nur ein Längsstreifen vom Rist zur Fußspitze hin, noch in andern ist der
Schuh über und über mit Stickereien bedeckt. Das kleine quadratische Kreuz
findet sich als Verzierung der Pontifikalschuhe auf den Papstdenkmälern erst
bei Klemens XIV. (f 1774). Es ist also sehr späten Ursprungs. Auf deutschen
Grabmonumenten erscheint es , wenngleich ganz vereinzelt , schon außer-
gewöhnlich früh, so z. B. bei der Grabfigur Konrads von Hochstaden (f 1261)
im Dom zu Köln. Im 16. Jahrhundert ist es auf der Grabplatte des Bischofs
Johannes Nasus (f 1590) in der Franziskanerkirche zu Innsbruck zur Dar-
stellung gekommen. Doch dürfte es allem Anschein nach in diesen und den
ähnlichen seltenen Fällen lediglich eine Zutat des Künstlers sein, der die
fraglichen Bildwerke schuf.
Zu Eom galt der kreuzförmige Besatz der Pontifikalschuhe schon im 15. Jahr-
hundert als Vorrecht des Papstes. Daher verbot Nikolaus V. dem Gegenpapst Felix V.
bei dessen Abdankung, einen solchen auf den Sandalen zu tragen, trotzdem er ihm
manche andere Privilegien und die bischöflichen Abzeichen beließ. Noch jetzt sind in
Eom nur die Pontifikalschuhe des Papstes mit dem
Zeichen der Erlösung geschmückt. Es dürfte das
wohl mit der Sitte des Fufskusses zusammenhängen,
wenngleich diese schon lang bestand, ehe man noch
daran dachte, die päpstlichen Sandalen mit einem
Kreuz zu zieren2.
Bild 213.
Pontifikalschuhe der Grabfigur
Martins V. Eom, Lateran.
Seit welcher Zeit Caligae und Sandalen
dem liturgischen Farbenkanon unter-
liegen, ist nicht näher zu bestimmen. Schon im
12. Jahrhundert gab es, wie wir bereits hörten,
neben schwarzen auch farbige Pontifikalschuhe, im 13. aber treffen wir nicht
selten in den Inventaren rote, blaue, violette oder grüne Strümpfe und Schuhe
an. Noch häufiger werden solche dann im 14. Jahrhundert. Indessen folgt
daraus noch nicht, daß auch für die pontifikale Fußbekleidung schon damals
die liturgische Farbenregel gegolten habe. In der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts bestand der Farbenkanon für sie jedenfalls noch nicht, wie sich zur
Genüge aus des Durandus Äußerungen hinsichtlich der Farbe der Sandalen und
Caligae ergeben dürfte. Dagegen scheint er um 1400 bereits für sie Geltung-
besessen zu haben; denn der 15. Ordo schreibt für Karsamstag ausdrücklich
weiße Pontifikalschuhe vor 3.
Um eine Idee zu geben, wie kostbar man im Mittelalter die Pontifikalschuhe
auszustatten pflegte, lassen wir die auf sie bezüglichen Angaben des Inventars von
St Paul von 1295 folgen. Sandalia, heißt es dort, de indico sameto cum caligis
breudatis cum scalopis (Jakobsmuscheln) et leonibus, item duo sandalia de nigro
serico, breudata vineis et lunulis sine scaligine (caligis) parvi pretii, item sandalia de
nibeo sameto cum caligis breudatis aquilis, leonibus et rosis et in summitate vinea
breudata, sotulares sunt breudatae ad modum crucis, item sandalia bona et nova breu-
1 Schneider, Fr., Die Gräberfunde im
Ostchor des Domes zu Mainz 17. Joh. Schwei-
kards Leiche trug eine Art Stiefel (ebd. 10).
2 Über den Fußkuß , der schon in den
ältesten römischen Ordines erwähnt wird,
z. B. ordo 1 , n. 11: ordo 2 , n. 8 ; ordo 3,
n. 10 (M. 78, 942 971 979), vgl. „Stimmen
aus Maria-Laach" XLVII 486 f und Kirchen-
lex. IV 2143.
3 C. 83 (M. 78, 1328).
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fufäbekleidung.
419
data cum aquilis et griffonibus . . ., item sandalia Fulconis episcopi cum caligis breu-
datis opere pectineo, item sandalia cum caligis de rubeo sameto diasperato (Damast),
breudata cum imagimbus regum in rotellis simplicibus. . . . Item sandalia Henrici de
Wengham episcopi cum flosculis de perlis indici coloris et leopardis de perlis albis
cum caligis breudatis et frectatis de armis palatis et undatis , item sandalia cum
caligis de rubeo sameto breudatis cum ymaginibus regum in vineis circulatis, item
sandalia cum caligis breudatis cum circulis cerici (coloris) purpurei, rubei et albi cum
rosulis et crucibus quae fuerunt Ioannis de Chisliulle Episc. Londin. Sehr lehrreich
ist auch, was die Ausstattung der Pontifikalschuhe anlangt, das Inventar des apo-
stolischen Schatzes von 1295 wegen seiner diesbezüglichen eingehenden Mitteilungen.
X. VERWENDUNG DER SAKRALEN FUSSBEKLEIDUNG IM LITUR-
GISCHEN DIENST.
Über den Umfang, in welchem die pontifikale Fußbekleidung beim Gottes-
dienst Verwendung fand, fehlen genauere Nachrichten. Sie war unzweifelhaft
von Anfang an ein Bestandteil des Meßornates. In dieser Eigenschaft
begegnet sie uns schon bei Gregor d. Gr. in seinem Brief an Bischof Johannes
von Syrakus; denn das procedere, von welchem darin die Rede ist, besagt:
zur Meßfeier aufziehen. Fraglich ist, ob sie auch bei andern Funktionen
gebraucht worden sei oder ob sie ausschließlich im Dienst des heiligen Opfers
gestanden habe. Für das erste dürfte die Bulle Alexanders III. sprechen, in
welcher Heinrich von Fecamp die Ermächtigung erteilt wird, sich wie anderer
Pontifikalien, so auch der Sandalen bei Prozessionen, auf Konzilien der rö-
mischen Päpste und auf Synoden, denen päpstliche Legaten präsidierten, zu
bedienen1. Die Gewohnheit, am Karfreitag bei den liturgischen Zere-
monien die sakrale Fußbekleidung nicht zu tragen, muß zu Rom schon früh
in Kraft gewesen sein, da bereits der zwischen 1192 und 1198 von dem
Kardinal Cencius de Sabellis verfaßte römische Ordo unter der Rubrik: Quid
dominus papa facere debeat feria VI. in Parasceve, unter anderem sagt, es
sollten die Ministri dem Papst nicht die Sandalen, sondern die Alltagsschuhe
anziehen 2. Daß nach römischem Ritus die liturgische Fußbekleidung auch bei
Totenmessen schon im Mittelalter keine Verwendung fand, erfahren wir sowohl
aus dem Pontifikale des Durandus 3 als aus dem 15. Ordo4. Im Ritus der
Bischofsweihe kamen die Sandalen und Strümpfe nur in untergeordneter
AVeise zur Geltung. Der Electus wurde mit ihnen bald erst nach dem Graduale,
bald bereits nach dem Examen, bald schon bei Beginn der Feier ausgestattet5.
Die Anlegung der liturgischen Fußbekleidung vollzogen gewöhnlich die zwei
assistierenden Bischöfe und der Archidiakon unter Beihilfe von Subdiakonen
und Akolythen. Dabei beteten die Bischöfe nach dem Ordo vulgatus: „All-
1 P f 1 u g k - H a r 1 1 u n g , Acta 1 , 263 ;
vgl. auch I, 336.
- C. 13 (M. 78, 1075) : vgl. auch ordo 10,
u. 13; ordo 14, c. 93; ordo 15. c. 75 (ebd.
1013 1214 1315).
» Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 23; I 225:
Sandaliis uti non debet, quia tunc (in missa
pro defunctis) omnis sollemnitas cessare
debet.
« C. 133 (M. 78, 1847).
5 Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 8 10 12
14 16; II 53 57 66 72 81 und der ordo vulg.
bei Hitt. 109. In mehreren der angeführten
Weiheordines führen die caligae auffallender-
weise den Namen cambagi. Vermutlich stand
in dem ursprünglichen Text nur cambagi
(= campagi) ; als Glosse scheint dann san-
dalia eingeschaltet, cambagi aber infolge-
dessen nachgerade als ein von den Sandalen
verschiedenes Ornatstück und als Bezeichnung
der caligae angesehen worden zu sein ; daher
denn nun auch wohl zwischen cambagi und
sandalia ein et trat, z. B. (Hitt. a. a. O.):
Quando induitur cambagis et sandaliis.
27*
420 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
mächtiger, ewiger Gott, der du Anfang und Ende bist, laß diesen deinen
Diener, unsern Bruder, durch deinen Segen mit dieser Fußbekleidung zur Ver-
kündigung des Friedensevangeliums ausgerüstet werden."
Die jetzige römische Praxis, wonach die Ministri den Bischof vor dem
Pontifikalamt mit den Caligae und Sandalen ausrüsten, während die fünf Vor-
bereitungspsalmen rezitiert werden, reicht wenigstens bis ins 12. Jahrhundert
hinauf. Denn sie begegnet uns nicht bloß im 14. Ordo Mabillons 1, sondern
auch schon bei Innozenz III. 2 Auch das Pontifikale des Durandus kennt sie3.
Die Praxis war jedoch im Mittelalter keineswegs allgemein, wie denn über-
haupt in Bezug auf den Ritus der Vorbereitung auf die Feier des heiligen
Opfers damals eine große Verschiedenheit und eine bunte Mannigfaltigkeit
herrschte.
Die Anlegung der pontifikalen Fußbekleidung fand nach mittelalterlichem
Brauch gerade wie heute stets vor Annahme der übrigen liturgischen Ge-
wänder, nicht aber auch überall vor der Händewaschung statt. Meistens
freilich scheint der Bischof diese erst vorgenommen zu haben, nachdem er
Caligae und Sandalen angezogen hatte. So wollte es, wie aus den Angaben
Innozenz' III. sowie des 13. 4 und 14. Ordo erhellt, namentlich die römische
Praxis, das Pontifikale des Durandus und schon um das Ende des ersten Jahr-
tausends das Sakramentar von Corbie5; ja schon Theodulf von Orleans6
läßt um 800 den Diakon zunächst den Bischof mit der liturgischen Fuß-
bekleidung versehen und erst dann ihm das Wasser zur Waschung reichen.
Indessen stoßen wir doch auch auf die entgegengesetzte Sitte: so in einem
Pontifikale von Cambrai 7 aus dem Ende des 12. Jahrhunderts, bei Sicard
von Cremona8 und in einem im 12. Jahrhundert geschriebenen Salzburger
Pontifikale 9.
Bei Anlegung der Caligae ein Gebet zu sprechen, scheint nur sehr ver-
einzelt üblich gewesen zu sein. Es sind uns nur äußerst wenige Pontifikalien
oder Missalien bekannt geworden, welche ein solches enthalten. Nach dem
Sakramentar von Corbie soll der Bischof flehen: „Allmächtiger Gott, Urheber
aller Ziemlichkeit, mach des alten Feindes Ränke zu Schanden, indem du voll
Gnaden diese Caligae durch unseres Dienstes Geheimnis segnest, auf daß so-
wohl im Wandel des Evangeliums Wahrheit hervorleuchte, als auch im Sinn
unversehrter Glaube sich betätige." Ein Pontifikale der Vaticana heißt ihn
beten : „Bekleide mich, Herr, mit den Caligae der Geradheit, auf daß ich voll
Treue den Weg deiner Gebote wandle." In zwei andern, ebenfalls der vati-
kanischen Bibliothek angehörenden Codices lautet das Gebet: „Beschuhe mich,
Herr, mit den Caligae der Freude und kräftige meine schwachen Kniee, daß
ich ohne zu ermüden auf dem Wege deiner Gebote zu dir gelangen kann." 10
Der Grund, warum bei Anlegung der Pontifikalstrümpfe nur sehr selten ein
besonderes Gebet üblich war, ist unschwer zu erkennen. Caligae und Sandalen
1 C. 53 (M. 78, 1156). 6 So auch Vat. Ottob. 27, f. 8»; 547, f. 138»;
2 De sacro altaris mysterio 1. 1, c. 47 48 576, f. 217''. Vat. lat. 4730, f. 14»; 4743,
(M. 217, 791 f). f. 61'; 9340, f. 4b.
3 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 23; I 221. 6 Carm. 1. 5, n. 3 (M. 105, 355).
Cf. Durandus, Rationale 1. 3, c. 8; f. 71 : ' Mart. 1. 1, c. 4, art. 1; I 127.
Celebraturi pontifices pedes interea , dum " Mitralis II, c. 8 (M. 213, 87).
dicuntur quinque Psalmi in praeparatione s Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 13; I 207.
evangelii pacis , caligis et sandaliis cal- 10 Vat. lat. 1145, f. 1511, ; 4730, f. 14" und
ciantur. ' N. 6 (M. 78, 1108). Ottob. 27, f. 8".
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung. 421
galten und gelten als ein Ganzes, daher denn auch jetzt noch beim Anziehen
der ersteren kein Gebet gesprochen wird.
Übrigens war es im Mittelalter nicht einmal allgemein gebräuchlich,
beim Anschuhen der Sandalen ein Gebet zu verrichten. Wo aber diese
Sitte bestand, finden wir meistens dasselbe, welches der Bischof noch heute
nach der Anweisung des römischen Missale zu verrichten hat 1.
Ein Pontifikale der Vaticana läßt den Bischof flehen: „Allmächtiger,
barmherziger Gott, beschuhe meine Neigungen und Wünsche, damit ich nicht
durch den Erdenstaub befleckt werde und würdig sei, im Verein mit den
Jüngern Christi, die mit Sandalen bekleidet waren, zur Verkündigung des
Evangeliums vom Frieden auszuziehen."
Ein anderes heißt ihn sprechen: „Mit den Sandalen deines Schutzes be-
schirme, o Herr, meine Füße, damit ich nach dem Beispiel der Heiligen würdig
deine Geheimnisse feiere. " 2
XL ABLEITUNG DER LITURGISCHEN FUSSBEKLEIDUNG.
Bei der liturgischen Fußbekleidung ist an eine Ableitung von einem
entsprechenden Ornatstück des Alten Bundes nicht zu denken, wie auch schon
Pseudo-Alkuin bemerkt hat 3, weil sie unter den Sakralkleidern der Synagoge
kein Gegenstück findet. Dagegen führen mehrere der alten Liturgiker die
bischöflichen Sandalen auf die Beschuhung zurück , mit welcher der Herr
nach Markus die Apostel sich versehen hieß, als er sie zum Predigen aus-
sandte. Bildeten einerseits die Sandalen einen Teil der Ausrüstung der Apostel,
als sie auszogen, um die Botschaft des Heiles zu verkündigen, und gab es
anderseits auch für den Bischof, dessen heilige Amtspflicht es ist, den Gläubigen
das Brot des Lebens in Gestalt des Wortes Gottes zu brechen, eine besondere
liturgische Fußbekleidung, so lag es in der Tat nahe, diese zu jenen in Be-
ziehung zu setzen. Von einer wirklichen Ableitung der Pontifikalschuhe
von den Apostelsandalen kann aber keine Rede sein; denn die Reisesandalen
der Apostel waren weder ein auszeichnender Schmuck, noch hatten sie litur-
gischen Charakter1. Ebensowenig können endlich Sandalen und Caligae aus
den Riten des Ostens herübergenommen sein; denn diese kennen weder jetzt
eine sakrale Fußbekleidung, noch haben sie je eine solche gekannt.
Wir werden daher das Abendland als die Heimat unserer liturgischen
Beschuhung zu betrachten haben, und zwar kann diese angesichts des Um-
standes, daß sie sich in der Geschichte stets als spezifisch römischer Ornat
gibt, nur in Rom aufgekommen sein. Darauf weist denn auch das Constitutum
Konstantins hin, wenn es den römischen Klerikern das Vorrecht erteilt, sich
des calceamentum und der udones der Senatoren zu bedienen. Welches war
aber die Beschuhung, auf welche die liturgische Fußbekleidung zurückgeführt
werden muß? War es etwa der altrömische Senatorenschuh?
1 Mart. LI, c. 4, art. 12, ordo 12 13; (De insignibus episcoporum commentaria,
I 204 207, und die Messe eines Sakramen- Ratisb. 1891, 2) schreiben kann : Sandaliorum
tars des 1 1 . Jahrhunderts im Appendix zu itaque origo ab apostolicis temporibus esse
Menards Gregor M. Liber sacrament. (M. repetenda scriptores oranes rerum ec-
78, 245). Vgl. auch Vat. Ottob. 547, clesiast i carum unanimiter affirmant,
f. 133" und 576. f. 217 b. eo quod ipsis Apostolis I. Ch. D. N. prae-
2 Vat. lat. 4743, f. 41'; 1145, f. 151b. cepit, ut sandalia gestarent. Und wo sind
3 De div. offlc. c. 38 (M. 101, 1240). denn alle Archäologen, die das einhellig
4 Es ist merkwürdig, wie Rinaldi-Bucci sagen?
422 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Es ist bekannt, daß in Korn die patrizischen Senatoren von alters her eine
besondere Schuhart trugen. Von den plebejischen Senatoren bedienten sich ihrer
ursprünglich nur die curules; später stand sie allen ohne Ausnahme zu. Inder ersten
Zeit scheint zwischen dem patrizischen und dem plebejischen Senatorenschuh eine
Verschiedenheit in der Form oder Ausstattung geherrscht zu haben ; doch ist es nicht
hinlänglich sicher, worin dieselbe bestand. In der Kaiserzeit dürften die Unterschiede
sich aber ausgeglichen und alle Senatoren ein und denselben Schuh getragen haben.
Diesen calceus senatorius will man bei einer Anzahl von Monumenten, und zwar
sowohl bei Togastatuen wie bei Bildwerken in militärischer Gewandung, vorgefunden
haben. Der Schuh deckt hier den Fuß vollständig und steigt bis zur Wade hinauf.
Von dort, wo die Zehen beginnen, ziehen sich zwei Riemen im Kreuz über den Fuß,
welche das Fußgelenk umschnüren und vorn zusammengebunden sind. Etwas höher
hinauf umgibt den oberen Teil des Schuhes ein zweites, gleichfalls vorn in einen
Knoten geschlungenes Riemenwerk '.
Ob die Annahme, welche in dieser Schuhform den calceus senatorius sieht,
richtig ist, bleibe dahingestellt. Jedenfalls kann die fragliche Beschuhung nicht die
unmittelbare Ahnherrin der campagi und udones gewesen sein, die wir im 6. Jahr-
hundert im Gebrauche der Kleriker antreffen. Dafür ist die Verschiedenheit beider
zu groß. Hier ein der Sandale nahestehender Schuh und eine innere weiße Umhüllung
des Fußes, dort ein hoher, den Fuß völlig einschließender Schuh ohne eine darunter
sichtbare Bekleidung des Fußes.
Das Constitutum Konstantins muß also eine andere Beschuhung im Sinne
haben. In der Tat gab es in nachkonstantinischer Zeit eine auszeichnende
Fußbekleidung, welche mit den liturgischen campagi und udones unzweifelhaft
innigst verwandt ist. Wir kennen sie sowohl aus der Beschreibung, die Jo-
hannes Lydus im 6. Jahrhundert von ihr gibt, als aus ihrer Wiedergabe auf
einer Reihe von Monumenten.
Nach Johannes Lydus bestand sie aus zwei Stücken, den TispiaxsAidsQ
und dem ürrudr^ua oder xäpTiayog.
Die TTspiffzsttdsg waren weiß und bedeckten den Unterschenkel samt dem
Fuße; die xäpnayot waren von schwarzer Farbe und unten mit einer Sohle
versehen, aber ohne ein den Fuß einhüllendes Oberleder. Ferse und Zehen
umschloß ein kleiner Aufsatz. An den Fuß wurde der Schuh mit Riemen
befestigt, die von Streifen unter dem Fuß ausgingen und sich oben auf dem-
selben trafen. Infolge dieser Beschaffenheit der Y.ö.fj.Tio.yoi war von ihnen bloß
ein wenig vorn an den Zehen und hinten an der Ferse sichtbar, während
der von den ■nzpioxtliotc, umgebene Fuß fast so gut wie ganz zum Vorschein
kam 2. Das Bild, welches Johannes Lydus in dieser Weise von der Patrizier-
beschuhung entwirft, entspricht, wie man sieht, in der Hauptsache durchaus
demjenigen, welches man aus den Bildwerken des 6. Jahrhunderts von der da-
maligen liturgischen Fußbekleidung gewinnt. Nicht minder stimmt seine
'Pauly, Real-Encyklopädie III2 1342.
Marquardt, Römische Altertümer VII
591 ff. Wilp., Cap. 13.
2 De mag. I 17 (Bonnae 1837, 134): \h-
piaxeXiSeg Xeuxat, SXov tu axiXog truv rotg ~oai
(TxzTzoüaru xai ünudrjpa piXav , bnoadvdaXov,
ät riXou ytißvöv , ßpayzi ti'ji ävavrr/ij.ari ttjv
xript-r/H, i—' u.xpou 8s robq daxrüXoug tou
—oobg arjiT<pi'/'/'ujv, ipAvttov exazipeo&sv hzi Tobg
d.rrTpayd.Xoug bnb TÖ tpdp.o. zob ~o3bg r}tsX.xo~
p,£vcov i-l tu rrrrp'log, d.WJuTto.'>Tuivru>v äXXrjXocg
xai 5iadztJ[J.0Ö¥TU)v tov Tzööa, wirre ßpayb X.iay
ex ts daxriJXuiv ip—poai'ivj xai i&'mio&ev dia-
pacveadac tu u-ödrjp.a , üXov <Ji tuv —öäa rrj
7!spt(TxeXi')t dcaXdp.Ttetv. kdp.-ayov abrb xa-
Xoüat'j. Lydus redet allerdings an dieser
Stelle von der Fußbekleidung der alten Pa-
trizier, doch hat er hier, wie vielfach anderswo,
Gegenwärtiges auf die Vergangenheit über-
tragen. Sein Mangel an historischem Sinn
ist bekannt. Was Lydus beschreibt, ist die
Standesbeschuhung nicht des alten Rom,
sondern seiner eigenen Zeit. Für diese aber
sind seine Angaben zutreffend.
Zweites Kapitel. Die pontifikale Fußbekleidung.
423
Beschreibung mit der Schilderung überein , die zwei Jahrhunderte später
Amalar von den sakralen campobi (= campagi, sandalia) und dem linum, quo
pedes vestiuntur, gibt.
Abbildungen der fraglichen Standesbeschuhung begegnen uns beim Gefolge
Justinians und Theodoras in S. Vitale zu Ravenna, bei den Titelheiligen auf den Apsis-
mosaiken in S. Cosma e Damiano und S. Teodoro zu Eom , beim hl. Rufinianus
auf dem Fresko im Cömeterium der Generosa ', auf den Mosaiken in S. Venanzo bei
der lateranensischen Taufkapelle, auf einem Elfenbeindiptychon zu Monza2, auf dem
Schild von Almendralejo (Estremadura) im Museum zu Madrid3 und einem Privat-
diptychon in der Kathedrale zu Novara *, einer Arbeit des 5. bis 6. Jahrhunderts. Auf
dem Mailänder Elfenbein und dem Madrider Schild macht sich die innere Umhüllung
des Fußes kaum bemerklich. Auf dem Diptychon zu Novara ist sie dagegen durch
ihre Faltenbildung deutlich zu erkennen. Klar und bestimmt treten beide Bestand-
teile der Fußbekleidung auf den angeführten Mosaiken und dem Fresko des Cöme-
teriums der Generosa hervor, die schwarzen, noch an Sandalen erinnernden campagi,
welche nur Fersen und Zehen bedecken, und die weißen udones. Es ist eine Fuß-
bekleidung wesentlich derselben Art, wie wir sie bei den hll. Ambrosius und Maternus
in der Kapelle des hl. Satyrus zu Mailand, bei Maximian und seinen Ministri in
S. Vitale, bei Papst Pelagius II. in S. Lorenzo fuori le Mura und einer Reihe ähn-
licher Bildwerke gewahren.
Die Übereinstimmung ist unverkennbar und unleugbar, welche zwischen der
Beschreibung der v.d\x-a-(oi und -spur/ceXioss bei Lydus und deren Darstellung auf den
Monumenten r' einerseits und dem Namen, den die liturgische Fußbekleidung hatte.
der Schilderung, den die Liturgiker des 9. Jahrhunderts von ihr machen, und der
Art ihrer Wiedergabe auf zahlreichen Bildwerken anderseits herrscht. Es kann darum
nicht zweifelhaft sein , daß die liturgischen campagi und udones in der Tat auf den
auszeichnenden profanen Standesschuh nachkonstantinischer Zeit zurückzuführen sind,
von dem wir eben durch Lydus und die angeführten Monumente Kunde haben.
Da campagus und udo uns schon im 6. Jahrhundert zu Rom und Ra-
venna, im 5. bereits zu Mailand auf den Bischofsdarstellungen begegnen, und
Gregor d. Gr. von dem campagus als einer schon seit geraumer Zeit in
Gebrauch stehenden klerikalen Ehrenbeschuhung spricht, so muß die den
Senatoren und sonstigen hochstehenden Personen, wie den Palastbeamten u. a.,
eigentümliche Fußbekleidung spätestens im Verlauf des 5. Jahrhunderts in
kirchliche Dienste übergegangen sein. Von großem Einfluß hierauf ist un-
zweifelhaft die bedeutsame Stellung gewesen, welche der Klerus im öffent-
lichen Leben erlangt hatte, seitdem der Kirche durch Konstantin die Freiheit
geworden war. Im übrigen ist über den Vorgang nichts bekannt. Was sich
über die Veranlassung zur Herübernahme des weltlichen Standesschuhes und
die näheren Umstände dieses Ereignisses sagen ließe, geht daher über bloße
Möglichkeiten nicht heraus. Wenn die Konstantinische Schenkung den Ge-
1 Siehe oben S. 387, Anm. 5.
2 Abbildung in Ann. XXI 222 225.
3 Cahier, Curiosites pl. vn.
4 Abbildung bei Gori, Thesaur. vet. dip-
tych. II, Tfi 4 und Westwood, A descrip-
tive catalogue of the fictile ivories in the
South Kensington Museum Nr 74 75.
5 Selbstverständlich kann es sich bei der
Übereinstimmung zwischen den Angaben des
Lydus und den Wiedergaben der fraglichen
Beschuhung auf den Monumenten nur um
eine solche in den wesentlichen Punkten
handeln. Daß in Nebensächlichem, wie Zahl
der Riemen, Anordnung derselben, Größe
des die Zehen bedeckenden Vorderstückes,
kleinere Abweichungen sich geltend machen,
ist offenbar von keiner Bedeutung. Sie liegen
teilweise daran, daß auch die Beschuhung
selbst nach Zeit, Ort und Mode darin von
Wechsel sich keineswegs frei erhielt; teil-
weise aber werden sie den Künstlern zur
Last fallen, die ja weit davon entfernt waren,
ein photographisch genaues Bild der Fuß-
bekleidung geben zu wollen.
424- Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
brauch der Senatorenschuhe seitens der römischen Kleriker auf Kaiser Kon-
stantin zurückführt, so heißt das nur, das Ergebnis einer geschichtlichen
Entwicklung an eine bestimmte Persönlichkeit knüpfen 1.
Den Ursprung der profanen campagi und udones können wir auf sich
beruhen lassen, da es sich hier ja nicht um eine Geschichte der profanen
Tracht handelt. Es muß genügen, die Ableitung der liturgischen Fußbekleidung
von einer auszeichnenden profanen Beschuhung nachgewiesen zu haben.
DRITTES KAPITEL.
DIE MITRA.
I. NAME DES ORNATSTÜCKES.
Nach den Anordnungen, welche Moses auf Befehl Gottes bezüglich der
Kultkleidung des hebräischen Opferdienstes getroffen hatte, mußten bei ihren
Amtsverrichtungen der Hohepriester wie die Priester in gloriam et decorem
einen besondern Kopfschmuck tragen 2. Bei diesen bestand derselbe in der
Migba'ah , bei jenem in der Miznephet und dem Ziz. Welche Gestalt die
Migba'ah und die Miznephet gehabt, ob sie eine Art Mütze oder Turban ge-
wesen und wie sie sich voneinander unterschieden, erhellt aus der Heiligen
Schrift nicht. Nach Josephus Flavius, dem Hieronymus im wesentlichen bei
seiner Beschreibung der priesterlichen Kopfbedeckung folgt, bestand die
Priestermütze aus einer linnenen Binde, die turbanartig zusammengenäht und
von einem an ihr befestigten feinen Linnentuch verhüllt wurde. Sie hatte
die Form eines stumpfen Hutes oder, wie Hieronymus sagt, einer Halbkugel
und bedeckte nur zwei Drittel des Kopfes, also etwa den Scheitel. Die Kopf-
bedeckung des Hohenpriesters setzte sich nach Josephus zusammen aus einer
Mütze, wie die Priester sie trugen, einer zweiten Mütze von blauem Zeug
und einem dreireihigen Goldreifen, an welchem über der Stirn der Ziz, die
goldene Platte mit dem Namen Gottes, hinten aber von Schläfe zu Schläfe
nach Art der Zacken einer Krone kelchförmige Blumen angebracht waren.
Die Beschreibung, welche uns Josephus Flavius und Hieronymus von der
Migba'ah und Miznephet geben, paßt für die letzte Zeit des Tempeldienstes.
Ob und inwieweit sie für eine frühere Epoche des jüdischen Kultus zutrifft,
läßt sich nicht bestimmen. Mit den Vorschriften , welche Moses über die
Herstellung des hohenpriesterlichen Kopfschmuckes erließ, stimmen die An-
gaben des Josephus jedenfalls nicht ganz überein. Nach des Moses Anordnung
sollte nämlich der Ziz mit der Inschrift „Heilig dem Herrn" versehen und
mit hyazinthfarbigem (blaupurpurnem) Band vorn über der Miznephet an-
gebunden sein. Von einer zweiten blauen Mütze und einem Goldreifen, die
Josephus erwähnt, ist bei ihm keine Rede.
1 De Linas glaubt (Revue 1862, 617) mit aber, wie die Praxis unseres ganzen Jahr-
aller Wahrscheinlichkeit den Ursprung einer tausends beweist, eine besondere Beschuhung
ausschließlich dem Kultus vorbehaltenen Fuß- nicht notwendig zur liturgischen Tracht,
bekleidnng auf das Dekret Stephans I. zurück- Sollte daher auch das Dekret wirklich von
führen zu können , wodurch den Geistlichen Papst Stephan stammen , so läßt sich doch
der Gebrauch der vestes sacratae außerhalb keineswegs aus ihm folgern, daß dieser Papst
der Kirche untersagt wird. Allein es ist schon eine sakrale Fußbekleidung vorge-
erstens unsicher, ob die Verordnung wirklich schrieben habe.
von Stephan I. herrührt. Zweitens gehört 2 Ex 28, 4; 29, 9.
Drittes Kapitel. Die Mitra. 325
Auch der christliche Kultus kennt eine liturgische Kopfbedeckung. Sie
findet sich nicht nur im römischen, sondern auch in den meisten Riten des
Orients, und zwar kommt sie, abgesehen von den Armeniern, bei denen auch
die Priester sich ihrer bedienen, überall an sich nur dem Bischof zu. Der
verbreitetste Name dieser Kopfbedeckung ist Mitra, lat. mitra, griech. fiivpa,
slav. mitra. Bei den Armeniern heißt sie saghavart, bei den Nestorianern
biruna, bei den schismatischen Kopten ballin.
Mitra ist das latinisierte fiirpa, welches bei den griechischen Schrift-
stellern bald in der Bedeutung von Leibgurt, Brustbinde und überhaupt Binde,
bald in dem besondern Sinne von Kopfbinde, Kopfschleier und Mütze ge-
braucht wird 1. Als Name einer bischöflichen liturgischen Kopfbedeckung
kommt fiizpo. gerade wie das Ornatstück selbst erst in sehr später Zeit vor.
Die römischen Profanschriftsteller verstehen unter dem Worte mitra
ebenfalls entweder eine Binde oder gewöhnlicher eine orientalische, binden-,
schleier- oder haubenartige Kopfbedeckung, welche bei den Lydern, Phrygiern,
Syrern, Arabern, Ägyptern und Persern allgemein von Personen beiderlei
Geschlechts, in Rom aber fast nur von Dirnen und Weichlingen getragen
wurde. Doch nennen sie auch die Kopfhülle alter Frauen mitra 2.
In der Vulgata besagt mitra bald den priesterlichen bzw. hohenpriesterlichen
Kopfschmuck, bald eine Frauenkopfbedeckung 3. Bei Optatus von Mileve be-
deutet das Wort (in Diminutivform auch mitella) den Kopfschleier der gott-
geweihten Jungfrauen *. Hieronymus redet von gekräuselten Mitren (crispantes
mitrae) als einem Putzstück üppiger Frauen 5. Isidor von Sevilla 6 beschreibt
mitra als pileum phrygium caput protegens, quäle est ornamentum devotarum ;
sed pileum virorum est, mitra feminarum, also als eine Hauptbedeckung
weiblicher Personen , namentlich solcher , die sich dem Dienste Gottes ge-
widmet hatten.
In der späteren Zeit verstand man unter mitra nur noch eine mützen-
artige Kopfbedeckung. Bei Honorius 7, bei Johannes Beleth 8 und Sicard 9 und
im Manuale von Roeskilde 10 bezeichnet das Wort beispielsweise das Mützchen
der Täuflinge, in den Statuten des Pariser St Viktorstiftes n den Hut der
Laienbrüder bzw. einen Reisehut. Eine Schlafmütze bedeutet mitra in der
Regel des Klosters Melk vom Jahre 1451 12, eine Kopfbedeckung der Geist-
lichen in den Statuten der Tournaier Synode des Jahres 1366 13 und der Halber-
städter vom Jahre 1408 u, eine laikale Männermütze in denjenigen der Trierer
Synode des Jahres 1310 15 und in der Chronik des Löbener Anonymus16 und
sonst 17. Mitra hieß auch die der liturgischen Mitra nachgebildete Mütze,
welche der Kaiser und die Kaiserin unter der Krone trugen18; vor allem aber
bezeichnete man mit dem Worte die bischöfliche sakrale Kopfbedeckung.
1 Stephani, Thesaurus graecae linguae ,0 Manuale Curat, sec. usum eccl. Rosckild.
V, Paris. 1835, 1101. (ed. Preisen), Paderborn 1898, 14.
2 Forcell. sub mitra II 88 89. " C. 20 (Mart. III 261).
3 Ex 89, 26 30. Lv 8, 13. Eccli 45, 14. I2 D. C. sub mitra V 427.
Jdt 10, 3. Is 3, 19. Bar 5, 2. " D. C. a. a. O.
4 De schisrn. Donat. 1. 2, c. 19: 1. 6, c. 4 » 0.4 (Hartzh. V 14).
(M. 11, 973 1072). " C_ 14 (flartzh. IV 131).
5 Ep. 54 ad Furiam n. 7 (M. 22, 553). 16 Boehmer, Fontes I, Stuttgart 1843, 425.
6 Etymol. 1. 19, c. 31 (M. 82, 699). " D. C. a. a. O.
7 Gemma 1.3, c. 111 (M. 172, 673). ls Ordo 14, c. 105 (M. 78, 1241). D. C.
s Rationale c. 110 (M. 202, 114). V 427 f. Vat. lat. 4747, f. 60' 70v. Näheres
,J Mitralis 1. 6, c. 14 (M. 213, 335). unten am Schluß von Nr V dieses Kapitels.
426 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Außer dem Namen Mitra trägt der pontifikale Kopfschmuck des rö-
mischen Ritus auch die Bezeichnung infula, Inful. Wir treffen sie schon
im 12. Jahrhundert bei Honorius *, Robert Paululus 2 und Sicard von Cremona 3
an, doch hat diese Benennung nie eine allgemeine Verbreitung gefunden. Die
liturgischen Bücher wie überhaupt der offizielle kirchliche Sprachgebrauch
keimen das Wort nicht, sondern reden nur von der Mitra.
Weil heute die bischöfliche Mitra auch wohl Inful genannt wird, hat
man irrigerweise bis in die neueste Zeit hinein vielfach unter dem im Mittel-
alter nicht selten vorkommenden Wort infula überall den pontifikalen Kopf-
schmuck verstanden. Die Folge war, daß man der Mitra ein Alter zuschrieb,
welches sie keineswegs besitzt, indem man sie zu einer Zeit in Gebrauch zu
finden glaubte, zu der es in Wirklichkeit eine solche noch nicht gegeben hat.
Allerdings ist es richtig, daß infula bei den Klassikern und spätlateinischen
Schriftstellern wiederholt eine Kopfbinde heidnischer Priester bezeichnet. Als solche
erscheint sie z. B. bei Virgil , wenn der Dichter vom Priester Hämonides singt :
Infula cui sacra, redimibat tempora vitta (Aen. X, 538), und es bemerkt zutreffend
Servius Honoratus (Ende des 4. Jahrhunderts) zu dieser Stelle: Infula fascia in
modum diadematis, a qua vittae ab utraque parte dependent, quae plerumque lata
est, plerumque tortilis de albo et cocco. Eine solche infula trugen insbesondere auch
die Vestalinnen 4. Allein es wäre verkehrt, unter infula ausschließlich einen priester-
lichen Kopfschmuck zu verstehen, oder zu glauben, daß alle Priester die Kopfbinde
getragen hätten. Auf der Trajanssäule sind z. B. eine Keihe von Opfern dargestellt,
ohne daß einer der Priester mit einer solchen ausgestattet wäre. Alle tragen viel-
mehr Kränze 5, und nur der opfernde Feldherr hat den über den Rücken sich sonst
hinziehenden Teil der Toga leicht über den Kopf hinaufgezogen. Festus aber erklärt
infula ganz allgemein als filamenta lanea, quibus sacerdotes et hostiae templaque vela-
bantur. Es wurden also auch die Bänder, mit denen die Tempel und Opfertiere ge-
schmückt wurden, infulae genannt. Bezüglich der ersten bestätigt das Lukan 2, 355:
Infula in geminos discurrit Candida postes, bezüglich der letzten Virgils Georg. III, 487 :
Saepe in honore deum medio stans hostia ad aram , lanea dum nivea circumdatur
infula vitta. Gute Beispiele von Opfertieren , die mit der Infula geschmückt zum
Opfer geführt werden, bieten die Reliefs der Trajanssäule und die Skulpturen der
Rednerbühne auf dem römischen Forum. Als Abzeichen von Bittflehenden erscheint
die infula in Cäsars B. 0. 2, 12: Inermes cum infulis sese porta foras universi pro-
ripiunt, ad exercitum supplices manus tendunt, bei Livius 30, 36 aber begegnet uns
ein karthagisches Schiff zum Ausdruck friedfertiger Absichten velata infulis ramisque
oleae. Von duumviratus aliorumque honorum infulis spricht ein Dekret Konstantins G.
Sie sind in diesem wohl bildlich von der Amtswürde zu verstehen gerade wie bei Am-
brosius in der Schrift De officio ministrorum 7, wo der Heilige sagt, man habe ihn weg-
gerissen de tribunalibus atque administrationis infulis. Auf keinen Fall können sie
einen Kopfschmuck , den es bei den Duumvirn nicht gab , bedeuten. In Ciceros
Agr. 1, 2 werden die Provinzen die Insignien und Infulae des Reiches genannt, sofern
dieselben gleichsam die Ehrenzeichen des römischen Staates und der römischen Tapfer-
keit waren. Rein metaphorisch im Sinne eines Abzeichens, das andere mit heiliger
1 Gemma 1. 1, c. 214 (M. 172, 609). Vgl. i Ambrosius, Ep. 18, n. 11 (M. 16,
auch Rupert. Tuit. Vita S. Heriberti c. 2, 975).
n. 8 (A. SS. 16. Mart. II 473). 5 Vgl. auch TertulL, De Corona militis
2 De off. eccl. 1. 1, c. 55 (M. 177, 405). (M. 2, 93), wo von den Kränzen, mit denen
3 Mitralis 1. 2, c 5 (M. 213, 78). Auch sich die Opfernden schmückten, weitläufig
in der im 12. Jahrhundert entstandenen Vita gesprochen wird.
B. Petri Cavens. fc. 3, n. 25) ist unter der 6 Corp. Tur. Civ. 1. 7, tit. 68, n. 1 ; (ed. Herr-
inf'ula pontificalis die Mitra verstanden (A. mann, Lipsiae 1844) II 502.
SS. 4. Mart., I 332). ' L. 1, c. 1 (M. 16, 25).
Drittes Kapitel. Die Mitra. 427
Scheu erfüllt, und vor dem selbst noch die mittelmäßig Schlechten Achtung haben,
nennt Seneca in Ep. 14 die Philosophie eine Art von infulae: Hae litterae infülarum
loco sunt, während er in ähnlicher Weise in der Schrift De consol. ad Helv. 13 sagt,
derjenige, der gegen die schlimmsten Unglücksfälle sich erhebe, und über die Übel,
von denen andere bedrückt würden, triumphiere, habe das Leiden selbst loco infülarum,
d. h. dessen Leiden flöße Achtung ein. In Ciceros Or. 3, 21 ' scheint infula ein Tuch
oder sonst einen Gegenstand zu bedeuten, auf den man zu malen pflegte.
Unter den infulae in dem Rundschreiben des Papstes Gelasius (492 — 496) an
die Bischöfe Lukaniens, in welchem dieser gewisse Personen als clericalibus infulis
unwürdig hinstellt 2, ist die klerikale Kleidung oder wohl besser die geistliche Würde
zu verstehen. Einen ähnlichen Sinn hat die Bemerkung Gregors von Tours, wenn
dieser den Märtyrer Eugenius als saeerdotalis infulae maximum decus bezeichnet 3. Inno-
zenz I. redet in seinem Schreiben an die Bischöfe von Makedonien von den infulae
summi sacerdotii: eos, qui viduas accepisse suggeruntur, non solum clericos effectos
cognovi, verum etiam usque ad summi sacerdotii infulas pervenisse 4. Hier bezeichnen
die infulae die Bischofswürde.
Prudentius Klemens rühmt in seinem Hymnus auf die achtzehn Märtyrer von
Saragossa die Stadt wegen der domus infulata sacerdotum Valeriorum 5, wo die domus
infulata metaphorisch besagen will , daß in der Familie der Valerier Priester oder
Bischöfe waren. Anderswo erscheint bei ihm die infula als Abzeichen heidnischen
Opferdienstes 6. Im Cathemerinon 7 heißt es vom König David : rex sacerdos infulatus,
wozu Mönch Iso um 860 die Glosse macht: infulatus — veste sacerdotali indutus,
während der Cod. Vat. 5821 (10. Jahrhundert) anmerkt: Sacerdos David, qui fuit
sacerdos, qui ephod vestitus saltavit coram arca.
Für die Bedeutung, welche man im 8. Jahrhundert mit dem Wort infula verband,
sind bezeichnend ein Schreiben Johannes' VII. (705 — 707) an den englischen Klerus,
in dem er die klerikale Kleidung, zumal aber die römische Talartunika, infulae clericales
nennt8, und der Brief des hl. Bonifatius an den Erzbischof Cuthbert von Canterbury,
worin das erzbischöfliche Pallium infula archiepiscopatus heißt 'J.
Interessante Belegstellen für die Bedeutung von infula im 9. und den nächst-
folgenden Jahrhunderten bieten : Vita Hadriani II. '" apostolicis infulis missas celebrare ;
Flodoard. (f 966) Hist. eccl. Ehem. 1. 4, c. 48 u: conspiciensque videt corpus integrum
sacerdotalibus infulis redimitum; Vita Ludov. Pii12: Ludwig der Fromme ließ dem zu
ihm kommenden Papst Stephan seinen Erzkaplan Hildebald, die Bischöfe Theodulf
von Orleans und Johannes von Arles aliorumque ministrorum ecclesiae copiam infulis
indutos sacerdotalibus entgegengehen ; 0 d i 1 o n i s De translat. S. Sebast. et Gregor.
e. 23 13: religiosa monachorum concio, ecclesiasticis infulis redimita . . .; Vita S. Fridolini
abb. (aus dem Ende des 9. Jahrhunderts) 1. 2, c. 2, n. 1014: Sanctus Fridolinus . . .
cum sacerdotali infula venisse visus est; Hist. translat. S. Cuthberti c. 1 15: Cuthbertus
pontificaliter infulatus, verglichen mit c. 6 1G: Cuthbertus episcopalibus vestimentis sollem-
niter indutus; Vita B. Wolphelmi abb. Brunwiller. n. 18 17: episcopalibus infulis decenter
ornatum; Petri Dam. Epist. 1. 1, n. 8 ad Nico! IL18: Si ergo summi illi pontifices,
Aaron videlicet et Cyrillus, post amissionem vestium perdiderunt etiam consequenter
sacerdotalium infulas dignitatum, quid mihi parvulo et indigno datur intellegi, nisi
quia dum ornamentis sacerdotalibus exuor, sacerdotali procul dubio dignitate deponor.
1 Bezüglich dieses und der voraufgehenden 7 Cathem. 9, 5 (M. 59. 862).
Zitate vgl. Force 11. sub Infula I 522. s M. 89, 63.
2 Ep. 14, c. 9 (Thiel, Epp. B. P, Bruns- 9 Ep. 78 (M. G. Epp. III 350).
bergae 1868, 368). >° Duch., L. P. II 174.
3 De gloria martyr. c. 57 (M. G. SS. M. " M. 135, 322. 12 M. 104, 944.
I 527). 13 M. 132, 598.
4 Ep. 17, c. 1 (M. 20, 528). » A. SS. 6. Mart, I 439.
5 Peristeph. h. 4, v. 79 (M. 60, 366). '5 Ebd. 20. Mart., III 127.
6 Contra Symmach. 1. 2, v. 1085 (M. 60, 1G Ebd. 134. 17 M. 154, 419.
269). 's M. 144, 212.
428 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Sehr beachtenswert ist auch das Benediktionsgebet : Et qui me infula pontificali dignatus
est sublimare . . ., aus der bischöflichen Konsekrationsmesse eines Salzburger Pontifikale
(e. 1100) *, weil der vorhergehende Weiheordo wohl Sandalen, Dalmatik, Stab, Ring
und die sonstigen pontifikalen Ornatstücke, selbst die Handschuhe erwähnt, aber von
einer Mitra oder sonst einem Kopfschmuck nicht das geringste weiß. Bezeichnend
ist ferner eine Stelle in der ca 900 geschriebenen Vita S. Eucharii -, wo erzählt wird,
wie Eucharius und Valerius dem Maternus erschienen sacerdotalibus infulis coru-
scantes , Coronas singulas rosis et liliis ac ceteris odoriferis floribus mirabili arte
intextas in capite gestalltes, in der Hand für Maternus consimile sertum.
In allen diesen Stellen, welche sich leicht um manche weitere Beispiele
vermehren lassen 3, bezeichnet infula entweder metaphorisch die bischöfliche
Würde oder die liturgische Gewandung im allgemeinen. Für den Gebrauch
des Wortes im Sinne eines liturgischen Kopfschmuckes läßt sich vor dem
12. Jahrhundert kein Beleg beibringen.
Einmal, nämlich in einer Urkunde des Erzbischofs Willegis von Mainz aus dem
Jahre 976, erscheint infula in der Bedeutung des pileus cantoris, des Hutes, welchen der
Cantor zu tragen pflegte 4. Daß hier unter infula nicht eine Kopfbedeckung im Sinne
der pontifikalen Mitra verstanden werden kann, ergibt sich aus dem Umstand, daß
selbst die Mainzer Erzbischöfe erst 1052 von Leo IX. das Eecht erhielten, die Mitra
zu tragen.
In einem Inventar der Kapelle Berengars zu Monza aus dem Beginn des 10. Jahr-
hunderts bedeutet infula, wie ein Vergleich mit einem kurz nachher entstandenen
zweiten Schatzverzeichnis zeigt , entweder das Humerale oder die Albe 5. Daß mit
dem Worte seit dem 11. Jahrhundert sehr häufig die Kasel, das priesterliche Meß-
kleid im besondern Sinne, bezeichnet zu werden pflegte, wurde früher, als von den
Namen des Meßgewandes die Rede war, des weiteren ausgeführt und nachgewiesen ".
Es ist interessant , wahrzunehmen , wie ein und derselbe Terminus zu zwei so ganz
verschiedenen Bedeutungen kommt wie Mitra und Kasel, ein Beweis, wie wenig man
mit infula den überlieferten Begriff einer sakralen Kopfbinde verknüpfte. Bei der
Annahme des Gegenteils wäre der Vorgang schwer zu erklären. Bloß weil das Wort
infula nach dem Sprachgebrauch der kirchlichen Schriftsteller nur noch entweder die
liturgische Kleidung überhaupt oder metaphorisch das geistliche Amt , sei es die
Bischofs- oder Priesterwürde, bedeutete, konnte es zur Benennung zweier äußerlich
so ungleicher Dinge werden, wie es die pontifikale Kopfbedeckung und der priester-
liche Mantel sind, von denen allerdings die eine den Bischof, der andere den Priester
in seiner Würde kennzeichnete.
Bloß mittelalterliche Namen des pontifikalen Kopfputzes sind cuphia,
cidaris, tiara und pileum (pileus). Cidaris und tiara hieß er wohl im Hinblick
auf die Kopfbedeckung des alttestamentlichen Kultus, welche in der Vulgata
nicht nur mit mitra, sondern auch mit cidaris und tiara bezeichnet wird7.
Alle vier Ausdrücke waren übrigens wenig gebräuchlich; im späten Mittel-
alter kommen sie gar nicht mehr vor.
Unter dem Namen cuphia, welcher häufig bei mittelalterlichen Schrift-
stellern als Benennung einer laikalen Kopfbedeckung, besonders des Helmes,
gebraucht wird8, erscheint die Mitra z. B. in einer an Liuthbald von Mainz
gerichteten Bulle Leos IX.9 Die Bezeichnungen cidaris und tiara finden sich
1 Mar t. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 8; II 54. * Gudenus, Cod. diplom. I 354. S. oben
2 C. 6, n. 23 (A. SS. 29. Ian., III 537). S. 319.
3 Vgl. z. B. Aldhelmi De laud. virg. ä Bullet, mon. 1880, 314; das zweite In-
c. 26 (M. 89, 124); Petri Dam. Op. 31 ventar ebd. 465.
contra philarguriam c. 6 (M. 145 , 538) ; e S. oben S. 153. ' Ex 28, 4 40.
Leon is IX ep. 100, n. 12 ad Micbaelem 8 D. C. sub cuphia II 658.
patriarch. (M. 143, 752j. ;' M. 143, 695.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
429
bei Honorius und Sicard, das Wort pileum bei Honorius, Sicard und Robert
Paululus. Der außerliturgische päpstliche Kopfschmuck, ein kegelartig an-
steigender, ursprünglich kronenloser, dann mit einer, zuletzt mit drei Kronen
ausgestatteter Hut, welcher nunmehr den Namen Tiara führt, hieß im Mittel-
alter regnum oder corona1, später triregnum.
II. DIE MITRA IN DER GEGENWART.
Die gegenwärtig üblichen Mitren stellen im wesentlichen eine Art von
Klappmütze dar, deren zwei durch eine Einlage gesteiften Hälften vorn über
der Stirn und auf dem Hinterkopf nach Weise von Hörnern - - daher cornua
(Hörner) mitrae — ansteigen und oben in eine Spitze endigen. Das Caere-
moniale der Bischöfe 2 unterscheidet dreierlei Mitren, die pretiosa, die auri-
phrygiata und die simplex.
Unter der ersten versteht es eine Mitra, welche mit Juwelen, mit Plätt-
chen von Gold oder mit Silberblechen verziert ist. An der mitra auriphrygiata
sollen nach dem Caeremoniale Edelsteine und Perlen nicht angebracht werden,
wohl aber darf der weißseidene Grund mit etlichen kleineren Perlen oder mit
einem (durch Weberei oder Stickerei hergestellten) Goldmuster verziert sein.
Auch kann die auriphrygiata aus ungemustertem Gokistoff angefertigt werden,
jedoch ohne Zierplättchen und Perlen. Der Unterschied zwischen der mitra
pretiosa und der mitra auriphrygiata liegt also lediglich in der größeren bzw.
geringeren Kostbarkeit. Die mitra simplex soll unter Beiseitelassung aller
Goldverzierung aus einfachem weißen Seidendamast oder sonstiger -weißer Seide
oder aus weißem Linnenstoff bestehen; die an ihrer Rückseite herabhangenden
Streifen müssen an den Enden mit roten Fransen versehen sein. Bei der
pretiosa werden keine Besatzstreifen erwähnt; bei der auriphrygiata scheint
der Name auf solche hinzuweisen; doch mag mit demselben auch nur eine
etwaige Ausstattung mittels Stickerei angedeutet werden sollen.
Über die Verwendung der drei Mitraarten gibt das Caeremoniale ein-
gehende Anweisungen 3.
Hiernach hat der Bischof an höheren Pesten und überhaupt, so oft im Offizium
der Hymnus Te Deum und in der Messe das Gloria gebetet wird, die „kostbare" Mitra
zu tragen ; doch kann er sich auch an diesen Tagen aus Bequemlichkeitsrücksichten -
ne scilicet nimis gravetur — bei den Vespern wie der Messe abwechselnd der pretiosa
und der auriphrygiata bedienen. In diesem Falle gebraucht er die pretiosa bei Be-
ginn und am Ende der Vesper bzw. des Amtes, beim Hingang zur Kirche und bei
der Rückkehr von derselben, bei Annahme und Ablegung' der Paramente, beim Hande-
waschen und bei dem feierlichen Schlußsegen ; die auriphrygiata dagegen in den Vespern
von Beginn des ersten Psalmes bis zum Magnificat ' und in der Messe nach Ab-
betung des Kyrie bis zur Opferung 5.
1 Bruno Sign., De sacr. eccl. (M. 165,
1107). Durandus, Rationale 1. 8, c. 13,
f. 76 ; ordo 9, n. 6 : ordo 11, n. 16 46 ; ordo 12,
n. 6 (M. 78, 1007 1032 1043 1067). D. C.
sub regnum VII 96.
2 L. 1, c. 17. 3 Ebd. n. 2 3 4.
4 Caerem. episc. 1. 2, c. 1, n. 7 12.
5 Ebd. 1. 2, c. 8, n. 36 57. „Wo man
keine mitra pretiosa im Sinne des Caere-
moniale, d. h. keine mit Edelsteinen, Gold
und Silber bedeckte . sondern nur eine
mit schön gestickten Aurifrisien in circulo
und titulo besitzt , wird füglich diese als
pi'etiosa gelten und bei feierlichen Gottes-
diensten abwechselnd mit einer minder reich
ausgestatteten oder auch mit der mitra sim-
plex gebraucht werden können ; wo über-
haupt nur zweierlei Mitren vorhanden sind,
wird man sich an allen Tagen . für welche
das Caeremoniale die mitra auriphrygiata vor-
schreibt, der einfachen Mitra zu bedienen
haben" (Thalhof er I 903). Nach dem
430 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Die auriphrygiata hat der Pontifex während des Advents sowie in der Zeit von
Septuagesima bis Gründonnerstag mit Ausnahme des dritten Adventssonntags G-audete,
des vierten Fastensonntags Laetare und der einfallenden Feste zu benutzen. Außer-
dem soll sie an allen Vigilien, die mit Fasten verbunden sind, an den Quatember- und
Bitttagen, bei den Litaneien und sonstigen Bußprozessionen, am Feste der unschuldigen
Kinder, wofern es auf einen Wochentag fällt, und bei nicht feierlichen Benediktionen
und Konsekrationen zur Verwendung kommen. Bei der Messe und den Vespern kann der
Bischof an allen diesen Tagen nach der Regel, welche oben für die pretiosa angegeben
wurde, die auriphrygiata durch die simplex ersetzen. Die mitra simplex trägt der
Pontifex am Karfreitag, beim Totenoffizium und bei den Seelenmessen. Außerdem
muß sie nach dem Caeremoniale bei der Kerzenweihe am Lichtmeßtage ', der feierlichen
Übergabe des Palliums - und der Absolutio am Katafalk 3 benutzt werden.
Bei den Feierlichkeiten der Provinzialkonzilien bedienen sich nach dem römi-
schen Caeremoniale der Erzbischof der mitra pretiosa, die Bischöfe der auriphrygiata
und etwa teilnehmende infulierte Äbte der simplex 4. Auf einem allgemeinen Konzil
haben die Bischöfe eine weiße, linnene, die Kardinäle eine weiße, damastseidene Mitra.
Dasselbe ist der Fall, wenn Bischöfe oder Kardinäle in Pontifikalkleidung feierlichen
Pontifikalhandlungen des Papstes beiwohnen.
Träger der Mitra sind von Rechts wegen die Bischöfe, die Kardinäle
und vor allem natürlich der Papst. Andere dürfen sich des Ornatstückes
nur kraft eines vom Apostolischen Stuhle ihnen besonders erteilten Privilegs
bedienen. Ein solches Vorrecht besitzen häufig die Äbte, dann die Dignitare
der Domkapitel und vorzüglicherer Stiftskirchen, sowie auch wohl ganze
Kapitel; doch bestehen für solche privilegierte Geistliche zum Unterschied
von den Bischöfen bezüglich des Gebrauches der Mitra größere oder geringere
Einschränkungen, welche teils die Beschaffenheit des Ornatstückes, teils den
Ort und die Gelegenheit seiner Benutzung betreffen.
Nach der allgemeinen Regel sollen sie sich keiner mitra pretiosa, sondern
nur einer mitra simplex ex tela alba cum sericis laciniis rubri coloris be-
dienen. Als Ort, an welchen den infulierten Prälaten das Tragen der Mitra
zusteht, gilt nur der Bereich ihrer Kirche, als Gelegenheiten gelten lediglich
höhere Feste5. Im einzelnen Falle kommt es aber auf den Wortlaut und
die Bestimmungen des jeweiligen Privilegs an, durch welches dessen Empfängern
nicht selten weitergehende Vollmachten erteilt werden, als die gewöhnliche
Norm enthält.
Die Mitra ist ein liturgisches Ornatstück. Denn ihre Träger bedienen
sich ihrer nicht nur vor oder nach liturgischen Akten, sondern vollziehen
solche auch mit der Mitra auf dem Haupte. Ganz besonders gilt das vom
Bischof, der sie nicht nur bei verschiedenen Segnungen, Salbungen und In-
zensationen, sondern auch bei sakramentalen Handlungen trägt, z. B. beim
Taufakt, bei Spendung der Firmung und bei der Handauflegung, durch welche
die Weihe des Diakons, Priesters und Bischofs geschieht. Nichtsdestoweniger
unterscheidet sich die Mitra bezüglich des sakralen Charakters bis zu einem
gewissen Grade von den übrigen Kultgewändern. So oft nämlich ihr Träger
in vorzüglichem Sinne als Mann des Gebetes auftritt, wie z. B. bei den Ora-
bischöflichen Caeremoniale (1. 2, c. 8, n. 39 3 L. 2, c. 12, n. 6.
53) darf der Bischof bei der Messe an 4 L. 1, c. 31, n. 11.
Stelle der auriphrygiata auch die simplex 5 Decret. Alexandri VII. circa usum ponti-
irn Wechsel mit der pretiosa verwenden. ficalium 27. Sept. 1659 und die Konstitution
1 L. 2, c. 16, n. 4. Pius' VII. „Decet Romanos Pontifices" 4. Iul.
2 L. 1, c. 16, n. 1. 1823 (Decret. auth. 1311 2624).
Drittes Kapitel. Die Mitra. 431
tionen der Messe und des Offiziums, dem Kanon der Messe und den Orationen
im Ritus der heiligen Weihen und der andern Sakramente, hat er sich der
Kopfbedeckung zu entledigen. Der Grund hierfür liegt wohl in der Vorschrift
des Apostels, es solle der Mann mit entblößtem Haupte beten 1.
Bildet die Mitra ein hervorragendes pontifikales Ornatstück, so kann es
nicht wundernehmen, daß sie Gegenstand einer besondern Zeremonie bei der
Bischofsweihe ist 2.
Hat der Konsekrator nämlich nach der Messe, in welcher die Bischofs-
weihe vollzogen wurde, den feierlichen Schlußsegen erteilt, so läßt er sich die
Mitra des Neugeweihten reichen und segnet sie mit den Worten : „Herr, Gott,
allmächtiger Vater, von dessen hell leuchtender Güte und unermeßlicher Kraft
alle gute Gabe, alles vollkommene Geschenk und alle schmückende Zier
kommt, segne und heilige gnädigst die Mitra, welche dem Haupte dieses
deines bischöflichen Dieners aufgesetzt werden soll. Durch Christum, unsern
Herrn.'1 Hierauf besprengt er sie mit Weihwasser und schmückt dann unter
Beihilfe seiner Mitkonsekratoren mit ihr den neuen Bischof unter dem Gebet :
„Wir setzen, o Herr, auf das Haupt dieses deines Bischofs und Kämpen den
Helm des Schutzes und des Heiles, auf daß er den Feinden der Wahrheit
durch des Angesichtes Schmuck und die Rüstung des Hauptes, die Hörner
beider Testamente, schrecklich erscheine und unter deinem Gnadenbeistande
machtvoll gegen sie streite, der du deines Dieners Moses Angesicht dadurch,
daß du zu ihm geredet, mit Zier übergössen und durch die licht strahlenden
Hörner deiner Klarheit und Wahrheit ausgezeichnet, sowie auch das Haupt
deines Hohenpriesters Aaron mit der Tiara auszustatten geboten hast. Durch
Christum, unsern Herrn." Die Worte, mit denen der Konsekrator die Über-
gabe der Mitra begleitet, nehmen, wie man sieht, auf die Gestalt derselben,
nämlich die über Stirn und Hinterkopf sich erhebenden Hörner3, Bezug.
Wie im Ritus der Bischofsweihe, so findet sich die Zeremonie auch in
dem der Abtsweihe ; doch kommt sie hier natürlich nur dann zur Anwendung,
wenn der zu benedizierende Abt das Vorrecht genießt, die Inful zu tragen.
Das Gesagte mag bezüglich der Mitra nach heutigem römischen Brauch
genügen. Das Bild ist zwar nicht völlig erschöpfend, doch nach Maßgabe des
Raumes und als Grundlage für die nachfolgende geschichtliche Untersuchung
ausreichend. Wenden wir uns daher der Geschichte des bischöflichen Kopf-
schmuckes zu.
Die Frage, welche uns zunächst zu beschäftigen hat, ist: Seit wann
gab es in der abendländischen Kirche eine Mitra, oder, da es nicht sowohl
auf den Namen als vielmehr auf die Sache ankommt, seit wann ist im Abend-
land bei den Bischöfen ein liturgischer Kopfschmuck in Gebrauch?
III. ERSTES AUFTRETEN DER PONTIFIKALEN MITRA.
Über das Alter der Mitra ist seit dem 17. Jahrhundert bis in die Gegen-
wart sehr viel geschrieben und gestritten worden. Nach den einen soll sie
in die Zeit der Apostel zurückreichen, andere wollen, daß man wenigstens
im 8. und 9. Jahrhundert einen liturgischen Kopfschmuck gekannt habe. Eine
dritte Meinung läßt die Mitra erst um den Beginn des zweiten Jahrtausends
1 1 Kor 11, 4. Dazu can. Nullus epi- 2 Pontif. rom., De consecrat. electi in episc.
scopus . De consecrat. dist. 1 , n. 57 (ed. circa fin.
Richter I, Lipsiae 1879, 1310). 3 Ebd., De benedict. abb. circa fin.
432 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
in Gebrauch kommen, eine vierte unterscheidet zwischen Form und Form.
Ihr zufolge gehört nämlich der pontifikale Hauptschmuck, wie ihn die
jetzige Mitra darstellt, zwar erst der Wende des 10. Jahrhunderts an,
doch soll es schon vorher eine mehr band-, kränz- oder kronen-
artige bischöfliche Kopfzier gegeben haben. Einen andern Mittelweg schlägt
eine fünfte Ansicht ein, indem sie behauptet, es sei die Mitra erst um den
Anfang des zweiten Jahrtausends zu allgemeiner Verwendung gekommen,
vordem aber nur von einzelnen oder doch nur auf Grund einer besondern
Erlaubnis des Papstes getragen worden. Indessen ist die Sache denn doch
nicht so dunkel, wie es nach diesem Wirrwarr von Ansichten scheinen könnte.
Hätte man sich nicht vom Bestreben leiten lassen, der Mitra ein möglichst
hohes Alter zu sichern, und hätte man die Quellen etwas vorurteilsloser durch-
forscht, würde man unschwer zur Überzeugung gekommen sein, daß in Rom
erst um die Mitte des 10. Jahrhunderts, außerhalb Roms aber,
im übrigen Abendland, erst um 1000 von einem pontifikalen
Kopfschmuck die Rede sein kann.
Keiner der dem 8. und 9. Jahrhundert entstammenden römischen Ordines
erwähnt auch nur mit einem Wort eine pontifikale Kopfbedeckung, obwohl
die weitläufigen und bis ins einzelne gehenden Angaben über den Meßritus
dazu mehr als einmal hätten führen müssen, falls eine solche bereits in Ge-
brauch gewesen wäre. Es ist nicht einmal von ihr die Rede, wo die Ge-
wänder aufgezählt werden, mit welchen die Regionarsubdiakone den Papst
vor der Messe zu bekleiden hatten 1. Wir hören, wie die Ministri ihm die
Albe, das Cingulum usw., das Pallium nicht ausgenommen, anlegen, betreffs
eines sakralen Kopfschmuckes herrscht dagegen tiefes Schweigen. Ebenso-
wenig findet sich im S. G. K. irgend eine Spur der Mitra, obwohl darin mit
aller Ausführlichkeit die festtäglichen und alltäglichen Sakralkleider des Papstes
nebst den liturgischen Gewändern der Hebdomadarbischöfe, der Presbyter, der
Diakone, Subdiakone und Akolythen aufgezählt werden.
Es ist wahr, ein aus dem Schweigen hergenommener Beweis ist nur
dann von Kraft und Wert, wenn er durch die Umstände einer bestimmten
Verneinung gleichkommt. Indessen trifft das ohne Zweifel in unserem Falle
zu. Hätte es zur Zeit der Entstehung des 1., 2. und 3. Ordo Mabillons, des
von Duchesne herausgegebenen Ordo und des St Gallener Kleiderverzeichnisses
im römischen Ritus eine liturgische Kopfbedeckung gegeben, so hätte ein
solch bedeutungsvolles Ornatstück doch irgendwo, zumal aber im St Gallener
Verzeichnis der zu Rom gebräuchlichen Pontifikalkleider erwähnt werden
müssen. Oder soll man in allen diesen Fällen seine Nichtnennung auf ein
Versehen und Vergessen des Schreibers oder auf etwas ähnliches zurückführen?
Einen ferneren Beweis liefern Hraban, Theodulf von Orleans, Amalar,
Walafried Strabo und Pseuclo-Alkuin. Hraban, welcher die liturgische Kleidung
seiner Zeit, d. i. die römische, unter Vergleichung mit der Kultkleidung des
Alten Bundes behandeln will, schweigt vollständig von einer liturgischen Kopf-
bedeckung, obwohl er die Sandalen und selbst das erzbischöfliche Pallium
eingehend behandelt. Ebenso fehlt bei Theodulf von Orleans 2, der doch in
seiner „Ermahnung an die Bischöfe" eingehend schildert, wie der Diakon den
Pontifex mit seinen bischöflichen Gewändern bekleidet, jede Erwähnung eines
1 Ordo 1, n. 6 7; ordo 3, n. 6 7 (M. 78, - Carm. 1. 3, n. S, Paraen. ad episc. (M.
940 978). 105, 355).
Drittes Kapitel. Die Mite
433
pontifikalen Kopfschmuckes. Wohl ist bei ihm von einer goldenen lamina
(Stirnplatte) und einer mitra die Rede. Allein es ist auffallend, daß in
denselben nicht bloß ältere Gelehrte, wie du Saussay, Mabillon, Martene und
Sala in seinem Kommentar zu Bonas Liturgik, sondern selbst solche aus
neuester Zeit einen liturgischen Kopfschmuck des Bischofs haben sehen können \
Ein auch nur oberflächlicher Blick auf die betreffende Stelle der „Paränese"
beweist klar, daß Theodulf unter der lamina und mitra nicht eine Kopfzier
des christlichen Pontifex, sondern den Ziz und die Miznephet des aaronitischen
Hohenpriesters versteht. Man lese nur2:
Anrea pontificis cingebat lamina frontem,
Qua bis binus apex nomen berile dabat.
At tibi frons mentis cingatur sensibus almis
Christum evangelico vox et ab ore sonet. . . .
Ulius ergo caput splendescens mitra tegebat,
Contegat et meutern ius pietasque tuam.
Wie wenig Theodulf von einer bischöflichen Mitra weiß, erhellt klar
aus dem Umstand, daß er der lamina und der mitra nicht ein entsprechendes
Ornatstück des christlichen Kultus gegenüberstellt, sondern bemerkt, wie des
alttestamentlichen Pontifex Haupt jene Schmuckstücke geziert, so müsse beim
Bischof erhabenes Sinnen des Geistes Stirn umgeben und Recht und Frömmig-
keit die Seele bedecken.
Auch Amalar ist eine sakrale Kopfbedeckung des Bischofs noch völlig
unbekannt. Zweimal zählt er in seinen weitläufigen Erörterungen über die
liturgische Gewandung im einzelnen alle Gewänder des Bischofs auf. Das eine
Mal im Kapitel über die Tunika 3, das andere Mal am Schlüsse seiner Aus-
führungen über die liturgischen Gewänder i. Dort nennt er uns die Ornat-
stücke, welche, wie er sagt, den Bischof vom Kopf bis zu den Füßen be-
decken, hier will er noch einmal kurz den ganzen geistlichen Ornat wieder-
holen (breviter desideramus recapitulare omnem ornatum clericorum). Über
eine sakrale Hauptbedeckung läßt aber Amalar nirgends das geringste Wort
fallen, obschon er doch an der letztgenannten Stelle zum geistlichen Ornat
neben Amikt, Albe, der liturgischen Fußbekleidung, Tunika, Stola, Dalmatik,
Sudarium und Pallium sogar die Tonsur rechnet. Nicht minder bezeich-
nend für den Stand der Dinge ist, daß Amalar beim christlichen Pontifex als
Ersatz für die goldene Stirnplatte des jüdischen Hohenpriesters das Pallium5
betrachtet.
Walafried Strabo hat ein Bild der Entwicklung der liturgischen
Kleidung, soweit es ihm möglich war, zu zeichnen versucht und stellt nun
die einzelnen Teile der heiligen Gewandung des Alten Bundes denjenigen des
christlichen Kultus gegenüber: die jüdische Obertunika der Dalmatik, die
linnene Untertunika der Albe usw. Als Gegenstück der lamina führt er
1 So Hefele (Beitr. II 2S3) , de Linas
(Revue 1861, 294), Barraud (Bullet,
mon. 1866, 140), Bock (Gesch. II 152)
und mit einigem Zweifel Roh. (VIII 115)
Selbst Kraus sagt noch (Geschichte der
christl. Kunst II 498): „Die Mitra (infula)
ist mit Sicherheit erst im 9. Jahrhundert
nachzuweisen , wo sie von Theodulf von
Orleans . . . genannt wird. " und doch hatte
bereits Marriott (Vestiarium christ. 191) auf
Braun, Die liturgische Gewandung.
den rechten Sinn der Worte der Paränese
aufmerksam gemacht und Krieg in der von
Kraus herausgegebenen Realencyklopädie
(II 213) schon bemerkt: „Selbst Theo-
dulf . . . redet nur bildlich, wenn er sagt,
illius ergo caput mitra resplendens tegebat."
2 M. 105, 357 360.
3 De eccl. offic. 1. 2, c. 22 (ebd. 1098).
4 Ebd. c. 26 (ebd. 1102).
5 Ebd. c. 23 (ebd. 1098).
28
434 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
hierbei, ähnlich wie der Metzer Diakon, das Pallium, als das der Tiara
aber sonderbarerweise - - die Kasel an. Ob wohl Walafried je zu einer
solchen Gegenüberstellung gekommen wäre, wenn es zu seiner Zeit eine Mitra
oder überhaupt einen pontifikalen Kopfschmuck gegeben hätte? 1
Pseudo-Alkuin hat den Kopfschmuck des aaronitischen Priestertums
beschrieben und sowohl ein Bild der Tiara der jüdischen Priester als der mit
einer Krone versehenen Hauptbedeckung des Hohenpriesters entworfen. Dann
fährt er fort: „Ein Gewandstück dieser Art gibt es in der römischen
Kirche und überhaupt in unsern Gegenden nicht. Denn es ist nicht
Brauch, daß man mit einer Kopfbedeckung versehen (pileati) die göttlichen
Geheimnisse feiere. Bei den Griechen soll das aber geschehen und sollen
dieselben pilei (Mützen), d. i. cuphiae, auf dem Kopfe tragen, wenn sie am
Altare stehen." Außerdem bemerkt Pseudo-Alkuin, nachdem er die goldene
Stirnplatte des mosaischen Kultus besprochen, mit kurzen aber bestimmten
Worten: „Auch diese Art von Ornament nahm die Kirche Christi
nicht herüber." 2 Der Verfasser der Schrift De divinis officiis sagt es
somit klar und ausdrücklich, daß zu seiner Zeit, d. i. also etwa um 900,
keinerlei liturgische Kopfbedeckung in der römischen Kirche wie überhaupt
im Abendlande Verwendung fand.
Auch in den Sakramentaren und Pontifikalien des 9. und 10. Jahr-
hunderts wird einer Mitra und überhaupt einer liturgischen Hauptbedeckung
nirgends gedacht. In manchen dieser liturgischen Bücher kann das freilich
nicht auffallen, da sie überhaupt der Sakralkleider keine Erwähnung tun.
Anders verhält es sich dagegen z. B. mit dem der zweiten Hälfte des 10. Jahr-
hunderts angehörigen Sakramentar von Corbie 3, welches aufs eingehendste
beschreibt, wie der Bischof sich auf die Messe vorzubereiten und welche
liturgische Gewandstücke er anzuziehen habe, dabei aber von der Mitra oder
sonst einem pontifikalen Kopfschmuck völlig schweigt. Es ist das um so
bemerkenswerter, als es das stets nur vereinzelt gebräuchliche Rationale keines-
wegs vergessen hat und auch schon die Pontifikalhandschuhe kennt.
Auch auf den Monumenten findet sich trotz zahlreicher Darstellungen
von Bischöfen vor dem zweiten Jahrtausend keine Spur einer pontifikalen
Hauptbedeckung, gleichviel in welcher Weise uns die Bischöfe auf ihnen ent-
gegentreten. Nirgends eine Mitra, nirgends ein Ornatstück, was man als
sakralen Kopfschmuck des christlichen Pontifex aufzufassen hätte.
Man vergleiche z. B. die Bischofsgestalten auf den römischen, mailändischen
und ravennatischen Mosaiken und die Bilder der hll. Cornelius, Sixtus II., Cyprianus
1 Vgl. auch Walafrieds Zeitgenossen R a t-
ramnus (Contra Graec. oppos. 1. 4, c. 5 [M.
121 , 323]) : Si radant barbam (sc. Romani
vel Latini), comam tarnen nee nutriunt, nee
caput vel prophetantes vel orantes velant. . . .
2 De div. offic. c. 38 (M. 101, 1239). Ob
es mit dem , was Pseudo-Alkuin über eine
liturgische Kopfbedeckung der griechischen
Kirche berichtet, seine Richtigkeit hat, ist
in unserer Frage ohne Bedeutung. Er sagt
ja auch nur: „es soll". Jedenfalls kannte
der Verfasser der Schrift De div. offic. den
Gebrauch der römischen Kirche wie des
Abendlandes überhaupt.
3 Wenn das Sakramentar, nachdem es be-
schrieben, mit welchen Gewändern und wie
der Bischof zu bekleiden sei, bemerkt: Cum
omni quoque diligentia episcopus veneretur
a suis. Eo autem rationabiliter flamineato,
accedat ordinatim omnis processio , so will
das flamineari nach dem ganzen Zusammen-
hang und nach den später folgenden Rubriken
nur sagen : mit den pontifikalen Gewändern
bekleidet, nicht aber, mit einer sakralen
Kopfbedeckung geschmückt werden. Ganz
denselben Sinn hat in der Missa Illyrica
(Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 4; I 177) die
Notiz: postquam infulatus fuerit.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
435
und Optatus in S. Callisto ; dann die Elfenbeinschnitzereien, welche den Deckel des
Sakramentars Drogos von Metz schmücken — sie stellen die Meßfeier und sonstige
liturgische Funktionen dar — , die Miniaturen desselben Sakramentars, die Elfenbein-
tafel in der Stadtbibliothek zu Prankfurt und das ehemalig Spitzersche, jetzt in eng-
lischem Besitz befindliche Gegenstück der Frankfurter Tafel ' ; weiterhin die Dar-
stellungen auf dem Palliotto (der Hochaltarbekleidung) in S. Ambrogio zu Mailand,
die Abbildung einer Kirchweihe in dem der Stadtbibliothek von Rouen zugehörigen
Pontifikale von Aletis, die Elfenbeinplatte des Museums von Amiens mit Szenen aus
dem Leben des hl. Remigius 2, die Miniaturen des Benediktionale Äthelwolds 3, sowie
die Darstellungen auf dem im Grabe des hl. Cuthbert gefundenen, aus dem Beginn
des 10. Jahrhunderts stammenden Manipel J ; ferner die mit Bisehofsfiguren bestickten,
ursprünglich von einem Altarbehang stammenden Besatzstreifen im Museum zu Ra-
venna, die Miniaturen des Sakramentars Warmunds von Ivrea 5 und des Göttinger
Sakramentars c, beide reich an liturgischen Darstellungen, die Miniaturen des Vigilanus-
kodex in der Bibliothek des Escorial 7 und zahlreiche andere.
Indessen werden ja doch eine Anzahl von Monumenten aus dem ersten Jahr-
tausend genannt, auf welchen sich schon die Mitra oder doch sonst ein pontifikaler
Kopfschmuck vorfinden soll.
So weist Rohault de Fleury auf Abbildungen von Mitren hin, welche sich
auf zwei silbernen, dem Schatze des Cav. Giancarlo Rossi zu Rom angehörenden und
angeblich dem 8. Jahrhundert entstammenden Buchdeckelplatten befinden. Dann führt
er ein Siegel Roricos von Laon aus dem Jahre 968 an, auf welchem dieser Bischof
eine Mitra trägt. Ebenso glaubt er auf dem Mosaik der Kapelle der hl. Fausta (des
hl. Satyrus) in S. Ambrogio zu Mailand, auf welchem der hl. Viktor im Brustbild
dargestellt ist, ein Beispiel für den sakralen Kopfschmuck entdeckt zu haben: Saint
Victor est en costume ecclesiastique et pourvu d'un diademe gemme sur le front. Er
nennt die Darstellung sogar monument important des anciennes coiffures sacerdotales 8.
Barraud9 beruft sich auf die Papstbilder Chacons und die Miniatur eines
Manuskripts der Bibliothek von Valenciennes, den hl. Amandus und den hl. Vindicianus
darstellend, welche er um des viereckigen Nimbus willen, mit welchem der erste der
beiden versehen ist, dem 7. Jahrhundert zuweisen möchte.
De Linas will die Mitra auf drei englischen Miniaturen gefunden haben, von
denen er zwei dem 8. und die dritte dem 10. Jahrhundert zuschreibt10. Die erste soll
sich in dem Manuskript des Britischen Museums, Cotton. Claud. B. IV, dem angel-
sächsischen Heptateuch Älfriks, befinden und einen König in der Mitte von Prälaten
wiedergeben, welche auf ihrem Haupte einen kegelförmigen Hut tragen : maintenu par
un bandeau frontal et recouvrant un voile, qui descend sur la nuque. Die zweite
soll einer Paraphrase der Genesis des Pseudo-Caedmon in der Bodleian Library zu
Oxford (Iunius n. 11) angehören; sie stellt eine Kirchweihe dar. Der amtierende
Bischof trägt angeblich ein head-ünen, eine linnene Kopfhülle, auf dem Haupte. In
einer Anzahl von Personen, welche im Hintergrund stehen und mit einer Spitzmütze
versehen sind, möchte de Linas, wie es scheint, Bischöfe vermuten, die nicht un-
mittelbar bei der Weihe beteiligt sind und darum ihren pileus auf dem Kopfe haben.
Die dritte Miniatur soll den hl. Dunstan darstellen. Der Kodex, der sie enthält, ein
englisches Pontifikale, befindet sich im Britischen Museum, Cotton. Claudius A. III.
1 Vgl. oben Bild 62-68, S. 158 159 160
167 168 170 171.
2 Abbildung bei Roh. VII, pl. dlxviii.
3 Abbildung bei Gage, Archaeologia
XXIV, pl. xxxn.
4 Abbildung bei Roh. VII, pl. dxxxi.
5 Carta-Cipolla-Frat i , Atlante paleo-
grafico-artistico, Torino 1899, Tfl 23.
G Abbildungen in Zeitschrift VII (1894) 74f.
1 Museo Espanol de Antigüedades III 51011.
3 Roh. VIII 114 115 et pl. dclih»"9
dcliv. Vgl. auch Barraud in Bullet, mon.
1866, 318. Das Siegel Roricos ist nur mehr
in einer Abbildung bei Mabillon (De re
diplomat., Paris. 1709, 451) erhalten. Der
Wiedergabe desselben bei Rohault de Fleury
und bei Barraud liegt diejenige bei Mabillon
zu Grunde.
9 Bullet, mon. 121 134 313.
10 Revue 1861, 297 453. Bock II 156.
28*
436 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Rock glaubte eine bischöfliche Krone im Benediktionale Athelwolds (f 984)
entdeckt zu haben '. Wüscher-Becchi endlich beruft sich auf die bekannte Tafel mit
den Bildern der Apostelfürsten in St Peter, die aus dem 9. Jahrhundert stammen und
in ihrem unteren Teil außer einem Papst mit einem Camelaucum auf dem Haupte
die lall. Cyrillus und Methodius in pontifikaler Kleidung, auf dem Kopfe die Mitra, auf-
weisen soll 2.
Allein die Buchdeckelplatten Rossis sind bekanntlich berüchtigte moderne Fäl-
schungen 3. Ebenso ist das Siegel Roricos unecht; es ist eines der nicht gerade seltenen
gefälschten mittelalterlichen Siegel. Es hat noch mehrere Jahrhunderte gedauert, bis eine
Mitra, wie sie der Bischof auf dem Siegel trägt, in Gebrauch kam ', eine Sache, die
dem Fälscher offenbar nicht bekannt war. Was aber die Kopfbedeckung des hl. Viktor
auf dem Mosaik in der Kapelle des hl. Satyrus anlangt, so läßt ein einziger Blick
auf die Abbildung bei Garrucci5 zur Genüge erkennen, daß die angebliche ancienne
coiffure sacerdotale mit einem liturgischen Kopfschmuck ebensowenig zu tun hat wie
die Gewandung des heiligen Märtyrers Viktor mit einem costume ecclesiastique.
Sonderbarerweise weist Rohault de Fleury gleichzeitig auf das Mosaik von S. Prisco
zu Capua hin *, wo ähnliche Kronen zu finden seien, obschon er doch aus ihm erst
recht hätte ersehen müssen, daß seine Auffassung von der Krone des hl. Viktor
irrig sei.
Die Papstbilder in Chacons „Geschichte der Päpste" sind Phantasien kühnster
Art. Sind doch selbst Päpste des 6. Jahrhunderts auf denselben mit den zugestutzten
Kasein der Renaissance bekleidet. Es ist wirklich wunderlich, daß man ihnen einen
Beweis entnehmen zu können geglaubt hat. Die Miracula S. Amandi der Bibliothek
von Valenciennes gehören frühestens dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts an 7.
Rohault de Fleury schreibt sie, und zwar wohl mit Recht, sogar dem 12. Jahr-
hundert zu.
Die beiden angelsächsischen Darstellungen, welche de Linas dem 8. Jahr-
hundert zuweist, sind um ca 250 Jahre zu früh datiert. Die zweite derselben
befindet sich obendrein nicht in der Genesis-Paraphrase des Pseudo-Caedmon, sondern
im Pontifikale von Aletis der Stadtbibliothek zu Rouen, wo wir sie selbst eingesehen
und kopiert haben. Auch ist es unrichtig, daß der auf ihr abgebildete Bischof, welcher
die Kirchweihe vornimmt, eine Inful trage ; er ist vielmehr ohne Kopfbedeckung oder
sonst irgend einen Kopfschmuck. Vielleicht hat die kräftig ausgebildete Haarkrone des
Bischofs oder eine ungenaue Wiedergabe des Originals den Irrtum veranlaßt. Die
im Hintergrunde stehenden Personen mit der spitz ansteigenden Kopfbedeckung sind
Mönche in ihren Kapuzen. Auf der ersten der von de Linas angezogenen Dar-
stellungen sehen wir nicht einen Konig inmitten von Prälaten, sondern Pharao, der
eben den Bäcker hat hängen lassen (Gn 40, 20), umgeben von seinem
Gefolge8. Die Spitzmützen der vermeintlichen Prälaten kehren auch noch auf
mehreren andern Miniaturen des Kodex wieder, so fol. 80 a bei zwei Ägyptern, die
einen Israeliten (Ex 5, 14) prügeln. Die dritte Miniatur ,J entstammt nicht dem 10.,
1 The Churck of our Fathers II 93. Bock
II 154.
2 Ursprung der päpstlichen Tiara und der
bischöflichen Mitra, in „Rom. Quartalschrift"
XIII 104.
3 Vgl. über den Schatz Grrisar in der
Zeitschrift für kath. Theologie , Innsbruck
1895, 306 ff und Grisar, Ancora del preteso
Tesoro, Roma 1896.
* Bischof Walter von Laon (1152—1174)
trägt auf Siegel und Münze noch die seitlich
gehörnte Mitra (Abbildung bei Roh. VII,
pl. dxci et VIII, pl. dclx).
5 Storia tav. 235.
0 Ebd. tav. 254.
7 Vgl. auch M. G. SS. XI 413.
6 Richtig sagt West wo od, Facsimiles of
Miniatures, London 1868, in der Note (p. 126)
zu dem sog Pontifikale St Dunstans (Claud.
A. 3) : In earlier drawings bishops are re-
presented without any head-covering.
9 Abbildung ebd. pl. l. Andere bei Mar-
riott, Vestiar. christ. pl. xliv und Goyau-
P<5rat6, Der Vatikan 37, sowie Fäh, Ge-
schichte der bildenden Künste Tfl 19. Die
Datierungen sind hier teils ungenau teils
geradezu unrichtig. Die Miniatur stellt auch
nicht St Dunstan, sondern Gregor d. Gr. in
der beliebten typischen Weise mit der Taube
am Ohr dar. Zur Meinung, das Bild gebe
Drittes Kapitel. Die Mitra. 437
sondern gemäß der Form des Palliums und der Dalmatik sowie den Ornamenten der
Umrahmung frühestens dem Ende des 11. Jahrhunderts.
Das Diadem, welches sich auf einer Miniatur im Benediktionale Äthelwolds
findet ', hat mit einem bischöflichen Kopfschmucke durchaus nichts gemein. Auf der-
selben ist St Benedikt abgebildet, welcher in seiner Hand eine Zackenkrone und um
sein Haupt einen goldenen Reifen trägt. Der Miniator, ein geistlicher Sohn des Hei-
ligen, hat offenbar den großen Ordensstifter auszeichnen wollen und ihm darum eine
Krone in die Hand und das Diadem um die Stirne gelegt. Daß der Maler dies Be-
streben hatte, erhellt aufs deutlichste aus einer andern Darstellung des Benediktionale,
dem chorus confessorum ". St Benedikt steht hier in der Mitte des Bildes zwischen
Gregor d. Gr. und St Cuthbert, angetan mit bischöflichen Gewändern, ja selbst
mit dem Pallium. Er hat eine Zackenkrone wie die andern ihn umringenden Be-
kenner; doch ist sie bei ihm ungleich reicher wie bei Gregor d. Gr., St Cuthbert und
den übrigen. Wie wenig der eben erwähnte Stirnreifen des Patriarchen des abend-
ländischen Mönchtums als sakraler Kopfschmuck aufgefaßt werden kann, ergibt sich
klar aus dem Bilde des heiligen Bischofs Swithun und einer Miniatur, welche einen
Bischof (Athelwold selbst?) den Segen erteilend darstellt3. In beiden Fällen fehlt jede
Axt von Hauptzier. Aber auch die Zackenkronen, welche wir bei Papst Gregor,
St Benedikt, St Cuthbert und den andern Bekennern auf dem Bilde des chorus con-
fessorum gewahren, bedeuten kein bischöfliches Ornatstück, sondern die Himmels-
krone. Denn genau derselbe Kopfschmuck erscheint auch bei den Jungfrauen auf
den beiden prächtigen Darstellungen des chorus virginum.
Was endlich die Tafel in St Peter anlangt, so ist es durchaus unzutreffend,
wenn sie von Wüscher-Becchi dem 9. Jahrhundert zugeschrieben wird. Derselbe beruft
sich zwar auf einen Aufsatz L. Jelics : L'icone vaticana di S. Pietro e Paolo 4, allein
trotz der „absoluten Sicherheit", mit welcher dieser das Bild nicht bloß ins 9. Jahr-
hundert versetzt, sondern sogar für eine Arbeit der hll. Cyrillus und Methodius selbst
ausgibt, kann es frühestens erst um den Beginn des 12. Jahrhunderts entstanden sein.
Die Form des Palliums, welches der Papst trägt, stellt das außer Zweifel. Sie ist
nicht die des 9. Jahrhunderts, sondern die, welche erst gegen das 12. auf den Monu-
menten auftritt. Obendrein ist es keineswegs so sicher, daß die beiden als Cyrillus
und Methodius gedeuteten Personen wirklich Bischöfe und nicht vielmehr fürstliche
Persönlichkeiten darstellen. Denn der griechische Ritus kannte selbst noch um den
Ausgang des Mittelalters keine liturgische Kopfbedeckung.
Wir wiederholen, man wird auf den Bildwerken, die dem ersten Jahr-
tausend entstammen, vergebens nach einer Mitra oder überhaupt einem litur-
gischen pontifikalen Kopfschmuck fahnden.
Man hat dieses vollständige Fehlen auf den Monumenten des ersten Jahr-
tausends mit der Annahme begründen wollen, es sei damals bei den Künstlern
nicht Sitte gewesen, die Bischöfe mit ihrer sakralen Kopfzier darzustellen.
Allein eine solche Erklärung kann keineswegs befriedigen. Sie ist mehr
eine bloße Umschreibung, als eine wirkliche Erklärung des so eigentümlichen
Tatbestandes. Ebenso wie nach 1000 wurden doch die Bischöfe auch schon
vor 1000 regelmäßig in ihren liturgischen Gewändern dargestellt. Warum also
nicht auch in dem liturgischen Kopfschmuck, worin dieser immer bestanden
haben mag, wenn es einen solchen damals bereits gegeben haben sollte? Muß
man nicht erwarten, daß die Künstler ein so bedeutungsvolles Ornatstück,
wie es die pontifikale Kopfbedeckung ist, irgendwo einmal zur Darstellung
St Dunstan wieder, scheint die ersichtlich 2 Ebd. pl. in.
von späterer Hand herrührende Aufschrift 3 Ebd. pl. xxix xxxn. Auf pl. xxiv hat
Dunstani Arcliiepiscopi Veranlassung gegeben auch Christus einen Stirnreifen , wie ihn
zu haben. St Benedikt (pl. xxx) trägt.
1 Archaeologia XXIV (1832), pl. xxx. * Rom. Quartalschrift VI 83 ff.
438 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
gebracht hätten, wenn es tatsächlich schon im Gebrauch war? Es ist sicher
nicht ohne Grund, daß die Mitra um die Zeit, da die ersten schrift-
lichen Nachrichten über sie auftauchen, auch auf den Bildwerken
aufzutreten beginnt, und daß sie, als sie in den schriftlichen Quellen als
allgemein eingebürgert erscheint, uns regelmäßig auch auf den Kunst-
denkmälern begegnet. Wenn vor 1000 nirgends, und zwar auch nicht
bei Darstellung kirchlicher Funktionen, eine sakrale Hauptbedeckung bei den
Bischöfen zur Abbildung kommt, dann darf das unbedingt als Beweis gelten,
daß damals eine solche in der Westkirche noch nicht gebräuchlich war, zumal
die schriftlichen Denkmale gleichfalls schweigen.
Allein gibt es nicht verschiedene Mitren, die noch dem ersten Jahrtausend an-
gehören sollen ? Zeigt man nicht zu Eom in S. Martino ai Monti eine Mitra Silvesters I.
(genauer die vordere Hälfte einer solchen), zu Capua die Mitra des hl. Paulinus
(f 843), zu Cividale diejenige des hl. Paulinus von Aquileja (f 802), eine Mitra des
hl. Exsuperius (f ca 414) in St-Sernin zu Toulouse, die pontifikale Kopfbedeckung des
hl. Zeno (t 380) in St Zeno zu Verona, zu Prag die Mitra des hl. Eligius (t 659),
zu Eegensburg die des hl. Wolfgang (f 994) und zu St-Gildas-de-Euis die des hl. Gildas?
Und befand sich nicht zu Valencia zur Ze}t Salas, des Kommentators von Bonas
Liturgik, eine Mitra des hl. Augustinus, und zu Bologna die des hl. Isidor, eines
sizilianischen Bischofs aus den Tagen Gregors d. Gr.? 1 Und hören wir nicht von
Johannes Longus von Ypem (t 1383), daß man damals im Kloster Sithiu bei St-Omer
eine Mitra des hl. Folcuin von Terouanne (t 855) besaß? ■ Birgt endlich nicht noch
jetzt, wie Bock angibt 3, das Grab des hl. Augustinus zu Pavia unter andern Reliquien
auch eine Mitra des Heiligen? Allerdings, schade nur, daß keine dieser Mitren
authentisch ist.
Die Mitra Silvesters entstammt ihrer Beschaffenheit nach dem 14. Jahrhundert.
Obendrein geht aus ihren Maßen — sie würde vollständig erhalten nur eine Weite
von 40 — 42 cm haben — hervor, daß sie überhaupt niemals von einem erwachsenen
Manne hat getragen werden können 4. Die Mitren zu Capua, Verona, Toulouse und
Regensburg datieren aus dem 13., die Infuln von Cividale und St-Gildas-de-Ruis aus
dem 14. bzw. 15. Jahrhundert. Der pontifikalen Kopfbedeckung des hl. Isidor haben
wir in Bologna vergeblich nachgeforscht. Nach der Schilderung Salas zu urteilen,
dürfte sie eine der zwei in der Kathedrale aufbewahrten Mitren des 15. Jahrhunderts
sein, die jetzt beide dem seligen Nikolaus Albergati (f 1443) zugeschrieben werden.
Die Mitra des hl. Augustinus zu Valencia kann nach der Beschreibung, welche der
Kommentator Bonas von ihr gibt, wohl nicht vor dem 14. Jahrhundert entstanden
sein. Bemerkenswert ist, daß selbst Sala, der doch das hohe Alter des pontifikalen
Kopfschmuckes so warm verteidigt, den Ursprung der beiden Mitren als fragwürdig
betrachtet. Die Mitra des hl. Folcuin , die leider verloren gegangen ist , kann
darum nicht als echt gelten, weil es nach den klaren Zeugnissen der Liturgiker
des 9. Jahrhunderts in Gallien eine liturgische Kopfbedeckung der Bischöfe noch
nicht gegeben hat. Selbst Rohault de Fleury nimmt keinen Anstand, seine Zweifel
an der Echtheit der angeblichen Mitra Folcuins auszusprechen. Was endlich die
Mitra des hl. Augustinus zu Pavia anlangt, so ist zu bemerken, daß der Schrein des
Heiligen nicht dessen Mitra, sondern nur die Reste eines seidenen Velums enthält,
mit dem ehedem die bleierne Lade bedeckt war, welche die Gebeine des großen
1 Bona 1. 1, c 24, § 14, nota 5; II 254; unbegreiflich, daß bisher keiner von allen,
vgl. Moroni XLV 262. welche die Mitra gesehen und beschrieben
■ C. 13 (Mart., Thes. 111 516). haben, auf ihre äußerst geringe Weite auf-
3 Gesch. II 158. merksam geworden ist, und noch unbegreif-
' Die Mitra hat ohne Zweifel ehedem eine lieber, wie sie überhaupt als wirkliche Mitra
Statue des hl. Silvester geschmückt. Es ist Silvesters hat angesehen werden können.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
439
Bischofs barg. Es ergibt sich das mit aller Klarheit aus den Berichten über die
Auffindung der Eeliquien im Jahre 1695 und über die späteren Rekognitionen 1.
Mit den angeblichen Mitren aus dem ersten Jahrtausend ist es also
nichts. Aber auch in den Schatz verzeichnissen geschieht vor 1000 nirgends
des pontifikalen Kopfschmuckes Erwähnung. Besonders auffallend ist das im
Testament des Bischofs Riculf von Eine (f 915). Es finden sich darin caligae
und sandalia, amictus, albae, zonae, stolae, manipuli, casulae episcopales, vanti,
dalmaticae, ein anulus, kurz alle Bestandteile des Pontifikalornates vertreten,
aber keine Mitra. Hinsichtlich einer liturgischen Kopfbedeckung herrscht im
Testament tiefes Schweigen. Ahnlich verhält es sich mit den höchst inter-
essanten Inventaren von Cremona und von Clermont-Ferrand aus dem 10. Jahr-
hundert. Wenn das Inventar von St-Riquier aus dem Jahre 831 von einem
capellum auro paratum und einem capellum de pallio redet, so ist darunter
eine Kapuze zu verstehen, welche auch capellum genannt wurde2; die Mitra,
d. i. eine bischöfliche liturgische Kopfbedeckung, ist sicher nicht gemeint, da
ja St-Riquier nur eine Klosterkirche war. Zudem wurde die Mitra nie capellum
(capellus) genannt.
Wir könnten hier mit unsern Erörterungen über das erste Auftreten
der bischöflichen Mitra abschließen. Allein man bringt zahlreiche schriftliche
Zeugnisse vor, welche dartun sollen, daß eine Mitra oder eine sonstige sakrale
Kopfbedeckung schon lange vor dem 2. Jahrhundert in Gebrauch gestanden
habe. Wir dürfen an denselben nicht vorbeigehen, ohne sie auf ihren Wert
geprüft zu haben.
Ammianus Marcellinus erzählt, so sagt man, es habe der Häuptling Firmus,
um mit dem römischen General Theodosius zum Frieden zu kommen, so wie ihm be-
fohlen worden, die Stadt Icosium, die militärischen Zeichen und eine Corona sacer-
dotalis samt allem andern, was er erbeutet hatte, ohne Zögern zurückgegeben 3. Unter
dieser Corona sacerdotalis hat man den pontifikalen Kopfschmuck verstehen wollen ;
Hefele bemerkt sogar: „Unter dieser Priesterkrone ist offenbar die Inful jenes Bischofs
gemeint, welchen die heidnischen Afrikaner (nach Ammian. lib. 28, 6) in der Gegend
von Leptis und Ona vor kurzem getötet hatten." Allein daß die Corona sacerdotalis
hier einen bischöflichen Kopfschmuck und erst gar ein liturgisches Ornatstück be-
deutet, ist gar nicht sicher. Es ist zwar nicht sonderlich wahrscheinlich, daß sie als
Schmuckgegenstand eines heidnischen Priesters aufzufassen sei 4 ; weshalb soll man
sie aber nicht für eine der kostbaren Kronen halten, welche man als Zierat oder als
Kronleuchter in der Kirche bei dem Altar aufzuhängen pflegte? Man darf nicht
außer acht lassen, daß Ammianus ein Heide und darum in christlichen Dingen wenig
bewandert war. Daß aber jene Corona sacerdotalis dem Bischof ßusticianus angehört
habe, ist nicht nur nicht offenbar, sondern eine bloße Vermutung. Es ist sogar höchst
1 A. SS. 28. Aug., VI 372 et 374. In
Notre-Dame zu Puy-en-Velay wurde ehedem
nach Barraud (Bullet, mon. 1866, 130)
eine Mitra aufbewahrt, die man als diejenige
Aarons bezeichnete. Angesichts solcher Re-
liquien begreift man leicht, daß man bei
aller Ehrfurcht gegen etwaige Überlieferungen
einer sachgemäßen Kritik Raum gewähren
muß, wenn man Gewandstücke, die von Hei-
ligen aus früherer Zeit herstammen sollen,
als Material in einer Geschichte der litur-
gischen Gewandung zu verwerten hat.
2 D. C. sub capellum II 123. Vgl. auch
Constit. Ansegisi (M. G. SS. II 299) : capellos
c. 29
'est.
nigros 8, alios 4, unumquemque solidis 3. Auch
in den Consuet. Farfen. (ed. Albers) 142
hat capellum den Sinn von Kapuze. Vgl.
ferner Udalrici Consuet. Cluniac. 1. 3,
(M. 149, 773).
3 Ammisni M a r c e 1 1 i n i Rerum
1. 29, c. 5.
4 So Marriott 190; Minard in Note 947
zum Gregorianischen Sakramentar (M. 78,
544) u. a. Da Firmus die antistites ritus
christiani als Unterhändler zu Theodosius
schickt, scheint es näher zu liegen, unter
der Corona sacerdotalis einen den Christen
geraubten Gegenstand zu verstehen.
440 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
unsicher, ob der Eusticianus sacerdotalis , der zu den Dekurionen zählte, überhaupt
Bischof oder auch nur christlicher Priester gewesen ist.
Ennodius besingt Mailänder Bischöfe. Dabei sagt er von dem hl. Ambrosius:
Serta redimitus gestahat lucida fronte.
Also, schliefst man, trug der Heilige schon einen bischöflichen Kopfschmuck.
Gewiß, wenn nur die Worte im buchstäblichen Sinne aufzufassen wären. Allein ein
Blick auf den Zusammenhang zeigt alsbald, daß der Vers wie alle übrigen "bildlich
zu nehmen, und unter den serta der Ruhmeskranz zu verstehen ist, welchen die
Beredsamkeit dem großen Bischof um die Stirn gewunden hat l.
Vincentius von Lerin soll aber doch in seinem Kommonitorium bestimmt von
wirklichen Kronen der Priester reden -. Allerdings, antworten wir, spricht er von
sacerdotum coronae ; doch beweist die ganze Fassung der Stelle, daß auch die Worte
des Leriner Mönches nur als Metapher gelten können, und daß sie bloß „priester-
liches Ansehen, priesterliehe Würde" bedeuten sollen.
Hieronymus, Augustinus, Sidonius, Paulinus, Ennodius 3 u. a. bedienen sich, so
heißt es ferner, bei der Anrede an die Bischöfe wiederholt des Ausdruckes corona
vestra. Mithin müssen, so folgert man, die Bischöfe in jener Zeit wirkliche Kronen
getragen haben und „haben diese meistens goldenen Kronen, wie Bock meint, schon
damals als hervorragendes und wesentliches Abzeichen der bischöf liehen Würde gegolten" 4.
Darauf ist jedoch erstens zu bemerken, daß es, wenn die Sache sich wirklich
so verhalten haben sollte, schlechterdings unbegreiflich ist, warum sich auf den zahl-
reichen Bildwerken aus dem ersten Jahrtausend nirgends eine Spur der angeblichen, und
zwar sogar meist „goldenen Krone" zeigt. Dann aber beweist eine nähere Betrachtung
der einschlägigen Stellen, daß Corona eine bloße Titulatur ist im Sinne von „Eure
Erhabenheit, Eure Hochwürden, Eure Herrlichkeit". Vestra Corona steht auf einer
Stufe mit vestra beatitudo, sanetitas, veneratio, reverentia, vester apostolatus und ähn-
lichen Anreden, die in dem schwulstigen Briefstil des 5.. und 6. Jahrhunderts immer
wiederkehren. Ein treffliches Beispiel bietet das Schreiben der Bischöfe Galliens an
Papst Leo I., in dessen Unterschriften sich in buntem Wechsel folgen: Ego N. N.
beatitudinem vestram, sanetitatem vestram, coronam vestram oder apostolatum vestrum
venerans saluto 5. Recht deutlich erhellt jene Bedeutung von Corona vestra auch aus
den Ausdrücken humilitas, exiguitas, medioeritas, parvitas nostra, mit welchen die Brief-
1 Carm. 1. 2, n. 77 (M. 63, 348):
Roseida regifleo cui (Ambrosio) fulsit murice
lingua
Vere suo pingens germina quae voluit.
Serta redimitus gestabat lucida fronte
Disthictnm gemmis ore parabat opus. . . .
Succinctus gladiis, clypei de pondere tutus
Pectore claudebat textilibus clralybis.
Ensis habet vires vitiorum sector et hostis
Vipera non tangit squamea terga viri.
Will man die serta wörtlich fassen, wird
man auch wohl das übrige so verstehen und
den Heiligen in Schwert, Schild und Panzer
aufziehen lassen müssen.
2 Commonit. I, n. 5 (M. 50, 644) : Nam quis
ille tarn demens est, qui eos non adsequi
evaleat . . . quos a defensione fidei maiorum
nulla vis depulit, . . . quos Dominus tanto
munere dignos iudieavit, ut per eos pro-
stratas restauraret ecclesias , exstinetos spi-
ritales populos vivificaret, deieetas sacerdotum
Coronas reponeret et nefarias illas novellas
impietatis non litteras, sed lituras infuso
coelitus episcopis fideliuni lacrymarum fönte
deleret.
3 Hieron. ep. 142 ad Aug. (M. 22, 1180).
Aug. ep. 33, n. 5 ad Proculeian. (M. 33, 131).
Episc. Gall. ep. ad Leon. 1. c. 1 4 (M. 54,
880 883). Eorundem ep. altera (ebd. 968).
Sidonius Apoll, Ep. 1. 6, ep. 3; 1. 7, ep. 8
(M. 58, 554 574). Ennodius, Ep. 1. 4,
ep. 22 29; 1. 5, ep. 10; 1. 8, ep. 32 38; 1. 9,
ep. 27 (M. 63, 80 83 92 144 147 161). Mar-
culfi form. 1. 1, n. 26; 1. 2, n. 46 (M. 87, 715
754). Relatio Andreae Praevalitani (Skutari)
episc. ad Hormisdam P. (M. 63, 443). Pau-
lini Nol. ep. 3 ad Alyp. (M. 61, 163) ; Flori-
ani ep. ad S. Nicetium ep. Trevir. (M. 72,
918); Paschasii episc. Lilybet. (Marsala) ep.
ad Leon. I. (M. 54 , 606) ; Portunat. episc.
praef. ad vitam S. Martini (M. 88 , 363) :
Bedae presb. praef. ad vitam S. Cuthberti
episc. prosaic. (M. 94, 734) ; Braulionis episc.
ep. 3 ad Isidor. Hispal. (M. 80, 651).
1 Bock, Gesch. II 151 f.
5 Episc. Gall. altera epist. ad Leon. I.
(M. 54, 968).
Drittes Kapitel. Die Mitra.
441
Schreiber im Gegensatz zu der dem Adressaten beigelegten Titulatur Corona vestra
sich selber zu bezeichnen pflegen '. Die Anrede Corona vestra schließt sich unzweifel-
haft an den Sprachgebrauch der Heiligen Schrift an, in welcher das Wort Corona
häufig metaphorisch den Sinn von Zier, Ehre, Schmuck hat2. In der Tat, ist die
Bischofswürde die Fülle und Krone des Priestertums, wird ferner der Bischof bei der
Weihe durch die Handauflegung mit der Bischofswürde gleichsam gekrönt, ist die
Bischofswürde für ihn eine Art dauernder geistiger Krone und ist er durch die Bischofs-
würde die Spitze und Krone des Klerus, so erklärt es sich ohne Schwierigkeit, wie
man dazu kam, in einer die Titulaturen liebenden Zeit die Bischöfe mit Corona vestra
anzureden3. Es ist darum nicht nötig, zur Erklärung des Terminus auf die kranz-
förmige Tonsur und noch weniger auf eine fabelhafte Krone hinzuweisen, welche
die Bischöfe getragen haben sollen.
Im übertragenen Sinne von „bischöflicher Würde" wird Corona sacerdotalis auch
von dem Zeitgenossen Amalars und Walafrieds, Jonas von Orleans (f 843), gebraucht,
wenn er Claudius von Turin mit dem betrunkenen Silen vergleicht4, dessen Krug in
Scherben ging und dessen Kranz zu Boden fiel. Der Bischof von Orleans will mit
seinem Vergleich nicht sagen, daß Claudius durch seine unkirchlichen Predigten und
Schriften eine wirkliche Krone vom Haupte geworfen — eine solche gab es nach den
früher gegebenen Belegen im 9. Jahrhundert in Gallien nicht — , sondern nur, daß er
sich seines bischöflichen Banges und seiner hohen Stellung unwürdig betragen und
gehandelt habe, als ob er seine bischöfliche Würde weit von sich geworfen hätte.
Von einer wirklichen bischöflichen Sakralkrone ist aber, so sagt man weiter,
zweifellos wenigstens im 2. römischen Ordo Mabillons 5 und in den Eklogen die Rede s.
„Wenn der Diakon", so führen ja beide aus, „Sequentia sancti Evangelii secundum
Lueam (Marcum etc.) gesungen, so macht er das Kreuzzeichen auf Stirne und Brust.
Dasselbe tut der Bischof und das ganze Volk; dann wendet man sich zum Evangelium
hin. Es legen aber auch alle die Stöcke aus den Händen ; desgleichen haben sie
zur selben Zeit weder eine Krone noch eine andere Bedeckung auf ihrem Kopfe."
In der Tat handelt es sich hier um eine wirkliche Krone. Nur ist es ein Irrtum,
wenn man glaubt, der 2. Ordo und Amalar sprächen von einem heiligen Kopfschmuck,
den der Bischof beim Gottesdienst getragen habe. Es gilt die Bemerkung bezüglich
der Corona und dem operimentum capitis vielmehr von den dem heiligen Opfer bei-
wohnenden Gläubigen. Dieselben sollen beim Evangelium aus Ehrfurcht gegen das
Wort Gottes nicht bloß die Stäbe, auf die man sich, um weniger zu ermüden, zu
stützen pflegte 7, aus den Händen legen, d. i. eine aufrechte Stellung einnehmen, sondern
auch ihr Haupt entblößen, selbst wenn die Kopfbedeckung in einer Krone bestände.
Das und nichts anderes meinen der zweite Ordo und die Eklogen.
Daß in England im 6., 7. und 8. Jahrhundert ein pontifikaler Kopfschmuck
gebräuchlich gewesen, dafür werden die Vita S. Samsonis, der Bericht Reginalds von
Durham über den Befund bei Eröffnung des Grabes des hl. Cuthbert, die Vita S. Birini
und Bedas des Ehrwürdigen Schrift De tabernaculo als Beweis herangezogen. Allein
mit Unrecht.
1 Vgl. z. B. die vorhin angeführten Schrei-
ben des Sidonius Apolliuaris, den Brief der
Bischöfe der Kirchenprovinz Tarragona an
Papst Hilarius, des Bischofs Paschasius von
Lilybäum an Leo I. , des hl. Paulinus von
Nola an Bischof Victricius von Ronen (ep. 18
[M. 61 , 237]) und aus späterer Zeit das
Schreiben des Bischofs Ebroin von Bourges
(Beginn des 9. Jahrhunderts) an Bischof
Magnus von Sens (M. 87, 763). Die Anrede
Corona vestra wird nach dem 6. Jahrhundert
immer seltener. Im Brief Ebroins steht statt
ihrer in gleichem Sinne magnitudo vestra.
2 Spr 12, 4; 14, 24; 16, 31; 17, 6. Eccli
1, 11; 1, 22; 25, 8. Is 28, 5; 62, 3. 1 Thess
2, 19. 2 Tim 4, 8. Phil 4, 1. Jak 1, 12.
1 Petr 5, 4. Offb 3, 11. Hebr 2, 7 9.
3 Braulio schreibt in ep. 5 ad Isid. (M.
80, 651): peto a culmine vestri apostolatus.
4 De cultu imag. 1. 2 in fine (M. 106, 364).
5 Ordo 2, n. 8 (M. 78, 972).
6 M. 105, 1322.
7 Amalar., De offic. eccl. 1. 3, c. 18
(ebd. 1126). Hildeberti Genom. De
myst. missae (M. 171, 1178). Vgl. Realenc.
I 106.
442 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Fuße u. des Kopfes.
In der Schrift De tabernaculo ' spricht Beda nur von der Hauptbedeckung
der jüdischen Priester, nicht aber von einem bischöflichen Kopfschmuck. Es kann sogar
nach der ganzen Art und Weise, wie der Heilige sich über die Mitra des aaronitischen
Kultus ausläßt, keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, daß ihm eine pontifikale Mitra
oder ein sonstiger liturgischer Kopfschmuck im christlichen Kultus noch etwas durch-
aus Unbekanntes war.
Die Krone, welche die Apostel Petrus, Johannes und Jakobus auf dem Haupte
trugen, als sie der legendenhaften Biographie des hl. Samson zufolge dem Heiligen
im Traume erschienen 2, kann nur als Zeichen der Heiligkeit und als Himmelskrone
gedeutet werden 3. Es liegt durchaus kein Anhalt vor, in ihr eine liturgische Kopfzier
zu sehen. Nicht einmal, daß die Apostel in Gestalt von Bischöfen erschienen, bietet
für eine solche Auffassung eine genügende Unterlage. Obendrein darf man nicht
vergessen, daß es sich an der fraglichen Stelle der Vita um keinen realen Vorgang,
sondern um ein bloßes Traumgesicht handelt.
Die Angabe Beginalds von Durham (ca 1170), es habe sich bei der 1104 vor-
genommenen Erhebung des Leibes des hl. Cuthbert auf dem Haupte des Heiligen
unter einem purpurnen Schweißtuch eine Mitra von unbekanntem, damals nicht mehr
vorkommendem Stoff und über der Stirn eine mit kleinen Edelsteinen allenthalben
wie besäte vergoldete Platte gefunden, ist durchaus unzuverlässig, um nicht zu sagen,
eine fromme Fabel.
Die von einem Lindisfarner Mönch, einem Zeitgenossen St Cuthberts, herrührende
Vita spricht wohl von einem Schweißtuch, mit dem man des heiligen Bischofs Haupt
bei der elf Jahre nach seinem Tode erfolgten ersten Öffnung des Grabes verhüllt
angetroffen habe, sagt jedoch von dem Stirnschmuck und der Mitra nicht das geringste *.
Ebensowenig weiß der gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts entstandene Bericht über
die 1104 vorgenommene Translation etwas von der goldenen Platte oder der Mitra,
obgleich er einlässig die Wahrnehmungen erzählt, welche man bei Eröffnung des
Sarges machte 5. Die Pontifikalkleidung des hl. Cuthbert , von welcher Eeginald ein
anschauliches Bild entwirft, ist die bischöfliche Sakralkleidung des 12. Jahrhunderts.
Das zeigt sich insbesondere bei der Beschreibung, die er von der Dalmatik und den
Pontifikalschuhen gibt. Es sind die Sandalen und die Dalmatik seiner Zeit, nicht
die des 7. Jahrhunderts, was Eeginald zeichnet. Wie wenig zuverlässig die Schil-
derung des Durhamer Mönchs ist, geht unter anderem namentlich auch daraus
hervor, daß sie den Heiligen mit den Pontifikalsandalen bekleidet sein läßt, während
doch die zeitgenössische Vita desselben ausdrücklich mitteilt, man habe die Schuhe
bei der ersten Erhebung des Leibes aus dem Sarge genommen c.
1 L. 3, c. 8 (M. 91, 482): Verum sive bys-
sinae, seu fuerint aureae coronulae, cum con-
stet, eas factas esse cum mitris, dicamus
breviter de figuris (die mystische Bedeutung).
Mitras cum coronulis habent sacerdotes ex
bysso, qui sie visum ... in venustate casti-
moniae custodiunt, ut pro eadem custodia se
coronam vitae . . . aeeipere sperent. . . . Nani
qui sie continentiae vel bonis operibus studet,
ut pro his aeterna praemia retributionis
quaerere negligit, rnitram quidem byssinam
habere videtur in capite , sed coronam non
habet.
2 C. 5 (A. SS. 28. IuL, VI 583). Es gibt eine
Reihe von Lebensbeschreibungen des hl. Sam-
son, in denen sich viel Legendenhaftes findet.
Die Bollandisten halten diejenige , welche
sie in ihren Acta zum Ausdruck bringen,
für die beste von allen , bemerken aber zu-
gleich (a. a. 0. 572 D) : Fateor dolendum
maxime, in tarn foeeunda et abundanti rerum
praeclarissimarum messe aptam falcem non
suppetiisse, quae omnia aecurate demessa
colligeret, disponeret et ordinaret. Bezüglich
der Weihe sagen sie (ebd. 569 A) : Quam
miranda stupendaque in ea ordinatione ac-
eiderint . . . exaetis hoc loco praeter modum
prodigiosis facile intelleges.
3 Vgl. die oben S. 428 angeführte Stelle
aus der Vita S. Encharii ; der hier geschil-
derte Vorgang ist ein vorzügliches Gegen-
stück zur Erzählung der Vita S. Samsonis.
4 L. 4, n. 13 14 (A. SS. 20. Mart., III 123).
6 C. 1, n. 8 (ebd. 139). Auch in sonstigen
Punkten weicht der Bericht von den Angaben
Reginalds ab , wobei die letzteren als Er-
weiterungen erscheinen.
0 A. SS. a. a. 0. 123.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
443
Reginald war kein Augenzeuge der 1104 erfolgten Rekognition des heiligen
Leibes; was er berichtet, bezeichnet er als aus zweiter Hand kommend. Er erzählt
in bestem Glauben und voll heiliger Begeisterung für St Cuthbert, was er gehört
hat. Seine Schilderung gibt indessen nicht den einfachen Leichenbefund wieder, son-
dern stellt eine legendenhafte Erweiterung und Ausschmückung desselben dar, deren
natürliche Erklärung die im Verlaufe der drei ersten Viertel des 12. Jahrhunderts
mächtig gestiegene Verehrung des großen Heiligen bildet '.
Übrigens auch einmal angenommen, der Bericht Reginalds entspreche im wesent-
lichen dem tatsächlichen Befunde, und es habe der hl. Cuthbert wirklich getragen,
was der Erzähler als Mitra bezeichnet, so folgt selbst dann nicht, daß es wirklich
schon in England im 7. Jahrhundert eine liturgische Kopfbedeckung gegeben habe.
Denn es müßte zuvor nachgewiesen werden, daß die angebliche Mitra ursprünglich
war und nicht nachträglich in den Schrein hinein kam; das um so mehr, als die Be-
schreibung Beginalds, wenn zutreffend, keinen Zweifel läßt, daß der Leib des Heiligen
in späteren Tagen mit neuen Gewandstücken bekleidet wurde -.
Wie wenig ängstlich man noch im Beginn des 11. Jahrhunderts in der Be-
handlung des heiligen Leibes war, ergibt sich aus dem, was Reginald von dem Mönch
Elfredus berichtet, der 1022 in den Rollen von Durham als feretrarius genannt wird
und als solcher die Sorge um den Schrein des hl. Cuthbert hatte. Elfred, so lesen
wir in c. 26, habe den Verschluß des Grabes öffnen und ungestraft, so oft er gewollt,
circa eum, quae voluit, componere dürfen. Eines Tages habe er sogar Haare vom
Haupt des Heiligen abgeschnitten.
Daß aber wirklich in späterer Zeit Gewandstücke in den Schrein des Heiligen
gebracht worden sind, beweist der Umstand, daß man 1827 bei der jüngsten Eröffnung
des aus Anlaß der Protestantisierung Durhams in den Fußboden versenkten Schreines
den heiligen Leib mit einer Stola und einem Manipel geschmückt fand, welche laut
eingestickter Inschrift aus dem Beginn des 9. Jahrhunderts stammten 3.
Trug St Cuthbert wirklich 1104 eine Mitra, so wird diese in ähnlicher Weise
in den Sarg gekommen sein wie jener Manipel und jene Stola, und zwar dürfte sie
dann identisch mit dem pileus regius auro textus , dem aus kostbarem Goldgewebe
angefertigten Königshut sein , welchen König Athelstan 934 außer zwei Kasein,
einer Albe, einem Manipel, einer Stola, einem Cingulum und zahlreichen sonstigen
Kostbarkeiten dem hl. Cuthbert als Weihegabe stiftete 4. Da dieser pileus damals
wohl kaum zu einem andern Zwecke verwendet werden konnte, lag es nahe, ihn dem
Haupt des Heiligen im Schreine aufzusetzen — und das mag auch die Absicht des
Gebers gewesen sein.
1 De admir. B. Cuthb virt. c. 40 (p. 84).
Er will die Erhebung des heiligen Leibes er-
zählen, wie er sie a maturioribus ecclesiae
in Erfahrung gebracht. Hi (seine Gewährs-
männer) illos ... viderant, audierant, qui
Beati Cuthberti corpus manibus contrecta-
bant. . . . Qui suis auditoribus magnalia re-
tulere et quaedam etiam eis secreta planius
detexere, quae omnia tarnen noluere scriptis
inserere. Nos vero ea describere duximus dulce
habentes, nosse perfectius ea, quae non vidi-
mus, ac posteris nota facere ea, quae quibus-
dam incerta fore cognoscimus.
2 Der Leib des Heiligen hat mancherlei
Irrfahrten machen müssen. Zu Lindisfarne
begraben und elf Jahre nach seinem Tode
zum erstenmal erhoben, wobei Kasel und
Schuhe aus dem Sarge herausgenommen
wurden, blieb er noch etwa ein Jahrhundert
im Erieden auf der Insel. Als aber dann
Lindisfarne zerstört wurde und die Mönche
flüchten mußten, nahmen sie den Sarg an die
verschiedenen Orte mit, wo sie eine Zufluchts-
stätte suchten , bis er zuletzt bleibend in
Durham ein Heim fand. Daß der Schrein
auf den Wanderungen geöffnet worden sei,
geht aus den Reliquien hervor, die man bei
seiner Eröffnung 1104 in ihm fand (Historica
narrat. c. 1, n. 6 [A. SS. a. a. 0. 138]). Es ist aber
auch ausdrücklich bezeugt , daß man jene
heiligen Gebeine zum Leibe des hl Cuth-
bert gelegt hat und also den Sarg geöffnet
haben muß (Hist. transl. c. 4, n. 23 [A. SS.
a. a. O. 132]).
3 Raine, St Cuthbert, Durham 1828, 202 ff.
Vgl. oben S. 110.
4 Monasticon anglic. I (ed. 1635) 40: Ego
Atheistanus rex do S. Cuthberto ... 2 casulas
et 1 albam et 1 stolam cum manipulo et
1 cingulum et 1 regium pilleutn auro textum.
444 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Fuße u. des Kopfes.
Die Vita des hl. Birinus (f 650) erzählt , bei der Erhebung des Leibes des
Heiligen, welche gegen das Ende des 12. oder im Beginne des 13. Jahrhunderts zu
Dorchester statthatte, habe man im Sarge den vollständigen Leichnam des Bischofs
cum duplici stola et infula rubra e panno serico atque cum cruce e metallo confecta,
pectori eius imposita gesehen '. Demnach muß es also , so hat man geschlossen,
in England bereits im 7. Jahrhundert eine bischöfliche Mitra (Inful) gegeben haben.
Allerdings, wenn nur, um von anderem abzusehen, unter der infula der Vita wirklich
eine Mitra zu verstehen und überhaupt der fragliche Leichnam in der Tat derjenige des
hl. Birinus gewesen wäre Allein infula bedeutet hier dem englischen Sprachgebrauch
des 13. Jahrhunderts entsprechend wohl die Kasel, falls nicht etwa die Tasche gemeint
sein sollte, von der im Bericht über die zweite Eröffnung des Sarges im Jahre 1224
die Rede ist. Man habe, so heißt es darin, im Sarge außer den Gebeinen einen
Bing, ein bleiernes Kreuz auf der Brust, einen kleinen Kelch, particulae vestimentorum
eius und duae stolae, sed non integrae, angetroffen. Inventa est, sagt der Bericht
dann weiter, etiam erumena quaedam serica super pectus eius itemque pera ex una
parte auro contexta. Was aber den Leichnam anlangt, den man in Dorchester
erhoben hatte, so kann derselbe unmöglich der des hl. Birinus gewesen sein, da
dieser bereits gegen das Ende des 7. Jahrhunderts nach Winchester übertragen
worden war -.
Ein weiterer Beweis für den Gebrauch eines bischöflichen Kopfschmuckes im
ersten Jahrtausend soll in verschiedenen Stellen gegeben sein , welche von einer
infula pontificalis oder sacerdotalis sprechen. So heißt es im Hodoeporicum des
hl.. Willibald von dem Heiligen : summae sacerdotalisque infulae praelatus , und
vom hl. Wunibald : sacerdotali praelatus infula 3. In der Vita des hl. Burehard wird
Papst Zacharias als summus pontifex , summi pontificatus infulae non incongruus
genannt und erzählt, wie der hl. Bonifatius erklärt habe, er halte Burehard pontificali
infula dignum '. Das Papstbuch verzeichnet in der Vita Valentini den Ausruf des
Volkes : Valentinum saneti pontificatus infula decorandum ä ; im Weihezeugnis aber,
welches Herard von Tours 866 über die Konsekration Elektrans von Reimes aus-
stellte, wird gesagt: Haec ergo aliaque ad institutionem et informationem fidelis viri. . . .
Electranni die praefixo verbo pariter et stylo promulgantes , pontificali eum infula
adornantes, sacra quoque benedictione more sanetae ecclesiae ditantes, anulo quoque
et baculo decorantes , sanetae Redonensis (Rennes) ecclesiae pontificali eum ordine
praefeeimus6.
1 Surius, Vitae prob. 3. Dec. XII 122.
- Nach B edas Kirchengeschichte 1. 3, c. 7
(M. 95, 126) wurde der hl. Birinus allerdings
zu Dorchester begraben, doch übertrug dessen
Nachfolger Hedda (Headda) später den Leib
nach Winchester , wo er ihn in der Kirche
der Apostel Petrus und Paulus beisetzte.
Die Übertragung erfolgte ca 678 — 683
(Garns, Series episcop. 198), als Hedda
seinen Sitz von Dorchester nach Wintonia
(Winchester) verlegte, d. i. also ca 25 Jahre
nach Birinus' Tode und ca 50 Jahre vor dem
Hinscheiden ßedas. Auch Wilhelm von
Malmesbury erwähnt die Translation des
Leichnams des Bischofs Birinus durch Hedda
und fügt hinzu : patronus civitatis post Deum
habetur (Gest. Pont. angl. 1. 1 ; de episc. oc-
cid. [M. 179, 1523]). Um den Beginn des
13. Jahrhunderts entspann sich zwischen den
Kanonikern von Dorchester und den Mönchen
von Winchester über den Leib des Heiligen
ein erregter Streit, der seine Wellen bis nach
Rom schlug. Die ersteren behaupteten, nicht
die Reliquien des hl. Birinus, sondern eines
Bischofs namens Bertinus, des Heiligen zehn-
ten Nachfolgers, seien nach Winchester ge-
bracht worden. Allein Hedda wußte ohne
Zweifel, wo der Leichnam seines vor 25 Jah-
ren verstorbenen Vorgängers ruhte, als er
denselben mit sich nach seinem neuen
Bischofssitz nahm. Außerdem ist unter den
Nachfolgern des hl. Birinus ein zehnter
mit Namen Bertinus nicht bekannt. Auch
hätte Hedda , der vierte Bischof nach
Birinus (Garns a. a. 0.), schwerlich den
Leib des zehnten Amtsnachfolgers des-
selben nach Winchester übertragen können.
3 N. 3 (A. SS. 7. Iulii, II 501).
4 N. 3 4 (ebd. 14. Oct., VI 574). Die Vita ist
vor 984 geschrieben , während das Hodo-
eporicum ca 800 verfaßt wurde.
5 Duck, L. P. H 72.
6 Baluzius, Capit. reg. Franc. II, Paris.
1677, 621.
Drittes Kapitel. Die Mitra. 445
Allein ist denn wirklich in diesen Stellen unter infula ein pontifikaler Kopf-
schmuck zu verstehen? Wird das Wort nicht, wie früher des weiteren ausgeführt
wurde, bei den christlichen Schriftstellern in mannigfacher Bedeutung gebraucht?
Bezeichnet es bei ihnen nicht bald metaphorisch das pontifikale Amt , die Würde
des Bischofs oder des Priesters, bald die pontifikale oder priesterliche Gewandung im
allgemeinen, ja selbst das klerikale Kleid, bald endlich einzelne bestimmte Gewand-
stücke, wie das Pallium und, namentlich in späterer Zeit, die Kasel? l Welchen Anhalt
hat man, in den oben angeführten Stellen infula im andern Sinn zu nehmen? In der
Tat ist infula in den vier ersten Stellen nur metaphorisch für , Papst- oder Bischofs-
würde" gebraucht, während das Wort im Weihezeugnis Herards allgemein „Pontifikal-
gewandung" besagt. Die Zeremonie, dem Bischof bei der Weihe die Mitra aufzusetzen,
fand erst im 12. Jahrhundert in den Weiheritus Aufnahme; den alten Weiheordines
war sie durchaus fremd. Der richtige Sinn von infula im Weihezeugnis Herards
ergibt sich aus einem Vergleich dieses Schriftstückes mit der Beschreibung, welche
Hinkmar von Reims (f 882), der Zeitgenosse des Bischofs von Tours, von der Bischofs-
weihe gibt. Was dieser jiontificali infula adornare nennt, heißt bei Hinkmar ponti-
ficalibus vestibus induere2.
Im Sinne eines liturgischen bischöflichen Kopfschmuckes läßt sich überhaupt
infula, wie früher gesagt wurde, vor 1100 nicht belegen, weder mit Zeugnissen aus
älterer noch solchen aus karolingiseher Zeit 3. Wenn Tertullian in der Schrift De
monogamia schreibt: „Wenn wir uns gegen den Klerus erheben und aufblähen, so
sind wir alle dasselbe, sind wir alle Priester; wenn es sich aber darum handelt, uns
derselben Disziplin (nämlich nur einmaliger Heirat) wie jener zu unterwerfen, dann
legen wir die infula ab, und alle Gleichheit, hat aufgehört (infulas deponimus et im-
pares sumus")4, so ist die Wendung infulas deponere offenbar bloße Metapher.
Höchstens könnten die infulae hier von einem liturgischen Abzeichen von der Art
der späteren Stola verstanden werden. Auf keinen Fall bezeichnen sie eine sakrale
Kopfbinde, wie sie von bestimmten heidnischen Priesterklassen getragen wurde. Mag
auch die Kirche den einen oder andern Brauch aus dem Heidentum herübergenommen
und christlich umgebildet haben, so ist es doch völlig unwahrscheinlich, daß die christ-
lichen Priester als Charakteristikum ihres Standes und ihrer Würde eine Insignie heid-
nischer Priester adoptierten ; dafür war denn doch der innerste Gegensatz zwischen
dem christlichen und heidnischen Priestertum , dem lautern christlichen und dem
orgienvollen heidnischen Kultus allzu groß. Wie wenig in der Tat bei den infulae
Tertullians an Kopfbinden zu denken ist, beweist des Afrikaners Schrift De Corona,
in welcher dieser jeden kranzartigen Kopfschmuck, bestehe er aus Laub, Gold oder
Binden, als heidnischen Greuel brandmarkt und bei Christen ganz allgemein mit aller
Entschiedenheit verwirft 5.
Auch in den beim ersten Anblick so frappierenden Worten des hl. Paulin von
Nola im vierten Natalitium auf den hl. Felix:
Quod quia perspicua meriti virtute gerebat
Iure sacerdotis veneranda insignia nanctus
Mente loco digna meritum decorat honore.
Sed ne sola sacrum caput infula comeret illi,
Exstitit et potior geminandae causa coronae 6.
1 S. oben S. 426 ff. " C. 12 (M. 2, 997).
2 Ep.29adAdvent.ep.Metens.(M.126,187). 5 C. 9 10 12 13 14 15 (ebd. 108 110 114
3 Wenn Bock (II 155) angibt, in Älfriks, 115 118 121). Vgl. namentlich c. 9: Quis
Erzbischpfs von Canterbury (t 1005), Glossar . . . episcopus videtur coronatus. Unter co-
werde infula als bischöfliches Kopftuch , in- rona verstellt aber Tertullian nicht bloß die
fula = biscop heafod lin, erklärt, so ist das aus Blumen oder Laub gemachten Kränze,
unzutreffend. Älfriks angelsächsisches Glos- sondern Kopfbinden aller Art (c. 7 15 [ebd.
sar (ed. Zupitza, Berlin 1880) kennt das 104 121]).
Wort infula nicht. G Poema 15, v. 111 ff (M. 61, 471).
446 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
sind insignia wie infulae lediglich metaphorisch von der Würde und der Auszeichnung,
welche das Priestertum verleiht, zu verstehen. Deutlicher tritt der bildliche Charakter
der Ausdrucksweise im 13. Natalitium auf den hl. Felix zu Tage, wenn es darin heißt:
Non defraudatus a Corona martyris,
Quia passionis mente votum gesserat . . .
Sed praeparata mente contentus Deus
Servavit illum, non coronam martyris
Negans, sed addens et coronam antistitis . . .
Ut incruento palmam adeptus proelio
Et proeliati possideret praemium
Confessionis purpurante laurea
Vittaque pacis in sacerdotis stola
Redimitus idem bis coronatus foret
Confessor atque presbyter Felix '.
Felix erscheint hier mit doppelter Krone ausgezeichnet, mit der Friedensbinde in
Gestalt der Priestergewandung und dem purpurstrahlenden Lorbeerkranz des Martyriums.
Um die Sprech- und Darstellungsweise Paulins richtig würdigen und verstehen
zu können, muß man die Zeit, in welcher er schrieb, und die literarischen Gepflogen-
heiten derselben vor Augen halten.
In beiden Natalitien handelt es sich nicht um eine bloß dichterisch gehohene
Darstellung, sondern geradezu um Wendungen, welche dem klassisch-heidnischen Sprach-
schatz entnommen sind. Paulin hat christliche Gedanken in klassische Formen ge-
gossen, christliche Ideen in die landläufige, auf heidnischer Grundlage aufgebaute
Bildersprache der absterbenden Latinität seiner Zeit eingekleidet. Das Gegenstück
zu den angeführten Stellen aus den Hymnen auf den hl. Felix bildet der Schluß eines
Briefes, den Paulin an den Bischof Victricius von Kouen schrieb -. Jeder vielleicht
noch bestehende Zweifel an dem metaphorischen Charakter der Ausdrucksweise in den
Hymnen muß sofort verschwinden, wenn man den Schlußpassus dieses Schreibens
durchliest. Wie die Worte der Hymnen in schlichte Prosa wiedergegeben lauten,
zeigt die von Marcellus von Nola angefertigte und dem Bischof Leo von Nola ge-
widmete Prosaübertragung derselben : Et ut sacratissimum caput eius duplex gratiae
coronae praecingeret 3.
Wie kann man übrigens auch unter der infula im Hymnus auf den hl. Felix
eine die priesterliche Würde des Heiligen kundtuende sakrale Kopfbinde — Felix war
nur Presbyter — verstehen, da doch auf den Monumenten des ganzen ersten Jahr-
tausends keine Spur von einer solchen wahrzunehmen ist, trotzdem uns auf ihnen
genug Priester, Bischöfe und Päpste in ihrer gottesdienstlichen Tracht begegnen? Wie
kommt das, wenn ein infula wirklich Verwendung fand '? Oder war vielleicht zur
Zeit, da die fragliehen Bildwerke entstanden, die fragliche Kopfbinde schon wieder
außer Gebrauch gekommen ? Allein auf welche Gründe stützt sich eine solche An-
nahme? Ist es überhaupt denkbar, daß ein so hochbedeutsames Ornatstück wie die
infula, das angebliche Symbol und Abzeichen der bischöflichen und priesterlichen
Würde, in so kurzer Frist — denn die hier in Betracht kommenden Monumente reichen
bis ins 6., ja 5. Jahrhundert zurück — und in so gründlicher Weise aus dem Kult aus-
zuscheiden vermochte? Was konnte Ursache und Veranlassung sein, ein so bezeich-
nendes Ornatstück wieder abzuschaffen? Heißt eine solche Annahme zudem nicht voll-
ständig die Entwicklung verkennen, welche die liturgische Gewandung bis zur Wende des
1 Poema 21, v. 152 ff (ebd. 578). 3 C. 1, n. 4 (A. SS. Ian. 14; II 229). Wel-
2 Ep. 18, n. 10 (M. 61, 242): Memineris cliem Bischof Leo Marcellus die Schrift
quaeso te nostri in illa die, qua ad te innumera widmete, ist unklar, da es mehrere No-
meritorum tuorum cohorte comitatum orna- laner Bischöfe dieses Namens gegeben hat.
mentisque felicibus comtum et infulis pariter Gregor von Tours übersetzt in seiner Vita
et adoreis coronatum et niveas sacratorum an- des hl. Felix n. 1 (ebd. 223) die Worte
tistitum vittas et floridas confessorum purpu- Paulins mit : presbyteri honore praedi-
ras occurrentium manus afferrent angelorum. tus.
Drittes Kapitel Die Mitra.
447
Jahrtausends nahm? Wo und wann findet sich in dieser Periode eine Spur von der
völligen Darangäbe irgend eines Bestandteiles der sakralen Tracht? Geht nicht viel-
mehr in ihr alle Tendenz nachhaltig auf weitere Ausbildung und Vermehrung der
liturgischen Gewandung hinaus?
Als letzten Beweis hat man verschiedene Bullen aus dem ersten Jahrtausend
angeführt, in welchen gewissen Prälaten das Becht verliehen wird, sich der Mitra
zu bedienen. In einer gewährt Johannes XV. (993) dem Abt von Braunau \ in einer
zweiten Johannes XIII. (966) dem Abt von S. Bartolomeo (Diözese Perrara) -, in einer
dritten Sergrus II. (846) dem Erzbischof Ansgar von Hamburg3, in zwei andern
Gregor IL (729) dem Abt Basinus von St Maximin zu Trier * und Theodor I. (643)
dem Abt von Bobbio dieses Privileg 5. Wir können über alle diese Dokumente kurzer-
hand hinweggehen. Die Bulle Johannes' XV. ist interpoliert , alle andern sind
zweifellos Fälschungen G.
Wir haben uns mit Absicht auf die Frage nach dem Alter der bischöflichen
Kopfbedeckung aufs eingehendste eingelassen. Wir glaubten zur Klarstellung der
Sache keiner Schwierigkeit aus dem Wege gehen, keinen irgendwie belangreicheren
Einwand unbeach-
tet und unbeleuch-
tet lassen zu sollen.
Es kann ja unmög-
lich die einfache
Versicherung be-
friedigen , daß es
in älterer Zeit noch
keinerlei liturgi-
schenKopfschmuck
gegeben habe. Es
muß , wenn eine
solche Behauptung
wissenschaftlichen
Wert haben soll,
auch der Nachweis
für sie geliefert
werden. Einegründ-
liche Untersuchung
schien aber um so
mehr angebracht, als die Fabel von einer altchristlichen liturgischen Kopfbinde hie
und da noch immer ihre Vertreter findet7.
Bild 214. Segnung des Taufwassers. Miniatur eines Taufrotels.
Bari, Dom.
Die erste zuverlässige Nachri
Leos IX. (1049—1054). Eberhard
gleitet. Dort bestätigte der Papst
kirche den Primat der Trierischen
von Toul gewesen war. Zugleich
primatus die mitra romana mit der
Nachfolger sollten sich ihrer bei den
cht über die Mitra bringt das Pontitikat
von Trier hatte letzteren nach Eom be-
am Passionssonntag 1049 in der Peters-
Kirche, deren Suffragan Leo als Bischof
setzte er Eberhard pro investitura ipsius
Bemerkung auf das Haupt, er und seine
kirchlichen Verrichtungen (in ecclesiastico
Ebd. n. 3711.
4 Ebd. n. 2179.
1 J. n. 3849.
3 Ebd. n. 2588.
5 Ebd. n. 2053.
c Über die Bulle Johannes' XV. s. oben
S. 368. Bezüglich der übrigen Urkunden
vgl. Pflugk-Harttung, Acta II, n. 83;
J. n. 2053 2179 und Bullar. rora. I 186.
7 Vgl. Rom. Quartalschrift XIV 46 ff
(H. Swoboda, Zwei Infula aus altchrist-
licher Zeit). Wir ziehen es vor, statt den
Weg luftiger Hypothesen zu ziehen, uns an die
Straße der nüchternen Tatsachen zu halten;
denn nur auf ihr ist für die archäologische
Wissenschaft wirklich Förderung zu erhoffen.
Vgl. ferner ebd. XIII 77 ff (Wusch er-
B e c ch i , Ursprung der päpstl. Tiara und der
bischöfl. Mitra, und noch J. Küsters, Studien
zu Mabillous Ordines, Münster 1905, 35).
448 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
officio) nach römischer Sitte bedienen und sich dabei allzeit erinnern, daß
sie Schüler des Apostolischen Stuhles seien. Eine auf der Ostersynode des-
selben Jahres ausgestellte Bulle bekräftigte das Geschehene1.
Die Bulle ist nach einer dreifachen Richtung von großer Bedeutung.
Sie beweist zunächst, daß es zu Leos IX. Zeit bereits eine liturgische Mitra
gab, dann, daß die Verleihung derselben noch eine durchaus außerordentliche
Auszeichnung bildete, und drittens, daß das Ornatstück um die Mitte des
11. Jahrhunderts schon eine Weile zu Rom in Gebrauch gewesen sein muß,
da sonst Leo IX. schwerlich Erzbischof Eberhard mit der Mitra begnadet
hätte. Die älteste bildliche Darstellung der Mitra findet sich auf einem im
Beginn des 13. Jahrhunderts entstandenen Exultetrotel und einem gleich-
zeitigen Taufrotel der Kathedrale von Bari2 (Bild 214, S. 447). Auf den Monu-
menten kommt sonach das Ornatstück einige Jahrzehnte eher vor als in den
schriftlichen Quellen. Die Miniatur, welche übrigens für längere Zeit durchaus
vereinzelt bleibt, bekundet, daß in Süditalien die Mitra bei einzelnen Bi-
schöfen schon in der Frühe des 11. Jahrhunderts Verwendung fand. Daß sie
hier indessen damals noch nicht allgemein getragen wurde, darauf läßt der
Umstand schließen, daß sie nur auf dem Rotel von Bari auftritt, nicht aber
auf andern Rotein des 11. Jahrhunderts.
IV. WEITERE VERLEIHUNGEN UNTER LEO IX. DIE MITRA WIRD
BISCHÖFLICHER ORNAT.
Der Verleihung der pontifikalen Kopfbedeckung an Eberhard von Trier
folgen noch unter Leo IX. einige weitere. Im Jahre 1051 gestattet der Papst
in einem Schreiben an den Erzbischof Hugo von Besancon den sieben Kar-
dinälen der dortigen Kathedrale, die Mitra zu tragen, wenn sie an den Festen
des Herrn, der Mutter Gottes, des Erzengels Michael, der Apostel, des Erz-
märtyrers Stephanus und einiger sonstigen Heiligen sowie am Allerheiligen-
und Kirchweihtag an dem von ihm selbst am 3. Oktober 1050 geweihten
Hochaltar als Celebrans, Diakon und Subdiakon amtierten3. Im folgenden
Jahre gewährt er den Gebrauch der pontifikalen Kopfbedeckung, die hier
cuphia genannt wird, dem Erzbischof Liuthbald von Mainz4. Um dieselbe
Zeit verlieh er dem Bischof Hartwig von Bamberg für dessen Domkirche,
in welcher der Leichnam seines Vorgängers Klemens III. (1046 — 1047) seine
letzte Ruhestätte gefunden, ein ähnliches Privileg, wie es Hugo von Besancon
von ihm für seine Kathedrale erhalten hatte5. Im Jahre 1053 endlich gestand
Leo dem Erzbischof Adalbert von Hamburg das Recht zu, sein Haupt mit der
mitra, quod est insigne Romanorum, zu schmücken6.
Auch in der Folge ist noch häufig von einer Erteilung des Privilegs, sich
der Mitra bedienen zu dürfen, die Rede. Der Fälle, in welchen es Bischöfen
1 J. n. 4158. Alexander II. verlieh (ebd.
n. 4667) 1069 dem Abt Reinbert von Echter-
nach auf die Fürbitte des Trierer Erzbischofs
Udo außer andern Pontifikalien auch die
Mitra. Hätte letzterer selbst noch nicht den
usus mitrae besessen, so würde er sich für
Pteinbert wohl nicht wegen desselben beim
Papst verwendet haben. Es muß also wirk-
lich damals schon der Erzbischof von Trier
das Recht erhalten haben, sich der Mitra zu
bedienen.
2 Abbildung der Miniatur des Exultetrotels
bei Berteaux, L'art dans l'Italie meridio-
nale I, Paris 1904. Ebendort auch Wieder-
gabe der Miniatur der Taufrotels, beide als
Einschalttafeln.
3 J. n. 4249. * Ebd. n. 4281.
5 Ebd. n. 4283.
6 Ebd. n. 4290. Die Bulle, welche früher
als echt galt, wird übrigens neuerdings an-
gezweifelt. Vgl. ebd. und D i e k a m p in
Historisches Jahrbuch IV 364, Anm. 1.
Drittes Kapitel. Die Mitra. 449
gegeben wurde, sind allerdings nur einige wenige bekannt. So gewährte
Viktor IL 1055 dem Erzbischof Adalbert von Hamburg1, Alexander II.
1063 dem Bischof Burchard von Halberstadt2 und 1064 dem Bischof Helisäus
von Mantua3, Kalixtus II. 1119 den Bischöfen Godebald von Utrecht4 und
Dietrich von Naumburg5 den usus mitrae. Indessen kann wohl nicht bezweifelt
werden, daß auch noch andere Fälle von Verleihungen des Ornatstückes an
Bischöfe vorgekommen sind. Denn wenn Erzbischof Anno von Köln bei
Alexander II. als Fürsprecher für Bischof Helisäus von Mantua in Sachen
der Mitra auftritt, muß er doch selbst bereits im Besitz des Privilegs
gewesen sein. Und wenn Alexander II. 1063 dem Abt Egelsinus vom Kloster
des hl. Augustinus zu Canterbury den Gebrauch der pontifikalen Kopfbedeckung
gestattet6, so hatte der dortige Erzbischof sicher schon früher dazu die Be-
rechtigung erhalten. Übrigens kann die große Verbreitung, welche die Mitra
bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts bei den Bischöfen gefunden
hatte, nicht lediglich in Gnadenerweisen des Apostolischen Stuhles ihren Grund
haben. Als eine Anzahl von Privilegien, die Mitra zu tragen, an Bischöfe
erfolgt waren, scheint das Ornatstück bald schlechthin den Charakter eines
bischöflichen Schmuckes erhalten zu haben und von den Bischöfen weiterhin
ohne besondere Ermächtigung seitens des Papstes, wenngleich nicht ohne
dessen stillschweigende Billigung, angenommen worden zu sein.
Daß Eom jemals gegen ein solches Vorgehen der Bischöfe eingeschritten sei
oder selbiges auch nur getadelt habe, davon hören wir nie etwas. Die Päpste hatten
ja auch um so weniger Ursache dazu, weil sie nicht bloß durch ihre Verleihungen
selbst die Veranlassung gegeben hatten, daß die Mitra bischofliche Auszeichnung ge-
worden war, sondern auch fortfuhren, selbst zahlreichen Nichtbischöfen, wenngleich
mit bestimmten Beschränkungen, den usus mitrae zu gewähren. Den Päpsten konnte
sogar die Annäherung der Bischöfe an den römischen Brauch nur willkommen sein,
da die schweren Kämpfe, welche sie in jenen Tagen für die Freiheit der Kirche, die
Hebung der Kirchenzucht sowie die Besserung des sittlichen und religiösen Verhaltens
der Kirchendiener wie der Gläubigen führten, eine möglichst innige Verbindung der
Oberhirten der einzelnen Diözesen mit Rom sehr wünschenswert, ja notwendig machte.
Von einer Erteilung des Vorrechts, die Mitra zu tragen, an die Bischöfe im allgemeinen
ist nichts bekannt.
Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts hatte die Mitra als sakrale Kopf-
bedeckung bei den Bischöfen bereits allgemeine Aufnahme gefunden.
In Italien rechnet Bruno von Segni (f 1123) 7, in Irland Gilbert von
Limerick (f 1139) sie zu den bischöflichen Kultgewändern; in Frankreich
tun das gleiche die Verfasser des Tractatus de sacramento altaris und des
Speculum de mysteriis ecclesiae sowie Ivo von Chartres, in Deutschland Honorius
(f ca 1150). Ebenso zählt der hl. Bernhard die Mitra schlechthin zur bischöf-
lichen Tracht, wenn er in seinem Schreiben an den Erzbischof Heinrich von
Sens ca 1126 diejenigen Äbte ernst tadelt, welche sich unter vieler Mühe
und hohem Preis das Privilegium verschafften, die insignia pontificalia zu
1 J. n.4339. Auch die Echtheit dieser Bulle 5 Ebd. n. 6766. L e p s i u s , Geschichte der
wurde jüngst in Zweifel gezogen, wohl mit Bischöfe des Hochstiftes Naumburg I 241.
Unrecht. G J. n. 4541.
2 Ebd. n. 4498. ' Daß zu Mailand die Mitra im Beginn des
3 Ebd. n. 4553. 12. Jahrhunderts zur Pontiflkalkleidung ge-
4 Ebd. n. 6762. Godebald war Bischof, hörte, erfahren wir von Beroldus (Muratori,
nicht bloß Priester, wie es Realenc. II 214 Antiq. ital. IV, Mediol. 1741, 864 ; vgl. M agi-
heißt. stretti 69, nota 6).
Braun, Die liturgische Gewandung. 29
450 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
tragen, und more pontificum Mitra, Ring und Sandalen gebrauchten1.
Daß aber auch zu Rom schon die Mitra als allgemein bischöfliches Ornatstück
galt, beweist beispielsweise die Bulle, in welcher Innozenz II. (ca 1139) dem
Propst von Masio verbietet, sich in Zukunft der Mitra, des Ringes und
anderer bischöflicher Abzeichen, welche sich derselbe angemaßt
hatte, zu bedienen 2.
Wenn Rupert von Deutz in seinem um 1100 zu Lüttich verfaßten Werke
De divinis officiis der bischöflichen Kopfbedeckung noch keine Erwähnung tut,
so mag das daran liegen, daß diese damals bei dem Bischof von Lüttich noch
nicht in Gebrauch war. Erhielt doch erst 1119 der Bischof von Utrecht das
Recht, die Mitra zu tragen. Zu Köln finden wir die Mitra auf einer Miniatur
mit dem Bilde des Kölner Erzbischofs Friedrich (1100 — 1131) in der für
diesen im Anfang des 12. Jahrhunderts angefertigten Abschrift der Briefe
des hl. Hieronymus (Bild 215) 3.
Die Bildwerke aus dem
11. Jahrhundert, aufweichen die
Mitra auftritt, sind sehr gering
an Zahl. Es sind außer den schon
erwähnten Miniaturen des Ex-
sultet- und des Taufrotels von
Bari die Fresken in der Unter-
kirche von S. demente zu Rom i,
eine Miniatur einer süditalischen
Kanonessammlung der Vaticana5
(Bild 216) , sowie die Dar-
stellung des hl. Gregor in dem
Pontifikale Cotton. Claudius A. III
der Bibliothek des Britischen
Museums 6.
Echte Siegel aus der zwei-
ten Hälfte des 11. Jahrhunderts,
auf denen uns bereits die Mitra
begegnet, sind uns bislang nicht
zu Gesicht gekommen7. Bis 1100 sind die Bischöfe auf ihren Siegeln regel-
mäßig entblößten Hauptes dargestellt, begreiflich, weil die Mitra erst im Be-
griff stand, sich als Bestandteil der Pontifikalkleidung einzubürgern.
Bild 215. Erzbischof Friedrich von Köln.
Miniatur einer Sammlung der Hieronymusbriefe.
Köln, Dombibliotliek.
1 C. 9, n. 36 (M. 182, 832). 2 J. n. 8068.
3 Bibliothek des Domkapitels L1X.
4 Die Fresken sind entstanden vor 1084, da
in diesem Jahr die jetzige Unterkirche, da-
mals Oberkirche, bei der Verwüstung Roms
durch die Normannen zerstört wurde.
5 Cod. lat. 1339.
6 Ob im Gundekarpontifikale die Kopfbe-
deckung Gebhards I. von Eichstätt, des späteren
Papstes Viktor II. (f 1057), dasregnum (Tiara)
oder die Mitra darstellen soll, ist unsicher.
' Rohaalt deFleury gibt ein Siegel
Herimanns von Metz (1073—1090) wieder,
auf welchem schon eine Mitra auftritt. Die
Abbildung ist nach einem alten Abdruck an-
gefertigt, welchen die Mönche von St Felix,
verstehen wir Rohault de Fleury recht, nach
dem Original für eine Abschrift der Original-
urkunde hergestellt haben sollen (VIII,
pl. dcliv und p. 117). Das Siegel ist unecht.
Schon die Form , welche die Mitra auf dem
angeblichen Siegel Herimanns besitzt , be-
weist das. Es ist die Form, welche erst
gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts in Ge-
brauch kommt. Auch die Angabe Rohaults
(p. 118), das Siegel Lamberts von Arras vom
Jahr 1097 und dessen Nachfolgers Robert
weise bereits die Mitra auf, ist irrig. Vgl.
Demay, Inventaire de sceaux de laFlandre,
Paris 1873, II 108. Auf den älteren Siegeln
täuscht leicht die ungeschickte Darstellung
der Tonsur und der Haarkroue.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
451
Seit Beginn des 12. Jahrhunderts, zumal aber seit der Mitte desselben,
ist die Mitra auf den Bildwerken nicht mehr selten. Insbesondere erscheinen
nunmehr auch die Bischöfe auf ihren Siegeln immer häufiger mit der Mitra;
um die Mitte des Jahrhunderts sind sie auf diesen schon sehr gewöhnlich
mit dem pontifikalen Kopfschmuck ausgestattet dargestellt.
Auf den französischen Bischofssiegeln kommt die Mitra schon in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts des öfteren vor1. Auch die englischen Siegel jener Zeit
kennen sie bereits 2. In Deutschland tritt sie auf den Bischofssiegeln im allgemeinen
etwas später auf, als es in Frankreich und England der Fall ist. Von den Mainzer
Erzbischöfen hat auf seinem Siegel zuerst Arnold (1153 — 1160) das Ornatstück3.
Auf Münsterischen Bischofssiegeln finden wir die Mitra bereits bei Ludwig (1169 bis
1173) ', auf den Paderborner dagegen erst bei Bernhard II. (1186 — 1203); auf den
Osnabrücker scheint zuerst Gerhard (1192 — 1216) sie zu tragen. In Hildesheim weist
schon das Siegel des Abtes Friedrich von St Godehard, welcher 1136 sein Amt antrat,
den bischöflichen Kopfschmuck bei St Godehard, der Friedrich den Stab überreicht,
auf. Auf den Kölner Siegeln begegnet uns die Mitra zuerst bei Erzbischof Arnold II.
(1151 — 1156), auf Hildesheimer Bischofssiegeln schon wenigstens bei Bruno (1153
bis 1162). Auf den Salzburger Bischofssiegeln ist Eberhard (1147 — 1164) der erste,
Bild 216. Die Bischüfe Felicias, Faustmus und Johannes.
Miniatur einer Kanonessammlung. Rom, Vatikan.
bei welchem sie vorkommt, auf den Würzburger Siegfried von Quernfurt (1146 — 1151),
auf den Bamberger Egilbert (1139—1146). Auf den Begensburger Siegeln scheint
sie erst bei Hartwich (1155 — 1164) oder doch frühestens bei dessen Vorgänger auf-
zutreten 5.
In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts war die Mitra bei den
Bischöfen allgemein in Gebrauch und ein fester Bestandteil der Pontifikal-
1 Vgl. die Siegel bei R o h. auf den Tafeln
des VII. und VIII. Bandes , besonders VIII,
pl dcliv ff und die freilich nicht ganz korrekte
Tabelle p. 123; ferner Louis Blancard,
Iconographie des sceaux et bulles conserv^es
dans la partie anterieure ä 1790 des Archives
Departementales des Bouches-du-Rh6ne, Mar-
seille 1860, 122 ff und pl. 38 ff und Demay
a. a. 0. II 108 ff.
s Roh. VII, pl. DXCVIIl DXCIX.
3 Würdtwein, Nova subsid. dipl. II,
tab. 13.
4 Ob auch schon das Siegel Werners (1132
bis 1151) und Friedrichs I. (1152—1168) die
Mitra aufweist, ist nicht klar. Die Angaben
bezüglich der Münsterischen, Paderbornischen
usw. Siegel beruhen teils auf Abbildungen
in „Die Westfäl. Siegel des Mittelalters"
Hft 1, Abt. 1, Münster 1882, Tfl 2 ff 17:
Hft 2, Abt. 1, Münster 1885, Tfl 42 ff, teils
auf Abdrücken in der dem Scriptorenhaus
der deutschen Ordensprovinz S. J. gehörigen
Siegelsammlung.
5 Für die Salzburger , Bamberger und
Regensburger Siegel sind vornehmlich die
Siegelsammlungen des historischen Vereins
für Niederbayern zu Regensburg und des
kgl. bayrischen Reichsarchivs zu vergleichen,
für die Würzburger die vorzügliche Samm-
lung des historischen Vereins für Unter-
franken zu Würzburg und Heffner, Würz-
burgisch-Fränkische Siegel in „Archiv des
historischen Vereins von Unterfranken " XXI,
Hft 3, S. 73 ff.
29*
452 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
kleidung. Sie erscheint darum auch in dieser Zeit bei den Liturgikern
schlechthin als bischöfliches Ornatstück. Im 13. Jahrhundert wird sie sogar
in dem Maße als ein den Bischöfen von Rechts wegen zustehender Kopfschmuck
angesehen, daß Siegfried, Erzbischof von Mainz (1230 — 1249), kein Bedenken
trägt, aus eigener Macht verschiedenen Äbten den usus mitrae zu gestatten.
Er erteilte dies Privileg 1238 dem Abt von Oldisleben, 1240 dem Abt von
St Johannes zu Bischofsberg (jetzt Johannisberg) und 1241 dem Abt von
Marienmünster1. Schon Erzbischof Konrad hatte 1194 dem Abt Dietmar von
St Peter zu Erfurt den Gebrauch der Mitra für den Gottesdienst an den Haupt-
festtagen und für den Empfang des Kaisers und sonstiger hohen Persönlich-
keiten gewährt, jedoch, wie es in dem betreffenden Dokument ausdrücklich
heißt, ex auctoritate Domni apostolici, cuius legatione fungimur2.
V. DIE MITRA BEI KANONIKERN, BEI ÄBTEN UND BEI DEN
KARDINÄLEN.
Es wurde schon erwähnt, daß Leo IX. bestimmten Kanonikern der
Kathedralen von Bamberg und Besancon die Erlaubnis erteilt habe, an ge-
wissen Tagen beim Gottesdienst die Mitra zu tragen. In der Folge wird
dieses Vorrecht noch für manch andere Dom- und Stiftskirchen gewährt.
Hier genüge es, auf einige Verleihungen hinzuweisen, welche noch dem IL,
12. und 13. Jahrhundert angehören.
Im Jahre 1063 gestand Alexander IL die Mitra den hervorragenderen Ca-
nonici von Halberstadt, Priestern, Diakonen und Subdiakonen zu. Doch war der
Gebrauch des Ornatstückes örtlich auf die Kathedrale und zeitlich auf die Festtage
des Herrn, der allerseligsten Jungfrau, des hl. Johannes des Täufers, der hll. Johannes
und Paulus, des heiligen Erzengels Michael, des hl. Stophanus, der heiligen Apostel
Petrus, Paulus und Andreas, den Gründonnerstag, Karsamstag, Allerheiligen und das
Kirchweihfest beschränkt. Außerdem durften die Subdiakone den liturgischen Kopf-
schmuck nur dann tragen, wenn sie in dem feierlichen Amt ministrierten 3. Im folgenden
Jahre erhielten von Alexander IL den usus mitrae der Archidiakon und der Sub-
archidiakon von Mantua 4. Den Dignitaren des Domkapitels zu Compostella erlaubte
1105 Paschalis IL den Gebrauch der pontifikalen Kopfbedeckung 5. Dem Kölner Dom-
kapitel wurde das Privileg 1152 unter Erzbischof Arnold durch Eugen III. zu teil,
jedoch wurde hier die Vergünstigung auf die sieben Kardinalpriester beschränkt, welche
obendrein die Mitra nur an Festtagen beim Hochamte an einem der beiden Haupt-
altäre des alten Domes tragen durften0. Alexander III. (1159 — 1181) soll den
liturgischen Kopfschmuck dem Primicerius der St Markusbasilika in Venedig verliehen
haben7. Honorius III. erlaubte 1217 den usus mitrae dem Dechanten, dem Archi-
diakon und andern Dignitaren des Kapitels von Toledo, im Falle der Erzbischof
feierlich mit dem Pallium zelebrierte8, Innozenz IV. (1244) dem Dekan des Domes
zu Mainz und seinen Kachfolgern 9.
Wie sich aus den angeführten Beispielen ergibt, pflegte, gerade wie
später, so schon gleich von Anfang an die Erteilung des usus mitrae an
1 Würdtwein, Nova subsid. dipl. III, ist die fragliche Bulle eine Fälschung (J.
pl. xxxix. n. 4753).
2 Gudenus, Codex diplomat. I 324. < J. n. 4553. 5 Ebd. n. 6042.
8 J. n. 4498. Ein ähnliches Privileg wie e Ebd. n. 9515.
den Canonici von Halberstadt soll Alexan- ' Bullet, mon. 1866, 166.
der II. (1062-1073) auch den sieben • Mor. XLV 279.
Kardinälen und andern Würdenträgern des 9 G. Chr. Ioannis, Rerum Moguntiac.
Prager Domkapitels gewährt haben, doch 1.5 de Sigefrido III., Frankfurt 1722, p. 600.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
453
Canonici unter verschiedenen größeren oder geringeren Einschränkungen zu
erfolgen. Sie sollten diejenigen , welchen jenes Vorrecht gegeben wurde,
daran erinnern, daß sie das Ornatstück nicht trügen kraft eines Rechtes,
sondern kraft eines bloßen aus Gnade ihnen gewährten Privilegs.
Äbten soll die Mitra schon vor dem zweiten Jahrtausend verliehen
worden sein ; doch wurde bereits bemerkt, daß die diesbezüglichen Bullen un-
echt oder interpoliert sind. Die ersten zuverlässigen Nachrichten über die
Erteilung des usus mitrae an Abte datieren erst aus der zweiten Hälfte des
11. Jahrhunderts. Den Reigen eröffnete die Bulle, wodurch Alexander II.
1063 dem Abt Egelsinus vom Kloster des hl. Augustinus zu Canterbury die
Mitra zu teil werden läßt. Sechs Jahre später gewährt derselbe Papst sie
dem Abt Reinbert von Echternach1. Dann reiht sich unter den folgenden
Päpsten eine Mitraverleihung für Äbte an die andere.
Von Gregor VII. empfängt das Privileg, sich der bischöflichen Hauptbedeckung
zu bedienen, 1078 Manasses, Abt von Bergues2; von Urban II. 1088 Hugo von
Cluny3 und 1097 Oderisius von Monte Cassino4; von Paschalis IL 1105 Anselm
von S. Pietro in Cielo d'Oro zu Pavia 5, 1109 Pontius von Cluny B, 1114 der Abt
von Chiusa S. Michele (Diözese Turin)7, 1113 Johannes von Nonantola (bei Mo-
dena)8; von Honorius II. 1125 Tribunus von S. Giorgio Maggiore zu Venedig9;
von dem Gegenpapste Anakletus II. 1130 Simon von Rastede (Oldenburg)10 und
ca 1133 Pranco von S. Sophia zu Benevent11; von Eugen III. 1151 Marcuardus
von Fulda 1J; von Anastasius IV. 1153 der Abt von S. Salvatore zu Montamiata
(Diözese Chiusi)u; von Alexander III. 1159 Reinald von Monte Cassino14, 1176
der Abt des von Wilhelm IL gegründeten Klosters Monreale auf Sizilien15, 1160 bis
1178 der Abt von St-Gilles (Departement Gard)1G; 1168—1170 der Prior Vivianus
von S. Salvatore zu Venedig ", 1171 — 1181 Peter von S. Severino e Sosio (Neapel) ls;
von Klemens III. 1188 der Abt Herold von St Stephan zu Würzburg19 und 1189
Abt Joel von S. demente zu Pescara (Diözese Penne)2"; von Cölestin III. 1192 der
Abt von S. Siro (Genua)21, 1193 Abt Dietrich von St Michael zu Hildesheim22, 1194
Abt Johannes von S. Pietro zu Casamagna (Diözese Anagni)23, 1196 Rudolf von
Fecamp -*, 1197 Burchard von Ebersberg (Diözese Freising, auf Bitten des Erzbischofs
Konrad von Mainz)25 und Heinrich von Kempten (Diözese Konstanz)26.
Die Zahl der Mitra Verleihungen, welche von der Mitte des 11. bis gegen
Ende des 12. Jahrhunderts an Äbte erfolgten, ist, wie man sieht, nicht gering,
und doch werden die angeführten Beispiele nur einen Bruchteil aller in jener
Zeit wirklich erfolgten derartigen Zuwendungen darstellen.
Vielfach hatte das Privileg seinen Grund in den Verdiensten, welche
sich ein Abt oder ein Kloster durch seine Ergebenheit, seinen Eifer und seine
Treue um die Kirche und den Apostolischen Stuhl erworben hatte 27. Doch
entsprang es auch wohl dem Verlangen der Päpste, die vielfach sehr einfluß-
1 J. n. 4667. - Ebd. n. 5090.
3 Ebd. n. 5372.
4 Ebd. n. 5681. Von Urban II. erhielt auch
Petrus, Abt von La Cava, die Mitra. Vgl. Vita
S. Petri Cavens. c. 3, n. 25 (A. SS. 4. Mark, 1 332).
6 J. n. 6011. " Ebd. n. 6242.
7 Ebd. n. 6385. 8 Ebd. n. 6354.
9 Ebd. n. 7211. 10 Ebd. n. 8372.
11 Ebd. n. 8428. 12 Ebd. n. 9439.
13 Ebd. n. 9748. ,4 Ebd. n. 10 594.
15 Ebd. n. 12683. 16 Ebd. n. 12 969.
17 Ebd. n. 11 693. Zur selben Zeit
verlieh Alexander auch Marin von La
Cava (Diözese Salerno) die Mitra (ebd.
n. 11591).
18 Ebd. n. 14 292. 19 Ebd. n. 16 323.
20 Ebd. n. 16417. 21 Ebd. n. 16 839.
22 Ebd. n. 16 948. 23 Ebd. n. 17 073.
24 Ebd. n. 17 418. 25 Ebd. n. 17 487.
26 Ebd. n. 17 536. Cölestin gewährt 1194
die Mitra dem Abt Walter von S. Bar-
tolomeo zu Carpineto , Diözese Penne (ebd.
17 147).
27 Vgl. besonders die Bulle Paschalis' IL
für Chiusa S. Michele (Pflugk-Harttung,
Acta II 207).
454 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
reichen Abte im Interesse der kirchlichen Wohlfahrt sich enger zu verbinden.
Eximierten, d. i. unmittelbar unter dem Apostolischen Stuhl stehenden und
der Gewalt der Bischöfe entzogenen Äbten, welche für den Bereich des
Klosters quasi-bischöflichen Charakter hatten, wurde die Mitra auch wohl
mit Rücksicht auf diese Exemtion zu teil. Das ist in einzelnen Bullen aus-
drücklich ausgesprochen. So sagt z. B. Cölestin III., als er 1194 dem Abt
Walter von S. Bartolomeo zu Carpineto das Recht zugestand, wie seine Vor-
gänger Krummstab, Ring und Mitra bei der Messe und den Prozessionen zu
tragen, die römische Kirche sei gewohnt, die Prälaten derjenigen Orte, welche un-
mittelbar dem Apostolischen Stuhle unterständen, mit vorzüglicheren Insignien
zu ehren, und darum wolle er nach Weise früherer Päpste Walter die ge-
nannten bischöflichen Abzeichen gewähren *.
Indessen hätten die Mitraverleihungen an Äbte schwerlich einen so großen
Umfang gewonnen, wenn letztere weniger darauf ausgegangen wären, sich mit bischöf-
lichem Glänze zu umgeben. Die Initiative zur Erteilung des Privilegs dürfte weit
mehr von den Äbten, als von dem Apostolischen Stuhle ausgegangen sein. Im Hinblick
auf die macht- und bedeutungsvolle Stellung, welche viele Klöster einnahmen, und
namentlich im Hinblick auf die Exemtion von der bischöflichen Gewalt, wodurch
manche Äbte zu Quasibischöfen wurden, ist solches allerdings sehr begreiflieh, doch
fand jenes Streben darum nicht auch schon den ungeteilten Beifall der Zeitgenossen.
Zu seinen Gegnern gehörte namentlich der hl. Bernhard, mit dessen idealen An-
schauungen vom Ordensleben es freilich wenig im Einklang stand. Der Heilige scheut
sich nicht, in seinem Schreiben an Bischof Heinrich von Sens über die Äbte, deren
Trachten auf die Erlangung der Mitra und sonstiger bischöflicher Insignien hinaus-
ging, in heiligem Eifer den herbsten Tadel auszusprechen 2. Daß auch andere ähnlich
dachten, beweist z. B. der Brief Peters von Blois an Abt Wilhelm von Blois, der vom
Papst eximiert und mit der Mitra begabt worden war 3. Petrus Cantor versteigt sich
sogar zur Bemerkung : Mitra abbatis inanis est et superflua et puerilis sicut mitra
pueri in recitatione miraculi facta ex schedula '. Die von Innozenz III. 1198 be-
stätigte Konstitution der Prämonstratenser untersagte, um dem Ehrgeiz ein für allemal
Tür und Tor zu sehließen, den Prämonstratenseräbten einfachhin den Gebrauch der
Mitra und der Pontifikalhandschuhe 5. Gegen die Übergriffe eines Propstes, der sich
Mitra, Eing und andere Insignien angemaßt, hatte sich schon Innozenz IL einzuschreiten
veranlaßt gesehen. Gegen Mißbräuche bezüglich des usus mitrae seitens infulierter Äbte
wandte sich auch die Konstitution Klemens' IV. vom Jahre 1266, welche noch jetzt maß-
gebend ist 6, und eine Verordnung der Provinzialsynode von Salzburg aus dem Jahre 1274 7.
Ein von Rechts wegen den Äbten zustehendes Gewand ist die Mitra
niemals gewesen. Sie erscheint in den Bullen vielmehr stets als ein besonderer
1 Vgl. auch die Bulle Cölestins III. für
Rudolf von Fecamp : Cum monasterium tibi
commissum eo privilegio gaudeat libertatis,
ut non nisi rornano pontifici sit subiectum,
dignum est et conveniens, ut te speciali
curemus gratia decorare. . . . Eapropter . . .
tibi et successoribus tuis usum mitrae . . .
duximus indulgendum.
2 Ep. ad Henr. Archiep. Senon. c. 9, n. 36
(M. 182, 832): Ite resistite nunc Christi vi-
cario (sc. episcopo). . . . Verum aperte in-
dicant quidam horum , quid cogitent, dum
multo labore ac pretio apostolicis adeptis
privilegiis per ipsa sibi vindicant insignia
pontificalia, utentes et ipsi more pontificum
mitra, anulo atque sandaliis. . . . Profecto
esse desiderant, quod videri gestiunt (sc. epi-
scopi) ; rneritoque nequeunt esse subiecti,
quibus iam ipso se comparant desiderio.
Quid si et nomen eis conferre privilegiorum
posset auctoritas ? Quanto putas auro re-
dimerent, ut appellarentur pontifices? Quo
ista, o monachi? Tibi timor nientis, ubi ru-
bor frontis? Vgl. n. 37 (ebd. 833).
3 Petri Bless. Bp. 90 (M. 207, 283 284).
Vgl. auch Thom. Cantiprat. De apibus
mysticis 1. 1, c. 6, n. 2 (Mart. 1. 2, c. 1, n. 4;
II 146).
4 Verbum abbreviatum c. 44 (M. 205, 159).
5 Regest. 1. 1, n. 197 (M. 214, 173).
15 Bull. Rom. III 764.
1 C. 4 (Hard. VII 723).
Drittes Kapitel. Die Mitra. 455
Gnadenerweis des Apostolischen Stuhles an dieselben. Zum Ausdruck dessen
wird denn auch den Äbten meist keine unbeschränkte Benutzung der Mitra
zugestanden. In der Regel wird ihnen nur gestattet, sie an den vorzüglicheren
Festen, die auch wohl genau angegeben werden, bei dem Hochamt und allen-
falls noch bei den Prozessionen zu tragen. Von der Erlaubnis, sich ihrer
auch bei Synoden zu bedienen, ist seltener in den Bullen die Rede. Sie bei
Exequien zu verwenden, wird in den Verleihungen des 12. Jahrhunderts nur
sehr vereinzelt zugestanden, und zwar wiederum gewöhnlich mit der aus-
drücklichen Beschränkung auf die Leichenfeiern hochstehender geistlicher oder
weltlicher Personen. Eine örtliche Beschränkung der Befugnis, die Mitra zu
gebrauchen, findet sich in den älteren Bullen nur vereinzelt ; von einer Unter-
scheidung in Bezug auf die Beschaffenheit der Mitra haben wir in den uns
zur Kenntnis gekommenen Verleihungsurkunden des 11. und 12. Jahrhunderts
nichts gefunden. Eine solche macht unseres Wissens erst Klemens IV. in
seiner schon erwähnten Konstitution ; doch bezieht sich auch diese nur auf
den Fall, daß Abte auf Provinzial- oder Diözesansynoden erscheinen.
Damit nämlich die einzelnen nach ihrer Würde kenntlich seien, sollen die
exemten Abte auf denselben lediglich Mitren mit Besätzen (mitrae auriphrygiatae),
nicht aber mit C4old- und Silberblechen oder Edelsteinen geschmückte, die nicht exemten
Äbte dagegen bloß einfache weiße Mitren tragen. Des übrigen sollen sich die einen
wie die andern nach dem Wortlaute der Bulle richten können, durch welche ihnen
der usus mitrae gestattet wird.
Daß die Mitra der Abte von jeher den Charakter eines liturgischen Gewand-
stückes hatte, daran kann kein Zweifel sein. Nicht nur, daß sie in den Bullen sehr
häufig mit Dalmatik, Sandalen und Handschuhen auf eine Stufe gesetzt wird, ihre
Verwendung wird auch gewöhnlich ausdrücklich auf Gelegenheiten beschränkt , die
entweder wie die feierliche Messe und die Prozessionen im besondern Sinne oder doch
wie Synoden im weiteren Sinne einen liturgischen Charakter an sich haben. Selbst
in dem weitgehenden Privileg, durch welches die Afterpäpste Viktor IV. 1162 und
Kalixtus III. 1172 Erlebold von Stablo die Befugnis gewährten, die Mitra nicht
nur an vorzüglichen Festen in seiner Kirche, sondern auch congruis temporibus am
Königshofe zu benutzen *, dürften unter diesen passenden Gelegenheiten nur kirchliche
Feiern zu verstehen sein.
Die römischen Kardinäle hatten schon früh das Recht, die Mitra zu
gehrauchen. Bereits in der Bulle, durch welche Paschalis II. 1 105 den Dignitaren
von Compostella auf Grund der Bitten des Bischofs Didakus die Erlaubnis
erteilte, an hohen Festen innerhalb der Kirche mit Gemmen verzierte Mitren
zu tragen, heißt es ausdrücklich: ut in sollemnibus diebus . . . mitris gem-
matis capita contegant in speciem videlicet presbyterorum seu dia-
conorum sedis apostolicae cardinalium 2. Die Kardinäle müssen sich
ihrer sogar schon zur Zeit Gregors VII. bedient haben. Wie nämlich Bonizo
von Sutri (f ca 1090) berichtet, befanden sich damals an der P.eterskirche
60 und mehr mansionarü, denen die Bewachung des Gotteshauses oblag. Alle
waren Laien und entweder verheiratet oder Konkubinarier. Statt ihrer Pflicht
nachzukommen , trieben sie in der Kirche mancherlei schändlichen Unfug.
Unter anderem gaben sie sich, indem sie zu diesem Behuf den Bart schoren
und Mitren aufsetzten, bei den frommen Betern als Priester und Kardinäle
1 J. n. 14 469 14 503. Kloster inkorporiert: Sandaliorum usum, tuni-
2 Ebd. 6042. Vgl. auch das Schreiben cae et dalmaticae, mitrae et anuli, sicut eis
Innozenz' III. an Abt Hamelin von Vendöme, presbyteri cardinales utuntur,
worin er S. Prisca zu Rom von neuem dem vobis . . . confinnamus (M. 225, 749).
456 Dritter Abschnitt. Die liturg, Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
aus. Gregor machte wie so manchem andern Unwesen auch dem gottlosen
Vorgehen dieser Bande ein Ende. Offenbar war es nach dieser Erzählung im
dritten Viertel des 11. Jahrhunderts zu Rom Brauch, daß die Kardinäle sich
mit der Mitra schmückten. Denn die mansionarii setzten ja eine solche auf,
um vor den Leuten als die zu erscheinen, für welche sie sich ausgaben l.
Es hatten sogar sonder Zweifel bereits zu den Zeiten Leos IX. die
römischen Kardinäle das Recht, die Mitra zu tragen. Denn wenn der Papst
den Kardinälen von Besancon sowie bestimmten Priestern und Diakonen der
Bamberger Kathedrale erlaubt, sich ihrer zu bedienen, so wird man mit der
Annahme nicht fehlgehen, daß damals erst recht die cardinales presbyteri
et diaconi zu Rom sich der gleichen Befugnis erfreut haben. Was Leo IX.
für Bamberg und Besancon gestattete, war sicher nur eine Kopie des rö-
mischen Brauches.
Von den hier in Betracht kommenden römischen Ordines Mabillons gedenkt
der, wie es scheint, erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts abgefaßte kurze 10. Ordo,
in welchem sich bezüglich der liturgischen Kleidung überhaupt nur kärgliche Angaben
finden, weder der Mitra des Papstes noch derjenigen der Kardinäle. Der 11., zwischen
1110 und 1113 entstandene Ordo, welcher ebenfalls die Sakralgewandung nur gelegentlich
streift, spricht außer von der Mitra des Papstes nur noch von der des Primicerius
der Sänger, des Chordirigenten, welcher im Range den Kardinaldiakonen folgte 2.
Der 12., zu Lebzeiten Cölestins III. (1191 — 1198) entstandene Ordo erwähnt die Mitra
der Kardinäle einigemal, ohne jedoch anzugeben, wie sie beschaffen sein mußte 3.
Aus dem auf Befehl Gregors X. (1271 — 127G) herausgegebenen (13.) Ordo erfahren
wir, daß die Kardinäle beim Krönungsmahle eine einfache weiße Mitra trugen1.
Ausdrücklich unterscheidet zwischen der mitra pretiosa und simplex alba der Kar-
dinäle der 14. Ordo. Vom Kardinalbischof von Ostia, dem Konsekrator des Papstes,
heißt es z. B. darin, er habe sich bei der Papstweihe je nach Erfordernis der Zeit
der kostbaren oder der einfachen Mitra zu bedienen 5. Eine allgemeine Kegel für
den Gebrauch der beiden Mitren bei den Kardinälen findet sich weder im 14. noch
im 15. Ordo. Wie es aber scheint, war die diesbezügliche Praxis schon im späten
Mittelalter wesentlich dieselbe wie gegenwärtig. In Gegenwart des Papstes mußten die
Kardinäle die einfache Mitra aufsetzen. Selbst der Kardinalbischof, welcher ihm bei
der Messe diente, durfte sich nur mit der mitra simplex schmücken ß.
Außer Bischöfen, Äbten und sonstigen Prälaten wurde seit der Mitte
des 11. Jahrhunderts die Mitra vom Papste auch wohl weltlichen Fürsten
verliehen. Das früheste bekannte Beispiel eines solchen Privilegs fällt in
die Zeit Nikolaus' IL (1058 — 1061), welcher dasselbe dem Herzog Specioc-
neus (Spitineus) von Böhmen gewährte7. Etwas später schmückte Alexander IL
Wratislaus von Böhmen mit der Mitra, eine Vergünstigung, welche dann
Roger von Sizilien soll von
Gregor VII. 1073 dem Herzog bestätigte*
1 Liber ad amicum 1. 7 (M. 150, 838).
Vgl. für das Ende des 12. Jahrhunderts die
Vita desH. Albert von Lüttich n. 10 (M. G. SS.
XXV 146) ; sie meldet : Albert , der zum
Bischof von Lüttich erwählt worden, sei nach
Puom gegangen, um gegenüber dem Eindring-
ling Lothar von Hochstaden, dem Schützling
des Kaisers, Bestätigung der Wahl von
Cölestin III. zu erlangen. Der Papst habe
nach Untersuchung der Sachlage nicht bloß
dem Verlangen Alberts entsprochen, sondern
ihn auch unter Überreichung der Mitra ins
Kardinalskollegium aufgenommen. Der Be-
richt der Vita ist darum besonders inter-
essant , weil aus ihm hervorgeht , daß wie
jetzt die Übergabe des roten Hutes, so am
Ende des 12. Jahrhunderts die der Mitra eine
Zeremonie bei der Kardinalskreierung war.
2 N. 45 47 (M. 78, 1043 1044).
3 N. 23 27 32 (ebd. 1072 1074 1077).
4 N. 9 (ebd. 1111).
5 Ordo 14, c. 45 (ebd. 1140).
0 Ordo 14, c. 18 (ebd. 1130).
7 J. n. 4452. 8 Ebd. n. 4812.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
457
ilill^
Lucius II. (1144 — 1145) wie Stab, Ring, Dalmatik und Sandalen so auch
die Mitra erhalten haben1. Innozenz III. begabte mit ihr 1204 Peter
von Aragonien2.
Daß auch dem Kaiser die Mitra zugestanden habe, erhellt aus dem
Ritus der Salbung und Krönung der deutschen Kaiser. Es heißt darin, wenn
Epistel und Graduale gesungen worden seien, ziehe der Kaiser in Prozession
zum Altare, woselbst der Ki n
Papst ihm zuerst die mitra \Jjv
clericalis aufs Haupt
setze und dann auf die
Mitra das kaiserliche Dia-
dem 3. Auch auf den späte-
ren Kaisersiegeln kommt die
Mitra vor (Bild 217). Der
erste Kaiser, von dem wir
bestimmt wissen, daß er bei
der Krönung die Mitra trug,
ist Heinrich VI. 4 Wie es
sich bei seinen Vorgängern
bezüglich des Ornatstückes
verhielt, läßt sich nicht
sagen.
Die Verleihung des
pontifikalen Kopfschmuckes
und sonstiger geistlichen
Gewandstücke und Vor-
rechte an weltliche Fürsten,
wie das im Verlaufe des
Mittelalters mehrfach vor-
kam , war der plastische
Ausdruck der innigen Beziehung, in welcher nach damaliger Anschauung-
Staat und Kirche, weltliche und geistliche Gewalt, der Kaiser und die Fürsten
als Träger der zeitlichen, und der Papst, der Stellvertreter Christi, als Ver-
körperung aller geistlichen Macht zueinander standen.
Bild 217. Majestätssiegel Kaiser Karls IV.
Luxemburg, Sammlung des Skriptorenhauses.
1 Otto Frising., De gest. Friderici 1. 1,
c. 28 (M. G. SS. XX 367).
2 Innocent. III. Epist. 1. 7, n. 229 (M. 215,
550). Vgl. Bullar. rom. III 197.
3 Ordo 14, c. 15 (M. 78, 1241).
4 Vgl. den wohl für die Krönung Hein-
richs VI. am 15. April 1191 verfaßten Ordo
in M. G. Leg. II (ed. Pertz) 187 ff und
neuestens bei Paul Fahre, Le Liber cen-
suum , Paris. 1905 , 1* ff. Die Annahme
Schwarzers (Forschungen zur deutschen
Geschichte XXII 172) und einiger anderer,
wonach der Ordo für die Krönung Hein-
richs III. am 25. Dezember 1046 zusammen-
gestellt worden sei, eine Vermutung, welche
auch Duchesne in der Vorrede zu Fabres
Ausgabe des Liber censuum wahrscheinlich
erscheint, ist. von anderem abgesehen, unseres
Erachtens schon wegen Erwähnung der Mitra
unhaltbar. Über Otto IV. siehe die Annales
Ceccan. ad 1209 (M. G. SS. XIX 298) : Oddo
. . . vestitus vestimentis imperialibus sacratis,
mitratus et coronatus. Vgl. auchDiemand,
Das Zeremoniell der Kaiserkrönungen 84 f.
Über die Mitra der Kaiserin s. ordo 14,
c. 106 (M. 78, 1244). Sie wird in dem bei
der Krönung Heinrichs VI. gebrauchten Ordo
noch nicht erwähnt. Die Mitra wurde
übrigens der Kaiserin so aufgesetzt, daß die
cornua nach den Seiten gerichtet waren: Cor-
nua mitrae sint a dextris et a sinistris. Auf
den Kaisersiegeln aus der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts trägt auch der Kaiser sie in
dieser Weise, während er sie auf den früheren
Siegeln so auf dem Kopf hat, daß die Hürner
sich über Stirn und Hinterhaupt erheben.
458 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
VI. ÄLTESTE FORM DER fflITRA.
Die Mitra hat nach Gestalt und Beschaffenheit eine wechselvolle Ge-
schichte. Zwischen dem pontifikalen Kopfschmuck des 11. und dem des
19. Jahrhunderts ist ein so großer Unterschied, daß fast kaum eine Ver-
wandtschaft zwischen beiden erkennbar ist.
Bei den Wandlungen, welche die Mitra durchgemacht hat, lassen sich
bestimmt abgegrenzte Stadien nicht unterscheiden. Während man hier an
einer älteren Form mit Zähigkeit festhielt, war man anderswo bereits zu einer
weiteren Bildungsstufe vorgeschritten. Die interessanteste Periode der Aus-
gestaltung der Mitra umfaßt das 11., 12. und teilweise noch das 13. Jahrhundert.
Leider geben die Liturgiker dieser Zeit über die Beschaffenheit, Gestalt und
Entwicklung des pontifikalen Kopfschmuckes nur sehr spärlichen Aufschluß.
Bruno von Segni sagt, die Mitra sei aus Linnen gemacht; das Specialem mysterio-
rum ecclesiae nennt sie corniculata. Honorius bemerkt, sie bestehe aus weißem Byssus.
Sicard von Cremona gibt an, sie werde mit Gold und Edelsteinen verziert und rückwärts
mit zwei Bandstreifen (linguae) ausgestattet, an
denen sich unten Fransen befänden. Innozenz III.
redet von den beiden Hörnern, den von der
Hinterseite der Mitra herabhangenden Bändern
(fimbriae) und einem circulus aureus, qui anterio-
rem et posteriorem partem complectitur, d. i. von
einer Goldborte, die rings das Ornatstück umzog.
Da er von einem vorderen und hinteren Teil der
Mitra sjn'icht, so muß sieh eines der beiden
Hörner, deren er Erwähnung tut, über der Stirne,
das andere auf dem Hinterkopfe erhoben haben.
Durandus endlich fügt den Angaben seiner Vor-
gänger nur noch hinzu, daß die Fransen an den
über die Schultern herabhangenden Bändern von
roter Farbe seien, und daß man bald eine einfache,
Bild 218. Miniatur in der Vita aus weißem Linnenstoff verfertigte, bald eine
S. Willibrordi. Gotha, Herzogt. Bibliothek, aurifrisiata, d. i. eine mit Besätzen aus Goldstoff
bzw. mit Stickereien versehene Mitra trage.
Hervorgehoben zu werden verdient, daß erst Robert Paululus, das
Speculum und der Tractatus de sacramento altaris der cornua der Mitra ge-
denken. In der Tat konnte von Hörnern noch keine Rede sein, solange jene
kegel- oder kalottenförmig war oder solange sie nur niedrige Bausche an
den Seiten aufwies. Anders lag die Sache, als die Bausche sich zu spitz
ansteigenden, über den Schläfen sich erhebenden Schilden umgebildet hatten.
Nun durfte man mit einigem Recht von cornua sprechen ; denn jetzt lag
wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit Hörnern vor. So dürftig also auch
die Angaben der Liturgiker des 12. Jahrhunderts sind, so spiegelt sich
doch immerhin in ihnen, wenngleich nur schwach, die Entwicklung wieder,
welche sich damals in Bezug auf die Form der Mitra vollzog. Ungleich
klarer offenbart sich allerdings der Wechsel in der Gestalt des pontifikalen
Kopfschmuckes auf den Bildwerken des 11. und 12. Jahrhunderts. Aus
ihnen lernen wir den bei den Liturgikern nur eben angedeuteten Gang der
Dinge mit aller Deutlichkeit in seinen einzelnen Hauptphasen kennen.
Die Mitra war hiernach in ihrer ältesten Form eine einfache, oben spitz
zulaufende, also kegelartige Mütze aus weichem Stoff. Um den unteren Rand
zog sich, wenngleich keineswegs allzeit und regelmäßig, nach Art eines Diadems
Drittes Kapitel. Die Mitra.
459
ein ringförmiger Besatz, der circulus. Beispiele bieten die schon erwähnten
Darstellungen in dem Exultetrotel und dem Taufrotel von Bari (Bild 214,
S. 447), dem Kodex 1339 der Vaticana (Bild 216, S. 451) und der Unter-
kirche von S. demente. Andere, auf denen das Ornatstück zwar noch kegel-
förmig ist, aber doch schon an Höhe abgenommen hat, finden sich in Thiofrids
Willibrordileben aus der Zeit zwischen 1102 und 1106 (herzogl. Bibliothek
zu Gotha) und auf einem dem Kloster Abdinghof entstammenden Tragaltar
aus der Frühe des 12. Jahrhunderts (jetzt im Besitz der Franziskaner zu
Paderborn). Dort ist Bischof Bruno von Trier (Bild 218), hier der hl. Blasius
dargestellt l.
Gegen 1100 beginnt die Mitra ihre Kegelgestalt zu verlieren; sie wölbt
sich oben ab und wird zur Rundmütze. Ein gutes Beispiel dieser Form begegnet
uns auf der früher besprochenen Darstellung des hl. Gregor im sog. Dunstan-
pontifikale, auf welcher sowohl Gregor wie der vor diesem knieende Bischof
sie aufweist 2. Der obere Teil der Mitra erhielt dann, seitdem man an-
gefangen hatte, ihm eine abgerundete Gestalt zu geben, im weiteren Ver-
lauf der Entwicklung bald sehr gewöhnlich eine von der Stirn zum Hinterhaupt
verlaufende Vertiefung, ähnlich, wie sie entsteht, wenn man mit der Schmal-
seite der Hand einen weichen Filzhut oben in die Länge
eindrückt. Durch diese Einsenkung bildete sich zu beiden
Seiten ein stumpf abschließender Bausch (Bild 2 15, S. 450).
Bei reicheren Mitren zog sich zugleich mitten über den
Kopf, vom Bandbesatz über der Stirn bis zu dem der
Bückseite ein Zierstreifen, welcher die Einbuchtung
schärfer betonte und die Bausche rechts und links klarer
und ausgeprägter hervortreten ließ , aber auch den
Zweck gehabt haben mag, eine unschöne Naht zu ver-
decken (Bild 219). Wie der circulus muß er, den Bild-
werken nach zu urteilen , häufig aus kostbarem Stoff
bestanden haben und selbst mit Edelsteinen geschmückt
worden sein. Die Miniatoren malen beide Besätze fast
durchweg in Gold.
Von dem unteren Rand der Hinterseite der Mitra fielen zwei Bänder
(fasciae, fimbriae, vittae, penduli, fanones, linguae, ligulae,
später auch infulae) auf die Schultern herab. Bei den frühesten Abbildungen
kommen sie noch keineswegs regelmäßig vor. In der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts ist die Mitra jedoch fast immer mit ihnen versehen. Sie
erscheinen bald in der Mitte, bald nach den Seiten zu angebracht. Auf man-
chen Bildwerken befinden sie sich sogar fast geradezu an den Schläfen.
Insbesondere treten sie uns in dieser Weise ungemein oft auf den Bischofs-
siegeln entgegen. Daß solche Darstellungen nicht das bloße Produkt einer
Künstlerphantasie sind, sondern der Wirklichkeit entsprachen, beweist der
höchst interessante Bericht, den v. Wilmowsky über den Befund der Leiche
des Erzbischofs Albero von Trier (f 1152) gibt, sowie die Skizze, die er
von der Mitra des Toten aufnahm (Bild 220, S. 460) 3. Ihrer Form nach sind
die fasciae meist ein überall gleich breites Band. An den Enden pflegen sie
Bild 219. Hl. Heribert.
Ausschnitt einer Miniatur.
Sigmaringen, Fürsfcl. Hohen-
zollernsclio Bibliothek.
1 Abbildung bei v. Falke und Frau-
berger, Deutsche Schmelzarbeiten des Mittel-
alters, Frankfurt 1904, TU 14.
2 Vgl. oben S. 486, Anm. 9.
3 v. Wilmowsky, Die Grabstätten der
Erzbischöfe im Dom zu Trier 5 und Tfl 2 8.
460 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
nach Weise der Stola oder des Manipels mit Fransen oder mit sonst einem
Abschluß verziert zu sein.
Was die Entstehung der fasciae anlangt, so sagt man gewöhnlich, sie seien
ursprünglich die rückwärts herabfallenden Enden des Bandes gewesen, das man
unten um den Rand der Mitra herumgeschlungen und hinten zusammengebunden habe.
Für diese Ansicht könnte sprechen, daß sich auf einigen Miniaturen der Randbesatz
an der Rückseite des Ornatstückes wirklich zu einem Knoten zusammenzuschürzen
scheint '. Es bleibt bei ihr indessen zu erklären, warum die fasciae auch bei solchen
Mitren vorkommen, die des circulus entbehren ; dann, warum Streifen und Bordüre sehr
häufig aus verschiedenen Stoffen bestehen oder verschieden gemustert sind; endlich,
warum die Bänder so häufig nach den Seiten des Kopfes zu oder gar fast bei den
Schläfen an der Mitra angesetzt sind. Ob es daher nicht zutreffender ist, an-
zunehmen, es seien die fasciae von Anfang an lediglich als Zierbehänge gedacht ge-
wesen, wie man deren auch wohl im profanen
Leben an vorzüglicheren Kopfbedeckungen an-
zubringen pflegte ? -
Irrig ist jedenfalls die Auffassung, welche
in neuester Zeit Wüscher-Becchi von der Bedeu-
tung des um den Rand der Mitra angebrachten
Besatzes vorgetragen hat 3. „Was diese halb-
kugelförmige Kopfbedeckung, die vom Papst und
den Bischöfen zugleich getragen wird, besonders
auszeichnet', meint dieser, „das ist bei beiden
die Mitra, jenes Band, das im ganzen Altertum
den , Geweihten, Geheiligten' bezeichnet. Der
bischöflichen Mütze gab sie geradezu den Namen.1'
Er übersieht, daß. es, wie noch jetzt und im
späteren Mittelalter, so von Anfang an Mitren
gegeben hat, welche des Randbesatzes gänzlich
entbehrten. Darum sagt auch Ernold (f 1156) in
seiner Abhandlung De Septem verbis Domini in
cruce nur: Tiara (des jüdischen Kultus) erat
byssina, circumdata coronula aurea, opere textili
facta, sicut hodie phrygium mitris nostrorum
pontificum plerumque (nicht semper) con-
suitur '. Dann beachtet er nicht, daß der frag-
liche Besatz niemals als etwas anderes denn als bloße Verzierung galt. Keiner der
Liturgiker redet vor Innozenz III. von dem angeblich heiligen Band , aber auch
Innozenz III. , welcher zuerst des circulus Erwähnung tut , weiß nichts von der
Bedeutung, welche Wüscher-Becchi mit ihm verbinden möchte. So wenig hatte
der Randbesatz einen sakralen oder auch nur auszeichnenden Charakter, daß wir
ihn nicht bloß an der Mitra, sondern ebensogut an profanen Mützen antreffen. Welchen
Anhalt hat man überhaupt, irgend einen Zusammenhang zwischen dem circulus
der Mitra und der Koptbinde persischer Könige, dem angeblichen Abzeichen aller
Priesterkönige des Altertums, zu behaupten? Was hat man denn im 10. und 11. Jahr-
hundert noch von dieser ehemaligen heiligen Binde gewußt? Es ist darum auch
Bild 220. Mitra aus dem Grab des
Trierer Erzbischofs Albero (f 1152).
(Nach v. Wilmowsky.)
1 Roh. VII, pl. dlvi: VIII, pl. dclv. Die
Miniaturen , denen die Abbildungen entnom-
men sind , stammen fast alle aus demselben
Stuttgarter Kodex ; der Knoten wird wohl
auf Rechnung des Malers zu setzen sein.
- Vgl. z. B. die Behänge der Kronen auf
den Siegeln der deutschen Kaiser aus dem
11. und 12. Jahrhundert.
3 Ursprung der päpstlichen Tiara und der
bischöflichen Mitra (Römische Quartalschrift
XIII 105). Der Wert der Arbeit liegt
in den lesenswerten Erörterungen über die
Kopfbedeckung der Orientalen ; was über die
Entstehung der Mitra gesagt wird, entbehrt
der Kritik.
* M. 189, 1723.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
461
ganz unzutreffend, daß das Band am Rand der Mitra, wie Wüscher-Beechi glaubt,
dieser geradezu den Namen gegeben habe. Er belehrt uns doch selbst in aus-
führlicher Weise über die verschiedenen Bedeutungen, welche mitra im klassischen
und nachklassischen Latein und Griechisch besafs. Wenn man im 10. bzw. 11. Jahr-
hundert die neu aufgekommene pontifikale Kopfbedeckung mitra nannte, so geschah
es entweder, weil das Wort im Laufe der Zeit den Sinn von Haube, Mütze bekommen
hatte oder — und das ist wohl das wahrscheinlichste — weil in der Vulgata die
sakrale Kopfbedeckung der jüdischen Priester mitra genannt wird ; nicht aber mit
Bücksicht auf den Randbesatz als auf eine Reminiszenz heiliger Kopfbänder vor-
christlicher orientalischer Priesterkönige, von der man damals nicht die geringste
Ahnung hatte.
Die kegel-, kalotten- oder haubenartige Mitra blieb teilweise
bis weit ins 12. Jahrhundert hinein im Gebrauch. Monumente des 11. Jahr-
hunderts, auf denen sie auftritt, wurden schon früher erwähnt. Im Anfang
des 12. Jahrhunderts begegnet sie uns auf dem Bild des Erzbischofs Bruno
von Trier in der Gothaer Vita S. Willibrordi, auf dem Bilderschmuck der
Chronik von Volturno 1, der Darstellung des Erzbischofs Friedlich von Köln
in der Sammlung der Hier onym usbriefe der Kölner Dombibliothek und auf
manchen sonstigen Bildwerken. Gegen die Mitte desselben treffen wir sie unter
anderem noch auf den Miniaturen eines Salzburger Antiphonars2 sowie auf den
Siegeln des Abtes Friedrich von St Godehard zu Hildesheim (nach 1136) und
des Bischofs Alexander von Lincoln in England (1123 — 1148) an. Sie kommt
selbst noch nach 1150 auf den Monumenten vor. Zum Belege dafür sei hier
nur hingewiesen auf die Siegel Roberts von Lincoln (1148 — 1168), Arnulfs
von Lisieux (1141 — 1181), Hugos von Rouen (1130 — 1164)3, Rotrocus' von
Rouen (1165—1183)*, Alberts von S. Malo (1163—1184) u. a., sowie auf
die Darstellung des hl. Heribert in der ca 1164 abgefaßten Deutzer Chronik
(Bild 219, S. 459) 5.
Die Wahrnehmungen, welche v. Wilmowsky hei Öffnung der Gräber
der Trierer Erzbischöfe machte, beweisen sogar, daß die mützenartige Mitra,
wenigstens hie und da, noch bis in das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts
hinein Verwendung gefunden haben muß. Es waren nämlich nicht nur Albero
(f 1152) und Hillin (f 1169) mit einer solchen ausgestattet, es deckte noch
selbst das Haupt Arnolds I. (f 1183) eine „zylinderförmige, fast halbkugel-
runde Mitra von Seide" 6.
Vielleicht stellte auch die unter dem Namen eines Biretts des hl. Pro-
culus gehende Kalotte, welche bis wenigstens 1861 in S. Zeno zu Verona
aufbewahrt wurde, eine Mitra des 11. oder des frühen 12. Jahrhunderts dar7.
1 Ag. Malerei Tfl 69. Vgl. ebd. Tfl 66,
Nr 4 (aus Donizos Vita Mathildas corai-
tissae) ; Tfl 67, Nr 1 (aus einer Bullensamm-
lung); Tfl 68, Nr 142 145 147 153.
2 Lind, Ein Antipkonar mit Bilderschmuck,
Wien 1870, Tfl 18 20 21 34 43 45.
3 Vgl. die Tafeln bei Roh. VII VIII, be-
sonders VIII, pl. DCLV DCLVI DCLXIV.
* Ebd. VII, pl. DLIII dli; VIII, pl. DCLIV
dclxiv. In einzelnen Fällen ist es auf den
Siegeln unklar , ob noch die älteste Mitren-
forro gemeint ist. Es liegt das teils an dem
unvollkommenen Schnitt des Stempels, teils
an mangelhafter Ausprägung oder nachträg-
licher Abstumpfung des Siegels.
5 Fürstl. Hohenzoll. Biblioth. zu Sigmarin-
gen. Vgl. auch A u s m We r t h , Kunstdenkmäler
Tfl 17 (Tragaltar aus Xanten) und 48 (Tragaltar
aus Siegburg) , und D e s t r C e, Les Musöes Ro-
yaux li vr. 4, pl. in (Reliquiarvon Stablo ca 1 145) .
6 v. Wilmowsky, Die Grabstätten etc. 6.
7 In Zeitschrift XV (1902), 6 machte der
Verfasser auf eine Mitra zu Vallombrosa auf-
merksam , die , ihm zugekommenen Mit-
teilungen gemäß, noch die primitive Mützen-
form haben sollte. Nähere Auskunft, die
P. Tacchi Venturi S. J. mir zu verschaffen
die Güte hatte, bewies jedoch, daß es sich
bei ihr um eine Mitra von gewöhnlicher
Form aus dem 13. Jahrhundert handelt.
462 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
De Linas sagt darüber: J*ai vu dans la sacristie de l'eglise de St-Zenon ä
Verone une espece de calotte en grosse toile damassee (grand oeil-de-perdrix)
avec cette legende inscrite sur parchemin en caracteres italiens du XIVe siecle:
Birretum sancti Proculi epi. quarti Veronensis. Cette calotte a-t-elle reellement
appartenu a Saint-Procule, qui vivait sous Diocletien ? Je n'ose me prononcer,
mais je la crois de la meine famille qne la coiffure de Saint-Dunstan K Das
Birett des hl. Proculus ist gegenwärtig leider spurlos verschwunden.
Man hat die Ansicht ausgesprochen, es sei die Mitra anfänglich bloß ein Tuch
gewesen, das man um den Kopf des Bischofs gelegt und dann mittels einer Binde
befestigt habe. Dabei habe man die Zipfel hinten auf den Nacken herabfallen lassen.
Diese Annahme ist indessen unseres Erachtens ganz unzutreffend. Die Mitra erscheint
bereits auf den frühesten Abbildungen als eine Art Mütze. Eine Mützenform war
auch bei ihr durch die Verwendung, welche sie beim Gottesdienste fand, geboten.
Dieselbe brachte es ja mit sich, daß der Bischof die Mitra bald aufzusetzen bald
wieder abzunehmen hatte. Schriftliche Zeugnisse fehlen zudem für die Hypothese voll-
ständig. Die wenigen Bildwerke aber, auf die man sich beruft, Skulpturen eines nun-
mehr verschwundenen Grabmals in St-Eemi zu Reims 2, die früher schon erwähnten
Miniaturen der Miracula S. Amandi zu Valenciennes mit den Bildern der hll. Amandus
und Vindicianus 3 und eine segnende Bischofsfigur in St-Bertrand zu Comminges *
beweisen nichts. Sie gehören alle einer Zeit an, in welcher die Mitra allgemein eine
förmliche Mütze war. Sollten sie also wirklieh etwas anderes als eine solche dar-
gestellt haben bzw. darstellen, so kann das, wie so manches bei den mittelalterlichen
Darstellungen, nur als künstlerische Freiheit aufgefaßt werden. Allein tatsächlich
hatten oder haben die pontifikalen Kopfbedeckungen auf den fraglichen Monumenten die
Gestalt einer Mütze 5. Eigentümlich ist bloß, daß bei ihnen die fasciae nach Art
eines gefältelten Tuches gebildet sind. Dabei ist es, was die beiden Skulpturen an-
langt, durchaus zweifelhaft, ob die Abbildungen, die davon vorliegen, das Original
korrekt wiedergeben 6.
1 Revue 1861, 297. Unter der coiffure de
Saint-Dunstan versteht er die Kopfbedeckung,
welche St Gregor auf der Miniatur des Kodex
C o 1 1 o n , Claudius A, III trägt. Vgl. S. 459.
Über das „birretum S. Proculi" siehe auch
Bock II 347.
2 De V e r t II, pl. viii, 9 ; daraus auch bei
Bock II, TA 22, 4. Eine kleine Skizze
des ganzen Monumentes in Mart. und
Durand, Voyage litteraire II 81.
3 Oben S. 436. Abbildungen bei Roh.
VIII, pl. dcxxxviii dclxiv; Bock a. a. 0. II,
Tfl 22, 2 3.
4 Cahier, Decorations d'eglises 4.
5 Da das Grabmal in St-Remi nicht mehr
vorhanden ist, lassen sich die Skizzen bei
de Vert und Martene nicht mehr am Original
kontrollieren. Und doch weifs jeder, der die
damalige Reproduktionsweise kennt, wie not-
wendig das wäre. Übrigens sagt de Vert
selbst bezüglich der fraglichen Kopfbedeckung
mit aller Klarheit: On voit ä Rheims dans
l'eglise de Saint-B,emy un tombeau, oü sont
representes des moines d'un cöte et de l'autre
des pretres et des eveques avec des mitres
en forme de vrais bonnets, d'oü pendentpar
derriere des bandes de meme etoffe, ce sem-
ble, que le bonnet (II 341 note c).
G Der Vollständigkeit halber sei hier noch
auf zwei Beispiele von Bischofsdarstellungen
mit ungewöhnlichem Kopfschmuck aufmerk-
sam gemacht. Die erste, ein Steinrelief, be-
findet sich zu Moissac (Tarn-et-Garonne).
Sie gibt den hl. Durandus vou Toulouse
(t 1072) wieder und ist sonach keinenfalls
vor dem 12. Jahrhundert entstanden. Der
Kopfschmuck besteht hier in einem schmalen
Band , das sich um die breite Haarkrone
schlingt, hinter dem Kopf gebunden zu sein
scheint und mit seinen Enden auf die Schul-
tern herabfällt (Abbildung bei C a h i e r,
Caracteristique des Saints 1 296, doch ungenau,
und Revue 1892, 456). Der Heilige ist oben-
drein mit dem Nimbus geziert. Ein ponti-
fikaler Kopfschmuck ist hier angesichts der
Entstehungszeit des Reliefs offenbar nicht
gemeint, sondern, ähnlich wie auf Miniaturen
im Benedictionale Aethelwolds, die Himmels-
krone. Die andere , noch eigentümlichere
Art von Kopfzier begegnet uns auf einer
Miniatur des Evangeliars von Niedermünster,
des sog. Utakodex (München, Kgl. Bibl.
Cim. 54). Sie stellt St Erhard, Bischof von
Regensburg (ca 700) , dar. Um das Haupt
des Heiligen ist turbanartig ein Tuch ge-
wunden , auf der Stirn aber ein kleines
Drittes Kapitel. Die Mitra.
463
VII. ÄNDERUNGEN IN DER FORM DER MITRA.
Ein etwas anderes Aussehen als die bisher besprochene Mitraform hat
eine zweite, der wir seit etwa 1125 häutig begegnen. Bei ihr haben sich
die beiden seitlichen, mehr oder weniger stark ausgeprägten Bausche zu
senkrecht aufsteigenden und in eine Spitze endenden Hörnern entwickelt,
welche durch eine feste Einlage von Pergament
oder steifem Linnenzeug ihre Form erhielten.
Daß diese Form auch in Italien bekannt
gewesen ist, ergibt sich z. B. aus einem Ge-
mälde der Platonia bei S. Sebastiano zu Rom ',
aus Darstellungen des Regestum von S. Angelo
in Formis 2, der seitlichen Erztüre der Kathedrale
zu Troja von 1127, der Chronik von S. Sophia
zu Benevent3, des.Exultetrotels von Fondi11
und andern Bildwerken.
Sehr häufig trifft man die an beiden Seiten
zu Spitzen sich ausgestaltende Mitra bis zum
letzten Viertel des 12. Jahrhunderts auf fran-
zösischen Bischofssiegeln an5 (Bild 221). Sie
findet sich auf verschiedenen Siegeln sogar
bis in das 13. Jahrhundert hinein, so auf Bil(1 221.
Bischofssiegeln von Beziers, Arles, Agde, Sie§el Gottfrieds vonNevers fl-1159).
,, , r<i t» -i i m ■ iii . , Luxemburg, Sammlung des Skriptorenhauses.
Maguelone, St-Paul-des-Trois-Chateaux u. a.
Auf den Arier Bischofssiegeln sehen wir sie noch 1222, auf den Siegeln der
Bischöfe von St-Paul-des-Trois-Chäteaux noch bei Bischof Godefredus (f 1230).
In Deutschland begegnet sie uns noch auf dem Siegel des Erzbischofs Arnold
von Mainz (1153 — 1160)° und einem Siegel Hartwichs von Regensburg von
goldenes Plättchen von dreieckiger Form an-
gebracht (Abbildung bei Cahier pl. m und
Swarzenski, Regensburger Buchmalerei,
Leipzig 1901, TA 13). Auch hier handelt es
sich nicht um eine pontifikale Kopfbedeckung.
Wie das Stirnplättcken beweist , haben dem
Miniator vielmehr der Kopfbund und die
lamina, das goldene Stirnblech des jüdischen
Hohenpriesters vorgeschwebt, wie denn auch
im übrigen sich in der Gewandung An-
klänge an die Tracht des letzteren bemerklich
machen. Das Evangeliar wird jetzt meist der
Uta von Kirchberg (1002 — 1025) zuge-
schrieben. Eine dritte bemerkenswerte Art
von Kopfschmuck erscheint auf einer Miniatur
des Prümer Kartulars im k. Staatsarchiv zu
Koblenz bei Abt Friedrich. In Albe, Dal-
matik und Pluviale gekleidet, trägt dieser
um den Scheitel einen goldenen Reifen. Der-
selbe Schmuck findet sich auf der gleichen
Miniatur beim hl. Benedikt und soll offenbar
die Abtswürde symbolisieren. Das Kartular
entstand unter Abt Friedrich, also in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts (Abbildung der
Miniatur in Zeitschrift XIX [1906] 47).
1 Bock II 157 und Tfl 22, 7.
2 Le miniature dei Cod. Cassin. (Monte
Cassino 1887) saec. XII, tav. 1.
3 Vat. lat. 4939.
4 Les miniatures des rouleaux d'Exultet,
Monte Cassino 1899, pl. 614.
■•Roh. VIII, pl. DCLVII DCLXI DCLXIV;
ferner Blancard, Iconographie des sceaux
et bulles des Archives des Bouches-du-Rhöne
pl. 38 ff und Demay, Inventaire des sceaux
II 108 ff.
6 Würdtwein, Nova subsidia dipl. II 13.
Wenn die zweite Mitraform noch auf einzelnen
Münzen des Erzbischofs Konrad von Köln (1237
bis 1261) auftritt (Kappe, Kölnische Münzen
Tfl 11, 176 179 180 181), so ist sie hier un-
zweifelhaft auf die Rechnung des Stempel-
schueiders zu setzen , da in Köln die dritte
Mitraart schon lange vor dem 13. Jahrhundert
in Gebrauch war. Eine zu beiden Seiten
spitz ansteigende Mitra erscheint schon auf
Münzen Hildebolds von Köln (1076—1079).
Vgl. Kappe a. a. O. Tfl 7, HO 113 114 115.
Dieselben sind jedoch spätere Fälschungen
(ebd. S. 65). Auf den echten Münzen der
Kölner Erzbischöfe kommt die Mitra über-
haupt erst unter Philipp (1167 — 1191) vor.
464 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
1161, in England, wo sie ebenfalls sehr gebräuchlich gewesen sein muß, auf
einem Siegel des hl. Thomas von Canterbury (1162 — 1170)1.
Es ist die Meinung geäußert worden, es habe eine seitlich in spitzen Hörnern
aufsteigende Mitra in Wirklichkeit nicht gegeben. Es handle sich auf den Darstellungen,
welche eine solche aufweisen, nur um eine ungenaue Wiedergabe der über der Stirn
und dem Hinterhaupt mit Hörnern versehenen Mitra. Darauf ist zu erwidern, daß
die Bildwerke es allerdings hie und da, wenngleich im allgemeinen sehr selten, un-
entschieden lassen, welche Mitrenart gemeint ist. Im übrigen tritt die an den Seiten
gehörnte Mitra auf den Monumenten so oft und in solcher Deutlichkeit auf, und zwar
auch auf Bildwerken von vortrefflichster Arbeit, daß es durchaus unbegründet ist,
lediglich an eine unrichtige Zeichnung zu denken. Man wird angesichts der überaus
zahlreichen Beispiele dieser Mitraform nur dann den Monumenten gerecht, wenn man
festhält, daß die seitlich mit spitzen Hörnern versehene
Mitra, welche uns so häufig auf denselben entgegentritt,
die Wirklichkeit wiedergebe.
Übrigens bildete diese Mitraform nur den Über-
gang zu einer dritten Art der Mitra, die sich
jedoch von ihrer Vorläuferin im Grunde nicht sowohl
durch die ihr eigene Gestalt und Machweise, als viel-
mehr bloß durch die Stellung unterschied, welche sie
auf dem Haupte einnahm. Statt nämlich die Mitra so
aufzusetzen, daß die cornua sich über den Schläfen er-
hoben, wendete man sie so, daß eines der Hörner über
der Stirn, das andere über dem Hinterkopf aufstieg.
Die einzige Veränderung, die hierbei an der Mitra vor-
genommen werden mußte, bestand darin, daß die
fasciae statt am hinteren Ende der Einbuch-
tung nunmehr am unteren Rande des hinteren
Hörn es befestigt wurden.
Sie ist im wesentlichen die noch jetzt gebräuch-
liche Mitraform. Wo sie zuerst aufkam, ist nicht zu
sagen, da sie sich fast zur selben Zeit in Frankreich,
Italien und Deutschland zeigt. Die ersten zuverlässi-
Bild 222. Mitra.
Florenz, S. Trinita.
gen Beispiele treten gegen die Mitte des 12. Jahr-
hunderts auf.
Für die Feststellung der Zeit, da es zu dieser dritten Mitraart kam, sind na-
mentlich die Siegel von größter Bedeutung. St Godehard trägt auf dem Siegel des
Abtes Friedrich (1136) noch eine Mitra mit stumpfen seitlichen Hörnern, dagegen
weist das Siegel des Bischofs Bruno von Hildesheim (1153 — 1162) schon die neue
Form der pontifikalen Kopfbedeckung auf. Die Kölner Bischofssiegel bringen die
Änderung unter Rainald von Dassel (1159—1167). Wie Arnold IL (1151—1156),
so trägt auch noch Friedrich von Altena (f 1158) auf seinem Siegel eine Mitra in
Form einer Spitzmütze. Dagegen schmückt Kainalds Haupt eine Mitra, deren Hörner
ausgesprochenermaßen sich über der Stirn und dem Hinterkopf erheben. Die Form,
bei welcher die cornua über den Schläfen aufsteigen, ist auf den Kölner Siegeln nicht
vertreten. Auf den Regensburger Bischofssiegeln erscheint die dritte Form unter
Bischof Kuno (1167 — 1185), auf den Würzburger tritt sie unter Herold von Hoch-
heim (1165 — 1171) auf. Auf einem Siegel von 1165 hat die Mitra bei ihm noch die
Kalottenform, auf einem Siegel von 1170 ist sie dagegen schon vorn und hinten mit
Hörnern versehen. Auch hier fehlt die Mittelform2.
1 Thurston
1892, 17.
The Pallium , London
2 Von den bei Lepsius, Geschichte der
Bischöfe des Hochstifts Naumburg, abge-
Drittes Kapitel. Die Mitra.
465
In Deutschland kann die jüngste Art des bischöflichen Kopfschmuckes schon
im dritten Viertel des 12. Jahrhunderts nicht mehr selten gewesen sein. Sie begegnet
uns um diese Zeit beispielsweise auf
der Grabplatte des Erzbischofs Friedrich
(f 1152) im Dom zu Magdeburg1, auf
einer Miniatur des Missale Rattmanns
im Dome zu Hildesheim und der Vita
S. Bernwardi in der königlichen Staats-
bibliothek zu Hannover 2, bei den Fi-
guren des hl. Godehard und des Bischofs
Bernhard (f 1154) am St Godehards-
schrein im Dome zu Hildesheim und
auf dem Bilderschmuck des 1175 voll-
endeten Hortus deliciarum der Herrad
von Landsberg 2.
Zur selben Zeit wie Rainald von
Dassel trägt auch schon Radulf von
Ripen (1156 — 1170) in Dänemark auf
seinem Siegel die Mitra, deren cornua
über Stirn und Hinterhaupt ansteigen.
Auf den Lincolner Bischofssiegeln findet
der Wechsel um 1170 statt, auf den
französischen Siegeln vollzieht er sich
meist im letzten Viertel des 12., teil-
weise sogar erst im Beginn des 13. Jahr-
hunderts J. So hat Godofredus von
Angers (1162 — 1177) auf seinem Siegel
noch die Mitra mit seitlichen cornua 5,
während dasjenige seines Nachfolgers
Raoul (1178 — 1197) die vorn und rück-
wärts ansteigende Kopfbedeckung auf-
weist 6. Auf den Pariser Siegeln besitzt das Ornatstüek bei Petrus Lombardus
(1158—1160) und Moritz von Sully (1160 — 1196) die Gestalt, welche ihm im zweiten
Bildungsstadium eignete7, bei Odo von Sully (1196 — 1208) erscheint dagegen die
-„
t
«t
ri
Bild 223. Mitra. Aaagni, Kathedrale.
bildeten Naumburger Bischofssiegeln sind
nach Ausweis des Details Nr 1 — 3 4 5 Fäl-
schungen. Echt ist das Siegel Utos I. (1140)
Nr 2, Utos IL (1166) Nr 6 und Bertholds IL
(1195) Nr 7. Uto I. erscheint ohne Mitra,
Uto IL in seitlich, Berthold IL in vorn
gehörnter Mitra.
1 Förster, Denkmale deutscher Bild-
nerei und Malerei HL Die Grabplatte wird
dort S. 17 des Textes als diejenige des Erz-
bischofs Gisler bezeichnet und unter Hinweis
auf die Türen in Hiklesheim als Entstehungs-
zeit derselben die Frühzeit des 1 1. Jahrhunderts
angenommen. Aus ihrer Inschrift: Octava de-
cima februi redeunte calenda , quem deus
ascivit, presul venerandus obivit, geht jedoch
klar hervor, daß die Grabfigur nicht Gisler,
sondern den am 15. Januar 1152 gestorbenen
Erzbischof Friedrich wiedergibt.
= Beide Miniaturen stellen St Bernward
dar. Das Manuskript der Vita S. Bernwardi
wird M. G. SS. IV 755 und Archiv VII 428
Braun, Die liturgische Gewandung.
ins 11. Jahrhundert versetzt. Mit Unrecht.
Der Hannoversche Codex , eine Kopie von
Thankmars Leben Bernwards, entstand erst
nach der 1150 erfolgten Kanonisation des
großen Hildesheimer Bischofs , und zwar
frühestens im dritten Viertel des 12. Jahr-
hunderts. Das beweist nicht nur der Heiligen-
schein, der St Bernwards Haupt umgibt, son-
dern ebensosehr und mit aller Bestimmtheit
die Mitra, welche dasselbe schmückt.
3 Herrade de Landsberg, Hortus deli-
ciarum, Straßburg 1901, pl. lxviii.
4 Die Mitra, welche die Bischofsfigur an
dem angeblichen Stab des hl. Ivo — jetzt im
Bargello zu Florenz — trägt (Abbildung bei
Martin et Cahier IV, pl. xvn), beweist,
daß derselbe nicht im Anfang, sondern erst
in der Spätzeit des 12. Jahrhunderts ent-
standen ist.
5 Roh. VIII, pl. ncix.
6 Ebd. pl. dcxxxix.
' Ebd. pl. DCLX DCLVII.
30
466 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
dritte Entwicklungsstufe l. Auf den Siegeln von Avranehes bildet dasjenige Achards
(1161—1171) die Grenzmarke der zweiten Mitraform 2 ; mit Bischof Richard (1171 — 1182)
beginnt auf den Siegeln die dritte 3. Auf den Arier Siegeln ändert sich die Mitra
unter Hugo IL Ein Siegel von 1222 hat noch die seitlich, das von 1230 aber die
vorn und hinten gehörnte Mitra. Zu Arras tritt der Wechsel auf den Bischofssiegeln
um 1175, zu Cambrai um 1190, zu Avignon zwischen 1190 und 1200, zu Marseille um
1220, zu Toulon um 1200, zu Aix um 1180 4, zu Beauvais um 1175 auf. Zu Mende
hält sich die zweite Mitraform bis nach 1215 auf den Siegeln.
Nach Bohault de Fleury soll der dritte Mitratypus in Chälons-sur-Marne schon
1142, in Senlis 1151, in Beauvais 1140 und Arras 1143 vorkommen. Die beiden
ersten Angaben haben wir nicht kontrollieren können 5. Die beiden letzten dürften
auf einem Irrtum beruhen. Wie es scheint, hat Rohault oder sein Gewährsmann
die kegelförmige Mitra des ersten Typus für die dritte Mitraform angesehen. Denn
zu Arras weist noch das Siegel des Bischofs Andreas (1170), zu Beauvais aber das-
jenige des Bischofs Heinrich 1160 die seitlich gehörnte Mitra auf6.
Daß auch in Italien bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die
vorn und hinten gehörnte pontifikale Kopfbedeckung in Gebrauch war, be-
weisen beispielsweise eine Bischofsbüste an einem Weihwasserbecken in Borgo
Bild 224. Mitra. Brixen, Dom.
Bild 225. Mitra. Brixen, Dom.
S. Donnino (bei Parma), Reliefs der Erztüren und Skulpturen am Portalbau
von S. Zeno zu Verona, die Darstellung des Erzbischofs Bonifatius in der
ca 1189 entstandenen zweiten Fortsetzung der Annalen von Genua (ad 1188) 7,
Reliefs der Erztüren des Domes zu Benevent u. a.
Das Auftreten der Mitra und die Form, welche sie im einzelnen Falle
bei Bischofsdarstellungen hat, sind für die Datierung von Monumenten und
1 Roh. VIII, pl. dclvii.
2 Ebd. VII, pl. dxx.
3 Ebd. VIII, pl. dcxxxviii.
4 Vgl. wegen der Siegel Demay, Inven-
taire de sceaux de la Flandre 108 ff, und
Blancard, Iconographie des sceaux pl. 38 ff.
5 Roh. VIII 123. Wir geben darum
diese Angaben nur mit Vorbehalt wieder.
Die Tatsache, daß die vorn sich erliebende
Mitra durchweg erst spät in Frankreich auf-
tritt, und mehr noch die so häufige fehler-
hafte Datierung bei Rohault de Fleury bieten
dazu hinlänglich Grund. Von den VII,
pl. dxcvi abgebildeten drei Grabfiguren aus
Sens, Chartres und Poitiers (Bischöfe mit
über der Stirn aufsteigender Mitra), welche,
wie es scheint , dort und p. 158 den Jahren
1144, 1122 und 1115 zugeschrieben werden,
sind die beiden letzten kaum vor dem
13. Jahrhundert entstanden. Aber auch die
erste, welche Bischof Heinrich den Eber (le
Sanglier) darstellen soll (f 1142), dürfte nicht
viel früher angefertigt sein.
c Über das Siegel des Bischofs Andreas
von Arras vgl. Demay a. a. O. II 109, des
Bischofs Heinrich von Beauvais Roh. VIII 122.
7 M. G. SS. XVIII, tab. 3. Erzbischof Hugo
(ad 1169) trägt in der ca 1172 vollendeten
ersten Fortsetzung der Annalen eine Mitra
mit seitlichen Hörnern.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
467
illustrierten Codices von großer Wichtigkeit. Bildwerke, auf denen irgend
eine der verschiedenen Formen der pontifikalen Kopfbedeckung auftritt, sind
auf alle Fälle nach 1000, meist aber erst in den Ausgang des 11. oder den
Beginn des 12. Jahrhunderts zu setzen. Hat
die Mitra Kegel- oder Kalottenform, so sind
die Darstellungen in der Regel der Zeit vor
1050 zuzuweisen; ist sie dagegen mit seitlichen,
spitz ansteigenden Hörnern versehen, so werden
die betreffenden Monumente nicht vor 1100,
für gewöhnlich aber auch nicht nach 1175 ent-
standen sein , es sei denn , daß es sich um
französische Bildwerke handelt, auf denen sich
diese Mitraform länger erhielt. Darstellungen
mit Mitren, deren Hörner sich über Stirn und
Hinterhaupt erheben, können im allgemeinen
frühestens dem dritten Viertel des 12. Jahr-
hunderts zugeschrieben werden ; jedenfalls gehen
sie nicht über das zweite Viertel zurück.
Es gibt nicht viele Mitren des dritten Typus
mehr, welche noch in das 12. Jahrhundert gesetzt Bild 226. Mitra. Bamberg, st Michael,
werden können. Eine davon befindet sich in S. Tri-
nitä zu Florenz, eine andere im Domschatz von Anagni. Beide sind aus weißem Linnen
gemacht, ohne alle Besätze und mit schlichten weißlinnenen Behängen versehen. Die
Mitra zu Florenz ist nur 19 cm (Bild 222, S. 464), die zu Anagni 21 cm (Bild 223,
S. 465) hoch. Auch die beiden Mitren im Schatz von St Johann zu Monza mögen
vielleicht noch dem 12. Jahrhundert angehören. Sie sind in titulo und circulo mit
breiten Goldborten verziert und haben eine Höhe von 21 bzw. 22 cm l.
Aus dem 13. Jahrhundert hat sich noch eine verhältnismäßig beträchtliche
Anzahl von Mitren erhalten. In Frankreich gibt es deren aus dieser Zeit noch
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Bild 227. Herstellungsweise der Mitra im 12. und 13. Jahrhundert.
zwei zu Sens (Kathedrale), sowie je eine zu Comminges (St-Bertrand), Beauvais (Mu-
seum), Pontigny, Toulouse (St-Sernin) und St-Lizier-de-Conserans 2, in Italien außer
den beiden bereits erwähnten Mitren in St Johann zu Monza, die vielleicht noch dem
1 Eine genauere Untersuchung der Mitren,
welche deutliche Zeichen späterer Restau-
rationen aufweisen , hinderte leider der Um-
stand, daß sie sich hinter Glas und Rahmen
befanden.
2 Von zwei Mitren in der Kathedrale zu
Lyon gehört eine trotz ihrer geringen Höhe
nach Ausweis ihrer Beschaffenheit erst dem
15. Jahrhundert an; sie besteht aus rotem
Samt. Die andere, welche auf den Schilden
mit Stickereien verziert ist, dürfte zwar noch
dem 13. Jahrhundert entstammen, sie muß
aber später eine Restauration erfahren haben.
(Abbildungen der Mitren bei de Farcy pl. 10).
30*
46S Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
12. Jahrhundert entstammen, drei zu Anagni (Kathedrale), zwei zu Castel S. Elia
und je eine zu Capua (Kathedrale), Verona (S. Zeno) und Perentino (Kathedrale).
Die letztgenannte rührt von dem heiligen Papst Cölestin V. her. Auch eine aus der
Spätzeit des 13. Jahrhunderts stammende Mitra im Germanisehen Museum zu Nürn-
berg ist nach dem Stil der aufgestickten figürlichen Darstellungen italienischen Ursprungs;
sie scheint im Venetianischen entstanden zu sein (Bild 232, S. 472).
Belgien besitzt noch zwei Mitren aus dem 13. Jahrhundert, welche sich beide
im Besitz der Schwestern Unserer Lieben Frau zu Namur befinden. Eine derselben,
welche auf den Schilden mit Darstellungen des Martyriums der hll. Laurentius und
Stephanus bedeckt ist, soll dem Kardinal Jakob von Vitry (j- 1244) angehört haben.
In Spanien bewahrt man gleichfalls noch zwei Mitren des 13. Jahrhunderts auf; die
eine zeigt man im erzbischöflichen Museum zu Vieh, die andere, welche irrig dem
hl. Oldegarius zugeschrieben wird, in der Kathedrale zu Barcelona.
Am zahlreichsten sind die Mitren aus dem 13. Jahrhundert in Deutschland,
Österreich eingeschlossen. Man hat deren noch vier zu Salzburg (Dom und St Peter), je
zwei zu Bamberg (Dom und St Michael), Brixen (Dom) (Bild 224 und 225, S. 466), München
(Frauenkirche und Nationalmuseum) und Halberstadt (Dom), sowie eine zuBegensburg
(St Emmeram)1. Die Mitra in St Mi-
chael zu Bamberg soll dem hl. Otto
(tH39)(Bild226,S. 467), diejenige in der
Frauenkirche zu München dem hl. Benno
von Meißen (f 1106) zugehört haben,
in Wirklichkeit entstammen jedoch
beide erst dem 13. Jahrhundert. Wahr-
scheinlich handelt es sich bei ihnen
um Mitren, mit denen man zu dieser
Zeit bei einer Erhebung oder einer
ähnlichen Gelegenheit die Reliquien
jener Heiligen schmückte -.
Alle diese Mitren aus dem
12. und 13. Jahrhundert weisen
drei Eigentümlichkeiten auf. Ihre
erste besteht in der geringen Höhe.
Im 12. Jahrhundert betrug diese
nur etwa 19 — 22 cm, also nur etwa
zwei Drittel der Breite. Im 13. nahm sie dann zwar allmählich zu, jedoch
blieb sie bis zum Ende desselben immer noch merklich unter der Breite. Bei
keiner der vorhin genannten Mitren aus dein 13. Jahrhundert übersteigt die
Höhe 26 cm, bei den meisten beträgt sie ca 24 cm; bei der Mitra des Bischofs
Bild 228. Mitra. Anagni, Kathedrale.
1 Abbildungen eines Teiles der angeführten
Mitren bei Roh. VIII, pl. dclviii (Florenz),
dcxix (Rom, Monza), dclx (Lyon, Commin-
ges), dclxi (Beauvais, Sens), dclxii (Namur),
dclxiii (Pontigny) , dclxv (Anagni) ; bei
Bock II, Tfl 16 (Salzburg, St Peter), 23
(Sens, Bamberg), 24 (Verona); in Revue
1861 , 225 (Toulouse) ; in Mitt. 12. Jahrg.,
Tfl 2, 2 (Salzburg, St Peter), 3 und 4 (Salz-
burg, Dom), S. 73 (Brixen) — die hier Tfl 2,
1 wiedergegebene Mitra aus dem Dom zu
Krakau dürfte frühestens in das Ende des
13. Jahrhunderts zu setzen sein — ; bei Ca-
hier, Decorations d'eglises 9 (Bamberg),
10 (St-Lizier-de-Cons6rans), 16 17 (Namur)
— die allda 14 mitgeteilte Mitra von St-Gildas-
de-Buis (Bretagne) wird wohl ehestens dem
14. Jahrhundert angehören — ; bei d e F a r c j
pl. 10 (Lyon), 11 (Sens), Suppl. pl. 154 (Vieh)
und Zeitschrift 1890, 130 (Nürnberg) und
1902, 11 f (Anagni, Capua). Über die Mitren
von Anagni vgl. auch D i d r o n , Annales
archiSolog. XVII 231; daselbst auch p. 227
die Mitra von Beauvais.
2 Die Kasel, welche man als einst dem
hl. Otto zugehörig in St Michael zugleich
mit der Mitra aufbewahrt, entstammt erst
dem Beginn des 16. Jahrhunderts. Ihr Stoff,
ein gemusterter Samtbrokat, und ihre Form
lassen keinen Zweifel daran.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
469
Herstellungsart
Bruno (1250—1288) im Dom zu Brixen (Bild 224, S. 466) beläuft sie sich
sogar noch wie bei den Mitren des 12. Jahrhunderts auf nur ca 21 cm. Erst im
14. Jahrhundert beginnt die Mitra stärker zu wachsen. Die zweite Eigen-
tümlichkeit liegt darin, daß die Mitra von unten bis zum Anfang der Schrä-
gungen dieselbe Weite beibehält. Daher stehen, wenn man eine der vorhin
genannten Mitren zusammenklappt, die Seiten allemal senkrecht zum Rand. Erst
eine spätere Zeit schafft Mitren, die sich von unten nach oben zu erweitern.
Drittens stoßen die Schrägseiten derHörner, die stets eine gerade Linie dar-
stellen, an der Spitze der Mitra regelmäßig unter einem rechten Winkel zusammen.
Ihren Grund haben diese drei Eigentümlichkeiten in der von der späteren
anz abweichenden Machweise, welche bei den Mitren des
12. und 13. Jahrhunderts zur An-
wendung kam. Man nahm zwei recht-
eckige Stoffstücke von der für das
Ornatstück gewünschten Höhe und
entsprechender Breite (ab cd und
a' b' c' d'), versah sie mit Futterstoff,
schlug die Ecken a, b, a', b' so nach
innen um, daß bei e und e' ein
rechter Winkel entstand, nähte ea
und e b, e' a' mit e' b', x y mit x' y',
x c mit x' c' und y d mit y' d' zu-
sammen, fügte dem Ganzen die fa-
sciae und den Besatz hinzu, wenn ein
solcher angebracht werden sollte, und
die Mitra war fertig (Bild 227, S. 467).
Damit die Mitra größere Steifheit
erhielt, wurde zwischen Ober- und
Unterstoff ein kräftiges Zeug- oder
ein Pergamentstück von der Form
der Hörner eingeschoben. Einlache
Mitren fertigte man auch wohl in
der Weise an, daß man aus zwei
kleineren oder einem größeren ge-
fütterten Stoffstück eine taschen-
ähnliche, im zusammengelegten Zu-
stande viereckige Mütze herstellte,
welche man mit dem nötigen Besatz
versah und dann auf dem Kopf so eindrückte, daß über Stirn und Hinter-
kopf sich eine Spitze bildete.
Kostbar ist kaum eine der eben genannten Mitren. Die meisten sind aus
weißer Seide gemacht. Drei bestehen aus rautenförmig gemustertem Linnen-
köper und entbehren, von den Behängen abgesehen, aller Verzierung. Es
sind die vorhin erwähnten Mitren zu Florenz und Anagni und eine der beiden
Mitren zu Castel S. Elia. Aber auch die übrigen weisen im Vergleich mit so
manchen Prachtmitren aus dem späten Mittelalter durchweg nur mäßigen
Schmuck auf. Bei keiner fehlt der circulus, d. i. der ringförmige Band-
besatz. Bei den meisten kommt zu ihm ein Vertikalbesatz in titulo,
der Zierstreifen , der in der Mitte der Hörner vom circulus zur Spitze auf-
steigt. Er hatte nicht bloß den Zweck, den Schilden der cornua eine gefällige
Bild 229. Mitra. Anagni, Kathedrale.
470 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Teilung zu geben und die aufstrebende Richtung der letzteren sinnfälliger und
ausdrucksvoller zur Geltung zu bringen, sondern diente auch dazu, und zwar
ganz besonders, die Naht zu verdecken, welche sich über die Mitte eines der
tituli oder auch beider zu ziehen pflegte. Man konnte diese freilich an die
Seiten legen. Es war jedoch praktischer, sie über den Schilden anzubringen
und hier durch einen Vertikalbesatz zu verdecken, da sich in diesem Falle
nirgends ringsum eine Naht bemerklich machte. An den Seiten findet sich
nur bei einzelnen Mitren (Regensburg, St Michael zu Bamberg) ein Besatz;
an den Schrägungen kommt ein solcher häufiger vor. Auch zieht sich wohl
ein Börtchen oben über die Mitra von Hornspitze zu Hornspitze.
Diese Besätze, gewöhnlich Aurifrisien genannt, bestehen bei den meisten
der oben erwähnten Mitren aus Goldborten ; in Stickerei hergestellte Zierstreifen
finden sich, zum Teil neben gewebten, auf zwei Mitren zu Anagni (Bild 228 und
229, S. 468 und 469), auf den Mitren im Dom zu Bamberg, in S. Zeno zu Verona
(Bild 230), im Dom zu Capua, in der Kathedrale zu Barcelona und im ei'zbischöf-
lichen Museum zu Vieh sowie auf einer der Mitren zu Castel S. Elia und im
Dom zu Halberstadt (Bild 231). Figür-
liche Stickereien, vornehmlich Brust-
bilder in Medaillons, weisen bloß die
Mitren zu Verona, Capua, Barcelona,
Nürnberg und eine der Mitren zu
Anagni auf (Bild 228, S. 468); bei
den übrigen sind den Besätzen nur
ornamentale Motive aufgestickt. Steine
sind nur bei wenigen der Mitren zur
Verzierung der Aurifrisien zur Ver-
wendung gekommen (Monza, Regens-
burg). Durch ihren kostbaren Perlen-
schmuck zeichnen sich die Besätze der
Mitra im Dom zu Bamberg aus. Auf
einer der Halberstädter Mitren be-
stehen die Zierstreifen aus Schmelz-
perlen und Korallen (Bild 231).
Die dreieckigen neben dem Vertikalbesatz liegenden Zwickel der tituli
sind bei der Mehrzahl der genannten Mitren entweder ganz schmucklos oder
doch bloß mit einem leichten Ornament versehen. Dasselbe besteht meistens
nur in einem Rundmedaillon oder einem Stern, welche den Zwickeln in der
Mitte aufgesetzt sind, bei der dem hl. Thomas Becket irrig zugeeigneten Mitra
im Schatz der Kathedrale zu Sens in Goldranken, bei einer der Mitren zu
Anagni und der Mitra zu Verona (Bild 230), in Möndchen, kleinen Sternen
oder Lilien, die über den Grund verstreut sind.
Figürliche Darstellungen sind nur bei wenigen der angeführten
Mitren den Schilden aufgestickt; es sind die Mitren im Dom zu Anagni, die
Mitra im kgl. bayrischen Nationalmuseum zu München, eine der beiden Mitren
zu Namur, eine der Mitren zu Sens und die Mitra im Germanischen Museum
zu Nürnberg (Bild 232, S. 472). Bemerkenswert ist, daß bei dreien dieser
Mitren (Namur, München, Sens) auf einem der Schilde dieselbe Szene, und zwar in
gleicher Technik — Goldstickerei mit tief eingezogenen Abheftfäden — , wieder-
kehrt, während uns auf dem andern, ebenfalls in der gleichen Technik, bei
zweien das Martyrium des hl. Stephanus (Sens, München), bei der dritten aber
Bild 2S0. Mitra. Verona, S. Zeno.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
471
das des hl. Laurentius begegnet. Die drei Mitren stammen zweifellos aus
einer und derselben Werkstatt.
Mit Malereien geschmückt sind die Besätze und tituli der zweiten
der beiden Mitren zu Namur (Bild 233, S 473). Auf dem circulus sind auf
Goldgrund unter Arkaden die Apostel dargestellt, auf den Vertikalbesätzen in
Medaillons vorn Christus, Maria und ein heiliger Bischof, rückwärts phan-
tastische Tiergestalten. Die Zwickel der Schilde enthalten Engel und Evan-
gelistensymbole bzw. Sonne und Mond. Die Mitra beweist, daß man schon früh
auch die Malerei zur Verzierung des pontifikalen Kopfschmuckes zu Hilfe nahm.
Die fasciae, Behänge, sind bei vielen der erwähnten Mitren nicht mehr
vorhanden. Bei den unverzierten, weißlinnenen Mitren zu Florenz, Anagni
und Castel S. Elia sind sie ebenfalls aus weißem, geköpertem Linnen gemacht.
Bei andern bestehen sie entweder aus gewebten Borten von ähnlicher Art,
wie sie zum circulus und den Vertikalbesätzen gebraucht zu werden pflegten,
oder aus dem Stoff der Mitra; letzteres namentlich da, wo die Aurifrisien
Stickerei hergestellt sind.
B. eine mit gestick-
m
So hat z
ten Besätzen verzierte linnene
Mitra in der Kathedrale zu
Anagni Behänge aus Linnen,
während eine weißseidene da-
selbst fasciae aus weißer Seide
besitzt. Immer bestehen sie
aus dem Stoff der Mitra, wenn
auch sie, wie z. B. bei der
Mitra Jakobs von Vitry zu
Namur, der Mitra im Dom zu
Salzburg und der sog. Mitra
des hl. Thomas Becket zu
Sens, mit Stickereien verziert
sind. Den Behängen der
beiden letztgenannten Mitren
sind Goldranken aufgestickt,
denjenigen der Mitra Jakobs
von Vitry figürliche Darstellungen.
Bild 231. Mitra. Halberstadt, Dom.
Museum zu Nürnberg sind
Die fasciae der Mitra im Germanischen
ungewöhnlicherweise auf beiden Seiten mit reichen
Figurenstickereien geschmückt, Heiligen unter Baldachinen im Wechsel mit
Kreisen, die mit phantastischem Getier gefüllt sind (Bild 232, S. 472). Es
verdient hervorgehoben zu werden, daß die fasciae ebenso oft aus dem Stoff
der Mitra gemacht sind wie aus Borten von dem Charakter des circulus. Es
zeigt das, wie wenig sie, wie man wohl gewollt hat, als bloße Verlängerung
des Randbesatzes zu betrachten sind.
Behänge aus Goldborten besitzen zwei der Mitren in St Peter zu
Salzburg, die beiden Mitren zu Monza, eine der beiden Mitren zu Brixen,
die Mitra in St Michael zu Bamberg und die Mitra in St Emmeram zu
Regensburg.
Die Behänge sind bei allen Mitren entweder ganz in der Mitte der
Rückseite oder doch nahe der Mitte zu angebracht. Bei keiner finden sie sich
nach den Seiten hin. Ihrer Form nach stellen sie in den meisten Fällen einen
überall gleichbreiten Streifen dar ; Behänge, die sich nach unten zu erweitern,
472 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Fiifäe u. des Kopfes.
finden sich an der Mitra Jakobs von Vitry , der sog. Mitra des hl. Thomas
Becket zu Sens, einer der Mitren zu Anagni und der Mitra zu Pontigny.
An den Enden sind die fasciae bei einzelnen Mitren mit Fransen ge-
schmückt ; bei andern , bei welchen solche gegenwärtig an den Behängen
fehlen, mögen sie im Lauf der Zeit abhanden gekommen sein.
Das Futter besteht bei den Mitren bald
aus kräftigem weißen Linnen, bald aus roter
oder grüner Seide.
Der 13. Ordo unterscheidet drei Mitren
des Papstes; die erste war ganz weiß, die
zweite nur mit einem Besatz versehen,
welcher in der Mitte der cornua sich von
oben nach unten zog (cum aurifrisio in
titulo — titulus ist die über Stirn und
Hinterkopf aufsteigende Fläche — sine cir-
culo), bei der dritten endlich zog sich außer-
dem ein Streifen um den unteren Rand hin
(aurifrisiata in circulo et titulo) 1. Die sim-
plex alba trug der Papst bei Totenmessen
sowie an den Sonn- und Ferial-(Werk-)tagen
der Zeit von Septuagesima bis Ostern und
des Advents mit Ausnahme der Sonntage
Lätare und Gaudete. An diesen wie an
den sonstigen Tagen des Jahres bediente
er sich der aurifrisiata in circulo et titulo.
Die zweite Mitrenart setzte der Papst nur
im Konsistorium auf2. Daß auch schon zu
Ende des 12. Jahrhunderts irgend ein Unter-
schied zwischen Mitra und Mitra in Rom
bestanden, ergibt sich aus dem 12. Ordo
Mabillons, wonach der Papst am Ostertag
eine mitra sollemnis gebrauchen soll3. Du-
randus unterscheidet nur zwei Sorten von
Mitren, die simplex alba und die auri-
frisiata4. Unter der letzteren wird er die
aurifrisiata in circulo et titulo oder die auri-
frisiata in circulo verstehen, da die auri-
frisiata in titulo sine circulo außerhalb
Roms nicht gebräuchlich gewesen sein dürfte.
Seit welcher Zeit die Unterscheidung
zwischen der mitra simplex, der mitra cum
aurifrisio in titulo sine circulo und der
mitra cum aurifrisio in circulo et titulo datiert, ist nicht festzustellen. Sie
mag aber in ihren Anfängen recht hoch hinaufgehen. Denn wenn Paschalis II.
den Dignitaren von Compostella gestattet, ut mitris gemmatis capita con-
tegant, in speciem videlicet presbyterorum seu diaconorum sedis apostolicae,
Bild 232. Mitra. Nürnberg, Germ. Museum.
' Circulus heißt bald der untere Teil der
Mitra, bald der um diesen sich herumziehende
Besatz.
2 Ordo 13, n. 12 (M. 78, 1114).
3 Ordo 12, n. 33 (ebd. 1078).
1 Rationale 1. 3, c. 13; f. 76. Durandi
Bp. Mimat. Pontificale (Mart. 1. 1, c. 4, art. 12,
ordo 23; I 225).
Drittes Kapitel. Die Mitra. 473
so scheint in diesen Worten der Bulle eine Andeutung zu liegen, daß man
bereits zwischen Mitra und Mitra zu unterscheiden angefangen hatte. Die
genauere Fixierung des Unterschiedes und die Bestimmungen über den Ge-
brauch der verschiedenen Mitraklassen mögen freilich erst im 13. Jahrhundert
erfolgt sein, da sich vorher davon keine Spur findet.
Beispiele von mitrae simplices bilden die schmucklosen weißlinnenen
Mitren zu Florenz, Anagni, Castel S. Elia. Eine Illustration der mitra cum
aurifrisio in titulo et circulo bieten die übrigen noch vorhandenen Mitren aus
dem 12. und 13. Jahrhundert. Eine mitra aurifrisiata in titulo sine circulo
hat sich nicht erhalten.
Es fehlt der Raum, aus Inventaren des 13. Jahrhunderts längere Auszüge zu
bringen, um das Bild, das uns die aus dieser Zeit stammenden Mitren gewähren, zu
ergänzen. Immerhin können wir es uns nicht versagen, wenigstens dem Schatz-
verzeichnis des Apostolischen Stuhles aus dem Jahre 1295 und dem gleichzeitigen In-
ventar von St Paul zu London einige die Mitren betreffende Angaben zu entnehmen. Sie
zeigen, welche Pracht schon um den Ausgang des 13. Jahrhunderts bei der Mitra
entfaltet wurde. Ganz besonders gilt das von den zahlreichen Mitren des päpstlichen
Schatzes. Es sind unter ihnen namentlich
neun, die unsere besondere Aufmerksam-
keit erregen. Nehmen wir nur eine der
einfachsten. Sie war ganz mit Perlen
bestickt und wies auf der Vorderseite
7 Emails in Rosettenform, 6 durchsichtige
grüne Emails, wie wir sie so oft bei den
alten Schmelzen zu bewundern haben,
24 Smaragde und 35 kleine Rubine, an
der Rückseite außer Emails derselben
Zahl und Art wie auf der Stirnseite
35 kleine Smaragde und 25 kleine Rubine
auf. Die Behänge, caudae genannt, waren
gleichfalls ganz mit Perlen besetzt und p.,, oor> ,..,
mit Schmelzen, Smaragden und Rubinen Nanml. K]ostel. der' s;hweatern v, L. Frau.
verziert. Der Schmelze gab es auf ihnen 20,
der Smaragde 25 und der Rubine 26. Die Mitra wog 5 mc 4 unc, also 23/t Pfund.
Eine andere Mitra, es ist der Kostbarkeit nach erst die sechste, war auf jedem der
beiden Schilde mit 7 in Schmelz ausgeführten Medaillons, die mit Brustbildern von
Heiligen gefüllt waren, geschmückt. Dazu kamen auf der Vorderseite 16 Saphire,
4 Smaragde, 12 große Türkise, 5 Karfunkel und 17 Granate, auf der Rückseite
24 kleine Saphire, 17 kleine Granate, 12 Türkise und eine Anzahl anderer kleiner Edel-
steine. Die Spitze des vorderen Schildes krönte ein großer dunkler Rubin, die des
hinteren Schildes ein großer Chrysopras. Die caudae waren besetzt mit Schmelzen
von verschiedener Form, mit vielen kleinen Saphiren, mit Granaten, Perlen und Glöck-
chen. Das Gesamtgewicht der Mitra betrug 6 mc 1 unc = 3'/u Pfund.
Der Aufwand an Email, Edelsteinen und Perlen bei den im Inventar unter n. 5,
4, 3 und 2 aufgeführten Mitren läßt sich zur Genüge aus dem Gewicht erraten,
welches diese hatten. Nr 5 wog 6 mc = 3 Pfund, Nr 4 8 mc = 4 Pfund, Nr 3 7 mc
1 unc = 3a/iG Pfund, Nr 2 9 mc = 4'/2 Pfund.
Am kostbarsten war die im Inventar an erster Stelle genannte Mitra. Hier
zählen wir auf der Vorderseite außer drei antiken Kameen auf dem circulus und zwei
Kameen auf den Schildzwickeln 20 große und 5 ldeine Karfunkel, 11 Smaragde,
2 große und 6 kleinere Saphire, 6 Granate, 31 große und 10 kleinere Perlen. Die
Rückseite war kaum minder reich behandelt. Da gab es außer 5 Kameen auf dem
circulus und den Schildflächen 26 Saphire, 18 Karfunkel, einen großen Smaragd und
10 kleinere, 6 Granate und 27 Perlen. Von den Behängen aber war einer mit
474 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
6 Karfunkeln, 6 großen Saphiren, 9 kleinen Granaten, 9 kleinen Saphiren, 27 Perlen,
der andere mit 6 Saphiren, 6 großen Karfunkeln, 10 kleineren Saphiren, 9 kleinen
Granaten und 37 Perlen geschmückt. Dazu endeten beide caudae in je 5 Glöckchen.
Das Gesamtgewicht des Ornatstückes entsprach der Ausstattung; es belief sich auf
12 me 1 unc = 6 '/ig Pfund.
Natürlich handelt es sich bei den Mitren, die uns im Inventar Bonifaz' VIII.
geschildert werden, um päpstliche Mitren. Indessen würde man fehlgehen, wollte
man annehmen, es habe außerhalb Eoms bei den Bischöfen nicht wenigstens ähnliche
gegeben. Man durchgehe nur die Angaben des Inventars von St Paul. Da heißt es
z. B. : Una mitra breudata cum stellis anterius et posterius, insertis lapidibus in laminis
argenteis deauratis et deficit 1 lapis in altero pendulorum et in parte anteriori 7 lapides
et multae perlae et in parte posteriori 4 lapides et multae perlae ; . . . item mitra
de Sandvico episcopo (Heinrich von Sandwich, 1263 — 1273), breudata 2 stellis an-
terius et 2 stellis posterius et ornata 2 rotellis argenteis insertis lapidibus et perlis
niultis, et deficiunt in anteriori parte 1 lapis et 2 in pendulis ' ; item una mitra alba
breudata cum stellis et frecturis (= aurifrisiis) et 8 limbis (Rundmedaillons) in circulo
de purpura ornata lapidibus et flosculis ; item una mitra de dono Ricardi episcopi
(Richard von Gravesend, 1280 — 1303) ornata perlis albis per campum (gemeint sind
die Schildflächen) et flosculis argenteis deauratis lapidibus insertis ordine spisso (in
dichten Reihen) et deficit 1 campanula in 1 pendulorum. Schon fast ein Jahrhundert
früher erzählt das Register von Rochester von einer Mitra, welche mit 175 Edel-
steinen und 4 Schmelzen geschmückt war. Sie war ein Geschenk des Erzbischofs
Hubert von Canterbury (f 1205) 2.
Die interessanteste Zeit in der Entwicklungsgeschichte der Mitra ist
das 12. und 13. Jahrhundert. Um die Mitte des letzteren steht das Ornat-
stück unzweifelhaft auf seinem Höhepunkte. Reich, ohne übermäßigen Prunk,
nach Umständen prächtig und kostbar, aber keineswegs protzenhaft, von
mäßiger Höhe und dabei allerwegen von den besten Verhältnissen, nach keiner
Richtung hin vordringlich und doch voll Würde, darf die Mitra jener Zeit als
das Ideal einer pontifikalen Kopfbedeckung bezeichnet werden.
VIII. DIE MITRA IM SPÄTEN MITTELALTER UND IN DER NEUZEIT.
Die Verbildung des Ornatstückes begann etwa im Verlauf des 14. Jahr-
hunderts. Sie vollzog sich, wenngleich nur allmählich, doch unaufhaltsam so
lange, bis die Mitra im 17. Jahrhundert zu einem himmelanstrebenden, trotz aller
Pracht der Ausstattung wenig geschmackvollen Turmbau geworden war. Es
ist eigentümlich, daß man um dieselbe Zeit, da man begann, das liturgische
Obergewand, die Kasel, zu beschneiden und zu verkürzen, anfing, die Mitra
in die Höhe und Breite wachsen zu lassen, gerade als ob beim Bischof
das eine ein Ersatz für das andere hätte sein sollen.
Schon die Mitren des 14. Jahrhunderts nahmen an Höhe merklich zu.
Noch zu Ende des 13. übertraf die Breite des zusammengeklappten Ornat-
stückes die Höhe um mehrere Zentimeter, im 14. aber wurden Höhe und
Breite bald einander gleich. Im 15. Jahrhundert änderte sich dann das Ver-
hältnis noch mehr zu Gunsten der Höhe. Nicht lange und sie überragte
1 Zu den hier geschilderten Mitren mit auf- gaben des Inventars von St Paul sind daher
gesticktem Stern auf den Schilden bilden die sehr wichtig für die Datierung der genannten
Mitren von St-Bertrand zu Comminges und Mitren. Vgl. auch die nach einer noch vor-
Pontigny sowie eine der vier Mitren in handenen Skizze Montfaucons bei Roh. VIII,
St Peter zu Salzburg (Mitt. XVIII [1873] pl. dclxui abgebildete Mitra.
201) vortreffliche Illustrationen. Die An- 2 Revue 1887, 335.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
475
die Breite fast ebenso, wie sie derselben ursprünglich nachstand. Verhielten
sich beide anfänglich wie etwa 1 : 2/3, wobei 1 als Breite angenommen ist, so
jetzt beinahe wie 1 : i/s. Wie sich dann die Sache im weiteren Verlauf der
Dinge gestaltete, erhellt aus den zahlreichen Bildwerken, welche sich aus der
Zeit der absterbenden Gotik und der aufblühenden Renaissance allenthalben
erhalten haben. Barock und Zopf konnten der Höhe der Mitra kaum noch
etwas hinzufügen, so hoch war das Ornatstück schon im Beginne des 17. Jahr-
hunderts geworden.
Eine andere Umwandlung, welche mit der Mitra vor sich ging, bestand
darin, daß man diese sich vom unteren Rande an bis zu den Schrägungen
allmählich erweitern ließ, indem man den Seiten eine Neigung nach außen
gab. Vereinzelt mag solches schon im 14. Jahrhundert vorgekommen sein,
doch hatte eine derartige Praxis noch in der ersten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts sehr wenig Verbreitung erlangt. Erst gegen Ausgang desselben
wurde sie, wie es scheint, häufiger, um dann freilich rasch sehr gewöhnlich
und im 17. Jahrhundert sogar zur Regel zu werden.
"
"-
Ulli
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Ulli
iipifii
Bild 234. Entwicklung der Mitra vom 11. Jahrhundert bis heute.
Den Veränderungen hinsichtlich der Höhe und Weite gesellten sich um
den Ausgang des Mittelalters, namentlich aber seit dem 16. Jahrhundert noch
zwei weitere hinzu. Die erste war, daß man nicht nur die Mitra überhaupt,
sondern auch, und zwar ganz besonders, die cornua selbst mehr als vordem
aufsteigen ließ, so daß an die Stelle des rechten Winkels, mit dem dieselben
früher abschlössen, ein spitzer trat; die zweite darin, daß man die ehemals
eine gerade Linie darstellenden Schrägungen der Hörner bald mehr bald weniger
bogenförmig gestaltete und sie außerdem auch wohl ohne jeden Winkel durch
eine bloße Krümmung in den unteren Teil der Mitra überleitete (Bild 234).
WTas seit dem 1 3. Jahrhundert die verschiedenen Veränderungen an der
pontifikalen Kopfbedeckung veranlaßte, war die steigende Prunkliebe und im
Zusammenhang damit die immer mehr zunehmende Lust, die Mitra möglichst
reich zu dekorieren. Man bedurfte dazu natürlich größerer Flächen und er-
zielte diese durch Erhöhung und Erweiterung des Ornatstückes. So hatte
man den nötigen Platz, auf dem Sticker und Goldarbeiter um die Wette ihre
Tätigkeit entfalten konnten.
Was den Reichtum und den Glanz der Ausstattung anlangt , können
denn auch die Mitren aus dem 13. Jahrhundert, so kostbar sie auch in ein-
476 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
zelnen Fällen sein mochten, mit denen der Folgezeit durchweg keinen Ver-
gleich aushalten. Alles geht nun im Ornament auf. Perlen, Steine in kost-
baren Fassungen, Gold- und Silberbleche, Emailplättchen, aufgestickte geo-
metrische Gebilde, Blumen, Ranken und figürliche Darstellungen (bald Einzel-
bilder, bald Gruppen) u. a. schmücken oder imitieren die Besätze und füllen
die tituli sowie die Behänge. Man holt zur Ornamentierung' der Mitra selbst
aus der Architektur Motive herbei, indem man nicht nur die Flächen der
Schilde mit Bogenstellungen , Ziergiebeln, Fialen, Konsolen und Baldachinen
bestickt, sondern auch auf den Schrägseiten nach Art der Ziergiebel Krabben
aufpflanzt und die Spitze der Hörner in eine Kreuzblume endigen läßt. Man
betrachte nur die Gemälde, auf welchen die Meister des ausgehenden Mittel-
alters mit kunstgeübter Hand und in aller Sorgfalt gar manche damalige Mitra
in der ganzen Pracht ihrer Ausstattung wiedergegeben haben ; lese die Schatz-
verzeichnisse, die uns von dem Reichtum an kostbaren Mitren Kunde tun,
welchen in jener Zeit die Truhen der Dom-, Kloster- und Stiftskirchen bargen ;
beschaue die Mitren, welche sich aus jenen Tagen in unsere hineingerettet und
nun in irgend einem Museum oder dem Schatze einer Kirche ein schützendes
Plätzchen gefunden haben, oder werfe auf die prächtigen Grabfiguren des 14.
und 15. Jahrhunderts einen Blick, und man wird das Gesagte hundertmal
bestätigt finden. Es kann nicht geleugnet werden, daß jene Zeit gar manche
überaus glanzvolle Mitra hervorgebracht hat, und daß nicht wenige dieser Mitren
wahrhafte Meisterwerke der Kleinkunst gewesen sind ; indessen läßt sich ebenso-
wenig verkennen, daß das Übermaß von Prunk, welches man schon damals auf
dem Ornatstücke zu entfalten liebte, nicht nur die Abkehr von würdevoller,
einfacher Größe und schlichter Hoheit bedeutete, sondern, was noch schlimmer
war, auch den Weg zu immer größerer Entartung des pontifikalen Kopf-
schmuckes bildete. Wie kostbar die Mitren im 15. Jahrhundert bisweilen waren,
ergibt sich aus einer Mitteilung Vasaris im Leben Lorenzo Ghibertis. Danach
ließ Eugen IV. 1439 durch diesen Florentiner Künstler eine Mitra anfertigen,
welche 15 Pfund wog und einen Wert von 30 000 Golddukaten hatte. Von
dem Gesamtgewicht entfielen allein auf die Perlen, mit welchen das Ornatstück
geschmückt war, 5ya Pfund l. Eine Mitra, welche Heinrich VIII. von Eng-
land bei Aufhebung der Abtei Fountain beschlagnehmen ließ, wog vor lauter
Perlen und Edelsteinen 70 Unzen = 4J/4 Pfund2.
Es kann nicht unsere Absicht sein, alle aus dem 14. und 15. Jahrhundert noch
vorhandenen Mitren einer Besprechung zu unterziehen. Die Zahl derselben ist dafür
zu groß. Immerhin dürfte es sich empfehlen , wenigstens auf einzelne derselben,
die eines besondern Interesses wert sind, etwas näher einzugehen. Wir werden
aber gut tun , dabei wieder den verschiedenen Ländern zu folgen. Aus Italien ver-
zeichnen wir die Mitra Johannes' XXII. im Museo cristiano des Vatikans, eine dem
hl. Ubaldus von Gubbio zugeschriebene, nach Ausweis ihrer Form und des Stiles ihrer
Stickereien aber dem 15. Jahrhundert angehörende, teils in S. Pietro in Vincoli teils
in S. Maria della Pace zu Eom befindliche Mitra, dann zwei als Eeliquien des seligen
Nikolaus Albergato (f 1443) geltende Mitren im Dom zu Bologna, eine irrigerweise
als Mitra des hl. Bonaventura bezeichnete Mitra im Collegio delle Missioni zu Bagnorea,
eine Mitra im Dom zu Cividale, welche fälschlich dem hl. Paulinus von Aquileja
(f 802) zugeeignet wird, und endlich eine Mitra im Museum zu Kavenna.
1 Vasari, Le vite II, Firenze 1878, 236. ist, da auch diese wohl Mitra genannt wurde,
Möglich übrigens, daß unter der Mitra, von obschon nicht gerade häufig,
der hier Vasari erzählt, eine Tiara zu verstehen 2 Dugdale, Monast. anglican. V 290.
Drittes Kapitel. Die Mitra. 477
Abgesehen von der Mitra Johannes' XXII. gehören alle dem 15. Jahrhundert
an. Die Mitra von Bagnorea, die jüngste von ihnen, erscheint schon zum förmlichen
Turm entwickelt, ist aber im übrigen ein schönes Stück. Ausgezeichnete Arbeiten
sind die mit Halbfiguren gefüllten Vierpässe auf den Zwickeln der Schilde. Die beiden
Mitren im Dom zu Bologna sind nicht nur die kostbarsten mittelalterlichen Mitren,
wrelche Italien aufzuweisen hat, sie gehören unzweifelhaft zu den prächtigsten, welche
überhaupt sich aus dem Mittelalter erhalten haben. Beide sind charakteristisch für
ihre Zeit. Hat doch die eine eine Höhe von 0,38 m bei einer Breite von 0,32 m,
während die andere 0,38 m hoch und 0,31 m breit ist1.
Bei der ersten ist der Fond durch im Korbstich applizierte Silberfäden ge-
bildet. Die Zierstreifen weisen Goldgrund auf und sind mit Banken in Perlstickerei
und Medaillons prächtig verziert. Auch auf den Schilden ist zu beiden Seiten des
Vertikalbesatzes ein Medaillon angebracht. Die Figuren in den Medaillons — Christus,
Maria und Heilige — , vortreffliche Arbeiten, sind vornehmlich im sog. gespaltenen
Stich hergestellt. Die Umrahmung der Schrägseiten bildet eine mit Banken verzierte
Goldborte. Die Hörner sind durch eine Klappe von rotem Samt miteinander ver-
bunden und enden an der Spitze mit einem dunkelblauen Stein. Von den Edelsteinen,
mit denen einst die Zierstreifen in titulo und circulo besetzt waren, sind nur noch
einzelne vorhanden.
Die Behänge, welche an ihrem unteren Ende eine Breite von 0,08 m haben -
ihre Länge ließ sich nicht genau feststellen , weil sie im Keliquiar teilweise zu-
sammengefaltet sind — , sind in derselben Weise wie der Fond der Mitra gearbeitet
und unten mit zwei vorzüglich gestickten, unter einem Baldachin angebrachten Heiligen-
figuren geschmückt. Im Inneren ist die Mitra mit weißlinnenem Futter ausgestattet.
Die zweite Mitra entbehrt der figürlichen Stickerei vollständig. Dafür ist sie
aber in anderer Beziehung um so kostbarer. Die Stelle der in Bildstickerei her-
gestellten Medaillons vertreten bei ihr sowohl auf den Besätzen als auch auf den
beiden Zwickeln der Schilde schwere silbervergoldete, mit je fünf Edelsteinen besetzte
Plättchen. Außerdem ist die Mitra samt ihren Besätzen und Behängen noch mit einer
Anzahl alleinstehender Edelsteine verziert.
Der Grund der Besätze besteht aus abgehefteten Goldfäden , derjenige der
Mitra und der Behänge, welcher von Goldfäden in Form von Ranken durchzogen
ist , aus dicht aneinander gefügten kleinen Perlen. Der Vertikalstreifen des titulus
schließt oben mit einem dreieckigen Emailplättchen ab , auf dem das Lamm Gottes
dargestellt ist. Die Behänge endigen gleichfalls mit einem Emailplättchen. Dasselbe
hat die ganze Breite der Behänge, ist mit zwei Büsten, wie es scheint, der Apostel
Petrus und Paulus, geschmückt und oben mit einem Kamm, unten aber mit drei
langen, silbervergoldeten Glöckchen versehen. Hart oberhalb der Plättchen sieht man
zwei in Email ausgeführte Wappen, welche ein rotes Kreuz in weißem Felde enthalten.
Die Schrägseiten der Mitra sind mit den in der Spätgotik bei den Mitren nicht
seltenen, den Giebelkrabben nachgebildeten Blättern geschmückt.
Beide Mitren sind in vorzüglichem Zustande. Die Mitra Johannes' XXII.
(t 1334) wurde 1759 zu Avignon in dessen Grab gefunden. Aus weißem Damast
gearbeitet, entbehrt sie jeden Besatzes. Ihre mit roter Seide gefütterten caudae haben
an den Enden rote Fransen 2. Ihre sichere Datierung ist für die Geschichte der Ent-
wicklung der Mitra von Wichtigkeit.
In Spanien gibt es nur sehr wenige Mitren aus dem späten Mittelalter. Die vor-
züglichste von allen befindet sich in dem auch in sonstiger Beziehung reichhaltigen
bischöflichen Museum zu Vieh 3. Sie entstammt dem Ende des 14. Jahrhunderts, ist
1 Abbildung der Mitren zu Bagnorea und Italien. Mitren ans dem Mittelalter, ebd. 5 ff.
Bologna in Zeitschrift XV (1902) 13, der Wenn wir oben die Mitra in S. Martino ai
Mitra zu Cividale in J. P. K i r s c h und Monti (vgl. S. 438) nicht erwähnten, so ge-
V. Luksch, Gesch. der kath. Kirche 231. schab das, weil sie ohne Bedeutung ist.
2 "Wegen der übrigen Mitren vgl. Braun, 3 Abbildung bei de Farcy pl. 154.
478 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
aus weißer Seide angefertigt, mit reichen, in Gold- und Seidenstickerei hergestellten
Borten besetzt und weist in Vierpässen, die von einem Quadrat durchschnitten sind,
auf der Vorderseite die Verkündigung, auf der Hinterseite die Krönung Maria auf.
Andere Mitren haben sich zu Saragossa und Toledo erhalten. Beide sind auf dem
vorderen Schilde mit einer Darstellung der Kreuzigung versehen. Die Mitra zu Sara-
gossa mag noch dem 14. Jahrhundert angehören; dagegen stammt die zu Toledo un-
zweifelhaft erst aus dem 15. Jahrhundert1.
Auch in Frankreich äst die Zahl spätmittelalterlicher Mitren nicht groß. Sie
gehören der Mehrzahl nach dem 15. Jahrhundert an.
Eine Mitra in der Kathedrale zu Lyon, die sich durch ihre auffallend geringe
Höhe auszeichnet, besteht aus rotem Samt. Ihre Besätze, breite Goldborten, sind
mit ornamentierten, silbervergoldeten Zierplättchen, die zum Teil mit kleinen, losen
Behängseln versehen sind, geschmückt2.
Eine Mitra in der Kathedrale zu Besancon kommt von Bischof Karl von Neuf-
ehätel, der sie 1481 zu Caen anfertigen ließ. Sie ist ein ebenso kostbares wie prunk-
volles Stück. Die aus abgehefteten Goldfäden gebildeten Besätze und Behänge sind
reich mit Edelsteinen und perlen-
gestickten Bosetten besetzt. Von den
Schilden, deren Fond aus Silberfäden
gebildet wird, weist der vordere in
Beliefstickerei die Verkündigung, der
hintere die Geburt Christi auf. Über
die Schrägseiten ziehen sich silber-
vergoldete Krabben hinauf zur Spitze,
die von einem zierlich gearbeiteten
Kreuz bekrönt wird 3.
Eine dem Cluny-Museum zu Baris
angehörige, um 1400 entstandene Mi-
tra, welche ehedem gleichfalls eine vor-
zügliche Arbeit gewesen sein muß, jetzt
aber in sehr schlechtem Zustand ist,
hat auf den goldgestickten Zwickeln
der Schilde die Verkündigung bzw. die
Krönung Maria und auf den goldgestick-
ten Besätzen Halbbilder von Heiligen
unter gedrückten Arkaturen 4.
Eine Mitra im Museum zu Evreux stammt nachweislich aus der ersten Hälfte
des 14. Jahrhunderts (Bild 235). Die Höhe ist bei ihr der Breite nahezu gleich. Aus-
gezeichnet sind die Stickereien der beiden Schilde, von denen einer St Petrus zwischen
Cornelius und Dorkas, der andere aber St Eligius zwischen den Stiftern, Enguerrand
von Marigny und seiner Gemahlin, enthält. Besätze fehlen der Mitra gänzlich.
Drei Mitren des Nationalarchivs zu Paris , jetzt ebenfalls im Cluny-Museum,
stammen aus dem Temple. Sie sind schon zu bedeutender Höhe herangewachsen.
Zwei von ihnen sind besonders bemerkenswert. Die eine ist mit Stickereien geziert.
Über einer den Bandbesatz vertretenden Folge von Arkaden mit Heiligen, die in Halb-
figur dargestellt sind, erhebt sich eine förmliche Architektur, ähnlich dem Querschnitt
einer gotischen dreischiffigen Kirche mit überhöhtem Mittelschiff. Heilige stehen
in den Seitenteilen, während der mittlere Teil unten die Geburt bzw. die Anbetung
des Jesuskindes und oben die Kreuzigung bzw. die Verkündigung aufweist. Die
Behänge sind mit dem Bilde der Gottesmutter, die das Jesuskind im Arm hält, und
dem eines betenden Bischofs bestickt5. Die Mitra mag um 1450 angefertigt sein.
Bild 235. Mitra des Jean de Marigny.
Evreux, Museum. (Phot. de Farcy.)
1 Abbildung bei Cahier, Decorations
d'eglises 14 41.
- Abbildung bei de Farcy pl. 10.
3 Abbildung ebd. pl. 59.
•' Abbildung ebd. pl. 49.
'- Abbildung ebd. pl. 51.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
479
Die zweite Mitra (Bild 236) besteht aus weißer Seide und ist in Schwarz auf dem
cireulus mit den Halbbildern der Apostel unter gotischen Bogen, auf den tituli aber mit den
Darstellungen des Begräbnisses und der Auferstehung Jesu bemalt. Ihrem ganzen Cha-
rakter nach scheint sie gemacht worden zu sein, um bei Trauerfeiern gebraucht zu werden.
Sie entstammt dem Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts. Ein Gegenstück
zu ihr bildet eine aus der St-Chapelle zu Paris herrührende, jetzt in der Stadtbibliothek
zu Amiens befindliche Trauermitra, wie wir sie wohl nennen dürfen. Sie ist einfacher
und gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstanden. Die Schilde enthalten eine
Kreuzigungsgruppe bzw. das jüngste Gericht, der cireulus ist mit Bosetten geschmückt 1.
Eine Mitra zu Brignoles (Var) , welche dem hl. Ludwig von Toulouse zu-
geschrieben wird, bildet ein Gegenstück zur sog. Mitra des hl. Silvester zu Rom.
Wir haben es auch bei ihr zweifelsohne mit einer Mitra zu tun , die für eine
Statue oder eine Reliquienbüste des Heiligen gemacht wurde. Das beweist mit aller
Bestimmtheit ihre minimale Breite von
nur 0,218 m. Die Mitra stammt, wie
Form und Höhe beweisen — sie ist bei
ihrer geringen Breite 0,28 m hoch —
aus dem 15. Jahrhundert2.
Eine Mitra in der Kathedrale zu
Chälons-sur-Marne besteht aus grauer,
gestreifter Seide. Sie hat bei einer Breite
von 0,27 m die bedeutende Höhe von
0,37 m, während sie an den Seiten nicht
weniger denn 0,20 m hoch ist. Die rot-
seidenen, 0,05 m breiten Besätze ziehen
sich auch die Schrägungen entlang und
sind mit Kreisen geschmückt, in denen
doppelköpfige Adler und Leoparden an-
gebracht sind. Die Dessins sind in
Gold ausgeführt3.
Was Schweden anlangt, so wäre
neben einer Mitra in der Kathedrale zu
Westeräs, Provinz Westmanland, welche
dem 15. Jahrhundert angehört und auf
den Schilden mit einem Weinstock als
Kreuzesbaum , einem Pelikan darüber
und je einem Einhorn zu beiden Seiten
geschmückt ist, vor allem der Mitra im
Nationalmuseum zu Stockholm zu ge-
denken. Auch sie entstammt dem
15. Jahrhundert, doch sind die Emails,
sind, jedenfalls älteren Datums. Neben einer Anzahl trapezförmiger Plättchen gibt es
auf denselben achtzehn Rundmedaillons von 0,05 m und zehn von 0,03 m im Durch-
messer. Dazu kamen ehedem auf den Zierstreifen und den caudae noch eine größere
Bild 236.
Paris, Musee Cluny.
Mitra.
(Phot. de Farcy.)
mit denen die Besätze und Behänge versehen
1 Abbildung ebd. pl. 158.
2 Es ist unverständlich, wie selbst ein so
gewiegter Forscher wie de Linas (Revue
1861, 225 ff mit Abbildung) die Mitra als
authentisch hat ansehen können. Der Stoff
der Mitra ist allerdings aus früherer Zeit
als die Mitra selbst, da diese aus einem
älteren Stoff hergestellt wurde.
3 Nach gütiger Mitteilung des P. L. Carrez
S. J. Die Mitra soll vom hl. Malachias her-
rühren. Eigentümlich ist, daß einer der Kreise
auf den Besätzen mit einem Kreuz gefüllt
ist, und daß die Löwen und Adler in den
übrigen zu beiden Seiten so gestellt sind, daß
sie dem Kreise mit dem Kreuz den Kopf zu-
wenden. Es läßt sich das kaum anders als
durch die Annahme erklären, als daß der
Besatz ursprünglich eine Stola war. Vielleicht,
daß diese aus dem Schrein des hl. Malachias
herrührt. In diesem Fall würde es sich leicht
begreifen, wie die Mitra dazu kam, als die-
jenige des hl. Malachias zu gelten.
480 Dritter Abschnitt. Die Iiturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Zahl nunmehr Ms auf die Fassung verschwundener Edelsteine. Die Schildzwickel sind
mit figürlichen Peiistickereien, die Verkündigung usw. darstellend, gefüllt '.
Drei Mitren im Nationalmuseum zu
Kopenhagen gehören dem Beginn des
16. Jahrhunderts an; eine stammt von
Skalholt in Island, eine zweite von Sorö,
die dritte aus Eipen. Am bemerkens-
wertesten ist bei ihnen die Höhe, die sich
bei den beiden ersten auf ca 0,38 m be-
läuft; im übrigen sind sie unbedeutend.
In Irland findet sich zu Limerick
eine ungemein kostbare, mit Edelsteinen
und Perlen aufs reichste geschmückte
Mitra 2 ; in England besitzt man zu Oxford
im New College noch eine leider sehr schad-
hafte Mitra des Bischofs von Winchester
Wilhelm von Wykeham (f 1404)3.
Die meisten spätmittelalterlichen Mi-
tren haben sich in Deutschland und Oster-
reich erhalten. Im Dom zu Halberstadt
allein gibt es deren sechs, vier andere
besitzt das historische Museum zu Dresden,
zwei das königliche Gewerbemuseum zu
Berlin, je eine der Dom zu Prag, die
Benediktinerabtei Admont in Steiermark,
der Dom zu Brixen, das St Peterstift zu
Salzburg , der Dom zu Krakau und das
Museum für Kunst und Industrie zu Wien.
Von den Mitren des Halberstädter
Domes sind besonders erwähnenswert die
beiden reich mit Perlen und silbervergol-
deten Plättchen besetzten rotsamtnen
Mitren (Bild 237, 238). Eigenartig ist
eine Mitra, welche auf dem Vorderschild
mit einer Kampfesszene geschmückt ist.
Bock hat, weil er einen der beiden Kämpfer
irrtümlich für einen Juden hielt, die Dar-
stellung auf den Kampf zwischen Christen-
tum und Judentum gedeutet J. Indessen
gibt dieselbe lediglich einen Kampf zwi-
schen zwei Rittern wieder. Die Mitra ist
ein Beispiel , wie unbefangen man im
Mittelalter bei Anfertigung kirchlicher
Gewänder zu Werke ging. Wie man in
aller Naivität für die Kasein Stoffe mit
arabischen Inschriften brauchte und nicht
im mindesten danach fragte, ob auf den
Zeugen, aus denen man die Paramente
anfertigte, Hunde, Löwen, Hasen und
Bild 237. Mitra. Halberstadt, Dom. sonstiges Getier, Ritter, Frauengestalten
1 Abbildungbei Kondakoff, Geschichte des
byzantinischen Emails, Frankfurt 1892, 257.
2 Abbildung bei Macalister, Ecclesia-
stical vestments 120.
3 Dieselbe ist ebenfalls mit zahlreichen
Edelsteinen besetzt.
4 Abbildung bei Bock II, Tfl 24, dazu
S. 178; in Farben: Mitt. XII (1867) xlv.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
481
und Ungeheuer, Jagdszenen, Fischfang, Brunnenszenen und ähnliche Dinge dargestellt
waren, so hat man hier eine Stickerei mit einem Ritterkampf, die man gerade besaß,
benutzt, um daraus mit Hilfe eines andern Zeugrestes, der für die Rückseite verwendet
wurde, eine Mitra zu machen. Nichts ist
verkehrter, als im Mittelalter überall Sym-
bolik zu wittern. Von den beiden Mitren
im Berliner Gewerbemuseum besteht die
eine aus blauem Samt ; ihre Besätze weisen
in farbiger Seide gestickte Ranken auf.
Die andere ist auf den Schilden, den Be-
sätzen und Behängen mit Perlen reich ge-
schmückt. Eine Abbildung dieser aus dem
Dom zu Minden stammenden Mitra , die
noch jetzt trotz ihres defekten Zustandes
sehr bemerkenswert ist, überhebt uns einer
näheren Beschreibung (Bild 239, S. 482).
Durch vortreffliche Figurenstickereien
zeichnen sich aus die Mitra des Stiftes
Admont, die aus Arnoldstein herrührende
Mitra des Wiener Museums für Kunst und
Industrie sowie zwei der Dresdener Mitren.
Bei einer der letzteren sind die Darstellungen
(Verkündigung usw.) in Perlstickerei aus-
geführt '. Die Arnoldsteiner Inful stammt
aus dem 14. Jahrhundert -. Bemerkenswert
ist, daiä zur Einfassung der Medaillons, mit
denen ihre Aurifrisien und Behänge verziert
sind, wie auch zu den Börtchen der Auri-
frisien statt wirklicher Perlen Silberperlen
zur Verwendung gekommen sind. Die Mitra
des Stiftes Admont ist eine Arbeit aus dem
Beginn des 15. Jahrhunderts 3. Sie ist von
sehr gefälliger Form. Die Zwickel der
Schilde enthalten auf Goldgrund die Ganz-
figuren der Gottesmutter mit dem Kind und
dreier Bischöfe. Auf den Behängen gewahrt
man die Brustbilder der Apostel in perlen-
umrahmten Medaillons. Von glücklichster
Wirkung ist, daß die Aurifrisien nur mit
eleganten spätgotischen Ranken und Blu-
men, nicht aber mit Heiligendarstellungen
gefüllt sind. Wo alles, auch die Besätze
mit Heiligendarstellungen geschmückt sind,
müssen, was in der Tat durch manche der
spätmittelalterlichen Mitren bestätigt wird,
die Besätze mehr oder weniger im Ganzen
aufgehen und ihre Bedeutung verlieren.
Die Mitra im Dom zu Krakau be-
kundet, obwohl unter Bischof Thomas Strze-
mpinski (1455—1460) angefertigt, bereits Bild 238. Mitra. Halberstadt, Dom.
der freundlichen Auskunft, welche die Direk-
tion mir bereitwilligst erteilte.
2 Abbildung Mitt. N. F. VIII (1882) 27.
3 Abbildung Mitt. XII (1867), 75.
31
1 Zwei der Mitren im Dresdener Historischen
Museum weisen nur ornamentale Stickereien
auf, die bei einer gleichfalls in Perlen aus-
geführt sind. Ich verdanke diese Angaben
Braun, Die liturgische Gewandung.
482 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
deutlieh den Einfluß der Renaissance. Die Form ist freilich noch die im 15. Jahrhundert
gewöhnliche: hoch ansteigende Schilder mit geraden Schrägseiten, auf denen sich Metall-
krabben hinziehen ; auch sind noch die Aurifrisien gebührend betont. Dagegen hat das
Ornament der Schildzwickel und Behänge einen ausgesprochenen Renaissancecharakter.
Ungemein kostbar ist die Mitra
des Salzburger St Peterstiftes; sie ist
die prunkvollste Inful, die wir überhaupt
aus dem Mittelalter noch besitzen. Es
genüge zu bemerken, daß auf ihr außer
manchen Hunderten von großen und
kleinen Perlen über 500 mehr oder
weniger kostbare Steine angebracht sind,
und daß sie etwas über fünf Pfund
wiegt. Die Schrägseiten sind mit den
so beliebten Giebelblumen versehen. Die
Spitze der Hörner endet in einer Kreuz-
blume, deren Abschluß ein großer blauer
Stein bildet. Wie der Mitra selbst,
sind auch den Behängen Perlen und
Edelsteine in überreichstem Maße auf-
gesetzt. Die Salzburger Mitra kann als
Illustration jener Mitra dienen, welche
Eugen IV. durch Ghiberti anfertigen ließ1.
Mit dem 16. Jahrhundert be-
ginnen allgemach die figürlichen
Darstellungen von dem pontifikalen
Kopfschmuck zu verschwinden, doch
kamen noch bis zum Ende des-
selben Mitren vor, die mit Heiligen-
figuren geschmückt waren. Zwei in-
teressante Beispiele sind die Mitra
Friedrichs von Wirsberg (f 1573)
im Dom zu Würzhurg und eine jetzt
im Kensington-Museum zu London
befindliche Mitra aus dem Jahre 1592.
Die gotische Architektur, welche bei
der letzteren die Schilde in zwei
Felder teilt, verrät wenig Verständ-
nis der gotischen Formen und Stil-
gesetze mehr.
Eine um so vorzüg-
lichere Leistung sind dafür die
Heiligenfiguren in den Schildzwickeln
und auf den Behängen, zumal die
ersteren. Die Würzburger Mitra
trägt (Bild 240) schon ganz Re-
naissancecharakter. Nur die plastisch ausgeführten Halbfiguren der vier latei-
nischen Kirchenväter verraten noch etwas die spätmittelalterliche Formen-
sprache. Ungemein reizend ist das in Sprengarbeit und Bouillonstickerei
Bild 239. Mitra.
Berlin, Kunstgewerbemuseum.
1 Abbildungen der Mitren von Krakau Mitt. XII (1867) 77; der Salzburger Mitra ebd.
XVIII (1873) 201 311.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
483
Doch war selbst das keineswegs allgemein gebräuchlich.
hergestellte Ornament, welches die schon stark gerundeten Schrägseiten ein-
faßt und den circulus samt den Vertikalbesätzen imitiert K
Das 17. Jahrhundert gibt den mit Bildwerk versehenen Mitren end-
gültig den Abschied. Die Mode ist eine andere geworden. Beladet man die
Mitra nicht mit Steinen und Perlen, so überzieht man sie in Goldstickerei
mit Arabesken, Grotesken und sonstigen Ornamenten, wie dieselben gerade der
zur Zeit herrschenden Kunst- und Geschmacksrichtung entsprechen (Bild 241,
S. 484). Von religiösen Symbolen brachte man allenfalls noch ein Kreuz,
den Pelikan, die Taube, Ähren und Trauben, das Auge Gottes und ähnliches
auf der Mitra an
Eine Reihe der kostbarsten
Mitren des 17. und 18. Jahr-
hunderts entbehren jedes
religiösen Abzeichens. Es
läßt sich nicht leugnen, daß
das 16., 17. und 18. Jahr-
hundert manche dem Ma-
terial nach kostbare, der
technischen Ausführung
nach vorzügliche und der
ganzen Ausstattung nach
prachtvolle Mitren ge-
schaffen haben. Es sei zum
Belege dafür nur auf eine
Mitra des Graner Domes
vom Jahre 1549 und die des
Bischofs Paul Bornemsiza
im Raaber Domschatz vom
Jahre 1550 hingewiesen,
von welchen jede wegen
des Übermaßes der zur Ver-
wendung gekommenen Per-
00 . Bild 240. Mitra. Würzburg, Dom.
len und Edelsteine auf etwa
30 000 Gulden gewertet wurde 2, sowie namentlich auch auf die aus Trier
stammende Mitra im Dom zu Limburg. Eine andere Frage ist indessen, ob
1 AbbikkiDg der Mitra im Kensington-
Museum bei de Farcy pl. lxxx.
2 Mitt. XII (1867) 78 80. Von der
Mitra des Raaber Domschatzes heißt es dort :
„Der Grund der ganzen Mitra besteht, den
Stoff völlig deckend, aus aneinandergereihten
Zahlperlen. Linien von größeren Perlen be-
zeichnen den Rand der damit nur ange-
deuteten Aurifrisia; in ähnlicher Weise wurden
die Einfassungen der Dependenzen sowie die
auf den Schilden deutlich hervortretenden
Ornamente gebildet. Reicher Edelsteinbesatz
schmückt die einzelnen Teile. Die äußersten
Ränder, aus stark vergoldeten Silberbeschlägen
bestehend, sind mit einer Reihe von zierlichen
Knorren und einer Kreuzblume an der Spitze
geziert; aus jedem dieser Knorren sproßt ab-
wechselnd eine Blüte von blauem und grünem
Email. Ein Medaillon , in dem sich ein
goldener Schwan mit einem Sträußchen im
Schnabel auf rotem Emailgrund befindet,
schmückt die Mitte. . . . Bemerkenswert ist
auch, daß jede der Dependenzen, die gleich-
falls mit reichem Perlenornament und ziem-
lich großen Edelsteinen besetzt sind, in drei
Zwischenräumen mit je zwei kleinen goldenen
Glöckchen, zusammen zwölf, geziert ist" (ebd.
78). Angesichts des Gewichtes, welches die
mitra pretiosa seit dem ausgehenden Mittelalter
häufig hatte, begreift man, warum das Caere-
moniale den Bischöfen gestattet, im Ponti-
fikalamt die „kostbare" Mitra mit der leich-
teren Auriphrygiata zu vertauschen , „ne
nimis gravetur".
31*
484 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füüie u. des Kopfes.
man die Mitren, wie sie seit dem 16. Jahrhundert in Gebrauch waren, als
Ideal einer pontifikalen Kopfbedeckung betrachten kann, und ob man die Ent-
wicklung, welche die pontifikale Kopfbedeckung seit jener Zeit genommen
hat, für einen Fortschritt oder
für eine Abkehr vom guten
Geschmack zu halten hat. Es
ist eine Frage ähnlicher Art,
wie man sie bezüglich der
modernen Kasel und ihrer Aus-
stattung stellen kann.
Ob es nicht besser ge-
wesen wäre, wenn man sich
in Bezug auf die Mitra etwas
konservativer verhalten hätte?
Denn es läßt sich weder in
Abrede stellen, daß man zuletzt
denn doch nach Höhe und
Breite das rechte Maß ent-
schieden überschritt, noch auch,
daß die Ausstattung, welche
man der Mitra zu geben be-
liebte, nur allzuoft auf leeren
Prunk hinauslief. So wenig
konnten die Edelsteine, Perlen
oder Goldstickereien, mit denen
man den pontifikalen Kopf-
schmuck seit dem 16. Jahrhun-
dert in überschwenglichster
Weise zu bedecken pflegte, ihm
sein anspruchsvolles Wesen
nehmen und das Übermaß an
Höhe und Weite ausgleichen,
daß sie ihm vielmehr erst recht
ein weltliches und vordring-
liches Aussehen gaben. Es
wäre besser gewesen, wenn
man in Beziehung auf die Ab-
messungen wie auch bezüglich
der Ausschmückung
goldenen Mitte
hätte.
an der
festgehalten
Am wenigsten gelang es
den letzten Ausläufern der Re-
naissance, dem Rokoko mit
seinen willkürlichen, sinnlosen
Schnörkeleien (Bild 241) und
dem Zopf mit seinem nüchternen
Ornament eine pontifikale Kopfbedeckung zu schaffen, die auch nur halbwegs
befriedigen kann. Man betrachte nur einmal die noch in großer Zahl vorhan-
denen Mitren aus der Rokoko- und der Zopfperiode, beispielsweise die Mitren
Bild 241. Mitra. Kamp a. Niederrhein.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
485
des Kölner Domschatzes, welche Erzbischof Klemens August (f 1761) zur Feier
der Krönung seines Bruders, des Kaisers Karl VII, um vieles Geld zu Lyon
anfertigen ließ, die zahlreichen Mitren im St Veitsdom zu Prag, die Mitren
im Münster zu Freiburg (Bild 242) u. a. Gewiß, reich und prunkhaft mochten
solche Mitren oft genug sein ; allein es gehörte denn doch ein ganz eigenartiger
Geschmack dazu, sie auch schön und würdevoll zu finden.
Als in neuester Zeit der Sinn für angemessenere Formen der heiligen
Gewänder wieder erwachte und die christliche Paramentik sich vom Schlafe
erhob, in dem sie nur allzulang befangen gewesen, knüpfte man in Frank-
reich, England, Holland, Belgien und Deutschland wie bei Anfertigung der
andern kirchlichen Gewänder, so auch bei derjenigen der Mitra mit Glück an
mittelalterliche Vorbilder an. Freilich
stieß ein solches Unternehmen anfangs
auf erhebliche Schwierigkeiten. Wie es
eine Zeitlang nahe daran war, daß eine
Rückkehr zur mittelalterlichen Kaselform
ausdrücklich untersagt wurde, so ging
es ähnlich hinsichtlich der Mitra. Doch
ist es auch hier am Ende zu einem wirk-
lichen Verbot nicht gekommen. Ob in-
dessen je wieder für die Mitra allgemein
die mittelalterliche Form , Machweise
und Ausstattung aufgenommen werden,
scheint uns mehr als fraglich. Wenig-
stens ist zur
sieht vorhanden.
Zeit dafür wenig Aus-
Bild 242. Mitra.
Freiburg i. Br., Münster.
IX. LITURGISCHE VERWENDUNG
DER MITRA.
In welchem Maß die Mitra wäh-
rend des Mittelalters zu Rom beim
Gottesdienste Verwendung gefunden, läßt
sich im einzelnen nicht mit Bestimmt-
heit feststellen. Nach den römischen
Ordmes des 14. und 15. Jahrhunderts zu
urteilen, dürfte der Unterschied zwischen
damals und jetzt nicht bedeutend gewesen sein. Immerhin fehlt es an ein-
zelnen Abweichungen nicht. So trugen Papst und Kardinäle die Mitra nach dem
13., 14. und 15. Ordo auch bei verschiedenen Gelegenheiten, die an sich keinen
liturgischen Charakter hatten, aber sich an Kulthandlungen gleichsam als Vor-
oder Nachspiel anschlössen, z. B. bei dem feierlichen Mahle am Krönungstage
und dem Gründonnerstage, bei der Entgegennahme des Presbyterium (Geld-
spende) u. ä. Bei der sich an die Papstweihe anschließenden Prozession zum
Lateran, dem sog. possesso, und der Heimkehr von der lateranensischen Ba-
silika, Aufzügen, die zu Pferde abgehalten wurden, bedienten sich nur die
Kardinäle, Bischöfe und sonstigen dazu berechtigten Prälaten der Mitra; der
Papst selbst war bei ihnen mit der Tiara (corona, regnum, triregnum), dem
Sinnbild seiner königlichen Würde, geschmückt.
Außerhalb Roms war im Mittelalter in Bezug auf den Gebrauch
der Mitra im großen und ganzen die römische Sitte maßgebend. Angesichts
486 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füßie u. des Kopfes.
des Umstandes, daß diese von Rom gekommen war, konnte es auch kaum
anders sein. Im allgemeinen galt liier wie dort der Grundsatz: der Bischof
legt die Mitra ab, wenn er zum Altare tritt, um daselbst zu beten ; er trägt
sie, so oft er sich zum Volke wendet. Verschiedenheit herrschte namentlich
hinsichtlich der Verwendung des Ornatstückes bei der Erteilung des feierlichen
Segens und der Inzensierung des Altars. Zu Rom wurden diese Akte ohne
Mitra vorgenommen, anderswo dagegen, wie aus den Angaben des Durandus
hervorgeht, bald mit ihr, bald ohne sie \ Umgekehrt verhielt es sich mit
den Exequien. Während sich nämlich nach römischem Brauch bei diesen der
Bischof der Mitra bediente, fungierte er außerhalb Roms bei ihnen hie und
da ohne eine solche.
Die Zeremonie der Übergabe der Mitra an den neu konsekrierten Bischof
muß sich spätestens im Verlauf des 12. Jahrhunderts ausgebildet haben.
Jedenfalls war sie schon im dritten Viertel desselben, wie aus des Nikolaus
von Clairvaux (f 1175), des Notars des hl. Bernhard, Predigt über die
zwölf Sakramente erhellt, nichts Unbekanntes mehr. Ungitur caput, liniuntur
et manus, ponitur et evangelica pagina super caput . . . imponitur cidaris capiti
consecrato et aurea lamina frontis gloria praesignitur, in qua contexitur nomen
divinitatis (gemeint ist wohl der aus Goldstoff gewebte circulus der Mitra), tra-
ditur anulus2. Seit etwa 1200 wird der Ritus auch in den Pontifikalien wiederholt
erwähnt3. Die Überreichung des Ornatstückes fand stets erst nach voraus-
gegangener Salbung des Hauptes statt. Bald erfolgte sie bei der Weihe selbst
während der Messe, bald, wie noch jetzt, am Schluß der letzteren, je nach-
dem das heilige Salböl auf dem Haupt des Geweihten sogleich oder erst am
Ende der ganzen Feier abgetrocknet wurde. Das Gewöhnlichere scheint
gewesen zu sein, daß die Mitra dem neugeweihten Bischof erst am Schlüsse
der ganzen heiligen Handlung unmittelbar vor der Heimkehr aufgesetzt wurde.
Ein Gebet pflegte die Zeremonie nicht allzeit zu begleiten. Ein Mainzer Ponti-
fikale aus dem Ende des 13. Jahrhunderts läßt den Konsekrator bei der Übergabe
der Mitra die zwar kurzen, aber bedeutungsvollen Worte sprechen: „Ein Zeichen
setze ich auf dein Haupt, auf daß du außer deinem Schöpfer selbst keinen andern
Liebhaber zulassest im Namen des Herrn. Amen." In einem um 1400 geschriebenen
Lyoner Pontifikale lautet das Gebet gerade wie jetzt im Pontificale Eomanum J.
Daß auch bei der Segnung der Abte schon um das ausgehende 13. Jahr-
hundert die Zeremonie der Überreichung der Mitra vorkam, beweist ein hand-
schriftliches Mainzer Pontifikale jener Zeit5.
Dasselbe enthält nämlich im Ordo ad benedicendum abbatem die Eubrik, es
solle der Bischof, wenn er die Einsegnung eines Abtes vornehme, der die Mitra zu
tragen gewohnt sei, selbigem das Ornatstück unter den Worten überreichen: „Nimm
1 Rationale 1. 3, c. 8; f. 77. Pontificale
Durandi Mimat. bei Mart. 1. 1, c. 4, art. 12,
ordo 23 ; 1 225. Über die Mitra bei Toten-
messen vgl. ebenfalls das Pontifikale des
Durandus a. a. 0.
2 M. 144, 899. Der Sermo über die zwölf
Sakramente — das Wort ist hier im weiteren
Sinne einer heiligen und heiligenden Einrich-
tung zu nehmen — wird mehrfach (so auch
von de Linas [Revue 1861 , 455] und
Hefele [Beitr. II 552]) irrtümlich dem
hl. Petrus Damiani zugeschrieben. Es konnte
jedoch zu dessen Lebzeiten im Ritus der
Weihe noch nicht wohl von der Zeremonie
der Überreichung der Mitra die Rede sein.
Anders lag natürlich die Sache, als diese im
12. Jahrhundert allgemein zum bischöflichen
Kopfschmuck geworden war.
3 Vgl. z. B. außer den Auszügen bei Mart.
1. 1, c. 8, art. 11, ordo 14 16 17 18; II 73
82 88 94 den Ritus der Bischofsweihe in
Vat. lat. 1152 1159 5791 7114.
4 Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 18; II 94.
5 Ebd. 1. 2, c. 1, ordo 9 ; II 160.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
487
hin, liebster Bruder, des Alten und des Neuen Bundes sinnbildliches Zeichen. Mögest
du kraft der Wissenschaft beider Testamente die dir anvertraute Herde unbefleckt
bewahren , auf daß du mit ihr froh zu den Pforten des Paradieses einziehest im
Namen usw."
X. DIE LITURGISCHE KOPFBEDECKUNG IN DEN ORIENTALISCHEN
RITEN.
Nicht bloß im römischen, auch in den orientalischen Riten gibt
es eine liturgische Kopfbedeckung. Sie findet sich bei allen Riten des Ostens.
Im verbreitetsten dieser Riten, dem
griechischen, steht sie wie im Abend-
land nur den Bischöfen zu. Sie wird auch
hier Mitra, griech. fiirpa, slav. mitra, ge-
nannt, ist aber von dem gleichnamigen la-
teinischen Ornatstück der Form nach durch-
aus verschieden. Etwas mehr Ähnlichkeit
hat sie mit der päpstlichen Tiara. Sie
besteht aus einem Reifen, welcher von
zwei unter einem rechten Winkel in ihrem
Scheitelpunkt sich kreuzenden Bügeln über-
spannt ist (Bilcl 243). Reifen und Bügel,
welche mit getriebenen Ornamenten, Stei-
nen, Perlen und ähnlichem reich verziert
zu sein pflegen, bergen im Innern eine
Mütze aus gesteiftem Stoff, vielfach rotem
Samt, welche in den zwischen den Reifen
liegenden Zwischenräumen wulstartig her-
vorquillt. Die Wulste sind mit Stickereien
oder Zierstücken aus Metall besetzt. Auf dem Schnittpunkt der Bügel be-
findet sich ein Kreuz, welches nach russischem Brauch eine horizontale Lage
haben muß. Ein aufrecht stehendes Kreuz auf der Mitra tragen zu dürfen,
ist in Rußland eine besondere Auszeichnung, welche nur einzelnen Metro-
politen zu teil wird. Kraft eines alten Privilegs erfreuen sich
dieses Vorrechtes die Bischöfe und der Metropolit der Kiew-
schen Eparchie.
Bei den Armeniern tragen außer den Bischöfen auch
die Priester und selbst die Archidiakone eine liturgische Kopf-
bedeckung. Die Bischöfe bedienen sich der zweigehörnten latei-
nischen Mitra, die Priester und Archidiakone dagegen eines
Saghavart genannten Hutes (Bild 244). Derselbe erinnert an
Bild 243. Griechische Mitra.
Bild 244.
Liturgische
die Mitra der griechischen Bischöfe, entbehrt jedoch der vier Kopfbedeckung
Wulste, welche dieser eigentümlich sind. Außerdem wird er
der armenischen
Priester.
statt nur von zwei von vier Bügeln überspannt, ohne daß
dieselben jedoch seine Form beeinflußten und etwas mehr als bloße Zierreifen
wären. Charakteristisch für ihn ist die Zackenkrone, welche unten den Rand
umgibt. Eine liturgische Kopfbedeckung bei Diakonen begegnet uns einzig
im armenischen Ritus (vgl. Bild 40, S. 93).
Von den Syrern haben sich die Maroniten und die unierten Jakobiten,
die sog. reinen Syrer, hinsichtlich der liturgischen Kopfbedeckung ganz dem
römischen Brauch angeschlossen. Es erscheinen daher die Bischöfe bei den-
488 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
selben in einer modernen abendländischen Mitra, und zwar von möglichst be-
deutenden Abmessungen. Auch die unierten Chaldäer und Kopten haben
die römische Mitra herübergenommen. Bei den schismatischen Syrern erfreut
sich nur der Patriarch einer liturgischen Kopfbedeckung, bei den nestorianischen
Chaldäern tragen dagegen eine solche auch die Bischöfe, und zwar behalten
sie dieselbe während der ganzen Messe auf dem Kopfe. Sie heißt biruna und
ist ein kapuzenartig über das Haupt gelegtes Tuch, während der Kopfschmuck
des syrischen Patriarchen mit der griechischen Mitra Ähnlichkeit hat. Im
Ritus der nichtunierten Kopten endlich gibt es eine sakrale Kopfbedeckung
sowohl bei dem Patriarchen und den Bischöfen, wie bei den Priestern, aller-
dings mit einem Unterschied in der Beschaffenheit.
Bei den Priestern und Bischöfen besteht sie aus einem ca 40 cm breiten
und 5,50 m langen, mit Kreuzen oder auch wohl Inschriften gezierten Bande,
ballin genannt, das nach Art eines Turbans um den Kopf geschlungen wird
und bei den Priestern aus Linnen, bei den Bischöfen aber aus farbiger Seide
angefertigt ist. Der Patriarch hat einen mehr helmförmigen Kopfschmuck.
Für die Geschichte der liturgischen Kopfbedeckung in den orientalischen
Kiten liegt nur sehr wenig Material vor, zumal bezüglich des sakralen Kopf-
schmucks im armenischen, syrischen, chaldäischen und koptischen Ritus.
Am meisten interessiert die Frage, seit wann es in den Riten des
Orients eine liturgische Kopfbedeckung gegeben hat.
Man hat gemeint, es sei im Orient schon in frühester Zeit eine solche in Ge-
brauch gewesen, und sich hierfür auf die lamina, die goldene Stirnplatte (Ziz), berufen,
deren sich nach des Epiphanius und Polykrates Angaben die Apostel Jakobus und
Johannes bedient haben sollen l. Ebenso hat man auf das Schreiben des Patriarchen
Theodosius von Jerusalem hingewiesen, worin derselbe dem Patriarchen Ignatius von
Konstantinopel mitteilt, er habe ihm außer der Talartunika und dem Schulterkleid des
hl. Jakobus (I-<u|j.i?, der Ephod des jüdischen Hohenpriesters) auch dessen pu-rpa zum
Geschenk gesandt, und die Bemerkung anfügt, es hätten sowohl seine Amtsvorgänger
im Patriarchat wie er selbst sich dieser Gewänder bedient, so oft sie zur Ausübung
ihres Priesteramtes ins Allerheiligste eingetreten seien2. Jedenfalls sollen schon im
4. Jahrhundert die Bischöfe im Orient eine liturgische Koj)fbedeckung getragen haben.
Als Beweis führt man eine Rede Gregors von Nazianz 3 und die Ansprache an,
welche Eusebius bei der Einweihung der Basilika von Tyrus an die anwesenden
Bischöfe hielt l.
Allein die Worte des Polykrates lassen sich sehr wohl bildlich von der Bischofs-
würde des hl. Johannes verstehen. Sollten sie aber wörtlich aufzufassen sein, so haben
sie zweifellos, gerade wie die Angabe des Epiphanius betreffs des Stirnschmuckes des
hl. Jakobus, nur legendenhaften Charakter. Bei der Erzählung des Epiphanius liegt
das klar zu Tage, da die Hohenpriester es sicher nicht geduldet haben würden, wenn
der hl. Jakobus sich mit dem spezifisch hohenpriesterlichen Ziz geschmückt hätte.
Übrigens würde auch aus den Worten des Polykrates und Epiphanius — deren Bericht
einmal als der Wirklichkeit entsprechend angenommen — offenbar zuletzt nur das
eine folgen, daß die hll. Johannes und Jakobus sich der goldenen Stirnplatte des
aaronitischen Hohenpriesters zu bedienen pflegten, keineswegs aber, daß zu deren
Lebzeiten überhaupt ein liturgischer Kopfschmuck beim Gottesdienst in Gebrauch war.
Beim hl. Jakobus wird das Tragen der lamina von Epiphanius sogar ausdrücklich als
dessen besonderes Vorrecht hingestellt.
1 Epiph., Adv. haer. 1. 3, t. 2 78 14 (Mg. 2 Hard. V 1029.
42, 721); ebd. 1. 1 , t. 2 29 4 (Mg. 41, 396). 3 Orat. 10, n. 4 (Mg. 35, 829).
Euseb., Hist. eccl. 1. 3, c. 31 (Mg. 20, i Euseb., Hist. eccl. 1.10, c. 4 (Mg. 20,
280). 849).
Drittes Kapitel. Die Mitra.
489
Was die pi-pa des hl. Jakobus anlangt, welche Theodosius von Jerusalem dem
Patriarchen Ignatius von Konstantinopel mitsamt dem poderes und der epomis des
Apostels sandte, so tragen wir kein Bedenken, alle drei Gewandstücke als unecht
zu bezeichnen, da, wie schon vorhin bemerkt wurde, die über ihre Stellung und Würde
so eifersüchtig wachenden Hohenpriester es ohne Zweifel nicht zugelassen haben würden,
daß ein anderer als sie selbst diese hohenpriesterlichen Ornatstücke trug. Sehr auf-
fallend ist zudem die geringe Wertschätzung, welche Theodosius den drei Gewand-
stücken gegenüber an den Tag legt. Sie waren ihm zufolge Reliquien des hl. Jakobus,
des ersten Bischofs von Jerusalem , Reliquien , die nach des Patriarchen eigener
Aussage alle Nachfolger des Apostels und auch er selbst bei den liturgischen Funk-
tionen anzulegen pflegten, und trotzdem verschenkt Theodosius alle drei, ohne
dazu einen Grund von irgend einer erkennbaren Bedeutung zu haben. Es wäre
doch wahrlich übergenug gewesen , wenn Theodosius nur ein einziges jener Ornat-
stücke dem Patriarehen Ignatius zum Geschenk gemacht hätte. Er hat ersichtlich
von der Mitra , der Talartunika und dem Schultergewand des hl. Jakobus nicht
viel gehalten, daß er sich ihrer so leicht entäußern konnte. Aber auch die Be-
merkung des Patriarchen, er wie seine Amtsvorgänger hätten sich bei ihren hei-
ligen Punktionen stets der fraglichen Gewänder bedient, dürfte mit einem Frage-
zeichen zu versehen sein. Gewiß gibt es auch heutzutage noch liturgische Kleider,
welche ihre 800 Jahre zählen, allein sie sind schon seit vielen Jahrhunderten ent-
weder ganz oder doch so gut wie ganz außer Verwendung gesetzt. Daß aber Gewand-
stücke, die man fortwährend bei der Feier der Liturgie zu tragen pflegte, 800 Jahre
alt werden konnten, ohne durchaus unbrauchbar geworden zu sein, ist, die Sache
nüchtern betrachtet , schlechthin unglaubhaft , zumal angesichts der entsetzlichen
Stürme, welche in dieser langen Zeit über Jerusalem hinwegbrausten, Stürme, unter
denen doch auch der ganze Kultus schwer leiden mußte. Und wie hielt es Theodosius
mit einem Kopfschmuck, seit er die Mitra des hl. Jakobus verschenkt hatte?
Eusebius drückt sich in der Ansprache, die er an die zu Tyrus versammelten
Bischöfe hielt, nur bildlich aus, wenn er sie in rhetorischem Schwung mit den Worten
anredet: „Ihr Freunde Gottes, ihr Bischöfe, bekleidet mit dem heiligen poderes, der
himmlischen Krone der Ehre, der von Gott kommenden Salbung und dem priester-
lichen Gewand des Heiligen Geistes!" Es ist uns geradezu unverständlich, wie man
die Worte töv oüpaviov xrj; ooEt]? GTEtpavov als einen Beweis für den damaligen Gebrauch
eines pontifikalen Kopfschmuckes hat ausgeben können.
Gregor von Nazianz schildert in der fraglichen Rede seine eigene Weihe unter
dem Bilde der Weihe, wie sie nach Moses' Anordnung an Aaron und den jüdischen
Priestern vollzogen wurde. Mit der cidaris, von welcher er redet, ist darum nicht
eine damals etwa im Gebrauch befindliche liturgische Kopfbedeckung, sondern die
Mitra des jüdischen Hohenpriesters gemeint.
Im griechischen Ritus ist erst in sehr später Zeit eine liturgische Mitra
in Gebrauch gekommen. Allerdings sagt schon Pseudo-Alkuin, es trügen die Griechen
pilei, i. e. cuphiae, auf dem Kopfe, wenn sie am Altare die heiligen Geheimnisse feierten.
Doch fügt er dieser Notiz, was wohl zu bemerken ist, ein „soll" hinzu: apud Graecos
autem hoc dicitur. Daß sie in der Tat nur ein unbestimmtes Gerücht ohne wirklichen
Untergrund darstellt, ergibt sich alsbald, wenn wir die griechischen Bildwerke einem
Studium unterziehen oder bei den griechischen Schriftstellern uns umsehen 2.
1 Trug der Bischof von Jerusalem wirk-
lich im 9. Jahrhundert bei der Liturgie die
Mitra des hl. Jakobus, so geschah das sicher
nur wegen ihres vermeintlichen Reliquien-
charakters, nicht weil es dort schon einen
pontifikalen Kopfschmuck gab. War doch
ein solcher noch nicht einmal im 12. Jahrhun-
dert daselbst im Gebrauch (vgl. S. 490).
Oder ist es glaubhaft, daß Theodosius mit
des hl. Jakobus Mitra überhaupt auf eine
sakrale Mitra verzichtet hätte, wenn es da-
mals zu Jerusalem eine solche gegeben?
2 Vielleicht, daß sich die Angabe Pseudo-
Alkuins an eine. Bemerkung des Ratramnus
anlehnt (Contra Graec. opposit. 1. 4, c. 5 [M.
121, 322 323]), wo es sich aber bei der Kopf-
hülle der griechischen Geistlichen, von der
dort die Rede ist, offenbar nur um die ge-
wöhnliche Bedeckung des Hauptes, nicht um
einen liturgischen Kopfschmuck handelt.
490 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Keine griechische bildliche Darstellung weist vor Ende des Mittelalters
eine sakrale Kopfbedeckung auf, und zwar bezeichnenderweise auch dann
nicht, wenn liturgische Funktionen dargestellt werden. Klassisch sind in
dieser Beziehung namentlich eine Reihe von Miniaturen im Menologium Ba-
silius' II. Mit einer Kopfbedeckung treffen wir in ihm nur an den hl. Cyrillus
von Alexandrien, den hl. Athanasius und den heiligen Bischof Spiridion von
Cypem (Bild 245 und 246). Es bleiben das aber auch die einzigen, welche
bis zur Neuzeit auf den Bildwerken mit einer Kopfbedeckung erscheinen (vgl.
Bild 142, S. 304). Von der Mitra des hl. Cyrillus wird nachher die Rede
sein. Die Mütze, welche St Spiridion auf dem Haupte hat, stellt keinen
liturgischen Kopfschmuck dar, sondern eine Hirtenmütze. Sie soll daran
erinnern, was der Heilige war,
ehe er Bischof ward.
Auch die griechischen Schrift-
steller wissen ausnahmslos vor
dem Ende des Mittelalters nichts
Kopf-
von einer
liturgischen
bedeckung im griechischen Ritus.
Insbesondere findet sie weder in der
Vffzopta noch den unter den Namen
der hll. Germanus und Sophro-
Mefäerklärungen
mus
gehenden
Erwähnung. Ebenso schweigt Bal-
samon, Chartophylax des Patriar-
chen von Konstantinopel, seit 1193
Patriarch von Antiochien (f 1214),
von einer liturgischen Kopfbe-
deckung, wo er die Privilegien
der Patriarchen behandelt und
dabei im einzelnen die Bestand-
teile ihrer Sakralkleidung auf-
zählt1. Ja er versichert sogar
an einer andern Stelle ausdrück-
lich, daß nur der Patriarch von
Alexandrien sich einer solchen
bediene, während alle übrigen mit unbedecktem Haupte die heiligen Geheim-
nisse feierten: Kai ttüvtcov u.TzzpixaXÖTtroic, 'ispoupjoi'jvrcuv tcuq xscpaX(/~i.q /idvog
o nazpuipyrjQ 'AXe^OMÖpeiaQ lepoupyBi piETU tol> Scopol) zvjv xtfaX^qv xuXurrTopsvos2.
Es gab selbst im Beginn des 15. Jahrhunderts im griechischen Ritus
noch keine liturgische Kopfbedeckung. Das beweisen die diesbezüglichen
bestimmten Auslassungen des Erzbischofs Simeon von Saloniki (f 1429), der
gerade wie Balsamon sowohl in seiner Schrift De divino templo s wie in seinen
Antworten auf die Anfragen des Bischofs Gabriel von Pentapolis4 mit aus-
Bild 245. Athanasius.
Miniatur im Menologium
ßasilius' IL Born, Vatikan.
Bild 246. Spiridion.
Miniatur im Menologium
Basilius' IL Eom, Vatikan.
• Meditata c. 1 (Mg. 138, 1021).
2 Ebd. c. 2 (ebd. 1048).
3 N. 45 (Mg. 155, 716) : 'Ar.zpao.Umu> 5k
iyj xspaÄy oi Trjq 'AvaroÄrjg hpap^al näv-teg
xal ispzig xXrjV roü r^s AXazavopciag Trfj lepou-
yiav tzeXoüow. 'Avar. hier g r i e c h. Orient.
* Qu. 20 (ebd. 872). Nach Kondakoff
(Histoire de l'arfc byzantin, Paris 1891, 64)
wäre eine Cidaris (bischöfliche Mitra) schon
auf einer bald nach 880 gemalten Miniatur
der Homilien Gregors von Nazianz in der
Pariser Nationalbibliothek (f. gr. 501, fl. 64)
zur Darstellung gekommen. Es ist das jedoch
ein grober Irrtum. Was Kondakoff für eine
Cidaris angesehen hat, ist ein Evange-
lien buch. Die Miniatur stellt die Weihe
Drittes Kapitel. Die Mitra.
491
drücklichen Worten erklärt, nirgends sei bei den Bischöfen und Priestern des
Orients mit Ausnahme des Patriarchen von Alexandrien eine liturgische Kopf-
bedeckung bei den gottesdienstlichen Funktionen im Gebrauch.
Hierzu stimmt, daß der Patriarch Joseph von Konstantinopel, der 1439
gelegentlich des Unionskonzils zu Florenz starb und in S. Maria Novella
beerdigt wurde, auf dem ihm daselbst errichteten Grabmal zwar in seiner
liturgischen Kleidung, jedoch ohne Mitra dargestellt ist. Hätte es eine solche
damals bereits gegeben, würde sie gewiß auf der Abbildung des Verstorbenen
nicht fehlen. Denn man vergesse nicht, als man zu Florenz das Monument
errichtete und den Patriarchen in Fresko auf demselben anbrachte, war es in
Italien allenthalben Sitte, die Bischöfe auf den Grabdenkmälern mit der Mitra
geschmückt darzustellen.
Es ist nicht möglich, den Zeitpunkt zu bestimmen, da die Mitra im
griechischen Ritus in Gebrauch kam. Vielleicht geschah es unter dem Ein-
fluß der veränderten Verhältnisse schon bald nach dem Untergang des ost-
römischen Reiches und der Eroberung Konstantinopels durch die Türken,
jedenfalls aber spätestens im Laufe des 16. Jahrhunderts. Denn im Jahre 1589
hatte bereits die Einführung der Mitra in Rußland statt. Immerhin fand die
Mitra, wie aus den Kommentaren Gretsers und Goars zu des Kodinus Liber
de officialibus hervorgeht1, selbst noch in dem Anfange des 17. Jahrhunderts
erst bei wenigen griechischen Bischöfen Verwendung.
Die Einführung der Mitra in dem russischen Ritus erfolgte an-
läßlich der Errichtung des russischen Patriarchats, bei welcher Gelegenheit
der Zar Theodor dem neugeschaffenen Patriarchen Job unter anderem das
Recht verlieh, den Sakkos, den Mandyas und die Mitra zu tragen2. Offenbar
waren diese bis dahin in Rußland nicht verwendet worden, sonst hätte ja der
Zar den Patriarchen nicht mit dem Vorrecht, sich dieser Ornatstücke bedienen
zu dürfen, zu beglücken brauchen.
Woher Zar Theodor die Mitra genommen, sagt der Bericht, den ein
Augenzeuge des Vorganges hinterlassen hat, nicht; doch kann es wohl kaum
zweifelhaft sein, daß er sie aus dem griechischen Ritus herüberholte. Denn
von dort stammten ja auch der Sakkos und die magna cappa, d. i. der tj.avd6ag,
die er dem neukreierten Patriarchen als Auszeichnung verlieh. Zudem war
es ja das Bestreben des Zaren, diesen in allem dem Patriarchen von Kon-
stantinopel gleichzustellen. Daß aber bei letzterem bereits eine Mitra in
Gebrauch war, beweist der Umstand, daß sich unter den Geschenken, welche
Patriarch Jeremias IL für seine Gefügigkeit bei Errichtung des russischen
Patriarchats erhielt, sich auch eine kostbare, mit Perlen, Steinen und Bild-
werk reichgeschmückte Mitra befand. Ja es bekamen für die Feier der
Proklamation des Patriarchen Job selbst die Bischöfe, welche die Begleitung
des Patriarchen von Konstantinopel bildeten, kostbare Mitren3.
Gregors dar. Eine Abbildung bei Roh. VI,
pl. CDLXVII.
1 Gretseri etGoariNotaeadCodinilibrum
de officialibus c. 16: Mitra non utuntur epi-
scopi graeci in sacrificiis , sed aperto capite
totam liturgiam perficiunt. . . . Diximus,
Graecos non celebrare operto capite excepto
patriarcba Alexandrino et pauculis aliis
(Mg. 157, 184 186).
2 Arsenii Elas. episc. descriptio itineris in
Moscoviam liabiti a Ieremia II. patr. Constant.
(Wiclimann, Kleinere Schriften zur Kennt-
nis des russischen Reiches I, Berlin 1820,
83) : Primatum super ' ceteros episcopos ad
te spectare declarat maiestas mea edicitque
u t in posterum admirandum saccum
gestes mitramque ac magnam cap-
pa m atque per omnia imperii regna patriar-
cba renuntieris.
3 Ebd. I 79 116.
492 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Über die Form, welche die Mitra zur Zeit ihrer Einführung im russischen
Ritus hatte, gibt eine noch erhaltene Mitra des Patriarchen Job Aufschluß 1.
Sie stellt eine runde, oben abgeflachte Mütze dar, die am Eand ringsum mit
einem weißen Pelzbesatz, darüber mit einer Inschrift in Perlen und noch
höher mit einem aus Halbfiguren sich zusammensetzenden Fries geschmückt
ist. Die Mitte nimmt der Heiland ein ; rechts und links schließen sich Maria .
und St Johannes der Täufer an; dann folgen Heilige (Apostel). Die Umrisse
der Bilder sind in Perlen, die Gewänder und Fleischteile in Seidenstickerei
hergestellt. Auf dem Deckel der Mitra ist in einem von Perlen gebildeten
Medaillon Maria mit dem Jesuskind in gleicher Technik wie die Halbfiguren
an den Seiten zur Darstellung gekommen. Das Medaillon ist von einer in
Perlen auf blauem Grund gestickten Inschrift umrahmt. Das Ganze ist eine
ebenso interessante wie kostbare Arbeit.
Die Mitra des Patriarchen Job hat noch nicht ganz die Form, welche
der griechischen Mitra gegenwärtig eigen ist. Noch fehlt ihr der untere
Reifen samt den Bügeln und dem Kreuz auf der Spitze. Dagegen weisen
eine Anzahl überaus kostbarer und prunkvoller, mit Gold, Edelsteinen, Perlen
und Emails förmlich überladener Mitren des Patriarchen Nikon (seit 1652),
des anfangs so mächtigen, bald aher elend gestürzten Günstlings des Zaren
Alexis, zumeist Geschenke eben dieses Zaren, bereits in allem die jetzt ge-
bräuchliche Form auf2.
Ursprünglich im russisch-griechischen Ritus nur dem Patriarchen eigen,
blieb die Mitra nicht lange dessen ausschließliches Vorrecht. Schon eine Ver-
ordnung über den liturgischen Ornat vom Jahre 1675 3 rechnet sie auch zur
Ausstattung der russischen Erzbischöfe und Bischöfe. Sie muß also zwischen
den Jahren 1589 und 1675 bei diesen in Gebrauch gekommen, spätestens
aber ihnen 1675 durch den angeführten Erlaß zuerkannt worden sein. Weit
früher als im griechischen tritt in einigen andern orientalischen Riten eine
liturgische Kopfbedeckung auf.
Daß im syrischen Ritus bereits im 13. Jahrhundert eine solche
Verwendung fand, bekunden die Miniaturen eines aus dem Jahre 1239
stammenden syrischen Pontifikale der Pariser Nationalbibliothek (Bild 216,
S. 51; 112, S. 238). Sie stellen die Vornahme der Weihen dar und zeigen
uns die Bischöfe bei ihren Funktionen mit bedecktem Haupte. Die Kopf-
bedeckung besteht indessen nicht in einer Mitra oder in einer der Mitra ähn-
lichen Mütze. Sie hat vielmehr die Form einer über den Kopf gezogenen
Kapuze und ist über der Stirn mit einem Kreuze geschmückt. Es ist dieselbe
Kopfbedeckung, die uns wiederholt bei abendländischen Mönchen auf süd-
italischen, der Frühe unseres Jahrtausends angehörigen Miniaturen begegnet.
Der Umstand, daß sie auf den Darstellungen des Pontifikale nur bei Bischöfen
auftritt, läßt keinen Zweifel, daß sie nur ihnen zustand.
Die Kopfbedeckung, von der uns die Miniaturen des syrischen Pontifikale
ein so anschauliches Bild gewähren, besteht noch jetzt, wenn auch ihrem
1 Abbildung in Antiquites de l'empire de den, so ist das ganz bestimmt irrig. Das pl. c ab-
Russie pl. lxxxv. Eine ähnliche Mitra ebd. gebildete Muster des Kaselstoffes allein schon
pl. cxvin. Sie wird samt einer Stola, einer genügt, um daran keinen Zweifel zu lassen.
Kasel, einem Omophorion und liturgischen - Abbildung ebd. pl. lxxxvi lxxxvii
Stauchen einem Bischof Nicetas (12. Jahrh ) zu- lxxxviii lxxxix xc xci.
geschrieben, dürfte aber wie diese dem Beginn 3 Philaret, Geschichte der Kirche Rufi-
des 17. Jahrhunderts angehören. Wenn die Ge- lands (deutsch von Blumenthal, 1872)
wänder in das 12. Jahrhundert versetzt wer- II 109.
Drittes Kapitel. Die Mitra. 493
früheren Zwecke entfremdet. Es ist die Macnafta, von der bei Besprechung des
Amikts die Rede war. Es ist nicht schwer, in ihr die ursprüngliche kapuzen-
artige Kopfbedeckung wiederzuerkennen. Man braucht sie nur über den Kopf zu
ziehen, statt auf dem Nacken ruhen zu lassen, um eine Kopfhülle zu erhalten,
wie sie uns auf den Miniaturen des erwähnten syrischen Pontifikale entgegentritt.
Was seinen Ursprung anlangt, scheint das Ornatstück von der Mönchs-
kapuze herzukommen. Die Bischöfe wurden aus dem Kreise der Mönche
genommen. Es mochte sich daher der Gedanke nahe legen, denselben als
Bischöfen, und zwar insbesondere für die liturgischen Funktionen, ein Gewand-
stück zu belassen, durch welches sie äußerlich als das gekennzeichnet wurden,
was sie auch noch als Bischöfe waren, als Mönche.
Noch fast ein Jahrhundert früher als für den syrischen Ritus läßt sich
für den armenischen der Gebrauch einer Kopfbedeckung beim Gottesdienst
nachweisen. Unter den Vorwürfen nämlich, welche der vom Schisma zur
katholischen Kirche zurückgekehrte armenische Katholikos Isaak seinen Lands-
leuten macht, befindet sich auch der, daß die Bischöfe und Hegumenen (Kloster-
vorsteher) nicht nur bedeckten Hauptes, sondern selbst mit doppelter Kopf-
bedeckung die heiligen Geheimnisse feierten1. Sie setzen, sagt Isaak, über
dem gewöhnlichen noch ein zweites Kamelaukion auf oder ziehen, wie es in
einer kürzeren Rezension heißt, über ihre Kopfbedeckung noch eine Kapuze.
Wie aus Isaaks Schrift ebenfalls hervorgeht, wurde bei den Armeniern
vielfach eine besondere liturgische Kleidung ganz vernachlässigt2. Die Bischöfe
und Klostervorsteher hielten die Liturgie sehr gewöhnlich in ihrer Alltags-,
d. i. der Mönchstracht. Denn auch die Bischöfe pflegten wie die Vartapeds
(Lehrer), aus denen sie meist genommen wurden, obwohl nicht eigentlich
Mönche, doch häufig in den Klöstern zu wohnen. Die beiden Kopfbedeckungen,
deren man sich nach Isaak bei der Messe bediente, dürften also wohl ein
Stück der Mönchsgewandung gewesen sein.
Es ist nicht schwer, in der jetzigen liturgischen Kleidung des armenischen
Ritus die beiden Kopfbedeckungen wiederzufinden, deren Verwendung Isaak
tadelt. Die eine ist die Saghavart genannte Mitra der Priester und Archi-
diakone, die andere das Vakas heißende Schultertuch, jetzt eine Art Amikts,
einst aber sonder Zweifel nichts als die Kapuze oder der Kopfschleier, von
welcher der armenische Katholikos spricht. Die moderne römische Form der
Mitra, wie sie jetzt bei den armenischen Bischöfen üblich ist, mag sich um
das Ende des 16. oder den Beginn des 17. Jahrhunderts infolge des lebhaften
Verkehrs, welcher damals zwischen Rom und den Armeniern bestand, ein-
gebürgert haben. Dagegen ist die abendländische Form der armenischen
bischöflichen Mitra überhaupt weit älter. Sie kam schon im Beginn des
13. Jahrhunderts bei den Armeniern in Gebrauch. 1203 schickte nämlich
Innozenz III. durch seinen Kardinallegaten Petrus von Capua dem armenischen
Katholikos und 24 Bischöfen Mitra und Hirtenstab, wobei er von ihnen das
Versprechen der Treue gegen den römischen Stuhl entgegennahm 3. Die nächste
Veranlassung zur Übersendung der Mitra war ein Schreiben des Erzbischofs
von Sisum, in welchem derselbe den Papst um Mitra, Ring und Pallium bat i.
1 Oratio II adversus Armenosc. 29 (Mg. 132, stolicae sedis legatus . .. Armeno catholico
1235). Eine kürzere Rezension ebd. I 657. et XXIV episcopis mitras et baculum . . .
2 S. oben S. 98, Anm. 4. tribuit pastoralem, recipiens ab eo debitam
8 Sicardi Crem, episc. chron. (M. 213, 535): ö. Romae ecclesiae fldelitatem.
Eodem anno magister Petrus cardinalis apo- ' Innocent. III. Epp. 1. 5. n. 47 (M.214,1018).
494 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Von einer sakralen Kopfbedeckung des chaldäischen (nestorianischen)
Ritus redet schon im 12. Jahrhundert das „Buch der Väter" und bereits im
10., wie es scheint, Georg von Arbela. Dieselbe wird hier wie dort maaphra
genannt, während sie bei späteren Schriftstellern biruna heißt K Über ihre
Verwendung sagt das „Buch der Väter", daß sie nicht getragen wurde
während des Opferaktes und der Verlesung des Evangeliums. Wie die
syrische Macnafta und der armenische Vakas mag auch die Maaphra (Biruna)
von dem Mönchsschleier herzuleiten sein.
Sehr früh läßt sich eine liturgische Kopfbedeckung beim Patriarchen von
Alexandrien nachweisen. Die älteste schriftliche Nachricht über dieselbe
entstammt allerdings erst der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Es ist
Balsamon, der uns von ihr berichtet2. Daß sie indessen schon eine geraume
Weile früher beim Patriarchen in Gebrauch war, beweist eine Miniatur des
Menologiums Basilius' IL, auf welcher die hll. Athanasius und Cyrillus außer
mit der gewöhnlichen liturgischen Gewandung auch mit einer mützenartigen
Kopfbedeckung ausgezeichnet sind. Sie muß also schon um das Ende des
10. Jahrhunderts eine bekannte und anerkannte Eigentümlichkeit des alexan-
drinischen Patriarchen gewesen sein.
Nach Balsamon soll Papst Cölestin dem hl. Cyrillus von Alexandrien die
Mitra verliehen haben, als er ihn an seiner Stelle mit der Leitung des Konzils
zu Ephesus betraute. Das ist jedoch nur eine Fabel. Zu Cölestins Zeit gab
es zu Rom noch keine Mitra, und darum konnte der Papst unmöglich Cyrillus
mit dem Vorrecht auszeichnen, als sein Vertreter sich ihrer zu bedienen.
Balsamon glaubt freilich, es habe der Papst damals wirklich schon die Mitra
getragen. Denn die falsche Konstantinische Schenkung, kraft deren Konstantin
Silvester I. auch den pileus phrygius gewährt, ist für ihn noch eine wirk-
liche Tatsache.
Die Ansicht Balsamons scheint vielfach im Orient geteilt worden zu
sein. Es erwähnen dieselbe z. B. auch Nicephorus Callistus3 und Simeon
von Saloniki. Andern aber mochte es bedenklich vorkommen, die Mitra
der alexandrinischen Patriarchen auf eine Verleihung durch den römischen Papst
zurückzuführen. Sie zogen es daher vor, das Vorrecht des alexandrinischen
Patriarchen in einer andern, freilich recht sonderbaren Weise zu erklären.
Sie sagten, es habe sich Cyrillus von einer Synode wegen Schwächlichkeit
die Erlaubnis erteilen lassen, die Mitra zu tragen. Simeon von Saloniki, der
beider Ansichten gedenkt, hält es seinerseits für wahrscheinlicher, daß der
Hinblick auf den jüdischen Hohenpriester für die Patriarchen Alexandriens
Anlaß gewesen sei, die Mitra in Gebrauch zu nehmen4.
Wie es sich aber auch mit dem Ursprung der Mitra des alexandrinischen
Patriarchen verhalten mag, jedenfalls hat sie bei diesem bereits eine gute
Zeit vor dem Ende des 1. Jahrtausends Verwendung gefunden. Es ist dem-
nach eine liturgische Mitra zu Alexandrien früher als zu Rom zur Ver-
wendung gekommen ; ob jedoch auch eher als die schon im Beginn des 8. Jahr-
hunderts nachweisbare außerliturgische Kopfbedeckung des Papstes, aus der
um die Wende des Jahrtausends die liturgische Mitra des Abendlandes hervor-
1 La Science catholique 1890, 450. Vgl. 3 Hist. eccl. 1. 14, c. 34 (Mg. 146, 1169).
ferner oben S. 50. 4 Resp. ad Gabr. Pentapol. qu. 20 (Mg. 155,
2 Meditata c. 2 (Mg. 138, 1048). Vgl. auch 871). Wer anders denke, möge wenigstens,
die Scholien Balsamons zum Nomokanon des sagt er, in der Mitra das Symbol der Dornen-
Photius (Mg. 104, 1083). kröne und des heiligen Schweißtuches sehen.
Drittes Kapitel. Die Mitra. 495
ging, muß dahingestellt bleiben. Es fehlt zur Beantwortung dieser Frage
alles Material. Die Mitra blieb auch in der Folge im koptischen Ritus stets ein
privilegiertes Ornatstück des Patriarchen.
XI. URSPRUNG DER MITRA.
Die Zeit, zu der in Rom die Mitra in Gebrauch kam, läßt sich zwar
nicht genau, doch immerhin annähernd bestimmen. Da dieselbe bis ins
10. Jahrhundert hinein noch nicht zum Sakralornat der römischen Kirche
gehörte und es anderseits bereits vor der Mitte des 11. Jahrhunderts bei
Papst und Kardinälen Sitte Avar, sich des Ornatstücks beim Gottesdienst zu
bedienen, wird dessen Einführung wohl zwischen ca 900 und 1000 liegen.
Daß sich von dem Ereignis keine Kunde erhalten hat, kann nicht auffallen.
Die Zeit war damals gar stürmisch; ein folgenschweres Ereignis drängte
das andere; Rom selbst war der Schauplatz zahlreicher Parteikämpfe und
blutiger Fehden ; die Griechen machten Schwierigkeiten über Schwierigkeiten,
die Mißstände im Klerus und die Ausschreitungen der weltlichen Großen
waren schreiend: Tage wiederholten sich, wie sie kaum schlimmer eine frühere
Zeit gesehen; was war gegenüber solchen Verhältnissen die Ingebrauchnahme
einer liturgischen Kopfbedeckung, zumal wenn dieselbe nicht mit einem Schlag,
sondern allmählich erfolgte? Der Ereignisse, denen gegenüber ein solches
Vorkommnis verschwinden mußte, waren zu viele und zu wichtige.
Wie ist es aber zur Einführung des pontifikalen Kopfschmuckes ge-
kommen? Hat etwa der Hinblick auf die sakrale Kopfbedeckung der alt-
testamentlichen Priester den Anstoß dazu gegeben?
Selbstverständlich ist diese Frage nicht von einer unmittelbaren Herüber-
nahme der Mitra des mosaischen Kultus zu verstehen, da ja die pontifikale Mitra
erst um die Wende des ersten Jahrtausends aufkam. Sie kann nur den Sinn
haben, die Erinnerung an den hohenpriesterlichen Kopfbund des aaronitischen
Opferdienstes habe damals die Ingebrauchnahme der Mitra veranlaßt. Allein
auch so dürfte die Frage zu verneinen sein.
Es liegt nichts vor, woraus sich eine solche späte Ableitung unseres
Ornatstückes von dem entsprechenden Gewandstück des mosaischen Kultus
erschließen ließe. Insbesondere findet sich in den Bullen, in denen die Päpste
Bischöfen oder Äbten das Recht verleihen, die Mitra zu tragen, absolut keine
Spur, welche zu Gunsten einer solchen Auffassung spräche. Sehr zu be-
achten ist auch , daß die römische Mitra im Gegensatz zur Sitte des Alten
Bundes, wonach alle Priester eine sakrale Kopfbedeckung trugen, stets mü-
der hohen und höchsten Geistlichkeit zukam.
Allerdings behaupten einige Liturgiker des 12. Jahrhunderts, Honorius
von Autun, Robertus Paululus und Sicardus, es sei die Mitra dem mosaischen
Gesetze entnommen. Est assumpta a lege, so Honorius bzw. Sicardus; ex
usu legis, so Robertus. Doch erhellt aus ihren Worten weder, wie sie sich
deren Ableitung von der Miznephet denken, ob mittelbar oder unmittelbar,
noch führen sie einen Grund für ihre Behauptung an. Bekannt ist auch, wie
es um die historische Kritik der Liturgiker des 12. und 13. Jahrhunderts
bestellt gewesen ist. Was sie sagen, ist daher ohne allen Belang. Man ist
leicht geneigt, aus aprioristischen Gründen an eine Beeinflussung der christ-
lichen Sakralkleidung durch diejenige des Gesetzes zu denken. Wer sich aber
eingehender mit der Geschichte unserer liturgischen Gewänder beschäftigt,
496 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
dem kann es nicht entgehen, daß selbst eine bloß mittelbare Einwirkung auf
die Entwicklung der neutestamentlicheu Kultgewandung nur in sehr geringem
Maße und fast nur in Nebensächlichkeiten stattfand.
Aber auch aus den Riten des Ostens kann die Mitra nicht herüber-
genommen worden sein. Es bedarf das nach dem, was früher über das Auf-
treten der Mitra daselbst gesagt wurde, keines weiteren Beweises. Höchstens
könnte eine Ableitung der römischen Mitra von derjenigen des alexandrinischen
Patriarchen in Frage kommen, allein die völlige Bedeutungslosigkeit, in welche
das Patriarchat von Alexandria gegen Ende des ersten Jahrtausends versunken
war, und der Mangel aller näheren Beziehung zwischen Rom und ihm in
jener Zeit schließen den Gedanken an solche Herübernahme völlig aus. Wie
sollte auch die römische Kirche noch um die Wende des Jahrtausends einem
orientalischen Ritus die Mitra entlehnt haben? Für ein solches Vorgehen war
es nicht mehr die Zeit. Schon gingen der Osten und der Westen in litur-
gischen Dingen ganz und gar getrennte Wege.
Die richtige Erklärung des Ursprunges der römischen Mitra wird durch
die Erwägung nahegelegt, daß nachweislich alle übrigen Kultgewänder auf
die außerliturgische Tracht zurückzuführen sind1, so die Albe, das Cingulum,
der Manipel, die Stola, die Kasel usw. Es wird sich also ohne Zweifel ebenso
mit der Mitra verhalten. Wirklich glauben wir unsere Finger auf das Ornat-
stück legen zu können, von welchem dieselbe herstammen dürfte. Es ist
das camelaucum, auch frigium (phrygium) und regnum genannt, d. i. eine
auszeichnende Kopfbedeckung, deren sich der Papst außerhalb der Kirche bei
feierlichen Aufzügen zu bedienen pflegte.
Dieselbe muß wenigstens schon im 8. Jahrhundert bei ihm in Gebrauch
gewesen sein. Es erhellt das klar aus dem Constitutum Constantini, der
sog. Konstantinischen Schenkung2.
Der Kaiser habe, so lesen wir darin, Silvester I. außer andern kaiser-
lichen Insignien und Vorrechten auch die Krone und das frigium verliehen.
Die erstere habe sich der Papst Silvester anzunehmen geweigert, da er über
seiner Tonsur, die er zu Ehren des hl. Petrus trage, eine goldene Krone nicht
habe tragen mögen; das frigium habe Konstantin jedoch mit eigenen Händen ihm
auf das Haupt gesetzt und dabei bestimmt, es sollten sich sowohl Silvester
wie alle seine Nachfolger desselben bei den Aufzügen (in processionibus)
in Nachahmung der kaiserlichen Würde bedienen.
Hätte der Papst zur Zeit, da die Fälschung entstand, das frigium ent-
weder noch gar nicht oder doch nur erst seit kurzem getragen, so hätte ihr
Verfasser unmöglich den Kaiser dasselbe Silvester I. zum Gebrauch für ihn
selbst wie für seine Nachfolger schenken lassen können.
In der Tat erzählt das Papstbuch in der Vita Konstantins (708 — 715),
es habe derselbe bei seinem feierlichen Einzüge in Konstantinopel das came-
laucum getragen, womit er in Rom aufzuziehen gewohnt sei (cum camelauco,
ut solitus est Roma procedere)3, d. i. eine kegel- oder mützenartige Kopf-
1 Über die Beziehungen der alttestament- Kopfbedeckung bedeutet, vgl. D. C. sub phry-
lichen Sakralkleidung zu der liturgischen Ge- gium VI 306. Wenn in der Rezension des
wandung des christlichen Kultus vgl. die Constitutum bei Hinschius einmal pallium
diesbezüglichen Ausführungen in Nr I des frigium statt frigium (phrygium) steht, so
Sehlußkapitels. ist entweder bloß frigium oder richtiger
2 Hinschius, Decret. Pseudoisid. 253. pileum frigium zu lesen.
Über das frigium, das hier eine mützenartige 3 Du eh. , L. P. 1 390.
Drittes Kapitel. Die Mitra.
497
bedeckung ; denn das verstand man unter dem camelaucum, auch camelaucium
und mit Vertauschung der Konsonanten calamaucum, calamacum und ähnlich
genannt. Super caput gestat pileum (der jüdische Priester) in modum parvuli
calamaci aut cassidis, sagt ßufm in seiner Übersetzung der Altertümer des
Josephus Flavius 1.
Der 9. Ordo Mabillons bezeugt den Gebrauch des Ornatstückes, hier
regnum genannt, für den Zug, der nach der Papstweihe stattfand. Es setze,
so gibt er an, der Marschall dem Papst nach seiner Konsekration das regnum
auf das Haupt, bevor dieser das Roß besteige, um von St Peter heimzuziehen 2.
Auf den päpstlichen Münzen erscheint das camelaucum (frigium, regnum)
zuerst bei Sergius III. (904 — 91 1) und dann wieder bei Benedikt VII. (974—983) 3.
Das Ornatstück war, wie der Name camelaucum besagt4, eine Art von
Mütze. Der 9. Ordo bemerkt bezüglich seiner Form und Beschaffenheit, das
päpstliche regnum sehe einem Helme ähnlich und werde aus weißem Zeug
angefertigt. Auch aus der sog. Konstantinischen Schenkung vernehmen wir,
daß es von weißer Farbe war. Auf den Münzen der Päpste Benedikt und
Sergius hat es die Gestalt eines kegelförmigen, mit Besatzstreifen gezierten
Hutes. Alles in allem gewährt es ein Bild, wie es uns ähnlich in der ältesten
Form der Mitra entgegentritt.
Wie wird sich aber die Mitra aus der auszeichnenden Kopfbedeckung,
mit welcher der Papst bei seinen Aufzügen geschmückt war, gebildet haben?
Nun, dadurch, daß dieser im Verlauf des 10. Jahrtausends dazu überging,
das Ornatstück nicht mehr bloß in processionibus , sondern auch bei dem
an diese sich anschließenden Gottesdienste zu tragen. Ob dabei schon sofort
irgend ein äußerer Unterschied zwischen der liturgischen und außerliturgischen
Kopfbedeckung eingeführt wurde, ist zweifelhaft. Jedenfalls kann derselbe
anfangs nicht bedeutend gewesen sein. Die ältesten Abbildungen der Mitra,
wie sie sich z. B. auf Miniaturen des Exultctrotels von Bari, des Taufrotels da-
selbst und einer Kanonessammlung der vatikanischen Bibliothek finden 5, lassen
noch keine formelle Verschiedenheit der Mitra und des päpstlichen außer-
liturgischen Kopfschmuckes erkennen.
Ein entschieden wahrnehmbarer Unterschied zwischen beiden Ornatstücken
trat auf, als die Mitra im Laufe des 12. Jahrhunderts ihre ursprüngliche
1 L. 3, c. 11 (ed. Colon. 1524) ; f. 29 ; aus
Rufinus bei Betla, De tabernaculo 1. 3, c. 8
(M. 91, 481). Über camelaucum vgl. auch
D. C. sub camelaucum II 44 und Dissert.
sur l'bistoire de St-Louis (ebd. IX 82). Im
sermo Theodors von Trimithus auf den hl. Jo-
hannes Chrysostomus erscheint xaßyXauxiov
als eine Art von Bauernmütze (n. 11 [Mg.
47, 63]). Vgl. auch Theophan., Chronogr.
ad 472 544 "761 (ed. Bonn. 1839) I 198 354
687. Noch jetzt heißt die mützenartige
klerikale Kopfbedeckung im griechischen
Ritus xaßijXaüxtov. In der Form camaurum
(ital. camauro) hat sich der Name camelau-
cum erhalten als Bezeichnung einer rot-
samtenen , mit weißem Pelz umrandeten,
außerliturgischen Kopfbedeckung des Papstes,
die bis ins 19. Jahrhundert gebräuchlich blieb,
dann aber dem weißen päpstlichen Pileolus
weichen mußte.
Braun, Die liturgische Gewandung.
2 N. 6 (M. 78, 1007). Küsters (Studien
zu Mabillons Ordines 36 ff) schreibt den
Abschnitt des 9. Ordo, worin von dem Re-
gnum die Rede ist, dem 11. Jahrhundert zu.
Unter dem Leo nämlich, welcher in den in
jenem Passus angeführten Laudes genannt
wird : Dominus Leo papa, quem S. Petrus
elegit, in sua sede multis annis sedere, ver-
steht er Leo IX., nicht wie andere Leo III.
oder Leo IV. Küsters' Auffassung ist jedoch
schon darum allein unhaltbar, weil der frag-
liche Abschnitt bereits in Handschriften aus
der Zeit vor Leo IX. vorkommt. Ob über-
haupt der Name Leo in jenen Laudes auf
einen bestimmten Papst zu beziehen und ob
er nicht vielmehr bloß typisch ist?
3 Promis, Monete dei Rom. Pont., Torino
1858, tav. 7, 1 2; tav. 9, 12.
4 Vgl. vorhin Anm. 1.
5 S. oben S. 448 und 450.
32
498 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Kegelform allmählich verlor und zunächst mit Bauschen, dann aber mit
Hörnern versehen wurde, während das regnum seine Kegelgestalt beibehielt.
Trefflich tritt die formelle Verschiedenheit beider auf den Miniaturen des
Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg (f 1195) zu Tage. Die Mitra
der Bischöfe hat bereits cornua erhalten, welche über Stirn und Hinterkopf
aufsteigen, dagegen besteht die Kopfbedeckung des Papstes aus einem hohen,
kegelförmigen Hut. Nur zu Benevent behielt die Mitra die ursprüngliche
Form bis ins 16. Jahrhundert bei, d. i. bis Paul II. den ferneren Gebrauch
den Erzbischöfen von Benevent untersagte *.
VIERTES KAPITEL.
TIARA, PILEOLUS, BIRETT.
I. DIE TIARA.
Im Anschluß an die Mitra empfiehlt es sich, die Geschichte von noch
drei weiteren Kopfbedeckungen kurz zu behandeln, der Tiara, des Biretts
und des Pileolus. Die Tiara ist kein liturgischer Ornat. Sie steht indessen
zur Mitra in so inniger Beziehung, daß diese es zur Genüge rechtfertigt,
wenn wir mit einigen Zügen den Entwicklungsgang des so hochbedeutsamen
Ornatstückes zeichnen. Dazu kommt, daß ursprünglich, wie es scheint, in
Bezug auf die Form von Mitra und Tiara entweder gar kein oder doch kein
erheblicher Unterschied bestand.
Birett und Pileolus können, ja müssen zu den liturgischen Gewändern
im weiteren Sinne gezählt werden. Denn wenn sie auch außerhalb der
liturgischen Funktionen zur Verwendung kommen, so wird doch anderseits,
und zwar auf Grund kirchlicher Bestimmungen, nicht minder bei gottesdienst-
lichen Verrichtungen von ihnen Gebrauch gemacht2.
Die Tiara. In der Entwicklung der Tiara lassen sich drei Haupt-
phasen unterscheiden. Die erste geht bis zu dem Zeitpunkte, da sie mit
einem Kronreifen verbunden wird, die zweite reicht bis zur Einführung dreier
Kronen, die letzte von da bis zur Gegenwart. Über die erste Periode wurde
schon bei der Besprechung des Ursprungs der Mitra das Nötige gesagt. Es
war die Tiara, wie aus der Konstantinischen Schenkung hervorgeht, in dieser
Zeit lediglich eine helmartige, aus weißem Stoff gemachte Mütze.
Wann die zweite Periode angehoben hat, d. h. wann zu dieser Mütze ein
Kronreifen hinzukam, läßt sich nicht genau bestimmen. Man hat behauptet,
es habe der Papst bereits zur Zeit des Hormisdas eine Krone getragen und
1 Sarneil i, Memorie cron. dei vescovi ed
arcivescovi di Benevento, Napoli 1690, 141.
Die Mitra hieß zu Benevent camaurum. So
schreibt Hugo, Erzbischof von Benevent, im
Jahr 1374: Nos pro nostra ecclesia Bene-
ventana prae ceteris ecclesiis metropolitanis
maiori, digniori et praecellenti regno sive
thiara ad modum summi pontificis utimur,
quod hie camaurum vocatur (Barbier de
Montault, Oeuvres compl. III 265).
2 Die ziemlich, reichhaltige altere Literatur
über die Tiara ist zum großen Teil ohne
Bedeutung. Wir verzeichnen von ihr nur :
Vettori, II fiorino d'oro antico illustrato,
Florenz 1738, 28 ff; Marangoni, Chrono-
logia Romanorum pontificum, Rom 1751, 72 ff;
Garampi, lllustrazione di un antico sigillo
della Garfagnana, Rom 1759, 89 ff. Dazu in
neuerer Zeit M o r. LXXXI 29 ff ; Bock 11
158 ff; He f., Beitr. II 236 ff; Roh. VIII
137 und Müntz, La tiare pontificale du
VI1IC au XVIC siecle, in Mömoires de l'Aca-
demie des Inscriptions et Belles-Letti-es
XXXVI (1898) 235 ff, die beste, auf ein-
gehendem Studium der Monumente und
schriftlichen Quellen beruhende Arbeit.
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, Birett. 499
sich dafür auf das regnum berufen, das Chlodwig damals dem hl. Petrus als
Weihegabe sandte *. Alllein es handelt sich um ein Mißverständnis. Das
fragliche regnum war nicht eine Papstkrone oder auch nur, wie Hefele meint,
eine Fürstenkrone, sondern eine jener Weihekronen, die man in den Kirchen
um den Altar aufzuhängen pflegte.
Es ist selbst unsicher, ob schon im 9. Jahrhundert die Papstmütze mit
einem Kronreifen versehen war. Eine Stelle in der Biographie Nikolaus' I.
(856 — 861), auf die man sich zum Beweise dafür berufen hat, spricht nicht
von einer Krönung des Papstes, sondern von einer Bekränzung der Stadt2.
Aber auch der 9. Ordo, der, wie es scheint, aus der Zeit Leos IV., jedenfalls
aber aus dem 9. Jahrhundert stammt, läßt die Sache unentschieden, trotzdem
er die Kopfbedeckung, welche ihm zufolge dem Papst nach seiner Kon-
sekration vor dem feierlichen Heimritt vom Marschall aufgesetzt wurde, regnum
nennt3. Denn wenn auch die Bezeichnung regnum an sich den Gedanken an
einen Kronreifen nahe legt, so ist es doch merkwürdig, daß die Beschreibung,
welche der Ordo von dem Kopfschmuck gibt, diesen lediglich als eine aus
weißem Zeug gemachte helmartige Mütze hinstellt. Nicht die geringste An-
deutung eines Kronreifens.
Im Beginn des 12. Jahrhunderts war zur Papstmütze die Krone unzweifel-
haft schon hinzugekommen. Denn um diese Zeit unterscheidet nicht nur Bruno
von Segni bestimmt zwischen der Mitra und dem Regnum und noch klarer der
12. römische Ordo zwischen der Mitra und der Corona des Papstes4, sondern es
beschreibt auch Suger von St-Denis das Phrygium, welches Innozenz II. 1180 am
Osterfest beim Zug zur Abteikirche getragen hatte, als phrygium imperiale instar
galeae circulo aureo circumdatum, d.i. als eine helmförmige, von einem goldenen
Reifen umgebene Kopfbedeckung 5. Es muß also der Kronreifen spätestens im
Verlauf des 11. Jahrhunderts zum päpstlichen Camelaucum hinzugekommen sein.
Die Bildwerke lassen uns in Bezug auf die Bestimmung des Zeitpunktes,
zu dem sich der Kronreifen einbürgerte, vollständig im Stich. Es gibt nicht
nur äußerst wenige Monumente aus dem 10. und 11. Jahrhundert, auf denen die
Tiara zur Abbildung gekommen ist, es bleibt obendrein auf allen diesen
Darstellungen unentschieden, ob der Zierstreifen, der sich um den unteren
Rand der auf ihnen sich findenden Tiara zieht, ein Band oder ein Kronreifen
sein soll, ja ob es sich bei der Kopfbedeckung, die uns auf einigen von ihnen
begegnet, überhaupt um eine Tiara und nicht vielmehr um die Mitra handelt.
Die Bildwerke, welche hier in Betracht kommen, wurden schon anderswo
gelegentlich erwähnt. Es sind für das 10. Jahrhundert Münzen Sergius' III.
(904—911) und Benedikts VII. (974—983). Auf beiden ist es der hl. Petrus,
nicht der Papst, welcher mit einer Spitzmütze dargestellt erscheint. Die
Monumente des 11. Jahrhunderts beschränken sich auf eine Miniatur des
Exultetrotels von Bari (Bild 247, S. 500) und eine Federzeichnung in der schon
früher erwähnten Konziliensammlung' der Vaticana6.
1 Duch , L. P. I 271. Papstkrone. Daß aber diese und nicht die Mitra
2 Ebd. II 152. 3 N. 6 (M. 78, 1007). gemeintist, erhellt aus dem coronatus auf S. 297.
1 N. 45 46 (ebd. 1045). 6 Vat. lat. 1389. Die Miniatur stellt einen
5 Vita Ludov. Grossi c. 21 (M. 186, 1331). Papst inmitten von Bischöfen dar. Vielleicht,
Vgl. auch die von Zeitgenossen geschriebene daß auch auf den Fresken in der Unterkirche
Vita Paschalis II. bei Duch., L. P. II 296. von S. demente zu Rom (Abbildungen bei
Hier wird das regnum thyara genannt, viel- Roh. VII, dlxxv und Wilp. , Cap. p. 80) die
leicht das früheste bekannte Beispiel für den Kopfbedeckung des Papstes die Tiara und
Gebrauch des Wortes zur Bezeichnung der nicht die Mitra (s. oben S. 450) darstellt.
32*
500 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Auf keinen Fall kann der Kronreifen vor dem 9. Jahrhundert zum
päpstlichen Camelaucum hinzugefügt worden sein. Denn so hoch auch das
Ansehen sein mochte, in dem die Päpste damals standen, und so bedeutend
auch ihr Einfluß in Rom und Italien, ja im ganzen Abendland bereits war,
noch waren sie keine Fürsten, noch keine eigentlichen Landesherren. Aber
auch nachdem für den Kirchenstaat durch die Krönung Karls und die Er-
eignisse der nachfolgenden Jahre die Geburtsstunde geschlagen hatte, war
für die Päpste noch nicht sofort die Zeit gekommen, sich mit allen Zeichen
der Souveränität zu umgeben. Erst mußte sich der neue Stand der Dinge
klären und befestigen. Vielleicht, daß es unter den Wirren, welche das 9. und
10. Jahrhundert Rom brachten, und unter den damaligen entsetzlichen Partei-
kämpfen, bei welchen die weltliche Herrschaft des Papstes eine Zeitlang
wieder zu Grunde ging, noch bis gegen das 11. Jahrhundert dauerte, ehe die
Päpste ihrem Phrygium die Krone hinzufügten. Es ist
darum auch wohl nicht ohne Grund, wenn der 9. Ordo
noch nicht von einer Krönung des Papstes redet,
wie die späteren Ordines es tun. Nur insofern kommt
die neue Ordnung der Dinge bei ihm zum Ausdruck,
als er der landesherrlichen Stellung des Papstes ent-
sprechend die weiße, helmartige Mütze, die der Mar-
schall vor den Stufen von St Peter diesem nach dessen
Konsekration aufsetzte, regnum nennt. Ob übrigens
das Aufkommen der liturgischen Mitra so ganz ohne
Einfluß auf die Einführung der Kronreifens geblieben
sein sollte? Seitdem das Camelaucum auch als liturgi-
scher Kopfschmuck des Papstes zu dienen begann und
dann bald in gleicher Eigenschaft sich bei den Kardi-
nälen einbürgerte, lag es doch sicher sehr nahe, dasselbe,
soweit es als Abzeichen der weltlichen Machtstellung
des Papstes gebraucht wurde, mit dem Symbol zeit-
licher Herrschaft, einem Kronreifen, zu versehen, um
so das Camelaucum im Sinne des Regnum von dem
Camelaucum im Sinne der Mitra äußerlich zu unter-
scheiden.
Die Tiara blieb eine hohe, zuckerhutförmige , um den unteren Rand
herum mit einem edelsteingeschmückten Goldreifen verzierte Mütze bis zum
Beginn des 14. Jahrhunderts. Es gibt eine namhafte Anzahl von Bild-
werken des 12. und 13. Jahrhunderts, auf denen sie zur Darstellung ge-
kommen ist. Auf einzelnen Monumenten ist an Stelle des Reifens eine Zacken-
krone angebracht, so z. B. bei der Grabfigur Honorius' IV. in S. Maria in
Araceli zu Rom, der Grabstatue Benedikts XL in S. Domenico zu Perugia,
der Figur Nikolaus' IV. auf dem Apsismosaik der Laterankirche, dem Bilde
Innozenz' III., auf dem Fresko Giottos „St Francisci Predigt vor Innozenz III."
in der Oberkirche von S. Francesco zu Assisi, der Figur Bonifatius" VIII.,
auf dem Giottoschen Freskenfragment „Die Verkündigung des Jubiläums" in
der Laterankirche u. a. Diese Zackenkrone tritt jedoch erst gegen Ende des
13. Jahrhunderts auf den Bildwerken auf. Die Figur Innozenz' IV. auf dem
Fresko am Grabmale des 1256 gestorbenen Kardinals Wilhelm Fieschi in
S. Lorenzo fuori le Mura trägt noch eine Tiara mit bloßem Reifen. Dasselbe
ist mit den Darstellungen Silvesters I. auf dem um dieselbe Zeit entstandenen
Bild 247. Papst. Miniatur
eines Exultetrotels. Bari.
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, Birett.
501
Zyklus von Bildern aus der Silvesterlegende in der Kapelle des Heiligen bei
der Kirche der SS. Quattro Coronati der Fall.
Auch außerhalb Italiens wird man vor Ende des 13. Jahrhunderts keine
Zackenkrone an der päpstlichen Tiara finden. Wie im Hortus deliciarum der
Herrad von Landsberg, so erscheint diese z. B. auch bei den Papstfiguren
an den Portalen der Kathedralen von Reims und Chartres lediglich mit einem
schlichten Reifen ausgestattet.
Beispiele eines früheren Auftretens der Zackenkrone an der Tiara sind
uns weder in Italien noch außerhalb Italiens bekannt geworden. Die Grab-
platte Lucius' III. (1181 — 1185) im Dom zu Verona, auf der sie uns be-
gegnet, entstammt der Zeit des Neubaues des Domes, d. i. dem 14. Jahr-
hundert. Ein Relief in den vatikanischen Grotten , auf dem Nikolaus III.
(1277 — 1280) mit einer Tiara dargestellt ist, welche unten ein mit Blumen
statt bloßer Zacken versehener Reifen umgibt, ist eine Schöpfung des 14. Jahr-
hunderts, eine Stiftung des Kardinals Rai-
nald Orsini (f 1374). Die bei Ciampini sich
findende Abbildung des Apsismosaiks der
früheren St Peterskirche , auf der Inno-
zenz III. (1198 — 1216) eine Tiara mit Zacken-
krone trägt, ist, wie alles Detail bei Ciam-
pini, absolut unzuverlässig. Ein Fresko in
Subiaco, welches ihn mit einer derartigen
Tiara darstellt, ist erst im 14. Jahrhundert
entstanden x.
Merkwürdigerweise erhielt sich die ein-
fache Zackenkrone auf den Bildwerken noch
lange, nachdem die dreikronige Tiara in Ge-
brauch gekommen war, und zwar nicht bloß
außerhalb Italiens , sondern auch in Italien,
ja nicht allzufern von Rom. So findet sie sich
z. B. noch bei Papst Gregor auf einer der
Bronzetüren im Dom zu Florenz, einer Schöp-
fung des Luca della Robbia aus der Mitte
des 15. Jahrhunderts (Bild 248), von Bildwerken aus dem 14. Jahrhundert
ganz zu schweigen.
Wann das Regnum mit Behängen (caudae, lemnisci, infulae) versehen
worden ist, ob schon in der ersten Phase seiner Entwicklung oder erst im
zweiten Stadium derselben, läßt sich nicht feststellen. Jedenfalls war es im
13. Jahrhundert Brauch, solche an dem Regnum anzubringen. Wir gewahren
sie deutlich auf einem Fresko der Silvesterkapelle an der Tiara Silvesters,
auf dem Apsismosaik in der Laterankirche an der Tiara Nikolaus' IV. (1288
Bild 248. St Gregor d. Gr.
Von der Bronzetiire des Luca
della Robbia. Florenz, Dom.
1 Eine Initiale der Register Innozenz' III.
stellt den Papst mit einer Tiara dar , an
deren Reifen in der Mitte und an den Seiten
eine Art von aufrecht stehendem Blatt an-
gebracht ist. Das Register stammt aus dem
Beginn des 13. Jahrhunderts. Abbildung der
Miniatur bei Pitra, Nova analecta I. Es ist
bei Miniaturen nicht immer möglich, sicher
festzustellen, was der Phantasie des Künst-
lers zuzuschreiben ist und was der Wirk-
lichkeit entspricht. Im vorliegenden Fall
kann es aber nicht zweifelhaft sein , daß
die Verzierung lediglich auf Rechnung des
Künstlers zu setzen ist. Wenn Johannes XXI.
(1276 — 1277) auf seinem Grabmal im Dom
zu Viterbo eine Tiara mit drei Kronen auf
dem Kopfe hat, so ist zu bemerken , daß
die Figur des Papstes nicht aus dem 13. Jahr-
hundert , sondern erst aus weit späterer
Zeit stammt.
502 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
bis 1292), auf dem Passadenmosaik von S. Maria Maggiore bei Papst Liberius
und dem Apsismosaik derselben Kirche bei Papst Nikolaus IV. Auf den drei
letzten Monumenten sind die Behänge auffallenderweise von schwarzer Farbe.
Daß solches jedoch wirklichen Brauch wiedergibt, beweist das Inventar
Bonifaz' VIII. vom Jahre 1295, wo sich in der Tat caudae nigrae cum VIII
esmaltis pro qualibet verzeichnet finden. Die Behänge weisen noch selbst
auf dem Fresko Fra Angelicos in der Kapelle Nikolaus' IV., welches die Weihe
des hl. Laurentius darstellt, eine schwarze Farbe auf. Wirklich bekundet die
Beschreibung einer von Pius II. stammenden Tiara in einem Inventar des Domes
zu Siena von 1467, daß sie noch im 15. Jahrhundert schwarz waren.
Auffällig ist, daß bei einer großen Zahl von Bildwerken die Tiara ein
Flechtwerk darstellt. Es ist das wohl kaum anders als durch die An-
nahme zu erklären, daß die Tiara in der Tat im 13. Jahrhundert aus Bändern
geflochten worden sei. Treffliche Beispiele liefern ein Fresko in der St Silvester-
kapelle bei der Kirche der SS. Quattro
Coronati zu Rom, die Grabfiguren Ho-
norius' IV. (1285—1287) in der Kirche
Araceli, Benedikts XI. in S. Domenico
zu Perugia, Gregors X. im Dom zu
Arezzo, die Statuette Gregors d. Gr. am
Prachtsarkophag des hl. Petrus Martyr
in S. Eustorgio zu Mailand, einer Arbeit
des Giovanni Balduccio aus Pisa (1339),
der hl. Gregor d. Gr. auf einem Gemälde
Simone Martinis (f 1344) im Museo Ci-
vico zu Pisa und einem Glasgemälde in
der Unterkirche von S. Francesco zu
Assisi, Bonifaz VIII. auf dem Fresko
Giottos in S. Giovanni im Lateran und
manche andere. Das Flechtwerk stellt
bald eine schachbrettartige (Bild 249),
bald eine ähren- oder grätenförmige
Musterung (Bild 250) dar. Selbst im 15. Jahrhundert kommen noch Bild-
werke vor, auf denen die Tiara den Anschein hat, als bestehe sie aus Flecht-
werk. Es sei nur auf das bereits erwähnte Relief der Bronzetür Robbias
im Dom zu Florenz (Bild 248, S. 501) sowie auf eine ähnliche Darstellung
an einer der Bronzetüren des Baptisteriums daselbst hingewiesen. Auch bei
letzterer ist es Gregor d. Gr., der eine Tiara jener Art trägt. Es scheint fast,
als seien geflochtene Tiaren für Abbildungen dieses Papstes typisch geworden.
Eine neue Phase in der Geschichte der Tiara beginnt unter Bonifaz VIII.
(1294 — 1303). Aus einem Inventar des päpstlichen Schatzes vom Jahre 1295,
der bezeichnenderweise nur ein Regnum neben einer großen Anzahl der kost-
barsten Mitren erwähnt , ergibt sich , daß damals die Tiara nur erst mit
einem circulus versehen war. Es dauerte aber nicht lange, bis es anders
wurde, und zwar lassen die Statuen Bonifaz' VIII. in der Laterankirche
und der Krypta von St Peter keinen Zweifel, daß schon unter ihm die Tiara
mit zwei Kronen versehen wurde.
Es gibt eine auffallend große Zahl von Statuen Bonifaz' VIII. Alle sind zu
Lebzeiten des Papstes angefertigt worden. Eine Ausnahme macht nicht einmal die
Grabfigur desselben auf seinem Sarkophag in den Grotten der Peterskirche, da selbst
Bild 249. St Silvester. Fresko.
Eom, SS. Quattro Coronati (Kapelle des lil. Silvester).
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, Birett.
503
diese aller Wahrscheinlichkeit nach noch vor dem Tode Bonifaz' ausgeführt worden ist.
Von jenen Statuen befindet sich je eine im Dom zu Florenz, im Museum zu Bologna,
an der Seitenfront der Kathedrale von Anagni und in der Laterankirche zu Bom, je
zwei zu Orvieto und in den vatikanischen Grotten. Zu diesen plastischen Darstellungen
kommt noch das von Giotto gemalte Bild des Papstes auf dem früher erwähnten
Fresko in S. Giovanni im Lateran.
Von besonderer Wichtigkeit sind die drei aus den letzten Lebenstagen des
Papstes stammenden Statuen in der Krypta von St Peter und in der Laterankirche.
Während nämlich das Fresko Giottos, die von Manno 1301 aus getriebenem und ver-
goldetem Kupfer angefertigte Statue zu Bologna, die beiden Statuen zu Orvieto und
die imposante sitzende Figur Bonifaz' VIII. im Dom zu Florenz uns diesen mit ein-
kroniger Tiara geschmückt zeigen, ist seine Tiara bei den drei Statuen in St Peter
und St Johann mit zwei Kronen ausgestattet '.
Die drei Bilder stammen unzweifelhaft aus einer Werkstätte, wenn nicht von
ein und derselben Hand. Die beiden Figuren in der Krypta von St Peter hatten ihren
Platz ehedem an dem Altarbau, den Bonifaz VIII. kurz vor seinem Tode durch Arnulf
von Cambio 2 zu Ehren seines Vorgängers, des hl. Bonifaz IV., hatte aufführen lassen.
Derselbe bestand aus einem auf Säulen ruhenden, an der
Eingangswand von St Peter sich erhebenden Baldachin,
unter dem ein Altar zu Ehren des Titelheiligen errichtet
war. Die Grabfigur Bonifaz' VIII. befand sich oberhalb
der Altarmensa auf einem aus der Wand hervortretenden
Sarkophag. Ein darüber angebrachtes Mosaik, das leider
verloren gegangen ist, zeigte den Papst kniend vor dem
hl. Petrus, der Mutter Gottes mit dem Kinde vorgestellt 3.
Ist der Abbildung der Darstellung bei Ciampini zu trauen,
so trug Bonifaz auch auf diesem Mosaik eine zweikronige
Tiara nach Art derjenigen der Grabstatue. Die segnende
Halbfigur des Papstes muß oberhalb der Verdachung unter
dem dort angebrachten Baldachin gestanden haben. Die
Statue im Lateran stellt den Papst kniend dar (Bild 18, S. 54).
Man hat freilich in dem oberen Reifen, mit dem bei
den drei Statuen die Tiara Bonifaz' VIII. geschmückt ist,
ein bloßes Ornament sehen wollen. Indessen darf eine
solche Auffassung ohne Bedenken als nicht zutreffend be-
zeichnet werden. An sich könnte der zweite Beifen aller-
dings vom Künstler lediglich als Dekoration gedacht sein,
und das ist doch das allein Bichtige — die Form der Tiara, wie sie bei den frag-
lichen Statuen auftritt, im Zusammenhang mit der zeitlich unmittelbar folgenden Ent-
wicklung des päpstlichen Regnum und insbesondere mit einer zehn Jahre später
datierenden Notiz des Inventars des päpstlichen Schatzes, wonach damals die Tiara
bereits drei circuli aufwies, dann läßt sich kaum verkennen, daß jener obere gleich-
falls mit Blättern geschmückte Beifen ebenfalls eine wirkliche Krone und nicht eine
bloße, von der Phantasie des Künstlers eingegebene Verzierung darstellen sollte.
Bild 250. Tiara der Grab-
statue Benedikts XI.
Perugia, S. Domenico.
Betrachtet man aber -
1 Man gibt die Statue Bonifaz' VIII. in der
Laterankirche gewöhnlich als dieNikolaus'IV.
aus, und so bezeichnen sie denn auch Roh.
(VIII 139), M üntz (La tiare pontificale du
VIII0 au XVI9 siecle, in Memoires de l'Aca-
demie des Inscriptions et Belles-Lettres
XXXVI [1898] 264) und Goyau, P6rate
und Fabre, Der Vatikan (Einsiedeln 1898)
450 u. a. Diese Zuweisung ist indessen un-
zutreffend. Ein Vergleich der Statue mit
derjenigen Bonifaz' VIII. in Florenz und den
beiden Statuen in den vatikanischen Grotten
bekundet deutlich, daß wir in ihr gleichfalls
Bonifaz VIII. vor uns haben. Tatsächlich
galt auch noch im 17. Jahrhundert die Figur
als die Bonifaz' VIII. Vgl. Ciacon., Vitae
Pontif. II, Romae 1677, 315, wo sich Ab-
bildungen fast aller Statuen des Papstes finden.
2 Ciampini, De sacrisaedif., Romae 1747,
c. 4, sect. 5, n. 47. Vgl. auch Vasari (Le
vite II, Florenz 1878, 278).
3 Ciampini a. a. 0. und tab. 19 20.
504 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Die drei Statuen, welche — was wohl zu beachten ist — unter den Augen
des Papstes entstanden, und von denen wenigstens zwei in dessen Auftrage ' angefertigt
wurden, lassen demnach keinen vernünftigen Zweifel daran, daß die 1295 erst mit
einem .circulus" geschmückte Tiara des päpstlichen Schatzes noch unter Bonifaz VIII.
um einen zweiten Eeifen bereichert wurde -.
Was hat Bonifaz VIII. zu dieser Neuerung veranlaßt? War es der Wechsel
des Stiles? wie Müntz meint. Wohl nicht, denn was hatte der Stilwechsel in der
Kunst mit den Keifen der Tiara zu tun? War es vielleicht Prunkliebe, welche den
Papst dazu führte? Möglich, denn Bonifaz VIII. war ein prachtliebender Fürst.
Man sehe nur das Inventar seines Schatzes von 1295 ein mit der darin verzeichneten
Unmenge der kostbarsten Geräte und herrlichsten Paramente 3. Immerhin mögen aber
auch noch Erwägungen anderer Art ihn zur Einführung der doppelgekrönten Tiara ge-
bracht haben. Man hat in der Doppelkrone, mit welcher Bonifaz dieselbe schmückte,
einen Ausdruck der Anschauungen des Papstes über die Doppelgewalt des Papsttums
erblicken wollen. Läßt sich auch eine solche Annahme nicht mit Sicherheit beweisen,
so kann man ihr doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit wohl kaum absprechen.
Die erste Nachricht von drei Kronreifen bringt ein aus dem Jahre 1315
oder 1316 datierendes Inventar des päpstlichen Schatzes. Es heißt darin von
dem Regnum, das Benedikt XL mit sich nach Perugia genommen hatte und
das von hier nach Lyon gebracht und dort bei der Krönung Klemens1 V. ge-
braucht worden war: Item unam coronam, quae vocatur regnum, cum tribus
circulis aureis, und : Item Corona, quae dicitur regnum sive thyara, cum tribus
circulis aureis4. Zu den beiden Reifen, mit welchen die Tiara am Ende des
Pontiflkates Bonifaz' VIII. versehen war, hatte sich also entweder schon unter
Benedikt XL oder doch wenigstens unter Klemens V. ein dritter gesellt. Ob
freilich damals bereits alle drei circuli wie später mit Blättern verziert waren,
muß dahingestellt bleiben; denn die Angaben des Inventars lassen das nicht
erkennen. Indessen ist solches ja auch von keinem wesentlichen Belang.
Auf den Grabmonumenten der Päpste scheint die dreikronige Tiara erst bei
Benedikt XII. (1334 — 1342) zur Darstellung gekommen zu sein. Benedikt XI.
(1303 — 1304) trägt auf seinem Grabmal in S. Domenico in Perugia ein mit nur einer
Zackenkrone versehenes Eegnum alten Stiles. Die Grabstatue Klemens' V. zu Uzeste
(Gironde) wurde von den Calvinisten zu sehr verstümmelt, als daß sie über die Form
der Tiara des Papstes Aufschluß geben könnte 5. Johannes XXII. war auf seinem
1 Eine der Anschuldigungen du Plessis
gegen Bonifaz VIII. war: Fecit imagines
suas argenteas erigi in ecclesia per hoc ho-
mines adidolatriaminducens. Bullaeus, Hist.
univers. IV 42 ff; H e f . , Concilien VI 356.
2 Man hat gemeint , es habe die Tiara
bereits im 11. Jahrhundert zwei Kronen
besessen. Man bezog sich dabei auf die
Notiz bei Benzo von Alba (M. G. SS. XI
672) : Prandellus (Hildebrand) habe Niko-
laus III. eine Corona regalis aufgesetzt, auf
deren unterem Ring man die Worte gelesen :
Corona regni de manu Dei, auf dem oberen
aber : Diadema eiusdem imperii de manu
Petri. Es ist kein Zweifel, daß diese An-
gabe nichts ist als eine der vielen von
Schmähsucht und Parteigeist eingegebenen
Lügen , von denen die Schrift selbst nach
dem Urteil sonst dem Papsttum und der
Kirche nicht gerade wohlgesinnter Histo-
riker wimmelt (vgl. z. B. Wattenbach,
Geschichtsquellen II 202). Wie unbegründet
sie ist, ergibt sich klar aus dem Zeugnis der
Monumente , nach denen erst unter Boni-
faz VIII. zwei Kronen an der Tiara vor-
kommen. Es ist auffallend, daß man je den
Worten Benzos irgendwelchen Wert hat bei-
messen können.
3 Es ist uns kein Inventar aus dem Mittel-
alter bekannt, welches sich an Menge und
Kostbarkeit der darin verzeichneten Gegen-
stände mit demjenigen des päpstlichen Stuhles
unter Bonifaz VIII. im entferntesten messen
könnte.
J E h r 1 e , Der konstantinische Schatz, in
„Archiv für Literatur und Kirchengeschichte"
IV 195, Anm. 4.
6 Eine Statue Klemens' V. am Nordportal
der Kathedrale zu Bordeaux, bei welcher die
Tiara drei Kronen hat, ist zwar keine Arbeit
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, Birett.
50£
Grabmal mit einem doppelkronigen Eegnum geschmückt. Das Monument ist leider
nicht mehr erhalten, doch gibt es glücklicherweise noch eine Abbildung des Kopfes
der Grabstatue des Papstes aus der Zeit vor der Zerstörung '.
Von Benedikt XII. sind zwei Statuen vorhanden. Die eine, ein Kniestück, be-
findet sich in der Krypta von St Peter. Sie war ehedem in der alten Kirche an der
Eingangswand über dem Armenseelenaltar angebracht und — vielleicht noch zu Leb-
zeiten des Papstes — von den Kanonikern zum Dank für die vom Papste dem Kapitel
erwiesenen Wohltaten errichtet worden 2. Die Tiara, welche hier nur zwei Kronreifen
aufweist, hat große Ähnlichkeit mit der Tiara der Grabstatuen Bonifaz' VIII. Sie
scheint fast deren Nachbildung zu sein. Die zweite Statue befand sich auf dem Grabmal
des Papstes in der Kathedrale zu Avignon. Die Beste
derselben birgt jetzt das Museum daselbst. Die Tiara
ist hier in aller wünschenswerten Klarheit mit drei
Kronreifen versehen (Bild 251) 3.
Von Benedikt XII. an tritt das Begnum regelmäßig
auf den Grabmonumenten der Päpste in der Form des
Triregnum auf, so bei den Grabfiguren Klemens' VI.
(1342—1352) zu La Chaise-Dieu 4, Innozenz' VI. (1352 bis
1362) zu Villeneuve-les-Avignon 5 usw. Die Bildung der
an den Beifen angebrachten Blätter, die bald kreuzförmig,
bald lilienartig, bald weinblattähnlich sind, und sonsti-
ges nebensächliche Detail wechselt, in der Hauptsache
aber herrscht von Benedikt XII. an volle Übereinstim-
mung in Bezug auf Gestalt der Tiara.
Bild 251. Fragment der Grab-
statue Benedikts XII. Avignon,
Museum. (Nach Rohault de Fleury.)
Eine Ausnahme macht nur die Grabfigur Urbans VI.
in den vatikanischen Grotten, welche eine einkronige
Tiara trägt. Es scheint indessen, daß die Grabplatte
einem älteren Papstsarkophage entnommen wurde. Denn
auf den Eeliefs der Vorderseite ist der Papst der Zeit durchaus entsprechend mit dem
Triregnum ausgestattet. Auch die Tiara, welche rechts und links vom Mittelrelief über
dem Wappen Urbans VI. angebracht ist, weist die gewöhnliche Form auf.
aus jüngerer Zeit, wie man gemeint hat
— ihr Stil und ihre Beschaffenheit gestatten
eine solche Annahme nicht — , sie stammt
aber ebensowenig aus der Zeit Klemens" V.
Vgl. über die Statue namentlich Revue 1896,
453 ff und Müntz, La tiare pontificale du
VIII0 au XVP siecle, in Memoires de l'Aca-
demie des Inscriptions et Belles-Lettres
XXXVI 275 ff.
1 Garampi, Illustrazione di im antico
sigillo della Garfagnana, Roma 1759, tav.III, 1.
2 Ciampini, De sacris aedif. c. 4, sect. 5,
n. 48 und tav. 18 A.
3 Abbildung bei Roh. VIII, pl. dclxix,
wonach die Abbildung im Text; das Frag-
ment wird von Rohault als vom Grabmal
Urbans V. herrührend bezeichnet; so auch
Müntz, La tiare pontificale du VHP au
XVI6 siecle a. a. O. XXXVI 282; jedoch mit
Unrecht. Der Kopf stammt vom Grabmal Bene-
dikts XII. Urban V. wurde nur für wenige
Monate provisorisch in der Kathedrale zu
Avignon beigesetzt , um dann nach St-
Victor zu Marseille übergeführt zu werden,
wo ihm ein prächtiges Grabmonument er-
richtet wurde. Wie aber die Abbildung des-
selben bei den Bollandisten (A. SS. Propyl.
Maii 93**) beweist , war der Papst darauf
gegen die Gewohnheit statt mit der Tiara mit
der Mitra dargestellt. Vgl. auch K o t li e n,
Notice sur la crypte de l'abbaye St-Victor-
lez-Marseille , Marseille 1864, pl. v, p. 80.
Die Papstfigur, die sich bei Rohault de
Fleury findet, kann also nicht Urban V., sondern
nur Benedikt XII. wiedergeben. Eine ältere
Abbildung bei Garampi a. a. 0. tav. IV 2.
4 Abbildung unten Bild 253, S. 509. Der
größte Teil des Kopfes ist zwar eine spätere
Restauration , veranlaßt durch die Schäden,
welche die Figur bei der Schändung des
Grabes durch die Calvinisten erlitt; doch ist
von dem ursprünglichen Triregnum noch
genug erhalten, um deutlich die drei Kronen
erkennen zu können (Roh. VIIT 142).
6 Abbildung in Revue 1892, 281 und
Garampi a. a. 0. tav. IV, 3 (hier unkorrekt
ohne Bart). Urban V. trug, wie vorhin
bemerkt wurde, auf seinem Grabmonument
statt der Tiara die Mitra. Die silberne Büste
des hl. Petrus in S. Giovanni im Lateran,
welche Urban V. 1369 anfertigen ließ, ist
mit einem dreikronigen Regnum ausgestattet.
506 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Daß die Grabstatuen der Päpste nicht sofort, nachdem die Inventare
ausdrücklich drei circuli verzeichnen, ebenfalls deren drei an der Tiara auf-
weisen, mag von verschiedenen Ursachen herkommen. Der Hauptgrund aber
war wohl, dafä die drei Kronreifen, welche rasch, wie über Nacht, und
dazu ganz geräuschlos gekommen waren, noch nicht die Bedeutung hatten,
welche sie später besaßen, und in den Ideen der Zeit und der Künstler noch
nicht heimisch geworden waren. Erst mußte sich zeigen, daß sie nicht eine
vorübergehende Mode waren, erst mußten sie für die Papstkrone typisch
werden, ehe sie gleichsam Anspruch darauf erheben konnten, bei den Papst-
statuen dargestellt zu werden. Es hieße den Gang der Entwicklung völlig
verkennen, Avollte man die drei Kronreifen um dieselbe Zeit, da in den Inven-
taren von ihnen zum erstenmal die Rede ist, auch schon auf den Grabmälern
der Päpste erwarten.
Von dem oberen Abschlüsse der Tiara läßt sich aus den Papststatuen
kein sicheres Bild gewinnen, da manche derselben an ihren oberen Enden
stark verletzt sind. Nach dem Inventar von 1295 war das damalige Regnum
an der Spitze von einem mächtigen Rubin bekrönt. Der Stein ging bei Gelegen-
heit der Krönung Klemens" V. zu Lyon verloren. Als nämlich nach der Feier der
Papst in prächtigem Reiterzug durch die Straßen zog, stürzte eine Mauer
ein, die in ihrem Falle das Roß des Papstes und diesen selbst samt seiner
Tiara mit sich zu Boden riß. Dabei brach der Rubin, der auf 6000 Gold-
gulden geschätzt wurde, los und verschwand auf Nimmerwiedersehen 1. Die
Grabfigur Bonifaz' VIII. trägt einen dicken, büschelartigen Abschluß. Auf
den Grabstatuen der Päpste des 15. Jahrhunderts endet das Triregnum in
einem Knauf von recht mäßigen Verhältnissen 2. Ein Kreuz als Abschluß der
Tiara findet sich niemals auf den mittelalterlichen Papstmonumenten.
Die Geschichte der Tiara bietet seit dem Mittelalter nichts Bemerkens-
wertes. Die hauptsächlichste Veränderung, welche mit ihr seit dieser Zeit
vor sich geht, besteht in ihrer immer mehr zunehmenden Ausbauchung.
Ein Kreuzchen finden wir schon auf dem Triregnum Julius' IL
Die Bedeutung, welche das Regnum hatte, mußte naturgemäß dazu
führen, demselben eine entsprechende Ausstattung zu teil werden zu lassen.
Es hat damit nicht gedauert, bis die Tiara die Form des Triregnum er-
halten hatte. Man lese nur die Beschreibung, welche das Inventar des päpst-
lichen Schatzes vom Jahre 1295 von der Tiara macht. Befanden sich doch
1 Duch., L. P. II 473; Mur., SS. III 673
und Regesta Avenion. Ioannis XXII. tav. 43,
f. 258», bei Ehrl e, Archiv IV 195.
2 Wir haben bei unserer Darstellung der
Entstehung des Triregnum nur auf die Grab-
male* der Päpste Bezug genommen, nicht
auf Miniaturen und sonstige Darstellungen.
Wenn hier Monumente von Wert sind, so
sind es unstreitig die Grabfiguren der Päpste.
Geben die Tiaren darauf auch keine absoluten
Kopien der Papsttiara wieder, so darf man
sie doch, wo nicht die Umstände das Gegen-
teil beweisen, als im wesentlichen treue
Wiedergaben ansehen. Es herrscht im 14.
und 15. Jahrhundert auf den Monumenten
(Miniaturen, Fresken, Skulpturen) in Be-
zug auf die Form der Tiara ein äußerster
Wirrwarr, wie es bei keinem andern Ornat-
stück der Fall ist. Bald ist sie hoch, bald
niedrig, bald ein spitzer Kegel mit geraden
Seiten, bald ausgebaucht, bald fingerhutför-
mig, jetzt mit einer, dann mit zwei, ein
anderes Mal mit drei Kronen versehen.
Nicht die Wirklichkeit, sondern die Phan-
tasie hat ersichtlich meistens den Pinsel
und den Meißel des Künstlers geleitet. Aller-
dings leicht begreiflich, da es im ganzen
unter den Künstlern nur sehr wenige gegeben
haben wird, welche je eine Tiara persönlich
in Augenschein zu nehmen Gelegenheit hatten.
Die meisten waren auf Beschreibungen oder
Abbildungen angewiesen, bei denen wiederum
nur zu oft die Einbildungskraft eine Rolle
gespielt hatte.
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, Birett.
507
an derselben außer einer Anzahl kleiner Smaragde und Karfunkel sowie vielen
Schmelzen nicht weniger als 66 große Perlen und 165 große Edelsteine,
nämlich 48 Karfunkel und Rubine, 72 Saphire sowie 45 Chrysoprase und
Smaragde. So kostbar indessen auch dieses Regnum war, gegen manche
Tiaren der Folgezeit erscheint es nur wie ein Schatten.
Es würde zu weit führen, auf die verschiedenen prunkvollen Triregna näher
einzugehen, welche das 15. und das 16. Jahrhundert hervorgebracht hat. Paul II. ließ,
um flüchtig ein paar Beispiele anzuführen, zwei Tiaren anfertigen, von denen die eine
180 000, die andere 200 000 Scudi kostete1. Ein von Sixtus IV. dem venetianischen
Goldschmied Bartolomeo di Tommaso in Arbeit gegebenes Triregnum wurde auf
110 000 Dukaten geschätzt2. Das kostbarste schuf aber der Mailänder Juwelier
Caradossa im Auftrage Julius' IL Es hatte einen Wert von 200 000 Dukaten =
ca 800000 Mk (Bild 252) 3. Die Inschrift
am unteren Eande, welche Julius II. als
den Schöpfer und das 7. Jahr seiner Ee-
gierung als die Entstehungszeit des Ornat-
stückes bezeichnete, war aus lauter Dia-
manten hergestellt. Unter solchen Um-
ständen begreift man , warum die Päpste
wiederholt gerade die Tiara bei Geld-
anleihen als Pfand gaben. Hatten dieselben
ja nicht bloß einen ideellen, sondern auch
einen enormen materiellen Wert.
Von allen diesen mehr prunk-
haften als wahrhaft schönen, mehr
kostbaren als eigentlich kunstvollen
Tiaren ist keine mehr vorhanden. Die
von Paul II. und Sixtus IV. geschaffe-
nen Triregna gingen bei dem berüch-
tigten Sacco Roms 1527 zu Grunde.
Damit sie nicht in die Gewalt der mit
einer Barbarei sondergleichen plündern-
den Horden gerieten, ließ Klemens VII.
die Perlen und Edelsteine derselben
durch Cellini ausbrechen und das Gold
einschmelzen *. Die Tiara Julius' IL ent-
ging damals der Zerstörung, vielleicht, weil sie gerade in Pfand gegeben war.
Im Jahre 1789 wurde sie auf Befehl Pius' VI. einer kostspieligen, durch-
greifenden Restauration unterzogen. Allein schon nach wenigen Jahren ver-
fiel sie einem ähnlichen Geschick wie einst die Tiaren Pauls IL und Sixtus' IV.
Um die gewaltigen Kriegskosten bezahlen zu können, welche im Frieden von
Tolentino Napoleon im Namen der Republik dem Papst aufgezwungen, sah
sich dieser genötigt, das Triregnum Julius' IL zerlegen zu lassen und die Edel-
steine, die Perlen und das Gold zur Bezahlung der Schuld zu verwenden, ein
tragisches Ende der Tiara, das gewiß Julius IL nicht vorausgesehen hatte.
Übrigens war die Tiara des Mediceers es nicht allein, die damals einem so
traurigen Untergang geweiht wurde; dieselbe teilte ihr Los mit den kaum
Bild 252. Tiara Julius' II. Nach dem Stich
von Bartoli. Paris, Ecole des Beaux-Arts.
1 Mor. LXXXI 52. Müntz, Les arts ä
la cour des Papes II 148; Vita Pauli IL:
Mur., SS. III 2, 1009.
- Müntz, La tiare pontificale du VHP au
XVIe siecle, a. a. O. 296, und Les arts a la
cour des Papes III 30 243 259 260.
3 Müntz, La tiare pontif., a. a. O. 303 ff.
i Cellini, Benv.,Vite 138: Flor. 1866,84.
508 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
weniger kostbaren Triregna, welche Paul III., Klemens VIII. und Urban VIII.
hatten anfertigen lassen und die durch Pius VI. gleichfalls unter gewaltigen
Kosten waren erneuert worden t. Von all der Herrlichkeit ist nur ein Smaragd
von 440*4 Karat übrig geblieben, den Gregor XIII. der Tiara Julius' II. hinzu-
gefügt hatte. Derselbe kam 1798 durch die Kommissionäre der französischen
Regierung nach Paris, wo er bis 1805 im naturgeschichtlichen Museum blieb.
Dann nahm ihn Napoleon aus diesem heraus und ließ ihn an der Tiara an-
bringen, die er Pius VII. schenkte. 1809 entriß General Rodet dem Papst
Tiara und Smaragd wieder, doch wurden 1814 beide zurückgestellt.
Über den Ursprung der Tiara hat man mancherlei Vermutungen auf-
gestellt. Die einen haben sie als Nachbildung der Cidaris des alttestarn ent-
liehen Hohenpriesters ausgegeben, nach andern soll sie ein Gegenstück des
pileus libertatis der römischen Freigelassenen darstellen und vom Papste als
Zeichen, daß die Kirche durch Konstantin die Freiheit erlangt habe, in Ge-
brauch genommen worden sein. Eine dritte Hypothese bringt sie mit dem
Albogalerus der römischen Flamines, Pontifices und Salier in Verbindung,
eine vierte möchte in der Tiara der persischen Könige und Vornehmen das
Vorbild der päpstlichen Tiara suchen und so letztere als eine Art von Import -
aus dem Orient ansehen. Und damit auch die Komik zu ihrem Rechte komme,
hat man unter die Ahnen des päpstlichen Kopfschmuckes sogar den Pileolus auf-
genommen, welcher dem hl. Hieronymus zur Erwärmung seines alten Kopfes von
einem Freunde übersandt wurde und dessen Empfang der Heilige diesem im
85. seiner Briefe dankbarst bescheinigt2: Pileolum textura breve caritate latissi-
mum senili capiti confovendo libenter accepi et muneris auctoris laetatus.
Es hat keinen Zweck, auf diese Hypothesen, von denen die eine ebenso
grundlos ist wie die andere, sich des Näheren einzulassen. Sie sind Luft-
gebilde, weiter nichts. Die Einführung des Camelaucum, des Vorgängers der
späteren Tiara, erklärt sich zur Genüge und ohne Schwierigkeit durch die
bedeutsame Stellung, welche die Päpste im 7. Jahrhundert in Italien und zu-
mal in Rom einnahmen. Waren diese rechtlich und formell auch noch keine
souveräne Herrscher, so standen sie doch tatsächlich und dem Einflüsse nach,
zumal im römischen Dukat, kaum anders, denn als wirkliche Fürsten da. Es war
daher ganz natürlich, daß sie diese ihre Stellung auch äußerlich in ihrer Tracht
und in ihrem Auftreten zum Ausdruck brachten und darum unter andern
Auszeichnungen auch eine ihren Rang kündende Kopfbedeckung annahmen.
Eine Krone oder Diadem konnte das natürlich nicht sein, weil sie nicht sou-
verän waren; sie mußten sich vielmehr, wie andere Leute in ähnlicher hervor-
ragender Stellung, mit einer Mütze, dem weißen Camelaucum, begnügen.
Das Vorbild der Kopfbedeckung, deren frühester Name camelaucum
deutlich auf den byzantinischen Orient hinweist, haben wir wohl in dem
damals tonangebenden Byzanz zu suchen. Müntz hat die Vermutung aus-
gesprochen, daß sich die Ingebrauchnahme des Camelaucum unter einem der
griechischen und syrischen Päpste aus dem Ende des 7. und dem Beginn des
8. Jahrhunderts vollzogen habe. Seine Annahme entbehrt in der Tat nicht
aller Wahrscheinlichkeit; vielleicht sogar, daß es durch denselben Papst zur
Einführung gelangte, bei dem es uns zuerst begegnet, den Syrer Konstantin,
von dem das Papstbuch berichtet, er sei zu Konstantinopel mit dem Came-
laucum auf dem Haupt aufgezogen, wie er es zu Rom zu tun gewohnt sei.
1 Mor. LXXXI 55 ff. Müntz, La tiare pontif., a. a. 0. 2 M. 22, 754.
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, Birett.
509
Vom Grabmal Klemens' VI.
La Chaise-Dieu.
II. DER PILEOLUS.
Unter dem Pileolus versteht man ein klerikales Scheitelkäppchen. Es
heißt auch wohl Calotte, Subbiretum, Submitrale, Soli-Deo und ist bei dem
Papst von weißer, den Kardinälen von roter, den Bischöfen von violetter und
den übrigen Geistlichen, falls nicht ein besonderes Privileg besteht, von
schwarzer Farbe. Der Pileolus gehört nicht zur liturgischen Kleidung.
Wenn wir ihn nichtsdestoweniger
hier einer kurzen Erwähnung würdi-
gen, so geschieht das deshalb, weil
er bei denen, die zum Gebrauch der
Mitra berechtigt sind, eine Art von
Zubehör der Mitra ist und in dieser
Eigenschaft im bischöflichen Caere-
moniale Erwähnung findet. Indessen
kann er natürlich auch nur unter
diesem Gesichtspunkt hier in Betracht
kommen.
Wann der Pileolus als Zubehör Bild 25S-
der Mitra (Tiara) zur Verwendung ge-
langte, läßt sich nicht genau angeben. Im 13. Jahrhundert scheint das, soweit
wenigstens die Monumente entscheidend sind, noch nicht der Fall gewesen
zu sein. Überall bloß die Mitra, nirgends eine Mitra in Verbindung mit dem
Scheitelmützchen. Zugleich mit der Kapuze der Cappa begegnet dieses uns
schon auf dem bekannten Fresko Giottos „St Franziskus von Honorius III."
(Bild 168, S. 354).
Eines der ersten Monumente, wenn nicht das früheste, auf dem der
Pileolus unter der Tiara deutlich erkennbar ist, bildet die Grabfigur Klemens' VI.
(f 1352) zu La Chaise-Dieu
(Bild 253) K Im 15. Jahrhundert
weisen schon genug Skulpturen
und Malereien bei Bischofsdar-
stellungen unter der Mitra die
Scheitelkappe auf, namentlich
solche, die der zweiten Hälfte
desselben entstammen. Manche
Beispiele bieten z. B. die Bi-
schofsmonumente aus jener Zeit,
die uns in den römischen Kir-
chen begegnen (Bild 254). Aber
auch außerhalb Roms kommt bereits der Pileolus im 15. Jahrhundert auf
Bischofsdarstellungen vor.
In den römischen Ordines hören wir zum erstenmal gegen Ende des
14. Jahrhunderts von dem Scheitelmützchen als einem Zubehör der Mitra.
Der Ordo des Kardinals Jakobus Cajetanus kennt es in dieser Eigenschaft
noch nicht2. Wir treffen es darin unter dem Namen biretum nur in Ver-
Bild 254. Vom Grabmal des Kardinals Alarms (f 1474).
Rom, S. Prasseile.
1 Das Scheitelkäppcheri war auch bei der
Grabstatue des Gegenpapstes Klemens' VII.
dargestellt. Abbildung bei Garampi a. a. 0.
tav. IV 4, nach dem Fragment des Kopfes
im Museum zu Avignon in Revue 1896,
454.
2 Vgl. namentlich c. 48 und 53 (M. 78,
1153 1156 ff).
510 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
binduDg mit dem Hut der Kardinäle an1. Zusammen mit der Mitra gebraucht,
erscheint es erst in dem um 1400 entstandenen Ordo des Petrus Amelii2.
Der Pileolus ist auf den Monumenten des 15. und 16. Jahrhunderts
noch nicht das kleine Scheitelkäppchen der Jetztzeit. Es deckt noch den
ganzen Hinterkopf und zieht sich seitlich in Form von mehr oder weniger
breiten Laschen über die Schläfen hinab (Bild 254, S. 509).
Was seine Einführung veranlaßte, ist unbekannt. Wie es scheint, ge-
schah sie, um zu verhindern, daß die Mitra durch etwaigen Schweiß leide.
Man darf nämlich nicht vergessen, daß sich die pontifikale Kopfbedeckung
bereits gegen Ende des 14. Jahrhunderts zu einem recht ungefügen und
schweren Ding entwickelt hatte, das, zumal im warmen Süden, wohl geeignet
war, dem Kopfe reichliche Schweißtropfen zu entlocken. Vielleicht jedoch,
daß auch noch andere Gründe dahin gewirkt haben ; so etwa die Absicht,
die drückende Last der Mitra dem Kopfe weniger fühlbar zu machen oder
ein festeres Sitzen des mittlerweile mächtig emporgestiegenen und dabei gründ-
lich versteiften pontifikalen Kopfschmuckes zu ermöglichen.
Welche Verbreitung der Gebrauch des Submitrale, wie der Pileolus in
den Mailänder Statuten heißt, im 15. Jahrhundert hatte, läßt sich nicht be-
stimmen. Allgemein war er jedenfalls noch nicht, er wurde das erst im
Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts. Nach den Statuten des hl. Karl
Borromäus sollten in der Kathedrale zum Gebrauch für den Bischof vier
subbireta mitralia vorrätig gehalten werden. Dieselben mußten aus Wolle
gemacht und von runder, nicht viereckiger Form sein 3.
III. DAS BIRETT.
Mit mehr Eecht als der Pileolus kann das Birett der liturgischen Ge-
wandung (diese im weiteren Sinne genommen) zugezählt werden. Ist dasselbe
nämlich an sich auch ohne jeden sakralen Charakter und nur klerikale Kopf-
bedeckung, so findet es doch nach der gegenwärtigen Praxis bei den gottes-
dienstlichen Funktionen eine so ausgiebige Verwendung4, daß man es füglich
als Appendix zur liturgischen Kleidung betrachten kann.
Das Birett läßt sich unter dem Namen pileus bis in die Frühe des
12. Jahrhunderts, unter der Bezeichnung infula aber bis zum Ende des 10.
zurückverfolgen5. Im Beginn des 12. ist es Honorius, der uns von ihm Kunde
gibt, um die Wende des 9. eine Urkunde des Erzbischofs Willegis von Mainz
für Aschaffenburg 6. Es erscheint bei Honorius als Kopfbedeckung der Can-
tores, d. i. der offiziellen liturgischen Sänger beim feierlichen Amt und Offi-
1 C. 118 (ebd. 1272).
2 C. 144 (ebd. 1351/: Et ponent in capite
eius biretam albam cum mitra alba.
3 A. B. Med. 627.
4 Am ausgiebigsten erörtert in Linzer
Quartalschrift 1885, 591 ff.
5 Wenn es im Kirchenlexikon II 854 bezüg-
lich des Alters des Biretts heißt : „Die erste Er-
wähnung des Biretts findet sich im 10. Jahr-
hundert bei dem Bericht von der Degradation
eines Bischofs von Gabors durch Johannes XII.
im Jahre 956 , wobei demselben auch das
Birett abgenommen wurde", so liegt hier eine
Verwechslung von Johannes SIL und Jo-
hannes XXII. vor. Obendrein handelte es
sich bei dem fraglichen Vorfall nicht um das
klerikale , sondern , wie der Berichterstatter
Amalrich ausdrücklich hervorhebt, um das
Doktorenbirett: biretosuodoctorali.quum esset
legum doctor. Wenn ferner bei Bon a-Sala
1. 1, c. 24, § 20, app. ; II, 290 zum Beweis, daß
das Birett schon im 10. Jahrhundert in Ge-
brauch war, auf das Chronicon Leodiense (ge-
nauer St Laurentii Leodiensis) verwiesen wird,
so ist zu bemerken, daß an der betreffenden
Stelle von einem biretum nicht im geringsten
die Rede ist, sondern nur von der Cappa.
6 S. oben S. 319.
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, Birett.
511
zium, in der Urkunde für Aschaffenburg aber als eine Art von Auszeichnung
des Präcentor. Derartige Cantorespilei sind auch wohl unter den 6 pileoli
officiariorum zu verstehen, welche ein englisches Inventar aus dem Jahre 1218
neben acht Mitren aufführt '.
Häufiger wird des Biretts erst seit dem 13. Jahrhundert gedacht. Außer
pileus und pileolus führt es jetzt auch den Namen biretum. Was seinen
Charakter aber anlangt, so erscheint es bald bloß als ein Hut bzw. eine Mütze
der Geistlichen im Alltagsleben, bald als eine Kopfbedeckung, deren man sich
statt der Kapuze beim Chorgebet bediente. In ersterer Eigenschaft erscheint
das Birett z. B. in Ruhr. 10 der Synode zu Ravenna von 1314: Capita co-
operiunt pileo vel bireto vel armutia oblonga ad aures2. Als Kopfbedeckung
beim Chorgebet begegnet es uns in den Statuten der Stiftskirche zu Stoke
(England): Utantur omnes in choro nigris pileis ancehuris et nullo modo
capuciis sive capis monstruosis 3 ; in den Statuten des Bischofs Grandisson von
Exeter aus dem Jahre 1337 c. 21 : Debent omnes indui exterius cappis nigris . . .
et in capite pileolis nigris4; in den Bestimmungen der Synode von Sens von
1485 : Horas canonicas dicturi cum tunica talari et superpelliceis mundis ultra
medias tibias longis, non caputia sed almutia vel bireta tenentes in capite5,
und in einer Verordnung der Synode zu Bergamo von 1311: Intersint (sc.
officiis divinis) aut discooperto capite aut cum biretis in capite ad modum
laicorum, capucia non habentes0. Den Benediktinern von St Augustin zu
Canterbury, welche ihren Regeln zufolge unbedeckten Kopfes am Gottesdienst
teilnehmen mußten, gestattete Innozenz IV. 1243, mit Rücksicht auf die Kälte
und die dadurch verursachte Gefahr für die Gesundheit, sich beim Offizium
und der Messe einen pileus aufzusetzen , nur sollten sie ihn beim Absingen
des Evangeliums, bei der Elevation und ähnlichen Gelegenheiten mit Rück-
sicht auf die bei diesen Akten an den Tag zu legende Ehrfurcht abnehmen.
Die gleiche Erlaubnis gab der Papst noch in demselben Jahre den Benedik-
tinern von Winchester7. Mit der Sitte, beim Chorgebet das Birett zu ge-
brauchen, mag es zusammenhängen, daß es Brauch wurde, die Übertragung
eines kirchlichen Benefiziums durch Überreichung des Biretts zu symbolisieren.
Schon um 1300 war diese Art der Investitur mit einer kirchlichen Pfründe
bekannt 8.
Der Unterschied, der zwischen dem Pileolus und dem Birett bestand,
scheint darin gelegen zu haben, daß jener lediglich Nützlichkeitszwecken
1 Bock II 345.
2 Hard. VII 1387.
3 Bock II 345. Ancehura = Scheitelmütze
aus dem mitteil, anca = occipitium, Hinter-
kopf (Graf, Althochdeutscher Sprachschatz,
Berlin 1834, I 345) und hura = Hut, Mütze
(vgl. Gesta Abb. S. Albani ad 1156—1166:
Episcopus assurgens in manu regis per ca-
pitis sui galerum , qui hura dicitur , re-
signavit id iuris quod dicebat se habere
[ed. London 1867, I 156]). S. 344 meint
Bock, es scheine gegen Mitte des 12. Jahr-
hunderts bei gewissen Teilen der heiligen
Messe in einigen englischen Diözesen wenig-
stens von den Bischöfen eine kleine Kopf-
bedeckung in Form eines Pileolus getragen
worden zu sein. Er verweist zum Beleg
dafür auf zwei Vitae des hl. Johannes Becket,
wonach dieser bei seiner Ermordung einen
pileus (pileolus) auf dem Kopfe getragen
habe. Bock hat übersehen , daß die Untat
nicht am Morgen , sondern nachmittags zur
Zeit der Vesper geschah. Die betreffende
Notiz der beiden Vitae bekundet nur, daß
der pileus beim Chorgebet im 12. Jahrhundert
gebraucht wurde.
4 Ebd. 5 C. 1 (Hard IX 1522).
6 Magistretti 35.
7 B e r g e r , Les Registres d'Innocent IV
n. 80 135 (I 19 26). Eine gleiche Erlaubnis
gab Innozenz IV. auch dem Abt und den
München des Benediktinerklosters zu Com-
piegne (D. C. VI 322).
8 D. C. I 663.
512 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hiinde, der Füße u. des Kopfes.
diente und darum auch unter der Mitra und zur Kapuze getragen wurde,
während dieses außer der praktischen Bedeutung den besondern Charakter
einer klerikalen Kopfbedeckung hatte. Übrigens sind Pileolus und Birett
zwei durchaus verwandte Dinge ; kein Wunder also, daß man, solange letzteres
noch eine weiche Mütze und ersterer etwas mehr als ein bloßes Scheitel-
käppchen war, zwischen beiden nicht streng schied und biretum nannte,
was wir heute pileolus nennen würden, und umgekehrt K
Eine sehr frühe Darstellung des Biretts findet sich auf der Grabplatte
Peters von Thure im Dom zu Brandenburg (f 1281). Es stellt hier eine
mittelhohe, runde, seitlich sich etwas ausbauchende, oben aber abgeflachte
Mütze dar, die in der Mitte des Deckels mit einem Knöpfchen versehen ist
(Bild 255). Aus dem 14. Jahrhundert gibt es manche Ab-
bildungen des Biretts. Treffliche Beispiele liefern aus dieser
Zeit das Grabmal des Speierer Dechanten Hartmann von
Landisberg (f 1339) in der Stiftskirche zu Oberwesel, dann
die Grabplatten eines Kanonikus Jakob (f 13 . .), des De-
chanten Joh. Lang (f 1394) und des Kanonikus Leonardus
Zinginger (f 1380) im Kreuzgang des Domes zu Brixen,
ferner die Grabfiguren des Protonotars Bernard Stenbringh
(t 1383), des Propstes John Thoutendorp (f 1380) und des
Propstes Nikolaus Holsten (f 1353) in Heiligkreuz zu Ro-
stock 2 sowie des Propstes Rutger zu Kloster Rühn (f 1367) 3.
Bei den letztgenannten Darstellungen ist auf der Mitte des
Deckels statt eines kleinen Knöpfchens eine kräftige Quaste
angebracht, die besonders auf dem Grabstein Bernard Sten-
bringhs auffällt.
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt das Birett,
das bis dahin ziemlich niedrig war, in die Höhe zu wachsen,
wobei zugleich die oben auf ihm angebrachte Quaste ent-
weder verkümmert oder sich sogar ganz verliert. So bleibt
es bis gegen Ende des Jahrhunderts. Dann hebt jener Um-
bildungsprozeß an, welcher in langsamer, aber steter Ent-
wicklung in seinem letzten Stadium zum modernen Birett
führte. Aus der weichen Rundmütze ist am Ende desselben
eine steife, vierkantige, mit drei oder vier Aufsätzen, die an
Hörner erinnern, versehene Kopfbedeckung geworden, von
der man eigentlich nicht weiß, ob man sie den Mützen oder den Hüten
zuzählen soll.
Die Hauptperiode des Prozesses fällt in das 16. Jahrhundert, das 15.
sieht nur seinen Beginn, das 17. aber braucht bloß der um den Ausgang des
16. im wesentlichen schon fertigen neuen Form ihre letzte Vollendung zu
geben. Schon in der Frühe des 16. Jahrhunderts zeigen sich deutliche Ansätze
zu vier Kanten; um die Mitte desselben scheinen diese schon ziemlich ent-
. iL
Bild 255.
Grabstein Peters
von Thure (f 1281).
Brandenburg, Dom.
(Nach Bergau.)
1 Vgl. z. B. das Statut Grandissons, wo
pileolus im Sinn von Birett, und ordo 14,
c. 118; ordo 15, c. 7 (M. 78, 1272 1276),
wo biretum im Sinne von pileolus gebraucht
ist. Auch in den Statuten von Aix von 1260
(D. C. sub biretum I 664) hat biretum die
Bedeutung einer Untermütze.
2 Abbildung bei Schlie, Die Kunst- und
Geschichtsdenkmiiler des Großherzogtums
Mecklenburg-Schwerin I, Schwerin 1898, 194
197 205. Vgl. auch S. 215 die Grabplatte
des Propstes Ludolf Nygendorp (1406).
3 Ebd. IV 90. Beisp. von 1342, 1345, 1349,
1362 im Kreuzgang des Augsburger Domes.
Viertes Kapitel. Tiara, Pileolus, ßirett.
513
wickelt, im letzten Viertel aber treten sie in voller Klarheit und Bestimmtheit
zu Tage.
Um diese Zeit begegnen wir denn auch verschiedenen Synodalbeschlüssen,
welche darauf dringen, daß die Geistlichen sich des quadratförmigen Biretts
als Kopfbedeckung innerhalb wie außerhalb der Kirche bedienen sollten.
Biretum semper gerant in modum crucis consutum, ut ecclesiasticos homines
decet, bestimmt die Synode von Aix (1585) 1. Pileum quadratum seu biretum
semper gerant in ecclesia et extra ecclesiam, heißt es in den Synodal-
beschlüssen der Synode von Bourges (1584) 2. Clericale biretum, quod est
ecclesiasticorum hominum proprium , ad crucis formam confectam semper
gerant, schreibt 1607 die Synode von Mecheln vor3. Was die Umgestaltung
des Biretts veranlaßte, ist nicht näher anzugeben. Wenn man in den an-
geführten und in andern ähnlichen Verordnungen die Vierkantform mit der
Kreuzesgestalt in Verbindung gebracht findet, könnte sich leicht der Gedanke
aufdrängen, es sei eben diese Symbolik es gewesen, welche den Wandel
herbeigeführt habe. Allein eine solche Vermutung wird durch die Wahr-
nehmung widerlegt, daß die Vierkantform anfangs nur sehr unmerklich und
wie in ihren ersten Keimen auftritt, und daß es eine fferaume Zeit dauert,
10 II 12 13 14 15 16
Bild 256. Übersicht über die Entwicklung des Biretts an Hand der Grabplatten in den Domen
zu Augsburg (A), Bamberg (B), Regensburg (R) und Würzburg (W).
1. A1342; 2. E 1426; 3. E 1460; 4. E 1471; 5. E 1505; 6. E 1550; 7. E 1564; 8. E 160(5?); 9. W 144 (?); 10. B. 1483;
11. W 1493; 12. W 1521; 13. W . . .: 14. W 1565; 15. W 1610; 16. B 1626.
bis sich aus der Rundmütze ein ausgesprochen vierkantiges Birett heraus-
gebildet hat. Immerhin mag die fragliche Symbolik auf die endgültige
Fixierung der Vierkantform, namentlich aber auf ihre Verbreitung nicht ohne
Einfluß geblieben sein.
Da durch die Umgestaltung des Biretts das Aufsetzen und Abnehmen
desselben erschwert worden war, begann man, um dem abzuhelfen, oben an
den Nahtstellen drei oder vier niedrige Erhöhungen anzubringen. Ganz ver-
einzelt begegnen uns solche schon beim Ausgang der 16. Jahrhunderts, doch
werden sie erst seit der Frühe des 17. gewöhnlich. Nur in Spanien bleibt
das Birett ohne diese Hörner. Um das Ende des 16. oder den Beginn des
17. Jahrhunderts kommt es ferner auf, das Birett statt mit einer Einlage aus
steifem Stoff mit einer solchen aus Pappdeckel zu versehen. Das moderne
Birett war damit fertig; seitdem ist es das straff mit Zeug überzogene
Pappdeckelgestell, aus welchem oben drei oder vier bretterartige, schwibbogen-
förmige Aufsätze hervorwachsen, die in der Mitte bei einer Quaste oder einem
kleinen Zipfelchen zusammentreffen. Das 18. Jahrhundert brachte dem Birett
keine weitere Veränderung, als daß es dieses vielenorts zu einem mächtigen
Bau aufwachsen ließ, der an Höhe mit den turmartigen Mitren derselben
Zeit fast die Konkurrenz aufnehmen konnte.
1 C. De vita et honest, cleric. (H a r d.
X 1542).
Braun, Die liturgische Gewandung.
Tit. 25, c. 5 (ebd. 1486).
Tit. 8, c. 4 (ebd. 1958).
33
514 Dritter Abschnitt. Die liturg. Bekleidungsstücke der Hände, der Füße u. des Kopfes.
Eine Illustration zu der ganzen Entwicklung, welche die klerikale Kopf-
bedeckung von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum Ende (ies 16. durch-
gemacht hat, bieten die Grabplatten im Kreuzgang des Domes von Hildes-
heim. Bei Dompropst Ekhard von Hanensee (f 1460) und dem gleichnamigen
Kanonikus (f 1494) ist das Birett noch eine hohe, weiche Mütze, beim Kanonikus
Dietrich von Alten (f 1502) und dem Domvikar Hermann Berkenvelt (f 1519)
macht sich schon die Vierkantform in ihren Anfängen bemerkbar, beim Dom-
kantor Kaspar von Dechau (f 1588) ist dieselbe klar ausgeprägt.
Noch instruktiver bezüglich der Umbildung des Biretts sind die Grab-
platten in den Domen zu Würzburg, Augsburg und Bamberg, sowie im
Dom und in der Alten Kapelle zu Regensburg. Hier treten uns nicht einzelne
Erscheinungen aus dem Verlauf des Prozesses vor die Augen, es läßt sich
dieser hier vielmehr gleichsam Schritt um Schritt verfolgen ; je mehr die Jahre
vorrücken, um so schärfer tritt auch der Umwandlungsprozeß zu Tage, so daß
man in manchen Fällen lediglich aus der Form des Biretts bis auf das Jahr-
zehnt die Entstehungszeit der Grabplatten bestimmen kann (Bild 256, S. 51B).
Der Umbildungsprozeß, welcher sich mit dem Birett im 16. Jahrhundert
vollzog, hat große Ähnlichkeit mit dem Wandel, welcher vier Jahrhunderte
zuvor bei der Mitra vor sich ging. Hier wie dort bildete den Ausgangspunkt
eine weiche Rundmütze, hier wie dort ist das Resultat eine steife, konventionelle
Kopfbedeckung von eigenartiger Formgestaltung. Wenn es dem Birett nicht
beschieden war, sich so glanzvoll zu entwickeln, wie es die Mitra getan hatte,
so lag das eben daran, daß es weder einen eigentlich liturgischen Charakter
noch die Bedeutung eines auszeichnenden Ornatstückes besaß, sondern ledig-
lich eine gewöhnliche klerikale Kopfbedeckung war.
VIERTER ABSCHNITT.
DIE INSIGNIEN.
ERSTES KAPITEL.
DER MANIPEL.
I. DER MANIPEL IN DER GEGENWART.
Hat der Priester die Albe gegürtet, so legt er den Manipel an. Der
Manipel ist ein streifenförmiges Ornatstück, welches, von Ende zu Ende ge-
messen, ca 1 m lang ist und gedoppelt so auf dem linken Arm getragen wird,
daß zu beiden Seiten eines der Enden herabhängt.
Die Breite des Manipels schwankt zwischen 5 und 10 cm. Am breitesten
pflegt er in Italien zu sein , während außerhalb Italiens eine Vorliebe für
schmale Manipel herrscht. Es ist vielfach üblich, den Manipel nach unten
zu breiter werden zu lassen. Solange sich die Zunahme an Bi'eite innerhalb
gewisser Grenzen hält, läßt sich gegen einen solchen Brauch nichts einwenden,
anders jedoch, wenn die Enden zu häßlichen Schaufeln ausgebildet werden.
Das Ornatstück wird meist auf der Mitte des Unterarmes getragen,
seltener in der Armbeuge oder am Oberarm. Die erste Tragweise ist die
richtigere und bessere. Denn sie entspricht nicht nur den alten Traditionen,
wie die Bildwerke des Mittelalters und der Renaissance zu hunderten Malen
beweisen, sie ist auch die schönste. Es ist kein lieblicher Anblick, vom Ellen-
bogen oder dem Oberarm des Priesters einen Stoffstreifen in die Luft starren
oder krumm herabhängen zu sehen. Freilich sagt man zur Verteidigung dieser
Tragweise, sie sei die bequemste, da so der Manipel am wenigsten dem Priester
bei seinen Funktionen hinderlich sei. Namentlich werde aber durch sie die Ge-
fahr vermieden, daß das Ornatstück mit dem hhl. Sakrament in Berührung
komme. Allein, ist denn wirklich der Manipel auf dem Vorderarm so lästig,
falls er gut befestigt ist — und die Befestigung macht doch keine Schwierigkeit?
Was aber die erwähnte Gefahr anlangt, so kann man derselben sehr leicht
dadurch begegnen, daß man dem Manipel die gehörige Länge gibt. Ist dieser
nur etwa 2 ", ' 30 cm lang, so ist allerdings bei Mangel an Vorsicht eine
Berührung der heiligen Spezies nicht ganz ausgeschlossen; allein ein solcher
Manipel ist auch entschieden zu kurz.
Um den Manipel am Arm zu befestigen und sein Herabfallen zu ver-
hindern, bindet man ihn entweder mit zwei Bändern fest, die an der Innenseite
angenäht sind, oder bildet durch Vernähen des gedoppelten Streifens im oberen
Teile einen Durchschlupf, mittels dessen man ihn an den Arm streift. Das An-
binden des Manipels ist in Italien sehr gebräuchlich. Man wendet es sogar auch
dann noch gern an, wenn man den Manipel in der angegebenen Weise mit
einem Durchlaß versehen hat. Eine in Frankreich häufige Befestigungsweise
des Manipels besteht darin, daß man in der Mitte desselben ein Bändchen
33*
516 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
annäht und dieses mit einer Nadel an der Albe festheftet. Sie kann nicht
als sehr praktisch bezeichnet werden, da das Einstecken der Nadel der Albe
Schaden bringt.
Das römische Caeremoniale läßt den Diakon dem Bischof den Manipel
anbinden1. Das Missale begnügt sich mit der Bemerkung: imponit brachio
sinistro. Bei uns in Deutschland ist es wohl allgemein Brauch, den Manipel
nur mittels eines Durchschlupfes an dem Arme zu befestigen. Es ist die
einfachste Weise, nur muß dafür gesorgt werden, daß der Durchlaß nicht
weiter sei, als eben nötig ist, um das Ornatstück ohne Mühe über den Ärmel
der Albe schieben zu können2.
Zum Manipel sollten stets nur seidene oder halbseidene Stoffe ver-
wendet werden. Was die Farbe anlangt, muß er sich wie Stola und Kasel
nach der Tagesfarbe richten, da auch für ihn der liturgische Farbenkanon gilt.
Der Manipel ist nach dem Brauch der letzten Jahrhunderte regelmäßig
mit drei Kreuzen versehen, davon eines in der Mitte, die beiden andern an den
Enden. Notwendig sind drei Kreuze nicht. Eines, das Kreuz in der Mitte,
darf aber nicht fehlen. Denn wenn das römische Missale den Priester an-
weist: Sacerdos accipit manipulum, osculetur crucem in medio et imponit
brachio sinistro, so setzt das offenbar voraus, daß wenigstens ein Kreuz, und
zwar mitten auf dem Manipel, angebracht sei. Außer mit den genannten
Kreuzen kann das Ornatstück übrigens auch noch mit Stickereien verziert
werden, nur muß, wie übrigens selbstverständlich, dabei sein Farbencharakter
und darum seine Grundfarbe genügend gewahrt bleiben. An den Enden
pflegt der Manipel mit Fransen geschmückt zu werden.
Der Manipel kommt vom Subdiakon an aufwärts allen Weihestufen
zu. Er wird dem Subdiakon vom Bischof bei der Subdiakonatsweihe unter
den Worten: „Nimm hin den Manipel, das Sinnbild der Frucht guter Werke,
im Namen des Vaters" usw., an den linken Arm gelegt und bildet das spe-
zifische Amtsabzeichen desselben. Mag es daher auch dem Minoristen, welcher
gelegentlich bei der feierlichen Messe die Dienste eines Subdiakons zu ver-
sehen hat, erlaubt sein, sich dabei der subdiakonalen Tunicella zu bedienen,
den Manipel zu tragen, ist ihm durchaus nicht gestattet 3.
Zum Pluviale darf der Manipel nach der ausdrücklichen Bestimmung
des römischen Missale nicht gebraucht werden 4. Er ist wie die Kasel Mefi-
parament im eigentlichen Sinne. Der Priester, der Diakon und Subdiakon
bedienen sich seiner fast nie anders als bei der Opferfeier. Eine nur schein-
bare Ausnahme bilden die Karfreitagszeremonien. Auch kann es kaum als
wirkliche Ausnahme betrachtet werden, wenn die bei der Ölweihe assistierenden
zwölf Priester, sieben Diakone und sieben Subdiakone den Manipel tragen 5 ;
denn das geschieht wohl mit Rücksicht auf die Messe, in welcher die Weihe
der heiligen Öle statthat, und jene Priester, Diakone und Subdiakone als
Assistenten des Bischofs auftreten. Wenn aber der Diakon und Subdiakon
das Ornatstück auch bei einigen Gelegenheiten außerhalb der Messe ge-
brauchen, bei denen sie die Epistel bzw. das Evangelium zu singen haben (wie
z. B. bei der Palmenweihe am Palmsonntag), so hat das seinen Grund in dem
Umstand, daß die Absingung von Epistel und Evangelium eine spezifisch
1 L. 2, c. 8, n. 32. 3 C. R. 17. Juli 1894 (Decret. auth. 3832) ;
2 Näheres über die Beschaffenheit des 10. März 1906 (Anal. eccl. 1906, IV 166).
Manipels und die Befestigungsvorrichtung in 4 Rubricae generales tit. 19, n. 4.
Braun, Winke 37 f. 6 Pontificale rom. p. III, De off. in fer. V C. D.
Erstes Kapitel. Der Manipel. 517
subdiakonale bzw. diakonale Funktion und deshalb die Verwendung der vollen
Amtstracht bei ihr durchaus am Platze ist. Ähnlich verhält es sich am Kar-
samstag mit der Absingung des Osterpräkonium durch den Diakon. Bei Pro-
zessionen, der Spendung der heiligen Sakramente und den Benediktionen wird
der Manipel nie getragen, ausgenommen die Erteilung der heiligen Weihen und
die Ölsegnung, weil diese vom Bischof in Verbindung mit der Messe vollzogen
werden. Bei der Verehrung des heiligen Kreuzes am Karfreitag und bei der
Vornahme der Absolutio am Katafalk müssen Priester und Ministri ebenfalls
ohne Manipel sein, weshalb sie ihn vor diesen Akten abzulegen haben K
Diakon und Sübdiakon ziehen den Manipel an letzter Stelle, also nach der
Dalmatik bzw. Tuniceila an, und zwar erst, nachdem sie dem Celebrans beim
Ankleiden geholfen haben. Ausdrücklich vorgeschrieben ist das, wie aus
dem Caeremoniale für die Bischöfe hervorgeht 2, bei der Vorbereitung für das
Pontifikalamt. Nach dem Amt entledigen sich die Ministri zunächst des Ma-
nipels, der übrigen Gewänder aber erst, nachdem sie dem Celebrans beim
Auskleiden behilflich waren.
Dem Bischof legt der Sübdiakon am Altare den Manipel an, welchen er
im Evangelienbuch dorthin gebracht hat, und zwar nach dem auf das Sünden-
bekenntnis folgenden Indulgentiam.
II. NAMEN DES ORNATSTÜCKES.
Das liturgische Gewandstück, welches wir jetzt mit dem Namen Manipel
bezeichnen, wurde ehedem auch mappula, sudarium, mantile, fano, manuale
und sestace genannt.
Bis zum Beginn des zweiten Jahrtausends führte es vorherrschend den
Namen mappula. Mappula ist das Diminutiv von mappa. Mit mappa be-
zeichnete man im klassischen Latein ein Tuch, dessen man sich bei Tisch
zum Abputzen des Mundes und der Hände bediente, also, wie wir sagen
würden, eine Serviette. Außerdem verstand man unter mappa das Tuch,
womit seitens des Kaisers, des Konsuls oder Prätors bzw. ihrer Vertreter das
Zeichen zum Beginn der öffentlichen Spiele gegeben wurde (vgl. Bild 139,
S. 300) ; namentlich sehen wir die Mappa in diesem Sinne fast regelmäßig
auf den Konsulardiptychen in der Rechten des Konsuls (Bild 257, S. 518) 3.
Mappula kommt nur im nachklassischen Latein vor. Eine ausschließ-
liche Bedeutung hat darin das Wort nicht. Es bezeichnet bald ein Hals- bzw-
Schultertuch, bald ein Schweißtuch, bald ein Tuch, das zur Umhüllung eines
Gegenstandes dient, bald eine Art von Baldachin, bald endlich den liturgischen
Manipel. Immer liegt ihm der generelle Begriff „Tuch" zu Grunde4. Als
Name des Manipels erscheint mappula z. B. im 1. und 3. römischen Crelo, bei
Hraban, Walafried Strabo, Pseudo-Alkuin, Riculf von Soissons und sonst. Auch
in den Sakramentaren, Pontifikalien, Missalien und Schatzverzeichnissen 3 kommt
das Wort in diesem Sinne häufig vor. Mappula war die eigentlich römische
Bezeichnung des Ornatstückes. Seit der Wende des ersten Jahrtausends ver-
liert sich der Name mappula in der Bedeutung von Manipel allmählich; im
späteren Mittelalter ist er in diesem Sinne eine seltene Erscheinung.
1 C. R. 15. Sept. 1736 (Decrefc. autli. 2326). 4 D. C. sub mappula V 255 f.
2 L. 2, c. 8, n. 32. 5 Vgl. z. B. die Inventare von Monza
3 Vgl. über mappa und mappula For cell, (ca 900), St Gallen (11. Jahrh.), Paderborn
III 29 und D. C. sub mappa V 255. (1031), Speier (1051), Trier (1238) u. a.
518
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Das Wort fano (phanö, fanon, fanum, favo, wie wir es auch ge-
schrieben finden), zusammenhängend mit unserem „Fahne", dem althoch-
deutschen fano, dem mittelhochdeutschen van, dem angelsächsischen und
gotischen fana, dem lateinischen pannus (Tuch,
Gewebe) und dem griechischen rfrjvoQ (Faden des
Einschlags, Gewebe, Gewand), kommt bei den
Liturgikern und in liturgischen Schriften in
mehrfachem Sinne vor. Es bezeichnet das
Oblationsvelum, mittels dessen man die Opfer-
gaben darbrachte, das Korporale, den päpst-
lichen Amikt (Orale) und besonders den Ma-
nipel, mittelhochdeutsch hantfane, hantfan,
hantfano 1. Als Name des Manipels begegnet
uns fano zum erstenmal bei Hraban. Etwas
später finden wir das Wort in gleichem Sinne
in der „Synodalermahnung": Nemo cantet
missam . . . sine fanone, sowie auch bei liegin o
von Prüm 2. Im 12. Jahrhundert treffen wir
fano in der Bedeutung von „Manipel" bei
Honorius, bei Robert Paululus und Sicard von
Cremona an. In den Sakramentaren und Ponti-
fikalien kommt der Name nur selten vor, so
z. B. in Vat. lat. 7231 und einem Missale von
Stablo 3 ; um so häufiger ist er bis in das
späte Mittelalter in den Schatzverzeichnissen,
besonders in Inventaren aus Deutschland. Man
vergleiche z. B. die Schenkung Emhildas von
Milz (800), Madalwins von Passau (903), die
Inventare von Lamspringe (10. Jahrh.), Pfäffers
(10. Jahrh.), Prüm (1003), St Georg zu Köln
(ca 1100), Bamberg (1127) u. a. In Spanien
scheint der Name wenig verbreitet gewesen
zu sein; er kommt hier in den Inventaren
nur sehr selten vor4. In England finden wir
ihn noch im Inventar der Kathedrale von York
von 1500. In Frankreich ging fano als fanon
in die Volkssprache über. Der Manipel führt
diesen Namen in den französisch abgefaßten
Schatzverzeichnissen schon wenigstens seit der
Mitte des 14. Jahrhunderts, wie z. B. die In-
ventare von Cambrai (1359) und Fecamp
(1362 — 1375) bekunden, und behält ihn in den-
17. Jahrhunderts. Treffen wir ihn beispielsweise
iyfc._.|.jy^ii...j.uL
Bild 257. Anonymes Konsular-
diptychon. Eom, Museo Barberim.
selben bis um die Mitte des
doch noch im Inventar von Angers von 1643 an.
Sudarium, Schweißtuch, heißt der Manipel bei Amalar, Honorius u.a.
Mantile, manuale und sestace sind nur vereinzelt vorkommende Benennungen
des Manipels.
«Grimm III 1241; IV 2 386. Graf,
Althochdeutscher Sprachschatz III 522.
2 De discipl. eccl. 1. 1, can. 80 (M. 132, 207).
3 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 15; I 210.
1 Vgl. z. B. das Inventar von S. Benito zu
Baga (Diözese Vieh) von 972.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
519
Mantile bezeichnete im klassischen Latein ein Tischtuch, aber auch, wie
mappa, die Serviette. Als Name des Manipels treffen wir das Wort bei Hraban
und im Inventar von Enger (11. Jahrh.). Die Bezeichnung manuale, „etwas
zur Hand Gehöriges", begegnet uns in Aelfrics angelsächsischem Glossar1, den
Gesta der Bischöfe von Auxerre 2 und den Schatzverzeichnissen von St Peter 3.
Eine höchst eigenartige Benennung des Manipels ist s e s t a c e. Sie
findet sich nur im St Gallener Kleiderverzeichnis. Daß unter der in ihm ge-
nannten sestace bloß der Manipel und kein anderes Ornatstück verstanden
werden kann, bedarf keines Nachweises. Es ist uns gelungen, den Ursprung
des Wortes nachzuweisen, welches bislang eine Deutung nicht hatte finden
können. Sestace ist ein ins Vulgärarabische eingedrungenes persisches Lehn-
wort und mit dem arabo-persischen schuschtudsche, schustadsche eins. Schusch-
tudsche bedeutet nach Wahrmunds neuarabischem Lexikon: Handtuch, schus-
tadsche nach Vullers Lexicon persico-latinum : linteum quo abstergitur (Ab-
putztuch), mantile (Serviette), sudarium (Schweißtuch) i. Schwer erklärlich
ist, wie das persische sestace im 10. Jahrhundert zum Namen des Manipels
hat werden können. Ob es auf dem Wege des Kaufhandels mit persischen
Stoffen ins Abendland kam, oder ob der Schreiber des Ordo ein Orientale
von Geburt war? Für das letzte dürfte namentlich der Umstand sprechen,
daß es um das Ende des 9. Jahrhunderts tatsächlich zu St Gallen Mönche
gab, die aus dem Osten stammten. Es ergibt sich das aus Notkers (f 912)
Brief an Lambert, worin er diesem einen Gruß von den Ellinici fratres über-
mittelt: Salutant te Ellinici fratres5. Überhaupt fehlte es zur Karolingerzeit
im Westen keineswegs an orientalischen Mönchen. Berichtet doch Thegan
in der Vita Ludwigs d. Fr. ausdrücklich, Karl habe die Evangelien mit Hilfe
von Griechen und Syrern verbessert 6.
Das älteste Dokument, in dem uns der Name manipulus begegnet, ist
die Schenkungsurkunde, in welcher Adelgaster, Sohn des Königs Silo von
Asturien, um 790 außer andern Paramenten auch 6 stolas und 5 manipulos
dem Kloster Obona Übermacht7. Im 10. Jahrhundert treffen wir ihn in der
Dotation des Salvatorklosters zu Lerez (ca 916), im Testament Pticulfs von
Eine (f 986), einem Sakramental- von Tours8, dem Sakramentar Eatolds
von Corbie (f 986), dem sog. Pontifikale Egberts von York sowie dem Sakra-
mentar von Moyssac, falls die beiden letzteren nicht etwa nach 1000 an-
zusetzen sind 9, dem Inventar von Cremona (984) u. a. Dann wird der Name
1 Zupitza, Aelfrics Grammatik und Glos-
sar, Berlin 1880, 314, wo manualis handlin,
Handlinnen, Handtuch bedeutet.
2 Gesta episc. Autiss. c. 49 (M. 138, 277).
3 So im Inventar von St Peter (M ü n t z
e Frothingham, II tesoro 12 48). Vgl.
auch D. C. sub manuale 2 ; V 237.
4 Nach gütigen Mitteilungen des P. Franz
Zorell S. J.
5 M. 131, 1172.
6 C. 7 (M. G. SS. II 592). Vgl. auch
B eissei , Gesch. der Evangelienbücher 163 f.
■> Ann. O. S. B. 1. 25, § 53, ad a. 785 ; II 255.
8 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 7; I 193.
Das ebd. unter ordo 5 angeführte Sakramen-
tar von St-Denis gehört nach D e 1 i s 1 e,
Mem. 289, dem 11. Jahrhundert an.
0 Die drei letztgenannten Codices befinden
sich in der Pariser Nationalbibliothek f. lat.
2293 12 052 10 575. Der unter dem Namen
Egbert-Pontifikale bekannte Kodex stammt
nicht aus dem 8. Jahrhundert, sondern ist
die erst im 10. , wenn nicht noch später
entstandene , teilweise interpolierte Kopie
einer älteren Vorlage. Die Rubrik : et tradat
ei . . . manipulum, ist ein Zusatz des Kopisten.
Dasselbe gilt von der späteren , durch ver-
schiedene Benediktionsformulare, die nicht an
die betreffende Stelle gehören, von den Weihe-
gebeten der Subdiakonatsweihe getrennte
Notiz : Deinde donet ei manipulum. Ein Ab-
druck des Weiheordo aus dem sog. Egbert-
Pontifikale findet sich bei Mart. 1. 1, c. 8,
art. 11, ordo 2; II 34.
520 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
manipulus rasch allgemeiner. Im 12. Jahrhundert herrscht er bereits bei
weitem vor, namentlich aber in den liturgischen Büchern. Insbesondere adop-
tierte man ihn statt der alten Bezeichnung mappula auch zu Rom, wie z. B.
aus Innozenz III. und dem 13. Ordo erhellt. Im 14. Jahrhundert kommen die
sonstigen Benennungen unseres Gewandstückes nur noch vereinzelt vor.
Namentlich aber wird man sie um diese Zeit in den Missalien und Ponti-
fikalien nur mehr selten antreffen. Im 15. Jahrhundert heißt unser Gewand
fast allgemein manipulus, selbst — nur Frankreich ausgenommen — in der
Volkssprache, welche doch sonst mit aller Zähigkeit die alteinheimischen
Namen festzuhalten pflegt. Die Aufnahme des Wortes ins römische Missale
war daher nur die Besiegelung des offiziellen Charakters, den es sich schon
eine geraume Weile vorher errungen hatte.
Das Wort manipulus bezeichnet im klassischen Latein ursprünglich wohl
eine „Handvoll", dann einen Bund von Heu, Gras, Getreide und weiterhin
eine Abteilung von Fußsoldaten, eine Kompanie 1. Da der liturgische Manipel
anfänglich, wie aus dem Folgenden hervorgeht, ein Tuch war, das man zu-
sammengefaltet in der Hand trug, erklärt es sich leicht, wie er zu seinem
Namen kam.
Auch die Namen der liturgischen Gewänder haben ihre Geschichte, wie
man auch hier wieder sieht. Es ist aber nicht bloß interessant, den Um-
wandlungsprozeß zu verfolgen, sondern auch nützlich, da die Benennung ja
oft auf den Charakter und die Beschaffenheit eines Gewandstückes einen Licht-
strahl wirft. Außerdem machen wir auch beim Manipel die bemerkenswerte
Wahrnehmung, daß sich Born zwar in Bezug auf die liturgische Gewandung,
nicht aber in gleichem Maße hinsichtlich deren Benennung gebend verhielt.
Die römische Bezeichnung mappula hat sich nicht einbürgern können. Im
Gegenteil hat der außerrömische Name manipulus zuletzt selbst in Rom Ein-
gang gefunden und die althergebrachte Benennung mappula völlig aus dem
Gebrauch verdrängt.
III. DER MANIPEL SEIT DER KAROLINGERZEIT.
Im 9. Jahrhundert erscheint die Mappula in aller Klarheit als fester
Bestandteil der priesterlichen (pontifikalen), der diakonalen und subdiakonalen
Sakralgewandung.
Als priesterliches Ornatstück begegnet sie uns in dem 1. und 3. Ordo,
im S. G. K., bei Hraban, Amalar, Walafried Strabo, Pseudo-Alkuin und Regino
von Prüm, in der Synodalermahnung und den Statuten Riculfs von Soissons.
Nullus cantet missam . . . sine fanone, hörten wir z. B. bereits die „Synodal-
ermahnung" sagen.
Von der Mappula der Diakone ist seltener die Rede. Ausdrücklich
spricht von ihr Amalar. Hrabanus erwähnt sie, wie es scheint, nicht. Zwar
bemerkt er: Oportet ergo sacerdotes et ministros altaris mappulas mani-
bus tenere, quorum officium est, divina sacramenta conficere, ut cum devotione
mentis opus spontaneum concordet (et) digne exerceatur officium, quod pie
divino est munere collatum 2, allein er scheint nach dem Zusammenhang unter
jenen ministros altaris die Bischöfe zu verstehen, die ja als sacerdotes auch
die ministri altaris sind. Denn seine ganzen übrigen Ausführungen über die
liturgischen Gewänder gelten nur der bischöflichen Kleidung. In dem ]., 2.
1 Forcell. III 24. ' De instit. cleric. 1. 1, c. 18 (M. 107, 307).
Erstes Kapitel. Der Manipel.
521
und 3. römischen Orclo heißt die diakonale Mappula offertorium l. Der Diakon
benutzte das offertorium nach den genannten Ordines, um mittels desselben
den Kelch anzufassen, wenn er ihn zur Konsekration zubereitet hatte und auf
den Altar stellte , sowie auch , wenn er ihn nach der Wandlung erhob und
dem Volke zeigte. Diese Angabe ist von der größten Wichtigkeit, da sie
bestimmt beweist, daß das offertorium nichts anderes ist als die diakonale
Mappula. Bei Amalar, der in Rom eigene Studien über den römischen Ritus
gemacht hatte und, wie aus der zweiten Vorrede zu seiner Schrift De ec-
clesiasticis officiis hervorgeht, gerade in dem uns hier beschäftigenden Punkte
den römischen Brauch genau wiedergibt, hält nämlich der Diakon bei jenen
Gelegenheiten den Kelch mit seinem Sudarium 2. Unter diesem Sudarium
versteht der Metzer Diakon aber unsere Mappula 3. Wegen der Identität
von offertorium und sudarium bzw. mappula sagt darum auch der 2. Ordo
Mabillons ganz zutreffend , es solle der Diakon die Henkel des Kelches ein-
hüllen offertorio suo, mit seinem
offertorium. Im St Gallener Kleider-
verzeichnis scheint der Diakon der
Mappula zu entbehren. Denn wäh-
rend nach derselben alle andern
Kleriker mit der sestace ausgerüstet
sind, fehlt diese dem Diakon. Statt
dessen wird ihm ein brachiale zu-
gelegt: brachiale in manu dexü'a.
Es liegt jedoch nahe, unter diesem
brachiale die subdiakonale Mappula
zu verstehen. Daß diese Angabe
in der Tat richtig ist, ergibt sich
aus dem 9. Ordo Mabillons, wo
auch die Mappula des Bischofs
brachiale heißt1. Wir müssen im
Auge halten , daß wir uns im
9. Jahrhundert in einer Zeit be-
finden, in welcher sich noch kein
einheitlicher terminus technicus
gestaltet hatte.
Bestätigt wird die Tatsache, daß auch den Diakonen die Mappula zu-
stand, durch Bildwerke des 9. Jahrhunderts. Wir weisen hier besonders hin
auf die Darstellungen von Diakonen auf einer der Schmalseiten des herrlichen
Palliotto in S. Ambrogio zu Mailand (Bild 258). Treffliche Beispiele aus dem
10. Jahrhundert liefert der 1827 im Grabe des hl. Cuthbert in der Kathe-
drale zu Durham aufgefundene Manipel, welchen Königin Elflaed, Gemahlin
Eduards d. Ä. (f vor 916), für Bischof Frithestan von Winchester laut der
eingestickten Inschrift anfertigen ließ 5, sowie eine Miniatur des noch dem
10. Jahrhundert entstammenden Tropars von Prüm in der Pariser National-
bibliothek (vgl. Bild 121, S. 262).
Bild 258. Relief vom Palliotto. Mailand, S. Ambrogio.
(Phot. Alinari.)
für den liturgischen Manipel heraus-
1 Ordo 1, n. 15 16; ordo 2, n. 9 10; ordo 3,
n. 14 15 (M. 78, 944 945 973 974 981).
2 Rraef. altera (M. 105, 992); De eccl.
offic. 1. 3, c. 19 26 (ebd. 1131 1144).
» De eccl. offic. 1. 2, c. 24 (ebd. 1099).
4 N. 4 (M. 78, 1006).
6 Abbildung bei Roh. pl. dxxxi. Vgl. jedoch
unten S. 532, Aura. 1.
522 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Auffallend ist, daß nicht nur Johannes von Avranches 1, sondern auch
Gilbert von Limerick 2 bei Aufzählung der liturgischen Gewänder der Diakone
die Mappula ganz unerwähnt läßt. Von einem Versehen kann bei beiden wohl
kaum die Rede sein. Es scheint demnach, als ob der Manipel zu ihrer Zeit
bei den Diakonen nicht überall zur Verwendung gekommen wäre.
Die erste Nachricht über den Manipel der Subdiakone gibt der
St Gallener Katalog. Um dieselbe Zeit, d. i. im 9. Jahrhundert, kommt das
Ornatstück aber auch schon auf einer Miniatur im Cod. B 25 2 der Valli-
celliana zu Rom bei dem Subdiakon Juvenianus vor (vgl. Bild 125, S. 267).
Juvenianus trägt in der linken Hand einen Manipel in Form eines ganz kurzen,
schmalen Streifens.
Wie es die Subdiakone im 9. Jahrhundert außerhalb Roms mit dem
Gebrauch des Manipels hielten, läßt sich nicht feststellen. Jedenfalls muß
sich dieser dort, wenn solches nicht schon vorher geschehen war, spätestens
gegen das Ende des Jahrtausends bei denselben eingebürgert haben, d. i. also
um die Zeit, da man anfing, dem Subdiakonat eine höhere Bedeutung bei-
zumessen und sich dessen Aufnahme unter die höheren Ordines vorbereitete.
Wenn Johannes von Avranches und Gilbert von Limerick den Manipel nicht
zur Gewandung der Diakone, sondern nur zu derjenigen der Subdiakone
zählen, so mag der Grund hierfür darin zu suchen sein, daß sie, wie sie die
Stola als diakonales Abzeichen betrachten, so den Manipel als Charakteristikum
des subdiakonalen Ordo auffassen.
Eigentümlicherweise waren um den Ausgang des 9. bzw. den Beginn
des 10. Jahrhunderts zu Rom auch die Akolythen mit der Mappula aus-
gestattet. Denn das St Gallener Kleiderverzeichnis nennt unter ihren litur-
gischen Gewändern ausdrücklich die sestace. Im Unterschied von den Sub-
diakonen trugen sie indessen das Tuch nicht in der Hand, sondern am Gürtel:
sestace in sinistra latera (sie) ad cingulum. Wie lange sich der Manipel zu Rom
bei den Akolythen erhielt, läßt sich nicht näher nachweisen. Desgleichen ist
unsicher, ob er sich hie und da auch außerhalb Roms bei denselben ein-
bürgerte; doch scheint es fast, als ob dem so gewesen sei. Denn im 11. Jahr-
hundert wurde mehrfach behauptet, es sei der Manipel ein Ornatstück, das
wie Amikt und Albe allen gemeinsam sei3.
Diese Ansicht scheint insbesondere von den Mönchen gepflegt worden zu sein.
„In den Klöstern der Mönche", sagt Lanfrank, „tragen sogar die laici (Laienbrüder,
nicht Laien im gewöhnlichen SinneJ, wenn sie Alben anziehen, nach alter Einrichtung
der Väter den Manipel."
In der Tat hören wir von Eupert von Dentz, daß bei ihnen an Pesttagen alle,
die im Chor psallierten, alt und jung, in Alben und Manipeln erschienen ». Auch
ein Ordinarium des 12. Jahrhunderts bei Gerbert 5 liefert eine Bestätigung der Worte
Lanfranks. Denn wenn darin für Maria Lichtmeß die Weisung erteilt wird : In hac
die neque fanones neque cappae alicui dantur, exceptis iis, qui in presbyterio (Altar-
raum, im Gegensatz zum Baum, wo der Chor gehalten wurde) famulantur, qui tantum
inf'ra missam fanonibus utuntur , und betreffs der Messe des Palmsonntags gesagt
wird: Infra hane missam fratres communiter albis induuntur, sed absque fanonibus,
so setzt das voraus , daß an andern Festtagen alle fratres mit einem Manipel aus-
1 De eccl. offic. (M. 147, 32). 3 Lanfranci Ep. 13 ad Ioan. Rotomag.
2 De statu eccl. (M. 159, 999). Vgl. auch den (M. 150, 520).
gegen 1000 entstandenen 6. Ordo Mabillons » De offic. div. 1. 2, c. 23 (M. 170, 54).
n. 1 (M. 78, 989) und Rupert., De offic. div. D Liturgia atemannica I 238. Marl, Mon.
1. 1, c. 33 (M. 170, 29). 1. 4, c. 1, n. 38; II 199).
Erstes Kapitel. Der Manipel. 523
gerüstet am Gottesdienste teilnahmen. Daß zu Cluny diese Sitte herrsehte, ergibt
sich aus einem Dialog zwischen einem Climiacenser und einem Cistercienser, in
welchem letzterer es einen Raub an den Armen nennt, daß die Mönche von Cluny für
unnötige und überflüssige Dinge Ausgaben machten, sieut sunt albae et manipuli, quibus a
minimo usque ad supremum tarn conversi quam monachi in diebus festis induuntur l.
Aber auch sonst blieb der Brauch nicht ohne Widerspruch. So verordnete das
Konzil von Poitiers vom Jahre 1100 in seinem 5. Kanon: Ut nemo monachorum
deinceps manipulis utatur, nisi fuerit subdiaconus ordinatus 2. Allein noch zu de Verts
Zeiten war es zu Cluny üblich, dafs die Chorknaben Albe und Manipel trugen s, kraft
eines Privilegiums, wie man glaubte. Ein eigenartiger Brauch war es, wenn den
Kartäuserinnen bei ihrer Benediktion der Manipel an den linken Arm gelegt wurde 4.
Es ist das bekanntlich eine Zeremonie, welche bei der Weihe des Subdiakons statthat.
Die Liturgiker des 12. und 13. Jahrhunderts besprechen in der Regel
nur die liturgische Gewandung der Priester und Bischöfe; höchstens daß sie
gelegentlich des einen oder andern Gewandstückes der übrigen Ordines ge-
denken. Eingehender handeln von deren Sakraltracht bloß Honorius, Sicard
von Cremona und Durandus. Honorius erwähnt ausdrücklich und bestimmt
nur den Manipel der Subdiakone; über die Verwendung desselben seitens
der Diakone spricht er sich nicht direkt aus. Dagegen lassen Sicard5 und
Durandus6 keinen Zweifel daran, daß der Manipel zu ihrer Zeit sowohl sub-
diakonales wie diakonales Ornatstück war.
Wie es sich zu Rom im 13. Jahrhundert verhielt, ersehen wir aus dem
13. Ordo7. Der Manipel kam dort zu jener Zeit allen Geistlichen der höheren
Ordines, aber freilich auch nur diesen zu, also den Bischöfen, Priestern,
Diakonen und Subdiakonen , und so ist es im römischen Ritus bis jetzt
geblieben.
IV. DIE ÄLTESTEN NACHRICHTEN ÜBER DIE VERWENDUNG DES
MANIPELS.
In der vorkonstantinischen Zeit, aus der wir überhaupt über die bei der
Liturgie gebräuchliche Gewandung nichts Näheres hören, herrscht natürlich
auch hinsichtlich der Verwendung der Mappula völliges Schweigen. Allein
es steht auch in den beiden nächstfolgenden Jahrhunderten nicht besser. Erst
das 6. Jahrhundert bringt über ihre Existenz, ihre Beschaffenheit, ihren
Charakter und ihren Gebrauch einige Nachrichten. Es sind zwei Stellen im
Papstbuch und ein Briefwechsel zwischen Gregor d. Gr. und dem Erzbischof
Johannes von Ravenna, worin sich diese finden. Sie sind allerdings keines-
wegs erschöpfend, aber das, was sie uns mitteilen, ist von größter Bedeutung
für die Geschichte des Manipels. Es ist darum durchaus notwendig, daß wir
sie einlässig würdigen.
Von den beiden Stellen des Liber Pontificalis findet sich die eine in der
Vita Silvestri. Es wird hier mitgeteilt, Papst Silvester I. (314 — 326) habe
die Verordnung erlassen, es sollten die Diakone sich in der Kirche der Dal-
1 Mart., Thes. V 1610. Vgl. auch Sicard, Brauch besteht uoch jetzt, und zwar handelt
Mitralis 1. 2, c. 5 (M. 213, 78) : In quibusdam es sich bei dem fraglichen Manipel nicht
monasteriis , quoties in festis albis utuntur, um eine Art von Schweiß- oder Ziertuch
manipulos portant. oder ähnliches, wie vermutet wurde, sondern
2 Hard. VI 2, 1859. Sdralek, Wolfen- um einen wirklichen Manipel.
büttler Fragmente 137. 5 Mitralis 1. 2, c. 8 (M. 213, 85).
3 De Vert II 291. 6 Rationale 1. 2, c. 8 ; 1. 3, c. 6, f. 56 70.
4 Mart. 1. 2, c. 6, ordo 13; II 197. Der ' N. 5 6 (M. 78, 1106 1107).
524 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
matik bedienen und mit pallia linostima ihre Linke bedecken : Et pallia (pallis,
palleis, pallia) linostima leva eorum tegerentur (levam eorum tegerent, leva
eorum tegeretur). Die andere begegnet uns in der Vita Zosimi. Dort heißt
es nach dem gegenwärtigen Texte des Liber Pontificalis : Hie fecit constitutum,
ut diacones leva (leba, levam) teeta (teetam) haberent de palleis linostimis.
Nach der ersten Redaktion lautete dagegen die fragliche Stelle: Ut diacones
leva teeta haberent de palleis linostimis per parroecias 1. In dem einen Falle
hätte Zosimus (417 — 418) nur die Bestimmung seines Vorgängers von neuem
eingeschärft, in dem andern aber die Verordnung Silvesters hinsichtlich der
pallia linostima auf die suburbikarischen Bistümer ausgedehnt. Hier kann
natürlich für uns nur die Form maßgebend sein, in welcher die Notiz in der
ersten Redaktion auftritt.
Ob die Verordnungen wirklich von Silvester und Zosimus herrühren oder
ob es sich bei den fraglichen Angaben bloß um eine mehr oder weniger zu-
verlässige lokale Tradition handelt, läßt sich nicht feststellen. Wir kennen
sie eben nur durch das Papstbuch, welches für die vier ersten Jahrhunderte
eine Quelle von recht zweifelhaftem Wert ist. Jedenfalls spiegeln sie die
Praxis wider, welche zur Zeit der Abfassung des L. P. bereits geraume
Zeit zu Rom und in den suburbikarischen Diözesen in Kraft war. Außerdem
dürften sie auch insofern den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, als der
Gebrauch des pallium linostimum ursprünglich auf Rom beschränkt gewesen
sein wird und erst im Lauf der Zeit auf die suburbikarischen Diözesen aus-
gedehnt wurde.
Ihrer Beschaffenheit nach bestanden die pallia linostima, wie der Name
besagt, aus einem Zeug, dessen Kette durch Linnen und dessen Einschuß
durch Wolle oder Seide gebildet wurden. Sie waren also Tücher von besserer
Qualität. Die Art, wie sie von den Diakonen getragen wurden, ist bei dem
jetzigen Stand des Textes nicht genau festzustellen. Sollten sie den linken
Arm oder nur die linke Hand bedecken? Der so sehr verderbte Text läßt
das unentschieden. Nach Hraban und Walafried Strabo hätten sie der linken
Hand aufgelegen; denn diese geben die Silvestrinische Verordnung in der
Fassung: ut pallio linostimo leva eorum tegeretur. Wie dem jedoch sein
mag, jedenfalls befand sich das pallium an der linken Seite, und zwar —
wenn wir den Wortlaut der Verordnung Silvesters recht verstehen - - über
der Dalmatik, ein Punkt, der für die Bestimmung seines Charakters nicht
ohne Wichtigkeit ist.
Was diesen Charakter anlangt, so läßt der Liber Pontificalis keinen
Zweifel, daß das pallium linostimum ein Tuch war, welches bei der Liturgie
verwendet wurde, und zwar kann es, wenn wir den römischen Brauch zur
Karolingerzeit, das Ergebnis der seit Konstantin datierenden Entwicklung der
liturgischen Gewandung des römischen Ritus, in Betracht ziehen, nur entweder
die diakonale Stola oder die Mappula sein. Leider gibt uns der Text des
Pontifikalbuches keinen direkten Aufschluß, mit wem von beiden wir es zu
identifizieren haben. Hält man indessen vor Augen, daß das pallium linostimum
der linken Hand oder dem linken Arm auflag, gerade wie die Mappula des
8. und 9. Jahrhunderts, und daß anderseits die Stola nach römischer Sitte
im 9. Jahrhundert unter der Dalmatik getragen wurde, während das pallium
linostimum sich nach der Notiz der Vita Silvestri über derselben befunden
1 Duch., L.P. 187171225. Die eingeklammerten Worte bezeichnen die verschiedenen Lesarten.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
525
zu haben scheint, so kann unter diesem wohl nur die spätere Mappula ver-
standen werden1.
Als Träger des pallium linostimum erscheinen im Liber Pontificalis die
Diakone. Haben wir das im ausschließlichen Sinne zu verstehen, so daß
nur sie sich seiner bedient hätten, kein anderer, oder bedeutet die angebliche
Verordnung Silvesters nur die Verleihung eines bis dahin päpstlichen oder
bischöflichen Vorrechtes an die römischen Diakone? Man kann darüber ver-
schiedener Meinung sein; wer indessen unbefangen die Verordnung Silvesters
betrachtet und dabei vor Augen hält, daß im 6. Jahrhundert die Dalmatik
allerdings eine Auszeichnung der römischen Diakone war, daß diese sich
aber ihrer nicht allein erfreuten, sondern daß das Recht, die Dalmatik zu
tragen, für sie nur die Teilnahme an einem Vorrecht des Papstes bedeutete,
wird kein Bedenken tragen, etwas Ahnliches bezüglich des pallium linostimum
anzunehmen. In der Folge finden wir ja auch beim Papst die Mappula. Wie
kam dieser zu ihr, wenn sie ihm nicht bereits vor den Diakonen eignete?
Ist es denn auch nur im geringsten wahrscheinlich, daß er sie von den Dia-
konen übernommen habe? Welcher Anhalt liegt dafür vor, und welche Parallele
gibt es dazu? Wenn wir im 9. Jahrhundert auch die römischen Subdiakone
und selbst die Akolythen im Besitz der Mappula finden, so erklärt es sich
angesichts der hervorragenden Stellung, welche diese nach und nach erlangt
hatten, ohne Schwierigkeit, wie auch sie dazu kamen, die Mappula tragen
zu dürfen. Daß aber der Papst diese von den Diakonen herübernahm, können
wir nur dann annehmen, wenn dafür triftige Beweise vorgebracht werden.
Über den Zweck des pallium linostimum läßt das Papstbuch nichts ver-
lauten. Immerhin scheint es nicht wahrscheinlich, daß es sich bei ihm um
ein zu praktischen Zwecken, wie sie der diakonale Dienst etwa mit sich
brachte, bestimmtes Tuch handelte. Es war vielmehr, seinem Namen nach
zu urteilen, wohl etwas Besseres als ein bloßes Handtuch oder eine Serviette.
Dafür spricht auch die Verordnung des Papstes Zosimus, welche den Gebrauch
des pallium linostimum auf die Diakone der suburbikarischen Diözesen aus-
dehnte. Wäre dieses ein Tuch gewesen, welches durch den Dienst der Diakone
gefordert wurde, so ist nicht einzusehen, warum es nicht von Anfang an
wie für Rom so auch für die um Rom liegenden und zu Rom gehörenden
Diözesen vorgeschrieben wurde. Der Sinn des Dekretes kann daher wohl nur
sein, daß durch dasselbe die Diakone dieser Kirchen nach Art der römischen
das Vorrecht erhielten, das pallium linostimum zu tragen. Das unsere Auf-
fassung der Sache salvo iudicio meliore.
Was den Briefwechsel zwischen Gregor d. Gr. und Johannes von Ravenna
anlangt, so kommt alles bei ihm darauf an, was unter der Mappula, um welche
es sich darin handelt, zu verstehen ist.
1 Wenn irgendwo, so ist es gerade für das
richtige Verständnis des pallium linostimum
wichtig, den Stand der Dinge in der Folge-
zeit im Auge zu halten. Denn dieser ist ja
nichts Willkürliches, sondern in lebendigem
Prozeß aus dem Brauch früherer Tage heraus-
gewachsen. Eine Betrachtungsweise, die von
ihm absieht, kommt, wie die Erfahrung be-
weist, leicht in Gefahr, sich in bloße Hypo-
thesen über die Bedeutung des pallium lino-
stimum zu verlieren. Jedenfalls wirft der
liturgische Brauch zu Beginn des 9. Jahr-
hunderts ein helleres und zuverlässigeres Licht
auf das pallium linostimum des Papstbuches
als die Darstellungen von sog. camilli und
delicati , heidnischen Opferdienern und Auf-
wärtern bei profanen Mahlzeiten, deren man-
tile, wenn man die Sache genau betrachtet,
doch nur eine scheinbare Analogie zu dem
pallium linostimum der römischen und sub-
urbikarischen Diakone und der diakonalen
Mappula bildet (vgl. unten Nr XII).
526 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Gregor hatte sieh beklagt , daß die ravennatischen Priester und Diakone sich
der mappulae bedienten ; es sei das eine Anmaßung. Darauf antwortete Johannes ' :
„Was die mappulae anlangt, welche sich dem Schreiben Eurer apostolischen Herrlich-
keit zufolge meine Priester und Diakone angemaßt haben sollen, so mag ich darüber
nichts anführen, da die Wahrheit, die bei meinem Herrn allein etwas gilt, genügt.
Denn da die kleineren Kirchen in der Umgebung der Stadt (Rom) dazu die Erlaubnis
haben, so wird mein apostolischer Herr, falls er den ehrwürdigen Klerus des ersten
apostolischen Sitzes zu fragen geruht , allerwegen finden , daß , so oft wegen einer
Bischofsweihe oder in Botschaftsangelegenheiten die Priester und Leviten der raven-
natischen Kirche nach Rom kamen , alle unter den Augen Eurer allerheiligsten Vor-
gänger cum mappulis procedebant, ohne irgend einen Tadel zu erfahren. Daher haben
auch damals, als ich Sünder dort von Eurem Vorgänger geweiht wurde, alle meine
Priester und Diakone, in obsequium domni papae mecum proceclentes, sich der-
selben bedient."
Gregor aber antwortet auf dieses Schreiben2: „Gegen das, was Ihr über den
Gebrauch der mappulae seitens Eures Klerus geschrieben, hat unser Klerus heftigen
Widerspruch erhoben ; niemals, sagten sie, sei ein solches irgend einer andern Kirche
gestattet worden. Ebensowenig hätten die Kleriker von Ravenna dort oder in Rom
ihres Wissens sich dessen unterfangen. Aber wenn selbige das auch' wirklich versucht
hätten, so folge aus einer solchen heimlichen Anmaßung nichts für sie. Man müsse,
sagen sie, falls man sich in irgend einer Kirche solches angemaßt, bessern, wessen
man sich nicht kraft Erlaubnis des römischen Papstes , sondern widerrechtlich allein
durch Erschleichung unterfange. Wir indessen gestatten, indem wir die Ehre Deiner
Fraternität wahren (servantes honorem fraternitatis tuae) , gegen den Willen unseres
vorgenannten Klerus den ersten Diakonen Ravennas, die ja den Zeugen gemäß auch
schon vorher sich der mappulae bedient haben, den Gebrauch derselben, doch nur in
Deinem Dienst (in obsequio tuo). Für eine andere Gelegenheit und andere Personen
verbieten wir solches aufs entschiedenste."
Man hat geglaubt, unter den mappulae tragbare Baldachine verstehen zu sollen 3,
allein mit Unrecht. Denn diese gehören einer viel späteren Zeit an. Den älteren
römischen Ordines sind sie völlig unbekannt. Obendrein waren sie nie bei gewöhn-
lichen Priestern und Diakonen, von denen doch im Brief Gregors d. Gr. die Rede ist, üblich.
Auch die Stola können sie nicht bedeuten. Denn diese wurde, falls sie damals
überhaupt bei den römischen Klerikern in Gebrauch war, wie schon gesagt, auf keinen
Fall sichtbar über der Dalmatik getragen. Bei den Mappulis handelt es sich aber offenbar
um ein Ding, das in die Augen fällt. Zudem findet sich das Wort mappula nirgends
als Bezeichnung der Stola gebraucht.
Es kann sonach nur die Frage sein , ob in den mappulae , die den Gegenstand
des Briefwechsels Gregors und Johannes' bilden, die liturgischen Mappulae oder die
gewöhnlich mappuli genannten weißen Schabracken zu erblicken sind. Diese weißen Scha-
bracken lassen sich schon zu Beginn des 8. und um die Wende des 7. Jahrhunderts
zu Rom mit aller Bestimmtheit nachweisen. So vermeldet das Papstbuch in der Vita
Constantini, als Papst Konstantin (707 — 708) seinen Einzug in Konstantinopel gehalten
habe, seien seine und der Vornehmsten aus seinem Gefolge Rosse mit vergoldeten
Sätteln , goldgeschmückten Zügeln und mappulis versehen gewesen i. In der Vita
Cononis (686 — 687) aber wird berichtet, daß dieser Papst den Syrakusaner Diakon
Konstantin zum Rektor des Patrimonium von Sizilien gemacht und ihm die Erlaubnis
gegeben habe , sich der Schabracke beim Aufritt zu bedienen : Sed et mappulum ad
caballieandum, uti licentiam ei concessit b. Auch die sog. Konstantinische Schenkung
kennt bereits die Schabracke. Denn zu den Privilegien, welche in ihr dem römischen
Klerus erteilt werden, gehört auch das Recht: Ut mappulis et linteaminibus, i. e.
1 Gregor. M., Epist. I. 3, n. 66 (M. G. s Hefele, Beitr. II, 180 im Anschluß an
Epp. I 229). A.J.Binterim, Denkwürdigkeiten VII 3, 359.
2 Ebd. 1. 3, n. 54 (ebd. 214). * Du eh., L. P. I 390. 6 Ebd. 369.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
527
candidissimo oolore decorari equos et ita equitari '. Es müssen also die römischen
Geistlichen schon eine gute Weile vor der Abfassung des Constitutum im Besitz des
Vorrechts gewesen sein, beim Reiten sich weißer linnener Pferdedecken zu bedienen;
andernfalls wäre ja die Fälschung allzu plump und geradezu offenkundig gewesen.
Die römischen Kleriker erhielten das Recht, sich der weißen Schabracke zu
bedienen, wie aus dem 9. Ordo Mabillons erhellt, beim Empfang der Tonsur. Ex hac
(d. h. wenn die cantores cubicularii geworden) accipiunt primam benedictionem ab
archidiacono, ut liceat eis super linteum vellosum sedere, quod mos est ponere super
sellam equi2. Aber auch auswärtigen Geistlichen wurde zur Auszeichnung die Er-
laubnis zu teil, bei feierlichen Aufzügen von der weißen Pferdedecke Gebrauch zu machen.
Das früheste bekannte Beispiel wurde bereits angeführt. Von einem andern, nur wenig
späteren wird aus dem Pontitikat Stephans IL (752 — 757) berichtet; es war Abt Pulrad
von St-Denis, welchem dieser das Privileg gewährte : Praevidimus tuam nobis dilectam
adornare religionem ... et super sellam equitanti mappulum 3. Johannes VIII. ver-
lieh 1877 das Vorrecht dem Bischof Johannes von Pavia', Benedikt VII. 975 dem
Erzbischof Theoderich von Trier ä. Klemens IL gibt es 1047 dem Erzbischof Adalbert
von Hamburg6, Leo IX. 1052 den Erzbischöfen Hermann von Köln7 und Liuth-
bald von Mainz 8; 1049 bestätigt Leo das Privileg dem Erzbischof Eberhard von
Trier 9. Die Schabracke führt jetzt den Namen naccus (nattus) statt mappula oder
mappulus.
Es ist leicht begreiflich, daß man unter den mappulae im Briefwechsel zwischen
Gregor und Johannes von Ravenna die weißen Schabracken verstanden hat. Ein aus-
zeichnender Schmuck des römischen Klerus und dessen ausschließliches Vorrecht, das
andern nur kraft eines besondern Privilegs zustand, passen diese in der Tat trefflich
auf den Gegenstand, dessen angebliche Usurpation seitens der ravennatischen Priester
und Diakone beim römischen Klerus so viel böses Blut machte. Allerdings werden
jene Decken erst gegen das Ende des 7. Jahrhunderts erwähnt, jedoch waren sie damals
sicher schon eine gute Weile im Gebrauch, und so hindert nichts, anzunehmen, daß
sie auch bereits zu Gregors d. Gr. Lebzeiten ein Privileg des römischen Klerus
bildeten. Demgemäß glaubte denn auch der Verfasser seinerzeit sich dahin aussprechen
zu sollen , daß aller Wahrscheinlichkeit nach mit den fraglichen mappulae eben die
weißen Schabracken gemeint seien 10. Indessen können wir diese Auffassung nicht
länger mehr vertreten. Es scheint uns vielmehr im Gegenteil nahezu als zweifellos,
daß es sich bei ihnen um die liturgische Mappula oder das pallium linostimum des
Papstbuches handelt.
1 Hinschius, Decret. Pseudo-Isidor. 253.
2 N. 1 (M. 78, 1003). Wenn Johannes
Diakonus im 9. Jahrhundert in der Vita
S. Gregorii M. 1. 2 , n. 43 (M. 75, 104) von
planetatorum mappulatorumque processionibus
erzählt, die im Gefolge des Papstes aufritten,
so sind das römische Kleriker in der Planeta
auf Pferden, die mit der mappula, der weißen
Schabracke, geschmückt waren, nicht Kleriker
in der Planeta mit der liturgischen Mappula
in der Hand. Nahm doch der Papst selbst
diese nach dem 1. Ordo erst im Sekretarium,
nachdem er alle übrigen Gewänder angezogen
hatte. Bekanntlich begab sich der Papst mit
seinem Gefolge bis ins späte Mittelalter stets
zu Roß zur Kirche, wo er feierlichen Gottes-
dienst halten wollte.
3 J. n. 2330. Über die Echtheit des Doku-
ments s. oben S. 385, Anm. 2.
* Ebd. n. 3111, wo die Bulle aber als ver-
dächtig bezeichnet wird. Auch unter der
mapilla oder den manipularii der Bulle
Johannes' XV. (ebd. n. 3849), worin 993 der
Abt von Braunau das Privileg erhält, sich
der Mitra, der Handschuhe, der Sandalen,
der Mapilla (manipularii) und des Balteus zu
bedienen , ist vielleicht die Schabracke zu
verstehen, falls nicht etwa eine Art Baldachin
damit gemeint sein sollte. Obendrein muß
dahingestellt bleiben, ob die Mapilla dem ur-
sprünglichen Text angehört oder interpoliert
ist. Über die Bulle s. oben S. 368, Anm. 1.
5 Ebd. n. 3783.
6 Ebd. n. 4146.
7 Ebd. n. 4271 ; über die Echtheit der Bulle
s. oben S. 257, Anm. 5.
s Ebd. n. 4281.
9 Ebd. n. 4161. Andere Beispiele ebd.
n. 3566 (Lüttich), n. 4074 (Salzburg), n. 4498
(Halberstadt), n. 6013 (Pavia), n. 7576 (Aqui-
leja), n. 7620 (Genua), n. 7890 (Pisa).
10 Priesterliche Gewänder S. 61.
528 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Entscheidend ist hierbei für uns der Terminus procedere. Das Wort kommt
in den Briefen Gregors d. Gr. häufig vor, immer aber ist es der technische Aus-
druck für „am Altar tätig sein, dem Altardienst obliegen, zum Altar treten". Bei-
spiele bieten die Briefe 1. 3, n. 66 : Ingredientibus diaconibus (sc. in secretarium) ut
mox procedatur1; 1. 5, n. 61: Procedens a salutatorio ad sacrarum missarum cele-
branda2; 1. 8, n. 27: Diaconos calciatos campagis procedere5; 1. 9, n. 26: Subdiaconos
spoliatos — vestitos (sc. ohne bzw. mit einer besondern Amtstunika nach Art der Dal-
matik) procedere 4; 1. 9, n. 69 : Petrus clericus . . . si insons fuerit declaratus . . . vobiscum
proceclendi habeat licentiam 5. Namentlich aber lassen an der Bedeutung des procedere
in den Briefen Gregors keinen Zweifel die Briefe 1. 14, n. 2, 1. 5, n. 45 und 1. 9, n. 156.
Das erste dieser drei Schreiben ist an den Vitalis, den Densensor (Vogt) von Sar-
dinien, gerichtet. Dieser hat Gregor berichtet, der Bischof Johannes von Cagliari
habe zur Zeit, quo sacrificium celebrat, häufig mit so großer Beklemmung
zu tun, daß er erst nach langer Weile den unterbrochenen Kanon wieder aufnehmen
könne. Infolgedessen sei bei vielen Unruhe darüber entstanden , ob in solchen
Fällen die Konsekration gültig und das Kommunizieren zulässig sei. Gregor be-
schwichtigt die Bedenken, fügt aber hinzu: secretius tarnen omnino isdem frater noster
hortandus est, ut quotiens sibi aliquam molestiam senserit, non procedat". Das
procedere ist hier offenbar identisch mit dem vorhergehenden sacrificium celebrare.
In Brief 1. 5, n. 45 verbietet Gregor dem Diakon Sabinian, seinem Vertreter zu Kon-
stantinopel, sich zu unterfangen, mit Bischof Johannes, der sich den Titel „öku-
menischer Patriarch" beigelegt hatte, jemals procedere7, d. i., wie der Papst in
seinem Schreiben an Johannes selbst mit ausdrücklichen Worten sagt , mit diesem
die Messe zu feiern: eum (sc. Sabinianum) missarum sollemnia cum fraterni-
tate vestra celebrare prohibui8. Brief 1. 9, n. 156 endlich ist ein Rund-
schreiben an verschiedene Bischöfe Griechenlands, in welchem Gregor diese ermahnt,
Cyriakus, dem Nachfolger Johannes', den Titel „ökumenischer Patriarch" um keinen
Preis zuzugestehen. Schon Pelagius sei gegen Johannes, den Vorgänger des Cyriakus,
wegen der gleichen Anmaßung mit aller Entschiedenheit vorgegangen ; er habe sogar
seinem Diakon, der ihn zu Konstantinopel vertrat, untersagt, bis der Bischof sich
gebessert habe, illi procedere9, oder wie es im eben erwähnten Briefe Gregors an
Johannes, in welchem auf diesen Befehl des Papstes Pelagius gleichfalls Bezug ge-
nommen wird, heißt, mit ihm missarum sollemnia celebrare.
Unter solchen Umständen müssen wir natürlich auch die Ausdrücke
cum mappulis procedebant und in obsequio domni papae (im Dienst des Herrn
Papstes) mecum procedentes gleichfalls vom Hinzutreten zum Altar und den
liturgischen Funktionen verstehen. Allerdings besagt procedere auch wohl außer-
liturgisch aufziehen, in feierlichem Zug zu Fuß oder zu Roß sich bewegen.
Allein in unserem Falle ist für die Bedeutung des Wortes offenbar nicht ent-
scheidend, was es überhaupt bedeuten kann oder irgendwo bedeutet, sondern
welcher Sinn ihm in den Parallelstellen in Gregors Briefen zukommt. Es hieße
offenbar dem Ausdruck Gewalt antun, wollten wir ihn hier von einem feier-
lichen Auf ritt zur Kirche verstehen, statt vom Altardienst. Ebendarum aber
können auch die mappulae keine weißen Schabracken, sondern nur die litur-
gische Mappula sein.
1 M. G. Epp. I 229. Mauritius schreibt: Mecum feci eos (die
2 Ebd. I 375. Gesandten des Cyriakus von Konstantinopel)
3 Ebd. II 28. 4 Ebd. 59. sacra missarum sol emnia celebrare,
5 Ebd. 89. 6 Ebd. 421. quia sicut meus diaconus ad ex-
7 Ebd. I 344. hibenda sancta mysteria illi non
8 L. 5, n. 44 (ebd. I 339). debet ministrare, ita ministri
'■' Ebd. II 157. Was das Verbot des „pro- illi us in celebratione missarum
cedere" bedeutet, erhellt auch aus 1. 7, n. 30 mihi adesse debuerunt, quia custodiente
(ebd. I 477) , in dem Gregor dem Kaiser Deo in superbiao errorem non cecidi.
Erstes Kapitel. Der Manipel. 529
Die einzige Schwierigkeit, welche etwa erhoben werden könnte, ist, dafs nach
dem Papstbuch nicht bloß zu Rom, sondern auch in den umliegenden Kirchen die
mappula im Gebrauch war, während die römischen Kleriker nach dem Briefe Gregors es
verneinen, daß diese je einer andern Kirche bewilligt worden sei. Allein wirklich er-
heblich ist dieser Einwand nicht. Man wird die Behauptung der römischen Kleriker, daß
der Gebrauch der mappula nie einer sonstigen Kirche gestattet worden sei, nicht auf
die Goldwage legen dürfen. Sie sprechen zu sehr im Eifer des Streites, im Eifer
aber pflegt man nicht gerade die Worte abzuwägen. Ihre Behauptung hinsichtlich der
ravennatischen Kleriker war jedenfalls irrig. Denn wenn Gregor trotz des heftigen
Widerstrebens der römischen Kleriker den ersten Diakonen Bavennas gestattet, sich
der mappula zu bedienen, so tut er das, wie er sagt, weil durch Zeugen festgestellt
worden war, daß diese solches wirklich schon zu tun gewohnt gewesen waren. Zudem
betrifft die Differenz zwischen der Angabe des Papstbuches und der Behauptung der
römischen Kleriker nicht sowohl die Tatsächlichkeit des Gebrauches der mappula in
den kleineren Kirchen um Bom, als vielmehr die Frage, ob diese die Erlaubnis dazu
erhalten hatten oder nicht. Die römischen Kleriker leugnen, wie es scheint, jede aus-
drückliche Verleihung dieses Rechtes , das Papstbuch führt sie auf Zosimus zurück.
Wer von beiden recht hat, muß dahingestellt bleiben. Das von Johannes behauptete
Paktuni wird von den römischen Klerikern nicht in Abrede gestellt, was doch das
Allernächste gewesen wäre. Sie begnügen sich dem Erzbischof gegenüber mit der
allgemeinen Bemerkung, daß die Verwendung der mappula nie einer andern Kirche
gestattet worden sei. Wäre diese in den Kirchen um Rom wirklich nicht in Gebrauch
gewesen, so hätten sie es hierbei ohne Zweifel nicht bewenden lassen, sondern das von
Johannes behauptete Beispiel sicher schlechthin in Abrede gestellt. Denn mit Bezug
auf die Angabe des Erzbischofs, daß die Priester und Diakone von Ravenna zu Rom
sich der mappula bedient hätten , bleiben sie bei jener Bemerkung nicht stehen,
sondern sagen ausdrücklich, daß diese ihres Wissens niemals, nicht zu Rom, nicht zu
Ravenna die mappula gebraucht hätten. Der Briefwechsel bildet also hinsichtlich
der Verwendung der mappula in den suburbikarischen Kirchen so wenig einen Wider-
spruch gegen die Angabe des Papstbuches , daß er diese in der Hauptsache , d. i.
in der Tatsächlichkeit ihrer dortigen Benutzung, eher bestätigt. Es liegt aber auch
auf der Hand , daß Johannes , bevor er in seinem Brief darauf aufmerksam machte,
daß man in jenen Kirchen die Erlaubnis habe , die mappula zu verwenden , sich
genau über den Stand der Dinge unterrichtet hatte. Wie hätte er es sonst wagen
dürfen, dem Papst gegenüber sich mit solcher Bestimmtheit auf die um Rom liegenden
Kirchen als Präzedenzfall zu beziehen ? Er hätte gewärtig sein müssen, daß man ihn
alsbald der Unwahrheit überführe.
Der Briefwechsel zwischen Johannes von Ravenna und Gregor d. Gr.
ist eine wichtige Ergänzung zu der Mitteilung des Papstbuches über das
pallium linostimum. Erstens beweist er, daß das pallium linostimum und
die Mappula ein und dasselbe sind. Zweitens bekundet er, daß es zu Gregors
Zeiten zu Rom nicht bloß die Diakone waren, welche sich der Mappula be-
dienten, sondern auch die Priester, und daß die Mappula darum nichts spezifisch
Diakonales war, wenngleich die Diakone kraft ihrer hervorragenden Stellung
sich ihrer vor allem erfreut haben werden. Drittens geht aus dem Briefwechsel
hervor, daß die Mappula kein für dienstliche Verrichtungen, z. B. das Hände-
waschen und Ähnliches, bestimmtes Tuch gewesen sein kann, sondern eine Aus-
zeichnung darstellte und der Auszeichnung halber getragen wurde. Viertens
belehrt er uns, daß trotz dieses Charakters die Mappula noch keine Insignie,
d. h. noch kein Abzeichen eines Ordo war wie später. Sie erscheint vielmehr
nur als Eigentümlichkeit des römischen Klerus, welche dieser mit Eifersucht
sich zu reservieren trachtete. Es läßt darum auch fünftens der Briefwechsel
keinen Zweifel übrig, daß die Mappula ihren Ursprung in Rom hat, und daß sie
Braun, Die liturgische Gewandung. 34
530 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
sich von hier aus allmählich in andere Kirchen verbreitete, wobei sie natürlich
ihren ausschließlich römischen Ckarakter immer mehr einbüßte. Ob auch der
Erzbischof Johannes sich ihrer bediente, ist aus dem Briefwechsel nicht direkt
ersichtlich. Wenn indessen die ravennatischen Priester und Diakone nach
seiner Angabe die Mappula trugen, als sie bei Gelegenheit seiner Weihe mit
ihm am Pontifikalamt des Papstes teilnahmen, dann dürfte auch er wohl kaum
ohne sie geblieben sein, zumal wir ja später in der Tat die Bischöfe gleich
den Priestern und Diakonen von derselben Gebrauch machen sehen.
Auf den Monumenten der vorkarolingischen Zeit begegnet uns die Mappula
nie. Bei den Mosaiken zu Ravenna mag solches daher kommen, daß sie
dort noch nicht in Gebrauch war, als diese geschaffen wurden. Auf den sehr
wenigen römischen Bildwerken dürfte ihr Fehlen vielleicht seinen Grund darin
haben, daß sie zu deren Entstehungszeit keine besondere Bedeutung mehr
besaß; denn die frühesten der hier in Betracht kommenden Monumente ge-
hören dem zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts an. Überhaupt hat die Mappula,
so sehr sie ein auszeichnendes Ornatstück des römischen Klerus war, schwer-
lich je eine derartige Wichtigkeit besessen, wie es nach dem Briefwechsel
zwischen Gregor und Johannes von Ravenna scheinen könnte. Wenn die
Kleriker zu Rom damals so viel Aufhebens davon machten, daß die ravenna-
tischen Priester und Diakone ebenfalls sich der Mappula bedienten, so lag
das, wie es scheint, weniger an der Bedeutung des Ornatstückes, als weil es
galt, den ravennatischen Klerus, dessen Gelüste, es dem römischen gleich zu
tun, nur zu bekannt waren, in den gebührenden Schranken zu halten. Übrigens
kann das Fehlen der Mappula auf den römischen Monumenten auch aus rein
zufälligen Ursachen herrühren; mangelt sie doch noch fast auf allen Bild-
werken aus dem 9. Jahrhundert zu Rom, namentlich auf allen Mosaiken.
Im Kloster vom heiligen Kreuz zu Poitiers wurde im 15. Jahrhundert
nach einem von Barbier de Montault veröffentlichten Inventar aus dem Jahre
1476 außer der Stola auch der Manipel des hl. Medardus (i 545) aufbewahrt1.
Im 12. Jahrhundert zeigte man, wie der Mönch Thomas von Ely erzählt, zu
Durham einen herrlichen, mit Gold und kostbaren Steinen geschmückten
Manipel, den die hl. Etheldreda von Ely, der Goldweberei kundig, dem
hl. Cuthbert (f 681) mit eigenen Händen angefertigt haben sollte2. Einen an-
geblichen Manipel des hl. Licinius (f 605) besaß man vor der französischen
Revolution in St-Julien zu Angers3. Wir brauchen kaum zu bemerken, daß
diesen Manipeln, deren spätere Entstehung die Beschreibung, die wir von
ihnen haben, mit aller Bestimmtheit verbürgt und deren Zahl sich leicht noch
um andere ähnliche vermehren ließe, eine Bedeutung für die Geschichte des
Manipels in vorkarolingischer Zeit nicht zukommt.
V. BESCHAFFENHEIT DES MANIPELS ZUR KAROLINGERZEIT.
SEINE UMWANDLUNG IN EINEN ZIERSTREIFEN.
Der moderne Manipel ist ein Band oder Streifen. Die Mappula des 8. und
des beginnenden 9. Jahrhunderts war das noch nicht; sie war vielmehr ein
streifenförmig zusammengefaltetes Tuch. Denn wenn im 1. Ordo das Tuch,
mit dem die Akolythen die Ampulla, worin sich das Chrisma befand, zu halten
hatten, mappula genannt wird*, dann haben wir die im nämlichen Ordo bald
1 Roh. VII 38. 2 Acta S. Etheldredae Reg. 1. 1, n. 31 (A. SS. 23. lim., V 430).
a Roh. VII 52. ' N. 2 (M. 78, 938).
Erstes Kapitel. Der Manipel. 531
nachher erwähnte Mappula des Pontifex ebenfalls wohl als ein größeres Tuch
anzusehen und nicht als einen bloßen Zierstreifen. Auch was Hraban, Amalar
und noch Pseudo-Alkuin über die Mappula, das Sudarium oder den Fano sagen,
stellt, wie man auch immer die von ihnen gegebenen Deutungen beurteilen
mag, das unseres Erachtens außer Zweifel. Namentlich gilt solches von
der Bemerkung Pseudo-Alkuins: Im Alten Bunde fehlten (den Priestern) Stola,
Sandalen und Sudarium, quod ad tergendum sudorem in manu gestari
mos est, quod usitato nomine fanonem vocamus 1, und den Worten Amalars:
Sudarium (sc. diaconi) est habile ad hoc, ut quidquid accesserit sordidi, illo
tergatur et sacerdotis mundissimum maneat2. Ebenso beweist das goldverzierte
Enchirion, welches vom Patriarchen Nicephorus von Konstantinopel Papst
Leo III. zum Geschenk gesandt wurde3 und nach dem Zusammenhang nur die
Mappula bedeuten kann, daß diese damals noch ein förmliches Tuch war.
War doch das Enchirion ein solches selbst noch im 11. Jahrhundert.
Wann die Mappula aus einem streifenförmig zusammengefalteten Tuch
zu einem bloßen Zierstreifen wurde, läßt sich nicht genau bestimmen. Die
Umbildung erfolgte nicht mit einem Schlag, nicht wie über Nacht. Kein
Dekret hat ihr die primitive Form genommen und eine andere gegeben. Der
Wandel hat sich auf dem Wege einer allmählichen Entwicklung vollzogen, bei
der man hier ein schnelleres, dort ein langsameres Tempo einhielt. Jedenfalls
war der Manipel im Beginn des 2. Jahrtausends allenthalben schon zum Zier-
streifen geworden, der seitdem höchstens durch die mystische Bedeutung,
die man mit ihm verband, an die frühere Gestalt erinnerte. Ad extremum
sacerdos fanonem in sinistrum brachium ponit, quem et manipulum veteres
et sudarium appellaverunt, per quem olim sudor et narium sorcles exter-
gebantur. So oder ähnlich reden Honorius, Robert Paululus, Sicard, Innozenz III.
und Durandus *. Eine Ausnahme machte vielleicht hie und da bis zu einem
gewissen Grade der subdiakonale Manipel. Denn Honorius schreibt noch um
1120: Subdiacono . . . subtile et sudarium adduntur. . . . Sudarium, quo sordes
a vasis deterguntur, portat, ut transacta mala sordium a se per poenitentiam
tergat. Notandum vero, quod subdiacono maius aliis formatur, quia ubi nunc
fano, olim mappula portabatur. Es scheinen hiernach die Subdiakone noch im
Beginn des 12. Jahrhunderts hier und dort im Gegensatz zu den Priestern
und Diakonen einen durch seine Maße an ein Tuch erinnernden Manipel ge-
tragen zu haben, eine Erscheinung, die Honorius mit dem Hinweis auf die
Tatsache erklärt, daß früher überhaupt statt des Fano (hier Zierstreifen) eine
Mappula, ein Tuch, gebraucht worden sei.
Es ist allerdings richtig, daß man bei Honorius zusehen muß, ob nicht
etwa irgend eine Angabe über die liturgische Gewandung das bloße Echo
der Äußerung eines älteren Schriftstellers ist. Allein im vorliegenden Fall
liegt, wie es scheint, zu einer solchen Annahme kein Grund vor; namentlich
gilt das bezüglich des letzten Satzes, der sich nicht nur in früherer Zeit
kaum nachweisen lassen dürfte, sondern auch ersichtlich das Gepräge einer
persönlichen Bemerkung des Honorius an sich trägt. Wenn aber um 1200
Sicard von Cremona und um 1275 selbst noch Durandus die Ausführungen
1 De offlc. div. c. 38 (M. 101, 1240). rale), ein Sticharion (Tunika, Dalmatik), ein
- De eccl. offic. 1. 3, c. 19 (M. 105, 1131). goldverziertes Epitrackelion (Stola), ein kasta-
3 M. 102, 1068. Patr. Nicephorus übersendet nienfarbiges Phelonion (Kasel), alles Gegen-
den! Papst außer dem Enchirion ein goldenes stände für den gottesdienstlichen Gebrauch.
Enkolpion (Reliquiar nach Art eines Pekto- * Vgl. auch Bruno von Segni (M. 165, 1108).
34*
532 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
der Gemma wortwörtlich wiederholen, obschon damals der Manipel der Sub-
diakone sicher überall ein Zierstreifen war, so folgt daraus selbstverständlich
nicht, daß Honorius gleichfalls nur gedankenlos geechoet habe, was einmal jemand
vor ihm über den subdiakonalen Manipel schrieb. Vielleicht ist es auch nicht
ohne Grund, daß in den Inventaren des 11. und des beginnenden 12. Jahr-
hunderts die subdiakonalen Manipel verschiedentlich gesondert aufgeführt und
ausdrücklich als solche bezeichnet werden; so im Gabenverzeichnis Leofrics
von Exeter (f 1072): 4 subdiakons handlin (Handlinnen, Manipel), und im
Bamberger Inventar von 1127 : 8 fanones subdyaconorum, ex his 4 cum aurifrigio.
Der älteste noch erhaltene Manipel in der jetzigen Streifenform stammt
aus dem Beginn des 10. Jahrhunderts. Er wurde schon gelegentlich erwähnt.
Es ist der Manipel, welcher 1827 im Grabe des hl. Cuthbert aufgefunden wurde,
und welchen laut Inschrift Königin Elflead für Bischof Frithestan anfertigen
ließ. Er ist eine ausgezeichnete Arbeit, die den Beschauer unwillkürlich zur
Bewunderung zwingt. Der Manipel hat eine Länge von 86 cm bei einer
Breite von 6 cm und ist auf beiden Hälften mit Heiligenfiguren, die auf
Wolken stehen und zu deren Häupten Blattwerk angebracht ist, geschmückt.
Die dargestellten Heiligen sind Gregor d. Gr., Petrus Diakonus, Sixtus II.
und Laurentius. Der Fond des Figurenwerks besteht aus äußerst feinen,
mit tief eingezogenen Abheftstichen befestigten Goldfäden. An den- Seiten
ist der Manipel mit einem schmalen, goldgemusterten Rändchen eingefaßt,
an den Enden aber mit quadratischen Abschlußstücken , die Halbbilder auf-
weisen , versehen i. In der Mitte enthält er in einem Vierpaß die Rechte
Gottes. Der Manipel bildet einen unzweifelhaften Beweis, daß es bereits im
Beginn des 10. Jahrhunderts Manipel in der später allgemein üblichen Streifen-
form gegeben hat.
Er bekundet aber auch, daß die Umbildung der Mappula zum Zier-
streifen nicht erst damals ihren Anfang genommen haben kann; denn ein so
reich verziertes Stück, bei dem sich jede Erinnerung an ein Tuch verloren hat,
ist offenbar nicht die erste Phase, sondern das Endresultat eines längeren
Prozesses. Wirklich treffen wir bereits im 9. Jahrhundert Bildwerke an, auf
denen der Manipel allem Anschein nach Streifenform besitzt. Das erste
Beispiel findet sich auf einer der Kopfseiten des Palliotto in S. Ambrogio zu
Mailand (vgl. Bild 258, S. 521); ein zweites bietet eine Miniatur in dem Frag-
ment eines aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts stammenden Sakra-
mentars der Pariser Nationalbibliothek2, ein drittes die früher schon er-
wähnte Miniatur in dem Cod. B. 25 2 der Vallicelliana zu Rom (vgl. Bild 125,
S. 267). Auf dem Palliotto gewahren wir den streifenförmigen Manipel bei
Diakonen, auf der Pariser Miniatur bei zwei Bischöfen und auf dem Bild
der römischen Handschrift beim Subdiakon Juvenianus. Was uns in allen
diesen drei Fällen in dem abgebildeten Manipel nicht ein streifenförmig zu-
sammengefaltetes Tuch, sondern einen bloßen Streifen sehen heißt, ist nicht
die Verzierung der Enden als solche, sondern die Art der Verzierung. Freilich
darf man nicht außer acht lassen, daß den alten Künstlern, namentlich aber
den Miniatoren wenig zu trauen ist, sobald es sich um das Detail handelt,
bei welchem nur zu oft, um nicht zu sagen in der Regel, die Phantasie die
Hand geführt hat. Am wenigsten kann die Miniatur im Kodex der Valli-
1 Abbildung bei Roh. VII, pl. dxxxi, Raine, Life of St. Cuthbert, Durham 1828,
wo er aber im Gegenteil zum Text (p. 39) 209.
irrig als Stola bezeichnet ist. Vgl. auch - Abbildung in Arts sompt. pl. xxm.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
533
celliana als zuverlässig gelten. Der Manipel, den die Mönche des Klosters
vom hl. Martin zu Tours auf dem Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen
tragen, scheint eher ein zusammengefaltetes Tuch als einen bloßen Streifen
darzustellen. Die Verzierung an den Enden gibt sich hier wie ein fortlaufender
Besatz, nicht wie das Endstück eines Streifens. Außerdem sind auf dem
Manipel selbst Falten angedeutet (vgl. Titelbild).
Auf den Bildwerken des 10. und 11. Jahrhunderts erscheint der Manipel
regelmäßig als ausgesprochener Zierstreifen. Namentlich gibt er sich als
solchen durch die eigenartige Bildung der beiden Enden kund. Statt von oben
bis unten die gleiche Breite aufzuweisen, wie das bei einem zu einem Streifen
gefalteten Tuche zu erwarten wäre, haben diese nämlich sehr häufig Trapez-
oder Schaufelform (Bild 259). Ihre Verbreiterung
ist bisweilen so beträchtlich, daß sie stark an die
Schaufeln der Manipel des späten Barock und des
Rokoko erinnern. Hat die Endverzierung aber eine
rechteckige oder quadratische Gestalt, so ragt sie sehr
gewöhnlich in auffälliger, ja oft geradezu häßlicher
Weise seitlich über den Manipelstreifen hinaus. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß eine derartige Bildung
der Endstücke zum Teil auf die Rechnung der Künstler-
pbantasie und künstlerischer Lizenzen zu setzen ist.
Doch ist sie, weil allgemein und konstant, wohl nicht
bloß Ausgeburt einer Künstlerlaune. Das eine zeigt
sie jedenfalls klar, daß mit dem Ornatstück ein
Wechsel vor sich gegangen war, bei dem die Mappula
ihren Tuchcharakter verloren hatte und zu einem
Zierstreifen geworden war.
In den Inventaren des 9. und 10. Jahrhunderts spie-
gelt sich der Umbildungsprozeß nur sehr mangelhaft wider.
Zwar werden in ihnen nicht selten goldverzierte Mappülae
aufgeführt — Beispiele finden sich in der Schenkung Emhildas
von Milz (ca 800J : Panones auro argentoque parati; dem
Inventar von St Bavo zu Gent (860) : Manipulos cum auro ;
dem Verzeichnis der Gaben Madalwins von Passau (903) :
Cum fanone auro et gemmis parato ; dem Testament Riculfs
von Eine: manipulos sex cum auro, unum es iis cum
tintinnabulis ; dem Inventar von Clermont-Perrand : Panones
cum auro ; dem Inventar von Cremona (98-1) : Stolas aureas egregio opere compertas
(sie) integras cum dependentiis suis aureis et manipulis suis u. a. — , allein nirgends
ein sicherer Anhalt, ob wir es bei solchen manipuli oder fanones mit einem bloßen
Zierstreifen oder mit einem Tuch zu tun haben. Am ehesten könnte in den Angaben
des Testaments Riculfs von Eine und dem Inventar von Cremona eine Andeutung
gefunden werden, daß sie von einem bloßen Streifen reden.
Aber auch im 11. Jahrhundert lassen die Inventare vielfach noch nicht er-
kennen, ob der Manipel ein Tuch oder einen Streifen darstellte; so das Inventar von
Prüm (1003): Manipuli, quos nos phanones vocamus, 20, quorum 12 auro et 6 argento
sunt praeparata; das St Gallener Inventar: mappülae 18 cum auro, u. a. Immerhin
gibt es einige Schatzverzeichnisse , in denen die darin angeführten goldverzierten
Manipel kaum anders mehr als bloße Zierstreifen aufgefaßt werden können. Als
Beispiele seien genannt das Inventar von Speier (1051): mappülae V ex pallio, quarum
una auro texta; das Inventar des Klosters Abdinghof zu Paderborn (1031): stolae
auro textae adiunetis mappularum pertinentiis u. a. Auch die Manipel,
Bild 259. Ausschnitt aus
einer Miniatur des Gero-
evangeliars.
Darmstadt. Grofilierzogliche
Bibliothek.
534 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
welche Heinrich II. (stola , manipulus atque cingulum , singula intexta auro) und
Benedikt Till. (1012 — 1024) dem Kloster Monte Cassino schenkten: stolam unam
optimam, auro brüst. am (goldbestickt) cum manipulo suo, sowie die Ma-
nipel. welche von Viktor II. (1054 — 1057) verpfändet, von Abt Desiderius aber ein-
gelöst worden waren: 9 stolae auro textae cum manipulis suis, waren ohne
Zweifel blofse Streifen '.
Über die Verbreitung, welche der streifenförmige Manipel im 9. Jahr-
hundert besaß, Vermutungen anzustellen, wäre eine müßige Sache. Weder
die Bildwerke noch die Inventare bieten für solche eine genügende Unterlage.
Was den Weg anlangt, auf dem sich die Umbildung des Mappula vollzog, so
konnte solches an sich auf doppelte Weise geschehen. Entweder wurde aus
der streifenartig zusammengefalteten Mappula direkt ein einfacher Streifen,
oder dieser entstand, indem sich ein Zierbesatz, der die zusammengelegte
Mappula oben bedeckte, ablöste und nun als Surrogat der letzteren diente.
Der erste Weg ist der natürlichste und wahrscheinlichste , zumal es für den
zweiten an jedem Analogon in der Geschichte der liturgischen Gewandung fehlt.
Auffallend ist, daß in einzelnen Inventaren des 9. und 10. Jahrhunderts
die Mappula vollständig mangelt. Dürfen wir daraus schließen, daß sie sich
noch nicht überall eingebürgert hatte? Vielleicht; doch ist es wohl richtiger,
in den facitergia (facitercula) , welche in solchen Inventaren aufgeführt zu
werden pflegen, Mappulae oder Sudarien zu sehen. Namentlich scheint das
in dem Inventar von Marchiennes geboten, wo die facitercula in einem Atem
mit den stolae, casulae und dalmaticae genannt werden.
Über den Stoff der Manipel liegen aus dem 9. und 10., ja selbst noch
dem 11. Jahrhundert so gut wie keine Nachrichten vor. Was wir darüber
hören, beschränkt sich fast ganz auf eine Andeutung Amalars, wonach zu
seiner Zeit das Sudarium gewöhnlich aus Linnen angefertigt worden zu sein
scheint, sowie auf den Vermerk des Inventars von St-Riquier aus dem Beginn
des 9. Jahrhunderts: fanones de pallio 10, woraus wir ersehen, daß auch kost-
barere Stoffe zu den Mappulae verwendet wurden 2 (vorausgesetzt, daß unter
den fraglichen fanones wirklich Mappulae zu verstehen sind). Die Verzierung,
mit der man bessere Mappulae bedachte, bestand in Fransen und obendrein
auch wohl noch in einem schmalen, an den Enden angebrachten Besatz; so
wenigstens auf den Bildwerken, die in diesem Punkt im großen und ganzen
die Wirklichkeit wiedergeben dürften. Einer der Manipel, welche Riculf von
Eine seiner Kathedrale hinterließ, war an Stelle von Fransen mit Glöckchen
geschmückt. Die Besätze scheinen, wo sie als Endverzierung zur Anwendung
kamen, mit Vorzug aus einer Goldborte gemacht worden zu sein.
Als die Mappula zum bloßen Streifen geworden Avar, entstanden bald
Manipel, die ganz in kostbarster Stickerei hergestellt waren. Ein glänzendes
Beispiel aus dem beginnenden 10. Jahrhundert ist der bereits erwähnte
Manipel im Museum der Kathedrale zu Durham. Ein gutes Beispiel der gold-
durchwirkten Ziermanipel, von denen die Inventare des 11. Jahrhunderts
1 Chron. Cass. 1. 2, c. 43; I. 3, c. 18 (M. Paramenten im ersten Inventar von St-Riquier
G. SS. VII 656 657 711). In der Hinter- mögen Mappulae bedeuten. Dagegen sind die
lassenschaft Viktors III. befand sich ein fano fanones de pallio usw. im Inventar von Fon-
imperalis totus aureus (ebd. 1. 3, c. 74 [ebd. tanelle keine solche, da dieses die Mappulae
751]). eigens aufführt. Wie es mit den fanones
2 Auch die 10 fanones de pallio auro im Inventar von St-Riquier aus dem Jahr
parati unter den von Angilbert stammenden 831 sich verhält, ist unklar.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
535
sprechen, ist ein Manipel, der im Archiv des (jansenistischen) bischöflichen
Ordinariats zu Utrecht aufbewahrt und wie die Albe daselbst, deren früher
Erwähnung geschah, dem hl. Bernulf zugeschrieben wird. Er hat eine Breite
von 0,075 m und die bedeutende Gesamtlänge — die 0,11 m
langen Fransen an den Enden eingerechnet — von 1,37 m.
Eine sich wiederholende Folge von acht verschiedenen
Bildern aus dem Leben des Erlösers ziert ihn (Bild 260).
Die Szenen, welche zur Darstellung gebracht wurden,
sind die Verkündigung, die Geburt, die Anbetung durch
die drei Weisen, Christus am Kreuz, die Frauen am Grabe,
die Auferstehung, die Himmelfahrt und Christus in der
Glorie. Jedes der naiven und kindlich unbeholfenen Bilder
ist durch eine Überschrift gekennzeichnet, durch welche
es zugleich von dem nächstfolgenden geschieden wird.
Der Grund der Szenen ist ein prächtiger , leuchtend
roter Purpur; das Bildwerk ist durch eingewebte Gold-
fäden hergestellt. An den beiden Langseiten des Ornat-
stückes zieht sich nach Art eines Börtchens eine Einfassung
hin, die auf Goldgrund ein doppeltes, in regelmäßigen
Intervallen gebrochenes Zickzackmuster von grüner Farbe
stücke sind auf Goldgrund mit einer abwechselnd weißen
ranke geschmückt, die in einem roten Blatt endigt.
isk^cs.
Bild 260. Manipel des
hl. Bernulf. Utrecht.
aufweist. Die End-
und grünen Doppel-
VI. DER MANIPEL SEITDEM XII. JAHRHUNDERT BIS ZUR NEUZEIT.
Über die Beschaffenheit, Gestalt, Ausstattung und Größenverhältnisse des
Manipels machen die Liturgiker des 11. und 12. Jahrhunderts leider keine
Angaben. Nur Rupert von Deutz berichtet uns, daß er mit Fransen ge-
schmückt werde. Indessen gibt uns bezüglich des Stoffes, den man im Be-
ginn des 12. Jahrhunderts mit Vorliebe zur Anfertigung des Manipels gebrauchte,
eine sehr interessante Notiz im achten Briefe Abälards an Heloise Aufschluß *.
Abälard gibt darin Anweisung, wie das Oratorium im Kloster zum Paraklet
einzurichten sei. Es soll darin die äußerste Einfachheit herrschen. Eine
Ausnahme dürfen indessen Stola und Fanon machen. Im Gegensatz zu den
übrigen Paramenten können sie aus Seide bestehen. Es muß also damals offen-
bar der Manipel mit Vorzug aus Seide gemacht worden sein. Ihre Bestätigung
erhält diese Folgerung durch das 10. Kapitel der Cistercienserstatuten vom
Jahre 1134, wodurch die Verwendung von Seide ebenfalls nur für Stola und
Manipel gestattet wird 2.
Auch Durandus weiß uns im folgenden Jahrhundert von der Form usw.
des Manipels nichts zu erzählen. Es war ihm genug, das zusammenzuschreiben,
was man je über die mystische Bedeutung des Ornatstückes ausgeklügelt hatte.
Über die Größenverhältnisse des Manipels in der Zeit des Durandus
findet sich eine bemerkenswerte Angabe in den Statuten der Lütticher Synode
vom Jahre 1287. Dieselbe bestimmte, es solle das Ornatstück so lang sein,
daß es zwei Fuß unter den Arm herunterhange3.
Die Bildwerke lassen den Manipel seit dem 12. Jahrhundert stets als
einen verhältnismäßig langen, aber gewöhnlich ziemlich schmalen Streifen
M. 178, 281. 2 M. 181, 1727. gleiche Bestimmung traf noch 1550 eine
C. 5, n. 1 (Hartzh. III 690). Eine Synode von Cambrai tit. 8 (ebd. VI 698).
536
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
erscheinen, welcher meist mit geometrischen Gebilden, Ranken- und Laubwerk,
seltener, und zwar erst in späterer Zeit, mit figuralen Darstellungen aus-
gestattet ist.
Bis gegen das 14. Jahrhundert ist den beiden Streifen vor wie
nach sehr häufig ein besonderes Endstück als Abschluß angefügt. Es hat
bis in das 13. Jahrhundert hinein noch immer sehr gewöhnlich die Trapez-
form, welche uns schon um die Wende des Jahrtausends bei ihm begegnete.
Dann aber verliert es dieselbe rasch mehr und mehr, bis sie zuletzt so gut wie
vollständig verschwindet. Auf den Bildwerken des 14. und 15. Jahrhunderts
gibt sich der Manipel in der Regel als einen überall gleich breiten Streifen.
Weniger oft, daß er sich auf ihnen von unten nach oben zu verschmälert,
aber auch in diesem Falle mangelt fast immer ein besonderer Abschluß.
Bei diesem Wechsel, den wir mit der Form des Manipels vor sich gehen
sehen, blieb es nach Ausweis der Bildwerke jedoch stets Gewohnheit, den
unteren Rand mit Fransen und Quasten oder gar Glöckchen, Äpfelchen,
Eichelchen und ähnlichem Zierat aus Silber, vergoldetem Kupfer u. dgl.
zu besetzen.
Über die Befestigungsweise des Manipels erhalten wir aus dem Bild-
werk keinen vollen Aufschluß. Daß man irgendwie dafür sorgen mußte, daß
er nicht vom Arm heruntergleite, ist begreiflich. Wie verschie-
dene Darstellungen vermuten lassen, scheint man das bald dadurch
erreicht zu haben, daß man ihn mittels eines an der Innenseite
angebrachten Bandes am Arm festband, bald dadurch, daß man
die beiden Streifen unterhalb des Armes teilweise zusammennähte
oder mittels eines Knopfes miteinander verband.
Eine eigenartige Befestigungsvorrichtung erblickt man am
Manipel bei der Grabfigur des Domscholasters Konrad Barscher
(f 1493) im Kreuzgang des Domes zu Augsburg. Es sind in
einem Abstand von etwa 0,15 m von der Mitte an der Innenseite
einer der beiden Hälften zwei Schnüre angenäht, welche durch
zwei in der andern Hälfte angebrachte Löchlein gezogen und dann
zusammengebunden erscheinen (Bild 261). Diese Einrichtung gewahrt man
auch an dem Manipel des Erzbischofs Johann von Metzenhausen (f 1540) auf
dessen Grabmonument im Dom zu Trier. Ein wirklicher Manipel dieser Art
findet sich im Trierer Dommuseum; er gehört zu der sog. Balduinskasel und
stammt wie diese aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Mit Kreuzchen sieht man auf den mittelalterlichen Bildwerken im ganzen
nur selten den Manipel ausgestattet. Auf Monumenten des 10. oder gar
9. Jahrhunderts sind uns mit Kreuzen versehene Manipel bisher nicht vor-
gekommenJ. Zu den ältesten Darstellungen, auf denen man solche auf ihm
antrifft, gehört ein Fresko der Unterkirche von S. demente zu Rom und die
Miniatur eines Evangeliars der Kölner Dombibliothek. Dort ist ein Kreuz
in der Mitte einer jeden Hälfte des Ornatstückes angebracht, hier ist dieses
Bild 261.
Ehemalige
Bindevorrich-
tung' am
Manipel.
1 Der Weiherotnlus der Casanatense zu
Rom, auf dessen Miniaturen der Bischof hie
und da einen Manipel tragen soll , der mit
einem Kreuz versehen ist, stammt nicht aus
dem 10. Jahrhundert, wie Langlois, Le rou-
leau d'Exultet de laBibliotheque Casanatense,
in MeJanges d'arch<;ologie et d'histoire VI,
Jahrg. 1886 behauptet, sondern aus dem Be-
ginn des 12. Er rührt nicht von Landulf I.
von Benevent her, wie Langlois will, sondern,
wie aus einer Folge von Hexametern in dem
Taufrotulus der Casanatense sich ergibt, von
Landulfus alter, Landulf IL, her. Auch handelt
es sich bei dem angeblichen Manipel allem
Anschein nach nur um das Ende des Palliums,
das der Bischof hier in der linken Hand hält.
Denn auf den Bildern, wo das Pallium fehlt,
mangelt auch der Manipel.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
537
mit einer Reihe von Kreuzen verziert. Im letzteren Fall sind indessen die
Kreuze sicher nur ein Werk der Phantasie, weshalb ein Schluß von ihnen
auf die Praxis nicht zulässig ist. Freilich soll keineswegs geleugnet werden,
daß man auf dem Manipel auch wohl schon im Mittelalter Kreuze angebracht
habe. Einzelne noch erhaltene mittelalterliche Exemplare, von denen noch
die Rede sein wird, beweisen das mit aller Bestimmtheit. Nur läßt sich nicht
jedes Bildwerk, auf dem ein Manipel mit Kreuzen dargestellt ist, zum Beleg
dafür verwenden. Bemerkenswert ist, daß der Ma-
nipel selbst auf den römischen Grabmälern gewöhnlich
ohne Kreuz ist. Wenigstens fehlen die Kreuze an
den unteren Enden. In Mainz erscheinen Kreuze
auf dem Manipel der Grabfiguren der Erzbischöfe
im Dom erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts.
Die Schatzverzeichnisse des späteren Mittel-
alters pflegen meistens die Manipel nicht näher zu
beschreiben. Sie führen nicht einmal immer die
Manipel ausdrücklich an. Sehr gewöhnlich begnügt
man sich mit der Bemerkung: „Eine Kasel (Dal-
matik usw.) mit ihrem Zubehör. " Nur die vereinzelt
vorhandenen oder kostbaren Manipel werden beson-
ders genannt. Wir erfahren darum aus manchen
Inventaren nur äußerst wenig über die Beschaffen-
heit des Ornatstückes. Immerhin ist jene summa-
rische Erwähnung der Manipel in den Schatzverzeich-
nissen insofern von Belang, als wir daraus ersehen,
daß sie dem Stoff und der Farbe nach meist von der-
selben Beschaffenheit wie die Kasel bzw. Dalmatik
oder Tunicella gewesen sein werden, wozu sie ge-
hörten. Unumstößliche Regel war das freilich nicht,
wie man überhaupt die mittelalterliche Praxis keines-
wegs nach dem liturgischen Brauch der Gegenwart
bemessen darf. Wie bemerkt, sind es durchweg nur die
wertvolleren oder ohne eine Kasel bzw. Dalmatik und
Tunicella vorhandenen Manipel, die einzeln aufgeführt
und näher beschrieben werden. Aus solchen Notizen
erfahren wir dann aber, daß es wie im 10. und 11. Jahr-
hundert, so auch noch in der Folge manche reich ver-
zierte Manipel gegeben hat, bei welchen man an Per-
len, Edelsteinen, Gold oder vergoldetem Silberbleche
und kunstvollen Stickereien keineswegs gespart hatte.
So vermerkt das Schatzverzeichnis von Salisbury aus dem Jahre 1212 unter
andern einen mit Perlen besetzten und vier bestickte Manipel. Das Inventar des
Schatzes des Apostolischen Stuhles führt 1295 im ganzen 26 Manipel auf, die zum Teil
ungemein kostbar gewesen sein müssen. So heißt es z. B. darin : Item stolam et
manipulum de opere venetico cum imaginibus habentibus coronam de perlis . . .; item
stolam et manipulum de opere anglicano cum imaginibus de serico diversorum colo-
rum . . . ; item stolam et manipulum de serico diversorum colorum ad historiam
Passionis . . . ; item stolam et manipulum laboratos ad aurum et sericum rubrum et
nigrum cum perlis grossis et minutis et 23 campanulis argenteis deauratis clausis . . . ;
item unum manipulum laboratum super cendato indico cum rosetis ad 4 angulos de
argento deaurato, in quibus sunt granatelli et turchisii u. a. Einige der Manipel waren,
Bild 262. Manipel.
Naniur, Convent des Relig. de N.-D.
538
Vierter Abschnitt. Die Insianien.
wie das auch sonst im Mittelalter nicht selten geschah , aus Borten gemacht ; so lesen
wir: item unum manipulum de frixio anglicano cum fimbriis sericis . . . ; item unum
manipulum de frixio albo de Alamania ad aurum antiquum. Im Schatze von St Peter aber
befand sich 1361 neben andern Manipeln mit und ohne Figuren in englischer und
venetianischer Arbeit einer cum Salvatore in medio , cum sancto Petro ab una parte
et cum sancto Paulo ab alio(a) et cum uno pistillione de argento deaurato (Knöpf-
chen wohl als Befestigungsvorrichtung). Unter den Paramenten, welche Gottfried
von Loudon, Bischof von Le Mans (f 1255), seiner Kathedrale schenkte, begegnen uns
ein manipulus rubei coloris cum imaginibus deauratis, ein Manipel aus weißer Seide
von wunderbarer Arbeit, ein manipulus auro intextus cum imaginibus bestiarum et
arborum subtiliter intextarum '.
Viele andere Beispiele reich verzierter Manipel bieten auch die Inventare von
Angers und Cluny, namentlich aber das von St Paul zu London aus dem Jahre 1245.
Da gab es, um aus der grofsen Zahl der in ihm aufgeführten Manipel
den einen oder andern herauszugreifen, einen, der aus blauem Köper
bestand und mit den Bildern der Apostel und der lall. Erkenwald und
Edmund bestickt war. Ein anderer wies auf schwarzseidenem Grund
Apostel , Propheten und die hll. Nikolaus und Edmund auf. Ein
weiterer — er war aus rotem Seidenköper angefertigt — war mit
aufgestickten, kreuzförmigen vegetabilischen Gebilden, auf den End-
stücken aber mit Engeln geschmückt. Ein Manipel, den ein verstorbener
Pönitentiar hinterlassen hatte, war mit Löwen bestickt und mit Edel-
steinen besetzt usw.
Die Zahl der Manipel, die sich aus dem 12. und 13. Jahrhundert
erhalten haben, ist nicht grofs. Dem 12. Jahrhundert gehört vielleicht
noch ein Manipel im Schatz der Kathedrale zu Sens und ein anderer
in der Kartause Valsainte bei Bulle (Schweiz) an. Jedenfalls stammen
beide erst aus dem späten 12. Jahrhundert. Mehr Manipel sind aus dem
13. Jahrhundert auf uns gekommen. Zu ihnen gehören namentlich die
Manipel im Besitz der Schwestern U. L. Erau zu Namur, in St-Donat
zu Arlon, zu Provins, zu Pontigny, in den Kathedralen zu Troyes und
Bayeux und in dem kgl. Kunstgewerbemuseum zu Berlin. Auch ein
Manipel im Schatz der Kathedrale zu Anagni mag noch dem 13. Jahr-
hundert angehören. Jedenfalls gilt solches von einem der ehemaligen
Sammlung Bocks angehörigen Exemplare, das dieser in seiner „Ge-
schichte der liturgischen Gewänder" abgebildet und beschrieben hat.
Von zwei wertvollen Manipeln im Schatz des Benediktinerpriorats
Andechs dürfte einer, als manipulus S. Gregorii bezeichnet, dem
13. entstammen, der andere, ein manipulus S. Udalrici, aber zum
wenigsten ins 12. hinaufreichen.
Der Manipel in der Kathedrale zu Sens ist ein schönes Stück. Er hat eine
Gesamtlänge von 1,60 m. Seine trapezartigen Endstücke sind 0,22 m lang und bestehen
aus gemustertem Goldstoff, während die Streifen selbst mit Goldmustern auf farbigem
(grünem, violettem oder braunem) Grund verziert sind. Unten schliefsen sie mit einem
Eisenblechstreifen ab , der mit einem ornamentierten Silberplättchen bedeckt und mit
einem Behang von silbervergoldeten Glöckchen in Birnenform versehen ist.
Wohl nicht mehr ganz vollständig ist der höchst interessante Manipel im Schatz
der Schwestern U. L. Erau zu Namur. Es fehlen, wie es scheint, die Endstücke. Der
Manipel ist aus gelbbrauner, einst wohl roter Seide gemacht und stammt aus der
Frühe des 13. Jahrhunderts. Bei einer Breite von 0,08 m ist er im ganzen 1,19 m
lang und auf jeder Hälfte mit vier Heiligenfiguren (Apostel und der hl. Dionysius),
die unter Baldachinen stehen, ausgestattet. Die Heiligen und die Arkaturen sind mittels
Bild 263. Manipel
des hl. Edmund.
Pontigny. (Pliot.
de Farcy.J
Acta episc. Cenom. c. 44 (Mab il Ion, Analecta vet. III, Paris 1682, 389).
Erstes Kapitel. Der Mahipel.
539
Goldstickerei hergestellt. In der Mitte des Ornatstiickes, da, wo es dem Arm auflag,
ist ein gleicharmiges Kreuz eingestickt (Bild 262, S. 537).
Aus nur wenig späterer Zeit stammt der Manipel des hl. Edmund, Erzbischofs
von Canterbury, zu Pontigny. Selbiger hat eine Länge von 1,32 m und eine Breite
von 0,065 m, erweitert sich aber unten bis zu 0,11 m. Der rote Grund ist mit
Goldstickereien geziert, welche Cherubim und Schlösser, eingefaßt von Laubwerk und
geschieden durch Eosetten, darstellen ' (Bild 263).
Auch der Manipel zu Provins soll vom hl. Edmund herrühren. Statt mit figür-
lichen und vegetabilischen Gebilden ist er nur mit geometrischen Mustern in Gold,
Gelb und Braun bestickt. Seine Gesamtlänge beträgt
1,66 m. Die Enden sind mit Fransen besetzt1.
Der Manipel in der Kathedrale zu Troyes stammt
aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und weist
noch immer den trapezförmigen Abschluß auf. Was die
Ausstattung und die stoffliche Beschaffenheit anlangt, bietet
er nichts Bemerkenswertes -.
Ein kostbares Stück ist der Manipel, den die Ka-
thedrale zu Bayeux besitzt. Er geht unter dem Namen
des hl. Regnobert (f ca 668) , ist aber in Wirklichkeit
erst im 13. Jahrhundert entstanden. Die Ornamentierung
besteht bei ihm in geometrischen Gebilden , Zickzack,
Rauten, verkümmerten Mäandern usw. Auf den Streifen
wechselt Gold mit Violett, die Endstücke weisen nur Gold-
grund auf. Das Ornatstück war und ist zum Teil noch
reich mit kleinen Perlen verziert 3.
Der Manipel im kgl. Kunstgewerbemuseum zu Berlin
zeichnet sich durch die vorzüglichen figürlichen Stickereien
aus, mit denen er geschmückt ist. Auf den Endstücken,
die sich trapezartig erweitern, sind zwei heilige Diakone,
auf dem Manipel selbst aber vier heilige Bischöfe dar-
gestellt. Alle befinden sich unter Kleeblattbogen. Ge-
trennt werden die Figuren voneinander durch romanisieren-
des Rankenwerk, dem ein Kreis mit je einem Evangelisten-
symbol eingeschaltet ist. Die Mitte nimmt ein Bild des
Gotteslammes ein. Der Fond des Manipels besteht aus
grüner Taftseide; die ungemein zarten und edeln Sticke-
reien, welche eine wirkliche Künstlerhand verraten, sind
mit Ausnahme von Gesicht, Händen, Haar und Blumen (
in Gold ausgeführt, wobei die Abheftfäden so tief in den
Stoff eingezogen sind, daß sie für das Auge verschwinden.
An den Enden waren seidene Kordonnetfransen ange-
bracht, die sich indessen nur mehr an einem derselben
erhalten haben. Der Manipel stammt aus Brauweiler und
ist, wie die Art der Besätze auf der Dalmatik der Diakone beweist, italienischen Ur-
sprunges. Er ist 1,36 m lang, 0,07 m breit und erweitert sich an den Enden auf 0,13 m.
Künstlerisch ist er unzweifelhaft der bedeutendste Manipel, der sich aus dem 13. Jahr-
hundert erhalten hat (Bild 264).
Der Manipel in St-Donat zu Arlon ist aus einer kräftigen, aus starkem Linnen-
garn in Köperbindung gewebten Borte gemacht, die auf blau und braunrot gestreiftem
Grund allerlei weißlichgelbe Tiergestalten (zum Teil von bizarrster Bildung) unter-
mischt mit stilisierten Lilien und geometrischen Motiven aufweist. In der Mitte ist
Bild 264. Manipel.
Berlin, Kunstgewerbemuseum.
1 Roh. VII 43.
2 AbbildungbeiViollet-le-Duc, Dictionn.
raison, du mobilier franc. IV, pl. xiv.
3 De Farcy , La chasuble de St Regnobert,
Caen 1881, und Roh. VII 43. Eine Ab-
bildung der gleichartigen Stola pl. dxxxv.
540
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
das Lamm Gottes angebracht. Die Endstücke sind ursprünglich , aber später neu
mit Seide überzogen worden (Bild 265). Der Manipel hat bei einer Breite von nur
0.04 m eine Gesamtlänge von 1,28 m; die Enden sind 0,125 m lang und oben 0,04 m,
unten aber 0,09 m breit.
Der Manipel der Bockschen Sammlung, jetzt im Kensington-Museum, wird
von seinem einstigen Besitzer folgendermaßen beschrieben: „Der Manipel hat eine
größte Länge von 1,68 m bei einer Breite von nur 0,075 m. Seine Fußteile sind
0,105 m lang und aus reinem roten Seidenstoff mit einer kleinen Erweiterung auf
beiden Seiten so angesetzt, daß auf der
Unterlage von gemustertem Seidenstoff eine
quadratisch in Kreuzform gehaltene Perl-
stickerei einen reichen Abschluß gewährt.
Außerdem sind als fimbriae fünf längere
Seidenquasten angenäht , welche oben eine
zierliche Knotenverschlingung erkennen
lassen. ... In der mittleren Füllung des
Manipels sind kleine Tierunholde und Pflan-
zenornamente mit der fleur de lis einge-
webt. ... In den beiden Bändern des in
Gold gewirkten Manipels sind in grüner
und violetter Farbe romanische Versalien
angebracht, die folgende Lesung ergeben :
O spes divina, via tuta, potens medicina,
porrige subsidium miseris, o sancta Maria.
Protege, salva, benedic, sanctifica famulum
tuum Alebertum crucis per signaculum.
Corr(ige) consortem sanctae sortis patrone (?)
ministrum, effice Corneli meritis prece regna
mereri. Morbos averte corporis et animae,
hoc contra signum nulluni stet periculum.
0 coeli porta, nova spes mor(talium). O Cle-
mens domina, spes desperantibus una." '
Der manipulus S. Udalrici zu Andechs
ist 1,15 m lang und fast 0.05 m breit. An
den Enden ist er mit 0,05 m langen seidenen
Fransen versehen. Die in weißer Seide auf
gelblichem Grund hergestellte Musterung be-
steht aus paarweise nebeneinandergestellten
kleinen Kreisen , welche Tiergestalten um-
schließen. Die Zwickel zwischen den Kreisen
werden durch vegetabilische Motive aus-
gefüllt. Den seitlichen Abschluß bildet ein
schmaler Längsstreifen von grüner Farbe.
Der andere Manipel ist 1,11 m lang und
0,05 m breit. Auch er trägt an den Enden Fransen von 0,05 m Länge. Das ihm ein-
gewebte Dessin setzt sich aus über Eck gestellten Quadraten zusammen, welche Haken-
muster enthalten und in ihren Farben nach Zonen wechseln 2.
Der Manipel im Kartäuserkloster Valsainte stellt eine schwere Seidenborte von
weißer Farbe dar und ist an den Enden mit einem rechteckigen, aus einer Goldborte
gemachten Endstück geschmückt, das mit weißen Fransen abschließt. Er ist 0,054 m
Bild 265. Manipel und Stola.
Arlon, St-Donat.
1 Bock II 80 und Tfl xvm.
2 Auch die stola St Nicolai zu Andechs
dürfte wohl nur einen Manipel darstellen, da
ihre Gesamtlänge bloß 1,31 m beträgt. Sie
setzt sich aus einem älteren Stück, einer mit
kleinen Quadraten gemusterten Borte von
0,805 m Länge, und einem isabellenbraunen,
angemusterten Seidenstreifen von 0,505 m
Lauge zusammen und ist an den Enden mit
5 cm langen Fransen verziert.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
541
breit und 1,56 m lang. Als Muster, mit dem er verziert ist, weist er kleine Kauten
auf, deren Umfassung und Kern mit periförmigen Punkten gefüllt sind '.
Der Manipel im Schatz der Kathedrale von Anagni aus dem Ende des 13. Jahr-
hunderts besteht aus einer mit geometrischen Gebilden (Rauten) belebten Goldtresse,
welche überall die gleiche Breite von ca 0,06 m hat.
Von Manipeln aus dem 14. Jahrhundert verzeichnen wir nur zwei. Der eine
befindet sich im Dom zu Xanten, der andere in St Andreas zu Köln. Der letzt-
genannte ist aus blauem Samt hergestellt und ist mit einer Folge von sechs ca 0,10
bis 0,11 m hohen freistehenden Heiligenfigürchen bestickt, welche die hl. Ursula, die
hl. Katharina, und andere weibliche Heilige wiedergeben. Getrennt sind die einzelnen
Bildchen durch fünf Kleeblätter. Die Länge des Manipels beträgt ca 1,00 m, seine
Breite 0,065 m. Er ist überall gleichbreit und an den Enden
mit rotseidenen Fransen besetzt -.
Der Xantener Manipel ist aus roter Seide angefertigt und
in Stickerei mit acht miniaturartig feinen Passionsgrüppchen von
vorzüglicher Ausführung und trefflicher Zeichnung geschmückt.
Es sind der Verrat, die Verspottung, die Geißelung, die Kreuz-
tragung, die Kreuzigung, die Abnahme, das Begräbnis und die
Auferstehung. Jede Szene ist von einer luftigen Arkatur über-
dacht. Der Manipel, bei dem gegenwärtig in der Mitte ein Stück-
chen fehlt, ist 1,02 m lang und 0,075 breit und stellt ebenfalls
ein Band von gleichbleibender Breite dar.
Aus dem 15. Jahrhundert haben sich manche Manipel er-
halten , doch ist uns keiner von hervorragenderem Wert bekannt
geworden. Sie sind allesamt sehr einfach und haben meist keine
andere Verzierung als die Fransen, mit denen ihre Enden besetzt
sind. Einzelne sind aus gewebten Borten gemacht, gewöhnlich aber
bestehen sie aus dem Stoff der Kasel, zu der sie gehörten. Ihre
Breite geht selten unter 0,06 bis 0,07 m herab, ihre Länge be-
trägt durchweg ca 1 m. Dabei haben sie regelmäßig von oben
bis unten gleiche Breite 3 (Bild 266). Die meisten Manipel aus dem
15. Jahrhundert finden sich in dem Dom zu Halberstadt und in
St Marien zu Danzig. Zu Halberstadt gibt es ihrer an die zwanzig
Stück, zu Danzig aber wenigstens doppelt so viel. Wer die Ma-
nipel des ausgehenden Mittelalters studieren will, darf darum
nicht unterlassen, den Dom zu Halberstadt und die Marienkirche zu Danzig auf-
zusuchen. Daß aber Form und Beschaffenheit, welche die Manipel hier aufweisen, nicht
etwas rein Nordisches waren, sondern dem allgemeinen Brauch der Zeit entsprachen,
beweisen nicht nur die anderswo vorkommenden spätmittelalterlichen Manipel, von
denen einer in der Opera del Duomo zu Siena hier ausdrücklich erwähnt werden soll,
weil er vom hl. Bernardin von Siena gebraucht wurde *, sondern auch ein Vergleich
mit den Darstellungen des Manipels auf den Monumenten des 15. Jahrhunderts.
Bild 266. Manipel.
Danzig, Marienkirche.
VII. DER MANIPEL IN DER NEUZEIT.
Um das Ende des Mittelalters begann in gewissem Sinne eine Rückwärts-
bewegung in der Entwicklung des Manipels. Studiert man die römischen
aus älteren, von Kasein oder Chorkappen her-
rührenden Zeugen gemacht. In solchen Fällen
ist dieForm in der Regel entscheidend. Verbrei-
tern sich derartige Manipel am Ende schaufelar-
tig, so darf unbedenklich trotz des älteren Stof-
fes auf spätere Entstehung geschlossen werden.
4 Der Manipel ist an den Enden mit einem
Kreuzchen bestickt und mit Fransen besetzt;
eine sonstige Verzierung fehlt.
1 Eine allerdings mangelhafte Abbildung
in Revue 1905, 409.
2 Abbildung bei Bock II, Tfl 34.
3 Es muß darauf aufmerksam gemacht wer-
den , daß nicht alle Manipel, die aus einem
Stoff des 14. oder des 15. Jahrhunderts bestehen,
wie man deren hie und da gelegentlich antrifft,
auch wirklich dem 14. oder 15. Jahrhundert ent-
stammen. Bisweilen sind sie in späterer Zeit
542
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Grabmäler aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, so gewahrt man, wie er auf
denselben fast ausnahmslos die Form eines überall gieichweiten Streifens von
mäßiger Breite hat. Wo man auf ihnen beim Manipel eine Erweiterung des
unteren Endes antrifft, ist diese noch so gering-
fügig, daß sie sich kaum bemerkbar macht.
Betrachtet man dagegen die Manipel, welche
zu den vom hl. Karl Borromäus und vom
hl. Pius V. herrührenden Ornaten in S. Maria
Maggiore gehören, so fällt alsbald die Änderung
in der Form auf, die seit dem Beginn des
16. Jahrhunderts mit dem Ornatstück vor sich
gegangen war. Der Manipel ist nicht bloß
breiter geworden, er hat sich insbesondere auch
an den Enden beträchtlich erweitert.
Dieser Wechsel in der Form des Manipel s
blieb aber nicht einzig auf Rom beschränkt ; wir
sehen ihn zur gleichen Zeit sich allenthalben
vollziehen (Bild 267). Wer sich die Mühe gibt,
die Bildwerke aus dem 16. Jahrhundert auf die
Umbildung des Manipels hin zu untersuchen,
oder einen Vergleich anstellt zwischen den Ma-
nipeln, die sich aus der Wende des 15. erhal-
ten haben, und jenen, die dem späten 16. ent-
stammen, wird sich wundern, wie rasch und wie
allgemein der Wandel in der Form des Ornat-
stückes damals vor sich ging. Schon um das
letzte Viertel des 16. Jahrhunderts war es
nahezu allgemeine Sitte, den Manipel an den
Enden weiter werden zu lassen. Es war daher
nur der Ausdruck einer bereits bestehenden Ge-
pflogenheit, wenn der hl. Karl und im Anschluß
an ihn 1605 die Synode von Prag 1 solches
ausdrücklich vorschrieben.
Das ausgehende 17. und das im Bann des
Rokoko stehende 18. Jahrhundert schufen die
häßlichen sog. Schaufel- oder Taschenmanipel.
Dieselben entstanden dadurch, daß man die
Enden des Ornatstückes bis auf 0,20 m und
selbst mehr erbreiterte, seinen mittleren Teil da-
gegen, soweit es nur eben anging, verkürzte
und verschmälerte. Die Taschenmanipel waren
die äußerste Entartung der alten Mappula. Von
einem eigentlichen Streifen konnte bei ihnen
kaum mehr die Rede sein; sie stellten vielmehr
zwei Lappen dar, welche durch ein kurzes, schma-
les Zeugstück miteinander verbunden waren.
Was die Ausstattung anlangt, waren diese Manipel allerdings bisweilen sehr
reich und kostbar; nur war ihre in breiten Goldborten und schweren Gold-
Bild 267. Manipel in Goldstickerei.
(Slavische Arbeit des 16.— 17. Jahrb.
Aachen, Münster.
C. 13 (Hartzh. VIII 601).
Erstes Kapitel. Der Manipel. 543
Stickereien bestehende Verzierung gewöhnlich kaum minder geschmacklos als
ihre Gestalt. Es muß jedoch betont werden , daß es vor allem Frankreich
und im Gefolge Frankreichs Deutschland und Spanien waren, wo die un-
schönen Schaufelmanipel zur Herrschaft kamen. In Italien hat das Ornat-
stück stets eine würdige Form bewahrt. Wohl wurden auch hier die Enden
breit genug, allein man verbreiterte den Manipel nicht bloß an den Enden,
sondern überhaupt, so daß wenigstens ein erträgliches Verhältnis zwischen
den Endstücken und dem mittleren Teil gewahrt blieb (vgl. Bild 11, S. 43).
Die neueste Zeit hat wenigstens in Deutschland die Schaufelform der Manipel
beseitigt, indem sie zur Form des 13., 14. und 15. Jahrhunderts zurückkehrte
oder doch das Endstück auf ein besseres, weil geringeres Maß beschränkte.
Im übrigen bietet die Geschichte des Manipels in der Neuzeit kaum
etwas Bemerkenswertes. Das einzige, was etwa noch angemerkt zu werden
verdient, ist, daß es seit dem 16. Jahrhundert Regel wurde, das Ornatstück
mit den gegenwärtig allgemein üblichen drei Kreuzen zu versehen. Wie
schon früher bemerkt wurde, genügt ein Kreuz den Rubriken des römischen
Missale. Daher beschränkt sich z. B. auch die Synode von Brixen vom Jahre
1603, vorzuschreiben, es solle ein Kreuz auf dem Manipel angebracht werden 1.
Drei Kreuze fordert dagegen der hl. Karl und nach seinem Vorgang die eben
erwähnte Synode von Prag: Habent tres cruces annexas, unam scilicet in
medio et alias duas in partibus extremis. Behufs Befestigung des Manipels
will die Prager Synode Bänder mit Quästchen inwendig an demselben an-
gebracht sehen.
VIII. TRAGWEISE DES MANIPELS.
Der 1. Ordo gibt nicht an, wie der Papst die Mappula zu tragen pflegte,
sondern begnügt sich bloß mit der Bemerkung: Subdiaconus porrigit ei mappu-
lam. Der etwas spätere 3. Ordo weist den Subdiakon an, die Mappula auf den
linken Arm des Papstes über die Kasel zu legen; dagegen hatten nach dem
St Gallener Kleiderverzeichnis der Papst, die Bischöfe, die Priester und Sub-
diakone die sestace in manu sinistra. Ebenso heißt es im 6. Ordo, der
um den Ausgang des ersten Jahrtausends entstand, aber noch im 11. Jahr-
hundert in Gebrauch war, bezüglich der Mappula der Subdiakone ausdrücklich :
Mappulae in manu ferendae. Auch nach Hraban und Amalar wurde die
Mappula in der Hand getragen. Manibus eorum (sc. sacerdotum) mappula
tenetur, sagt Hraban; Amalar aber schreibt genauer: In manu sinistra portatur.
Die Bildwerke des 9. Jahrhunderts zeigen uns die Mappula meist in der
Hand ihres Trägers. Auf dem Arm gewahren wir sie bei einem der Kanoniker
von St Martin zu Tours auf dem Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen
(vgl. Titelbild) und bei den Diakonen auf einer der Kopfseiten des Palliotto in
S. Ambrogio (vgl. Bild 258, S. 251). Offenbar gab es im 9. Jahrhundert noch
keine völlig einheitliche und konstante Praxis in der Art, wie man die Mappula
trug, auch wenn man den Bildwerken in dieser Sache keine besondere Be-
deutung beimessen will. Der Regel nach scheint man sie allerdings in der
Hand gehalten zu haben; doch ließ man sie ohne Zweifel, wenn das durch
die Umstände als zweckmäßig gefordert wurde oder gerade am bequemsten
war, auch auf dem Arm ruhen.
Cap. de Ecol. n. 16 (ebd. 565).
544 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Wie lange der Brauch in Kraft blieb, die Mappula in der Hand zu
tragen, läßt sich nicht mit Genauigkeit feststellen. Der 6. Ordo Mabillons
kennt ihn noch, wie wir eben sahen; er wird sich also verschiedenenorts bis
in das 11. Jahrhundert erhalten haben. Aber auch auf bildlichen Darstellungen
haben noch im 11. Jahrhundert wiederholt Bischöfe (Priester) und Diakone den
Manipel in der Hand; so auf zwei Federzeichnungen des Pontifikale von Aletis
in der Stadtbibliothek von Rouen, von denen die eine eine Kirchweihe, die
andere einen Bischof mit seinem Diakon wiedergibt, auf einer Miniatur der
Enzyklopädie des Hraban in der Bibliothek von Monte Cassino (Bischof in-
mitten seiner Kleriker), auf dem Bild des hl. Willibald im Gundekar-Pon-
tifikale und sonst. Auf andern Bildwerken findet sich der Manipel zugleich das
eine Mal in der Hand, das andere Mal auf dem Arm; so auf einem Fresko
der Unterkirche von S. demente, auf dem St Klemens den Manipel in der
Hand hält, während die Diakone ihn am Arm tragen. Im ganzen sind übrigens
Darstellungen aus dem 11. Jahrhundert, auf denen wir den Manipel noch in
der Hand der Geistlichen sehen, schon selten, im 12. kommen solche kaum
mehr vor. Insbesondere erscheint auf den infolge ihrer sorgfältigen Ausführung
so wichtigen Bischofssiegeln dieser Zeit der Manipel fast ausnahmslos auf dem
Arm seines Trägers, und zwar bald über oder doch nahe dem Handgelenk, bald
mitten auf dem Unterarm. Unter den Liturgikern des 12. Jahrhunderts sind es
nur Bruno von Segni (f 1123) und Ivo von Chartres (f 1117)1, welche angeben,
es werde das Ornatstück in der Hand gehalten. Bei Ivo ist das von wenig
Bedeutung, da seine Worte eine bloße Wiederholung der gleichartigen Äußerung
Amalars zu sein scheinen. Anders verhält es sich jedoch mit dem nüchternen
und selbständigen Bruno von Segni. Wenn dieser zweimal versichert, der
Manipel werde in der Hand getragen, so darf das immerhin als Beweis gelten,
daß sich zu seiner Zeit, d. i. im Beginn des 12. Jahrhunderts, wirklich noch
keine allgemein gültige und einheitliche Praxis herausgebildet hatte. Auf-
fallend ist, daß auch noch Innozenz III. ausdrücklich sagt, es werde der
Manipel in der Hand gehalten, einmal weil von Rupert von Deutz an alle
andern Liturgiker des 12. Jahrhunderts uns versichern, der Manipel werde
auf den linken Arm gelegt, dann weil wir auch zu Rom den Manipel auf
den Bildwerken bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf dem
linken Arm erblicken. Man vergleiche z. B. Papst Julius I. auf dem Apsis-
mosaik in S. Maria in Trastevere, einem Werk Innozenz' II. (1130 — 1143).
Indessen sind die Worte Innozenz' III.: In sinistra manu quaedam apponitur
mappula, quae manipulus vel sudarium appellatur2, unzweifelhaft nichts als eine
bloße Anleihe aus Amalar und Ivo. Auf keinen Fall darf man aus der
Bemerkung des Durandus: In sinistra manu ponitur quaedam mappula, quae
fanon vel manipulus vel sudarium appellatur, schließen, es sei der Brauch,
den Manipel in der Hand zu halten, selbst noch in der letzten Hälfte des
13. Jahrhunderts in Kraft gewesen. Des Durandus Erörterungen über den
Manipel geben kein Bild von der damaligen Gepflogenheit, sie sind nur system-
und gedankenlos zusammengestellte Exzerpte aus den Schriften früherer Li-
turgiker und als solche von hohem Wert, aber kein Spiegel ihrer Zeit. Bald
hören wir darum auch von ihm, man habe den Manipel in der linken Hand,
bald, er befinde sich auf dem linken Arm.
1 Es ist wohl ein Versehen, wenn im Manipel am Arm getragen wurde. Das Gegen-
„Katholik" 1900, 257 Bruno und Ivo als teil ist richtig.
Zeugen dafür angeführt werden, daß der - De sacro alt. myst. 1. 1, c. 59 (M. 217, 796).
Erstes Kapitel. Der Manipel. 545
Nach dem St Gallener Katalog wurde der Manipel in der linken Hand
getragen. Nur der Diakon hielt sein Brachiale in der rechten. Auch bei
Amalar heißt es, wie wir hörten: In sinistra manu portatur, während Pseudo-
Alkuin allgemeiner sagt: Mappula sinistra parte gestatur. Das Gewöhnliche
wird also gewesen sein, daß man die Mappula, wie auch am bequemsten, in
der linken Hand bzw. auf dem linken Arm hatte. Wirklich erscheint
sie auf den Bildwerken des 9., 10. und 11. Jahrhunderts fast immer ent-
weder in der linken Hand oder auf dem linken Arm. Auf dem rechten Arm
gewahren wir sie z. B. bei einem der Kanoniker von St Martin auf dem
Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen und den Diakonen auf dem eben
erwähnten Fresko in der Unterkirche von S. demente zu Rom, in der rechten
Hand auf einer Miniatur des Tropars von Prüm in der Pariser National-
bibliothek (vgl. Bild 121, S. 262). Möglich, daß diese und ähnliche Bildwerke,
die jedoch keineswegs häufig sind , wirklich die bestehende Praxis wider-
spiegeln; wahrscheinlicher ist indessen, daß es sich in den Fällen, in welchen
wir die Mappula in der rechten Hand bzw. auf dem rechten Arm antreffen,
nur um eine auf die Rechnung des Künstlers zu setzende Erscheinung bandelt.
Das kann z. B. kaum einem Zweifel unterliegen bei dem Widmungsbild der
Bibel Karls des Kahlen, auf dem in bunter Mannigfaltigkeit der Manipel sich
bei drei Kanonikern in der rechten Hand, bei vier in der linken Hand und
bei einem am rechten Arm befindet. Noch klarer aber liegt es wo möglich
auf einem Elfenbeindiptychon im Schatz der Kathedrale von Tournai zu Tage,
das allem Anschein nach aus der Frühe des 11. Jahrhunderts herrührt1.
Wenn wir hier nämlich von zwei einander gegenüberstehenden Diakonen den
einen mit dem Manipel in der Linken, sein Gegenüber aber mit dem Manipel
in der Rechten schauen , so hat das offenbar nur in der symmetrischen Be-
handlungsweise der Darstellung seinen Grund.
Die römischen Akolythen , welche sich der sectace bedienten , hatten
dieselbe nach dem St Gallener Katalog am Gürtel befestigt.
Die Gewohnheit, den Manipel am Arm zu tragen, wie sie im 12. Jahr-
hundert allgemein geworden, blieb auch für alle Folgezeit in Kraft. Nur
erhob sich in der Neuzeit die Streitfrage, wo derselbe am Arm zu tragen
sei, ob am Ober- oder am Unterarm2. Nach dem 14. Ordo soll der Subdiakon
ihn in ipsa plicatura sinistri brachii (pontificis) legen und gleichsam verbergen 3.
Eine maßgebende Entscheidung ist in dieser Frage nicht erfolgt: das römi-
sche Missale und Caeremoniale der Bischöfe begnügen sich damit, zu sagen, er
solle dem linken Arm aufgelegt werden.
IX. VERWENDUNG DES MANIPELS.
Im römischen Brauch erscheint der Manipel als ein Ornatstück, dessen
man sich nur bei der Feier der heiligen Messe bediente, außerhalb Roms trug
man ihn jedoch hie und da, zumal in älterer Zeit, auch bei sonstigen
Funktionen. So schreiben z. B. die Statuten von Citeaux den Gebrauch des
Manipels bei Erteilung der heiligen Ölung vor4. Übrigens finden sich be-
1 Eine vorzügliche Wiedergabe des Dip- 1. 1, c. 7, art. 4, ordo 1 ; I, 301 (Auszug aus
tychou bei M o 1 i n i e r , Les ivoires pl. xiv. dem Poutifikale von Aletis) : (Ad iniungendum
2 Gav. zu Ritus celebr. tit. 1, n. 3; I, ed. infirmum) induat se superhumerali , alba et
Venet. 1823, 173. stola cum pkanone atque planeta, si affuerit;
3 C. 53 (M. 78, 1158). ferner L an f ran ci Decreta pro ordine S. Bene-
4 C. 94 (M. 166, 1471). Vgl. auch Mart. dicti c. 23 (M. 150, 508).
Braun, Die liturgische GewanduDg. 35
546 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
züglich seiner Verwendung bei andern liturgischen Handlungen als dem heiligen
Opfer, abgesehen von dem, was Lanfrank, Rupert u. a. über die Benutzung
des Manipels beim Chordienste der Festtage sagen , nur wenige Angaben.
Auf den Monumenten fehlt er noch selbst in späterer Zeit nicht selten bei
der Darstellung der Messe, also da, wo man ihn vor allem erwarten sollte ;
dagegen begegnet er uns auf ihnen sehr häufig mit den übrigen liturgischen
Gewändern lediglich zum Ausdruck des sakralen Charakters der Person, die
ihn trägt. Auch gewahrt man ihn wohl bei der bildlichen Wiedergabe von
liturgischen Handlungen, bei denen man ihn jetzt nicht trägt, z. B. bei der
einer Kirch weihe1. Nach der heutigen Praxis wird, wie früher ausgeführt
wurde, der Manipel nur bei der heiligen Messe oder bei Funktionen, die mit
dem heiligen Opfer in Verbindung stehen , getragen. Zum Pluviale bedient
man sich nie des Manipels, wie gleichfalls schon gesagt wurde. Man hat diese
seine ausschließliche Verwendung beim heiligen Opfer mit mystischen Gründen,
namentlich mit einem Hinweis auf die symbolische Bedeutung des Manipels,
zu erklären gesucht. Der wahre Grund liegt aber wohl darin, daß nach dem
ursprünglichen römischen Gebrauch die alte Mappula nur da gebraucht
wurde, wo die Geistlichen in ihrer ganzen liturgischen Amtstracht erschienen,
d. i. bei der Mefafeier, ähnlich wie die Pontifikalschuhe und später die Pontifikal-
handschuhe. Die Erinnerung hieran hat sich in der Folgezeit, auch als das
Ornatstück zum Zierstreifen geworden war, dadurch erhalten, daß seine Ver-
wendung vor wie nach auf die Messe beschränkt blieb.
Nach der jetzigen Gewohnheit legen die Priester den Manipel an,
nachdem sie die Albe mit dem Cingulum gegürtet haben. Diakon und
Subdiakon nehmen ihn, wenigstens bei Pontifikalämtern, nachdem sie sich
mit der Dalmatik bzw. der Tunicella bekleidet haben. Der Bischof versieht
sich mit ihm erst, wenn er am Altare das Confiteor gebetet hat; nur in
Totenmessen legt auch er, wie die Priester, den Manipel vor der Stola an.
Auch diese Praxis hat ihre Geschichte.
Nach dem 1., 2. und 3. Ordo gab der Eegionarsubdiakon dem Pontifex die
Mappula, wenn dieser die übrigen liturgischen Kleider bereits angezogen hatte und
die für die Feier des G-ottesdienstes nötigen Anordnungen und Maßnahmen ge-
troffen waren. Die Überreichung der Mappula, des letzten Gewandstückes, wurde so
für den Celebrans das Zeichen, daß er den Wink zum Anfang der Liturgie geben könne.
Die in den genannten Ordines mitgeteilte Gepflogenheit erhielt sich in Eom
bis zum 13. Jahrhundert; dann aber bildete sich dort die Sitte aus, den Manipel
nicht in der Sakristei , sondern erst am Altar nach dem Confiteor anzulegen. Sicard
und Innozenz III. kennen sie noch nicht; aus ihren Erörterungen geht vielmehr mit Be-
stimmtheit hervor, daß der Bischof das Ornatstück damals noch annahm, ehe er in
die Kirche zog -. Zu den Zeiten des Durandus bestand aber schon die Sitte. Wir
werden demnach ihre Entstehung in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zu setzen
haben. Eingehend beschreibt den Gebrauch der 14. Ordo , demzufolge übrigens
der Manipel nur dann erst nach dem Confiteor angelegt, wurde, wenn der Celebrans
sich nicht in der Nähe des Altars angekleidet hatte. Tat dieser das beim Altar, so
nahm er ihn gleich nach der Kasel bzw. dem Pallium s.
Auch außerhalb Koms war es zu Durandus' 4 Zeiten schon an verschiedenen
Orten Gebrauch, daß der Bischof sich mit dem Manipel erst nach dem Confiteor ver-
1 So im Pontifikale von Aletis in der Stadt- 4 Rationale 1. 4, c. 7, f. 103. Vgl. auch
bibliothek zu Rouen. den Auszug aus dem Pontifikale des Bischofs
2 Mitralis 1. 2, c. 8 (M. 213, 89) ; De sacrif. von Mende bei Mart. 1. 1. c. 4, art. 12,
missae 1. 2, c. 1 (M. 217, 801). ordo 23; I 221: Quidam tarnen cum confessio
3 Ordo 14, c. 53 (M. 78, 1158 1159). coram altari fit, manipulum imponunt.
Erstes Kapitel. Der Manipel. 547
sah. Indessen scheint, manchen handschriftlichen Pontifikalien nach zu urteilen, die
Sitte, ihn mit den übrigen Gewändern bereits vor dem Hingang zum Altar anzulegen,
sich vielenorts noch bis gegen das Ende des Mittelalters in Kraft erhalten zu haben.
Einen eigentümlichen Mittelweg fanden wir in einem Pontifikale der Vaticana
aus dem 15. Jahrhundert vermerkt1. Es soll der Bischof den Manipel nach dem
Cingulum annehmen, vor dem Hintritt zum Altar aber wieder ausziehen und dann
nach dem Confiteor von neuem anlegen. Durch das römische Missale und Caeremoniale
der Bischöfe wurde die römische Praxis allmählich allgemein zur Geltung gebracht.
Der Grund ihrer Entstehung ist uns unbekannt. Wahrscheinlich waren es mvstische
Erwägungen, welche dazu führten - ; wenigstens ist ein praktischer Grund nicht ersichtlich.
Die Priester nahmen bis gegen das 18. Jahrhundert den Manipel bald
vor bald nach der Kasel an. Eine einheitliche Praxis bestand in diesem
Punkte nicht. Am gewöhnlichsten scheinen sie bis ins 12. Jahrhundert hinein
ihn erst angelegt zu haben, wenn sie sich mit allen andern Gewandstücken
bekleidet hatten und sich anschickten, zum Altare zu gehen. Es erhellt das
namentlich aus den Sakramentaren des 9., 10., 11. und 12. Jahrhunderts,
welche ihm fast immer die letzte Stelle anweisen , wenn sie die liturgischen
Gewänder mit ihren Gebeten in der Vorbereitung zur Messe aufführen, und
zwar auch da, wo es sich ersichtlich um die priesterliche liturgische Kleidung
handelt. Das gleiche geht aber auch aus dem dritten Kapitel der Synode
von Coyaca (1050) hervor. Im 12. Jahrhundert bezeugen den Brauch mit
aller Bestimmtheit Ivo von Chartres, Honorius, Robert Paululus und das
Speculum de mysteriis ecclesiae. Solange der Manipel in der Hand getragen
wurde, war es in der Tat das zweckmäßigste, mit der Annahme desselben
bis nach Anlegung der Kasel zu warten. Denn hierbei war es ja nötig, die
Hände frei zu haben, zumal das Gewand auf die Arme aufgerollt und dort
zurechtgelegt werden mußte. Als man dagegen anfing, ihn am Arm zu be-
festigen , mochte es gleichgültig sein , ob man ihn vor oder nach der
Planeta annahm.
Aber auch da, wo die Priester den Manipel erst nach der Kasel an-
legten, taten sie das, ehe sie zum Altar gingen, in der Sakristei und nicht
erst am Altar nach dem Confiteor. Es ist durchaus unzutreffend, wenn Thal-
hofer bemerkt: „Bis tief ins Mittelalter herein nahmen (wenigstens vielfach)
auch die Priester — zu Durandus' Zeit nur noch der Papst und die Bischöfe,
wie jetzt — den Manipel erst am Altar nach dem Sündenbekenntnis an."
Es war das, wie vorhin ausgeführt, vor dem 13. Jahrhundert nicht einmal
bei den Bischöfen Brauch. Keiner der Liturgiker weiß auch etwas davon,
daß die Priester sich mit dem Manipel erst am Altar nach dem Confiteor ver-
sehen hätten, wiewohl sie den Eingang des Priesters und das Sündenbekenntnis
wiederholt beschreiben. Im Gegenteil sagt Honorius da, wo er die liturgische
Kleidung des Priesters bespricht, unmittelbar, nachdem er zuletzt vom Manipel
gehandelt: His vestibus sacerdos ornatus procedit, confessionem facit. . . .
Auch die Sakramentare und Missalien kennen den fraglichen Brauch beim
Priester nicht, gleichviel, ob sie der späteren oder früheren Zeit angehören.
Nach allen nimmt er den Manipel mit den übrigen Gewandstücken in der
Sakristei an. Es genüge, auf die von Martene gegebenen Auszüge aus alten
handschriftlichen Missalien hinzuweisen a. Die Wahrnehmungen , die wir
1 Vatic. Ottob. lat. 27. die indessen wenig Bedeutung haben und
2 Durandus (Rationale 1. 4, c. 7) führt drei übergangen werden können.
mystische Gründe für jenen Gebrauch an, 3 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 4 fl: I 176 ff.
35*
548
Vierter Abschnitt. Die Insianien.
hier in Bezug auf den uns beschäftigenden Punkt gemacht haben , fanden
wir in allen Sakramentaren und Missalien des Mittelalters, die uns bislang
zu Gesicht kamen, ausnahmslos bestätigt. Es war so wenig bei den Priestern
vor des Durandus Zeit üblich, erst am Altar nach dem Confiteor den Manipel
anzuziehen, daß eine solche Gepflogenheit sich selbst bei den Bischöfen erst
seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts einzubürgern begonnen hatte.
Die Sitte, wonach die Priester den Manipel eher als die Kasel an-
legen, wurde erst im 12. Jahrhundert allgemeiner1, dann aber allgemach
die Regel. Demgemäß nennen denn auch die späteren Missalien ihn in der
„Vorbereitung zur Messe" stets vor dem Meßgewand 2. Schon Durandus sagt
ohne Einschränkung : Sacerdos vero econtra ante indutam casulam manipulum
sumit 3.
Wie die Diakone und Subdiakone es im früheren Mittelalter zu halten
pflegten, ist nicht ganz klar. Doch scheint es, daß sie den Manipel erst nach
allen andern Gewandstücken annahmen. Solange sie noch Dalmatiken bzw.
Tunicellen mit wirklichen Armein trugen, war das übrigens auch von selbst
geboten. Ganz bestimmt schreibt der 14. Ordo vor, es sollten Diakon und
Subdiakon erst dann den Manipel anlegen, wenn sie dem Bischof beim An-
kleiden behilflich gewesen seien i. Ahnlich sollten sie nach dem Amte den
Manipel alsbald vom Arm ziehen, die Dalmatik und Tuniceila aber behalten,
bis sie den Bischof seiner liturgischen Gewänder entkleidet hätten. Diese
letzte Rubrik mag ein Überbleibsel aus der Zeit sein, da man den Manipel
noch in der Hand hatte ; doch mag sie auch mit der Auffassung zusammen-
hangen , wonach der Manipel nur innerhalb der Messe getragen werden
sollte. Die Bestimmung des römischen Caeremoniale deckt sich mit der-
jenigen des 14. Ordo.
X. DIE ÜBERREICHUNG DES MANIPELS IM RITUS DER
SUBDIAKONATSWEIHE.
Nach der Vorschrift des römischen Pontifikale zieht der Bischof dem
Ordinanden den Manipel an den linken Arm an, indem er dabei spricht: „Nimm
hin den Manipel (manipulus = Garbe), durch den die Frucht der guten
Werke bezeichnet wird, im Namen des Vaters" usw.
Will man mittelalterlichen Liturgikern 5 glauben, so gehörte diese Weihe-
zeremonie samt den sie begleitenden Worten zum Wesen der Subdiakonats-
weihe. Allein diese Ansicht ist mit Recht schon längst allgemein verlassen.
Die Überreichung des Manipels erfolgte weder stets unter irgend welchen
Begleitworten, noch ist sie überhaupt von hohem Alter e. Nur ein einziges
Pontifikale des ersten Jahrtausends kennt unseres Wissens diesen Ritus, das
1 Gilb. Lunic , De statu eccl. (M. 159,
1001); Tract. de sacr. alt. c. 10 (M. 172,
1282); Sermo 14 (M. 177, 928). Beleth.,
Rationale c. 32 (M. 202, 43). Innocen-
tii III. De sacro altaris myst. 1. 1, c. 10
(M. 217, 780).
2 Vgl. z. B. die Auszüge aus späteren
Missalien bei Mart. a a. O.
3 Rationale 1. 4, c. 7 ; f. 103.
* C. 53 (M. 78, 1156 1170).
* Sicardi Mitralis 1. 2, c. 2 (M. 213, 63).
c Schon Hraban soll die Überreichung des
Manipels an den Diakon kenneu. Allein es
handelt sich an der Stelle, auf die man sich
zum Beweise beruft, iu der Ausgabe Mignes
(De cleric. instit. 1. 1 , c. 8 [M. 107, 304])
lediglich um einen verderbten Text. Statt :
Suscipiunt (sc. subdiaconi) ab archidiacono
seyphum aquae cum aqua, mautile et manu-
tergium, muß es heißen : cum aquamauili et
manutergium. Schon Hittor p (De div. off.
570) hat den richtigen Wortlaut: so auch
nach den Handschriften Knöpflers neueste
Ausgabe der Schrift, München 1901, 25.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
549
sog. Pontifikale Egberts, Erzbischofs von York, in der Nationalbibliothek zu
Paris1, wenn dieses überhaupt noch aus dem 10. und nicht erst dem 11. Jahr-
hundert stammt. Er scheint demgemäß frühestens im 10. Jahrhundert auf-
gekommen zu sein. Diese Annahme wird bestätigt durch ein Schreiben Lan-
franks, Erzbischofs von Canterbury (1070 — 1089), an Johannes von Avranches.
Aus ihm geht hervor, daß in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts aller-
dings in der Normandie jener Gebrauch sich vorfand, daß er aber durchaus
nicht allgemein und insbesondere in England noch nicht in Übung war. Lan-
frank, nach Avelchem der Manipel in der Anschauung mancher ein allen
Klerikern gemeinsames Ornatstück war, weiß keine Autorität, auf die man
sich für den fraglichen Weiheritus berufen könne 2. Es ist gewiß nicht Zufall,
daß die Einführung der Zeremonie in die Zeit fällt, in welcher sich das Sub-
diakonat im letzten Stadium seiner Entwicklung zu einem ordo maior befand.
Die höhere Bedeutung, welche die Subdiakone nachgerade gewonnen hatten,
führte dazu, daß ihr Manipel sich für sie zu einem der diakonalen Stola ent-
sprechenden Amtsabzeichen ausbildete. Nachdem aber dieser so die Eigenschaft
einer Insignie des Subdiakonats erlangt hatte, lag es natürlich nicht allzufern,
ihn den Subdiakonen ebenso bei der Weihe zu überreichen, wie man den Diako-
nen die Insignie des Diakonats, die Stola, schon seit langer Zeit und allgemein
bei der Ordination zu übergeben pflegte. Als sich auf diese Weise der frag-
liche Weiheritus gebildet hatte, hat man, wie es nach Andeutungen Lanfranks
scheint, ihn nachträglich durch eine Korrektur der auf dem fünften Kanon des
sog. vierten Konzils von Karthago beruhenden Weiherubrik: Postea accipiat
ab archidiacono urceolum cum aquamanili ac manutergium, zu begründen
versucht, indem man las cum aqua, mantile ac manutergium.
Es dauerte übrigens eine geraume Weile, bis der Ritus allgemein wurde.
Spät entstanden, konnte er sich nur langsam einbürgern. Von den litur-
gischen Schriften des 12. Jahrhunderts erwähnen ihn nur der Tractatus de
sacramento altaris und der Mitralis des Sicardus. Auch in den Pontifikalien
findet er sich im 12. Jahrhundert nur erst vereinzelt verzeichnet.
Es hat den Ritus z. B. der Weiheordo bei Hittorp3, der in der Form,
wie ihn dieser gibt, nicht vor dem 12. Jahrhundert entstanden ist, dann ein
Pontifikale von Soissons und ein anderes von Besancon 4. Dem Ordo Hittorps
und dem Pontifikale von Soissons zufolge soll der Bischof die Übergabe des
Ornatstückes mit den Worten begleiten: „Bei der Bekleidung mit diesen
Manipeln bitten wir dich, o Gott, flehentlich, es mögen diese deine Diener so
in ihrem Wandel in der Zeit wirken, daß sie nach dem Beispiel der früheren
1 Wir glauben nochmals wiederholen zu
sollen , was wir schon früher gelegentlich
sagten, daß das sog. Egbert-Pontifikale nicht,
wie so oft angenommen wird , das Original
des 8. Jahrhunderts , sondern eine spätere,
teilweise interpolierte Kopie aus dem 10. oder
besser 11. Jahrhundert ist Zu den Inter-
polationen gehört insbesondere die Rubrik:
et tradat ei ... . manipulum. Dasselbe gilt
von der durch verschiedene , nicht an die
betreffende Stelle gehörende Benediktions-
formulare von den Weihegebeten der Sub-
diakonatsweihe getrennten Notiz : Donet ei
manipulum. In den durchaus gleichartigen
englischen Weiheordines bei Marl 1. 1, c. 8,
art. 11, ordo 3 11 ; II 37 63 fehlt die Rubrik
betreffs des Manipels.
2 Ep. 13 (M. 150, 520). Beachtenswert
sind die Worte Lanfranks : In nostris episco-
palis ordinis codicibus, quos ex diversis re-
gionibus multos habemns, et de ordiuando
subdiacono inter cetera sie habetur: Postea
vero etc. ... In qua Scriptlira sive saeculari
sive divina sie vocatum manipulum reperitis,
posco sanetam paternitatem vestram, ut in-
dicare mihi competenti diligentia studeatis.
3 Col. 100.
4 Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 7 10; II 50 62.
550
Vierter Abschnitt. Die Insisnien.
Väter in Zukunft ewig sich zu freuen verdienen." Nach dem Pontifikale
von Besancon aber hat der Bischof bei der Vornahme der Zeremonie zu
sprechen: „Nimm hin die Mappula; erfülle deinen Dienst; Gott ist ja mächtig
genug, die Gnade dir zu mehren." Diese Worte, deren auch Sicardus Er-
wähnung tut, nehmen ersichtlich auf die Bedeutung des Manipels als Insignie
des Ordo Bezug. In andern Pontifikalien des 12. Jahrhunderts findet sich der
Brauch nicht im Text, sondern in einer Randglosse aus späterer Zeit vermerkt.
Erst die liturgischen Bücher des 13. und namentlich des 14. Jahrhunderts
gedenken häufiger der Übergabe des Manipels an die Subdiakone, wenngleich
auch jetzt noch keineswegs alle ihrer Erwähnung tun.
Interessant ist die Mannigfaltigkeit der Gebete, mit denen der Bischof nach den
späteren Pontifikalien die Zeremonie zu begleiten hat. Wir haben deren wenigstens sechs
verschiedene gefunden. Am häufigsten kommt das Gebet vor, welches der Bischof
jetzt nach dem römischen Pontifikale betet, wenn er dem Ordinanden den Manipel
überreicht. Das eigentümlichste begegnete uns in zwei der Vaticana angehörigen
Pontifikalien des 13. Jahrhunderts1. Es lautet: „Nimm hin den Fano, das Zeichen
der Verkündigung des Wortes Gottes, im Namen unseres Herrn Jesu Christi."
Auf die Frage, wo es zuerst zur Einführung des Ritus gekommen sei, läßt
sich eine sichere Antwort nicht geben. Der Umstand jedoch, daß dieser zuerst in
nordfranzösischen Pontifikalien erwähnt ist und uns überhaupt aus dem nördlichen
Frankreich die erste Kunde über denselben wird , macht es nicht so ganz unwahr-
scheinlich, daß wir eben hier seine Heimat zu suchen haben, und daß er sich von hier
aus nach und nach überallhin verbreitete.
XI. DAS GEGENSTÜCK DES MANIPELS IN DEN RITEN DES OSTENS.
In den Riten des Ostens gibt es keinen Manipel 2, ausgenommen den
armenischen, in welchem er jedoch nur den Subdiakonen zukommt. Er wird
diesen bei ihrer Weihe vom Bischof an den linken Arm gelegt 3. Der Manipel
der Armenier stammt nicht aus dem römischen Ritus, sondern ist ein alt-
armenisches Stück ; nur war er, wie aus Nerses von Lampron erhellt, ehedem
eine Stola, welche die Subdiakone in der linken Hand trugen.
Man pflegt gewöhnlich als Gegenstück des abendländischen Manipels
die Epimanikien der orientalischen Riten, die liturgischen Stauchen, hin-
zustellen. Das ist indessen irrig. Nicht sie, sondern das sog. Epigonation
ist das Pendant desselben. Die Epimanikien sind, wie wir hörten, lediglich
die von den Ärmeln losgelösten und zu selbständigen Ornatstücken gewordenen
Besätze des Sticharion.
Das Epigonation hat seinen Namen von dem Umstand, daß es auf das
Knie herabhängt. Es befindet sich an der rechten Seite und darf nur von
den Bischöfen und der höheren Geistlichkeit getragen werden. Außerdem ist
es bloß im griechischen und armenischen Ritus, nicht aber in den sonstigen
orientalischen Riten in Gebrauch und in seinem Ursprung ein spezifisch
1 Vat. Barb. lat. 1868; Vat. Borgh.
lat. 49.
2 Ein in den Gräberfeldern von Achmim
gefundener, mit Seidenappliquen (Scheibchen,
Kreuze, Rechtecke) besetzter und in Fransen
endigender Linnenstreifen von ca 0,60 m
Länge und 0,075 m Breite, der von dem
Strafiburger Antiquar Forr er als altkoptischer
Manipel (bzw. altkoptische Stola) veröffent-
licht wurde (Die frühchristlichen Altertümer
aus dem Gräberfeld von Achmim-Panopolis
Tfl VIII 1), einem „Diakon gedient haben
und unsere Kenntnis des Priesterornats um
ein Wesentliches ergänzen soll", hat mit
einem Manipel (bzw. Stola) nicht das ge-
ringste zu schaffen (vgl. auch oben S. 13).
3 Denzinger, Ritus Orientaliuni II, Würz-
burg 1864, 284.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
551
griechisches Ornatstück. Die Armenier entlehnten es zweifellos den Griechen;
schon des Nerses Kommentar kennt es als Ornat der armenischen Bischöfe.
Man trägt das Ornatstück unter dem liturgischen Obergewande ; nur
die Metropoliten bzw. Bischöfe, welche sich des Sakkos statt des Phelonion
bedienen, haben es über demselben. Das Epigonation wird mittels Schnüren
am Gürtel oder der Schulter aufgehängt. Wer den Sakkos trägt, befestigt
es an einem an diesem angebrachten Knöpfchen.
Seiner Gestalt nach stellt das Ornatstück ein übereck stehendes Quadrat
dar. Es besteht aus einem mit Seide überzogenen Karton und ist ringsum von
einer Borte eingefaßt. In der Mitte ist gewöhnlich nur ein Kreuz oder ein
Schwert angebracht, letzteres, weil das Epigonation als Symbol des Geistes-
schwertes gilt, mit dem der Bischof ausgerüstet sein soll. Doch gibt es auch
solche, die mit Bildwerk verziert
Ecken befinden sich die zum
die drei andern sind gewöhn-
Etwas anders ist im Ä$
das Epigonation einge
Zeichnung den niederen
gen verdienten Geist
wird. Es ist zwar
dratischerForm
es,stattrhom
nach Art
aufgehängt,
halb bei ihm an
der zum Zweck
gebracht und dem
Ecken mit Quästchen
Das Epigonation hieß
(hf/zipLov). Das Schreiben
Antiochien an Michael Cärula
nen Zweifel. Denn wenn es hier
Bild 268. Epigonation.
Düsseldorf, Kunstgewerbemuseum.
sind (Bild 268). An einer der vier
Aufhängen dienenden Schnüre,
lieh mit Quästchen verziert,
russisch-griechischen Ritus
richtet, welches als Aus-
Prälaten und sonsti-
lichen verliehen
auch von qua-
jedoch wird
benförmig,
einer Tasche
Es sind des-
zwei Ecken Bän-
der Befestigung an-
gemäß auch nur zwei
versehen,
ursprünglich Enchirion
des Patriarchen Petrus von
rius (ca 1054) läßt daran kei-
Xpucrowopoupsu de y.ai u.\>to\
i ~i rp ayrt ho. Tzzp ißeßhjfi i-
unter diesen ijyt'ipw. offen-
verstanden werden. Ein
zyyzipm y.ai S7itp.avty.ca xai
voi yp'jao—daza 1, so kann
bar nur das Epigonation
anderes liturgisches Ornatstück, das mit ihnen gemeint sein könnte, gibt es
nicht2. Der Name Epigonation begegnet uns zuerst in einem Schreiben Bal-
samons an den Patriarchen Markus von Alexandrien, also um das dritte
Viertel des 12. Jahrhunderts3.
Die früheste Nachricht von dem Enchirion erhalten wir bei Pseudo-
Germanus und, wie es scheint, in dem Briefe des Patriarchen Nicephorus an
Leo III. (795 — 816) 4. Denn wenn auch das goldverzierte Enchirion, von dem
Mg. 120, 799.
2 Mg. 98, 395: Tu
Ziiiv-qs £oti tu ä—opd^au zag yzlpaq a'jzou tev-
ziov (sc. Christi) ; y.ai -spuxs ro iyyzipwj
zyzi'j ^Kt ■"?? f<oV);g ävzizuTiov zoü anop.äk~avzoq
zäq ysTpaq y.ai zoü ,,'AMoq elpi imtpui'^aav-
zoq (sc. Pilati). Es handelt sich nicht, wie
es beim ersten Blick scheinen könnte, an
dieser Stelle um die Diakone — denn diese
trugen keinen Gürtel — , sondern um den
Bischof. Vgl. auch den aus Pseudo-Ger-
m a n u s kompilierten Pseudosophronius n. 7
(Mg. 87, 3 3988) : Tb iyydptow (sc. zoü iepiiuq)
zb livziov i&ziv (sc. Xpiarou).
3 Mg. 138, 988.
4 M. 102, 1067.
552
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
hier die Rede ist, wohl die Mappula des römischen Ritus
bedeutet, so dürfte doch der Name darauf hinweisen,
daß damals auch schon im griechischen Ritus das
Enchirion in Gebrauch war.
Auf den Bildwerken treffen wir das Enchirion
erst im Beginne des zweiten Jahrtausends an. Die
älteste uns bekannte Darstellung desselben findet sich
im Menologium Basilius' II. in der Vatikanischen Bi-
bliothek (Bild 269). Von da an kommt das Enchirion
häufig auf den Monumenten vor.
So begegnet es uns z. B. bei den hll. Gregor von
Nyssa und Gregor dem Wundertäter auf den Mosaiken der
Kathedrale von Kiew (11. Jahrhundert)1, ferner auf einer
Miniatur einer griechischen Handschrift der Vaticana aus
dem Ende des 11. Jahrhunderts (vgl. Bild 111, S. 237)-, auf
den Mosaiken der Apsis des rechten Seitenschiffes in der so
interessanten Basilika von Torcello bei Venedig, dann auf
dem großartigen Mosaikenschmuck des Domes von Monreale
aus dem Ende des 1 2. Jahrhunderts 3, auf den Mosaiken der
Kuppel des südlichen Querarmes und des Chores von S. Marco
zu Venedig, auf den aus dem Beginn des 12. Jahrhunderts
Bild 269. St Gregor der stammenden Teilen der Pala d'oro, den in Silbertauschierung
Wundertäter. Miniatur des ausgeführten Bronzetürflügeln des Hauptportals von S. Marco
Menologium Basilius' IL u. a. (Bild 270).
Eom, Vatikan. Auf allen diesen Darstellungen erscheint das Enchirion
noch keineswegs als steifes, rautenförmiges Ornatstück von
der Art des jetzigen Epigonation, sondern seinem Namen entsprechend als viereckiges
Tuch , welches an der rechten Seite mit einem seiner vier Zipfel unter dem Gürtel
durchgesteckt ist, während der übrige Teil mit den drei andern Zipfeln rhomben-
ähnlich bis zum Knie herabhängt. Indessen ist auch so die Verwandtschaft mit dem
heutigen Epigonation unverkennbar. Es brauchte das Enchirion, um sich zu diesem
umzubilden , nur versteift und oben mit einer Vorrichtung zum
Aufhängen versehen zu werden.
Wann dieses geschah, läßt sich nicht mit Sicherheit
feststellen, doch mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten.
Es ist nämlich wohl nicht ohne Grund, daß in der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts an Stelle des Namens „Enchirion"
die seitdem ausschließlich gebräuchliche Bezeichnung „Epigo-
nation" auftaucht. Dieser Wechsel in der Benennung war,
wie es scheint, nur die Folge eben des Wechsels der Form.
Sobald das Ornatstück seinen Tuchcharakter verloren hatte,
war auch die Bezeichnung „Enchirion" bedeutungslos ge-
worden. Es war daher ganz natürlich , daß man diese
nun aufgab und eine andere einführte, die von seiner Form
und Beschaffenheit absah und nur noch seine ornamentale
Bedeutung betonte. Wir hätten also den Umbildungs- g;]d 270.
prozeß, wie es den Anschein hat, in das 12. Jahrhundert St Nikolaus,
zu verlegen. Allerdings kommen auch noch im 13. Jahr- (Tauschierarbeit.)
hundert hie und da Bildwerke vor, auf denen das Epi- "(Brön'zetüre).
1 L'Epop6e byzantine ä la fin du X° siöcle,
Paris 1896, I 537. "- Cod. gr. 1162.
3 Don Gravi na, II duomo di Monreale,
Palermo 1859, tav. 10 A 14 D 17 D.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
553
gonation
die alte Tuchform hat. Indessen erklärt sich das ohne Schwierig-
keit durch die Schablone, welche in die griechische Ikonographie damals
bereits Eingang gefunden. Auch mochte im 13. Jahrhundert infolge des
großen Konservativismus des Ostens die neue Form noch nicht allgemein ge-
worden sein. Und dann ist es ja, wie in der Einleitung hervorgehoben wurde,
eine bekannte Sache, daß die Kunst nicht selten eine Strecke hinter der
Wirklichkeit herhinkt, und daß Erscheinungen, die bereits der Vergangen-
heit angehören, in den künstlerischen Gebilden noch lange nachleben. Sahen
wir z. B. doch, wie die Tiara noch auf Bildwerken aus der Mitte des
15. Jahrhunderts mit einem Kronreifen geschmückt ist, obwohl doch schon
seit hundert Jahren deren drei
an ihr gebräuchlich waren.
Wie kann man in der Tat er-
warten, daß die Künstler von
jedem Wechsel, der mit der
Beschaffenheit der ihnen oft
fernliegenden pontifikalen Ge-
wänder vor sich ging, alsbald
Kenntnis hatten?
Die ältesten uns bekannten
Bildwerke, auf denen das Ornat-
stück seine jetzige Form hat,
gehören dem 14. Jahrhundert
an. Es sind eine Miniatur einer
Sammlung der Homilien Gregors
von Nazianz in der National-
bibliothek zu Paris 1 und die
Darstellungen der vier griechi-
schen Kirchenlehrer in der
Zenokapelle von S. Marco zu
Venedig (Bild 271). Das Epi-
gonation hat hier schon voll-
ständig seine gegenwärtige Ge-
stalt und Beschaffenheit. Im
15. Jahrhundert sind Bildwerke,
auf denen es dargestellt ist,
häufig.
Bild 271. St Athanasius. Mosaik. Venedig, s. Marco.
Das Recht, das Epigonation zu tragen, stand im 12. Jahrhundert aus-
schließlich den Bischöfen zu. Nicht einmal die Hegumenen (Äbte) und Proto-
papen (Erzpriester) durften sich seiner bedienen. Auf eine diesbezügliche
Anfrage des Patriarchen Markus von Alexandrien antwortet Balsamon durch-
aus verneinend. Es ist dies das gleiche Schreiben, in dem uns zum erstenmal der
Name Epigonation begegnet. Die Anfrage des Patriarchen deutet darauf hin,
daß sich damals im alexandrinischen Patriarchat in den Kreisen der Hegumenen
und Erzpriester das Streben geltend machte, das Recht zu erhalten, wie die
Bischöfe das Epigonation zu tragen.
1 Abbildung bei Roh. VII, pl. dxliii;
hier jedoch irrig dem 11. Jahrhundert zu-
geschrieben (s. oben S. 303). Auch Nerses
von Lampron kannte anscheinend schon seine
jetzige Form. Er nennt es rationale iudicii
und sagt, es trage den Namen Christi.
554 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Zweihundert Jahre später hatte sich die Sache einigermaßen geändert.
Zwar galt noch immer das Ornatstück an sich als dem Bischof vor-
behalten, doch hatten inzwischen auch hervorragendere Priester, wie Stauro-
phore und Archimandrite, das Privileg erlangt, von ihm Gebrauch machen
zu dürfen 1.
Unklar ist, ob das Enchirion schon von Anfang an ein privilegiertes
Gewandstück war oder ob es das erst wurde, seitdem es sich zum Epigo-
nation umbildete. Den Monumenten zufolge ist jedoch das erste das wahr-
scheinlichste; denn in allen Fällen, in denen es uns auf ihnen begegnet,
handelt es sich um Darstellungen von Bischöfen.
Eigentümlicherweise schreibt Pseudo-Sophronius ijyipid'uj. auch den
Diakonen zu. Es ist das erste und einzige Mal, daß wir von solchen bei
diesen hören.
XII. ABLEITUNG DES MANIPELS.
Von einer Beziehung des liturgischen Manipels zu einem Kultgewande
des Alten Bundes kann in keiner Weise die Rede sein. Er ist weder un-
mittelbar aus dem jüdischen Opferdienst herübergenommen, noch in späterer
Zeit im Hinblick auf eines der aaronitischen Priester kl eider als Ornatstück der
christlichen Liturgen eingeführt worden.
Unter den mosaischen Opfergewändern gibt es keines, welches das Gegen-
stück unseres Manipels sein könnte. Darum haben auch nicht einmal die
Liturgiker des Mittelalters es versucht, denselben von einem Kultgewande
des Gesetzes abzuleiten. Wenn Walafried ihn dem Schulterkleid des jüdischen
Hohenpriesters gegenüberstellt, so tut er das lediglich, weil er den acht Kult-
gewändern des Alten Bundes ebensoviele des Neuen Bundes entgegensetzen
wollte. Pseudo-Alkuin erklärt dagegen ausdrücklich, daß bei den jüdischen
Priestern das Sudarium nicht in Brauch gewesen sei. Die Entstehung des
Manipels muß also anders erklärt Averden.
Das ist denn auch geschehen, und zwar sind in Bezug auf den Ursprung
des Manipels drei Theorien geltend gemacht worden. Die eine will ihn auf
ein Handvelum, die zweite auf ein diakonales Diensttuch, die dritte
auf ein Schweißtuch zurückführen.
Die Vertreter der ersten Ansicht meinen, es habe im christlichen Alter-
tum als feststehende Regel gegolten, alles Heilige nur mit bedeckten und
verhüllten Händen anzufassen, wie aus einer Reihe von Monumenten seit dem
4. Jahrhundert hervorgehe. Man müsse daraus mit Recht schließen, daß auch
der Diakon bei Entgegennahme der Opfergaben , namentlich aber bei Be-
schäftigung mit dem Heiligen selbst, zumal bei Austeilung der heiligen Kom-
munion seine Hände bedeckt hatte. Es sei demnach der Manipel ursprüng-
lich nichts anderes als jenes Handvelum, mit dem z. B. Petrus auf den alt-
christlichen Bildwerken von Christus die Schlüssel oder eine Buchrolle und
Moses vom Herrn das Gesetz entgegennimmt, Elisäus den Mantel des Elias
auffängt, Päpste und Bischöfe ein Kirchenmodell oder das Evangelienbuch,
Heilige eine Krone halten usw.
1 De Sacra liturgia c. 83 (Mg. 155, 261). halber erlaubt war, eine mit Kreuzen ver-
Staurophore hießen gewisse Priester an sehene Kasel sowie ein Kreuz auf der Kapuze
Uauptkirchen, denen es der Auszeichnung zu tragen.
Erstes Kapitel. Der Manipel. 555
Allein ist es denn wirklich zutreffend, daß jenes Prinzip, das Heilige nur
mit bedeckten Händen zu berühren, so ausnahmslos und konstant zu Recht
bestand? Es ist doch bekannt, daß den Männern ehedem bei der Kommunion
das allerheiligste Sakrament auf die bloße Hand gelegt wurde. Aber auch auf
den Bildwerken ist es keineswegs überall durchgeführt. Beispiele bieten die
Mosaiken in S. Vitale zu Ravenna, S. Lorenzo fuori le mura und S. Venanzo
beim Lateran zu Rom , und zwar sind es bezeichnenderweise hier immer
Diakone, welche das Evangelienbuch in bloßen Händen halten. Dann aber
geht es auch unmöglich an, aus Bildwerken wie denjenigen, auf die man
sich beruft, einen Schluß auf die Praxis bei der Feier der Liturgie zu machen.
Es wäre geradezu untunlich gewesen, wenn der Diakon nur mit bedeckten
Händen die Opfergaben, heilige Geräte und die heiligen Geheimnisse hätte an-
fassen dürfen. Man denke sich nur einmal den Diakon, wie er den Gläubigen
mit verhüllten Händen etwa die fistula, das Röhrchen, reicht, damit sie mit
dessen Hilfe aus dem Kelch, den der Subdiakon trug, das heilige Blut genössen.
Und wie war es praktisch ausführbar, die Opfergaben der Gläubigen nur mit
verhüllten Händen entgegenzunehmen oder nur mit verhüllten Händen den
Kelch zur Opferung zu bereiten, u. ä. ? Außerdem aber sehen wir ja auch
Päpste und Bischöfe auf den Bildwerken mit verdeckter Hand das Evan-
geliar oder eine Kirche tragen. Bestand also auch für sie bei der Liturgie
das fragliche Prinzip? Doch wohl nicht; denn wie konnten sie mit verhüllten
Händen z. B. die konsekrierten Spezies brechen und die Gläubigen damit kom-
munizieren? Welche Gefahr der Verunehrung hätte das nicht mit sich
gebracht ?
Gewiß gab es bei der Feier der Liturgie Velen gerade wie noch jetzt.
So hielt z. B. der Akolyth , der vom Beginn des Kanons an bis nach
dem Paternoster die Patene aufzubewahren hatte, diese mit einer Art von
Schultervelum. Allein in solchen Fällen handelte es sich offenbar in erster
Linie um Beobachtung der Reinlichkeit ; darum legte denn auch der Subdiakon,
der die Patene beim Paternoster vom Akolyth empfing, diese auf seine Kasel,
bis er sie dem Regionarsubdiakon zur Übermittlung an den Diakon übergab, der
sie seinerseits aber wie der Regionarsubdiakon ohne Benutzung eines Velum
oder der Kasel in Empfang nahm 1. Jedenfalls folgt aus solchen Velen nicht,
daß auch die Mappula ursprünglich ein ähnliches Velum war. Denn es ist gar
nicht einzusehen, warum die für den Dienst des Altars geweihten höheren
Ordines, die Diakone, Priester und Bischöfe, noch eines Handvelum bedurften,
um mittels desselben die Opfergaben, heiligen Geräte usw. anzufassen. Bei
den Akolythen und Subdiakonen der älteren Zeit ließe sich das zuletzt noch
begreifen, bei den Diakonen, den Priestern und Bischöfen ist es jedoch schlecht-
hin unverständlich.
Wie konnte überhaupt die Mappula, falls sie ursprünglich ein durch die
Ehrfurcht vor dem Heiligen notwendig gefordertes Handvelum war, je diesem
Zweck entfremdet und , was doch schon im 9. Jahrhundert mit ihr geschah,
zu einem Zierstreifen werden? Was hat man denn bei dieser Umwandlung
für sie substituiert? Wie will man ferner bei der in Frage stehenden Theorie
vom Ursprung des Manipels es erklären, daß die Mappula bei ihrem ersten
Auftreten als spezifisch römisches Ornatstück erscheint? Galt etwa jenes an-
gebliche Prinzip, wonach das Heilige nur mit verdeckter Hand berührt werden
Amal. , De eccl. off. 1. 3, c. 27 (M. 105, 1146) ; dazu ordo 2, n. 11 (M. 78, 975).
556 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
durfte, ausschließlich zu Rom? Und wie konnte Gregor gegen den Gebrauch
der Mappula gegenüber den ravennatischen Diakonen so große Schwierigkeiten
erheben, wenn diese nur ein liturgisches Handvelum war?
Die zweite Meinung hinsichtlich des Ursprungs des Manipels geht von
der Erwägung aus, daß die Diakone als nächste Diener des Altars für die
Opfergaben zu sorgen, die Spenden der Gläubigen an Brot und Wein ent-
gegenzunehmen, die für das Opfer notwendige und geeignete Materie aus-
zuwählen, die Opfergeräte herbeizuschaffen und nach dem Gebrauch zu reinigen
hatten u. ä. und deshalb eines Tuches bedurften, ohne welches sie die nötige
Reinlichkeit nicht wahren konnten. Dasselbe soll eben die Mappula sein.
Anfangs also lediglich ein zu praktischen Zwecken, wie der Dienst sie mit
sich brachte, verwendetes Tuch, blieb diese ein solches, sagt man, bis die Dia-
kone einen Teil ihrer Dienste an die Subdiakone abgaben. Dann wurde sie Ab-
zeichen des diakonalen Ordo, indem die Diakone ihre Mappula, die sie nun
nicht mehr zu Reinlichkeitszwecken benutzten, schön und reich ausstatteten
und zu einem schmalen Streifen zusammenfalteten oder auch, wohl durch ein
einfaches Band ersetzten. Auf diese Weise Insignie der Diakone geworden,
wurde sie dann auch von den höheren Gliedern der Hierarchie, insbesondere
auch vom Papst angenommen.
Analogien des diakonalen Diensttuches soll aber das Tuch bilden, welches
nach den antiken Monumenten die Opferdiener, die sog. camilli, und die Auf-
wärter bei profanen Gelagen, die sog. delicati, bald schlicht zusammengelegt,
bald in einen Streifen zusammengefaltet auf dem Arm, der linken Schulter
oder auch nach Art der Priesterstola um den Hals zu tragen pflegten.
Dieser Versuch, den Ursprung des Manipels zu erklären, hat unzweifel-
haft etwas Bestechendes. Alles klingt ungemein natürlich, ja fast selbst-
verständlich; um so mehr bedauern wir, ihm nicht zustimmen zu können.
Vor allem kann nämlich doch wohl kaum behauptet werden, daß die
Diakone eines Diensttuches bedurft hätten. Durchgeben wir ihre Tätigkeit
bei der Liturgie, so ergibt sich, daß die Verrichtungen, bei denen sie über-
haupt irgend ein Tuch nötig hatten, sich auf einige wenige Fälle beschränken,
auf die Händewaschung nach dem Einsammeln der Opfergaben , das Auf-
trocknen des bei Entgegennahme der Weinfläschchen oder der Herrichtung
des Kelches etwa verschütteten Weines und die Reinigung der Opfergefäße
am Schluß der Liturgie. Denn zum Herbeiholen der Opfergeräte, das zu
Rom schon gegen Ausgang des 4. Jahrhunderts keine Sache der Diakone
mehr war 1, bedurfte es keines Tuches ; bei der Entgegennahme der Opfer-
gabe aber wäre es sogar sehr unpraktisch gewesen, die Hände mit einem
solchen zu bedecken. Von den genannten Funktionen müssen nun aber ab-
gerechnet werden die Händewaschung, für die manutergia vorhanden waren,
das Auswaschen der gebrauchten Kelche, das übrigens nicht am Altare,
sondern erst nach dem Gottesdienst in der Sakristei statthatte und für
welches es ohne Zweifel erst recht besondere Tücher gab, und das Aufputzen
des etwa beim Einsammeln der Gaben auf den Fußboden geflossenen Weines,
wofür jedes gewöhnliche Aufputztuch gut genug, ein feines diakonales Dienst-
tuch aber sicher zu schade war. Es bleibt sonach lediglich die Herrichtung
des Kelches übrig. Ob es nun aber nötig, ja auch nur zweckmäßig war,
daß die Diakone lediglich dieser Funktion halber die ganze Liturgie hindurch
1 Quaest. utriusque test. n. 101 (M. 35, 2301).
Erstes Kapitel. Der Manipel. 557
ein Tuch mit sich auf dem Arm herumtrugen? Ja wenn dieses noch Insignie
des diakonalen Ordo gewesen wäre. Aber das war es ja noch nicht. Denn
zum Standesabzeichen der Diakone soll es ja erst geworden sein, nachdem
die Subdiakone einen Teil der diakonalen Obliegenheiten übernommen hatten.
Zweitens ist es schwer begreiflich, wie die Mappula sich bei den römi-
schen Subdiakonen und Akolythen, bei denen wir sie doch im 9. Jahrhundert
antreffen, noch einbürgern konnte, nachdem sie einmal zur diakonalen Insignie
geworden war1. Und erst die Mappula des Papstes, welche schon im 1. Ordo
ausdrücklich erwähnt wird, und der Bischöfe! Ist es wirklich glaubhaft, daß die
höchsten kirchlichen Würdenträger den Diakonen deren Amtsinsignie entliehen?
Beweist die Geschichte der liturgischen Gewandung nicht im Gegenteil, daß
die liturgische Kleidung der unteren Ordines nur eine Vereinfachung der-
jenigen der oberen ist, und daß alle Gewandstücke der Priester, Diakone usw.
der bischöflichen Tracht entlehnt sind. Ganz unverständlich aber ist, daß
sich das diakonale Diensttuch zur Insignie der Diakone umgebildet haben soll,
weil die Subdiakone einen Teil der diakonalen Funktion übernahmen. Denn
entweder blieben den Diakonen noch Verrichtungen, bei denen sie des fraglichen
Tuches bedurften, oder es gingen diese allesamt an die Subdiakone über.
Im ersten Fall ist es offenbar unerklärlich, wie das Tuch seiner praktischen
Bedeutung verlustig gehen und zur bloßen Insignie werden konnte, im zweiten
aber, warum nicht auch das Tuch zugleich mit den diakonalen Funktionen von
den Subdiakonen übernommen wurde, sondern bei den Diakonen blieb und
bei diesen sogar den Charakter einer Insignie erhielt, obschon es zu den ihnen
noch bleibenden Amtshandlungen durchaus keine Beziehung mehr hatte. Was
waren das überhaupt für Funktionen, welche auf die Subdiakone übergingen,
und zu welcher Zeit vollzog sich dieses Ereignis? — zwei Punkte, die für die
ganze Frage ersichtlich von größter Bedeutung sind und vor allem klar-
gestellt werden müßten.
Drittens darf man wohl fragen , warum die Mappula bei ihrem ersten
Auftreten in der Geschichte als spezifisch römisches und nicht viel mehr als
allgemein gebräuchliches Ornatstück erscheint. Warum finden wir sie, wenn sie
ein durch die Funktion der Diakone gefordertes Diensttuch war, nicht im
ganzen Abendland? Oder war z. B. in Gallien und Spanien im 6. Jahrhundert
die Feier der Liturgie vielleicht der Art, daß in jener Zeit dort bei den
diakonalen Verrichtungen kein Bedürfnis für ein solches Tuch vorlag?
Viertens muß betont werden, daß der Erklärungsversuch weder zu den
Mitteilungen paßt, die wir im 9. Jahrhundert von der liturgischen Mappula
erhalten, noch zu den Angaben, die uns das Papstbuch und der Briefwechsel
zwischen Gregor d. Gr. und Johannes von Ravenna direkt oder indirekt über
die Beschaffenheit, die Träger, den Charakter usw. des pallium linostimum
bzw. der Mappula machen2.
Was endlich die Darstellungen der camilli und delicati anlangt, so
können wir ihnen leider eine Bedeutung nicht beimessen. Sollen sie bloß
1 Nach W i 1 p e r t (Gew. 56) wäre das stück entliehen. Außerdem ist völlig un-
Diensttuch der Diakone allmählich zu einem begreiflich, daß ein Tuch, welches, wie doch
Taschen- oder Schweißtuch geworden und Wilpert selbst sagt, „für den liturgischen
als solches dann auch von den übrigen Dienst der Diakone absolut not-
Ordines angenommen worden. Allein auch wendig war", allmählich zu einer Art
so bleibt die auffallende , durch nichts be- von Taschen- oder Schweißtuch werden
gründete Erscheinung, daß der Papst und konnte.
die Bischöfe von den Diakonen ein Ornat- 2 S. oben S. 523 f.
558 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
illustrieren, wie wir uns die Diakone mit dem pallium linostimum auf dem
Arm zu denken haben , dann sind sie offenbar von geringem Wert , um
nicht zu sagen, ziemlich überflüssig. Denn wie man das Ornatstück zu tragen
pflegte, ersehen wir besser aus den Darstellungen des 9. Jahrhunderts, welche
uns liturgische Personen mit der Mappula vorführen, als aus antiken Dar-
stellungen heidnischer camilli und delicati. Einen wirklichen Aufschluß über
den Charakter und Zweck des pallium linostimum aber können sie nicht
geben. Das wäre nur unter der Voraussetzung möglich, daß man die volle
Analogie zwischen dem Dienst der Diakone einerseits und dem der camilli
und delicati anderseits erwiesen hätte. Die allgemeine Bemerkung, daß die
einen Diener am Tisch des Herrn, die andern Diener am Götzenaltar oder
beim profanen Tisch waren, reicht dazu offenbar nicht aus. In der Tat war
das mantile der camilli lediglich ein Handtuch, an welchem der Opfernde
nach Auflegung des Weihrauchs seine Hände abputzte, kein Diensttuch, wie
man es dem Diakon vindizieren will. Sein Gegenstück war bestenfalls das
manutergium, welches einer der Subdiakone dem Bischof oder Priester
zum Abtrocknen der Hände darreichte, wenn diese nach Empfang der Opfer-
gaben und nach Austeilung der heiligen Kommunion ihre Hände wuschen 1. Was
aber das Abputztuch der Aufwärter anlangt, so war denn doch die Aufgabe
der Diakone eine wesentlich andere als die eines delicatus. Oder ging
etwa die diakonale Tätigkeit im Auftragen , Abräumen und dem , wenn
irgendwo, dann namentlich bei antiken Gelagen unvermeidlichen Aufwischen
und Händewaschen auf? Wie viele Funktionen gab es überhaupt, bei welchen
der Diakon irgend eines Tuches, von einem Diensttuch ganz zu schweigen,
nötig hatte?
Die dritte Ansicht führt den Manipel auf ein Sudarium (Schweißtuch)
zurück. Es ist die gewöhnliche Auffassung. Sie gründet sich darauf, daß bei
Amalar und Pseudo-Alkuin das Ornatstück mit aller Bestimmtheit als Schweiß-
tuch bezeichnet wird. Wir tragen kein Bedenken, an ihr festzuhalten.
Man hat freilich Amalar wie Pseudo-Alkuin als durchaus unglaubwürdig
hinzustellen versucht. Was Amalar sagt, soll nur die Ausgeburt einer über-
triebenen Vorliebe für allegorische Erklärung und übel angebrachte Pietät
gegen einen lieben Heiligen , nämlich den Vater Arsenius , sein und dem-
gemäß ins Gebiet der Fabel gehören. Pseudo-Alkuin aber, sagt man, habe
lediglich die Phantasien Amalars nachgeschrieben. Indessen heißt das doch
unseres Eraehtens weder Amalar noch Pseudo-Alkuin genügend gerecht werden.
Es klingt allerdings recht drastisch, wenn Amalar schreibt: Sudario solemus
tergere pituitam oculorum et narium atque superfluam salivam decurrentem per
labia . . . sive propter effusionem lacrimarum sudarium fertur ; allein wovon redet
derselbe denn eigentlich in diesen Worten, von dem liturgischen Sudarium oder
vom Sudarium überhaupt? Jedenfalls ist seine Schilderung kein genügender
Grund, zu behaupten, lediglich Amalars Phantasie habe das Ornatstück zu einem
Sudarium gemacht; in Wirklichkeit habe es mit einem solchen nichts zu tun.
Wer Amalar näher kennt, weiß, wie er ihn zu verstehen hat. Man muß bei
ihm Spreu und Weizen sondern, statt mit der Spreu zugleich den Weizen weg-
zuwerfen. Auch in seinen Ausführungen über das Sudarium steckt unzweifel-
haft ein richtiger Kern. Amalar war ein zu tüchtiger Kenner und ein zu
1 Schon im 4. Jahrhundert lag es zu Rom (Priester) beim Händewaschen zu ministrieren.
nachweislich den Subdiakonen ob, dem Bischof Vgl.Quaest. exutroquetest. n. 101 (M. 35,2301).
Erstes Kapitel. Der Manipel.
559
aufrichtiger Freund des römischen Ritus, um das Ornatstück fälschlich als
sudarium hinzustellen, wenn es nach römischer Auffassung mit einem solchen
in keiner Weise etwas zu schaffen gehabt hätte, sondern ein zur Insignie
gewordenes diakonales Diensttuch oder sogar nur mehr ein bloßes Band
gewesen wäre.
Was aber Pseudo-Alkuin anlangt, so ist es durchaus unrichtig, daß
er lediglich Ausschreiber Amalars ist. In dem Kapitel, das er der liturgischen
Gewandung des Neuen Bundes gewidmet hat, hat er freilich Hraban und
Amalar kopiert. Jedoch gilt das keineswegs von einer Anzahl wichtiger
Bemerkungen, die er seinen Eröterungen über die alttestamentliche Kult-
kleidung eingestreut hat. Vielmehr verraten diese ein ebenso selbständiges
wie nüchternes Urteil. Gerade hier nun ist es aber, wo Pseudo-Alkuin
sagt: Sunt tarnen alia, quae apud illos non habebantur, ut stola, sandalia
et sudarium, q u o d a d t e r g e n d u m sudorem in manu g e s t a r i mos
est, quod usitato nomine fanonem vocamus l. Die Worte sind klar und
schließen jeden Zweifel aus. Pseudo-Alkuin redet von einem sudarium, das
zur liturgischen Tracht des Neuen Bundes gehörte. Dieses sudarium ist, wie die
von ihm gegebene Beschreibung beweist, das sudarium des Amalar und, wie
der Name fano bekundet, der fano Hrabans und sonach auch die mappula der
römischen Ordines. Als Zweck des sudarium aber gibt Pseudo-Alkuin an, es
pflege in der Hand getragen zu werden ad tergendum sudorem.
Es kann demnach nicht wohl zweifelhaft sein, daß die Mappula wirklich
den Charakter eines Sudarium hatte, nur darf man sich unter ihr kein ge-
wöhnliches Taschen- oder Schweißtuch vorstellen. Sie war vielmehr ein von
der Etikette gefordertes feines Tuch, das zur Vervollständigung der liturgischen
Tracht gehörte und mehr der Zierde als des praktischen Gebrauches wegen
in der Hand oder auf dem Arm getragen wurde, ähnlich wie das bekannte,
mit Spitzen besetzte Battisttüchlein, das noch jetzt nicht ganz ausgestorben
ist, eine mappa da etichetta, wie P. Grisar treffend sagt2. Solche Etikette-
oder Ziertücher waren auch der alten Zeit nicht unbekannt 3.
1 De div. off. c. 38 (M. 101, 1240).
2 Analecta rom. 683; vgl. 551.
3 Beispiele bieten das bekannte Mosaik in
S. Vitale zu Ravenna, Theodora im Kreise
ibrer Hofdamen; das von de Rossi veröffent-
lichte Fresko einer syrakusanischen Kata-
kombe, eine gewisse Marcia vor Cliristns
darstellend (Bullet, arclieol. III [1877],
tav. 11); ein Fresko im Cömeterium der
Comodilla zu Rom (Abbildung in Nuovo
Bullet, di arcb. christ. X [1905], tav. 6); ein
Diptychon im Dom zu Monza (Abbildung
in Ann. XXI 222); ein ehedem zur Maximians-
kathedra im Dom zu Ravenna gehörendes
Elfenbein in der Sammlung Stroganoff zu Rom
(Abbildung bei Gräv. II, n. 62); eine Minia-
tur in dem Kosmas Indikopleustes der Vati-
cana (f. 134) ; das Apsismosaik in der erz-
bischöflichen Palastkapelle zu Ravenna (Ab-
bildung in Revue 1896, 282) ; die Darstellung
der Verkündigung in dem Etschmiadzin-Evan-
geliar (Abbildung bei Strzygowski, Byzan-
tinische Denkmäler I, Wien 1891, Tfl 5);
zwei Miniaturen des Gregor von Nazianz in
der Nationalbibliothek zu Paris (Msc. grecs
510, f. 247v, wo der König der Philister, und
f. 226T, wo Moses ein Sudarium in der
Linken trägt; Abbildung bei H. 0 m o n t,
Fac-similes des miniatures des plus anciens
manuscrits grecs de la Bibl. nat., Paris 1902,
pl. xl xlix) ; die Panagia auf dem Apsis-
mosaik der Kathedrale zu Kiew (Abbildung
bei S ch 1 u m b e r g er, L'Epopee byzantine
I 197) u. a. Auch das Tuch, welches die
Konsuln auf den Konsulardiptychen in der
Hand halten, ist unseres Erachtens ein Eti-
kette- oder Staatstuch, was natürlich nicht
ausschließt, daß es auch gebraucht wurde,
um das Zeichen zum Anfang der Spiele zu
geben. Es ist schwer begreiflich , warum
sie so oft, um nicht zu sagen meist, mit
diesem Tuch dargestellt werden , wenn das-
selbe nichts anderes war als die Mappa, mit
der sie die Spiele eröffneten , zumal dieser
Akt nicht einzig durch die Konsuln voll-
zogen wurde.
560 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Bei dieser Auffassung des Sudarium fällt denn auch von selbst der
Einwand, unter dem sudarium des Amalar, das offenbar ein sakrales Ornat-
stück darstelle, da es mit der Stola, der Kasel usw. auf einer Stufe
stehe, könne unmöglich ein Schweißtuch verstanden werden, weil es un-
annehmbar erscheine, daß ein durchaus profanes und praktischen Zwecken
dienendes Tuch wie ein Taschen- oder Schweißtuch jemals irgend wel-
chen liturgischen Charakter gehabt habe. Das Sudarium war eben kein
„gemeines Schweiß- oder Schnupftuch", wie man irrtümlich voraussetzt,
sondern ein Staatstuch, ein Etikettetuch, ein Anstandstuch, ein Ziertuch.
Schweißtuch war es nur in der Theorie, nicht in der Praxis. Als wirk-
licher Schweißtücher bediente man sich der facistergia, die schon in Inven-
taren des 9. und 10. Jahrhunderts in größerer oder geringerer Anzahl auf-
geführt werden l.
Weiterhin begreift man, das Sudarium so verstanden, ohne Schwierigkeit,
wie dasselbe den Diakonen als offertorium dienen konnte, als was diese es
ja nach den römischen Ordines verwendeten, d. i. als das Tuch, womit sie
ihre Opfergabe darbrachten; ebenso daß die Diakone mit ihrem Sudarium die
Henkel des Kelches umwickelten, wenn sie diesen hergerichtet hatten und
zum Altar trugen bzw. nach der Konsekration emporhielten und dem Volke
zeigten. Ein gewöhnliches Taschentuch hätten sie zu solchen Zwecken natürlich
nicht verwenden können ; nichts aber hinderte, daß sie dazu ihr Etikettetuch
benutzten.
Aber auch die Geschichte des Ornatstücks in vorkarolingischer Zeit liegt
klar vor uns, sobald wir die Mappula als Sudarium im Sinne eines Etikette-
tuches auffassen, und es bedarf zu ihrer Aufhellung und ihrem Verständnis
weiterhin weder luftiger Hypothesen noch der Darstellungen heidnischer
Opferknaben und antiker Aufwärter. Die Angaben des Papstbuches und der
Briefwechsel zwischen Gregor d. Gr. und Johannes von Ravenna reichen
dann vollständig aus, um in genügender Bestimmtheit die Grundzüge der Ent-
wicklung der Mappula in vorkarolingischer Zeit festzustellen. Namentlich
aber ist es bei jener Ansicht von der Entstehung des Ornatstückes nicht
mehr rätselhaft, daß dieses ursprünglich nur zu Rom als ein dem dortigen
Klerus eigentümlicher, auszeichnender Ornat in Gebrauch war, der allem An-
schein nach anfänglich nur dem Papst zustand, dann aber mitsamt der
Dalmatik den als papabili so hervorragenden römischen Diakonen bewilligt
wurde, hierauf, sei es durch besondere Verordnung (Zosimus) oder durch Ge-
wohnheit, bei den Diakonen der suburbikarischen Diözesen Aufnahme fand
und zuletzt sich bei der ganzen römischen Geistlichkeit einbürgerte. Das
alles sowie auch der Streit zwischen dem römischen und ravennatischen Klerus
wegen der Mappula, die diese sich angeblich angemaßt haben sollten, ist als-
bald verständlich, sobald man das Ornatstück als Sudarium im Sinne eines An-
stands-, Staats-, Etikettetuchs auffaßt.
Dieser Ursprung des Manipels findet ferner seine genaue Parallele in dem
Ursprung des griechischen bischöflichen Epigonation. Denn auch dieses war,
wie wir früher sahen 2, ursprünglich ein Tuch , und zwar , wie der Name
1 Vgl. z. ß. die Inventare von St-Riquier die Consuetudines S. Vitonis zu Verdun
(831), Fontanelle (ca 830), St Bavo zu Gent (Mart., Mon. IV 297): Ponet super altare
(860), St Trond (870), Pfäffers (ca 900), . . . facistergium.
Marchiennes (9. Jahrh.) u. a. ; desgleichen - Vgl. oben S. 551 f.
Erstes Kapitel. Der Manipel.
561
Encliirion, den letzteres führte, bekundet, eine Art von Schweißtuch, aber
kein Schweißtuch im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern als auszeichnen-
des Ornatstück der Bischöfe und als Bestandteil des Pontifikalornats wie die
römische Mappula ein Staats- oder Etikettetuch. Es braucht kaum bemerkt
zu werden, daß dieser Ursprung des Epigonation eine nicht unwichtige Be-
stätigung der Ansicht bildet, welche den Manipel auf ein Sudarium im Sinne
eines Anstands- oder Etikettetuches zurückführt.
Neben der Mappula gab es natürlich auch zu allen Zeiten wirkliche
Schweißtücher, und zwar müssen solche schon im 9. und 10. Jahrhundert zum
förmlichen Bestand der Sakristeien gehört haben. Denn es finden sich bereits in
den Inventaren aus dieser Zeit nicht selten neben den fanones oder mappulae
auch facistergia (facistercula) verzeichnet. Ausdrückliche Bestimmungen
über den Gebrauch derartiger Schweißtücher begegnen uns freilich erst um das
13. Jahrhundert. Eine der frühesten treffen wir in den Synodalstatuten
Odos von Paris aus dem Jahre 1200 an. Districte praecipitur, heißt es
darin, ut quilibet sacerdos habeat in celebratione missae propter munditiam
vestimentorum servandam circa altare (es sind wohl die Altarvelen ge-
meint) unum manutergium pendens circa missale ad tergendum os et nares,
si fuerit necesse1. Ähnliche Bestimmungen trafen die Kölner
Synode des Jahres 1 281 2, die Konstanzer Synodalstatuten
aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts3, eine Lütticher Syn-
ode von 1287*, die Synode von Bayeux von 1300 5,
Synodalstatuten von Meaux u. a. B In den Synodalstatuten
von Lüttich lesen wir beispielsweise: Missale semper in-
volutum camisia linea et munda altari imponatur et habeat
sudariolum seu manutergium dependens, quo presbyteri nares,
os et faciem detergeant. Bischof Grandisson von Exeter
(1327 — 1369) traf in seinen Statuten die eigenartige Be-
stimmung, daß bei der Messe sowohl der Priester wie der
Diakon und Subdiakon ein kleines Tuch in ihren Händen halten sollten, um
die Gewänder vor Schmutz zu bewahren und den Schweiß abtrocknen zu
können 7.
In eigentümlicher Weise trugen die Kanoniker von Reims das Sudarium 8.
Nach de Vert war es nämlich am kleinen Finger der linken Hand befestigt
und führte davon den Namen doigtier (Bild 272). Man legte es an, wenn
man zum Altar ging, und behielt es bis zur Opferung an der Hand. Dann
wurde es abgelegt, aber nach der Kommunion wieder genommen. Der doigtier
war auch in Antwerpen gebräuchlich, wie ein Bild Pieter Neffs des Älteren
im Rijks-Museum zu Amsterdam beweist. Es stellt das Innere der Antwerpener
Dominikanerkirche dar. Die Staffage bildet ein Umzug, bei dem Diakon und
Subdiakon den doigtier tragen.
Bild 272. Doigtier.
(Nach de Vert.)
1 Le Brun, Tratte' prelim. art. 4, § 1,
p. 44.
2 C. 7 (Hartzh. III 662).
3 C. 35 (Mart, Thes. IV 811).
4 C. 5, n. 8 (Hartzh. III 690).
5 C. 21 (Hard. VII 1229).
6 C. 47 (Mart. a. a. O. 900).
1 Vgl. über das Schweißtuch auch Braun,
Die priesterlichen C4ewänder 69 f. Nach dem
Braun, Die liturgische Gewandung.
12. römischen Ordo (n. 7 ; M. 78, 1067) ritt
vor dem Papst beim Zug nach S. Stefano
am Feste des hl. Stephanus prior subdiaconus
regionarius cum toalea, ut cum dominus papa
voluerit spuere, possit illo gausape os säum
mundare.
8 De Vert II 295, note. Der doigtier
war nicht der Manipel, wie man irrig ge-
glaubt hat.
36
562 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
ZWEITES KAPITEL.
DIE STOLA.
I. DIE STOLA NACH DER GEGENWÄRTIGEN PRAXIS.
Dem Manipel ist hinsichtlich der Beschaffenheit durchaus verwandt
die Stola. Sie ist wie er ein streifenförmiges Ornatstück und unterscheidet
sich von ihm fast nur durch ihre größeren Maßverhältnisse. Während nämlich
der Manipel im ganzen bloß etwa 1,00 m lang ist, hat die Stola eine Gesamt-
länge von ca 2,50 m. Hinsichtlich des Stoffes, der Farbe, der Form, der
Machweise und der Verzierung (namentlich auch der drei Kreuze und der
Fransen an den Enden) besteht zwischen beiden Paramenten kein Unterschied.
Es kann daher wegen alles dessen auf die diesbezüglichen Ausführungen in
der Besprechung des modernen Manipels hingewiesen werden.
Die Stola kommt nur den Diakonen, Priestern und Bischöfen
zu, deren charakteristisches Abzeichen sie bildet. Die Erstgenannten tragen
sie in Form einer Schärpe, welche auf der linken Schulter ruht und von dort
schräg über Brust und Rücken zur rechten Seite läuft, wo ihre Enden unter
dem Arm miteinander verbunden werden. Bei den Priestern und Bischöfen
liegt die Stola dem Nacken auf und zieht sich von da über die Brust bis
etwa zu den Knieen hinab. Während indessen die bischöfliche Stola stets
gerade herabfällt, mag nun der Bischof die Albe oder das Superpelliceum
tragen, muß die priesterliche Stola, so oft sie in Verbindung mit der Albe
gebraucht wird, allemal über der Brust gekreuzt werden. Nur wenn der
Priester sich des Superpelliceum bedient, läßt auch er die Stola gerade herab-
steigen. Nach römischem Brauch wird die priesterliche und bischöfliche Stola
in der Weise über den Nacken geworfen, daß sie etwa eine Spanne weit
nach hinten herabhängt. Allerdings setzt das voraus, daß sie entweder, wie
das zu Rom wirklich zutrifft, sehr weich und faltsam ist und daß sie
sich auf dem Rücken zusammenlegen läßt, oder daß die beiden Stolahälften
in der Mitte unter einem Winkel zusammenstoßen, statt einen gerade fort-
laufenden Streifen zu bilden: zwei Eigenschaften, welche übrigens auch da
dem Ornatstück nicht fehlen sollten, wo es nicht üblich ist, dasselbe weit
nach rückwärts herabhängen zu lassen.
Wie der Subdiakon den Manipel, so erhält der Diakon bei seiner Weihe
aus der Hand des Bischofs die Stola. „Nimm hin", sagt dieser, während
er das Ornatstück auf die linke Schulter des Ordinanden legt, „aus Gottes
Hand das weiße Gewand und erfülle deinen Dienst; denn Gott ist mächtig
genug, um dir seine Gnade in reichem Maße zu spenden, er, der da lebt usw."
Wird der Diakon zum Priester geweiht, so führt der Bischof denjenigen
Teil der Stola, welcher sich hinter dem Rücken herzieht, über die rechte
Schulter zur Brust, wo er die beiden Hälften in Form eines schrägen Kreuzes
übereinander legt. Als priesterliche Amtsinsignie ist die Stola das Symbol
des Priesteramtes. Darum begleitet der Bischof die Änderung in der Tragweise
der Stola mit den Worten: „Nimm hin des Herrn Joch; denn sein Joch ist
süß und seine Bürde leicht."
Bei der Bischofsweihe ist die Stola nicht der Gegenstand einer besondern
Zeremonie. Sie wird dem Konsekranden schon gleich, wenn er nach dem
sog. Examen mit den bischöflichen Gewändern (Mitra und Handschuhe aus-
Zweites Kapitel. Die Stola. 563
genommen) bekleidet wird, in der Weise umgehängt, wie die Bischöfe sie zu
tragen haben.
Über den Gebrauch der Stola gibt es eine ungemein große Anzahl
von Entscheidungen der Ritenkongregation 1, welche freilich zum großen Teil
immer wieder dieselbe Sache betreffen. Wie schon bemerkt, ist die Stola
Amtsabzeichen, Insignie des empfangenen Weiheordo. Dieser An-
schauung gemäß lassen sich die Antworten der Kongregation in die allgemeine
Regel zusammenfassen: die Stola darf „nur beim Vollzug eines spezifisch im
Ordo gelegenen Offizium oder Ministerium getragen werden". Sie kann
bzw. muß also gebraucht werden bei der Opferfeier, bei der Spendung der
Sakramente und Sakramentalien sowie bei jeder mittelbaren und unmittelbaren
Berührung des Allerheiligsten. Bei Verwaltung des Predigtamtes darf man
sich ihrer bedienen, wo solches Sitte ist 2. Nicht als Ausübung des Ordo gilt
das kirchliche Stundengebet, weshalb nicht einmal der Offiziator die Stola
tragen darf, selbst dann nicht, wenn das Offizium feierlich gehalten wird 3. Nur
beim Totenoffizium kann, wenn dasselbe in Verbindung mit den Exsequien,
d.i. unmittelbar vor der Messe, statthat, die Stola gebraucht werden4. Nicht
als exercitium ordinis im engeren Sinne wird ferner die Assistenz bei der Messe 5
oder bei Prozessionen betrachtet, die theophorischen nicht ausgenommen. Ein
eigentliches signum iurisdictionis ist die Stola niemals °. Der Fälle, in denen
ihr Gebrauch nicht zwar zum Zeichen der Jurisdiktion, aber doch eines ge-
wissen Vorranges auch ohne Ausübung des Ordo ausnahmsweise gestattet
wurde, sind nur sehr wenige. So wurde es den Pfarrern wohl erlaubt, bei
Prozessionen die Stola zu tragen, falls sie collegialiter an denselben teilnähmen.
Nach einer neueren Entscheidung scheinen sogar, wo das Gewohnheit ist,
die Pfarrer auch dann bei Prozessionen sich mit ihr versehen zu dürfen,
wenn sie nicht in corpore auftreten 7. Der Bischof trägt nach dem römischen
Caeremoniale 8 die Stola auch bei der feierlichen Vesper, weil er, Avie Thalhofer
meint9, spezieller Repräsentant des im Himmel nicht bloß opfernden, sondern
auch betenden Hohenpriesters ist.
II. NAMEN DES ORNATSTÜCKES.-
Unter den Gewandstücken, welche die alten Liturgiker als zum heiligen
Dienst gehörend bezeichnen, befindet sich eines, welches den Namen orarium
führt. Es ist die Stola. Das geht nicht nur aus der Beschreibung hervor,
welche sie von dem Orarium geben, sondern mehr noch daraus, daß manche
ausdrücklich Stola und Orarium als eine Sache hinstellen; so schon Hraban,
dann Pseudo-Beda und Pseudo-Alkuin, später Ivo von Chartres, der Verfasser
des Speculum de mysteriis ecclesiae, Robertus Paululus u. a.
Abzuleiten ist das Wort Orarium von os, Mund, Gesicht. Demnach war
das Orarium ursprünglich ein Tuch, das zum Abputzen des Mundes oder des
1 Sie sind ausführlich zusammengestellt * Caerem. episc. 1. 2, c. 10, n. 10; C. R.
bei P. Victor ab Appeltern, Manuale 12. Aug. 1854 (Decret. auth. 3029).
liturg., Mecbl. 1901, 76 f 553 und in der ä C. R. 12. März 1836; 4. Sept. 1875 (ebd.
neuesten offiziellen Sammlung der Dekrete 2741 3367).
der C. R., Index gen. V 469 f. 6 C. R. 11. Sept. 1847 (ebd. 2956).
2 C. R. 26. Sept. 1868; 11. März 1871 ' C. R. 30. März 1824; 11. März 1837;
(Decret. auth. 3185 3237). 22. Juli 1848; 9. Mai 1857 (ebd. 2635 2763
3 C. R. 4. Aug. 1663; 7. April 1832; 2973 3051). 8 L. 2, c. 1, n. 4.
11. Sept. 1847 (ebd. 1275 2689 2956). 9 Liturgik 879, Anm. 3.
36*
564
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Gesichtes bestimmt war, also eine Art von Schweißtuch. So definiert es
wirklich Ammonius von Alexandrien (ca 458) in seinem fragmentarisch er-
haltenen Kommentar zur Apostelgeschichte. „Oraria nennt man", so sagt er,
„die Tücher, welche dazu dienen, Schweiß, Speichel, Tränen und ähnliches
vom Gesicht wegzuputzen." 1 Indessen hatte schon vor der Zeit des Ammonius
das Wort eine weitere Bedeutung erlangt.
Bei den profanen lateinischen Schriftstellern werden Orarien nur selten und erst
im 3. nachchristlichen Jahrhundert erwähnt. Nach Trebellius Pollio 2 schenkte Kaiser
Gallienus (259 — 268) dem Claudius (Kaiser von 268 bis 270) 4 oraria sarabdena (?) ;
Aurelianus (270 — 275) aber, so berichtet Flavius Vopiscus 3, spendete zuerst dem
römischen Volke oraria, quibus uteretur ad favorem, d. i. oraria, mittels deren es (bei den
Zirkusspielen) seinen Beifall äußern, applaudieren sollte. Häutiger ist von dem Orarium bei
den Kirchenschriftstellern die Rede. Bei Hieronymus erscheint es als eine Art von linne-
nem Umwurf oder Halstuch, wenn er an Nepotian schreibt: Non absque amictu lineo
incedere . . . laudabile est; alioqui ridiculum est, referto marsupio quod sudarium
orariumque non habeas gloriari 4. Ambj-osius spricht in seiner Schrift über das Hin-
scheiden seines Bruders Satyrus von einem Orarium , welches das' Haupt des toten
Lazarus verhüllte 5. Ebendort 6 erzählt er, bei einem Schiffbruch habe Satyrus die
heilige Eucharistie in ein Orarium gebunden, selbiges dann um den Hals gewickelt
und sich so im Vertrauen auf Gottes Hilfe ins Meer gestürzt. Von Orarien, die man
auf die Reliquien der Heiligen legte, damit sie so selbst im gewissen Sinne Reliquien
würden, redet der Heilige im Briefe über die Wunder der lall. Gervasius und Protasius '.
Augustinus s berichtet, man habe mit einem Orarium das Auge eines Jünglings ver-
bunden, das aus der Höhlung getreten, aber dann in dieselbe zurückgelegt worden
war. Prudentius Clemens 9 und nach ihm Gregorius von Tours 10 aber erzählen uns,
als Hesychius und Chelidonius aus Calahorra in Spanien für ihren Glauben nach
mancherlei Peinen getötet worden seien , habe sich ein großes Wunder ereignet ;
denn des einen Ring und des andern Orarium seien von einer Wolke aufgenommen
und zum Himmel emporgetragen worden, während die Menge bestürzten Blickes den
Glanz des Goldes und die Weiße des Linnentuches verfolgt habe. Prudentius nennt
in einem Wortspiel jenes Orarium das pignus oris, d. i. das Pfand seines treuen Be-
kenntnisses. Gregor der Große11 schickte einem gewissen Marin us und Christodorus,
wie es scheint, Höflingen, zwei Tuniken und vier Orarien als Geschenk nach Kon-
stantinopel ; offenbar Orarien besserer Sorte. Isidor von Sevilla verbietet den Mönchen
in seiner Regel, ein Orarium zu gebrauchen12. Fügen wir noch hinzu, daß nach
Gregor von Tours Sigiric , Sigismunds Sohn , mit einem Orarium erdrosselt wurde,
welches er im Schlaf um den Hals trug und das unter dem Kinn gebunden war ' 3,
daß Chram , der sich gegen seinen Vater empört hatte , auf dessen Befehl orario
suggilatus est14, und daß nach den Akten der hll. Marcion und Nikander der Henker
mit Orarien deren Augen verband , ehe er zum Todesstreich ausholte ' 5.
1 C. 9, v. 12 (Mg. 85, 1576).
2 In Claudio c. 14 17.
3 In Aureliano c. 48. Vgl. dazu Euseb.,
Hist. eccl. 1. 7, c. 30 (Mg. 20, 713), wo er-
zählt wird, Paulus von Samosata habe sich
in der Kirche riftövaig (mit linnenen Tüchern)
Beifall zuwinken lassen, wie es in den
Theatern geschehe.
4 Ep. 52 ad Nepot. n. 9 (M. 22, 535).
5 De excessu fratr. Satyr. 1. 2, n. 78 (M.
16, 1337).
6 L. 1, n. 43 (ebd. 1304).
7 Ep. 22 de mir. SS. Gervasii et Protasii
n. 9 (ebd. 1022).
8 De civ. Dei 1. 22, c. 8, n. 7 (M. 41, 765).
9 Peristephan. 1. 1, v. 86 (M. 60, 289).
10 De gloria mart. c. 93 (M. 71, 787).
11 Epist. 1. 7, n. 27 (M. G. Epp. I, 474).
12 C. 12, n. 2 (M. 83, 882).
13 Hist. franc. 1. 3, c. 5 (M. 71, 245).
14 Ebd. 1. 4, c. 20 (ebd. 286). Vielleicht be-
deutet orarium 1. 6 , c. 17 (ebd. 389) den
Talith, den jüdischen Gebetsmantel. Cum-
que die Sabbati Priscus (ein Jude , der sich
taufen lassen sollte, aber nicht wollte), prae-
cinctus orario nulluni in manu ferens ferra-
mentum, Mosaicas leges quasi impleturus
secretiora competeret, subito Phatir (sein
Feind) adveniens ipsum gladio iugulavit.
15 A. SS. 17. Iun„ IV 219.
Zweites Kapitel. Die Stola. 565
In allen diesen Fällen handelt es sich bei dem Orarium um ein profanes
Tuch. Hier ist es ein Schweißtuch, da ein Kopftuch, dort ein Halstuch,
wieder anderswo ein Tuch ohne bestimmten Charakter. Als Name eines Be-
standteiles der liturgischen Kleidung begegnet uns orarium im Abendlande
erst im 6. Jahrhundert.
Im Osten kommt das Wort in diesem Sinne schon im 22. Kanon des
Konzils von Laodicea, also um die Mitte des 4. Jahrhunderts, vor. Wie so
manches andere lateinische Wort hatte nämlich auch orarium von Rom als
(updpwv aus seinen Weg ins Griechische gefunden 1. Später schrieb man den
Namen des liturgischen Orarium gewöhnlich cbpapwu, wobei zugleich der
lateinische Ursprung des Wortes so sehr der Vergessenheit anheimfiel, daß
Balsamon 2 und Blastares3 es von bpäv (zusehen, auf etwas achten) und Simeon
von Saloniki* von Spat^ecv (schmücken) ableiten konnten. Denn der Diakon
habe, so belehren uns die beiden ersten, obacht zu geben, wie weit der Priester
in der heiligen Handlung sei, um dem Diakon auf dem Ambo zur rechten
Zeit mit dem Ornatstück das Zeichen zum Anfang der Fürbitten für die
Katechumenen und Gläubigen zu geben. Simeon aber meint, dasselbe werde
tbpäpwv genannt, weil es die Diakonen mit Anmut ziere und mit göttlicher
Schönheit schmücke.
Ging das lateinische orarium in das Griechische über, so entlehnte diesem
umgekehrt der abendländische Sprachgebrauch den Namen stola.
Das Wort azok'q hat im Griechischen die allgemeine Bedeutung „Kleid"
und diente demgemäß zur Bezeichnung aller Arten von Bekleidung; jedoch
hat es auch wohl die nähere Bedeutung eines schmückenden, auszeichnenden
Gewandes. Im Lateinischen entspricht ihm vestis, das indessen nicht bloß
ein Gewand im engeren Sinne bedeutete, sondern überhaupt ein Ausdruck
für alle Arten von Überzügen und Bedeckungen war. Der griechische Text
der Heiligen Schrift schließt sich bezüglich der Bedeutung von arok/j an den
griechischen Sprachgebrauch an. Aus ihm ging dann , wie manche andere
Benennung, otoäyj als stola im gleichen Sinn in die lateinische Bibelübersetzung
und infolgedessen auch in die Kirchensprache über. Weit früher war das
Wort schon in das klassische Latein eingedrungen und hier zum technischen
Ausdruck eines weiten, bis auf die Füße herabwallenden Frauenkleides, der
auszeichnenden Tracht ehrbarer römischer Matronen, geworden. Als Benennung
von Mannskleidern kommt stola bei den klassischen Profanschriftstellern
seltener und fast nur in bestimmten Fällen vor5.
Im kirchlichen Sprachgebrauch gewann das Wort neben seiner allgemeinen
Bedeutung im Lauf der Zeit noch eine besondere, indem es Name des orarium
genannten liturgischen Gewandstückes wurde. In Gallien war stola in diesem
Sinne schon zu guter Zeit in Brauch; denn die gallikanische Meßerklärung
spricht bereits ausdrücklich von einer stola des Diakons, und es kann nach
der Beschreibung, welche sie von dieser gibt, nicht zweifelhaft sein, daß wir
in ihr das Orarium zu sehen haben.
Man beruft sich für den frühen Gebrauch des Wortes stola als Benennung
unseres liturgischen Gewandstückes auch auf die Vita S. Mauri, die von seinem Zeit-
1 Sehr lehrreich für die Aufnahme lateini- - In can. 22. Conc. Laodic. (Mg. 137, 1869).
scher Bezeichnungen in das Griechische ist Dio- 3 Syntagma litt. E, c. 9 (Mg. 144, 1276).
kletians Maximaltarif. Die Zusammenstellung 4 De sacris ordinationibus c. 174 (Mg.
solcher Worte bei Blümner-Mommsen, Der 155, 381).
Maximaltarif Diokletians, Berlin 1893, 57 f. 5 Porcell. sub stola IV 186.
566 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
genossen und Schüler Paustus herrühren soll. Dort wird erzählt, eines Tages hätten
Eltern ihr stummes und lahmes Kind zum Heiligen gebracht , damit selbiger es
durch seine Wunderkraft heile. Dieser aber habe die Stola, mit der er in dem-
selben Jahre auf Befehl seines heiligen Lehrers für den Dienst eines Leviten (Diakons)
geweiht worden sei , und die er nach Sitte und Brauch im ersten Jahre sanctitatis
gratia beständig getragen habe, vom Hals genommen, über das Haupt des kranken
Kindes gelegt und letzteres so wunderbarerweise gesund gemacht '. Wirklich kann
kein Zweifel obwalten, daß die Stola, von der hier die Rede ist, mit unserem jetzigen
gleichnamigen Ornatstück eins ist. Allein es ist zu beachten, daß die Vita S. Mauri
nicht von Faustus, sondern von Odo von Glanfeuil und somit erst aus dem 9. Jahr-
hundert herrührt 2.
Gegen Ende des 8. Jahrhunderts begegnet uns das Wort stola im Sinne
von orarium in der Schenkung Adelgasters von Asturien. Nicht lange nachher
treffen wir es in der gleichen Bedeutung bei Hrabanus Maurus, dann in
den Inventaren von St-Riquier, bei Amalar und in der Synodalermahnung an.
Gegen Ende des Jahrhunderts wird das Ornatstück stola genannt im 26. Ka-
pitel des Konzils von Tribur, in den Statuten Riculfs von Soissons und einer
spanischen Schenkungsurkunde vom Jahre 888 3. Auch führt es in Sakramen-
taren des 9. Jahrhunderts schon diesen Namen; so beispielsweise in einem
Sakramental* von Tours und einem Sakramental* von Amiens.
Es ist bemerkenswert , daß alle diese Dokumente dem Norden angehören.
Immerhin war daselbst die Bezeichnung stola im 9. Jahrhundert noch keineswegs die
allein gebräuchliche ; denn wir finden neben stola auch den Ausdruck orarium.
Orarium, quod quidam stolam vocant, sagt z. B. Hraban, doch mögen diese quidam
gerade die Franken gewesen sein. Wie dem indessen auch sei, um die Mitte des
Jahrhunderts überwog der Name stola im Norden jedenfalls. Amalar und die „Synodal-
ermahnung" führen das Ornatstück nur unter der Benennung stola an. Im 26. Kapitel
der Synode von Tribur heißt es: stola vel orarium', und wenn Riculf von Soissons
vorschreibt, es sollten die Priester für die Meßfeier außer den andern liturgischen
Gewändern auch zwei Orarien vorrätig halten, so erklärt er selbst, ähnlich wie etwas
später Pseudo-Alkuin , diesen offenbar minder gebräuchlichen Ausdruck durch den
bekannteren stola : cum duobus orariis , i. e. stolis. Sehr beachtenswert ist , daß in
den Inventaren aus dem 9. Jahrhundert das Ornatstück fast immer den Namen stola
führt; so in den Schatzverzeichnissen von St-Riquier, Fontanelle, St-Bavo zu Gent,
St-Bertin zu St-Omer, Marchiennes, Pfäffers , denen wir auch wohl noch das von
Tankirchen (903) anfügen dürfen. Die Bezeichnung orarium kommt nur in den Inven-
taren von Staffelsee und Milz vor.
Im 10. und 11. Jahrhundert findet der Name stola sich sehr häufig in
den Pontifikalien und Sakramentaren ; so in dem angelsächsischen Pontifikale
Egberts , dem Pontifikale des hl. Dunstan , den Pontifikalien von Aletis und
Cahors, den Sakramentaren von Moyssac und Corbie. Die Synode von Coyaca
redet 1050 von der Stola des Priesters und Diakons in einer Weise, daß
man annehmen muß, es sei das Wort stola damals schon die landläufige
Benennung unseres Ornatstückes gewesen. Daß es sich um die Mitte des
11. Jahrhunderts in der That damit so verhielt, sagt Wipert in der Bio-
graphie Leos IX. ausdrücklich, wenn er schreibt: orarium, quod vulgo stola
dicitur5. Selbst in Italien war der Name stola inzwischen bereits recht ge-
bräuchlich geworden.
1 N. 15 (A. SS. 15. Ian. ; II 324). 3 Ami. 0. S. B. III 251.
2 Ebd. 15. Febr.; II 842 D. Potthast, 4 Hartzli. II 410.
Bibl. hist. II 1470. 5 L. 1, c. 1 (A. SS. 11. Apr. ; II 648).
Zweites Kapitel. Die Stola. 567
Die römischen Ordines des 8. und 9. Jahrhunderts reden nur vom Orarium 1,
Auch außerhalb Roms mag damals in Italien diese Bezeichnung noch die
vorherrschende gewesen sein; allein schon im 10. Jahrhundert begegnet uns
im mittleren wie namentlich im nördlichen Italien daneben wiederholt der Name
stola, so in einem Mailänder Pontifikale 2, in der Synodica ad presbyteros des
Bischofs Ratherius von Verona (f 974) 3, dem Consuetudinarium von Farfa,
dem Inventar der Kathedrale von Cremona, ja sogar dem Schatz Verzeichnisse
von Monza, wo freilich sich der Gebrauch des Wortes aus der Nationalität
des Schreibers Adalbertus, wie es scheint, eines Deutschen, erklären läßt.
Dieselbe Bezeichnung führt das Ornatstück in einem im Beginn des 2. Jahr-
tausends geschriebenen Benediktinermissale der Vaticana1 und einem nicht gar
lange nachher entstandenen Sakramentar von Arezzo 5, in der Chronik von
Monte Cassino 6 u. a. Unter den Liturgikern des 11. und 12. Jahrhunderts
nennt Bruno von Segni das uns beschäftigende Ornatstück noch immer mit
dem alleinigen Namen orarium ; alle andern , Sicard und Innozenz III. nicht
ausgenommen , brauchen dagegen entweder gar nicht mehr diesen Ausdruck
oder behandeln ihn nur als eine Nebenbezeichnung , die sie anführen , teils
etwa, weil der Name sich in älteren Akten fand, teils weil sie sich bei ihren
Ausführungen über die Stola an die früheren Liturgiker anlehnen, teils, und
vielleicht vornehmlich, weil ihnen das Wort orarium einen Hinweis auf die
Funktionen zu enthalten schien, bei denen die Stola angelegt wurde.
Schon das Konzil von Toledo bezieht im 40. Kanon das Orarium auf das Predigt-
amt und bringt es mit orare im Sinne von praedicare (predigen) in Verbindung. „Der
Levit", heißt es dort, „muß ein Orarium, und zwar auf der linken Schulter, tragen,
propter quod orat, i. e. praedicat." n Die Liturgiker des 9. und 10. Jahrhunderts haben
die Erklärung jenes Konzils aufgegriffen , weil sie ihnen bei der Deutung des Ge-
wandes gute Dienste leistete; so Hraban, Walafried und Pseudo-Alkuin. „Trefflich",
sagt der erstere, „paßt es sich für die oratores Christi, ein Orarium zu haben, weil
sie dadurch, daß ihr Gewand mit ihrem Amt übereinstimmt, zum Eifer im Dienste
des Wortes ermahnt werden, und zugleich das ihnen anvertraute Volk durch den
Anblick des heilbringenden Abzeichens ermuntert wird , feuriger zur Erwägung des
Gesetzes hinzueilen.' Walafried aber bemerkt: „Die ersten Ordnungen (der Kleriker,
d. i. Bischof, Priester und Diakon) in der Kirche tragen das Orarium, weil ihnen das
Lehramt zukommt." 8
Spätere, Bruno von Segni, Sicardus, Durandus, bezogen orarium auf orare im
Sinne von beten ; unter orare aber verstanden sie die Verrichtung der liturgischen
Gebetsfunktionen, bei denen der Priester das Orarium zu tragen hatte. Es heiße
Orarium, so belehrt uns Bruno, weil die Priester . zwar ohne die sonstigen Gewänder
taufen, firmen und manches andere betend (orando) tun könnten, ohne Orarium jedoch
nichts von allem dem vornehmen dürften, es sei denn, daß große Not solches erheische9.
1 Ausgenommen eine von Grisar aus einer 2 Magist retti, Pontificale in usum eccl.
Handschrift des IL— 12. Jahrhunderts ver- Mediol., Mediol. 1897, 43.
öffentlichte Rezension des 1. Ordo (Analecta 3 N. 6 11 (M. 136, 559 562).
Romana, Rom 1899, 221), in der aber das 4 Vat. lat. 4770.
Wort stola vielleicht nicht ursprünglich, son- 5 Ebd. 4772.
dern eine spätere Interpolation ist. Die andern 8 L. 3, n. 18 74 (M. G. SS. VII 711
Rezensionen des Ordo haben nämlich weder 753).
orarium noch stola. Sollte sich indessen stola ' Hard. III 588.
schon in der Vorlage der Handschrift gefun- 8 De exordiis et incrementis c. 10. Hitt.
den haben, welcher Grisar jene Rezension 670. Bei M. 114, 931 steht fehlerhaft ora-
entnahm, so dürfte es sich hei dieser Vor- toriis statt orariis. Der Mignesche Text gibt
läge wohl um eine von einem Nichtrömer keinen Sinn,
herrührende Kopie des 1. Ordo handeln. 9 Tract. de sacr. eccl. (M. 165, 1104).
568 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Seit dem 13. Jahrhundert wird die Bezeichnung orarium nur noch ver-
einzelt gebraucht. Der regelmäßige Name für das uns beschäftigende Ge-
wandstück ist, wie namentlich aus den Schatzverzeichnissen und den litur-
gischen Büchern erhellt, stola. In den Inventaren wird man seit 1200 kaum
je auf die Bezeichnung orarium stoßen; selbst römische Verzeichnisse reden
nur mehr von stolae. Kaum anders verhält es sich in den späteren römischen
Ordines, den Pontifikalien , Missalien und sonstigen liturgischen Büchern des
13., 14. und 15. Jahrhunderts. Wir haben eine ungemein große Zahl der-
selben aus Frankreich, Deutschland und Italien durchforscht. Fast überall
heißt das Ornatstück stola. Zwar kommt in ihnen bis zum Ende des Mittel-
alters noch immer hie und da der Name orarium vor. Aber solche Fälle
sind nur verschwindend geringe Ausnahmen und mehr Folgen gedankenlosen
Kopierens alter Vorlagen als Zeugen des derzeitigen Brauches '.
In das römische Missale und das Caeremoniale der Bischöfe hat bloß
der Name stola Aufnahme erhalten. Nur im römischen Pontifikale hat sich
die Bezeichnung orarium, wenngleich auch hier bloß an einer einzigen Stelle,
in die Gegenwart hineingerettet. In dem Ritus der Priesterweihe lesen wir
nämlich : Pontifex reflectit orarium sive stolam humero cuiuslibet , d. i. der
Ordinanden. Im Ritus der Diakonenweihe heißt das Ornatstück bloß stola.
Das Kind des Hauses hat einer Fremden, der Name orarium der Be-
zeichnung stola Platz und Recht abtreten müssen. Es ist derselbe interessante
Vorgang, den wir auch hinsichtlich der Bezeichnung des Manipels, der Albe
und des Amikts sich vollziehen sahen.
Wie aber kam es, daß gerade das Orarium den Namen stola, d. i. „Ge-
wand im engeren Sinne", erhielt? Man hat noch in jüngerer Zeit gesagt, „es
sei schwierig, das zu erklären, und eine nur einigermaßen stichhaltige Er-
klärung sei noch nicht gefunden worden". Ausführlich ist die Frage in der
„Realenzyklopädie für christliche Altertümer" unter „Kleidung" behandelt, wo-
selbst auch interessante neue, doch ungenügende Lösungsversuche gemacht
werden2. Eine bessere Deutung gibt Thalhofer3. Die durch die Ordination
empfangene Predigtgewalt, meint er, habe im Anschluß an Sir 15, 5 als die
stolae gloriae gegolten ; als das sinnfällige Zeichen dieses erhabenen Ministerium
sei aber das Orarium (orare = predigen) angesehen worden, und darum sei
denn die Bezeichnung stola vom Amt auf das Amtsabzeichen übertragen worden.
Indessen, so ansprechend diese Lösung ist, sie ist unseres Erachtens
etwas zu gesucht. Man braucht nicht so weit in die mystischen Tiefen hinab-
zusteigen, wie das Thalhofer tut. Die Sache erklärt sich einfacher. Man
beachte drei Punkte: 1. daß das Orarium schon sehr früh als Abzeichen des
Amtes galt; 2. daß die Bezeichnung stola nicht da aufkommt, wo das Wort
eine enger begrenzte Bedeutung hatte, zu Rom, sondern fern vom klassischen
Boden im Norden, wo der Sprachgebrauch nicht so festgelegt war und man
darum mit einem Ausdruck leichter eine Sonderbedeutimg verbinden konnte;
3. daß in der Heiligen Schrift das Wort stola öfters ein ausgezeichnetes
Gewand bedeutet, man denke z. B. an die stola gloriae bei Sir 6, 32, die
stola prima bei Lk 15, 22, die stola alba in Offb 6, 11 und 7, 9. Die Er-
klärung, wie das Orarium den Namen stola erhielt, ist hiernach diese: Man
hat da, wo das Wort stola in einem minder eingeengten Sinn gebraucht wurde,
1 Vgl. z. B. die Synode von Eichstätt von 2 II 200 f.
1447, c. De custodia Euch. (Hartz h. V 367). 3 Liturgik I 877.
Zweites Kapitel. Die Stola. 569
d. i. im Norden , und zwar wohl im Anschluß an den Sprachgebrauch der
Heiligen Schrift, in welcher stola mehrfach ein hervorragendes Kleid bedeutet,
eben das Stück der liturgischen Gewandung stola genannt, welches als Ab-
zeichen des Amtes und darum als das liturgische Gewand im besondern
Sinne galt. Orales (= oraria) 10, quod Scripturas (sie) dieunt stolas, heißt
es sehr bezeichnend in einem Verzeichnis der Gaben des Bischofs Ovico von
Leon für S. Juan de Vaga (ca 950) \
III. DIE ÄLTESTEN NACHRICHTEN ÜBER DIE STOLA IM ABENDLAND.
In der Ostkirche treffen wir, wie wir später sehen werden, schon in
der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts den Gebrauch eines liturgischen
Orarium an. Im Abendlande erhalten wir erst eine geraume Weile später
von ihm Kunde.
Den ausgiebigsten Aufschluß empfangen wir über das Orarium und seine
Verwendung im Kultus aus Spanien, und zwar ist es der 9. Kanon der
Synode von Braga aus dem Jahre 563, dem wir die erste Nachricht darüber
verdanken 2.
Während nach Kanon 22 und 23 des Konzils von Laodicea in der Ost-
kirche die niedern Kleriker danach gestrebt zu haben scheinen , gleich dem
höheren Klerus das Orarium zu tragen, oder gar selbiges sich widerrechtlich
angemaßt haben mögen, legten die spanischen Diakone an verschiedenen
Orten, der Bestimmung des Konzils von Braga nach zu urteilen, allzu wenig
Gewicht auf ihr Amtsabzeichen. Der angezogene Kanon rügt nämlich, daß
in einzelnen Kirchen die Diakone das Orarium unter der Tunika trügen
und infolgedessen sich ein Unterschied zwischen ihnen und den Subdiakonen
nicht bemerklich mache, und dringt auf Abschaffung einer solchen verkehrten
Gewohnheit. Es erhellt aus ihm, daß in der zweiten Hälfte des 6. Jahr-
hunderts in Spanien das Orarium über der Obertunika getragen wurde; daß
die Obertunika der Diakone und Subdiakone nicht merklich voneinander
verschieden war; daß das Orarium, das der Diakon über der Tunika hatte,
ihn als solchen zum Unterschied von den Subdiakonen kennzeichnete und
somit für ihn das Amtsabzeichen war, und daß das Orarium entweder ein
bloßer Streifen oder doch ein streifenartig zusammengelegtes Tuch gewesen
sein muß, da die Diakone es andernfalls wohl nicht unter der Tunika hätten
anlegen können. Desgleichen ergibt sich aus dem Kanon, daß das Orarium der
spanischen Diakone weder ein liturgischen Zwecken dienendes Tuch, noch
eine Art von Sudarium gewesen sein kann, da dieselben es weder in dem
einen noch dem andern Falle vernünftigerweise unter der Tunika hätten ver-
borgen tragen können. Auch hätte die Synode gewiß darauf hingewiesen,
wenn das Orarium eine solche praktische Bestimmung gehabt hätte, statt
lediglich auf dessen Charakter als den eines liturgischen Distinktivum auf-
merksam zu machen.
Weitere Nachrichten über das Orarium in der spanischen Kirche und
seinen Gebrauch erhalten wir 70 Jahre später. Es liefern uns dieselben der
28. und 40. Kanon des unter dem Vorsitze des hl. Isidor von Sevilla ab-
gehaltenen, schon wiederholt angeführten 4. Konzils von Toledo vom Jahre 633.
Aus dem ersten der beiden ersehen wir, daß nicht bloß der Diakon das Orarium
trug, sondern daß dieses auch einen Teil der Amtstracht des Priesters und
1 Plorez, Espana sagrada XXXIV 454 f. 2 Hard. III 351.
.70
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
des Bischofs ausmachte. Weiterhin belehrt uns der Kanon, daß schon im An-
fang des 7. Jahrhunderts in der spanischen Kirche die Sitte bestand, dasselbe
dem Diakon, dem Priester und dem Bischof bei deren Ordination als Symbol
der empfangenen Weihe zu übergeben. Endlich erhellt aus ihm, daß die Resti-
tution eines ungerechterweise abgesetzten Diakons, Priesters und Bischofs
unter anderem auch durch die Wiederübergabe des Orarium zu erfolgen hatte.
Von nicht geringerem Interesse als der 28. ist der 40. Kanon des Toletaner
Konzils. Hatte die Synode von Braga die allzu große Bescheidenheit und einen
gewissen Mangel an Standesbewußtsein bei den Diakonen einzelner spanischen
Kirchen getadelt, so sehen sich die zu Toledo versammelten Bischöfe genötigt,
wider den entgegengesetzten Mißbrauch einzuschreiten. Es war nämlich vor-
gekommen, daß Diakone sich statt eines zwei Orarien zugelegt hatten, für
jede Schulter eines. Außerdem hatten sie statt schlichter, weißer, unverzierter
Orarien buntfarbige und mit Goldornamenten ausgestattete angenommen. Darum
bestimmt die Sjmode: „Zwei Orarien dürfen nicht einmal der Bischof und der
Priester haben, geschweige also der Diakon, welcher deren Diener ist. Der
Levit soll daher ein einziges Orarium auf seiner linken Schulter tragen, quia
orat, i. e. praedicat. Die rechte Seite aber soll er frei haben, damit er un-
behindert für den Altardienst hin und her eile. Der Levit hüte sich also,
ein doppeltes Orarium zu gebrauchen, sondern bediene sich nur eines einzigen,
und zwar unverzierten und mit keinen Farben und mit keinem Gold ge-
schmückten." 1 Zu Anfang des 7. Jahrhunderts war mithin das liturgische
Orarium der spanischen Diakone — denn daß es sich bei demselben um ein
wirkliches Kultkleid handelt, kann nach dem ganzen Wortlaut der beiden
Kanones nicht zweifelhaft sein — entweder ein förmlicher Streifen oder doch
ein streifenförmig umgelegtes Tuch aus einfachem, weißem Stoff. Wäre es
ein breites, nach Art eines Umwurfes über den Schultern getragenes Tuch
gewesen, so hätte es den Diakonen wohl nicht einfallen können, auf beiden
Schultern ein solches zu tragen. Ebenso kann es nur ein Abzeichen,
nicht aber ein Halstuch, ein Schweißtuch oder ein bei den litur-
gischen Verrichtungen zu gebrauchendes Tuch gewesen sein.
Denn so allein verstehen wir, wie die Diakone dazu kommen konnten, es zu
verdoppeln und auf jeder Schulter ein Orarium zu tragen. Kanon 40 der
4. Synode von Toledo bildet sonach eine ebenso interessante und lehrreiche
wie wichtige Bestätigung des 9. Kanons des Braccarense.
Etwa 40 Jahre nach Abhaltung des Konzils von Toledo versammelte
sich eine andere Synode zu Braga (675). Auch sie ist für die Kenntnis des
1 Hard. III 586 588. Es kann auffällig
erscheinen, daf3 die Diakone in Spanien dem
Konzil von Braga zufolge angefangen hatten,
das Orarium unter der Albe zu tragen, und
daß sie wiederum zwei Menschenalter später
begannen , selbiges zu verdoppeln , d. i. auf
beide Schultern ein nach vorn und nach
rückwärts herabfallendes Orarium zu legen,
und noch dazu ein farbiges und goldverziertes.
Sollte nicht die Lösung des Rätsels in dem
Bestreben der spanischen Diakone zu suchen
sein, die Tracht der römischen Diakone nach-
zuahmen? Trugen diese ein Orarium, so be-
fand dasselbe sich jedenfalls unter der Dal-
niatik ; bei den Beziehungen der spanischen
zur römischen Kirche mochten es daher den
Diakonen in Spanien sich nahelegen, ebenso
wie die römischen das Orarium verborgen unter
der Tunika zu tragen. Da indessen die Be-
stimmung der Synode von Braga ihnen einen
Strich durch die Rechnung machte , scheint
es später den spanischen Diakonen in den
Sinn gekommen zu sein, ihre Tracht der der
römischen Diakonen dadurch ähnlich zu ge-
stalten, daß sie statt des bisherigen einen
weißen Orariums zwei farbige anwandten.
Sie mochten hoffen, in dieser Weise ein Sur-
rogat für die römische, mit roten oder pur-
purfarbigen Streifen geschmückte Dalmatik
zu schaffen.
Zweites Kapitel. Die Stola. 571
liturgischen Orarium in der spanischen Kirche jener Zeit von Bedeutung
geworden.
Im 4. Kanon1 bestimmt sie nämlich: „Wenn der Priester zur Meßfeier
sich anschickt, um das Opfer darzubringen und das Sakrament des Leibes
und Blutes unseres Herrn Jesu Christi zu empfangen, so soll er das nicht
tun, ohne das Orarium auf beide Schultern gelegt zu haben, wie es ja auch
bei seiner Weihe geschah , und zwar in der Weise , daß er , mit einem und
demselben Orarium Xacken und Schultern belastend, auf seiner Brust das
Zeichen des Kreuzes trägt." Als Grund dieser Verordnung gibt die Synode
an: „Da nach alter kirchlicher Bestimmung angeordnet ist, daß jedem
Priester bei seiner Weihe "das Orarium über beide Schultern gelegt werde. . .,
wie soll er da nicht zur Zeit des Opfers tragen, was er im Sakrament (der
Weihe) empfangen zu haben nicht bezweifelt?"
Aus diesem Kanon folgt wiederum ein Mehrfaches. Vor allem beweist er
mit aller Klarheit, daß das Orarium in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts
in Spanien als liturgisches Gewand angesehen wurde. Dann bekundet er die
hohe Bedeutung, die man diesem Ornatstück zuschrieb. Dasselbe war offen-
bar weder ein Hals- noch Schweiß- noch Opfertuch, sondern priesterliches
Abzeichen. Weiterhin lernen wir aus ihm, daß schon zur Zeit des Konzils
von Braga für den Priester die Sitte bestand, das Orarium bei der heiligen
Messe vor der Brust gekreuzt zu tragen , und daß darum das priesterliche
Orarium, wenn nicht schon ein förmlicher Streifen, so doch wenigstens ein
streifenartiges Tuch gewesen sein muß. Endlich erfahren wir, daß damals
bei der Weihe des Priesters, ähnlich wie es noch jetzt geschieht, das Orarium
über Nacken und Schultern des Ordinanden gelegt wurde und daß dieser
Weiheritus schon seit alter Zeit in Gebrauch war.
Die ausführlichen Nachrichten, welche wir über den Gebrauch des litur-
gischen Orarium im 6. und 7. Jahrhundert aus der spanischen Kirche be-
sitzen, sind für uns um so wichtiger und wertvoller, als wir über seine damalige
Verwendung in den andern Teilen des Abendlandes nur sehr mangelhaft
unterrichtet sind. Ebendarum war es durchaus notwendig, die hier in Betracht
kommenden Kanones der beiden Synoden von Braga und des 4. Konzils von
Toledo eingehend zu würdigen.
In der gallischen Kirche war, wenn wir der „Geschichte der Metzer
Bischöfe" glauben wollen, die Stola schon in apostolischer Zeit in Gebrauch.
Dieselbe erzählt nämlich 2 , Klemens , der Oheim des Papstes Klemens I. , sei
vom Apostelfürsten nach Metz geschickt worden und habe daselbst eine furcht-
bare Schlange, welche die Stadt bedrohte, mittels seiner Stola, quam sanc-
tissimo gerebat in collo, gebunden, unter den Augen des Volkes zum nahen
Fluß gebracht und ihr dort geboten, zu entweichen. Die Geschichte ist indessen,
wie kaum gesagt zu werden braucht, nichts als eine sehr späte Legende und
ohne jede Bedeutung für die Geschichte unseres Ornatstückes.
Die einzigen Angaben über den Gebrauch der Stola im vorkarolingischen
Gallien, welche überhaupt von Wert sind3, bieten die gallikanische Meß-
1 Ebd. 1034. von Laon , habe sich wiederholt Uuenthalt-
2 Gesta episc. Met. (M. 95, 712). samkeit zu Schulden kommen lassen, zuletzt
3 Ohne Wert ist es z. B., wenn in der von sich aber voll Reue zum hl. Remigius be-
Flodoard im 10. Jahrhundert geschriebenen geben, bei diesem als Zeichen seiner Un-
Historia eccl. Remensis (1. 1, c. 14 [M. G. SS. Würdigkeit alsbald die Stola abgelegt und
XIII 425]) erzählt wird, Genebald, Bischof dann dem Heiligen seine Vergehen bekannt.
572
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
erklärung1 und der 6. Kanon der Synode von Mäcon aus dem Jahre 581.
In der Meßerklärung wird die diakonale Stola ausdrücklich mit dem Namen
stola bezeichnet. Sie wurde über der aus Seide oder Wolle angefertigten
Diakonenalba getragen und bestand allem Anschein nach aus weißem Stoff. In
der Fastenzeit Avurde sie, weil sie den Charakter eines Festgewandes hatte,
pro humiliatione nicht gebraucht. Das priesterliche Orarium führt in der
Meßerklärung den Namen pallium. Denn unter dem pallium, von dem diese
spricht, kann wohl nur die priesterliche bzw. bischöfliche Stola verstanden
werden. Als diakonale Amtskleider verzeichnet die Meßerklärung Alba und
Stola, als priesterliche außer den manicae (Stauchen) Kasel und Pallium. Die
Alba des Diakons entspricht der Kasel des Prieste'rs, das Pallium muß also
demnach wohl das Gegenstück der diakonalen Stola sein. Eine Bestätigung
erhält das durch den 28. Kanon der Synode von Toledo vom Jahre 633 2,
in welchem als liturgische Gewänder der Diakone ebenfalls alba und orarium,
als solche der Priester aber planeta und orarium genannt werden, wobei zu
beachten ist, daß die Sakralkleidung in Spanien auch in anderer Beziehung
der gallikanischen verwandt erscheint. Denn wie die gallikänischen Diakone
trugen auch die spanischen die Stola über der Alba.
Welches Ornatstück sollte übrigens jenes pallium auch anders sein, als
die priesterliche Stola? Die einzigen Gewandstücke, die sonst etwa in Frage
kommen könnten , sind das angebliche gallikanische Pallium , ein spezitisch
bischöfliches Ornatstück, und das gewöhnliche Schultertuch. Allein ein bischöf-
liches Gewandstück kann nicht gemeint sein, weil die Meßerklärung nur von
Kleidern handelt, welche Priestern wie Bischöfen gemeinsam waren. Denn
unter den sacerdotes, deren Gewänder sie beschreibt und mystisch deutet,
versteht sie offenbar ebendieselben Geistlichen, welche sie an den andern
Stellen damit meint, die pontifices und presbyteri3. Aber auch das Humerale
kann die Meßerklärung nicht im Sinne haben. Denn abgesehen davon, daß
Eine Stola des hl. Martin von Tours zu
Aschaffenburg entstammt erst der Frühe
unseres Jahrtausends. Eine dem hl. Cäsarius
von Arles zugeschriebene , aus Linnen ge-
machte und mit Kreuzen, Rauten und ähn-
lichem bestickte Stola, von deren Enden eines
mit einer Tasche versehen ist (Roh. VII
51 ff), dürfte dem 11. — 13. Jahrhundert zu-
zuweisen sein und die Tasche nur das da-
mals vielfach gebräuchliche, schaufeiförmige
Endstück darstellen. Bei einer Stola des
hl. Licinius (f 605), die vor der Revolution
zu Angers aufbewahrt wurde (ebd. 52), kann
es sich zufolge den Stickereien auf den
Enden (Eva mit der Beischrift: Per Evam
perditio, und die Verkündigung mit der Bei-
schrift: Per Mariam reparatio) nur um ein
Stück gehandelt haben, das frühestens aus
dem 12. — 13. Jahrhundert herrührte.
1 M. 72 , 95. Palleum , quod circa collo
usque ad pectus venit, rationale vocabitur in
vetere testamento; scilicet Signum sanctitatis
super memoriam pectoris. . . . Quod autem
collo cingit, antiquae consuetudinis est, quia
reges et sacerdotes circumdati erant palleo
veste fulgente , quod gratia praesignabat.
Quod autem flmbriis vestimenta sacerdotalia
adnectuntur , Dominus Moysi praecepit in
Numeris, ut per quattuor angulos palleorum
filii Israel fimbrias facerent.
2 S. oben S. 569.
3 Das erhellt klar aus dem Passus, wo
sie von der Erteilung der benedictio spricht
(M. 72, 94). Desgleichen aus dem Abschnitt,
der von den manicae handelt : manicae ex
quolibet pretioso vellere extant, ut omnes
communiter sacerdotes, etiam minoris digni
tatis in saeculo facilius inveniant. Wenn die
Meßerklärung sagt, das pallium sei im Alten
Bunde rationale genaDiit worden, so erklärt
sich das aus dem Umstand, daß die Stola
nicht bloß den Priestern , sondern auch
den Bischöfen zukam. Außerdem muß da-
rauf hingewiesen werden , daß die Ideen,
welche ihr Verfasser von der alttestament-
lichen Sakralkleidung hat, sehr unklar sind,
da er die Kasel ausdrücklich als von Moses
angeordnet bezeichnet, und daß somit auch
aus diesem Grunde die fragliche Bemerkung
betreffs des pallium ohne Belang ist.
Zweites Kapitel. Die Stola. 573
die Fransen, mit denen das pallium anscheinend am Saum besetzt wurde,
nicht zum gewöhnlichen Schultertuch passen , so wäre doch vor allem erst
darzutun, daß überhaupt ein Humeiale im gallikanischen Ritus zur litur-
gischen Kleidung gehört habe ; wurde ja doch nach dem von Duchesne heraus-
gegebenen Ordo noch im 9. Jahrhundert nicht einmal zu Rom ein solches
regelmäßig gebraucht. Außerdem aber ist ein Schultertuch ersichtlich ein
zu unbedeutendes Ding, als daß die Meßerklärung, welche selbst der priester-
lichen Tunika kein einziges Wort widmet, mit ihm sich zu beschäftigen Ver-
anlassung gehabt hätte.
Was den 6. Kanon der Synode von Macon anlangt, so bestimmt diese,
es dürften die Bischöfe sich nie unterfangen, ohne pallium die Messe zu feiern K
Auch hier ist das pallium, dessen Gebrauch den Bischöfen hier so ernst ein-
geschärft wird, allem Ansehein nach das Orarium, von welchem der 28. Kanon
des vierten Konzils von Toledo spricht, d. i. die priesterlich-bischöfliche Stola.
An ein gewöhnliches Schultertuch bei ihm zu denken, verbietet der ganze
Tenor des Kanons ; ein spezifisch bischöflicher Ornat nach Art des römischen
Pallium kann aber unter ihm nicht verstanden werden, weil es unseres Er-
achtens ganz unglaubhaft ist, daß die Bischöfe einen solchen beiseite gelassen
haben würden2. Zudem muß der Kanon der Synode von Mäcon doch auch
wohl im Einklang mit der gallikanischen Meßerklärung gedeutet werden.
Für England liegen in Betreff des Orarium der vorkarolingischen
Zeit nur zwei Angaben vor, die zudem erst aus dem 12. bzw. 11. Jahrhundert
herrühren. Nach der ersten hätte Etheldreda, Äbtissin von Ely, für den
hl. Cuthbert außer dem Manipel, dessen wir schon früher gedachten, mit
eigener Hand eine mit Gold und edeln Steinen verzierte Stola verfertigt 3.
Das andere Zeugnis findet sich in der Lebensbeschreibung des hl. Livinus,
welche berichtet, es habe der hl. Augustinus denselben während mehrerer
Jahre erzogen und unterrichtet und ihm, als er ihn dann zum Priester geweiht
habe, eine purpurne, mit Gold und Edelsteinen verzierte Kasel und eine stola
mit einem von kostbarsten Gemmen und Gold leuchtenden orarium geschenkt4.
Beide Angaben sind leider durchaus unzuverlässig, so daß sie keinen Glauben
verdienen. Bei der Notiz der Vita S. Livini kommt obendrein hinzu, daß ganz
unklar ist, was in ihr unter stola und orarium zu verstehen ist.
Daß in Nordafrika im 6. Jahrhundert das Orarium in Gebrauch war,
hat man aus der Lebensbeschreibung des hl. Fulgentius schließen wollen.
Diese berichtet nämlich, es habe sich der Heilige niemals wie alle sonstigen
Bischöfe eines Orarium bedient6. Allein nach dem Zusammenhang kann es
nicht zweifelhaft sein, daß an der fraglichen Stelle nicht von einem liturgischen
Ornatstück, sondern einem profanen Orarium die Rede ist. Es wird dort
nämlich die gewöhnliche Tracht des Heiligen beschrieben und ausgeführt, wie
er auch als Bischof die Mönchskleidung' in ihrer ganzen Einfachheit beibehalten
habe. Das Orarium, das in der Vita erwähnt wird, ist also nichts anderes
als das Orarium, dessen in dem 20. Kanon des Konzils von Orleans vom
Jahre 511 6 und dem 12. Kapitel der Regel des hl. Isidor von Sevilla7 ge-
1 M. G. Conc. I 157: Ut episcopus sine '- Vgl. auch unter Pallium Abschnitt 10.
palleo missas dicere non praesumat. Die 3 Acta S. Ethelclredae Reg. 1. 1, n. 31
frühere Leseweise archiepiscopus statt epi- (A. SS. 23. Iun., V 430).
scopus machte den Kanon unverständlich. * N. 14 (M. 87, 335).
Aber auch die besten Handschriften haben r> C. 18 (M. 65, 136).
richtig episcopus. G Hard. II 1011. 7 M. 83, 882.
574
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
dacht wird. In efsterem wird den Mönchen verboten, im Kloster ein Orarium
und eine bestimmte Schuhart, zangae genannt, zu tragen. In dem angeführten
Kapitel der Eegel des hl. Isidor aber heißt es ähnlich, es dürften die Mönche
sich keines Linnenzeuges, noch des Orarium, des Birrus (einer Mantelart)
und der Planeta (Kasel) bedienen.
Überhaupt haben wir kein direktes Zeugnis für den Gebrauch der
Stola in der altchristlichen Kirche Nordafrikas. Ein indirektes dürfte jedoch
darin liegen, daß der Diakon Ferrandus im 6. Jahrhundert seiner Kanones-
sammlung1 den 22. Kanon des Konzils von Loadicea einverleibte, worin den
Subdiakonen untersagt wird , das Orarium zu tragen. Denn die Aufnahme
auch dieses Kanons hatte ja doch nur dann Sinn, wenn das Orarium damals
in der Kirche Nordafrikas Verwendung fand.
Aus Rom hören wir vom Gebrauch des liturgischen Orarium erst seit
der Mitte des 8. Jahrhunderts. Wohl ist im Papstbuch schon in der Biographie
Agathos (678—681) wie in der Vita Stephans III. (768— 772) 2 von einem
Orarium die Rede ; jedoch ist damit nach dem Zusammenhang, in unkorrekter
Ausdrucks weise das Omophorion bzw. Pallium gemeint. Man hat auch die An-
gabe des Liber Pontificalis in der Vita Silvesters: Hie constituit, ut . . . pallia
linostima levae eorum (der Diakon) tegerentur, und die Verordnung des
Papstes Zosimus: ut diacones leva teeta haberent de palleis linostimis, vom
Orarium der Diakone verstanden. Allein es ist, wie schon früher bemerkt
wurde, kaum zweifelhaft, daß die pallia linostima die Mappula bedeuten.
Die römischen Bildwerke der vorkarolingischen Zeit lassen keine Spur
des Orarium erkennen. Daraus indessen schlechthin zu schließen, die Stola
habe damals zu Rom noch nicht existiert, scheint verfehlt. Denn wenn sie
sich nach römischem Brauch unter der Dalmatik befand, konnte sie auf jenen
Bildern, auf Avelchen Bischöfe Avie Diakone bis auf die Füße gehende Dalmatiken
haben, selbstverständlich nicht zum Vorschein kommen. Die Stola des Papstes
und der Diakone bleibt sogar noch im 12. und 13. Jahrhundert auf den
römischen Monumenten infolge der langen Dalmatik, in der jene dargestellt sind,
unsichtbar, obschon doch das Ornatstück damals zu Rom nicht nur getragen
wurde, sondern sogar als Insignie des diakonalen und priesterlichen Ordo galt.
Zudem konnte es, wie Wilpert mit Recht meint 3, den Künstlern genug er-
scheinen, einen Papst bzw. Erzbischof bloß durch das Pallium zu kennzeichnen.
Die frühesten Nachrichten über ein liturgisches Orarium zu Rom er-
halten wir durch den dritten und achten Ordo i sowie durch Hraban 5 und
1 ßreviat. canon. c. 124 141 (M. 67, 956 957).
"- Duch., L. P. I 354 472.
3 Cap. 80.
4 Ordo 8, n. 1 ; ordo 3, n. 6 (M. 78, 1000
978) ; vgl. auch den St GallenerKleiderkatalog.
5 De cleric. instit. 1. 1, e. 19 (M. 107, 307).
Die liturgische Kleidung, welche Hraban be-
handelt, ist die römische Sakralgewandung
seiner Zeit, was schon aus Zahl und Art der
Gewänder klar erhellt. Vgl. aber auch 1. 1,
c. 14 und die Worte der praefatio : (Liber)
primus continetur ... de officio missae se-
eundum morem romanae ecclesiae (ebd.
295 306). Daß der Papst um 800 die Stola
trug, bekundet auch das kostbare Epitrachelion,
welches Patriarch Nicephorus mit einem En-
chirion und andern liturgischen Gewändern
Leo III. zum Geschenk machte. Von den
drei Texten des 1. Ordo bei Hittorp (c. lOff),
Mabillon (M. 78, 937 ff) und Grisar
(Analecta romana 217ff) erwähnt nur letzterer
die Stola ; doch muß es hingestellt bleiben,
ob auch die Vorlage der Handschrift, welche
diesen Text bietet, derselben bereits gedachte
(vgl. oben S. 567, Anm. 1). Wie dem aber
auch sein mag, einen Beweis gegen die Exi-
stenz der Stola im römischen Ritus bildet
die Nichtnennung des Orarium im 1. römi-
schen Ordo auf keinen Fall, da diese ja sehr
wohl auf einer Vergeßlichkeit und einem
Übersehen beruhen kann, und außerdem der
nur wenig jüngere 3. Ordo das Ornatstück
Zweites Kapitel. Die Stola.
575
Amalar J, d. i. also erst in der zweiten Hälfte des S. und im Beginn des
9. Jahrhunderts. Es fand dort, abweichend vom spanischen und gallikani-
schen Brauch, um diese Zeit nicht bloß bei den höheren Ordines, sondern
auch bei den Subdiakonen und den übrigen niederen Klerikern Verwendung.
Den Minoristen, die Subdiakone eingeschlossen, wurde es bei der Weihe zu-
gleich mit der Planeta übergeben, den Diakonen zugleich mit der Dalmatik,
den Priestern wiederum zugleich mit der Planeta.
Seit wann das Orarium zu Rom in Gebrauch gewesen ist, läßt sich
nicht bestimmen. Schwerlich dürfte es indessen erst um den Ausgang des
8. Jahrhunderts in den römischen Ritus aufgenommen worden sein. Nirgends
tritt es als eine neue Erscheinung auf. Auch liegt sonst kein Anhalt zur
Annahme vor, als habe das Orarium erst damals zu Rom Eingang gefunden.
Eine solche Auffassung der Dinge scheint daher unhaltbar. Es wäre in der
Tat mehr als auffallend, wenn man sich zu Rom inmitten der allgemeinen
Verwendung, welche das Ornatstück schon seit Jahrhunderten im übrigen
Abendland wie auch in der mit der römischen in vielfache Berührung kom-
menden griechischen Kirche fand, bis zur Karolingerzeit hermetisch gegen
ein liturgisches Orarium abgesperrt hätte, um dieses dann über Nacht nicht
nur bei den Diakonen und Priestern, sondern im Gegensatz zu den übrigen
Riten selbst bei allen Klerikern einzuführen.
Eben wurde erwähnt, daß im Papstbuch in der Vita Agathos das Omo-
phorion (Pallium) unkorrekt orarium genannt wurde. Allein gerade dieser un-
genaue Gebrauch des Wortes orai'ium scheint vorauszusetzen, daß es zur Zeit
der Abfassung der Vita, d. i. im 7. Jahrhundert, wirklich zu Rom schon ein
liturgisches Orarium gab, da die Verwechslung sich sonst nicht wohl erklären
läßt. Oder würde es wohl jemand eingefallen sein, jenes so hochbedeutsame
pontifikale Ornatstück orarium zu nennen, wenn man zu Rom unter diesem
Worte lediglich ein ganz gewöhnliches, profanes Halstuch verstanden hätte?2
Aber auch die eben erwähnte, alle Ordines umfassende, von der Weise im
übrigen Abendland und im Orient abweichende, ganz eigenartige Verwendung,
deren sich das Orarium in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts im römi-
schen Ritus erfreute, dürfte bekunden, daß das Ornatstück damals zu Rom
keine junge Erscheinung mehr war. Vielmehr läßt eine solche ausgiebige Be-
nutzung des Orarium nach dem gewöhnlichen Gang der Dinge mit ziemlicher
Sicherheit darauf schließen, daß es dort schon längere Zeit in Gebrauch war.
Auch im übrigen Italien ist es um die Bezeugung des Gebrauchs eines
liturgischen Orarium in der vorkarolingischen Zeit sehr schlecht bestellt.
Allerdings liefert für seine Verwendung zu Ravenna im 6. Jahrhundert
anscheinend das um 547 entstandene Apsismosaik in S. Vitale ein hochbedeut-
ausdrüeklicli aufführt. Immerhin ist es be-
merkenswert , daß wenigstens einer der
Texte des 1. Ordo die Stola erwähnt.
1 De offic. eccl. praef. alt. und 1. 2, c. 20
22 26 (M. 105, 992 1096 1098 1102). Beson-
ders wichtig ist der Passus der praefatio,
welcher ausgesprochenermaßen und in aller
Klarheit von dem römischen Brauch handelt.
2 Duchesne bemerkt noch zur Notiz der
Vita Steph. III. (L. P. I 481, nota 20) : Si le
clerge romain eut alors fait usage de l'insigne
liturgique designe maintenant par ce nom
et qui apparalt de bonne heure en dehors
de Rome sous le nom orarium , on n'aurait
pu employer ce dernier terme pour designer
le pallium pontificale. Und doch kann nach
dem 8. und 3. Ordo und den bestimmten An-
gaben Amalars kein Zweifel sein, daß jeden-
falls zu Stephans III. Zeit das Orarium zu
Rom schon in Gebrauch war. Die Bemerkung
Duchesnes ist demnach verfehlt. Trotzdem
es damals bereits zu Rom das Orarium gab,
nennt der L. P. doch das päpstliche Pallium
ungenau orarium.
576
Vierter Abschnitt. Die Insianien.
sames Zeugnis. Dasselbe stellt den Bischof Ecclesius bekleidet mit Tunika,
Stola, Dalmatik und Kasel dar (Bild 273). Die Dalmatik ist aus reich
gemustertem Stoff gemacht und mit breiter Bordüre versehen. Die Albe fällt
in dichten Falten bis zum Boden, wo ihr Saum sich teilweise über den Füßen
umschlägt. Die Stola befindet sich zwischen beiden Gewändern und schaut
mit ihren reichgeschmückten Enden unter dem Besatz der Dalmatik hervor.
Bisher hat man allgemein das Mosaik, so wie es vorliegt, als Original betrachtet.
Es war zuerst Grisar ', der, von der Anschauung geleitet, es habe im 6. Jahrhundert
in Italien keine Stola gegeben, auf die Möglichkeit einer Umgestaltung des Bildes
bei einer späteren Kestauration hinwies ; doch behandelt noch Wilpert unter ausdrück-
licher Ablehnung einer solchen das Mosaik schlecht-
hin als ursprünglich-. Indessen ist dieses wirklich in
seinem jetzigen Zustand die Frucht einer Restauration
des 12. Jahrhunderts. Nur der obere Teil des Kör-
pers gehört noch dem ursprünglichen Werk an. Da-
gegen können, wie ein Vergleich der Figur des
r£s^
Bischofs Ecclesius
mit den sonstigen musivischen
Darstellungen zu Ravenna, zumal den andern Bischofs-
bildern in S. Vitale und S. Apollinare in Classe, außer
Zweifel stellt, die in einer Reihe von Punkten so
eigenartigen unteren Partien unmöglich Original sein.
Sie entstammen vielmehr der gleichen Zeit, welche die
Bischofsfiguren in der Apsis des rechten Seitenschiffes
im Dom zu Torcello bei Venedig, sowie in der Kuppel
und den Zwickeln des Querbaues von S. Marco schuf,
d. i. dem 12. Jahrhundert.
Dieselben Eigentümlichkeiten, welche uns beim
Bilde des Ecclesius entgegentreten und hier inmitten
der andern ravennatischen Mosaiken so ganz aus dem
Rahmen fallen und wie ein fremdartiger Anachronis-
mus anmuten, finden wir bei den Bischofsdarstellungen
in S. Marco und auf Torcello wieder.
In der Tat wurden im Beginn des 12. Jahrhun-
derts zu Ravenna größere Mosaikarbeiten ausgeführt;
damals wurde nämlich der St Ursusdom mit musivischen
Bildwerken geschmückt, welche leider beim Umbau
von S. Urso im 16. Jahrhundert bis auf einen sehr
geringen Rest — jetzt teils in der erzbischöflichen
Palastkapelle, teils im Museum — zu Grunde gingen. Bei dieser Gelegenheit wird man
auch das Mosaik in S. Vitale, das stark beschädigt gewesen sein mag, im Stil und
in der Auffassung des 12. Jahrhunderts restauriert haben.
Es ist bemerkenswert, wie auch auf andern ravennatischen Mosaiken die unteren
Partien verschiedener Figuren sehr gelitten haben. Besonders auffallend ist das in
S. Apollinare in Classe, wo St Apollinaris in der Koncha und die vier Bischöfe an
den Wänden der Apsis in ähnlicher Weise verdorben sind , wie es einst die Figur
des Ecclesius gewesen sein muß. In unserer „Geschichte der priesterlichen Gewänder"
haben wir seinerzeit, wenngleich mit Vorbehalt, das Mosaik in S. Vitale als ursprüng-
lich behandelt. Seitdem wir in der Lage waren, es an Ort und Stelle zu studieren
und mit andern zu vergleichen, müssen wir dem Gesagten zufolge leider darauf ver-
zichten, es weiterhin als Beweis zu benutzen, daß man zu Ravenna bereits im 6. Jahr-
hundert die Stola gekannt habe.
Bild 27S.
Mosaik.
Bischof Ecclesius.
Ravenna, S. Vitale.
1 Das römische Pallium (Festschrift zur 1100jährigen Jubelfeier des Campo Santo) 85.
2 Cap. p. 79.
Zweites Kapitel. Die Stola.
577
Auch eine Notiz in des Agnellus Geschichte der Bischöfe von Ravenna , die
von dem diakonalen Orarium handelt', ist ohne Belang. Sie berichtet von einem
Vorkommnis, das sich dort um die Mitte des 8. Jahrhunderts unter Erzbischof
Sergius abspielte1. Dieser hatte, weil sich sein Klerus von ihm getrennt hatte,
nach vergeblichen Vereinigungsversuchen andere Priester und Diakone geweiht. Als
es aber dann infolge dieser Weihen nach neuen Unterhandlungen zum Frieden zwischen
dem Erzbischof und den alten Klerikern kam, wurde vereinbart, es sollten die neu
ordinierten Diakone — offenbar zum Unterschied von ihren älteren Amtsgenossen -
unter Weglassung der Dalmatik das Superhumerale nach Weise der Griechen an-
legen -. Das Superhumerale kann hier nur das Epitrachelion, d. i. die Stola oder das
Orarium bedeuten. Ferner ist sicher, daß die Diakone erster Weihe nach römisch-
ravennatischem Brauch in der Dalmatik , diejenigen zweiter Weihe in der Tracht
der griechischen Diakone dem Gottesdienst assistieren sollten. Dagegen läfst der
Bericht bedauerlicherweise unklar, ob die letzteren das fragliche Superhumerale erst
neu von den Griechen herüberzunehmen hatten, oder ob sie unter der Dalmatik bis
fc-at — TU- ^'1, %_, II I yjg-;
ixMS
Q-<g^gS£>>is^^
Bild 274. Altar des Ratchis. Cividale, S. Martine (Nach Garrueci.)
dahin schon eine Stola anzulegen pflegten, so daß sie jene bloß auszulassen brauchten,
um gemäß der Übereinkunft das Orarium nach griechischer Weise zu tragen.
Ein Monument aus dem zweiten Viertel des 8. Jahrhunderts, auf dem
anscheinend eine Priesterstola sich dargestellt findet, ist der von König Ratchis
(744—749) gestiftete Altar in St Martin zu Cividale (Bild 274). Es ist freilich
nicht ein Priester, der sie trägt, sondern Christus. Allein Christus ist ja der
Priester der Priester, und das Ornatstück, welches in Form eines reichver-
zierten, an den Enden mit Fransen geschmückten Streifens vom Nacken her
über die beiden Schultern nach vorn herabsteigt, gleicht so sehr einer Stola,
daß man schwerlich den Gedanken abweisen kann, es solle hier eine solche
dargestellt werden. Es wäre die früheste Abbildung einer Priesterstola, die
uns bekannt ist, da wir, wie schon bemerkt, die Stola des Ecclesius durchaus
für eine Restauration aus späterer Zeit halten.
1 Liber Pontif. Ravenn. P. II, Vita Sergii
c. 1 (M. 106, 725). Der Text ist nicht
genau. Besser findet er sich in den M. G.
SS. Langob. 378.
Braun, Die liturgische Gewandung.
2 Liber Pontif. eccl. Ravenn. n. 154 (M G.SS.
Langob. 378) : Statuerunt de novella con-
secratione, ut diaeones relicta dalmatica super -
humeralem imponerent more Graecorum.
37
578 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Das Ergebnis der bisherigen Untersuchungen ist im ganzen recht be-
scheiden. Klare, unzweideutige und sichere Zeugnisse für den Gebrauch eines
liturgischen Orarium in der Westkirche vorkarolingischer Zeit besitzen wir
nur für Spanien und Gallien, und selbst diese führen uns nicht über das
6. Jahrhundert hinaus. Als ein Ornatstück, das im ganzen Abendland bei
der Liturgie Verwendung findet, läßt sich die Stola erst in der zweiten
Hälfte des 8. Jahrhunderts mit Bestimmtheit nachweisen. Seitdem erscheint
sie dann freilich ununterbrochen durch alle fernere Zeit hindurch bis in die
Gegenwart als ein Teil der liturgischen Kleidung.
IV. DIE STOLA ALS LITURGISCHES ORNATSTÜCK ZUR
KAROLINGERZEIT.
Im 9. Jahrhundert war das Orarium zu Rom bei allen Klerikern in
Gebrauch. Auch der Papst bediente sich seiner. Es ist das freilich be-
zweifelt worden, weil, wie man sagt, neben dem Pallium eine Stola überflüssig
war. Allein mit Unrecht. Denn wenn der Patriarch Nicephorus von Kon-
stantinopel Leo III. außer einer liturgischen Tunika, Kasel und Mappula auch
ein Epitrachelion, eine Stola, zum Geschenk übersendet, so folgt daraus
offenbar, daß sich der Papst damals einer Stola bediente. Wenn ferner nach
Hraban, der in seiner Vorrede zu der Institutio clericorum ausdrücklich be-
merkt, er wolle die Messe secundum morem Romanae ecclesiae behandeln 1,
und der darum unter der vestis sacerdotalis moderna2, die er in der ge-
nannten Schrift beschreibt, die römische Sakralgewandung versteht, die Erz-
bischöfe zugleich Stola und Pallium trugen3, wird dann nicht auch
der Papst sich beider bedient haben ? Ein Nichtgebrauch der Stola hätte nur
dann einen Sinn gehabt, wenn dem Pallium und der Stola ein und derselbe
Charakter eigen gewesen wäre. Wenn man aber meint, darum habe das
Pallium die Stola ausgeschlossen, weil es den Inbegriff aller priesterlichen
und hohenpriesterlichen Gewalt bedeutet habe, dann darf man wohl fragen,
wie es überhaupt je dazu kommen konnte, daß der Papst anfing, zugleich
sich des Pallium und der Stola zu bedienen. Allerdings ist es richtig,
daß der 1. Ordo Mabillons das Orarium unter den päpstlichen Gewändern
nicht erwähnt 4. Ob das indessen nicht ein Versehen des Kopisten ist ?
Denn der 3. Ordo — der 2. spricht nicht von der liturgischen Gewandung
des Papstes — rechnet das Orarium ganz bestimmt und ausdrücklich zur
Sakralkleidung des Papstes.
Auch der Umstand, daß im 9. Jahrhundert auf den Darstellungen von
Päpsten die Stola nicht auftritt, ist von keinem Belang. Denn sie erscheint
auf den Monumenten selbst noch im 11. und 12. Jahrhundert bei diesen nur
in vereinzelten Fällen, obschon die Päpste sich damals sowohl der Stola wie
des Pallium bedienten. Nie kommt die Stola zum Vorschein, wenn die Päpste
mit der Dalmatik bekleidet dargestellt sind. Es war den Künstlern ersichtlich
nur darum zu tun, die Päpste als solche zu charakterisieren, und das erreich-
ten sie genügend dadurch, daß sie dieselben mit dem Pallium versahen.
1 M. 107, 295. vicem pallii honor decernitur. Vgl. auch
2 L. ], c. 14 (ebd. 306). Amal., De eccl. offic. 1. 2, c. 22 (M. 105,
3 L. 1, c. 23 (ebd. 309): Super haec autem 1098).
omnia (sc. superhumerale, tunicam, cingulum, l So wenigstens nach dem Text Mabillons
mappulam, stolam etc.) summo pontifici, qui und Hittorps. Wegen der von Grisar veröffent-
archiepiscopus vocatur, propter apostolicara lichten Rezension vgl. oben S. 574, Anrn. 5.
Zweites Kapitel. Die Stola. 579
Daß die Bischöfe sich des Orarium bedienten, erhellt aus Hraban,
Amalar, dem St Gallener Katalog sowie dem 9. Ordo. Von der Stola der
Priester reden der S. G. K., der 9. Ordo und der Ordo Duchesnes. Amalar
spricht nicht ausdrücklich von der Priesterstola, doch stellt er ebensowenig
die Stola als ausschließliches Ornatstück der Diakone und Bischöfe hin.
Das Orarium der Diakone ist im St Gallener Kleiderverzeichnis un-
erwähnt geblieben. Dagegen gedenken seiner der 9. Ordo wie auch Amalar,
der sich sogar ganz speziell und eingehend mit der Diakonalstola befaßt.
Auffallend ist es, daß zu Rom auch die Subdiakone und Akolythen
ein Orarium trugen. Indessen kann an diesem Brauch kein Zweifel bestehen,
da sowohl der 8. Ordo wie das St Gallener Verzeichnis des Orarium der Sub-
diakone und Akolythen gedenken 1. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir in
einer Zeit stehen, da die liturgische Kleidung noch auf dem Wege zur end-
gültigen Fixierung war. Ein Gegenstück zum Gebrauch des Orarium seitens
der Subdiakone und Akolythen ist es, wenn ebendieselben auch mit der
Planeta (Kasel) ausgestattet erscheinen.
Übrigens ist die Notiz des St Gallener Katalogs nicht zu übersehen : Aco-
lythus . . . quando in gradu psallitur . . . orarium portat in manu. Wenn also
der Akolyth zum Ambo trat, um daselbst das Responsorium zu singen, mußte er
das Orarium, das er sonst am Halse hatte, abnehmen und in der Hand halten.
Auch die Subdiakone scheinen das Orarium nur mit einer ähnlichen
Einschränkung getragen zu haben. Denn wir lesen im 8. Ordo: Et si ad
diaconatus ordinem voluerit episcopus eum (sc. subdiaconum) provocare, dum
introitus missae inchoatur, ipse subdiaconus indutus tunicam albam et tenens
orarium suum in manu stat ante rugas altaris2. Wenn sich also der
Subdiakon in seiner Amtstracht zur Diakonatsweihe einstellte, hatte er sein
Orarium in der Hand zu halten.
Das Orarium, welches wir beim Ausgang des 8. und im Beginn des 9. Jahr-
hunderts zu Rom im Gebrauch antreffen , war ein wirkliches liturgisches
Ornatstück. Was immer wir in den römischen Ordines, bei Hraban, Wala-
fried und Amalar oder sonst über dasselbe hören, bekundet solches auf das
bestimmteste. Allenthalben erscheint das Orarium als förmlicher Bestandteil
der Sakraltracht. Es ist verboten, ohne Stola die heilige Messe zu feiern.
Das Orarium steht auf gleicher Linie mit dem liturgischen Schultertuch, der
liturgischen Albe , dem Cingulum usw. Es war demnach ein Irrtum , wenn
man sagte, in Rom erscheine die Stola oder das Orarium in liturgischem
Sinne erst nach dem 10. Jahrhundert.
Welches war aber der besondere Charakter des römischen Orarium?
War es ein Tuch, das Priester und Ministri eines praktischen Zweckes halber
bei den liturgischen Funktionen bei sich haben mußten, also etwa ein litur-
gisches Diensttuch, ein Halstuch oder Schweiiatuch, war es ein bloßes Orna-
ment ohne weitere Bedeutung und ohne einen speziellen Zweck, oder war es
etwa eine Art von, wir sagen nicht förmlicher Insignie, sondern liturgischem
Unterscheidungszeichen im weiteren Sinne, etwa wie die klerikale Kleidung-
Abzeichen der Geistlichen gegenüber den Laien, die Dalmatik Abzeichen der
Diakone, die Kasel das der Priester ist? Es handelt sich hier wohlgemerkt
um den Charakter, den das Ornatstück im 9. Jahrhundert hatte, nicht um die
Frage, was es vielleicht ursprünglich war.
Ordo 8, n. 1 3 (M. 78, 1000 1001). 2 N. 3 (ebd. 1001).
37*
580
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Ein Schweißtuch oder Halstuch war es zweifellos nicht. Kein Schweiß-
tuch, da es unter dem Obergewand getragen wurde ; man hätte ja die Planeta
oder Dalmatik aufheben müssen, um zum Orarium zu gelangen, falls es nötig
wurde, dasselbe zum Abputzen des Schweißes zu gebrauchen. Aber auch als
Halstuch kann das Orarium nicht gedient haben. Denn für die Zwecke eines
Halstuches war das liturgische Schultertuch, das anabolagium, der Amikt da,
dessen sich nach dem St Gallener Katalog alle Ordines, die Akolythen allein
ausgenommen, zu bedienen pflegten. Allein auch ein bloßes Ornament kann
das Orarium nicht gewesen sein. Denn welchen Sinn hatte es in diesem Falle
bei den Diakonen und Bischöfen? Weil von der Dalmatik völlig bedeckt,
war es als bloßer Schmuck bei diesen offenbar völlig zwecklos.
Es bleibt also wohl nichts übrig, als in dem Orarium eine Art von
Distinktivum des römischen Klerus überhaupt im Gegensatze zu den Laien
und weiterhin der höheren Ordines im Unterschied von den niedern Klerikern
in dem eben angegebenen Sinne zu sehen. In der Tat lassen die Angaben,
welche wir über das Orarium erhalten , wohl kaum einen ernsten Zweifel,
daß eine solche Auffassung die richtige ist. Oder warum der Brauch, alle
Ordines, auch die Akolythen, bei ihrer Weihe mit dem Orarium zu bekleiden?1
Weshalb ferner die vom 9. Ordo für das Orarium der Diakone ausdrücklich
bezeugte Gepflogenheit, das Ornatstück am Abend vor der Weihe auf die Con-
fessio des hl. Petrus zu legen und hier bis zum Weiheakt am folgenden Tage
zu belassen?2 Warum die Rubrik des 8. Ordo, daß die Subdiakonen in Tunika
und Planeta, ihr Orarium aber in der Hand, zum Empfang der Diako-
natsweihe an die Altarscbranken zu treten hatten?3 Warum die Anordnung,
daß die Akolythen, wenn sie am Ambo als Cantores oder Lectores fungierten,
nicht bloß die Planeta auszuziehen, sondern auch das Orarium abzulegen
und in der Hand zu halten hatten? Endlich woher die römische Sitte, der
zufolge der Diakon an den Tagen, an welchen er sich statt der Dalmatik der
Planeta bediente, vor dem Evangelium nicht nur diese letztere, sondern zugleich
mit der Planeta auch die Stola, die er bis dahin nach Weise der Priester am
Halse getragen hatte4, sich schärpenartig umschlang, um nun so bis zum Ende
der Messe zu ministrieren? 5 War das Orarium lediglich ein bloßes Schweiß-
tuch, Halstuch oder Ornament, so ist alles das unverständlich. Nur wenn man
es als eine Art von Unterscheidungszeichen auffaßt, dürften diese Gepflogen-
heiten ihr Licht erhalten. Ganz besonders gilt das von den beiden an letzter
Stelle genannten Bräuchen. Es hätte doch zum Zweck, die Akolythen von dem
amtierenden Priester zu unterscheiden, völlig ausgereicht, wenn sie die Planeta ab-
gelegt bzw. schärpenartig umgelegt hätten. Warum also solches auch noch mit dem
Orarium tun, wenn es nur ein Ornament oder ein Hals- bzw. Schweißtuch war?
1 Gegenwärtig wird freilich auch der Sub-
diakon mit dem Humerale bei seiner Weihe
bekleidet; allein diese Zeremonie ist sehr
jungen Datums. Sie kam erst im Laufe des
14. .Jahrhunderts auf und war noch im 15.
keineswegs allgemein (vgl. oben S. 30).
2 N. 2 8 (ebd. 10o5 10(i8).
3 N. 3 (ebd. 1001): indutus tunicam albam
et tenens orarium suum in manu. . . . Ex-
uitur planeta a diacono.
4 Siehe unten S. 586.
5 Amal. , De eccl. offic. praef. altera (M.
105 , 992) : Quando versus Alleluia canitur,
exuitse planeta diaconus stolamque posttergum
ducit subtus dextram alam una cum planeta
et parat se ad ministrandum ac in eo habitu
perseverat usque dum apostolicus recesserit
de altari. Die Worte una cum planeta sind
keine Interpolation, wie Wilpert für wahr-
scheinlich hält (Cap. 83), und stehen keines-
wegs im Widerspruch mit exuit se planeta.
Der Diakon legte die Kasel, nachdem er sie
ausgezogen hatte , mit der Stola schärpen-
artig um (s. oben S. 166 f).
Zweites Kapitel. Die Stola. 581
Der Gründe, um derentwillen Duchesne dem römischen Orarium den Charakter
eines Distinktivum absprechen zu sollen glaubt, sind zwei1. Erstens meint er, sei
das Orarium nicht offen über dem Obergewande getragen worden. Das ist allerdings
richtig. Allein wenn dieser Umstand maßgebend ist, dann hätte ja die Stola im
römischen Ritus auch später noch des Charakters eines Distinktivum entbehrt. Und
doch war die Stola zu Eom schon eine förmliche Insignie des diakonalen und priester-
lichen Ordo, als noch die Dalmatik bis zu den Füßen reichte und die glockenförmige
Kasel fast den ganzen Körper einhüllte. Ferner ist dann nicht verständlich, wie über-
haupt die Stola dort jemals das diakonale und priesterliche Abzeichen hat werden können,
da der Priester diese immer unter der Kasel, der Diakon unter der Dalmatik trug.
Zweitens weist Duchesne darauf hin, daß er kein römisches Bildwerk aus der
Zeit vor dem 12. Jahrhundert kenne, auf dem die Stola dargestellt sei. Auch dieser
Einwand ist ohne Belang. Einmal kommt nämlich bereits auf den vor 10^4 ent-
standenen Fresken in der Unterkirche von S. demente die priesterliche und bischöf-
liche Stola vor. Dann ist überhaupt die Zahl der noch vorhandenen römischen Bild-
werke des 9., 10. und 11. Jahrhunderts, die hier in Betracht zu ziehen wären, im
ganzen äußerst gering. Endlich aber sind die Päpste und Diakone auf den Dar-
stellungen aus dieser Zeit stets mit der bis auf die Füße reichenden Dalmatik versehen.
Es liegt also zu Tage, warum die Künstler wenigstens bei den Diakonen die Stola nicht
abgebildet haben -. Aus dem gleichen Grunde gewahren wir ja auch selbst noch auf
den römischen Monumenten des 12. und 13. Jahrhunderts bei den Diakonen, Päpsten und
Bischöfen, wofern nur letztere mit der Dalmatik versehen sind, keine Stola.
Zutreffend ist allerdings, daß die Stola zu Rom im 9. Jahrhundert noch
nicht so ausgesprochenermaßen als Insignie des Ordo galt, wie das etwa um
die gleiche Zeit im Frankenland und früher noch in Spanien und wohl eben-
falls in Gallien unter der Herrschaft des gallikanischen Ritus der Fall war 3.
Sie konnte im römischen Ritus ja auch erst dann etwas mehr als ein bloßes
Unterscheidungszeichen, eine wirkliche Insignie der höheren Ordines werden,
nachdem sie darin bei den Subdiakonen und Akolythen außer Brauch ge-
kommen war. Wie lange sie bei denselben verblieb, ist nicht festzustellen.
Es ist darum gleichfalls nicht möglich, genau zu bestimmen, wann die Stola
zu Rom den Charakter einer förmlichen Insignie erhielt, den sie daselbst in
der Folge hatte und noch jetzt hat. Wie es scheint, fand das Orarium
schon um die Wende des Jahrtausends bei den römischen Subdiakonen und
Akolythen keine Verwendung mehr. Um dieselbe Zeit wird es daher zu Rom
auch bereits Amtsabzeichen des Diakonats und Presbyterats gewesen sein.
Außerhalb Roms stand, soweit sich darüber ein Urteil fällen läßt, im
9. Jahrhundert die Stola nur im Dienste der Priester (Bischöfe) und Diakone.
Bemerkenswert ist die scharf ausgeprägte symbolische Bedeutung, welche un-
zweifelhaft in Verbindung damit dem Orarium im Frankenland eignete. Es war
daselbst im 9. Jahrhundert in einem solchen Grade Abzeichen des Presbyterats,
daß es den Priestern zur Pflicht gemacht wurde, die Stola beständig zu tragen.
So verordnet das 20. Kapitel des Konzils von Mainz aus dem Jahre 813, es
sollten die Priester sonder Unterbrechung das Orarium anlegen propter dif-
ferentiam sacerdotii dignitatis, d. i. also, um als dem Priesterstande angehörig
kenntlich zu sein4. Ahnlich sagt ein Kapitular der Sammlung des Benedikt
Levita : es sollten die Priester die Stola tragen propter signum castitatis, also
als Zeichen ihrer priesterlichen Ehelosigkeit 5. Das Konzil von Tribur er-
1 Du eh., Oi-ig. 391. ' Conc. Mogunt. c. 28 (Hartzh. I 411;
2 Vgl. auch das oben S. 574 Gesagte. M. G. LL. Cap. II 248).
3 S. obenS. 567 und die dort angeführten Stel- 5 L. 2, c. 172 (Baluzii Capit. Reg. Franc,
len aus Hraban, Walafried und Pseudo-Alkuin. I 952; M. 97, 768).
582 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
neuert 895 die Bestimmung der Mainzer Synode und fügt ergänzend hinzu :
wenn Priester auf Reisen beraubt, verwundet oder getötet würden, ohne mit
der Stola bekleidet zu sein, so sollten die Täter mit einfacher, andernfalls
— nämlich falls jene die Stola getragen hatten und darum nach ihrem Stand
hatten erkannt werden können — mit dreifacher Strafe ihr Verbrechen büßen 1.
Entsprechend heißt es in einer Rezension der Admonitio synodalis unter n. 38:
Nullus presbyter in itinere sine stola incedat, während nach der Anweisung
Reginos von Prüm der Visitator sich zu erkundigen hat (n. 62): si sine stola
vel orario in itinere incedat 2. Als Charakteristikum der Kanoniker erscheint
die Stola in einem Briefe Alkuins an einen kranken Kanoniker, der ihm seine
Absicht mitgeteilt hatte, in ein Kloster einzutreten, um sich dort auf das
Gericht vorzubereiten: Si sub orario plus laborasti quam sub cuculla in
servitio Dei, quid causae est in articulo mortis tui laboris insignia
abicere ? s
Seit etwa 1000 herrscht allenthalben im Abendland in Bezug auf die
liturgischen Personen, denen der Gebrauch der Stola zusteht, wie auch hin-
sichtlich des Charakters des Ornatstückes volle Übereinstimmung. Es erhellt
das in gleicher Weise aus den zahlreichen liturgischen Büchern wie den
Schriften der Liturgiker des 11., 12. und 13. Jahrhunderts. Die Stola kommt nur
den Diakonen, Priestern und Bischöfen zu, letzteren wegen des ihnen eigenen
Priestercharakters. Sie ist das Symbol des diakonalen Ministerium und des
priesterlichen iugum Domini. Den Subdiakonen bleibt das Ornatstück ver-
sagt, auch als der Subdiakonat im 11. Jahrhundert förmlich zum höheren Ordo
wird. Ihr Amtsabzeichen ward der Manipel.
V. GEBRAUCH DER STOLA.
Hinsichtlich der liturgischen Funktionen, bei denen die Stola im Mittel-
alter Verwendung fand, erhalten wir, zumal in der früheren Zeit desselben,
nur vereinzelte Angaben. Im großen und ganzen wird sie bei denselben
Akten gebraucht worden sein wie heutzutage. Vor allem war sie zu Rom
wie außerhalb Roms Meßornatstück. Sie wurde aber auch bei der Spendung
der heiligen Sakramente, bei der Predigt und bei der Vornahme von Segnungen
verwendet, und zwar bis wenigstens zum Beginn unseres Jahrtausends bald
mit bald ohne Kasel. Die Kasel war nicht erforderlich ; man hatte sie, ähnlich
wie jetzt das Pluviale, nur bei einer feierlichen Ausübung der genannten Akte.
Dagegen wurde die Stola stets getragen. Aus Hraban ersehen wir, daß man
sich ihrer bei der Predigt bediente. Auf einer Miniatur der Wessobrunner
Handschrift in der kgl. Bibliothek zu München4 aus dem Jahre 814 bzw. 815
(Bild 275) finden wir sie bei einem Priester, welcher die Taufe spendet.
Auf einer Federzeichnung des Pontifikale von Aletis in der Stadtbibliothek
von Rouen ist ein Bischof, welcher eine Kirchweihe vornimmt, mit ihr aus-
gerüstet. Nach demselben Pontifikale soll der Priester, der einem Kranken die
letzten Sakramente spendet, mit Amikt, Albe, Fano und Stola ausgestattet
sein, mit einer Kasel nur, wenn gerade eine solche zur Hand ist. Ein Missale
von Rennes aus dem 11. Jahrhundert schreibt vor, es solle der Priester die
1 Coric. Trib. c. 26 (apud Burcardum) 3 Ep. 55 (M. G. Bpp. Carol. Aevi II 99).
(Hartzh. II 410). Der Brief ist geschrieben um 790.
2 M. 132, 190. l Cod. lat. 22053, Cim. 20.
Zweites Kapitel. Die Stola.
583
Brautleute an der Kirchtüre in Albe und Stola erwarten 1. Auch bei Pro-
zessionen wurde das Ornatstück gebraucht (vgl. Bild 122, S. 262).
Daß Bruno von Segni und Sicard von Cremona im 12. Jahrhundert die
Anschauung ihrer Zeit hinsichtlich des Gebrauches der Stola dahin aussprechen,
der Priester könne zwar ohne sonstige Gewänder taufen, firmen und manche
andere Gebetsakte vornehmen, ohne das Orarium aber dürfe er nichts von
allem dem tun, es sei denn, daß große Not solches erheische, wurde schon
früher bemerkt.
Seit dem 13. Jahrhundert wird wiederholt durch die Synoden den Priestern
eingeschärft, bei den Krankenversehgängen die Stola zu tragen. Auch bei den
Provinzial- und Diözesansynoden hatten die Teilnehmer sich mit ihr zu bekleiden.
Der im 9. Jahrhundert verschiedenerorts, namentlich aber im Franken-
reiche, für die Priester geltenden Vorschrift, stets das Orarium zu tragen, ist
Ti%xun> eum IfWpÄ .
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YvtHät
Bild 275. Taufszene. Miniatur in einer Wessobrunner Handschrift.
München, Kg). Bibliothek.
bereits Erwähnung geschehen. Wie lange sie in Kraft blieb, ist nicht zu be-
stimmen. Noch die Synodica ad presbyteros des eifrigen Bischofs Katherius
von Verona (f 974) enthält die Bestimmung, es solle kein Priester ohne die
Stola umhergehen2. Der Zweck, den eine solche Verordnung hatte, ging
ohne Zweifel dahin, bei den Priestern das Bewußtsein ihrer hohen Würde zu
heben und sie von sittlichen Verirrungen abzuhalten. Seit der Synodica des
Ratherius hören wir von der Sache nichts mehr.
Eine andere eigenartige Gepflogenheit begegnete uns schon in der Vita S. Mauri
(f 584). Danach war es Brauch, im ersten Jahre nach der Weihe als Zeichen der er-
langten Würde beständig die Stola zu tragen 3. Für das 6. Jarrrhundert, wie überhaupt für
Italien, gilt das freilich nicht. Die Sitte entspricht aber ganz der Anschauung, welche
1 Mar t. 1. 1, c. 9, ordo 2; II 127. Manche
Angaben über den Gebrauch der Stola ent-
halten namentlich die Consuetudines von
Farfa (ed. Albers, 35 51 52 -56 71 73
122 142).
2 N. 11 (M. 136, 562). 3 Siehe S. 566
584
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
im 9. Jahrhundert im fränkischen Norden bestand, und stimmt darum vortrefflich zu
der Zeit, da die Vita, wenigstens in ihrer jetzigen Redaktion, aus den Händen Odos
von Glanfeuil hervorging.
Der Brauch muß, wie wir aus der Biographie des hl. Odo von Cluny (f ca 970)
ersehen, noch im 10. Jahrhundert in Kraft gewesen sein '. Es wird uns darin nämlich
erzählt, es sei der Heilige in der Nacht, die seiner Weihe folgte, aufgewacht und dann,
als er um seinen Hals nach Sitte und Brauch die ihm vom Bischof übergebene Stola
bemerkt habe, gleich als wenn ihm ein großes Übel begegnet wäre, sofort in Tränen
ausgebrochen, und er habe lange Zeit nicht gewußt, wie er es wagen dürfe, aus dem
Kloster zu gehen. Auch vom hl. Thomas von Canterbury wird noch berichtet, er habe
die Stola, Christi Joch, alle Tage um seine Schultern gehabt 2.
AVas die Tragweise der Stola anlangt, so haben wir zuzusehen erstens,
welche Stelle das Ornatstück in der Reihenfolge der liturgischen Gewänder
einnahm, und zweitens, wie man sie anzulegen pflegte.
Was den ersten Punkt anlangt, so ist es zweifellos, daß sich das Orarium,
so oft es in Verbindung mit der Planeta gebraucht wurde, stets gerade wie
noch jetzt unter derselben, nie über derselben befand. Es erhellt das sowohl
aus den Angaben der Liturgiker und der liturgischen Bücher, als auch aus
den Monumenten. Es ist uns nur eine Miniatur bekannt, auf welcher die
Stola sich über der Kasel befindet. Sie gehört dem karolingischen Psalterium
der St Gallener Stiftsbibliothek an. Es ist offenbar nichts als Naivität oder
Willkür des Miniators, wenn er auf derselben den hl. Gregor oder wer immer
der Heilige sein soll, mit der Stola über der Planeta dargestellt hat3.
Eine auffallende Verschiedenheit herrscht im 9. und 10. Jahrhundert
hinsichtlich der Angaben über die Weise, wie Papst und Bischöfe die Stola
trugen. Hier hatte sich offenbar eine bestimmte, dauernde Praxis noch
nicht gebildet. Der Papst hatte das Orarium dem 3. Ordo wie dem St Gallener
Katalog zufolge zwar unter der Planeta, aber über den beiden Dalmatiken,
während er nach späterem Brauche dasselbe unmittelbar nach dem päpstlichen
Fano anlegte, also ehe er sich mit Tuniceila und Dalmatik bekleidete.
Bei den Bischöfen finden wir die Stola im St Gallener Verzeichnis
über der Obertunika, im 9. Ordo zwischen der dalmatica minor (Tunicella)
und dalmatica maior, bei Hraban, der nur einer Dalmatik der Bischöfe ge-
denkt, unter dieser Dalmatik, bei Amalar, der dieselben mit Tunicella und
Dalmatik ausgestattet sein läßt, unter der Tunicella.
Auch auf den bildlichen Darstellungen gewahren wir eine ähnliche Ver-
schiedenheit. So bemerken wir z. B. auf dem Widmungsbild der Bibel Karls
des Kahlen (vgl. Titelbild) und auf zwei Miniaturen des Sakramentars von
Autun (Gregor d. Gr. und die „sieben Weihegrade") das Orarium unter der
Dalmatik, während wir es bei den hll. Sixtus und Gregor auf dem Manipel
Frithestans von Winchester im Museum zu Durham, bei der Abbildung eines
den Segen spendenden Bischofs im Benediktionale Ethelwolds u. a. über der
Dalmatik finden.
1 Ioann. Cluniac. , Vita S. Odonis 1. 1,
n. 87 (M. 133, 60). Nagold., Vita eiusd.
c. 26 (ebd. 96).
2 Heribert., Vita S. Thomae Cantuar.
1. 3, c. 6 (M. 190, 1095): Thomas quodam
sacri ordinis insigni, quod stola seu orarium
dicitur, mox ut sacerdos utrumque, quod
sacerdotum est humerum, ambiebat et hoc
quotidie et in omnium visu gestabat. Wenn
man auch Johannes von Salisbury erzählen
läßt, es habe der Heilige Tag und Nacht das
süße Joch Christi um seinen Hals gehabt,
so ist zu bemerken, daß sich in dessen Vita
S. Thomae kein Wort darüber findet.
3 Gute Abbildung bei R. Rahn, Das Psal-
terium aureum von St Gallen, St Gallen 1878,
Tfi VII. Das Pallium ist wohl nicht ge-
meint.
Zweites Kapitel. Die Stola.
585
Auch Her bringt erst das zweite Jahrtausend eine einheitliche Praxis.
Die Ordnung der Pontifikalgewänder ist nun regelmäßig: Amikt, Albe, Cin-
gulum, Stola, Tunicella, Dalmatik, Kasel, Manipel usw.
DieDiakone trugen, wo der römische Brauch galt, das Orarium unter
der Dalmatik ; auch im Frankenlande, wo sie unter der Herrschaft des galli-
kanischen Ritus die Stola über der Alba, ihrer liturgischen Tunika gehabt
hatten. Über der Obertunika finden wir bei den Diakonen das Orarium nach
dem 9. Jahrhundert nur im ambrosianischen Ritus und in Süditalien.
Im südlichen Italien, wo die Gewohnheit, die diakonale Stola sicht-
bar über dem Obergewand zu tragen, wohl dem dort mächtigen griechischen
Einfluß ihre Entstehung verdankte, ging man in späterer Zeit zum römischen
Brauch über. Doch erhielt sieh die alte Sitte wenigstens bis zum 13. Jahrhundert.
Es ergibt sich das aus einer großen
Anzahl beneventaniseher und capua-
nischer Miniaturen des 11. und
12. Jahrhunderts, so z. B. aus einer
Darstellung in der Enzyklopädie des
Hrabanus Maurus zu Monte Cassino
(11. Jahrhundert)1, dem Weiheordo
Landulfs IL von Benevent in der
Casanatense zu Rom (Beginn des
12. Jahrhunderts)2 und den teils dem
11., teils dem 12. Jahrhundert an-
gehörenden Exultetroteln der Vati-
cana, der Casanatense und Barbe-
riniana zu Rom, des Domes zu Bari,
der Klosterbibliothek zu Monte Cas-
sino, des Domes zu Capua 3 u. a.
(Bild 276). Überall haben hier die
Diakone die Stola über ihrem Ober-
gewande. Auch auf der Exultet-
rolle von Salerno aus dem frühen
13. Jahrhundert ist das noch der
Fall. Andere bemerkenswerte Bei-
spiele liefern die herrlichen Mosaiken
des Domes von Monreale mit den heiligen Diakonen Laurentius, Stephanus,
Genesius, Euplius und Vinzentius i.
In Mailand ist es bis auf die Gegenwart Sitte geblieben, daß der
Diakon die Stola über der Dalmatik trägt. Wer die mittelalterlichen Kunst-
denkmäler in Mailand und dem Mailänder Gebiet durchforscht, wird häufig
auf Bildwerke stoßen, die von dem Brauche Zeugnis ablegen; allen voran
der Palliotto von S. Ambrogio5, dieses Meisterwerk der Goldschmiede- und
Emaillierkunst aus der Mitte des 9. Jahrhunderts, dann das Apsismosaik
in S. Ambrogio, das ebenfalls vielleicht noch dem ersten Jahrtausend an-
Bild 276. Segnung der Osterkerze. Miniatur
eines Exultetrotels. Gaeta.
1 Abbildung in Miniature sacre e profane
dell' anno 1023, Monte Cassino 1896, tav. 14.
2 Vgl. die Abbildung bei Wilp., Cap. 67
73 und Gew. Fig. 28 33.
3 Vorzügliche Abbildungen einer Anzahl
dieser Exultetroteln in Les miniatures des
rouleaux d'Exultet , Monte Cassino 1899.
Andere bei Wilp., Cap. 85 89. Vgl. auch
Ag. Malerei Tfl 53 54.
1 Gravina, II Duomo di Monreale, Palermo
1859, tav. 14 D 17 E 24 A.
5 Roh. I, pl. viii.
586 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
gehört. Ein Monument aus der Frühe des 13. Jahrhunderts, auf das zu ver-
weisen wäre, ist das Basrelief an S. Maria Beltrada zu Mailand 1, welches eine
Prozession zu Ehren der Gottesmutter darstellt. Aus der letzten Hälfte des
13. Jahrhunderts sei ein prächtiges Marmorrelief in dem Dom zu Monza
(Bild 277) genannt. Ein vortreffliches Beispiel aus dem Beginne des 14. Jahr-
hunderts liefern die Reliefs des Sarkophags des Bischofs Berardus in der
Rotonda zu Brescia. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts häufen sich die
Darstellungen, auf denen Diakone nach ambrosianischem Brauche mit der
Stola über der Dalmatik erscheinen, so sehr, daß es unnötig, ja unmöglich
ist, dieselben im einzelnen namhaft zu machen.
Die Diakone tragen im Mailändischen die Stola unter der Dalmatik bloß,
wenn sie an den drei ersten Tagen der Karwoche nach der Terz die Lektionen
aus dem Buch Job singen. Es ist das unzweifelhaft eine sehr alte Sitte.
Indessen mag füglich bezweifelt werden, ob das ca 5,00 m lange und 0,08 m
breite weiße Linnenband, mit dem sie dann ausgestattet sind und welches sie
kreuzweise über Brust und Rücken geschlungen haben, wirklich eine Stola
ist. Alter und Ursprung des Brauches ist unbekannt 2.
Bezüglich der Gewandung der Subdiakone heißt es im St Gallener
Katalog : Subdiaconi camisia , cingulum , deinde anagolagium et tunica alba,
orarium et sestace in manu sinistra. Die Subdiakone hatten sonach das
Orarium über der Obertunika, wahrscheinlich um es gegebenen Falles leichter
abnehmen zu können. Hinsichtlich der Akolythen lesen wir ebendort :
Tunica alba et orarium ad Collum et planeta. Auch sie hatten also ihr Ora-
rium wie die Subdiakone über der Tunika.
Was die Anlegun gs weise des Ornatstückes anlangt, so erinnern
wir daran, daß nach der jetzigen Praxis der Diakon die Stola als Schärpe
so auf der linken Schulter trägt, daß die beiden Streifen, quer über Brust
und Rücken verlaufend, unter dem rechten Arm zusammenkommen; der Priester
legt sie auf Hals und Schultern und läßt dann die beiden Bänder entweder
vorn herabhangen, oder er kreuzt dieselben über der Brust, je nachdem er
mit einem Superpelliceum oder mit Albe und Cingulum versehen ist. Bei
dem Bischof fallen stets die beiden Stolenstreifen vorn gerade herab. So
war es indessen in allem dem nicht immer. Auch in Bezug auf die Trag-
weise der Stola hat es eine Entwicklung gegeben, obwohl wir dieselbe nur
in ihren Hauptzügen verfolgen können.
Daß wenigstens bereits im 13. Jahrhundert der Diakon die Stola in der
jetzigen Weise trug, erhellt aus Durandus, welcher bemerkt, der Levit lege
an Fasttagen beim Amte die Kasel zusammengefaltet nach Art der Stola um,
indem er sie nämlich auf die linke Schulter werfe, dann nach der rechten
Seite herüberziehe und dort unter dem Arm befestige. Ja es kennt schon
mehr als 100 Jahre früher Honorius diese Anlegungsweise der Diakonal-
stola. Zu Amalars Zeiten war selbige aber noch nicht Brauch, denn dieser
bemerkt ausdrücklich, erstens daß die Stola des Diakons, von welcher er an
dem betreffenden Orte allein redet, zu den Knieen sich herabziehe (ad genua
tendit)3, zweitens daß dieselbe dem Halse aufgelegen habe: Sciat diaconus
in stola superposita collo se ministrum evangelii esse, non praepositum.
Auch der 9. Ordo sagt unterschiedslos bezüglich der Priester und Diakone:
A pontiiice (sc. oraria) super eorum colla ponantur4. Aus dem St Gallener
1 Abbildung bei Magistretti 5. s C. 20 (M. 105, 1096).
2 Vgl.überdieSitteauchMagistretti63. * N. 8 (M. 78, 1008).
Zweites Kapitel. Die Stola.
587
Verzeichnis erhellt, daß selbst die Akolythen ihr Orarium am Halse trugen:
orarium ad Collum.
Nur wenn der Diakon, wie schon früher gelegentlich bemerkt wurde,
sich statt der Dalmatik d-er Planeta bediente, trug er vom Evangelium an
das Ornatstück in Form einer von der linken Schulter über Brust und Rücken
unter den rechten Arm sich hinziehenden Schärpe. In der Folge wurde dann,
was im 9. Jahrhundert noch Ausnahme war und nur gelegentlich geschah,
feststehende allgemeine Regel.
Wie lange der römische Brauch sich erhielt, wonach auch die Diakone
für gewöhnlich die Stola um den Hals trugen, ist nicht zu bestimmen.
Die liturgischen Bücher wie die Liturgiker bieten zu wenig darüber. Sollen
wir den mittelalterlichen Bildwerken Glauben schenken , so wäre er hie und
da sogar noch im 13., ja 14. Jahrhundert in Kraft gewesen. Denn bis zu
dieser Zeit treffen wir Darstellungen von Diakonen an,
bei denen die beiden Enden der Stola vorn unter der
Dalmatik zum Vorschein kommen. Beispiele bieten das
Tropar von Prüm in der Pariser Nationalbibliothek aus
dem Ende des 10. Jahrhunderts (vgl. Bild 121, S. 262),
eine Miniatur der kgl. Bibliothek zu Berlin mit einer
Darstellung Sigeberts von Minden aus dem Beginn des
11. Jahrhunderts (vgl. Bild 124, S. 266), der leider
im Original bei der Belagerung von Straßburg verbrannte
Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg (12. Jahr-
hundert) 1, die Statuen des hl. Laurentius am Portal von
St-Germain-lAuxerrois zu Paris und des hl. Stephanus
am Portal der Kathedrale von Chartres (13. bzw. 14. Jahr-
hundert) u. a. 2 Haben wir es der Phantasie des Künst-
lers zuzuschreiben und es als eine unkorrekte Darstellungs-
weise anzusehen, wenn auf den genannten Bildwerken die
diakonale Stola nach Weise der Priesterstola abgebildet
ist, oder entsprechen dieselben dem tatsächlichen Ver-
hältnis? Man wird vielleicht am besten zwischen den
Bildwerken aus dem ersten Jahrtausend und den späteren
Darstellungen unterscheiden. Die ersten mögen wirklich
einen noch bestehenden Brauch wiedergeben, die letzteren jedoch sicher nicht
mehr. Wenigstens darf das mit Bestimmtheit von den Monumenten des 12.,
13. und 14. Jahrhunderts behauptet werden, da es um das 12. Jahrhundert
unzweifelhaft schon überall Brauch war, daß die Diakone die Stola auf der
linken Schulter hatten. Es erhellt das zur Genüge aus den Angaben der
Liturgiker des 12. Jahrhunderts wie auch aus den damaligen liturgischen
Büchern. Aus dem zweiten Jahrtausend ist uns kein Pontifikale bekannt,
demzufolge der Bischof bei der Diakonatsweihe die Stola noch auf den Nacken
des Ordinanden zu legen hatte. Es mag aber eine Reminiszenz an früheren
Brauch sein, wenn wir noch in späterer Zeit auf Bildwerken gewisse heilige
Diakone — es sind namentlich die hll. Stephanus und Laurentius — als ikono-
graphische Eigenheit die Stola nach Art der Priester tragen sehen.
Bild 277. Diakon.
Marmorrelief.
Monza, Dom. (Phot. Alinari.)
1 Herrade de Landsberg, Hortus de-
liciarum, Straßburg 1901, TA lxviii.
2 Vgl. z.B. Macalister, Eccl. Test. 80
(Bildwerke der Kath. von StDavid'sin Wales),
Lind, Ein Antiphonar mit Bilderschmuck,
Wien 1870, Tfl 43 und Roh. VII, pl. dxlii.
588 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
In Süditalien und in Mailand scheinen die Diakone gerade wie in
Spanien und in der Ostkirche das Orarium stets auf die linke Schulter ge-
legt zu haben. Wie die Bildwerke zeigen , fielen die beiden Enden des
Ornatstückes lose von der Schulter nach vorn und rückwärts herab. So ge-
wahren wir es z. B. auf den Reliefs des Palliotto in S. Ambrogio.
Wie weit die Bestimmung des Konzils von Braga, wonach der Celebrans
(Bischof und Priester) bei der Messe das Orarium über der Brust gekreuzt
tragen sollte, im übrigen Abendland zur Geltung gelangte, läßt sich nicht
feststellen. Jedenfalls war im 12. Jahrhundert diese Anlegungsweise nicht
allgemein üblich. Denn wenn auch Bruno von Segni und Honorius bemerken,
die Stola werde kreuzweise über die Brust gelegt, so ersehen wir doch aus
den Ausführungen Ivos von Chartres i, daß zu seiner Zeit auch die Gewohnheit
bestand, die Stolenstreifen über die Brust gerade herabhangen zu lassen.
Zu Rom war um das Ende des 12. Jahrhunderts die Vorschrift, von welcher
der 4. Kanon des Konzils von Braga redet , nicht in Kraft 2. Wenigstens
gilt das bezüglich der Bischöfe. Aber auch außerhalb Roms wurde sie,
wie wir von Durandus erfahren , nicht überall beobachtet. Nam non ubique
partes stolae reducuntur ante pectus in modum crucis. Und zwar gilt diese
Bemerkung nicht bloß von den Bischöfen, sondern auch von den Priestern.
In episcopo vero vel sacerdote ab utraque parte aequaliter dependent 3.
In England trug der Priester am Ende des 14. Jahrhunderts die Stola
kreuzweise vorn über der Albe 4. Mit einer auf der Brust gekreuzten Stola
ist auf einem dem 13. Jahrhundert entstammenden Wandgemälde in St Cäcilien
zu Köln ein taufender Papst abgebildet. Gute Beispiele der über der Brust
gekreuzten priesterlichen Stola liefert im 12. Jahrhundert namentlich das
Rituale von Lambach 5. Im 14. und 15. Jahrhundert sind Darstellungen dieser Art
häufig. Auf den Bildwerken aus der Spätzeit des ersten und dem Beginn des
zweiten Jahrtausends hängt die Stola in der Regel gerade herab 6. Der gegen-
wärtigen Praxis, welche zwischen Bischof und Priester unterscheidet
und durch die Aufnahme in das römische Missale und in das Caeremoniale
der Bischöfe ihre allgemeine Verbindlichkeit erhielt, begegnen wir bereits im
Pontifikale des Durandus 7. „Die gewöhnlichen Priester", heißt es dort, „sollen
das Orarium in Kreuzesform über ihre Brust legen; dagegen ziemt es sich
für die Bischöfe, dessen Enden vorn gerade herabhangen zu lassen." Indessen
wurde der hier gemachte Unterschied zu des Durandus Zeit noch keineswegs
allgemein beobachtet, wie das aus den vorhin angeführten Worten des Rationale
hervorgeht. Nach den Meßerklärungen des ausgehenden Mittelalters ordneten
die Priester damals regelmäßig die Stola kreuzweise über der Brust.
Beim umgegürteten Superpelliceum, welches bereits vor 1200 bei ein-
zelnen Funktionen die Albe zu ersetzen begann, ließ man natürlich stets die
Stolastreifen vorn gerade herabfallen.
Des Brauches, die Stola vor dem Anlegen derselben zu küssen, wie
solchen das römische Missale vorschreibt, gedenkt bereits Durandus in seinem
1 Sermo 3 (M. 162, 525). 5 Abbildungen bei Franz, Das Rituale von
2 Inno cent. III., De sacrif. missae 1. 1, St Florian, Freiburg 1904, Tfl 2 ff.
c. 5 t (M. 217, 794). Über den gleichen 6 Die Stola fällt bei dem taufenden Priester
römischen Gebrauch in späterer Zeit vgl. ordo gerade herab z. B. auf der Miniatur der Wesso-
14, c. 53 (M. 78, 1157). brunner Handschrift (Bild 275, S. 583), ferner
3 L. 3, c. 5; f. 69. auf einer Taufdarstellung in einem Sakramen-
4 Bromyard., Summa praedicantium, bei tar der Bamberger Bibliothek (A II, 52) u. a.
Chambers 49. 7 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 23; 1221.
Zweites Kapitel. Die Stola. 589
Rationale 1. Er deutet denselben auf die Bereitwilligkeit des Priesters, sich
den Geboten des Herrn zu unterwerfen. Auch der 14. Ordo Mabillons kennt
bereits die Sitte 2.
VI. DIE ÜBERREICHUNG DER STOLA IM WEIHERITUS.
Schon im 7. Jahrhundert bestand, wie wir sahen, in Spanien die Ge-
wohnheit, dem Diakon, dem Priester und selbst dem Bischof bei der Weihe
das Orarium zu überreichen. Ob diese Weihezeremonie vor dem 9. Jahr-
hundert im Abendland weit verbreitet war, läßt sich nicht feststellen. Nach
800 scheint aber dieselbe in den meisten Teilen der abendländischen Kirche
einheimisch gewesen zu sein. Daß der Diakon zur Zeit Amalars bei der
Weihe die Stola empfing, sagt dieser Liturgiker mit ausdrücklichen Worten.
Wenn noch nicht in allen Sakramentaren und Pontifikalien des 9. und
10. Jahrhunderts im Weiheritus von der Überreichung und Anlegung der
Stola die Rede ist, so kann das nicht befremden. Dieselben waren damals
ja noch erst in ihrer Entwicklung und Ausgestaltung begriffen, und es dauerte
noch einige Zeit, bis sie Missalien und Pontifikalien in unserem Sinne,
d. i. Missalien und Pontifikalien mit allen Gebeten und Rubriken, wurden.
Immerhin findet sich die Zeremonie schon in manchen Pontifikalien und
Sakramentaren des 9. und 10. Jahrhunderts verzeichnet8; außerdem ge-
denken auch der 8., der 9. Ordo Mabillons sowie der von Duchesne heraus-
gegebene römische Ordo der Übergabe des Orarium an den zu ordinierenden
römischen Kleriker bzw. Diakon und Priester. Seit dem Beginn des zweiten
Jahrtausends begegnet uns die Rubrik, welche von der Anlegung der Stola
handelt, im Weiheritus des Diakons und des Priesters fast regelmäßig. Ältere
Pontifikalien und Sakramentarien, die ursprünglich diese Zeremonie nicht er-
wähnten, werden nunmehr wohl mit darauf bezüglichen Einschiebseln ver-
sehen, so das Sakramental' Leofrics von Exeter i.
In zahlreichen Pontifikalien des 11. und der nächstfolgenden Jahrhunderte
findet sich im Weiheritus des Diakons die Übergabe der Stola unter der Rubrik :
Ad consummandum diaconatus officium. Martene glaubt zwar nicht, daß durch diese
Bemerkung jene Zeremonie als wesentlicher und zur Gültigkeit der Weihe erforder-
licher Bestandteil der Weihe bezeichnet werde. Wie dem jedoch sein mag, tatsächlich
herrschte seit Ende des 12. Jahrhunderts mehrfach die Ansicht, es gehöre die An-
legung der Stola zur Substanz der Diakonatsweihe. Vielleicht, daß gerade die an-
geführte Rubrik in Verbindung mit dem Umstand , daß die Stola als die diakonale
Insignie betrachtet wurde , diese Meinung veranlaßte. Dieselbe ist indessen schon
lange mit Recht aufgegeben.
Nach der jetzigen Vorschrift des römischen Pontifikale spricht, wie
früher schon bemerkt wurde, der Bischof, wenn er dem Diakon die Stola
auf die linke Schulter legt: „Nimm hin die weiße Stola (das weiße Gewand)
aus Gottes Hand und vollziehe deinen Dienst; denn Gott ist mächtig genug,
dir seine Gnade zu vermehren." Führt er hingegen bei der Priesterweihe
den über den Rücken des Ordinanden sich hinziehenden Streifen des Gewand-
stückes über dessen rechte Schulter nach vorn, so sagt er: „Nimm hin des
Herrn Joch, denn sein Joch ist süß und seine Bürde leicht."
1 L. 3. c. 5 ; I 68. Pontifikale von Aletis, den Sakramentaren von
2 C 53 (M. 78, 1157). Moyssac und Tours u. a. Vgl. die Auszüge
3 Beispielsweise in einem Mailänder Pon- bei Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 2ff; II 31 ff.
tifikale (M agi strett i , Monumenta 43), in 4 Warren, The Leofric missal, Oxford
den Pontifikalien Egberts und Dunstaus, dem 1883, 215.
590 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Beide Formeln nehmen ersichtlich auf das Amt des Diakons bzw. Priesters
Bezug. Sie treten, allerdings neben andern, bereits seit dem 12. Jahrhundert in
den Pontifikalien des Mittelalters auf. Doch auch in den übrigen Weihegebeten
erscheint die Stola häufig als Sinnbild des Amtes. Ganz besonders tritt diese ihre
Bedeutung in den höchst interessanten Worten zu Tage, mit denen in angelsächsischen
und verwandten Pontifikalien der Bischof die Übergabe der Stola an den Diakon
begleitet. Da dieselben für die Anschauungen der damaligen Zeit sehr bedeutsam
sind, seien sie hier nach dem sog. P-ontifikale Egberts wiedergegeben : Accipe stolam,
quam tibi Dominus per humilitatis nostrae famulatum seu per manus nostras accipien-
dam praeparavit, per quam scias sarcinam Domini Dei tui cervicibus tuis impositam
esse et ad hivmilitatem atque ministrationem te esse conexum et per quam te cogno-
scant fratres tui ministrum Dei esse ordinatum , ut qui in diaconatus ministerio es
constitutus, leviticae benedictionis ordine clarescas et spiritali conversatione prae-
fulgens gratia sanctificationis eluceas. Sed et in Christo Iesu firmus et stabilis
perseveres , quatenus hoc , quod per hanc stolam significatur , in die districti iudicii
ante tribunal Domini sine macula repraesentare valeas, ipso auxiliante, cui est
honor et gloria in saecula saeculorum. Amen.
In dem Ritus der Überreichung der Stola herrschte im früheren Mittel-
alter eine nicht geringe Mannigfaltigkeit. Nach einigen Pontifikalien legte
der Bischof noch vor der Handauf legung dem Diakon die Stola an; nach
andern geschah das erst am Schluß der Weihe. Im 9. römischen Ordo übergibt
nicht der Bischof, sondern der Archidiakon dem Ordinanden das Orarium,
während in andern gleichzeitigen Ordinationsriten der Bischof selber solches
tut. Nach dem Weiherotel Landulfs erhielt der Diakon zuerst die Dalmatik
und dann die Stola, weil es in Süditalien gebräuchlich war, die Stola über
der Dalmatik zu tragen; nach römischem Ritus wurden dagegen die Diakone
umgekehrt erst mit dem Orarium und dann mit der Dalmatik bekleidet. Be-
züglich des Wechsels der Stola bei der Priesterweihe finden sich ähnliche
Verschiedenheiten. Wann eine größere Einheit in diesen Riten eingetreten
ist, läßt sich kaum annähernd feststellen. Doch scheint eine solche schon
um das 12. Jahrhundert sich gebildet zu haben. Freilich eine volle Über-
einstimmung herrscht selbst in den Pontifikalien des 14. und 15. Jahrhunderts
noch nicht.
Die Sitte, dem Diakon bei der Weihe die Stola auf die linke Schulter
zu legen , bei der Ordination des Priesters aber den rückwärts herab-
fallenden Streifen über die rechte Schulter nach vorn herüberzuziehen, er-
wähnen schon Pontifikalien des 10. Jahrhunderts1. Seit dem 12. ist sie, wie
aus den Weiheformularen erhellt, allgemein üblich.
VII. BESCHAFFENHEIT DER STOLA IM MITTELALTER.
Über die Beschaffenheit des spanischen Orarium in der vorkarolingischen
Zeit wurde schon bei Besprechung der Bestimmungen der Synoden von Braga
und Toledo das Nötige gesagt. Es war ein streifenförmig gefaltetes Tuch,
wenn nicht gar ein wirklicher Streifen. Das Diakon alorarium mußte schlicht
weiß und schmucklos sein. Das Orarium der Priester und Bischöfe werden
wir uns aber wohl als mit farbigen und goldenen Verzierungen versehen zu
denken haben. Wenigstens scheint das den Diakonen gegebene Verbot, andere
1 Mart. 1. 1, c. 8, art. 10, ordo 5; II 46; selbe: Cir cum den tur hum eri eius stola
ordo 8; II 39, wo statt mittas zu lesen ist mu- ab episcopo; bei der Diakonatsweihe heißt es
tas; ordo 2; II 35 hat dem Sinne nach das- nämlich: Circumdetur eius numerus sinister.
Zweites Kapitel. Die Stola.
591
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als einfach weiße Orarien zu tragen, auf eine reichere Aus-
stattung des priesterlichen und bischöflichen Orarium hinzudeuten.
Über die Beschaffenheit der Stola im gallikanischen
Ritus wissen wir nichts Näheres. Die gallikanische Meßerklä-
rung macht uns darüber leider keine Angaben. Wohl werden
illllllllllll verschiedene Stolen aufbewahrt, die aus einer Zeit stammen
sollen, ila noch der uallikanische Ritus in Krafl war; so die
schon erwähnte Stola des hl. Cäsarius von Arles zu Arles, die
des hl. Martin von Tours zu Aschaffenburg, die des hl. Huber-
tus (f 727) zu St-Hubert u. a. (Bild 278). Doch müssen wir
darauf verzichten, uns bei ihnen Aufschluß über die Be-
schaffenheit der gallikanischen Stola zu holen. Dieselben
stammen alle aus späterer Zeit. Wie es mit dem Orarium in
Italien in vorkarolingischer Zeit aussah, wissen wir gleich-
falls nicht.
Eine bessere Kenntnis der Stola gewinnen wir erst seit
dem 9. Jahrhundert. Die Liturgiker lassen uns freilich hin-
sichtlich ihrer Beschaffenheit so viel wie ganz im Stich, und
zwar gilt das nicht bloß bezüglich eines Hraban und Amalar,
sondern auch noch bezüglich eines Honorius, Sicard, Innozenz
und selbst Durandus. Alle schwei-
gen einhellig von der Farbe, der
Ausstattung und dem Stoff des
Ornatstückes und geben uns höch-
stens zu verstehen, daß es einen
langen, bis fast zum Boden rei-
chenden Streifen darstellte.
Bild 278. Stola.
St-Hubert (Ard.).
Indessen ersetzen diesen Mangel zur Genüge
sonstige gelegentliche Notizen, die Angaben der
Schatzverzeichnisse, die Bildwerke und eine Reihe
von noch vorhandenen Stolen.
Über den Stoff, aus dem die Stola ge-
macht werden mußte, bestanden keine Bestim-
mungen. Riculf von Soissons will, daß jeder
Priester zur Messe eine seidene Kasel habe;
bezüglich der Stola gibt er dagegen keine solche
Vorschrift, sondern verlangt nur stolas duas
ndtidas, „zwei reine Stolen".
Noch beim Ausgang des Mittelalters gab
es ebensowohl Stolen von Linnen und Wollstoff
wie Stolen von Seide. Zu Fest- oder bischöf-
lichen Stolen verwendete man natürlich besseres
Material. Doch waren, wie aus den Inventaren
hervorgeht, schon im 12. Jahrhundert auch die
Alltagsstolen sehr gewöhnlich aus Seide.
Nicht immer wurden übrigens die Stolen
aus streifenförmig zugeschnittenen Stoffen an-
gefertigt; man stellte sie auch unmittelbar als
Band auf dem Webstuhl her. Solche Stolen sind
z. B. die sog. Bernulfusstola zu Utrecht, die
Bild 279. Stola aus dem Grabe
Theodorichs II. von Trier.
Trier, Donmmseuni.
592 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
St Martinsstola zu Aschaffenburg und die Stola zu St-Hubert. Andere lehr-
reiche Beispiele sind eine dem hl. Bernhard zugeschriebene Stola in St-Donat
zu Arlon , eine von demselben Heiligen der Überlieferung nach herrührende
Stola in der Liebfrauenkirche zu Trier und die im Grabe des Trierer Erz-
bischofs Theodorich IL (f 1242) aufgefundenen Stolareste im Dommuseum zu
Trier (Bild 279, S. 591). Alle diese Stolen sind nach Art breiter Tressen oder
Borten gewebt und teilweise den Besätzen ähnlich, mit denen man die Kasein
und die sonstigen Paramente zu verzieren pflegte. Übrigens waren bandartig
gewirkte Stolen nicht bloß im IL, 12. und 13., sondern auch noch im 14. und
15. Jahrhundert gebräuchlich. Besondere Erwähnung verdienen die nach
Weise der sog. Kölner Borten gewebten Stolen mit ihrer kräftigen, nach
Farbe und Dessin gleich wirkungsvollen Musterung. Ein gutes Beispiel der-
selben findet sich im Schatz von St Marien zu Danzig, ein anderes im Schatz
des Domes zu Halberstadt.
Schon früh werden mit Gold verzierte Stolen genannt. Sie begegnen
uns schon im 9. Jahrhundert. Eine solche Stola sandte z. B. Patriarch
Nicephorus dem Papst Leo III. zum Geschenk. Auch in den Inventaren des
9. Jahrhunderts Averden Stolen dieser Art aufgeführt; so im Verzeichnis der
Gaben Ansegisus' von Fontanelle: stolae auro paratae 5, im Inventar von
St Bavo zu Gent: stolam 1 auream et 2 cum auro, im Inventar von Mar-
chiennes. Bei solchen Stolen bestand entweder bloß das Endstück aus einem
Goldgewebe, oder es war das ganze Ornatstück mit Gold durchwirkt bzw.
sein Fond, wie bei den Resten der prächtigen Stola Frithestans von Winchester
im Museum zu Durham (Anfang des 10. Jahrhunderts), in Gold ausgestickt.
Im 10., 11. und 12. Jahrhundert ist häufig von kostbaren, mit Gold-
verzierungen versehenen Stolen in den Inventaren die Rede. Man vergleiche
beispielsweise das Testament Riculfs von Eine: stolae 4 cum auro, die In-
ventare von Cremona: 3 stolae aureae egregio opere comptae, und Clermont-
Ferrand: stolae ab auro 3, die Schenkung Madalwins von Passau: stolae 2 . . .
auro et gemmis paratae, die Inventare von Lamspringe: 5 stolae deauratae,
Speier: stolae 3 auro textae, Abdinghof zu Paderborn: stolae 6 auro textae,
Ely: 15 stolae cum aurifriso (sie), Enger: 4 stolae . . . auro lapidibusque ornatae,
die Schenkung des Bischofs Pelagius von Leon (1073): 2 stolae argenteae et
alia auro fressa (sie) u. a. Zu Prüfening besaß man acht mit Gold und Silber
geschmückte Stolen; zu St Gallen hatte man ihrer nach einem dem 11. Jahr-
hundert angehörenden Inventar sogar achtzehn, nicht eingerechnet die acht
goldverzierten Stolen, die zu ebensovielen vollständigen Meßornaten gehörten.
Das Inventar des Domes zu Bamberg aus dem Jahre 1128 erwähnt 17 Gold-
stolen '. Natürlich war man nicht überall in so glücklicher Lage wie zu
St Gallen und zu Bamberg.
Seit dem 13., namentlich aber im 14. und 15. Jahrhundert wurden die
Stolen nicht selten mit Gold oder vergoldeten Blechen in der Form von
Rosetten, Vierpässen, Rauten usw. besetzt. Auch verwandte man wohl Email-
plättchen, Perlen und Edelsteine zu ihrer Verzierung, wenngleich solche Pracht-
stolen, wie leicht begreiflich, nicht allzu häufig gewesen sein werden. Mit
besonderer Vorliebe aber wurden die Stolen mit Stickereien versehen, und
zwar waren es nicht bloß geometrische oder vegetabilische Muster, mit denen
man sie bestickte, sondern auch wohl figürliche Darstellungen.
Vgl. auch Chron. Cassin. 1. 3, c. 18 74 (M. G. SS. VII 711 753).
Zweites Kapitel. Die Stola. 593
Schon die Stola Frithestäns im Museum zu Durham, die vorzüglichste und
zugleich eine der ältesten unter den noch erhaltenen mittelalterlichen Stolen,
ist mit Heiligenfiguren bestickt. Auch von den Stolen aus dem späteren
Mittelalter sind verschiedene mit Nadelmalereien dieser Art versehen ; so z. B.
die Stola des hl. Edmund zu Pontigny, die zum Meßgewand des sei. Albertus
Magnus gehörende Stola in St Andreas zu Köln und die interessante in der
„Zeitschrift für christliche Kunst" von A. Schnütgen veröffentlichte Stola in
dem Xantener Dom. Auch die Inventare gedenken solcher mit Bildwerk
geschmückter Stolen, so die Inventare von St Paul zu London, von Cluny
und St Peter zu Rom (1361), das Schatzverzeichnis des Apostolischen Stuhles
von 1295 u. a.
Fransen und Quasten hat man schon wenigstens im 9. Jahrhundert
zur Ausstattung unseres Ornatstückes verwendet. Auf den Miniaturen der
karolingischen Zeit ist die Stola regelmäßig unten mit Fransen geschmückt.
Auch auf den Bildwerken des 10., 11. und der folgenden Jahrhunderte fehlen
die fimbriae selten, und so bleibt es das ganze Mittelalter hindurch. Bei reicheren
Stolen wurden die Fransen oder Quasten gern durch Glöckchen oder birn-
und eicheiförmige Behänge aus vergoldetem Silber ersetzt. Bereits in der
Nachlassenschaft Riculfs von Eine (f 915) wird unter den vier mit Gold
verzierten Stolen una cum tintinnabulis genannt. Von den sieben Stolen, welche
Meinwerk der von ihm gestifteten Abtei Abdinghof zu Paderborn schenkte,
war eine mit 27, eine andere mit 21 Schellchen geschmückt. Ein Beispiel
solcher mit metallenen Behängen versehenen Stolen wird noch im Schatz der
Kathedrale zu Sens aufbewahrt. Sie wird gewöhnlich als Stola des hl. Thomas
Becket bezeichnet. Wie kostbar diese Behänge bisweilen waren, erhellt aus
einer Notiz des Inventars der Kathedrale zu Cremona von 984, wonach die
88 dependentiae von zwei Stolen, zwei Manipeln und zwei Cingula zusammen
nicht weniger denn 31/2 Pfund reines Gold ausmachten. Auch auf den Minia-
turen sind die Stolen vielfach mit Glöckchen und ähnlichen Zieraten verziert
(vgl. Bild 259, S. 533). Ihren Ursprung verdankt diese Ausschmückung unseres
Ornatstückes vielleicht der Erinnerung an die Glöckchen, mit denen die hyazinth-
farbige Obertunika des jüdischen Hohenpriesters am unteren Rand besetzt
sein mußte.
Kreuze begegnen uns, wenngleich nur vereinzelt, schon im 11. und
12. Jahrhundert auf den Stolen. Diejenige des hl. Thomas von Canterbury
zu Sens ist schon in der jetzt üblichen Weise mit solchen ausgestattet; denn
es findet sich von den drei Kreuzen, mit denen sie versehen ist, eines in der
Mitte und je ein anderes an den beiden Enden, wo die Streifen sich zu er-
weitern beginnen. Wie indessen die Bildwerke, die Inventare und namentlich
die noch vorhandenen Exemplare mittelalterlicher Stolen beweisen , sind
Kreuze auf unserem Gewandstück erst um den Ausgang des Mittelalters
häufiger geworden. Zwar sollte der Priester schon zu Durandus' Zeiten, also
in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die Stola beim An- und Ablegen
küssen, und der 14. Ordo gibt sogar genauer die Stelle an, wo dies zu ge-
schehen habe , nämlich etwa um die Mitte 1 ; allein daß zu dem Ende ein
Kreuz daselbst anzubringen sei, davon vernehmen wir nichts; ja die nicht
sonderlich bestimmte Ausdrucksweise des 14. Ordo, es solle der Bischof die
1 C. 53 (M. 78, 1157): Deinde accipiat stolam et deosculatam circa medium ponat circa
Collum suum.
Braun, Die liturgische Gewandung. 38
594 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Stola „um die Mitte" küssen, läßt vermuten, daß es damals noch nicht Regel
gewesen sei, jene mit einem Kreuz in der Mitte auszustatten. Für den Stand
der Dinge im 14. und 15., ja noch im beginnenden 16. Jahrhundert ist be-
zeichnend, daß von den zahlreichen aus jener Zeit stammenden Stolen in
St Marien zu Danzig nur eine ein Kreuz aufweist.
Allgemein wurde die Sitte erst im Lauf des 16. Jahrhunderts, so zwar,
daß es sogar bald üblich wurde, nicht bloß ein Kreuz auf der Stola anzu-
bringen, sondern drei. Die Veranlassung, sie in der Mitte mit einem solchen
zu versehen, bildete wahrscheinlich eben die Gewohnheit, die Stola vor dem
Anlegen zu küssen. Das römische Missale spricht nicht ausdrücklich von
einem Kreuz auf der Stola; wenn es aber bemerkt: accipiens stolam simili
modo deosculatur, nämlich wie den Manipel, so ist darin wohl angedeutet,
daß es auch bei der Stola in der Mitte ein solches voraussetzt.
Über die Farbe der Stolen gab es natürlich noch keine Bestimmung,
solange sich überhaupt keine liturgische Farbenregel herausgebildet hatte.
Man verwandte sie daher in jeglicher Färbung zu der jeweiligen Kasel, wie
es gerade passend erschien. Doch wurde schon im 11. und 12. Jahrhundert
die Stola häufig der Farbe und dem Stoff nach der Kasel angepaßt, indem
sie als Zubehör zu derselben aufgefaßt wurde. Beispiele hierfür enthält das Re-
gister von Rochester. So schenkte nach demselben Erzbischof Lanfrank (f 1089)
eine Kasel samt Stola und Manipel aus dunklem Purpur, Bischof Walter
(f 1182) eine Kasel nebst Stola und Manipel aus grünem Seidenstoff, Bischof
Gwalerannus (f 1184) eine Kasel, Dalmatik, Stola und einen Fano aus rotem
Zeug. Von Frau Alicia de Lillingstune heißt es: Dedit casulam et albam
paratam et stolam et phanum unius panni1. Die Regel war das aber noch
nicht. Denn gerade das Register von Rochester bietet auch zahlreiche Bei-
spiele für das Gegenteil. Erst als sich ein liturgischer Farbenkanon heraus-
gebildet hatte, wurde es allmählich ständiger Brauch, die Stola hinsichtlich
der Farbe sich nach der Kasel richten zu lassen. Da jedoch die Farben-
regeln im Mittelalter keineswegs so strikte durchgeführt wurden , wie das
heute geschieht, so wurden auch noch nach Entstehung bestimmter Farben-
vorschriften kostbarere Stolen ohne Rücksicht auf ihre Farbe zu allen Sorten
von Kasein gebraucht.
Größere Übereinstimmung hinsichtlich der Farbe wie überhaupt bezüglich
der Ausstattung und sonstigen Beschaffenheit herrschte wohl schon früh
zwischen Stola und Manipel. Der Manipel galt nicht nur als ein Seitenstück zur
Stola, sondern auch als Zubehör zu derselben. In den Inventaren werden deshalb
die Manipel nicht nur sehr gewöhnlich mit den Stolen zusammengestellt, sondern
auch geradezu als Zubehör zu derselben bezeichnet: stolae cum manipulis suis
oder ähnlich. So heißt es z. B. im Inventar von St Georg zu Köln (11. Jahrh.):
12 stolae cum totidem fanonibus , in einem Schatzverzeichnis der Abtei
Martinsberg (12. Jahrh.): 6 stolae cum earum manipulis, in der Chronik von
Monte Cassino: stola optima una auro brusta (goldbestickt) cum manipulo
suo. Sonstige lehrreiche Beispiele der Übereinstimmung zwischen Stola und
Manipel liefern das Register von Rochester: stola et phanum de albo filo
lineo, stola et phanum de alba purpura, die Inventare von Cremona, Speier,
Muri, Georgenberg bei Goslar, Abdinghof zu Paderborn, Ely u. a.
Was die Gestalt der Stola anlangt, so war diese unzweifelhaft im
9. Jahrhundert allenthalben ein bloßes Band wie später. Denn die Stola er-
scheint selbst auf den Darstellungen , auf welchen der Manipel sich hin-
Zweites Kapitel. Die Stola.
595
reichend klar als streifenförmig gefaltetes Tuch zu erkennen gibt, wie auf dem
Widmungsbild der Bibel Karls des Kahlen, deutlich als ein förmlicher Streifen.
Bemerkenswert ist, daß die Stolen in der Frühe unseres Jahrtausends
durchweg die bedeutende Länge von 2,50 m und mehr hatten. Ihre Breite
war jedoch sehr gering. So gibt es jetzt noch Stolen aus dieser Zeit von nur
0,04 — 0,05 m Breite. Es waren die Stolen also damals nicht selten lediglich
lange, aber schmale, an den Enden mit Fransen verzierte Bänder. Im späteren
Mittelalter begannen die Stolen an Länge zu verlieren, dagegen an Breite
etwas zu gewinnen. Noch die Statuten von Lüttich aus dem Jahre 1287
schreiben vor, es solle die Stola ad minus usque ad paramentum oder besser
bis zum Saum der Albe herabhangen K Die
Synode von Cambrai von 1300 begnügte sich
schon damit, zu verordnen, sie solle bis zum
Albenbesatz reichen 2.
Im übrigen entwickelt sich die Stola hin-
sichtlich ihrer Gestalt ganz analog dem Manipel,
was allerdings angesichts der nahen Bezie-
hungen beider Ornatstücke zueinander auch
durchaus natürlich ist.
Auch bei der Stola fehlen bis gegen das
1 1 . Jahrhundert vielfach besondere Endansätze ;
wo solche aber vorkommen, sind sie in der
Regel rechteckig oder quadratisch. Dann be-
ginnt sich bei ihnen, wie die Monumente be-
kunden, die Trapezform immer mehr einzu-
bürgern (vgl. Bild 259, S. 533), aus welcher
sich im Verlauf des 12. Jahrhunderts durch Zu-
nahme an Länge und Breite die noch im 13. sehr
beliebte Schaufelform entwickelt. Gerade diese
schaufeiförmigen Enden waren es, welche man,
wie die Inventare dartun, gern mit reicherem
Schmuck
bringung
Bild 280. Stola. Danzig, Marienkirche.
versah und namentlich zur An-
figürlicher Darstellungen benutzte.
Kann man diese schaufelartigen Ansätze auch
nicht besonders schön nennen, so Avaren sie
doch anderseits noch lange nicht jene häß-
lichen Schaufeln und Taschen, welche der späte Barock und das Rokoko
hervorbrachten ; denn ihre Maßverhältnisse blieben stets innerhalb bescheidener
Grenzen. Um den Ausgang des 13. Jahrhunderts verschwand die Schaufel-
form wieder. Die Endstücke kehrten entweder zur Gestalt eines Rechtecks
bzw. Quadrates zurück oder verschmolzen, was ebenso häufig war, mit der
Stola zu einem Ganzen, so daß diese dann einen einförmigen, allenthalben
gleichbreiten Streifen darstellte. Gegen Ende des Mittelalters kam aber hie
und da wiederum die Sitte auf, die Stola an dem unteren Ende etwas zu
verbreitern, ohne daß dabei jedoch die Endteile nach Weise des 12. Jahr-
hunderts als vom Streifen gesonderte Stücke behandelt wurden. Doch herrschten
noch bis in den Beginn des 16. Jahrhunderts Stolen von der Form eines über-
all aleichbreiten Streifens so sehr vor, daß man auf den Bildwerken dieser
Hartzh. III 690.
2 Ebd. IV 70.
38 "
596
Vierter Abschnitt. Die Insianien.
Zeit nur selten solche zu Gesicht bekommt, die an den Enden breiter werden.
Auch die zahlreichen, dem Ausgang des Mittelalters entstammenden Stolen
in St Marien zu Danzig und im Dom zu Halberstadt bekunden, daß das
Ornatstück damals für gewöhnlich ein Streifen war, der von
oben bis unten die gleiche Breite aufwies (Bild 280, S. 595).
Zur Vervollständigung des Bildes , das wir von der Stola des
Mittelalters entworfen haben, fügen wir eine kurze Beschreibung der
bemerkenswertesten unter den noch vorhandenen mittelalterlichen Stolen an.
Eine der ältesten und zugleich eine der vorzüglichsten ist ohne
Zweifel die schon gelegentlich erwähnte Stola Frithestans von Winchester
(t 933), die zugleich mit dessen früher besprochenem Manipel 1827 im
Grabe des hl. Cuthbert in der Abteikirche zu Durham aufgefunden wurde.
Material und Kunst, Gold, Seide und Stickerei haben sich auch bei ihr
vereinigt, um ein überaus glänzendes Ornatstück zu schaffen. Die Hei-
ligen , die auf ihr dargestellt sind, bestehen aus den alttestamentlichen
Propheten , Isaias , Jeremias , Daniel , Arnos , Abdias usw. Leider sind
nicht mehr alle Figuren erhalten. In der Mitte der- Stola ist in einem
Vierpaß das Lamm Gottes angebracht, auf der Vorderseite des einen ihrer
Endstücke der hl, Jakobus, auf derjenigen des andern der hl. Thomas.
Auf der Kehrseite tragen die Abschlufsansätze die Inschrift : Alfflaed fieri
precepit . . . Pio episcopo Frithestano '.
Die berühmteste der mittelalterlichen Stolen ist ohne Zweifel die dem
hl. Hubertus (t 727) zugeschriebene Stola zu St-Hubert in den Ardennen.
Der Eitus, Partikel derselben der Stirn derjenigen einzufügen, welche von
einem wütenden Hunde gebissen waren, ist bereits in dem gegen Ende
des 11. Jahrhunderts geschriebenen Liber miraculorum bezeugt und war
ohne Zweifel schon um die Wende des Jahrtausends im Brauch 2. Die
Stola muß demnach ebenfalls bereits um diese Zeit vorhanden gewesen
sein, da kein Grund vorliegt, anzunehmen, sie sei später durch eine
andere ersetzt worden. Dagegen ist es unseres Erachtens wenig wahr-
scheinlich, daß sie vom hl. Hubertus selbst herstammt. Sie mag bei
einer der zahlreichen Translationen des heiligen Leibes — wie solches
auch sonst geschah — in den Sarg des Heiligen gelegt, später dort ge-
funden worden und so in den Ruf gekommen sein, einst dem hl. Hu-
bertus wirklich angehört zu haben. Natürlich kann sie auch so nach altem
kirchlichem Brauch als Reliquie betrachtet und behandelt werden.
Die Stola besteht jetzt nur mehr aus zwei Stücken, von denen eines
0,684 m, das andere 0,264 m lang ist. Sie ist merkwürdig schmal;
denn ihre Breite beläuft sich nur auf 0,042 m. Die Fransen haben sich
bloß an einem Ende erhalten; sie haben eine Länge von 0,093 m. Die
Stola ist mit einer geometrischen Musterung versehen, wie sie uns auf
den Borten des 10., 11., 12. und 13. Jahrhunderts immer wieder be-
gegnet und für diese Zeit charakteristisch ist. Abschnittsweise ist das
Muster in Gold ausgeführt (Bild 278, S. 591).
Eine wertvolle Arbeit des 11. Jahrhunderts ist die dem hl. Bernulf
zugeschriebene Stola zu Utrecht. Ohne die Fransen, die 0,11 m lang
sind, beträgt ihre Länge 2,74 m bei einer Breite von ca 0,08 m. Die
in Gold auf Purpurgrund gewebten Darstellungen sind ganz dieselben
wie beim Manipel des Heiligen. Auch im übrigen ist die Stola diesem völlig gleich
(vgl. Bild 260, S. 535).
m
Bild 281.
Stola.
(Mittelstück.)
Halberstadt,
Dom.
1 Teilweise Abbildung bei Roh. VII, dxxxi.
2 A. SS. 3. Nov., I 873. Ausführlicheres
über die Stola, ihre heutige Beschaffenheit
und den erwähnten Ritus ebd. 1 868, wo zu-
gleich eine gute farbige Abbildung des Ornat-
stückes geboten wird.
Zweites Kapitel. Die Stola.
597
Dem 11. bis 12. Jahrhundert mag die Stola des hl. Martin in der Stiftskirche
zu Aschaffenburg angehören. Sie ist aus feinem Linnengarn gewebt, 3,08 m lang
und 0,07 m breit und von dunkelblauer Farbe. Das Ornament, womit sie versehen
ist, setzt sich aus fortlaufenden geometrischen Gebilden zusammen, in welchen als
Leitmotiv der Zickzack erscheint. In bestimmten Abschnitten sind Querstreifen an-
gebracht , welche in Kapitalen die doppelreihige Inschrift tragen : In nomine Domini
ora pro nie. Die Musterung ist von roter, die Inschrift von weißer Farbe. An den
Enden sind die Kettenfäden zu einer Art von Quastenfransen zusammengeflochten '.
Von den noch vorhandenen Stolen des 12. und 13. Jahrhunderts nennen wir vor
allem die Stola des hl. Thomas Becket zu Sens. Ihre Länge beträgt einschliefälich der
Endstücke 2,90 m, ihre Breite 0,095 m. Die Endstücke erreichen am unteren Band
die bedeutende Breite von 0,17 m. Ihre
Ausstattung ist derjenigen des früher
beschriebenen Manipels gleich.
Mit figürlichen Darstellungen be-
stickt ist eine kostbare Stola im Dom
zu Halberstadt. Sie ist 2,86 m lang
und 0,075 m breit. In der Mitte ist
in einem Kreise das Lamm Gottes an-
gebracht, rechts davon sehen wir unter
rundbogigen Arkaturen eine Folge
männlicher, links eine solche weib-
licher Heiligen. Arkaturen wie Figuren
— die Fleischteile und das Haar allein
ausgenommen — sind ganz in abge-
hefteten Goldfäden ausgeführt. Der
Fond innerhalb der Bogenstellungen
ist abwechselnd mit grüner, blauer und
roter Seide ausgestickt (Bild 281).
Eine Stola verwandter Art findet
sich zu Marienberg in Tirol. Sie hat
bei einer Breite von 0,06 m zur Zeit
nur noch eine Länge von 2 m. Die
Mitte nimmt hier ein aus rankenartigen
Motiven sich zusammensetzendes ro-
manisierendes Ornament ein, an wel-
ches sich rechts unter Rundbogen
die Standfigur Christi, links diejenige
Marias anschliefst. Dann folgen zu
beiden Seiten weitere Heilige. Alle
Darstellungen sind durch Inschriften gekennzeichnet, der Heiland durch Maiestas. Die
Stola ist wie die Halberstädter auf linnenem Fond ausgeführt, Gold ist bei ihr jedoch
nur in verschwindend geringem Umfang zur Verwendung gekommen. Der Fond ist
gleichmäßig in dunkler rotvioletter Seide ausgestickt, die Konturen der Darstellungen
sind in blauer Seide hergestellt. Die Stola mag wie die Halberstädter um die Mitte
des 13. Jahrhunderts entstanden sein -.
Dem hl. Edmund von Canterbury (f 1240) werden drei Stolen zugeschrieben.
Die eine wird zu Provins aufbewahrt. Sie ist 2,66 m lang und mit geometrischen
Mustern in Blau, Gelb, Gold, Rot, Grün bestickt, bietet aber sonst nichts Bemerkens-
wertes 3. Die andere befindet sich zu Pontigny. Sie hat bei einer Breite von 0,066 m
Bild 282. Stola. Sens, Kathedrale.
1 Abbildung bei Roh. VII, pl. üxxxiii.
2 Skizze und nähere Beschreibung der Stola
in Mitt. 1895, 190 f, wo dieselbe indessen ohne
hinreichenden Grund dem 12. Jahrhundert
zugewiesen und als das Werk Utas,
Gemahlin des Stifters von Marienberg
zeichnet wird.
3 Roh. VII 66.
der.
be-
598
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
eine Länge von 2.96 m. An den Enden erweitert sie sich in der Art der Stola
des hl. Thomas. Nach einer Skizze, welche Kohault de Pleury von ihr gibt, hat sie
als Schmuck figürliche Darstellungen, die in mandorlaförmigen, durch Ranken gebildeten
Medaillons angebracht sind '. Die dritte Stola befindet sich im Besitz der Kathedrale
Ton Sens. Auch sie erweitert sich an den Enden ein wenig, doch bleibt die Er-
weiterung in sehr mäßigen Grenzen (Bild 282, S. 597). Wie die Stola von Provins ist sie
mit geometrischen Dessins bestickt. Aus kleinen Goldrauten gebildete Linien teilen die
eigentliche Stola in Reihen von je zwei, die Enden in solche von je drei Quadraten,
die abwechselnd mit einer blauen und grünen Hakenfigur ausgestickt sind. Dieselbe
ist gelb konturiert und mit goldenem Kern gefüllt.
Eine Stola im Domschatz zu Anagni besteht aus einer der bekannten geometrisch
gemusterten Goldborten des 13. Jahrhunderts. Es genüge, hier auf sie aufmerksam
gemacht zu haben.
Die sog. Stola des hl. Regnobert zu Bayeux scheint nicht mehr ihre ursprüng-
lichen Maße zu besitzen. Denn sie hat bei einer Breite von 0,04 m eine Gesamt-
länge von nur 1,57 m, von der zudem noch auf jedes der beiden nach unten sich
auf 0,09 ni erweiternden Endstücke 0,15 m entfallen. Sie ist in Gold und Violett
nach Tressenart gewebt und war ehedem mit Perlen aufs reichste besetzt. Wie die
vorgenannten entstammt auch sie dem 13. Jahrhundert2.
Zu Trier werden im Dommuseum die Reste einer Stola aufbewahrt, welche man
1898 bei Restauration des Lettners im Grabe Theodorichs IL (f 1212) entdeckte. Sie
stellen ein schweres rotseidenes Band dar, dem in Gold Szenen aus dem Leben des
Erlösers eingewebt sind. An den Enden schloß die Stola mit einem kurzen , ein
wenig sich verbreiterndem Ansatzstück, das ebenfalls in Gold mit dem im 13. Jahrhundert
so häufigen Plechtwerk gemustert war. Von den verschiedenen Szenen, die auf ihr
zur Darstellung gekommen waren , sind noch gut erkennbar die Kreuzigung, der Ab-
stieg zur Vorhölle , der Besuch der Frauen am Grabe und die Himmelfahrt (vgl.
Bild 279, S. 591) 3.
Eine im Besitz der Liebfrauenkirche zu Trier befindliche Stola besteht aus einem
0,047 m breiten Seidenbande, das mit einer romanischen Rankenmusterung, der phan-
tastische Vögel- und Vierfüßlergestalten eingefügt sind, verziert ist. Der Grund der
Stola ist von violetter, die Zeichnung von weißer Barbe. Die Stola wird von der
Überlieferung mit dem hl. Bernhard in Verbindung gebracht. Auch eine Stola in
St-Donat zu Arlon soll von dem hl. Bernhard herrühren (vgl. Bild 265 , S. 540).
Sie ist 0,045 m breit und hat einschließlich der beiden 0,13 m langen Abschlußstücke
eine Gesamtlänge von 2,75 m. Von ihrer Beschaffenheit gilt , was früher über den
zur Stola gehörenden Manipel gesagt wurde.
Eine Stola zu Valsainte (Schweiz) ist genau von der gleichen Art wie der
seines Orts beschriebene , ebendort befindliche Manipel und unterscheidet sich von
diesem nur durch die größere Länge, 3,22 m, sowie durch die Farbe der Fransen
an den Enden, die hier rot sind.
1 Roh. VII 65. Text und Abbildung wider-
sprechen einander; wir glauben dieser den
Vorzug geben zu sollen.
2 Abbildung bei Roh. VII, pl. dxxxv; da-
zu p. 66, wo auch eine Stola des hl. Thomas
von Biville erwähnt wird (Abbildung ebd.
VIII, pl. bcviJ. Dieselbe scheint aus einer
mit Hakenmustern verzierten Goldborte zu
bestehen.
3 Vgl. des Verfassers Aufsatz „Die Stola
des Erzbischofs Theodorich II. von Trier" in
Zeitschrift 1901, 27 f. Die Stola wurde schon
von Wilmo wsky in „Die historisch denk-
würdigen Grabstätten der Erzbischöfe im
Dom zu Trier" Tu 6 auf Grund einer früheren
Eröffnung des Grabes beschrieben und ver-
öffentlicht. Sie wird hier und S. 17 irrig
als Stola Boemunds II. (t 1367) bezeichnet.
Die Abbildung, welche v. Wilmowsky von der
Stola gibt, ist nicht bloß stilistisch, sondern
auch, was die Darstellungen selbst anlangt,
sehr fehlerhaft. Reste einer der Trierer
qualitativ und technisch gleichartigen Stola
fand man bei Aufdeckung der Kaisergräber
in einem Bischofsgrabe zu Speier. Die Muste-
rung besteht hier jedoch nicht aus einer Folge
von Szenen aus dem Leben Christi, sondern
aus einer sich stets wiederholenden Einzel-
figur, dem thronenden Christus. Die Reste
befinden sich jetzt im Speierer Dom.
Zweites Kapitel. Die Stola.
599
>*!.*''»,■
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Eine interessante Stola zu Andechs ist leider nicht mehr vollständig, sondern
in späterer Zeit durch andere Stücke ergänzt worden. Der ursprüngliche Teil ist
eine mit vegetabilischen und animalen Motiven gemusterte Borte von 0,63 m Länge.
Von den Stolen, welche sich aus dem 14. Jahrhundert erhalten haben, seien
erwähnt die Stola im Dom zu Xanten und die zur sog. Kasel des sei. Albertus Magnus
gehörende Stola in St Andreas zu Köln. Die Xantener hat eine Länge von 2,97 m
und eine Breite von 0,085 m. Sie ist aus roter, mit Leinwand unterlegter Seide an-
gefertigt und mit figürlichen Darstellungen bestickt. In der
Mitte befindet sich eine Krönung Mariens begleitet von zwei in
Wolken schwebenden inzensierenden Engeln, an welche sich
dann rechts und links je sechs Apostel, einer der Stiftspatrone
und einer der Stifter anschließen. Alle diese Figuren sind
unter zierlichen , etwas gedrückten gotischen Arkaturen an-
gebracht, die knieenden Stifter nicht ausgenommen. Die Enden
sind mit Kauten gemustert, denen der Buchstabe A bzw.
eine Bosette eingestickt ist, und schließen mit einem schmalen
Goldbortchen und Kordonnetfransen von abwechselnd blauer,
weißer, grüner und roter Farbe ab. Die Stola besitzt überall
die gleiche Breite und scheint der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts anzugehören.
Die Stola in St Andreas zu Köln besteht aus blauem
Samt, ist von oben bis unten gleichbreit und mit zierlichen
Heiligenfiguren nach Weise des früher erwähnten, ebendort
befindlichen Manipels geschmückt. Auch bei ihr werden die
einzelnen Heiligen, welche ohne Baldachine übereinander an-
geordnet sind, durch fünf, zusammen ein Andreaskreuz bil-
dende, kleeblattartige Blümchen geschieden.
Für die Kenntnis der Stolen des 15. Jahrhunderts sind
die zahlreichen Stolen im Dom zu Halberstadt und in St Marien
zu Danzig (Bild 280, S. 595) sehr wichtig. Es sind einfache,
meist aus dem gleichen Stoff wie die zugehörige Kasel ge-
machte, allenthalben gleichbreite Streifen, welche als einzige
Ausstattung an den Enden Fransen aufweisen und bei einer
Breite von' ca 0,08 — 0,09 m eine Länge von ca 2,40 m be-
sitzen. Eine aus Goldstoff gemachte Stola im Historischen
Museum zu Bern ist durch ihre eigenartige Verzierung, schwarz-
samtene Kreuze, bemerkenswert. Sie ist 2,70 m lang, 0,06 m
breit und stammt aus dem Ende des 15. Jahrhunderts1.
Schon der neueren Zeit gehört eine Stola im Münster
zu Aachen an, welche Bock irrig dem 12. Jahrhundert zu-
schrieb -. Sie ist ein ebenso interessantes wie kostbares Stück.
Der Mitte zunächst sind ihr zwei Engel aufgestickt; dann
folgen rechts die Brustbilder der Evangelisten Markus und
Johannes, getrennt durch die Ganzfigur der Gottesmutter, die
Ganzfigur des hl. Nikolaus und die Brustbilder der Apostel
Petrus und Bartholomäus, links die Ganzfigur der Vorläufer des Herrn zwischen den
Brustbildern der Evangelisten Lukas und Matthäus, die Ganzfigur des hl. Johannes
Chrysostomus und die Brustbilder der Apostel Paulus und Simeon. Mit Ausnahme
der Gesichter, Hände und Füße ist sonst fast alles in Goldstickerei ausgeführt. Die
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Bild 283. Stola
(oberes Stück).
Aachen, Münster.
1 J. Stammler, Der Domschatz von
Lausanne, in „Katholische Schweizer Blätter"
X (1894) 179. Verschiedene beachtenswerte
Stolen aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert
besitzt auch das Kensington-Museum zu
London. Die hervorragendsten derselben
stammen aus der ehemaligen Bockschen
Sammlung, darunter die bei Bock II, Tfl 18,
n. 1 4 abgebildeten Stolen.
2 Bock, Gesch. II 70. Die Stola hat bei
einer Breite von 0,12 m die Länge von ca
3,10 m, die Fransen nicht eingerechnet.
600 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Darstellungen sind zeichnerisch mangelhaft, um so vollendeter ist die zur Anwendung
gekommene Technik. Die Stola, zu der ein ähnlicher Manipel gehört (vgl. Bild 267,
S. 542), ist eine südslavische Arbeit und wohl durch ungarische Pilger nach Aachen
gelangt (Bild 2S3, S. 599).
Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts nimmt die Stola an den Enden
rasch an Breite zu. Auffallend ist dies namentlich zu Rom wie in Italien
überhaupt. Eine vom hl. Karl Borromäus herrührende Stola in S. Maria
Maggiore zu Rom ladet an ihren Enden bereits in bemerkenswerter Weise aus.
Nach der Verordnung, welche der hl. Karl Borromäus über die Form
und Beschaffenheit der liturgischen Gewänder erließ, soll die Stola bei einer
Länge von etwa 2,60 m eine Breite von 11 cm haben. An den Enden soll
sich das Ornatstück nach und nach erweitern und am unteren Rand mit
ca 5^2 cm langen Fransen oder Quasten versehen sein. In der Farbe muß
es samt seinem Futter, das aus dünnem Seidenstoff zu bestehen hat, mit dem
Meßgewand übereinstimmen. Weiterhin ist es mit drei Kreuzen auszustatten,
einem in der Mitte und je einem an den Enden. Die Kreuze sollen klein und
quadratisch und ihre Balken etwa 3 unciae (= 5'/2 cm) lang sein. An die
Priesterstola soll nichts angehängt werden, an die Episkopal- und Diakonal-
stolen mag man zum Zweck der Befestigung derselben in der Mitte gleich-
farbige, seidene, mit Quästchen geschmückte Schnüre anbringen 1.
Ein getreues Echo der Verordnung des hl. Karl bildet die Bestimmung,
welche die Prager Synode vom Jahre 1605 hinsichtlich der Beschaffenheit
der Stola traf. Auch diese betont, es müsse die Stola von derselben Farbe
wie die Kasel sein, ein dünnes seidenes Futter von der gleichen Farbe
haben, sich an den Enden etwas erweitern, mit Fransen geschmückt sowie
mit drei Kreuzen versehen werden und endlich beiläufig 2,70 m lang und
0,12 breit sein 2.
Im allgemeinen bewahrte das Ornatstück bis in das 17. Jahrhundert hinein
noch eine angemessene Form, obgleich es an den Enden schon in erheblicherem
Maße an Breite zugenommen hatte, als gerade nötig, wünschenswert und schön
war. So steigt eine im Besitze des Collegium Canisianum zu Exaeten be-
findliche Meßstola, deren sich der sei. Petrus Canisius in seinen letzten Lebens-
tagen bedient hat, bei einer Streifenbreite von 9 cm und einer Gesamtlänge
von 2,50 m an den Enden auf 22 cm.
Die eigentliche Entartung der Stola begann um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts. Wie man den Manipel dadurch zu verschönern glaubte, daß man
seine Streifen verschmälerte, seine Enden aber ins Ungemessene verbreiterte,
so vermeinte man auch den Stolen einen Dienst zu erweisen, wenn man sie
oben zu einem schmalen Bande werden, unten dagegen zu Taschen oder
Schaufeln sich auswachsen ließ. Daher denn die Stolen mit den sinnlos breiten
Endstücken, welche bis ins 19. Jahrhundert in Mode waren und auch jetzt
noch nicht allerwegen ausgestorben sind.
Mit Recht gingen daher die Bemühungen zur Neubelebung und Hebung
des Paramentenwesens auch darauf hinaus, unter Anknüpfung an die bessere Ge-
pflogenheit einer vergangenen Zeit jene häßliche Stolaform zu beseitigen und
durch eine würdigere zu ersetzen. Es ist auch manches erreicht worden,
namentlich in Deutschland.
Ein neueres Provinzialkonzil, das von Prag aus dem Jahre 1860, welches
auf das Wiedererwachen des rechten Sinnes für edle Formen der liturgischen
1 A. E. Med. 626. 2 C. 13 (Hartzli. VIII 691).
Zweites Kapitel. Die Stola.
601
Gewänder großen Einfluß ausgeübt und dadurch sich wahres Verdienst erworben
hat, bestimmt betreffs der Stola: „Die Länge der Stola betrage wenigstens
4 Ellen (ca 21/2 m), so daß sie bis unter die Kniee reiche; breit sei sie etwa
eine halbe Hand (ca 8 cm), an den Enden aber soll sie nach und nach ein
wenig breiter werden und mit Fransen verziert sein." l
VIII. DIE STOLA IN DEN RITEN DES OSTENS.
Die Stola ist in allen Riten der Ostkirche in Gebrauch, und zwar kommt
sie in den meisten Riten, wie im Abendland, bloß den Diakonen, Priestern
und Bischöfen zu. Bei den Maroniten, Syrern (Bild 284) und Chaldäern be-
dienen sich ihrer auch die Subdiakone, bei den Maroniten außerdem die
Lektoren 2.
Nur im griechischen Ritus führt die Stola der Diakone einen von dem-
jenigen der priesterlichen und bischöflichen Stola verschiedenen Namen. Die
Diakonalstola heißt hier uipa-
ptov (slav. orar), die Priester-
stola sTtizpayjhov (slav. epi-
trachil). Die armenische Be-
zeichnung urar, die syrische
uroro, die koptische ba-
tras c h i 1 werden ohne Unter-
schied für beide Stolaarten
gebraucht, wenngleich diese
ihrer Gestalt nach voneinander
verschieden sind.
Die priesterliche (bi-
schöfliche) Stola tritt
vornehmlich in zwei übrigens
ganz verwandten Formen auf.
Nach der einen ist sie ein
ca 1,20 m langes und ca 0,18
bis 0,20 m breites seidenes
Zeugstück, welches nahe einer der beiden Schmalseiten mit einem Ausschnitt
zum Durchstecken des Kopfes versehen ist. Dasselbe ist mit Futterstoff unter-
legt, von Borten ringsum eingefaßt und mit Kreuzen besetzt, von denen eines
sich oberhalb des Kopfdurchschlupfes befinden muß. Die andere nähert sich
mehr der abendländischen Priesterstola. Bei ihr ist das geschilderte Zeugstück
vom Kopfdurchlaß an der ganzen Länge nach, also bis zum andern Ende,
in zwei gleichbreite Streifen zerschnitten, von welchen jeder von einer Borte
umrahmt und mit den obligaten Kreuzen verziert ist. Die beiden Streifen
sind aber stets an mehreren Stellen aneinander genäht, so daß sie zuletzt
doch als ein Ganzes erscheinen (Bild 285, S. 602).
Bei den Armeniern, Syrern und Kopten ist bloß die erste Art der Priester-
stola im Gebrauch. Im griechischen Ritus ist die zweite bevorzugt, doch
kommt darin auch die andere zur Verwendung. Eine bestimmte Farbe ist
Bild 284. Weihe der Subdiakone. Miniatur eines syrischen
Pontifikale (1239). Paria, Bibl. Nat.
1 Tit. 5, c. 7, n. 2 (Coli. Lac. V 539).
2 Auch der chaldäische Ritus kennt ein
Orarium der Lektoren. Es wird denselben
bei ihrer Weihe von dem Bischof auf die
ausgestreckten Arme gelegt. (Denzinger,
Ritus Orient. II 228; Asa, Bibl. III 2, 796.)
In der Praxis kommt es bei ihnen jedoch
nie zur Verwendung.
602
Vierter Abschnitt. Die Insisnien.
für das Ornatstück in keinem der verschiedenen Riten vorgeschrieben. In der
Regel folgt es indessen in Beziehung auf die Farbe dem liturgischen Mantel,
dem Phelonion.
Die Priesterstola wird gerade wie im lateinischen Ritus unter dem
Obergewand getragen. Sie wird mittels des Gürtels am Körper befestigt
und hängt bei den Bischöfen wie bei den Priestern vom Hals gerade herab.
Nur bei den Chaldäern machen letztere eine Ausnahme, da sie das Ornat-
stück, Avie es im Abendlande Vorschrift ist, über der Brust kreuzen müssen.
Es gleicht daher auch die Priesterstola des chaldäischen Ritus der Form
nach abweichend von dem sonstigen Brauch des Ostens der lateinischen Stola.
Die Stola der Diakone ist ein ca 0,08 — 0,10 m breites und 2,50 — 4 m
langer, meist seidener Zeugstreifen, der bei den Griechen in der Regel von
weißer Farbe ist. Der große Unterschied in der Länge des diakonalen Orarium
hängt mit der Weise zusammen, in welcher es angelegt wird. In dieser Be-
^11 — I7N. <H — IK ziehung herrscht nämlich in den einzelnen Riten der
Ostkirche eine verschiedene Praxis.
V
*
*
*
*
*
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*
^
*
SS
Im
griechischen Ritus läßt man das Orarium ent-
weder sofort von der linken Schulter nach vorn und
rückwärts herabfallen oder schlingt es von dort zuvor
schärpenartig um Rücken und Brust. Die erstere Weise
ist die gewöhnliche und verbreitetste, die letztere ist bei
den Ruthenen und Bulgaren üblich. Vor der Kommunion
legen übrigens überall im griechischen Ritus die Diakone
das Ornatstück in derselben Form um, wie die griechi-
schen Subdiakone ihr Cingulum 1.
Bei den Armeniern (Bild 286) tragen die Diakone
die Stola entweder nach Art der abendländischen oder
der bulgarischen Diakone (vgl. Bild 40, S. 93). Bei den
maronitischen Lektoren hängt das Orarium von der
a b rechten Schulter herab; die maronitischen, syrischen
Bild 285. Priesterstola und chaldäischen Subdiakone schlingen es um den Hals,
des griechischen (a b), iüdem sie dabei die Enden von der linken Schulter nach
syrischen armenischen yom und nach rückwärts herabwerfen. Die Diakone
und koptischen (b) Ritus
der Maroniten, Syrer und Chaldäer lassen das Orarium
von der linken Schulter über Brust und Rücken gerade herunterfallen. Bei
den Kopten endlich legen die Diakone die Stola nach bulgarischem Brauch um.
Die Verwendung, welche die Stola in der Ostkirche findet, ist im
ganzen die nämliche wie im lateinischen Ritus. Sie ist auch dort das litur-
gische Universalgewand. Desgleichen gehört die Bekleidung mit der Stola
überall in der Ostkirche zum Ritus der Ordination der Diakone und Prie-
ster. Bei den Syrern (vgl. Bild 284, S. 601), Chaldäern und Maroniten bildet sie
außerdem einen Bestandteil der Subdiakonen- und Lektorenweihe (diese jedoch
bei den Syrern ausgenommen). Ein besonderes Gebet während der Zeremonie
zu verrichten, ist nicht in allen Riten üblich. Bei den Maroniten spricht
der Bischof, wenn er dem Lektor das Ornatstück anlegt: „Bekleide, o Herr,
diesen deinen Diener mit dem Orarium des Lektorats zum Preise Gottes
und zur Erbauung der heiligen Kirche und aller ihrer Kinder, im Namen
des Vaters" usw. Ähnlich lautet das Gebet, mit dem der Bischof die Zere-
1 S. oben S. 116 und Bild 53, S. 115.
Zweites Kapitel. Die Stola.
603
monie bei der Weihe des Subdiakons, Diakons und Priesters begleitet. Bei
den Griechen begnügt er sich dagegen während der Übergabe der Stola an die
Diakone und Priester mit dem Worte ägwg, „würdig". Bei den Syrern
betet der Bischof, wenn er den Ordinanden mittels der Stola bekleidet,
ähnlich wie bei den Maroniten: „Zum Lob, zur Ehre, zur Zierde und zur
Erhöhung der hochheiligen und wesenseinen Dreifaltigkeit und zum Frie-
den wie zur Erbauung der heiligen Kirche Gottes." Im koptischen Ritus
spricht er bei Vollziehung der Zeremonie: „Ruhm und Ehre sei der
heiligen, wesenseinen Dreifaltigkeit, dem Vater, Sohne und Heiligen Geiste;
Friede und Wachstum Gottes heiliger Kirche.
Amen." 1
Bei der Geschichte der Stola in der Ost-
kirche müssen wir uns in Anbetracht der Spär-
lichkeit des vorhandenen Materials auf die
Hauptpunkte beschränken 2. Die Priesterstola
wird zuerst in der Varopia erwähnt, also immer-
hin noch vor dem 9. Jahrhundert. Einen andern
frühen Hinweis auf dieselbe bildet der Brief des
Patriarchen Nicephorus an Papst Leo III. Denn
obgleich unter dem dort erwähnten iTzixpa'/rjhov
die abendländische Stola zu verstehen sein wird,
so beweist doch die dafür gebrauchte Bezeich-
nung, daß auch im griechischen Ritus schon
damals eine Priesterstola in Gebrauch gewesen
sein muß.
Bei Pseudo-Germanus heißt das Ornatstück
■Ktpirpay-qhov und znnpay'qhov. Man hat gemeint,
mit den beiden Worten würden wegen der ver-
schiedenen mystischen Erklärungen, welche an der
fraglichen Stelle von denselben gegeben werden,
zwei verschiedene Gewandstücke bezeichnet.
Unter dem nspirpa'/rjAiov sei die Priesterstola
und dem emzpa^Xtov die bischöfliche Stola zu
verstehen. Das ist indessen unrichtig. Die
Bischöfe und Priester trugen das Gewand stets
auf ein und dieselbe Weise. Zudem wird sonst
nicht bloß die Bischofsstola, sondern auch die
Priesterstola kniTpay-fjhov genannt 3. Tatsächlich gibt aber auch Pseudo-
Germanus keine Deutung von zwei Gewändern, er erklärt vielmehr zunächst
Bild 286. Armenische Diakonstola.
Düsseldorf, Kunstgewerbemuseum.
1 Ass., C. 1. 1. 8, pars 2, 28 47 80 143.
Ebd. pars 4, 208 214. (In den älteren grie-
chischen Weiheordines fehlt das begleitende
äfrog.) Mart. 1. 1, c. 8, art. 9, ordo 19 22 23;
II 96 f 115 119.
2 In der Revue de l'Orient chretien (1905,
309 f 350 f ) hat S. Putrides die von Ana-
stasius Bibliothecarius 869 — 870 zu Konstan-
tinopel angefertigte und Karl dem Kahlen
(p. 297) gewidmete lateinische Übersetzung
der ' laropia veröffentlicht. In dem Schreiben
an Karl heißt es, die Schrift werde von den
Griechen dem hl. Germanus von Konstanti-
nopel zugeschrieben. Ob dieser wirklich der
Verfasser ist, muß dahingestellt bleiben, doch
dürfte die Schrift allem Anschein nach immer-
hin in das 8. Jahrhundert hinaufreichen (vgl.
oben S. 10).
3 S i m e o n. T h e s s. , De sacra liturgia
c. 83 (M. 155, 262); Philo th. Patr., In
ordine sacri ministerü (M. 154, 748). Andere
Stellen bei D. C, Gloss. graec. I, Breslau 1891,
348. In den Handschriften der'Iaropia, welcher
Pseudo-Germanus den ersten Teil seiner Erklä-
rung entlehnt hat, steht bald iTttrprjyrjhov bald
-zpnpay-^Xiov für ein und dasselbe Gewand.
604 Vierter Abschnitt Die Insignien.
die Stola als Ganzes, wobei er sie nepirpa^rjkwv nennt, damit die Symbolik
besser passe. Er sieht nämlich in der Stola ein Abbild der Halsfesseln des
Heilandes. Dann gibt er an, was die beiden Streifen sinnbilden. Der rechte
ist Abbild des Rohres, das die Schergen dem Heiland in die Rechte gaben,
der linke Sinnbild des Kreuzes, das der Herr auf seinen Schultern trug 1.
Aus den andern Riten liegen Nachrichten über die priesterliche Stola
aus dem ersten Jahrtausend unseres Wissens nicht vor. Denn die unter dem
Namen des Severus von Antiochien von Boderianus herausgegebene syrische
Liturgie, das Rituale des koptischen Patriarchen Gabriel2, das „Buch der Väter",
die syrischen, chaldäischen und armenischen Weiheordines u. a., die ihrer
Erwähnung tun, gehören erst späterer Zeit an.
Sehr früh vernehmen wir von dem diakonalen Orarium. Dasselbe be-
gegnet uns schon kurz nach der Mitte des 4. Jahrhunderts, und zwar als ein
in der ganzen Ostkirche gebräuchliches Gewandstück. Am ersten redet die
Synode von Laodicea von ihm. Es verbietet can. 22 derselben dem unspizrjQ,
dem Subdiakon , sich des Orarium zu bedienen und von der Türe sich zu
entfernen, wo er Aufsicht zu führen hatte. In gleicher Weise bestimmt can. 23:
„Die Lektoren und Cantores dürfen das Orarium nicht tragen und so lesen
oder psallieren." 3
Das Orarium ist hier offenbar ein liturgisches Ornatstück und kein pro-
fanes Tuch. Es folgt das namentlich aus can. 23. Es wird nicht ausdrücklich
als spezifisches Gewand der Diakone bezeichnet; allein aus der Natur des
Verbotes folgt, daß das Orarium, wenn nicht überhaupt den höheren Ordines,
so doch wenigstens den Diakonen zustand.
Was seinen Charakter anlangt, so liegt auf der Hand, daß es kein
Tuch gewesen sein kann, das bestimmten liturgischen Verrichtungen des
diakonalen Ministerium diente; denn in diesem Fall hätte es offenbar keinen
Sinn gehabt, daß auch die Subdiakone und Lektoren sich vermaßen, es zu
tragen. Ebenso kann es kein Tuch gewesen sein, das lediglich persönlicher
Zwecke halber da war, etwa zum Abtrocknen des Schweißes, zum Schutz des
Halses oder der Kleidung usw., da ja auch in diesem Falle die Synode sicher
nicht das Verbot erlassen haben würde. Das Orarium, von dem die Kanones
des Laodicenum sprechen, kann also nur als ein auszeichnendes Gewand-
stück der Diakone und als deren Distinktivum gegenüber den niederen
Klerikern, also nur als eine Art von Abzeichen des Ordo verstanden werden.
Als ein solches Amtsabzeichen müssen wir auch das Orarium auffassen,
von dem wir im jüngst entdeckten Testamentum Domini N. I. Christi hör-en.
„Wer unter den Diakonen", so lesen wir dort, „durch Fleiß und Verwaltungs-
tüchtigkeit hervorragt, soll mit der Aufnahme der Fremden beauftragt werden
und in dem in der Kirche befindlichen Hospiz weilen, wobei er mit weißem
Gewände bekleidet zu sein und auf der Schulter nur das Orarium zu tragen
hat." i Eines Handtuches bedurfte der Diakon, dem die Sorge für die Fremden
anvertraut war, doch nur bei gewissen Gelegenheiten; wozu ihm also vor-
schreiben, in seinem Dienst ein solches beständig bei sich auf der Schulter
zu haben? Dagegen war es durchaus zweckmäßig, daß er stets in seiner
Amtstracht war, der weißen Tunika und dem offen (nicht verdeckt durch ein
Obergewand) auf der Schulter getragenen Orarium, damit die Fremden ihn
1 Mg. 98, 394. 3 Hard. I 786. Über die Zeit, da das
2 Renaudot Euseb., Liturgiarum Orient. Konzil abgehalten ward, vgl. Hef., Concilien-
collectio I, Frankfurt 1847. 160. geschichte 1 746 ff. ' L. 1, c. 24, p. 83.
Zweites Kapitel. Die Stola. 605
in jedem Augenblick als den erkennen konnten, an welchen sie sich zu
wenden hatten.
Bei Isidor von Pelusium (f ca 440) heißt das Orarium d&ovq, lintenm,
Linnentuch. „Das Linnentuch", so schreibt derselbe, „mit dem ausgestattet
die Diakone ihre gottesdienstlichen Verrichtungen im Gotteshause vollziehen,
erinnert an die Verdemütigung, welcher der Herr sich unterzog, als er seiner
Jünger Füße wusch und abtrocknete. Das nicht aus Linnen, sondern aus
Wolle gemachte Omophorion des Bischofs symbolisiert hingegen das Schäflein,
das der Herr in der Irre suchte und auf seinen Schultern heimwärts trug." 1
Das Linnentuch der Diakone, das hier als diakonales Charakteristikum er-
scheint, wie das Omophorion, dem es gegenübergestellt wird, bischöfliches
Abzeichen war, ist zweifelsohne dasselbe Gewandstück, welches das Lao-
dicenum und das Testamentum orarium nennen. Man hat aus den Worten
des Heiligen schließen wollen, es sei die dd-üvi) eine Art von Abputztuch
oder liturgischer Serviette gewesen. Allein das geht zu weit und liegt
nicht in dem Vergleich, den Isidor anwendet. Isidor will bloß sagen: das
Abzeichen des diakonalen Dienstes solle den Diakon an die Demut Christi er-
innern, die dieser an den Tag legte, als er sich zum Diener seiner Jünger
machte, und ihn zu gleicher Demut ermuntern, wie ja das bischöfliche Abzeichen,
das Omophorion, dem Bischof den Eifer zur Nachahmung ins Gedächtnis
rufen solle, mit dem der Heiland dem verlorenen Schäflein nachging. Die
oäovy erscheint also lediglich als Abzeichen des diakonalen Ministerium.
Vielleicht noch etwas früher als bei Isidor begegnet uns das Orarium
der Diakone unter dem Namen ödövy in der wohl von Severian von Gabala
(f nach 408) verfaßten Predigt vom „verlorenen Sohne" 2. Denn wenn darin
die Diakone geschildert werden als ausgerüstet bei Verrichtung ihres heiligen
Amtes in Nachahmung der beschwingten Engel mit feinem Linnentuch auf
der linken Schulter, so ist auch hier die ddövr) ersichtlich das sonst Orarium
genannte diakonale Ornatstück. Wir machen auf den Vergleich aufmerksam,
den Severian anwendet, da er wenig zur Annahme paßt, es sei die dbovij ein
Tuch gewesen, das der Diakon zu dienstlichen Zwecken bei sich getragen.
Später vergleichen auch Pseudo-Germanus und Pseudo-Sophronius im An-
schluß an die Predigt vom „verlorenen Sohne" die Diakone mit Engeln und
ihr Orarium mit den Flügeln der Engel.
Seit wann bei den Syrern, Chaldäern und Maroniten auch die S üb-
el iakone bzw. die Lektoren des Orarium sich bedienten, ist nicht fest-
zustellen. Jedenfalls ist der Brauch nicht erst jüngeren Datums, da schon
in dem „Buch der Väter" 3 und im arabischen Kommentar zum Laodicenum
seiner gedacht wird4. Das „Buch der Väter" gibt einen sonderbaren, nicht
gerade geschmackvollen Grund an, warum die Diakone und Subdiakone sich
mit dem Orarium schmückten. Das Ornatstück soll eine Erinnerung an die
Tiereingeweide sein, mit denen die Juden zum Spotte der Apostel Hals umgeben
hätten. Da es sich nämlich nicht zieme, daß auch wir dergleichen um den
Hals hingen, so trügen die Diakone und Subdiakone das Orarium, um so den
Aposteln wenigstens einigermaßen zu gleichen. Daß auch bei den Armeniern die
Subdiakone sich früher der Stola bedienten, erhellt aus den diesbezüglichen aus-
' Epp. 1. 1, n. 136 (Mg. 78, 272). Saloniki (De sacr. ordinat. c. 174 [Mg. 155,
2 Mg. 59, 520. Die Deutung, welche 381]) wiederholt.
Severian vom Orarium gab, hat gefallen; 3 La scienee catholique 1890, 450.
denn sie wurde selbst noch von Simeon von * Ass., Bibl. III 2, 805.
606
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Bild 287. Bittgottesdienst. Miniatur aus einer
Homiliensammlung Gregors v. Nazianz.
Paris, Bibl. Nat.
drücklichen Angaben des Nerses von
Lampron 1. Sie hatten dieselbe in der
linken Hand. Es braucht kaum wieder-
holt zu Averden, daß die subdiakonale
Stola, von der Nerses erzählt, mit dem
heutigen Manipel der armenischen Sub-
diakone eins ist.
Der arabische Kommentator des
Laodicenum will can. 22 desselben mit
der bestehenden syrischen Praxis aus-
gleichen. Er gibt ihm daher den Sinn,
es sei in ihm den Subdiakonen nur
verboten, das Orarium wie die Diakone
von der linken Schulter herabhangen
zu lassen, nicht aber, es um den Hals
zu schlingen , wie das die Diener der
Könige täten.
Hinsichtlich der Beschaffen-
heit der Stola in der Ostkirche fehlen
die Nachrichten fast ganz. Der Name
dtluvT) und der Vergleich mit den Engels-
flügeln dürfte darauf hinweisen, daß
das diakonale Orarium um den Beginn
des 5. Jahrhunderts noch ein förmliches (wenngleich wohl zu einer Art von
Streifen zusammengelegtes), aus Linnen angefertigtes Tuch war. Von dem
Epitrachelion hören wir bloß, daß man es
wohl mit reichen Verzierungen zu versehen
pflegte2. Ob es je ein eigentliches Tuch
war, wie lange es das blieb und wann es
zu einem Bande wurde, davon wird uns nichts
berichtet; wir erhalten darüber auch nicht
einmal eine Andeutung.
Leider geben auch die Bildwerke über
die Beschaffenheit des Orarium und des
Epitrachelion in älterer Zeit keinen Auf-
schluß. Monumente, auf denen das diakonale
Orarium zum Vorschein kommt, sind uns keine
bekannt geworden, welche über die letzte
Hälfte des 9. Jahrhunderts hinausreichten.
Das Epitrachelion begegnet uns aber auf
den bildlichen Darstellungen erst ein ganzes
Jahrhundert später.
Die früheste Abbildung des Ora-
rium der Diakone, die zu unserer Kenntnis
gekommen ist, findet sich auf einigen Minia-
turen der für Basilius I. (867 — 886) geschrie-
benen Sammlung der Homilien Gregors von
Bild 288. St Abibus. Miniatur im
Menologium Basilius' IL Rom, Vatikan.
1 Kommentar zur beil. u. göttl. Liturgie c. 5
(ed. Venet. 80 f). Vgl. auch oben S. 550.
2 Vgl. das Schreiben des Patriarchen Nice-
phorus an Leo III. (M. 102, 1068) und das
des Patriarchen Petrus von Antiochien an den
Patriarchen Michael Cärularius (Mg. 120, 800).
Zweites Kapitel. Die Stola.
607
Nazianz in der Pariser Nationalbibliothek (Bild 287). Gute Beispiele aus der
Wende des ersten Jahrtausends bieten verschiedene Darstellungen (Bild 288)
im Menologium Basilius' IL (976 — 1025). Das Ornatstück ist dort und hier,
gerade wie in der ganzen Folgezeit auf den Bildwerken, ein langes, schmales,
von der linken Schulter über Brust
und Rücken herabfallendes Band. Das-
selbe ist nur mit kleinen Kreuzen ver-
sehen, sonst aber noch ohne alle Ver-
zierung, während es später auf den
Monumenten auch wohl mit Schluß-
stücken und Fransen an den Enden und
ähnlichem ausgestattet ist. Das drei-
malige 'AyioQ, das doch schon zur Zeit
Simeons von Saloniki auf dem diako-
nalen Orarium angebracht wurde *,
findet sich niemals auf den Bildwer-
ken. Es scheint demnach erst im
späteren Mittelalter Brauch geworden
zu sein, das Ornatstück mit ihm zu
schmücken.
Es verdient angemerkt zu werden,
daß auf einzelnen Darstellungen heilige
Diakone auf der linken Schulter einen
Umwurf tragen. Eine verwandte Er-
scheinung finden wir auf abendländi-
schen Monumenten wiederholt beim
hl. Laurentius und beim hl. Stephanus.
Man darf das Tuch nicht mit dem
Orarium verwechseln. Weil, wie übri-
gens auch natürlich, ganz durch den
Umwurf verdeckt, ist letzteres in den
meisten Fällen unsichtbar. Es wäre
indessen verkehrt, daraus zu schließen,
eben jenes Tuch solle das Orarium
sein. Denn es gibt Bildwerke, auf
w
denen der Künstler beide zugleich dar-
\immi
zustellen verstanden hat. Der Umwurf
ist bald das antike Mantelpallium, mit
dem in der altchristlichen Kunst die
heiligen Diakone Stephanus und Lau-
Bild 289. Griechische rentius regelmäßig ausgestattet sind,
Priesterstola. bald, wie es scheint, eine Art von
Düsseldo^Kun^gewprbe- y^^ ^ dem ^ Hei]jgen einß
Pyxis halten.
Das Epitrachelion tritt auf den Monumenten auffallenderweise
erst um die Wende des Jahrtausends auf. Wir sehen es häufig auf den
Miniaturen im Menologium des Basilius IL (Bild 245 und 246, S. 490; 269,
S. 552). Es hat hier die Form eines schmalen, an seinen Enden reich ver-
*"™ilp!.
Bild 290.
Reichgestickte
griechische Priester-
stola von 1617.
1 De sacris ordinal c. 173 (Mg. 155, 381).
608
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
zierten Streifens und ist in der Regel von weißer Farbe. Die Enden hangen
bald mehr oder weniger übereinander, bald nebeneinander, ein Beweis, daß
man im Beginn dieses Jahrtausends die jetzige Form des Epitrachelion noch
nicht kannte. Kreuze finden sich noch nicht regelmäßig auf dem Ornatstück
angebracht.
Gegen Ende des Mittelalters hat das Epitrachelion auf den Bildwerken
schon an Breite gewonnen und sich insofern der modernen griechischen Stola
genähert. Doch besteht es noch immer aus zwei frei vom Halse herabfallenden
Streifen. Ob es auch schon im Mittelalter mit ornamentalem und bildlichem
Schmuck versehen wurde, muß dahingestellt bleiben, da weder die Bildwerke
darüber Auskunft geben, noch mittelalterliche Stolen dieser Art vorliegen.
In der Neuzeit war solches Brauch, wie verschiedene aus dem 16. und 17. Jahr-
hundert stammende, ungemein kunstvoll in Gold, Silber und Seide bestickte
Stolen beweisen (Bild 289 u. 290, S. 607) K
Über die Verwendung der Stola in der Vergangenheit hören wir kaum
etwas. Im späteren Mittelalter durfte nach griechischem Brauch der Priester
ohne das Epitrachelion keine Amtshandlung vornehmen. Wenn derselbe darum
irgend eine Funktion dieser Art zu vollziehen, etwa die Taufe zu spenden
hatte, eine Stola aber nicht zur Hand war, so mußte er den Gürtel, ein Band
oder irgend ein Tuch segnen und nach Weise des Epitrachelion umlegen "2.
Der Diakon benutzt nach gegenwärtigem Brauch sein Orarium beim
Gottesdienst, um mittels desselben bei bestimmten Gelegenheiten ein Zeichen
zu geben. Er hält zu dem Zwecke in den meisten Zweigen des griechischen
Ritus das nach vorn herabfallende Ende des Ornatstückes beständig in der
Hand. Schon Balsamon kennt den Brauch 3. Derselbe muß also bereits im
12. Jahrhundert bestanden haben. Eingehendere Mitteilung erhalten wir über
ihn in der unter dem Namen des hl. Johannes Chrysostomus gehenden
Liturgie 4. Die Sitte , mit dem Orarium bei dem heiligen Opfer Zeichen zu
geben, ist übrigens unseres Wissens nur dem griechischen Ritus eigen.
IX. URSPRUNG DER STOLA.
Es bleibt noch die Frage nach dem Ursprünge der Stola bzw. des
Orarium. Von einem der jüdischen Kultgewänder des Alten Bundes kann
dieses Ornatstück auf keinen Fall herstammen. Wie für den Manipel, so
gibt es auch für die Stola so wenig ein Vorbild unter den aaronitischen Priester-
kleidern, daß es nicht einmal die alten Liturgiker unternommen haben, die-
selbe von einem der Opfergewänder des mosaischen Kultus abzuleiten. Pseudo-
Alkuin sagt sogar, wie bezüglich des Manipels, so auch hinsichtlich der Stola,
ausdrücklich: Sunt tarnen alia, quae apud illos non habebantur, ut stola,
1 Vgl. auch das kostbare Epitrachelion vom
Jahr 1651 in „Die katholische Kirche" II,
München 1900, 374. Die Abbildungen be-
weisen, wie falsch es ist, wenn man die
griechische Kunst des späten Mittelalters
und der Neuzeit als schlechthin dem Stadium
äußerster Dekadenz verfallen hinstellt, wie
das doch sehr gewöhnlich geschieht. Nament-
lich ist die in Bild 290, S. 607 wiedergegebene
Stola mit ihren bis ins kleinste fein aus-
geführten, zahlreichen, nur ca 0,10—0,12
hohen Figürchen voll Ausdruck und Adel ein
Meisterwerk der Nadelmalerei, zu dem man
im Abendland nicht viele Gegenstücke aus
gleicher Zeit finden dürfte. Die Photographie
zu Bild 290 wie zu Bild 243, S. 487 verdanke
ich der Freundlichkeit des Direktors des
Kunstgewerbemuseums zu Düsseldorf, Herrn
H. Frauberger.
2 Simeon. Thess. , Responsa ad Gabr.
Pentap. qu. 17 (Mg. 155, 868).
3 In can. 22 Syn. Laodic. (Mg. 137, 1369).
1 Mg. 63, 901 ff. Vgl. auch Philoth.
Patr. ,Inordinesacriministerii(Mg. 154, 752).
Zweites Kapitel. Die Stola. 609
sandalia et sudarium *. Der Ursprung der Stola muß also in anderer Weise
erklärt werden. Sehen wir zu, wie man solches versucht hat und was von
den verschiedenen Erklärungsversuchen zu halten ist.
Eine ehedem weit verbreitete, aber auch noch in jüngerer Zeit wieder-
holt ausgesprochene Ansicht faßt die Stola auf als den allein übrig gebliebenen
Besatz eines „Stola" genannten Gewandes. Sie gründet sich also auf den
Namen „Stola".
Die Ansicht tritt in drei verschiedenen Schattierungen auf. Nach der
ersten wäre die Stola herzuleiten von den Längsstreifen, den clavi, der Tunika
der römischen Matronen, die „Stola" genannt wurde und in kirchlichen Gebrauch
übergegangen sein soll. Lassen wir uns die Sache näher erklären.
Wie die paenula , sagt man , in den ersten christlichen Jahrhunderten zum
gottesdienstliclien Gebrauch erhoben und der Name derselben unverändert beibehalten
wurde, so sei auch ein anderes Ehrengewand, die Stola der römischen Matronen, als
gottesdienstlicher Ornat bei der Feier der heiligen Geheimnisse der Christen in Brauch
genommen worden, ohne daß man sich veranlaßt sah, den Namen desselben zu ändern,
indem seine bisher gebräuchliche Form unverändert belassen wurde. Das einzige
verzierende Ornament, womit das faltenreiche Gewand der Stola des klassischen
Altertums gehoben wurde , habe in einem , kaum eine Hand breiten Streifen (fascia)
bestanden, der als Verzierung in Gold- oder Purpurstoffen so auf die Stola aufgenäht
war, daß er als fascia, limbus die Stola an zwei Stellen parallel laufend verzierte
und auf beiden Seiten über die Schulter als langer Streifen bis zu den Füßen herunter-
stieg. Wie Durandus (Rat. III, 5) ganz richtig bemerke, sei dieser schmale ver-
zierende Streifen, ähnlich einer Schlinge, als auszeichnendes Ornament von der alten
Stola heute nur allein übrig geblieben und der faltenreiche Unterstoff, das eigentliche
primitive Stolagewand des Altertums, fortgefallen, so daß heute auf einen kleineren
ornamentalen Teil der Name des ehemaligen weiten Gewandes stola übergegangen sei.
Die Stola soll von Konstantin an bis zum 6. Jahrhundert noch als faltenreiches
Gewand mit aufgenähten Bandstreifen ohne Veränderung bestanden und auf den
Mosaiken in S. Vitale zu Eavenna sich in der Tunika des Erzbischofs Maximianus
und seiner Diakon e in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten haben. Daß aber die
von dem Gewände übrig gebliebenen Streifen orarium genannt wurden, soll seinen
Grund in der Ähnlichkeit dieser fasciae mit dem im profanen Leben gebräuchlichen
orarium (Halstuch) haben.
Andere lassen, um den Namen orarium besser erklären zu können, die
Stola in einem im übrigen analogen Prozeß statt aus den senkrechten Parallel-
streifen aus dem Besatz entstehen, welcher den unteren Saum (ora) des
alten Matronen- und angeblich späteren Priestergewandes verzierte und allein
von diesem übrig geblieben sein soll. Die dritte Modifikation endlich geht
dahin, es sei die „Stola" ein vorn offenes Kleid und die jetzige liturgische
Stola bzw. das Orarium die Einfassung der Halsöffnung und des vorn vom
Halse nach- unten verlaufenden Schlitzes gewesen. Sie glaubt, durch diese
Annahme am leichtesten die Namen Stola und Orarium wie auch die Trag-
weise der priesterlichen Stola erklären zu können.
In welcher Form indessen auch die Hypothese auftritt, sie ist in jeder un-
zutreffend und unannehmbar.
Es ist allerdings richtig, daß schon sehr früh im christlichen Kultus eine lange
Tunika in Gebrauch war ; allein es ist doch wohl nicht zutreffend , daß dieselbe von
der römischen Matronentunika abstammt, am wenigsten aber, daß sie von dieser den
Namen angenommen hat. Verkehrt ist es auch, in den mit Streifen versehenen
1 Psendo-Alkuin, De div. offic. c. 38 (M. 101, 1240).
Braun, Die liturgische Gewandung.
610 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Tuniken des Erzbischofs Maximianus und seiner Diakone die Stola wiedererkennen
zu wollen ; das fragliche Gewand ist die Dalmatik. Weiterhin ist nirgends eine Spur
von der Umwandlung der angeblichen Stola als Gewand in die Stola als Streifen
zu entdecken , und doch sollte man meinen , das völlige Verschwinden eines so
faltenreichen und weiten Kleides, wie die Stola es war, unter bloßer Erhaltung ihrer
Streifen bzw. der Saumeinfassung, habe sich nicht vollziehen können, ohne irgend
eine Erinnerung daran zurückzulassen, zumal noch im 6. Jahrhundert dieses Gewand
in Brauch gewesen sein soll. Im Gegenteil finden wir, daß die Besätze der stola
genannten Tunika selbst, nachdem sie angeblich zur jetzigen Stola geworden waren,
mitsamt der ganzen Tunika vor wie nach auf den Bildwerken erscheinen. Dazu
kommt, daß die Zierstreifen, die zum Orarium geworden sein sollen, aus Purpur-
stoffen angefertigt waren, während doch die griechischen und spanischen Orarien
aus weißem Zeug bestanden.
Warum, so fragen wir ferner, erscheint, wenn das Orarium von der alten Ma-
tronenstola abstammen soll, der Name stola nicht da zuerst, wo jenes Gewand zu
Hause war, und wie kommt es, daß er im Norden am frühesten auftritt, ja allem
Anschein nach dort zur Benennung des Ornatstückes wurde? Und wie ging es zu,
daß aus den Doppelstreifen bzw. dem Bandbesatz der stola genannten Talartunika
die Diakonal- und Priesterstola hat werden können? Wie entstand aus den zwei
Streifen, die sich vorn und rückwärts von der Schulter bis zu den Füßen hinzogen,
das nur auf der linken Schulter aufliegende Orarium des Diakons und die um den
Hals sich hinziehende und in zwei Streifen über die Brust herabfallende bischöfliche
oder die vor derselben sich kreuzende priesterliche Stola? Wie kam es, daß, wenn
man das Orarium vom unteren Saumbesatz ableitet, dieser auf die linke Schulter oder
den Hals heraufstieg, und wie geschah es, daß dasselbe, falls man es als die ehe-
malige Einfassung der vordem Öffnung betrachtet, zur Diakonalstola wurde? Und
dann gab es ja doch im griechischen Ritus eine Stola bereits um die Mitte des 4.,
in Spanien aber schon wenigstens in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts, also eine
Weile vor der angeblichen Umbildung der „Gewand "-Stola in die „Streifen "-Stola.
Man beruft sich auf Durandus '. „Man beachte", so führt derselbe aus4, „daß
vor alters die Stola ein weißglänzendes Kleid war, das bis zu den Füßen reichte
und dessen sich die Patriarchen vor dem Gesetze bedienten , das die Erstgebornen,
wenn sie den Segen des Vaters erhielten , anzogen und in dem sie dem Herrn als
Priester opferten ; allein nachdem man anfing, die Albe zu tragen, wurde sie in einen
torques (Kette, Schmuekkette, Halsjoch, Ringel, Guirlande, hier wohl Streifen) um-
gewandelt." Allein wo ist in diesen Worten von der stola matronafis, die zum
christlichen Kultkleide geworden , und überhaupt von einer Stola im Sinne eines
langen tunikaartigen Sakralgewandes des Neuen Bundes die Rede? Wo spricht
Durandus von den fasciae und den andern Besätzen, und wo führt unser Liturgiker
aus, daß von der alten Matronenstola nur die Verzierungen in Gestalt der jetzigen
Stola übrig geblieben seien ? Der Verfasser des Rationale will nur sagen : Im Alten
Bunde war die stola ein bis zu den Füßen herabwallendes priesterliches Kleid der
Erstgebornen zur Patriarchenzeit. Nun aber hat, da man im christlichen Kultus die
Albe trägt , das Gewand , welches man stola nennt, ein anderes Aussehen , als jenes
patriarchale Priestergewand es besaß, indem es jetzt einen torques darstellt. Auf
eine Entstehung der Stola geht Durandus nicht ein. Es ist in der Tat schwer ver-
ständlich, wie man den Worten des Durandus, dessen Mangel an historischem Sinn
zudem doch männiglich bekannt ist, je irgend eine Bedeutung hat beilegen können.
1 Ebd. 1.3, c. 5, n. 6; f. 69. Ähnlich wie Albe zu tragen, habe man die Stola, die
Durandus sprechen auch Honorius (Gemma vestis Candida, pertingens ad vestigia er-
1.1, c. 205 [M. 172, 606]) und Sicard setzt durch die „Streifenstola". Daß letztere
(Mitralis 1. 2, c. 5 [M. 213, 74]), von denen der allein beibehaltene Besatz der „Gewand-
der Verfasser des Rationale seine Äußerung stola" sei, rindet sich in ihren Worten nicht
entlehnt zu haben scheint. Auch sie wollen nur nicht ausgesprochen, sondern nicht einmal
nur sagen, als man angefangen habe, die angedeutet.
Zweites Kapitel. Die Stola.
611
Eine zweite Meinung möchte das Wort orarium mit orare (beten) in
Verbindung bringen und den Ursprung unseres Gewandstückes in einer Art
Gebetsmantel suchen. Die Juden, heißt es ihr zufolge, hätten die Gewohnheit
gehabt, beim öffentlichen Gebete sich eines besondern Umhangstuches, einer
Art von Ephod, zu bedienen, das von dem gleichnamigen hohenpriesterlichen
Gewände zwar verschieden, aber demjenigen ähnlich gewesen sei, mit dem
David (2 Kg 6, 14) vor der Arche bekleidet war. Da nun das Christentum
zunächst unter den Juden seine Anhänger gefunden habe, und zumal in den
Städten die ersten Gläubigen zum großen Teil Judenchristen gewesen seien,
habe sich auch bei den Christen die Gewohnheit herausgebildet, beim Gottes-
dienst sich jenes Gebetsmantels zu bedienen. Auf ein solches Gewand, meint
man, spiele wahrscheinlich die Apokalypse an, wenn sie die Altesten mit
vestimentis albis vor dem Thron des Lammes angetan sein läßt; auch glaubt
man in den weißen Mänteln, welche die 24 Ältesten auf alten Mosaiken so
umhüllen, daß sie nicht bloß deren Schulter, sondern auch deren Hände be-
decken1 — wie man sagt, im Altertum das besondere Zeichen der Flehenden — ,
den fraglichen Gebetsschleier zu erkennen. Derselbe soll überhaupt auf ver-
schiedenen Monumenten der altchristlichen Zeit auftreten, zumal aber auf Gold-
gläsern, auf welchen wir z. B. die Apostelfürsten, die hl. Agnes u. a., darunter
auch Personen in der Haltung von Oranten, mit einem um die Schultern ge-
worfenen und mittels einer Spange auf der Brust festgehaltenen Umhangs-
tuch dargestellt sehen 2. Dieser Gebetsmantel, so erklärt man weiter, sei
anfangs Klerikern und Laien gemeinsam gewesen, später aber sei er bei den
letzteren abgekommen, wie das auch mit andern liturgischen Ornatstücken
geschehen sei ; seitdem habe er sich bloß im Gebrauch der Kleriker erhalten 3.
Indessen erheben sich auch gegen diese Ansicht ernste Bedenken. Die Ab-
leitung des Wortes orarium von orare im Sinne von beten findet sich erst im 12. Jahr-
hundert. Den Gebetsmantel der Juden, den sog. großen Tallith ', haben zudem, soweit
darüber ein Urteil möglich ist, die Tage Christi und der Apostel noch nicht gekannt.
1 Garr. IV, tav. 253 (Cosma e Damiano),
tav. 286 (S. Prassede), tav. 292 (S. Cecilia).
2 Ebd. III, tav. 179 181 182 (Petrus und Pau-
lus), tav, 187 (Christus), tav. 188 (Mavcellusund
Callistus), tav. 191 (Agnes), tav. 193 (Xystus
und Timotheus), tav. 185 (Ursus und Dion),
tav. 194 (Simon, Philippus, Damas und
Thomas) u. a.
3 Martigny, Dictionnaire des antiquites
chretiennes unter Orarium 545 und unter Vete-
ments 783.
4 Man unterscheidet zwei Arten des Tallith
(Talles) , den großen und den kleinen.
Letzterer, ein mäßig breiter, längerer Tuch-
streifen, der in der Mitte mit einem Loch
zum Durchstecken des Kopfes und an den
Enden mit den sog. Schaufäden versehen ist,
wird in Form eines Skapuliers unter den
oberen Kleidern getragen. Der erste, ein großes
Tuch, das an seinen Ecken — es sind deren
gewöhnlich vier — ebenfalls die Schaufäden
haben muß, wird beim Gebet, besonders in
der Synagoge, über den Kopf und die Schultern
geworfen. Wie es scheint, ist der Tallith nichts
anderes als ein Rest des altjüdischen Ober-
kleides, welches bekanntlich mit den Zizith
(Quasten) ausgestattet sein mußte (Nm 15,
38. Dt 22, 12). Auch der Heiland trug
diesen mantelartigen Überwurf (Mt 9, 20;
14, 36. Mk 6, 56). Die Quasten sollten den
Juden daran erinnern , daß er gehalten sei,
das Gesetz zu beobachten. Eine besondere
liturgische Bedeutung hatte dieser Mantel
zur Zeit Christi nicht. Den Charakter eines
Gebetsmantels scheint dieses Kleidungsstück
infolge der Zerstreuung des auserwählten
Volkes erlangt zu haben. Unter den Heiden
konnten nämlich die Juden den mit Zizith
versehenen Überwurf nicht mehr öffentlich
wie einstmals tragen. Darum lag es nahe,
seinen Gebrauch auf die Zeit des Gebetes
und namentlich der religiösen Zusammen-
künfte in den Synagogen zu beschränken,
für das gewöhnliche Leben aber in dem unter
den äußeren Kleidern verborgenen kleinen
Talles einen Ersatz desselben zu schaffen.
So aber dürfte dann unter dem Einfluß der
rabbinischen Doktrinen aus jenem Umwurf
sich allgemach ein Gebetsmantel, der große
Talles, herausgebildet haben.
39*
612 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Mit dem Ephod, einem Schulterkleid, hat dieses den Kopf und die Schultern bedeckende
Tucli nichts zu tun. Der Tallith ist, wie es scheint, rabbinischen Ursprunges. Zur
Zeit seiner Einführung war das jüdische Element in den christlichen Gemeinden
so gering, daß die Annahme, es hätten die Christen überhaupt um ihrer juden-
christlichen Glaubensgenossen willen einem talmudischen Gebrauch sich anbequemt,
durchaus unwahrscheinlich ist. Wohl haben auf den alten Monumenten die weib-
lichen Oranten eine Kopfverhüllung ; allein dieser Gebetsschleier ist nichts als das
gewöhnliche Frauenkopftuch und hat mit dem jüdischen Gebetsmantel, den die männ-
lichen Juden tragen , nichts zu schaffen. Ebenso unbegründet ist es in den weif3en
Gewändern der vierundzwanzig Altesten der Apokalypse eine Andeutung des Gebets-
mantels sehen zu wollen. Der Überwurf aber, den die apokalyptischen Greise auf den
Mosaiken tragen, ist dasselbe Gewand, mit dem auch Christus, die Apostel, die Engel
und sonstige Personen angetan erscheinen, das gewöhnliche Mantelpallium. Dasselbe
verhüllt allerdings die Hände der Ältesten , welche Kronen halten ; jedoch ist es
unrichtig, diese Verschleierung der Hände als ein Zeichen des Betens zu betrachten.
Wie immer es die Heiden damit gehalten haben mögen, die Oranten bekunden, daß
die Christen beim Gebet die Hände nicht zu verdecken pflegten. Wenn die Ältesten mit
den vom Pallium verhüllten Händen ihre Kronen dem Lamm darbringen, dann ist das
freilich der Ausdruck der Ehrfurcht sowohl vor dem Gegenstand selbst, den sie in
denselben halten, als auch vor demjenigen, dem sie ihre Weihegabe darbieten. Wie
wenig aber deshalb ihr Pallium als Gebetsmantel aufgefaßt werden kann, bekunden
jene häufigen Darstellungen, auf denen in ähnlichen Fällen die Planeta, ja selbst die
Chlamys, zur Verschleierung der Hände dient '.
Das Tuch, mit dem die hll. Petrus und Paulus, Agnes, Calixtus und andere
auf den Bildwerken bekleidet erscheinen, ist ein gewöhnlicher, auf der Brust fibulierter
Mantel oder Überwurf, der uns auch auf sonstigen Darstellungen mehrfach begegnet
und bald auf der Brust, bald auf der rechten Schulter mit einer Spange festgehalten
erscheint, also die lacerna. Derselbe könnte eher der Ahnherr unseres Pluviale als
der Stola sein. Ihn als eine Art von Gebetsschleier aufzufassen, dazu dürfte nicht einmal
dann ein Anlaß vorliegen, wenn die Oranten regelmäßig mit demselben angetan wären,
was jedoch nicht der Fall ist. Der fragliche Mantel findet sich fast nur auf einer Anzahl
von Goldgläsern, die dem Stil und dem Charakter der Bilder nach zu urteilen aus
einer Werkstätte stammen dürften. Daß der Künstler für seine Darstellungen (Brust-
bilder) die lacerna mit der Fibula auf der Brust wählte, erklärt sich unschwer aus
dem Umstände, daß gerade dieses Gewand ihm vom künstlerischen Standpunkt aus
für seine Darstellungen (Medaillons) am zweckmäßigsten erscheinen mochte. Auf
Mosaiken des 5. und 6. Jahrhunderts tragen allerdings, wie schon früher gelegentlich
gesagt wurde 2, auch die jüdischen Priester sowie Melchisedech und Jethro einen auf
der Brust mit einer Spange festgehaltenen Umwurf. So in Maria Maggiore 3 , in
S. Vitale zu Ravenna ', in S. Apollinare in Classe 5 und in S. Apollinare Nuovo 6.
Allein es ist wohl zu beachten , daß sie jenen Mantel nicht nur bei den wenigen
liturgischen Funktionen (Melchisedech , Jethro) , sondern auch bei Handlungen des
Alltagslebens haben. Ein Gebetsmantel ist derselbe nicht, sondern nur ikonographische
Eigentümlichkeit der alttestamentliehen Priester auf den altchristlichen Bildwerken,
zumal auf solchen, die unter dem Einfluß der Kunst des Ostens entstanden.
Eine bloße Behauptung und nichts mehr ist es, wenn man weiterhin sagt, es
hätten anfangs alle den Gebetsmantel getragen, dann aber hätten die Laien dem
Klerus denselben überlassen. Die geschichtlichen Quellen bieten weder direkt noch
indirekt für eine solche Hypothese einen Anhaltspunkt. Es ist freilich wahr, daß
gewisse nunmehr liturgische Gewandstücke ehedem auch im Gebrauch der Laien sich
befanden, z. B. die Tunika und die Kasel ; allein hier wissen wir auf Grund historischer
1 Garr. IV, tav. 252 256 2641 267 ' 272 a Garr. IV, tav. 2122 214 215 > 2182 2203.
u. a. ' Ebd. tav. 262 '. 5 Ebd. tav. 266.
2 S. oben S. 384. > Ebd. tav. 250° 251 3 i K
Zweites Kapitel. Die Stola. 613
Zeugnisse, daß dieselben sich nach und nach aus der gewöhnlichen und allgemeinen
Tracht ausschieden und zuletzt nur den fungierenden Klerikern verblieben.
Zu sonderbaren Kesultaten aber kommen wir, wenn wir der Zeit nachforschen,
in welcher der Gebetsschleier zum Orarium wurde. Die Mosaiken von S. Prassede,
welche unter Papst Paschalis I. (817 — 824) entstanden, zeigen die Ältesten noch mit
dem angeblichen Gebetsmantel bekleidet ; derselbe wäre also höchst merkwürdigerweise
noch im 9. Jahrhundert in Rom in Brauch gewesen. Will man aber jene Dar-
stellungen als unverstandene Kopien der Mosaiken in S. Cosma e Damiano erklären,
so wird man wohl annehmen müssen, daß der Gebetsmantel zu Rom immerhin noch
im zweiten Viertel des 6. Jahrhunderts, der Zeit, in welcher diese letzteren angefertigt
wurden, bekannt war. Oder sind vielleicht auch sie nur unbegriffene Nachbildungen
älterer Bildwerke ?
Unerklärlich bleibt endlich bei der Gebetsschleierhypothese, wie dieses anfangs
allgemein gebräuchliche, dann spezifisch liturgische Gewand sich sowohl zur diakonalen
als zur priesterlichen Stola ausbildete.
Eine dritte Ansicht führt die Stola teils auf ein Halstuch, teils auf
ein liturgisches Handtuch bzw. eine liturgische Serviette zurück. Aus einem
Halstuch, das den Zweck hatte, im Winter gegen die Kälte zu schützen, im
Sommer aber die Kleider vor dem Eindringen des Schweißes zu bewahren,
soll die römische Stola sowie die priesterliche und bischöfliche Stola der Kirchen
des Ostens, Galliens und Spaniens entstanden sein, aus einer liturgischen
Serviette das diakonale Orarium der orientalischen Riten , des altspanischen
Brauches und des gallikanischen Ritus.
Das Halstuch wurde dadurch zur Insignie, daß man zunächst anfing, es
streifenartig zu falten, und dann dazu überging, es durch einen bloßen Streifen
zu ersetzen, der natürlich praktischen Zwecken zu dienen nicht weiter im
stände war. Das Handtuch der Diakone aber soll sich dadurch zur diakonalen
Insignie umgebildet haben, daß die Subdiakone einen Teil der diakonalen Ob-
liegenheiten übernahmen, weshalb sie denn auch nunmehr bei ihrer Weihe als
Symbol ihres Amtes ein Kännchen mit Wasser, eine Schüssel und ein Hand-
tuch erhielten. Infolge dieser Verschiebung der diakonalen und subdiakonalen
Funktionen wurde nämlich, so sagt man, die diakonale Serviette ihrer an-
fänglichen praktischen Bestimmung entfremdet und zu einem bloßen Band,
das nur noch als Amtsabzeichen der Diakone getragen wurde.
Die Gründe, auf die hin man das römische Orarium und die priester-
liche und bischöfliche Stola im Orient, in Spanien und Gallien von einem
Halstuch ableiten zu sollen glaubt, sind der Name orarium und der Umstand,
daß in der Vita des hl. Fulgentius (f ca 530) ein orarium im Sinne eines von
den afrikanischen Bischöfen im Alltagsleben benutzten Halstuches erwähnt wird.
Als Beweise aber, daß das diakonale Orarium in der orientalischen, spanischen und
gallischen Kirche auf eine liturgische Serviette zurückgehe, bringt man vor:
1. Der Dienst der Diakone machte ein Handtuch oder liturgische Serviette
notwendig.
2. Auf antiken und altchristlichen Monumenten begegnen wir zwei Klassen
von Dienern , welche ein Tuch zusammengefaltet auf der linken Schulter
tragen, den camilli und delicati, den Opferknaben und Tafeldienern. Nun
waren aber die Diakone die ministri des Tisches des Herrn, also werden auch
sie ein Abputztuch, ein Handtuch oder eine Serviette bei ihrem Dienst über der
linken Schulter getragen haben.
3. Die öd-üvT) , welche den Diakonen bei Ausübung ihrer Funktionen
eignete, sollte nach Isidor von Pelusium denselben die Demut ins Gedächtnis
(314 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
rufen, die Christus dadurch bewies, daß er seiner Jünger Füße wusch und
abtrocknete. Sie muß also , schließt man , ein Abputztuch bzw. Handtuch
gewesen sein.
Diese dritte Hypothese steht wissenschaftlich ohne Zweifel ungleich
höher als die beiden vorhin besprochenen und verdient sicher alle Beachtung.
Indessen lassen sich denn doch auch gegen sie mancherlei Bedenken geltend
machen, namentlich was die gewollte Ableitung der diakonalen Stola außer-
halb Roms betrifft.
Wenn das Orarium der griechischen, spanischen und gallikanischen Diakone,
um mit diesem Punkte zu beginnen, ursprünglich ein von den diakonalen Funktionen
gefordertes liturgisches Handtuch im Sinne einer liturgischen Serviette war, wie
konnte dieses dann schon im Orient in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts und
in Spanien zum wenigsten bereits im Beginn des 6. Jahrhunderts zum bloßen Ab-
zeichen werden ? Hatte sich denn der Dienst der Diakone bis dahin schon so
wesentlich verändert, daß es als Handtuch weiterhin überflüssig geworden war ? Wenn
nicht, so ist nicht einzusehen, wie es zur bloßen Insignie werden konnte. Aber man
sagt uns, daß allerdings ihr Dienst teilweise ein anderer geworden sei, da die Sub-
diakone ihnen gewisse Funktionen abgenommen hätten, darunter namentlich auch die,
dem Priester das Wasser zur Händewaschung samt Handtuch zu reichen. Für das 6. Jahr-
hundert mag das zutreffen, nicht aber für das ausgehende 4. Jahrhundert. Zwar erfahren
wir schon aus dem achten Buch der Apostolischen Konstitutionen, daß der Subdiakon
dem Priester das Wasser zum Händewaschen darreichte. Allein der fragliche Passus
ist unzweifelhaft aus späterer Zeit. Deun daß in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts
es noch die Diakone waren, die das zu besorgen hatten, und daß die Subdiakone
damals noch vom Altare fern gehalten wurden, ergibt sich aus Cyrills von Jerusalem
23. Katechese l, dem 22. Kanon des Laodicenum, dem Testamentum Domini nostri Iesu
Christi, worin die Subdiakone ganz und gar zurücktreten, und der Schrift Quaestiones
ex utroque testamento -. Besonders interessant ist, was die letztgenannte Schrift sagt.
Sie bezeichnet es als einen Gebrauch aller Kirchen, daß die Diakone den Priestern
das Wasser reichten, und tadelt es, daß die Diakone es zu Eom anders hielten.
Doch einmal angenommen, es hätten bereits die Subdiakone in der zweiten Hälfte
des 4. Jahrhunderts das Amt erhalten , dem Priester beim Gottesdienst das Wasser
zur Händewaschung darzubieten : was folgt daraus für die Umbildung der Serviette
zur Insignie? Unseres Erachtens nichts. Oder hatten die Diakone die oflov/j während
der ganzen Zeit des Gottesdienstes bloß getragen , um sie bei höchstens zwei Ge-
legenheiten dem Priester zum Abtrocknen der Hände darzureichen? Wenn ja, warum
hielten sie dann überhaupt ein Tuch bei, das für sie sowohl praktisch wie als Ab-
zeichen keinen Sinn mehr hatte, nachdem es samt dem Dienst des Wasserreichens
an die Subdiakone übergegangen war? Wenn nein, wie konnte es dann, solange
nicht eine wesentlichere und einschneidendere Änderung eintrat als die angeführte,
zu einem bloßen Distinktivum werden ?
Das manutergium, das Handtuch, das doch den Subdiakonen nach den Statuta
ecclesiae antiqua oder dem sog. vierten Konzil von Karthago, schon im 5. Jahrhundert,
in Gallien bei der Weihe übergeben wurde, hat sich nie zur Insignie ausgebildet,
trotzdem die erwähnte Weihezeremonie sich allmählich im ganzen Abendland wie im
Orient verbreitete. Und da soll das die Diakone auszeichnende Tuch, welches wir
bereits in der Mitte des 4. Jahrhunderts im griechischen Ritus antreffen, ein Hand-
tuch gewesen sein? Welchen Zwecken diente überhaupt das Orarium im Sinne der
in Frage stehenden Hypothese? War es bloßes Handtuch? Aber wozu es dann
während der ganzen Messe auf der Schulter bei sich tragen? Haben etwa später
auch die Subdiakone es so mit dem manutergium gehalten, das sie gelegentlich dem
Priester anzubieten hatten ? Und wenn es ein Handtuch zum Abputzen der Hände war,
Cat. 23, n. 2 (Mg. 33, 1109). 2 N. 101 (M. 35, 2301).
Zweites Kapitel. Die Stola. 615
wie konnte es dann passenderweise noch zu sonstigen liturgischen Verrichtungen
gebraucht werden?
Man weist auf die camilli hin. Allein stehen dann diese mit den Diakonen
wirklich a pari ? ' Beschränkte sich etwa der letzteren Aufgabe ebenfalls darauf, dem
Bischof das Wasser über die Hände zu gießen und ihm dann das Handtuch zum Ab-
trocknen der Hände darzureichen ? Doch gewiß nicht. Es war das sogar der kleinste
und geringfügigste Teil ihrer dienstlichen Verrichtungen.
Aber auch die delicati beweisen nichts. Sie könnten doch höchstens dann als
eine Art wirkliches Gegenstück der Diakone bezeichnet werden, wenn das Orarium
der letzteren in der Tat ein für Abputzzwecke bestimmtes Tuch gewesen sein sollte;
allein das ist ja in Frage. Obendrein darf man, wie wir ebenfalls schon früher zu
bemerken uns veranlaf3t sahen, nicht außer acht lassen, daß der Dienst der delicati
nach der Natur und den Gepflogenheiten des antiken Gastmahles ein wesentlich anderer
war als der Dienst der Diakone am Altare Gottes. Auch dürfte es vielleicht am
Platze sein, darauf hinzuweisen, daß nicht alle delicati auf den Monumenten mit
einer Serviette versehen sind. Auf der Miniatur des vatikanischen Virgil, dem Gast-
mahl bei Diclo trägt das mantile auffälligerweise nicht der Diener, welcher mit Wasser-
krug und Schüssel ausgerüstet ist, sondern der Mundschenk.
Über die Worte Isidors von Pelusium ist schon früher gesprochen worden -.
Sie beweisen, daß die o'Iovy) Dienstabzeichen der Diakone war, aber auch nur dieses.
Wenn Isidor schreibt: 'II oe o&ow], jj.sf) r^ XEixoupYoüsiv Iv toi; «-/tot; 01 Siaxovoi,
so heißt das bloß: „Das Linnentuch, das die Diakone bei ihrem heiligen Dienst
tragen." Der Umstand, daß das Tuch im Gegensatz zum wollenen Omophorion des
Bischofs aus Linnen bestand, erklärt sich leicht durch die Tatsache, daß Linnen im
alten Ägypten das Gewöhnliche, "Wolle das Seltenere und Kostbarere war. Wer sich
etwas näher mit den altkoptischen Grabfunden beschäftigt hat, weiß, daß das Linnen
selbst bei den Obergewändern die Hauptrolle spielt. Außerdem wurden ja doch auch
nicht bloß die Handtücher und Servietten, sondern auch die Orarien, Sudarien u. dgl.
aus Linnen gemacht. Wenn aber Isidor die (38-ovv] auf den Heiland auslegt, der sich
zum Diener seiner Jünger machte, indem er ihre Füße wusch und abtrocknete, so
will er nur sagen, daß das Tuch, welches den Diakon als solchen bei seinen Funktionen
kennzeichne, ihn zugleich zur Demut mahne, indem es ihn an die Demut des Erlösers
erinnere , der es ja nicht verschmäht habe , Diener zu werden. Man darf aus den
Deutungen, welche man mit den liturgischen Gewändern verbunden hat, nicht zu viel
herauslesen ; andernfalls wird man oft zu sonderbaren Resultaten kommen. Im vor-
liegenden Fall wird man sich davor um so mehr hüten müssen , als das Orarium
schon ein halbes Jahrhundert vor Isidors Zeit als ein die Diakone kennzeichnendes
Gewandstück erscheint.
Es lassen sich also in der Tat gegen die Theorie, welche das diakonale Ora-
rium außerhalb Roms auf eine liturgische Serviette zurückführt , nicht unerhebliche
Bedenken geltend machen. Und doch sind die bisher vorgebrachten noch nicht einmal
die einzigen. Wie erklärt es sich, so fragen wir, daß das Ornatstück schon gleich bei
seinem ersten Auftreten den Namen (Lpapiov führt? Erscheint denn das Wort sonst
jemals im Sinne von Handtuch oder Serviette? Die Stellen, in denen uns dieses
begegnet, sind doch recht zahlreich. Und warum das cLpapiov des Laodicenum und
das diakonale Orarium der Synoden von Braga und Toledo als Handtuch auffassen,
während man das Orarium der Priester eben wegen seines Namens als Halstuch
nimmt ? Gibt der Umstand, daß die Diakone es statt um den Hals auf der Schulter
trugen, dazu genügenden Grund? Endlich wie konnten die Subdiakone, Lektoren und
Cantores auf die Idee kommen, bei ihren Verrichtungen ebenfalls das tLpapiov zu
tragen , wenn dieses seinem Charakter nach eine liturgische Serviette war, und zwar
selbst dann , wenn es praktisch als solche nicht mehr gebraucht worden sein sollte ?
1 S. oben S. 557, wo der Ursprung der Mappula behandelt wurde.
2 S. oben S. 557.
QXQ Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Was hatten denn die Lektoren an dem Ambo mit einer Serviette zu tun , was die
Subdiakone an der Türe, was die Cantores beim Absingen der liturgischen Gesänge?
Man wird es dem Gesagten gemäß begreiflich finden, daß wir uns nicht
entschließen können, die Theorie, welche die Stola der Diakone auf eine
liturgische Serviette zurückführen will, zur unsrigen zu machen. Weniger
Bedenken hätten wir gegenüber der Hypothese , welche die bischöfliche
und priesterliche Stola von einem Halstuch ableitet. Wenn wir indessen
auch dieser unsere Zustimmung nicht zu geben vermögen, so liegt das vor-
nehmlich daran, daß sie uns die Sache nicht ausreichend zu erklären scheint.
Zunächst verstehen wir nicht recht, wie das Orarium der spanischen Priester
und Bischöfe als Halstuch habe dienen können. Ein Halstuch bietet Schutz gegen
den Frost und bewahrt die Kleider vor dem Eindringen des Schweißes denn doch
7iur dann , wenn es rings um den Hals geschlungen wird nach Art unseres Amikts.
So dem Nacken aufgelegt, daß die Streifen sich über der Brust kreuzen oder gerade
herabfallen , kann es doch wohl kaum nach der einen wie der andern Richtung hin
von Wirkung sein. Und wenn es den angegebenen Zweck hatte, wie konnte es in
diesem Falle zu einem bloßen Streifen werden ? Ist denn jemals etwas Ahnliches mit
dem Humerale vor sich gegangen? Und doch wurde dieses im Mittelalter eine Beihe
von Jahrhunderten hindurch mit einem kragenartigen Besatz versehen, der sich sogar
zuletzt hie und da von ihm ablöste und zum selbständigen Schmuck wurde (Spanien,
Lyon , Mailand). Aber das Humerale ist geblieben , was es war. Selbst der päpst-
liche Fano erhielt sich bei aller Veränderung, die im Lauf der Zeit mit ihm vorging,
als wirkliches Tuch, das zwar, seitdem der Papst außer ihm auch noch den gewöhn-
lichen Amikt trägt, nur noch Schmuck ist, aber an sich noch sehr wohl seinen ur-
sprünglichen praktischen Zwecken dienen könnte. Auch hat man das Halstuch, als
es zum bloßen Abzeichen wurde, nicht durch ein anderes Tuch ersetzt, jedenfalls
nicht im griechischen Ritus. Und doch hätte man das, wie es scheinen will, sicher
getan, wenn es wirklich der eben angegebenen Zwecke halber eingeführt worden
wäre. Weist man uns aber darauf hin , daß ja die römische Mappula im Lauf der
Zeit zu einem bloßen Zierstreifen geworden sei, so vergißt man, daß diese von Anfang
an nicht sowohl bestimmten praktischen Bedürfnissen diente, als vielmehr ein Etikette-
oder Ziertuch war.
Zweitens ist es schwer begreiflich, daß gerade ein so gewöhnliches Tuch wie
ein bloßes Halstuch, das doch von aller Welt getragen wurde, zum auszeichnenden
Ornat und liturgischen Abzeichen werden konnte. Und doch erscheint es schon früh
als solches. Denn um von dem Osten abzusehen — wiewohl kein Grund vorliegt,
das diakonale cupapTov hier als aus einer Serviette entstanden zu betrachten — , so
war ja in Spanien das Orarium schon im 6. Jahrhundert liturgisches Distinktivuni
aller höheren Ordines vom Diakon angefangen bis zum Bischof; und ähnlich dürfte
es sich damals auch bereits im gallikanischen Ritus verhalten haben.
Drittens ist es beachtenswert, daß die Stola in allen Riten liturgisches Ab-
zeichen ist, und zwar selbst bei den monophysitischen Syrern und Kopten und den
nestorianischen Chaldäern. Ob das sich wohl genügend erklärt bei der Annahme,
daß sie ursprünglich ein gewöhnliches Halstuch gewesen sei?
Endlich konnte , wie es scheint , die Umwandlung des Halstuches in ein
liturgisches Distinktivum wohl kaum geschehen ohne irgend welche positive Bestim-
mungen der maßgebenden kirchlichen Autorität. Warum also dann noch die Stola
von einem Halstuch ableiten und nicht vielmehr annehmen , sie sei unmittelbar als
liturgisches Distinktivum eingeführt worden ? '
1 Vielleicht darf auch darauf hingewiesen Stückes vorkommt. Nur eiumal begegnen wir
werden, daß sich die gewöhnlichere Bezeich- beim GrammatikerSuidas(H). — 11. Jalirh.) der
nung der priesterlichen Stola imrpayrjkiov Wendung i-£ipay/j?.iog y.ncrij.og (St e p h an us,
nie im Sinne von Halstuch gebraucht findet Thesaurus Graecae linguae sub im-pa^Xtov
oder sonst als Name eines profanen Gewand- llf, Paris. 1835, 1855).
Zweites Kapitel. Die Stola. 617
Am ehesten ließe sich noch das Orarium der römischen Kleriker als Halstuch
auffassen. Allein warum in diesem Fall der Brauch, daß man dasselbe vor der Weihe
auf die Confessio legte, wie es doch für die Orarien der Diakone und Priester
ausdrücklich bezeugt ist? ' Und warum außer dem Orarium zu Eom noch ein
besonderes Schultertuch, das anabolagium, der Amikt? Hat man denn das Halstuch
zu einem Zierstück gemacht, um es alsbald durch ein neues Halstuch zu ersetzen?
Wenn das Orarium so wenig praktische Bedeutung hatte, daß es zum bloßen Schmuck
werden konnte, warum dann, nachdem es sich zu einem solchen umgebildet hatte,
von neuem ein anderes Halstuch in Gestalt des Amikts einführen? Wie konnte
sich überhaupt zu Eom das Orarium der Diakone , falls es seinem Charakter nach
lediglich ein Halstuch war und keinerlei andere Bedeutung hatte, zum Zierorarium und
zur Insignie des Ordo umbilden, da es doch vollständig unter der bis zu den Füßen reichenden
Dalmatik verschwand? Man sagt freilich, es sei das unter dem Einflüsse des Brauches
im übrigen Abendland geschehen. In der Tat mag es einer Einwirkung von außen
her zuzuschreiben sein, daß das Orarium zu Born zuletzt aus der liturgischen Tracht
der Subdiakone und der übrigen niederen Kleriker ausschied und nur den Diakonen
und Priestern (Bischöfen) als Abzeichen ihres Ordo verblieb. Ob indessen ein solcher
Vorgang praktisch genommen denkbar ist, wenn das Ornatstück nach römischem
Brauch lediglich ein Halstuch war, wie es alle Welt gebrauchte? Ob er nicht viel-
mehr voraussetzt, daß das römische Orarium schon vorher irgend einen über ein ge-
wöhnliches Halstuch hinausgehenden Charakter besaß? Endlich muß betont werden,
daß alle Angaben, welche wir seit dem Ende des 8. Jahrhunderts über das Orarium
der römischen Kleriker erhalten, dieses, wie früher des weiteren ausgeführt wurde,
unzweifelhaft als etwas mehr denn ein bloßes Halstuch erscheinen lassen , wie es
zuletzt jedermann tragen konnte und zum Schutz gegen Kälte usw. zu tragen pflegte.
Warum also annehmen, das Ornatstück sei in früherer Zeit Halstuch gewesen? Es
ist gewiß richtig, daß die liturgische Tracht sich aus der profanen Tracht heraus-
gebildet hat, und daß ihre einzelnen Bestandteile an Bestandteile der letzteren an-
knüpfen. Allein das will denn doch nicht heißen, daß jedes litur-
gische Ornatstück nun auch wirklich einmal ein profanes Gewand
gewesen sei und rein praktischen Bekleidungszwecken gedient habe.
Auch das liturgische Orarium knüpft nach Name, Beschaffenheit und Form an das
profane Orarium an ; folgt aber daraus , daß es je ein wirkliches Halstuch gewesen,
das man zum Schutz gegen den Frost und gegen die Übeln Wirkungen des Schweißes
getragen? Welcher Grund liegt für eine solche Annahme vor? Ist es der Name
orarium? Allein hatte das Wort orarium nicht eine Beihe von Bedeutungen? Wurde
mit ihm doch sogar das Tuch bezeichnet, mit dem man bei den Spielen seinen Beifall
kundgab2. Sind es Form und Tragweise des liturgischen Orarium? Doch auch wohl
nicht. Sie beweisen höchstens, daß das Orarium des profanen Lebens, das übrigens
keineswegs immer um den Hals getragen wurde, für die Form und Tragweise des
liturgischen Orarium Vorbild gewesen sei, nicht aber, daß dieses ursprünglich
demselben Zwecke wie jenes gedient habe; das um so mehr, als das profane Ora-
rium, wie aus dem früher Gesagten erhellt3, zu sehr verschiedenen Zwecken ge-
braucht wurde.
Sind die vorgebrachten Bedenken auch nicht derart, daß sie die Ableitung der
Stola von einem zur liturgischen Tracht gehörenden Halstuch als schlechthin un-
denkbar und unzulässig erscheinen lassen, so sind sie anderseits doch zu gewichtig,
als daß eine solche Theorie auch nur als wahrscheinlich, geschweige denn als sicher
bezeichnet werden könnte.
Eine fünfte Hypothese unterscheidet zwischen dem römischen und dem
aufierrömischen (abendländischen wie orientalischen) Brauch. Außerhalb Roms
war ihr zufolge das Orarium von Anfang an liturgisches Abzeichen der höheren
Ordo 9, n. 8 (M. 78, 1008). 2 Flav. Vopisc, In Aurel. c. 48. 3 S. oben S. 564.
618 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Ordines, weshalb es auch von den Diakonen und Priestern in verschiedener
Weise getragen wurde, zu Rom aber bildete es ursprünglich, wie auch die
vorhin besprochene Theorie will, ein Halstuch, das freilich zuletzt insofern
eine Art von heiligem Charakter erhielt, als es im Lauf der Zeit Brauch wurde,
die Orarien vor der Weihe auf die Confessio des hl. Petrus niederzulegen.
Die fundamentale Unterscheidung, welche diese Hypothese gemacht
wissen will, scheint uns durchaus zutreffend. Die Entstehung der Stola kann
zu Rom und außerhalb Roms unmöglich ganz die gleiche gewesen sein. Denn
während das Orarium im Osten schon im 4. Jahrhundert als ausgesprochenes
Prärogativ der höheren Ordines gilt und auch in Spanien bereits bei seinem
ersten Auftreten im 6. Jahrhundert sich als liturgisches Distinktivum gibt,
ist es zu Rom noch im 9. Jahrhundert ein Gewandstück, das allen Klerikern
eignete und bei den Diakonen, weil von ihnen unter der Dalmatik getragen,
auf keinen Fall zum Vorschein kam.
Aber auch die Weise, wie die Theorie den Ursprung der Stola außer-
halb Roms erklärt, hat unseres Erachtens alle Wahrscheinlichkeit für sich.
Es ist sehr auffällig und für die Frage nach der Entstehung des Ornatstücks
sicher von hoher Bedeutung, daß das Orarium hier schon so früh als ein die
Diakone, Priester und Bischöfe als solche kennzeichnendes Ornatstück erscheint.
Bereits im 22. und 23. Kanon des Konzils von Laodicea begegnete uns, wie
man sich erinnern wird , das Orarium als Ornatstück , das dem niedern Klerus zu
tragen durchaus verwehrt war. Isidor von Pelusium stellt das linnene Orarium des
Diakons, das Sinnbild des demütigen Dienstes Christi, der den Jüngern die Füße
wusch , neben das wollene Omophorion , die Insignie des Bischofs , welche diesen als
Abbild des guten Hirten kennzeichnet, der das verlorene Schäflein auf seiner Schulter
heimbringt. Als Abzeichen der Diakone fanden wir ferner das Orarium im Testamentum
Domini nostri Iesu Christi. In Spanien kommt in einzelnen Kirchen bei den Diakonen
der Mißbrauch auf, das Orarium unter der Alba zu tragen ; allein alsbald rügt solches
Gebaren die Synode von Braga 563 und schärft den Diakonen die Pflicht ein , das
Ornatstück sichtbar über der Tunika zu haben, damit sie sich so von den Subdiakonen
unterschieden. Im 27. Kanon des 4. Toletanum erscheint die Überreichung des Orarium
beim Diakonen, Priester und Bischof als ein Teil des Weihe- bzw. Restitutionsaktes.
Bei der Priesterweihe war dieser Ritus schon zur Zeit der S}rnode von Braga aus
dem Jahre 675 seit alters vorgeschrieben.
Der so bemerkenswerte Umstand, daß das Orarium schon so bald, und zwar
bereits sofort bei seinem ersten Auftreten im 4. Jahrhundert als fertiges Ab-
zeichen dasteht, weist unserer Auffassung nach durchaus darauf hin, daß es
nicht das Produkt einer allmählichen Entwicklung ist. Wir werden vielmehr
in Anbetracht jener Erscheinung schwerlich mit der Annahme fehlgehen, daß
es seine Einführung in der Tat einem diesbezüglichen direkten Akt der maß-
gebenden kirchlichen Autorität verdankt *.
Diese Theorie ist aber unseres Erachtens um so wahrscheinlicher, als
es wohl kaum ein Zweifel sein kann, daß das Pallium und das Omophorion
der griechischen Bischöfe von Anfang an den Charakter eines Distinktivum
hatten. Zudem waren ja auch im profanen Leben Abzeichen keineswegs un-
1 Wir freuen uns , daß auch P. Grisar, ma col Braun ad una ordinazione precisa
dessen Auffassung wir wohl mit Recht großen dell' autoritä ecclesiastica, la quäle stabil]
Wert beilegen dürfen, der von uns vertretenen una consi fatta sciarpa. Essa si servi nella
Ansicht ist: Non sara dunque un errore scelta della sua forma di quol antico tipo
ascrivere la sua origine (der Stola) come una proprio degli inservienti (Analecta Romana
insegna, non ad un lento e spontaneo sviluppo, 682).
Zweites Kapitel. Die Stola.
619
bekannt1. Es genüge, an das zu erinnern, was früher bezüglich der Be-
deutung des Wortes infula gesagt wurde, sowie auf die Theodosianische Ver-
ordnung hinzuweisen, wonach die officiales palliis discoloribus pectus contegentes
(über der paenula) condicionis suae necessitatem ex huiusmodi agnitione testentur.
Die verschiedene Tragweise des Orarium erklärt sich bei dieser letzten
Theorie leicht durch den Zweck, den es hatte. Möglich, daß bei Festsetzung
der Art, wie der Diakon es anlegen sollte, die Weise, auf welche im profanen
Leben die Aufwärter ihre Serviette trugen und auf antiken Bildwerken Diener
mit einem streifenartig zusammengefalteten Tuch ausgerüstet erscheinen
(Bild 291), von vorbildlichem Einfluß gewesen ist; doch läßt sich darüber
nichts Sicheres feststellen. Die einzige Schwierigkeit bietet nur der Name
orarium. Indessen ist diese nur eine scheinbare. Hält man einerseits vor
Augen, daß sich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „Mundtuch oder
Gesichtstuch" schon früh abgestumpft hatte, und daß außerdem das liturgische
Distinktivum nach Form und Tragweise an
das profane Orarium erinnerte, so erklärt
sich leicht, daß jenes Distinktivum den Na-
men orarium erhielt. Ja es konnte in An-
betracht der Weise, wie Benennungen zu
entstehen pflegen, kaum anders als orarium
genannt werden.
Was den zweiten Teil der Theorie an-
langt, so wurde bereits vorhin2 darüber das
Nötige gesagt. Es liegt unseres Erachtens
kein Grund vor, das Orarium der römischen
Kleriker auf ein gewöhnliches Halstuch zu-
rückzuführen. Was es um den Ausgang des
8. und im 9. Jahrhundert war3, kann es
sehr wohl von Anfang an gewesen sein.
Warum also zur Theorie vom Halstuch-
orarium seine Zuflacht nehmen?
Es ist bemerkenswert, daß man zu
Kom das Orarium vor der Weihe auf die
Confessio des hl. Petrus niederlegte. Sollte das nicht ein Licht auf die
Frage nach dem anfänglichen Charakter des römischen Orarium werfen?
Duchesne meint allerdings: „On finit par lui (dem Orarium) donner une
sorte de consecration qui le transformait en relique."4 Allein warum soll die
fragliche Sitte das Endresultat einer längeren Entwicklung sein? Tücher auf
die Confessio zu legen, war doch ein uralter Brauch. Warum nicht lieber
annehmen, daß jene Gepflogenheit ursprünglich war und daß das Orarium
zu Rom ein Weihetuch, wenn wir so sagen sollen, darstellte, welches durch
Hinterlegung auf die Confessio geheiligt wurde und dessen Übergabe bei der
Weihe ein Doppeltes zum Ausdruck brachte, einmal daß die Erhebung zu
Klerikern der römischen Kirche komme de benedictione S. Petri, dann, daß
die Ordinanden durch ihre Weihe den Dienst des hl. Petrus, d. i. den Dienst
Bild 291. Koptische Grabstele.
(Nach Strzygowski.)
Kopenhagen, Ny Carlsberg-Glyptothek.
1 Unter den Funden, die in den Gräbern
zu Antinoe gemacht wurden , befand sich
auch die kostbar bekleidete Leiche eines
„byzantinischen" Edelmannes, der zahlreiche
Schärpen, eine davon mit dem Bilde eines
heiligen Drachentöters , trug (Kaufmann,
Handbuch der christlichen Archäologie, Pader-
born 1905, 548).
2 S. oben S. 616 f. 3 Vgl. oben S. 579 f.
4 Orig. 391, note 1.
620 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
in eben jener römischen Kirche, auf sich nähmen? Es wäre dann das römische
Orarium von Beginn an ein Gegenstück des griechischen äpdpwv und hiirpa-
yyj)dov, des gallikanischen pallium, der gallikanischen stola und des spanischen
orarium. nur daß es anfänglich nicht wie diese ein Distinktivum der höheren
Ordines und eigentliche Insignie war, sondern das erst später, und zwar wohl
nicht ohne Einwirkung der außerrömischen Anschauung und Praxis wurde.
Wann das Orarium zu Born in Gebrauch gekommen ist, muß dahingestellt
bleiben. Zur Zeit des Papstes Cölestin I. (422 — 432) soll es noch auf keinen
Fall Verwendung gefunden haben. Man schließt das aus dem Briefe desselben
an die Bischöfe Galliens, in welchem er will, daß Kleriker und Laien in der
Tracht sich nicht unterschieden1. Wirklich mag es damals zu Bom noch
kein liturgisches Orarium gegeben haben ; aus dem Briefe Cölestins folgt
solches jedoch keineswegs. Denn 1. ist in dem Schreiben, wie es scheint,
nicht von der liturgischen, sondern von der außerliturgischen Tracht der
Kleriker die Bede; 2. will der Papst in demselben nur die außergewöhnliche,
fremdartige und sonderbare Kleidung abgeschafft wissen, welche sich einige
Bischöfe Galliens zugelegt hatten, um sich dadurch von den Laien abzuheben;
3. war selbst im profanen Leben ein Amtsabzeichen im 4. Jahrhundert nichts
Unerhörtes und Auffälliges.
DRITTES KAPITEL.
DAS PALLIUM.
I. DAS ABENDLÄNDISCHE PALLIUM IN DER GEGENWART.
Das Pallium stellt in seiner jetzigen Gestalt ein ringförmiges, Brust,
Nacken und Schultern umziehendes Ornatstück dar, von welchem vorn und
rückwärts je ein etwa anderthalb Spannen langer Streifen herabhängt. Ring
und Streifen sind etwa drei Finger breit und aus weißer Wolle verfertigt.
Dem Ring sind vier schwarzseidene Kreuze aufgenäht ; die Streifen, an welchen
der Beschwerung halber am untern Ende ein mit schwarzer Seide überzogenes,
abgerundetes Bleiplättchen befestigt ist, sind nur mit je einem versehen (Bild 292).
Die Wolle, aus welcher die Pallien verfertigt werden, stammt zum Teil von
den zwei weißen Lämmern her, welche von den lateranensischen Regularkanonikern
am Feste der hl. Agnes in Sant' Agnese fuori le Mura dem Kapitel von St Johann
im Lateran als Abgabe entrichtet, nach dem Pontifikalamt feierlich auf dem Hoch-
altar der Kirche gesegnet und dann dem Papste dargebracht werden 2. Die Schul-
der Tierlein findet in der Karwoche durch die Nonnen statt, deren Obsorge dieselben
bis dahin anvertraut waren. Die von den Nonnen des Klosters am Torre dei Speechi
gewebten neuen Pallien werden am Frühmorgen der Vigil von Peter und Paul in die
Gruft der Peterskirche getragen, in welcher der Leib des Apostelfürsten ruht. Ihre
Weihe, welche, wenn möglich, vom Papst selber vorgenommen werden soll, findet
nach der Vesper desselben Tages statt. Die geweihten Pallien werden nach der An-
ordnung Benedikts XIV. vom 12. August 1748 3, welcher die Weihe des Ornatstückes
neu regelte, alsbald in ein besonderes, aus vergoldetem Silber angefertigtes Kästchen
1 C. 1 (M. 50, 430). Wenn die Überschrift Interpretation, welche im Schreiben kein
des Briefes in der Sammlung des Dionysius Fundament hat.
Exiguus die Worte dahin deutet, es habe der 2 Ausführlicheres über die Zeremonie bei
Papst verboten, in der Kirche amicti pallio Mor. XI 275.
et lumbos Dienst zu tun, so ist das eine 3 Bullar. Bened.XIV. VI.Mechl. 1827, 233 f.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
621
gelegt und in demselben in der nächsten Nähe des Apostelgrabes (Confessio) auf-
bewahrt, bis sie zur Verwendung kommen.
Von den vier Kreuzen, welche den Ring des Palliums schmücken, ist
je eines auf der Brust, dem Rücken und den beiden Schultern angebracht.
An den beiden ersten sowie auch an dem Kreuze, welches sich auf der linken
Schulter befindet, gewahrt man Ösen aus schwarzer Seide. Sie dienen zur
Aufnahme kostbarer Nadeln.
Der Diakon, welcher letztere am Pallium anzuheften hat, muß nach der
ausdrücklichen Angabe des römischen Caeremoniale darauf achten, daß sie weder
das Kreuz noch das Pallium durchbohren, noch auch die Kasel berühren, des-
gleichen, daß der mit Edelsteinen verzierte Nadelkopf nach rechts liege. Die
Annahme des Palliums hat nach Anlegung der Kasel statt. Sie soll durch
den Diakon unter Beihilfe des Subdiakons geschehen K
Das römische Pallium ist ein durchaus sakrales Gewandstück. Denn
nicht einmal der Papst trägt es bei andern als bei eigentlich liturgischen
Funktionen. Die Erzbischöfe und Bischöfe,
welche sich des usus pallii erfreuen, dürfen
sich mit dem Ornatstück bloß bei der Feier
des Pontifikalamtes schmücken. Es ist ihnen
nicht nur jede Verwertung des Palliums
außerhalb des Gotteshauses, z. B. bei Pro-
zessionen, sondern auch jede Verwendung
bei andern Kultakten als der Missa sollem-
nis, z. B. den feierlichen Vespern, untersagt2.
Was das Gebiet anlangt, in welchem
der Inhaber des Palliums sich des Gewand-
stückes bedienen darf, gibt es für den Papst
natürlich keine Beschränkung. Als oberster
■
■
Bild 292.
Modernes Pallium.
Hirt der Kirche kann er es überall tragen.
Dagegen dai-f ohne besondere Ermächtigung
seitens des Apostolischsn Stuhles der Me-
tropolit sich des Palliums nur in seiner
Provinz, der Bischof aber, welchem der usus pallii gewährt wurde, sich seiner
nur innerhalb seines Sprengeis bedienen3.
Auch hinsichtlich der Zeit sind die zum Gebrauch des Palliums Be-
rechtigten mit Ausnahme des Papstes bestimmten Beschränkungen unterworfen.
Als Tage, an welchen es gestattet ist, das Ornatstück zu tragen, nennt das
römische Pontifikale Weihnachten, Beschneidung, Epiphanie, die drei Ostertage, Christi
Himmelfahrt, Pfingstsonntag, Fronleichnam, die Feste der Reinigung, Verkündigung,
Aufnahme, Geburt und unbefleckten Empfängnis Marias, das Fest der Geburt des
hl. Johannes des Täufers, des hl. Joseph (19. März) und des hl. Erzmärtyrers Ste-
phanus, die Aposteltage und Allerheiligen, den Palmsonntag, den Gründonnerstag,
den Karsamstag,
Kathedralkirche ,
den Weißen Sonnta
das
-i, die vornehmsten Feste der Metropolitan- bzw.
Kirchweihfest und den Jahrestag der Konsekration des be-
1 Caerem. episc. 1. 2, c. 8, n. 20.
2 Vgl. über dieses und das Folgende die
Angaben des Pontificale Romanum über den
Gebrauch des Palliums, p. I de pallio, dann
das Caerem episc. 1. 1 , c. 16 und im Corp.
iur. can. Decret. 1. 1, tit. 8, c. 1 ff uud tit. 6,
c. 4 28 (Lipsiae 1839, II 96 ff 48 70J. Eine
vortreffliche Zusammenstellung aller das Pal-
lium betreffenden Bestimmungen bei Müh Ib.
II 594 ff und suppl. III 15.
3 Daher wird ein Titularerzbischof , weil
außerhalb der Diözese befindlich, auf deren
Titel er konsekriert ist, nicht mit dem Pallium
sjeschmückt.
622 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
treffenden Erzbischofs (Bischofs). Auch erlaubt es den Gebrauch des Palliums bei
Erteilung der heiligen Weihen, der Konsekration eines Bischofs und der Einsegnung
von Äbten und Nonnen. Übrigens sind für die Verwendung des Ornatstückes zunächst
die jeweiligen Privilegien maßgebend. Sind in ihnen bestimmte Tage nicht genannt,
so gelten die gemeinrechtlichen Anweisungen des römischen Pontifikale.
Zum Tragen des Palliums ist an sich nur der Papst berechtigt. Denn
das Pallium ist das Symbol der Oberhirtengewalt des Statthalters Christi,
dessen Aufgabe es ist, Lämmer wie Schafe, Gläubige wie Hirten zu weiden.
Es ist das Sinnbild der Fülle des pontifikalen Amtes, welche ohne alle Be-
schränkung und nach ihrem ganzen Umfang im Nachfolger Petri ruht1.
Gewöhnlichen Bischöfen wird das Pallium nur in Ausnahmefällen gewährt.
Die Verleihung dieser päpstlichen Insignie bedeutet für einen Bischof eine
besondere Auszeichnung; Vorrechte bringt sie ihm nach der gegenwärtigen
Praxis nicht. Sie gewährt ihm nicht einmal den andern Bischöfen seiner
Kirchenprovinz gegenüber das Recht der Präzedenz. Am wenigsten entzieht
sie ihn der Obergewalt seines Metropoliten. Auch darf der Bischof, welchem
der usus pallii zu teil wurde, sich des Ornatstückes in Gegenwart von Kar-
dinälen, Nuntien sowie seines Erzbischofs selbst in der eigenen Diözese nur
mit deren Genehmigung bedienen2.
Den Erzbischöfen wird das Pallium nicht als Ausnahme, sondern regel-
mäfsig, nicht kraft eines besondern Privilegs, sondern allgemein zu teil. Sie
müssen innerhalb einer Frist von drei Monaten nach dem Tage ihrer Kon-
sekration bzw. ihrer Konfirmation — wenn sie nämlich schon Bischöfe sind —
sich in Rom persönlich oder durch einen Prokurator das Ornatstück instanter,
instantius, instantissime, wie die Formel lautet, erbitten und erhalten erst
durch die Gewährung und Übergabe des Palliums wie den Titel so auch
das Recht, die Metropolitanfunktionen auszuüben, selbst wenn sie schon
vorher von ihrem Stuhl Besitz ergriffen oder einen andern erzbischöflichen
Thron innegehabt haben sollten. Vor Empfang des Ornatstückes darf der
Erwählte sich weder Erzbischof nennen noch sich das erzbischöfliche Kreuz
vorantragen lassen. Ebensowenig kann er eine Provinzialsynode berufen,
seine Provinz visitieren oder sonst eine seiner Metropolitanbefugnisse ausüben.
Er kann selbst, auch wenn er bereits Bischof sein sollte, nicht einmal erlaubter-
weise bischöfliche Amtshandlungen verrichten, wie das Chrisma weihen, die
Ordines erteilen, Kirchen konsekrieren 3. Werden derartige Funktionen nötig,
so muß er einen andern damit betrauen. Das Pallium darf daher mit allem
Fug auch als erzbischöfliche Insignie bezeichnet werden.
Immerhin ist das Ornatstück nicht im gleichen Sinne ein Abzeichen bei
dem Papste und den Metropoliten. Jenem kommt die Insignie von Rechts
wegen und unabhängig von irgend eines Menschen Genehmigung zu. Diese
dürfen sie nur auf Grund der Bevollmächtigung tragen, welche sie auf ihr
Ansuchen hin vom Apostolischen Stuhle empfingen. Beim Papste ist ferner
das Pallium der Ausdruck der ihm kraft göttlicher Anordnung eigenen höchsten
1 Vgl. das herrliche Gebet, welches bei 1875 den Fürstbischof Förster von Breslau,
der Weihe der Pallien gesprochen wird Leo XIII. aber die Bischöfe Faict von Brügge
(Mühlb. II 596). und Senestrey von Regensburg.
2 Benedict. XIV. ad episc. Herbipol. et 3 Über den Umfang der einem Metropoliten
Quinqueeccles. (ebd. 603 ff). Noch in neuerer vor Empfang des Palliums untersagten
Zeit hatten mehrere Verleihungen des Palliums Funktionen vgl. auch Phillips, Kirchen-
an Suffragane statt. So schmückte z.B. Pius IX. recht § 352; VI 840f und Wernz, Ius de-
1851 mit ihm den Bischof von Marseille und cretalium II 862 ff.
Drittes Kapitel. Das Pallium. 623
Hirtengewalt, bei den Metropoliten ist es dagegen das Symbol der ihnen vom
Nachfolger Petri für eine bestimmte Kirchenprovinz gewährten und lediglich auf
kirchlichem Recht beruhenden Teilnahme an dessen oberster Regierungsgewalt.
So berechtigt es also auch ist, das Pallium eine erzbischöfliche Insignie zu
nennen, in erster Linie und vor allem ist es päpstliches Abzeichen, welches den
Metropoliten nur darum verliehen wird , weil sie in einem gewissen Umfang Stell-
vertreter des Apostolischen Stuhles in der obersten Leitung eines bestimmten Bereiches
der Kirche sind. Die G-ewährung dieses päpstlichen Schmuckes soll die Übertragung
der geistlichen Obergewalt zum Ausdruck bringen , welche den Erzbischöfen als den
Repräsentanten des Papstes für ihre Kirchenprovinz zu teil wird.
Aus der Bedeutung des Palliums erklärt es sich denn auch leicht, warum das
Ornatstück vor der Weihe auf die Confessio des Apostelfürsten gelegt, warum es nach
derselben in der allernächsten Nähe des Grabes aufbewahrt und warum sowohl das
Pallium des Papstes als dasjenige der Metropoliten gleichsam vom Leibe des hl. Petrus
genommen wird (pallium de corpore b. Petri sumptum). Es soll dadurch ausgedrückt
werden, daß die geistliche Gewalt, welche durch das Ornatstück versinnbildet wird,
unmittelbar oder mittelbar auf Petrus zurückgeht. Unmittelbar beim Papste, dem per-
sönlichen Amtsnachfolger des Apostelfürsteil , mittelbar bei den Metropoliten , da ja
ihre Metropolitanvollmachten eine ihnen vom Papste gewährte Teilnahme an dessen
von Petrus stammender Oberhirtengewalt darstellen.
Das Pallium ist ein durchaus persönlicher Schmuck, weil Symbol
der besondern persönlichen Beziehung des Metropoliten (Bischofs) zum Apo-
stolischen Stuhle. Auf der andern Seite hat es indessen auch einen gewissen
örtlichen Charakter, weil die spezielle Stellvertretung des Papstes, welche
in der Verleihung des Ornatstückes zum Ausdruck kommt, auf eine bestimmte
Kirchenprovinz beschränkt ist. Aus dieser doppelten Eigentümlichkeit des
Palliums erklärt sich eine Reihe eigenartiger Bestimmungen.
Wird z. B. ein Erzbischof von einem Metropolitansitz auf einen andern versetzt,
so bedarf er eines neuen Palliums. Würde er später zu seinem früheren Stuhl zurück-
kehren, so müßte er für diesen wieder um das Ornatstück nachsuchen. Ein gleiches
gilt von einem Metropoliten, der auf seine Würde verzichtete, sie aber später wieder
zurückerhält. Ferner muß ein etwaiger Inhaber zweier Sitze, die den usus pallii haben,
für beide gesondert das Pallium erbitten, ein Erzbischof aber, der auf seinen Sitz
Verzicht leistet, darf weiterhin vom Pallium keinen Gebrauch machen, selbst wenn
er ein Bistum übernehmen sollte. Ein Metropolit kann sein Pallium keinem andern
zum Gebrauch überlassen. Dem zum Tragen des Ornatstückes Befugten wird das-
selbe beim Tode mit in das Grab gegeben. Verscheidet er in der eigenen Kirchen-
provinz (Diözese), so legt man es um seinen Hals, wie er es im Leben trug, andern-
falls unter den Kopf. Alle diese und ähnliche Gepflogenheiten finden ihre Begrün-
dung in dem Doppelcharakter des Palliums, wonach es eine dem Metropoliten für
seine Person, aber mit Rücksicht auf einen bestimmten Bezirk verliehene Insignie ist.
Die Übergabe des Palliums an den Metropoliten (Bischof) findet ent-
weder in Rom oder außerhalb Roms statt. Im ersten Falle erfolgt sie durch
den ersten der Kardinaldiakone, im letzten durch einen mit derselben be-
auftragten Bischof. Sie vollzieht sich nach vorausgegangener Feier der heiligen
Messe und nach Ablegung des Treueides. Im übrigen ist der Ritus, wie ihn
das römische Pontifikale für die Übergabe des Palliums vorschreibt, sehr einfach.
Die Worte, unter denen das Pallium dem erwählten Erzbischof über die
Schultern gelegt wird, lauten: „Zu Ehren des allmächtigen Gottes, der seligen, allzeit
reinen Jungfrau Maria, der hll. Apostel Petrus und Paulus, unseres Herrn, des Pap-
stes N., der heiligen römischen und der dir anvertrauten Kirche übergebe ich dir das
vom Leib des hl. Petrus genommene Pallium , in welchem die Fülle des pontifikalen
624
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Amtes liegt, zugleich mit dem Titel Patriarch (Erzbischof), auf daß du es innerhalb
deiner Kirche an den in den Privilegien des Apostolischen Stuhles bestimmten Tagen
gebrauchen mögest. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen." Wie man sieht, kommt in dem Gebet die Bedeutung des Ornatstückes klar
zum Ausdruck.
II. ALTER DES RÖMISCHEN PALLIUMS.
Nach dem sog. Constitutum Constantini reicht das römische Pallium bis
in die erste Hälfte des 4. Jahrhunderts hinauf. Konstantin soll nämlich dem
Constitutum zufolge dem Papst Silvester I. außer andern Auszeichnungen
auch das Recht verliehen haben, das lorutn, d. h. das Pallium1, zu tragen.
Indessen ist die Konstantinische Schenkung bekanntlich unecht und ihre An-
gabe über die Verleihung des Palliums durch Konstantin durchaus unglaub-
würdig. Wenn der Fälscher, der das Constitutum schmiedete, dieses auf den
ersten christlichen Kaiser zurückführt, so tut er das nicht, weil sich noch eine
Erinnerung an ein solches Ereignis erhalten hätte, sondern weil er darauf
ausgeht, für die bestehenden Vorrechte des Papstes statt der wirklichen ge-
schichtlichen und rechtlichen Grundlage ein an den Namen des ersten christ-
lichen Kaisers anknüpfendes und darum gewichtigeres und bedeutungsvolleres
Fundament zu schaffen. Sehr gut sagt Grisar: „Die Idee, das Pallium von
Konstantin herzuleiten, entstammt nur dem ebenso irrigen wie in der Erfindung
kindlichen Bemühen, den bestehenden päpstlichen Gebräuchen eine imponierende
kaiserliche Grundlage zu verleihen. Die Idee ist kein Echo von damals noch
gekannten, wirklich historischen Vorgängen, ebensowenig wie die in der Ur-
kunde gemachte Schenkung Italiens und der Inseln des ganzen Westens." 2
Auch nach dem Liber Pontificalis war das Pallium schon in der Frühe des
4. Jahrhunderts im Gebrauch. Er berichtet nämlich in der Vita des Papstes
Markus, derselbe habe dem Biscbof von Ostia das Pallium verliehen, weil
diesem die Weihe des Papstes obliege3. Vielleicht, daß der Angabe irgend
eine örtliche Überlieferung zu Grunde liegt. Da sie indessen keine anderweitige
1 Pallium bezeichnet im klassischen Latein
jede Art von Bedeckung, zumal einen mit
der Toga verwandten Überwurf. Die Belege
bei Forcell. III, 283. Im späteren Latein hat
pallium eine noch mannigfaltigere Bedeutung.
Es heißt hier Mantel, Schleier (Nonnen-,
Hochzeitsschleier), Decke (z. B. Altardecke),
Behang usw. Häufig erscheint es auch als
Name eines Gewebes , zumeist von besserer
Art, ähnlich wie unser „Tuch" (vgl. D. C.
VI 113 ff). Isidor sagt (Orig. 1. 19, c. 24
[M. 82, 689]) bezüglich der Ableitung des
Wortes: Dictum autem pallium a pellibus,
quia prius super indumenta pellicea veteres
utebantur, quasi pellea, sive a palla per deri-
vationem. Die letzte Erklärung wird die
richtige und pallium aus palla gebildet sein.
Palla selbst, womit vorzüglich das mantel-
artige Obergewand römischer Frauen be-
zeichnet wurde, läßt Varro (Ling. lat. 4, 39)
aus palam entstehen, weil das Oewand sicht-
bar (palam) über den andern Kleidern getragen
werde, ähnlich wie indusium von intus her-
komme. Eine andere Etymologie findet sich
bei S e r v i u s (ad Aen. I 652) : Rectius
a-b roü tmIXzvj , vibrare , ab irrugatione et
mobilitate, quae est in fine huiusmodi vestium
et pedibus in incedendo vibrari et iactari
solet. Beide Ableitungen gehören in die
Kategorie der mehr spitzfindigen als wahren
und oft genug recht sonderbaren etymo-
logischen Versuche, denen wir bei den alten
Grammatikern und Scholiasten begegnen.
Palla wird mit pannus, yrrjvog (Faden, Gewebe)
zusammenhängen (Vanicek, Etymolog.
Wörterbuch2 332).
2 Grisar, Das römische Pallium, in „Fest-
schrift zum 1100jährigen Jubiläum des
deutschen Campo Santo" 101. Der Text des
Constitutum lautet: Beato Silvestro . . . con-
tradimus . . . necnon et superhumerale, vide-
licet lorum, qui imperiale circumdare assolet
collum (Hinschius, Decret. Pseudo-Isi-
dor. 253).
3 So in der ersten Edition (Du eh. , L. P.
I 81). In der zweiten (ebd. 202) ist der
Text etwas verschieden , doch der Sinn im
wesentlichen der gleiche.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
625
Bestätigung findet und das Papstbuch für die ersten fünf Jahrhunderte keine
zuverlässige Quelle ist, muß es dahingestellt bleiben, ob und inwieweit an
der Sache etwas Wahres ist. Immerhin ist die Nachricht des Papstbuches
auch so zweifellos von großer Bedeutung, nicht nur, weil sie das Vorhanden-
sein des römischen Palliums für die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts außer
allen Zweifel setzt, sondern mehr noch, weil wir aus ihr mit allem Fug
schließen dürfen, daß das Pallium zu Rom schon eine geraume Weile vor
dem 6. Jahrhundert in Brauch war. Denn wenn um 530 der Verfasser des
Papstbuches den Papst Markus dem Bischof von Ostia das Pallium verleihen
läßt, so muß dieses damals offenbar schon seit Menschengedenken sowohl bei
dem Papst als bei dem Bischof von Ostia Verwendung gefunden haben *.
Eine Bestätigung erhält dieser Schluß durch die sonstigen Nachrichten, die wir
aus dem 6. Jahrhundert über das Pallium erhalten. Im Jahre 513 zeichnet Papst
Symmachus den hl. Cäsarius von Alles, den er zu seinem Vikar für Gallien bestellt
hatte, mit dem Pallium aus 2. Ein wenig mehr als zwei Jahrzehnte später versuchte
Felix IV. (526 — 530) sich selbst einen Nachfolger zu geben, indem er dem Aus-
erkorenen in Gegenwart der Priester. Diakone, Senatoren und anderer Zeugen sein
Pallium übergab 3. Bald nachher ließ umgekehrt Belisar dem Papst Silverius (536
bis 538) das Pallium abnehmen, als er sich anmaßte, diesen gegen alles Becht
freventlich seiner Würde zu entsetzen '. 545 bzw. 546 verlieh Papst Vigilius den
Nachfolgern des hl. Cäsarius, den Bischöfen Auxanius und Aurelian, das Pallium ö.
Unter Pelagius I. (555 — 560) begegnen wir diesem bei Secundus von Taurominium
(Taormina) auf Sizilien G und unter Johannes III. (560 — 573) bei dem Erzbischof
Petrus von Ravenna 7. Gregor d. Gr. verleiht das Pallium den Metropoliten von
Mailand und Ravenna, Salona, Korinth, Nikopolis und Iustiniana prima (Ochrida in
Albanien), Sevilla, Arles und Canterbury, sowie den Bischöfen von Messina, Palermo,
Syrakus und Autun.
In allen diesen Nachrichten erscheint das Pallium als eine allbekannte,
längst gebräuchliche Sache, nirgends als ein erst in jüngster Zeit, also im
6. Jahrhundert, eingeführtes Ornatstück. Insbesondere lassen die Pallien-
verleihungen, denen wir mit Sicherheit schon seit 513 begegnen, keinen Zweifel,
daß das Pallium bereits eine gute Weile vor dem Beginn des 6. Jahrhunderts
in Gebrauch gekommen sein muß.
1 Nach Grirualdi wurden wirklich im Sar-
kophag Leos I. (440 — 461) gelegentlich des
Umbaues von St Peter Spuren eines Palliums
entdeckt. Man fand auf der rechten Schulter
ein kleines rotes und auf der Brust nach
rechts zu ein etwas größeres schwarzes
Kreuz. Mitten vor der Brust sah man eine
goldene , in die Kasel hineingesteckte Nadel
(Iristrum. auth. translat. ss. corporum e veteri
in novam Principis apost. basilicam f. 60 75
[Vat. Barb. XXXIV 49]). Kreuze und Nadel
lassen jedoch kaum einen Zweifel daran, daß
es sich um Reste eines Palliums handelte,
welches erst in späterer Zeit in den Sarg
kam, wie P. Grisar meint. In St Maximin zu
Trier wurde vor der Aufhebung des Klosters
das Fragment eines Palliums des hl. Maximin
(t ca 349) gezeigt. Nach der Erzählung des
Mönches Sigehard (ca 962) wurde letzteres
mitsamt einer Stola 898 bei Wiederauffmdung
des angeblich seit dem Einfall der Nor-
Braun, Die liturgische Gewandung.
mannen (882) völlig verschollenen Grabes
aus dem Sarg des Heiligen genommen (AA.
SS. 29. Mai; VII 32). Allein es kann wohl
kaum zweifelhaft sein, daß es sich auch hier
um ein Pallium handelt, mit dem bei einer
früheren Translation der heilige Leib ge-
schmückt worden war. Oder sollen wir viel-
leicht auch die Stola für ein Original aus
der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts halten?
2 Epist. arelat. n. 27 41 (M. G. Epp. III
40 62). Vita S. Caesarii 1. 1 , c. 4 (M. 67,
1016). Ein Schreiben, in welchem Papst
Symmachus dem Erzbischof Theodor vonLorch
das Pallium verleiht, ist unecht (J. n. 767).
3 Du eh. , L. P. I 282 in nota 4 ad Vitam
Bonifacii IL 4 Ebd. 293.
5 Epist. arelat. n. 41 44 (M. G. Epp. III
62 66).
6 Löwenfeld, Epistolae Rom. Pont.,
Lipsiae 1885, n. 30, p. 16.
7 J. n. 1041.
40
626
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Auf den Bildwerken findet sich das römische Pallium
nirgends vor dem 6. Jahrhundert. Wie die dem 5. Jahr-
hundert entstammende Darstellung der hll. Ambrosius
und Maternus in der Kapelle des hl. Satyrus zu Mailand,
so lassen auch die gleichzeitigen Brustbilder der Päpste
aus S. Paolo zu Rom das Ornatstück noch vermissen 1.
Die ältesten Monumente, welche das Pallium aufweisen,
sind die Mosaiken in S. Vitale zu Ravenna (vgl. Bild 63,
S. 159) und in S. Apollinare in Classe, aufweichen die ravenna-
tischen Bischöfe St Apollinaris, St Severus, St Ursus, Eccle-
sius, Ursicinus und St Maximian mit demselben geschmückt
sind -. Sie entstammen der Mitte des 6. Jahrhunderts. Die
ältesten römischen Bildwerke, welche das Pallium zur Ab-
bildung bringen, sind gegenwärtig das Mosaik in S. Agnese
fuori le Mura mit den Abbildungen der Päpste Honorius (vgl.
Bild 64, S. 160) und Symmachus (Bild 293) und das Mosaik
im Oratorium des hl. Venantius mit den Bildern Johannes' IV.,
seines Nachfolgers Theodorns und der Bischöfe Venantius
und Maurus 3. Die erste der beiden musivischen Darstellungen
ist das Werk Honorius' I. (625 — 638) , die zweite das Jo-
hannes' IV. (640 — 642). Auf den aus dem 6. Jahrhundert
herrührenden Mosaiken in S. Cosma e Damiano und S. Lorenzo
fuori le Mura haben die Darstellungen Felix' III. und Pelagius'
eine so durchgreifende Veränderung erfahren, daß sie in
keiner Hinsicht mehr als Originale gelten können 4. Immerhin lassen es die gleich-
zeitigen Mosaiken Bavennas nicht zweifelhaft, daß beide Figuren auch ursprünglich
mit dem Pallium ausgestattet waren.
Bild 293. Papst Sym-
machus. Mosaik. Hom,
S. Agnese. (Nach de Rossi.)
III. DIE VERLEIHUNG DES PALLIUMS.
Die Pallium Verleihungen, deren wir vorhin gedachten, sind nicht die
einzigen im 6. Jahrhundert gewesen. Es müssen noch eine Anzahl anderer
vorgekommen sein. Das erhellt aus verschiedenen Schreiben Gregors d. Gr.
Denn wenn derselbe einem Bischof den usus pallii gewährte, so pflegte er
dabei zu bemerken , er tue das ex more , iuxta antiquum morem , sicut
prisca consuetudo habet, antiquae consuetudinis ordine provocatus und ähnlich 5.
Auch wies er wohl den mit dem Pallium Begnadigten an, die Insignie in
der Weise zu tragen, wie das sein Vorgänger getan6. Es muß also schon
vor Gregor die Verleihung des Palliums in Flor gestanden haben.
Selbst die Sitte, bestimmten Sitzen regelmäßig den Gebrauch des Ornatstückes
zu gewähren, entstand nicht erst zu Gregors Lebzeiten ; sie hatte sich schon vor den
1 Garr. tav. 108 ff. Garrucci glaubte bei
Linus das Pallium wahrnehmen zu können.
Allein das Bild des Papstes Linus ist wie
die Darstellungen aller Päpste von Petrus
bis auf ürban so sehr durch spätere Re-
stauration verunstaltet, daß von dem Original
nur wenig mehr da ist. Die auf Urban fol-
genden Papstbilder haben sich besser er-
halten ; keines von diesen aber weist das
Pallium auf, wie wir uns an Ort und Stelle
selbst überzeugten. Vgl. auchWilp. , Gap.
30, nota 2.
2 Garr. tav. 258 264 265 267.
3 De Rossi, Mus. fasc. III— IV XIII bis
XIV. Garr. tav. 272 274.
1 De Rossi, Mus. fasc. III— VI. Garr.
tav. 253 271. Über die Papst- und Bischofs-
bilder in S. Callisto siehe oben S. 159. Der
Elfenbeintafel des Trierer Domschatzes wird
später bei Besprechung des griechischen Pal-
liums gedacht werden.
5 Gregor. M. Epist. 1. 4, n. 1 ; 1. 5, n. 58
60 61 62; 1. 6. n. 8; 1. 9, n. 176 228 (M. G.
Epp. I 232 368 373 375 376 387; II 171 221).
6 Ebd. 1. 5, n. 62; 1. 6, n. 8 18; 1. 13, n. 40
(I 376 387 397; II 403).
Drittes Kapitel. Das Pallium. 627
Tagen des großen Papstes herausgebildet. Wie Symmachus das Pallium dem hl. Cäsarius
von Arles verlieh, so erteilte Vigilius es dessen Nachfolgern Auxanius und Aurelian
und Pelagius dem Erzbischof Sapaudus. Auch die Erzbischöfe von Eavenna wurden,
wie sich aus den Mosaiken in S. Vitale und in S. Apollinare in Classe ergibt, nicht erst
durch Johannes III. und Gregor d. Gr. der Ehre des Palliums gewürdigt. Ebenso kann
das, was der Liber Pontificalis in Betreff der Verleihung des Ornatstückes an den
Bischof von Ostia sagt, nur von einer gewohnheitsmäßigen Erteilung dieses Privilegs
verstanden werden. Ausdrücklich aber bezeugt den Brauch bereits das Schreiben
Johannes' III. an den Erzbischof Petrus von Kavenna. „Wir wissen", so heißt es
darin, „daß es der Vernunft entspricht, diejenigen mit dem Pallium zu schmücken,
welche die Bischofswürde durch Gottes Barmherzigkeit in jenen Städten ziert, in
denen es auch den früheren Bischöfen vom Apostolischen Stuhle nachweislich
verliehen wurde." '
Empfänger des Palliums waren von Anfang an vornehmlich päpstliche
Vikare und Metropoliten. Schon in den Briefen Gregors d. Gr. begegnet
uns eine nennenswerte Anzahl von Würdenträgern dieser Art, deren Vor-
gänger bereits den usus pallii besaßen. Neu verleiht der Papst das Privileg
dem hl. Augustinus für die von demselben gegründete englische Kirche3.
Auch stellt er in seinem Schreiben an den Heiligen die Insignie den beiden
demnächst zu gründenden Metropolitansitzen London (später Canterbury) und
York in Aussicht. Indessen wurde das Pallium um die Neige des 6. Jahr-
hunderts noch keineswegs von allen Metropoliten des Abendlandes getragen,
wie man vielleicht aus dem Verhalten Gregors gegenüber Augustinus und
den beiden zukünftigen englischen Metropolen schließen möchte. Denn als
der Erzbischof Desiderius von Vienne unter Hinweis auf die alte Gewohn-
heit in Rom um das Pallium bat, weigerte sich Gregor, dem Ansuchen zu
willfahren, bis der Bittsteller aus dem Archiv seiner Kirche nachgewiesen,
daß schon seine Vorgänger den usus pallii gehabt 3.
Ebendarum aber kann damals auch noch nicht den Erzbischöfen die
Pflicht obgelegen haben, das Pallium vom Apostolischen Stuhle zu erbitten
und sich vor Empfang der Insignie der Metropolitanfunktionen zu
enthalten. Wann diese Pflicht sich herausgebildet hat, läßt sich nicht mit
Genauigkeit bestimmen. Um die Mitte des 8. Jahrhunderts war sie, nach
dem Briefwechsel zwischen Papst Zacharias und dem hl. Bonifatius zu urteilen,
jedenfalls noch nicht in Kraft.
Bonifatius hatte für die von ihm eingesetzten Metropoliten Grimo von Rouen,
Abel von Reims und Hartbercht von Sens von Zacharias die Bestätigung und das
Pallium erbeten. Der Papst antwortete, er sende die Pallien und habe über die Be-
deutung und den Gebrauch der Insignie usw. den Bischöfen Weisung zugehen lassen.
Noch ehe dieser Brief jedoch in die Hände des Heiligen kam, muß derselbe ein neues
Schreiben an Zacharias gerichtet haben, in dem er nur für Grimo das Pallium nach-
suchte. Wie es scheint, veranlagte die Furcht, Sportein zahlen zu müssen, Abel und
Hartbercht, auf das Ornatstück zu verzichten. Zacharias antwortete voll des Er-
staunens über die Wendung der Dinge und wünschte Aufklärung. Von der Pflicht
der Metropoliten, das Pallium in Rom zu erbitten, hören wir aber nicht das geringste *.
Drei Jahre später hatte der Heilige auf einer fränkischen Synode den Be-
schluß erwirkt, es sollten die Metropoliten das Pallium beim Apostolischen Stuhle
nachsuchen. 751 aber muß er bei Zacharias sich entschuldigen, daß derselbe noch
1 M. 77, 655, nota h. 3 Ebd. 1. 9, n. 220 (II 212).
- Gregor. M. Epist. 1. 11, n. 39 (M. G. * S. Bonifacii Epist. n. 57 58 (M. G.
Epp. II 311). Epp. III 313 315).
40*
628 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
nicht zur Ausführung gebracht sei. „Was man versprochen, hat man bisher zu
verwirklichen gezögert. Man schiebt auf, überlegt hin und her und weiß darum
nicht, was man tun will. Wäre es nach meinem Willen gegangen, so wäre das Ver-
sprechen längst erfüllt." Die Ursache der Verzögerung scheint auch hier die Furcht
vor etwaigen Abgaben gewesen zu sein. In der Antwort erkennt Zacharias den
guten Willen des hl. Bonifatius an; betreffs der Sache aber bemerkt er bloß: „Wenn
die Metropoliten gemäß dem Beschluß vorangehen, wird ihnen das zum Lobe gereichen ;
wenn nicht, laß sie (sin vero aliter egerint, ipsi videbunt). Wir geben durch Gottes
Gnade umsonst, was wir selbst umsonst empfangen haben." l Ob sich der Papst
mit diesem Entscheide begnügt hätte, wenn die Metropoliten schon damals vorschrifts-
mäßig um die Erteilung des Palliums einkommen mußten und vor Empfang der In-
signie keine erzbischöflichen Amtshandlungen vornehmen durften? Zweifelsohne nicht.
Sicher bestand die kanonische Bestimmung, wonach die Metropoliten
nach ihrer Wahl beim Apostolischen Stuhle um das Pallium zu bitten hatten
und vor Verleihung desselben ihres Amtes nicht walten durften, in der Haupt-
sache bereits um die Mitte des 9. Jahrhunderts. Es ergibt sich das aus einer
Verordnung Nikolaus' I., aus dem 1. Kapitel des 877 unter Johannes VIII.
gehaltenen Konzils von Ravenna und aus einem Schreiben Johannes' VIII. an
den Erzbischof Rostagnus von Arles.
Auf eine Anfrage, welche die Bulgaren hinsichtlich des demnächst zu er-
wählenden Erzbischofes an Nikolaus I. gerichtet hatten , antwortet dieser nämlich,
es solle der zukünftige Metropolit gerade so, wie das bei allen Erzbischöfen Deutsch-
lands, Galliens und anderer Länder bekanntermaßen geschehe, vor dem Empfang des
Palliums nicht seinen Thron benutzen 2. Desgleichen solle er keine Konsekration mit
Ausnahme derjenigen des Leibes und Blutes Christi vornehmen. Das erste Kapitel der
S37node von Ravenna bestimmt in ähnlicher Weise, es hätten die Metropoliten inner-
halb dreier Monate ihr Glaubensbekenntnis dem Apostolischen Stuhle vorzulegen und
um das Pallium zu bitten. Solange jemand in Bezug auf diese Punkte die alte Sitte
verachte, solle er weder seinen Sitz einnehmen noch Konsekrationen vollziehen
dürfen 3. Johannes VIII. endlich beauftragt 878 in seinem Briefe Rostagnus, den er
zu seinem Vikar gemacht hatte, darüber zu wachen, daß kein Erzbischof eine Weihe
vornehme, wofern er nicht vom Papste das Pallium erhalten habe, die Zuwiderhandelnden
aber in seinem Namen zu tadeln 4. Er habe nämlich die Wahrnehmung gemacht, daß
gallische Bischöfe schon vor Erlangung des Palliums Konsekrationen auszuüben
gewagt hätten, obschon doch sowohl von seinen Vorgängern (antecessores nostri) als
von ihm selbst solches untersagt worden sei 5.
Allem Anschein nach fällt die Einführung der Verordnung, durch welche
die Metropoliten verpflichtet wurden, das Pallium vom Apostolischen Stuhl
zu erbitten, in die erste Hälfte des 9. oder noch in das Ende des 8. Jahr-
hunderts6. Ihr Ziel war nicht die Schädigung oder gar die Vernichtung der
Metropolitangewalt. Sie sollte vielmehr die Metropoliten zu innigerer und
festerer Einheit mit dem einzigen Grund aller Metropolitanvollmachten , dem
Stuhle Petri, verknüpfen, sollte den dem innersten Wesen der Kirche wider-
strebenden zentrifugalen und selbstherrlichen Bestrebungen mancher Metro-
politen mitsamt den daraus hervorgehenden Mißständen in wirksamer Weise
begegnen und zugleich das in Auflösung und Verfall geratene Metropolitan-
1 S. Bonifacii Epist. n. 78 86 87 (M. G. G Das Gratiansche c. Quoniam quidem
Epp. III 351 368 370). (Decr. I, D. 100, c. 1; Corp. iur. can. I,
2 Resp.adBulg.consultan.73(M.119,1007). Lipsiae 1879, 352), eine Erweiterung des
3 Hard. VI 185. c. 1 der Synode von Ravenna, wird bei Gratian
4 Ad univers. ep. Gall. (M. 126, 778). irrig Papst Pelagius (II.) zugeschrieben. J.
6 Ad Rostagnum arehiep. (M. 126, 777). n. 1064.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
629
System von neuem kräftigen, festigen und zu frischem Leben führen. Sie
bildete so wenig einen Eingriff in die Befugnisse der Metropoliten und den
Tod der Metropolitanautorität , daß sie vielmehr nur die Äußerung eines
dem Papste ureigensten und unverlierbaren Eechtes und zugleich eine ent-
schiedene Hebung und einen nachhaltigen Schirm der Metropolitan gewalt be-
deutete1. Wie groß die Notwendigkeit war, die Erzbischöfe enger mit Rom
zu verknüpfen, hat niemand besser als der große Apostel Deutschlands erkannt;
daher denn auch Bonifatius als der eifrigste Förderer des römischen Palliums
auftrat 2.
Das früheste Beispiel eines mit dem Pallium geschmückten abendländischen
Suffragans bietet der Bischof von Ostia. In der zweiten Hälfte des
6. Jahrhunderts begegnet uns dann die Insignie bei verschiedenen zum rö-
mischen Metropolitanverbande gehörenden Bischöfen Siziliens. Der Grund,
warum sie diesen zugestanden wurde, mag in dem Umstände liegen, daß
die Bischöfe des Patrimonium Petri auf Sizilien mehr als die sonstigen Suffra-
gane des römischen Metropolitanstuhles als Stellvertreter des Papstes er-
schienen 3. Es ist wohl nicht umsonst, daß Gregor in seinen Briefen an Donus
von Messina und Johannes von Syrakus, in welchen er denselben das Ornat-
stück verleiht, zugleich ausdrücklich alle Privilegien bestätigt, welche beiden
Kirchen von seinen Vorgängern verliehen worden seien4.
Der Bischof von Ostia und die Bischöfe von Sizilien bleiben innerhalb
des römischen Metropolitanbereiches die einzigen, bei denen wir den usus
pallii antreffen. „Im weiten Umkreis von Rom", sagt Grisar, „absorbierte
gleichsam alles Ansehen der in der Hauptstadt regierende Apostel Petrus,
vertreten durch seine Nachfolger. Die andern Bischöfe waren auch zu zahl-
reich und hatten zu kleine Diözesen, um besondere Wichtigkeit zu erlangen." 5
Das erste bekannte Beispiel, daß im Abendland ein nicht zum römischen
Metropolitanverband gehörender Suffraganbischof mit dem Pallium geschmückt
wurde, bildet Syagrius von Autun. Der Grund, warum Gregor diesem das
Ornatstück gewährte , waren teils die Verdienste , welche sich Syagrius
um Augustinus, den Apostel Englands, erworben hatte, teils die Bitten des
fränkischen Hofes 6. Bemerkenswert ist, daß der Papst dem Bischof um des
Palliums willen — ne indumenti munificentiam nudam videamur quodammodo
contulisse — das Recht der Präzedenz vor den Komprovinzialen gewährte
und ihn zugleich mit der Sorge für die Zusammenberufung einer Synode der
gallischen Bischöfe beauftragte 7.
1 Phillips, Kirchenreclit § 73; II 87, und
§ 348; VI 813.
2 Vgl. den Briefwechsel zwischen Papst
Zacharias und dem Heiligen und des letzteren
Brief an Erzbischof Cuthhert von Canter-
bury (S. Bonifacii Epist. n. 78 [M. G. Epp.
III 351]).
3 Grisar (Das römische Pallium: „Fest-
schrift" etc. 110) vermutet: „Die Berührung
mit griechischen Gebräuchen mag auf Sizi-
lien, obwohl diese Insel von jeher zur
Kirchenprovinz des römischen Bischofs ge-
hörte , es mit sich gebracht haben , daß das
Pallium von manchen besonders hervorragen-
den Bischofssitzen gebraucht -wurde."
i Gregor. M. Epist. 1. 6, n. 8 18 (M. G.
Epp. I 387 397). Ein ständiger Vikar war
in Sizilien nicht. Etwaige Vikariatsgeschäfte
besorgten entweder der Defensor oder ein
Bischof im Auftrage des Papstes (1. 2, n. 8
[I 107]).
5 Grisar a. a. 0. 110.
e Gregor. M. Epist. 1. 8, n. 4 ; 1.9, n. 222
(M. G. Epp. II 5 213).
7 Ebd. Bezeichnend ist der Schluß des
Briefes, worin er den Bischof ermahnt, mit
allem Eifer zu Werk zu gehen : ut nos
utiliter providisse, qui vestram ad hoc prae
ceteris personam eligimus , videamur ; vgl.
auch Epist. 1. 9, n. 219 (II 210).
630
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Wie unter Gregor d. Gr. so kamen auch noch in der Folgezeit neben
den Palliumverleihungen an Metropoliten solche an gewöhnliche Bischöfe vor.
Sie waren indessen nie häufig. Hier einige Beispiele aus älterer Zeit.
Ohrodegang von Metz soll das Pallium durch Stephan IL 754 erhalten haben,
als dieser zur Salbung Pipins ins Frankenland kam ', Drogo von Metz 844 durch
Sergius IL - Actardus von Nantes wurde 868 durch Hadrian IL 3, Wala von Metz 878
durch Johannes VIII. der Ehre des Palliums gewürdigt 4, Argrinus von Langres 900
durch Benedikt IV. 5, Eagembert von Vercelli 912 durch Anastasius III. 6, Richarius von
Lüttich 922 durch Johannes X.1, Atto von Vieh (Spanien) 971 durch Johannes XIII. 8
Leo IX. verlieh es 1051 Stephan von Le Puy9, 1053 Hartwig von Bamberg10, Alex-
ander IL 1063 Burchard von Halberstadt11, Gregor VII. 1076 Ivo von Dol 12 sowie
Hermann von Metz '3, Paschalis IL 1105 Guido von Pavia11, 1111 Otto von Bamberg15,
Calixtll. (1119— 1124) Benedikt von Lucca 1G, Innozenz IL 1139 Egilbert von Bamberg ",
Eugen III. 1146 Eberhard IL von Bamberg ls. Von neueren Beispielen erwähnen wir
die Palliumverleihung an die Bischöfe von Ermeland und Würzburg durch Bene-
dikt XIV. Die Gewährung des Ornatstückes erfolgte je nach den Verhältnissen unter
ausdrücklicher Befragung und Zustimmung des jeweiligen Metropoliten und unter
Wahrung der metropolitanen Rechte desselben ls.
Bis zum 11. Jahrhundert pflegte das Pallium denjenigen, welchen der
Gebrauch desselben zugestanden worden war, durch einen Boten übersandt
zu werden. Ein persönliches Erscheinen beim Apostolischen Stuhle zum Zwecke
der Entgegennahme des Ornatstückes war nicht gefordert. Im Laufe des
11. Jahrhunderts drängten die Päpste indessen mit aller Entschiedenheit darauf,
es sollten die Bewerber nach Rom kommen, um in eigener Person das Pallium
daselbst in Empfang zu nehmen 20. Das Unwesen der Simonie, die papst-
feindliche Stellung und die Verweltlichung mancher Erzbischöfe, der gewaltige
Kampf gegenüber den Übergriffen der Macht der Fürsten und die sonstigen
Schäden der Zeit mußten diese Maßregel damals als zweckmäßig, ja geradezu
als nötig erscheinen lassen 21. Mit dem Aufhören der Gründe verlor dieselbe
ihre Bedeutung, weshalb denn auch in späterer Zeit ein persönliches Erscheinen
zu Rom nicht weiter verlangt wurde.
Bei der Verleihung des Palliums war vor der Zeit Gregors d. Gr. eine
Abgabe zu entrichten. Da der Papst diese Sportel durchaus mißbilligte,
schaffte er sie auf der römischen Synode des Jahres 595 ab, wobei er indessen
1 M. G. SS. X 568. 2 Ebd. 374.
3 J. n. 2904. * Ebd. n. 3183.
5 Ebd. n. 3527. 6 Ebd. n. 3550.
7 Ebd. n. 3566. Die Bulle wird übrigens
bei Jaffe als zweifelhaft bezeichnet.
8 Ebd. n. 3747. s Ebd. n. 4265.
10 Ebd. n. 4287. " Ebd. n. 4498.
12 Ebd. n. 5004.
13 Kraus, Kunst und Altertümer in Elsaß-
Lothringen III, Straßburg 1889, 717.
u J. n. 6013.
15 Ebd. n. 6291.
1G Ebd. n. 7091.
17 Ebd. n. 8048.
18 Ebd. n. 8975. Zugleich mit dem Pallium
wurde den betreffenden Bischöfen auch wohl
der Titel „ Erzbischof " zu teil, wie z. B. dem
Bischof Ivo von Dol.
19 Vgl. z. B. das Schreiben Hadrians II.
vom Jahr 866 an Actardus von Nantes und
Leos IX. an Hartwig von Bamberg.
20 Gregor. VII. Epist. 1. 1, n. 24 (J.
n. 4795). Alexandri II. Epist. ad Raven-
gerum electum Aquileien. (J. n. 4504) , ad
Annonem archiep. Colon, und ad Hugon. abb.
Clun. (ebd. n. 4507 4529). Vgl. auch Phillips,
Kirchenrecht § 241 ; V 2, 645.
21 Bezeichnend sind die Worte Alexanders II.
in seinem Brief an Ravengerus : Licet anti-
quis temporibus pallia absentibus metropoli-
tanis aliquando concessa fuerint , . . . tarnen
antecessores nostri, ... ad cautelam maxime
simoniacae haereseos , quam in quibusdam
nunc regionibus praevalere cognoschnus, ipsa
soluminodo praesentibus dari salubri cousilio
statuerunt.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
631
erklärte, freiwillige Gaben sollten nicht verboten sein, da in ihnen nichts Ver-
kehrtes und Schuldbares liege K
Wie lange diese Bestimmung in Kraft blieb , läßt sich nicht sagen. Der Ver-
trag Leos II. (681 — 683) mit dem Erzbischof von Ravenna, kraft dessen der rävenna-
tische Metropolitansitz in Zukunft von aller und jeder Palliumsportel frei sein sollte -,
dürfte fast vermuten lassen, es sei damals wieder eine solche erhoben worden. In-
dessen stellt noch Papst Zacharias 744 einer Bemerkung des hl. Bonifatius gegen-
über mit Entschiedenheit und voll Unwillen in Abrede, daß der Apostolische Stuhl
für die Verleihung des Palliums eine Belohnung fordere und Geld verlange. 805 klagen
aber die englischen Bischöfe bei Leo III. , daß das Pallium gekauft werden müsse,
während es früher umsonst verliehen worden sei 3. Aus einem Briefe des hl. Anselm
(t 1109) ergibt sich, daß man damals bei Empfang der Insignie einen Geldbetrag
entrichtete 4. Es erhellt indessen nicht, ob derselbe schon den Charakter der späteren
sog. Palliumgelder hatte.
Daß man zu Rom infolge der Verhältnisse im Laufe der Zeit von der
gregorianischen Praxis abging und eine Taxe bei der Palliumverleihung zu
erheben begann, bedarf keiner Rechtfertigung. Man tat nur, was die Not
der Lage erheischte. Die Palliumgelder sind seit dem ausgehenden Mittel-
alter Gegenstand mancher Anfeindung und Klage geworden, allerdings häufig
mit Unrecht und in übertriebener Weise.
Der Treueid, welchen der Empfänger des Palliums abzulegen hat, scheint
im 11. Jahrhundert aufgekommen zu sein. Er begegnet uns schon unter
Paschalis IL (1099 — 1118) 5. In früherer Zeit war statt dessen die Ablegung
der professio fidei üblich0. Johannes VIII. verweigerte dem Erzbischof Wilibert
von Köln 873 das Pallium, bis derselbe statt der ungenügenden professio eine
andere eingesandt habe 7.
Der Grund für die Einführung der Ablegung des
Treueides lag in den Verhältnissen des 11. Jahrhunderts.
IV. LITURGISCHER CHARAKTER DES ROMISCHEN PALLIUMS.
SEINE VERWENDUNG BEIM GOTTESDIENST.
Über den sakralen Charakter und die gottesdienstliche Verwendung des
römischen Palliums schweigen sowohl Symmachus wie Vigilius, Pelagius I.
wie Johannes III. Erst Gregor d. Gr. gibt uns in seinen Briefen darüber
näheren Aufschluß. Das Pallium war, wie aus manchen seiner Schreiben mit
aller Bestimmtheit hervorgeht, schon damals ein durchaus liturgisches Ornat-
stück, das nur innerhalb der Kirche, und zwar, falls nicht ein ganz besonderes
Privileg einen weitergehenden Gebrauch gestattete, lediglich bei der Feier des
heiligen Opfers getragen werden durfte 8. Das erhellt namentlich aus dem
Briefwechsel, welcher bezüglich der Verwendung der Insignie zwischen Gregor
und Johannes von Ravenna geführt wurde 9.
1 C. 5 (M. 77, 1337). Cf. Epist. 1. 5, n. 57
(M. G. Epp. 1 364).
2 Vita Leonis IL (Du eh., L. P. I 360).
3 M. 102, 1033.
* Epist. n. 88 (M. 159, 244).
5 Epist. ad archiep. Spalat. (J. n. 6570).
c Liber diurnus n. 46 (Sickel 37) ; Conc.
Ravenn. a. 877, c. 1; Zachariae P. Epist.
ad Bonif. (M. G. Epp. III 313).
' J. n. 2986. Vgl. auch n. 2982, worin
Bertulf von Trier zur Ablegung der professio
fidei aufgefordert wird.
8 Gregor. M. Epist. 1. 4, n. 1; 1. 5,
n. 61; 1. 9, n. 222 227; I. 11, n. 39 (M. G.
Epp. I 232 375; II 213 218 311).
9 Ebd. 1. 3, n. 66 54; 1. 5, n. 11 15 61;
1. 6, n. 31 ; 1. 9, n. 167 (I 228 211 291 295
375 409; II 165). Es ist unzutreffend, wenn
M. G. Epp. III 211, nota 2 das Schreiben
1. 3 , n. 54 als das frühere , n. 66 als das
spätere bezeichnet wird. Der Inhalt beider
Briefe, namentlich aber der Abschnitt, welcher
von der Mappula handelt, beweist klar, daß
umgekehrt n. 54 erst nach n. 66 zu setzen ist.
632 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Gregor hatte erfahren, daß sich Johannes eine zu ausgiebige Verwertung des
Palliums gestattet habe. Er sollte es nicht bloß bei der Messe, sondern auch bei den
Litanien (Prozessionen), sowie bei der Entgegennahme der üblichen Begrüßungen, die
vor der Messe im Sekretarium (Sakristei) statthatten , verwendet haben. Die Sache
führte zu einem längeren, lebhaften brieflichen Meinungsaustausch. Gregor tadelt
das Verhalten des Erzbischofs mit ernsten Worten. Er betont, man habe, und solches
sei" Johannes nicht unbekannt , kaum je gehört , daß sich irgend ein Metropolit in
irgend einem Weltteil den Gebrauch des Palliums außerhalb der Meßfeier angemaßt
habe. Der Erzbischof habe sich daher entweder der Gewohnheit aller Metropoliten
anzuschließen , oder nachzuweisen , daß der Kirche von Eavenna von Gregors Vor-
gängern ausgedehntere Privilegien verliehen worden seien. Könne er das letztere
nicht, so solle er sich nicht weiter unterfangen, des Palliums sich auf der Straße
oder bei den Audienzen im Sekretarium zu bedienen.
In einem zweiten Schreiben gestattet dann Gregor auf Grund der Fürsprache
hochstehender Personen dem Erzbischof, an vier Tagen, nämlich den Festen des
hl. Johannes Baptist, der Apostelfürsten Petrus und Paulus und des hl. Apollinaris
sowie am Jahrestage seiner Konsekration die Insignie bei dem feierlichen Zuge zur
Kirche zu tragen. Außerdem erlaubt er ihm, dieselbe bereits im Sekretarium nach
dem Ende der Begrüßung, statt erst am Altar, anzulegen.
Das Zugeständnis des Papstes scheint den Erzbischof noch nicht befriedigt
zu haben. Denn bald muß sich Gregor in einem dritten Briefe wiederum darüber
beklagen, daß Johannes das Pallium bei den Litanien zu häufig benutze. Zugleich
bemerkt er diesem," er habe seinen Geschäftsträger in Konstantinopel beauftragt, bei
allen Metropoliten, auch wenn sie 30 oder 40 Suffragane hätten, über den Gebrauch
des Ornatstückes Erkundigungen einzuziehen. Falls es sich finde, daß irgendwo die
Gewohnheit bestehe, bei den Litanien mit dem Pallium zu gehen, so sei es fern von
ihm, die Kirche von Eavenna in ihrer Ehre beeinträchtigen zu wollen.
Inzwischen starb Johannes , ohne daß Gregor eine endgültige Entscheidung
getroffen hatte. Dem neuen Erzbischof Marianus gestattete der Papst vielmehr nur,
was er auch schon dessen Vorgänger erlaubt hatte. Als derselbe ihn jedoch durch
seinen Diakon Florentius um weitere Vollmachten anging und ein gewisser Andreas,
ein Mann von hohem Stande, ihn drängte, den angeblich alten Brauch der ravenna-
tischen Kirche wiederherzustellen, befahl er seinem Notar Castorius wiederholt, eine
genaue Untersuchung anzustellen, ob es wirklich in Ravenna Sitte gewesen sei, daß
der Erzbischof bei allen feierlichen Litanien das Pallium trug, und welche Litanien
als feierliche gegolten hätten. Wie die Sache auslief, ist nicht bekannt.
In welchem Umfang der Papst selbst vom Pallium bei kirchlichen
Funktionen Gebrauch machte, ist aus den Briefen Gregors nicht zu ersehen.
Es scheint jedoch, daß derselbe es nicht bloß bei der Messe, sondern auch
bei sonstigen Gelegenheiten, insbesondere bei den feierlichen Prozessionen, an-
zulegen pflegte. Denn es muß auffallen, sowohl daß Gregor dem Erzbischof
von Ravenna die Verwendung der Insignie bei einzelnen Litanien gestattet,
als auch, daß er gegenüber Johannes nie hervorhebt, wie sogar er selbst sich
des Palliums nur bei dem heiligen Opfer bediene K
Auch in der Folge bleibt das Pallium ein durchaus liturgisches Ornat-
stück. Es genüge, auf die Ausführungen der mittelalterlichen Liturgiker von
Hraban an bis zu Innozenz III. und Durandus, auf die römischen Ordines,
1 Daß Gregor sich des Palliums je auch quid dicturi sumus futuro iudici, fr'ater di-
bei andern als kirchlichen Punk- lectissime , se illud grave iugum atque vin-
tionen , also auch außerliturgisch bedient culum cervicis nostiae , non dico pro ec-
habe, ist mit den Anschauungen, die er clesiastica, sed pro quadam saeculari nobis
namentlich Johannes von Ravenna gegenüber dignitate defendimus (Epist. 1. 3 , n. 54 [M.
entwickelt, durchaus unvereinbar. Man vor- G. Epp. I 211]; vgl. auch 1. 9, n. 213 [II
gleiche z. B. unter anderem die Worte: Et 198]).
Viertes Kapitel. Das Pallium.
633
auf die einschlägigen Bestimmungen des Corpus iuris canonici und besonders
auf die Verleihungsbullen hinzuweisen. Es erscheint darin überall nur als
liturgisches Gewandstück, und zwar als Sakralornat im ganz besondern Sinne,
als Meßornat. Namentlich betonen die Bullen immer wieder, das Pallium
werde ad missarum sollemnia tantum celebranda verliehen l.
Allerdings fehlte es noch im 9. Jahrhundert nicht an weiter gehender, miß-
bräuchlicher Benutzung des ürnatstückes , so daß sich die unter Johannes VIII. 877
abgehaltene Synode von ßavenna veranlaßt sah, im dritten Kapitel ihrer Dekrete
denjenigen Metropoliten mit dem Verlust des Palliums zu bedrohen, welcher sich seiner
auf der Straße, bei den Litanien und an andern Tagen als den Hauptfesten und den
sonstigen vom Apostolischen Stuhle festgesetzten Zeiten bei der Meßfeier bediene -.
Wie es sich ursprünglich mit dem liturgischen Charakter des Palliums
verhalten habe, läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen. Da dieses jedoch
seit wenigstens dem Ende des 6. Jahrhunderts beständig als Sakralornat auf-
tritt, da ferner kein Anhaltspunkt vorliegt, es sei das Pallium jemals ein
außerliturgisches Abzeichen gewesen und erst später sakrale Insignie geworden,
und da endlich das griechische Pallium schon im 4. Jahrhundert als im Dienste
der Liturgie stehend erscheint, so kann es kaum zweifelhaft sein, daß das
römische Pallium stets ein liturgisches Gewandstück war.
Eine ausdrückliche Angabe über die Tage, an welchen den Metropoliten
bzw. den mit dem Pallium geschmückten Bischöfen das Tragen des Ornat-
stückes gestattet Avar, begegnet uns erst im 9. Jahrhundert; indessen müssen
bereits früh darüber irgend welche Bestimmungen bestanden haben.
Bereits Gregor d. Gr. schreibt an Johannes von Palermo, er erlaube
ihm das Pallium zu den Zeiten und in der Ordnung zu benutzen wie seine
Vorgänger und die andern Bischöfe Siziliens. Ahnlich spricht der Papst in
seinen Briefen an Donus von Messina und Johannes von Syrakus. Welcher
Art diese Beschränkungen waren, und auf welche Tage sie sich bezogen,
wird nicht näher angegeben. Bemerkenswert ist übrigens, daß nur in den
Schreiben an die drei sizilianischen Bischöfe, nicht aber in den sonstigen
Briefen Gregors von solchen die Rede ist.
Einen sehr ausgedehnten Gebrauch des Palliums gestattete Leo IV. 851
dem Erzbischof Hinkmar von Reims auf Bitten Lothars, indem er ihm die
tägliche Verwendung des Ornatstückes (cotidianum usum pallii, i. e. in diebus
festis sive in consecratione episcoporum aut alio quoque tempore) erlaubte 3.
Es war das indessen gegen die gewöhnliche Praxis. Die Tage, für welche
Nikolaus I. 860 dem Erzbischof Adalwinus von Salzburg das Tragen der
1 Vgl. die Bullen bei Müh Ib. II 600 ff.
2 Hard. VI 186. Bei Ivo ist der Kanon
als Dekret Houorius' I. (J. n. 2030) bezeichnet.
In den römischen Ordines erscheint das Pal-
lium auch beim Papst fast ausschließlich als
Meßornatstück. Als sonstige kirchliche Ge-
legenheiten, bei welchen derselbe es benutzte,
werden darin nur bestimmte feierliche Pro-
zessionen genannt, bei welchen der Papst die
ganze Meßkleidung trug, ausgenommen die
Mitra, an deren Stelle er mit der Tiara ge-
schmückt war. Vgl z. B. ordo 12, n. 33 und ordo
14, c. 19 (M. 78, 1078 1130). Auch auf Syn-
odenbediente sich der Papst des Palliums (E a d-
meri Hist. novorum in Anglia 1. 2 [M. Gr. SS.
XIII 143] : Papa non in cappa, sed in casula et
pallio desuper redimitus concilio praesidebat).
3 Die Verleihung, von der, Flodoard in
seiner Hist. Rem. eccl. 1. 3 , n. 10 (M. G.
SS. XIII 482) erzählt, ist von Bona (1. 1,
c. 24, § 16; II 272) und Pagi (Breviar. II
67) angezweifelt worden. Vgl. jedoch die
neuerdings bekannt gewordenen Schreiben
Leos an Lothar und Hinkmar (Ewald, Die
Papstbriefe der britischen Sammlung, Epist.
Leon. 12 13, in „Neues Archiv" V 382) und
neben dem Briefe Hinkmars an Nikolaus I.
(Ep. 11, bei M. 126, 88 f) das Schreiben des
letzteren an den Erzbischof (Ep. 108, bei M.
119, 1110).
634
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Insignie zugestand, waren nur Ostern, die Apostelfeste, Maria Himmelfahrt,
Weihnachten und das Fest des hl. Johannes Baptist 1. Einige Tage mehr
enthielt die Bulle, in welcher Hadrian IL 868 Actardus von Nantes mit dem
Pallium schmückte, doch ist die Zahl der Gelegenheiten auch hier noch sehr
beschränkt2. Als Herimann von Köln Johannes X. (914 — 928) um die Er-
laubnis bat, die Insignie an allen Festtagen anlegen zu dürfen, gab ihm der
Papst eine abschlägige Antwort 3. Dagegen bekam Bruno von Köln 954 die
außerordentlich weitgehende Vollmacht, das Ornatstück, so oft er es wolle,
zu benutzen *. Im übrigen waren nach Ausweis der Verleihungsbullen schon
im 10. und erst recht im 11. Jahrhundert die Tage, für welche der usus
pallii erlaubt zu werden pflegte, fast die nämlichen wie heute5. Eine sehr
beschränkte Ermächtigung wurde indessen noch 1052 dem Bischof Hartwig
von Bamberg zu teil, da ihm von Leo IX. der Gebrauch der Insignie nur für
drei Festtage zugestanden wurde 6.
V. DIE PALLIUMVERLEIHUNGEN IM VI. JAHRHUNDERT UND DER
KAISER.
In einigen Fällen von Palliumverleihungen vernehmen wir von einer
Beteiligung des Kaisers bzw. seines Vertreters in Italien. Man hat der Sache
eine zu große Bedeutung beigelegt und geglaubt, es sei der Papst bei der
Erteilung des Palliums an die Mitwirkung des byzantinischen Hofes gebunden
gewesen. Das ist jedoch durchaus unrichtig. Um jemand mit der Insignie
zu schmücken, dazu bedurfte es für den Apostolischen Stuhl keinerlei Mit-
wirkung des Kaisers, dem weder das Recht des Vorschlags, noch der Ver-
leihung, noch der Bestätigung, noch irgend eines Einspruches zustand. Doch
sehen wir die Fälle etwas näher an, mit denen man beweisen hat wollen, es
sei der Papst verpflichtet gewesen, zu einer Erteilung des Palliums die kaiser-
liche Genehmigung einzuholen. Es sind deren vier.
Zwei ereigneten sich unter Vigilius. Auxanius von Arles hatte den Papst
um das Vikariat und das Pallium gebeten. Darauf antwortete dieser, er habe dem
Verlangen mit bereitwilligem Herzen noch im gegenwärtigen Schreiben ohne Verzug
entsprechen können. Jedoch habe er es für vernünftig gefunden , das mit Kenntnis
des Kaisers zu tun, sowohl damit dem Bischof das Gewährte doppelt lieb komme,
weil es ihm ja mit kaiserlicher Zustimmung zu teil werde, als auch damit man ihm
selbst das Zeugnis gebe, er habe die Ehre des Glaubens des Kaisers in geziemender
Achtung gewahrt, d. i. er habe auf den „allerchristlichsten" Kaiser gemäfä dessen
Interesse für den Glauben entsprechende Rücksicht genommen '. Anderthalb Jahre
1 M. 119, 772. 2 M. 122, 1271.
3 J. n. 3568.
4 Ruotger, Vita Brunonis n. 27 (M. G.
SS. IV 265).
6 Vgl. z. B. L e o n i s VII. Epist. ad Gerhard,
arch. Laureac. (M. 132, 1071); Ioann. XIII.
Epist. ad Landulf. arch. Sipont. (M. 135,
977) und Mühlb. II 600 ff 608 ff.
6 M. 143, 700.
7 Vigil. Epist. ad Auxan. arch. Arelat.
(M. G. Epp. III 59) : De his vero, quae Cari-
tas vestra tarn de usu pallei quam de aliis
sibi a nobis petiit debere concedi, libenti hoc
animo etiam in praesenti facere et sine di-
latione potuimus , nisi cum christianissiini
domni . . ., sicut ratio postulat, voluissemus
perficere notitia, ut et vobis gratior prae-
stitorum causa reddatur, dum, quae postu-
lastis, cum consensu christiauissimi principis
conferuntur , et nos honorem fidei eius ser-
vasse cum competenti reverentia iudicemur.
Es ist sonderbar , daß L ö n i n g , welcher
(Geschichte des deutschen Kirchenrechts II,
Straßburg 1878, 92 ff) für eine Abhängigkeit
des Papstes vom Kaiser in Bezug auf die
Verleihung des Palliums eine Lanze bricht,
mit keinem Wort erwähnt, daß Vigilius aus-
drücklich betont, er könne sofort und ohne
Verzug den Bitten des Auxanius willfahren,
und daß der Papst Auxanius und Aurelian
Viertes Kapitel. Das Pallium.
635
später erteilt dann Vigilius in einem zweiten Briefe wirklich Auxanius das Vikariat.
Dabei ermahnt er ihn, für Justinian und Theodora zu beten, welche zur Übertragung
desselben pia devotione ihre Zustimmung gegeben hätten. Er solle desgleichen Belisars
im Gebet gedenken, auf dessen Anraten die Majestäten das getan. Zugleich fordert er
ihn auf, auf Wahrung des Friedens zwischen Childebert und Justinian hinzuwirken.
Schließlich fügt er noch hinzu: „Und weil wir es für angemessen erachten, daß dem-
jenigen, der unsere Stelle vertritt, der Schmuck des Palliums nicht fehle, so gewähren
wir Dir den Gebrauch desselben , so wie ihn unser Vorgänger heiligen Gedenkens,
Symmachus, Deinem Vorgänger verlieh, kraft der Autorität des hl. Petrus." Das
ist der eine Fall '. Der andere begegnet uns kaum mehr als ein Jahr später.
Auxanius war gestorben. Sein Nachfolger hatte sich ebenfalls an Vigilius mit
der Bitte um das Vikariat und das Pallium gewendet. Die Sache erledigt sich
diesmal umgehend. In einem Briefe von 23. August 546 überträgt Vigilius Aurelian
die päpstliche Stellvertretung. Zugleich schreibt er ihm: „Damit aber unser Vikar
in keinem Punkte hinter seinen Vorgängern zurückzustehen scheine , halten wir es
für nötig, ihm, wie wir es schon Eurem Vorgänger getan, kraft dieses Schreibens
(praesenti auctoritate) den usus pallii zu gestatten." Der Brief des Papstes endet
mit der Mahnung, es möge Aurelian mit allem Eifer dafür sorgen, daß die friedlichen
Beziehungen zwischen dem Frankenkönig Childebert und Ost-Rom erhalten blieben.
Dann aber möge er auch Belisar dafür danken , daß derselbe den Boten Aurelians
der Mühe überhoben habe, an den kaiserlichen Hof zu gehen, indem er die Sache
selbst rasch erledigt habe ''.
Die beiden andern Fälle ereigneten sich unter Gregor d. Gr. Der eine spielt
im Osten. Kaiser Justin IL hatte den Patriarchen Anastasius von Antiochien von
seinem Sitze verjagt. Gregor, der den Verbannten hochschätzte, wollte demselben
eine Genugtuung gewähren. Er ging deshalb die kaiserlichen Herrschaften an, Ana-
das Pallium gewährt beati Petri sancta
auctoritate, praesenti auctoritate.
Warum das? Löning bringt doch die Stelle
aus dem Brief an Aurelian von nisi cum,
d. i. von da an, wo sie ihm paßt,
zum Abdruck. Freilich läßt sich so leichter
von einer Verpflichtung des Papstes zur
Einholung der kaiserlichen Genehmigung
sprechen. Wenn Graf v. Hacke (Die
Palliumverleihungen bis 1143, Marburg 1898,
106) zum ersten Brief des Papstes bemerkt:
„Vigilius schreibt 543 Okt. 18 an Auxanius
von Arles, er könne ihm das erbetene Pal-
lium erst nach erhaltener Einwilligung des
Kaisers übersenden , und wartet tatsächlich
auch ab, ehe er es ihm D/2 Jahre später
verleiht", so ist das letzte natürlich richtig,
das erste aber schlechthin falsch. Gregor
sagt ja ausdrücklich das Gegenteil. Durch-
aus ungenau ist es, wenn es ebendort heißt:
„Aus einer freilich verdächtigen Erzählung
des Agnellus (M. G. SS. Langob. 326) hören
wir , daß Vigilius eine Konsekrierung und
Palliumverleihung einmal direkt auf Befehl
des Kaisers vorgenommen habe , die an
Maximianus von Ravenna." Hier ist nur zu-
treffend, daß nach Agnellus Vigilius auf Befehl
des Kaisers die Weihe vornahm ; das Pallium
verlieh dem Maximian nicht Vigilius, sondern
der Kaiser, von dem die Ravennaten es angeb-
lich erbeten hatten. Wozu übrigens mit einer
Angabe operieren, die vom Verfasser selbst
als verdächtig bezeichnet wird und nach dem
Zusammenhang nur eine Erdichtung des
genugsam als romfeindlich bekannten Ag-
nellus ist. Daß aber v. Hacke des weiteren
meint: „Wenn Vigilius die Intervention des
Königs Childebert einmal ein mandatum, das
andere Mal voluntas nennt, so ist in alledem
wohl eine Einwirkung des byzantinischen
Staatsrechtes zu erblicken , dessen Geschöpf
Vigilius, der ehemalige Apokrisiar und Ver-
traute der Theodora, selbst war", hat seinen
Grund in einem Mißverständnis der betreffen-
den Ausdrücke. Mandatum heißt an der
fraglichen Stelle nur „Empfehlung", voluntas
aber „Geneigtheit": Childeberti ... in per-
hibendo vobis testimonio voluntas. Unver-
ständlich ist, daß Graf v. Hacke noch an dem
Phantasiegebilde einer fränkischen National-
kirche festhält und behauptet (S. 107) , der
Papst sei bei Eingriffen in ihr Gebiet an
das Einverständnis des Landesherrn gebunden
gewesen, da er doch S. 128 bezüglich der Inter-
ventionen seitens fürstlicher Persönlichkeiten
durchaus zutreffend bemerkt , es dürfe aus
ihnen nicht gefolgert weiden, der Papst habe
das Pallium nur an die vom Herrscher vor-
geschlagene Person verleihen können.
1 Ebd. III 62.
2 Vigil. Epist. ad Aurel. archiep. Arelat.
(M. G. Epp. III 66).
636 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
stasius nach Rom zu schicken und zuzulassen , daß derselbe sich dort bei der
Meßfeier des Palliums bediene, damit er, wenn er nicht zu seinem Sitze zurückkehren
dürfe, doch wenigstens bei Gregor in seiner Würde leben könne. Wir erfahren von
diesen Bemühungen des Papstes in dessen Brief an Bischof Sebastian von Eisano '.
Der zweite betrifft den Bischof Syagrius von Autun. Brunhilde hatte Gregor
gebeten , denselben mit dem Pallium zu schmücken. Der Papst spricht darob in
seinem Schreiben an die Königin seine Freude und zugleich seine Bereitwilligkeit
aus, ihrem Ansuchen zu willfahren, zumal auch der Kaiser, wie er das von seinem
Geschäftsträger vernommen, der fraglichen Verleihung geneigt gegenüberstehe, ja die-
selbe durchaus wünsche 2.
Das sind die vier Fälle. Handelt es sich nun bei irgend einem derselben um
ein pflichtmäßiges Nachsuchen der kaiserlichen Zustimmung? Offenbar nein. Nehmen
wir den letzten Fall. Einer Sache geneigt sein, etwas durchaus wünschen, heißt noch
lange nicht eine Art von Genehmigungs- oder Einspruchsrecht in Bezug auf dieselbe
haben. Vieles kann uns sehr genehm sein; wir können vieles durchaus wünschen,
ohne daß es uns darum zustände, irgend einen entscheidenden Einfluß darauf auszuüben.
Ebenso sind es zwei durchaus verschiedene Dinge, eine Verpflichtung zur Einholung
der kaiserlichen Genehmigung haben und sondieren , wie man sich in Byzanz zu
irgend einem Projekt stelle, welche Stimmung demselben gegenüber am Hofe herrsche,
und sich versichern, daß dasselbe nicht nur keinen Schwierigkeiten seitens der Maje-
stäten begegnen werde , sondern sogar deren Beifall habe. Das bedeutet kein Ab-
hängigkeitsverhältnis, sondern nur ein von berechtigter Staatsklugheit geleitetes Vor-
gehen, weiter nichts. Es gehört in der Tat eine eigenartige Auffassung dazu, um
aus den Worten Gregors herauszulesen, es sei der Papst bei Verleihung des Palliums
pflichtmäßig an die Zustimmung des Kaisers gebunden gewesen.
Noch klarer liegt die Sache im ersten und zweiten Fall. Vigilius sagt ja doch
ausdrücklich, daß er sofort, ohne Aufschub, also ohne den Kaiser in Kenntnis gesetzt
zu haben, dem Auxanius Vikariat wie Pallium gewähren könne. Und wenn er
Auxanius und Aurelian mit dem Pallium schmückt, so tut er es, wie er das aus-
drücklich bemerkt, beati Petri sancta auctoritate, praesenti auctoritate. Klarer kann
man wohl nicht sprechen. Und dann sagt ja auch Vigilius keineswegs, daß es seine
Pflicht sei, dem Kaiser von seinem Vorhaben Mitteilung zu machen, und daß er es
bloß in Abhängigkeit von demselben ausführen könne. Erhaltes nur aus Zweck-
mäßigkeitsrücksichten für vernunftentsprechend und angebracht, der kaiserlichen
Majestät von der beabsichtigten Verleihung Kenntnis zu geben.
Obendrein handelt es sich in Sachen der Bischöfe Auxanius und Aurelian nicht
sowohl um das Pallium, als vielmehr um das päpstliche Vikariat. Denn es ist sehr
auffallend, daß Vigilius in seinem Briefe vom 22. Mai 545, in welchem er Auxanius
beides verleiht, nur bezüglich der Stellvertretung die Zustimmung Justinians und
Theodoras erwähnt, während er die Gewährung des Palliums schlechthin als sein
eigenes Werk hinstellt. Was konnte dem Kaiser auch an dem Pallium viel liegen,
welches Vigüius selbst nur als ornatus bezeichnet? Was ihn interessierte, war
höchstens die Übertragung des Vikariats. Indessen kann bei unbefangener Würdigung
der Schreiben des Papstes nicht einmal von einer pflichtmäßigen Einholung der kaiser-
lichen Genehmigung für die Verleihung der päpstlichen Stellvertretung die Eede sein.
Was endlich den dritten Fall anlangt, so hat derselbe es überhaupt mit keiner
Verleihung des Palliums an den Patriarchen zu tun ; es handelt sich in demselben
nur um die Ermöglichung einer ungestörten Benutzung des Ornatstückes seitens des
Verbannten.
Allein man sagt, es lasse sich das Verhalten Vigilius' und Gregors ohne die
Annahme , der Papst sei verpflichtet gewesen , zur Palliumverleihung die kaiserliche
Genehmigung einzuholen, nicht genügend erklären 3. Nun, es scheint denn doch nicht
1 Epist. 1. 1, n. 27 (M. G. Epn. I 41). s So Löning (a. a. 0.) bezüglich des 1.
2 Ebd. 1. 8, n. 4 (ebd. II 5). " 2. und 4. Falles.
Drittes Kapitel. Das Pallium. 637
schwer, für das Vorgehen beider eine völlig ausreichende und ungezwungene Erklärung
zu geben. Es sind Erwägungen politischer Klugheit, welche sie zu ihrem Handeln
bestimmten l.
Vigilius kannte aus den Erfahrungen , die er gemacht , Byzanz sehr wohl.
Er hatte Grund genug, zu fürchten, es werde die Verleihung des Palliums oder besser
des Vikariats an Auxanius und Aurelian am Hofe übel gedeutet, ja vielleicht gar
als Konspiration mit den Pranken angesehen werden und darum nicht bloß für ihn
selbst allerlei Mifshelligkeiten , sondern auch eine Spannung zwischen Ost-Rom und
dem Prankenreiche zur Folge haben -. Vigilius wollte dem vorbeugen und beschlofä
deshalb, schwankend, zaghaft und überrücksichtsvoll gegen Byzanz, wie er nun ein-
mal war, dem Kaiser seine ehrfurchtsvolle Gesinnung und seine Ergebenheit dadurch
zu bekunden, dafä er ihm von der Angelegenheit Mitteilung machte.
Gregor will in Sachen des Patriarchen Anastasius zweierlei. Er suchte einer-
seits dem hochverdienten und unschuldig verfolgten Manne, soweit es ihm möglich
war, eine ehrenvolle Genugtuung zu teil werden zu lassen und doch anderseits Ver-
wicklungen und Schwierigkeiten mit Ost-Rom in der Angelegenheit zu vermeiden. In
der weiteren Verwendung des Omophorion durch Anastasius lag ja ausgedrückt, dafä
dieser sich vor wie nach als rechtmäßigen Patriarchen betrachtete und seine Ab-
setzung für ungültig ansah.
Rücksichtnahme auf die Umstände und Erwägungen der Klugheit sind es endlich
auch, welche Gregors Verhalten in der Angelegenheit des Bischofs Syagrius be-
stimmten. Dem Papste lag es am Herzen, den Frieden zwischen dem Kaiser und
der Königin zu befördern, sowie Brunhilde dem Beherrscher des römischen Reiches
näher zu bringen und zu verpflichten. Eine weitere Bedeutung hat es nicht, wenn
der Papst sich bei seinem Vertreter in Konstantinopel danach erkundigt, welche
Stellung Byzanz dem Projekt gegenüber einnehme, und wenn er dann seine dies-
bezüglichen Wahrnehmungen gelegentlich dem Schreiben an die Königin einflicht.
Es ist wirklich nicht zu verwundern, daß nachgerade nicht mehr bloß
katholische Kanonisten die Theorie von einer Verpflichtung des Papstes, zur
Verleihung des Palliums die kaiserliche Autorisation nachzusuchen, abweisen,
sondern daß selbst Hinschius erklärt: „An den Konsens des römischen Kaisers
ist der Papst bei Gewährung (des Palliums) nicht gebunden gewesen. Mehr-
fache derartige, vor derselben vom Kömischen Stuhle gemachten Anfragen
erklären sich wohl aus speziellen, nicht mehr festzustellenden Gründen, da
in andern Fällen die Päpste jene Auszeichnung ohne Berücksichtigung des
Kaisers erteilt haben."3
In der Tat, wer vorurteilslos die Schreiben eines Vigilius, eines Gregor
und der andern Päpste prüft, dem kann es nicht verborgen bleiben, daß es
die Päpste und nur die Päpste waren, welche das Pallium verliehen, wie sie
es auch allein waren, von denen es abhing, zu bestimmen, in welchem Um-
fang sich ein Metropolit des Palliums bedienen durfte, und wie sie es ferner
allein waren, welche gegen eine unzeitige und der bestehenden Gewohnheit
widersprechende Verwendung der Insignie einschritten.
Das Pallium kommt vom Sitze des hl. Petrus4, es ist ein Segensgeschenk5,
eine Tröstung des Apostelfürsten 6. Seine Gewährung erfolgte beati Petri
sancta auctoritate, praesenti auctoritate 7, also kraft der dem Papste inne-
1 Vgl. auch die trefflichen Ausführungen 3 Hinschius, System des katholischen
Grisars (Rom und die fränkische Kirche VI) Kirchenrechtes, Berliu 1S78, II 26.
in Zeitschrift für katholische Theologie XIV, * Gregor. M. Epist. 1. 9 , n. 228 (M. G.
Innsbruck 1890, 488 ff. Epp. II 221).
2 Wie sehr es Vigilius um den Frieden 5 Ebd. n. 227 (ebd. 218).
zwischen den beiden Reichen zu tun war, be- 6 Ebd. n. 213 (ebd. 198).
weisen die Briefe an Auxanius und Aurelian. ' Vgl. oben S. 635.
63S Vierter Abschnitt. Die Insignien.
wohnenden und von Petrus stammenden apostolischen Machtvollkommenheit,
gleichviel, ob die Empfänger Untertanen des Kaisers waren oder nicht. Wenn
dabei aber in ein paar Fällen die Verleihung der Insignie erst nach einer Ver-
ständigung mit dem byzantinischen Hofe bzw. nach einer Sondierung von
dessen Wünschen erfolgt, so gibt es eine weit größere Zahl anderer, in
welchen von einem derartigen Vorgehen nicht das geringste verlautet. Und
dann wird ja doch in den zwei bemerkenswertesten jener wenigen Fälle aus-
drücklich betont, daß der Papst das Pallium ohne weiteres geben könne, daß
er es gebe beati Petri sancta auctoritate, praesenti auctoritate.
Man hat freilich gemeint, der Papst habe dann wenigstens zu einer Verleihung
des Palliums der Zustimmung des Kaisers bedurft, wenn es sich bei der Person des
Empfängers um einen Nichtuntertanen desselben gehandelt habe. Aber es sagt doch
Vigilius gerade bezüglich eines solchen, nämlich bezüglich des Auxanius, dafä er als-
bald und ohne Verzug und ohne den Kaiser von der Sache zu benachrichtigen, seiner
Bitte um Vikariat und Pallium entsprechen könne. Obendrein beweist auch das tat-
sächliche Verhalten der Päpste das Willkürliche und die Haltlosigkeit jener Theorie.
Wie Sapaudus von Arles von Pelagius I., so erhalten Leander von Sevilla und Augu-
stinus von Canterbury von Gregor I. das Ornatstück, ohne daß dabei irgendwie des
Kaisers gedacht wurde. Ebenso stellt Gregor ' die Insignie den zukünftigen Metro-
politen von York und London in sichere Aussicht, ohne die Notwendigkeit irgend
einer Genehmigung seitens des byzantinischen Hofes auch nur im geringsten anzudeuten.
Es ist selbst grundlos und zu viel behauptet, wenn man mit Duchesne ' auch
nur sagt, es hätten die Päpste im 6. Jahrhundert die Gewohnheit gehabt, bei einer
Verleihung des Palliums an Bischöfe, welche keine Untertanen des griechischen Keiches
waren, zuvor die Autorisation des Kaisers nachzusuchen. Ganz abgesehen davon, daß
sie in derartigen Fällen sich niemals eine Ermächtigung erbeten haben — sie be-
durften einer solchen weder, noch hatten ihre Schritte den Charakter einer Bitte um
Autorisation — , die Päpste des 6. Jahrhunderts haben bei Ausübung der ihnen
durchaus eigenen Gewalt, einem Bischof das Pallium zu verleihen, nur dann dem
byzantinischen Hofe von ihrem Vorhaben Mitteilung gemacht oder auf die Wünsche
des Kaisers Bücksicht genommen, wenn ihnen das in Anbetracht der besondern Ver-
hältnisse zweckdienlich oder durch die Umstände geraten schien. Wie kann man
zudem bei nur drei Fällen (Auxanius, Aurelian und Syagrius) von einer Gewohnheit
reden, zumal, da in andern von einer Verständigung mit dem Hofe von Byzanz absolut
keine Eede ist?
Was von der Stellung des Kaisers zur Verleihung des Palliums gesagt
wurde, gilt in erhöhtem Maße in Bezug auf die Intervention anderer Fürsten.
Irgend ein Recht, an dessen Erteilung mitzuwirken, sei es auch nur durch
Genehmigung derselben, hat diesen noch viel weniger als den Beherrschern
Ost-Roms jemals zugestanden. Nicht einmal die fränkischen Herrscher haben
sich trotz ihrer angeblichen Nationalkirche eine solche Befugnis beigelegt.
Die erste, welche von ihnen überhaupt bei einer Palliumverleihung interveniert,
ist Brunhilde im Falle des Bischofs Syagrius von Autun 2. Wenn Childebert I.
bei Vigilius für Auxanius, Aurelian und Sapaudus von Arles 3 und Childebert IL
bei Gregor für Virgilius von Arles 4 sich verwendeten, so handelte es sich in
allen diesen Fällen nicht um das Pallium, sondern um das Vikariat.
Die Intervention der Fürsten erfolgte lediglich durch Wunsch, Bitte und
Empfehlung. Es liegt aber auf der Hand, daß die Päpste, wo nur immer
1 Orig. 385. * Gregor. M. Epist. 1. 5, n. 60 (M. G. Epp.
2 Gregor. M. Epist. 1. 8, n. 4 (M. G. I 373). Die Intervention erfolgte aber auch
Epp. II 5). in diesen Fällen nur mittels Wunsch und Emp-
3 Epist. Arelat. n. 51 (M. G. Epp. III 75). fehlung.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
639
die Umstände es gestatteten, den Herrschern bereitwilligst entgegenkamen.
Lag es doch im Interesse ihres Wirkens zum Heile der Kirche, daß sie mit
den weltlichen Machthabern, soweit nur möglich, in gutem Einvernehmen lebten.
Interventionen von Fürsten bei Palliumverleihungen kamen namentlich in der
früheren Zeit häufiger vor. Hier einige Beispiele : König Edwin interveniert 634
bei Honorius I. für die Erzbischöfe Honorius von Canterbury und Paulin von York
(quae sperastis) ' , Karl d. Gr. ca 775 bei Hadrian I. für Tilpin von Reims (ad
petitionem) 2 und ca 790 für Erminbert von Bourges (affatibus vestris)3, Lothar bei
Leo IV. ca 850 für Alteus von Autun (mandastis, ut concederemus) 4, Salomo, König
der Bretonen, 865 bei Nikolaus I. für Festinian von Dol (deprecamini) 5, Ludwig II.
bei Johannes VIII. 873 für Bertulf von Trier (cotidianis precibus) 6 und 874 für
Willibert von Köln (interveniente domno Ludovico)7, Karlmann bei Johannes VIII.
877 für Theotmar von Salzburg (imperatoris petitione)8, Otto I. bei Johannes XIII.
968 für Adalbert von Magdeburg (petitione)3, Heinrich III. bei Klemens II. 1047 für
Eberhard von Trier (supplicatio imperatoris) 10, die Gräfin Mathilde bei Urban IL 1092
für Daimbert von Pisa (precibus)11, Alfons von Kastilien bei Paschalis IL 1104 für
Didacus von Compostela (precibus) l2 u. a. Die Interventionen hatten in späterer
Zeit besonders dann statt, wenn sich der Palliumverleihung an einen Erzbischof per-
sönliche oder sonstige Schwierigkeiten entgegenstellten , oder wenn es sich um eine
Auszeichnung für einen Bischof handelte.
VI. BEDEUTUNG DES PALLIUMS.
In der Kirche des Ostens erscheint das Pallium (Omophorion) schon
um den Beginn des 5. Jahrhunderts als Symbol des bischöflichen Hirtenamtes.
Es sollte das Bild des verlorenen Schäfleins darstellen, welches zur Herde
zurückzutragen der Bischof als der Nachfolger des guten Hirten die Aufgabe
hat. Nicht so in der römischen Kirche, wo das Pallium ausschließlich dem
Inhaber des Apostolischen Stuhles vorbehalten war. Hier wird es in der
älteren Zeit nie als Symbol des bischöflichen Hirtenamtes bezeichnet, obschon
doch Gregor d. Gr. diejenigen, welchen er das Pallium sendet, mehrfach zur
sorgfältigen Erfüllung ihrer bischöflichen Amtspflichten auffordert und die
Formulare des Liber diurnus teilweise sogar weitläufig dazu ermahnen. Viel-
leicht bietet der Brief Klemens' IL an den Bischof Johannes von Salerno eines
der ersten Beispiele für das Vorkommen dieser Symbolik im Abendlande 13.
In Rom hat das Pallium, sobald es uns daselbst entgegentritt, den Charakter
einer den römischen Bischof als solchen kennzeichnenden Insignie und eines
Abzeichens seiner papalen oder doch wenigstens patriarchalen Gewalt u.
2 Ebd. n. 2411.
4 Ebd. n. 2603.
6 Ebd. n. 2982.
8 Ebd. n. 3114.
10 Ebd. n. 4151.
1 J. n. 2019.
3 Ebd. n. 2475.
5 Ebd. n. 2789.
1 Ebd. n. 2988.
» Ebd. n. 3728.
11 Ebd. n. 5464.
12 Ebd. n. 5986. Andere Beispiele sind mit
großem Fleiß zusammengestellt bei v. Hacke,
Die Palliumverleihungen 127 f.
13 J. n. 4143; vgl. auch ebd. 4151 (Pal-
liumverleihung an Eberhard von Trier).
14 Ob der Inhaber des Apostolischen Stuhles
das Pallium zu allen Zeiten als Primas der gan-
zen Kirche oder anfänglich nur als Patriarch
des Abendlandes getragen habe, dürfte kaum zu
entscheiden sein. Nach Liutprand von
Cremona (Legat. Constant. c. 62 [M. 6.
SS. III 361]) hätte der Patriarch von Kon-
stantinopel bis zu Johannes XII. zum Ge-
brauch des Palliums der Erlaubnis des Apo-
stolischen Stuhles bedurft; doch kann diese
Angabe auf Richtigkeit keinen Anspruch er-
heben, da Liutprand zu wenig glaubwürdig
ist und für seine Mitteilung eine sonstige Be-
stätigung fehlt. Im Gegenteil ist es kaum
zu bezweifein, daß die Patriarchen des Ostens
weder das Pallium vom Papst empfingen,
noch daß sie dessen Genehmigung zum Tra-
gen der Insignie einholten (Liberat. Breviar.
Hist. Nest. c. 20 [M. 68, 1036]).
640 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Als Papst Felix seinen Archidiakon Bonifatius zu seinem Nachfolger be-
stimmt, übergibt er ihm zum Zeichen dessen sein Pallium. Ferner war es, wie aus
dem Liber diurnus hervorgeht, schon wenigstens im 8. Jahrhundert Brauch, den Papst
bei seiner Konsekration mit dem Pallium zu bekleiden *. Umgekehrt berauben
Belisar und Kaiser Konstantins die Päpste Silverius 2 und Martin 3 gewaltsam des
Ornatstückes, als sie dieselben eigenmächtig und widerrechtlich absetzen. Ebenso
nimmt die römische Synode des Jahres 769 dem Usurpator Konstantin die angemaßte
Würde, indem sie unter anderem ihm das Pallium abreißen läßt l.
Unter solchen Umständen könnte es scheinen, es seien die Pallium-
verleihungen seitens des Apostolischen Stuhles stets der Ausdruck der Über-
tragung besonderer geistlichen Vollmachten und der Gewährung irgend einer
Anteilnahme an der papalen oder patriarchalen Obergewalt gewesen. Dem ist
indessen nicht so. Die Erteilung des Palliums hatte vielmehr ursprünglich
nur den Charakter einer Auszeichnung, gerade wie noch jetzt bei Suffraganen,
und das nicht bloß bei einfachen Bischöfen, sondern auch bei den Metropoliten
und päpstlichen Vikaren.
Daß das Pallium bei einem Suffragan an sich keinerlei Vorrechte und
Vollmachten einbrachte, erfahren wir aus Gregors d. Gr. Schreiben an Syagrius
von Autun 5. Der Papst bezeichnet ja darin die Verleihung des Ornatstückes
an den Bischof als nuda munificentia ; darum, sagt er, gewähre er Syagrius
außer dem Pallium das Recht der Präzedenz, ne indumenti munificentiam nudam
videamur quodammodo contulisse.
Indessen lag auch bei den Metropoliten und päpstlichen Vikaren die
Sache nicht anders. Allerdings hatte bei ihnen das Privileg vornehmlich in
ihrer hervorragenden Stellung seinen Grund. Trotzdem bestand ursprünglich
zwischen der Verleihung des Palliums und der Übertragung der Metropolitan-
und Vikariatsbefugnisse nur ein sehr loser und bloß äußerlicher Zusammen-
hang. Wie die Ausübung der Metropolitan- und Vikariatsvollmachten noch
nicht an den Empfang des Palliums geknüpft war, so erfolgte auch deren
Mitteilung noch nicht durch die Gewährung des Ornatstückes. Das Pallium
war lediglich eine Ehrenzugabe, welche der Würde eines Metropoliten oder
päpstlichen Vikars je nach dem Ermessen des Apostolischen Stuhles beigefügt
wurde. Man konnte Metropolit sein, ohne das Pallium zu besitzen, und ander-
seits des usus pallii verlustig gehen, ohne zugleich der Stellung entsetzt zu
werden. Ebendarum war denn auch das Pallium noch keine Insignie der
Metropoliten, welche diese von den einfachen Bischöfen unterschieden hätte.
Es galt das den Vikaren und Metropoliten verliehene Pallium nicht ein-
mal ursprünglich als Sinnbild der denselben verliehenen besondern Gewalt.
Eine solche Symbolik ist nicht nur den Schreiben der vorgregorianischen
Päpste, sondern auch noch denen Gregors, ja selbst noch den offiziellen For-
mularen des Liber diurnus so gut wie völlig fremd 6. Das Pallium wird
darin überall nur als Ehrenschmuck (ornatus, decus, habitus praeclarus, ex-
terioris cultus ornatus, honoris beneficium) bezeichnet. Insbesondere ist das
in den Briefen Gregors der Fall, welcher die Verleihung des Palliums fast
1 N. 57 (Sickel, L. D. 46). 6 Nur einmal erscheint das Pallium bei
2 Vita Silverii (Du eh., L. P. I 293). Gregor d. Gr. als Symbol der Metropoliten-
3 Commemoratio (M. 129, 595). würde, nämlich in einem Briefe an den
* Vita Stephani III. (Duck, L. P. I 472). Apostel Englands (Epist. 1. 11, n. 39 [M.
Das Pallium heißt hier orarium; ebenso in G. Epp. II 312]): Usum pallii tibi concerli-
der Vita Agath. (ebd. 354). mus, ita ut per loca singula duodeeim epis-
5 Epist. 1. 9, n. 222 (M. G. Epp. II 213). copos ordines, qui tuae subiaceant dicioni.
Drittes Kapitel. Das Pallium. 641
regelmäßig mit der Mahnung begleitet, es solle der Empfänger dafür sorgen,
daß dem äußeren Schmuck die innere Tugendzier entspreche, und zugleich
vor Überhebung zu warnen pflegt.
Dagegen dürfte schon früh die Verleihung bzw. das Nachsuchen und
die Entgegennahme des Ornatstückes Ausdruck der Einheit und Eintracht
zwischen dem Apostolischen Stuhl und den Metropoliten gewesen sein.
Mit Bestimmtheit läßt sich diese Auffassung allerdings erst für das
8. Jahrhundert in einem Formular des Liber diurnus J und in einem Briefe
des Papstes Zacharias an den hl. Bonifatius nachweisen 2. Daß sie sich aber
nicht erst damals gebildet, geht aus dem Verhalten des Erzbischofs Maurus
von Ravenna (f 671) hervor, welcher zum Zeichen der Autokephalie Ravennas
(Unabhängigkeit vom römischen Patriarchalsitz) vom Kaiser statt vom Apo-
stolischen Stuhle sich das Pallium erbat 3.
Eine bestimmtere, immer schärfer sich ausprägende Bedeutung erhielt
das Pallium, als in der karolingischen Zeit sich in der Praxis der Pallium-
verleihungen ein bedeutungsvoller Wechsel zu vollziehen begann.
Das römische Pallium kam bei allen Metropoliten in Brauch. Es wurde
sogar die Ausübung nicht nur der erzbischöflichen, sondern selbst ponti-
fikaler Funktionen von dem Empfang desselben abhängig. Den Metropoliten
brachte erst die Verleihung des Palliums die vollen Metropolitan- und bischöf-
lichen Rechte samt dem Titel. Sie und nur sie machte jene zu rechtmäßigen
Vertretern des Papstes im Bereich ihrer Provinz. Infolgedessen lag es denn
auch nicht länger mehr in ihrem Belieben, um das Pallium zu bitten oder
auf dasselbe zu verzichten. Sie hatten es vielmehr innerhalb einer bestimmten
Frist nach ihrer Wahl bzw. ihrer Konsekration beim Apostolischen Stuhle
nachzusuchen. Die Verleihungsbullen des 10. Jahrhunderts bieten für alles
das reiche Belege.
Unter solchen Umständen kann es natürlich nicht wundernehmen, daß
das Pallium immer bestimmter als Symbol der Metropolitangewalt und als
erzbischöfliche Insignie erscheint und zuletzt schlechthin Ausdruck und Inbegriff
der pontifikalen Gewalt ist und die plenitudo pontificalis officii darstellt.
Das Pallium , sagt Hraban , ziert den Erzbischof, weil er Stellvertreter des
Papstes ist. Amalar, Pseudo-Alkuin und später Robert Paululus nennen es das Unter-
scheidungsmerkmal zwischen den Metropoliten und den gewöhnlichen Bischöfen. Rupert
von Deutz und Honorius sehen in seiner Verleihung die Übertragung der Metropoli-
tanvollmachten. Fülle des pontifikalen Amtes heißt das Pallium bei Innozenz III.
„Das Pallium heißt die plenitudo pontificalis officii", sagt dieser, „weil in ihm und
mit ihm die Vollgewalt des pontifikalen Amtes verliehen wird. Denn bevor der Metro-
polit mit dem Pallium geschmückt wird, darf er weder Kleriker ordinieren noch Bi-
schöfe konsekrieren, noch Kirchen weihen, noch überhaupt Erzbischof tituliert werden."
In den Verleihungsbullen wird das Pallium erst im 11. Jahrhundert ausdrücklich
als erzbischüfliche Insignie bezeichnet. Anfangs sind die diesbezüglichen Formeln
noch schwankend und unbestimmt : tuae dignitatis insigne 4, supplementum totius
sacerdotalis ordinis 5, bis sich gegen Ende des Jahrhunderts unter Urban IL der Aus-
druck schärfer präzisiert: plenitudo omnis sacerdotalis dignitatis6, pontificatus pleni-
tudo ' und zuletzt in plenitudo pontificalis officii s verdichtet. Damit ist die Formel
1 N. 47 (Sickel, L. D. 38). tegri (n. 113 [ebd. 352]), mahnte Maurus
2 N. 58 (M. G. Epp. III 315). die Ravennaten noch vor dem Tode.
3 A g n e 1 1 i , Liber pontif. , Vita Mauri 4 J. n. 4098 5204.
n. 110 112 (M. 6. SS. Langob. 349 ff). Pal- 6 Ebd. n. 5258 5412.
lium ab imperatore petite, quacumque enim c Ebd. n. 5366 5450.
die Romae subiugati fueritis, non eritis in- 7 Ebd. n. 5386. 8 Ebd. n. 5464.
Braun, Die liturgische Gewandung. 41
642
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
gemünzt, welche von da ab dauernde Geltung haben sollte und darum konstant wieder-
kehrt. „Im Pallium", heißt es z. B. bei Pelagius IL, „wird die Fülle der pontifikalen
Gewalt gewährt, da es gemäß der Gewohnheit des Apostolischen Stuhles und des
ganzen Europa den Metropoliten vor Empfang des Palliums durchaus nicht gestattet
ist, Bischöfe zu weihen oder Synoden zu halten." '
Seitdem das Pallium eine gesteigertere Bedeutung gewonnen hatte, be-
gann man auch, mit der Sitte, dasselbe vor seiner Weihe oder seiner Ver-
sendung auf das Grab des Apostelfürsten niederzulegen, eine besondere Sym-
bolik zu verbinden. Das Pallium war die verkörperte Fülle des bischöflichen
Amtes geworden. Diese plenitudo pontificalis officii hinwiederum stammt
von Petrus her, welchem der Heiland die Binde- und Lösemacht für die ganze
Kirche übertragen hatte. Das war es denn, was man nunmehr in jener
Hinterlegung des Palliums sinnfällig ausgedrückt fand. Wie dem Erzbischof
das Pallium kam de corpore beati Petri, so die erzbischöfliche Vollgewalt
von dem in den Päpsten fortlebenden Apostelfürsten. Angedeutet findet sich
diese Symbolik bereits im Schreiben Paschalis' IL an den Erzbischof von
Spalato -.
Wie alt der Brauch ist, das Pallium auf dem Grabe des Apostels zu deponieren,
läßt sich nicht feststellen. Bestimmte Zeugnisse haben wir für ihn erst aus dem
12. Jahrhundert3. Da indessen selbst die Orarien im 9. Jahrhundert vor der Ordi-
nation der Diakone und Priester auf die Confessio Petri gelegt zu werden pflegten ',
so dürfte ähnliches damals auch wohl schon mit dem Pallium geschehen sein. Sehr
fraglich erscheint, ob bereits in den Worten Gregors d. Gr : Beverendissimo autem
fratri et coepiscopo nostro Leandro pallium a beati Petri apostoli sede transmisimus,
ein Hinweis auf jene Gewohnheit enthalten ist 5.
VII. GESTALT UND BESCHAFFENHEIT DES PALLIUMS.
Zwischen dem Pallium der frühchristlichen Zeit und demjenigen der
Gegenwart besteht nach Anlegeweise wie Beschaffenheit eine große Ver-
schiedenheit. Wie mit den übrigen liturgischen Gewändern, so sind auch
mit dem Pallium im Laufe der Zeit manche Veränderungen vor sich gegangen.
Dabei hat sich auch bei ihm dieselbe Erscheinung wiederholt, welche wir
bei der Entwicklung der andern Kultgewänder gewahren : die Umbildung,
welche sich allmählich mit dem Ornatstück vollzog, ist nicht zu seinem
Vorteil gewesen; sie war nicht sowohl eine Weiterbildung als eine Verbildung.
Aus dem in leichtem, lebendigem und malerischem Flusse die Brust, die
Schultern und den Nacken umschlingenden Bande ist ein schmächtiger Ring
geworden, von welchem vorn und rückwärts ein kurzer Streifen steif herab-
hängt. Welch ein Gegensatz, wenn wir ein modernes Pallium neben eines
1 J. n. 6570. Vgl. auch ebd. n. 5904 5914
5948 6088 6831 7039 7099 7136 7231 usw.
sowie ordo 12, n. 81, wonach der Archidiakon,
wenn er dem Papst nach dessen Konsekration
das Pallium überreichte, sprach : Accipe pal-
lium, plenitudinem pontificalis officii etc.
2 M. 163 , 428 : Quum igitur a sede apo-
stolica vestrae insignia dignitatis exigitis,
quae a beati Petri tantum corpore assumun-
tur, iustum est, ut vos quoque sedi apo-
stolicae subiectionis debitae signa solvatis.
3 Petri Mallii Hist. Vatic. Conf. ad
Alex. III. (A. SS. hm. VII, app. 35*). Addit. ad
Petr. Mall. Hist. (ebd. 104*). Vgl. auch
die vorgenannte Bulle Paschalis' IL
* Vgl. oben S. 580.
5 Epist. 1. 9, n. 228 (M. G. Epp. II 221).
Unmittelbar vorher sagt Gregor: Clavem
parvulam a sacrätissimo beati Petri apostoli
corpore vobis (nämlich König Reccared) pro
eius benedictione transmisimus. Wäre das
Leander gesandte Pallium vom Grab des
Apostels genommen worden, so hätte, scheint
es , der Papst statt a beati Petri apostoli
sede auch wohl a beati Petri apostoli cor-
pore geschrieben.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
643
der alten Papstbilder auf den römischen Mosaiken, etwa neben dasjenige der
Päpste Symmachus und Honorius in S. Agnese, halten (vgl. Bild 293, S. 626
und Bild 64, S. 160)!
Für die Geschichte der Umbildung des Palliums sind wir hauptsächlich
auf die zum Glück zahlreichen Monumente angewiesen. An schriftlichen An-
gaben, die uns über die Entwicklung der Insignie Aufschluß geben, ist nur
sehr wenig vorhanden, von Originalpallien aber ist beinahe so viel wie nichts
auf uns gekommen, weil schon früh der Brauch bestand, das Ornatstück dem
Toten ins Grab mitzugeben.
Im ganzen haben sich unseres Wissens aus dem Mittelalter nur vier
Pallien erhalten. Zwei befinden sich zu St-Trophime in Arles. Eines von
ihnen ist 2,40 m lang und 0,09 m breit. Es besteht aus sehr feiner, weißer
Wolle und ist statt mit Kreuzen mit dem Monogramm Christi und den
griechischen Buchstaben AQ im Kettenstich mittels roter Seide bestickt. Das
zweite Pallium ist etwas kürzer; denn es ist nur 1,75 m lang. Zweifelsohne
ist es etwas verkürzt. Seine Breite ist die gleiche wie die des ersten Palliums;
ebenso ist es wie dieses aus weißer Wolle gemacht. Als Verzierung sind
ihm drei Kreuze aufgenäht, die aus rotem, dam astartigem Seidenstoff her-
gestellt sind 1.
Die beiden andern Pallien werden in der Pfarrkirche zu Siegburg auf-
bewahrt. Sie stammen von den hll. Heribert und Anno. Wir werden später
auf sie zurückkommen. Spärliche Fragmente eines Palliums, das man bei
den jüngsten Restaurationsarbeiten des Domes zu Trier im Grabe des Erz-
bischofs Otto von Ziegenhain (f 1430) antraf, sind im Trierer Dommuseum
niedergelegt. Von den Pallien, welche gelegentlich früherer Herstellungs-
arbeiten bei den Leichen der Trierer Erzbischöfe gefunden wurden, hat
v. Wilmowsky zwei in seiner Schrift über die Grabbefunde im Dom zu Trier
wiedergegeben. Leider hat er unterlassen, von ihnen Avie von den andern
Pallien , die damals entdeckt wurden , eine nähere Beschreibung zu geben -.
Die ältesten Darstellungen des römischen Palliums erscheinen , wie
schon bemerkt wurde, auf den Mosaiken von S. Apollinare in Classe und von
S. Vitale zu Piavenna (vgl. Bild 63, S. 159). Zu Rom besitzen wir Ab-
bildungen des Ornatstückes erst auf Bildwerken, die der Frühe des 7. Jahr-
hunderts entstammen, nämlich den Mosaiken in S. Agnese fuori le Mura (vgl.
1 De Linas, Rap. sur les vetements sacer-
dot. 47. Roh. VIII 48. Die Pallien werden
dem hl. Cäsarius von Arles zugeschrieben,
doch rührt das kleinere wohl sicher nicht von
ihm her ; die drei roten Damastkreuze be-
kunden das. Beim größeren ruft der Umstand,
daß es statt mit Kreuzen mit dem Mono-
gramm Christi bestickt ist, sogar Bedenken
wach, ob es überhaupt ein Pallium ist.
2 v. Wilmowsky, Die historisch denk-
würdigen Grabstätten der Erzbischöfe im
Dom zu Trier Tfl 2. Wenn Forrer (Römische
und byzantinische Seidentextilien 19 ff ; dazu
Tfl 9 16 17) von einer in Achmim-Panopolis
gefundenen 2,17 cm langen, mit aufgesetzten
Seidenstückchen und eingesticktem Bildwerk
geschmückten Leinwandbinde sagt: „Die
kleinen Seidenfragmente dürften vielleicht
als Reliquien zu deuten sein. . . . Dies allein
gibt eine befriedigende Deutung der kleinen,
unscheinbaren Gewebeappliquen. . . . Dieses
(Pallium) wurde wiederum durch jene Re-
liquienappliquen geweiht, und auch nur ein
Geweihter, d. h. (!) ein Priester hohen Ranges,
Bischof oder Erzbischof, kann der Träger
dieses Ornatstückes gewesen sein. . . . Wir
dürften kaum fehlgehen , wenn wir diese
Seidenstickerei als ein vom Papst einem
ägyptischen Erzbischof verliehenes päpst-
liches Insignum, direkt als italisch-römisches
Kunstwerk bezeichnen" , so haben wir diese
Auslassungen zwar schon früher (Pontiflkale
Gewänder, Freiburg 1898, 161) als bloße Pro-
dukte der Phantasie charakterisiert, glauben
aber, auch hier solches noch einmal tun zu.
sollen. Vgl. auch S. 13, Anm. 1.
41*
644
Vierter Abschnitt. Die Insisnien.
Bild 64, S. 160 und Bild 293, S. 626) und im Oratorium des hl. Venantius
beim lateranensischen Baptisterium 1. Dem Beginn des 8. Jahrhunderts
gehört das Bild des mit dem Pallium geschmückten Johannes VII. aus dem
ehemaligen Marien Oratorium der vatikanischen Basilika an, das sich nun-
mehr in der Unterkirche von St Peter befindet. Es ist zwar vielfach über-
arbeitet, weist aber in den Hauptlinien noch die ursprünglichen Formen auf2.
Auf allen diesen Bildwerken stellt das Pallium ein langes, mittelbreites
Band von weißer Farbe dar, das seinem unteren Ende zu mit einem schwarzen
oder roten Kreuze verziert ist und mit Fransen abschließt. Es ist in der
Weise um Brust, Schultern und Nacken geführt, daß es vorn eine Wendung
bildet, und daß von der linken Schulter das eine der beiden Enden nach vorn,
das andere nach hinten herabsteigt.
Über den Stoff, aus welchem das Pallium bestand, erfahren wir natür-
lich durch die Bildwerke nichts. Die beiden Pallien zu Arles sind aus Wolle
gemacht. Dagegen war dasjenige, welches man unter Gregor IV. im Sarge
Gregors d. Gr. fand, nach Johannes Diakonus aus Byssus-, also aus feinem
Linnen bzw. aus Baumwolle angefertigt 3, vorausgesetzt, daß der Bericht-
erstatter unter byssus einen Linnen- oder Baumwollstoff und nicht vielmehr
überhaupt ein feines weißes Gewebe ohne Rücksicht auf das Material ver-
steht i. Noch um die Wende des ersten Jahrtausends brauchte das Pallium
keineswegs unter allen Umständen aus Wolle zu sein. Mochte dasselbe
damals auch für gewöhnlich und der Regel nach aus solcher angefertigt sein,
so waren andere Stoffe jedoch noch nicht schlechthin unzulässig. Das be-
weist die Bulle, in welcher Johannes XV. 989 dem Erzbischof Liavizo von
Hamburg das Pallium verleiht. In einer Nachschrift nämlich teilt der Papst
dem Erzbischof mit, er überschicke ihm zugleich mit der Bulle ein Pallium,
und erlaube ihm obendrein, dieses oder ein anderes, von welcher Art es sein
möge, zu gebrauchen, vorausgesetzt, daß es von weißer Farbe sei B.
Nadeln wurden zur Befestigung des Palliums ursprünglich nicht an-
gewandt. Denn Johannes Diakonus verzeichnet ausdrücklich, man habe bei
Erhebung des Leibes Gregors d. Gr. die Wahrnehmung gemacht, daß das
Pallium um die Schultern bloß herumgeschlungen , nicht aber mit Nadeln
(acubus) befestigt gewesen sei, gerade wie man das auch an den ältesten
Mosaiken und Malereien bemerke 6. Die drei noch jetzt gebräuchlichen acus
oder spinulae mögen im Verlauf des 8. Jahrhunderts in Gebrauch gekommen
sein. Jedenfalls müssen sie vor der Mitte desselben schon Verwendung ge-
funden haben, da der Diakon oder Subdiakon, welcher dem Papste das Pallium
anlegte, bereits nach Anweisung des ersten römischen Ordo das Ornatstück
1 Vgl. wegen der Fresken in S. Callisto
oben S. 159.
- Grisar, Das römische Pallium, in „Fest-
schrift zum 1100jährigen Jubiläum des Campo
Santo" 89. Das allerdings stark restaurierte
Mosaik aus S. Apollinare in Classe , den
Bischof Reparatus darstellend , wäre wohl
auch noch hier zu erwähnen (Garr.tav. 27b-).
3 Vita Gregor. 1. 4, n. 80 (M. 75, 228).
4 Über die Bedeutung von byssus sind viele
Erörterungen angestellt worden. Eine Zu-
sammenstellung derselben bei Pauly, Real-
encyklopädie III2 1108. Im Mittelalter
scheint byssus nicht immer ein Zeug aus be-
stimmtem Material, sondern auch wohl all-
gemein ein feines weif3es Gewebe bezeichnet
zu haben ; im späten Mittelalter verstand
man unter byssus gewöhnlich ein feines
weißes Seidenzeug.
6 J. n. 3835. M. 137, 839. Pallium vobis
mittimus et insuper concedimus, isto vel
alio, cuiuscumque generis nitidi candoris vobis
placuerit, vos indui.
6 Vita Gregor. 1. 4, n. 84 (M. 75, 231).
Rohault de Fleury irrt, wenn er aus
der Stelle herausliest, es habe Johannes schon
auf den alten Bildwerken die Nadeln gefunden
(VIII 51).
Drittes Kapitel. Das Pallium.
645
mit Nadeln im Nacken, vorn und auf der linken Schulter an der Planeta fest-
zumachen hat 1.
Es scheint, daß die Ingebrauchnahme der drei Nadeln mit einem Wechsel
in der Anlegung der Insignie zusammenhing, welcher zwar zunächst nur gering-
fügig war, jedoch in der Folge zu einer gänzlichen Umgestaltung des Palliums
führen sollte. Er bestand darin, daß man die Bandenden, welche man bis
dahin von der linken Schulter nach vorn und hinten lotrecht herabgeworfen
hatte, nunmehr zunächst vor die Mitte der Brust und des Rückens führte und
erst dann niederfließen ließ. Es liegt auf der Hand, daß solches untunlich
war, wenn man dabei nicht Nadeln zu Hilfe nahm.
Daß diese Veränderung schon in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ein-
getreten war, ergibt sich aus der Beschreibung, welche Johannes Diakonus von einem
Bilde Gregors I. gibt, das noch zu Lebzeiten des Papstes an-
gefertigt worden war. Es wird darin nämlich hervorgehoben,
der von der linken Schulter nach vorn herabfallende Streifen sei
seitlich, nicht in der Mitte des Körpers herabgestiegen2.
Angesichts der Rubrik des ersten Ordo über die drei Nadeln
wird man aber mit der Annahme schwerlich fehlgehen, es habe
sich der Wechsel bereits vor der Mitte des 8. Jahrhunderts voll-
zogen. Was die Monumente anlangt, so scheint die neue An-
legungsweise des Palliums schon auf dem ursprünglichen Mosaik
des lateranensischen Triclinium zur Darstellung gekommen zu
sein, wie sich aus einem Vergleich der verschiedenen von dem-
selben erhaltenen Abbildungen ergibt. Es war das Werk Leos III.
(795 — 816) 3. Andere gleichzeitige oder nur um ein weniges
jüngere Monumente wie die Apsismosaiken in S. Cecilia, S. Pras-
sede und S. Maria in Navicella mit dem Bilde des Papstes
Paschalis I. (817 — 824) gestatten kein sicheres Urteil, weil der
Gang des Palliums vor der Brust durch ein Buch oder sonst
einen Gegenstand verdeckt ist, wenngleich auch hier die ganze
Führung des Bandes eher auf die neue Weise der Anlegung hin-
zudeuten scheint. Hinreichend klar kommt der Wechsel bei der
Figur des Papstes Markus auf dem Apsismosaik Gregors IV.
(827—844) (Bild 294) in S. Marco zu Rom zum Vorschein. Hier
fällt ersichtlich der vordere Streifen nicht mehr seitlich, sondern
in der Mitte herab, ohne daß, wie die Paralleldarstellungen in
S. Agnese und S. Venanzo zeigen, die Haltung der Figur eine
derartige Anordnung verlangt hätte. Ein um einige Dezennien
jüngeres Beispiel bietet die Darstellung des hl. Klemens auf dem von den hll. Cyrillus
und Methodius ca 868 gestifteten Votivbild in der Unterkirche von S. demente '.
Man hat auf diese Anfangsstufe in der Umbildung des Palliums bislang nicht genügend
geachtet. Und doch darf man sie nicht unberücksichtigt lassen ; denn sie erklärt,
warum das Pallium gerade die Gestalt eines Y erhielt, als es eine feste Form bekam.
Jene Anfangsstufe ist das naturgemäße Mittel- und Bindeglied zwischen der ersten
Anlegungsweise, bei welcher die Enden an der linken Seite herabflossen, und der festen
Y -Form mit ihren mitten vor der Brust und im Rücken herabfallenden Streifen.
Dem ersten Schritt, der Überführung der Streifenenden zur Mitte der
Brust und des Rückens, folgte bald ein zweiter von ungleich einschneidenderer
Bedeutung. Bei jener ersten, an sich nur geringfügigen Veränderung war
das Pallium ein förmliches, lose umgeschlungenes Band geblieben. Wir sehen
Bild 294. Papst
Markus. Mosaik.
Rom, S. Marco.
1 N. 6 (M. 78, 940).
2 Vita Gregor. 1. 4, n. 84 (ebd. 231).
3 Garr. tav. 283.
4 Abbildung in Mitt. 1869, 3.
646
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
das deutlich an der Figur der Päpste Markus und Gregor IV. auf dem von
letzterem gestifteten Mosaik in S. Marco und der Figur Leos IV. (847 — 855)
auf einem Fresko der Unterkirche von S. demente. Nun ging man dazu
über, durch entsprechendes Zusammennähen des Streifens dem Ornatstück
dauernd die Form zu geben, welche es sonst erst beim Anlegen empfing.
Am frühesten dürfte sich diese Umwandlung außerhalb Roms vollzogen haben.
Wir schließen das aus einer Miniatur des Sakramentars von Autun 1, aus
den Miniaturen eines Meßkanons der Pariser Nationalbibliothek 2, aus den
Elfenbeinskulpturen auf dem Deckel des Drogosakramentars und dem Elfenbein
der Frankfurter Stadtbibliothek samt seinem Gegenstück, dem ehemaligen
Spitzerschen Elfenbein (Bild 65 — 68, S. 167 — 171), aus Reliefs des unter Erz-
bischof Angilbert (824 — 860) entstandenen Palliotto in S. Ambrogio zu Mai-
land 3 u. a. Das Pallium hat auf allen
diesen Monumenten bereits die ausge-
bildete Y-Form und ist ersichtlich kein
loses, nur Y artig mit Nadeln angesteck-
tes Band mehr.
Zu Rom, wo man konservativer
war als außerhalb Roms und zäher wie
hier auch in der liturgischen Kleidung
am Alten festhielt, mag es erst im
10. Jahrhundert zum fertigen Y förmigen
Pallium gekommen sein. Beispiele eines
solchen bieten Fresken mit Darstellungen
aus dem Leben der hll. Klemens, Alexius
und Cyrillus in der Unterkirche von
S. demente aus dem 11. Jahrhundert4,
und etwas später die Mosaiken im ehe-
maligen Oratorium des hl. Nikolaus beim
alten Lateran5 und in der Apsis von
S. Maria in Trastevere 6.
Wir möchten übrigens keineswegs be-
haupten, dafo das Pallium außerhalb Eoms
bereits im 9. und 10. Jahrhundert allent-
halben die feste Y - Form gehabt habe. Man
scheint, nach den Bildwerken zu urteilen,
hie und da länger an der ursprünglichen Weise festgehalten, dem Pallium seine lose
Bandform belassen und sich begnügt zu haben, die Streifen zur Mitte des Körpers
zu führen und dort dann zu befestigen. So sehen wir z. B. auf zwei Miniaturen in
der Vatikanischen Handschrift von Hrabans Laudes s. Crucis den vorn herabfallenden
Streifen mit dem vor der Brust sich hinziehenden auffallenderweise einen förmlichen
Knoten bilden 7. Offenbar hat der Miniator beim Pallium noch an ein loses Band, das
erst beim Gebrauch umgeschlungen wurde, gedacht. Der Kodex entstammt dem 10. Jahr-
hundert. Freilich mögen derartige Erscheinungen lediglich ikonographische Remini-
szenzen alten Brauches sein. Finden wir doch z. B. noch bei einer Figur Gregors d. Gr.
in einem aus St Gereon zu Köln stammenden Evangeliar (11. Jahrhundert) der
Bild 295. Hl. Gregor. Miniatur eines
Evangeliars aus St Gereon zu Köln.
Stuttgart, kgl. Bibliothek.
1 Abbildung bei Wilp. , Cap. 77.
- Abbildung in Arts sompt. pl. xxni.
3 Abbildung bei Roh. I, pl. vin; VIII,
pl. ricxxxn.
i Abbildung in Mitt. 1863, Tfl 11 12;
1869, 1. Wilp., Cap. 33 79.
5 A. SS. Prop. Maii 210*.
6 De Rossi, Mus. fasc. VII— VIII. Vgl.
auch die zahlreichen Abbildungen von Dar-
stellungen des Palliums bei R o h. VIII,
pl. doxxx — DCXXXVII.
7 Vgl. oben Bild 96, S. 214.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
647
Lanclesbibliothek zu Stuttgart ein dem Anschein nach ein loses Band darstellendes
Pallium (Bild 295), während doch in Wirklichkeit das Ornatstück damals zu Köln nach
Ausweis des Palliums des hl. Heribert bereits feste Gestalt hatte, ja sogar schon statt
der Y-Form die T-Form aufwies.
Nicht näher bestimmbar ist, wie lange den Erzbischöfen das Pallium als loses
Band geschickt wurde. Immerhin ist es nicht so unwahrscheinlich, daß selbst, nachdem
man angefangen hatte, das Ornatstück in fester Form zu tragen, dieses noch längere
Zeit den Metropoliten in Gestalt eines Streifens zuging, und daß es erst an Ort und
Stelle seine feste Form bekam, nicht wie nachher bereits zu Rom. Wenigstens erklärt
sich bei dieser Annahme am leichtesten
der Umstand, daß es auf den Bildwerken
hier früher, dort aber erst später in
fester Form auftritt.
Wir kommen zum letzten Sta-
dium im Umbildungsprozeß des Pal-
liums. Aus der Y-Form wird die
T-Form. Der die Schultern, den
Rücken und die Brust umziehende
Teil des Palliums wird zu einem
wagerecht den Oberkörper umgeben-
den Ring, dessen linksseitige Hälfte
sich meist aus einer doppelten Stoff-
lage zusammensetzte. Deshalb mer-
ken einzelne mittelalterliche Liturgi-
ker ausdrücklich an, es sei das Pallium
in sinistra duplex, während es rechts
nicht gedoppelt sei. So Bruno von
Segni, Sicard, Innozenz III. und
später Durandus. Die Vertikalstrei-
fen mögen anfangs mit dem Ring
noch ein Ganzes ausgemacht haben,
dann aber waren sie wie jetzt be-
sondere vorn und hinten in der
Mitte des Ringes angenähte Bänder.
Die beste Illustration der neuen
Form des Palliums bilden die beiden
Pallien der hll. Heribert (f 1021)
und Anno (f 1075) in der Pfarr-
kirche zu Siegburg (Bild 296), zwei
für die Geschichte der Entwicklung
des Palliums äußerst wichtige Erb-
stücke des 11. Jahrhunderts. Beide stellen einen vollständigen Ring dar,
dem vorn und rückwärts die Behänge angesetzt sind. Beim Heriberts-
pallium ist dessen linksseitige Hälfte gedoppelt, während er beim Annopallium
ringsum nur aus einer Bandlage besteht. Beide Pallien sind aus feinster Wolle
in Köperbindung gewebt, wobei jenes eine Rauten-, dieses eine Zickzack-
musterung erhielt. Der Ring hat (bzw. hatte) bei beiden Pallien einen Um-
Bild 296.
Pallien der hll. Heribert und Anno.
Siegburg, Pfarrkirche.
fang von 1,21 m;
die Behänge sind weder bei dem einen noch dem andern
mehr völlig intakt. Immerhin hat der Behang an der Vorderseite des
Heribertspalliums noch jetzt eine Länge von 1,13 m. Auffallend ist bei
den beiden Pallien der Unterschied in der Breite des Bandes. Während
648 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
diese sich beim Heribertspallium auf 0,075 m beläuft, beträgt sie beim Anno-
pallium nur 0,05 m.
Auf den Bildwerken kommen ausgesprochen T formige Pallien erst gegen 1100
vor. Frühe Beispiele bieten die Darstellung des Kölner Erzbischofs Friedrich (1100
bis 1131) in den für ihn kopierten Hieronymusbriefen der Kölner Dombibliothek
(Bild 215, S. 450), das Bild Brunos von Trier (f 1124) in der Gothaer Vita S. Willi-
brordi (Bild 218, S. 458), die Figur Gregors d. Gr. in dem mehrerwähnten St Dunstan-
pontifikale in der Bibliothek des britischen Museums u. a. Auf den Siegeln der
Kölner Erzbischöfe tritt die T-Form erst unter Hermann von Nordheim (f 1099) auf;
bis dahin kommen auf ihnen nur Y förmige vor. Es könnte auffallend erscheinen,
daß die Monumente die Form erst zur Wiedergabe bringen, nachdem sie schon eine
geraume Weile in Brauch gekommen war. Indessen steht diese Erscheinung nicht
vereinzelt da. Kommt doch etwas Ähnliches z. B. auch bei der Mitra und den Pontifikal-
handschuhen vor. Namentlich darf man aber nicht vergessen, daß es nur wenige
Miniatoren gewesen sein mögen, welchen es je vergönnt war, ein Pallium mit eigenen
Augen zu sehen. Es begreift sich daher leicht, wenn in Bezug auf dieses die Tradition
besonders lang nachklang. Übrigens findet sich schon eine Weile 'vor dem Ausgang
des 11. Jahrhunderts auf den Bildwerken eine Mittel- und Übergangsform vom
Y förmigen zum T förmigen Pallium, bei welchem die Y-Form sich der T-Form so
weit genähert hat, daß es sich nicht immer leicht entscheiden läßt, ob noch die Y-Form
oder schon die T-Form auf den betreffenden Darstellungen gemeint ist.
Es dauerte eine geraume Zeit nach dem ersten Auftreten der ausgesprochenen
T-Form, bis diese auf den Bildwerken allgemein herrschend geworden und die Y-Form
ganz verschwunden war. Zum Teil mag das eine Widerspiegelung des tatsächlichen
Brauches sein ; mehr noch aber hat es ohne Zweifel seinen Grund in den gleichen
Umständen, welche die T-Form erst so spät auf den bildlichen Darstellungen er-
scheinen ließen, der künstlerischen Überlieferung, den benutzten Vorbildern und dem
Mangel an eigener Kenntnis des so seltenen und obendrein so selten gebrauchten
Ornatstückes. Noch im 13. Jahrhundert kommen Monumente vor, auf denen die
Y - Form erscheint '.
Was den Wechsel in der Form des Palliums herbeiführte, ist unbekannt.
Vielleicht war es bloß die Mode, die ja auch in Bezug auf die liturgische
Kleidung nicht ohnmächtig gewesen ist. Vielleicht aber auch, daß er mit
der zunehmenden Verbreitung des Gabelkreuzes als Verzierung der Kasel
zusammenhängt. Seit dem 11. Jahrhundert kommt der gabelförmige Besatz
auf derselben immer mehr zur Verwendung. Es mochte darum zweckmäßig
erscheinen, von ihm das Pallium dadurch deutlicher zu unterscheiden, daß
man diesem statt der Y- die T-Form gab.
Was die Trag weise des Tförmigen Palliums anlangt, so ruhte es
anfangs hoch oben auf dem Oberarm nahe an den Achseln. Später aber finden
wir es auf den Bildwerken sehr gewöhnlich etwa in der Mitte des Oberarmes.
Es könnte das als Caprice der Künstler gedeutet werden; indessen gibt der
14. Ordo ausdrücklich an, der Diakon, welcher dem Bischof beim Ankleiden
zu helfen habe, solle das Pallium so tief auf den Arm herabziehen, daß es
mitten zwischen Schultergelenk und Ellenbogen zu liegen komme2.
Der vom Ring vorn und hinten herabfallende Streifen behält bis
ins 15. Jahrhundert hinein eine ansehnliche Länge. Man vergleiche z. B.
die Grabfigur Martins V. in der lateranensischen Basilika. Gegen das Ende
1 Das Tfürmige Pallium auf der bekannten hundert stammt und also auch nicht von der
Tafel mit den Bildern der Apostelfürsten in Hand des hl. Methodius herrühren kann
St Peter zu Rom beweist mit aller Bestimmt- (vgl. oben S. 437).
heit, daß dieselbe nicht aus dem 9. Jahr- 2 C. 53 (M. 78, 1158).
Drittes Kapitel. Das Pallium.
649
des Jahrhunderts ist er jedoch schon merklich verkürzt, wie beispielsweise
das prächtige Grabmonument Sixtus' IV. in St Peter (Bild 19, S. 54), die Papst-
bilder in der Sistina (Bild 20, S. 55), die Grabplatte des Erzbischofs Gabriel
Sforza in S. Maria Incoronata zu Mailand 1 und die Figur des Mainzer Kurfürsten
Diether von Isenburg (f 1482) im Dom zu Mainz beweisen. Immerhin scheinen
die Behänge noch bis ins 16. Jahrhundert eine angemessene Länge besessen zu
haben, wie die in mehrfacher Hinsicht für das Studium der liturgischen Kleidung
sehr beachtenswerten Grabmäler der damaligen Mainzer Erzbischöfe bekunden.
Im 17. Jahrhundert verschwindet mit der Kasel auch das Pallium von den
Denkmälern ; leicht erklärlich, da beide, weil allzusehr zugestutzt, sich nicht
mehr zur bildlichen Darstellung empfehlen mochten. Im Beginn des 18. Jahr-
hunderts betrug die Länge der Streifen nur noch ca 0,33 m 2.
Eine Übersicht über die Entwicklung des Palliums gewährt auf Grund
der zuverlässigsten Monumente Bild 297. Es zeigt uns das Ornatstück in
allen Hauptstadien seiner Umbildung vom 6. Jahrhundert an bis zu unsern Tagen.
Als Verzierung des Palliums dienten, wie aus den ravennatischen und
römischen Mosaiken erhellt, bereits im 6. und 7. Jahrhundert zwei Kreuze.
Bild 297. Übersicht über die Entwicklung des Palliums.
Eines derselben befand sich auf dem vorn, das andere auf dem rückwärts
herabsteigenden Streifen. Eine größere Anzahl von Kreuzen auf dem Pallium
anzubringen, scheint erst in der letzten Hälfte des 9. Jahrhunderts Sitte ge-
worden zu sein3. Noch Hraban redet, wie es scheint, bloß von zwei Kreuzen,
von denen sich das eine auf dem vorderen, das andere auf dem hinteren Streifen
befand. Als frühe Beispiele römischer Monumente, auf denen das Pallium mit
mehr als zwei Kreuzen verziert ist, führen wir an das Votivfresko der hll. Cyrillus
und Methodius in der Unterkirche von S. demente mit der Darstellung des hl. Kle-
mens und das Bild des Papstes Urbanus vom ehemaligen Grabe der hl. Cäcilia
in S. Callisto — von de Rossi dem 10. — 11. Jahrhundert zugeschrieben4.
Beide Bildwerke verraten übriaens deutlich griechischen Einfluß. Die beiden
1 Abbildung bei Braun, Pontifikale C4e-
wänder 165.
2 Catalani, Caerem. eccl. rom. I 341.
3 Ob die Zunahme der Kreuze auf dem
Pallium auf griechischen Einfluß zurückgeht
oder ob sie unabhängig von solchem erfolgte,
muß dahingestellt bleiben. Immerhin ver-
dient Beachtung, daß bereits auf den unter
Johannes VII. (t 707) und Paul I. (f 767)
entstandenen Bildern griechischer Bischöfe
in S. Maria Antiqua zu Rom das Omophorion
mit mehr als zwei Kreuzen versehen ist.
Eine Einwirkung griechischen Brauches auf
die Zunahme der Kreuze des lateinischen
Palliums liegt also keineswegs außer dem
Bereiche der Möglichkeit.
4 Abbildung bei de Eossi, R. sott. II,
tav. 6, und Wilp., Kat. Tfl 260.
650 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Bischöfe auf dem Triumphbogenmosaik in S. Prassede, welche abweichend
von der Figur des Papstes Paschalis I. in der Apsis derselben Kirche ebenfalls
ein mit mehreren Kreuzen besetztes Pallium tragen, sind wohl das Werk einer
späteren Restauration *.
Eine bestimmte Eegel scheint im späteren Mittelalter bezüglich der Zahl der
Kreuze nicht bestanden zu haben. Zwar geben Innozenz III. und Durandus an, es werde
das Pallium mit vier Kreuzen geschmückt, von denen sich je eines auf der Brust,
dem Kücken und den beiden Schultern befinde. Allein die ungemeine Mannigfaltig-
keit, welche in diesem Punkte auf den mittelalterlichen Bildwerken herrscht, läßt
den Gedanken an eine feste Norm nicht aufkommen. Bald fehlen die Kreuze ganz,
bald sind ihrer zwei, bald drei, vier, fünf oder mehr auf der wahrnehmbaren Vorder-
seite angebracht. Hier finden sie sich nur auf dem King, dort bloß auf dem
Längsstreifen ; anderswo sind sie gar durch eine das ganze Pallium überziehende
Musterung ersetzt. Und diese Verschiedenheit offenbart sich nicht bloß auf den
außerrömischen Bildwerken, sondern auch auf den römischen Monumenten, die Grab-
mäler der Päpste nicht ausgenommen. Daß vieles von diesem bunten Vielerlei der
Phantasie und Laune der Künstler zugeschrieben werden muß, ist nun freilich klar.
Schwerlich würde indessen hinsichtlich der Anzahl der Palliumkreuze auf den mittel-
alterlichen Bildwerken ein solches Durcheinander herrschen, wie es uns tatsächlich
darauf begegnet, wenn in diesem Punkte eine bestimmte Vorschrift oder eine kon-
stante Gewohnheit in Kraft gewesen wäre. Der Verschiedenheit auf den Monumenten
hat gewiß auch eine Verschiedenheit in der Praxis entsprochen. In der Tat be-
weisen die Beobachtungen, welche v. Wilmowsky bei Öffnung der Gräber der Trierer
Erzbischöfe machte, daß die Zahl der Palliumkreuze nicht überall gleich war. Während
nämlich das Pallium Alberos (f 1152) auf dem King keine, auf dem vordem Streifen
aber fünf Kreuze aufwies, war dasjenige Boemunds (f 1367) auf dem King mit vier
und auf den Behängen mit je zwei Kreuzen geschmückt. Ein ehedem zu St-Denis
befindliches Pallium hatte auf dem Ring vier Kreuze, auf den Behängen aber keines 2.
Umgekehrt weist das Heribertspallium nur auf den Streifen ein Kreuz auf, das hart
am obern Ende angebracht ist; auf dem Ring hat es bei ihm nie solche gegeben.
Das Annopallium ist auf dem Ring mit vier Kreuzen geziert; wie es sich ehedem mit
den Behängen verhielt, ist jetzt nicht mehr zu bestimmen. Die Verschiedenheit in
der Zahl der Kreuze, wie sie uns auf den Bildwerken beim Pallium begegnet, ist also
evident nur ein Widerschein des wirklichen Tatbestandes.
Auch bezüglich der Farbe der Palliumkreuze hat es im Mittelalter
keine sich gleich bleibende Regel gegeben. Auf den Mosaiken des 6., 7., 8.
und 9. Jahrhunderts sind die Kreuze teils schwärzlich, teils rot. Ebenso ver-
hält es sich auf den späteren Bildwerken. Von den Liturgikern des Mittel-
alters, welche auf ihre Farbe zu sprechen kommen, bezeichnen Hraban, Robert
Paululus, Innozenz III. und Durandus die Kreuze als rot, Sicardus da-
gegen als schwarz. Das Pallium, welches man 1605 bei der Leiche Boni-
faz' VIII. fand, war nach Grimaldis Protokoll mit schwarzseidenen Kreuzen
besetzt3. Von gleicher Farbe waren die Kreuze des ehedem zu St-Denis
aufbewahrten Palliums. Dagegen war dasjenige des Kölner Erzbischofs Klemens
August (f 1761), des letzten Witteisbachers auf dem Stuhl des hl. Maternus,
1 Abbildung bei de Rossi, Mus. fasc. IX 2 Millet, Trösor de Saint-Denis, Paris
bis X, und bei Gar r. tav. 285. Die größere 1645, 113. Roh. VIII 53. Das Pallium
Anzahl von Kreuzen bei den Figuren des wurde Stephan II. (752 — 757) zugeschrieben,
hl. Apollinaris in der Apsisconcha und des doch läßt die Beschreibung, welche wir von
Erzbischofs Reparatus an der Chorwand von ihm erhalten, keinen Zweifel, daß es ans
S. Apollinare in Classe sind das Werk spä- weit späterer Zeit stammte,
terer Restaurationen. 3 Bzovius, Annal. ad 1303; XIV 51 ff.
Drittes Kapitel. Das Pallium. 651
außer mit zwei schwarzen auch mit sechs roten Kreuzen verziert1. Die
Kreuze auf den Palliumfragraenten im Trierer Dommuseum bestehen aus
rotem Taft, diejenigen des Heriberts- und Annopalliums aus tiefblauem, fast
schwarzblauem Brokatell, die des kleineren der beiden Pallien zu Arles aus
rotseidenem Damast.
Daß man, wie später, so auch schon wenigstens um die Wende des
13. Jahrhunderts die herabfallenden Pallium streifen an den Enden mit
Blei beschwerte, beweist der Bericht Grimaldis über die Untersuchung des
Grabes Bonifaz' VIII. Es wird darin mitgeteilt, daß an den beiden Be-
hängen des Palliums, welches man bei der Leiche fand, unten ein mit schwarzer
Seide überzogenes Bleistückchen angebracht gewesen sei. Auch unter den
Fragmenten des Palliums, das man bei den jüngsten Eestaurationsarbeiten
im Trierer Dom auf der Leiche des Erzbischofs Otto von Ziegenheim (f 1430)
entdeckte, befand sich ein ca 0,08 m langes, mit schwarzer Seide überzogenes
Bleiplättchen , das als Endstück des vorn herabfallenden Bandes gedient
hatte. Es war von rechteckiger Gestalt. Von Fransen, wie wir sie wohl
an den Enden des Palliums auf den Bildwerken antreffen, war keine Spur
an seiner Bekleidung zu entdecken.
Ein unten sich abrundendes Schlußstück, also ein Schlußstück von der
Form, wie sie heute demselben eigen ist, treffen wir bereits beim Grabmal
Sixtus' IV. in St Peter und einige Dezennien früher beim Grabmonument des
Erzbischofs Gabriel Sforza (f 1457) im Baptisterium von S. Maria Incoronata
zu Mailand an. Es wären demnach die Fransen, welche sich noch das ganze
16. Jahrhundert hindurch auf den Denkmälern der Mainzer Erzbischöfe an
dem Pallium finden, wohl nur eine künstlerische Freiheit.
Die Nadeln, mit denen man das Pallium an der Planeta festheftete,
blieben, auch als das Ornatstück aufgehört hatte, ein loser Bandstreifen zu
sein. Vielleicht, daß sie noch bis zum 12. Jahrhundert zur Befestigung der
Insignie gedient haben2. Kaum hundert Jahre später scheinen sie jedoch
bereits alle praktische Bedeutung eingebüßt zu haben3. Jedenfalls waren sie
um den Beginn des 14. Jahrhunderts bereits zu einem bloßen Schmuckstück
geworden. Denn der 14. Ordo gebietet ausdrücklich, dafür zu sorgen, daß
die Spitze der Nadel in keiner Weise die Planeta berühre4.
Nach Bruno von Segni sollen vor alters an der Kasel Ösen (ansulae)
zur Aufnahme der Nadeln angebracht gewesen sein. Umgekehrt versah man in
der Neuzeit, seitdem das Ornatstück nicht mehr an der Kasel befestigt wurde,
die Insignie selbst mit einer besondern Vorrichtung zum Durchstecken der
spinulae. Verstehen wir die Angaben des 14. Ordo recht, so befand sich
eine solche auch schon zur Zeit der Abfassung desselben am Pallium. Auf-
fallend ist, daß auf den Bildwerken des Mittelalters die Nadeln im ganzen
nur selten vorkommen. Sollen wir daraus schließen, daß sie tatsächlich mehr
der Theorie wie der Praxis angehörten?
1 P e r t s c li , De origine, usu et auctoritate einem runden Kopf und einem kostbaren Stein
pallii 21. versehen. Der ordo 12 spricht von einem
2 Bruno Sign., Tract. de sacr. eccl. Hyazinthe; die Nadeln, 'welche man im Grab
(M. 165, 1107J : Acus ad planetam palliumque Bonifaz' VIII. fand, waren mit einem
iungendum inventae sunt. Saphir geschmückt. Das Inventar des päpst-
3 Ordo 12, c. 48 (M. 78, 1098) und Inno- liehen Schatzes von 1295 erwähnt Nadeln mit
zenz III. scheinen das anzudeuten. Nach beiden Granaten, Rubinen, Saphiren, Perlen u. a.
waren die Nadeln aus Gold verfertigt und mit i C. 53 (M. 78, 1157).
652
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
VIII. URSPRUNG DES PALLIUMS.
Eine schon von de Marca, Thomassin u. a. und neuerdings wieder von
Duchesne1 vertretene Ansicht sieht in dem Pallium eine von Konstantin
bzw. einem seiner Nachfolger dem Bischof von Rom verliehene
Insignie. Es soll eine Art von Nachahmung des durch Verbildung der alten
Toga entstandenen Umwurfes sein, der mehr als ornamentale Zutat und
Insignie denn als eigentliches Gewand im 4., 5. und 6. Jahrhundert den
obersten Bestandteil der konsularen Tracht bildete2. Die Konsulardiptychen
aus jener Zeit weisen genug Beispiele desselben auf. Hier der alten Toga
noch sehr ähnlich, wurde er später, seitdem man ihn im Übermaß mit Sticke-
reien und Steinen belud, zu einem breiten Streifen, der kaum mehr an das
klassische Römergewand erinnerte, von dem er ausgegangen war. Er erhielt in
dieser Form den bezeichnenden Namen lorum. Die Bildwerke des 7. und
der folgenden Jahrhunderte liefern zahlreiche Beispiele des Gewandes in
diesem seinem letzten Verbildungsstadium. Insbesondere pflegen die beiden
Himmelsfürsten Michael und Gabriel regelmäßig mit dem Lorum dargestellt
zu werden, und zwar nicht bloß in der byzantinischen Kunst, sondern in
Nachahmung byzantinischer auch auf abendländischen Darstellungen.
Man begründet die Theorie durch den Hinweis auf eine angebliche
Ähnlichkeit zwischen dem genannten konsularen Umwurf und dem Pallium
und durch die Berufung auf das Constitutum Konstantins und die angebliche
Verpflichtung der Päpste, bei Palliumverleihungen die Genehmigung des Kaisers
einzuholen.
Allein bezüglich der Berufung auf das Constitutum Konstantins bemerkt Grisar
mit Recht: „Nur infolge einer großen Überschätzung der sog. Konstantinischen Schen-
kung kann man in diesem Dokumente eine Bestätigung der Ansieht sehen wollen." 3 In
der Tat, eine Fiktion, wie sie der Urheber der Fälschung ersann, entspricht aller-
dings der auch in weltlicher Beziehung hochbedeutenden Stellung, welche die Päpste
zu seinen Lebzeiten in der christlichen Völkerfamilie einnahmen. In den Beginn des
4. Jahrhunderts paßt dagegen die angebliche Begabung des Papstes mit Krone, Phry-
gium, Lorum und sonstigen kaiserlichen Gewandstücken in keiner Weise.
Über die Pflicht des römischen Stuhles, den kaiserlichen Konsens zu einer Ver-
leihung des Palliums nachzusuchen, ist früher mehr als genug gesagt worden. Was aber
die Ähnlichkeit zwischen dem Pallium einerseits und dem in Frage kommenden Um-
wurf auf den Monumenten anderseits in Bezug auf Form und Beschaffenheit anlangt,
so ist dieselbe denn doch zu geling, um daraus den Schluß ziehen zu können, das
Pallium stamme von kaiserlicher Bewilligung her. Man vergleiche nur einmal letzteres,
wie es uns auf den ältesten Darstellungen begegnet — und wir haben keinen Grund,
für die frühere Zeit einen wesentlichen oder auch nur größeren Wechsel in Bezug auf
das Aussehen anzunehmen — , etwa mit der Toga des Felix (Bild 140, S. 301) oder
des Anonymus (Bild 257, S. 518) usw. auf deren Diptychen. Indessen eine wirkliche
Ähnlichkeit einmal zugegeben, so könnte daraus doch höchstens folgen, es sei die
1 Orig. 385 : Cet insigne parait remonter
ä une concession imperiale.
2 Das Verdienst, das Ornatstück als eine
Umbildung der Toga nachgewiesen zu haben,
gebührt Wilpert, der fnfiend auf den Unter-
suchungen des Baron Kanzler über die Ent-
wicklung der Toga die Konsulardiptychen
einer eingehenden Erforschung bezüglich der
Tracht der Konsuln unterzog. Er hat die
Ergebnisse in der ersten Studie seiner Schrift
Uli capitolo di storia del vestiario nieder-
gelegt. Ein eigentliches Gewand im Sinn der
alten römischen Toga kann der Überwurf wohl
nicht mehr genannt werden. Als Oberkleid
war an Stelle der letzteren vielmehr die Dal-
matik getreten. Wilpert bezeichnet den Um-
wurf mit Recht als quasi im accessorio orna-
mentale (Cap. 8).
3 Das römische Pallium n. 4 (Festschrift zum
1100jährigen Jubiläum des Campo Santo 101).
Drittes Kapitel. Das Pallium. 653
Einführung des Palliums nach dem Vorbilde des eine Art von konsularischer Insignie
darstellenden profanen Ornatstücks erfolgt, auf keinen Fall aber, sie sei auf eine Be-
willigung durch den Kaiser zurückzuführen.
Die Theorie, welche den Kaiser als den Urheber des päpstlichen Palliums be-
trachtet, ist indessen nicht nur ganz unbegründet, sie entspricht auch keineswegs den
tatsächlichen Verhältnissen.
Das Pallium tritt stets als durchaus liturgisches Gewandstück auf, und das
gleichmäßig in Rom wie in der Ostkirche. Was hat aber der Kaiser mit der Ein-
führung eines Kultuszwecken vorbehaltenen Ornates zu tun? Wäre das Pallium
ursprünglich eine außerkirchliche, weltliche Insignie des Papstes gewesen, ließe es
sich eher auf eine kaiserliche Verleihung zurückführen. Aber das war es nach allem,
was wir von ihm wissen, niemals. „Es handelt sich um das Heiligtum des Altars,
um die Liturgie, und hier sind weltliche Anordnungen und Verleihungen nicht ohne
zwingende Gründe anzunehmen.1' l
Dann aber findet sich ein Pallium nicht nur beim Papste, es begegnet uns
unter dem Namen omophorion auch bei den Bischöfen des Ostens, und zwar hier
schon bei Isidor von Pelusium. Rührt etwa das Omophorion der griechischen Litur-
gie auch von kaiserlicher Bewilligung her? Und woher das liturgische Abzeichen der
Diakone, das uns unter dem Namen orarium bereits im 22. Kanon des Konzils von
Laodicea entgegentritt?
Endlich darf nicht übersehen werden, daß die Päpste , welche Metropoliten
das Pallium gewähren, das aus eigenster Machtvollkommenheit und kraft der Auto-
rität des hl. Petrus tun, und daß das Pallium ex benedictione S. Petri kommt. Ja,
wenn noch die Päpste vom Kaiser in der Verleihung des Palliums abhängig gewesen
wären ! Aber so verhielt sich die Sache nicht. Wie daher die Zuwendung der In-
signie des Apostolischen Stuhles eigenstes Recht war, so kann auch das Ornatstück
selbst nur dem Boden der Kirche erwachsen und nur durch die maßgebenden kirch-
lichen Paktoren ins Dasein gerufen worden sein.
Indessen berichtet ja Agnellus im ravennatischen Pontifikalbuch , es habe
Valentinian III. den Erzbischof Johannes von Ravenna und später Justinian den
Erzbischof Maximian mit dem Pallium begabt "-. Freilich ; jedoch ist weder das
eine noch das andere richtig, wie, von allem andern abgesehen, klar aus dem früher
besprochenen Briefwechsel zwischen Gregor d. Gr. und Johannes und Marianus von
Ravenna hervorgeht. Allein es verlieh doch Konstantius II. dem schismatischen Erz-
bischof Maurus das Pallium3. „Also", so folgert Duchesne, „sprach sich der Kaiser
das Recht zu, dasselbe direkt zu gewähren."4 Allerdings, aber was haben die
Kaiser nicht alles für sich in Anspruch genommen! Wenn sie sich das Recht
nahmen, Bischöfe einzusetzen oder zu verjagen, so konnte sich Konstantius noch viel
mehr die Verleihung des Palliums anmaßen. Folgt daraus aber, daß die Insignie
in kaiserlicher Bewilligung ihren Ursprung habe? Doch wohl ebensowenig, wie Ring
und Stab der Bischöfe auf Heinrich IV. zurückzuführen sind, weil derselbe den An-
spruch erhob, mit Ring und Stab zu investieren.
Es geht denn auch gegenwärtig die herrschende Stimmung mit Recht
durchaus dahin, dem Pallium einen kirchlichen Ursprung zuzuschreiben,
wenngleich über die Zeit sowie über das Warum und das Wie seiner Ein-
führung die Ansichten auseinandergehen.
Eine Beziehung des Palliums zum Ephod des Alten Bundes (und
dem damit verbundenen Brustschmuck, Xöyiov, rationale) betonen
schon mittelalterliche Liturgiker5, ohne es indessen förmlich von ihm ab-
1 Cirisar, Das röm. Pallium (a.a.O. 100). 3 Ebd. n. 110 112 (349 350).
2 Lib. pont. ravennat. n. 40 70 (M. G. SS. * Orig. 385.
Langob. 305 326). 5 Ex.28,9if; 39,2ff. Flav.Ios. Antiq.111,7.
654 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
zuleiten. Sie sehen in ihm vielmehr lediglich ein Gegenstück des hohen-
priesterlichen Schulterschmuckes.
Es ist in der Tat an eine wirkliche Herübernahme des alttestamentlichen
Epliod nicht zu denken. Dem widerspricht alles, was wir in Bezug auf seine Form
und Beschaffenheit wissen. Und warum hat man bloß den Ephod, nicht aber auch
die Brustplatte dem jüdischen Kultus entlehnt ? Warum fehlt ferner jeder Hinweis
auf das Pallium, wenn z. B. Hieronymus oder Gregor d. Gr. weitläufig die Bedeutung
des alttestamentlichen Superhumerale erörtern ? ' Es könnte das jüdische Sakral-
schulterkleid höchstens insofern der Anstoß zur Einführung der Insignie gewesen sein,
als es den Gedanken an die Schaffung eines liturgischen Schulterschmuckes des christ-
lichen Hohenpriesters, des Papstes, angeregt hätte. Indessen mangelt selbst dafür
jeglicher Anhaltspunkt.
Andere haben das römische Pallium von einem Mantel des hl. Pe-
trus abzuleiten gesucht, der das Oberhirtenamt desselben symbolisierte2.
Derselbe soll von dem hl. Petrus seinem Nachfolger Liuus hinterlassen und
dann von diesem und den folgenden Päpsten benutzt worden sein. Vielleicht
auch, daß man Stücke von ihm abschnitt und andern gab. So oder durch
Verschleiß oder sonst in einer Weise, sagt man, ging jedoch das Gewandstück
im Lauf der Zeit verloren. Inzwischen aber hatte sich die Sitte, das Pallium
des Apostelfürsten zu tragen und andern davon mitzuteilen, so eingewurzelt,
daß man sie nicht mehr darangeben konnte ; man soll darum als Ersatz
für das pallium Petri ein anderes in Gebrauch gezogen bzw. versendet
haben. Will man dem Verfasser des Artikels „Pallium" im Kirchenlexikon
glauben, so wäre diese Meinung jetzt ziemlich allgemein angenommen; indessen
ist sie in Wirklichkeit ebensowenig allgemein wie begründet.
Zwar bringt Vespasiani, ihr Hauptvertreter , eine lange Reihe von Beweisen
für sie vor, allein unter allen ist keiner, der sie auch nur halbwegs wahrscheinlich
machte. Was soll es z. B., wenn Vespasiani sich auf Elias beruft, der Elisäus seinen
Mantel hinterließ3? Was seine Bezugnahme auf zwei Zeugnisse für die Kirchen von
Jerusalem und Alexandrien, die noch zudem von sehr zweifelhaftem Werte sind, auf
die Acta S. Materni und eine auf legendarischen Quellen beruhende Notiz bei Rupert
von Deutz? Und nun erst die Beweise aus gewissen Äußerungen päpstlicher Schreiben,
in welchen gesagt wird, das Pallium werde verliehen apostolorum principis solatio,
ex benedictione S. Petri apostoli, oder es komme de corpore beati Petri; aus der
Segnung des Ornatstückes; aus der Weise, wie der Papst die Insignie nach seiner Weihe
annimmt ; aus der Farbe, dem Stoff und den Kreuzen des Palliums ; aus dem Vorgehen
des Apostolischen Stuhles bei Palliumverleihungen ; aus der Praxis der Orientalen und
gar aus dem Ursprung der Kasel, welche nach Vespasiani ebenfalls von dem Pallium
Petri herzuleiten ist. Noch am bedeutungsvollsten sind scheinbar zwei 'Belege, die
aus einem dem Eusebius von Cäsarea zugeschriebenen Sermo über Epiphanie und
einer angeblichen Rede des hl. Maximus De veste sacerdotali herrühren sollen. Wir
sagen scheinbar; denn erstens spricht in Wirklichkeit keine derselben von einem
Mantel des hl. Petrus ; das pallium, von dem sie reden, ist vielmehr das pontitikale
Pallium. Zweitens aber sind beide Stellen höchst zweifelhafter Herkunft und
darum wertlos '.
1 Ep. 64 ad Fabiol. n. 15 (M. 22, 615). 3 3 Kg 19, 19.
Gregor M., In lob 1. 28, c. 5 (M. 76, 455); * Vespasiani hat die beiden Stellen Cata-
eiusd. Regulae past. pars 2, c. 2 3 4 (M. 77, lanisKommentarzumrömischenCaeremoniale
27 ff); Epist. 1. 1, n. 24 (M. G. Epp. I 28). (edit. Rom. 1750) 342, entlehnt, während
2 Vespasiani, De sacri pallii origine dieser sie aus Christ. Marcelli, Sacr.
34 ff 66. Es genügt zur Charakterisierung caerem. 1. 1, sect. 5, c. 10 (bei Hoffmann,
dieser Theorie und ihrer Bedeutung fast, Nova scriptorum ac monument. collectio II
dieselbe wiederzugeben. 423) genommen hat. Bei Marcellus werden
Drittes Kapitel. Das Pallium. 655
Weder das christliche Altertum noch das Mittelalter weiß etwas von dem
sagenhaften Mantel des Apostelfürsten. „Zu Rom hatte man", soviel bekannt ist,
„als Erbe Petri nur dessen Kathedra, und die Übertragung der Vollmachten des
Apostels an den neuen Papst wurde unter anderem durch die Besitzergreifung von
diesem Stuhle ausgedrückt."1 Der Mantel Petri gehört erst dem 19. Jahrhundert an.
Die Theorie, welche von ihm das päpstliche Pallium herleitet, mag geistreich sein ;
doch ist sie darum nicht auch schon begründet und wahr.
Eine dritte Ansicht leitet das Pallium von einem sakralen Mantel-
pallium ab, dessen sich ursprünglich die Päpste bedient haben sollen. Garrucci,
der dieselbe vertritt2, will dieses angebliche pallium sacrum auf einigen
Goldgläsern gefunden haben. Die Umbildung des Mantels zum späteren Pallium
hätten wir uns ihm zufolge etwa in folgender Weise vorzustellen. Zunächst
ging man dazu über, das Gewand zu einer Art von Streifen zusammenzu-
falten. Dann änderte man die Anlegeweise dahin, daß man, anstatt beide Enden
über die Brust herabfallen zu lassen , das rechte zur linken Schulter führte
und über diese zum Rücken warf. Endlich ersetzte man den durch Zu-
sammenfaltung des Mantels gebildeten Streifen durch ein einfaches Band.
Die Theorie hört sich gut an, leider ruht sie auf mehr denn unsichern
Fundamenten.
Von dem angeblichen sakralen Mantelpallium des Papstes findet sich keine
Spur vor. Es ist nichts als eine Fiktion. Das Gewandstück auf einigen Goldgläsern,
in dem Garrucci es wiederzuerkennen meinte, ist kein sakraler Ornat, sondern die
lacerna des gewöhnlichen Lebens. Es sind nicht bloß Päpste auf den vetri mit ihm
dargestellt, sondern auch Christus, Apostel, zumal Petrus und Paulus, ein Timotheus,
Damas, Dion, Ursus, Demetrius und die hl. Agnes 3.
Auch die Behauptung, es sei das Mantelpallium im Verlauf der Entwicklung
zu einem Streifen zusammengefaltet worden , entbehrt jeder Begründung und ist bloße
Hypothese.
Allerdings weist Garrucci unter Verweis auf Tertullian auf den Brauch hin,
die Läna (wie er sagt, richtig die Toga) streifenartig zusammenzufalten. Allein er
beachtet nicht, daß, wie die Bildwerke beweisen, hierbei nur ein Teil des Gewandes
zu einem Streifen zusammengelegt wurde, während der andere in losen Falten den
Körper umschlang. Ist ja noch auf den Konsulardiptychen des 6. Jahrhunderts, also
zu einer Zeit, da doch das Pallium sich als ganz und gar streifenartiges Ornatstück
gibt, die Toga trotz aller mit ihr vorgegangenen Veränderungen ein wirkliches Tuch
von nicht geringer Breite, das nur etwa in seiner ersten Hälfte zu einer Art von
Band zusammengeschlagen ist, im übrigen aber frei den Körper umzieht und in
natürlichem Faltenwurf dem rechten Arm aufliegt.
Dann aber liegt auf der Hand, daß aus einer Veränderung, welche mit der
Toga vor sich ging, keineswegs ohne weiteres geschlossen werden kann, dieselbe sei
auch bei dem Mantelpallium in Brauch gekommen. Das wäre vielmehr offenbar nur dann
zulässig, wenn die gleichen oder doch verwandte Gründe für einen solchen Wechsel
vorlagen. Die Sitte, das eigentliche Staatskleid des römischen Bürgers in bestimmte
Falten zu legen, ging aus dem Bestreben hervor, dasselbe prunkvoller zu gestalten.
Man war mit der alten, einfacheren Togaform nicht mehr zufrieden. Daher die neue,
verzwickte Weise, das Gewand anzulegen, welche Tertullian mit so beißendem Spott
sie leider nur so zitiert: Maximus ep. in Frühe unseres Jahrtausends hinaufreichen
homilia de veste sacerdotali und Eusebii dürften.
Caesareensis in sermone de Epiphania. Wir ' Grisar, Das römische Pallium (a. a. 0.
haben weder die eine noch die andere dieser 109). 2 Garr. I 96 106.
Stellen irgendwo entdecken können. Bei 3 Ebd. tav. 179 ff. Vgl. ferner oben S. 611.
beiden haben wir es zweifellos mit unechten, Häufig tragen auch die drei Magier auf den
späten Stücken zu tun, die kaum in die altchristlichen Bildwerken den Mantel (I 94).
656
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
und köstlichem Humor geißelt. Bestanden die gleichen oder ähnliche Tendenzen auch
bezüglich des sakralen Mantelpalliums ? Wenn nicht, und es dürfte das wohl niemand
behaupten können, so läßt sich offenbar von der Toga kein Schluß auf das Pal-
lium ziehen.
Vielleicht hat aber die Rücksicht auf Bequemlichkeit oder die Einführung der
Pänula als Obergewand bei ihm dasselbe veranlaßt, was bei der Toga Prunkliebe zu-
wege brachte. Vielleicht, aber was beweisen bloße Möglichkeiten? Man kann doch nicht
Hypothesen mit Hypothesen glaubhaft machen ; am allerwenigsten, wenn letztere, wie
es hier der Fall ist, aller Wahrscheinlichkeit entbehren. Oder ist es wahrscheinlich,
daß man zu einer Zeit, in welcher man die lange Ärmeltunika in Gebrauch nahm
und die Toga zu einer Bürde machte, aus Bequemlichkeit einen Wechsel in der An-
legungsweise des heiligen Mantelpalliums vorgenommen habe ? Bequemlichkeitsrück-
sichten fingen erst in weit späterer Zeit an, sich in Bezug auf Schnitt und Be-
schaffenheit der geistlichen Gewandung geltend zu machen.
Auch die Einführung der Pänula (Planeta) als Obergewand konnte kein Grund
für die Veränderung sein, da ein Mantel, wie er uns auf den Goldgläsern begegnet,
sehr wohl über der Planeta getragen werden konnte. Ja es ist nicht einmal abzu-
sehen, wie die Pänula beim Papst als Oberkleid in Brauch kommen konnte, falls es
bei ihm das angebliche heilige Mantelpallium gab ; zumal dann, wenn beide Gewänder
miteinander nur schwer verträglich waren. Es liegt doch auf der Hand, daß der
Papst eher auf die so ganz bedeutungslose Pänula verzichtet haben würde, als daß
er das altehrwürdige Pallium einer so gründlichen Änderung unterzogen hätte.
Endlich aber erklärt die Hypothese nicht, warum es zu einer Anlegungsweise
kam, bei der von den beiden Enden des Palliums eines vor der Brust, das andere
auf den Bücken herabfiel, während das heilige Mantelpallium der Theorie Garruccis
nach Art des Pluviale der Schulter auflag und vom auf der Brust mit einer Spange
geschlossen wurde. Hätte es, wenn die Hypothese richtig wäre , nicht zu einer
Tragweise kommen müssen, wie sie bei der Priesterstola üblich ist?
Das einzige, was scheinbar für die Theorie spricht, ist der Name pallium. In-
dessen schwindet auch diese Stütze, sobald man sich einmal etwas näher nach dem
Sinne des Wortes pallium umsieht. Allerdings verstand man unter pallium auch einen
TJmwurf, einen Mantel, indessen hatte das Wort noch verschiedene sonstige Bedeu-
tungen. Es diente zur Bezeichnung eines kleineren Schultertuches, eines Kopftuches,
des Handtuches, der Bettdecke, eines Vorhanges ; ja es war selbst Stoffname, ge-
rade wie unser „Tuch", das überhaupt in allen genannten Bedeutungen ein vorzüg-
liches Gegenstück zu pallium darstellt. Wie wenig ausschließlich das Mantelpallium
unter dem Wort pallium zu verstehen ist, beweisen namentlich die pallia discolora,
mit denen nach des Theodosius Kleideredikt die Exekutivbeamten ihre Brust be-
decken sollten , ut conditionis suae necessitatem ex huiusmodi agnitione testentur '.
Denn diese über der paenula auf der Brust angebrachten, in ihrer Farbe von der-
jenigen des Obergewandes abstehenden pallia können doch wohl nur als Abzeichen
von der Art der -ocßAca, d. i. als rechteckige Zeugstücke aufgefaßt werden. Der Grund-
bedeutung nach bezeichnete pallium, wie Wilpert mit Recht bemerkt2, allgemein
1 S. oben S. 245. Wegen der räßXia vgl.
S. 250. Auch Wilpert, der früher (Cap.
13 ff; Gew. 48) in den pallia discolora ein
zu einem Streifen zusammengefaltetes, um
Brust. Schulter und Rücken geschlungenes
Zeugstück sah , also ein Gegenstück des
päpstlichen Palliums nach dessen ursprüng-
licher Form , hat sich neuerdings für die
obige , von uns schon in „Die pontifikalen
Gewänder des Abendlandes" (Freiburg 1898)
S. 173 vertretene Auffassung entschieden
(Bessarione X 215). Doch geht es nicht an,
unter der paenula der Exekutivbeamten, von
welchen das Dekret spricht, die chlamys zu
verstehen. Denn nur wenige Zeilen vorher
wird iu der gleichen Verordnung ausdrücklich
die paenula von der chlamys unterschieden :
Nullus senatorum habitum sibi vindicet mili-
tarem, sed chlamydis terrore deposito quieta
coloborum ac paenularum indnat vestimenta.
Wenn hier chlamys und paenula mit aller
Bestimmtheit einander entgegengesetzt wer-
den, dann können beide unmittelbar nachher
unmöglich identisch sein. - Cap. p. 47.
Drittes Kapitel. Das Pallium. 657
ein Stück Stoff ; aus ihr entwickelten sich alle übrigen. Angesichts dieses Tatbestandes
liegt es aber auf der Hand, daß aus dem Worte pallium nicht geschlossen werden
kann, das Pallium sei ursprünglich ein Mantel gewesen. Nur das eine läßt sich allen-
falls aus ihm folgern, daß es ursprünglich ein Stück Zeug und nicht ein bloßes Band
darstellte. Zur Stütze der Theorie Garruccis ließe sich das Wort pallium nur dann
verwerten, wenn es einzig die ganz konkrete Bedeutung „Mantel" gehabt hätte.
Eine vierte Theorie hat Wilpert aufgestellt. Sie schließt sich in-
sofern an diejenige Garruccis an, als auch sie das heilige Pallium aus
einem Mantel sich entwickeln läßt, weicht aber von jener darin ab, daß sie
das heilige Mantelpallium, welches nach Garrucci die Päpste ursprünglich ge-
tragen haben sollen, aufgibt und statt seiner das gewöhnliche Mantelpallium
zum Ausgangspunkt nimmt. Im vierten Jahrhundert soll es Mode geworden
sein, dieses Pallium, „das in der Kirche stets als ein Gewand der Auszeichnung
und Würde (un abito di sommo onore e dignitä) gegolten habe" 1, zu einem
Streifen zusammenzufalten, ähnlich wie es bei der Toga und der Palla der
Frauen allmählich Brauch geworden. Ihren Grund soll diese Änderung darin
gehabt haben, daß damals an Stelle des Palliums ein anderer ebenso würdiger
als zweckmäßiger Mantel in Gestalt der Pänula in Aufnahme kam. Durch
dieses neue Gewand wurde das Pallium, wie Wilpert sagt, als wirkliches
Kleidungsstück überflüssig; man habe es aber nicht ganz beiseite legen
können, da es bis dahin in der Kirche als das ehrenvollste Gewand gegolten.
So habe man es denn zu einem Streifen zusammengefaltet und in einer durch
die Form der Pänula bedingten etwas veränderten Weise um die Schultern
geschlagen. In dieser Gestalt vorzugsweise auf den Schultern ruhend , sei
es treffend von den Griechen ebp.op6pwv genannt worden. Die Umbildung
des Mantelpalliums, wie sie Wilpert schildert, soll sich in der zweiten Hälfte
des 4. Jahrhunderts vollzogen haben2. Die Theorie ist scharfsinnig und
klingt, wie wir gern gestehen, ungemein ansprechend und überzeugend. Nichts-
destoweniger sehen wir uns außer stände, die Ansicht des so ausgezeichneten
und hochverdienten Gelehrten zu teilen.
Zunächst kann man nämlich doch wohl keineswegs behaupten, es sei das Pallium
in der Kirche schon seit dem 2. Jahrhundert als abito di sommo onore e dignitä
betrachtet worden. Welchen Anhaltspunkt gibt es hierfür hinsichtlich der Anschauung
der Kirche des Ostens? Keinen. Oder will man etwa als Beweis anführen, daß
sich das Omophorion 3 der griechischen Bischöfe aus dem Pallium entwickelt habe?
Aber das wäre ja ein Zirkel ; denn das ist es doch gerade, was nachgewiesen werden soll.
In Afrika war das Mantelpallium jedenfalls kein Gewand der höchsten Ehre
und Auszeichnung bei den Christen. Es ergibt sich das mit aller Deutlichkeit aus
der um 193 abgefaßten Schrift Tertullians De pallio *, in welcher dieser seinen Lands-
leuten mit feinem Witz und übertriebenen Hymnen das Pallium anstatt der Toga
als Obergewand anpreist. Zwar war selbiges damals den Christen keineswegs mehr
fremd, vielmehr stand es auch bei ihnen schon in Gebrauch. Indessen war es so
wenig ein spezifisch christliches oder auch nur bei den Christen in besonderem An-
sehen stehendes Gewand, daß vielmehr, wie Tertullian zum Preise des Palliums mit
1 Wilp. a. a. 0. 30; vgl. Gew. 47: „Von Tertullian das Christentum angenommen hatte,
dem Pallium wissen wir, daß es in der Kirche Die Veranlassung zu ihrer Abfassung war
schon seit dem 2. Jahrhundert als ein 6 e- der Spott , den er sich dadurch zugezogen
wand der Auszeichnung und Würde hatte, daß er die Toga mit dem bei den Philo-
in Gebrauch war." sophen beliebten Pallium vertauscht hatte.
2 Wilp., Cap. 24 ff; Gew. 47 ff; Kat. 74. Es geschah das wahrscheinlich gelegentlich
3 Über dessen Ursprung vgl. S. 672 f. seines Übertrittes zum Christentum (Kirchen-
4 Die Schrift entstand wohl bald, nachdem lex. XI2 1397 f).
Braun, Die liturgische Gewandung. 42
658
Vierter Abschnitt. Die Insisnien.
großem Wortschwall hervorhebt, seiner sich alle zu bedienen pflegten, welche irgend-
wie den freien Künsten oblagen, die Philosophen, Grammatiker, Ehetoren, Sophisten,
Arzte, Dichter, Musiker, ja selbst die Astrologen und Augurn1.
Aber auch für Rom ist der Beweis noch nicht geliefert worden, daß das Pal-
lium daselbst bei den Christen als Gewand der höchsten Ehre und Würde gegolten
habe. Wilpert weist freilich auf die Katakombenmalereien hin. Allein richtig ist
unseres Erachtens nur, daß auf ihnen das Mantelpallium als ein Gewand besserer
Klassen und höher stehender Personen erscheint. Daß auf ihnen die Fossores und
andere gewöhnliche Leute ohne dasselbe dargestellt werden, ist ebenso natürlich, wie
daß der gute Hirt ohne Pallium auftritt. Pflegt man doch auch heute noch in den
niedern Ständen keinen Paletot zu tragen. Wem wird es darum aber einfallen,
diesen als abito di sommo onore e dignitä zu bezeichnen?
Und dann sehen wir ja auch Personen, wie die nichtswürdigen Altesten in den
Susannaszenen, mit dem Pallium bekleidet, während der Bischof bei der „Einkleidung
einer gottgeweihten Jungfrau" kein Pallium, sondern eine Pänula trägt. Namentlich
diese letzte Darstellung dürfte denn doch deutlich beweisen, wie wenig zur Zeit ihrer
Entstehung, d. i. im 8. Jahrhundert, das Pallium als abito di sommo onore e dignitä
galt. Übrigens gesetzt einmal , es sei wirklich das Pallium zu Rom und darum
wohl überhaupt in Italien als ein Gewand der höchsten Ehre und Auszeichnung
angesehen worden, wie hat es denn kommen können, daß man es der Mode zuhieb
oder aus Bequemlichkeit mit der gewöhnlichen Pänula vertauschte, und daß nur der
Papst es in Form eines unbedeutenden Streifens beibehielt, die Bischöfe und Priester
aber es völlig aufgaben ? Es spricht das denn doch offenbar nicht gerade
für eine sonderliche Wertschätzung des Gewandes.
Zweitens: wer hat das Mantelpallium in der Kirche getragen? War es bloß
der Papst oder haben sich seiner auch die Bischöfe und Priester bedient? Wohl
nicht der Papst allein ; denn es trägt ja auch ein taufender Priester in einer der
sog. Sakramentskapellen von S. Callisto das Gewand. Zudem würde im andern Falle
die Theorie im wesentlichen so ziemlich mit derjenigen Garruccis identisch sein.
Und dann kommt ja auch das Pallium auf den Cömeterialmalereien bei den verschie-
densten Personen vor.
Wenn aber nicht bloß der Papst , sondern auch die Bischöfe und Priester das
Mantelpallium getragen haben, wie ist es denn zugegangen, daß es zu einem aus-
schließlich päpstlichen Schmucke ward, als es sich zu einem zusammengefalteten Streifen
umbildete? Konnte es, die Sache praktisch genommen, ohne eine positive Bestimmung
geschehen, daß die Priester und Bischöfe insgesamt den abito di sommo onore e
dignitä preisgaben und in der Kirche des Westens nur mehr der Papst sich desselben
als eines einzig ihm zustehenden Ehrengewandes zu bedienen das Recht hatte? Wenn
aber das ohne eine solche Verordnung nicht wohl denkbar ist, warum dann nicht, statt
1 De pallio c. 6 (M. II 1104) : Viderit nunc
philosophia, quid prosit, non enim sola nie-
cum est: De meo (das Pallium spricht) et
primus informator litterarum et primus edo-
mitor vocis et primus numerorum arenarius
et grammaticus et rlietor et sophista et me-
dicus et poeta et qui musicam pulsat atque
stellarem coniectat et qui volaticam spectat.
Omnis liberalitas studiorura quattuur raeis an-
gulis tegitur At ego iam illi etiam divinae
sectaeacdisciplina commercium confero. Gaude
pallium et exsulta, melior iam te philosophia
dignata est, ex quo christianum vestire co e-
pisti (seitdem du anfangs t, Christen zu
bekleiden). Nicht recht verständlich ist, wenn
Wilpert (Cap. 29 j sagt: Difatti in questi
due manti (Toga und Pallium) venne espresso
il contrasto fra lo spirito nazionale romano
e il cosmopolitismo cristiano. War denn
das Pallium ein Charakteristikum der Christen
und trugen nur sie es, nicht die Heiden?
Freilich war auch noch im 3. und 4. nach-
christlichen Jahrhundert die Toga das offizielle
Staatskleid, weshalb natürlich auch christliche
Beamte und Senatoren sie anlegten, so oft sie
in offizieller Tracht auftraten; im gewöhn-
lichen Leben aber bedienten sich die Heiden
wie die Christen der Obergewäuder, welche
die gerade herrschende Mode wollte , ohne
sich — von gewissen Philosophen abgesehen —
durch philosophische und nationalistische Er-
wägungen leiten zu lassen.
Drittes Kapitel. Das Pallium. 659
durch so viele in der Luft schwebende Hypothesen die Entstehung des Palliums zu
erklären , lieber einfach annehmen , es sei das Gewandstück direkt als liturgisches
päpstliches Distinktivum in Form eines streifenförmig zusammengefalteten Tuches
durch eine diesbezügliche Bestimmung des Papstes eingeführt wurden?
Drittens: die Umbildung des Mantelpalliums soll durch die Einführung der
Pänula als Obergewand veranlaßt worden sein? Es wurde schon daraufhingewiesen,
wie wenig das angesichts des Charakters, den das Mantelpallium gehabt haben soll,
verständlich ist. Jedenfalls läßt sich ein derartiges Außerbrauchkommen bzw. eine
derartige Umgestaltung eines Gewandes „der höchsten Ehre und Würde" nicht ohne
hinreichende Anhaltspunkte glaubhaft und annehmbar machen. Gibt es nun aber
deren? Nein. Es läßt sich, wie bei Besprechung der Theorie Garruccis ausgeführt
wurde, weder durch den Namen eine Umbildung des Mantelpalliums zum Streifen-
pallium begründen, noch gibt es irgend ein Monument oder irgend eine schrift-
liche Nachricht, die uns von dem Vorgang Zeugnis ablegten.
Aber haben wir zu diesem nicht wenigstens eine Parallele in der Umgestaltung der
Toga ? Auch das nicht einmal. Solange die Toga nämlich zu Rom Staatskleid und offizielles
Gewand war, ist sie weder durch die Pänula ersetzt worden, noch auch zu einem
schmalen Band entartet, wie das heilige Pallium es ist. Noch auf den Konsular-
diptychen des 6. Jahrhunderts tritt sie trotz aller Veränderungen und wiewohl teilweise
zu einem Streifen zusammengefaltet, als ein Umwurr auf, welchem eine recht erheb-
liche Breite eigen ist. Im Alltagsleben und als Tracht des gewöhnliehen
römischen Bürgers ist allerdings die Toga ziemlich früh aus dem Gebrauch ver-
schwunden und der Pänula geopfert worden. Bezeichnenderweise aber hat man es nicht
der Mühe für wert gehalten, sie streifenförmig zusammenzufalten und in dieser Form als
Erinnerung an die frühere Sitte über dem neuen Obergewand zu tragen. Und doch
war die Toga ein so hochbedeutsames und charakteristisches Gewand des echten
Römers. Wozu also unter solchen Umständen eine Berufung auf die Toga? Ja,
wenn noch das Mantelpallium einen ähnlichen Charakter besessen hätte wie die Toga.
Aber das ist bislang weder im geringsten bewiesen noch auch nur wahrscheinlich
gemacht worden. Jedenfalls könnte, wenn die Berufung auf die Toga konsequent
durchgeführt werden soll, der Analogieschlufs nur lauten: Im gewöhnlichen
Leben ist das Pallium durch Aufnahme der Pänula völlig außer
Brauch gekommen; im offiziellen kirchlichen Leben hat man auf
Einführung der Pänula verzichtet, aber zur Entfaltung größeren
Prunkes dem Mantel eine kostbarere Beschaffenheit gegeben und
ihn in etwas komplizierterer Weise zu tragen angefangen.
Auch der Hinweis auf die angeblich durch Umbildung der Mantelpalla
(des mantelartigen Obergewandes der Frauen) entstandene Schärpe, mit welcher die
Isispriesterinnen auf den Bildwerken verschiedentlich dargestellt werden, ist
zur Stützung der Theorie von der Umgestaltung des Mantelpalliums zum sakralen
Pallium von keinem Belang. Denn zunächst und vor allem scheint es doch wohl
kaum zutreffend, daß die Schärpe der Isispriesterinnen eine zum bloßen Bande verbildete
Mantelpalla ist. Wilpert hat selbst eine Statue, sei es der Isis, sei es einer Isis-
priesterin aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts, zur Abbildung gebracht, welche
über der Mantelpalla auch noch die in Frage stehende Schärpe und somit Palla und
Schärpe zugleich aufweist l. Es kann also die letztere unmöglich die zum Streifen ge-
wordene oder streifenartig gefaltete Mantelpalla sein -. Außerdem aber folgt, dieümwand-
1 Cap. p. 16, flg. 19. nur gewahren konnte, wenn mit ihr eine
2 Wenn Wilpert sich für seine Theorie Reihe nebeneinanderliegender Falten gemeint
von dem Ursprung der Schärpe der Isis- ist. Überhaupt spricht der ganze Tenor der
priesterinnen auf die palla multiplici con- Stelle durchaus für ein weites mantelförmiges
tabulatione dependuki beruft, mit der Apu- Gewand, nicht für eine zu einem bloßen
lejus (Metamorph. 11. 24) die Isis im Traum Streifen zusammengefaltete Palla. Jedenfalls
bekleidet schaute, so will uns bedünken, daß ist die erste Auffassung der cont. muH.
der Dichter diese contabulatio multiplex mindestens ebenso berechtigt wie die letzte
42*
660
Vierter Abschnitt. Die Insiguien.
lung der Palla zur Schärpe einmal als wirklich angenommen, auch dann aus einem solchen
Vorgang doch nur, daß wie in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts die Mantelpalla
zum Streifen verkümmerte, so in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts das Mantel-
pallium zu einem bloßen Streifen werden konnte, nicht jedoch auch, daß es tat-
sächlich oder auch nur wahrscheinlich ein solcher wurde. Das aber und
nicht die absolute Möglichkeit ist es, worauf es ankommt.
Besonderes Gewicht legt Wilpert zur Glaubhaftmachung der Umbildung des
Mantelpalliums auf ein um 356 oder etwas später entstandenes Fresko im Cömeterium
der hl. Domitilla. Es stellt die hl. Petronilla dar, wie sie eine Verstorbene, namens
Venerauda, in das Paradies einführt. St Petronilla trägt eine lange Untertunika, eine
kürzere Obertunika und darüber die Palla (Bild 298). Man betrachte indessen einmal
aufmerksam das Bild ; handelt es sich denn bei dem Mantel der Heiligen um ein
künstlich zu einem Streifen zusammengefaltetes Gewand ? Zieht er sich nicht viel-
mehr von der rechten Seite in langen, losen Palten schräg vor dem Körper zur linken
Schulter hinauf? ' Nur das Ende des Umwurfes erscheint zusammengefaltet, voraus-
gesetzt, dafä die Form, welche dasselbe hat, eine getreue Darstellung der Wirklichkeit
und nicht bloß eine der hundert Zufälligkeiten oder Freiheiten ist, die wir auf den
bildlichen Darstellungen so oft antreffen, namentlich aber auf Bildwerken von so
handwerksmäßigem, skizzenhaftem Charakter, wie das die Cömeterialfresken sind?
Überhaupt ist es nicht einzusehen, welche Bedeutung das Fresko für die hier
uns beschäftigende Frage besitzt, wie es sich nun immer mit der Form der Palla der
hl. Petronilla verhalten mag. Denn was hat, so fragen wir, diese Palla, das gewöhn-
liche Obergewand römischer Frauen 2, mit dem Mantelpallium der Priester und Bischöfe
zu tun, dem abito di sommo onore e dignitä, und wie kann man von der Faltung
der einen auf die des andern schließen? Selbst wenn Christen und Heiden sich im
profanen Leben hinsichtlich des Mantelpalliums einer etwaigen diesbezüglichen Mode
anbequemt haben sollten, so folgt daraus offenbar noch lange nicht, daß auch der
Papst, die Bischöfe und Priester bezüglich der bei der Liturgie üblichen Gewandung
sich derselben unterwarfen. Zudem genügte ein nur teilweises Zusammenfalten noch
keineswegs , um aus dem Mantelpallium ein förmliches Streifenpallium werden zu
lassen, von der Änderung in der Umlegeweise ganz abzusehen. Allein nicht einmal
einen Schluß auf eine Faltung des Mantelpalliums der Laien gestattet das Fresko.
Oder kann man wirklich aus einer einzigen Darstellung einer an dem einen Ende
zusammengefalteten Frauen palla eine entsprechende Gewohnheit auch für das
Mantelpallium der Männer herleiten? Die Folgerung: „In jedem Falle beweist das
Fresko, daß die Gewohnheit, die Palla - und infolgedessen auch das
Pallium — zu falten, bei den Christen bereits wenige Jahre nach der Mitte des
4. Jahrhunderts in Übung war", geht offenbar entschieden zu weit3.
(vgl. auch Fo reell. I 580). Hieran kann
auch die von Wilpert veröffentlichte Isis-
priesterin der vatikanischen Sammlung (Cap.
flg. 18) nichts ändern. Sie beweist nur, daß
man auch auf der Schärpe der Isispriesterinnen
die Symbole des Kultus, Mond und Sterne,
anzubringen pflegte, nicht aber, daß diese
Binde ursprünglich ein förmlicher Mantel war.
1 Wilpert sagt von der fraglichen Palla
(Kat. 76) selbst: „Die Palla bildet nicht in
ihrer ganzen Länge einen Streifen , sondern
ist in der zweiten Hälfte entfaltet." Welche
Bedeutung hat aber dann noch die Darstellung?
2 Es ist doch nur eine Vermutung, wenn
Wilpert (Gew. 48; Kat. 76) sagt: „Der
Maler gab der Heiligen offenbar einen solchen
Mantel , um sie besonders auszuzeichnen ;
vielleicht wollte er dadurch ihre hohe Ab-
kunft andeuten." Und dann war denn doch
die Palla keineswegs ein auszeich-
nendes Frauengewand.
3 Ebd. Nach dem im Text angeführten
Zitat Wilperts muß das Pallium noch nach
der Mitte des 4. Jahrhunderts bei den Chri-
sten überhaupt in Gebrauch gewesen sein.
Wann ist es also ein Sondergewand des
Papstes geworden ? Ein solcher Wechsel
vollzieht sich doch nicht über Nacht. Um
400 muß derselbe nach Wilpert schon voll-
endet gewesen sein. Also um 356 noch ein
wirklicher, nur am Ende zusammengefal-
teter, bei den Christen überhaupt ge-
bräuchlicher Umwurf und um 400 eine litur-
gische Speziali nsignie des Papstes von
völliger Streifenform. Wie es scheint,
eine sehr rapide Entwicklung.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
661
Wilpert ' verweist auch auf das Elfenbein aus der Sammlung Harbaville im Louvre
(Bild 299, S. 663), auf das ich selbst ihn seinerzeit aufmerksam machte, und auf eine
Miniatur des Cod. Vat. gr. 752, f. 42 2 als auf zwei Monumente des 10. bzw. 12. Jahr-
hunderts, auf denen sich eine letzte Eeminiszenz an das alte Mantelpallium finde.
Er meint, der Künstler, der hier das heilige Pallium gefaltet darstellte, müsse eine
Vorlage aus einer Zeit vor sich gehabt haben, welche der Epoche nahestand, in der
das heilige Pallium noch ein zusammengefaltetes Mantelpallium gewesen. Ob jedoch
nicht auch hier das Wort gilt : Non saprei dare grande autoritä a questi casi eccezionali,
essendo pitture del X e XII secolo3. Kann man denn wirklich die genannten beiden
Bildwerke als Kopien einer Vorlage etwa aus dem 4. oder 5. Jahrhundert ansehen ?
Werden wir nicht vielmehr die sonderbare zickzackartige Faltung des Endes des
Palliums , wie so manches
andere auf den alten Monu-
menten, als die Frucht der
Phantasie oder der Laune des
Künstlers zu betrachten haben?
Auf keinen Fall können die
Bildwerke zum Beweise die-
nen, daß das heilige Pallium
ursprünglich ein Mantel war.
Höchstens ließe sich, was
keineswegs geleugnet werden
soll, aus ihnen folgern, es sei
dieses anfänglich noch kein
schmales Band gewesen wie
später, sondern ein zu einer
Binde zusammengefalteter
Zeugstreifen '.
Doch genug der Kri-
tik. Das Angeführte dürfte
ja zur Wertung der Auf-
stellungen Wilperts über
den Ursprung des Palliums
vollkommen ausreichen.
Der Schwierigkeiten , an
denen seine Theorie krankt,
sind nach dem Gesagten
zu viele und zu erheb-
liche. Wir ziehen daher
eine andere Erklärung der
Entstehung des Ornatstückes vor, die wir zwar keineswegs als schlecht-
hin sicher bezeichnen möchten, die aber, alle Umstände in Rechnung ge-
zogen, immerhin die größte Wahrscheinlichkeit für sich haben dürfte. Das
^8fc233
Bild 298. Veneranda mit der hl. Petronilla. Fresko
in der Katakombe S. Domitilla zu Rom. (Nach Wilpert.)
1 Cap. 97; Gew. 48.
2 Abbildung Cap. 83.
3 Ebd. 75, nota 5.
4 Auch durch interessante Rekonstruktions-
versuche hat Wilpert seine Theorie zu be-
kräftigen sich bemüht. Was dieselben be-
weisen, ist aber zuletzt bloß dies , daß das
Mantelpallium absolut genommen zu einem
freilich recht breiten Streifen zusammen-
gefaltet werden konnte, wofern nur der Stoff
nicht allzu dick war. Für die Feststellung
der tatsächlichen Umbildung des Mantel-
palliums zum sakralen Streifenpallium sind
solche Rekonstruktionen jedoch ohne Be-
deutung, so bestechend sie für den Nicht-
fachmann sein mögen. Nicht durch Rekon-
struktionen kann die Frage nach dein Ur-
sprung des sakralen Palliums gelöst werden,
sondern nur auf dem Weg der historischen
Forschung.
662
Vierter Abschnitt. Die Insisnien.
Pallium ist ihr zufolge nicht das Produkt einer langsamen Entwicklung,
nicht ein durch die Umstände verkümmertes Obergewand ; es wurde vielmehr
zu Rom von Anfang an als das eingeführt, als was es uns stets in der
Geschichte begegnet, als auszeichnender Schmuck und als Abzeichen des
obersten Hirten der Kirche und des Patriarchen des Abendlandes, des römischen
Bischofs. Eine bloße Binde war es allerdings ursprünglich nicht; das wurde
es erst allmählich. Wie der Name pallium andeutet, war es vielmehr an-
fänglich ein Tuch, das um Schultern, Brust und Rücken geschlungen wurde.
Ob es hierbei schon gleich in der ersten Zeit streifenförmig zusammengefaltet
wurde oder ob man erst allmählich dazu überging, es streifenförmig zusammen-
zulegen, muß dahingestellt bleiben. Jedenfalls dürfte es, bevor es zum bloßen
Bande wurde, bereits zu einem Streifen gefaltet getragen worden sein 1.
Es besteht heutzutage die Tendenz, nach Möglichkeit überall in der
Geschichte einen Entwicklungsgang nachzuweisen. Es .ist das gewiß nicht
bloß zu billigen, sondern selbst freudig zu begrüßen; denn erst das führt zu
einem tieferen Verständnis der einzelnen Erscheinungen. Man darf indessen
nicht außer acht lassen, daß eine naturgemäße Entwicklung sich da, wo kein
positives Eingreifen statthat, nur langsam zu vollziehen pflegt. Wie lange
hat es z. B. gedauert, bis sich eine liturgische Kleidung im besondern Sinne
ausgebildet hatte, Avie lange, bis Fano und Subcinctorium Sondergewänder
des Papstes geworden waren. Man wird diese Tatsache auch bei der Frage
nach dem Ursprung des Palliums vor Augen halten müssen. Ohne irgend
eine positive Bestimmung oder Tat hat es unseres Erachtens zur Bildung
desselben nicht kommen können. Selbst wenn man mit Wilpert annehmen
wollte, daß sich das Streifenpallium aus dem Mantelpallium entwickelt habe,
wird man einer solchen nicht entbehren können. Denn wie hat ein Gewand,
das Priestern wie Bischöfen, ja selbst Laien eigen war, in der kurzen Zeit,
die Wilpert dafür ansetzt, ohne irgend eine diesbezügliche Verordnung im
Abendland ein ausschließliches päpstliches Ornatstück und die
Insignie des römischen Bischofs zu werden vermocht?
Warum also unter solchen Umständen nicht lieber annehmen, es sei
das römische Pallium von Anfang an als das eingeführt worden und das
gewesen, als was es uns allzeit begegnet, als liturgisches Abzeichen des
1 Der Verfasser hat diese seine Auffassung
von dem Ursprung des römischen Palliums
schon in seiner Schrift „Die pontifikalen
Gewänder des Abendlandes" S. 172 ff zum
Ausdruck gebracht. Eine verwandte An-
schauung hatte bereits P. G r i s a r ausge-
sprochen in „Das römische Pallium" Nr 3
(Festschrift zur 1100jährigen Jubelfeier des
Campo Santo, Freiburg 1897, 101). Vgl.
auch P. Grisar (Analecta Romana, Rom.
1899, 677), wo er die Theorie Wilperts sowie
die des Verfassers ausführlich bespricht und
letzterer ausdrücklich die größere Wahr-
scheinlichkeit zuerkennt : Ammettendo pure
un simile sviloppo (Umbildung des Mantel-
palliums durch Zusammenfalten), il quäle per
altro ha assai oscuro , si puö sempre e con
maggiore probabilitä assegnare al pallio sacro
una origine immediata per mezzo di qualche
ordinazione ecclesiastica, la quäle avrebbe
introdotto il pallio sacro direttamente come
insegna gerarchica ed in forma simile a quel
pallio-manto accorciato dalla contabulatio
imitandone la forma di modesta fascia. Bei
dem Vermittlungsvorschlag, den Grisar in
den letzten Worten macht, läßt er das Pal-
lium sich nicht aus dem Mantelpallium ent-
wickeln, sondern nur das gefaltete Mantel-
pallium, wie er S. 678 sagt, das Vorbild
sein, dem jenes nachgebildet wurde: Pren-
dendo per modollo il palliomanto, dimi-
imito e accorciato. So jedoch unterscheidet
sich sein Versuch, beide Theorien in Einklang
miteinander zu bringen, im Grunde in keiner
Weise von unsern Aufstellungen, nach wel-
chen wir uns ja, wie aus den Ausführungen
oben im Text erhellt, das sakrale Pallium
keineswegs von Anfang an als bloßes schmales
Band, sondern als einen breiten, aber zusam-
mengefalteten Zeugstreifen zu denken haben.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
663
Papstes? Das ist, wie es scheint, die einfachste, nächstliegende und den
tatsächlichen Verhältnissen entsprechendste Erklärung.
Dabei braucht man natürlich, wie eben schon gesagt wurde, keineswegs
anzunehmen, es sei das Pallium auch schon von Anfang an das schmale,
nur ca 0,08 — 0,09 m breite Band gewesen, als welches es bereits im Laufe
des 6. und 7. Jahrhunderts auf den Bildwerken auftritt. Im Gegenteil wird
man es auf Grund des Namens pallium in seiner ursprünglichen Gestalt
wohl als ein wirkliches, wenngleich zusammengefaltetes Tuch von vielleicht
0,40 — 0,50 m Breite aufzufassen und seine Umbildung zu einem bloßen
Bande erst der weiteren Entwicklung zuzuschreiben haben.
Bild 299. Triptychon der Sammlung Harbaville. (Rückseite.) Paris, Loiwre.
Eine solche Erklärung der Entstehung des römischen Palliums wird
nicht nur dem Namen pallium vollständig gerecht, der als ganz begründet
und als durchaus zutreffend erscheint, sie läßt auch der formellen Aus-
gestaltung des Ornatstückes alles Recht und allen Spielraum.
Es hat aber auch ein solcher Ursprung durchaus nichts Befremdendes.
Tücher als Abzeichen haben auch schon die Römer gekannt. Oder waren
derartige Abzeichen nicht die infulae ? l Und war die Schärpe oder wie
wir den Streifen nennen wollen, welche die Isispriesterinnen über der
Tunika oder auch über Tunika und Palla trugen, nicht auch eine Art
1 S. oben S. 426 619.
664
Vierter Abschnitt. Die Insianien.
Insignie?1 Selbst die Toga war in der Form, welche sie im 4. Jahrhundert er-
hielt, mehr eine Insignie als ein praktischen Zwecken dienendes Gewand. Auch
auf die pallia discolora des Theodosianischen Kleideredikts darf hier wohl hin-
gewiesen werden. Denn wenn es sich auch bei ihnen nicht um Abzeichen in
Form einer Schärpe oder eines Umwurfes handelt, so bekunden sie doch, daß
die Tendenz, Distinktiva zu schaffen, jenen Tagen keinesAvegs fremd war2.
Auf der andern Seite lag es einer Zeit, in welcher die beim Gottes-
dienste gebräuchliche Kleidung sich dem Schnitte nach noch nicht von der
außerliturgischen und der Laienkleidung unterschied, sicher nicht allzufern,
ein liturgisches Distinktivum einzuführen. Insbesondere aber mußte das beim
Bischof von Rom, dem Papst, passend erscheinen, seitdem dieser nach dem
Aufhören der Verfolgungen und nach Anerkennung des Existenzrechtes der
Kirche seitens der staatlichen Macht ungehindert in der Öffentlichkeit seines
hohenpriesterlichen Amtes walten und nach allen Richtungen hin frei die
Fülle seiner pontifikalen GeAvalt entfalten durfte.
In der Kirche des Ostens muß das dem Pallium analoge Omophorion,
von dem im folgenden näher die Rede sein wird, schon vor 400 in Gebrauch
gekommen sein. Das römische Pallium läßt sich, wie wir hörten, schon für
das 5. Jahrhundert mit genügender Sicherheit nachweisen; ob es auch schon
im 4. zur Verwendung kam, muß dahingestellt bleiben. Man kann die Frage
aufwerfen, ob das römische Pallium nach dem Vorbilde des Omophorion bzw.
letzteres nach demjenigen des päpstlichen Palliums eingeführt wurde oder
ob beide selbständige, voneinander unabhängige Bildungen sind. Eine sichere
Antwort läßt sich auf dieselbe leider nicht geben, da wir nicht einmal genau
wissen, zu welcher Zeit das römische Pallium aufkam. Immerbin darf es
als nicht so unwahrscheinlich gelten, daß zwischen dem Pallium und dem Omo-
phorion irgend ein Zusammenhang bestanden haben wird. Denn die Punkte,
in Bezug auf welche Unterschiede zwischen beiden Ornatstücken herrschen,
sind nur nebensächlicher Art; im wesentlichen waren und sind diese nach Form,
Charakter und Bestimmung dasselbe liturgische Gewand 3. Vielleicht wird man
sogar nicht fehlgehen, wenn man zu der Ansicht hinneigt, das päpstlicbe Pallium
sei eingeführt worden nach dem Vorbild des bereits in Gebrauch befindlichen
Omophorion. Der Einfluß des Ostens auf den Westen war in altchristlicher
Zeit in liturgischen Dingen größer, als man gemeiniglich denkt; auch Rom
ist von ihm keineswegs frei geblieben4.
IX. DAS BISCHÖFLICHE SCHULTERGEWAND IN DEN RITEN DES
OSTENS.
Dem lateinischen Pallium entspricht im griechischen, armenischen und
syrischen Ritus das Omophorion. Während jenes jedoch ein liturgisches
Sondergewand des Papstes und der Erzbischöfe ist und Bischöfen nur ganz
1 W i 1 p. , Cap. 21 25 27. Bezüglich des
Charakters des Streifens sagt derselbe zu-
treffend: Questa palla, secondo ogni apparenza,
non serviva di vero abito, ma per scopo orna-
mentale o piutosto come insegna del grado
delle sacerdotesse (ebd. p. 15; vgl. 23).
2 Vgl. auch den oben S. 619, Anm. 1 er-
wähnten Grabfund aus Antinoe, der keinen
Zweifel am Gebrauch von Schärpen als Ab-
zeichen lassen dürfte.
3 Vgl. wegen der Identität von Omophorion
und Pallium G r e g or. M., Bp. 1. 1, n. 27 (M. G.
Epp. I 41) und Li berat, Brev. c. 20 21 23
(M. 68, 1036 1039 1046), wo mit dem Worte
pallium das Omophorion bezeichnet wird.
4 Über den Einfluß , den der Osten in
Italien und namentlich auch zu Rom aus-
übte, vgl. St. Beisse], Geschichte der Evan-
gelienbücher in der ersten Hälfte des Mittel-
alters, Freiburg 1906, 72 ff.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
665
ausnahmsweise als Auszeichnung verliehen wird, kommt dieses allen Bischöfen
als spezifisch bischöfliche Amtsinsignie zu. Es besteht zwischen beiden Ornat-
stücken aber auch ein Unterschied bezüglich der Form, der stofflichen Be-
schaffenheit und der Anlegungsweise.
Das griechische Omophorion ist ein ca 3,50 m langes und ca 0,25 m
breites Band, welches frei um Brust und Schulter geschlungen wird. Soll es
angelegt werden, dann befestigt der Diakon es zunächst in der Weise an einem
auf des Bischofs linker Schulter am Obergewande angebrachten Knöpfchen,
daß eines der beiden Enden in einer Länge von etwa einem Meter nach vorn
hinabhängt. Dann leitet er den übrigen Teil des Bandes über den Nacken
zur rechten Schulter und von da nach vorn bis unterhalb der Brust. Dort
wendet er den Streifen, führt ihn wieder zur linken Schulter hinauf, wo er
ihn ein zweites Mal anknüpft, und schlägt zuletzt den Rest so nach rückwärts,
daß sich das andere Ende des Omophorion dort ebenfalls etwa einen Meter
lang hinabzieht (Bild 300).
Über die Farbe des Omophorion scheint gegenwärtig eine allgemein
gültige Vorschrift nicht mehr zu bestehen ; wenigstens bekommt man außer
weißen auch wohl blaue, gelbe, rote usw. zu Gesicht. Immerhin darf Weiß
bzw. als Weiß geltender Gold- oder Silberstoff als
das Gewöhnliche, eine andere Farbe dagegen als das
Seltenere und mehr als Ausnahme bezeichnet werden.
Das Omophorion wird stets aus Seide gemacht. Sein
Hauptschmuck sind mächtige Kreuze, welche ent-
weder durch aufgenähte Borten gebildet oder in Gold-
bzw. Silberstickerei hergestellt werden. Es sind ihrer
zum mindesten fünf, je eines an den beiden Enden und
auf den beiden Schultern und eines im Nacken, falls
nicht etwa ein Lamm an Stelle des letzten zum Aus-
druck der Symbolik des Omophorion angebracht ist.
Wie schon gelegentlich bemerkt wurde, gilt dieses ja
als Sinnbild des verlorenen Schäfleins, das der Bischof
als guter Hirt seiner Herde zur Hürde zurückbringen soll. Übrigens trifft man
außer Kreuzen und dem Lamme auch wohl andere Verzierungen, bildliche Dar-
stellungen nicht ausgeschlossen, auf dem Ornatstück an, wie auch, wo die Mittel
reichen, selbst Edelsteine und Perlen zu seiner Ausschmückung verwendet werden.
Das Omophorion des armenischen Ritus, emiforon genannt, unter-
scheidet sich in keiner Weise von dem gleichnamigen griechischen Sakral-
Bild 300. Omophorion in
den orientalischen Riten.
gewand.
Es hat die gleiche Form und die gleiche Beschaffenheit und wird
auch in derselben Weise angelegt.
Von ganz anderer Form ist dagegen das syrische Omophorion (omo-
phorion, bitraschil). Denn es- besteht aus einem ca 2,50 m langen und
ca 30 cm breiten, mit Kreuzen besetzten Streifen, welcher in der Mitte mit
einem Ausschnitt zum Durchlassen des Kopfes versehen ist und so über-
geworfen wird, daß die eine Hälfte über die Brust, die andere über den
Rücken herabhängt. Es hat also mit einem doppelten griechischen Epi-
trachelion oder einem Skapulier große Ähnlichkeit (Bild 300).
Entstanden ist die jetzige Form des syrischen Omophorion offenbar
durch Verkümmerung seiner ursprünglichen Gestalt und Anlegeart. Noch
immer erinnert das Ornatstück in seinen Hauptlinien an die Weise, wie man
es einst, da es noch ein Streifen war, um die Schultern schlang.
666
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Die Nesto rianer (nichtunierte Chaldäer) kennen weder beim Patri-
arehen noch bei den Bischöfen ein Omophorion oder sonst ein Gegenstück
zum lateinischen Pallium. Ein gleiches gilt bezüglich der Bischöfe der zur
kirchlichen Einheit zurückgekehrten Chaldäer. Der Patriarch der unierten
Chaldäer bedient sich des lateinischen Palliums, das ihm von Rom als Zeichen
seiner Verbindung mit dem Apostolischen Stuhl und der ihm übertragenen
Patriarchalgewalt verliehen wird.
Auch bei den schismatischen Kopten gibt es kein dem römischen
Pallium entsprechendes Ornatstück. Bei den mit Rom wiedervereinigten
Kopten treffen wir als Abzeichen des Patriarchen und der Bischöfe das
griechische Omophorion, hier apostolicon genannt, an.
Das über das Omophorion, wie es gegenwärtig in den Riten des Ostens
gebräuchlich ist. Nun zur Geschichte desselben.
Die erste sichere Nachricht erhalten wir über das Ornatstück erst um
das Jahr 400. Zwar hören wir in den Akten der konstantinopolitanischen
Bischöfe Metrophanes und Alexander bereits von einem Omophorion des Metro-
phanes, der zur Zeit Konstantins den bischöflichen Stuhl von Konstantinopel
inne hatte K Ja nach Liberatus von Karthago besaß man zu Alexandrien
sogar ein angebliches Pallium des hl. Markus, das nach dem Tode eines
Patriarchen sein Nachfolger zum Zeichen der Übernahme der patriarchalen
Gewalt um den Hals zu legen pflegte2. Allein die Akten des Metrophanes
sind durchaus unzuverlässig; das pallium beati Marci aber, von dem Liberatus
erzählt, war entweder ein vermeintliches Omophorion des Heiligen oder wir
haben mit Rücksicht auf die Gründung der alexandrinischen Kirche durch
Markus darunter lediglich in übertragenem Sinne das Omophorion der dortigen
Patriarchen zu verstehen. Es als wirkliches Pallium (Omophorion) des Evan-
gelisten aufzufassen, geht unmöglich an. Für die Tage des hl. Markus wäre
ein solches ein Anachronismus.
Seit dem Beginn des 5. Jahrhunderts ist mehrfach von dem Omophorion
die Rede, zuerst bei Isidor von Pelusium 3, dann bei Theodorus Lektor *, bei
Eustratius5, bei Liberatus von Karthago13, bei Johannes Moschus7, von Späteren
ganz zu schweigen.
Als Träger des Omophorion erscheinen bei Isidor von Pelusium die
Bischöfe schlechthin. Es war dasselbe also schon um 400 ein allgemein
bischöfliches Ornatstück und nicht ein Sondergewand der Inhaber bestimmter
hervorragender Sitze. Es ist eine Fabel, wenn Luitprand von Cremona das
Omophorion erst seit etwa 950 auch bei den griechischen Bischöfen in Brauch
kommen läßt8. Es genüge, dem entgegen auf den 14. Kanon des vierten
allgemeinen Konzils von Konstantinopel" und den Brief Johannes' VIII. an
1 Photii, Bibl. cod. 256 (Mg. 104, 114).
2 Breviar. c. 20 (M. 68, 1036). Daß hier
unter Pallium kein Mantel , sondern das
Omophorion zu verstehen ist, folgt aus andern
parallelen Stellen derselben Schrift, wo unter
pallium nur das Omophorion verstanden wer-
den kann, so c. 21 (1039) und c. 23 (1046).
3 Epist. 1. 1, n. 136 (Mg. 78, 272).
4 Hist. eccl. 1. 2, c. 15 (Mg. 86 ', 189).
'- Vita Eutychii Patr. c. 5 (Mg. 86 2, 2317).
6 Breviar. c. 21 und 23.
7 Pratum spirit. c. 36 (Mg. 87 3, 2885).
8 Legat. Constant. c. 62 (M. G. SS. III
361).
9 Hard. V 1103. Daß der Kanon dahin
zu verstehen ist, daß alle Bischöfe bereits
das Omophorion trugen, nicht aber, daß
dieses nur ein Vorrecht einzelner Bischöfe
war, folgt aus der Strafandrohung am Schlüsse
des Kanons. Es wird dort Absetzung den
Bischöfen in Aussicht gestellt, welche das
Ornatstück anders als bei bestimmten Ge-
legenheiten tragen sollten. Wäre das Omo-
phorion damals noch kein allgemein den
Drittes Kapitel. Das Pallium.
667
Photius 1 hinzuweisen. — Immerhin mag in Bezug auf den Gebrauch des Omo-
phorion ein Unterschied zwischen den Patriarchen, den Metropoliten und den
gewöhnlichen Bischöfen bestanden haben. Von den Patriarchen scheint es in
früherer Zeit auch wohl außerhalb der eigentlichen gottesdienstlichen Funktionen
getragen worden zu sein 2, während es bei den gewöhnlichen Bischöfen lediglich
liturgisches Ornatstück war, das zudem nur an bestimmten Tagen und bei
bestimmten Gelegenheiten zur Verwendung kommen durfte. Dem Bestreben
mancher Bischöfe, ihre Befugnisse hinsichtlich der Benutzung des Omophorion
zu erweitern, trat der eben erwähnte Kanon des vierten Konzils von Konstan-
tinopel mit Entschiedenheit entgegen. Es sollten die Bischöfe, so verordnet er,
sich des Ornatstückes nur bei den Gelegenheiten bedienen, für die ihnen das
schriftlich oder sonstwie erlaubt worden sei , nicht aber das Gewand aus
Prunksucht und Hoffart gebrauchen, noch zu jeder Zeit während des heiligen
Opfers oder bei jeder beliebigen kirchlichen Funktion. Den Zuwiderhandelnden
wird für den Fall, daß sie sich nicht bessern, Absetzung angedroht3. In
späterer Zeit war das Omophorion bei allen, auch den Patriarchen, ein aus-
schließlich liturgisches Ornatstück. Seine Verwendung beschränkte sich auf
die Feier des heiligen Opfers und die Vornahme von Weihehandlungen4. Beim
Evangelium wurde es abgelegt und erst vor der Elevation nach der Kon-
sekration wieder angenommen. Bei dem großen Einzug wurde es von den Dia-
konen dem Bischof vorausgetragen 5. Der Brauch, das Omophorion beim Evan-
gelium abzulegen, ist uralt. Schon Isidor von Pelusium kennt ihn. Er reicht
also sicher bis ins 4. Jahrhundert hinauf.
Die symbolische Deutung des Omophorion, wonach dasselbe Sinnbild
des verlorenen Schäfleins ist, welches der Heiland suchte, auf seine Schultern
nahm und zur Herde heimtrug, stammt von Isidor von Pelusium 6. Sie wurde
in der Folge auch wohl dahin erweitert, daß man in dem Ornatstück ein Bild
der durch den Sündenfall der Stammeltern in die Irre gegangenen mensch-
lichen Natur sah, die der Heiland in der Menschwerdung zum Heile des ver-
lorenen Menschengeschlechtes angenommen und so gleichsam auf sich ge-
laden hatte7.
Aber auch als Insignie des Bischofs und als Sinnbild seiner Würde
und seines Amtes erscheint das Omophorion schon sehr früh, und zwar
muß es nach dem Schreiben Isidors von Pelusium an Herminus, worin es dem
Orarium, dem Abzeichen der Diakone, gegenübergestellt ist, diesen Charakter
schon im Beginn des 5. Jahrhunderts besessen haben. Auch der in dem Briefe
Bischöfen zustehendes Gewand, sondern bloß
ein privilegiertes Ornatstück einzelner Bischöfe
gewesen , hätte das Konzil gewiß nicht auf
Absetzung, sondern auf Entziehung des Omo-
phorion erkannt.
1 Havd. VI 75. Wenn der Papst Photius
untersagt, den bulgarischen Bischöfen das
Pallium zu verleihen , so will er demselben
selbstredend nicht verbieten , überhaupt
Bischöfen das Omophorion zu geben. Die
Bulgaren unterstanden nicht dem Patriarchen
von Konstantinopel, sondern dem römischen
Stuhl. Es war also rechtswidrig und eine
Anmaßung, wenn Photius Bischöfen, die ihm
nicht untergeben waren, das Pallium sandte.
2 Vgl. die angeführten Stellen aus Theo-
dorus Lektor , Eustratius und Johannes
Moschus.
3 Hard. V 1103.
4 Simeon. Thessal. , De Sacra liturgia
c. 98 ; De ordin. c. 209 ; De divino templo
c. 69 76 y0 (Mg. 155, 293 f 421 724
728 739).
5 So schon im Pseudo-Sophronius (Mg.
87 3, 4002). Vgl. auch Simeon Thessal.,
De sacra liturgia c. 110 und De divino tem-
plo c. 76 (Mg. 155, 296 728).
6 Es kann nach dem einleitenden Satz des
Briefes kein Zweifel sein, daß die Symbolik
eine eüp^mg Isidors ist.
7 Simeon. Thessal., De Sacra liturgia
c. 82 (ebd. 260) u. a.
668
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
erwähnte Brauch, wonach der Bischof bei Verlesung des Evangeliums aus
Ehrfurcht vor dem Worte Gottes das Gewand abzulegen hatte, weist auf
jenen Charakter hin. War das Omophorion lediglich ein Kleidungsstück wie
die andern, welche der Bischof sonst noch trug, so lag kein Grund vor, sich des-
selben bei dieser Gelegenheit zu entledigen. Hatte es dagegen den Charakter
einer Insignie, welche die bischöfliche Würde nach außen hin kund tat, so
versteht man die Sitte ohne Schwierigkeit. Wenn das Evangelium gelesen
wurde, d. i. wenn Christus selbst sprach, war nämlich auch der Bischof nur
Hörer, nicht Lehrer, Untergebener, wie Simeon von Saloniki sagt, nicht Herr,
bei der Konsekration aber erschien er nicht in seiner bischöflichen Hirten-
gewalt, sondern bloß als Diener Christi. Es war mit dieser Auffassung durchaus
im Einklang, wenn er sich bei jenen Akten des spezifischen Abzeichens seiner
Würde entkleidete. Umgekehrt war er von neuem der Hirt der Herde, wenn
er die heiligen Gestalten dem Volke zeigte und den Gläubigen die Kommunion
austeilte, und darum nahm er alsbald nach der Wandlung die Insignie wieder
an1. „Wenn sich der wahre Hirt beim Entrollen der verehrungswürdigen
Evangelien naht, so erhebt sich der Bischof und legt das Gewand ab, durch
das er als dessen Abbild dasteht, um anzudeuten, daß zugegen sei der Herr
selbst, der Oberhirt", sagt in gleichem Sinne schon Isidor von Pelusium.
Ihren praktischen Ausdruck fand diese Bedeutung des Omophorion in
der Rolle, welche dasselbe ehedem, und zwar schon wenigstens seit dem 6. Jahr-
hundert bei der Ernennung und Absetzung der Bischöfe, Metropoliten und
Patriarchen spielte. Rückgabe des Gewandes bedeutete Verzichtleistung' auf
das Amt2; einem Bischof, Metropoliten oder Patriarchen das Omophorion ab-
nehmen, war dasselbe, wie ihn seines Amtes entsetzen3. Mit dem sog. Omo-
phorion des hl. Markus sich bekleiden, wurde zu Alexandrien als rechtskräftige
Besitzergreifung des dortigen Patriarchalstuhles angesehen4. Das Pallium
jemanden übergeben, hieß ihn zum Nachfolger im Patriarchat machen 5. Von
einem Patriarchen das Omophorion annehmen, besagte, sich dessen Patriarchal-
gewalt unterwerfen6. Bischöfen das Gewand schicken galt soviel wie die
Jurisdiktion über dieselben beanspruchen bzw. sich anmaßen7. Die genannte
Bedeutung des Omophorion war auch wohl der Grund, weshalb die Patriarchen
von Konstantinopel im 6. Jahrhundert, wie es scheint, selbst außerhalb der
liturgischen Funktionen das Ornatstück trugen8.
Über die Beschaffenheit des Omophorion besitzen wir aus dem Mittel-
alter nur äußerst wenige Angaben. Der Name, den es gleich bei seinem ersten
Erscheinen in der Literatur führt, weist darauf hin, daß es schon damals ein
von dem 'tfidrwv, dem Mantelpallium, ganz verschiedenes Schultergewand war9.
1 De div. templo c. 70 90 (ebd. 723 739).
2 Liberati Breviar. c. 21 (M. 68, 1039).
3 Ebd. c. 23 (1046); Nicet. Paphlag. Vita
S. Ignatii Patr. (Mg. 105, 520). Vgl. auch
die Verhandlungen betreffs des Bischofs Bas-
sianus von Ephesus auf dem Konzil von
Chalcedon 451 (H a r d. II 548), wo unter
dem Ttspißnkaiov r/jg iepwmj>r/g das Omophorion
zu verstehen ist (ebd. III 1181).
4 Liberati Breviar. c. 20 (M. 68, 1036).
5 Photii Bibl. cod. 256 (Mg. 104, 115).
6 Constant. IV. can. 17 (lat.) (Hard. V
906).
7 I o a n n. VIII. Epist. ad Phot. (ebd.
VI 75).
8 Theodori Lect. Hist. eccl. 1. 2, c. 15
(Mg. 86', 189); Eustratii Vita S. Eutychii
Patr. c. 5 8 (Mg. 862, 2317 2359). Vgl. Theo-
phan., Chronographia ad 489 (I, ed. Bonnae
1839, 217).
9 Unter dem ü)ixo<pöpiov verstand man, wie
aus Pallad., De vita S. loannis Chrysost.
c. 6 (Mg. 47, 23) hervorgellt, eine Art von
Schal. Die Vita wurde c. 408 geschrieben,
ist also gleichzeitig mit dem Brief Isidors
an Herminus. In der aus derselben Zeit
Drittes Kapitel. Das Pallium.
669
Es wurde aus Wolle angefertigt, wie uns Isidor von Pelusium und noch
Simeon von Saloniki1 sagt, und nach Pseudo-Germanus 2 und dem Metro-
politen von Saloniki mit Kreuzen geschmückt. Nach letzterem gab es deren
vier auf ihm. Aus dem von Krasnojeljcev herausgegebenen Fragment3 und
aus Pseudo-Sophronius 4 endlich vernehmen wir, daß es im Gegensatz zum
diakonalen Orarium, das in einem Zug angelegt wurde, in drei Zügen um-
geschlungen wurde. Das ist alles, was uns vom Omophorion erzählt wird,
und dieses wenige verteilt sich obendrein auf die Zeit von nahezu einem
Jahrtausend. Wir werden also diese spärlichen Daten durch die Beobachtungen
zu ergänzen haben, die uns die Bildwerke gestatten.
Die ältesten Darstellungen des Omophorion finden sich auf den zwei
schon früher erwähnten Miniaturen einer wahrscheinlich noch im 5. Jahr-
hundert geschriebenen Weltchronik5. Das nächstfolgende Monument, auf
dem es uns begegnet, ist wohl die Trierer Elfenbeintafel (Bild 301), wenn anders
diese wirklich dem 6. Jahrhundert angehört6. Bildwerke aus dem 7. und
_- -~..Js — .a... -e - ^ äE ^_; £=1 _
k--lJ^^iä-':^
*>*f
iX2V
v.
.Cfr
Bild 301. Reliquientranslation. Elfenbeinplatte. Trier, Dom.
8. Jahrhundert, welche das Omophorion aufweisen, sind die in jüngster Zeit
entdeckten Fresken in S. Maria Antiqua am römischen Forum mit den Bildern
griechischer Bischöfe. Sie werden in die Zeit Martins I. (f 655), Johannes' VII.
(f 707) und Pauls I. (f 767) gesetzt7. Aus dem 9. Jahrhundert verzeichnen
stammenden Historia Lausiaca wird c. 38
(Mg. 34, 1236) bestimmt zwischen 1/j.ärcov
und wp.ocpöpwv als zwei verschiedenen Ge-
wandstücken unterschieden : iptmov xanu^
7j tbij.O(pöpiO)> 7] uizüdrjfxa oudi—orz Xaßslv
7j&eÄ7]OSV.
' De sacra liturgia c. 82 (Mg. 155, 260).
2 Mg. 98, 396.
3 N. Erasnoj eljce v, Addenda ad Anec-
dota graeco-byzantina n. 13.
4 Mg. 87 3, 3985.
5 Vgl. über dieselbe oben S. 236.
6 Über das Alter der Tafel vgl. ebd.
7 Da die Fresken erst nach unserem Auf-
enthalt zu Rom aufgedeckt wurden und Photo-
graphien derselben nicht erhältlich sind, haben
wir uns über die Bilder ein eigenes Urteil
nicht bilden können. Doch erhielten wir Aus-
kunft über sie durch die gütigen Mitteilungen
von Msgr Dr Wilpert, der gerade eine Ver-
öffentlichung aller in S. Maria Antiqua ge-
fundenen Fresken mit der ihm eigenen, bei
der Herausgabe der Katakombenmalereien so
glänzend erprobten Fähigkeit leitet. Ge-
naueres über die Bischofsbilder wird eben
diese Publikation bringen.
670
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
wir Miniaturen mit Darstellungen des Ornatstückes im Chludolfpsalter zu
Moskau l und in einer Sammlung der Homilien Gregors von Nazianz in der
Pariser Nationalbibliothek2. Seit dem 10. werden die Monumente, auf denen
uns das Omophorion begegnet, bald sehr zahlreich.
Das Omophorion, welches der Patriarch Theophilus auf den Miniaturen
der Weltchronik trägt, ist ein streifenartiges Tuch, welches in der Weise
den Hals umgibt, daß eines seiner Enden von der linken, das andere von der
rechten Schulter eine kurze Strecke über die Brust herabhängt. Auf dem
Trierer Elfenbein (Bild 301) gleicht es dem Pallium der ravennatischen Mosaiken,
nur daß es etwas weniger tief und zugleich etwas loser als dieses um Brust
und Nacken geschlungen ist. Wesent-
lich das gleiche Bild gewährt auch
das Omophorion auf den Dar-
stellungen aus dem 7. — 9. Jahrhun-
dert, doch ist es hier bereits von
merklich größerer- Breite als auf
der Tafel zu Trier; bisweilen er-
scheint es sogar fast doppelt so
breit wie das Omophorion auf dem
Trierer Elfenbein. Außerdem zeigt es
sich schon auf einzelnen Bildwerken
in Y-Form umgelegt (Bild 302).
Seit dem 9. Jahrhundert ist
keine weitere Entwicklung in der
Form und Anlegungsweise des Omo-
phorion auf den Monumenten wahr-
zunehmen. Das Bild, welches diese
uns seit jener Zeit von dem Ornat-
stück gewähren, ist regelmäßig das
eines breiten Bandes, welches bald
nach Weise des Palliums auf den
ravennatischen und den älteren rö-
mischen Mosaiken lose um Schul-
tern, Brust und Rücken geschlungen
ist, bald auf der Brust des Trägers
ein Y (Bild 42, S. 97; 111, S. 237;
142, S. 304) bildet. Meist sind es
Bildwerke aus dem Ende des 1. und
der Frühe des 2. Jahrtausends, auf
denen diese letzte Anlegungsart auftritt; in späterer Zeit kommt sie auf den
Monumenten seltener vor oder erscheint doch wenigstens auf ihnen minder
scharf ausgesprochen.
Von einer besondern Ausstattung des Omophorion ist auf den Miniaturen
der alesandriniscben Weltchronik und dem Trierer Elfenbein nichts wahr-
zunehmen. Auf den Bildwerken der Folgezeit ist es regelmäßig mit großen
schwarzen Kreuzen verziert, von denen sich zwei vor den Schultern, zwei
andere nahe den unteren Enden des Omophorion zu befinden pflegen.
Bild 302. Der hl. Gregor von Nyssa. Miniatur
einer Sammlung der Homilien Gregors von
Nazianz. Paris, Bibl. Nat.
1 Abbildung bei Tikkanen, Psalterillu-
strationen 1 82.
2 F. gr. 510; Wiedergabe der Miniaturen
in H. Omont, Facsimiles des miniatures
des plus anciens manuscrits grecs de Ia Biblio-
thüque nationale, Paris 1902, pl. xxvn ff.
Drittes Kapitel. Das Pallium.
671
Die Farbe des Omophorion ist auf den Monumenten -- die Skulpturen
kommen natürlich bezüglich dieses Punktes nicht in Betracht - - stets weiß.
Ob es ursprünglich aus mehreren Stofflagen bestand und nicht ein einfaches
Band, sondern ein streifenartig zusammengefaltetes Tuch war, lassen die Bild-
werke nicht erkennen. Nur auf einem dem 10. — 11. Jahrhundert angehörenden
Elfenbeintriptychon der ehemaligen Sammlung Harbaville zu Arras, jetzt im
Louvre (Bild 299, S. 663), und auf einer Miniatur einer griechischen Hand-
schrift der Vaticana aus dem 12. Jahrhundert scheint die eigenartige Form,
welche hier das Omo-
phorion einiger Bi-
schofsfiguren unten hat,
auf eine mehrfache Fal-
tung hinzuweisen, vor-
ausgesetzt, daß es sich '"<-
bei ihr nicht um eine
künstlerische Willkür-
lichkeit handelt, was
allerdings, wie früher
gesagt wurde, nicht
gerade unwahrschein-
lich ist1.
Ein interessantes
älteres Omophorion befin-
det sich zu Grottaferrata
bei Frascati (Bild 303).
Laut einer Inschrift, die
nahe an dem einen der
beiden Enden dem Ge-
wand aufgestickt ist, ge-
hörte es ehedem dem Me-
tropoliten Theophanes
von Patrasso. Es ist aus
weißem, mit ganz ent-
artetem Granatapfel ge-
musterten Damast ge-
macht und außer mit vier
großen, die ganze Breite
des Streifens einnehmen-
den Kreuzen in der Mitte
mit dem Bilde des Erlö-
sers, nach den Enden zu
aber mit je zwei parallelen
Querstreifen verziert. Dazu kommen noch in den Winkeln zwischen den Kreuzesbalken
sechsflügelige Seraphim. Die Kreuze weisen je drei Szenen aus dem Leben des Hei-
landes und der Gottesmutter auf, von denen die mittlere zur Rechten und zur Linken
von einem Propheten flankiert ist. Die beiden Parallelstreifen an den Enden des
Omophorion enthalten Cherubim. Alle diese Verzierungen sind in Goldstickerei aus-
geführt; nur zur Herstellung der Fleischpartien und des Haares ist farbige Seide
verwendet.
Das Omophorion trägt das Datum 1618, doch soll das nur vom Stoff, nicht
von den Stickereien gelten. Mit Unrecht. Ein Vergleich der letzteren mit andern
Bild 303.
Reichbesticktes griechisches Omophorion.
Grottaferrata, Kloster.
S. oben S. 661.
672 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
griechischen Stickereien dieser Zeit beweist, dal*3 sie diesen nach Stil und Technik
durchaus gleichartig sind. Wenn man sich für die Zuweisung der Stickereien an das
13. Jahrhundert auf den Charakter der Inschriften beruft, so ist zu beachten, daß
gerade die Goldstickerei infolge ihrer eigenartigen schwerfälligen Technik länger als
die gewöhnliche Schrift an altertümelnden Formen festgehalten hat l.
Zwei andere ältere Omophorien sind in den Antiquites de Fennpire de Busse
abgebildet 2. Sie sind mit einfachen Kreuzen besetzt und an den Enden mit Quästchen
verziert. Das eine soll angeblich vom Metropoliten Nicetas (f 1126), das andere
vom Metropoliten Moses (f 1359) herrühren, doch dürften beide, ihrer Beschaffenheit
nach zu urteilen, aus weit späterer Zeit stammen.
Wann es im syrischen Ritus zu der jetzigen Form des Omophorion
gekommen, läßt sich nicht bestimmen. Dürfen wir den Miniaturen des syrischen
Pontifikale in der Pariser Nationalbibliothek trauen, einer Arbeit aus dem
Jahre 1239, so war sie zur Zeit der Entstehung desselben schon in Brauch.
Jedenfalls war das Omophorion damals bereits entschieden im Stadium der
Verbildung begriffen (Bild 16, S. 51; 112, S. 238).
Wie aber steht es um den Ursprung der bischöflichen Insignie in
den Riten des Ostens? Ist diese hier vielleicht auf eine kaiserliche Bewilligung
zurückzuführen oder hat auch in ihnen die Kirche sie geschaffen ? Es ist dieselbe
Frage, die wir hinsichtlich des römischen Palliums aufwerfen mußten ; dieselbe
Antwort, die wir dort gaben, gilt auch im vorliegenden Fall. An sich und
absolut genommen ließe sich ja freilich denken, es habe eines Tages irgend
ein Kaiser im 4. Jahrhundert, etwa Konstantin, den Bischöfen oder doch
wenigstens den Inhabern hervorragender Sitze die Erlaubnis gegeben, als
Auszeichnung sich des Omophorion zu bedienen. In Wirklichkeit begegnet
uns jedoch niemals auch nur die geringste Spur eines derartigen Ursprungs.
Zu Alexandrien führte man vielmehr — und zwar schon im Beginn des 6. Jahr-
hunderts — das Omophorion auf den hl. Markus zurück. Zudem erscheint das
Ornatstück stets als ein ausgesprochen kirchlicher Schmuck, als die sakrale
Insignie der Bischöfe. Und dann gab es ja außer dem Omophorion noch ein
anderes liturgisches Abzeichen, das diakonale Orarium , dessen Ingebrauch-
nahme sicher nicht auf eine kaiserliche Vergünstigung zurückgeht.
Allerdings berichtet uns Liberatus3, daß Anthimus, den Theodora auf
den Stuhl von Konstantinopel erhoben hatte, dem Kaiser und der Kaiserin
das Pallium zurückgegeben, als er erkannt habe, daß er gegen den Einspruch
des Papstes Agapet sich nicht halten könne. Indessen liegt auf der Hand,
daß aus dem Verhalten des Eindringlings nur folgt, das Omophorion sei
damals ausgesprochene bischöfliche Insignie gewesen, nicht aber auch, es sei
auf Grund einer Bewilligung durch irgend einen Kaiser in Brauch ge-
kommen. Als Anthimus dem Kaiserpaar das Omophorion zurückstellte, be-
deutete das lediglich die Verzichtleistung auf die Würde, die er durch die
Protektion und die Machinationen der Kaiserin Theodora erhalten hatte,
weiter nichts. Ähnlich verhält es sich, wenn uns Liberatus berichtet, es habe
Kaiser Pelagius dem päpstlichen Apokrisiar Pelagius, den Patriarchen von
Jerusalem und Antiochien und dem Bischof von Ephesus befohlen, den
Patriarchen Paulus von Alexandrien, der sein Mißfallen erregt hatte, des
1 Über das Omopliorion von Grottaferrata sar, L'omoforio o pallio sacro di Grottaferrata
vgl. Farabulini, Archeologiaed arte rispetto (1897) ser. XVI, vol. IX, p. 220 ff.
a un raro monumento greco, conservato nella a Antiquites I, pl. 97 100.
badia di Grottaferrata, Roma 1883, und Gri- 3 Breviar. c. 21 (M. 68, 1039).
Drittes Kapitel. Das Pallium.
673
Palliums zu entkleiden und so abzusetzen , was denn auch in der Tat ge-
schehen sei1. Der Vorgang beweist wiederum bloß, daß das Omophorion
Abzeichen der bischöflichen, hier der patriarchalen Würde war; einen Schluß
auf den Ursprung des Gewandes gestattet er ebensowenig, wie der Befehl
des Kaisers, Paulus seines Amtes zu entsetzen, einen Schluß auf den Ursprung
der bischöflichen Würde überhaupt oder doch wenigstens der Patriarchal würde
von Alexandrien erlaubt.
Die Theorie, wonach der Ursprung des Omophorion auf eine kaiserliche
Verleihung zurückgehen soll, hat darum auch noch viel weniger Beifall ge-
funden als die Hypothese, welche clas päpstliche Pallium auf eine Bewilligung
durch den Kaiser zurückführen wollte. Was in Bezug auf dieses für manche
den mangelnden Beweis ersetzte, der Wunsch, eine Abhängigkeit des Papstes
vom Kaiser zu konstruieren, fiel ja
beim Omophorion nicht ins Gewicht.
Wie ist es nun aber, wenn das
Omophorion auf kirchlichem Boden ent-
standen ist, zur Einführung desselben
gekommen? Hat es sich vielleicht in-
folge des angeblich in Mode gekommenen
Brauches, das Mantelpallium Qftdzcov)
zusammengefaltet zu tragen, aus dem
Mantelpallium entwickelt, so daß es
also nur eine Verbildung und Verküm-
merung eben dieses Mantelpalliums
wäre? So will es Wilpert im Einklang
mit seiner Hypothese über den Ursprung
des römischen Palliums 2.
Wir müssen eine solche Theorie
auch hier ablehnen. Es fehlt jeder
Anhaltspunkt, daß das Mantelpallium
im Osten bei den Christen und mehr
noch bei den Priestern und Bischöfen
je die hohe Bedeutung hatte, die Wil-
pert ihm zuschreibt. Ebenso mangelt
Bild 804. Profanes Omophorion. Miniatur
eines Psalterium (10. Jahrh.). Paris, Bibl. Nat.
dort alle Spur von der angeblichen
Mode, das Himation zusammengefaltet umzulegen. Nichts weist ferner darauf
hin, daß dieses jemals ein den Bischöfen vorbehaltenes Gewand gewesen oder
geworden sei. Ja wenn das Omophorion noch wenigstens \jio\riov hieße oder
doch früher einmal so genannt worden wäre. Allein es trägt weder jetzt diesen
Namen, noch findet sich der leiseste Anhalt, daß es ihn zu irgend einer Zeit
geführt habe. Wohl aber steht es fest, daß es schon um 400 außer dem
bischöflichen Omophorion auch bei andern Leuten, Männern wie Frauen, ein
Schultertuch des Namens cb/wy>6piov gab 3 (Bild 304), und ebenso ergibt sich
1 Ebd. c. 23 (1046). 2 Cap. 56.
3 Pal lad., De vita S. Ioannis Chrys. c. 6
(Mg. 47, 23) : ivuAst (sc. Theophilus, Patriarch
von Alexandrien) tü> 'Ap/iovlw (er war Abt)
fcjdfii fjXtxitÖTfl , tu ü>[io<pöptov iv TW TpayjjXui
olxeiaiq '/zpai zai —X-qj-äq zalq mayum'j adroü
ip.tpopr^aq, ovveoTratr/Jiivoig day.TÜXotq aifj.d£;aq
TÜq phaq. Histor. Lausiaca c. 38 (M. 34,
Braun, Die liturgische Gewalidung.
1236) : '/piiTiov xauvdv % wpopöpiov rj ünö-
drjpa ouSi-oTt Xaßeiv v/t'HXrj<TS)i. Vgl. auch Leo
Gramm at. , Chronographia, ed. Bonnae 1842,
241 311 (Mg. 108, 1073 1145), wo ein in
der Blachernenkirche zu Konstantinopel auf-
bewahrtes Omophorion der Mutter Gottes er-
wähnt wird, und Codinus, De aedif., ed.
Bonnae 1843, 98 (Mg. 157, 177), wo von einem
43
674
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
aus der Historia Lausiaca mit aller Klarheit, daß dieses Omophorion ein
durchaus selbständiges, neben dem Himation bestehendes und von diesem
ganz verschiedenes Gewandstück war, ähnlich wie heutzutage Mantel und
Shawl zwei besondere, voneinander unabhängige Dinge sind1. Wozu also,
dürfen wir wohl mit Recht fragen, das Omophorion auf den zwar behaupteten,
aber nicht bewiesenen Brauch, das Himation zusammengefaltet zu tragen,
zurückführen, wenn uns um 400 ein Gewand begegnet, dessen ganz und gar
konkrete Benennung seine Verwandtschaft mit dem gleichnamigen bischöflichen
Ornatstück zur Genüge andeutet? Ist es nicht das natürlichste, die bischöfliche
Insignie mit eben diesem Schultertuch in Zusammenhang zu bringen?
Wie aber haben wir uns diesen Zusammenhang vorzustellen ? Nun,
entweder haben die Bischöfe ein dem gewöhnlichen Omophorion gleichartiges
und daher ebenfalls Omophorion genanntes Schultertuch direkt durch eine
positive Bestimmung als sakrales bischöfliches Abzeichen eingeführt, und das
scheint uns das wahrscheinlichere, oder es hat das gewöhnliche Omophorion
zunächst als bloßer Schmuck und ohne eine besondere Bedeutung zu besitzen,
einen Bestandteil der bischöflichen Altarkleidung gebildet, dann sich nach und
nach zu einem auszeichnenden Ornat der Bischöfe entwickelt und in dieser
Eigenschaft schließlich den Charakter einer Insignie erhalten2. Wann das
Omophorion als bischöfliches Abzeichen aufkam, läßt sich nicht feststellen.
Immerhin legt der Umstand, daß bereits der 22. Kanon des Konzils von Laodicea
ein Orarium als Insignie der Diakone kennt, die Vermutung nahe, daß um
dieselbe Zeit, d. i. um das dritte Viertel des 4. Jahrhunderts, ebenfalls schon
ein bischöfliches Abzeichen in Gestalt des Omophorion in Brauch gewesen
sei. Auch auf die Frage, wo die Heimat des letzteren zu suchen sei, läßt
sich keine bestimmte Antwort geben. Am ehesten dürfte es jedoch eine
Schöpfung der Kirche von Alexandrien sein ; denn es begegnet uns nicht nur
zuerst im Bereich der alexandrinischen Kirchenprovinz, es war auch der
Bischof von Alexandrien bekanntlich zur Zeit der Entstehung des Omophorion
der erste Hierarch des Orients und überhaupt der nächste im Rang nach
dem römischen Bischof, die Kirche zu Alexandrien aber rechtlich und tatsäch-
lich die hervorragendste unter allen andern des Ostens.
X. DIE BISCHÖFLICHE INSIGNIE IN DEN KIRCHEN GALLIENS,
SPANIENS UND NORDAFRIKAS.
Im bisherigen war nur die Rede von dem römischen Pallium und dem
bischöflichen Omophorion in den Riten des Ostens. Es erübrigt daher, zu
Omophorion der hl. Anna die Rede ist, das
in der von Justinian erbauten Kirche der
Heiligen gezeigt wurde. Solche Omophorien
waren auch noch in späterer Zeit gebräuch-
lich. Beispiele derselben finden sich u. a. auf
den griechischen Fresken, die in S. Saba
zu Rom aufgedeckt wurden, in einem Pariser
Psalterium (Msc. gr. 139, f. 431") Bild
304, S. 673 und einem Pariser Gregor von
Xazianz (Msc. gr. 510, f. 143v 196' 310").
1 Wenn Wilpert, wie es den Anschein
hat, meint, das ißäziov habe seinen Namen
gewechselt, seitdem man es zusammengefaltet
auf der Schulter getragen habe, und von
da an wp.CHpopwj geheißen, so ist nicht er-
sichtlich . welcher Anhalt für eine solche
Annahme vorliegt.
2 Zu Rom dürfte unseres Erachtens das
Pallium direkt als Insignie eingeführt worden
sein. Der Umstand, daß es hier ursprüng-
lich ein spezifisch päpstliches Ornatstück war,
scheint durchaus darauf hinzuweisen. Beim
Omophorion, welches schon nach Isidor von
Pelusium die Bischöfe überhaupt trugen,
möchten wir dagegen eine allmähliche Aus-
bildung zur Insignie nicht schlechthin aus-
schließen, wiewohl wir auch hier für unsere
Person am meisten zu der ersten im Text
dargelegten Auffassung von dem Ursprung
des Ornatstückes neigen.
Drittes Kapitel. Das Pallium. 675
untersuchen, ob es auch in den Kirchen Galliens, Spaniens und Nordafrikas
eine jenen analoge bischöfliche Insignie gegeben habe. Ist die Frage auch
von keiner besondern Bedeutung, so darf sie doch nicht ganz unberührt
bleiben. Natürlich kann es sich bei ihr nur um die ältere Zeit handeln, für
Nordafrika insbesondere bloß um die Zeit vor der Vernichtung der dortigen
Kirche durch die Sarazenen im 7. Jahrhundert.
Die Stellen, in welchen man einen Hinweis auf eine im gallikanischen
Ritus gebräuchliche bischöfliche Insignie zu finden glaubte, sind der 6. Kanon
der Synode von Mäcon (583) 1 und die auf ein liturgisches pallium sich be-
ziehenden Ausführungen der gallikanischen Mefierklärung. Daß eine solche
in Spanien Verwendung fand, soll der 28. Kanon des vierten Konzils von
Toledo (633) 2 bekunden. Für ihre Existenz in den Kirchen Afrikas beruft
man sich auf einen Passus in der Vita des hl. Fulgentius (f ca 530) 3 und
auf den Brief4, in welchem Viktor von Karthago dem Papst Theodor (642—649)
unter anderem auch seine Erhebung auf den bischöflichen Stuhl von Karthago
mit den Worten anzeigt, er habe in sancta Carthaginiensis civitatis ecclesia
pontificalis honoris consecrationem et stolam empfangen.
Bieten nun diese Stellen wirklich eine genügende Unterlage für die An-
nahme, daß es in den Kirchen Nordafrikas, Spaniens und Galliens eine dem
römischen Pallium oder dem griechischen Omophorion analoge bischöfliche
Insignie gegeben habe? Unseres Erachtens nein. Denn das orarium in dem
angeführten Passus der Vita Fulgentii kann , wie schon früher dargelegt
wurde, nach dem Zusammenhang nur ein gewöhnliches Halstuch besserer
Qualität oder (vielleicht richtiger) ein Schweißtuch, wie es bei den Bischöfen,
nicht aber bei den Mönchen in Gebrauch war 5, bedeuten. Der Biograph will nur
sagen, obwohl der Heilige sich wie die andern Bischöfe seinem Stande gemäß
einen gewissen Luxus in der Kleidung habe gestatten können, so habe er es doch
vorgezogen, auch als Bischof weiterhin mönchische Einfachheit zu beobachten.
Es ist also unter dem fraglichen Orarium so wenig ein bischöfliches Pallium
zu verstehen, daß mit ihm nicht einmal ein liturgisches Ornatstück gemeint
ist6. Was die stola im Schreiben Viktors von Karthago betrifft, so besagt
das Wort hier allem Anschein nach nicht sowohl ein bestimmtes sakrales
Gewand, als vielmehr entweder allgemein die Pontifikalkleidung oder wohl
zutreffender metaphorisch die bischöfliche Würde 7. Das orarium im 28. Kanon
der Synode von Toledo erscheint zwar als liturgisches Ornatstück, ja als litur-
gisches Abzeichen s; bei ihm an eine spezifisch bischöfliche Insignie von der Art
des Palliums oder des Omophorion zu denken, verbietet jedoch der Umstand,
daß im gleichen Kanon von einem diakonalen und priesterlichen Orarium die
Rede ist. Auch beim pallium des 6. Kanons der Synode von Mäcon und der
gallikanischen Meßerklärung handelt es sich wohl nicht um ein spezifisch
bischöfliches Abzeichen von der Art des römischen Palliums oder des griechi-
schen Omophorion. Denn in diesem Falle wäre es ja kaum verständlich, daß
sich die Synode von Mäcon veranlaßt sah, den Bischöfen seinen Gebrauch
1 M. G. Conc. I 157. (M. G. Conc. I 7) : Monacho uti orario in
2 Hard. 111 586. monasterio . . . non licet.
3 C. 18 (M. 65, 136). G S. auch oben S. 573.
4 Hard. III 755. ' Im griechischen Text des Schreibens
5 Vgl. z. B. Isidori Reg. monach. c. 12 fehlt aroX-fj und ist auf die Gewandung kein
(M. 83 , 882) : Orarium non est fas uti (sc. Bezug genommen.
monacho) und Conc. Araus. a. 511, c. '20 * S. oben S. 569 f.
43 *
676
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
bei der Messe einzuschärfen. Oder haben wir etwa in der Geschichte des
Palliums und des Omophorion irgend ein Gegenstück zu einer solchen Verord-
nung? Ging hier nicht im Gegenteil die Tendenz stets statt auf Verminde-
rung der Verwendung auf übermäßigen Gebrauch der Insignie hinaus? Es
ist nicht ganz sicher, welchen Bestandteil der liturgischen Gewandung wir in
dem fraglichen pallium zu sehen haben. Doch scheint es kaum zweifelhaft,
daß wir darunter die priesterliche Stola zu verstehen haben 1.
Die Theorie von einem afrikanischen, spanischen und gallischen Pal-
lium steht sonach auf einer so unzuverlässigen Unterlage, daß wir kein Be-
denken tragen, sie abzulehnen. Gab es in den Kirchen Nordafrikas, Spaniens
und Galliens wirklich ein Pendant des römischen Palliums und des Omo-
phorion, so ist es schwer begreiflich, daß wir nicht irgend eine auch nur
halbwegs sichere Nachricht von ihm erhalten. Ferner ist es unverständlich,
warum nicht nur die Metropoliten in Gallien und Spanien, sondern auch
Bischöfe um das römische Pallium baten, falls sie eine eigene pontifikale
Insignie hatten. Oder hören wir jemals dergleichen von griechischen Bi-
schöfen?2 Und warum weist Gregor d. Gr., der doch bei den Palliumver-
leihungen die Sache sehr genau nahm, in seinen Verhandlungen mit Syagrius
und Brunhilde wegen der Erteilung des Palliums an Syagrius nicht mit irgend
einem Wort auf das gallikanische bischöfliche Pallium hin? Endlich wie
konnte es zugehen , daß ein so hochbedeutsames Ornatstück bei den Bi-
schöfen Spaniens und Galliens vollständig aus dem Gebrauch kam, ohne daß
es durch etwas anderes ersetzt wurde? Solange nicht andere Beweise für
ein bischöfliches Pallium in Nordafrika, Spanien und Gallien gebracht werden,
darf man also ein solches wohl als unhistorisch betrachten.
VIERTES KAPITEL.
DAS RATIONALE.
I. DAS RATIONALE IN DER GEGENWART.
Unter dem Rationale versteht man einen liturgischen pontifikalen Schulter-
schmuck, ein Gegenstück des erzbischöflichen Palliums 3. Es ist gegenwärtig
nur noch bei den Bischöfen von Eichstätt, Krakau, Paderborn und Toul ge-
bräuchlich, während es sich im Mittelalter bei einer größeren Anzahl deutscher
1 S. oben S. 572 f.
5 Wenn die Bischöfe von Korinth, Justiniana
prima und Nikopolis von Gr. d. Gr. das
Pallium erbaten und erhielten (s. oben S. 625),
so geschah das, weil sie damals noch zum
römischen Patriarchat gehörten und demnach
das Omophorion nicht trugen.
3 Die jüngere Zeit hat eine Anzahl mehr
oder weniger eingehende Untersuchungen
über das Rationale zu Tage gefördert, von
denen wir hier die bemerkenswerteren ver-
zeichnen : Barbier de Montault, Parti-
cularit6 du costume des eveques de Poitiers,
in Bullet, mon. XUII (1877) 639; Le buste
de saint Adelphe, in M6moires de la Soci6tö
d'arch^ologie lorraine 1885; Le Surhumeral
des 6veques de Toul , ebd. 1887 ; Compte
rendu critique de la dissertation de l'abbe
Cerf sur le Rational, in Revue 1890. Cerf,
Dissertation sur le Rational en usage dans
l'eglise romaine et dans l'^glise de Reims,
in Travaux de l'Academie de Reims 1889.
Braun, Das Rationale, in Zeitschrift 1903.
P. Beda Kleinschmidt, Das Rationale
der Bischöfe zu Toul , ebd. ; Das Rationale
im Domschatz zu Regensburg, in Kirchen-
schmuck, Graz 1904; Das Rationale in der
abendländischen Kirche, in Archiv für christ-
liche Kunst 1904. Eugen Martin, Le Ratio-
nal et Surhumeral, in Revue 1904. L. Eisen-
hofer, Das bischöfliche Rationale, seine
Entstehung und Entwicklung, München 1904.
Viertes Kapitel. Das Rationale.
677
Bischöfe nachweisen läßt. Bei den Eichstätter, Krakauer und Paderborner
Bischöfen ist es nie völlig außer Gebrauch gekommen. Die Verwendung des
Schulterschmuckes wurde für Paderborn auf Bitten Ferdinands von Fürsten-
berg 1666 durch Alexander VII. \ für Eiehstätt bei Gelegenheit der 1000jährigen
Jubelfeier der Diözese 1745 durch Benedikt XIV. von neuem bestätigt2. Zu
Toul hörte die Benutzung des Ornatstückes im Laufe des 17. Jahrhunderts
auf, und zwar, wie es scheint, infolge des Übergangs des Bistums an Frank-
reich durch den Westfälischen Frieden und der damit in Verbindung stehenden
Okkupierung des Bischofsstuhles durch Bischöfe französischer Nationalität3.
Es wurde jedoch 1852 durch Bischof Menjaud wieder in Gebrauch genommen,
was dann 1865 auf Bitten des da-
maligen Touler Oberhirten, des spä-
teren Kardinal Lavigerie, durch ein
päpstliches Breve ausdrücklich gut-
geheißen wurde 4. Das Ornatstück
heißt zu Toul surhumeral, und zwar
passender, weil das alttestamentliche
Rationale kein Schultergewand, son-
dern ein Brustschmuck war; nur der
Ephod, die Folie, von der sich das
Rationale auf der Brust abhob, war
ein Schultergewand.
Das Rationale, wie es zu Pader-
born (Bild 305), Eiehstätt und Toul
gebräuchlich ist, hat die Form eines
Schulterkragens, der sowohl an der
Vorder- wie der Rückseite mit zwei
Behängen versehen ist. Das Krakauer
besteht aus zwei stolaartigen Streifen,
die an den beiden Enden durch ein
scheibenförmiges, mit zwei kurzen,
schmalen Behängen versehenes Me-
daillon verbunden sind.
Das Rationale ist keine In-
signie, sondern nur ein auszeichnender
Schmuck. Es wird wie das Pallium
nur über der Kasel angelegt. Be-
züglich der Tage, an welchen es ge-
tragen werden darf, bestehen für Eiehstätt keine Einschränkungen; ebenso
wurde in dem Breve für Toul dem Bischof gestattet, sich seiner zu bedienen,
so oft er pontificaliter zelebriere. Für Paderborn dagegen ist die Benutzung
des Rationale an bestimmte Tage gebunden, ähnlich wie es beim Pallium der
Metropoliten der Fall ist. Sie finden sich in der Bulle aufgeführt, durch
welche Innozenz II. 1133 dem Bischof Bernhard I. den Gebrauch des Ornat-
stückes gestattete; doch kamen zu ihnen einige weitere hinzu, als Alex-
ander VII. den Paderborner Bischöfen diesen neu bestätigte: das Fron-
Bild 305. Rationale des Bischofs von
Paderborn. Paderborn, Bischöfl. Palais.
1 Laut Inschrift des zu Paderborn noch
gebräuchlichen Rationale.
2 Bullar. Benedict. XIV. III, Mechlin 1826,
175.
s Revue 1904, 38.
4 Martin, Histoire des dioceses de Toul,
de Nancy et de Saint-Di6, Nancy 1903, 395
435.
678 Vierter Abschnitt. Die Insiguien.
leichnamsfest, das Fest der Beschneidung des Herrn, sowie die Feste Kreuz-
Erfindung und Kreuz-Erhöhung.
Was das Territorium anlangt, in welchem das Rationale benutzt werden
darf, so ist für Paderborn sein Gebrauch auf den Bereich der Diözese be-
schränkt, für Eichstätt besteht in dieser Beziehung keine Bestimmung.
II. DAS ERSTE NACHWEISBARE AUFTRETEN DES RATIONALE.
Die früheste Nachricht erhalten wir über das Rationale durch einen
Briefwechsel zwischen Adalbero von Metz (984 — 1105) und Hildward von
Halberstadt (968 — 995) 1. Adalbero bittet darin den Bischof von Halber-
stadt, dieser möge ihn an der Erlaubnis teilnehmen lassen, das Rationale oder
logion, das Abzeichen der Lehre und Wahrheit, zu tragen, welche ja Papst
Agapet IL (946 — 955) den Halberstädter Bischöfen verliehen habe. Hildward
gibt dem Ansuchen Folge und sendet eine Kopie des Ornatstückes ; jedoch
mußte sich Adalbero verpflichten, das Recht, sich des Rationale zu bedienen,
nicht noch andern weiter zu übertragen. Allerdings gibt der Briefwechsel
keinen direkten Aufschluß über die Art und Beschaffenheit des in Frage
stehenden Rationale; halten wir jedoch im Auge, daß bei den Bischöfen von
Metz bis dahin durch päpstliche Verleihung schon wiederholt das Pallium in
Gebrauch gewesen war2, daß Burchard von Halberstadt 1063 von Alexander IL
das Pallium erhielt3, daß das Rationale, um das es sich in den Schreiben
Adalberos und Hildwards handelt, den Bischöfen von Halberstadt ebenfalls
seitens des Apostolischen Stuhles bewilligt worden war, und namentlich
endlich, daß bereits im Beginn des 11. Jahrhunderts ein Rationale im Sinne
eines das Gegenstück des Palliums bildenden Schulterschmuckes mit aller
Bestimmtheit nachweisbar ist, so kann es kaum zweifelhaft sein , daß auch
unter dem R.ationale des Briefwechsels eben dieses Schultergewand verstanden
werden muß.
Ein anderes sehr frühes Zeugnis bringt die Bulle Johannes' XIX. vom
Jahre 1027, in welcher der Papst dem Patriarchen Poppo von Aquileja außer
dem Pallium auch das Rationale gewährt, so zwar, daß der Patriarch das
Pallium dem bestehenden Recht gemäß nur an den höchsten Feiertagen sowie
bei der Konsekration von Bischöfen tragen durfte, während ihm das Rationale
für die übrigen Feste zugestanden wurde4. Das Rationale, von dem in der
Bulle die Rede ist, haben wir uns demnach nicht als einen Schmuck zu denken,
der zugleich mit dem Pallium gebraucht wurde, sondern als Gegenstück des
letzteren, weil Ersatz desselben an den gewöhnlichen Festen, an denen die
Benutzung des Palliums unstatthaft war. Es kann darum auch kein bloßer
Brustschmuck gewesen sein, sondern muß als ein dem Pallium analoges
Schulterkleid aufgefaßt werden.
Die Liturgiker des Mittelalters tun des Rationale keine Erwähnung.
Wohl reden Ivo von Chartres, Honorius und im Anschluß an letzteren auch
Sicard von einem rationale, sie verstehen aber darunter kein bischöfliches
1 Sigeberti Vita Deodorici I. ep. Metens. sollemnia celebranda uti vohimus in Natali
c. 9 (M. G. SS. IV 468). Vgl. auch den Domini ... et in ceteris praecipuis festivi-
Brief Hildwards bei Labbe, Novae biblioth. I tatibus et in consecratione episcoporum. De
682. J. n 3361. rationali autem idipsum praecipimus , ut in
2 S. oben S. 630. 3 Ebd. ceteris festivitatibus utamini
4 J. n. 4085; M. 141, 1137: Insuper pallium quemadmodumetdepallio (sc. prae-
vobis concedimus, quo vos ad missarum cepirnus).
Viertes Kapitel. Das Rationale.
679
Schultergewand, sondern einen pontifikalen Brustschmuck, auf den wir später
zurückkommen werden. Nur ein kurzer anonymer Traktat über die litur-
gische Gewandung in einer dem 12. Jahrhundert entstammenden Handschrift
der St Gallener Stiftsbibliothek gedenkt des uns hier beschäftigenden Ornat-
stückes mit den wenigen Worten : Rationale, quod circumdat
humeros et pectus, doctrinam et veritatem ostendit, quod tintinnabulis
resonans exemplum vitae ad praedicationem insinuat.
In Sakramentaren ist uns nur zweimal ein rationale im Sinne eines
pontifikalen Schmuckes begegnet : in dem Sakramental' Ratolds von Corbie !
und in dem für Sigebert von Minden um 1030 geschriebenen, als Missa Illy-
rica2 bekannten Ordo. In ersterem ist unter ihm entweder ein über der Kasel
am Superhumerale (Amikt) befestigter Brustschmuck oder (vielleicht richtiger)
eine paruraartige Verzierung des Amiktes, die nach Anlegung der Kasel
kragenförmig um den Hals gelegt wurde, zu verstehen. An ein Schultergewand
Bild 306. Rationale (Rückseite). Bamberg, Dom.
ist bei ihm nicht zu denken. Der Ordo Sigeberts gibt keinerlei Andeutung über
den Charakter des Gewandes, das er mit rationale bezeichnet, sondern ver-
merkt lediglich das Gebet, das bei Annahme des Ornatstückes zu sprechen war.
Doch erhellt aus zwei Bildwerken, einer Elfenbeinskulptur und einer Miniatur,
die ursprünglich dem den Ordo enthaltenden Kodex zum Schmuck dienten, wie
wir uns das fragliche Rationale zu denken haben. Es sind die zwei Dar-
stellungen Sigeberts von Minden (1022 — 1036), von welchen bereits gelegent-
lich die Rede war. Sigebert erscheint auf beiden in gleicher Weise mit
einem dem Pallium verwandten Schulterschmuck, der die Gestalt eines die
1 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 11 ; I 203:
Postea ministretur ei casula ; tandem vero
rationale cohaerens iunetim (die Handschrift
[Paris, Bibl. nat. f. lat. n. 1205:.] hat vinc-
tim, wohl ein Fehler des Kopisten) super-
humerali. Da kurz vorher der Amikt super-
humerale heißt, müssen wir auch hier wohl
das Wort in der gleichen Bedeutung nehmen,
zumal kein zwingender Grund vorliegt, hier
in dem superhumerale einen auszeichnenden
pontifikalen Schulterschmuck zu sehen. Es
scheint sogar eine solche Auffassung dem
Wortlaut der Rubrik wenig entsprechend.
Wäre unter dem superhumerale ein ponti-
fikales Schultergewand zu verstehen, so hätte
diese wohl lauten müssen: tandem vero super-
humerale unacum rationali oder ähnlich.
2 Ebd. ordo 4; I 177.
580 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Schultern, die Brust und den Rücken umziehenden, mit Zierscheiben und
Doppelbehängen besetzten Ringes hat, bekleidet (vgl. Bild 69, S. 177 und
Bild 124, S. 266).
Es hat sich sogar noch ein wirkliches Rationale aus dem Beginn des
11. Jahrhunderts erhalten. Dasselbe befindet sich im Besitz des Domes zu
Bamberg und stammt aus den Tagen Heinrichs II, wie ein Vergleich mit der
von diesem herrührenden Kasel des Domschatzes bekundet (Bild 306, S. 679).
Die Verwandtschaft mit dem Pallium tritt bei ihm minder deutlich hervor;
denrt statt aus einem mit Scheiben und Behängen verzierten Ringe besteht
es aus einem Vorder- und Rückteil, die unten, zum Ersatz der Behänge, in
zwei Streifen auslaufen und über den Schultern durch eine Scheibe verbunden
sind. Wir müssen später auf dies Rationale näher eingehen, weshalb wir
hier von einer eingehenderen Beschreibung desselben absehen können.
Das Bationale ist demnach mit aller Sicherheit bereits um die Wende
des Jahrtausends im Sinne eines dem Pallium bis zu einem gewissen Grade
entsprechenden, auszeichnenden pontifikalen Schulterschmuckes nachweisbar.
Sehen wir daher zu, welche Verbreitung sein Gebrauch im Mittelalter ge-
habt hat.
III. VERBREITUNG DES GEBRAUCHES DES RATIONALE.
Der Gebrauch des Rationale läßt sich im Mittelalter bei einer größeren
Anzahl von deutschen Bischöfen feststellen. Wir finden es bei den Bischöfen
von Würzburg, Regensburg, Eichstätt, Naumburg, Halberstadt , Paderborn,
Minden, Speier, Metz, Prag, Olmütz, sowie den ehemals ebenfalls zum deutschen
Reich und zu deutschen Metropolitanverbänden gehörenden Bischöfen von Toul
und Lüttich; bei verschiedenen allerdings nur vorübergehend, wie zu Speier,
Metz, Halberstadt und Olmütz1.
Bei den Bischöfen von Würz bürg kam es schon um 1100 zur Verwendung, wie
die Würzburger Bischofssiegel beweisen. Das Rationale erscheint auf denselben zuerst
bei Emehard von Rothenburg (1088 — 1104) und erhält sich auf ihnen bis auf Gott-
fried von Hohenlohe (1314 — 1322). Von da ab wird es in fast ununterbrochener Folge
durch die Grabmäler der Bischöfe im Dom zu Würzburg bezeugt. Die Reihe derselben
beginnt mit Mangold von Neuenburg (f 1303); mit Johann Gottfried von Aschhausen
(1617 — 1622) tritt das Pallium an Stelle des Rationale. Bei der Grabfigur Mangolds
von Neuenburg ist das Ornatstück in Malerei, bei den folgenden Bischöfen in Skulptur
dargestellt (Bild 307).
Auf den Regensburg er Siegeln begegnet uns das Rationale zuerst, wie es
scheint, bei Hartwig I. (1106 — 1126). Es erhält sieh auf denselben bis über die Mitte
des 14. Jahrhunderts, da es sich noch auf einem aus dem Jahre 1353 stammenden
Siegel Friedrichs von Nürnberg vorfindet (1341 — 1368). Auf den Grabmälern der
Regensburger Bischöfe kommt es erst spät vor; der erste, bei dessen Grabfigur es
sich nachweisen läßt, ist Bischof Heinrich von Absberg (1465 — 1492). Freilich
ist die Zahl älterer Grabmonumente sehr gering. Seit dem Ende des 15. Jahr-
hunderts tritt es dann aber bis zu Bischof David Kölderer von Burgstall (1567
1 Für einen Gebrauch des Rationale seitens hard von Oldenburg (f 1216) ein Rationale
der Bischöfe von Münster und Osnabrück darstellen sollen. Man wird indessen gut
liegen keine Zeugnisse vor. Vielleicht, daß tun, auf derartige ganz vereinzelte Beispiele,
St Ludgerus auf dem alten Siegel des Lud- die zudem nicht einmal zweifellos sind, kein
geristiftes (13. Jahrh.) mit ihm ausgestattet Gewicht zu legen, zumal die Siegel oft genug
ist. Ebenso mag der Schulterschmuck auf von auswärtigen Meistern oder nach aus-
dem Siegel des Osnabrücker Bischofs Ger- wärtigen Vorlagen angefertigt wurden.
Viertes Kapitel. Das Rationale.
681
bis 1579) auf einer ununterbrochenen Eeihe prächtigster Grabplatten Regensburger
Bischöfe auf. Aus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammt eine mit dem Eationale
geschmückte Bischofsbüste im Tympanon einer zum südlichen Seitenchor des Domes
zu Regensburg führenden Türe, aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ver-
schiedene mit dem Rationale ausgezeichnete Bischofsfiguren in den Fenstern des süd-
lichen Seitenschiffes und des südlichen Querschiffes.
Über den Beginn des 12. Jahrhunderts hinaus läßt sich der Gebrauch des Ratio-
nale zu Regensburg nicht feststellen. Man beruft sich freilich auf eine Miniatur in dem
aus Niedermünster stammenden Utakodex aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts. Allein
mit Unrecht. Die Miniatur stellt den hl. Erhard in merkwürdiger Verquickung der
pontifikalen und jüdisch-hohenpriesterlichen Tracht dar1. So wenig aus dem Kopf-
bund und der dreieckigen, goldenen Stirnplatte gefolgert werden kann, daß sich da
mals die Regensburger Bischöfe eines solchen Kopfschmuckes bedienten, ebenso-
wenig gestattet das geradezu phantastische
Schultergewand St Erhards einen Schluß auf
den Gebrauch des Rationale. Mit mehr Recht
könnte man auf die Darstellung St Emmerams
in einem dem Ende des 10. Jahrhunderts ent-
stammenden Kodex der kgl. Hof- und Staats-
bibliothek zu München hinweisen -'. Doch scheint
uns die Sache auch hier zum mindesten zweifel-
haft. Man darf nicht vergessen, daß die Minia-
turen in der Verleihung des Palliums ungleich
freigebiger waren als Eom, daß sie es aber
dafür auch gern nach Lust und Laune aus-
statteten und umgestalteten.
Zu Bamberg fand das Rationale, wie
das im dortigen Domschatz befindliche, noch
aus der Zeit Heinrichs IL stammende Exemplar
beweist, schon um 1020 Verwendung. Es blieb
daselbst bis in den Beginn des ]7. Jahrhun-
derts in Gebrauch. Denn die Kustodierech-
nungen erwähnen bis 1626 wiederholt das
Rationale, so für die Jahre 1476, 1485, 1512,
1539, 1544 und 1616; 1544 lieferte ein Gold-
schmied 32 Schellchen für das Rationale, 1626 Bi]d 307> Grabmal des Bischofs Albert
reparierten und erneuerten die Jungfrauen „zum von Hohenlohe (t 1372). wih-zburg, Dom.
heiligen Grab" das Ornatstück; auch reinigten
sie damals die Perlen und Edelsteine, womit es besetzt war 3. Die Angaben zu den
Jahren 1476 und 1485 mögen sich auf das Rationale aus der Zeit Heinrichs IL be-
ziehen. Die späteren, namentlich die Vermerke zu den Jahren 1544 und 1626, setzen
indes ein zweites voraus, das mit Perlen, Edelsteinen und Perlen geschmückt ge-
wesen sein muß.
Scheinbar auffallend ist, daß bei der langen Reihe der Grabfiguren der Bam-
berger Bischöfe im Dom zu Bamberg nirgends das Rationale auftritt, die Bischöfe
1 S. oben S. 462, Anm. 6.
2 Cim. 14 272. Abb. in G. Swarzenski,
Die Regensburger Buchmalerei Tfl III, Bild 9
und L. Eisen hofer, Das bischöfl. Ratio-
nale, Abb. 4 Man hat auch auf einer Dar-
stellung des hl. Wolf'gang in dem Evangeliar
Heinrichs IV. (jetzt im Dom zu Krakau) das
Rationale finden wollen; doch handelt es sich
hier lediglich um ein Pallium. Schon der
Umstand, daß der Miniator den gleichen
Schmuck auch dem hl. Dionysius gegeben
hat, muf3 davon abhalten, in ihm das Ratio-
nale zu sehen. Wie freigebig die alten Künst-
ler in der Verleihung des Palliums waren,
erhellt z. B. aus dem Umstände, daß sie selbst
den hl. Benedikt damit schmücken (so in
dem bekannten Benedictionale Ethelwolds und
in einem Prüm er Kartular des Staatsarchivs
zu Koblenz).
3 Pf ist er, Der Dom zu Bamberg 74.
«82
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
tragen vielmehr regelmäßig das Pallium. Die Sache erklärt sich indessen sehr leicht
durch den Umstand, daß die Inhaber des Bamberger Bischofsstuhles seit 1053, d. i.
seitdem Leo IX. Hartwig den usus pallii verlieh, das Privileg besaßen, sich des Pal-
liums zu bedienen'. Wenn sie trotzdem vor wie nach auch das Rationale ge-
brauchten -- die eben erwähnten Kustodierechnungen lassen keinen Zweifel daran — ,
so hat das seinen Grund wohl darin, daß sie sich mit dem Pallium nur an wenigen
bestimmten Tagen schmücken durften, deren anfangs bloß drei waren. Die Bamberger
Bischöfe werden es wie Patriarch Poppo von Aquileja gemacht haben, der, wie wir
hörten, an denjenigen Tagen, an welchen ihm untersagt war, das Pallium zu tragen,
zum Ersatz dafür das Rationale anlegte. Auf den Monumenten, auf welchen Pallium
und Rationale nicht zugleich dargestellt werden konnten, hatte natürlich ersteres als
das vorzüglichere den Vorzug.
Vom Eiehstätter Rationale berichtet zuerst Bischof Philipp (f 1322) in
seiner Lebensbeschreibung des hl. Willibald. Er führt das Ornatstück auf den hl. Boni-
fatius zurück. Dieser habe, so erzählt er nämlich, dem hl. Willibald und seinen Nach-
folgern die Stellvertreterschaft des Erzbischofs von Mainz samt dem Vorrang vor
allen andern Suffraganen des Mainzer Metropolitanverbandes verliehen und zum Aus-
druck dieses Rechtes ihn sowie die späteren Eiehstätter Bischöfe mit dem Ratio-
nale begabt -. Die Angabe Bischof Philipps ist, wie kaum gesagt zu werden braucht,
nur eine Legende, die bloß beweist, daß das Rationale im Beginn des 14. Jahrhun-
derts schon eine gute Zeit zu Eichstätt gebräuchlich gewesen sein muß. Wirklich
bezeugt die zweite Serie der Bischofsbilder im Pontih'kale Gundekars, daß es schon
wenigstens im 12. Jahrhundert bei den Eiehstätter Bischöfen Verwendung fand. Ob
auch bereits im 11. Jahrhundert, ist zweifelhaft, da der gabelförmige Schmuck,
welcher bei verschiedenen Bischofsbildern der ersten, zu Gundekars Zeit entstandenen
Serie und auch noch auf einigen der zweiten vorkommt, ein sog. Gabelkreuz darzu-
stellen scheint, nicht das Rationale 3. Die wenigen Eiehstätter Bischofssiegel, welche
uns zu Gesicht gekommen sind, lassen es unentschieden, wann das Ornatstück zu
Eichstätt in Gebrauch kam.
Zu Minden begegnen wir dem Rationale nach Ausweis des für Bischof Sigebert
geschriebenen Ordo und der früher erwähnten Darstellungen Sigeberts schon im Be-
ginn des 11. Jahrhunderts. Auf den Mindener Bischofssiegeln kommt es bloß einige-
mal vor, und zwar nur im 13. Jahrhundert. Die Siegel, auf denen es sich findet,
sind die Siegel der Bischöfe Widekind I. von Hoya (f 1261) und Volkwin von
Schwalenberg (f 1293) 4. Das Chronicon Mindense (15. Jahrhundert) nennt das
Ornatstück pallium und rationale und führt es auf Leo III. zurück, der, wie die
Chronik berichtet, es den Bischöfen von Minden verlieh, als er bei seiner Anwesen-
heit in Deutschland im Jahre 799 den Dom zu Minden einweihte b. Ist diese ganze
1 Historisches Jahrbuch XX 6 18 ff. Vgl.
auch oben S. 630. Zur Zeit Innozenz' 111.
waren der Tage, an denen der Gebrauch des
Palliums den Bischöfen von Bamberg erlaubt
war, dreizehn außer den Ordinationstagen.
2 Vita S. Willibaldi c. 23 (ed. Gretser,
Ingolstadii 1617, 89).
5 Vgl. die Wiedergabe der Miniaturen des
Gundekarpontifikale in „Eichstätts Kunst",
München 1901. Die Bilder der zweiten Serie
entstanden um das Ende des 12. Jahrhunderts.
Der Umstand, daß die Mehrzahl der Bischofs-
bilder der zweiten Serie das Rationale auf-
weist, dürfte schwerlich berechtigen, in der
gabelförmigen Verzierung, mit der bei einigen
Darstellungen die Kasel geschmückt ist, eben-
falls ein Rationale zu sehen. Dem Künstler
hat es beliebt, zu wechseln. Den einen
Bischöfen gab er das durch seine eigenartige
Bildung als selbständiger Schmuck sofort
auffallende Bationale, den andern ein mehr
oder weniger reich verziertes Gabelkreuz:
Zufälligkeiten , wie sie sich auf manchen
mittelalterlichen Bildern finden.
4 Die westfälischen Siegel des Mittelalters.
Siegel der Bischöfe Tfl 54, 4 5.
5 Meibom, Rer. german. I 552: Et hoc
templum consecratur — a Leone et ditatur —
multis privilegiis — nam hie praesul hono-
ratur — Mindensis qui vocitatur — dignitate
pallii — quod bene rationale — vocamus et hoc
non male — nam trini episcopi — tantum isto
decorantur — per quem recte venerantur —
locus, gens et clerici. Im Prologus wird die-
Viertes Kapitel. Das Rationale.
683
Erzählung auch Fabel, so erhellt doch aus ihr, daß das Rationale noch im 15. Jahr-
hundert bei den Mindener Bischöfen in Gebrauch war. Um so auffälliger ist es,
daß sich auf deren Siegeln in jener Zeit keine Spur von ihm bemerklich macht.
Die Bischöfe von Paderborn erhielten das Recht, das Ornatstück zu ge-
brauchen, 1133 durch Innozenz II. ' Auf den Siegeln der Paderborner Bischöfe gewahren
wir das Rationale nur bei Wilbrand von Wildeshausen (f 1227) und Bernhard IV.
(f 1247)2; auch auf den sonstigen Paderborner Monumenten findet es sich kaum
jemals. Fast das einzige Beispiel bietet die Statue des hl. Liborius (?) am Portal
der Domkirche (13. Jahrh.), falls es sich bei dem gabelkreuzartigen Schmuck, den
der Heilige über der Kasel trägt, wirklich um das Rationale handelt.
Den Bischöfen von Naumburg wurde 1119 durch Calixt IV. (1119—1124)
in einer Bulle für Dietrich von Naumburg die Erlaubnis verliehen, sich des Ratio-
nale zu bedienen 3. Wie lange sein Gebrauch bei ihnen gedauert hat, läßt sich nicht
bestimmen, da weder schriftliche noch monumentale Nachrichten, soweit uns bekannt,
darüber vorliegen. Von den Naumburger Bischofssiegeln bei Lepsius weisen nur zwei
eine Art von Rationale auf. Es sind die mit Ausnahme der Inschrift völlig iden-
tischen Siegel Utos (f 1148) und Wichmanns (f 1152), nach Charakter und Stil der
Darstellungen evidente Fälschungen aus dem 13. Jahrhundert.
Zu Metz und Halberstadt fanden wir das Rationale bereits in der zweiten
Hälfte des 10. Jahrhunderts. Das einzige Metzer Siegel, auf dem das Rationale auf-
tritt, ist das des Bischofs Bertram (f 1212). Im übrigen läßt sich weder zu Metz
noch zu Halberstadt weiter die Spur des Rationale verfolgen '.
Für Speier, Prag und Ol mutz bieten nur die Inventare Belege für die
Verwendung des Rationale. Zu Speier begegnet uns schon 1151 ein rationale auro
et gemmis ornatum ; zu Olmütz wird das Ornatstück erst im Inventar von 1435 er-
wähnt: Item rationale pulchrum margaritis et imaginibus ornatum, quod dedit dominus
Wenceslaus Patriarcha Antiocenus ecclesiae Olomucensi.
Zu Prag treffen wir das Rationale in den Inventaren von 1354, 1355, 1387 und
1396 an. Das Schatzverzeichnis von 1354 vermerkt: Rationalia duo cum perlis,
unum episcopale, aliud diaconale ; im Inventar von 1387 werden drei Rationalien be-
schrieben: Rationale de perlis preciosis, quod ex antiquo reparavit dominus Arn estus
archiepiscopus Pragensis. Aliud rationale cum perlis plenum (sie) et crueibus nigris, do-
natum per imperatorem, in quo deficiunt multae perlae. Aliud rationale diaconale
cum perlis parvis et capitibus draconum. In den Inventaren von 1396 und 1397 ist
ein viertes hinzugefügt: Aliud rationale, quod donavit Iohannes archiepiscopus Pra-
gensis de perlis , gemmis , auro et argento , habens a parte anteriori Virginem
gloriosam cum puero ; a parte posteriore continens crueifixum. Dieses letzte Ratio-
nale war allerdings auch schon 1387 vorhanden; es wird jedoch im damaligen Inventar
nicht als Rationale, sondern als crux de perlis super ornatum, quem fecit dominus
Iohannes archiepiscopus modernus 5 etc. , aufgeführt , ein Umstand , der für Fest-
stellung des Charakters und der formellen Beschaffenheit der Prager Rationalien
selbe Begebenheit erzählt, nur daß hier das
von Leo III. angeblich verliehene Ornatstück
bloß pallium genannt wird. „Hunc pastorem
cum ornavit — usu sacri pallii."
1 J. n. 7630.
2 Westfälische Siegel Tfl 49, 2 4.
3 J. n. 6766. Lepsius, Geschichte der
Bischöfe des Hochstifts Naumburg I 241.
4 Eine jetzt nicht mehr vorhandene, jedoch
noch durch Abbildung bekannte Silberbüste
des hl. Adelf, Bischofs von Metz, wies aller-
dings auch das Rationale auf (Barbier de
Montault, Le buste de St-Adelphe , in
Memoires de la Soc. d'archeol. lorraine 1885) ;
allein dieselbe war, wie ein Vergleich mit
der noch vorhandenen Büste des hl. Lambert
zu Lüttich beweist, eine bis ins kleinste ge-
naue Kopie eben dieser letzteren und ist
darum für die Geschichte des Rationale zu
Metz ohne Belang.
5 P o d 1 a h a und S i 1 1 1 e r , Chrämovy pok-
lad, XXXIX (vgl. LVIII). Ob das fragliche
Rationale ursprünglich als Gabelkreuz oder
als Rationale gedacht war, ist von keiner
Bedeutung. Tatsächlich galt es 1396 und 1397
als Rationale. Es muß also offenbar die Form
und Beschaffenheit besessen haben, welche
diesem nach Präger Brauch eigen waren.
684
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
von großer Bedeutung ist. Könnte nämlich noch ein Zweifel daran bestehen, daß
wir es bei diesen nicht mit einem Brust-, sondern mit einem Schulterschmuck und
einem Gegenstück des Palliums zu tun haben, so wird er durch jene Angabe des
Inventars von 1887 durchaus zu Gunsten eines Schultergewandes behoben. Auffallend
und ungewöhnlich, aber darum um so bemerkenswerter ist das rationale diaconale,
welches sich unter den Rationalien des Schatzes befand. Was man darunter zu verstehen
hat, ist unklar ; an das Rationale eines gewöhnlichen Diakons ist dabei wohl kaum
zu denken. Ob ein Rationale des Suffragans oder des Archidiakons gemeint ist?
Wichtig ist die Notiz des Inventars von 1355, daß Erzbischof Ernst (1343
bis 1364), mit dem Prag zum Erzbistum erhoben wurde, eines der Rationalien, die
in jenem Verzeichnis beschrieben werden, ex antiquo reparieren ließ. Sie beweist,
daß das Ornatstück zu Prag nicht erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts gebräuch-
lich wurde, sondern schon eine längere Weile vorher daselbst zur Verwendung ge-
kommen sein muß. Zugleich bekundet sie, daß auch dann noch, als die Prager
Bischöfe Erzbischöfe geworden waren und das Pallium erhalten hatten, das Rationale
vor wie nach in Benutzung blieb, eine Folgerung, die sowohl durch das von Karl IV.
(1346 — 1378) als das von Erzbischof Johannes VI. (1379 — 1396) geschenkte Rationale
bestätigt wird '.
Den Lüttich er Bischöfen soll nachÄgidius von Orval, dem Verfasser des Chroni-
con Leodiense, das Rationale von Papst Stephan X., einst Domherr zu Lüttich, verliehen
worden sein2. Ob dem wirklich so ist, muß dahingestellt bleiben; wahrscheinlich
handelt es sich bei jener Angabe nur um eine Lütticher Tradition. Denn die Bulle,
durch welche Innozenz II. 1135 dem Bischof Adalbero IL den Gebrauch des Rationale
gestattet — das älteste sichere Zeugnis für die Verwendung desselben seitens der
Lütticher Bischöfe — , nimmt nicht nur keinen Bezug auf eine frühere Gewährung
desselben, sondern beschränkt auch im Widerspruch mit dem angeblichen Privileg-
Stephans X. die Erlaubnis, es zu tragen, ausdrücklich auf die Person Adalberos s.
Auf den Lütticher Bischofssiegeln kommt das Gewand zum ersten- und zugleich für
länger zum letztenmal bei Rudolf von Zähringen (f 1191) vor. Um dieselbe Zeit
finden wir es aber auch bei dem Lütticher Bischof auf einer der Emailscheiben des
St Heribertsschreines zu Deutz, welche das Examen und die Bischofsweihe des Hei-
ligen wiedergibt. Denn der Bischof, welcher beide Akte vornimmt, scheint den Bischof
von Lüttich, den nächsten Suffragan der Kölner Kirchenprovinz, darstellen zu sollen '.
Im späten Mittelalter sehen wir das Rationale regelmäßig auf den Lütticher Siegeln
(vgl. Bild 313, S. 693) 5. Häufig begegnet es uns auch seit dem 15. Jahrhundert
als Charakteristikum des hl. Lambert, bei dessen Darstellungen es seitdem bis tief
in die Neuzeit hinein fast immer wiederkehrt (Bild 308) e.
1 Das Rationale fand zu Prag wohl eine ähn-
liehe Verwendung wie zu Aquileja, wo ja
auch Pallium und Rationale nebeneinander
in Gebrauch waren.
2 M. G. SS. XXV 88. Hie superhumerale
et eius usum Theoduino episcopo suisque
successoribus misit.
3 J. n. 7733. Vgl. übrigens G o r i , The-
saurus veterum diptycb.I, Florentiae 1759. 11.
4 Der Schrein entstand in der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts. Als Meister
wird neuestens Godfroid de Ciaire bezeichnet,
ein Künstler von der Maas. Der Umstand,
daß der Examinator und Konsekrator des
bl. Heribert auf dem Email mit dem Ratio-
nale geschmückt ist, scheint diese Zuweisung
zu bestätigen. Wenigstens begreift sich so
am leichtesten, wie der Künstler dazu kam,
den fraglichen Bischof auffälligerweise mit
jenem Schultergewand auszustatten. Über den
St Heribertsschrein und Godfroid de Ciaire vgl.
v. Falke und Frauberge r, Deutsche
Schmelzarbeiten des Mittelalters , Frankfurt
1904, 84 ff; das im Text erwähnte Email auf
Tfl 88.
5 Gute Beispiele bieten die Siegel Johannes'
von Arkel (f 1378), Jobannes' von Heinsberg
(t 1455), Johannes' von Hörn (f 1505), Eber-
hards von der Mark (t 1538) u. a.
6 Ob der Schulterschmuck, den die Figur
des hl. Lambert auf dem ältesten Kapitel-
siegel von St-Lambert (ca 1200) aufweist,
schon das Rationale oder nur einen Kasel-
besatz darstellt, ist nicht klar. Abbildung
bei H e 1 b i g , La sculpture au pays de Liege,
Bruges 1890, 132.
Viertes Kapitel. Das Bationale.
685
Für Toul fehlt jede Nachricht über eine Verleihung des Eationale an die
dortigen Bischöfe. Denn es ist eine unbegründete Tradition , wenn man diese mit
der Person Leos IX. in Verbindung bringt, der bekanntlich vor seiner Erhebung
auf den päpstlichen Stuhl als Bruno von Dachsburg die Diözese Toul regierte '.
Immerhin müssen die Touler Bischöfe schon früh das Bationale getragen haben, da
es schon auf den Siegeln Peters von Brizey (f 1192) und Odos von Sorcy (f 1228)
vorkommt2. Seit dem 14. Jahrhundert erscheint es häufig auf den Touler Bischofs-
siegeln. Auch die Grabfiguren Heinrichs von Ville-sur-Illon (f 1436) in der Kathedrale zu
Toul und Hugos von Hazards (f 1517) zu Blenod-les-Toul 3, sowie andere Touler Bild-
werke des späteren Mittelalters weisen das Eationale auf J. Wie früher gesagt wurde,
erhielt es sich im Gebrauch , bis das Bistum Toul Frankreich einverleibt wurde und
Franzosen den Bischofsstuhl bestiegen. Dann verschwand es allmählich von der
Bildfläche. 1700 wird seiner zwar noch in dem damals gedruckten Caeremoniale ge-
dacht, doch fand es in Wirklichkeit wohl kaum mehr Verwendung; denn schon Dom
Calmet konnte 1726 an Montfaucon schrei-
ben . daß sich, die Bischöfe von Toul
seiner ehedem bedient hätten 5.
Von nichtdeutschen Bischöfen sind
nur zwei bekannt, bei denen das Ratio-
nale im Gebrauch war, der Patriarch von
Aquileja und der Bischof von Krakau.
Bei ersterem fand es noch 1132 Verwen-
dung; denn 1132 bestätigte Innozenz IL
dem Patriarchen Peregrinus die Erlaub-
nis, sich des Palliums und des Bationale
zu bedienen, wie sie einst Poppo von Jo-
hannes XIX. erhalten hatte 6. Wann zu
Krakau das Ornatstück heimisch wurde,
ist nicht zu ermitteln. Jedenfalls kam es
dort schon um das Ende des 14. Jahr-
hunderts zur Verwendung, da das noch
jetzt benutzte Bationale, ein Geschenk
der Königin Hedwig, der Gemahlin Ladis-
laus' (1371—1399) und Tochter Ludwigs
von Ungarn, aus dem Jahre 1384 stammt '.
Nach dem Bericht über die Erhebung der
Leiche des seligen Bischofs Vinzenz Kad-
lubeck (f 1233) im Jahre 1634 dürfte es
sogar schon im Beginn des 13. Jahrhun-
derts von den Krakauer Bischöfen getragen worden sein ; denn es heißt darin, man
habe die Beste an dem pallium episcopale erkannt, quo episcopi Cracovienses in diem
hodiernum utuntur, d. i. wohl an dem Eationale. Bischof Johannes Grot (f 1347) soll
bei Benedikt XII. (1334 — 1342) die Bestätigung des Gebrauches des Rationale nach-
gesucht und diese dann auch erhalten haben 8.
Sehr bemerkenswert ist, daß aus Frankreich kein Beispiel von der Ver-
wendung eines Eationale im Sinne eines dem Pallium analogen bischöflichen Schulter-
schmuckes bekannt ist. Keine Bulle, in der es einem französischen Bischof bewilligt
Bild 308. Büste des hl. Lambertus.
Lüttieh, Kathedrale.
1 Martin, Histoire des dioceses de Toul,
de Nancy et de St-Die" I, Nancy 1899, 465.
2 Bobert, Sigillographie de Toul, Paris
1868, pl. it, n. 3: pl. iv, n. 19.
3 Abbildung bei Martin a. a. 0. 469 470.
4 Vgl. z. B Bevue 1904, 41 (Grabmal des
hl. Mansuetus [Anfang 16. Jahrb.] in der Krypta
der Kapelle des Faubourg St-Mansuy zu Toul).
'- Boh. VIII 73: Les övgques de Toul se
servaient autrefois d'une espece d'ephod
ou de superhmneral.
6 J. n. 7576.
7 Alex. Przezdziecki und Edouard
Eastawiecki, Monuments du moyen-äge
dans l'ancienne Pologne n. 17.
s Encycklopedja koscielna XI 371.
6S6
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
wurde ; kein französisches Inventar, in dem ein solches verzeichnet wäre, kein fran-
zösischer Schriftsteller des Mittelalters, der seiner gedächte ' ; keine liturgische Schrift,
kein Sakramental- , kein Caeremoniale , die Zeugnis dafür ablegten , daß es je von
französischen Bischöfen getragen worden sei. Ist alles das erklärlich, wenn das Kationale,
wie man will, noch im 12. Jahrhundert in Frankreich in Brauch war? Allerdings hat
man zum Beweise, daß auch dort das Ornatstück Verwendung gefunden habe, auf ver-
schiedene Miniaturen und sonstige Bildwerke hingewiesen. Mit Unrecht jedoch. Was
man für ein Bationale angesehen hat, ist in Wirklichkeit bald ein kragenförmiger Besatz
der Kasel, bald ein mehr oder weniger phantastisches Gabelkreuz, bald ein in freier
Weise behandeltes Pallium. Wer die Weise der alten Meister näher kennt , wird
sich über derartige Erscheinungen ebensowenig wundern, wie ihnen eine Bedeutung
beilegen, die sie weder besitzen, noch nach der Absicht der Künstler besitzen sollten.
Übrigens müßte im vorliegenden Falle allein schon das völlige Versagen aller schrift-
lichen Nachrichten abhalten, auf den fraglichen Bildwerken das Rationale zu finden.
Soweit die vorhandenen Quellen ein Urteil gestatten , war dieses ein spezifisch
deutsches bischöfliches Ornatstück. Wenn es sich zu Krakau einbürgerte, kann das
wohl nur nach deutschem Muster geschehen sein. Aber auch für Aquileja ist unseres
Erachtens in Deutschland das Vorbild zu suchen. War doch Poppo von Aquileja,
der zuerst die Erlaubnis erhielt, das Kationale zu tragen, aus bayrischem Geschlecht
und ein Verwandter Meinwerks von Paderborn -. Wahrscheinlich hatte er das Gewand
kennen gelernt, als er 1019 mit Benedikt VIII. nach Deutschland kam und sich
mit dem Papst längere Zeit zu Bamberg aufhielt, wo letzterer bekanntlich 1020 in
Gegenwart des Patriarchen und einer großen Zahl von Bischöfen die St Stephans-
kirche konsekrierte 3.
Betont muß werden, daß das Rationale niemals als eigentlich bischöf-
liche Insignie erscheint. Allerdings brachte man es zu Eichstätt und zu
Toul schon im späten Mittelalter mit dem Umstand in Verbindung, daß die
dortigen Bischöfe angeblich das Amt eines Dekans in den Kirchenprovinzen
von Mainz und Trier, sowie das Recht, ihren Erzbischof in dessen Abwesen-
heit zu vertreten, besaßen. Allein die Tatsache, daß das Rationale auch bei
andern Bischöfen vorkam, beweist denn doch mit Bestimmtheit, daß dieses
mit dem beanspruchten Dekanat nichts zu tun hatte.
Das Rationale war nur ein Schmuck, wenngleich ein auszeichnender
Schmuck, also ein Ornatstück von der Art, wie es etwa das Pallium war,
ehe es zur Insignie der Metropoliten und zum Ausdruck der diesen vom
Papst mitgeteilten erzbischöflichen Machtvollkommenheiten wurde. Es brachte
dem Inhaber weder irgend eine Jurisdiktion , noch die Exemption von der
Metropolitangewalt, noch auch das bloße Vorrecht der Präzedenz. Es be-
greift sieh daher auch ohne Schwierigkeit, wie es im Verlauf des 17. Jahr-
hunderts zu Toul, Regensburg, Lüttich, zumal aber zu Bamberg, wo man das
Recht besaß, das Pallium zu tragen, außer Gebrauch kommen konnte. In-
' Das Rationale , welches uns in der Hi-
storia episc. Autiss c. 49 (M. 138, 277) be-
gegnet, bedeutet lediglich den Brustbesatz
einer Prachtalbe , die hier in etwas über-
schwenglichen Worten gefeiert wird. Mit
dem uns beschäftigenden Ornatstück hat es
nichts zu tun. Wenn es ebendort (ebd. 278)
heißt, das handbreite Auriphrygiurn einer Kasel
habe das Bild des Superhumerale und Ratio-
nale nach Weise des erzbischöflichen Pal-
liums dargestellt, so sind unter diesem Super-
humerale und Rationale die betreffenden
Ornatstücke des levitischen Hohenpriesters
zu verstehen, nicht ein pontifikaler Schmuck
des christlichen Kultus. Das Rationale, \ on
welchem in der Bulle Lucius' 111. für Erz-
bischof Wilhelm von Monreale vom Jahre
1183 die Rede ist, hat nur metaphorische
Bedeutung (J. n. 14834).
2 Vita S. Meinwerci c. 199 (M. G. SS.
XI 153). Jahrbücher des deutschen Reichs
unter Heinrich II. 111 142.
3 Adelbert. , Vita Henrici II. n. 25 (M.
G. SS. IV 807). Jahrbücher etc. 111 159.
Viertes Kapitel. Das Rationale. 687
dessen waren jedenfalls auch die schlimmen äußeren Verhältnisse des 17. Jahr-
hunderts, die Wirren und das Kriegselend, die Anhäufung von Bistümern in
der Hand eines Bischofs, der dann seine Nebendiözesen durch Weihbischöfe
und Generalvikare verwalten ließ, und ähnliches von nicht geringerem Einfluß
darauf. Nicht mehr benutzt, mußte das Rationale von selbst der Vergessen-
heit anheimfallen. Zu Prag kam das Ornatstück ohne Zweifel durch die infolge
der hussitischen Unruhen eingetretene, mehr denn ein Jahrhundert dauernde
Verwaisung der Prager Erzdiözese in Abgang. Als diese 1561 wieder einen
Hirten erhielt, war mitsamt den perlenbesetzten Rationalien der Inventare von
1354, 1387 und 1396 auch die Erinnerung an das Rationale selbst ver-
schwunden.
IV. FORM UND AUSSTATTUNG DES RATIONALE.
Die Form des Gewandes war weder überall noch zu allen Zeiten die-
selbe. Wie die übrigen Ornatstücke hat auch das Rationale seine Entwick-
lung gehabt.
Zu Paderborn erscheint es, soweit die Monumente ein Urteil gestatten,
in seiner ältesten Gestalt als ein dem Yartigen Pallium formverwandter
Schmuck. Man vergleiche z. B. die Siegel Wilbrands und Bernhards IV. In
späterer Zeit wurde es dort eine Art von Schulterkragen, der vorn und hinten
mit je zwei Behängen versehen war. Von dieser Art ist das Rationale, das
noch jetzt in Paderborn gebraucht wird (vgl. Bild 305, S. 677). Es stammt
aus der Zeit Ferdinands II. (f 1683) und wurde unter Bischof Hubertus einer
Restauration unterzogen. Vorder- und Rückseite bestehen bei ihm aus
einem Mittelstück und zwei seitlichen Vertikalstreifen. Schulterschilde fehlen,
es stoßen vielmehr die den mittleren Teil rechts und links begleitenden Streifen
unmittelbar über der Schulter aneinander. Durch eine reich mit Edelsteinen
besetzte Agraffe getrennt sind auf dem vorderen Mittelstück die Worte
doctrina • veritas, auf dem hinteren fides • spes • Caritas eingestickt.
Auf die Vertikalstreifen verteilt sich eine Inschrift , welche einen kurzen
Abriß der Geschichte des Paderborner Rationale gibt: Bernardus I. epis
päd. impetravit — Innocentius II. P. M. concessit — Alexander VII.
P. M. confirmavit - - Ferdinandus II. epus päd. ampliavit. An
die jüngste Restauration, bei der die Vorder- und Hinterseite ein wenig ver-
längert wurden , erinnern die Worte : Hubertus I. ep. paderb. renovavit
MDCCCXCII, sowie das am Rand der Vorderseite aufgenähte, von Perlen um-
rahmte Wappen des Bischofs Hubertus. Die Inschriften auf dem Mittelfeld
wie den Streifen werden von zierlichen Bouillonstickereien umrahmt. Die um
den Kopfdurchlaß liegenden vier Zwickel sind mit Perlenstickereien verziert,
die Vertikalstreifen enden in Goldfransen.
Sehr lehrreich ist in Bezug auf die Entwicklung des Rationale zu
Eich statt das Pontifikale Gundekars II. mit seinen Abbildungen der Eich-
stätter Bischöfe. Es wurde unter Gundekar II. begonnen und reicht bis zum
Jahre 1540. Die Serie der Eichstätter Bischöfe bis Gundekar II. (f 1076)
einschließlich entstand noch unter dem Pontifikat Gundekars, die Bilder der
Bischöfe des 12. Jahrhunderts wurden um 1200 gemalt, die übrigen nach und
nach hinzugefügt. Es läßt sich nun freilich nicht verkennen, daß bei diesen
Darstellungen die Phantasie des Künstlers ein gutes Stück mitgearbeitet hat.
Eine so bunte Mannigfaltigkeit, wie sie uns hier in Bezug auf die Gestalt
und Ausstattung des Rationale entgegentritt, ist zweifelsohne nicht vornan-
688 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
den gewesen. Sieht man indessen von den Einzelheiten ab und achtet man
bloß auf den Typus, so dürfen die Miniaturen als ein genügend treues Spiegelbild
der Entwicklung des Ornatstückes zu Eichstätt gelten. Bei den Bischöfen des
12. Jahrhunderts, bei welchen dasselbe zuerst vorkommt, steht es, was die
Form anlangt, dem Pallium noch recht nahe, nur daß der Behang kürzer ist
wie bei diesem, und daß auf den Schultern bei der Mehrzahl der Darstellungen
scheibenförmige Zierstücke angebracht sind. Im 13. Jahrhundert entfernt sich
dann das Rationale immer mehr vom Pallium, indem es sich in demselben Maße
der Kragenform nähert, bis im Beginn des 14. Jahrhunderts die doppelten
Behänge auf Brust und Rücken auftreten.
Wie das Ornatstück im 15. Jahrhundert zu Eichstätt beschaffen war,
zeigt das noch erhaltene, in Gold- und Perlenstickerei ausgeführte prächtige Ratio-
nale des Bischofs Johannes von Eich (1445 — 1464) 1. Es besteht aus einem
Vorder- und einem Rückteil, welche durch scheibenförmige Schulterstücke
miteinander verbunden sind. Auf der einen von diesen Scheiben ist der
hl. Bonifatius mit dem Mainzer, auf der andern der hl. Willibald mit dem
Eichstätter Wappen dargestellt. Vorn und im Rücken ist das Rationale in
Perlen mit einer von Eichenranken eingerahmten Inschrift geschmückt, die
sich teils auf das Mittelstück, teils auf die Behänge verteilt. Sie lautet
auf der Vorderseite : Fides, spes, Caritas (Mitte), iustitia (linker), forti-
tudo (rechter Behang), auf der Rückseite veritas, disciplina (Mitte),
temperantia (linker), prudentia (rechter Behang). Das die Inschriften
umziehende Eichenlaub weist nach Art eines redenden Wappens auf den
Namen des Bischofs hin.
Das Rationale auf den Darstellungen Sigeberts von Minden besteht
aus einem Ring, dem vor der Brust zwei kurze Behänge angefügt und
außerdem als Verzierung noch zwei Rundscheiben aufgesetzt sind (Bild 69,
S. 177 und Bild 124, S. 266). Von ganz gleicher Art war der Schulter-
schmuck, mit dem Bischof Bruno (f 1055) auf seiner ehedem in der Mau-
ritiuskirche zu Minden befindlichen Grabplatte ausgestattet war. Auch hier
bildete das Rationale ein die Brust, die Schultern und den Rücken umziehendes,
pallium artiges Band mit zwei kurzen Behängen, die von zwei auf dem Ring
befindlichen Zierscheiben ausgingen 2. Auf den Siegeln Widekinds und Volk-
wins erscheint es dagegen als Ring, an welchem — die Siegel sind nicht
sehr scharf - - kleine kreuz- oder quastenartige Anhängsel angebracht sind.
Form und Beschaffenheit des Bamberg er Rationale kennen wir nur
aus dem früher schon erwähnten Exemplar im Domschatz zu Bamberg (Bild 300,
S. 679). Es besteht wie das des Bischofs Johannes von Eich aus einem
vorderen und hinteren Teil, welche durch Scheiben miteinander verbunden
sind, und ist ganz in Goldstickerei ausgeführt, bei der als Stickmaterial ein
mit purem Gold hergestellter Faden verwendet ist. Leider ist das kostbare
Ornatstück in sehr schlechtem Zustande. Stark beschädigt wurde es gegen
Ende des 15. Jahrhunderts auf die Glockenkasel aufgeheftet, auf der es sich
zur Zeit befindet, dabei aber vorn mitten durchgeschnitten. Von der Technik
1 Abbildung bei Bock II, Tfl 27 und in tektur beweist das auch die Form der Dal-
„Eicbstätts Kunst" 5. matik. Es soll sich jetzt nach der Angabe des
2 Abbildung in Schröder, Chronik des P. Beda Kleinschmidt in der Simeons-
ßistums und der Stadt Minden, Minden 1886, kirche zu Minden umgekehrt in den Fußboden
80. Das Grabmal kann erst im 12. Jahr- eingelassen befinden (Das Rationale in der
hundert entstanden sein. Außer der Archi- abendländischen Kunst 22).
Viertes Kapitel. Das Rationale.
689
der Stickerei gilt das gleiche, was früher von den bestickten Kasein des Bam-
berger Domschatzes bemerkt wurde. Tiefsinnig ist der Bilderschmuck des Ornat-
stückes. Auf den Schulterscheiben sind in der Mitte zwei einander begegnende
bzw. zwei einander sich küssende Frauengestalten dargestellt, deren Bedeutung
durch die Umschrift: Misericordia et veritas obviaverunt sibi und:
Iustitia et pax osculatae sunt (Ps 84, 11) gekennzeichnet ist, die
Symbole des Alten und des Neuen Bundes. Um sie herum sind, durch ein
Blattornament voneinander getrennt, je sechs Brustbilder angebracht, laut
Beischrift die zwölf Stämme Israels darstellend. Die vor der Brust und im
Rücken herabfallenden Teile des Ornatstücks setzen sich aus zwei schmalen
seitlichen Vertikalstreifen und einem etwas kürzeren Mittelfelde zusammen.
Die Vertikalstreifen enthalten je drei Halbbilder der zwölf Apostel. Im mittleren
Felde ist auf der Rückseite das Lamm der Apokalypse abgebildet, um-
geben von Engeln und von den Evangelistensym-
bolen. Von den Engeln reicht einer dem
hl. Johannes eine Rolle zum Schreiben, ein
anderer bläst in eine Posaune. Über dem
Mittelfelde gewahrt man den Weltenrichter,
rechts und links von einem Engel begleitet.
Auf der Vorderseite füllt eine großartig ge-
dachte Allegorie der Kirche die Mitte. Unter
fünftürmigem Überbau , der mit Behängen
drappiert ist, steht Christus, der neue Salomon,
der rex pacificus, wie es auf dem Rationale
heißt, auf einer Estrade, dem ferculum Salo-
monis und reclinatorium aureum, zu der rechts
und links ein Aufstieg führt. Der Überbau
ruht auf zwei Säulen, den columnae argenteae,
neben denen Petrus und Paulus, die Säulen
der Kirche, stehen. In dem Aufstieg zur Linken
sehen wir Märtyrer, von denen einer als Ste-
phanus bezeichnet ist , in dem Aufstieg zur Bild 309. Vom Grabmal des Bisehofs
Rechten den Herold der Liebe, Johannes Ev. Heinrich von Absberg (f 1492).
r, ■ -tut J...1 -n • i i .. • i Kegensburg, Dom.
Zwei Wege fuhren zum In-iedenskomg, das
Martertum, der ascensus purpureus, und die Liebe. Vor der Estrade erhebt sich
in der Mitte eine Frauengestalt, die Kirche, zu deren Füßen die Halbbilder
zweier anderer Frauen angebracht sind, die ausdrücklich als Maria und Martha
bezeichnet sind, das beschauliche und das tätige Leben. Zahlreiche Beischriften
erläutern auf der Vorderseite wie auf der Rückseite das Bildwerk. Die Dar-
stellungen der Vorderseite beruhen ganz auf der Apokalypse, die der Rück-
seite im wesentlichen auf dem Hohenlied und seinen mystischen Deutungen
bei den alten Exegeten 1.
1 Es sei übrigens bemerkt, daß das Bam-
berger Rationale wohl nie ein selbständiges
Ornatstück darstellte, sondern von Anfang
an einer Kasel aufgestickt war. Es beweist
das der Umstand, daß auf der Rückseite der
Heiland mit den beiden Engeln zu seinen Seiten
nicht innerhalb des Mittelfeldes, sondern
über demselben angebracht ist. Er kann auch
nie innerhalb desselben gestanden haben, wie
Braun, Die liturgische Gewandung.
die Maßverhältnisse der Vorder- und Rück-
seite des Rationale bekunden. Es muß dieses
daher von Beginn an auf einer Kasel seinen
Platz gehabt und der Kaselstoff für dasselbe als
Stickgrund gedient haben. Auf dem Regens-
burger Rationale, das unzweifelhaft als selb-
ständiges Ornatstück gedacht und ausgeführt
wurde, hat der Heiland mit den Engeln auf dem
Mittelfeld der Rückseite eine Stelle gefunden.
U
690
Vierter Abschnitt. Die Insisuien.
Sehr gut
Kationale
läßt sich die Entwicklung
Regensbu r 2 verfol-
zn
wo Siegel, Glasgemälde, Grabmäler
des
gen,
und sonstige Monumente samt zwei wirk-
lichen Rationalien reiches Material zum
Studium des Ornatstückes bieten. Für die
ältere Zeit sind es die Siegel, welche uns
über die Form des Ornatstückes Aufschluß
geben, in der späteren namentlich die
Grabmonumente. Die Siegel beginnen bei
Hartwig I. (1106—1126). Bis zu Konrad V.
von Luppurg (1296 — 1313) hat das Ratio-
nale auf ihnen eine dem Pallium durchaus
verwandte Gestalt. Fast der einzige Punkt,
durch welchen es sich von diesem unter-
scheidet, ist die merklich größere Kürze
seines Behanges. Scheiben auf den Schul-
tern kommen erst seit der Mitte des
13. Jahrhunderts vor. Doppelbehänge treten zuerst bei Nikolaus von Stacho-
witz (1313—1340) und Friedrich von Nürnberg (1342—1368) auf. Auf den
Grabmälern erscheint dann das Gewand als förmlicher mit Doppelbehängen aus-
gestatteter Kragen (Bild 309, S. 689).
Bild 310. Rationale (Vorderseite).
München, Natioualmuseum.
Von den beiden noch erhaltenen Regens-
burger Rationalien befindet sich eines im Dom zu Regensburg, das andere
in dem kgl. bayr. Nationalmuseum zu München, wohin es von Schloß Tießling
bei Mühldorf kam. Nach Tießling scheint es im Nachlaß des Bischofs Franz
Wilhelm von Wartenberg
Das Rationale im
Dom zu Regensburg 1
ist eine Kopie des Barn-
Rationale , das
nicht bloß was die
(1649 — 1661)
gelangt
zu sein.
Mi,
berger
es
Form, sondern auch was
das Bildwerk betrifft,
von unwesentlichen Ver-
änderungen abgesehen,
getreu wiedergibt.
Be-
züglich der Form weicht
es darin von seiner Vor-
lage ab, daß die Dar-
stellung des Weltenrich-
ters bei ihm auf dem
Mittelfeld der Rückseite
einen Platz erhielt, wäh-
rend sie beim Bamberger
Rationale über diesem
angebracht ist. Die
Folge war, daß dem
Nationaluiuseum.
1 Abbildung bei C a h i e r , Ivoires 196 s c h m i d t
199. De Farcy pl. 6 und P. ßeda Klein- Nr 48.
in Kirchenschmuck , Graz 1904,
Viertes Kapitel. Das Rationale.
691
mittleren Teil eine größere Länge gegeben werden mußte. Was die Bilder
anlangt, so unterscheidet sich das Regensburger Rationale von seinem Bam-
berger Vorbild nur durch Vereinfachung der Inschriften. Der Hauptunterschied
zwischen beiden Gewändern betrifft den Stil des Bildschmuckes und die Technik.
In dem einen wie in der andern steht das Regensburger ungleich höher als
das Bamberger Rationale. Während bei diesem nur das Bildwerk gestickt
wurde, ist bei jenem alles, auch der Bond, in Stickerei ausgeführt. In Seide sind
hergestellt die Fleischpartien, das Haar, die Konturen und einiges sonstige
kleinere Detail. Alles übrige ist in entwickeltster Abhefttechnik in Gold ge-
stickt. Die Hand, welche das
Rationale schuf, hat es meister-
lich verstanden, durch Wechsel
im Abheften und in der Lage-
rung der Goldfäden die ver-
schiedensten Effekte zu erzielen.
Sie hat überall nach Maßgabe
des Gegenstandes gearbeitet.
Auch zeichnerisch betrachtet
sind die Darstellungen vorzüg-
lich ; sie sind ebenso ausdrucks-
voll wie edel in der Form.
Wann diese Kopie nach
Regensburg gekommen ist,
läßt sich nicht feststellen. Für
Regensburg angefertigt ist sie
jedoch wohl kaum, da den Bild-
werken zufolge das Rationale
daselbst erst um das zweite
Viertel des 14. Jahrhunderts
eine dem Bamberger verwandte
Form annahm.
Das Rationale im kgl.
bayr. Nationalmuseum (Bild
310 und 311) ist eine getreue
Kopie des Regensburger. Es
entstand, wie es scheint, in
der ersten Hälfte des 16. Jahr-
hunderts und ist für die da-
malige Zeit nicht ungeschickt gearbeitet
Bild 312. Rationale. Krakau, Dom.
Am wenigsten gelang es der Hand
des Stickers oder der Stickerin, den Stil der Vorlage wiederzugeben. Bezeich-
nend ist, daß die Inschriften entweder ganz weggelassen oder durch neue
ersetzt wurden, bei denen die reiche Allegorie, welche den Bilderschmuck
beherrscht, kaum mehr zur Geltung kommt. Die mystischen Auffassungen
waren eben andere geworden.
Keine besondere Entwicklung hat das Rationale zu Würzburg er-
fahren; es erscheint hier von seinem ersten Auftreten unter Emehard bis
zum Augenblick, da es durch das Pallium ersetzt wird, auf den Monumenten,
Siegeln wie Grabmälern, als palliumartiges Ornatstück. Es sind im ganzen
vielleicht etwa drei Siegel, auf welchen es eine etwas abweichende Form zeigt,
zwei Siegel Embrichos von Leiningen (f 1146) und ein
Siegel
44*
Herolds
692
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
von Höchheim (f 1172). Sie sind jedoch um so weniger von Bedeutung, als
es auf andern Siegeln derselben Bischöfe die normale Bildung hat.
Von eigentümlicher Art ist das Krakauer Rationale. Es besteht aus
zwei den Schultern aufliegenden Streifen, welche vor der Brust und im Rücken
unter einem rechten Winkel zusammenstoßen. Über diesen Kreuzungsstellen
ist eine in Gold gestickte Rundscheibe mit dem Bild des Gotteslammes an-
gebracht, an welche zwei mit Fransen besetzte, schmälere Behänge angesetzt
sind. Die den Schulterstreifen in Gold aufgestickten Inschriften sind zurzeit
verderbt. Nach einem Inventar von 1563 lauteten sie: DOCTRINA VERITAS
ET PRVDENS SIMPLICITAS1. Auf den Behängen ist der Name der Stifterin
verewigt : Hedwigis regina filia regis Lodovici (Bild 312, S. 691). Die mit Fransen
verzierten Endstücke weisen die Wappen von Polen, Ungarn und Anjou auf.
Die Rationalien, welche in den Prager Inventaren erwähnt werden,
besaßen nach dem früher Gesagten wohl eine dem Pallium verwandte Form.
Zu Lüttich zeigte das Rationale, wie das Siegel Johannes' von Heins-
berg (Bild 313) bekundet, schon wenigstens im frühen 15. Jahrhundert den Typus,
welchen das Bamberger und dessen Abkömmlinge aufweisen. Doch waren
Vorder- und Rückteil kürzer; auch liefen beide nicht in zwei, sondern in
drei Streifen aus. Außerdem haben die Schulterstücke auf den späteren Bild-
werken nicht Scheiben-, sondern Halbkreisform wie beim Touler. Vielleicht daß
schon im 12. Jahrhundert das Gewand zu Lüttich eine ähnliche Form wie
das Bamberger hatte. Das Rationale, welches auf dem früher erwähnten
Email des St Heribertsschreines sich findet, hat allerdings das Aussehen eines
Schulterbandes, dem drei kurze Streifen angesetzt sind, einer in der Mitte
der Brust und je einer vor den Schultern ; dagegen scheint es auf dem Siegel
Rudolfs von Zähringen aus zwei Mittelteilen und zwei verbindenden Schulter-
stücken zu bestehen2.
Sehr mannigfach ist das Rationale auf den Darstellungen der Touler
Bischöfe. Auf dem Siegel Peters von Brizey (f 1192) hat es die Form eines die
Schultern, die Brust und den Rücken umziehenden Bandes, an dem kleine, durch
bogenförmige Zacken getrennte Kreuzchen hangen. Bei Odo von Sorcy (f 1228)
befindet sich in der Mitte der Brust über dem Ring ein mächtiges Rund-
medaillon, von dem zwei kurze Streifen herabfallen. Beim oberflächlichen
Zuschauen könnte man auf den Glauben kommen, es bestehe aus zwei Bändern,
die sich vor der Brust kreuzen. Als Schulterband, dem zwei getrennte Behänge
angebracht sind, erscheint das Rationale zuerst auf dem Siegel Thomas' von
1 Inventar 1563, f. 39. Nach gütiger Mit-
teilung meines Ordensbruders P. Overmans.
2 Nach Gori (Thesaurus veterum diptych.
I, Florentiae 1759, 11) besaß man gegen die
Mitte des 18. Jahrhunderts in der Kathedrale
zu Lüttich noch ein Rationale in Form eines
Palliums, das 6 Zoll (= 0,16 m) breit und
zur Zeit , als Gori es sah , einer Kasel als
Kaselkreuz aufgenäht war. Am unteren Ende
der Rückseite bemerkte der Berichterstatter
eine Bisehofsfigur in Pluviale und Mitra. Er
hielt sie für eine Darstellung Stephans IX.,
der angeblich nach der Lütticher Chronik
(s. oben S. 684) dem Bischof Theodwin für
ihn und seine Nachfolger die Erlaubnis gab,
das Rationale (Superbumerale) zu tragen, und
vermutete, es sei das fragliche Rationale
eben jenes Superbumerale, welches StephanlX.
dem Bischof damals zum Geschenk übersandt
haben sollte. Indessen wird diese Annahme
widerlegt durch die Beschreibung, welche
Gori von der Bischofsflgur gibt. Überhaupt
kann es wohl nicht zweifelhaft sein, daß es
sich bei dem angeblichen Rationale nur um
ein Gabelkreuz gehandelt hat. Die Breite
und die auf das späte Mittelalter, in dem
das Lütticher Rationale nach Ausweis der
Siegel ein Schulterkragen war, hinweisende
Bischofsfigur bekunden das. Gori hatte, das
zeigen seine Ausführungen, von dem Gabel-
kreuz der mittelalterlichen Kasein keine
Ahnung.
Viertes Kapitel. Das Rationale.
693
Bourlemont (f 1353). Bei der Grabfigur Heinrichs von Ville (f 1436) ist der
Ring am unteren Rand außerdem mit Fransen eingefaßt, bei derjenigen des Bi-
schofs Hugo (f 1517) haben sich zu den Behängen halbkreisförmige Ansätze über
den Schultern gesellt. Es ist das die Form, welche die Statuta von Toul aus
dem Jahre 1497 mit den Worten beschreiben: Est stola larga, fimbriata, cir-
cuiens desuper humeros cum duobus manipulis dimissis ante et retro et
circa spatulas ex utraque parte in modum scuti rotundi lapidibus pretiosis
cooperti. Bei einem Bilde des hl. Mansuetus in der Krypta der Kapelle des
Faubourg St-Mansuy zu Toul (Beginn des 16. Jahrhunderts) ist das Ornat-
stück ein förmlicher Kragen, der mit zwei halbkreisförmigen Schulterstücken
geschmückt ist und unten die üblichen streifenartigen Behänge aufweist.
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so lassen sich im ganzen drei
Haupttypen des Rationale unterscheiden. Typus I gibt ein Yförmiges Pallium
wieder, nur daß der Behang weniger lang und die Ornamentation ungleich
reicher und freier ist. Typus II gleicht einem T förmigen Pallium, bei welchem
der eine Streifen in der Mitte durch
zwei kurze, nach den Seiten zu ange-
brachte ersetzt ist. Bei Typus III,
der schon im Bamberger Kationale ge-
geben erscheint, tritt eine Verwandt-
schaft mit der erzbischöflichen Insignie
kaum zu Tage, um so mehr aber die
Reminiszenz an den alttestamentlichen
hohenpriesterlichen Schulterschmuck.
Dem Typus I kann als Nebentypus die
Form hinzugezählt werden, welche im
Krakauer Rationale und auf dem Siegel
des Touler Bischofs Odo von Sorcy ver-
treten ist.
Typus I erhielt sich bis in die
Neuzeit zu Würzburg. Zu Eichstätt und
Regensburg zeigt das Rationale zu-
Bild 313. Siegel des Lütticher Bischofs
Johannes von Heinsberg (1419 — 1455).
nächst Typus I, hierauf Typus II, um
dann gegen Ende des Mittelalters langsam in den im Bamberger Rationale ver-
körperten Typus III überzugehen. Ob auch zu Paderborn zwischen den
ursprünglichen Typus I und den späteren Typus III (der freilich nicht ganz
rein ist, da die Scheiben fehlen) Typus II sich als verbindendes Mittelglied
einschob, läßt sich beim Mangel an Monumenten nicht bestimmen. Zu Toul,
wo sich Typus I nur in der Form des Nebentypus nachweisen läßt, wie er durch
das Krakauer Rationale dargestellt wird, dauert Typus II im wesentlichen
unverändert bis zur Zeit fort, zu der das Rationale dort aus dem Gebrauch
verschwindet. Denn wenn sich auch um 1500 an dem Schulterband halb-
kreisförmige Scheiben einbürgern, so bilden diese doch nicht eigentlich die
Verbindung zwischen dem Brust- und Rückenteil , wie bei dem Bamberger
Rationale und dessen Regensburger Kopien, sowie bei dem Eichstätter Rationale.
Auch zu Lüttich ist Typus I nicht nachweisbar. Das Rationale auf der früher
erwähnten Emailplatte des Heribertsschreines gehört dem Typus II an, das
Rationale auf dem Siegel Rudolfs von Zähringen dagegen, wenn anders es
sich hier um das Rationale handelt, dem Typus III, wie es scheint. Die Lütticher
Bischofssiegel des 14. und 15. Jahrhunderts gestatten zum Teil kein genaues
694 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Urteil über den Typus, den das Rationale auf ihnen vertritt. Klar erscheint
Typus III auf dem Siegel Johannes' von Heinsberg.
Für die Ornamentation des Gewandes gab es keine Regeln. Das be-
kundet zur Genüge der bunte Wirrwarr, den die Rationalien auf den Monu-
menten hinsichtlich ihrer Verzierung bieten. Man betrachte nur die Minia-
turen des Gundekarpontifikale oder die Siegel und Grabmäler der Würz-
burger und Regensburger Bischöfe. Hätte es irgend welche Normen für die
Verzierung des Rationale gegeben, so hätten die Künstler, deren Hand die
Bildwerke schuf, unmöglich ihrer Phantasie so freien Lauf lassen können, wie
sie es wirklich getan haben.
An dem Saum des Rationale brachte man, wie die Bildwerke bekun-
den, gern Glöckchen an. Auch der St Gallener Kodex bezeugt das: Tintin-
nabulis resonans. Das gleiche tun die Kustodierechnungen des Bamberger
Domes zum Jahre 1544. Erhalten haben sich noch einzelne Schellchen an
den Rationalien zu Regensburg und Eichstätt.
V. URSPRUNG DES RATIONALE.
Über den Ursprung des Rationale im Sinne eines pontifikalen Schulter-
schmuckes hat man die verschiedensten Hypothesen aufgestellt.
Nach einer derselben kommt es von einem Tunikabesatz her, der uns im
Bilde auf altchristlichen und mittelalterlichen Monumenten , in Wirklichkeit bei
den koptischen Grabfunden begegnet und aus zwei auf den Achseln angebrachten
Scheiben und zwei von den Schultern bis über die Brust sich herabziehenden Streifen
besteht. Es soll sich diese Verzierung, zu der oft noch eine den Kopfdurchlaß ver-
zierende Borte kam. im Mittelalter losgelöst haben und als selbständiger Schulter-
schmuck zu einem Distinktivum kirchlicher Dignitare geworden sein. Dieser Meinung
widerspricht indessen, daß wir den Besatz nur bei der Tunika, nicht aber auch bei
der Planeta (Kasel) antreffen. Wie soll also, fragen wir wohl nicht mit Unrecht,
das von der Tunika losgelöste Ornament den Charakter eines über der Kasel an-
gelegten selbständigen Gewandes erlangt haben? Außerdem ist das Bationale nur in
Deutschland und den angrenzenden Teilen von Deutschland in Gebrauch gewesen, hier
aber hat man den fraglichen Besatz der Tunika nicht gekannt. Endlich stimmt die
Hypothese durchaus nicht mit dem überein, was die Monumente uns von der anfäng-
lichen Form des Ornatstückes und seiner Entwicklung zu erzählen wissen.
Andere glauben, das Rationale bzw. Superhumerale habe sieh aus der breiten,
kragenartigen Verzierung gebildet, welche wir nicht selten auf Bildwerken des 12. und
13. Jahrhunderts um den Kopfdurchschlupf' der Kasel herum angebracht sehen. Allein
wir treffen eine solche Verzierung nicht bloß bei der Kasel, sondern auch bei der
Dalmatik und Tuniceila an; ja nicht bloß bei Geistlichen, sondern auch bei Laien,
Männern und Frauen. Außerdem erscheint dieser nicht selten geradezu bizarre und
phantastische Besatz des Meßgewandes niemals als Besonderheit eines bestimmten
Bischofs, noch auch als irgend einem Land eigentümlich ; denn wir begegnen ihm
ebensowohl auf französischen und italienischen wie englischen und deutschen Bild-
werken, und zwar auch noch dann, als das Rationale schon längst als Auszeichnung
bestimmter Bischöfe in Gebrauch war. Wie kam es, daß wir trotzdem das Ornatstück
nur bei deutschen Bischöfen und bei ein paar Deutschland benachbarten Prälaten finden?
Wie, daß jener Kaselbesatz ein Gewandstück wurde, zu dessen Benutzung man eines
Privilegs des Apostolischen Stuhles bedurfte, weil es als eine Art von Gegenstück des
Palliums galt? Wie, daß das Rationale von Anfang an in ganz bestimmten Typen
auftritt, die mit jenem Kaselbesatz bei genauem Zusehen formell wenig oder keine
Verwandtschaft bekunden? Wie endlich, daß wir diesen, nachdem er angeblich zum
bischöflichen Rationale geworden war, vor wie nach immer wieder auf den Monu-
Viertes Kapitel. Das Rationale. 695
menten dargestellt sehen? Nimmt man die Sache freilieh bloß als Möglichkeit, so
ist es gewiß denkbar, daß sieh das Bationale in der Weise bilden konnte, wie es die
Hypothese will ; allein es kommt nicht darauf an, was absolut genommen geschehen
konnte, sondern was nach Maßgabe der tatsächlichen Verhältnisse wirklich geschehen
sein wird.
Eine dritte Hypothese leitet das Rationale vom päpstlichen Fano ab, mit dem
es identisch sein soll. Sie übersieht jedoch, daß der Fano im Grunde nichts anderes
ist als der gewöhnliche Amikt; daß er noch im 12. und 13., ja 14. Jahrhundert ein
wirklicher Amikt war, der freilich statt unter der Albe über derselben getragen wurde ;
endlich daß er noch gegen Ende des Mittelalters ein förmliches Tuch darstellte und
erst zu einer Art von Schulterkragen wurde, als das gewöhnliche Humerale in die
Pontifikalkleidung des Papstes Aufnahme fand. Ebenso läßt sie ganz außer acht,
daß das Rationale zu keiner Zeit mit dem Fano irgend welche Ähnlichkeit hatte,
sondern stets als ein ganz eigenartiger Schmuck auftritt, mag es nun als ein dem Pallium
formverwandtes Ornatstück, oder, wie zu Bamberg , als eine Art Schultergewand
erscheinen.
Eine vierte Theorie führt das Rationale auf ein gallikanisches bischöfliches
Pallium zurück, indem sie im Anschluß an Ruinart auf Grund des Konzils von Mäcon
in der altgallischen Kirche ein bischöfliches Pallium im Sinne eines spezifisch bischöf-
lichen Abzeichens und Ehrenschmuckes annimmt. Allein, hat es denn wirklich ein galli-
kanisches bischöfliches Pallium gegeben? Unseres Erachtens ist das zum mindesten sehr
unwahrscheinlich. Das Pallium, von dem die gallikanische Meßerklärung und die Synode
von Mäcon reden, kann allem Anschein nach nur im Sinne der bischöflich-priester-
lichen Stola verstanden werden *. Jedenfalls ist bisher in keiner Weise bewiesen
worden, daß noch im 9. und 10. Jahrhundert das angebliche gallikanische Pallium
in Gebrauch war. Im Gegenteil kann es wohl kaum zweifelhaft sein, daß ein solches
damals nicht zur Verwendung kam , gleichviel , wie es sich früher verhalten haben
mag. Keiner der Liturgiker weiß etwas von ihm , nicht einmal Hraban, der doch
den deutschen Brauch gewiß kannte ; kein Monument bringt uns von ihm Kunde :
diese wie jene kennen nur ein Pallium, das römische. Und wenn das Rationale nichts
anderes als das gallikanische Pallium ist, wie kommt es denn, daß es bei seinem
ersten Auftreten alsbald drei verschiedene Typen aufweist, von denen einer in aller
Klarheit als Nachbildung des hohenpriesterlichen Schulterschmuckes erscheint? Wie,
daß das Rationale gerade im Heimatlande des gallikanischen Palliums nirgends nach-
weisbar ist, sondern nur auf deutschem Boden und bei ein paar den deutschen
Grenzen benachbarten Bischöfen?
Eine fünfte Meinung will das Rationale von dem Schulterschmuck des alt-
testamentlichen Hohenpriesters herleiten. In der Tat kann es wohl nicht bezweifelt
werden, daß die Erinnerung an jenen auszeichnenden Ornat Aarons und seiner Nach-
folger auf die Entstehung des Rationale von irgend welchem Einfluß war. Das be-
weist nicht bloß der Name, den das Ornatstück von jeher geführt hat, das zeigen auch
die Erinnerungen an den jüdischen pontifikalen Schulterschmuck, die beim Bamberger
Rationale unverkennbar in der Form wie in dem Bilderschmuck zu Tage treten. An
die am Ephod, dem Sehultergewand, angebrachten Schulterstücke, auf denen je sechs
Namen der Stämme Israels angebracht waren, gemahnen hier deutlich die Scheiben
mit den Darstellungen von je sechs Söhnen Jakobs, an die Brustplatte mit den Namen
der zwölf Stämme, die auf den beiden Blättern des Bamberger Ornats sich findenden
Apostelbilder. Eine Kopie des alttestamentlichen hohenpriesterlichen Schulter- und
Brustornats ist das Rationale zu Bamberg freilich nicht. Allein abgesehen davon,
daß es bei der Dunkelheit der Berichte, welche die Heilige Schrift und Flavius Josephus
über den Schmuck geben, unmöglich war, diesen schlechthin nachzubilden, verboten
auch die veränderten Verhältnisse, ihn herüberzunehmen, ohne ihn mit christlichem
Gehalt erfüllt zu haben.
1 S. oben S. 674 f.
(396 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Indessen ist die Erinnerung an das Schultergewand und das Rationale
des alttestamentlichen Kultus nicht der einzige Faktor, dem der uns hier
beschäftigende pontifikale Schulterschmuck sein Dasein verdankt. Sie kann
nicht einmal als der Hauptfaktor betrachtet werden. Die verschiedenen Typen,
welche das Rationale bereits bei seinem ersten Auftreten aufweist, lassen
keinen Zweifel, daß noch ein anderer auf seine Entstehung eine Einwirkung
ausgeübt hat, ja, wie es scheint, sogar eine größere als. der Hinblick auf den
hohenpriesterlichen Ornat des mosaischen Kultus : das Bestreben, einen dem
Pallium analogen bischöflichen Schmuck zu schaffen, der den Bischöfen eine
Art von Ersatz der ihnen nicht zustehenden erzbischöflichen Insignie bieten
sollte. Wie bei dem Bamberger Rationale die Beziehung zum Ornat des
Hohenpriesters unverkennbar ist, so liegt bei der Form, welche das Ornatstück
ursprünglich zu Regensburg und Eichstätt hatte und zu Würzburg bis zum
17. Jahrhundert behielt, der Anklang an das Pallium offen zu Tage. Selbst
Typus II, der schon auf den Bildern Sigeberts von Minden vertreten ist,
erinnert, weil ein Schulterband darstellend, klar an die erzbischöfliche Insignie.
Aber auch aus den Bullen, in welchen Innozenz II. den Bischöfen
Adalbero IL von Lüttich und Bernhard I. von Paderborn das Recht ver-
leiht, das Rationale zu tragen, erhellt, daf3 wirklich beide Faktoren bei Ent-
stehung des Ornatstückes mitgewirkt haben.
„Billig ist es, daß Du", so heißt es in der zweiten, „für die Willfährig-
keit, welche Du gezeigt, vom Apostolischen Stuhl einer besondern Ehrung
teilhaft werdest und . . . zeitlich Avie geistlich willkommenen Vorteil empfangest.
Und weil Du wie ein anderer Aaron zum Gipfel der bischöflichen Würde durch
Gottes Walten berufen und an Stelle Moses' zum Herrscher und Leiter des
christlichen Volkes hingestellt wardst, so machen wir Dich auch ihrer Aus-
zeichnung teilhaft und verleihen Dir und Deinen Nachfolgern aus des Aposto-
lischen Stuhles Gnade den Gebrauch des Rationale." In der für Adalbero
bestimmten Bulle aber sagt der Papst: „Und wie sie (die römische Kirche)
als gute Mutter ihre Kinder zu Hohem erhebt und andere zu Patriarchen,
andere zu Erzbischöfen, andere zu Bischöfen macht, so ziert sie aus der reichen
Fülle der ihr von Gott verliehenen Gaben dieselben auch voll Milde mit dem
Schmuck verschiedener Abzeichen."
In der zweiten Bulle erscheint das Rationale in aller Bestimmtheit als
Gegenstück des erzbischöflichen Palliums. Daher denn auch seine Verwen-
dung ähnlichen Beschränkungen unterlag. Es durfte gerade wie das Pallium
nur im Bereich der eigenen Diözese, und zwar bloß bei wenigen ausdrücklich
festgesetzten Gelegenheiten und Festen, getragen werden. Dazu war sein
Gebrauch nur in der Kirche, also z. B. nicht bei Prozessionen, gestattet.
„Wir verordnen", sagt die für Bernhard von Paderborn erlassene Bulle,
„daß Du Dich des Rationale nur in Deiner Diözese innerhalb der Kirche am
Gründonnerstag, an Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, am Geburts-
fest Johannes' d. T., an den Festen der Apostelfürsten und der Gottesmutter,
am Allerheiligenfeste, an Epiphanie. am Feste des hl. Liborius, bei der Ein-
weihung von Kirchen und der Ordination der Kleriker und am Jahrestag
der Konsekration der Kathedralkirche bedienest." Ähnlich lauten die Be-
stimmungen der Bulle, in welcher Innozenz IL Adalbero den Gebrauch des
Rationale gestattet.
Noch bezeichnender für den Ursprung des Rationale übrigens als die
Bullen Innozenz' IL ist die Bulle Johannes' XIX. für Poppo von Aquileja. Denn
Viertes Kapitel. Das Rationale.
697
wenn irgendwo, so erscheint gerade in ihr das Rationale in aller Bestimmt-
heit als Gegenstück und als Ersatz des Palliums für den Patriarchen bei der
Feier der Messe an den niederen Festen, an welchen ihm der Gebrauch des Pal-
liums selbst untersagt war. Wenn man aber das Ornatstück Rationale nannte
und ihm eine von dem Pallium mehr oder weniger abweichende, von Erinne-
rungen an den alttestamentlichen hohenpriesterlichen Schulter- und Brust-
schmuck beeinflußte Form gab, so geschah das zweifelsohne, um es von dem
Pallium zu unterscheiden und einer Verwechslung beider Ornatstücke vor-
zubeugen i.
Wie aber kam es, daß das Rationale erst um den Ausgang des zehnten
Jahrhunderts auftauchte, und zwar gerade in Deutschland? Eine bestimmte
Antwort läßt sich auf diese Fragen leider nicht geben. Immerhin muß auf zwei
Punkte aufmerksam gemacht werden, welche einiges Licht auf sie zu werfen
geeignet sind. Daß es überhaupt zu einer Einführung des Rationale kam,
dürfte mit dem gleichzeitigen lebhaften Streben zusammenhangen, die Ponti-
fikalgewandung möglichst glänzend und reich auszugestalten. Die Zeit, in
der uns das Rationale zum erstenmal begegnet, sah nicht bloß die Gewand -
schränke der Dome sich mit den kostbarsten Ornaten füllen wie kaum zuvor
— man denke nur an die goldgestickten Prachtkasein im Schatz des Bamberger
Domes — , sondern bereicherte die Pontifikaltracht auch um die pontifikalen
Handschuhe, das Subcinctorium und die Mitra. Daß aber das Rationale gerade
auf deutschem Boden entstand und Verbreitung fand, mag mit der hervor-
ragenden Stellung zusammenhangen, welche hier der Episkopat vor den übrigen
Ländern einnahm, zumal aber seit den Tagen der Ottonen.
VI. DAS RATIONALE ALS BISCHÖFLICHER BRUSTSCHMUCK.
Außer einem Rationale im Sinne eines Schulterschmuckes begegnet uns
im Mittelalter hie und da auch ein Rationale in der Bedeutung eines Brust-
schmuckes. Von Rationalien dieser Art reden, wie wir früher schon hörten,
1 Wenn Eisenhofer in seiner trefflichen
Schrift über das bischöfliche Rationale (S. 31)
meint: „Will man . . . nicht zu der in der
liturgischen Tradition nicht begründeten und
historisch sehr anfechtbaren Hypothese seine
Zuflucht nehmen , daß das Rationale seine
Entstehung einer gewissen Konkurrenz gegen
das erzbischöfliche römische Pallium ver-
dankt, so sieht man sich zur Annahme ge-
nötigt , daß das Pallium-Rationale nach
Deutschland kam aus einem Lande, wo das-
selbe schon längst bekannt und in Gebrauch
war"; dazu die Fußnote: „Es ist ganz un-
denkbar , daß die Metropoliten oder der
römische Stuhl ein solches Unterfangen ge-
duldet haben würden", so gibt es erstens
doch auch andere Erscheinungen in der Sa-
kralkleidung, die nicht in der liturgischen
Tradition begründet waren; man denke nur
an die Handschuhe und die Mitra, an die
Pariiren der Albe und des Amikts u. a.
Ebenso darf wohl an das Bestreben so man-
cher Abte, den Bischöfen gleich das Recht
zum Gebrauch der Pontiflkalgewänder zu
erlangen, erinnert werden. Dann aber geht
es auch angesichts der tatsächlichen Ver-
hältnisse , namentlich aber angesichts des
Wortlautes der päpstlichen Bullen , wohl
nicht gut an , von einer historisch sehr an-
fechtbaren Hj'pothese zu reden. Wäre die
Einführung des Rationale der Ausdruck des
Bestrebens gewesen, mit diesem Ornat zu-
gleich eine Art von Exemtion von der
Metropolitangewalt und gewisse Jurisdik-
tionelle Rechte zu erlangen , so hätte
Eisenhofer gewiß recht , daß weder die
Metropoliten noch der Papst ein solches
Unterfangen geduldet haben würden. Allein
den Sinn hatte sie in keiner Weise. Das
Rationale war nur Schmuck , der keinerlei
Rechte, nicht einmal die Präzedenz brachte,
ähnlich wie die Mitra oder, wenn man will,
das Bischöfen verliehene Pallium. Darum
hat sich denn auch nie eine Opposition gegen
die Ingebrauchnahme des Rationale geregt,
noch haben die Päpste je Bedenken gefunden,
Bischöfen als Auszeichnung den Gebrauch
des Rationale zu gestatten.
698
Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Ivo, Honorius und Sicard. Bei dem Rationale, von dem Ivo spricht, hat man
allerdings an das erzbischöfliche Pallium gedacht; jedoch macht es der Zu-
sammenhang mehr als wahrscheinlich, daß auch er bei seinen Worten einen
bischöflichen Brustschmuck im Sinne hat. Hie ornatus solius erat pontificis,
sicut et nunc est apud eos, quibus eo uti concessum est propter distantiam
maiorum et minorum sacerdotum, schreibt er, nachdem er den Brustschild des
alttestamentlichen Hohenpriesters mystisch gedeutet hatte. Auch in dem
Sakramental' Ratolds, das ursprünglich für die Kathedrale zu Arras bestimmt
war, ist unter dem Rationale wohl ein Brustschild zu verstehen, falls nicht
etwa, wie früher gesagt wurde, damit eine Amiktverzierung gemeint ist.
Von einem Rationale dieser Art berichtet um 1200 ein Mönch des
Klosters Admont. Bischof Gebhard von Salzburg (f 1088), so erzählt er,
hatte es, als er zu Gesandtschaftszwecken am byzantinischen Hofe weilte,
vom Kaiser zum Andenken erhalten, weil er dessen Sohn getauft hatte. Es
war aus Gold und Edelsteinen verfertigt, hing an goldenen Ketten und wurde
auf 1000 Mark gewertet. Das Kleinod ging, wie der Admonter Mönch klagt,
leider schon 1085 in den Wirren, welche der Eindringling
Berthold anstiftete, schmählich zu Grunde1.
Rationalien im Sinne eines auf der Brust über der
Kasel befestigten bischöflichen Brustschildes haben sich
aus dem Mittelalter nicht erhalten. Dagegen gibt es eine
Anzahl von Bischofsdarstellungen aus dem 12. und 13. Jahr-
hundert, welche das Rationale aufweisen und treffliche
Illustrationen zu den Ausführungen eines Ivo und Honorius
bilden. So findet sich der Brustschmuck beipielsweise auf
den Siegeln der Münsterischen Bischöfe Werner (f 1151),
Ludolf (f 1248), Wilhelm (f 1260), der Paderborner Bi-
schöfe Bernhard III. (f 1223), Bernhard IV. (f 1247),
Simon I. (f 1277), der Mindener Bischöfe Johann (f 1253), Wilhelm I. (f 1242)
und Widekind I. (f 1261) 2, der Mainzer Erzbischöfe Christian (f 1251), Ger-
hard I. (f 1259), AVerner (f 1284) 3, sowie auf dem Siegel des Mainzer Dom-
stiftes (Bild 123, S. 263). Auch auf sonstigen Monumenten begegnet es uns
nicht selten. Wir erwähnen hier nur die drei aus Maastricht stammenden
Reliquiare des Musee Cinquantenaire zu Brüssel mit den Darstellungen der
hll. Monulphus, Gondulphus und Valentin i, die Statuette des hl. Servatius
am Kopfende des Schreines des Heiligen in der St Servatiuskirche zu Maas-
tricht5, die Statue des hl. Gregor d. Gr. am Südportal der Kathedrale von
Chartres und ganz besonders die Figur des heiligen Papstes Klemens (Bild 314) 6
und die Bilder der Reimser Erzbischöfe am Nordportal und an der Fassade
der Kathedrale von Reims, sowie die nach deren Vorbild gearbeitete Statue
Klemens' II. im Dom zu Bamberg (Bild 315) 7.
Bild 314. Statue
des hl. Klemens.
Keims, Kathedrale.
1 Monachi Admont. Vita Gebehardi n. 8
(M. Gr. SS. XI 39). Eine Keliquienkapsel
oder ein Brustkreuz war das Rationale, nach
dem Bericht zu urteilen, wohl nicht.
2 Abbildungen in „Die westfälischen Siegel
des Mittelalters" Tfl 1 3 43 2 44 3 49 » 2 3 54 3 5 G.
3 Abbildungen bei Würdtwein, Nova
subsid. dipl. 111, tab. 18; IV, tab. 20.
■' Abbildung bei J. Destr^e, Les mus<5es
royaux du Parc du Cinquantenaire, livr. 5.
6 Abbildung bei Bock und M. "Willem-
sen, Die mittelalterlichen Kunst- und Re-
liquienschätze zu Maastricht, Köln 1872, 47.
G Abbildung der Statue des hl. Klemens
bei Bock I 3, Tfl 6.
7 Neueste Abbildungen bei A. W e e s e,
Die Bamberger Domskulpturen, Straßb. 1897,
Abb. 32 33. Die Bamberger Statue, auch bei
Hasak, Geschichte der deutschen Bildhauer-
kunst des 13. Jahrh., Berlin 1899, 64.
Viertes Kapitel. Das Rationale.
699
Der Brustschmuck, den wir auf den genannten Bildwerken antreffen,
ist meist von rechteckiger Form, doch auch wohl rund. Er ist bald größer,
bald kleiner, immer aber reich verziert, zumal mit Steinen. Angebracht ist
er oben über der Kasel hart unter dem Kopfdurchlaß. Er scheint im Ein-
klang mit den Angaben des Honorius fast immer an der Kasel befestigt zu
sein. Bei der Klemensstatue und den andern Bischofsdarstellungen am Portal
des Querbaues und an der Fassade der Kathedrale von Reims hängt das
Rationale an Kettchen, die unter der Parura des Amikts verschwinden.
Das Rationale im Sinne eines pontifikalen Brust-
schmuckes dürfte nie sehr verbreitet gewesen sein, viel-
leicht weniger verbreitet, als es nach den Bildwerken
scheinen könnte. Denn es kann wohl kaum einem Zweifel
unterliegen, daß es sich bei der Agraffe oder dem
agraffenartigen Schmuck, welche man auf diesen bei Bi-
schöfen vorn oben über der Kasel bemerkt, nicht selten
statt um das Rationale um eine dem Künstler zur Last
fallende Verzierung handelt. Wenn irgendwo bei Ver- ,
wertung der Monumente, dann ist bezüglich des in Frage
stehenden pontifikalen Brustschmuckes Vorsicht und nüch-
terne Zurückhaltung nötig.
In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ver-
schwindet der Schmuck von den Bildwerken. Wenn er
sich zu Reims länger auf ihnen erhielt, so hatte das seinen
Grund in dem Umstand, daß er hier tatsächlich fort-
dauernd Verwendung fand. War doch das Rationale im
Sinne eines Brustschildes nach Ausweis der Inventare
der Kathedrale von 1470 und 1518 daselbst noch um den
Beginn der Neuzeit im Gebrauch1. Es gab damals im
Schatz zwei Rationalien, ein größeres und ein kleineres.
Das größere bestand aus lauterem Gold und war mit
zwölf verschiedenfarbigen Edelsteinen besetzt, auf denen
die Namen der zwölf Kinder Israels eingegraben waren.
An seinen vier Ecken waren Ringe und Agraffen an-
gebracht. Die goldene Kette, mit der es am Hals auf- ^llcl ab-
gehängt wurde, wies auf den Schultern einen in Gold PaPst Elemens IL
. . -„ . Bamberg, Dom.
gefaßten Sardomx, im Nacken aber einen großen Kristall
auf. Das kleinere Rationale war ebenfalls aus Gold gemacht und mit gol-
dener Kette versehen, im übrigen aber ungleich einfacher; denn seine Verzie-
rung bestand nur aus einem freilich außergewöhnlich großen Sardonix, den
vier Smaragde und vier Rubine umgaben. Zu beiden Rationalien gehörten
drei silbervergoldete Nadeln, ad tenendum dicta rationalia cum casula, deren
Zweck also war, die Rationalien an der Kasel anzuheften, offenbar, um ein
ebenso unschönes wie lästiges Hin- und Herbaumeln des Schmuckes zu
verhüten 2.
1 Cerf, Dissertation sur le rational. Tra-
vaux de l'Acadeinie de Reims 1889, 251.
2 Vielleicht spielt schon um 1180 Petrus
Cellensis, damals Abt von St-Remi, in seinem
Brief an Erzbischof Wilhelm von Reims
an. Certe, schreibt er, hoc in rationali (das
Rationale) et superhumerali (Pallium) tuo,
pater amantissime, stylo ferreo . . . scribetur,
quod in vicariis Christi eligendis nulla te
movet humana gratia (Ep. 1. 2, ep. 17 [M. 202,
(t 1202) auf den fraglichen Brustschmuck 567]).
700 Vierter Abschnitt. Die Insignien.
Nach Ivo von Chartres war der Brustschmuck ein privilegiertes Ornat-
stück entweder der Bischöfe überhaupt oder doch solcher Bischöfe, denen das
besondere Vorrecht zu teil geworden war, sich seiner zu bedienen. Das
erste ist das wahrscheinlichere, um nicht zu sagen das richtige; denn in
einer späteren Äußerung weist Ivo das Rationale den Bischöfen schlechthin
im Gegensatz zu den Priestern zu1. Wirklich ist keine Bulle bekannt, in
welcher einem Bischof vom Apostolischen Stuhle eine Erlaubnis gegeben
worden wäre, den fraglichen Brustschmuck zu tragen. Wenn Johannes XIX.
dem Patriarchen Poppo von Aquileja gestattet, außer dem Pallium sich auch
des Rationale zu bedienen, so ist hier, wie aus dem Zusammenhang erhellt und
früher schon näher ausgeführt wurde , nicht ein Brustschmuck , sondern
ein dem Pallium analoges Schulterkleid zu verstehen. Auf den Bildwerken
findet sich der Brustschmuck auch wohl zugleich mit dem Pallium oder mit
dem Rationale im Sinne eines Schultergewandes vor.
Was den Ursprung des Brustschmuckes anlangt, so werden wir wohl
nicht fehlgehen, wenn wir auch ihn vor allem auf die im 11. Jahrhundert
zunehmende Prachtliebe in der Ausstattung der pontifikalen Gewandung zurück-
führen, also auf denselben Grund, dem das Rationale in der Bedeutung eines
Gegenstücks des Palliums vorzüglich sein Dasein schuldete. Der Gedanke
an einen solchen Schmuck mochte sich aber um so eher nahe legen, als es
vielfach gebräuchlich war, am unteren Ende des Kopfdurchschlupfes der Kasel
aus praktischen und ästhetischen Gründen einen Zierbesatz anzubringen. Viel-
leicht auch, daß die manchmal sehr kostbare Agraffe, mit der man die zum
Schließen des Pluviale bestimmten Laschen schmückte, die Idee weckte, mit
einer ähnlichen Zierat die Kasel zu versehen. Indessen war auch wohl die
Erinnerung an die Brustplatte des jüdischen Hohenpriesters auf die Entstehung
des uns beschäftigenden Brustschmuckes von Einfluß; das Reim ser Rationale
mit seiner dem hohenpriesterlichen Rationale durchaus nachgebildeten Aus-
stattung bekundet das. Jedenfalls erhielt der Schmuck von letzterem seinen
Namen. Der Ursprung des Rationale im Sinne eines pontifikalen Brust-
schmuckes erklärt sich sonach in ähnlicher Weise wie derjenige des Ratio-
nale im Sinne eines Gegenstückes des erzbischöflichen Palliums.
1 M. 162, 524: Novi testamenti sacerdotes nee duabus tunicis utuntur, nee rationali praeter
solos pontifices.
FÜNFTER ABSCHNITT.
SYMBOLIK, FARBE UND SEGNUNG DER
LITURGISCHEN GEWÄNDER.
ERSTES KAPITEL.
DIE MYSTISCHE DEUTUNG DER LITURGISCHEN
GEWÄNDER.
I. DIE MYSTISCHE DEUTUNG IM ABENDLAND.
Eine Geschichte der liturgischen Gewandung muß sich notwendig auch
mit der mystischen Deutung beschäftigen, welche den einzelnen Ornatstücken
im Laufe der Zeit zu teil geworden ist. Wir verstehen darunter aber nicht
jene Symbolik, kraft deren einzelne der Sakralgewänder, wie Pallium, Stola
und Manipel , den Charakter eines Abzeichens haben ; vielmehr meinen wir
jene symbolischen Erklärungen, wonach die verschiedenen Bestandteile der litur-
gischen Kleidung entweder moralisch auf die dem Priester nötigen Eigen-
schaften und Tugenden hinweisen, oder typisch auf Christus, den großen
Opferpriester, dessen Abbild und Vertreter der zelebrierende Priester ist. Man
kann diese letztere Symbolik passend die dogmatische nennen, weil sie
an das erinnern soll, was der Glaube von Christus lehrt. Die mystische Be-
deutung der heiligen Gewänder, wie sie gegenwärtig namentlich in den Ge-
beten der Kirche, dann aber auch in den Handbüchern der Liturgik vor-
getragen wird, ist nicht eine Frucht des Zufalls oder der Willkür, sondern
wie der Ritus und die Gewandung das Ergebnis einer langen Entwicklung.
Man hat geglaubt und behauptet, die liturgischen Gewänder verdankten
ihr Dasein eben diesen mystischen Anschauungen. Das ist indessen unzu-
treffend. Es gibt keinen Bestandteil des liturgischen Ornates, dessen Ein-
führung auch nur mit einigem Schein von Berechtigung solchen Auffassungen
zugeschrieben werden könnte. Die Wahrheit ist, daß sich derartige Deu-
tungen durchaus an die bereits im Gebrauch befindlichen liturgischen Kleider
anschlössen. Sie gingen denselben nicht voraus, sondern kamen erst auf,
seitdem jene im Laufe der Zeit einen liturgischen Charakter erhalten hatten.
Selbst die mitunter eigenartige Verzierungsweise der Sakralgewänder ist kaum
je die Frucht solcher tiefsinnigen Spekulationen gewesen. Am frühesten wird
dem Pallium bzw. Omophorion und dem diakonalen Orarium eine mystische
Deutung zu teil, begreiflich, weil gerade diese Gewandstücke als sakrale
Abzeichen am ehesten einen liturgischen Charakter erhielten.
Im Orient sah schon der hl. Isidor von Pelusium im Omophorion die
Aufforderung, daß der Bischof ein guter Hirt sein solle, der nach dem Vor-
bild des göttlichen Hirten das verirrte Schäflein liebreich aufsucht und auf
seinen Schultern zur Herde zurückträgt. Im Abendland aber galt bereits
zu Gregors d. Gr. Zeit das Pallium als Symbol der Tugenden, mit denen die
702 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Seele der zum Tragen des Ornatstückes berechtigten Prälaten ausgestattet
sein müsse. Das diakonale Orarinm gemahnte schon nach Isidor die Diakone,
nach dem Beispiele Christi, der wie ein niedriger Diener vor dem letzten
Abendmahl seiner Jünger Füße gewaschen und abgetrocknet hatte, demütig zu sein.
Auch die Albe und der Gürtel erfuhren zu guter Stunde eine symbo-
lische Deutung; denn sie erscheinen bereits in dem sog. Stowe-Missale als
Sinnbild der Keuschheit und der Liebe.
Die älteste, umfassendere Deutung der liturgischen Gewandung, von
der wir aus dem Abendland wissen, gehört noch der vorkarolingischen
Zeit an; es ist die sog. gallikanische Meßerklärung. Sie behandelt die Kasel,
ein „pallium", die „manicalia oder manicae" sowie die diakonale Alba und
Stola. Die mystischen Erörterungen, welche an diese Gewänder angeknüpft
werden, sind moralischen Charakters, dabei aber sehr willkürlich, unklar und
verworren. Am ausführlichsten beschäftigt sich der Verfasser der Schrift
mit der Alba der Diakone. Weil diese von weißer Farbe sei, versinnbilde
sie die Reinheit, welche die Seele des Trägers zieren müsse. Sei sie aus
Seide gemacht, so erinnere sie im besondern an die zukünftige Auferstehung,
da ja der Seidenwurm, von dem die Seide stamme, zuerst gleichsam absterbe,
um dann herrlich aus seinem Grab zu erstehen. Daß sie lose den Körper
umwalle und der Gürtung entbehre, mahne den Leviten, daß er in seinem
Sehnen nach dem himmlischen Vaterland sich von dem Erdenwerke ledig
halten müsse und mit dem Gürtel der Sünde nicht umgeben sein dürfe.
Im ganzen scheint man sich vor der karolingischen Zeit im Abendland
noch wenig mit der Deutung der liturgischen Gewandung befaßt zu haben.
Gedenkt doch der ehrwürdige Beda in seiner Abhandlung De tabernaculo,
in welcher er im Anschluß an des hl. Hieronymus Brief an Fabiola die Be-
deutung der alttestamentlichen Kultkleidung aufs eingehendste erörtert, in
keiner Weise der liturgischen Gewandung des Neuen Bundes, obschon es an
manchen Stellen sehr nahe gelegen hätte, einige Worte auch über deren
Symbolik zu sagen.
Erst die Karolinger zeit ist es, welche uns mit reichlicheren Er-
örterungen über den mystischen Sinn der neutestamentlichen Sakralgewänder
beschenkt. Den Beigen in der Ausdeutung der liturgischen Kleidung er-
öffnete Hraban. Seine Auslegungen sind schlicht. Für den Amikt, die Albe
und das Cingulum lehnt er sich an Bedas Schrift De tabernaculo an, indem
er auf jene überträgt, was diese von dem Ephod des Hohenpriesters und
von der Linnentunika sowie dem Gürtel der Priester sagt. Den Ausführungen
über das Orarium liegt die Bemerkung des 40. Kapitels des 4. Konzils von
Toledo zu Grunde: Orarium oportet levitam gestare in sinistro humero, quod
orat, i. e. praedieat. Bei der Kasel geht Hraban von der Erklärung aus, welche
Isidor von dem Wort casula gibt, bei den Sandalen von Mk 6, 8. Eigenartig ist
die Deutung der mappula oder des mantile, d. i. des Fano oder des Manipels.
Hraban findet in den Etymologien Isidors die Definitionen : Mappae convivii
et epularum appositarum sunt . . ., cuius diminutivum mapella est, und: Man-
tilia nunc pro operiendis mensis sunt, quae ut nomen ipsum indicat, olim
tergendis manibus praebebantur 1. Auf der andern Seite erinnert er sich,
daß die Messe nicht bloß ein Opfer, sondern auch ein Mahl ist. Er faßt
darum die mappula als eine Art von Serviette auf, welche der Bischof in
1 Etymol. 1. 19, c. 26 (M. 82, 694).
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 703
der Hand halte zum Zeichen, daß er zum Dienst des Tisches des Herrn be-
reit sei, und deutet sie dann im Einklang hiermit auf die innere Bereitschaft
des Bischofs, der sich zur Feier der heiligen Geheimnisse anschickt.
Dem Abt von Fulda folgt hart auf dem Fuß Amalar. Auch dieser
entnimmt den einen oder andern Gedanken den Schriften Bedas, im übrigen
aber ist er nicht nur ungleich ausführlicher, sondern auch wesentlich origineller
als Hraban. Amalar legt alles bis auf die geringsten Kleinigkeiten symbolisch
aus; überall unterscheidet er Buchstaben und Geist, die äußere Erscheinung und den
inneren Sinn. Besonders eingehend behandelt er die Dalmatik und die Sandalen.
Die Deutungsweise Amalars fand indessen bald in Florus von Lyon
einen ebenso erbitterten wie voreingenommenen und zugleich unehrlichen
Gegner, der durch seine einseitige Darstellung der Sachlage es zuletzt
dahin brachte, daß die Synode von Quiercy 838 über das Vorgehen Amalars
das Verwerfungsurteil aussprach. Sein ganzes System sei verdammungswürdig
und von Grund aus von allen Katholiken abzuweisen. Seine Lehre sei von
der Reinheit des wahren Glaubens und dem Geist der Kirche sehr weit ent-
fernt. Im Alten Bunde habe es Vorbilder und Typen gegeben. Im Neuen
Bunde sei es nie jemand erlaubt gewesen, neue Arten von Typen und
mystischen Deutungen aufzustellen. Man solle bezüglich der kirchlichen Ge-
wandung und beim mannigfaltigen Gebrauch der heiligen Geräte demütig
den Anordnungen der Kirche folgen, ohne sich in allerlei nebelhaften Phan-
tasien und eiteln Deutereien zu ergehen. So berichtet uns wenigstens Florus
über den Ausgang des Streites J, doch mag man mit Mönchemeier zweifeln,
ob das Urteil der Synode wirklich gerade so gelautet, wie es der Diakon
von Lyon mitteilt2. Denn unter den zu Quiercy versammelten Prälaten be-
fand sich auch Hraban; hätte die Synode gesprochen, wie Florus zu erzählen
weiß, so hätte sich ja der Abt von Fulda damit selbst gerichtet3.
Es läßt sich nicht leugnen, daß manches in den Deutungen Amalars
gesucht, gekünstelt, kleinlich, verworren und Spielerei ist; aber es ist ebenso
sicher, daß es wenige Männer im 9. Jahrhundert gegeben hat, welche an Geist
und Scharfsinn Amalar überlegen oder auch nur gleich gewesen sind. Eine
Reihe von Vorwürfen, die Florus gegen Amalar erhob, sind nichts als perfide
Verdrehungen. Der Lyoner Diakon riß Sätze aus ihrem Zusammenhang
heraus, legte ihnen einen fremden Sinn unter und bekämpfte sie dann als
unkircblich und verwerflich. Von andern Anschuldigungen waren lediglich
Haß und Tadelsucht die Eltern. Es fehlt für sie jeder auch nur scheinbare
Untergrund 4. Bei allen Sonderbarkeiten enthalten die Deutungen Amalars
so viel des Schönen, des Großartigen und Erbaulichen, daß man darüber
etwaige Spreu schon gern mit in den Kauf nimmt. Darum hat denn auch
die Folgezeit das Urteil der Synode von Quiercy keineswegs bestätigt. Es
hat so wenig die Verbreitung der Schriften Amalars hindern können, daß
der Verfasser des Liber de tribus epistolis bereits im Jahre 853 sich bitter
darüber beklagt, daß dieselben in fast allen Kirchen des Frankenlandes und
selbst über dessen Grenzen hinaus Aufnahme gefunden hätten und ihre un-
heilvolle Wirksamkeit ausübten5.
Hraban und namentlich Amalar sind für die ganze spätere Zeit ton-
angebend geworden. Auf sie gründen sich Pseudo-Alkuin und Pseudo-Beda,
1 Opusculum de causa fldei (M. 119, 82 f). 4 Sehr gut ist die ganze Frage bei Münche-
2 Mönche meier, Amalar von Metz 53, meier a. a. 0. 44 ff behandelt.
Anm. 3. 3 Epist. Flori (M. 119, 71). 5 M. 121, 1054.
704 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
auf sie die Liturgiker des 11. und 12. Jahrhunderts, Innozenz III. nicht aus-
genommen; aus ihnen schöpfte Durandus für sein Rationale. Ja wenn jemand
die Deutungen liest, welche am Ausgang des Mittelalters ein Gabriel Biel
in seiner Sacri canonis missae expositio litteralis et m}'stica und ein halbes
Jahrhundert später ein Berthold von Chiemsee in seinem Tewtsch Rational den
liturgischen Gewändern angedeihen läßt, so wird er auch hier noch überall
Anklänge an Hrabans und Amalars Auslassungen wiederfinden. Das bezeichnet
mehr als alles andere, welchen Wert man den mystischen Erörterungen des
großen Fuldaer Abtes und namentlich des in diesem Punkte bei seinen Leb-
zeiten so heftig angefeindeten Metzer Diakons beigelegt hat.
Übrigens hat man den Einfluß, den Hrabans und Amalars Schriften
auf die Ausdeutung des liturgischen Ornats bei der Nachwelt ausübten, nicht
dahin zu verstehen, daß alles, was man später darüber schrieb, nur eine
gedankenlose Wiederholung dessen war, was einst die beiden Liturgiker ge-
sagt hatten. Einige Schriften von untergeordneter Bedeutung sind allerdings
lediglich Exzerpte aus Hraban und Amalar. Bei andern Liturgikern aber
haben wir, so sehr sie auf diesen beiden fußen mögen, durchaus selbstän-
dige Gedanken und eigene Verarbeitung vor uns. Das gilt z. B. von Bruno
von Segni, Ivo von Chartres, Rupert von Deutz, von den Verfassern der „Predigt
über die priesterlichen Gewänder" und des Speculum de mysteriis ecclesiae,
von Innozenz III. und zum Teil selbst von Honorius und Sicard.
Nicht viel mehr als bloße Kompilation sind die Erörterungen des
Durandus über die Symbolik der liturgischen Gewänder. Wir haben in seinem
Rationale so ziemlich alles zusammen, was die Liturgiker bis auf ihn über
die heilige Gewandung an Naivem, Fremdartigem und Kleinlichem, aber auch
an Schönem, Erhabenem, Tiefsinnigem und Erbaulichem ersonnen hatten. Von
besonderem Werte war das natürlich für die damalige Zeit. Denn nun war es
nicht mehr nötig, so und so viele, oft schwer bekömmliche Bücher zur Hand
zu nehmen, um sich über die Symbolik der liturgischen Gewänder zu unter-
richten. Durandus hatte die Arbeit ein und für allemal getan, und zwar recht
gründlich und ausführlich. Um alles in vollstem Maße zu finden, wonach
man verlangte, brauchte man nur nach seinem Rationale zu greifen. Aus diesem
hat man denn auch seitdem bis ins 16. Jahrhundert hinein vornehmlich
statt aus den Originalschriften geschöpft, was man über die mystische Be-
deutung der liturgischen Gewänder zu sagen pflegte. Von neuer Symbolik
ist seitdem im ganzen nicht viel mehr vorgebracht worden. Dahin gehört
z. B., daß man in den Zierbesätzen an den Säumen und auf den Ärmeln
der Albe und am Humerale ein Sinnbild der heiligen fünf Wunden sah oder
daß man die Paruren unten an der Albe auf Kugeln auslegte, mit denen
des Heilandes Füße nach der Gefangennahme belastet worden seien i. Denn
auch die Deutung der liturgischen Gewänder auf das Leiden des Herrn ist
schon dem Durandus bekannt gewesen.
Bei Hraban und Amalar sind die mystischen Deutungen ausschließlich
moralischer Art. Kaum, daß sich bei ihnen auch nur ein leiser Anklang
an eine typische Auslegung findet. Die liturgischen Gewänder sind für beide
Symbole der diakonalen, priesterlichen und bischöflichen Amts- und Standes-
tugenden.
1 Christian Petersen, Danske Skriften sich manche interessante Notizen bei Franz,
II 475. Über die Deutung der liturgischen Die Messe im deutschen Mittelalter, Abschn.
Kleidung im 14. und 15. Jahrhundert finden 8 — 14.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 705
Erst im 12. Jahrhundert tritt neben die bis dahin gepflegte moralische
Auslegung die typisch- dogmatische. Ist der Priester bei der Opfer-
feier Stellvertreter Christi, dann lag es in der Tat nicht fern, die liturgischen
Gewänder auch auf Christus zu deuten. Bruno von Segni, Ivo von Chartres
und Honorius ziehen noch die alten Wege. Der erste, welcher die sakralen
Kleider auf Christus auslegt, ist Rupert von Deutz. Die typische Deutung
steht aber bei ihm ersichtlich noch in den Anfängen, bestimmter ausgeprägt
und entschiedener durchgeführt erscheint sie erst bei Sicai'd und Innozenz III.
Die liturgischen Gewänder versinnbilden bei ihr bald die Menschwerdung
Christi , seine beiden Naturen , ihre Einheit und ihr Verhältnis zueinander,
bald Tugenden des Erlösers, bald seine Lehre, bald endlich seine Beziehungen
zur Kirche. Das Leiden und der Opfertod wird eigentümlicherweise, so sehr
das auch zu erwarten gewesen wäre, von keinem berücksichtigt und noch
viel weniger zum Ausgangspunkt der Symbolik genommen, nicht einmal von
Innozenz III. , der doch die typische Deutung am vollständigsten und kon-
sequentesten pflegt. Zu jener im späten Mittelalter so beliebten Auslegung
der Meßgewänder, bei welchen der mit ihnen bekleidete Priester als Abbild
des leidenden Erlösers und sie selbst als Symbole seiner Ketten, Banden und
Fesseln, des Spottkleides, des Purpurmantels und des Kreuzes erscheinen,
kommt es erst im 18. Jahrhundert.
Eine um 1200 enstandene gereimte deutsche Meßerklärung erwähnt
diese Symbolik noch nicht; sie deutet die Gewänder meist moralisch; den
Manipel bezieht sie auf die Siegesbeute, mit welcher der Heiland aus der
Vorhölle heimkehrte , die Stola . eigentümlicherweise auf das Kreuz Petri 1.
In der Predigt Bertholds von Regensburg (f 1272) werden die Meßkleider
zwar auf Christus ausgelegt, doch versinnbilden sie hier lediglich die Mensch-
werdung des Herrn, seine Tugenden, seine Mühen (Manipel) und seine lange
Marter im allgemeinen (Stola). Indessen kennt denn doch bereits Duran-
dus jene Deutung auf den leidenden Heiland; ein Zeichen, daß sie, wie eben
bemerkt, schon vor dem letzten Dezennium des 13. Jahrhunderts ziemlich
bekannt gewesen sein muß.
Das Aufkommen dieser Art von typischer Deutungsweise, die man die
dogmatisch-repräsentative nennen kann, weil die Gewänder bei ihr an
die einzelnen Phasen des Leidens Christi erinnern und den leidenden Heiland
in der Person des Priesters vorführen, dürfte mit dem im 13. Jahrhundert
so entschieden auftretenden Bestreben zusammenhängen, das christliche Volk
tiefer in die Bedeutung der Messe einzuführen. Für diesen Zweck war es
ja unzweifelhaft sehr praktisch, den Priester am Altar dadurch, daß man seine
Gewänder auf die Fesseln usw. des leidenden Erlösers deutete, gewissermaßen
sinnfällig als das hinzustellen, was er nach der Lehre der Kirche wirklich ist,
d. i. als Stellvertreter Christi, welcher an des Gottmenschen Statt unblutiger-
weise das Kreuzesopfer erneuert. Zudem war das die einfachste und für das
Volk verständlichste Symbolik der liturgischen Kleidung.
Außer den genannten begegnet uns übrigens im 12. Jahrhundert noch
eine Deutung der Sakralgewandung, die man wohl am besten als die alle-
gorische bezeichnet. Sie scheint nur wenig verbreitet gewesen zu sein ; nichts-
1 Kelle, Speculum ecclesiae , München heit bezeichnet werden, sind wohl nicht Bäff-
1858, 149 ff. Unter den „läppen", die der chen zu verstehen, wie Franz (a. a. 0. 680,
Geistliche tragen soll und die vom Verfasser Anm. 1) meint, sondern ein skapulierartiges
der Meßerklärung als Sinnbild der Keusch- Surrogat der klerikalen Camisia.
Braun, Die liturgische Gewandung. 45
706 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
destoweniger verdient sie hier, und wäre es auch nur der Vollständigkeit halber,
eine kurze Erwähnung: der Bischof (Priester) ist- ihr zufolge am Altar ein
Kämpe, der in hartem Streit mit dem Feinde des Volkes Gottes ringt. Daran
erinnern die Gewänder, in denen er beim heiligen Opfer erscheint. Die San-
dalen sind gleichsam die Beinschienen, das Humerale der Helm, die Albe der
Panzer, die Stola die Lanze, das Cingulum der Bogen, das Subcingulum der
Köcher, die Kasel der Schild, der Manipel die Keule.
Diese Symbolik dürfte ihren Grund in der biblischen Anschauung haben,
wonach Christi Leiden und Kreuzestod ein Kampf gegen den höllischen
Feind des Menschengeschlechtes war. Stand der Erlöser in seinem Opfertod
als Streiter da, so konnten in der Tat auch die Priester und Bischöfe bei
Erneuerung dieses Opfers als Kämpen gedeutet werden.
Schon bei Amalar findet sich ein Ansatz zu dieser Symbolik. Ebenso
erscheinen bereits in Ankleidegebeten des 9. und 10. Jahrhunderts Spuren der-
selben , so in dem Gebete eines Sakramentars von Tours : Pone, Domine,
galeam salutis in capite meo ad expugnandas diabolicas fraudes et omnium
inimicorum meorum persequentium ine saevitiam superandam , und in dem
eines Pontifikale von Troyes: „Indue me, Domine, lorica fidei et galea salutis
et gladio Spiritus Saneti. Ausgewirkt tritt sie uns jedoch erst bei Honorius
entgegen. Von späteren Liturgikern erwähnen sie nur Johannes Beleth und
Durandus, deren Ausführungen wörtlich aus der Gemma animae herüber-
genommen sind. Dann verschwindet sie ganz vom Schauplatz. Es ist auf-
fallend, daß die fragliche Symbolik so wenig Beachtung gefunden hat, zumal
sie sich leicht mit der moralischen Deutung hätte vereinigen lassen.
Neben der mystischen Auslegung der liturgischen Gewänder, die uns
bei den Liturgikern entgegentritt, gab es aber schon früh eine andere, die
vielfach unbekümmert um das, was die Liturgiker erdacht hatten, ihre eigenen
Wege geht. Sie kommt in den Gebeten zum Ausdruck, welche der Priester
bzw. Bischof bei Anlegung der heiligen Gewänder zu beten hatte, und
kann darum im Gegensatz zur rein privaten Symbolik, welche ein Hraban,
ein Amalar, ein Bruno u. a. mit der Sakralkleidung verbanden, die offiziell
kirchliche genannt werden; allerdings nicht in dem Sinne, in welchem
heutzutage der römische Ritus der offiziell kirchliche heißt. Die rituelle Ein-
heit, welche gegenwärtig in der abendländischen Kirche herrscht, war dem
Mittelalter fremd. Selbst wo man römischen Brauch angenommen hatte,
gab es noch eine Menge partikulärer Gewohnheiten und liturgischer Sonder-
gebräuche. Es war erst dem Konzil von Trient vorbehalten, eine größere
Einheit im Ritus anzubahnen. Wenn wir also von einer in den Ankleide-
gebeten sich aussprechenden offiziell kirchlichen Symbolik der heiligen Ge-
wänder reden, so will das nur sagen, es handle sich dabei um die Symbolik,
welche in die offiziellen liturgischen Bücher Aufnahme gefunden hatte ; nicht aber,
es sei die in jenen Gebeten sich findende Deutung der sakralen Kleider infolge
rechtsgültiger Praxis oder ausdrücklicher Bestimmungen als die kirchlich
allein maßgebende anerkannt gewesen; ja nicht einmal, sie sei allenthalben
in den Ankleidegebeten in gleicher Weise zum Ausdruck gekommen. So ver-
schieden vielmehr die Missalien waren, fast ebenso wechselnd Avaren auch die
Ankleidegebete und die in diesen niedergelegte Symbolik. Quot missalia, tot
sensus. Kaum , daß man von bestimmten Typen reden kann. Erst gegen
Ende des Mittelalters bildete sich eine größere Übereinstimmung aus, doch
blieb auch jetzt noch die Verschiedenheit bis zur allgemeinen Annahme des
s
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 707
römischen Missale bzw. der Anpassung nichtrömischer Missalien an den römi-
schen Ritus recht groß.
Bemerkenswert ist, daß, wie eben schon angedeutet wurde, die den
mittelalterlichen Ankleidegebeten zu Grunde liegende Symbolik sich keines-
wegs überall mit derjenigen deckt, welche die alten Liturgiker vortrugen.
Die Abweichungen sind nicht selten geradezu auffallend. Die Symbolik,
welche in den Ankleidegebeten sich ausspricht, hat vorherrschend eine
moralisierende Tendenz. Es erscheinen die heiligen Gewänder in ihnen
mit Vorliebe als Sinnbilder der priesterlichen Tugenden. Die namentlich im
späten Mittelalter so beliebte typische Auslegung auf Christus, als dessen
Stellvertreter der Priester am Altar steht, ist ihnen völlig fremd. Dagegen
findet sich in ihnen nicht selten die vorhin besprochene allegorische Deutung
auf die geistliche Rüstung des Priesters, des Streiters Christi. Auch sehen
die Ankleidegebete bisweilen von einer eigentlichen Symbolisierung der Ge-
wänder ganz ab und begnügen sich mit der Bitte um Heil, Gnade oder Gottes
Schutz, ohne dabei auf den Charakter und die Beschaffenheit des betreffenden
Ornatstückes nähere Rücksicht zu nehmen. Das ist z. B. der Fall, wenn ein
Sakramental- von St-Denis den Priester beim Anziehen der Albe beten heißt :
„Zerreiß, o Herr, meinen Sack und umgib mich mit der Freude deines
Heiles'1 1, oder wenn ein Missale von Chälons für den Manipel das Gebet vor-
sieht: „Gib, Herr, mir rechten Sinn und reine Rede, daß ich dein Lob
künden kann." 2
II. DIE MYSTISCHE DEUTUNG DER LITURGISCHEN GEWÄNDER
IN DEN RITEN DES OSTENS.
Den frühesten bekannten Versuch einer umfassenden Deutung der litur-
gischen Gewandung des griechischen Ritus bietet die laropia. Sie behandelt
aber nur die bischöflichen Gewänder, die avok/j, hier wohl das Phelonion, das
Sticharion, das Epitrachelion und das Omophorion. Die Symbolik, die uns in
ihr entgegentritt, ist die typische. Der Bischof erscheint als Abbild Christi.
Sein Obergewand sinnbildet das heilige Fleisch Christi, den Purpurmantel, den
er beim Leiden trug, aber auch das Kreuz, das er zum Kalvarienberg schleppte.
Die rote Farbe der azolrj erinnert an die Worte der Heiligen Schrift: Qui
facit angelos suos spiritus et ministros suos {tobe, XEiToopyobc, auzoo) flammam
ignis3; femer: Quis est iste, qui venit de Edom, tinctis vestibus de Bosra?4;
endlich: Quare rubrum est indumentum tuum et vestimenta tua sicut calcantium
in torculari?5; Stellen, von denen die erste auf den Altardienst, die Liturgie,
die beiden andern auf Christus bezogen sind. Aber auch daran gemahnt sie,
daß des Erlösers heiliges Fleisch am Kreuz mit seinem Blut gerötet wurde.
Ungegürtet ist das Phelonion , weil ja auch Christus ungegürtet , d. i. frei-
willig, zum Kalvarienberg das Kreuz trug. Die Besätze an den Ärmeln des
Sticharion stellen nach der ^laropia die Fesseln dar, mit denen der Heiland
gebunden war, als er von Kaiphas zu Pilatus geführt wurde, die clavi des
Gewandes aber die Ströme des heiligen Blutes, das aus der Seite Christi am
Kreuze floß. In dem Epitrachelion sieht sie das Tuch, mit dem dieser am
Nacken gebunden war, als man ihn zur Kreuzigung hinausbrachte. Das
1 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 5; I 187. griechischen Text zitiert; im lateinischen ist
- Ebd. 1. 1, c. 4, art. 1, n. 13; I 127. statt der dritten die zweite Person gebraucht.
3 Ps 103, 4. Die Stelle ist nach dem 4 Is 63, 1. 5 Is 63, 2.
45*
708 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Omophorion endlich erinnert an das große Sudarium (Schweißtuch), welches
der alttestamentliche Hohepriester einst nach der Iaropia auf der linken
Schulter zu tragen pflegte l.
Die VffTopia blieb mit ihren Deutungen für lange Zeit tonangebend. Was
Pseudo-Germanus, Pseudo-Sophronius und das von Krasnojeljcev in jüngster
Zeit herausgegebene Fragment über den mystischen Sinn der liturgischen Ge-
wänder sagen , ist zum größten Teil nur eine mehr oder weniger wörtliche
Wiederholung der Ausführungen der 'htopla. Was sie darüber hinaus bieten,
ist unbedeutend ; obendrein bestehen selbst diese Zusätze meist gleichfalls
wieder nur aus Entlehnungen. Wenn in ihnen z. B. die Diakone als Ab-
bilder der himmlischen Geister dargestellt werden, deren Orarium an die
Flügel der Engel erinnere, so treffen wir diese Symbolik schon in der früher
dem hl. Johannes Chrysostomus zugeschriebenen, in der Tat aber wohl von
Severian von Gabala (f nach 408) verfaßten Predigt über den verlornen Sohn
an. Die Deutung des Omophorion auf den guten Hirten und des Orarium
auf die von Christus bei der Fußwaschung geübte Demut ist Isidor von
Pelusium entnommen.
Was aber auch immer zu den Ausführungen der 'lazopta hinzukommt,
die Auslegung bleibt immer im Rahmen der typischen Symbolik. Selbst da, wo
auf Tugenden Bezug genommen wird, sind es nicht die Tugenden des Trägers
der Gewänder, welche zunächst gemeint sind, sondern die Tugenden Christi.
Eine ausgesprochenere moralische Ausdeutung der liturgischen Kleidung findet
sich erst bei Simeon von Saloniki, vielleicht im Zusammenhang mit der Sym-
bolik, welche jene mittlerweile in den offiziellen liturgischen Büchern be-
kommen hatten. Denn auch in dem griechischen Ritus kamen im Laufe der
Zeit bestimmte Ankleidegebete auf; wann und unter welchen Umständen, ist
allerdings unbekannt. Simeon von Saloniki erwähnt sie bereits2 und knüpft
bei seinen Deutungen an sie an. Sie waren also jedenfalls schon im 14. Jahr-
hundert in Gebrauch. In diesen Gebeten, in denen ähnlich wie in der abend-
ländischen Kirche die Symbolik enthalten ist, die man offiziell mit der litur-
gischen Kleidung verband, kommt ausschließlich die moralische Auslegung
zur Geltung. Entnommen sind sie der Heiligen Schrift, namentlich den Psal-
men; eine Ausnahme bildet nur das Gebet, welches der Bischof nach Simeon
von Saloniki zu sprechen hatte, wenn er sich mit dem Omophorion bekleidete.
Denn dieses nimmt Bezug auf die bereits früher von uns gelegentlich erwähnte
Deutung, welche in dem Gewände die in die Irre gegangene Menschennatur
sah, und lautet nach Simeon: „Die verlorene Menschennatur hast du, Christe,
auf deine Schultern genommen und, in den Himmel erhöht, Gott und dem
Vater dargebracht." 3
Die Gebete, welche der Priester bei Anlegung der Tunika, des Gürtels
und des Phelonion beten muß, erinnern an Gebete verwandten Inhaltes, welche
ehedem vielenorts in der abendländischen Kirche bei Bekleidung mit den
genannten Gewändern in Gebrauch waren. Doch dürfte diese Ähnlichkeit nur
1 Woher die Iaropia es hat, dafä die Hohen- div. templo n. 33 ff (ebd. 7 12 ff). Die Hand-
priester auf der linken Schulter ein großes Schrift 2509 der Pariser Nationalbibliothek
Sudarium trugen, ist uns unbekannt. Die f. gr. (ca 1430) hat ebenfalls schon die Ge-
Heilige Schrift spricht nicht davon, aber bete. Die Gebete, welche jetzt gesprochen
auch bei Josephus Flavius ist von dem an- werden, sind ganz die gleichen wie die,
geblichen Sudarium nichts zu finden. welche bereits Simeon von Saloniki erwähnt.
2 De div. liturg. c. 81 (Mg. 155, 257 f); De 3 De div. templo n. 44 (ebd. 716).
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder.
709
eine zufällige oder, besser gesagt, nur eine durch den Charakter der betreffenden
Gewänder veranlafite sein 1.
Auch bei andern Riten des Orients treffen wir schon im Mittelalter Deu-
tungen der liturgischen Kleidung an. Eine kurze, aber eigenartige und inter-
essante Erörterung der Symbolik der Sakralgewänder des nestorianischen
Ritus findet sich in dem „Buch der Väter". Der Gürtel, so heifit es hier,
versinnbildet die Losschälung von den irdischen Dingen und die Unter-
drückung der sinnlichen Begierden. Die Stola der Diakone und Subdiakone
solle an die Eingeweide erinnern, mit denen die Juden zum Spott der Apostel
Hals umschlangen, da es ja doch nicht passend sei, daß sie, um den Aposteln
ähnlich zu werden, wirkliche Eingeweide um den Hals legten. Die Priester-
stola bedeute die Engelsflügel, weil Bischöfe und Priester die Engel auf Erden
seien. Der Mantel keimzeichnet den Bischof als Hirten, die Kopfhülle (maaphra)
versinnbilde den Schleier, mit dem Moses sein Angesicht verhüllt habe, wenn
er zum Volk geredet2. Wie man sieht, wechselt hier die moralische und
typische Auslegung.
Die Symbolik, welche man bei den Syro-Ja. kobiten mit den heiligen
Gewändern verknüpfte, erhellt aus den Ankleidegebeten der syrischen Mefi-
liturgie, welche zuerst Guido Fabricius Boderianus zugleich mit dem Taufritus
des Patriarchen Severus von Antiochien herausgab3. Die Gewänder sind in
ihnen teils moralisch, teils allegorisch auf den geistlichen Streit gedeutet.
Die Tunika erscheint als Sinnbild der heiligmachenden Gnade und der über-
natürlichen Gnadenkraft des Heiligen Geistes , die Stola als das geistliche
Schwert, das zu ruhmreichem Siege führt. Beim Angürten des Cingulum
fleht der Priester, Gott möge ihm Stärke zum Kampfe verleihen und alle
Feinde und Widersacher vor ihm vernichten ; beim Anziehen des Meßgewandes
betet er: „Deine Priester mögen gekleidet sein in Gerechtigkeit und mit dem
Ruhm deines Gerechten; um deines Knechtes David willen weise nicht ab
das Angesicht deines Gesalbten" (Ps 131, 10). Unverkennbar klingt auch
in den Ankleidegebeten des syrischen Ritus die Symbolik an diejenige in den
mittelalterlichen abendländischen an, doch ist das ebenso hier wohl nur Zufall
und begründet in dem Charakter der Gewänder und in der gleichen Auf-
fassung von der Tätigkeit des Priesters. Dagegen ist es sehr wahrschein-
lich, daß die Gebete, welche im armenischen Ritus der Priester beim
Anziehen der liturgischen Gewänder sprechen muß, und damit auch die in
ihnen ausgesprochene Symbolik aus dem Abendlande stammt. Die Überein-
stimmung derselben mit den entsprechenden Gebeten mittelalterlicher la-
1 Um eine Idee der griechischen Ankleide-
gebete zu geben, und auch, um einen Ver-
gleich derselben mit den abendländischen zu
ermöglichen, geben wir hier einige von ihnen
wieder. Bei Anlegung des Sticharion betet
der Priester: „Meine Seele jubelt im Herrn;
denn er hat mir angezogen das Gewand des
Heiles und mich umgeben mit dem Kleid
der Freude und wie einem Bräutigam mir
den Kopfbund aufgesetzt und einer Braut
gleich mit Geschmeide mich geziert" (1s 61,
10). Bei Angürtung des Cingulum lautet
das Gebet: „Gepriesen sei der Herr, der mich
mit Kraft umgürtet und seine Gnade immer-
dar über mir ausgießt jetzt und in alle
Ewigkeit." Bei Annahme des Epigonation :
„Schirre dir an das Schwert über deinem
Schenkel, Hochmächtiger usw." (Ps 44, 4 ff).
Das Anziehen des Phelonion begleitet der
Priester mit den Worten: „Deine Priester
sollen sich mit Gerechtigkeit bekleiden , o
Herr, und deine Heiligen allzeit jubeln jetzt
und in alle Ewigkeit" (Ps 131, 9). Beim
Anstreifen der Epimanikien und beim Um-
legen der Stola endlich soll derselbe Ex 15,
6f und Ps 118, 73, bzw. Ps 132, 2 ff
sprechen.
2 Dom Jean Parisot, Livre des Peres,
in La science catholique 1890, 450.
3 Ed. Antverp. 1572, 105 f.
710 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewiinder.
teinischer Missalien ist überraschend. Beim Aufsetzen der Mitra betet z. B.
der Bischof (Priester): „Setze, o Herr, den Helm des Heiles auf mein Haupt
zum Kampf gegen die Macht des Feindes durch die Gnade unseres Herrn
Jesu Christi, dem Ruhm, Macht und Ehre sei in alle Ewigkeit." Beim An-
ziehen der Tunika lautet das Gebet: „Bekleide mich, o Herr, mit dem Ge-
wand des Heiles und mit der Tunika der Gerechtigkeit und umgib mich mit
dem Kleid der Freude"; bei der Gürtung: „Binde das Cingulum des Glaubens
um mein Herz und meinen Sinn und ersticke darin alle unreinen Gedanken
und laß wohnen darin deine Gnade für immer"; beim Anlegen der Stauchen:
„Gib, Herr, Kraft meiner Hand und wasche ab alle meine Unreinigkeit, auf
daß ich mit reiner Seele und reinem Leib dir zu dienen vermöge."
Es sind das alles Gebete, welche auch in den abendländischen mittel-
alterlichen Missalien, und zwar bei den gleichen oder doch bei ähnlichen
Gewändern vorkommen1. Die Worte, welche nach dem armenischen Ritus
beim Anlegen der liturgischen Stauchen gesprochen werden, sind noch jetzt im
römischen Ritus gebräuchlich, wenngleich nicht mehr, wie es im Mittelalter hie
und da der Fall war, bei Anlegung des Manipels, sondern beim Händewaschen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Gebet, das der armenische Priester beim
Anziehen der Tunika verrichtet; es wird mit unbedeutender Veränderung im
Abendland vom Bischof gesprochen, wenn er mit der Dalmatik bekleidet
wird, während es einst häufig bei Anlegung der Albe gebetet wurde.
Die Übereinstimmung läßt sich kaum anders als durch die Annahme
erklären, es seien die fraglichen Gebete infolge der lebhaften Unions-
bestrebungen des 14. Jahrhunderts und des dadurch angebahnten freund-
schaftlichen Verkehrs zwischen Rom und den Armeniern im armenischen Ritus
in Aufnahme gekommen. Sicher ist, daß auf diesem Wege Elemente des
römischen Ritus in den armenischen hineingebracht wurden.
III. DIE SYMBOLISCHE BEDEUTUNG DER PRIESTERLICHEN
GEWÄNDER IM ABENDLAND.
Es ist nicht nötig, näher auf die Symbolik einzugehen, welche man in
den Riten des Ostens im einzelnen mit der Sakralgewandung verknüpfte.
Das Gesagte reicht zu ihrer Charakterisierung vollständig aus. Dagegen
empfiehlt es sich dringend, die mystische Bedeutung genauer ins Auge zu
fassen, welche im Abendland den verschiedenen Gewändern während des
Mittelalters in den Schriften der Liturgiker und den liturgischen Büchern bei-
gelegt wurde. Wer verstehen will, warum heute mit jedem der sakralen
Kleider eine bestimmte Symbolik verbunden wird, muß wissen, was man von
ihm in der Vorzeit ersonnen und gesagt hat. Natürlich ist es weder möglich,
alle Deutungen zu berühren, welche irgend einmal jemand vorgebracht hat,
zumal soweit sie nur nebensächliche Punkte betreffen, noch auch alle An-
kleidegebete hier zusammenzustellen, die sich in den mittelalterlichen Sakra-
mentaren usw. finden. Der zur Verfügung stehende Raum reicht dazu bei
weitem nicht hin. Es muß genügen, das Charakteristischste hervorzuheben.
Das Schultertuch giltHraban als Sinnbild der guten Werke, der Zeichen eines
makellosen Herzens und aufrichtigen Glaubens ; Amalar deutet es auf die Bewachung
1 Vgl. die Auszüge aus mittelalterlichen so Vat. lat. 4730, f. 19" und Ottob. 27,
Missalien bei Mart. 1. 1, c. 4, art. 1, n. 13 f. 10» (Mitra) ; ebd. 4770, f. 114; 9340, f. 78
und art. 12, ordo 3 ff; 1 126 176 ff. Eben- (Tunika und Cingulum) u. a.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 711
der Zunge, Pseiulo-Alkuin auf die Keinheit des Leibes von aller Sünde. Hraban und
Pseudo-Alkuin gehen bei ihrer Deutung aus von der Farbe und Beschaffenheit des
Stoffes, aus welchem das Humerale bestehen mußte ; Amalar denkt an die Weise, wie
es getragen wurde (collum undique cingimus). Von den späteren Liturgikern schließt
sich Ivo von Ghartres an Hraban, Bruno von Segni aber, für welchen der Amikt sowohl
die Keinheit des inneren Menschen als auch die Wahrhaftigkeit in der Rede bedeutet,
an Pseudo-Alkuin und Amalar an. Der Sermo „über die priesterlichen Gewänder" legt das
Schultertuch auf das dem Priester so notwendige geduldige Ertragen der Erdenmühen
aus ; Rupert von Deutz sieht in ihm ein Sinnbild der heiligen Menschheit, mit welcher
Christus in der Menschwerdung sein Haupt, d. i. seine Gottheit, gleichsam verschleiert
habe. Er hat dabei ersichtlich den Brauch im Auge, wonach man den Amikt beim An-
legen zunächst um den Kopf schlug. Nach Honorius gemahnt das Humerale an die Hoff-
nung auf den Himmel. In dem Umstand, daß man mit ihm den Kopf bedeckte, findet
er angedeutet, daß man um des Himmels willen Gott dienen müsse ; darin, daß es den
Hals umgebe und die Schultern verhülle, sieht er die Aufforderung, im Hinblick auf
den Himmel nur Gottes Lob zu künden und des Lebens Last in Geduld zu tragen.
Die beiden Enden des Schultertuches, die auf der Brust miteinander verknüpft werden,
sinnbilden nach Honorius Glauben und Wirken. Vor der Brust wird der Amikt
gebunden, um anzudeuten, daß um des himmlischen Vaterlandes willen aller böse
Gedanke von der Seele ferngehalten werden müsse. Das Speculum de mysteriis ecclesiae
legt das Gewand auf die Weisheit aus, die dem Priester eigen sein soll. Damit hatte
die Symbolik des Amikts vorläufig ihren Abschluß gefunden. Was Sicardus, Inno-
zenz III. und die andern Liturgiker vorbringen, ist nichts wesentlich Neues, und
so bleibt es in Bezug auf die Ausdeutung des Gewandes, bis man anfing, den Amikt
auf die Binden, mit denen die Schergen das Haupt des Heilandes umbanden, und
seine Parura auf die Seitenwunde oder die Wunden des heiligen Hauptes Christi aus-
zulegen. In der früher erwähnten, um 1200 entstandenen gereimten deutschen Meß-
erklärung wird das Humerale als „Schatten des Heiligen Geistes" hingestellt1. Die
Deutung erinnert an ein Ankleidegebet, welches wiederholt in mittelalterlichen Mis-
salien vorkommt und lautet: „Beschatte, o Herr, mein Haupt mit dem Schirm des
heiligen Glaubens und vertreibe aus mir aller Unwissenheit Gewölk." Sowohl dies
Gebet wie die Auslegung jenes Gedichtes über die Messe beruhen ersichtlich auf der
Sitte, den Amikt bis nach Annahme der Kasel auf dem Haupt zu behalten.
Mannigfaltig wie bei den Liturgikern ist auch in den Gebeten, welche der
Priester bei Anlegung des Schultertuches zu sprechen hatte, die Symbolik. In einem
Gebet des Sakramentars von Corbie schließt sie sich an die Deutung Hrabans an.
Es lautet :
Allgewaltiger Gott, des Weltalls herrlicher Lenker,
Segne doch unsern Amikt, mit dem wir nunmehr uns rüsten,
Daß die Macht uns sei, dir züchtigen Herzens zu dienen 2.
In andern geht sie von dem Umstand aus, daß der Amikt Schultern und Nacken
bedeckt. Er ist in diesem Falle bald Bild des Joches Christi, bald des göttlichen
Gnadenschutzes. So läßt ein Sakramental- von Tours den Priester beten: „Lege, o
Herr Jesu Christe, auf meinen Hals dein Joch — denn es ist süß — und deine
Bürde — denn sie ist leicht" s, während wir in dem Ordo Sigeberts von Minden
lesen: „Decke, o Herr, meine Schultern mit der Gnade des Heiligen Geistes und um-
gürte meine Nieren nach Austreibung aller Laster, damit ich dir opfern möge, der
da lebt und regiert in Ewigkeit." ' Ein Sakramentar von Amiens hat (für Amikt
1 S. oben S. 705. Vgl. auch die in deut- 3 Ebd. 1. 1, c. 4, art. 1; I 126. Vgl.
sehen Inventaren des späten Mittelalters auch Vat. lat. 4770 (saec. X — XI) und 4772
geläufige Bezeichnung des Schultertuches als (saec. XI).
umbrale, vielleicht unter dem Einfluf3 der 4 Ebd. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 4; I 177.
Symbolik vom „Schatten des Heiligen Geistes" Vgl. ferner Vat. lat. 5742 (saec. XIV — XV)
aus humerale verderbt. und Missale Colon, a. 1487 ; Missale August.
2 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 11; I 203. (Augsburg) a. 1555 u. a.
"12 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
und Albe zugleich) : „Bekleide mich, o Herr, mit dem Gewände des Heiles und umgib
mich mit dem Kleide der Gerechtigkeit immerdar" '; nach einem Sakramentar von
St-Denis aber soll der Priester beim Anlegen des Amiktes sprechen: „Umgib mich,
o Herr, mit den Waffen der Freude und des Glaubens, auf daf3 ich, gegen die Pfeile
der Bosheit geschützt, Billigkeit und Gerechtigkeit zu bewahren vermöge." 2
Eigenartig ist das in verschiedenen mittelalterlichen Missalien wiederholt vor-
kommende Gebet: „Zerreiß, o Herr, meinen Sack und umgib mich mit der Freude des
Heiles." 3 Unter dem Sack, im Alten Testament das Gewand der Trauer, ist hier die
Sünde verstanden, weshalb er in einem Augsburger Missale deutlicher Saccus peccati
mei heißt; der Amikt bedeutet also in jenem Gebet die heiligmachende Gnade.
Die Gebete, in welchen der Amikt als geistlicher Helm oder als Schirm des
Hauptes bezeichnet wird, lehnen an die Sitte an, ihn zunächst auf den Kopf zu legen
und erst nach dem Anziehen der Kasel auf die Schultern herabzulassen. Es sind ihrer
vornehmlich zwei. Das eine wurde schon vorhin erwähnt: „Beschatte, o Herr, mein
Haupt mit dem Schirm des heiligen Glaubens und vertreibe von mir der Unwissenheit
Nebel." Das andere ist das bekannte Gebet, welches noch jetzt der Priester und mit
einer kleinen Erweiterung auch der Bischof betet: „Setze, o Herr, des Heiles Helm
auf mein Haupt, daß ich die teuflischen Ränke abwehren möge." Es kommt, wenn-
gleich nur vereinzelt, schon vor Beginn des zweiten Jahrtausends vor 4, also noch ehe
die Liturgiker jener Sitte gedenken. Nach 1000 wird es bald häufig und in den
letzten Jahrhunderten des Mittelalters vorherrschend 5.
Hinsichtlich der mystischen Deutungen der Albe herrscht bei den mittelalter-
lichen Liturgikern wenig Verschiedenheit und Entwicklung. Da Durandus die Aus-
legungen seiner Vorgänger allesamt mit großer Emsigkeit und vieler Sorgfalt ge-
sammelt hat, genügt es, ihn zu hören, um zu erfahren, was das Mittelalter vor ihm
über die Bedeutung unseres Gewandes schrieb.
Ihrer Farbe wegen, so belehrt uns das Rationale, ist die Albe das Sinnbild der
Reinheit. Aus Linnen wird sie angefertigt, um anzudeuten, daß die Reinheit der Seele
die Frucht angestrengten, von der Gnade unterstützten Strebens, vieler Abtötung und
eifriger Ausübung guter Werke ist. Denn das Linnen hat nicht von Natur aus seine
blendende Weiße, sondern erhält sie erst durch die Bearbeitung, wobei es Stöße und
Schläge aushalten muß. Demnach liegt in der Albe für den Priester die Mahnung,
den Worten des Apostels gemäß seinen Leib zu kasteien und in die Knechtschaft zu
bringen, damit er nicht selbst verloren gehe, während er andern predigt (1 Kor 9, 27).
Die Halseinfassung bedeutet, daß der Priester die Verpflichtung zur Keuschheit über-
nommen hat; die Schließe an derselben, die ligula, aber sinnbildet die Zunge des
Priesters, welche bindet oder losspricht, je nachdem der Sünder hartnäckig bei der
Sünde beharrt oder sie bereut. Weit ist die Albe in Erinnerung an die Freiheit der
Gotteskinder ; ihre kostbare Ausstattung läßt den Priester als königliche Braut Christi
erscheinen ; gegürtet wird sie , damit sich der Priester erinnere , alle fleischlichen
Gelüste zu bezähmen; als ein Gewand, das bis zu den Füßen reicht, ermahnt sie zur
Beharrlichkeit. So weit die Symbolik der Albe im Lichte der moralischen Deutung.
Typisch auf Christus bezogen, weist das Gewand, wie Durandus sagt, weil weiß und
makellos, auf Christi Sündenlosigkeit hin ; aus demselben Grund erinnert es an die
1 Bibl. Nat. f. lat. 9432. Vgl. ebenfalls
Vat. lat. 4772.
2 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 5; I 187.
3 Vat. lat. 3808; Bibl. Angelica zu Rom
477 ; Trierer Missale des 13. Jahrhunderts
(Dombibliothek zu Trier n. 155); Missale des
Stiftes Pfalzel bei Trier 1429 — 1449 (Stadt-
bibliothek daselbst n. 358) ; Trierer Missale,
Erstdruck von 1498 (Seminarbibliothek da-
selbst) ; Pontifikale von Troyes (Mart. 1. 1,
c. 4, art. 12, ordo 6; I 190).
4 So in einem Sakramental- von Tours,
St-Gatien (Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 7;
I 192) , und einem Pontifikale von Troyes
(ebd. ordo 6; I 190}. Vgl. über das letztere
indessen oben S. 29, Anm. 1.
5 Vgl. die Auszüge ebd. ; ferner Vat. Ottob.
27 221 574 576; Vat. lat. 1145 4730 4743
6082 7231 9340: Vat. Barber. BX 1; Rom,
Bibl. Angel. 1092 ; Paris, Bibl. Nat. f. lat.
2293; Florenz, Bibl. Riccard. 300; Mailand,
Bibl. Ambros. 84 u. a.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 713
strahlende Weiße, welche die Gewänder des Herrn bei der Verklärung annahmen. Es
ist aber auch ein Abbild des weißen Spottkleides, mit dem Herodes den Heiland ver-
höhnte. Einzig neu, d. i. nicht bei den früheren Liturgikern vorkommend, ist die
Deutung auf das Spottgewand.
Es ist interessant, mit den Deutungen der Liturgiker die Symbolik der Albe zu
vergleichen, welche in den Ankleidegebeten zum Ausdruck kommt.
Das Gebet, welches der Priester heute spricht, ist bekannt: „Läutere mich,
o Herr", so lautet es, „und reinige mein Herz, auf daß ich, im Blute des Lammes
gereinigt, verdienen möge, die ewigen Freuden zu genießen.' Es betrachtet die Albe
als Sinnbild der Reinheit und findet sich schon, wenngleich nicht allzuhäufig, in mittel-
alterlichen Missalien '. Andere Ankleidegebete des Mittelalters sehen in ihr das
Gewand des Heiles und den Panzer der Stärke, wieder andere, mit Bücksicht auf
ihre weiße Farbe, ein Symbol der heiligen Freude oder der Gerechtigkeit. Am gewöhn-
lichsten, und zwar vom 10. Jahrhundert an bis zum Ausgang des Mittelalters, ja
selbst bis in die Neuzeit hinein, ist das Gebet: „Bekleide mich, o Herr, mit dem
Gewand des Heiles und umgib mich mit dem Kleid der Gerechtigkeit immerdar" 2.
Das Gebet des Stowe-Missale faßt die Albe als Bild der Keuschheit auf. Mehr auf
die Reinheit im allgemeinen weist dasjenige der Missa Illyrica hin. Ganz kriegerisch 3
lautet es im Pontifikale von Troyes: „Bekleide mich, o Herr, mit dem Panzer des
Glaubens , mit dem Helm des Heiles und dem Schwert des Heiligen Geistes. " Sehr
schön aber läßt im Anschluß an die allgemeinere Auffassung das Sakramentar von
Corbie den Bischof flehen :
Daß im Engelsgewande wir Spende heiligen Duftes
Dir zu reichen vermögen, gewähr es, o König der Milde ;
Tilge voll Güte darum des schlimmen Sinnes Befleckung
Und nimm eilig hinweg, was meine Seele beschmutzet.
Das Cingulum erscheint bei Hraban als Symbol der custodia mentis. Die
Gürtung der Albe soll dem Priester ins Gedächtnis rufen, daß er in Bewahrung der
Keuschheit nicht nachlässig und träge sein dürfe, daß er die Überhebung und den
Stolz fliehen müsse und daß er nicht im Übennaß nach Tugend strebe, damit nicht
diese selbst durch den Schmutz der irdischen Begierlichkeit befleckt werde. Pseudo-
Alkuin sieht in dem Cingulum in Anlehnung an den letzten Gedanken der Symbolik
Hrabans die discretio virtutum , das Einhalten der goldenen Mitte ; die Tugenden
seien ohne diese discretio nicht Tugenden, sondern Laster; die Tugend beruhe viel-
mehr im rechten Mittelmaß. Die übrigen Liturgiker, von Amalar bis Durandus,
beschränken sich fast alle darauf, das Gürten der Albe mittels des Cingulums als
Sinnbild der Enthaltsamkeit und der Bezähmung der sinnlichen Begierden hinzustellen.
Es lag das in der Tat am nächsten. Galt die Albe als Symbol der Reinheit und Keusch-
heit, so war es das natürlichste, ihre Gürtung auf die Bändigung der ungeordneten
niederen Triebe zu deuten. Debet alba . . . praecingi . . ., sagt Durandus, ut castitas,
per albam significata, nullis incentivorum stimulis solvatur; cingulum namque con-
tinentiam significat. Auch in den Ankleidegebeten wird das Cingulum fast nur als
Symbol der Enthaltsamkeit und der Abtötung aller fleischlichen Begierlichkeit hin-
gestellt. So heißt es sehr schön im Sakramentar von Corbie :
Der du die Herzen erforschest, du Freund des züchtigen Sinnes,
Göttlicher Richter des Innern, o gürte mir gnädig die Lenden,
Jegliches sündige Regen im keuschen Leibe ertötend 4.
1 Z. B. in einem Pontifikale von Cambrai 9340 ; Vat. Barber. B X 1 ; Rom, Bibl. Angel.
(Mart. 1. 1, c. 4, art. 1; I 127); ferner Vat. 1092; Florenz, Bibl. Riccard. 299 300, beide
lat. 4730 und Ottob. 27 221. aus dem 11. Jahrhundert; Mailand, Bibl.
2 Vgl. die Auszüge aus französischen und Ambros. 84 u. a.
deutschen Missalien bei Mart. 1. 1 , c. 4, 3 Mart. ebd. ordo 6; I 190.
art. 12; die oben S. 712, Anm. 8 erwähnten 4 Die gleichen Gebete im Sakr. Leofrics
Trierer Missalien ; ferner Vat. lat. 1145 4770 von Exeter (ed. Oxford 1883, 59).
714 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Kurz, aber kräftig lautet das Gebet in den Sakramentaren von St-Denis, Tours und
andern: , Umgürte, o Herr, meine Lenden und beschneide die Laster meines Herzens." '
Das Gebet im Missale des hl. Karl Borromäus - und in den Pontifikalien von Karbonne,
Chälons, Cambrai, Troyes 3 und Amiens 4 deckt sich fast wörtlich mit demjenigen,
welches der Bischof nach dem römischen Missale bei der Gürtung spricht: „Um-
gürte mich, o Herr, mit dem Gürtel des Glaubens und meine Lenden mit der Tugend
der Keuschheit und tilge in ihnen aus alle fleischlichen Triebe, auf daß in mir immer-
dar die Lebensfrisehe aller Keuschheit verbleibe." 5
Das Gebet, welches der Priester gegenwärtig nach dem römischen Missale
bei Anlegung des Gürtels zu beten hat, ist uns in mittelalterlichen Missalien nicht
aufgestoßen. Es ist allem Anschein nach lediglich eine Vereinfachung des Gebetes :
„Umgürte mich, o Herr, mit dem Gürtel des Glaubens usw."
Es gibt nur wenige Ankleidegebete, welche von der gewöhnlicheren Anschauung
abweichen ; so heißt es im Gedankengang Hrabans in verschiedenen mittelalterlichen
Missalien: „Herr, gürte mir an die Bewachung des Geistes und laß diesen nicht durch
den Geist der Überhebung abgelenkt werden." °
Ungewöhnlich, aber schön, entschieden und mutig, und des Mannes, der sich
zum geistlichen Streite rüstet, würdig, klingt das Gebet eines Missale von Stablo ' :
„Gürte mir dein Schwert über meinen Schenkel, Allmächtiger, auf daß ich mannhaft
und in der festen Zuversicht auf deine Wahrheit gegen meine Feinde zu kämpfen
vermöge." Es ist die uns schon bekannte Symbolik, wonach der Priester beim hei-
ligen Opfer gleichsam als Kämpfer gegen den Teufel auftritt. Auf Christus bezogen,
wird der Gürtel bei Durandus im Anschluß an das Wort des Propheten Isaias : Et
erit iustitia cingulum lumborum eius, auf Christi Gerechtigkeit gedeutet. Doch kennt
der Verfasser des Bationale auch schon die Symbolik, derzufolge das Cingulum als
Sinnbild der Geißeln galt, mit denen Pilatus den Herrn geißeln ließ.
Manche mystischen Deutungen hat der Manipel gefunden. Für Hraban, der
seine Ausführungen auf Isidors Definition von mappa und mantile aufbaut, ist er
das Sinnbild, daß der Priester, der nach Anlegung desselben äußerlich zum heiligen
Opfer vorbereitet erscheint, auch innerlich in der Verfassung sein muß, die eine solch
heilige Handlung erfordert. Nach Amalar bedeutet das Sudarium fromme und heilige
Gedanken und Erwägungen, doch auch den Hinblick auf die heiligen Väter, wodurch
wir alle natürlichen und gleichsam angeborenen verkehrten Ergötzlichkeiten aus uns
entfernen und die aus der Gebrechlichkeit des Körpers hervorgehenden Belästigungen
der Seele wegschaffen sollen. Begierlichkeit und Überdruß kennt nur das Erdenwallen,
das durch die linke Seite bezeichnet wird, nicht der Himmel, dessen Sinnbild die
rechte ist ; daher trägt man das Sudarium nicht in der rechten , sondern in der
linken Hand. Nach Ivo von Chartres mahnt der Manipel den Priester, mit Fleiß und
Wachsamkeit der einschleichenden Sorglosigkeit zu begegnen ; nach dem Sermo XIV
aber fordert er ihn auf, alle Nachlässigkeit zu meiden, wenn er seinen heiligen
Dienst verrichtet; denn er legt ihn ja an den Arm der Vorsicht halber, pro cautela.
1 Ebd. ordo 5; I 187. Etwas erweitert
findet sich das Gebet in einem Pontifikale
von Troyes, einem Sakramental' von Tours (ebd.
ordo 6 7; I 190 f) sowie in manchen sonstigen
Missalien, z. B. in Vat. lat. 5742 und Vat.
Ottob. 221, den früher erwähnten drei Trierer
Missalien, einem St Gallener Sakramental'
(Stiftsbibl. 354) , dem Kölner Missale von
1487 u. a.
2 Mar t. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 3; I 173.
3 Ebd. art. 1, n. 13; I 127.
4 Bibl. Nat. f. lat. n. 9432.
5 Das Gebet kommt auch sonst nicht selten
vor, wie Vat. lat. 4743 und 9340 ; Vat. Ottob.
27 und 221 ; Vat. ßarber. XII 2 und B X 1 :
Florenz, Bibl. Riccard. 300 u. a.
6 Mar t. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 12; I 204.
So auch in Vat. lat. 4772 6082 7231; Vat.
Ottob. 574; Florenz, Bibl. Riccard. 299 und 300
(hier neben einem andern Gebet) sowie Stifts-
bibliothek von St Gallen 339. Vgl. den Aus-
zug aus einem Sakramental- des 11. Jahr-
hunderts in M. 78, 245.
7 Nach cod. 354 der St Gallener Stiftsbiblio-
thek bei Anlegung des Subcinctorium zu
sprechen ; ebenso in einem Sakramental- von
Arezzo (Vat. lat. 4772), beide aus dem Be-
ginn des 11. Jahrhunderts.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 715
Honorius und andere sehen im Manipel ein Sinnbild der Buße, durch welche die
Makel der täglichen Ausschreitungen getilgt werde. Wie man sieht, klingen diese
Auslegungen meist in irgend einer Weise an den ursprünglichen Charakter des Ornat-
stückes an.
Einige wenige Deutungen lehnen sich an die Psalmworte an : Euntes ibant et
flebant, mittentes semina sua, venientes autem venient cum exsultatione, portantes
manipulos suos ; sie betrachten das Gewandstück als Sinnbild der Garben der Ge-
rechtigkeit und des himmlischen Lohnes '. Veranlassung hierzu bildete ersichtlich
der Name manipulus. In den Gebeten , mit welchen der Priester gemäß der An-
weisung der mittelalterlichen Missalien die Anlegung des Manipels begleiten soll, wird
nur wenig auf dessen anfänglichen Charakter angespielt. Begreiflieh, da sie meistens
aus einer Zeit stammen, in welcher das Ornatstück desselben schon längst ganz ent-
kleidet und zum bloßen Zierstreifen geworden war.
Einen, wenn auch nur entfernten Hinweis auf ihn bietet z. B. das Gebet, welches
zwei Sakramentare des 11. Jahrhunderts den Priester sprechen lassen: „Gib, o Herr,
den Manipel in meine Hände zur Entfernung des Schmutzes meines Herzens und
Leibes, auf daß ich, frei von Makel, dir, o Herr, zu dienen würdig sei." 2 Ähnlich ver-
hält es sich mit dem andern Gebete: „Gib, o Herr, meinen Händen die Kraft, alle Makel
abzuwaschen, damit ich ohne Befleckung von Leib und Seele dir zu dienen vermöge",
Worte, die der Priester nach gegenwärtigem Brauch bei der Händewaschung spricht,
die ehedem aber häufig bei Annahme des Manipels gebetet wurden 3. Das Gebet,
welches der Priester nach der Anweisung des römischen Missale zu verrichten hat :
„Möge ich, o Herr, es verdienen , den Manipel des Weinens und des Schmerzes zu
tragen, auf daß ich voller Freude den Lohn für meine Mühen erlange", schließt sich
wie die obengenannte gleichartige Deutung einiger Liturgiker rein äußerlich in An-
knüpfung an den Ausdruck manipulu an den Psalmvers : Euntes ibant usw. an. Es
war schon sehr früh in Gebrauch, da es sich bereits mit geringen Abweichungen
im Pontifikale von Troyes * vorfindet. Häufiger treffen wir es in den Missalien aber
erst in den letzten Zeiten des Mittelalters an 5.
In verschiedenen Gebeten ist ein Grund der in ihnen zum Ausdruck kommenden
Symbolik nicht oder doch kaum erkennbar, so z. B. in dem Spruch eines Missale
von Chälons : „Gib mir, o Herr, rechten Sinn und reine Stimme, damit ich dein Lob
wirken könne"6, und in der Bitte einer St Gallener Handschrift: „Zerreiße, o Herr,
alle Schlingen des Satans und bekräftige in uns den Anteil deiner Erbschaft." 7 Im
letzten Fall scheint der Manipel als Sinnbild der Gotteskindschaft, des funiculus haeredi-
tatis, gedacht zu sein. Auf die Keuschheit bezogen wird er in einem Augustiner-
missale der Vaticana: „Lege den Manipel der Unschuld, o Herr, an meine Hand, daß
ich, von deiner Vaterliebe geschützt, reinen Sinnes und Herzens alle unerlaubten Be-
rührungen vermeiden und unter Frohlocken die Garben wahrer Seligkeit unter deinen
Heiligen auf immer besitzen möge." 8 Einige Gebete deuten ihn, weil Schmuck der
Hand, auf die Werke der Hände. So heißt es in einem Missale von Beauvais mit den
Worten des 17. Verses des 89. Psalmes: „Sit splendor Domini Dei nostri super nos,
et opera manuum nostrarum dirige super nos, et opus manuum nostrarum dirige." 9
Auch in dem hie und da vorkommenden Gebete: „Durch die Anlegung dieses
Manipels bitte ich dich flehentlich, o Herr, du wollest mir in meiner Lebenszeit ein
1 So z. B. Bruno von Segni (M. 165, 6 Mart. 1. 1, c. 4, art. 1, n. 13: I 127. Vgl.
1107). auch ebd. art. 12, ordo 16: I 214; dann den
2 Florenz, Bibl. Riccard 299 300. Auszug aus einem Sakramental- des 11. Jahr-
3 Rom, Bibl. Angel. 477 ; Kölner Missale hunderts bei M. 78, 246, sowie der St Gallener
von 1487; Missale von Augsburg von 1555 Bibliothek 339; Vat. lat. 6082 und 7231:
u. a. Vgl. auch die Auszüge bei Mart. Vat. Ottob. 574 und 576 u. a. 7 Cod. 354.
a. a. O. 8 Vat. Ottob. 221. Auch im Gebet des
4 Ebd. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 6 ; I 190. Sakramentars von Corbie erscheint der
5 Vat. lat. 4730 5742 und 9430 ; Vat. Ottob. Manipel als Sinnbild der Keuschheit.
27; Vat. Barber. XII 2 und B X 1. '■> Mart. 1. 1, c. 4, art. 1, n. 13 ; I 127.
716 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
solches Wirken verleihen, daß ich nach dem Beispiel der alten Väter in Zukunft die
ewige Freude verdiene" ', spricht sich diese Auffassung aus.
Die Symbolik, welche in den Worten zum Ausdruck kommt, mit welchen der
Bischof hei der Weihe die Übergabe des Manipels begleitete , bietet wenig Neues.
Die betreffenden Gebete sind recht zahlreich. Eines der gebräuchlichsten war : „Nimm
hin den Manipel, durch den die Frucht der guten Werke bezeichnet wird."2 In einem
andern, das uns ebenfalls in den alten Pontifikalien nicht selten begegnet, erscheint
das Ornatstück als Insignie des subdiakonalen Ordo, ohne daß eine weitere Symbolik
mit ihm verbunden wäre : „Nimm hin den Manipel und warte deines Amtes 3. Gott
ist mächtig genug, dir seine Gnade zu mehren." Sinnbild der Reinheit ist das
Ornatstück in dem Spruch: „Nimm den Manipel in deine Hände zur Tilgung der Makel
an Seele und Leib, auf daß du ohne Befleckung dem allmächtigen Gott zu dienen
vermögest." 4 An den geistigen Streit gegen die Höllenmächte erinnern die Worte
eines Pontifikale von Kiga: „Nimm hin diesen Fano zum Kampf gegen die Nach-
stellungen des Seelenfeindes." 5 Was sonst noch an Gebeten bei der fraglichen Zere-
monie üblich war, kann hier übergangen werden.
Auf Christus bezogen, wird der Manipel von Innozenz III. auf den himmlischen
Lohn ausgelegt, den der Heiland durch sein Leiden für seine heilige Menschheit ver-
diente. Spätere sahen in ihm die Stricke und Banden, mit welchen die Judenrotte den
Gottessohn fesselte.
Die Stola gilt bei den mittelalterlichen Liturgikern vorzugsweise als Symbol
des Amtes. Indem Diakon und Priester sich dem besondern Dienste Gottes weihen,
der ihnen heilige Pflichten und schwere Obliegenheiten auferlegt, treten sie unter das
Joch des Herrn und laden dessen Bürde auf Schulter und Nacken. Das Sinnbild
dieses Joches und dieser Bürde ist die auf der Schulter bzw. dem Nacken ruhende
Stola ; beider Übernahme wird durch die Anlegung der Stola bei der Weihe dargestellt.
Aus dieser ersten und grundlegenden Symbolik der Stola ergaben sich alsbald
und wie von selbst für die Liturgiker verschiedene andere Bedeutungen. Nach Hraban,
welcher das Gewand (orarium) zu dem Predigtamt in besondere Beziehung bringt,
mahnt es den Träger, wohl zu überdenken, was er mit dem Munde vorbringe, damit
er nicht unvorbereitet und sinnlos rede und Schaden leide. Amalar findet in der
Stola die Aufforderung zur Demut. Ivo von Chartres legt sie auf die Waffe der
Gerechtigkeit, d. i. die Tugend des Starkmuts, aus, mit welcher der Priester in Glück
und Unglück — er trägt ja auf beiden Seiten, der rechten wie der linken, einen
Streifen der Stola — versehen sein soll. Eupert von Deutz deutet das Ornatstück
auf den Gehorsam, Honorius auf die Reinheit , Innozenz III. auf die Weisheit und
Geduld. Der Umstand, daß die Stola mit dem Cingulum verknüpft wird, soll nach den
Liturgikern sinnbilden, daß die durch die Stola symbolisierten Tugenden mit Selbst-
bezähmung verbunden sein müssen, wenn anders sie beim Andrang der Versuchung
nicht Gefahr laufen wollen.
In den Gebeten, welche der Priester beim Umlegen der Stola zu sprechen hatte,
tritt die Grundsymbolik des Ornatstückes weit weniger deutlich hervor als in den
Auslegungen der Liturgiker.
1 Vat. lat. 3808. Vgl. auch das Ankleide-
gebet in der Missa Illyrica bei Mart. 1. 1,
c. 4, art. 12, ordo 4; I 177.
2 Ebd. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 16; II 79.
Vat. lat. 1159 6748 7114; Vat. Ottob. 27
330 501.
3 Mart. ebd. ordo 10; II 62. Vat. Borgh.
99: Cod. Vat. lat. 3748 u. a. Es ist eines
der ältesten der Gebete seiner Art, ja wahr-
scheinlich das älteste; denn es reicht bis
hoch ins 12. Jahrhundert hinauf. Doch
stammt es jedenfalls erst aus einer Zeit, da
der Subdiakonat höherer Ordo geworden war.
Eigenartig ist das Gebet in Vat. Barber.
1868: „Nimm hin den Fano, das Symbol
der Verkündigung des Wortes Gottes." Es
findet sich auch in Vat. Borgh. 49. Beide
Codices stammen aus dem 13. Jahrhundert.
Unter der Verkündigung des Wortes Gottes
ist in dem Gebet wohl die Absingung der
Epistel verstanden. Jedenfalls erscheint auch
in ihm der Manipel als Insignie des sub-
diakonalen Ordo.
1 Vat. lat. 4746. 5 Vat. Borgh. 14.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 717
Zwar fehlt auch in ihnen der Hinweis auf die Amtsbürde nicht, doch knüpft
die in ihnen zum Ausdruck gelangende Symbolik mindestens ebensohäufig an den
Namen Stola an. Das Ornatstück war das liturgische Gewand im vorzüglichen Sinne,
die eigentliche liturgische Insignie, das Gewand schlechthin, ohne das der Priester
keinerlei Funktionen vornehmen durfte. Es begreift sich daher, daß man in ihr ein
Abbild des Kleides der Gerechtigkeit und Unsterblichkeit, d. i. das Symbol der heilig-
machenden Gnade sah, und daß sie in dieser Eigenschaft dann weiterhin auch als
das Gewand der Freude und des Frohlockens bezeichnet wurde.
Die Gebete, welche bei Anlegung der Stola gesprochen zu werden pflegten, sind
im Gegensatz zu denjenigen, welche bei den übrigen Gewändern gebetet wurden, aus-
nahmsweise wenig mannigfaltig. Auf den ersten Blick mag das bei einem so bedeutungs-
vollen Gewände auffällig erscheinen. Man versteht es aber unschwer, sobald man
die hohe Bedeutung der Stola als des Sinnbildes des Amtes und als des liturgi-
schen Gewandes schlechthin ins Auge faßt.
Die Gebete lassen sich auf vier Grundtypen zurückführen. Der eine lautet :
„Zerbrich, o Herr, meiner Sünden Banden, auf daß ich, angeschirrt an das Joch
deines Dienstes, mit Furcht und Ehrerbietung dir zu dienen vermöge ; denn du hast
gesagt: Mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht"; der zweite: „Umgib meinen
Nacken mit dem Gewand der Gerechtigkeit und reinige meinen Sinn von allem Sünden-
verderben." Den dritten Typus stellt das heute noch beim Bischof gebräuchliche Gebet
dar: „Gib mir wieder, o Herr, ich flehe, das Gewand der Unsterblichkeit, das ich
durch die Sünde des Stammvaters verloren, und weil ich nun mit diesem Schmuck,
wenngleich unwürdig, deinem Dienste mich nahe, gewähre mir, auf ewig mit ihm mich
zu erfreuen." Beim seltener vorkommenden vierten heißt das Gebet: „Es bekleide
mich der Herr Jesus Christus mit dem Gewände der Freude und des Frohlockens,
der da zu seinen Jüngern gesagt: Mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht." '
Typus II und III begegnen uns schon in einem aus der zweiten Hälfte des
9. Jahrhunderts stammenden Sakramentar von Amiens -. Der vierte ist der jüngste ;
er tritt erst in späteren Missalien auf. Typus I und II erscheinen meist getrennt, doch
sind sie auch wohl miteinander verbunden.
Was an sonstigen Gebeten noch bei Anlegung der Stola in den mittelalterlichen
Missalien vermerkt wird, ist keiner besondern Beachtung wert. Erwähnung finden möge
von ihnen nur das Gebet einer Handschrift der Vaticana aus dem 11. Jahrhundert :
„Bekleide mich, o Herr, mit dem Schmuck der Demut, der Liebe und des Friedens,
auf daß ich, von Tugenden allseitig beschirmt, den Feinden der Seele und des Leibes
zu widerstehen vermöge" 3; die Stola wird als liturgisches Gewand im besondern Sinne
darin auf den Tugendschmuck der Seele gedeutet.
In dem Gebete, unter welchem der Bischof bei der Priesterweihe das rechte
Stolaende über die Schulter des Ordinanden zur Brust führte, erscheint die Stola
fast immer als Symbol des presbyteralen Amtes. „Nimm hin", so pflegte jener nach
fast allen Pontinkalien zu sagen, „das Joch des Herrn; denn sein Joch ist süß und
seine Bürde ist leicht." Bei der Diakonatsweihe lautete das Gebet, unter welchem
der Bischof dem Ordinanden die Stola anlegte, in der Regel entweder: „Nimm hin
deine Stola und erfülle deinen Dienst; Gott ist ja mächtig, dir seine Gnade zu ver-
mehren, der da lebt usw.", oder: „Nimm hin, in den Augen der göttlichen Majestät
von allem Sündenschmutz rein, von des Herrn Hand die weiße Stola, auf daß dein
Lebenswandel allen ein Vorbild sei und das in Christi Namen geheiligte Volk dir
nachfolge und in der Gerechtigkeit dir ähnlich werde." 4 In dem letzten dieser beiden
1 Es mag genügen , auf die Auszüge bei 3 Vat. lat. 4772. Vgl. auch das Sakra-
Mart. 1. 1, c. 4, art. 1 und 12; I 126 f 171 ff mentar von Stablo bei Mart. 1. 1, c. 4, art. 12,
zu verweisen, wo sich genug Belege finden. ordo 15 ; I 210.
Eine Verbindung von Typus I und II z. B. in 4 Vgl. die Auszüge aus dem Weiheritus bei
Vat. lat. 5742 und Ottob. 576; eine Ver- Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 3 ff ; II 87 ff,
bindung von I und III in Ottob. 221. sowie Vat. lat. 1153 1159 4745 5791 7114;
2 Paris, Bibl. Nat. f. lat. 9432. Vat. Ottob. 27 270; Vat. Borgh. 99 u. a.
'18 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Gebete ist die Stola das Sinnbild der Heiligkeit, welche den Diakon zieren muß, im
ersten aber das Symbol des diakonalen Amtes. Daß in diesen Weihegebeten noch
geringere Mannigfaltigkeit herrscht als in den Ankleidegebeten, liegt hauptsächlich
wohl an dem Charakter der Zeremonie, bei der sie gesprochen wurden. Weil näm-
lich die Stola als Insignie des priesterlichen und diakonalen Amtes galt, so lag es
offenbar am nächsten, bei den Gebeten, unter denen der fragliche Eitus statthatte,
vor allem auf eben diese Symbolik Rücksicht zu nehmen.
Typisch wurde die Stola auf den Gehorsam gedeutet, in dem Christus Knechts-
gestalt annahm und bis zum Tode unterwürfig ward ; auf den leidenden Gottmenschen
bezogen, war sie bald Sinnbild des Strickes, den man ihm am Ölberg um den Hals
sehlang, bald des Kreuzes, das er tragen mußte, bald, und zwar schon bei Durandus,
der Fesseln, womit man ihn an die Geißelsäule band.
In dem Gebete, mit welchem der Bischof jetzt bei der Weihe die Anlegung des
Meßgewandes begleitet, wird dasselbe als ein Sinnbild der Liebe bezeichnet. Das
ist auch die Bedeutung, welche die Liturgiker des Mittelalters von Hraban an bis auf
Durandus in einer überraschenden Einmütigkeit mit der Kasel verknüpfen. „Dieses
Kleid" — welches als das oberste aller Gewänder alle andern deckt und schützt —
„können wir", sagt Hraban, „als die Liebe auffassen, welche alle Tugenden über-
ragt und ihnen Schönheit, Schutz und Glanz verleiht." Die übrigen Liturgiker haben
diese Deutung entweder bloß wiederholt oder mit Beziehung auf die beiden Hälften
des Gewandes und die bei dessen Anlegung entstehenden Balten im Geiste der Zeit
weiter ausgesponnen '. Nur Amalar und Rupert gehen ihre eigenen Wege ; jener
deutet die Kasel auf die guten Werke, dieser auf die Kirche.
Auch in dem Gebete, welches der Priester nach den mittelalterlichen Sakra-
mentaren und Missalien bei Anlegung der Kasel sprechen sollte, findet sich oft unser
Gewand als Sinnbild der Liebe aufgefaßt. „Bekleide mich, o Herr", so lautet ein
häufig vorkommendes Gebet, „mit der Zier der Demut, der Liebe und des Friedens,
auf daß ich, allseitig mit Tugenden ausgerüstet, den Lastern und den Feinden zu
widerstehen vermöge." 2 Liebe setzt wahre Demut voraus; ihre Frucht aber ist der
Friede. Allein die Kasel erscheint in den Ankleidegebeten keineswegs ausschließlich
als Sinnbild der Liebe wie bei den Liturgikern, sondern auch als Symbol der priester-
lichen Gerechtigkeit und Heiligkeit :
als Abbild der Gnade des Heiligen Geistes,
welche der Priester beim Anlegen des Mefsgewandes auf sich herabflehte *, ja sogar
vereinzelt als Panzer des Glaubens und als Helm der Hoffnung 5. Besonders häufig
aber kam das Gebet zur Verwendung, welches gegenwärtig allgemein beim Anziehen
der Kasel gesprochen wird und das Gewand auf das süße und leichte Joch Christi
deutet s. Es findet sich schon in den Sakramentaren des 9. und 10. Jahrhunderts.
Ahnlich wie mit den Ankleidegebeten verhält es sich mit den Worten, unter
welchen der Bischof dem Ordinanden bei der Priesterweihe die Kasel anzulegen pflegte.
Auch hier herrscht keine Einheit. Am häufigsten versinnbildet darin das Meßgewand
allerdings die Liebe , jedoch erscheint es in ihnen oft auch als Symbol der Un-
schuld : Stola innocentiae induat te Dominus. Vielleicht bei keinem Gewand zeigt
sich in so auffallender Weise, wie wenig Einfluß die mystischen Auslegungen der
Liturgiker auf die Deutung in der Praxis hatten, als gerade bei der Kasel.
1 So bei Honorius, Sicard, Innozenz LI.
2 Vat. lat. 5742 6082 7231 ; Vat. Ottob.
221 576. Vgl. ferner die drei Trierer Mis-
salien (S. 712, Anm. 3) ; die beiden Sakramen-
tare von St Gallen (339 und 354) , das Kölner
Missale von 1487 ; die beiden Sakramentare
der Bibl. Riccard. zu Florenz 299 und 300;
desgleichen verschiedene der bei Mart. 1. 1,
c. 4, art. 1 und 12 sich findenden Aus-
züge aus mittelalterlichen Missalien, sowie
M. 78, 246.
3 Vat. lat. 3808 und 4743 ; Rom, Bibl. Angel.
477 u. a. So auch in der Missa Illyrica.
4 Cod. Vat. lat. 4770 und 4772; das Mis-
sale von Augsburg (1555) u. a.
5 Mart. 1. 1, c. 4, art. 1; I 126 f (Sakra-
mental' von Tours und Missale von Au-
xerre).
c Vat. lat. 4730 und 9340 ; Rom, Bibl. Angel.
1092. Vgl. ferner die Auszüge bei Mart.
a. a. O. u. a. Das Gebet kommt am frühesten
in französischen Sakramentaren vor.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 719
Im typischen Sinne wurde das Meßgewand auf die Kirche als das Gewand
Christi gedeutet, und zwar sah man in seiner vorderen Hallte die Kirche des Alten
Bundes, in seiner hinteren aber die des Neuen Bundes. In dem Umstand, dafä die
Kasel ringsum geschlossen und nirgends aufgeschlitzt war, erkannte man ein Bild der
Einheit der Kirche. Im späten Mittelalter galt das Gewand allgemein als Abbild des
Purpurmantels, den die Soldaten nach der Dornenkrünung dem Heiland umwarfen.
Schon Durandus gedenkt dieser Deutung, die demnach im 13. Jahrhundert aufgekommen
sein muß. Berthold von Regensburg erklärt die Kasel als Sinnbild der „großen und
ganzen minne, die unser herre zuo de menschen hat" *.
IV. DIE SYMBOLIK DER BISCHÖFLICHEN ORNATSTÜCKE.
Auch die spezifischen Pontifikalgewänder, die Mitra, die Handschuhe,
die pontifikale Fußbekleidung, das Subcinctorium und das Pallium, haben
mannigfaltige Ausdeutungen erfahren, wenngleich nicht in dem Maße wie die
Bestandteile der priesterlichen Kleidung. Obendrein beschäftigen sich die
Liturgiker seit Durandus kaum mehr mit der Darlegung ihrer Symbolik. Die
liturgischen Schriften des 14. und 15. Jahrhunderts behandeln in der Regel
nur die Symbolik der priesterlichen Gewandung.
Der erste unter den Liturgikern, welcher die Mitra mystisch deutet, ist Bruno
von Segni. Weil aus Linnen gemacht, ist sie für ihn Sinnbild der Keuschheit ; weil
das Haupt des Bischofs deckend, wird sie von ihm als Mahnung betrachtet, die Sinne
zu bewachen. Honorius fügt der Auslegung Brunos die Deutung auf Christus und
die Kirche hinzu. Christus ist das Haupt, der Bischof der Stellvertreter Christi,
die Kirche die Mitra. Eine Mitra, sagt Honorius, umgibt das Haupt des Bischofs,
wenn die in der Taufe gereinigte und. durch gute Werke strahlende Kirche Christus
in seinen mannigfaltigen Leiden im Hinblick auf die Krone der Herrlichkeit nach-
ahmt, wenn die Gläubigen, durch des Bischofs Unterweisung erleuchtet, der bischöf-
lichen Würde den Tribut ihrer Verehrung zollen, wenn Klerus und Volk sich um ihn
als ihren Hirten scharen. Von Hörnern der Mitra gibt weder Bruno noch Honorius
eine mystische Erklärung. Begreiflich, da beide solche noch nicht kennen konnten.
Die früheste Symbolik der Hörner findet sich in Übereinstimmung mit der Ent-
wicklung der Mitra bei Robert Paululus, im Speculum de mysteriis ecclesiae und im
Tractatus de sacramento altaris. Sie werden hier auf die beiden Testamente aus-
gelegt, eine Deutung, die in der Folge auch in die liturgischen Gebete überging. „Des
Bischofs gehörnte Mitra", sagt das Speculum, „stellt die beiden Testamente dar,
mittels deren er der Kirche Feinde besiegen muß." Ähnlich drücken sich Robert
Paululus, der irrig Stephan von Bauge zugeschriebene Tractatus de sacramento altaris 2,
Sicard von Cremona und Innozenz III. aus.
Sehr weitläufig erörtert Durandus die Bedeutung der Mitra. Die cornua be-
trachtet er als Sinnbilder der beiden Hauptgebote der Gottes- und Nächstenliebe, aber
auch als Symbole des Alten und Neuen Bundes, mit welchen ja der Bischof durchaus
vertraut sein müsse. Den circulus des Ornatstückes, welcher dessen beide Hälften
umschließt, deutet er auf den scriba doctus in regno coelorum, qui profert de the-
sauro suo nova et vetera, d. i. auf den Bischof selbst, der aus den Schätzen beider
Testamente zu Nutz und Frommen seiner Herde hervorlangen soll. In den Streifen,
die von der pontifikalen Kopfbedeckung herabhangen, sieht Durandus, indem er an
seiner Auslegung weiterspinnt, Geist und Buchstaben, d. i. das mystische und das
historische Verständnis der Heiligen Schrift. Die fasciae sind mit roten Fransen an
den Enden versehen, um die Bereitwilligkeit des Bischofs anzudeuten, Glauben und
1 Wakernagel, Altdeutsche Predigten, ben, wie das Speculum Hugo von St Victor
Basel 1876, 70. fcall41). Weder der eine noch der andere
2 Der Tractatus wird mit dem gleichen Un- konnte von Hörnern der Mitra reden, wie es
recht Stephan von Bange (f 1136) zugeschrie- doch in beiden Schriften geschieht.
720 Fünftel- Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Schrift selbst mit seinem Blut zu verteidigen. Sie hangen über die Schultern herab,
mit denen man die Lasten trägt, weil sie den Pontifex darauf hinweisen sollen, das
in die Tat umzusetzen, was er mit dem Munde predigt '. Auf Christus gedeutet , be-
zeichnet die Mitra nach dem Rationale die Vei-herrlichung und Glorie der heiligen
Menschheit Christi, eine Symbolik, die Sicard und Innozenz III. entlehnt ist; doch
wurde der pontifikale Kopfschmuck, wie Durandus mitteilt, von einigen auch wohl
als Sinnbild der Dornenkrone Christi hingestellt.
Ein Gebet scheint nur sehr selten beim Aufsetzen der Mitra gesprochen worden
zu sein. Wir haben ein solches bisher nur in zwei mittelalterlichen Handschriften ge-
funden 2. Es lautet beide Male: „Setze auf, o Herr, die Mitra als Helm des Heiles
auf mein Haupt, damit ich gegen des alten Feindes und aller Gegner Nachstellungen
geschirmt sei. " Es ist das gleiche Gebet, welches der Bischof heute beim Aufsetzen der
Mitra zu sprechen pflegt. In dem erst im 14. bis 15. Jahrhundert entstandenen Gebete,
unter welchem dem neugeweihten Bischof die Mitra aufgesetzt wird, erscheint diese
gleichfalls als Helm des Heiles; doch ist darin auch die Symbolik aufgenommen,
welche die liturgischen Schriften seit Ausgang des 12. Jahrhunderts mit den beiden
cornua der Mitra verbanden.
Von den Deutungen, welche die Liturgiker seit dem Beginn des 12. Jahr-
hunderts den Pontifikalh and schuhen angedeihen lassen, ist diejenige am ein-
fachsten, natürlichsten und ansprechendsten, welche sich bei Bruno von Segni findet:
,Du fragst, warum die Hände (des Bischofs) mit Handschuhen bekleidet werden?
Nun, ich antworte kurz und bündig: auf daß sie rein, sauber, von allem Schmutze
frei und lauter seien." Schön ist indessen auch eine andere mehrfach wiederkehrende
Auslegung. Sie knüpft an die Auffassung an, wonach die Hände das Sinnbild der
guten Werke sind. Die chirothecae mahnen ihr zufolge den Bischof, er möge, wie
er bald die Hände mit den Handschuhen verhüllt, bald wieder entblößt, so auch die
guten Werke bald der Demut halber im verborgenen, bald des guten Beispiels wegen
in der Öffentlichkeit üben 3. Durandus sieht in Anlehnung an diese Deutung in den
Handschuhen das Symbol jener Behutsamkeit, kraft deren man es sich angelegen sein
läßt, die guten Werke in demütiger Gesinnung zu verrichten, auf daß sie auch dann,
wenn sie öffentlich geschehen müssen, wenigstens was die Absicht anlangt, gleichsam
im verborgenen bleiben *. Nach dem Speculum erinnern die Handschuhe an die Taten
der Heiligen, die der Bischof in seinen Werken zum Vorbild nehmen muß. Zugleich
sollen sie diesen auffordern, sein Tun von aller Makel frei zu halten 6.
Der erste, welcher die Pontifikalhandschuhe auf Christus deutet, ist Innozenz III.
Er vergleicht sie mit den Ziegenfellchen, mit denen ßebekka die Hände Jakobs um-
gab, und betrachtet sie wie diese als Sinnbilder der sündenähnlichen Menschennatur,
mit welcher der Gottessohn durch die Kraft des Heiligen Geistes bekleidet ward".
In dem Gebete, welches der Bischof nach der Anweisung der Missa Illyrica
bei Anlegung der Handschuhe verrichten soll, fleht derselbe, Gott möge ihn mit dem
Gewände der Gerechtigkeit und Freude umkleiden , auf daß er verdiene, mit reiner
Seele vor sein Angesicht zu treten 7. Das Ornatstück erscheint hier als Sinnbild
der Herzensreinheit, welche den christlichen Hohenpriester schmücken muß, wenn
er sich zum heiligen Opfer anschickt. Eine ähnliche Anschauung begegnet uns in
den Worten , welche der Bischof nach dem Sakramental- von Corbie zu sprechen
hatte, wenn ihm der Minister die Handschuhe überreichte 8, nur daß diese hier im
Sinne Brunos von Segni auf die Reinheit der Hände gedeutet werden. Die beiden
1 Gewisse Häretiker verglichen, wie Du- 6 C. 6 (M. 177, 354).
randus (Rationale 1. 3, c. 13; f. 75) erzählt, G Die Auslegung der Bockfellcheu , mit
den Bischof, dessen Haupt die Mitra schmücke, denen Jakobs Hände umkleidet wurden, auf
mit der zweihijrnigen Bestie, von welcher die sündenbeladene Menschcnnatur findet sich
Offb 13, 11 die Rede ist. schon beim hl. Augustinus (De mendacio
"- Vat. lat. 4730 und Vat. Ottob. 27. c. 10, n. 24 [M. 40, 534]).
3 So Honorius u. a. 7 Mart. I. 1, c. 4, art. 12, ordo 4; I 177.
4 Rationale 1. 3, c. 13; f. 75. 8 Ebd. ordo 11; I 203.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 721
Gebete bieten die älteste Symbolik der pontifikalen chirothecae. Ein Pontifikale des
15. Jahrhunderts sieht in den Handschuhen das Sinnbild einer reinen Meinung, wenn
es den Bischof beim Anziehen derselben beten heißt : „Beschirme mit den Hand-
schuhen einer reinen Meinung mein Wirken, auf daß ich dir, allmächtiger Gott, nach
Willen und Tat gefalle." '
Das Gebet, welches nach älteren Pontifikalien gesprochen wurde, während der
Archidiakon in Gegenwart zweier Bischöfe, der Mitkonsekratoren, und unter Beihilfe
der Subdiakonen den Konsekranden mit den Pontifikalhandschuhen ausstattete, lautet :
„Allmächtiger, mildreichster Gott, wir bitten deine unermeßliche Güte, du wollest die
Hände dieses deines Dieners, unseres Mitbruders, so wie sie äußerlich mit diesen Hand-
schuhen umhüllt werden, innerlich mit deines Segens Tau besprengen, auf daß, was
sie immer zu segnen oder zu weihen haben, durch dich gesegnet und geweiht werde." 2
Die Handschuhe erscheinen in ihm als Sinnbild der übernatürlichen Segenskraft des
Bischofs, eine Deutung, welche sich bei den Liturgikern des 12. und 13. Jahrhunderts
nirgends findet. Das Gebet, welches der Konsekrator nach Pontifikalien des späten
Mittelalters bei jener Zeremonie sprechen mußte, schließt sich der Symbolik an, welche
Innozenz III. mit den Handschuhen verknüpft. Es ist dasselbe, welches noch jetzt
nach dem römischen Pontifikale bei der Bischofsweihe gebetet und auch bei dem
Pontifikalamt vom Bischof während des Anziehens der Handschuhe verrichtet wird.
Von der mystischen Bedeutung der C a 1 i g a e handeln die mittelalterlichen Litur-
giker nur wenig. Nach Amalar versinnbildet die linnene Umhüllung des Fußes
die Zucht der Füße, kraft deren diese gehindert werden, zum Bösen zu eilen. Ivo
von Chartres sieht in den aus weißem Byssus oder Linnen angefertigten Caligae eine
Mahnung für den Träger, den rechten Weg zu wandeln. Den Umstand, daß die
Strümpfe am Knie mit Bändern befestigt wurden, betrachtet er als eine Auffor-
derung an den Bischof, die etwa durch allerlei Nachlässigkeiten geschwächten Knie
zu stärken und so zur Verkündigung des Evangeliums zu eilen. Auch dem Speculum
zufolge symbolisiert die Anlegung der Pontifikalstrümpfe die Vorbereitung auf die Reise
zur Predigt des Wortes Gottes ; nach Sicard sind die Caligae ein Bild der Beinheit
des Wandels, die den Boden des Heiles zieren muß.
Wenn die Liturgiker die Caligae auf die Makellosigkeit des Lebens deuten, so
tun sie das mit Rücksicht auf deren weiße Farbe. Wenn sie aber in der Auslegung
derselben auf das Predigtamt des Bischofs Bezug nehmen, so hängt das mit dem Um-
stand zusammen, daß die Caligae als Beigabe und als Zubehör zu den Pontifikal-
schuhen galten, die letzteren aber seit dem 9. Jahrhundert von den Liturgikern stets
und allgemein als Hinweis auf die Verkündigung des Wortes Gottes angesehen wurden.
Hraban ist der erste, welcher im Anschluß an Bedas Erklärung zu Mk 6, 9 die
Sandalen auf die Predigttätigkeit bezieht.
Ihm ist der Fuß, welcher den Glaubensboten hinausträgt, Sinnbild des Evan-
geliums, welches gepredigt wird. Daher sollen die oben offenen, nach dem Boden zu
mit fester Sohle versehenen pontifikalen Schuhe andeuten, erstens ut nee oecultetur
evangelium, nee terrenis commodis initatur, daß also das Wort Gottes nicht unter
dem Scheffel bleiben und anderseits der Prediger sich ebensowenig von zeitlichen
Vorteilen bei Ausübung seiner hohen Aufgabe leiten lassen dürfe ; zweitens daß der
Bote Gottes die Wahrheiten des Evangeliums teils unerschlossen lassen, teils offen
verkünden müsse, damit die gläubigen und frommen Seelen im Glauben hinreichend
unterrichtet seien, die Ungläubigen und Spötter aber keinen Stoff zu ihren Lästerungen
hätten. Mit andern Worten : Hraban sieht in den Sandalen die Mahnung zu eifriger,
uneigennütziger und umsichtiger Verwaltung des mit den priesterlichen Funktionen
innig zusammenhängenden Predigtamtes.
Weit eingehender als Hraban behandelt Amalar die Pontifikalschuhe ; ja es ist,
als ob dieser bei ihnen mehr noch wie bei allen andern liturgischen Gewändern seinen
1 Vat. lat. 1145. 2 Hitt. 109. Vgl. Mart. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 16; II 82.
Braun, Die liturgische Gewandung. 46
722 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Scharfsinn und seine Deutungsgabe spielen lasse , damit nur gar nichts unaus-
gelegt bleibe.
Die Sandalen erinnern nach Ahialär den Prediger daran, daß er zur Verkündigung
des Wortes Gottes umherziehen müsse. Die Sohle ermahne ihn, sich nicht in irdische
Angelegenheiten zu verwickeln, das weiße Leder zwischen Fuß und Sohle aber weise
ihn darauf hin, daß dieses Fernhalten von der Welt aufrichtig und ernst gemeint sein
müsse. Die Kappe der Sandale stellt nach Amalar die Zunge derjenigen dar, welche
dem Prediger ein gutes Leumundszeugnis zu geben haben, das Vorderleder dagegen die
Zunge der geistlich gesinnten Männer, welche den Prediger ins Predigtamt einführen.
Das weiße Leder, womit die Sandalen inwendig gefüttert waren, soll die reine Absicht
des Heilsboten bezeichnen, die schwarze Farbe des Äußern aber zum Ausdruck bringen,
daß den Weltmenschen das Leben der Prediger wegen der vielen Bedrängnisse dieser
Welt verächtlich vorkomme. Außen- und Innenleder sind an den Rändern mit vielen
Fäden vernäht, um anzuzeigen, daß beim Verkündiger des Wortes Gottes die äußeren
Werke und der innere Tugendglanz in Einklang stehen müssen. Das Vorderleder kann
man nach Amalar auch als Sinnbild der eigenen Zunge des Predigers auffassen;
dann mag der mittlere Streifen desselben die evangelische Vollkommenheit, den Gegen-
stand der Predigt, bedeuten, während die Streifen, welche von den Seiten zur Mitte
hin laufen, als Symbol des Gesetzes und der Propheten, deren Ziel und Ende das
Evangelium ist, betrachtet werden können. Unter den Riemen, die mit der Hand
zum Zwecke der Bindung hierhin und dorthin geführt werden, meint Amalar, lasse
sich die Arbeit verstehen , die Paulus zur Verkündigung des Evangeliums hinzu auf
sich nahm, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. „Mit sicherem Schritt zieht der
Prediger einher, welcher niemand zur Last fällt." So ähnlich der Metz er Chorbischof.
Was Amalar in der Deutung der Sandalen vorgebracht, taucht seitdem immer
wieder bald in etwas vereinfachter, bald in teilweise erweiterter Form bis auf Duran-
dus bei den Liturgikern auf. Auch in den Worten, welche der Bischof nach den
mittelalterlichen Sakramentaren bei Anlegung der Sandalen zu sprechen hatte, wird
die pontifikale Beschuhung auf die Verkündigung des Evangeliums ausgelegt. Das
gleiche geschieht in dem Gebete, unter welchem nach einzelnen alten Weiheordines
die assistierenden Bischöfe den Electus mit den Pontilikalschuhen bekleideten.
Den Grund zu dieser Symbolik bilden , wie aus Hraban hervorgeht, die zwei
Stellen in dem Evangelium des hl. Markus und dem Briefe des Apostels an die
Ephesier. Nach jener (6, 9) sandte der Herr die Apostel aus zur Predigt des Reiches
Gottes „mit Sandalen beschuht". Im 6. Kapitel des Ephesierbriefes aber schildert
der hl. Paulus die Waffenrüstung des Christen und mahnt dabei die Gläubigen, unter
anderem auch „an den Füßen beschuht zu sein mit der Bereitung des Friedensevan-
geliums".
Gebete, die man beim Anschuhen der Pontifikalsandalen sprach, kommen übrigens
in den Sakramentaren und Pontifikalien verhältnismäßig nur selten vor. Es scheint
das Gewöhnlichere gewesen zu sein , daß man das Anlegen der liturgischen Be-
schuhung während der Vorbereitungsgebete auf die Messe vornahm. Sicher war es
so im 15. Jahrhundert zu Rom Brauch, wie ein Pontifikale der Vatikanischen Biblio-
thek ausdrücklich angibt '. Daß es aber auch anderswo so gehalten wurde, ergibt
sich z. B. aus einem Minoritenmissale -. Natürlich war , wo diese Sitte bestand, ein
besonderes Anlegegebet überflüssig , ja nicht einmal am Platz . Am häufigsten
stoßen wir auf das Gebet, welches auch jetzt noch beim Anziehen der liturgischen
Fußbekleidung gesprochen wird 3. Daneben finden sich aber auch einige andere von
allgemeinerer Fassung, wie z. B. : „Mit den Sandalen deines Schutzes beschirme, o Herr,
meine Füße, daß ich nach der Heiligen Beispiel würdig deine Geheimnisse feiere." *
1 Vat. lat. 1145: Melius tarnen est, quod 2 Vat. lat. 4743. Vgl. auch Vat. lat. 9340
calcietur, dum dicit psalmos, ut citius ex- (Pontifikale von Monte Cassino).
pediatur, et sie fit in curia romana, et tunc * Siebe oben S. 385.
nihil aliud dicit pontifex, dum calciatur. ' Vat. lat. 1145.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 723
Die Worte, welche beim Anziehen der Sandalen gesprochen wurden, galten in
der Regel auch für die Caligae, also für die ganze Fußbekleidung, gerade wie gegen-
wärtig. Nur selten findet sich ein besonderes Gebet für die Pontifikalstrümpfe an-
gegeben. So soll z. B. nach zwei Pontifikalien der Vaticana der Bischof beim An-
ziehen derselben flehen: „Ziehe mir an, o Herr, die Caligae der Freude und stärke
meine schwachen Knie, auf daß ich, ohne zu ermüden, auf dem Weg deiner Gebote
zu dir gelangen möge." ' Das Gebet erinnert an die Symbolik, welche Ivo von Chartres
mit den Caligae verbindet. Typisch aufgefaßt sind die Pontifikalschuhe nach Eupert
von Deutz wie der Amikt ein Sinnbild der heiligen Menschheit Christi , wobei ins-
besondere das Bindwerk auf die geheimnisvolle Einigung der beiden Naturen hin-
weist. Durandus sieht näher in den Caligae das heilige Fleisch des Erlösers, in den
Sandalen seine heilige Seele symbolisiert.
Dem päpstlichen F a n o scheint eine besondere Symbolik nicht beigelegt worden
zu sein. Wenn Innozenz III. und Durandus seiner Erwähnung tun, so geschieht es
bloß, um ihn als päpstliches Sondergewand zu bezeichnen, nicht aber, um daran
irgend eine symbolische Erörterung zu knüpfen.
Dagegen ist das Subcinctorium, das ja auch ein allgemeiner gebräuchliches
Ornatstück war, mehrfach mystisch gedeutet worden. Nach Robert Paululus und
Honorius sinnbildet es den Eifer im Almosenspenden, wobei dieses jedoch im weiteren
Sinne zu fassen ist. Der eine Streifen soll den Träger des Subcinctorium ermahnen,
durch Vermeidung der Sünde an der eigenen Seele Erbarmen zu üben; der andere
dem Nächsten durch Hilfe in dessen Nöten Barmherzigkeit zu erweisen. Bruno von
Segni und Innozenz III. sehen in dem Ornatstück einen Hinweis auf Gebet und
Fasten als die beiden zur Bewahrung der Keuschheit so notwendigen Mittel. Für
Durandus bedeutet das Subcinctorium wie das Cingulum die Keuschheit. Während
letzteres jedoch die castitas mentis symbolisiere , sei ersteres Sinnbild der castitas
corporis, daher es denn auch an der linken, der minder ehrenvollen Seite aufgehängt
werde; die geistige Keuschheit stehe ja höher und sei vorzüglicher als die leibliche.
Das ist in der Hauptsache die Symbolik, welche die Liturgiker des 12. und
13. Jahrhunderts mit dem Subcinctorium verbanden. Ein Gebet dürfte man im Mittel-
alter bei Anlegung desselben nur selten gesprochen haben, wahrscheinlich, weil man
es gewöhnlich zugleich mit dem Cingulum anlegte. Die Missa Illyrica läßt den Bischof
bei Annahme des praecinctorium flehen: „Umgürte mich, o Herr, mit Kraft und
mache makellos meinen Wandel." Nach dem Sakramental- von Corbie soll der Pon-
tifex, wenn ihm der Minister das Subcinctorium reicht, beten: „Ich bitte dich, höchster
Gott der Heerscharen, heiliger Vater, du wollest mir gnädigst Keuschheit angürten
und meine Lenden mit dem balteus deiner Furcht umgeben und meine Nieren mit
dem Feuer deiner Liebe ausbrennen, auf daß ich um Verzeihung meiner Sünden dich
anzuflehen, für des umstehenden Volkes Vergehen Nachlaß zu verdienen und frieden-
bringende Opfergaben für alle einzelnen darzubringen vermag." - Das Gebet im Ponti-
fikale von Cambrai (ad balteum) hat beinahe denselben Wortlaut wie dasjenige des
Corbieer Sakramentars. Die Symbolik, welche in diesen Gebeten zum Ausdruck
kommt, ist die gleiche, welche mit dem Cingulum verknüpft zu werden pflegte. An-
gesichts der Bedeutung, welche man im Mittelalter mit dem Subcinctorium verband,
versteht man, weshalb der hl. Karl Borromäus bestimmt, der Bischof solle ein Sub-
cinctorium haben pro ratione mysterii, um seines mystischen Sinnes willen.
Von der offiziellen Symbolik des Palliums mußte schon früher geredet werden.
Hier kann es sich also bloß um die mystische Betrachtung handeln, welche die Litur-
giker zur Karolingerzeit sowie im 12. und 13. Jahrhundert dem über alle andern
hervorragenden Ornatstück haben zu teil werden lassen.
' Ebd. 4730 und Vat. Ottob. 27 ; ein ahn- castigare digneris accingere et meos lumbos
liches Gebet in Vat. lat. 1145. balteo tui timoris ambire. Castigare ist ein
2 Mart. 1. 1, c. 4, art. 12, ordo 11 ; I 203. Schreibfehler für castitate , wie aus einem
Hier lautet, wie im Original (Bibl. Nat. f. Vergleich mit der ursprünglichen Vorlage
lat. 12 052), das Gebet: Rogo te . . . ut nie erhellt.
46*
724 Fünfter Abschnitt. Symbolik. Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Bei Hraban, Amalar und Pseudo-Alkuin halten sich die diesbezüglichen Aus-
führungen noch in mäßigen Grenzen. Es war ja auch das Pallium noch nicht offi-
zielles Symbol der plenitudo pontificalis officii. Im 12. Jahrhundert war das jedoch
anders geworden , und darum sehen wir denn auch die späteren Liturgiker sich ein-
gehender mit der mystischen Auslegung des Ornatstückes beschäftigen. Bald beziehen
sie es auf das Leiden Christi, das der Inhaber des Gewandes durch Wort und Bei-
spiel predigen müsse, bald moralisch auf die Zucht, mit welcher der Erzbischof sich selbst
und die Untergebenen zu regieren habe. Veranlassung zur Deutung auf Christi Leiden
boten die dem Pallium aufgenähten purpurnen Kreuze. Es ist nicht möglich, auf
alle diese mystischen Betrachtungen einzugehen. Es muß zu ihrer Charakterisierung
genügen, als Beispiel die Erörterungen anzuführen, welche Innozenz III. über die Be-
deutung des Palliums anstellt. Das Pallium symbolisiert nach ihm die Zucht, in
welcher der Träger sich selbst und seine Untergebenen halten soll. Die Wolle, aus
der das Gewandstück gemacht ist, erinnert daran, daß es ihm nicht an Strenge,
die weiße Farbe desselben , daß es ihm aber auch nicht an Milde fehlen dürfe.
Eben um des letzteren Umstandes willen werde es ja auch nicht aus dem Haar jedes
beliebigen Tieres, sondern aus dem des sanftmütigen Lammes gemacht. Der sich um
die Schultern ziehende Ring des Palliums sinnbildet nach Innozenz die Furcht des
Herrn, welche vom Unerlaubten abhält und im Überfluß zum Maßhalten führt. Die
vier Kreuze vorn, hinten und auf den Schultern legt er auf die vier Kardinaltugenden
aus; ihre Purpurfarbe soll darauf hinweisen, daß diese Tugenden gleichsam in Christi
Blut gerötet , d. h. verübernatürlicht werden müssen, falls sie wahre Tugenden sein
und zur ewigen Seligkeit führen sollen. In den beiden Streifen, die vom Ring herab-
hangen, sieht Innozenz das tätige und das beschauliche Leben, dessen sich der Träger
des Palliums befleißigen soll. Beide ziehen sich nach unten, weil der Leib die Seele
gleichsam beschwert und zur Erde niederdrückt. Auf der linken Schulter ist das
Pallium gedoppelt, weil das Leben hienieden, das durch die linke Seite versinnbildet
wird, voll ist von Mühsalen ; auf der rechten ist es dagegen einfach, um anzudeuten,
daß das zukünftige, dessen Bild die rechte Seite darstellt, nur Ruhe und Friede ist.
Doppelt ist es ferner auf der Linken, weil sein Träger stark sein muß, um die
Widerwärtigkeiten dieses Lebens zu ertragen ; einfach auf der Rechten, weil er mit
allem Verlangen nach dem Himmel seufzen soll. Die drei Nadeln, welche dem Pallium
vor der Brust, auf der linken Schulter und im Rücken angeheftet sind, bezeichnen
das Mitleid mit dem Nächsten, die Verwaltung des Amtes und das zukünftige strenge
Gericht. Denn das sind drei Dinge, welche die Seele stechen , das erste durch das
Mitgefühl, das zweite durch die Mühe, das dritte durch die Furcht. Daß auf der
rechten Schulter die Nadel fehlt, besagt, daß es im Himmel keinen Stachel der
Betrübnis gibt. Daß die Nadel unten zwar spitz, oben aber abgerundet ist , soll
daran erinnern, daß der gute Seelenhirt auf Erden in der Sorge um seine Herde
allerdings viele Plagen hat, daß er dafür aber auch einst im Himmel gekrönt und
jene kostbare Perle besitzen wird, von welcher der Herr im Evangelium redet.
Die Ausführungen Innozenz' III. zeigen zur Genüge, in welcher Weise die Litur-
giker des 12. und 13. Jahrhunderts das Pallium symbolisch auszulegen pflegten. In
die liturgischen Bücher haben ihre Deutungen keinen Eingang gefunden. Ein Gebet
bei Anlegung des Palliums zu sprechen, ist nicht Brauch geworden.
V. DIE SYMBOLISCHE BEDEUTUNG DES SUPERPELLICEUM , DER
LEVITENGEWÄNDER UND DES PLUVIALE.
Es erübrigt noch, auf die Symbolik des Superpelliceum, der Leviten-
gewänder, der Dalmatik und der Tunicella, und des Pluviale einzugehen.
Sie sind nur in geringem Maße Gegenstand mystischer Auslegung geworden.
Am meisten haben sich die Liturgiker noch mit der Dalmatik beschäftigt.
Ankleidegebete, welche die genannten Gewandstücke sinnbildlich deuten, waren
zum Teil gar nicht, zum Teil nur in sehr beschränktem Malü in Gebrauch.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder. 725
Von der Symbolik des Superpelliceum sagt Durandus, es bezeichne wegen
seiner Weiße die Keuschheit, doch bedeute es auch die Unschuld überhaupt und
mahne darum seinen dem Dienste Gottes geweihten Träger, sich alle Tage des
Lebens durch schuldlosen Wandel hervorzutun. Wegen seiner Weite sinnbilde es
die allumfassende Liebe. Über die profanen Kleider gezogen, erinnere es daran,
daß die Liebe der Sünden Menge bedeckt. Endlich symbolisiere es, weil es bei aus-
gebreiteten Ärmeln Kreuzesgestalt habe, Christi Kreuz und Leiden und ermahne den-
jenigen, der mit ihm bekleidet sei, sich selbst mit allen Fehlern und allen Gelüsten
zu kreuzigen. Durandus' Auslegungen sind ein wenig gesucht, doch ansprechend.
Seine Erfindung sind sie aber nicht. Wir finden sie schon bei Sicard , bei Arno
und Gerhoh von Eeichersberg, ja schon bei Anselm von Havelberg.
Die Symbolik der Dalmatik zeigt von der Karolingerzeit an bis auf Durandus
immer wesentlich dasselbe Bild. Hraban legt das Gewand mit Bücksicht darauf, daß
es Kreuzesform darstelle und vorn, auf dem Bücken und an den Ärmelsäumen mit
roten Streifen besetzt sei, auf das Leiden Christi aus. Er findet demgemäß in ihm
für den Diener Christi die Mahnung, seines hohen Amtes stets zu gedenken, auf daß er,
wenn er im heiligen Opfer das Gedächtnis des Leidens des Herrn begehe, selbst dabei
eine Gott wohlgefällige Opfergabe werde. Amalar deutet das Gewand auf die Bein-
heit und die Liebe zum Nächsten, welche dem Träger desselben eigen sein sollen. Die
weiße Farbe symbolisiere die Beinheit, die Purpurstreifen und Fransen , mit denen
die Dalmatik geschmückt werde, die Liebe zum Nächsten. Den Umstand, daß sich
diese Streifen sowohl von der rechten wie von der linken Schulter herabzogen, legt der
Metzer Diakon dahin aus , daß die Liebe zum Nächsten sich im Glück (rechte
Seite) wie im Unglück (linke Seite) bewähren müsse. Daß die Zierstreifen auf der
Vorder- und Bückseite des Gewandes angebracht wurden, versinnbildet nach Amalar,
daß das Gebot der Liebe im Alten wie im Neuen Bunde eingeschärft werde. Die
Weite der Ärmel solle an freudige Freigebigkeit beim Spenden gemahnen.
Was die Folgezeit an Deutungen der Dalmatik bringt, bewegt sich im ganzen
im Bahmen der Gedanken und Auffassungen Hrabans und namentlich Amalars. Man
vergleiche z. B. nur, was Honorius, Bobert Paululus, Sicard und Innozenz III. uns
von ihrer Symbolik erzählen. Nirgends findet sich etwas Neues, das irgendwie von
Belang wäre. Nur Bruno von Segni geht in der Deutung des Gewandes seine eigenen
Wege, wenn er dasselbe als Mahnung auffaßt, nach dem von Leiden, Sorgen und
Beschwerden freien Leben im Jenseits zu streben.
Gebete, die beim Anlegen der Dalmatik gesprochen wurden, begegnen uns
nur selten in den liturgischen Büchern des Mittelalters, und selbst diese wenigen
sind dem Wortlaut nach sehr verschieden, ein einziges ausgenommen. Dasselbe
schließt sich an die Deutung Hrabans an und findet sich schon in der sog.
Missa Illyrica. Es lautet: „Mit diesem nach dem Vorbild der früheren Väter in
Kreuzesform gemachten und mit Purpurstreifen besetzten Gewände bekleidet, bitte ich
demütig, o Herr, daß ich dir durch die Begehung deines Leidens immerdar wohl-
gefällig sei.' ' In den andern Gebeten erscheint die Dalmatik als Gewand des
Heiles, der Freude, der Gerechtigkeit oder als Abbild des neuen Menschen, d. i. der
übernatürlichen Heiligkeit. Der Grund für diese Symbolik mag bald ihre weiße Farbe,
bald der Umstand gebildet haben, daß sie als Feierkleid galt. Das Gebet, welches
jetzt der Bischof nach dem römischen Missale beim Anziehen des Gewandes zu beten
hat, findet sich schon in einer Praeparatio ad missam der Vaticana aus dem 14. bis
15. Jahrhundert. Wo es bei der Diakonatsweihe üblich war, die Anlegung der Dal-
matik mit einem Gebete zu begleiten, sprach der Bischof meistens entweder ähnlich
wie jetzt: „Es bekleide dich der Herr mit dem Gewände des Heiles, mit dem Kleid
der Freude und der Dalmatik der Gerechtigkeit", oder: „Es ziehe der Herr dir an den
neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in Gerechtigkeit und wahrer Heilig-
Es kommt ferner vor in Vat. lat. 4746 und Vat. Ottob. 27: abgekürzt in Vat. lat. 1145.
726 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
keit."1 Die Symbolik ist in diesen Gebeten die gleiche wie in den vorhin erwähnten
Ankleidegebeten.
Die Tunika hat nur wenige Ausleger gefunden. Sie wird bald auf die Tugenden
gedeutet, welche die Seele des Bischofs schmücken sollen, bald, weil tief herabfallend
auf die Beharrlichkeit, bald endlich auf die Gerechtigkeit, die wie ein Panzer den
Subdiakon umgeben soll. Die Ankleidegebete, die uns hie und da in den Pontifikalien
begegnen, lassen die Tunika, ähnlich wie die Dalmatik, Symbol des Heiles, der Ge-
rechtigkeit und der geistlichen Freude sein. Eigenartig ist das Gebet: „Bekleide mich,
o Herr, mit der Strikta (anderer Name für Tunika) der Enthaltsamkeit von allem, was
mir schadet, auf daß ich in deinem Dienste beständig verharre.' '- Es klingt an die
zweite der eben angeführten Deutungen an.
Wenn der Bischof sich bei der Subdiakonatsweihe unter der Überreichung der
Tunika eines Gebetes bediente, pflegte er wohl am häufigsten zu sprechen : „Mit der
Tunika der Wonne und dem Gewand der Freude bekleide dich der Herr." Es sind die
Worte, welche heute bei dieser Zeremonie gebetet werden. Wir treffen sie schon bei Sieard
von Cremona 3 und in einem dem 12. Jahrhundert entstammenden Pontifikale von
Besancon 4 an. In andern Gebeten erscheint die Tunika als Gewand des Heiles und
als Kleid der Gerechtigkeit, doch auch wohl als Tunika der Starkmut b.
Das Pluviale findet erst spät seine Deutung, weil es erst spät als liturgisches
Gewand in Gebrauch kam. Es reicht aus, anzuführen, was Honorius uns von seiner
S3'mbolik zu sagen weiß. Das Gewand versinnbildet, wie dieser uns belehrt, einen
heiligen Wandel. Daß es bis auf die Füße geht, legt der Liturgiker auf die Be-
harrlichkeit aus. In den Fransen am Saume des Gewandes sieht er die Mühen,
welche mit dem Dienste Gottes verbunden sind. Daß es vorn offen ist, will bedeuten,
daß den Dienern Christi zum Lohn für ihren heiligen Lebenswandel der Himmel offen
steht. In der Kapuze endlich, mit der die Cappa damals noch versehen war, findet
Honorius einen Hinweis auf die Himmelsfreude.
Das wäre in der Hauptsache die mystische Bedeutung, welche man im
Mittelalter seit den Tagen eines Hraban und Amalar den liturgischen Ge-
wändern beizulegen pflegte. Wir sagen: in der Hauptsache; denn auf alle
Einzelheiten einzugehen, war angesichts des zu Gebote stehenden Raumes
unmöglich. Indessen reicht ja auch das Gebotene zu einer Charakterisierung
der Symbolik, welche die Liturgiker und liturgischen Bücher im Mittelalter mit
der heiligen Kleidung verbanden, völlig aus.
Auf die Ausdeutung, welche die liturgischen Gewänder seit dem Aus-
gang des 13. Jahrhunderts fanden, sind wir mit Absicht nur wenig ein-
gegangen. Sie bietet nichts besonders Neues. Mit dem Ende des 13. Jahr-
hunderts war die Symbolik der Sakralgewandung, wie früher schon bemerkt
wurde, im wesentlichen abgeschlossen. Mehr als man bis dahin darüber er-
sonnen und gesagt, ließ sich in der Tat auch kaum ersinnen und sagen.
Durandus hatte alles, was die frühere Zeit an Deutungen hervorgebracht
hatte, mit Bienenfleiß zusammengestellt. Bei ihm holten von da an alle den
Honig mystischer Auslegung der liturgischen Kleidung. Nur sieht man von
den vielen Einzelheiten ab, auf welche die Liturgiker der früheren Jahrhun-
derte einzugehen pflegten, und beschränkt sich auf den einen oder andern
hervorstechenden Punkt. Beliebt war namentlich die Deutung auf das Leiden
des Heilandes. In kurzen, aber festen Zügen tritt uns diese Symbolik in
einer Folge von Hexametern entgegen, welche wir einem Augsburger Missale
1 Vgl. z. B. einzelne der Weiheordines bei 2 Cod. Vat. lat. 1145.
Mart. 1. 1, c. 8, art. 5; II 31 ff. Ferner 3 Mitralis 1. 2, c. 2 (M. 213, 63).
Vat. lat. 1152 1153 5791 7114; Vat. Ottoh. * Mart. 1. 1, c. 8, art. 12, ordo 10; II 62.
27; Cod. Vat. Borgh. 99 u. a. 6 Vat. lat. 7114.
Erstes Kapitel. Die mystische Deutung der liturgischen Gewänder.
727
vom Jahre 1555 entnehmen. Sie verdienen es, daß wir sie zum Schluß ab-
drucken. Die Verse sind keineswegs klassisch; Poesie steckt auch nicht ge-
rade in ihnen. Interessant, anmutend und erbaulich sind sie aber ohne
Zweifel. Sie lauten übersetzt :
„Willst zum Altare du treten, das heilige Opfer zu feiern,
Oder willst anwohnen du dem übergroßen Geheimnis,
0 dann denke daran und frommen Sinnes erwäge,
Welche Kämpfe der Herr um deinetwillen bestanden.
Daß man sein Haupt verhüllt, ihn höhnend, sagt der Amikt dir,
Ihn mit weißem Gewände zum Spotte bekleidet, die Albe.
Gurt und Manipel bedeuten die grausigen Ketten und Stricke ;
An das Kreuz gemahnt, das Jesus getragen, die Stola,
Bild der klaffenden Wunden an Haupt, an Händen und Füßen
Ist des Amiktes Zier mitsamt den Besätzen der Albe.
Schaust zur Kasel du hin, gedenke des purpurnen Mantels
Und der Ströme von Blut, so deinen Erlöser umflossen.
Eilt zum Altare der Priester, erwäge mit Andacht im Herzen,
Wie den Kalvarienberg aus Liebe der Heiland erstiegen
Frei, um dort zu sterben am Kreuz zu deiner Erlösung.
Das beherzige fromm und klopf an die Brust voller Reue." l
Man hat die Symbolik, welche das Mittelalter der liturgischon Gewan-
dung beigelegt hat, sehr verschieden beurteilt. Begreiflich, der Geschmack
ist sehr ungleich. Man vergißt indessen, wenn man über dieselbe den Stab
bricht, nur zu oft, daß eine rechte und gerechte Würdigung derselben nur
möglich ist, wenn man sich in die tiefgläubigen Anschauungen der Vorzeit
hineinversetzt. Wer das nicht tun will oder das nicht zu tun vermag, der
wird freilich sehen und doch nicht sehen.
Gewiß soll nicht in Abrede gestellt werden , daß nicht weniges an
den alten mystischen Deutungen gekünstelt, schwach und wertlos ist; allein
es gibt in ihnen auch viele Goldkörner. Die Zeit hat die Schlacken davon
entfernt. Was heute an Symbolik der liturgischen Gewandung vorgebracht
zu werden pflegt, ist zumeist das geläuterte Gold aus den Schriften der
alten Liturgiker.
1 Tu quicumque voles missam celebrare
sacerdos :
Et quicumque voles tantis assistere sacris :
Sis memor et tota devotus mente revolve,
Qualia sit christus pro te certamina passus.
Velatum capite et derisum signat amictus.
Linea vestis item quod sit despectus in alba :
Vinculasignificant fera tortaque zonamaniplus :
Est stola imago crucis : quam humeris ge-
stavit Jesus.
Cernis amictu atque inde quater tu cernis
in alba
Signa terebrati capitis : manuumque pedumque.
Purpuree, spectans casulam , vestis memor
esto:
Et rubeo ut fuerit perfusus sanguine christus.
Cumque sacerdotem properantem cernis ad
aram :
Tunc animo volvas memori, ut conscenderit
ultro
Calvarie montem, moriturus de cruce pro te.
Omnia dicta pie memorando pectora tunde.
In etwas verkürzter Fassung finden sich
die Verse in des Minoriten Stephan Bru-
lefer (f zwischen 1496 und 1499) Altissi-
morum misteriorum misse brevis et utilissima
declaratio, aus der sie bei Franz, Die Messe
603, Anm. 4 abgedruckt sind. Die Stola er-
scheint hier, wie Cingulum und Manipel, als
Sinnbild der Fesseln. Ausgelassen ist die Sym-
bolik der Besätze des Amikts und der Albe.
728 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
ZWEITES KAPITEL.
DIE LITURGISCHEN FARBEN.
I. DIE LITURGISCHEN FARBEN NACH DER GEGENWÄRTIGEN PRAXIS.
Unter den liturgischen Farben verstellt man die Farben, welche
von der Kirche je nach dem Charakter des Tages oder der gottesdienstlichen
Funktion für die beim Kultus zur Verwendung kommenden Paramente vor-
geschrieben sind. Sie sind gegenwärtig überall im Abendlande, mit Aus-
nahme von Mailand, das seinen besondern Farbenkanon hat, die gleichen.
Im ganzen gibt es heute im römischen Ritus fünf liturgische Farben:
Weiß, Rot, Grün, Violett und Schwarz. Sie sind durch das Missale
Pius' V. endgültig festgestellt worden. Gelb und Blau gehören nicht zu dem
liturgischen Farbenkanon, wie ihn dieses aufgenommen hat, weshalb denn
auch durch wiederholte Entscheidungen der Ritenkongregation gelbe und blaue
Paramente als durchaus unzulässig bezeichnet wurden1. Dagegen sind Pa-
ramente aus Gold- oder Silberstoff mit Rücksicht auf deren Kostbarkeit
als erlaubt erklärt worden, und zwar können jene anstatt weißer, roter und
grüner, diese anstatt weißer gebraucht werden 2.
Der Sinn des liturgischen Farbenkanons erheischt übrigens nicht, daß
die Paramente nur eine Farbe aufweisen. Es dürfen vielmehr auch zwei-
und mehrfarbige Stoffe zu ihnen verwendet werden, wofern nur auf ihnen
eine Farbe vorherrscht und diese Farbe zu den fünf liturgischen zählt 3. Aus-
geschlossen sind also erstens Zeuge ohne bestimmt erkennbare Hauptfarbe
und zweitens Stoffe, die als Hauptfarbe eine nicht liturgische Farbe auf-
weisen. In einem gemusterten zwei- oder mehrfarbigen Gewebe gibt in der
Regel die Farbe des Grundes den Hauptfarbenton an. Nur wenn das Muster
so überwiegt, daß der Grund neben ihm nur mehr wenig zur Geltung kommt,
wäre die Farbe der Musterung für die Bestimmung des Farbencharakters ent-
scheidend. Ausdrücklich untersagt ist es, Paramente, die aus zwei- oder
mehrfarbigen Zeugen gemacht sind, zugleich für die verschiedenen auf ihnen
vorkommenden liturgischen Farben zu gebrauchen4.
Die Regeln über die Verwendung der liturgischen Farben sind in der Haupt-
sache folgende 5 :
Weiß müssen die Paramente sein am Dreifaltigkeitssonntag, an den Festen
des Herrn mit Ausnahme derjenigen, welche dessen Leiden als solches zum Gegen-
stand haben, an allen Festtagen der allerseligsten Jungfrau, der heiligen Engel und
Bekenner, der heiligen Jungfrauen und Frauen, welche nicht Märtyrerinnen sind, am
Tag der Geburt des hl. Johannes Bapt. und dem Hauptfest des heiligen Evangelisten
Johannes, an den Festen der Ketten- und Stuhlfeier Petri, der Bekehrung Pauli und
Allerheiligen, hei der Kirch- und Altarweihe, am Jahrestag der Wahl und Krönung
des Papstes sowie der Wahl und Weihe des Bischofs. Desgleichen verlangen die
weiße Farbe die Oktaven der angeführten Feste und die Werktage zwischen Ostern
und Pfingsten, wofern nicht Feste und Gelegenheiten einfallen, die eine besondere
1 Entscheidung vom 16. März 1833, 3 Entscheidung vom 23. Sept. 1837 (ebd.
23. Febr. 1839, 26. März 1859, 5. Dez. 1868, n. 2769).
23. Juni 1892 (Decret. auth. n. 2704 2788 * Entscheidung vom 19. Dez. 1829, 12. Nov.
3082 3191 3779). 1831, 23. Sept. 1837 (ebd. n. 2675 2682
2 Entscheidung vom 28. April 1866, 5. Dez. 2769).
1868, 20. Nov. 1885 (ebd. n. 3145 3191 3646). '- Missale rom., Rubr. gen. tit. XVIII.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 729
Farbe erheischen, die Votivmessen von Geheimnissen und Heiligen, deren Festen Weiß
zukommt, und die Brautmesse.
Ferner sollen weiß sein die Paramente, welche bei sakramentalen Prozessionen
und bei Andachten vor ausgesetztem hochwürdigstem Gut zur Verwendung kommen,
dann alle, welche in näherer Beziehung zum heiligsten Sakrament stehen, wie der
Baldachin, die Bekleidung des Tabernakelinnern, das Ciboriummäntelchen, endlich die
Paramente. welche beim Begräbnis eines Kindes, das vor erlangtem Vernunftgebrauch
starb, getragen werden, sowie die Stola, welche der Priester bei Ausspendung der
heiligen Taufe, bei Erteilung der heiligen Wegzehrung und bei Einsegnung der Ehe
gebraucht. Bis zur Abnahme des Glaubensbekenntnisses bedient sich der Priester bei
den Taufzeremonien mit Kücksicht auf die Exorzismen, die er vornimmt, einer vio-
letten Stola. Spendet der Priester in der Kirche außer der Messe die heilige Kom-
munion, so kann sich die Farbe der Stola auch nach der Tagesfarbe richten '.
Kote Paramente sind vorgeschrieben am Samstag vor Pfingsten, am Pfingstfest
und während dessen Oktav, an den Festen des Herrn, an welchen die Erinnerung an
sein Leiden begangen wird, wie den Festen der heiligen Leidenswerkzeuge, des kost-
baren Blutes, der Auffindung und Erhöhung des heiligen Kreuzes, an allen Apostel-
festen mit Ausnahme der wenigen schon genannten Tage, an welchen man sich weißer
Paramente zu bedienen hat, an den Festen der heiligen Märtyrer, gleichviel welchen
Alters und Geschlechtes sie sind, sowie bei der Messe um eine glückliche Papstwahl.
Auch den Votivmessen der genannten Feste und ihren Oktaven eignet die rote Farbe.
Am Feste der unschuldigen Kinder bedient man sich roter Paramente, wenn es auf
einen Sonntag, violetter, wenn es auf einen Wochentag fällt ; sein Oktavtag verlangt
jedoch stets Rot.
Die grüne Farbe haben die Sonn- und Werktage zwischen Epiphanie und
Septuagesima sowie zwischen Trinitatissonntag und Advent, an denen kein Fest ein-
fällt. Eine Ausnahme bilden jedoch die in dieser Zeit eintreffenden Quatembertage
und Vigilien, welche Fasttage sind und denen stets Violett zukommt. Desgleichen
machen die Sonntage, welche innerhalb einer Oktav liegen, eine Ausnahme, da sie
sich hinsichtlich der Farbe der Paramente nach der Farbe eben dieser Oktav zu
richten haben.
Violett erfordern der Advent, die Zeit zwischen Septuagesima und Grün-
donnerstag, die Vigiltage, welche zugleich Fasttage sind, und die Quatembertage, aus-
genommen die Vigil vor Pfingsten und die Quatembertage der Pfingstwoche. Ferner
müssen violette Paramente gebraucht werden bei der Messe der Bittage, der Votiv-
messe vom Leiden des Herrn und gewissen Votivmessen von ausgesprochenem Buß-
oder Bittcharakter, bei Bittprozessionen, bei der Kerzensegnung am Liehtmeßtag und bei
der Taufwasserweihe. Ebenso muß die Stola, deren sich der Priester bei Spendnng
des Bußsakraments und der heiligen Ölung bedient, violett sein.
Schwarz ist die Farbe für die Totenmesse, für die Präsanktifikatenmesse am
Karfreitag und für den Begräbnisritus sowie die Exequien aller, welche nach erlangtem
Vernunftgebrauch gestorben sind.
II. DAS ERSTE AUFTRETEN DES LITURGISCHEN FARBENKANONS.
Ein vollständiger Farbenkanon begegnet uns zum ersten Male in der
Schrift Innozenz' III. über das heilige Meßopfer, also gegen 1200. Er ist
dem jetzt maßgebenden schon im wesentlichen gleich. Für die Feste Kreuz-
Erfindung und Kreuz-Erhöhung gibt der Papst neben Weiß auch Rot an,
empfiehlt aber ersteres als entsprechender. Für die Fasten- und Adventszeit
verzeichnet er Schwarz, für Lätaresonntag Schwarz oder besser Violett. Am
Fest der unschuldigen Kinder wurde zu Rom Violett gebraucht, während
1 Entscheidung vom 12. März 1836 (ebd. n. 2740).
730 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
man anderswo schwarze oder rote Gewänder für passender hielt. Dem Rot
endlich gesellt Innozenz Scharlach, dem Grün Gelb (croceus color), dem
Schwarz Violett als Nebenfarben zu, fügt dabei aber zugleich an, daß einige
den Crocus, d. i. Gelb, auf die Bekenner bezögen, wie die Rosen (Rot) auf die
Märtyrer und die Lilien (Weiß) auf die Jungfrauen.
Eine eigentlich verpflichtende Kraft legt Innozenz III. dem Farbenkanon
nicht bei. Er erörtert nur, wie es die römische Kirche, die hier im engeren
Sinne zu nehmen ist und auch wohl curia romana genannt wird, hinsichtlich
der Farbe der liturgischen Gewänder halte. Abweichende Anschauungen und
Gewohnheiten betrachtet er als statthaft, wie die Weise zeigt, in welcher sie
von ihm besprochen werden. Gleichzeitig mit Innozenz III. erwähnt auch Sicard
von Cremona das Bestehen eines liturgischen Farbenkanons, ohne jedoch den-
selben in seinen Einzelheiten mitzuteilen1. Er belehrt uns nur, es wechsle
die Farbe der Kasel je nach der Zeit. So werde Ostern ein weißes, Pfingsten
ein rotes Meßgewand gebraucht.
Bei den übrigen Liturgikern des 12. Jahrhunderts, angefangen von
Bruno von Segni, Honorius, Rupert von Deutz und Ivo von Chartres bis auf
Johannes Beleth, herrscht bezüglich einer liturgischen Farbenregel ein Schwei-
gen, das unter Annahme eines bereits bestehenden Farbenkanons ganz un-
erklärlich ist.
Ivo von Chartres redet ausführlich von den Farben der Sakralgewandung des
mosaischen Kultus, dagegen tut er in seiner Deutung der heiligen Kleidung des Neuen
Bundes irgendwelcher liturgischer Farben nicht die geringste Erwähnung. An einzelnen
Stellen ist sein Verhalten besonders auffällig, so z. B., wenn er gelegentlich der
Besprechung des jüdischen Ephod bemerkt : Quod autem nostrorum pontificum super-
humerale (gemeint ist der Amikt) non est tot coloribus intextum, nee est tarn pretiosis
gemmis redimitum, nihil refert, cum christiana religio veritati serviens compendiosis
figuris idem intellegi faciat, quod vetus observantia sumptuosis 2.
Sehr bezeichnend für die Lage der Dinge ist, was Bruno von Segni hinsichtlich
der Farbe der bischöflichen Tunika bemerkt: „Wenn sie weÜ3 ist, sinnbildet sie, daß
alle, welche der Kirche die Speise des Gotteswortes reichen, rein und makellos sein
müssen; hat sie eine andere Farbe, mag man sie anders deuten."3
Rupert hebt hervor, es habe bei den alttestamentlichen Kultkleidern alles,
auch die Farbe, einen mystischen Sinn gehabt * ; nichtsdestoweniger läßt er bei den
Erörterungen über die liturgische Gewandung der Kirche deren Farbe ganz und gar
unberührt.
Honorius schildert in der Gemma animae den Garten Gottes und vergleicht
dabei die Märtyrer mit Bösen, die Jungfrauen mit Lilien, diejenigen, welche die Welt
verachten, mit Veilchen, die Weisen mit grünen Kräutern 5. Wer jedoch auf Grund
hiervon erwartet, es werde Honorius, wenn er gleich darauf die heilige Kleidung der
Bischöfe, Priester und übrigen Kleriker behandelt, auch der Farbe derselben ein Wort
widmen, wird sich völlig enttäuscht sehen.
1 Mitralis 1. 2, c. 5 (M. 213, 77).
2 Sermo 3 (M. 162, 523) ; vgl. über die
Farbe des Cingulum ebd. 521.
3 De sacr. eccl. (M. 165, 1105).
* De div. offic. 1. 1 , c. 18 (M. 170, 22).
Nach der Übersetzung, welche Rohault de
Fleury (La Messe VIII 37) von dieser
Stelle gibt, sollte man glauben, Rupert rede
in ihr von liturgischen Farben der Kirche.
Rohault hat indessen Ruperts Worte gänz-
lich mißverstanden.
5 L. 1, c. 162 (M. 172, 594). Rohault
de Fleury (a. a. 0.) läßt Honorius in der
Gemma animae sagen , die Farbe für die
Märtyrer sei Rot, für die Jungfrauen Weiß.
In vielen Riten seien Grün und Gelb die
Farbe für Bischöfe und Doctores, Violett die
der Mönche und heiligen Frauen. Er ist
jedoch auch in diesem Falle im Irrtum, da
sich bei Honorius weder in der Stelle des
Textes noch sonst das Geringste über eine
liturgische Farbenregel findet.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 731
Das Sakramentarium erzählt uns ', der Panther habe sieben Farben : Schwarz,
Weiß, Grau, Gelb, Grün, Blau, Rot. Dann deutet es dieselben, doch nicht auf die
Farbe der priesterlichen Kleider, sondern auf deren Zahl und die sieben Tugenden,
die dem Priester eigen sein müßten.
Das Speculum de mysteriis ecclesiae weiß uns nur zu berichten : Coccinea pla-
neta, qua induitur apostolicus, quocumque proficiscatur praedicando, martyrium declarat -.
Robert Paululus beschränkt sich auf die Bemerkung, man trage von Karsamstag
an bis zum Samstag nach Ostern weiße Gewänder 3. Johannes Beleth berichtet uns,
vor der Matutin von Weihnachten und Ostern würden wohl drei Tücher auf den Altar
gelegt, ein schwarzes, weißliches und rotes als Sinnbilder der Zeit vor dem Gesetze,
der Zeit unter dem Gesetze und der Zeit der Gnade, und dann nach jeder Nokturn
bzw. nach den einzelnen Lektionen des Osteroffiziums eines weggenommen 4. Das ist
aber auch alles, was wir von ihm vernehmen.
Es kann hiernach nicht bezweifelt werden, daß der liturgische Farben-
kanon erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden ist. Das
allgemeine Schweigen der Liturgiker unter Umständen , unter denen man
eine Erörterung über eine etwa bestehende Regel hinsichtlich der Farbe der
Meßgewandung notwendig erwarten müßte, kann um so weniger anders ge-
deutet werden, als uns auch sonst nichts von einem ausgebildeten Farben-
kanon berichtet wird.
Es ist auffällig, am Ende des 12. Jahrhunderts scheinbar so ganz wie
auf einmal eine fertige liturgische Farbenreihe vor sich zu sehen. In Wirk-
lichkeit tritt der Kanon Innozenz' III. jedoch nicht so ganz unvermittelt auf,
als man beim ersten Anblick glauben sollte. Schon in sehr früher Zeit
zeigen sich im Abendland die ersten Keime zu einer liturgischen Farbenregel.
So heißt es bereits in der Erklärung der gallikanischen Messe: „Ostern zieht
man weiße Gewänder an, da die Engel am Grab in weißen Gewändern er-
schienen. Weiße Kleider bedeuten nämlich Freude." Es war demnach im
gallikanischen Ritus Brauch, am Osterfeste beim Gottesdienste sich weiß-
farbiger Kleider zu bedienen. Wirklich werden, wie wir schon gelegentlich
vernahmen, bei Gregor von Tours casulae candidae, quae per paschalia festa
humeris sacerdotum imponuntur, erwähnt5. Ob auch die Erzählung der
Biographie des hl. Cäsarius von Arles (f 542) hierher bezogen werden könne,
es habe der Heilige einem Armen eines Tages, da er sonst nichts besessen,
casulam quam processoriam habebat albamque paschalem6 gegeben, mit der
Weisung, sie an jemand aus dem Klerus zu verkaufen, muß auf sich be-
ruhen bleiben; denn es ist unklar, ob in ihr unter alba eine Tunika oder mit
Ergänzung von casula eine weiße Osterkasel zu verstehen ist.
Wie es damals außerhalb Galliens zu Ostern in Bezug auf die Farbe
des Meßgewandes gehalten wurde und ob auch hier dann mit Vorzug weiße
Kleidung getragen wurde , läßt sich nicht feststellen. Wenn nach einer
Notiz der Vita des hl. Columba die Mönche des Klosters Hy an Festtagen
beim Gottesdienst weiße Kleider trugen 7. so ist nicht die liturgische Gewandung,
sondern die Mönchstracht gemeint.
1 C. 29 (M. 172, 762). schon die Consuetudines von Farfa (A 1 b e r s,
2 C. 45 (M. 177, 354). Consuet. Farfens. 16) und Cluny (Udalrici
3 De off. eccl. 1. 3, c. 27 (ebd. 453). Consuet. Cluniac. 1. 1, c. 11 [M..149, 656]).
4 Rationale c. 69 115 (M. 202, 75 120). 5 Vita Patrum c. 8, n. 5 (M. 71, 1045).
Die Sitte, drei Tücher von verschiedener < 6 L. 1 , n. 32 (M. 67, 1017); vgl. oben
Farbe vor der Matutin von Weihnachten und S. 67, Anm. 2.
Ostern auf den Altar zu legen und dann bei 7 Adamani Vita S. Columbae 1. 3, n. 15
derselben nach einander wegzuholen, kennen (M. 88, 765).
732 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Die ältesten Zeugnisse über irgend einen Farbenunterschied hinsichtlich
der liturgischen Gewänder im römischen Ritus stammen erst aus karolingischer
Zeit. Sie finden sich in dem von Duchesne veröffentlichten Ordo aus der
Frühe des 9. Jahrhunderts, in der pseudoalkuinischen Schrift „De divinis
officiis" und in dem St Gallener Kleiderverzeichnis.
Der Duchesnesche Ordo vermerkt für die Feier am Lichtmeßtag : Interim
ingreditur pontifex in sacrario (sie) et induit se vestimentis nigris et diaconi
similiter planetas nigras induunt. Für den Karfreitag lautet die Vorschrift:
Hora V procedit ad eeclesiam omnis clerus et ingreditur archidiaconus cum
aliis diaconibus in sacrario (sie) et induunt se planetas fuscas: für die Bittage:
et ingreditur pontifex in sacrario (sie) seu et diaconi et induunt se planetas
fuscas1. Mit diesen Angaben stimmt überein, was Pseudo-Alkuin bezüglich
der gottesdienstlichen Kleidung bei der Liehtmeßprozessiön und den Karfreitags-
zeremonien sagt. Denn auch er verzeichnet für erstere vestes nigrae, für
letztere planetae fuscae2. Man trug also in Korn im 9. Jahrhundert bei Ge-
legenheiten, welche den Charakter der Trauer oder Buße hatten, schwarze
oder dunkle Sakralkleider, ganz nach altrömischer Anschauung, wonach weiße
Gewänder Zeichen der Freude, dunkle aber Ausdruck der Trauer waren.
Das St Gallener Kleiderverzeichnis schreibt, wo es von der Sakralkleidung
des Papstes handelt: In his diebus, natl. Dom., pascha, sei petri et die ordi-
nationis suae (pontifex Romanus) aliud colere (colore) planeta induitur. Leider
gibt der Verfasser nicht an, Avas das für eine andere Farbe gewesen, welche
die liturgische Gewandung des Papstes am Weihnachtstage, Ostern, am Feste
des Apostelfürsten und am Tag (Jahrestag) seiner Weihe zu haben pflegte.
Am ehesten möchte man, weil auch Ostern unter den Tagen genannt ist, an
Weiß denken. Jedenfalls bekundet die Notiz des Ordo, daß man zu Rom
schon eine geraume Weile vor dem Entstehen des liturgischen Farbenkanons
in irgend einer Weise einige Feste von andern durch die Farbe der liturgischen
Gewandung unterschied.
Wann zu Rom der Brauch sich festsetzte, bei den Prozessionen am Licht-
meßtage und an den Bittagen sowie bei den gottesdienstlichen Funktionen am
Karfreitage dunkle bzw. schwarze Gewänder zu tragen, läßt sich nicht sagen.
Da er indessen durchaus dem Charakter dieser Zeremonien entspricht und die
denselben eigene Stimmung in ihm einen natürlichen Ausdruck findet, mag
er so alt sein wie diese Kultakte. Wenigstens darf das hinsichtlich jener Pro-
zessionen angenommen werden.
Im Beginn des 12. Jahrhunderts trug der Papst nach dem 11. Ordo
Mabillons am Ostertag und in der Osterwoche beim Gottesdienst eine weiße
Planeta3. Der 10. römische Ordo verzeichnet auch für den Gründonnerstag
weiße Gewänder4. Für den Karfreitag schreibt derselbe Ordo den ornatus
quadragesimalis, also gemäß dem alten römischen Brauch schwarze oder doch
dunkle Kleidung vor5. Als Kardinal Cencius Sabellius zwischen 1192 und 1198
seinen Ordo, den 12. Mabillons, verfaßte, gab es zu Rom schon einen
Farbenkanon 6.
1 Du eh., Orig. 468 474 479. 6 Nach dem 12. Ordo bediente sich der
2 De div. offic. c. 7 18 (M. 101, 1181 Papst am Stephanstage bei seinem Zuge
1208). nach S. Stefano einer weißen, bei der Messe
3 N. 45 (M. 78, 1043). aber einer roten Kasel. Für Lichtmeß und
* N. 3 (ebd. 1010). Ostern notiert der Ordo ein weißes Meß-
5 N. 13 (ebd. 1013). gewand (c. 3 5 15 [ebd. 1067 1069 1078).
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 733
Die ersten Keime zu einer liturgischen Farbenregel reichen also in der
Tat weit über das 12. Jahrhundert zurück. Sie blieben freilich bis dahin
auch nur Keime. Es war dem späten 12. Jahrhundert vorbehalten, sie zu einem
vollständigen Farbenkanon auszugestalten. Eine Regelung der Farbe der
Kultgewänder lag in jener Zeit starker mystischer Tendenzen und aus-
gesprochener Neigung zum Symbolisieren gleichsam in der Luft. Neue litur-
gische Gewänder konnte man dem Mystizismus zulieb nicht schaffen, da
an solchen sich kaum mehr Neues ersinnen ließ. Anders verhielt es sich
mit der Farbe der Kultkleidung. Hier war erst der Anfang gemacht; hier
hatte also der Mystizismus Gelegenheit, sich schöpferisch zu betätigen.
Freilich waren auch die äußeren Umstände für die Bildung einer litur-
gischen Farbenregel weit günstiger als zu irgend einer früheren Zeit. Nicht
bloß die Theologie und Philosophie mit ihren scharfsinnigen Spekulationen,
nicht bloß das religiöse Leben mit seinem tiefen Mystizismus, auch die Kunst
hatte sich auf allen Gebieten ihres Schaffens rasch in ungeahntem Maße
entfaltet und mit ihr zugleich der Sinn für das Schöne und die Liebe zum
Schönen. Dazu kam , daß nicht bloß der hochgesteigerte Verkehr mit dem
Orient größere Mengen farbiger Seidenzeuge als je dem Abendlande zuführte,
sondern daß sich mittlerweile auch in diesem eine blühende Seidenindustrie
entwickelt hatte, deren Erzeugnisse rasch in lebhafte Konkurrenz mit den
byzantinischen und sarazenischen Geweben getreten waren. Die Folge hiervon
war, daß an dem wichtigsten Faktor für die Ausbildung eines liturgischen
Farbenkanons, an farbigen Stoffen, kein Mangel mehr herrschte.
Wir haben uns darum auch den Hergang nicht so zu denken, als ob
sich zuerst zu Rom ein Farbenkanon gebildet habe und dieser dann außer-
halb Roms adoptiert worden sei oder umgekehrt. Hier wie dort hat er sich
infolge der gleichen geistigen Strömung des 12. Jahrhunderts und durch
die Gunst der gleichen Verhältnisse in selbständiger Weise entwickelt. Daß es
aber dabei im wesentlichen zum gleichen Resultat kommen mußte, leuchtet
sofort ein, wenn man bedenkt, daß die die Farbenregel bestimmenden An-
schauungen bis zu einem gewissen Grade nicht willkürlich waren, sondern
ihren Grund in der Natur der Sache hatten.
Wirklich finden sich schon in der Frühe des 12. Jahrhunderts auch
außerhalb Roms Ansätze zur Fixierung der liturgischen Farbe. So will
das um 1130 durch Beroldus für die Kathedrale von Mailand zusammengestellte
Ordinarium, daß in der Fastenzeit über Altar und Kanzel ein schwarzes, in
der Passionszeit aber ein rotes Tuch ausgebreitet werde. Ferner lesen wir
darin, daß die Kasel, welche der Bischof am Karfreitag bei der Lesung der
Passion trug, von roter Farbe sein mußte, und daß der Diakon am Grün-
donnerstag in alba rubea, d. i. in roter Tunika, die Lektion, die Epistel und
das Evangelium zu singen hatte 1. Ein Pontifikale von Besancon aus dem
Beginn des 12. Jahrhunderts schreibt für den Karfreitag purpurne Kasein vor2,
während ein Ordinarium von Laon aus dem dritten Viertel desselben den
Bischof in einer casula crocei coloris die Karfreitagszeremonien vornehmen läßt3.
1 Mur. , Ant. IV 883 889 891 901. Fest des 1170 ermordeten Thomas Becket er-
2 Mart. 1. 4, c. 23; III 135. wähnt wird. Eine eigentümliche irische Ab-
3 Chevalier, Ordinaires de l'eglise catb.6- handlung über die Farbe der Easel bei
drale de Laon 113. Das Ordinarium ist das Moran, Essay on the origin, doctrines and
AVerk des Dekans Lisiardus (1153 — 1168), discipline of the early irish church, Dublin
doch wurde es später interpoliert, da S. 53 das 1864; französisch bei Roh. VIII 29. Der
734 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Natürlich sind das nur vereinzelte Daten. Sie beweisen indessen, daß
auch außerhalb Roms die Neigung auf die Ausbildung einer liturgischen
Farbenregel hinausging. Das erklärt denn auch die Abweichungen, die
schon zu Innozenz' III. Zeit hinsichtlich der Farbe einzelner Tage und Zei-
ten des Kirchenjahres bestanden und bald sich noch weit greller bemerk-
bar machten.
Man hat Innozenz III. selbst für den Urheber der Farben-
ordnung angesehen, die er in seiner Schrift über das Meßopfer mitteilt.
Allein ohne Grund. Man braucht nur mit ein wenig Aufmerksamkeit die
Ausführungen des Papstes anzusehen, um zu erkennen, daß er beschreiben
will, nicht was er selbst geschaffen, sondern nur was seinerzeit Brauch der
römischen Kirche war. Es muß schon vor Innozenz III. die Farbe der gottes-
dienstlichen Gewänder, sei es durch den Usus oder durch irgend eine be-
sondere Verordnung, eine Regelung erfahren haben. Das deutet auch zur Ge-
nüge der Umstand an, daß bereits der unter Cölestin III. entstandene 12. Ordo
den Papst am Stephanstage bei der Messe eine rote Kasel tragen läßt.
Dagegen ist unzweifelhaft Innozenz" III. Schrift für die anderwärtige
Aufnahme des römischen Farbenkanons von größtem Einfluß gewesen. Einen
nicht geringen Anteil an seiner Verbreitung hat um das Ende des 13. Jahr-
hunderts freilich auch Durandus durch sein weitverbreitetes Rationale und
sein Pontifikale gehabt1.
Die Farbenregel, wie sie zu Rom in der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts bestand, gibt außer Durandus teilweise auch das auf Befehl Gregors X.
herausgegebene Caeremoniale romanum2, diejenige des frühen 14. Jahrhunderts
der Ordo des Jacobus Gajetanus3. Zu Durandus Zeit war zu Rom noch als
Nebenfarbe von Grün Gelb gebräuchlich. In dem Farbenkanon des 14. Ordo
wird Gelb dagegen nicht mehr erwähnt. Allerdings werden noch in dem
Inventar von St Peter aus dem Jahre 1361 im Einklang mit der Angabe
des Durandus eine Anzahl gelber Paramente aufgeführt4. Doch mögen auch
zu Rom Theorie und Praxis sich nicht stets völlig gedeckt haben. Vio-
lett ist in der Farbenregel des 14. Ordo noch immer, wie auch bei Duran-
dus, gleichwertig mit Schwarz; denn sie bezeichnet es als „nicht unpassend",
daß man an den Tagen, denen Schwarz zukomme, violette Gewänder gebrauche.
Es galten selbst noch im Beginn des 15. Jahrhunderts, wie eine Notiz des
15. Ordo beweist, Schwarz, Violett und Indigo als gleichwertig6.
In der Farbenregel, die Pius V. dem römischen Missale einfügen ließ,
fehlt nicht nur Gelb, es sind auch Violett und Schwarz in ihr völlig ge-
schieden.
Der älteste unter den bisher bekannt gewordenen außer römischen
Farbenkanones aus dem Mittelalter findet sich , wenn wir von den kurzen
Andeutungen Sicards von Cremona absehen, in den Statuten Hugo Patesbulls,
Bischofs von Lichfield in England (1239 — 1241). Er ist von besonderem
Interesse; denn er trägt noch deutlich den Charakter des Entwicklungs-
Verfasser will, daß auf jeder Kasel sich finde ' L. 3, c. 18. Mart. 1. 1, c. 4, art. 12,
Gelb, Blau, Weiß, Grün, Braun, Rot, Schwarz, ordo 23; I 225.
Purpur, und führt das auf Anordnung 2 N. 18 ff (M. 78, 1116 f).
Moses' zurück. Für die Geschichte der litur- s C. 49 ff (ebd. 1154 f).
gischen Farben hat die Schrift keine Be- ' Müntz e Frothingham, 11 Tesoro
deutung ; immerhin verdient sie, wenigstens di S. Pietro 39.
erwähnt zu werden. 5 C. 24 (M. 78, 1288).
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 735
Stadiums an sich und kennt erst drei festbestimmte Farben: Weiß, Rot und
Schwarz. Für das Weilmachtsfest merkt er an „pretiosiora indumenta". Für
die Paramente beim Officium de tempore von Epiphanie bis Septuagesima
und von Trinitatissonntag bis Advent, an den Festen der Geburt des hl. Jo-
hannes d. T., der Stuhlfeier Petri, der hl. Maria Magdalena, Allerheiligen und
eines Bekenners gibt er noch keine Farbe an, sondern begnügt sich mit der
unbestimmt gehaltenen Anweisung „varii coloris". Der Sakristan soll an
diesen Tagen die Farbe der Gewänder nach seinem Gutdünken festsetzen1.
Daß in der Tat die liturgische Farbenregel in England um die Mitte
des 13. Jahrhunderts erst im Beginn ihrer Ausbildung stand, beweist
Kap. 1 der 1240 abgehaltenen Synode von Worcester. Denn wenn dieses be-
stimmt, es sollten in jeder Kirche zwei Kasein vorhanden sein, und zwar ohne
irgend eine Bemerkung über deren Farbe zu machen2, so setzt das offenbar
voraus , daß es damals in der Diözese Worcester noch keinen vollständigen
Farbenkanon gab. Selbst die Farbenordnung des „Liber consuetudinarius"
des Abtes Richard de Ware von Westminster (1258 — 1283) ist noch nicht
in allen ihren Teilen fixiert3. So lautet z. B. die Anweisung für Pfingsten:
In die vero et infra octavas Pentecostes ernnt indumenta praedicta (Kasel,
Dalmatik und Tuniceila) diebus quibus brudata (mit Stickereien versehen)
non sunt, scintillata aut rubea vel etiam crocei aut glauci coloris. Am
Pfingstfest und in seiner Oktav konnte man also nach Belieben bestickte,
funkenfarbige, rote, gelbe oder blaue Gewänder gebrauchen. Für das Fest
des hl. Johannes vor dem latinischen Tore verzeichnet der „Liber con-
suetudinarius" : capae cantorum ad vesperas albi coloris erunt et capae sacer-
dotum crocei sive glauci coloris. Für die Bekenner mangeln Angaben. Die
englischen Farbenkanones aus dem 14. Jahrhundert erscheinen völlig aus-
gebildet.
Die Entwicklung der liturgischen Farben in England kann als Beispiel der
Ausgestaltung der kirchlichen Farbenordnung überhaupt gelten. Denn wie dort,
wird es sich ähnlich auch anderswo verhalten haben. Hiernach haben wir uns die
Entstehungsweise des liturgischen Farbenkanons wohl in folgender Weise zu
denken. Anfänglich wurden nur die Feste von scharf ausgeprägtem Charakter
durch eine ihrer Stimmung und ihrer Bedeutung entsprechende besondere Farbe
ausgezeichnet, und zwar kamen hierbei zunächst nur Weiß, Rot und Schwarz
(Dunkel) zur Verwendung. Für die übrigen Tage blieb die Gewandfarbe noch
unbestimmt. Dann aber hielt man es für passender, auch für diese eine Farbe
zu fixieren. Man wählte dazu die Farben, die man als Mittelfarbe zwischen
Weiß, Rot und Schwarz ansah, Grün oder Gelb, seltener Blau. Gleichzeitig
wurde Violett wegen seines trüben Aussehens dem Schwarz als Nebenfarbe
zugesellt, mit dem Unterschied, daß man es vornehmlich an jenen Bußtagen
brauchte, an welchen die Bußstimmung in gemilderter Form zum Aus-
druck kam. So war der Farbenkanon in seinen Grundzügen fertig.
Unter den Farbenregeln aus dem 16. Jahrhundert ist eine der bemerkens-
wertesten und eigenartigsten diejenige der Stiftskirche von Ellwangen, über
welche der „Liber caeremoniarum ecclesiae Elvangensis. Anno Domini 1574,
1 Dugdale, Monastieon angl. (nov. ed.) englische Farbenregeln aus dem Mittelalter
VI 8, 1259. bei Wickham Legg, History of the eccl.
2 Hard. VII 331. colours, London 1882, und bei Chambers
3 Diese sowie noch verschiedene andere app. I und suppl.
736 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen C4ewänder.
I. die mensis Marcii" 1 Aufschluß gibt. Es sind darin sieben Kirchenfarben
verzeichnet: Weiß, Rot, Grün, Gelb, Violett, Schwarz und Aschgrau.
Der aschgrauen Farbe bediente man sich beim Offizium am Aschermittwoch,
der schwarzen ini Advent, in der Zeit zwischen Septuagesima und Passionssonntag,
an allen "Vigilien, welche Fasttage waren, mit Ausnahme von Karsamstag und den
Vigilien vor Pfingsten und Maria Himmelfahrt, bei den Prophetien am Karsamstag und
an der Pfingstvigil, bei den Prozessionen am Montag, Mittwoch und Freitag der Fasten-
zeit sowie endlich beim Gottesdienst für die Verstorbenen. Violette Gewänder trug
man bei der ersten Vesper von Weihnachten, dem dritten Hochamt am Weihnachtstag,
an den in die Oktav des Christfestes einfallenden Sonn- und Ferialtagen und endlich
in der Zeit zwischen der Oktav von Epiphanie und Septuagesima.
Gelb war die Farbe für Lätare, das Fest der Beschneidung, Epiphanie, das Fest
der heiligsten Dreifaltigkeit und den Sonntag innerhalb der Fronleichnamsoktav.
Grüne Paramente gebrauchte man bei der Weihe der Osterkerze, an den Festen der
Bekenner, das Geburtsfest des hl. Johannes des Täufers miteingeschlossen, und an den Fest-
tagen heiliger Witwen und Frauen, die nicht Jungfrauen und Märtyrinnen waren. Doch war
für das Fest der hl. Anna und das der hl. Elisabeth von Thüringen Violett vorgeschrieben.
In Rot kleidete man sich bei der zweiten Messe am Weihnachtstag, am Feste
des hl. Stephanus und der unschuldigen Kinder, an den Festen der heiligen Apostel
und Märtyrer, in der Passionszeit, den Gründonnerstag nicht ausgenommen, an Pfingsten
und ungewöhnlicherweise auch am Feste Maria Heimsuchung. Für den Karfreitag
sind casulae speciales angemerkt. Die beiden Kanoniker, welche an diesem Tage bei
der Prozession zum heiligen Grab den mit einer roten Kasel bekleideten Leichnam
Christi trugen, waren mit roter Stola versehen.
Die weiße Farbe galt für die ganze Osterzeit, selbst den Markustag und die
Bittprozessionen eingerechnet, das Fest Christi Himmelfahrt und Fronleichnam, die
Feste Maria und die Tage heiliger Jungfrauen. Außerdem bediente man sich ihrer
bei der ersten Messe des Christfestes und bei der Taufwasserweihe sowie der Messe
am Karsamstag und an der Pfingstvigil.
Für die Sonntage nach Pfingsten fehlt eine Angabe über die Farbe. Wenn am
Mittwoch und Freitag das officium dominicale der betreffenden Woche wiederholt
wurde, so hatte man dabei schwarze Paramente zu gebrauchen.
Liturgische Farbenkanones aus dem Mittelalter sind selten, zumal solche
aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Verhältnismäßig die meisten mittelalterlichen
Farbenreihen sind aus englischen Kirchen bekannt geworden. Noch in der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts findet sich eine Anweisung über die Farbe
der Paramente nur selten in den Missalien. Häufiger wird in diesen eine solche
erst in dessen zweiter Hälfte, namentlich seitdem 1570 das offizielle römische
Missale erschienen war. Im 17. Jahrhundert begegnet uns ein Farbenkanon
fast regelmäßig in den Meßbüchern, und zwar auch da, wo das römische
Missale nicht rezipiert worden war.
Wo eine vom römischen Gebrauch bezüglich der liturgischen Farben
abweichende Gewohnheit bestand, wurde sie noch nach Erscheinen des offi-
ziellen römischen Meßbuches anfänglich vielfach beibehalten, auch wenn man
im übrigen den römischen Eitus adoptierte. Allmählich aber paßten sich
selbst solche Missalien, die nach der Bestimmung Pius' V. unverändert hätten
fortbestehen können, wie hinsichtlich des sonstigen Ritus, so auch bezüglich
der Farben dem römischen Missale an. In Mailand blieb zugleich mit dem
ambrosianischen Ritus auch dessen besondere Farbenregel bis auf die Gegen-
wart in Kraft. Aber auch in Frankreich bestanden bis ins 19. Jahrhundert
hinein in einer Reihe von Diözesen eigene und eigentümliche Farbenkanones.
1 Kirchenscbmuck XXV 23 ff.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 737
III. MANNIGFALTIGKEIT DER LITURGISCHEN FARBENREGELN IN
DER VERGANGENHEIT.
Vergleicht man die Vorschriften über die Farbe der Sakralgewandung,
wie sie uns seit dem 13. Jahrhundert zu den verschiedenen Zeiten und an
den verschiedenen Orten begegnen, so sieht man sich einem äußerst wechsel-
vollen Bilde gegenüber. Woher das?
Das liturgische Recht der Bischöfe hatte bis zum Tridentinum einen
ungleich weiteren Umfang als jetzt. Rom ließ, ja mußte ihnen infolge der
Umstände in vielen Stücken freie Hand lassen. Es konnte damals unmöglich
eine so umfassende heilsame Kontrole in Sachen der Liturgie wie heutzutage
ausüben. Daher die vielen Eigentümlichkeiten in den gottesdienstlichen Ge-
bräuchen nicht nur der einzelnen Länder, sondern auch der einzelnen Diözesen,
ja einzelner Kirchen, von denen wir jetzt kaum mehr eine Ahnung haben,
und die uns bisweilen höchlichst befremden, wenn wir ihnen in einem alten
Ordinarium begegnen. Daher aber auch die Verschiedenheiten bezüglich des
kirchlichen Farbenkanons. Ja, weil Rom hinsichtlich der Farbe der Paramente
am wenigsten gebietend auftrat, und weil außerdem zuletzt fast jeder Farbe
verschiedene mystische Bedeutungen unterlegt werden können, mußte sich
in Bezug auf die liturgischen Farbenregeln erst recht eine üppige Mannig-
faltigkeit entwickeln.
Überhaupt beruhte die liturgische Farbenordnung das ganze späte Mittel-
alter hindurch vielfach mehr auf einem allem Wechsel unterworfenen und
von subjektivem Ermessen in hohem Maße abhängigen Usus als auf bindenden
Vorschriften. Auch nachdem schon längst Farbenregeln bestanden, war für
die Benutzung der Paramente noch vielfach nicht deren Farbe, sondern
ihre Qualität maßgebend. Sehr belehrend sind in dieser Beziehung die In-
ventare der Kapellen der Kathedrale von York von 1360. Die Zahl der
Kasein geht in den einzelnen Verzeichnissen kaum je über drei hinaus; Norm
für ihren Gebrauch aber ist lediglich der Ritus des Offizium. So heißt es
im Inventar der Kapelle des hl. Eduard: unum vestimentum pro festis dupli-
cibus, unum vestimentum pro IX. lectionibus, tertium feriale und in den der
Kapelle B.M.V. et s. Ioannis: unum vestimentum bonum et sufficiens pro
diebus duplicibus et festis, unum vestimentum pro diebus ferialibus. Ähnlich
wird im Schatzverzeichnis der Kathedrale von Cambrai von 1359 bezüglich der
Verwendung der Paramente zwischen festa IX et III lectionum unterschieden.
Sogar im 16. Jahrhundert war jenes Prinzip noch vielfach bestimmend, wie
z. B. das sehr interessante Inventar von St Michael zu Zeitz (Sachsen) aus
dem Jahre 1514 bekundet. Von den sieben darin verzeichneten Ornaten für
die Apostelfeste sind zwei grün, zwei rot, zwei blau und einer braun; für die
Ferialtage ist einer braun, einer rot und einer schwarz. Auffallend gering
ist in dem Verzeichnis die Zahl weißer Kasein, deren es unter 32 nur vier
gibt gegenüber 15 roten, und selbst von diesen vier werden drei als „Fasten-
gereth" bezeichnet. Sogar im Inventar der Schloßkirche zu Heilsberg von 1581
finden sich noch Notizen wie diese: 1 braun atlas Casel, die man braucht,
wenn es duplex, item 1 blaw Casell mit blumen, die man braucht in semiduplici
festo, 1 rot quotidian Casel1.
1 Hipler, Schatzverzeichnisse 64. Sehr instruktiv ist auch das Inventar der Stiftskirche
zu Ecouis (Eure) von 1565.
Braun, Die liturgische Gewandung. 47
738 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Noch bezeichnender aber ist eine Meßgewandordnung des Klosters Eber-
bach im Rheingau aus dem 16. Jahrhundert, welche für das Amt an den
einzelnen Festen des Jahres die Kasel bestimmt. Kaum, daß sich in ihr auch
nur eine Spur eines Farbenkanons offenbart1. Sie ist es wert, hier ab-
gedruckt zu werden. Wir lassen sie darum nachstehend folgen. Tabula
denotans quibus sacris vestibus in festis totius anni utendum :
Translationis S. Benedicti, das alt rot sammet.
Mariae Magdalenae, das grün seiden mit Trauben.
Iacobi apli, das grün sammet.
Annae matris Mariae, das weiß Damast.
Ad vincula S. Petri, das blow seiden mit Löwen.
Laurentii mart., das rot seiden.
Coronae spineae dni, das rot verblümbt sammet.
Assumptionis B. Mariae V., das weiß silberstück.
Bernardi abb., das grauenstück.
Bartholomaei apli, das grün sammet.
Augustini epi, das blow sammet.
Decollationis Iois, das blow seiden mit gülden Löwen.
Nativitatis Mariae, das alt weiß gülden Stück mit Perlen.
Esaltationis S. Crucis, das rot seiden.
Matthiae apostoli, das grün.
Michaelis archangeli, das alt braun seiden Widerschein.
Lucae Evang., das gelb sammet.
Undecim milliirm Virg., das alt gülden stück.
Simonis et Iuclae, das grün verblümbt sammet.
Omnium S.S , das grün gülden stück.
Omnium animarum, das schwarz Sammet.
Martini epi, das blow sammet.
Ceciliae virginis, das braun seiden mit laubwerk.
Catharinae V., das weiß Damast.
Adventus dni, das alt gülden stück.
Andreae apostoli, das grün verblümt sammet.
Conceptionis Mariae, das Eselfarb güldenstück.
Thomae apostoli, das grün sammet.
In Vigilia Nat. dni, das braun seiden.
In sacra nocte, das grauenstück.
In aurora, das rot new gülden stück.
Ad summam missam, das grün güldenstück.
Circumcisionis dni, das roth new gülden Stück.
Epiphanie dni, das Eselfarb gülden stück.
Agnetis virginis, das roth verblümbt Sammet Ornament.
Conversionis Pauli, das blow Seiden mit gülden Löwen.
Purificationis Mariae, das alt weiß gülden Stück mit Perlen.
Agathae virginis, das grün seiden mit roten Träublen.
Cathedra S. Petri, das alt gelb Stück.
Matthiae apostoli, das grün Sammet.
losephi et Benedicti abbatis, das rot Sammet.
Annunciationis B. M. V., das weiß gülden stück mit Perlen.
Ambrosii episcopi, das blow sammet.
In die Palmarum, das roth verblümbt sammet.
In coena dni, das weiß Damast.
Parasceve, das roth seiden.
1 Roth. Geschichtsquellen aus Nassau III, Wiesbaden 1880, 457.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 739
Vigilia Paschae, das braun seiden verblümbt.
In die sancto, das weiß silber Stück.
Altero die Paschae, das grün verblümbt sammet.
Tertio die, das grün verblümbt sammet, ut supra.
Quarto die, das blow sammet.
In Octava Paschae, das blow seiden mit gülden Löwen.
Marci Evang., das gelb sammet.
Inventionis S. Crucis, das gülden Stück.
Dedicationis ecclesiae, das grauen Stück.
Vigilia Pentecost., sicut in vigilia Paschae.
In die Pentecost., das grün gülden Stück.
Peria 2., 3. et 4., sicut in feriis paschalibus.
SS. Trinitatis, das Eselfarb gülden Stück.
Corporis Chri, das rot new gülden Stück.
Nat. Iois Baptistae, das roth verblümbt sammet.
Visitationis Mariae, sicut SS. Trinitatis.
Petri et Pauli, sicut in secundo Paschae.
Stephani prothomart., das rot verblümbt sammet.
Iois Evang., das grün sammet.
In die S.S. Innocentum, das alt güldenstück.
Sehen wir von den Apostelfesten , für die in den meisten Fällen Grün
verzeichnet ist, und von den Marienfesten ab, so gibt es keine bestimmte Norm
für den Gebrauch der Farbe in dieser Meßgewandordnung. Man beachte be-
sonders, wie das Fest der hl. Agnes Rot hat, während für die Feste der Elf-
tausend Jungfrauen, der hl. Cäcilia und der hl. Katharina Gold, Braun und
Weiß vermerkt werden.
Im Jahre 1603 verordnete eine Synode von Brixen, es sollten Paramente
von allen fünf liturgischen Farben in allen Kirchen vorhanden sein. Ahnlich
eine Synode von Konstanz aus dem Jahre 1609 1.
Das bunte Farbenspiel in den Farbenordnungen der französischen Missalien
des ausgehenden 17. wie des ganzen 18. Jahrhunderts hatte teils seinen
Grund im Festhalten an mittelalterlichem Brauch , teils war es die Folge
der gallikanischen Reformbestrebungen am Ausgang des 17. und im Beginn
des 18. Jahrhunderts, indem manche Bischöfe die gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts in sehr vielen Diözesen eingeführte römische Liturgie wieder ab-
schafften und auf den früheren Ritus zurückgriffen. Natürlich gab man mit
dem römischen Missale auch den römischen Farbenkanon preis.
Um einen Einblick in die Mannigfaltigkeit der liturgischen Farben-
ordnungen zu erhalten, empfiehlt es sich, einen Rundgang durch das Kirchen-
jahr zu machen und dabei die verschiedene Praxis in Bezug auf die Farbe
der Paramente Revue passieren zu lassen 2. Wir erhalten so ein anschauliches
Bild des bunten Wechsels, der ehedem in Bezug auf die Farbe der litur-
gischen Kleidung bestand. Wir beginnen mit dem Advent.
Der Advent ist das Nachbild der Jahrtausende, in denen die Menschheit der
Ankunft dessen harrte, der sie aus Sündennot und Verderben retten sollte. Zugleich
ist er die Vorbereitung auf den Jahrestag der leiblichen Geburt des Gottessohnes
und auf die geistige Einkehr des Heilandes in die Seele. In beider Beziehung ist
der Advent eine Zeit der Trauer und Bufne, weßhalb denn auch meist beim Advents-
1 Hartzh. VIII 565 909. Schrift Wickham Leggs, History of the
- Eine sehr fleißige Sammlung von Farben- eccl. colours ; französische auch bei M a 1 a i s,
Ordnungen aus England, Frankreich, Deutsch- Des couleurs liturgiques, Dieppe 1879 , eng-
land und Spanien in der schon erwähnten lische bei Chambers app. I und suppl.
47*
740 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
gottesdienst Violett oder Schwarz gebraucht wurde. Doch kamen auch weiße Ge-
wänder zur Verwendung. So findet sich Weiß für den Advent verzeichnet in dem
schon erwähnten Farbenkanon der Westminsterabtei, in einem Pariser Missale von
1666, einem Missale von Sigüenza in Spanien (1552) und von Auxerre (1738) u. a.
Anderswo bediente man sich roter Paramente, so zu Salisbury in England (15. Jahr-
hundert) und Mainz (M [= Missale] von 1602). In den Statuten von Wells in England
(14. Jahrhundert) ist für den Advent dunkelblau vorgeschrieben. Ein Franziskaner-
missale des 15. Jahrhunderts in der Vaticana ' vermerkt für die Adventszeit im allge-
meinen Violett, für den Sonntag Gaudete aber Weiß. Von rosafarbenen Paramenten,
wie sie das römische Caeremoniale - für das Hochamt am dritten Adventssonntag vor-
sieht, findet sich in den mittelalterlichen römischen Ordines noch keine Spur.
An der Weihna chtsvigil war in Eom zu Innozenz' III. Zeit, wie es scheint,
Schwarz, seit etwa der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aber Violett gebräuch-
lich. Der Liber consuetudinarius von Westminster, Durandus (Rationale und Pontifikale),
das erwähnte Franziskanermissale und das Missale eines Augustinerklosters zu Neapel
aus dem Jahre 1506 3 vermerken jedoch Weiß für sie, in signum pudoris partus
futuri, wie das Franziskanermissale erklärend beifügt. Gelb war zu Eichstätt (ca 1600) 4,
Schwarz zu Ellwangen und überhaupt fast überall da im Gebrauch, wo im Advent
schwarze Paramente getragen wurden, Rot zu Evesham in England 5.
Dem Weihnachtsfest und der Weihn achtszeit eignete fast allenthalben
Weiß. In Ellwangen war es, wie wir bereits hörten, merkwürdigerweise Sitte, sich
bei der ersten Messe am Feste weißer, bei der zweiten roter, bei der dritten sowie
in der Oktav violetter Gewänder zu bedienen. In dem Lyoner Missale von 1771
war für die Messe in galli cantu Violett, für die zweite Weiß, für die dritte Rot
vorgeschrieben. Zu Mainz (M 1602) wurde die erste Messe in roten, die zweite
in weißen Gewändern zelebriert. Für die dritte und die Oktav fehlt eine Angabe.
Eine dem Mainzer Brauch ähnliche Sitte wird bei Martene auch für Corbie und
St Germain-des-Pres zu Paris erwähnt 6. Die Statuten von Wells bestimmen : In
die natalis Domini omnia alba praeter in secunda missa, geben jedoch nicht an,
welcher Farbe man sich bei dieser Messe bediente. Zu Evesham war es Sitte, bei der
missa magna am Weihnachtsfest eine große schwarze Kasel zu tragen, bei der missa
in galli cantu aber eine alba casula diasperata (gemustert) et auro stragulata.
Es ist nicht klar, welches der Grund war, die Messen am Weihnachtsfeste
alle oder teilweise in verschiedenen Farben zu feiern. Vielleicht daß die weiße Farbe
die menschgewordene Gottheit oder seine ewige Geburt, die rote seine heilige Mensch-
heit bzw. seine zeitliche Geburt, Violett aber das Wort des Apostels: „Er hat sich
selbst erniedrigt" (Phil 2, 8) versinnbilden sollte.
Am Feste der Beschneidung des Herrn bediente man sich entweder
weißer oder roter Paramente, weißer, um Christi unendliche Reinheit und Gottheit
anzudeuten, roter, um an seine erste Blutvergießung zu erinnern. Beides war gleich
gebräuchlich. Der beiden Bräuchen zu Grunde liegenden Auffassung suchten in eigen-
artiger Weise die Statuten von Wells dadurch gerecht zu ■ werden , daß von den
funktionierenden Geistlichen die einen in Rot, die andern in Weiß auftraten. Das
Mainzer Missale von 1602 verzeichnet für das Fest der Beschneidung Blau7.
1 Vat. Capp. 206. aliis vero festis sequentibus (sc. festum In-
2 L. 2, c. 13, n. 11. nocentium) , sive festum confessorum sive
3 Vat. Ottob. 221. virginum, utitur colore albo, rubeo in do-
4 Kirchenschmuck XXI 24. minicis a Nativitate usque ad Octavam Epi-
5 Offic. eccl. abbat, sec. usum Evesham. phaniae , si facit de dominica non de aliquo
monast. (Bradshaw S o c. , London 1893) festo utitur colore albo, ist ersichtlich fehler-
166. Verfaßt zur Zeit Eduards III. oder haft. Vielleicht ist zu lesen: utitur colore
Richards IL albo vel rubeo (je nachdem die virgo nämlich
n Mari, Mon. 1. 2, c. 4, n. 9 18: IV 95. bloß Jungfrau oder auch zugleich Märtyrin
7 Die Angabe des 13. Ordo (n. 18) : In war). In dominicis etc.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben.
741
Dem Feste Epiphanie und seiner Oktav eignete wie Weihnachten vor-
nehmlich Weiß; jedoch wurden auch rote Gewander gebraucht, so zu Toledo
(M. 1550), Lichfield (13. Jahrhundert), Clermont in der Auvergne l. Gelb war die
Farbe für Epiphanie zu Ellwangen und Toulouse (M. 1832), Violett zu Soissons
(M. 1745). Zu Lisieux benutzte man entweder rote Paramente oder Paramente von
Goldstoff'. Eigenartig ist das Grün zu Le Mans (M. 1655).
In der Zeit von Epiphanie bis Septuagesima begegnen uns Weiß, Kot,
Violett und Grün. Weiß zu Paris (M. 1666), Sens (M. 1715), Auxerre (M. 1738).
Bourges (M. 1741), Toledo (M. 1550), Toul (Caeremoniale 1700), Eot zu Lyon (M. 1771),
Salisbury (14. und 15. Jahrh.), Wells (14. Jahrh.), Mainz (M. 1602), Gelb zu Palencia
in Spanien (M. 1568) 3, Violett zu Ellwangen und Le Mans (M. 1655). Am ver-
breitetsten war, wohl infolge des Einflusses des römischen Kanons, Grün. Wir be-
gegnen ihm z. B. zu Soissons (M. 1745), in Sizilien (M. 1568), zu Mailand (M. 1795), in
dem Augustinermissale von Neapel (1506) , dem vorhin erwähnten Minoritenmissale
(15. Jahrh.), einem Caeremoniale episcoporum der Vaticana (15. Jahrh.)4, zu Eich-
stätt (M. 1600), Exeter (Ordinale von 1337), London (St Paul, Pontifikale des Bischofs
Clifford [1406 bis 1426]), in einem Dominikanermissale aus dem Beginn des 16. Jahr-
hunderts 5, zu Köln (M. 1626), Trier (M. 1608) u. a. Wo man sich einer sonstigen
Farbe bediente, lag das meist daran, daß man die Farbe der Weihnachtsoktav bis
Septuagesima beibehielt. Das Gelb zu Palencia erklärt sich vielleicht durch den Um-
stand, daß Gelb Nebenfarbe von Grün war. Hier und dort behielt man die Weih-
nachtsfarbe bis Lichtmeß bei und ging erst dann zu einer andern Farbe über. So
will es z. B. das Pariser Missale von 1685; so war es auch zu Eouen üblich". Dort
trat Rot, hier Grün an die Stelle von Weiß.
Von Septuagesima bis zur Fastenzeit herrschte die violette Farbe vor.
Bot scheint im 13. und 14. Jahrhundert namentlich in England Brauch gewesen zu
sein; später kommt es auch anderswo vor, so zu Mainz (M. 1602) und Paris (M. 1666).
Schwarz sei beispielsweise für Köln (M. 1626) sowie für Ellwangen und Gubbio
(M. 14. bis 15. Jahrh. 7) angemerkt.
In der Fastenzeit bediente man sich, wie schon früher bemerkt wurde, zu
Eom noch im Beginn des 13. Jahrhunderts schwarzer Paramente, dann aber im
Wechsel mit schwarzen auch violetter und indigofar-biger, nicht lange nachher aber
nur violetter. Außerhalb Roms war teils Violett, teils Schwarz gebräuchlich, und
zwar nicht bloß im Mittelalter, sondern bis wenigstens in das 17. Jahrhundert
hinein. Zu Köln muß nach Ausweis des Inventars von St Brigiden aus dem Jahre
1508, welches eine Anzahl weißer Paramente ausdrücklich als Fastengewänder be-
zeichnet, um das beginnende 16. Jahrhundert Weiß die Farbe für die Fastenzeit
gewesen sein 3. Daß die Kölner aber damit in jener Zeit nicht allein standen, erhellt aus
der Aschermittwochspredigt des Osnabrücker Augustiners Gottschalk Holen (ca 1490),
worin es heißt : In hoc sciendum , quod casula quadragesimalis est alba et habet
rubeam crucem 9; ferner aus dem Inventar von Zeitz (1514), einem Inventar der Schloß-
kirche zu Heilsberg (1581), dem Inventar der St-Gertrudenkapelle zu Braunschweig
(Ende 15. Jahrh.), dem Inventar der Infirmary Chapel zu Peterborough (one vestiment
of white fustian [Baumwolle] for Lent) u. a. lu Das Mainzer Missale verzeichnete für
. ' Guy et, Heortologia III, Urbini 1728,
9 28.
2 Malais, Des couleurs liturgiques 10.
3 Vat. Barber. B X 1.
4 Vat. Reg. 280.
5 Bischöfliches Museum zu Haarlem.
6 Wickham Legg, History of the eccl.
colours, London 1882, 17 19.
7 Vat. lat. 4743.
8 Ditges, Eine Kölner Gerkammer im
XVL Jahrhundert in Annalen des historischen
Vereins XLV 120 : Seven wisser vastengeger
mit sees stoelen , 5 manipuln. Vunf vasten
wiss g(eger) mit alven , stoelen etc. Das
Kölner Missale von 1626 schreibt schwarz
für die Werktage der Fastenzeit vor, an den
Sonntagen bediente man sich violetter Para-
mente.
9 Kirchenschmuck IX 58.
10 Im Preßburger Inventar von 1425 finden
sich 2 casulae quadragesimales, quarum una
est alba et una rubea.
742 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
die Fasten Blau. Es scheint dieses ein Ersatz für Violett sein zu sollen, welches in
der Mainzer Farhenordnung auffälligerweiser nicht erwähnt wird. In französischen
Diözesen bediente man sich seit etwa dem 16. Jahrhundert während der Fastenzeit
vielenorts aschgrauer Gewänder, und zwar bis tief in die neueste Zeit hinein,
so zu Paris (M. 1685), Bourges (M. 1741), Poitiers (M. 1767), Lyon (M. 1771),
Frejus (M. 1786), Pamiers (M. 1845), Meaux (M. 1845), Autun (M. 1845) u. a.
Solche kamen aber auch anderswo vor, so zu Toledo (M. 1550) und Ellwangen. Selbst
im Inventar von St Peter zu Rom aus dem Jahre 1441 finden wir eine tunicella,
dalniatica, planeta cineritia ad usum primi diei quadragesimae '.
War für die Zeit von Septuagesima bis zu den Fasten eine andere Farbe im
Gebrauch wie in der Fastenzeit, so folgte der Aschermittwoch regelmäßig der
Farbe der letzteren. Eine Ausnahme hiervon scheint nur sehr selten gemacht worden
zu sein, wie z. B. zu Paris am Ende des 17. Jahrhunderts, wo man die Fastenzeit
erst mit dem Sonntag nach Aschermittwoch begann 2.
An verschiedenen Orten waren schwarze Paramente nur an den Werktagen
der Fastenzeit in Gebrauch, während man sich an den Sonntagen violetter be-
diente, so zu Köln (M. 1626), Sens (M. 1715) u. a. Man wollte dadurch den Sonntag
vor den Werktagen aus- und kennzeichnen und die feierlichere und gehobenere Sonn-
tagsstimmung auch in der Farbe der liturgischen Gewandung einigermaßen zum Aus-
druck bringen.
Für den Sonntag Laetare merkt das mehrfach genannte Franziskaner-
missale des 15. Jahrhunderts gerade wie für den Sonntag Gaudete Weiß an, in
signum laetitiae et victoriae, wie es sagt. Auch zu Palencia (M. 1568) und Sigüenza
(M. 1572) bediente man sich an Laetare weißer Paramente, während man zu Burgo
de Osma rote, zu Ellwangen gelbe und zu Lyon grüne trug. Bezüglich der rosa-
farbenen Gewänder, welche das römische Caeremoniale, wenn möglich, an diesem
Tage beim Amte getragen wissen will, gilt, was in Betreff derselben beim Sonntag
Gaudete gesagt wurde. Schon zu Innozenz' III. Zeit zeichnete man den Sonntag
Laetare zu Rom dadurch aus, daß man an ihm statt schwarzer Paramente wie sonst
in der Fastenzeit violette gebrauchte.
Während der Passionszeit hielt man zu Eom an der Farbe der Fastenzeit
fest. In vielen außerrömischen Diözesen hatte jene jedoch eine besondere liturgische
Farbe. In Spanien scheint für sie Schwarz bevorzugt worden zu sein. Wir finden
dieses in der Passionszeit z. B. zu Toledo (M. 1550), zu Sigüenza (M. 1552), zu Burgo
de Osma (M. 1561) und zu Palencia (M. 1568) in Gebrauch. Auch ein Missale von
Monte Cassino aus dem Jahre 1515 gibt für die beiden letzten Wochen vor Ostern
Schwarz an. In Frankreich begegnet uns daselbe zu Cahors (M. 1760), Lucon (M. 1828),
Toulouse (M. 1832), Autun (M. 1845), Pamiers (H. 1845) und Albi (M. 1848). Es
scheint jedoch, daß der Gebrauch schwarzer Paramente in der Passionszeit hier durch-
weg sehr jungen Datums war.
Am verbreitetsten war Rot. Wir finden es ebensowohl in englischen (Wells,
Westminster, Salisbury, Exeter, London) und deutschen (Köln, Mainz, Eichstätt,
Trier, Salzburg) wie in französischen Kirchen. Besonders charakteristisch war es
für Frankreich. Schon der 13. Ordo (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts) hebt aus-
drücklich hervor, daß man sich im Gegensatz zum römischen Brauch in der galli-
kanischen Kirche vom Palmsonntag ab roter Paramente bediene3. Roch im 16., 17.
und 18. Jahrhundert war Rot als Farbe für die Passionszeit in Frankreich sehr ge-
bräuchlich, so z. B. zu Reims (M. 1553), Laon (Belotte, Ritus eccl. Laud. 1662), Le
Mans (M. 1665), Besancon (Ceremoniel 1707), Sens (M. 1715), Auxerre (M. 1738),
Bourges (M. 1741) u. a.
Am Palmsonntag hatten die Gewänder bei der Messe die Farbe der
Passionszeit. Anders verhielt es sich dagegen vielenorts bei der Palm weihe und
1 Müntz e Frothingham, 11 Tesoro 2 De Moleon (Lebrun-Desmarettes) , Iter
di S. Pietro 97. liturg. 247. 3 N. 21 (M. 78, 1117).
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 743
der Palmprozession. Bei diesen war, wie schon Durandus hervorhebt, Weiß
sehr verbreitet '. Eine Ausnahme ist es, wenn zu Eichstätt für sie Gelb vorgeschrieben
war. Häufiger war Grün bei ihnen in Gebrauch, wohl wegen der Palmzweige, mit
denen die Juden dem in Jerusalem einziehenden Heiland entgegenkamen, so zu Laon,
Toledo, Sevilla (M. 1507 und 1534) und Vienne2. Li Mailand trägt man bei der Palm-
prozession violette Paramente, während man sich bei der Messe roter bedient ; ein
Missale von Lucon von 1828 schreibt umgekehrt für die Messe am Palmsonntag-
Violett, für die Palmprozession aber Eot vor. Ähnlich das Caeremoniale von Toul
von 1700. Zu Cahors war nach dem Missale von 1760 bei der Messe Schwarz,
bei der Palmweihe und Palmprozession aber Violett gebräuchlich.
Am Gründonnerstag waren im Gegensatz zur römischen Farbenregel, welche
Weiß verlangt, in deutschen, englischen und französischen Diözesen vielfach rote Para-
mente üblich. Verschiedene Missalien vermerken, es sollten weiße Gewänder nur
gebraucht werden, falls in der Messe die Weihe der heiligen Öle statthabe, andern-
falls aber rote, z. B. die Missalien von Toledo (M. 1550), Burgo de Osma (M. 1561),
Palencia (M. 1568), Lyon (M. 1771). Ähnlich bemerkt das Ordinale des Bischofs
Grandisson von Exeter (ca 1337) : Secundum quosdam in coena Domini, si Episcopus
non celebrat, vestimentis rubeis est utendum, d. i. , wenn keine Olweihe stattfindet.
Es ist beachtenswert, wie schon in dem ältesten römischen Ordo angeordnet ist, es
sollten die Ampullen mit dem zu weihenden Öle in ein weißes seidenes Tuch ein-
gehüllt sein 3. Von demselben Brauch berichtet uns im Beginn des 9. Jahrhunderts
auch Amalar von Metz '.
Zu Eichstätt bediente man sich um den Beginn des 17. Jahrhunderts am
Gründonnerstag grüner Gewänder, vielleicht, um durch dieselben dem Namen des
Tages gerecht zu werden. Dasselbe geschah nach Märten e im Kloster des hl. Martin
zu Lyon 5. Zu Mainz trug der Diakon, welcher das Evangelium bei der Fußwaschung
sang, eine grüne Dalmatik, während dort im übrigen am Gründonnerstag rote Para-
mente gebraucht wurden.
Am Karfreitag benützte man nach dem Beispiel der römischen Kirche viel-
fach schwarze Paramente. Doch waren rote an diesem Tage kaum minder beliebt,
namentlich auch in Deutschland. Wir finden am Karfreitag solche z. B. zu Passau
(M. 1522), Salzburg (M. 1507), Würzburg (Rituale von 1564), Mainz, Köln, Trier,
Eichstätt. Selten kommt Violett vor, wie zu Lyon (1771), ganz vereinzelt Gelb
(Laon, Belotte, Ritus eccl. Laudun. 1662) G. Zu Vienne trugen der praecentor und
cantor, welche bei der adoratio crucis das Ecce lignum anhüben, eigentümlicherweise
grüne Chorkappen, wohl im Hinblick auf den neues geistliches Leben sprossenden
Kreuzesbaum '.
Die Messe am Karsamstag pflegte, weil im Grunde Ostergottesdienst, wie
im römischen Ritus meist in weißer Farbe gehalten zu werden. Zu Le Mans 8 und
Evesham bediente man sich bei ihr roter, zu Mainz blauer, zu Eichstätt gelber,
zu Soissons (M. 1745) grüner Paramente. Mannigfaltig war der Brauch bezüglich
der Farbe der Gewänder bei den der Messe vorausgehenden Zeremonien, der Feuer-
weihe, der Kerzenweihe , der Lesung der Propheten, der Segnung des Taufwassers
und der Absingung der Litanei. Hier geschah alles das in Weiß wie zu Lyon (M. 1771),
Sevilla (M. 1507), Burgo de Osma (M. 1561), dort galt der römische Brauch. Zu
' Rationale 1. 3, c. 18, n. 9 : f. 83. tragen, paßt durchaus nicht zum Geist des
2 De Moleon a. a. O. 37. Statt Si papa römischen Farbenkanons.
hac die Palmarum celebraret, portare debet 3 N. 31 (M. 78, 952).
paramenta violacea vel viridis coloris sine 4 De eccl. offic. 1. 1, c. 12 (M. 105, 1017).
perlis im 14. Ordo, c. 82 (M. 78, 1204) muß 5 Mart. 1. 4, c. 22; III 126.
es wohl, wie der 15. Ordo, c. 65 (ebd. 1301) 6 Vgl. auch schon das Ordinarium des
schreibt, heißen, paramenta violacea vel indii Lisiardus bei Chevalier, Ordinaires de
coloris. Das dunkle Indigoblau wurde auch l'^glise cathedrale de Laon 113.
sonst als Ersatz für Violett betrachtet. Beider '' Mart. 1. 4, c. 23; III 139.
Messe am Palmsonntag grüne Gewänder 8 De Moleon, Iter liturg. 222.
744- Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Salisbury wurde die Feuerweihe in roten Paramenten vorgenommen. Ebenso wurde
dort die Litanei in roter Cappa gesungen ; wenn aber drei Geistliehe sie sangen, so
mußte der mittlere eine weiße, die beiden andern eine rote tragen. Zu Mainz war
für die Feuerweihe Rot, für die Kerzenweihe Grün, für die Taufwasserweihe Eot vor-
geschrieben, zu Monte Cassino (M. 1515) für die Feuer- und Kerzensegnung Weiß,
für die übrigen Zeremonien Violett oder Blau. Zu Paris war Violett nur während
der Lesung der Prophezien im Gebrauch. Alles übrige vollzog man in Weiß.
Am Oster tage wie in der Osterwoche wurden nach uralter Sitte überall weiße
Paramente gebraucht. Es sind äußerst seltene Ausnahmen, wenn das Kalendarium
von Wells und der Liber Consuetudinarius von Westminster für Ostern und die Oster-
oktav Kot vermerken, das Missale von Soissons von 1745 aber Grün.
Der Osterzeit eignete ebenfalls fast allgemein Weiß. In Salisbury waren
sogar an allen in sie einfallenden Festen, Kreuzerfindung allein ausgenommen, weiße
Gewänder in Gebrauch. Grün treffen wir in der Osterzeit außer zu Soissons zu
Köln (M. 1626), Mailand (M. 1795) und Eheims (M. 1688), Kot zu Westminster
und Wells an.
Am Himmelfahrtsfeste und in dessen Oktav war wie an Ostern fast aus-
nahmslos Weiß gebräuchlich. Auch Köln, Mailand, Wells und Westminster folgten
hierin der allgemeinen Praxis. Eine Ausnahme machte mit seinem Grün Rheims und
wohl auch Soissons.
Eine seltene Einmütigkeit herrschte bezüglich der Farbe des Pf ingstf estes.
Der Liber Consuetudinarius von Westminster läßt zwar an diesem Tage auch Gelb
und Blau zu, doch schließt er Rot so wenig aus, daß er es vielmehr vor diesen beiden
Farben anführt.
Bunt, recht bunt sali es dagegen wieder am Trinitatissonntag aus. Hier
trug man weiße, da gelbe, hier blaue, da violette, hier grüne, da rote Paramente.
So gab es Violett zu Soissons (M. 1745), Blau zu Toledo (M. 1550) und Mainz
(M. 1602), Grün zu Exeter (ca 1337), Gelb zu Ellwangen (M. 1574), Rot zu Paris
(M. 1685), Le Mans (M. 1655), Sigüenza (M. 1552), Eichstätt (M. 1600) u. a., Weiß
zu Palencia (M. 1568), Mailand (M. 1795), Lyon (M. 1771), in Sizilien (1568) u. a.
Am Fronleichnamsfest war die liturgische Kleidung vorherrschend von
weißer Farbe; jedoch war an diesem Tage vielfach auch Rot gebräuchlich, zumal in
Frankreich. Das Grün zu Eichstätt und zu Clermont ' ist eine vereinzelte Erscheinung.
Ein interessanter Brauch bestand zu Exeter. Nach dem Ordinale Grandissons sollte
nämlich der Priester am Fronleichnamstag bei der Messe in Weiß, der ihm assistie-
rende Geistliche in Rot gekleidet sein. Ferner sollte der Diakon in roter Dalmatik,
der Subdiakon aber in weißer Tunicella ministrieren. Es sollte dadurch das unter
den Gestalten von Brot und Wein eingesetzte heilige Sakrament, Christi Leib und
Blut sowie Christi Reinheit und Liebe symbolisiert werden: Propter similitudinem
panis et vini et corporis et sanguinis Jesu Christi et qui candidus est et rubicundus.
Vom Dreifaltigkeitssonntag an bis zum Advent verlangte die römische
Sitte im Officium de tempore Grün. In andern Kirchen war dagegen, soweit man
nicht der römischen Sitte folgte, bald Rot oder Violett, bald Blau oder Gelb in Ge-
rauch, also wiederum mit Ausnahme von Weiß und Schwarz alle Farben. Violette
Paramente waren z. B. üblich zu Le Mans (M. 1665), blaue zu Toledo (M. 1550),
gelbe zu Palencia (M. 1568) und Eichstätt. Sehr gebräuchlich war Rot, so z. B. zu
Wells (14. Jahrh,), Westminster (13. Jahrh.), Salisbury (14. und 15. Jahrh.), Prag
(Inventar von 1387), Würzburg (Inventar von 1448), Paris (M. 1685), Lyon (M. 1771),
Toulouse (M. 1832), Coutances (Ceremoniel 1825), Le Puy (M. 1783), Mainz (M. 1602).
Zu Mainz bediente man sich der roten Farbe bis zum dritten Sonntag im Oktober, dem
Kirchweihfest der Kathedrale, dann vertauschte man sie bis zum Advent mit Grün.
An den Muttergottes festen kamen mit verschwindenden Ausnahmen überall
weiße Paramente zur Verwendung. Blaue trug man zu Eichstätt an den Festen Maria
Guy et, Heortologia III 29, 9.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 745
Lichtmeß und Maria Opferung, sowie bei der Samstagsmesse de Beata von Pfingsten
bis zum Advent, rote zu Ellwangen am Feste Maria Heimsuchung. Zu Prag unter-
schied man nach dem Inventar von 1387 zwischen Fest und Oktav. An den Festen
wurde Weiß, in den Oktaven derselben Blau gebraucht.
Den Engelfesten eignete meistens, doch nicht ausschließlich Weiß. Außer
Eot (Mainz M. 1602, Le Mans M. 1665 u. a.) war namentlich auch Gelb an ihnen
in Gebrauch (Le Puy M. 1783, Frejus M. 1786, Poitiers M. 1767, Autun M. 1845
u. a.). Das Kalendarium von Wells notiert für das Fest des hl. Michael Blau und Weiß.
Am Allerheiligen fest trug man, wie schon Innozenz III. und Durandus
angeben, bald weiße, bald rote, bald mehrfarbige Gewänder ; letztere, um durch die
verschiedenen Farben die Tugenden der Heiligen zu versinnbilden. Solche bunte
Gewänder waren z. B. zu Toledo (M. 1550), Burgo de Osma (M. 1561), Sigüenza
(M. 1552) und Mainz (M. 1602) gebräulich. Auch wurde es wohl an Allerheiligen
in das Belieben des Priesters gesetzt, zu bestimmen, was für Paramente er anziehen
wolle. So sagt z. B. Grandissons Ordinale : In festo omnium sanctorum . . . omnibus colori-
bus indifferenter, ita tarnen, quod candidum et rubeum praeponantur, ad libitum est uten-
dum. Annderswo überließ man dem Priester wenigstens, zwischen Weiß und Kot zu
wählen. Das mehrfach erwähnte Franziskanermissale aus dem 15. Jahrhundert will,
daß Allerheiligen der Priester Weiß, der Diakon Rot und der Subdiakon Grün oder
Gelb trage, offenbar, um so alle Stände der Heiligen zu symbolisieren.
Am Feste der Geburt des hl. Johannes Baptist waren mit Rücksicht auf
dessen Heiligung im Mutterschoß vorzugsweise weiße Gewänder üblich ; grüner be-
diente man sich zu Mainz, Le Mans, Toledo u. a., violetter zu Soissons (M. 1745)
und Bourges (M. 1741), doch hier nur in der Kathedrale, blauer zu Wells.
Das Fest der Enthauptung des, Heiligen wurde wie ein Martyrfest behan-
delt. Violette Paramente schreiben für diesen Tag vor das Ordinale Grandissons von
Exeter und das Pontifikale des Bischofs Clifford von London. Als Grund führen die-
selben an : Quia ad limbum descendit. Der Martertod führte den Vorläufer Christi
noch nicht sogleich in den Himmel. Wohl infolge der gleichen Auffassung scheint
zu Prag nach dem Inventar von 1387 Blau an diesem Tage üblich gewesen zu sein.
An den Aposteltagen gebrauchte man in seltener Übereinstimmung rote
Gewänder. Das Mainzer Missale verzeichnet Grün. Eine Ausnahme bildeten auch
gewisse Nebenfeste der Apostel, wie Petri Stuhlfeier und Pauli Bekehrung, sowie
das Hauptfest des heiligen Evangelisten Johannes. Man feierte an diesen Tagen
nicht die Erinnerung an das Martyrium der betreffenden Apostel. Daher behandelte
man sie meist nach Weise der Bekennerfeste und benutzte an ihnen grüne, weiße,
blaue, violette oder gelbe Paramente, je nachdem die einen oder die andern in den
betreffenden Kirchen an den Bekennertagen in Gebrauch waren. Petri Kettenfeier
wurde bald wie ein Bekennerfest behandelt, bald bediente man sich an ihr roter
Gewänder. Am Feste des hl. Johannes ante portam latinam herrschte in Rücksicht
auf das Martyrium des Apostels, dessen Andenken man dann beging, Rot vor. Weiß
begegnet uns an diesem Tage vorzüglich in einigen englischen Diözesen (Wells,
Salisbury, Westminster). Für den Markus- und den Lukastag schreibt das Missale
von Palencia (M. 1568) Weiß vor. Im übrigen war an diesen beiden Tagen Rot
gebräuchlich, obwohl das Martyrium des hl. Lukas zweifelhaft ist.
Die Märtyrer feste sind neben den Festen der heiligen Jungfrauen,
welche nicht zugleich Märtyrinnen waren , die wenigen Tage, an denen überall
dieselbe Farbe in Kraft war. In allen liturgischen Farbenkanons wird den Märtyrern
Rot, den Junfrauen Weiß zugewiesen. Einigermaßen schwankt der Brauch an den
Festen der Jungfrauen, die zugleich als Märtyrinnen verehrt wurden. Zwar herrscht
auch hier Rot vor, doch fehlt es nicht an Kirchen, in denen man Weiß ge-
brauchte, z.B. zu Lyon (M. 1771). Das Kalendar vonWels vermerkt: Quando de virgine
et martyre rubea et alba, und Grandissons Ordinale bestimmt: In festis virginum et
martyrum partim albis partim rubeis vel eisdem coloribus mixtis (est utendum). Wie
das partim albis partim rubeis zu verstehen sei, darüber belehrt uns die Notiz,
746 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewander.
welche sich an die früher erwähnte Verordnung des Ordinales über die Farbe der
Paramente am Fronleichnamstage anschließt: Eodem modo fiat de virginibus et
martyribus.
Eine ungemeine Mannigfaltigkeit herrscht in den verschiedenen Farbenregeln
hinsichtlich der Feste der Bekenn er. Da finden wir geradezu alle Farben, Schwarz
nicht ausgeschlossen. Am häufigsten kommen Weiß, Grün, und Gelb vor. Blau gab
es zu Prag (Inventar 1387) und Mainz (M. 1602), Schwarz im Dom von Eichstätt an
den Festen der Bekenner, die nicht Bischöfe waren ', und in einem Karmelitermissale an
den Gedächtnistagen heiliger Mönche 2. Zu Evesham trug man Schwarz an den Festen
der Ml. Egwin und Wulstan 3. Zu Lincoln waren im 1 3. Jahrhundert an den Bekenner-
tagen auch braune und dunkle Gewänder (coloris fusci) in Gebrauch. In manchen
Kirchen waren die Bekennerfeste geteilt, indem man an den Festen der Bekenner-
bischöfe sich andersfarbiger Paramente bediente, wie an den Tagen der gewöhnlichen
Bekenner. Ja man unterschied sogar hie und da die heiligen Bekennerpäpste von
den einfachen Bischöfen oder die Abte und Mönche von den andern Bekennern,
die nicht Bischöfe waren. Das mehrfach angeführte Minoritenmissale der Vaticana ver-
merkt für die Papstfeste Weiß, für die Feste der Bekennerbischöfe Grün, für die Tage
der heiligen Priester, Mönche und Einsiedler Gelb an. Das Missale von Palencia (1568),
früher in der Barberinischen Bibliothek zu Rom, jetzt ebenfalls in der Vaticana,
weist den Bischöfen Grün, den Nichtbisehöfen Violett zu. Zu Mailand ist an den
Festen heiliger Bischöfe, heiliger Kirchenlehrer und Priester Weiß, an denen heiliger
Abte und heiliger Laien Grün gebräuchlich. Zu Eouen trug man an den Festtagen
von Bischöfen und Priestern weiße, an den Festen von Kirchenlehrern grüne, an den
Tagen von Heiligen des Alten Bundes, von Äbten, Mönchen und sonstigen Bekennern
violette Paramente. Am buntesten mag es aber zu Wells ausgesehen haben, wo es,
ohne erkennbare Regel, im Kalendar bei dem einen Bekenner heißt : omnis viridia et
crocea, bei dem andern omnia crocea etc.
Die Feste heiliger Frauen wurden ähnlich wie die Feste heiliger Bekenner
behandelt. Ein treffliches Beispiel, welche Mannigfaltigkeit hinsichtlich der Farbe
der liturgischen Gewänder an ihnen herrschte, bietet die Notiz des Ordinale Gran-
dissons bezüglich des Festes der heiligen Maria Magdalena: In festo Maria Magda-
lenae secundum< quosdam vestimentis indici id est aerei coloris vel blavi, si pulchra
habeantur, non inconvenienter indui possunt. In festo tarnen Magdalene quidam albis,
quidam croceis utuntur. Das Gewöhnlichste an den Festen heiliger Frauen war Violett ;
Grün war nach dem Inventar von 1387 zu Prag üblich4.
Bei der Kirchweihe wurden nach römischer Sitte weiße Paramente ge-
braucht. Aber auch aufäerhalb Korns wurde es fast allgemein so gehalten, propter
nuptias Christi et ecclesiae, wie das Pontifikale des Bischofs Clifford von London
nach dem Vorgang Innozenz' III. sagt. Entsprechend war denn auch am Jahrestag
der Kirchweihe beinahe allenthalben Weiß üblich. Zu Le Mans war für das Fest
der Kirchweih Kot vorgeschrieben. Das Kalendar von Wells merkt für dasselbe
Blau und Weiß an, während das Ordinale Grandissons erklärt, man könne an ihm
alle Farben nach Belieben gebrauchen; jedoch möge man Rot und Weiß den Vor-
zug geben.
Bei den Exequien bediente man sich in der Regel schwarzer Paramente.
So vor allem zu Rom, wo man nach dem gegen Ende des 15. Jahrhunderts ent-
standenen Ordo des Petrus Amelius selbst bei den Exequien des Papstes schwarze
Gewänder trug 5. Das Kalendar von Wells (14. Jahrh.) bestimmt ausdrücklich :
1 Kirchenschmuck XXI 24. Möglich, daß 2 Wickham Legg, History of the eccl.
Schwarz auf einem Irrtum beruht, aber auch colours 33.
nur möglich. Ob aber dann, wie im „Kirchen- 3 Offic. eccl. abbat, sec. usum Evesham.
schmuck" gemeint wird, dafür Blau einzusetzen monasterii, 166.
ist, scheint fraglich. Eine Stütze für diese An- ' A. Podlaha und E. Sittler, Chrä-
nahme könnte allerdings sein, daß auch das movy poklad u Sv. Vita v Praze XXXVIII.
Fest der Commemoratio des hl. Paulus Blau hat. ' C. 146 (M. 78, 1353 f).
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 747
Memorandum, quoties et quandocumque agitur pro defunctis , omnia erunt nigra et
simplicia, licet agatur pro rege vel episcopo. Ein Missale von Salisbury (15. Jahrh.)
bemerkt ähnlich: In omnibus missis pro defunctis per totum annum utuntur vesti-
mentis nigris. Es kamen aber auch violette Paramente bei Exequien zur Verwen-
dung, so besonders in Prankreich, wie zu Narbonne u. a. Auch im Ordinale Gran-
dissons heißt es : In solemnibus exequiis mortuorum et etiam sepulturis eorum satis
congrue violaceo colore est utendum. Violette Paramente wurden namentlich bei
Leichenfeierlichkeiten von Fürsten und Standespersonen gebraucht.
Es sind nur einige fünfzig Kanones, welche wir unsern Ausführungen haben
zu Grunde legen können; sie bieten bei weitem kein vollständiges Bild, und doch
welche Verschiedenheit. Kaum könnte man sich eine buntere Mannigfaltigkeit
denken. Es lassen sich, wenn wir von dem römischen Farbenkanon ab-
sehen, nicht einmal bestimmte Typen unterscheiden. Wohl zeigen die Farben-
regeln in den einzelnen Ländern, wie Spanien, Frankreich, England mehrfach
eine gewisse Übereinstimmung; so herrscht z. B. in den gallikanischen Kirchen
eine Neigung zu Bot vor, während in den englischen Farbenordnungen den
Bekennern mit Vorliebe Gelb zugewiesen wird. Indessen gestattet eine solche
größere oder geringere Verwandtschaft noch keineswegs von einem englischen,
spanischen oder gallikanischen Typus zu sprechen. Dafür sind der Verschieden-
heiten in andern Punkten zu viele und zu bedeutende.
Es wäre interessant, einmal alle Farbenkanones, die je im Gebrauche
waren, beisammen zu haben. Welche Fülle von Auffassungen und Gewohn-
heiten würde uns dann nicht erst entgegentreten.
Waren doch nicht einmal in den einzelnen Diözesen überall dieselben
Vorschriften über die liturgischen Farben in Kraft und das Vorbild der
Metropolitankirche für die andern Kirchen des Bistums keineswegs immer
maßgebend. Nicht selten hatte die Kathedrale wie einzelne besondere Riten,
so auch bezüglich der Farben ihre Eigenheiten. So war z. B. in der Oktav
von Epiphanie zu Paris (1776) Gelb nur in Notre-Dame gebräuchlich1. Zu
Eichstätt bediente man sich ca 1600 während des Advents im Dom der
schwarzen, in der Diözese der violetten Farbe. Ebenso trug man daselbst
an den Festen der Bekenner im Dom schwarze, in der Diözese grüne Para-
mente. Für die Sonntage nach Trinitatis war im Dom Gelb, in der Diözese
Grün Regel. Am Fest des hl. Johannes Bapt. waren in der Metropolitankirche
zu Bourges (M. 1741) violette Gewänder üblich, während in der Diözese weiße
in Gebrauch waren.
Insbesondere folgten nicht nur die Ordenskirchen, die sehr gewöhnlich
ihre eigenen Gebräuche hatten, sondern häufig auch die Stiftskirchen einem
mehr oder weniger von dem der Kathedrale abweichenden Farbenkanon.
Nicht wenig ward die Mannigfaltigkeit, welche uns in den alten Farben-
kanones entgegentritt, auch durch deren geringe Stabilität begünstigt.
Leider gestattet die geringe Zahl der noch vorhandenen alten Farben-
regeln nicht, deren Entwicklung und Umbildung in den einzelnen Kirchen
oder Diözesen zu verfolgen. Was wir von ihrer Geschichte zu wissen be-
kommen, sind zuletzt nur vereinzelte Ausschnitte, die uns unmöglich ein
Bild des Wechsels zu geben vermögen, der sich im Lauf der Zeit mit ihnen
vollzog.
Es ist ein Vorzug der römischen Farbenregel , daß sie sich seit den
Tagen Innozenz' III. wenigstens in Theorie stets gleich geblieben ist. Die
1 Migne, Origines et raison de la liturgie, Paris 1844, 443.
748 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Veränderungen, welche sie im Laufe der Zeit erfuhr, waren sehr unbedeutend
und bezogen sich fast nur auf Ausscheidung des Gelb und scharfe Trennung
von Schwarz und Violett. Nicht so in den außerrömischen Farbenkanones,
in denen die jeweiligen subjektiven Anschauungen einen weiten Spielraum
hatten, ganz abgesehen von den Veränderungen, welche die Annäherung an
den römischen Brauch manchenorts bewirkte.
Wenn irgendwo auf liturgischem Gebiet, dann tritt gerade in Bezug auf
die liturgischen Farben in auffallender Weise ein übertriebener Subjektivis-
mus zu Tage. Hier hielt man es so , dort so , je nachdem man aus den
einzelnen Farben die eine oder andere Symbolik herauslas. Heute bevorzugte
man für denselben Tag Grün, um sich morgen zu Gelb oder Weiß zu wenden.
Es macht in dem Wirrwarr der verschiedenen und oft so verschiedenartigen
Farbenregeln wirklich einen wohltuenden Eindruck, wenn man sieht, wie auch
hier sich die römische Kirche als festen Punkt erwies.
Man mag die Vorzeit in gewissem Sinne um ihre größere Freiheit be-
züglich der liturgischen Farben beneiden. Und doch war es gut, daß Pius V.
auch den römischen Farbenkanon in das Missale aufnahm und mit diesem
überall da zur Norm machte, wo nicht bereits seit zweihundert Jahren ein
eigenes Missale vorhanden war.
Als entscheidend für die Farbe der Paramente galt nicht etwa die Farbe
der Musterung, sondern, wie auch natürlich, die Grundfarbe des Stoffes.
Das geht klar aus den Inventaren hervor. Wo immer dieselben sich auf eine
genauere Beschreibung der Gewänder einlassen , ersieht man , daß sie den
liturgischen Farbenwert derselben nach der Grundfarbe des Materials, aus
dem sie gemacht waren, bemessen. Man vergleiche beispielsweise die aus-
führlichen Angaben des Schatzverzeichnisses des Apostolischen Stuhles von 1295,
das Inventar von St Peter aus dem Jahre 1361, das Inventar des Domes von
Prag (1387), die Inventare der Kathedrale von Angers aus dem 14., 15. und
16. Jahrhundert usw. Ausdrücklich sagt Grandisson in seinem Ordinale: Colores
vestimentorum sunt quatuor vel sex ... et quilibet horum colorum ita consi-
derandus est, si major pars, qui campus panni dicitur, huius fuerit, quamvis
auro vel alio colore fuerit permixtus et quilibet horum colorum est utendus
prout infra hie continetur. Also entscheidend für den Farbenwert war der
campus panni, der Grund des Stoffes, nicht das goldene oder andersfarbige
Dessin 1. Bezüglich etwaiger Gewänder von bunter oder unbestimmter Färbung
sagt das Ordinale: Si autem aliqua vestimenta varii et incerti coloris forte
habeantur, juxta Judicium seniorum seeundum eorum pulchritudinem et valorem
in usum ponantur, aliis vestibus interim parcendo.
Werfen wir zum Schluß einen kurzen Bückblick auf das Gesagte, indem
wir die Hauptergebnisse unserer Untersuchung nochmals zusammenfassen.
Ein liturgischer Farbenkanon hat sich erst im Verlauf, genauer in der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts unter dem Einfluß des mächtiger auftretenden
Mystizismus und unter der Gunst der äußeren Verhältnisse ausgebildet. Wohl
kamen schon früh farbige Gewänder beim Gottesdienst zur Verwendung, doch
gab es für ihren Gebrauch noch keine umfassende, auf religiöser Farbensymbolik
beruhende Normen. Es sind bestenfalls keimhafte Ansätze zur späteren Farben-
regel, was uns vor dem 12. Jahrhundert begegnet.
1 Man vgl. damit die inhaltlich ähnliche Entscheidung der Ritenkongregation in Sachen des
Bischofs von Marsi vom 7. April 1883.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 749
In der römischen Kirche steht die liturgische Farbenreihe schon gegen
1200 im wesentlichen fertig da. Dagegen bürgert sich außerhalb Roms eine
solche zum Teil eine gute Weile später ein. Zu einer einheitlichen Praxis
kam es in Bezug auf die Farbe der Paramente erst, als in dem zweiten Viertel
des 19. Jahrhunderts die vielfach noch in Gebrauch stehenden besondern
Farbenregeln abgeschafft und endgültig mit dem Farbenkanon des römischen
Ritus vertauscht wurden. Nur der ambrosianische Ritus hielt wie an seiner
alten Liturgie, so auch an der ihm eigenen, in ihren Anfängen schon im
Beginn des 12. Jahrhunderts nachweisbaren liturgischen Farbenregel fest.
IV. URSPRUNG UND SYMBOLIK DER LITURGISCHEN FARBENREGEL.
Man hat gesagt, die liturgische Farbenregel sei im Hinblick auf die
Farben der alttestam entlichen Kultkleidung eingeführt worden und
als Zeuge dessen Innozenz III. angeführt. Natürlich kann nur eine mittelbare.
Ableitung gemeint sein, indessen verkennt auch so jene Ansicht vollständig
die wirkliche Entstehung des kirchlichen Farbenkanons. Zwischen ihm und
den Farben der jüdischen Sakralgewandung besteht ein zu tiefgreifender
Unterschied, als daß man im Ernst ihn zu diesen in irgend eine verwandt-
schaftliche Beziehung setzen könnte.
Die alttestamentliche Farbenreihe setzte sich aus Weiß, Scharlach und
zwei Purpurarten, also aus Weiß und drei Nuancen von Rot zusammen. Die
Farben galten nicht gleichmäßig für die ganze Kleidung, sondern waren für
die einzelnen Gewänder .verschieden. Hüftschurz und Tunika mußten weiß,
der Gürtel weiß, scharlachfarbig', rot- und blaupurpurn, die Obertunika,
Meil, blaupurpurn, das Schulterkleid, Ephod, wiederum weiß, scharlachfarbig,
blau- und rotpurpurn, die Kopfbedeckung weiß und das Band, mit der die
goldene Stirnplatte über der Tiara des Hohenpriesters angebunden war, blau-
purpurn sein. Die Verschiedenheit der Feste und Funktionen hatte auf die
Farbe der Sakralgewandung keinen Einfluß; dieselbe war zu allen Zeiten und bei
allen Gelegenheiten die gleiche für die einzelnen Kleider, ausgenommen den
großen Versöhnungstag , an welchem diese ausschließlich von weißer Farbe
sein mußten.
Ganz anders verhielt es sich von Anfang an mit unserem liturgischen
Farbenkanon. Hier haben wir Weiß, Rot, Schwarz und Grün mit Violett,
Blau und Gelb als Nebenfarben. Hier ist ein und dieselbe Farbe die gleiche
bei allen Gewändern, für welche der Farbenkanon Geltung hatte ; hier wechselt
endlich die Farbe der Sakralkleidung stetig nach Zeiten, Festen und Funktionen,
wobei der Charakter der letzteren Prinzip und Norm für den Gebrauch der ein-
zelnen Farben ist. Es liegt auf der Hand, daß bei einer solchen Verschiedenheit
der Farben und ihrer Verwendung von einer Verwandtschaft zwischen der
Farbenvorschrift des mosaischen Kultus und dem liturgischen Farbenkanon,
wie er sich im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts zu Rom ausgestaltete.
keine Rede sein kann. Es ist aber auch ganz unzutreffend, Innozenz III. als
Gewährsmann dafür anzuführen, daß die Kirchenfarben im Hinblick auf das
alttestamentliche Vorbild eingeführt worden seien. Wenn der Papst bei Be-
sprechung der liturgischen Farbenregel bemerkt: „Es gibt vier Hauptfarben,
durch welche die römische Kirche je nach der Eigentümlichkeit der Tage die
liturgischen Kleider unterscheidet, Weiß, Rot, Schwarz und Grün ; denn auch
im Alten Bunde hatte man für die heilige Kleidung vier Farben, Byssus,
750 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Purpur. Hyazinth (Blaupurpur) und Scharlach", so ist das nur eine der bei
den alten Liturgikern so beliebten nachträglichen Gegenüberstellungen eines
alt- und neutestamentlichen Brauches. Über das Verhältnis der beiden zu-
einander geben die Worte Innozenz' III. keinen Aufschluß. Wie wenig dieser
an eine wirkliche Ableitung des liturgischen Farbenkanons von den Farben
der jüdischen Kultkleidung denkt, ergibt sich auf das klarste aus der Weise,
wie er die Einführung des Grün begründet.
Der Ursprung der liturgischen Farbenregel liegt ganz anderswo als in
einem Hinblick auf alttestamentlichen Brauch ; sie ist aus dem Schoß der
symbolisierenden Tendenzen des 12. Jahrhunderts geboren worden.
Auf die Entstehung der liturgischen Kleidung hat die Symbolik keinen Ein-
fluß ausgeübt, dagegen ist der kirchliche Farbenkanon im eigentlichsten Sinne
ihre Schöpfung. Er ist ganz und gar auf dem Boden jener mystischen Be-
trachtungen und Anschauungen erwachsen, welche eine gewisse Verwandt-
schaft fanden oder doch zu finden glaubten zwischen dem Charakter der ein-
zelnen Farben und ihrer Wirkung auf das Gemüt einerseits und dem geistigen
Kolorit der verschiedenen kirchlichen Feste und' der diesen eigentümlichen
religiösen Stimmung anderseits.
Die Symbolik, welche man in Eom um 1200 mit den liturgischen Farben ver-
band, hat Innozenz III. weitläufig erörtert. Durandus hat dieselbe fast wörtlich in
sein Eationale aufgenommen. Sie ist es ohne Zweifel, welche in Rom kurz vor den
Tagen des großen Innozenz zur Feststellung der römischen Kirchenfarben geführt hat.
Die mystischen Deutungen, welche dieser den einzelnen Farben gibt, bilden in ihrer
Einfachheit und Natürlichkeit einen wohltuenden Gegensatz zu den überschwenglichen
Auslegungen, welchen man heute nicht selten in erbaulichen, aber auch in liturgischen
Schriften antrifft.
An den Festen der Bekenner und Jungfrauen, so belehrt uns Innozenz III,
symbolisiere Weiß Unversehrtheit und Unschuld. Er führt dabei die Schriftworte an :
Nam candidi facti sunt nazaraei eius ', und: Ambulabunt semper cum eo in albis. Vir-
gines enim sunt et sequuntur Agnum, quocumque ierit 2. Unter den nazaraei, Aus-
erwählten, versteht er die Bekenner. Symbol makelloser Reinheit ist die weiße Farbe
auch an den Festen der heiligen Engel, am Fest der Geburt des Vorläufers des
Erlösers, des hl. Johannes, der zwar in Sünde empfangen, aber schon im Mutterschoß
geheiligt wurde, und zumal am Geburtsfest des Heilandes. Am Fest der Erscheinung
des Herrn betrachtet der Papst dagegen die weiße Farbe der Paramente als Erinnerung
an den Glanz jenes wundersamen Sternes, welcher die Weisen zum menschgewordenen
Gottessohne nach Bethlehem führte. Am Lichtmeßtag sind es nach Innozenz zugleich
Maria jungfräuliche Reinheit und Christus als das Gotteslicht „zur Erleuchtung der
Heiden und zur Verherrlichung seines Volkes Israel", welche durch das Weiß des
Festes versimibildet werden. Am Gründonnerstag, hören wir, werde die weiße Farbe
gebraucht sowohl um der Segnung des Chrisanis willen, das zum Zweck der Reinigung
(Heiligung) der Seele geweiht werde, als auch, weil das Evangelium dieses Tages, das
die Fußwaschung berichtet, die Reinheit der Seele in besonderem Maße anempfehle.
Der Papst beruft sich auf die Worte, die der Herr zu Petrus sprach : Qui lotus est,
non indiget, nisi ut pedes lavet, sed est mundus totus, und : Si non lavero te, non
habebis partem mecum 3. Ostern sollen uns die weißen Paramente an die Boten der
Auferstehung, die Engel, erinnern, die in weißem Kleid am Grabe des Auferstandenen
den Frauen erschienen und ihnen die frohe Kunde brachten, daß der Herr erstanden
sei; am Himmelfahrtstag an die weiße Wolke, in der Christus zum Himmel auffuhr,
wie auch an die beiden Engel in weißem Gewände, welche den auf dem Ölberg Ver-
sammelten erschienen und sie über die Auffahrt des Erlösers trösteten. Am Kirch-
Klgl 4, 7. 2 Offb 3, 4 und 14, 4. 3 Jo 13, 10 8.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 751
weihfest, so werden wir belehrt, symbolisiere die weiße Farbe, daß die Kirche die
makellose Braut des Gottessohnes ist.
Rot erinnert nach Innozenz an den Festen der Apostel und Märtyrer, daß diese
für Christus ihr Blut vergossen. Eine gleiche Symbolik hat für ihn die rote Farbe
der Paramente an den Festen Kreuz-Erfindung und Kreuz-Erhöhung, wenngleich er
lieber weiße an diesen beiden Tagen getragen sehen möchte, da an ihnen ja nicht sowohl
das Andenken an das Leiden des Erlösers als vielmehr das freudige Gedächtnis der
Auffindung und Erhöhung des Kreuzes Christi begangen werde. Pfingsten ist das
Rot der liturgischen Gewänder Symbol der Feuerzungen, in Gestalt derer der Heilige
Geist sich auf die Apostel niederließ. Am Festtag einer heiligen Jungfrau, die zu-
gleich Märtyrin war, hält Innozenz rote Paramente für die passendsten, weil das Mar-
tyrium als Zeichen der vollkommensten Liebe (maiorem caritatem nemo habet, quam ut
animam suam ponat quis pro amicis suis ') vor der Jungfräulichkeit den Vorzug habe.
Dagegen belehrt er uns, daß man sich an Allerheiligen zu Rom, abweichend vom
Gebrauch an andern Orten, nicht roter, sondern weißer Gewänder bediene, weil „nicht
sowohl an diesem Tag, sondern von diesem Tag die Kirche sage, es ständen nach
der Offenbarung des hl. Johannes die Heiligen in weißen Gewändern, Palmen in den
Händen vor dem Lamme", d. h. weil an diesem Tage nicht der besondere Charakter
der Seligen, sondern ihre Seligkeit im allgemeinen der Gegenstand der Festfeier sei.
Die schwarze Farbe beim Gottesdienst im Advent, zwischen Septuagesima und
Ostern und für die Verstorbenen erklärt Innozenz durch den Hinweis auf den Cha-
rakter der Trauer, Buße und Sühne, den derselbe besitze. Auch am Tage der un-
schuldigen Kinder brauche man wohl schwarze Paramente, indem man dadurch die
Trauer über deren Ermordung zum Ausdruck bringen wolle.
Für den Gebrauch des Violett gibt Innozenz keinen mystischen Grund an,
sondern begnügt sich damit, es als Nebenfarbe und Ersatz für Schwarz zu bezeichnen.
Wir finden ihn jedoch bei Durandus ; derselbe belehrt uns nämlich, nachdem er die
Tage verzeichnet hat, an denen man violette Paramente brauchte, man bediene sich an
ihnen der violetten Farbe, weil sie pallidus et quasi lividus sei, d. h. weil dieselbe
trüb und wie blutunterlaufen aussehe. Merkwürdig, wie eine Farbe, welche ehedem
den ersten Rang unter allen Farben eingenommen hatte und die Kaiserfarbe im be-
sondern Sinne gewesen war, im Lauf der Zeit den Charakter einer Trauerfarbe bekam.
Interessant und zugleich bedeutsam für die Entstehungsgeschichte des römischen
Farbenkanons ist die Weise, wie der Papst das Grün begründet. Vom Grün der
Hoffnung und ähnlichem, womit man heute gern die grüne Farbe der Paramente
erklärt, sagt er kein Wort. Grün brauche man, belehrt er uns, quia viridis color
medius est inter albedinem et nigredinem et ruborem. Innozenz will sagen : Es gibt
Tage, die keinen bestimmt ausgesprochenen Charakter haben, so daß für sie weder
Weiß noch Rot noch Schwarz paßt. Sie sind weder Bußtage, noch feiert man an
ihnen das Andenken an Christi Leiden oder das Martyrium eines Heiligen, noch begeht
man an ihnen das Gedächtnis an ein freudiges Geheimnis oder einen Heiligen, dessen
Heiligkeit in Weiß seinen entsprechenden Ausdruck fände. Man nimmt daher an
diesen Tagen passend eine Farbe, die, was ihren Farbenwert anlangt, in der Mitte
zwischen Weiß, Rot und Schwarz (Violett) steht, d. i. Grün. Die Erklärung ist
weniger poetisch als manch spätere Deutung ; sie gibt jedoch ohne Zweifel den rich-
tigen Grund an, der dem Grün Aufnahme in den liturgischen Farbenkanon verschafft
hat. Allerdings läßt sich, was Innozenz sagt, auch auf Gelb anwenden. Indessen
hören wir ja von dem Papst . daß man wirklich dieses wohl als Nebenfarbe von
Grün behandelte.
Welche Bedeutung man da, wo man eine vom römischen Farbenkanon
verschiedene Farbenregel beobachtete, den einzelnen Farben beilegte, ist ge-
wöhnlich nicht gesagt, doch ist es in den meisten Fällen nicht schwer, die
Symbolik zu erraten.
1 Ebd. 15, 13.
752 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Weiß im Advent sollte z. B. auf die Makellosigkeit der Geburt des kommenden
Gottessohnes und die jungfräuliche Beinheit derjenigen, die ihn gebären werde, hin-
weisen. Bei der Palmprozession war die weiße Farbe der Paramente der Ausdruck
der Freude und des Jubels, mit dem einst die Bewohner Jerusalems den Heiland
bei seinem feierlichen Einzug in die Stadt empfingen und ihn zum Tempel geleiteten.
Ein anderer Grund für ihren Gebrauch bei der Prozession lag in dem Umstand, daß
man bei derselben wohl das heiligste Sakrament, d. i. den Erlöser unter sakramentaler
Gestalt, umhertrug. Wenn man sich in der ganzen Zeit von Epiphanie bis Lichtmeß
bzw. Septuagesima weißer Gewänder beim Gottesdienst bediente, so lag das daran, daß
man dieselbe noch als Teil der Weihnachtszeit ansah.
Bot in der Passionszeit erklärt sich leicht durch den Hinblick auf das Leiden
des Erlösers und sein für uns vergossenes Blut. In der Weihnachtszeit und Weih-
nachten mochte es die Liehe versinnbilden sollen, die der Gottessohn durch seine
Menschwerdung zu uns bekundete. Am Allerheiligenfest trug man rote Paramente ob
martyres, wie das alte Trierer Missale sagt, also mit Bücksicht auf die heiligen
Märtyrer, die aus Liebe zu Christus ihr Blut vergossen hatten. Von Trinitatis-
sonntag bis Advent war Bot darum wohl üblich, weil diese Zeit das Wirken des
Heiligen Geistes in der Kirche darstellt. Eine verwandte Symbolik mag auch Ursache
gewesen sein, daß man zu Ellwangen am Fest Maria Heimsuchung rote Paramente
trug. Wie es scheint, sollte dadurch ausgedrückt werden, daß Elisabeth bei ihrer
Begegnung mit Maria vom Heiligen Geist erfüllt und der hl. Johannes in ihrem
Schöße geheiligt wurde. Warum man am Oktavtag der unschuldigen Kinder statt des
Schwarz oder Violett des Festes rote Gewänder trug, sagt uns das Ordinale Grandis-
sons von Exeter, wenn es bezüglich dieser Sitte bemerkt: Quia octava resurrectionem
significat, weil der Oktavtag die Auferstehung bedeute.
Der Gebrauch des Gelb am Fest der Erscheinung des Herrn geschah unzweifel-
haft, um den goldigen Glanz des Sternes anzudeuten. Croceus auro similis fulgenti,
heißt es im Ordinale Grandissons. Gelb an der Vigil vor Ostern, Pfingsten und
Weihnachten, wie wir es zu Eichstätt antreffen, mochte seinen Grund darin haben,
daß man diesen Tagen ihren Vigilcharakter zu wahren und doch sie zugleich vor den
übrigen Vigilien auszuzeichnen suchte. An den Festen der Bekenner waren vielfach
gelbe (grüne) Gewänder im Brauch, weil man die heiligen Bekenner weder als virgines
noch als martyres behandeln wollte und darum einen color medius, wie Innozenz das
Grün nennt, für das Geeignetste hielt.
Ein Minoritenmissale der vatikanischen Bibliothek sieht in dem Gelb der Bekenner-
feste ein signum eorum abstinentiae et afflictionis '. Wenn man aber Grün an den
Festen der Bekennerbischöfe und Gelb an denjenigen der übrigen Bekenner bzw. um-
gekehrt brauchte, so geschah das wohl lediglich, um die einen von den andern zu
unterscheiden, wie ein Caeremoniale der Vaticana 2 sagt : ad distinguendum ( confessores
non pontifices) a confessoribus pontificibus.
Warum man den color cinericius, die Farbe der Asche, den Paramenten am
Aschermittwoch und in der Fastenzeit gab, liegt auf der Hand. Will man Violett
am Weihnachtsfeste nicht durch den Hinweis auf die Erniedrigung erklären, in die
sich Christus durch die Menschwerdung begab, so mag man vielleicht in ihm eine
Beminiszenz an die Wertschätzung sehen, deren sich einst die violette Farbe zu
erfreuen hatte. Bei Bekennern, zumal Äbten und Mönchen, bei heiligen Frauen und
Witwen werden violette Gewänder Buße, Weltverachtung und Entsagung bedeutet haben.
Doch genug davon. Ein praktisches Interesse haben diese Deutungen, so
interessant sie sind, ja doch nicht mehr. Sie gehören vergangenen Tagen an. Seit
dem Verschwinden der nichtrümischen Farbenregeln hat auch deren Symbolik nur
mehr einen geschichtlichen Wert. Als Probe, wie man einst die verschiedenen Farben
deutete, und zugleich als Erklärung, wie es in den alten Farbenkanones zu so manchen
Eigentümlichkeiten gekommen ist, reicht aber das Gesagte vollkommen aus.
Vat. Capp. 206. 2 Vat. Reg. 280.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 753
V. DIE RITEN DES OSTENS UND DIE LITURGISCHEN FARBEN.
In den Riten des Ostens gibt es keinen liturgischen Farbenkanon,
ja die meisten kennen überhaupt keine liturgischen Farben. Man nimmt die
Stoffe , wie man sie eben haben kann ; doch pflegen , wenngleich keines-
wegs allgemein und ausnahmslos, die liturgischen Stauchen, der Gürtel, die
Stola und der liturgische Mantel aus demselben Zeug gemacht zu werden,
also von derselben Farbe zu sein. Nur im griechischen Ritus findet sich ein
schwacher Anklang an eine liturgische Farbenregel. Im allgemeinen sind
für die liturgische Kleidung alle Farben erlaubt, doch werden die hellen,
glänzenden, leuchtenden bevorzugt. Von Ostern bis Christi Himmelfahrt
ist Weiß vorgeschrieben, und zwar selbst für die Begräbnisse '. Während der
großen vierzigtägigen Fasten haben die Gewänder gewöhnlich eine dunkle,
und zwar meistens blaue oder violette Farbe. Doch trägt man in dieser
Zeit bei der Liturgie auch wohl eine dunkelrote Gewandung, um an Christi
Blut, das für uns vergossen ward, zu erinnern. Bei Begräbnissen wie am
Karfreitag pflegt man sich der schwarzen Farbe zu bedienen. In der Kiew-
schen Metropole sind an den Aposteltagen Paramente aus Goldstoff, an den
Märtyrertagen rote Kirchengewänder im Gebrauch. Das priesterliche Unter-
gewand ist zwar nicht notwendig, aber doch gewöhnlich von weißer oder
wenigstens heller Farbe. In Rußland wird in Hofkirchen häufig die sog.
alexandrinische Meßkleidung getragen. Sie besteht aus grünem, mit Kreuzen
geschmücktem Phelonion (Kasel), rotem Gürtel, roten Epimanikien (Stauchen),
rotem Epigonation (Kniestück) und rotem Epitrachelion (Stola)2. Wie wenig
übrigens selbst im griechischen Ritus von einer strikten Farbenregel die Rede
sein kann, beweist klar die Tatsache, daß bei den Konzelebrationen, bei denen
mehrere Priester gemeinschaftlich das heilige Opfer darbringen, die verschiedenen
Priester keineswegs gehalten sind, Gewänder derselben Farbe zu tragen. Bei
solchen Konzelebrationen kann man den einen Priester in einem grünen, den
andern in einem blauen, einen dritten in einem violetten, den Hauptcelebrans
aber in weißem Phelonion am Altar stehen sehen. Eine ausgebildete Farbenregel
haben unter den Anhängern des griechischen Ritus nur die galizischen Ruthenen.
Dieselbe ist indessen sehr jungen Datums, da es erst 1891 auf dem Provinzial-
konzil von Lemberg zu ihrer Feststellung kam. Sie ist dem römischen Farben-
kanon nachgebildet.
In der Ostkirche steht es also hinsichtlich einer liturgischen Farben-
ordnung noch jetzt so, wie es im Abendlande sich damit bis gegen das letzte
Viertel des 12. Jahrhunderts verhielt.
Bezüglich der Geschichte der liturgischen Farben im griechischen Ritus
müssen wir uns kurz fassen, da soviel wie keine Nachrichten darüber vor-
liegen. Schon die unter dem Namen des hl. Sophronius gehende Meßerklärung
kennt sowohl weiße wie rote Phelonien und weiß auch für beide eine ent-
sprechende Deutung3. Dagegen scheint ihr die Praxis, wonach rote Phelonien
nur in der Fastenzeit und beim Leichengottesdienst getragen wurden, noch
fremd zu sein. Indessen wird diese denn doch schon vom bulgarischen Erz-
bischof Demetrius Chomatenus in seinem Antwortschreiben an den Metropoliten
von Dyrrhachium Konstantin Kabasilas erwähnt4, so daß sie also spätestens
1 v. Maltzew, Fasten- und Blumen-Tri- s Mg. 87 3, 3988.
odion lxxxv. 4 Mg. 119, 949 und Pitra, Analecta sacra
2 Nach gütiger Mitteilung des HerrnPropstes et classica, Iuris eccl. graecorum selecta para-
v. Maltzew zu Berlin. lipouiena, Paris. 1891, 634: 'Ev /xö^aig yäp
Braun, Die liturgische Gewandung. 48
754 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
iu der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts aufgekommen sein muß. Im Be-
ginn des 15. Jahrhunderts gedenkt ihrer Simeon von Saloniki1 und etwas
später Kodinus2.
Wie es in den übrigen Riten früher mit der Farbe der liturgischen Ge-
wänder gehalten wurde, läßt sich nicht bestimmen. Ein unter dem Namen
des hl. Basilius gehender, jedenfalls aber späterer Kanon in der um die
Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen koptischen Kanonessammlung des
Ibn 'Assäl will, daß die bei der Feier der Liturgie zur Verwendung kommenden
Kleider weiß, nicht aber gefärbt seien3. Wie weit ihm allerdings die Praxis
entsprochen, muß dahingestellt bleiben.
VI. WEISS ALS LITURGISCHE FARBE IN DER VORKAROLINGISCHEN
ZEIT.
Es ist gesagt worden, in der ältesten Zeit sei Weiß die ausschließliche
Farbe der liturgischen Gewandung und die alleinige liturgische Farbe gewesen,
und zwar soll es so bis zum 9. Jahrhundert geblieben sein. Wir müssen
etwas näher auf diese Frage eingehen. Natürlich kann es sich dabei nicht
um die Farbe der liturgischen Untergewandung, des Humerale und der Albe,
handeln ; denn für diese blieb bis in die Gegenwart die weiße Farbe Brauch ;
es kommt vielmehr bloß die Obergewandung, genauer die Kasel in Betracht.
Denn von dem Pluviale kann vor der Karolingerzeit noch nicht die Rede sein,
die diakonale und die subdiakonale Obertunika aber bewahrten ihre weiße
Farbe noch eine gute Weile über das 9. Jahrhundert hinaus. Farbige Dal-
matiken und Tunicellen werden erst um die Wende des Jahrtausends gebräuch-
lich. Wir haben also, um eine richtige Antwort zu ermöglichen und nicht
Gewänder mit Gewändern zu vermengen , die Frage genauer entweder zu
formulieren: „War auch für die Kasel vor dem 9. Jahrhundert die weiße Farbe
vorgeschrieben?" oder, was auf dasselbe hinauskommt: „Mußte bis dahin die
ganze Kleidung des Liturgen beim Gottesdienst weiß sein?" Wird sie so
gefaßt, so geht die oben angeführte Behauptung ohne Zweifel entschieden zu
weit. Jedenfalls gilt das bezüglich des abendländischen Brauches in nach-
konstantinischer Zeit.
Allerdings ist im Abendland vor dem 9. Jahrhundert wiederholt von
weißen liturgischen Gewändern die Rede, doch handelt es sich in den meisten
Fällen um die Tunika der Diakone oder des niederen Klerus. So ist die dia-
konale Tunika gemeint, wenn es in dem wohl mit Unrecht dem hl. Hieronymus
abgesprochenen, jedenfalls aber vor dem Ende des 4. Jahrhunderts entstandenen
Brief an den Diakon Präsidius von Piacenza heißt: „Beachte doch, was für
eine schwierige Stellung es ist, des Stephanus oder Paulus Platz einzunehmen,
eine Art englischen Dienstes auszuüben und auf das untergebene Volk in
glänzendem (weißem) Gewände herabzuschauen." Von weißen Tuniken (albae)
wozißoig -Ijßdpais xal iv p.vyjp.oaüvoiq änzXfh'ivTio'j
ypumav&v p.zzo. rü>\> zoioürmv (sc. —op(pupöj<j
ialhjßd/rcoii) o'c äp/cspsig Eubttomv hpnupyiag
Tzoizlv. Vgl. auch P i t r a a. a. 0. 731 f, wo
als Grund für den Gebrauch purpurner Ge-
wänder in den Fasten der Bußeharakter dieser
Zeit und die Erinnerung an das Purpurkleid
des Heilandes angegeben wird.
1 De sacra ordinal c. 83 (Mg. 155, 261).
2 De offic. eccl. c. 9 (Mg. 157, 83).
3 Renaudot, Liturg. orient. collect. I 160.
Vgl. auch can. 99 der sog. Kanones des
hl. Basilius bei W. Riedel, Die Kirchen-
rechtsquellen des Patriarchats Alexandrien,
Leipzig 1890, 272, und can. 28 der sog.
Kanones des hl. Athanasius, deren Mitteilung
ich der Güte des Herrn Prof. Dr Riedel zu
Greifswald verdanke.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 755
erzählt die Vita P. P. Emeritensium 1. Eine Schar weißstrahlender Diakone
begegnet uns bei Gregor von Tours in der Schrift De gloria eonfes-
sorum2, und eine Schar Diakone, die in Albae eine Bittprozession gegen
Regen abhalten, in ebendesselben Vita S. Aridii3. Von einem Archidiakon,
der am Weihnachtstage mit einer Alba bekleidet den zur Kirche kommenden
Bischof in Empfang nimmt, erzählt uns die Historia Francorum Gregors4.
Von der Alba der Diakone und Lektoren handelt der 12. Kanon der Synode
von Narbonne vom Jahre 589 5, von der Alba der Diakone der 41. Kanon
des sog. vierten Konzils von Karthago 6.
Die wenigen Stellen , welche von der liturgischen Gewandung im all-
gemeinen oder dem priesterlichen Obergewande im besondern sprechen, be-
weisen höchstens, daß man sich weißer Gewänder mit Vorzug oder bei be-
stimmten Gelegenheiten bedient habe, nicht aber, daß Weiß die ausschließliche
liturgische Farbe gewesen sei. So, wenn wir in Gregors von Tours Schrift
De gloria confessorum7 lesen, daß bei der Einweihung einer Kapelle Priester
und Leviten in vestibus albis erschienen seien; wenn wir in ebendesselben
Vita Patrum8 von casulae candidae hörten, quae per paschalia festa humeris
sacerdotum imponuntur, oder wenn die gallikanische Meßerklärung uns be-
richtet, man trage am Ostertage weiße Gewänder.
Wie es in Gallien für gewöhnlich gehalten wurde, ersehen wir aus dem
Lobgedicht des Venantius Fortunatus auf den Klerus von Paris. Denn wenn
es darin heißt:
Inde sacerdotes, leviticus liinc micat ordo.
Illos canities, hos stola pulchra tegit;
Uli iam senio, sed et hi bene vestibus albent,
so weist das zur Genüge darauf hin, daß eine weiße Gewandung eine Eigen-
tümlichkeit der Leviten war und daß die Priester für gewöhnlich nicht ganz
in Weiß erschienen9.
Auch die bekannten Worte des hl. Hieronymus: „Was für ein Unrecht
gegen Gott soll darin liegen , wenn ich eine reinere Tunika habe und wenn
der Bischof, die Priester, der Diakon und der übrige Klerus bei der Dar-
bringung des heiligen Opfers in glänzendem Gewände (veste Candida] aufziehen? " 10,
sind keineswegs ein Beweis, daß damals Weiß die ausschließliche Farbe der
liturgischen Kleidung war. Sie sind gegen die Pelagianer gerichtet, welche
in stoischer Einseitigkeit die gloria vestium et ornamentorum, eine reiche
Kleidung als Gott zuwider bezeichneten. Für ihr Verständnis ist von Belang,
was der Heilige, auf die Pelagianer anspielend, im Anschluß an die angeführten
Worte weiter bemerkt: „Ihr Geistliche, seht euch vor", ruft er aus, „seht
euch vor, ihr Mönche, ihr (gottgeweihten) Jungfrauen und Witwen, ihr seid
in Gefahr, wenn euch das Volk nicht in Schmutz und mit Lumpen bedeckt
sieht. Von den Weltleuten ganz und gar zu schweigen, denen man offen
Krieg ankündigt und die man zu Feinden Gottes stempelt, wenn sie sich
kostbarer und glänzender Kleidung bedienen." Offenbar will Hieronymus
keineswegs sagen , es seien zu seiner Zeit die liturgischen Gewänder aus-
schließlich weiß gewesen. Noch jetzt, da es doch verschiedene liturgische
1 C. 6 (M. 80, 133). 7 C. 20 (M. 71, 843).
2 C. 61 (M. 71, 872). » C. 8, n. 5 (ebd. 1045). Vgl. Cypriani
3 C. 8 (ebd. 1124). Vita S. Caesar. 1. 1, c. 4 (M. 67, 1017).
' L. 4, c. 38 (ebd. 306). 9 Miscell. 1. 2, c. 13 (M. 88, 102).
s Hard. III 493. 6 Ebd. 981. 10 Adv. Pelag. 1. 1, n. 29 (M. 23, 524).
48*
756 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Farben gibt, könnte der Heilige dieselbe Sprache führen. Obendrein
darf man nach dem Zusammenhang das Wort candidum nicht zu sehr
pressen. Es hat hier offenbar nicht den speziellen Sinn von Weiß, sondern
mehr den allgemeineren von Glänzend. Auch ist nicht einmal sicher, ob die
vestis Candida, von der Hieronymus redet, das Obergewand oder die Tunika
bedeutet. Für letzteres spricht nicht bloß die tunica mundior, der un-
mittelbar vorher Erwähnung geschieht, sondern auch der Umstand, daß der
Heilige ausdrücklich von der vestis Candida aller Kleriker redet. Sollte aber
wirklich unter ihr nur die Tunika zu verstehen sein, so leuchtet ein, daß
dann erst recht die Stelle nicht zum Beweis herangezogen werden kann.
Denn auch heute muß die Albe stets weiß sein.
Wie es sich tatsächlich im ausgehenden 5., im 6., 7., 8. und 9. Jahr-
hundert verhielt, ersehen wir aus den Monumenten aus jener Zeit. Sitte und
Brauch, wie sie damals bestanden, haben auf denselben einen unzweifel-
haften Ausdruck gefunden. Fast ausnahmslos sind auf ihnen, soweit sie
wenigstens dem Abendlande angehören, die Bischöfe und Priester in farbiger
Planeta dargestellt. So auf dem Mosaik der Kapelle des hl. Satyrus bei
S. Ambrogio zu Mailand (Ende des 5. Jahrhunderts), den ravennatischen
Mosaiken des 6. Jahrhunderts, einem Fresko in der Katakombe des Pontian
zu Rom (6. Jahrhundert), den römischen Mosaiken des 7. und 9. Jahrhunderts,
einem wohl noch ins 7. Jahrhundert reichenden, die hll. Kornelius, Cyprianus
Xystus und Optatus darstellenden Fresko in der Katakombe von S. Callisto
zu Rom, dem Diptychon zu Brescia mit den Bildern des hl. Hieronymus,
Augustinus und Gregor d. Gr. (8. Jahrhundert) und dem noch zu Lebzeiten
des großen Gregor in dem von ihm gestifteten Kloster auf dem Clivus
Scauri gemalten Porträt des Papstes, von dem Johannes Diakonus eine ein-
gehende Beschreibung hinterlassen hat. Bald ist die Planeta auf diesen Monu-
menten von kastanienbrauner, bald von gelber, violettpurpurner, grünlicher,
roter oder blauer Farbe. In weißer Planeta erscheint einzig Papst Pelagius
auf dem Triumphbogenmosaik in S. Lorenzo fuori le Mura zu Rom. Aber
gerade die Figur dieses Papstes ist auf dem betreffenden Mosaik eine voll-
ständig neue 1.
1 Auf die Farbe der Obergewänder der
Bischöfe und Priester auf den Mosaiken und
Fresken des 5. — 9. Jahrhunderts hatte der
Verfasser schon in einem Aufsatz der Inns-
brucker Zeitschrift für katholische Theologie
(1901, 157) als Beweis hingewiesen, daß
in jener Zeit nicht ausschließlich Weiß die
liturgische Farbe gebildet habe. Dazu be-
merkt nun H. Kellner (Heortologie, Frei-
burg 1906, 52, Anm. 1): „ Braun bestreitet,
daß Weiß die einzige Kultfarbe gewesen sei,
und beruft sich auf einzelne Bildwerke aus
dem 5. — 9. Jahrhundert (nicht Miniaturen),
auf welchen gelbe , braune und andere Far-
ben erscheinen. Allein „Weiß" braucht nicht
gerade schneeweiß zu sein und die Natur-
farbe der Seide spielt bekanntlich ins Gelb-
liche. Auch können die Bildwerke nachge-
dunkelt oder später übermalt sein. Jeden-
falls ist sein Beweismaterial nicht kräftig
genug, um gegen die vielen Aussprüche der
Quellen, die für die herrschende Ansicht sind,
aufzukommen." Hierauf dürfte indessen zu
erwidern sein: 1. Bei Prüfung und Wertung
der keineswegs vielen schriftlichen Zeugnisse
muß man durchaus Land, Zeit und Gewand
unterscheiden. 2. Weiß braucht gewiß nicht
schneeweiß zu sein, aber unmöglich können
Kastanienbraun , Purpurviolett , Dunkelblau,
Grün als „Weiß" gelten. 3. Bei Mosaiken und
Fresken kann von einem Nachdunkeln nicht
die Rede sein ; Fresken pflegen im Gegenteil
zu verbleichen. Auch darf man wohl fragen,
warum nur die Planeta ihre Farbe verändert
haben soll, während doch die Tunika und
Dalmatik ihr Weiß in aller Frische behielt.
4. Keine der im Text angeführten Darstel-
lungen ist in späterer Zeit übermalt worden,
was bei den Mosaiken ohnehin ausgeschlos-
sen ist.
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben.
757
Wie wenig man sagen kann, es sei im Okzident bis zum 9. Jahrhundert
Weiß ausschließlich die liturgische Farbe gewesen, erhellt auch aus dem schon
in der Frühe des 7. Jahrhunderts sich geltend machenden Bestreben spanischer
Diakone, farbige Orarien einzuführen. „Caveat", so verordnet das vierte
Konzil von Toledo 633 in seinem 40. Kanon, „amodo levita gemino uti orario,
sed uno' tantum et puro nee ullis coloribus aut auro ornato." '
Man vergesse doch auch nicht die Verhältnisse, in denen sich die Kirche
in der uns hier beschäftigenden Zeit befand. Sie hatte durch Konstantin den
Frieden erlangt und konnte ungehindert den Gottesdienst mit dem seiner
Würde entsprechenden Glanz umgeben. Es fehlte ihr auch keineswegs dazu
an den nötigen Mitteln; denn die christlich gewordene Welt, geistlich wie
weltlich, legte mit höchster Freigebigkeit ihre Gaben auf die Altäre nieder.
Es erstanden die herrlichen von Marmor strahlenden Basiliken mit ihren von
Gold und Farbe leuchtenden Mosaiken, mit ihrem reichen Altargerät, mit
ihren Lichterkronen, Bildwerken, Altarbekleidungen aus edeln Metallen und
kostbarem Gestein und ihren purpurnen, grünen oder golddurchwirkten Altar-
und Wandbehängen aus prächtigen orientalischen und byzantinischen Seiden-
stoffen, oft das Werk eines Gebers. Man vergleiche nur die so wichtige
Carta Cornutiana und die Angaben, welche sie enthält2. Es wäre wahrlich
ein Wunder gewesen, hätte man die kostbaren farbigen Stoffe, mit denen man
die Mauern bekleidete, zwischen den Säulen des Schiffes eine Folge glänzendster
Draperien bildete und selbst den Altar umgab, nicht auch zur Herstellung
der liturgischen Kleidung verwendet.
Etwas anders wie im Abendlande scheint es sich im Orient verhalten
zu haben. Hier dürfte in der Tat hie und da Weiß als die eigentliche Farbe
der liturgischen Gewandung gegolten haben. Denn es lassen nicht bloß die
sog. Apostolischen Konstitutionen den Bischof in einer ka.fj.npa eadrtc, zum
Altare gehen3, sondern es sagt auch der 37. der sog. Kanones des Hippolyt:
„So oft der Priester die Mysterien genießen will, sollen sich die Diakone und
Priester in weißen, ganz vorzüglich reinen Gewändern, die schöner sind als
die des ganzen übrigen Volkes, bei ihm versammeln4. Auch der 99. der
sog. Kanones des hl. Basilius5 und der 28. der sog. Athanasianischen Kanones6
wollten, daß die liturgische Kleidung weiß sei. „Die Gewandung, worin die
Priester zelebrieren, soll weiß und gewaschen sein", sagt dieser; jener aber
bestimmt: „Die Kleider, welche sich für das Priestertum ziemen, sollen weiß
sein, nicht mit Farben gefärbt." 7 Allerdings ist durchaus nicht sicher, ob
die beiden letztgenannten Kanones noch in die altchristliche Zeit hinaufreichen.
1 Hai- d. III 588.
■ Die Carta Cornutiana (Du eh., L. P. I,
cxlvii), die Stiftungsurkunde einer Kirche
bei Tivoli, stammt aus dem Jahre 471. Sie
erwähnt unter andern : vela blattea auroclava
paragandata, vela tramosirica prasinopurpura,
vela tramosirica leueorodina, vela tramosirica
leueoporphyra, vela olosirica coecoprasina etc.
Und alles das befand sich nicht in einer der
großen Kirchen Roms, sondern in einer Land-
kirche.
3 L. 8, c. 12 (Mg. 1, 1092).
4 Mg. 10, 962. Vgl. auch Riedel, Die
Kirchenrechtsquellen des Patriarchats Alex-
andrien 224.
5 Ebd. 272. 6 S. oben S. 754.
7 Wenn das Testamentum D. N. Iesu
Christi (1. 1, c. 24 [ed. Rahmani 83]) be-
stimmt: „Wer unter den Diakonen durch
Fleiß und Verwaltungstüchtigkeit hervor-
ragt , soll mit der Aufnahme der Fremden
betraut werden und in dem in der Kirche
befindlichen Hospiz weilen, wobei er mit
weißem Gewand bekleidet zu sein und auf
der Schulter das Orarium zu tragen hat",
so ist unter dem weißen Gewand unzweifel-
haft die Tunika zu verstehen. Bloß von
der diakonalen Tunika redet auch der hl. Jo-
hannes Chrysostomus in der 82. Homilie zu
Matthäus, wenn er den Diakonen zuruft : „Das
758 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Übrigens darf man auf den angeführten Stellen nicht allzuweit gehende
Folgerungen aufbauen. Denn erstens hat wohl keine der genannten Bestimmungen
jemals allgemeine Geltung besessen. Außerdem ist zweitens fraglieh, ob der
Theorie auch wirklich die Praxis entsprochen habe. Schon Theodoret erzählt
uns von einem kostbaren, aus Goldstoff gemachten Gewand, welches Konstantin
dem Bischof Makarius von Jerusalem für die Vornahme der Taufliturgie
schenkte1. Bemerkenswert ist ferner, daß auch bereits die Varopia ixx/.^aca-
ozr/.Y). welche doch noch vor dem 9. Jahrhundert entstand, von einem roten
Phelonion des Bischofs redet. Es wäre in der Tat zu auffallend, wenn man
die Prachtgewebe, die in Byzanz, in Syrien, Ägypten usw. geschaffen wurden,
so ganz und gar bei Herstellung der liturgischen Gewandung verschmäht hätte.
Schwerlich ist auch die Schenkung Konstantins an Bischof Makarius ein ganz
allein stehendes Ereignis geblieben.
Leider lassen uns die griechischen Monumente in unserer Frage fast ganz
im Stich. Die Kasel, welche Bischof Eusebius auf einer Miniatur des syrischen
Evangeliar der Laurentiana zu Florenz trägt (6. Jahrhundert), ist braun; jedoch
ist es fraglich, ob es sich hier bei dem Gewand um ein liturgisches Kleidungs-
stück handelt. Welche Farbe das Phelonion des Bischofs Philippus und des
Presbyter Romanus auf den Mosaiken der ehemaligen St Georgskirche (jetzt
Moschee) zu Saloniki hat, lassen die davon vorliegenden Reproduktionen
nicht mit Sicherheit erkennen2. Das Obergewand des Patriarchen Theophilus
auf den Miniaturen der früher erwähnten alexandrinischen Weltchronik3 ist
rotbraun bzw. blauviolett. Es sind die einzigen Bildwerke, die etwa hier
in Betracht kommen könnten.
Die bisherigen Erörterungen galten der nachkonstantinischen Zeit. Wie
es sieb in vorkonstantinischer hinsichtlich der Farbe der liturgischen Ge-
wänder verhielt, darüber fehlen alle Zeugnisse, wenn man nicht etwa gegen
alle Wahrscheinlichkeit den 37. der sog. Kanones des Hippolyt als wirklich
von diesem herrührend ansehen sollte. Wir erhalten weder aus dem Osten
noch dem Westen eine Nachricht, welche uns berechtigte, Weiß als die Farbe
zu bezeichnen, die in der Frühzeit des Christentums mit Ausschluß aller andern
für die liturgischen Gewänder gebraucht werden mußte.
Man beruft sich freilich auf Äußerungen Klemens' von Alexandrien*
und Tertullians 5, in welchen diese gegen bunte und gefärbte Kleider eifern,
die Wollfärber verbannt sehen möchten und weiße bzw. naturfarbene Kleider
zu tragen empfehlen. Indessen sind das nur Philippiken gegen den Kleider-
prunk, den Luxus und die damit zusammenhängende Zügel- und Sittenlosig-
isfc eure Würde , das eure Sicherheit und
Krone (d. i. zu unterscheiden, wen sie zum
Tisch des Herrn zulassen können) , nicht in
weißer, glänzender Tunika herumzugehen"
(Mg. 58, 745). Wenn aber in des Palladius
Dialog über das Leben des hl. Johannes Chry-
sostomus erzählt wird (Mg. 47, 38), es habe
sich der Heilige auf dem Wege in die Ver-
bannung, da er sein Ende nahe gefühlt, zu
einem bei der Stadt Comana gelegenen Mar-
tyrium (Kapelle über einem Märtyrergrab)
bringen lassen, dort seine Kleider mit glän-
zenden, seines Standes würdigen Gewändern
(tö. ät-ta zoij ßiou ko.ij.-Kpa, ip.äTia) vertauscht
und so die heilige Wegzehrung empfangen,
so ist wiederum nicht klar, ob hier Aaßxpdg
ausschließlich weiß bedeutet. Keinesfalls aber
folgt aus dem Bericht, daß zu des Heiligen
Zeiten, also um 400, in der Ostkirche Weiß
ausschließlich Kultfarbe gewesen sei.
1 Hist. eccl. 1. 2, c. 23 (Mg. 82, 1066).
2 Abbildungen nach T e x i e r und P u 1 1 a n
(Architect. Byzant. pl. xxx) bei M a r r.
pl. xvm xx.
3 S. oben S. 236.
4 L. 2, c. 10; 1. 3, c. 11 (Mg. 8, 521 ff 627 ff).
5 De eultu femin. 1. 1 , c. 8 ; 1. 2 , c. 12
(M. 1, 1312 1330).
Zweites Kapitel. Die liturgischen Farben. 759
keit. Auf keinen Fall kann man aus diesen nicht wenig von einseitigem
Rigorismus getragenen Auslassungen berechtigterweise einen Schluß auf die
gottesdienstliche Praxis der Kirche machen, ja auch nur dieselben als der all-
gemeinen Anschauung der alten Kirche entsprechend hinstellen und aus ihnen
folgern, es hätten sich die Christen des 2. und 3. Jahrhunderts prinzipiell nur
weißer oder naturfarbener Gewänder bedient. Ebensowenig ist für unsere
Frage von entscheidendem Belang die Bemerkung der Stromata, man müsse
gewaschen, rein und glänzend zur Teilnahme an der Opferfeier kommen, und
zwar, wie aus dem Zusammenhang folgt, nicht bloß im Sinne körperlicher
und moralischer Reinheit, sondern auch in dem einer säubern Kleidung1; denn
es ist in ihr nicht an die Priester, sondern an die Gläubigen gedacht. Allerdings
könnte man schließen : wenn Klemens schon von den Laien verlangt, in lichter
Gewandung bei der Liturgie zu erscheinen, um wieviel mehr wird er dann
gefordert haben, daß der Klerus selbst bei seinen Funktionen sich einer solchen
bediene. Gewiß; indessen liegt auf der Hand, daß mit dieser Folgerung noch
keineswegs bewies'en ist, es sei zur Zeit des Alexandriners wirklich feststehen-
der Brauch gewesen, die liturgischen Verrichtungen mit Ausschluß jeder andern
in weißer Gewandung zu vollziehen, und das ist es ja doch, um dessen Nachweis
es sich handelt. Inwieweit haben überhaupt die Zeitgenossen des Klemens dessen
Anschauungen geteilt und inwieweit hat man ihnen in der Praxis entsprochen?
Was man bestenfalls aus den angeführten Stellen folgern darf, ist eine
gewisse Bevorzugung weißer Kleider bei Vornahme der gottesdienstlichen Ver-
richtungen. Eine solche kann nun freilich im altchristlichen Kultus nicht
auffallen. In Kleidern weiß wie Schnee, so weiß wie kein Walker auf Erden
sie machen kann, erschien der Heiland bei der Verklärung auf Tabor. Weiße
Gewandung umfloß die Engel, welche den Frauen des Herrn Auferstehung
verkündeten , weiße Gewandung die Himmelsboten , welche die Apostel und
Jünger nach des Herrn Auffahrt trösteten. Weiß gekleidet waren die Scharen
der Seligen, welche Johannes vor dem Throne des Lammes schaute ; sie kamen
aus großer Trübsal und hatten ihre Kleider gewaschen und weiß gemacht in
des Lammes Blut. Weiß ist die Kleidung, welche die vierundzwanzig' Ältesten
am Throne des Herrn tragen; glänzender Byssus deckt in der Vision des
Apokalyptikers die Braut des Lammes, weißer Byssus das Heer, das auf
weißen Rossen dem himmlischen Reiter folgt. Weiße Gewandung wird den
Auserwählten als Siegeslohn verheißen.
Dazu kommt, daß Weiß, wie es im jüdischen Kultus eine so bedeutungs-
volle Stellung eingenommen hatte, so auch in den heidnischen Kulten wenn auch
keine ausschließliche, doch eine hervorragende Verwendung fand. Außerdem
war Weiß bekanntlich bis wenigstens zum 4. christlichen Jahrhundert die
vorzüglichste Farbe der Festgewandung in der griechisch-römischen Welt.
Indessen handelt es sich ja nicht darum, ob man in altchristlicher
Zeit bei der Kleidung des Liturgen Weiß bevorzugt habe — das konnte
geschehen , weil auch im gewöhnlichen Leben bei besseren Gewändern Weiß
vorherrschte — , sondern darum, ob jene nach Brauch und Herkommen weiß
sein mußte oder doch tatsächlich stets weiß war. Denn nur in diesem Falle
kann man von Weiß als von einer wirklich liturgischen Farbe reden.
Übrigens wird die Bevorzugung der weißen Kleidung bei den gottes-
dienstlichen Verrichtungen sehr von den äußeren Umständen und von dem
1 L. 4, c. 22 (Mg. 8, 1351).
760 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Brauch der verschiedenen Länder abgehangen haben. Wie die Gewandung
der Liturgen sich von der profanen Tracht bezüglich der Form noch nicht
unterschied und über diese noch keine besondern Vorschriften bestanden,
so wird es auch hinsichtlich der Farbe derselben gewesen sein : man wird sich
in den verschiedenen Gegenden nach des Landes Herkommen und Sitte wie
auch nach den augenblicklichen Verhältnissen gerichtet haben.
Monumente, die uns Aufschluß geben könnten, fehlen aus vorkonstan-
tinischer Zeit so gut wie völlig. Das einzige Bildwerk, welches etwa in Betracht
kommt, ist das bekannte Fresko in der Katakombe von S. Priscilla, welches ge-
wöhnlich als Einkleidung einer gottgeweihten Jungfrau erklärt wird. Der
Bischof, welcher die Zeremonie vornimmt, trägt über einer mit schwärzlichem
Clavus verzierten Ärmeltunika eine gelblich braune Pänula (Kasel), der
Diakon aber, welcher als dessen Minister fungiert, eine grünliche Tunika. Es
scheinen also im 3. Jahrhundert, welchem das Bild zugeschrieben wird, zu
Rom nicht ausschließlich weiße Gewänder bei liturgischen Akten getragen
worden zu sein. Allein, gibt das Bild die Wirklichkeit wieder? Es liegt
kein Grund vor, daran zu zweifeln. Denn wäre Weiß ausschließlich die Farbe
der Kultkleidung gewesen , so würde der Maler den Bischof und seinen Diakon
wohl schwerlich anders als in Weiß dargestellt haben.
DRITTES KAPITEL.
SEGNUNG DER LITURGISCHEN GEWÄNDER.
Alles, was die Kirche in den nächsten Dienst der heiligen Geheimnisse
zieht, pflegt sie durch ihre Segnungen dem profanen Gebrauch zu entziehen,
dem Allerhöchsten und seinem Kultus zu weihen und dem erhabenen Zweck
gemäß, zu dem es verwendet werden soll, einen heiligen Charakter zu ver-
leihen. So das Gotteshaus, so den Altar, so Kelch und Patene, so das Altar-
linnen, so auch die liturgischen Gewänder. Allerdings ist, was die letzteren
anlangt, die Benediktion nicht für alle in gleichem Maße vorgeschrieben. Alle
können gesegnet werden; ja es darf als durchaus angemessen bezeichnet
werden, daß alle durch die kirchlichen Segnungen zu res sacrae gemacht
werden, eine strenge Pflicht ist das jedoch nur bezüglich des Amikts, der Albe,
des Manipels, der Stola, der Kasel und, wie es scheint, auch des Cingulum,
also bezüglich der priesterlichen Meßgewandung.
Die Vollmacht, die liturgischen Gewänder zu segnen, ist ein Vorrecht
der Bischöfe ; Priester können nur dann die Benediktion derselben vornehmen,
wenn sie, was freilich sehr häufig geschieht, zu ihr besonders ermächtigt
werden. Selbst im Notfall ist ihnen ohne besondere Delegation die Segnung
nicht gestattet. Auch wird ein Parament, das im Notfalle oder im guten
Glauben bei der Messe gebraucht wurde, ohne vorher benediziert zu sein, nicht
schon durch diese Verwendung zu einer res sacra, die einer Benediktion nicht
weiter bedarf. Es muß vielmehr auch so noch vom Bischof oder dessen Stell-
vertreter gesegnet werden *.
Die Formulare, deren sich der Bischof bei der Segnung der liturgischen
Kleider zu bedienen hat, finden sich im Pontifikale2. Es sind ihrer zwei. Das
eine, allgemeinere, in welchem bestimmte Gewänder nicht genannt werden,
umfaßt zwei Gebete, von denen das erste mit den Worten beginnt : Omnipotens,
1 C. R. 31. Aug. 1867 (Decret. auth. 3162). 2 Pontif. rom. p. II, De Benedict,
Drittes Kapitel. Segnung der liturgischen Gewänder. 761
sempiterne Deus , qui per Moysen famulum tuum etc. , das zweite : Deus in-
victae virtutis triumphator et omnium rerum creator etc. Das andere ist
Benedictio specialis cuiuslibet indumenti überschrieben und besteht nur aus
einem Gebet, in dem die zu weihenden Gegenstände ausdrücklich angeführt
werden. Priester, welche die Vollmacht erhielten, die Segnung vorzunehmen,
haben sich des aus drei Gebeten bestehenden Formulars zu bedienen, welches
im römischen Rituale enthalten ist1. Die beiden ersten Gebete sind eins mit
den beiden, welche das erste Benediktionsformular des Pontifikale bilden,
das dritte, gleichfalls allgemein lautende, hebt an: Domine Deus omnipotens,
qui vestimenta pontiticibus, sacerdotibus et levitis etc. Es wurde im Mittel-
alter namentlich zur Segnung der Stola und der Kasel verwendet, zumal aber
der Stola, woran noch jetzt die Bitte erinnert, mit der es schließt: Atque
ministros altaris tui, qui ea induerint (sc. vestimenta), septiformis gratia
dignanter repleri atque castitatis stola beata facias cum bonorum fructu
operum ministerii congruentis immortalitate vestiri.
Das Alter des Brauches, die liturgische Gewandung zu segnen, ist nicht
bestimmbar. Wie für manches andere fehlt es auch hierfür an Nachrichten. Aber
auch auf aprioristischem Wege läßt sich die Zeit nicht feststellen. Denn mag
es auch angemessen sein, daß die Sakralkleider durch die Segnung über das
Niveau der profanen Gewandung erhoben und für den heiligen Dienst aus-
geschieden werden, so ist solches doch weder durch die Natur der Sache
noch kraft eines positiven göttlichen Gebotes unbedingt erforderlich. Liegt
doch noch heute keine strenge Pflicht vor, die Tunicella, die Dalmatik, das
Pluviale und das Superpelliceum zu segnen. Und dann erhält ja ein Gewand
schon dadurch, daß es zu gottesdienstlichem Zwecke und nur zu diesem be-
stimmt ist, wenn auch nicht den Charakter einer gesegneten Sache, so doch
eine gewisse Heiligkeit und Würde.
Man hat an die lepä axu):q erinnert, welche nach Theodoret Konstantin
dem Bischof Makarius von Jerusalem zum Geschenk machte2; allein mit Un-
recht. Theodoret konnte das Gewand heilig nennen, weil es für die Ver-
wendung bei gottesdienstlichen Verrichtungen gespendet und dann auch bei
diesen gebraucht worden war. Noch weniger beweist der äjioc, -Roo-qp-qq, von
dem Eusebius in seiner bei der Einweihung der Basilika zu Tyrus gehaltenen
Rede spricht3; gar nichts der auf Grund einer Notiz in der Vita Stephans I.
von Pseudo-Isidor gefälschte Brief des Papstes an den Bischof Hilarius, in
welchem es heißt: Vestimenta ecclesiastica, quibus Domino ministratur, et
sacrata debent esse et honesta4, Worte, die bekanntlich auch ins kanonische
Recht Aufnahme fanden.
Immerhin soll schon wenigstens im Beginn des 6. Jahrhunderts die
Segnung der liturgischen Gewänder zu Rom in Übung gewesen sein. Das
im ersten Teil des Papstbuches, welcher um jene Zeit entstand, mitgeteilte
angebliche Dekret Stephans I. (254 — 257): Hie constituit sacerdotes et levitas,
ut vestes sacratas in usu cotidiano non uti nisi in ecclesia5, tue das dar,
meint man. In der Tat kann kein Zweifel sein, daß damals wirklich be-
reits eine Benediktion der liturgischen Kleidung bekannt war und in Brauch
stand, wofern unter den vestes sacratae jener Verordnung nicht bloß heilige
1 Rituale Rom. tit. VIII, c. 20. i Hinschius, Decret. Pseudo-Isidorianae,
2 Hist. eccl. 1. 2, c. 23 (Mg. 82, 1066). Lipsiae 1863, 183.
3 S. oben S. 95. 5 Du eh., L. P. I 154.
762 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewiinder.
Gewänder im Sinne von vestes sacrae, d. i. Gewänder, die durch Zweck
und Gebrauch geheiligt waren, zu verstehen sind, sondern durch eine be-
sondere Segnung geheiligte Ornatstücke. Allein angesichts der mehrfachen
Bedeutung, die man mit dem Worte sacratus zu verbinden pflegte 1, ist eben
dieses sehr unsicher. Jedenfalls wird man dem Sinne der Stelle schon dann
völlig gerecht, wenn man unter den vestes sacratae Gewänder versteht, welche
durch die Verwendung bei der Feier der Liturgie einen sakralen Charakter im
weiteren Sinn erhalten hatten. Beachtenswert ist, daß Hieronymus und
Augustinus selbst die Heiligkeit der mit den heiligen Gebeimnissen in nächste
Berührung kommenden Altargeräte, der Kelche und Altartücher, nicht aus
einer Weihe, sondern aus deren gottesdienstlichem Gebrauch herleiten 2. Was
gegen die Auffassung der vestes sacratae als gesegneter Kleider spricht,
ist namentlich der Umstand, daß weder das gelasianische, noch das gregorianische
Sakramental' in seiner älteren Gestalt eine benedictio vestum sacerdotalium
kennt, obscbon doch bereits das Gelasianum außer den Segensgebeten für die
Weihe des Kelches, der Patene und Korporalien sogar eine benedictio vesti-
mentorum virginum enthält. Allerdings enthält das gelasianische Sakramental"
auch eine Segensformel für alles, was zum Gebrauche der Kirche dient, doch
ist diese erstens schwerlich ursprünglich und dann scheint bei ihr nur an
kirchliche Gerätschaften gedacht zu sein.
Die früheste sichere Nachricht über eine Segnung der Sakralgewänder
erhalten wir erst im 9. Jahrbundert, woraus freilich nicht folgt, daß sie erst
damals in Brauch kam. Sie mag vielmehr schon eine geraume Zeit in Übung
gewesen sein, nur fehlt es an diesbezüglichen Angaben. Es sind Pseudo-
Isidor und Benedikt Levita, die zuerst von ihr sprechen, jener in dem schon
angeführten gefälschten Schreiben Stephans I. , dieser in 1. 3, c. 431 seiner
Kapitularensammlung 3. Um das Ende des 9. Jahrhunderts begegnen uns
in dem Ordo der Kirchweihe eines Sakramentars der Kathedrale zu Reims
zwei Gebete für die Segnung der Stola, der Planeta und des Cingulum4. Sie
sind, wenn die Datierung des Pontifikale bei Martene richtig ist, die ältesten
bekannten Beispiele vou Benediktionsformularen; denn das sog. Egbertsponti-
fikale, welches in dem Weiheritus nicht weniger denn vier verschiedene Gebete
für die Segnung der liturgischen Kleider enthält, stammt in seiner jetzigen
Form nicht aus der Zeit Egberts von York (f 766) wie Hefele, Krieg, Thal-
hofer u. a. irrtümlich glaubten, sondern frühestens aus der Mitte des 10. Jahr-
hunderts. Zu den Bereicherungen, die sein Inhalt damals erfuhr, gehört auch
die Benedictio ad stolas vel planetas, quando levitae seu presbyteri ordinandi
sunt aut ordinati quidem reperiuntur5, ersichtlich ein späteres Einschiebsel in
den ursprünglichen Ordo. Ihre merkwürdige verworrene Stellung im Weihe-
ritus sowohl als ein Vergleich des Pontifikale mit andern gleichartigen wie
mit dem Pontifikale von Aletis oder Jumieges in der Stadtbibliothek zu Rouen
und dem St Dunstans-Pontifikale der Pariser Nationalbibliothek (jenes aus dem
Ende des 10., dieses aus dem Beginn des 11. Jahrhunderts) lassen keinen
1 Vgl. z. B. den Index zum Register Gre- vasa initiata und nova et nequaquam initiata
gors d. Gr. sub sacratus und sacrare bei (De eccl. ministr. 1. 2, c. 28 [M. 16, 142]) läßt
M. G. Epp. II 587. es zweifelhaft, ob die Weihe durch den Ge-
2 Augustin., Enarrat. in psalm. 113, brauch oder eine Segnung erfolgte.
sermo 2, n. 6 (M. 37, 1484) ; Hieron., Epist. 8 M.97,853;M.G.LL.(ed.Pertz)IIp.alt.l29.
114 ad Theoph. n. 2 (M. 22, 934). Die ' Mart. 1. 2, c. 13, ordo 5; II 260.
Unterscheidung des hl. Ambrosius zwischen 6 Ebd. 1. 1, c. 8, art. 11, ordo 2; II 34.
Drittes Kapitel. Segnung der liturgischen Gewänder. 763
ernsten Zweifel daran. Die Benediktionsgebete, deren in diesen beiden nur
drei vorkommen, sind in ihnen dem Ordo der Kirchweihe eingefügt, wo sie
auch sonst in den mittelalterlichen Pontifikalien zu stehen pflegen. Welche
Verbreitung der Brauch, die liturgischen Gewänder zu segnen, im 9. Jahr-
hundert besaß, ist bei den wenigen Angaben, die wir aus jener Zeit über ihn
erhalten, nicht festzustellen. Immerhin läßt der Umstand, daß Pseudo-Isidor
und Benedikt Levita ihn wie eine allbekannte Sache behandelt, darauf schließen,
daß er damals weder etwas Neues noch eine seltene Erscheinung war.
Die Gebete, durch welche nach dem römischen Pontifikale und Rituale
die Segnung der Sakralkleider vollzogen wird, lassen sich alle schon bald,
nachdem wir zum erstenmal sichere Nachrichten über diese Zeremonie erhalten
haben, in den liturgischen Büchern, den Sakramentaren und Pontifikalien,
nachweisen. So findet sich das beiden eigene Omnipotens sempiterne Deus,
qui per Moysen famulum tuum etc., schon in dem sog. Egbertspontifikale,
ferner in dem Pontifikale St Dunstans >, dem Pontifikale von Aletis2, einem
Reichenauer Pontifikale des 12. Jahrhunderts3. Das Gebet Deus invictae
virtutis triumphator begegnet uns in einem Pontifikale der Barberiniana
(11. — 12. Jahrh.)4, dem Sakramentar Leofriks (11. Jahrh.)5, dem Egbert-
pontifikale, einem Pontifikale von Cahors (9. — 10. Jahrb.)6, einem Salzburger
Pontifikale (12. Jahrh.)7 u. a. Die dritte Oration des Segensformulars im
Rituale treffen wir in dem ebengenannten Pontifikale der Barberiniana, dem
Pontifikale von Cahors8, einem Wiener Kodex bei Gerbert9 u. a. an. Das
Gebet des zweiten Benediktionsformulars im römischen Pontifikale kommt seltener
vor, so in den zu einem Typus gehörenden Pontifikalien St Dunstans und Eg-
berts und dem verwandten Pontifikale von Aletis.
Wie in Bezug auf so manches andere, so herrscht auch in Bezug auf
die Formulare für die Segnung der liturgischen Gewänder in den mittelalter-
lichen Pontifikalien wenig Übereinstimmung. Hier sind die Gebete merkwürdig
gehäuft, dort beschränkt man sich auf zwei oder nur eines ; anderswo wieder
ist für Gewänder und Geräte ein und dasselbe Gebet angegeben 10. Im späten
Mittelalter kommen auch Segensformulare vor, bei denen jedes Gewand ein
eigenes, seiner mystischen Bedeutung angepaßtes Gebet hat. Sehr interessante
Beispiele bieten ein Pontifikale der Vaticana 11 und ein bei Martene abgedruckter
Auszug aus einem Pontifikale von Sees 12. Die Gebete des letzteren schließen
sich an die moralische Symbolik an, die man mit den liturgischen Gewändern
verband, die des ersteren dagegen auch an jene typische Deutung, bei welcher
man den Priester als Abbild des leidenden Heilandes und die Gewänder als
Bilder der Leidenswerkzeuge betrachtete. So wird der Amikt auf das Schweiß-
tuch bezogen, womit das Angesicht des Erlösers nach dem von Kaiphas
gefällten Urteilsspruch verhüllt wurde, die Albe auf das weiße Spottkleid, das
Cingulum auf die Stricke, mit denen der Herr an die Säule gebunden
wurde, usw.
1 Ebd. 1. 2, c. 13, ordo 4; II 257. 3 Gerbert a. a. 0. 55.
2 Ebd. ordo 3; II 252. I0 So die Pontifikalien von Narbonne und
3 Gerbert, Monumenta vet. liturg. alem. Lyon bei M a r t. 1. 2, c. 13, ordo 8 9 ; II
II, St Blasien 1779, 52. 266 270.
4 Cod. Vat. Barber. 1869. " Vat. Ottob. 221, f. 257* ff (1506). Vgl.
6 Ed. Warren 215. auch die verwandten Benediktionsgebete im
6 Mart. 1. 1, c. 8, art. 9, ordo 5; II 45. Offic. eccl. abb. in Evenham. monast. (Brad-
7 Ebd. ordo 8; II 52. shaw Society), London 1893, c. 51 ff.
8 Ebd. 1. 2, c. 13, ordo 7; II 263. 12 Mart. 1. 3, c. 23; II 300.
764 Fünfter Abschnitt. Symbolik, Farbe und Segnung der liturgischen Gewänder.
Das Recht, die liturgischen Gewänder zu segnen, scheint von jeher als
bischöfliches Privileg gegolten zu haben. Es ist nicht erst Innozenz III.,
der ihre Benediktion unter den Vollmachten aufführt ], welche den Bischöfen
vor den Priestern eignen. Schon fast ein Jahrhundert früher schreibt Gilbert
von Limerick : Consecrat autem episcopus utensilia ecclesiae, vestimenta vide-
licet sacerdotalia et pontificalia, altaris velamenta etc. 2, während um dieselbe
Zeit die Synode von Poitiers allen Nichtbischöfen durchaus die Segnung der
priesterlichen Kleider untersagt: Ut nullus vestimenta sacerdotalia praeter
episcopum benedicere praesumat 3, ein Kanon, der gegen die Übergriffe ein-
zelner Abte gerichtet gewesen zu sein scheint. Es war sogar schon im 9. Jahr-
hundert ein bischöfliches Vorrecht, die liturgischen Gewänder zu segnen.
Denn in der Kapitularensammlung des Benedikt Levita heifit es: Sunt etiam
ab episcopo consecranda et benedicenda corporales, pallae et alia vestimenta
sacerdotalia. Der Grund, warum die Segnung der liturgischen Kleidung den
Bischöfen vorbehalten war, liegt wohl darin, daß sie eine Ergänzung der nur
diesen zustehenden Weihe der Kirche bildete.
Auch in den Riten des Ostens ist eine Segnung der liturgischen Kleidung,
wie sie im Abendland Brauch ist, üblich, ausgenommen vielleicht bei den
Nestorianern. Außerdem aber werden im griechischen und koptischen die
Gewänder auch noch jedesmal beim Anziehen vom zelebrierenden Bischof oder
Priester gesegnet 4. Die Benediktionsgebete, welche im griechischen Ritus bei
der Segnung der liturgischen Kleider verrichtet werden 5, haben große Ver-
wandtschaft mit denjenigen des lateinischen Ritus. Leider fehlt es an Material,
um einen etwaigen Zusammenhang zwischen beiden näher bestimmen zu können.
Im griechischen Ritus ist die Segnung erst um 1400 nachweisbar, was natür-
lich nicht ausschließt, daß sie weit älter ist. Sie ist in ihm keine den
Bischöfen vorbehaltene Handlung. Schon aus einer Angabe Simeons von
Saloniki erhellt, daß auch die Priester sie vornehmen durften, wenigstens im
Notfall 6.
1 De sacro altaris mysterio 1. 1, c. 9 (M. einzelnen Ankleidegebete des Bischofs durch
217, 779). ein Iube domne benedicere des Diakons ein-
2 M. 159, 1002. geleitet werden.
3 C. 3 (Sdralek, Wolfenbüttler Fragm., 5 Das Formular ist abgedruckt bei v. Mal-
Münster 1891, 136). tzew, Bitt-, Dank- und Weihegottesdienst,
4 Ein Gegenstück zur griechischen Sitte Berlin 1897, 987 ff.
findet sich im Sakramental- von Corbie (Mart. 6 Resp. ad Gabr. Pentap. q. 17 (Mg. 155,
1. 1, c. 4, art. 12, ordo 11; I 202), wo die 868).
SCHLUSSABSCHNITT.
DIE LITURGISCHE GEWANDUNG IN IHRER GESAMT-
ENTWICKLUNG.
I. DIE LITURGISCHE KLEIDUNG IN IHRER BEZIEHUNG ZUR ALT-
TESTAMENTLICHEN KULTTRACHT.
Christus hat in seiner Kirche nicht einen bis in die kleinsten Teile
geregelten Gottesdienst angeordnet; er gab die wesentlichen, unwandelbaren
Grundlagen und überließ es seiner Stellvertreterin, nach Ort und Zeit, nach
Bedürfnis und Zweckmäßigkeit die äußeren Kultformen zur Entwicklung
und Entfaltung zu bringen. Nichts ist daher unrichtiger, als die frühere
Zeit einfachbin an der Gegenwart zu messen und die gottesdienstlichen Zere-
monien und Riten, wie sie jetzt im Gebrauch sind, unverändert auf frühere
Tage zu übertragen. Alle Jahrhunderte haben ihre Eigentümlichkeiten auch
im Kultus gehabt; nie ist der Gottesdienst eine bloße Schablone und ein
totes, starres Etwas gewesen. Das göttliche Leben, das den mystischen Leib
Christi durchzieht, hat auch in der Ausgestaltung der Kultusformen stets
seine treibende Kraft bewährt. Das muß auch derjenige vor Augen behalten,
welcher die liturgische Kleidung in Gegenwart und Vergangenheit zum Gegen-
stande seiner Forschungen macht. Auch bei ihr gab es eine Entwicklung.
Anders verhält es sich in der jetzigen Zeit, anders stand es im Mittelalter,
anders in den Tagen der Karolinger und wieder anders in der Jugendzeit
der Kirche. Die bisherigen Untersuchungen betreffs der einzelnen liturgischen
Gewänder haben das klar gezeigt. Noch deutlicher wird das indessen zu Tage
treten, wenn wir auf Grund der bisherigen Resultate über die Gesamtentwick-
lung der Sakralgewandung eine Überschau halten. Scharf abgegrenzte Ab-
schnitte lassen sich für dieselbe allerdings nicht feststellen, da die Ausbildung
der liturgischen Kleidung nicht überall gleichen Schritt hielt oder doch über
dieselbe für die verschiedenen Länder nicht in gleichem Maß Nachrichten
vorliegen. Immerhin kann man unterscheiden die Zeit bis zur Freierklärung
der Kirche, die Zeit von Konstantin bis zur karolingischen Reform, die Zeit
von Karl d. Gr. bis zum 13. Jahrhundert und endlich die Zeit vom 13. Jahr-
hundert bis zur Gegenwart. Bevor wir indessen auf diese einzelnen Phasen
in der Entwicklung der liturgischen Kleidung näher eingehen, müssen wir in
Kürze das Verhältnis der neutestamen fliehen zur alttestamentlichen
Kulttracht betrachten.
Nach der Vorschrift, die Gott der Herr Moses betreffs der Opferkleidung der
jüdischen Priester gab, sollte die heilige Gewandung des Hohenpriesters in den
Miehnasim, der Kethonet, dem Abnet, dem Meli, dem Ephod, dem Choschen und der
Miznephet mit dem Ziz bestehen. Die niederen Priester sollten nur die Miehnasim,
die Kethonet, den Abnet und die Migbaoth tragen '.
1 Ex c. 28 und 39. Vgl. auch Flav. los., Antiq. 1. 3, c. 7, und Hieron , Epist. 64 ad
Fabiol. (M. 22, 607).
766 Schlußabschnitt.
Die Miclinasim (feminalia) waren eine Art Hose oder Leibschurz; sie deckten
den Unterleib von den Hüften an bis zu den Oberschenkeln herab und mußten aus
Linnen verfertigt sein. Die Kethonet (linea subucula, linea stricta) bestand in
einem eng anschließenden Leibrock, der ebenfalls aus Linnen gemacht sein sollte. Nach
Josephus, dem hl. Hieroii3'mus und den Eabbinen reichte er bis zu den Knöcheln. Der
A b n e t (balteus) war ein Gürtel, der über der Linnentunika getragen wurde. Er
diente vor allem dem praktischen Zweck des Aufschürzens ; doch war er auch ein
Schmuckstück des Priesters '. Derjenige des Hohenpriesters wird ausdrücklich als das
Werk des Eokem (des Buntwirkers) bezeichnet; es scheint aber, daß auch die gewöhn-
lichen Priester mit dem vierfarbigen (Weiß, Blaupurpur, Rotpurpur und Scharlach)
Gürtel ausgestattet waren. Nach Josephus glich der vier Finger breite Abnet einer
Schlangenhaut und war allerlei Blumenwerk in den eben genannten Farben in ihn
hineingewebt. Zu Christi Zeiten muß der Gürtel eine bedeutende Länge gehabt haben.
Denn er wurde nach des Josephus Angabe beim Anlegen einigemal in der Brustgegend
um den Körper gewickelt, und doch hingen alsdann noch seine Enden vorn bis zu den
Fußknöcheln herab, so daß die Priester während des Opferdienstes gezwungen waren,
dieselben über die linke Schulter zu werfen, um nicht durch sie behindert zu sein.
Der Meli (tunica) war eine Obertunika aus Blaupurpur. Er war an seinem unteren
Saum mit Granatäpfeln und Schellchen geziert und ging nach Josephus bis auf die
Füße. Oben hatte das Kleid einen Schlitz zum Durchlassen des Kopfes, an den Seiten
aber Armlöcher. Der Ephod (superhumerale) mit dem Choschen (rationale), ein be-
sonderer Schmuck des Hohenpriesters, war eine Art Schultergewand aus kostbarem,
buntfarbigem Stoff (Gold, Weiß, Blau- und Rotpurpur sowie Scharlach). Wie dasselbe
formell beschaffen war, läßt sich aus der Heiligen Schrift nicht mit Sicherheit ersehen ;
Josephus beschreibt den Ephod seiner Zeit als eine Art von kurzer Ärmeltunika, die vorn
einen Ausschnitt zur Aufnahme des Choschen hatte. Dieser, der Richters chmuck, dessen
prächtige Folie der Ephod gleichsam bildete, war, wie es scheint, eine Art Tasche
aus demselben Material, aus dem das Schulterkleid angefertigt war, und mit zwölf in
Gold gefaßten und mit dem Namen der zwölf Stämme versehenen Edelsteinen besetzt.
Miznephet und Migbaoth (tiarae) hieß die turban- oder mützenartige Kopf-
bedeckung des Hohenpriesters bzw. der Priester -. Der Ziz (lamina), ein Goldblech,
dem die Worte „Heilig dem Herrn" eingegraben sein sollten, war eine Auszeichnung
des Hohenpriesters, der ihn über der Tiara trug.
Auch wenn wir nichts über den wirklichen Ursprung der liturgischen
Kleidung des Neuen Bundes wüßten, würde ein bloß oberflächlicher Vergleich
derselben mit der jüdischen Kultgewandung alsbald mit aller Bestimmtheit
dartun, daß sie so, wie sie sich in der Kirche ausgebildet hat, unmöglich
aus dem Alten Bunde herübergekommen sein kann. Ja für Stola, Manipel
und Pallium, für Amikt und Kasel, für Dalmatik und Tunicella, für Fano und
Subcinctorium, für die pontifikalen Strümpfe, Schuhe und Handschuhe, für Epi-
manikien, Epigonation und Sakkos fehlen in der aaronitischen Kultkleidung
so sehr die Gegenstücke, daß wir jene nicht einmal als spätere Nachbildungen
alttestamentlicher Gewänder zu betrachten vermögen. Die einzigen Gewand-
teile , bei denen man allenfalls an irgend eine vorbildliche Beeinflussung
durch die entsprechenden Stücke der jüdischen Sakralkleidung denken könnte,
sind Albe, Mitra und Rationale. Indessen war selbst bei diesen eine solche
jedenfalls nur sehr gering und nur von geringer Bedeutung. Bei der Albe,
die unmittelbar unzweifelhaft auf die Tunika des Alltagslebens zurückzuführen
ist, mag sie vielleicht darin bestanden haben, daß man die im bürgerlichen
Verkehr gebräuchlich gewordene Talartunika namentlich auch mit Rücksicht
auf den poderes des Alten Bundes für die gottesdienstlichen Verrichtungen
Ex 28, 40. - Vgl. oben S. 424.
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung. 767
bevorzugte. Wir erinnnern an die Rede des Eusebius bei der Einweihung der
Basilika zu Tyrus. Ist der poderes hier auch nur symbolisch aufzufassen J,
so bekundet die Stelle doch, daß der Gedanke an die Talartunika des aaroni-
tischen Priestertums dem Ideenkreis in damaliger Zeit keineswegs fern lag.
Ausdrücklich weist auf den alttestamentlichen poderes der hl. Martin, Bischof
von Braga (f 580), im 66. seiner Kapitel mit den Worten hin: Non oportet
clericos comam nutrire et sie ministrare ... et seeundum Aaron talarem
vestem induere, ut sint in habitu ordinato 2. Was die Mitra anlangt, so kann
sich ein etwaiger Einfluß höchstens im allgemeinen auf die Ingebrauchnahme
eines pontifikalen Kopfschmuckes bezogen haben , nicht aber auch auf die
Form. Indessen liegt nicht einmal für das erstere ein Anhalt vor. Jedenfalls
war der Hinblick auf die Kopfbedeckung der alttestamentlichen Priester nicht
der einzige und noch weniger der Hauptanlaß zur Einführung des litur-
gischen Kopfschmuckes unserer Bischöfe. Am meisten noch dürfte in Bezug
auf den Ursprung des Rationale (Superhumerale) einige vorbildliche Ein-
wirkung des parallelen Schmuckes des alttestamentlichen Hohenpriesters an-
zunehmen sein ; doch verdankt selbst dieses sein Entstehen nicht einer solchen
allein und mit Ausschluß jedes andern Faktors. Etwas anderes aber als
die Ableitung der einzelnen Gewänder des christlichen Kultus von der mosai-
schen Sakraltracht ist die Annahme eines bloß allgemeinen Einflusses der
letzteren auf die Entstehung der liturgischen Gewandung des Christentums.
Eine derartige nur ganz im allgemeinen auf die Einführung einer besondern
Kleidung im Gottesdienst des Neuen Bundes hinzielende Einwirkung der alt-
testamentlichen heiligen Gewandung dürfte sich schwerlich kurzer Hand ab-
weisen lassen. Denn es kann wohl nicht bezweifelt werden, daß die Juden-
christen aus dem Judentum jene Überzeugung mitbrachten, welche der
hl. Hieronymus in die Worte kleidet: „Die göttliche Religion hat ein anderes
Gewand im heiligen Dienst, ein anderes im gewöhnlichen Verkehr und Leben." B
Diese Anschauung, welche auch den Heidenchristen durch die stets wieder-
holte Lesung der heiligen Schriften sich aufdrängen mußte, konnte um so
weniger ohne Einfluß auf die Unterscheidung zwischen Altar- und Alltagstracht
und die allmähliche Bildung einer ausschließlichen Kultgewandung bleiben,
als ja der Neue Bund die Erfüllung des Alten und die Wirklichkeit war, auf
welche der Schatten des mosaischen Kultus hingewiesen hatte. Ist also auch
die Sakralkleidung des letzteren nicht in dem Sinn Prototyp der liturgischen
Gewandung des Neuen Bundes, daß sie für die einzelnen Bestandteile der-
selben, wie diese sich geschichtlich herausgebildet haben und noch jetzt in Ge-
brauch sind, vorbildlich wurde, sc kann anderseits doch wohl kaum bezweifelt
werden, daß die Erinnerung an sie immerhin wenigstens im allgemeinen
und bis zu einem gewissen Grad anregend und fördernd eingewirkt hat auf
die Ausscheidung einer besondern, der Feier des Gottesdienstes vorbehaltenen
Kleidung der christlichen Liturgen.
II. DIE LITURGISCHE GEWANDUNG IN VORKONSTANTINISCHER
ZEIT.
Daß es in vorkonstantinischer Zeit, d. i. in den drei ersten
Jahrhunderten der christlichen Kirche, noch keine nach Form und Aus-
stattung von der nichtliturgischen Tracht unterschiedene Sakralkleidung gegeben
S. oben S. 95. - M. 84, 583. 3 In Ez. 1. 13, c. 44 (M. 25, 437).
768
Schlußabschnitt.
habe, ist jetzt allgemein zugestanden. Sollte es doch noch Jahrhunderte
dauern, bis es zu einer derartigen Kultgewandung kam. Gab es schon damals
eine besondere liturgische Kleidung, so kann das höchstens im Sinn einer
lediglich bei den gottesdienstlichen Funktionen gebräuchlichen und ausschließ-
lich für diese bestimmten Gewandung verstanden werden. Aber nicht einmal
das läßt sich mit Sicherheit nachweisen. Das einzige Zeugnis, welches wir
darüber besitzen, ist das vom Papstbuch mitgeteilte Dekret Stephans I. J
Unzweifelhaft ist, daß die darin erwähnten vestes sacratae wenigstens aus-
schließlich für den Gebrauch beim Gottesdienst bestimmte Gewänder bezeichnen.
Allein wie schon früher gesagt wurde, ist es sehr unsicher, ob jene Be-
stimmung wirklich vom Papst Stephan, ja überhaupt aus vorkonstantinischer
Zeit herrührt. Unmöglich ist das freilich nicht. Denn vestes sacratae in
der Bedeutung von Gewändern, welche nur bei der Feier der Liturgie ver-
wendet werden durften, nach Schnitt und Beschaffenheit aber den gewöhn-
lichen Kleidern gleich waren, konnten selbstverständlich auch zur Zeit Valerians
auf der Straße getragen werden, ohne aufzufallen. Allein es genügt offenbar
nicht, daß der Inhalt des fraglichen Dekretes der Zeit Stephans I. nicht
widerspricht. Solange nicht feststeht, daß selbiges in Wirklichkeit von diesem
herstammt, ist es für unsere Frage ohne Belang.
Auch a priori, d. i. aus der Natur der Sache, läßt sich nicht dartun,
daß bereits in vorkonstantinischer Zeit eine besondere liturgische Gewandung
in dem vorhin angegebenen weiteren Sinn Verwendung gefunden habe. Wenn
wir später eine solche in Gebrauch antreffen, so folgt daraus keineswegs, daß
schon an sich und abgesehen von jeder positiven Bestimmung der Kirche
oder einer diesbezüglichen rechtskräftigen Gewohnheit unter allen Umständen
für den Gottesdienst eine eigene, ihm ausschließlich vorbehaltene Kleidung
nötig sei. Denn der den heiligen Geheimnissen gegenüber schuldigen Ehr-
furcht genügt zweifellos beim Mangel ausdrücklicher Anordnungen jede reine,
würdige Gewandung. Sonst müßte man zuletzt verlangen, daß auch der
Talar, den der Priester unter der Albe zu tragen hat, und die Schuhe, welche
seine Füße bedecken sollen, lediglich bei der Messe benutzt werden.
Es liegt aber auch keine Erklärung des kirchlichen Lehramtes vor, aus
welcher hervorginge, daß die Heiligkeit der Kultakte schon an sich notwendig
1 S. oben S. 65. Man hat sich auch auf
die Angabe des Bischofs Polykrates von
Ephesus und des Epiphanius, es hätten der
hl. Johannes bzw. der hl. Jakobus das Peta-
lon (die goldene Stirnplatte des jüdischen
Hohenpristers) getragen (s. oben S. 488),
sowie auf die Erzählung der Vita S. Sil-
vestri vom Colobium des hl. Jakobus (s. oben
S. 68) berufen. Es mag hier genügen, gegen-
über solchen Beweisversuchen wie auch rück-
sichtlich gewisser Reliquien aus der Früh-
zeit der Kirche — liturgische Gewänder oder
Reste von solchen — auf die diesbezüg-
lichen früheren Ausführungen dieses Wer-
kes (S. 12 f 68) sowie auf das in den
.Stimmen aus Maria-Laach" LIV (1898), 401 f
Gesagte hinzuweisen. Weder jene ange-
zogenen Stellen, noch jene Reliquien sind
für die hier uns beschäftigende Frage von
irgend einer Bedeutung. Ohne Wert ist für
sie auch die bisweilen angeführte Notiz des
Hegesippus bei Eusebius, es habe der hl. Jo-
hannes linnene , nicht wollene Kleider ge-
tragen, und darum sei es ihm allein erlaubt
gewesen , in das Tempelheilige einzutreten
(Hist. eccl. 1. 2, c. 23 (Mg. 20, 197). Wie
es immer um deren Richtigkeit stehen mag,
jedenfalls folgt aus ihr nicht, daß der Apostel
sich bei der Feier der heiligen Geheimnisse,
die er sicher nicht im Heiligen des Tempels
vornahm, irgend einer besondern Tracht
oder auch nur einer besseren als der Alltags-
kleidung bedient habe, und noch viel weniger,
daß damals allgemein bei der Liturgie
eine eigene Gewandung gebraucht wurde.
Aus den Worten des Hegesippus geht sogar
hervor, daß nur Jakobus gewohnt war,
sich in Linnen zu kleiden, nicht auch die
übrigen Apostel, weshalb auch er allein ins
Heilige hineingehen durfte.
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung. 769
eine besondere Kleidung beim Gottesdienst erheische; ebensowenig hat das-
selbe je entschieden, daß die im katholischen Kultus übliche Sakralgewandung
auf göttlicher Anordnung beruhe oder doch bereits von den Aposteln zur
Wahrung der Würde des Gottesdienstes eingeführt worden sei. Zwar erklärt
das Konzil von Trient im 5. Kapitel der 22. Sitzung: „Weil die menschliche
Natur so beschaffen ist, daß sie sich nicht leicht ohne äußerliche Beihilfe zur
Betrachtung göttlicher Dinge zu erheben vermag . . ., so ordnete die Kirche
nach der apostolischen Disziplin und Überlieferung Zeremonien
an, wie mystische Segnungen, Lichter, Räucherungen, Gewänder und vieles
andere der Art, sowohl um die Herrlichkeit dieses so großen Opfers dadurch
anzuzeigen, als auch um die Gemüter der Gläubigen durch diese sichtbaren
Zeichen der Religion und Frömmigkeit zur Betrachtung der hocherhabenen
Geheimnisse anzuregen, welche in diesem Opfer verborgen sind." Jedoch will
es damit nur sagen, daß die Kirche nicht willkürlich die Opferfeier mit mannig-
fachen Zeremonien usw. umgeben habe, wie die Reformatoren behaupteten,
sondern gemäß ihrer in apostolischer Disziplin und Tradition begründeten
Stellung als Hüterin der heiligen Geheimnisse und gemäß des ihr durch
eben diese Lehrüberlieferung gewordenen Auftrags, das Heilige heilig zu
halten, die Gläubigen mit Ehrfurcht gegen die Mysterien des Glaubens zu er-
füllen und zu erbauen. Die Worte des 5. Kapitels sprechen positiv aus, was im
7. Kanon derselben Sitzung negativ zum Ausdruck kommt, wenn es darin
heißt: „Wenn jemand sagt, die Zeremonien, Gewänder und äußerlichen Zei-
chen, deren sich die Kirche bei der Feier der heiligen Messe bedient, seien
eher Reizmittel zur Gottlosigkeit als Erweise der Frömmigkeit, so sei er im
Banne." Es läßt sich aber aus ihnen nicht folgern, daß schon die Apostel
eine von der profanen Tracht durchaus verschiedene liturgische Kleidung
vorschrieben oder auch nur verordneten, daß sich der Priester bei der Feier
des heiligen Opfers einer lediglich bei der Liturgie zu verwendenden Ge-
wandung bedienen müsse.
Mit Sicherheit ist also eine besondere gottesdienstliche Kleidung in
keinem Sinne für die vorkonstantinische Zeit nachweisbar, weder mit histori-
schen Belegen noch mit dogmatischen Zeugnissen noch endlich aus der Natur
der Sache. Immerhin darf es als wahrscheinlich betrachtet werden, daß man
bereits vor den Tagen Konstantins begann, wo immer die Verhältnisse das
ermöglichten, einen Unterschied zwischen der Alltags- und der Altartracht
zu machen. Es ist schwer glaubhaft, daß die Anfänge einer christlichen
Sakralgewandung erst in das 4. Jahrhundert fallen sollen. Denn die Gründe,
um derentwillen man später bei den gottesdienstlichen Verrichtungen sich
einer nur bei diesen zur Verwendung kommenden Kleidung bediente, die Ehr-
furcht gegen die heiligen Geheimnisse, die Pflicht der kirchlichen Vorsteher,
in den Gläubigen die Hochschätzung gegen das vom Gottessohne der Kirche
hinterlassene unblutige Opfer des Neuen Bundes zu wecken und zu befördern,
hatten doch auch schon in der Jugendzeit des Christentums Bedeutung; ja
damals vielleicht in besonderem Maße, weil es galt, den für die christ-
liche Lehre gewonnenen Juden und Heiden Hochachtung vor den Geheim-
nissen des Glaubens und den Mysterien des Neuen Bundes einzuflößen. Ins-
besondere, scheint es, hätte die Außerachtlassung jeden Unterschiedes
zwischen Kult- und Alltagskleidung den Judenchristen zum großen Ärgernis
gereichen müssen, denen die Idee einer Opfergewandung in der ersten Zeit
noch durch persönliche Anschauung, nach Zerstörung des Tempels aber
Braun, Die liturgische Gewandung. 49
770
Schlußabschnitt.
wenigstens durch die Lesung der heiligen Schriften vertraut war. Auch
waren ja che drei ersten Jahrhunderte keineswegs eine Zeit ohne Unter-
brechung sich hinziehender Verfolgungen. Zwischen Perioden der heftigsten
Bedrängnisse gab es wiederholt solche des Friedens und der Ruhe, namentlich
im 3. Jahrhundert. Ebenso wütete der Kampf nicht immer an allen Orten
und in allen Gegenden des weiten römischen Reiches in gleichem Maße.
Jedenfalls darf als sehr wahrscheinlich gelten, daß man schon in vorkonstan-
tinischer Zeit wenigstens insofern einen Unterschied zwischen der Alltags-
und Altarkleidung machte, als man bei der Feier der Liturgie, wo immer
solches anging, bessere oder doch anständige Gewänder benutzte. Denn wenn
Klemens von Alexandrien sagt, man müsse gewaschen, rein und glänzend zu
den Opferfeiern und Gebeten erscheinen * - - er versteht das aber, wie aus
seinen folgenden Ausführungen hervorgeht, insbesondere auch mit Bezug auf
die Kleidung — , und wenn er verlangt, es müsse Mann und Weib in ordent-
licher Gewandung zur gottesdienstlichen Versammlung kommen 2, so wird es
erst recht für schicklich gegolten haben, daß der Liturg und seine Gehilfen
bei der Feier des heiligen Opfers in anderer als der gewöhnlichen Haus-,
Straßen- und Arbeitstracht am Altar erschienen. Es wäre den Gläubigen,
die selbst die Kleider wechselten, ehe sie zum Gottesdienste gingen, sicherlich
ein Anstoß gewesen, hätten sie den Bischof, die Priester und Diakone in
bestaubter, beschmutzter oder abgegriffener Alltagstracht ihres hohen Amtes
walten sehen.
Wir sagen: wo immer es anging; denn wenn man während der Tage
der Verfolgung im Drange der Not in Grüften und Höhlen, ja selbst in
Kerkern die heiligen Geheimnisse zu feiern sich gezwungen sah, oder wenn
die Boten des Evangeliums unter den ungünstigsten Verhältnissen in die Welt
hinauszogen, um Christi Lehre zu verkünden, so konnte natürlich hier wie
dort bei der Feier der heiligen Geheimnisse nicht alles durchgeführt werden,
was an sich passend und in andern Lagen und Umständen möglich war. In
normalen Zeiten und in den Tagen der Ruhe war sicher auch schon vor dem
4. Jahrhundert die Anschauung maßgebend, welche in den sog. Kanones des
Hippolyt ihren Ausdruck findet in der Bestimmung: „So oft der Bischof die
Mysterien genießen will, sollen sich die Diakone und Priester, angetan mit
weißen, ganz vorzüglich reinen Kleidern, die schöner als die des übrigen
Volkes sind, bei ihm versammeln. . . . Auch die Vorleser sollen wie jene
Festkleider haben"3; eine Anschauung, die von Hieronymus in seiner Er-
klärung von Ez 44, 19 in die Worte gefaßt wird: „Hieraus lernen wir, daß
wir nicht in den alltäglichen oder in sonst welchen , durch das gewöhn-
1 Strom. 1. 4, c. 22 (Mg. 8, 1352).
- Paedag. 1. 3, c. 11 (ebd. 657). Aus den
weiteren Worten an dieser Stelle geht her-
vor, daß die Gläubigen in der Tat andere
Kleider anlegten, ehe sie zum Gottesdienste
gingen. Klemens tadelt dieselben nämlich,
daß sie bei der Heimkehr von der Kirche
zugleich mit der Kleidung die Sitten wech-
selten und statt der Würde und des Ernstes,
die sie im Gotteshause bekundeten , sich
Leichtfertigkeiten aller Art erlaubten. Man
trug also bei der Teilnahme an der Liturgie
nicht die gewöhnlichen Haus- und Arbeits-
kleider, sondern pflegte für dieselbe eine
bessere Gewandung anzuziehen.
3 Can. 37 (Mg. 10, 962). A c h e 1 i s , Die
CanonesHippolyti (Texte und Untersuchungen
VI, Hft 4, Leipzig 1891, 118); Riedel,
Die Kirchenrechtsquellen des Patriarchats
Alexandrien 224. Über das Alter der Ka-
nones, für deren nichthippolytanischen Ur-
sprung F. X. Funk gegen Achelis entschieden
und mit guten Gründen eintritt, vgl. Bar-
denhewer, Geschichte der altkirchlichen
Literatur II, Freiburg 1903, 541 ff, wo auch
die einschlägige Literatur angegeben ist.
Die liturgische C4ewandung in ihrer Gesamtenhvicklung. 771
liehe Leben und Treiben beschmutzten Gewändern in das Allerheiligste ein-
treten, sondern mit reinem Herzen und reinen Kleidern an den Geheimnissen
des Herrn teilnehmen sollen " t
Die Gewänder, in denen wir uns die Bischöfe und Priester in vor-
konstantinischer Zeit bei ihren Funktionen zu denken haben, waren die Tunika,
dann, wo es Brauch war, die Tunika zu schürzen, ein Gürtel und endlich ein
Mantel, welcher im Orient vielleicht schon früh, zu Bom wie überhaupt in
Balien aber seit etwa dem Verlauf des 3. Jahrhunderts in der Pänula be-
standen haben dürfte. Bei den Diakonen mag der Mantel vielfach gefehlt haben,
weil das für sie bei den mannigfachen Verrichtungen ihres Dienstes be-
quemer war. Die übrigen Kleriker werden wohl für gewöhnlich die gleiche
Gewandung wie die Priester gehabt haben. War doch zu Bom noch im
8. Jahrhundert die Gewandung der Subdiakone und der andern Minoristen
fast dieselbe wie diejenige der Priester, während wir im griechischen Bitus
noch bis ins zweite Jahrtausend hinein bei jenen ebenso wie bei diesen außer
der Tunika ein Phelonion antreffen. In Bezug auf Schnitt, Ausstattung und
ähnliches war für die Altarkleidung an den verschiedenen Orten natürlich
die für die profane Tracht geltende Sitte maßgebend. Ob es auch schon in
vorkonstantinischer Zeit oder doch wenigstens im 3. Jahrhundert ein liturgisches
Distinktivum (Stola, Orarium, Omophorion, Pallium) zur Unterscheidung der
fungierenden Geistlichen voneinander und von den Laien gegeben habe, muß
dahingestellt bleiben 2.
III. DIE LITURGISGHE KLEIDUNG VOM IV. BIS IX. JAHRHUNDERT.
Die Zeit vom 4. bis 9. Jahrhundert bildet den bedeutungsvollsten Ab-
schnitt in der Geschichte der liturgischen Gewandung. Zwar ist die Ent-
wicklung der letzteren mit ihm noch keineswegs abgeschlossen ; immerhin
gelangt die Sakraltracht, wie sie heute besteht, bereits in dieser zweiten
Periode in ihren wesentlichen Bestandteilen und Eigentümlichkeiten zur
Vollendung. Die Nachrichten, die wir aus dieser Zeit über die beim Gottes-
dienst gebräuchlichen Gewänder erhalten, sind allerdings noch immer recht
unvollständig und mangelhaft ; für einige Bestandteile der liturgischen Kleidung
fließen sogar auch jetzt noch die schriftlichen und monumentalen Quellen
äußerst sparsam. Immerhin gestattet, was an Monumenten und schriftlichen
Angaben vorliegt, den Werdegang der Sakralkleidung in diesem Abschnitt
ihrer Geschichte wenigstens im großen und ganzen genügend zu verfolgen.
Bei der Ausbildung, welche die liturgische Kleidung während der zweiten
Periode ihrer Entwicklung erfährt, lassen sich fünf verschiedene Momente
unterscheiden: 1. Ausscheiden der bei den gottesdienstlichen Funktionen
gebräuchlichen Kleidung aus allem außerliturgischen Gebrauch, 2. Auswahl
und Festlegung bestimmter Gewänder für die liturgischen Verachtungen,
3. Einführung sakraler Distinktiva in Gestalt des Palliums bzw. des Omo-
phorion und der Stola bzw. des Orarium , 4. Verwendung der für den
Gottesdienst bestimmten Gewänder unter Beibehaltung der außerliturgischen
Kleidung, also über dieser, nicht mehr anstatt derselben, 5. endlich Ein-
führung der Sitte, die zum Kultornat gehörenden Kleider durch eine be-
sondere Segnung für ihren erhabenen Gebrauch zu heiligen.
1 In Ezech. 1. 13, c. 44 (M. 25, 436).
2 Über die Dalmatifc im Kultus zu vorkonstantinischer Zeit vgl. oben S. 250.
49*
772 Schlußabsclmitt.
Die Scheidung zwischen liturgischer und außerliturgischer Tracht in
dem im vorigen Paragraphen dargelegten Sinne begann wahrscheinlich schon in
vorkonstantinischer Zeit. Sicher aber wird dies bald geschehen sein, nach-
dem der Kirche die Freiheit geworden war, da nun ja die Kirche ohne alle
Hindernisse in der Öffentlichkeit auftreten konnte und die Umstände weg-
gefallen waren1, welche vordem jene Unterscheidung erschwerten, ja in
manchen Fällen unmöglich machten. Aber auch die Fixierung bestimmter
Gewänder zum Gebrauch bei den gottesdienstlichen Funktionen dürfte
schon im 4. Jahrhundert begonnen haben. Erinnert sei an die Dalmatik
der römischen und an die Tunika der griechischen Diakone, von welch
letzterer ja bereits Johannes Chrysostomus redet. Jedenfalls waren bereits
im 6. Jahrhundert die hauptsächlichsten Bestandteile der liturgischen Ge-
wandung festgesetzt. Für Rom und Italien ergibt sich das aus den Mo-
saiken und Fresken zu Mailand, Born und Ravenna, für Spanien aus den
früher erwähnten Kanones der 2. Synode von Braga und der 4. Synode von
Toledo2, von denen die letzte zwar erst dem zweiten Viertel des 7. Jahr-
hunderts angehört, aber ersichtlich nichts Neues bietet, sondern nur, was
dem Herkommen entsprach. Daß im gallikanischen Ritus im 6. Jahrhundert
eine aus bestimmten Bestandteilen sich zusammensetzende Sakralkleidung in
Gebrauch war, beweisen, abgesehen von vereinzelten Notizen bei Gregor von
Tours u. a. 3, die früher erwähnten Verordnungen der Statuta ecclesiae antiqua
und der Synode von Narbonne 4, sowie namentlich die gallikanische Meßerklärung.
Für den Orient sei an die Darstellung des Bischofs Theophylus von Alex-
andrien auf einem Papyrus, der wahrscheinlich noch in das 5. Jahrhundert
hinaufreicht, und an die Trierer Elfenbeintafel erinnert 5. Auch der Umstand,
daß im Osten so früh schon sich liturgische Abzeichen in Gestalt des Orarium
und des Omophorion einbürgerten, läßt vermuten, daß dort bald eine be-
stimmte Kleidung für den Liturgen und seine Gehilfen festgelegt worden sei.
Liturgische Distinktiva treffen wir im Orient schon im 4. Jahrhundert
an. Im Abendland begegnen sie uns erst eine Weile später. Zu Born läßt
sich mit Sicherheit ein sakrales Abzeichen — das päpstliche Pallium — erst
für das 5. Jahrhundert nachweisen, in Spanien und Gallien ein solches — Stola,
Orarium — aber erst für das 6., woraus freilich nicht folgt, daß es nicht auch
schon früher daselbst diese Distinktiva gegeben habe.
Unbestimmbar ist, seit wann man anfing, die liturgische Gewandung über
die Alltagskleider anzuziehen. Die Frage nach dem Alter dieser Sitte hängt
mit der andern zusammen, seit welcher Zeit man begonnen habe, erst im
Sekretarium sich für die Feier des Gottesdienstes anzukleiden. Denn eine
Anlegung der liturgischen Kleider, welche im Sekretarium vorgenommen
wurde, kann offenbar nur von einem Anziehen derselben verstanden werden,
bei welchem wenigstens die Unterkleider der Alltagstracht beibehalten wurden.
Die erste zuverlässige Nachricht über den Kleiderwechsel im Sekretarium
1 Vgl. z. B. Palladii Vita S. Ioan. Cliry- (Mg. 47, lxxix) heif3en die Gewänder, welche
sost. (M. 47, 38), wo erzählt wird, als der der Heilige anstatt der gewöhnlichen an-
Heilige auf seinem Wege in die Verbannung legte, noch deutlicher rä 1/j.dzia rä t^s äyiaq
schwer erkrankte, habe er rä ä$ia rou ßiou Xeiroupyiaq.
Xa/j/npa 1/j.firia, die Kleidung bis auf die Schuhe - Vgl. oben S. 155 253.
gewechselt und dann die heiligen Geheimnisse 3 Vgl. oben S. 66 156 754.
empfangen. Bei Theodor von Tr im u thi s 4 Vgl. oben S. 156 253.
(De vita et exilio S. Ioan. Chrysost. n. 25 5 Vgl. oben S. 236.
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwieklung. 773
bringt der erste römische Ordo. In ihm hätten wir demnach zugleich das
erste sichere Zeugnis für den Brauch, die liturgische Kleidung über den vestes
communes zu tragen. Indessen wird dieser zweifelsohne weit höher als bis
ins 8. Jahrhundert hinaufgehen. Wahrscheinlich hat er sich sogar schon
bald gebildet, nachdem man begonnen hatte, zwischen liturgischer und außer-
liturgischer Gewandung streng zu unterscheiden. Es konnten darum auch
im 6. Jahrhundert die gallischen Diakone und Lektoren schon vor Ende der
Messe sich ihres sakralen Obergewandes, der Alba, die wir uns offenbar über
der gewöhnlichen Kleidung befindlich zu denken haben, ohne alle Schwierig-
keit entledigen l.
Über die Zeit, zu der es Sitte wurde, durch eine besondere Segnung
die liturgischen Gewänder aller profanen Verwendung zu entziehen, wurde
früher des näheren gehandelt. Bestimmt nachweisen läßt sich die benedictio
vestium erst gegen Ende der uns beschäftigenden Periode, und zwar selbst
dann nur für das Abendland, genauer für den römischen Ritus.
Inwieweit die Ausbildung einer liturgischen Kleidung sich vollzog auf
dem Wege der bloßen Gewohnheit und inwieweit durch die positive kirch-
liche Gesetzgebung, läßt sich nicht abmessen. Als sicher darf es jedoch
gelten, daß es nicht lediglich durch Brauch und Sitte zu einer Sakralkleidung
kam. Insbesondere ist die Einführung liturgischer Abzeichen ohne Zweifel
das Werk positiver Verordnungen. Aber auch bezüglich sonstiger Gewand-
stücke sowie der Sakralgewandung im allgemeinen war die kirchliche Gesetz-
gebung mit ausdrücklichen Bestimmungen an der Ausbildung der liturgischen
Kleidung beteiligt. Wir ersehen das z. B. aus den Angaben des L. F., wo-
nach Silvester I. die Diakone Dalmatik und Mappula tragen hieß und
Stephan I. den Gebrauch der vestes sacratae im gewöhnlichen Leben zu ge-
brauchen verbot. Ist es auch fraglich, ob die beiden Dekrete wirklich von
Silvester I. bzw. Stephan I. herstammen, so zeigen sie doch wenigstens, daß
auch die positive Gesetzgebung, wie übrigens natürlich, zu den Faktoren ge-
hörte, welche bei der Ausgestaltung einer besondern liturgischen Kleidung
und ihrer einzelnen Bestandteile tätig waren 2.
Auf keinen Fall haben wir uns übrigens die Fixierung und Ausgestal-
tung der Sakralkleidung als allenthalben in gleichem Schritt geschehen zu
denken. Es ging damit wie mit der Ausbildung so mancher liturgischen
Zeremonien. Hier vollzog sich der Prozeß rascher, dort langsamer. Außerdem
aber muß zwischen Theorie und Praxis unterschieden werden. Auch bezüg-
lich der Verwendung einer liturgischen Gewandung standen diese keines-
wegs überall in voller Übereinstimmung. Der Umstand, daß die Idee einer
besondern Sakralkleidung sich bereits in der Theorie vollständig durchgerungen
hatte, bedeutete noch nicht, daß solches ebenso schon in durchgreifender
Weise in der Praxis der Fall war. So sahen sich die Statuta ecclesiae antiqua
veranlaßt, den Diakonen zu untersagen, die Alba außerhalb ihrer gottesdienst-
lichen Verrichtungen anzuziehen. Vom hl. Fulgentius (f 535) aber teilt uns
dessen Biograph die bezeichnende Tatsache mit, der Heilige habe in derselben
Tunika, in welcher er geschlafen, das heilige Opfer dargebracht. Zur Be-
gründung und Rechtfertigung dieses Verhaltens habe derselbe bemerkt, man
1 Vgl. c. 12 der Synode von Narbonne c. 9 der 2. Synode von Braga, c. 28 und 40
vom Jahre 589 (s. oben S. 258). des 4. Konzils von Toledo, c. 22 des Konzils
2 Vgl. auch c. 12 der Synode von Nar- von Laodicea, c. 66 der Kapitel Martins von
bonne, c. 41 der Statuta ecclesiae antiqua, Braga u. a.
774 Schlu ßabsclmitt.
solle zur Zeit des Opfers lieber die Herzen als die Kleider wechseln K Selbst
zur Karolingerzeit war die Unterscheidung zwischen liturgischen und außer-
liturgischen Gewändern in der Praxis noch keineswegs vollständig durch-
gedrungen, wie die früher angeführten Verordnungen über den Gebrauch der
Albe beweisen 2. Auch die entschiedene Betonung des angeblichen Dekretes
Stephans I. bei Pseudo-Isidor 3 läßt vermuten, daß im Frankenreiche damals
Theorie und Praxis in Bezug auf die Verwendung der gottesdienstlichen Ge-
wandung nicht immer übereinstimmten. Am längsten dauerte es in einigen
Sekten des Orients, bis die Idee einer besondern Sakraltracht sich in Auffassung
wie Brauch Geltung verschafft hatte. Für die Anschauung, welche bei den
Nestorianern noch um das 9. Jahrhundert in Betreff der Verwendung einer be-
sondern liturgischen Gewandung herrschte, ist die Antwort bezeichnend, welche
Patriarch Johannes Bar Abgar (f 905) auf die Frage gab, ob der Priester mit
Schuhen an den Altar treten könne, die er auf dem Markte getragen. Billig und
recht wäre es freilich, meinte er, wenn die Priester in besondern Gewändern und
Schuhen zum kirchlichen Dienst hinzuträten. Falls aber die Notwendigkeit es
anders anrate oder die Priester zu arm seien, stehe nichts im Wege, solches in
den Schuhen und Kleidern zutun, die sie in ihrer Werkstatt und
bei ihrer gewöhnlichen Beschäftigung gebrauchten4. Bei den
Armeniern wurde für die Abhaltung der Liturgie vielfach selbst noch im
12. Jahrhundert die Kleidung nicht gewechselt, wie der Katholikos Isaak in
seinen Invectivae adversus Armenos bezeugt und auch Nerses von Lampron
in seinem Kommentar zur göttlichen und heiligen Liturgie andeutet5. Viel-
leicht war übrigens eine solche laxe Auffassung in jenen orientalischen Sekten
nur ein Abirren von früheren, strengeren Anschauungen und Grundsätzen be-
züglich der Unterscheidung zwischen der liturgischen und der Alltagsgewandung.
In formeller Hinsicht bestand, wenn wir von den liturgischen Ab-
zeichen absehen, auch nachdem die Kirche die Freiheit erlangt hatte, noch
mehrere Jahrhunderte kein wesentlicher Unterschied zwischen der liturgischen
Kleidung und der besseren bürgerlichen Tracht, zumal der bürgerlichen
Festtagskleidung. Die Gewandstücke, deren man sich am Altare bediente, be-
gegnen uns noch eine gute Weile ebenso bei Laien und noch weit länger in
der außerliturgischen klerikalen Gewandung. Selbst zu Rom waren sie noch
im 6. Jahrhundert der Art, daß man sie im gewöhnlichen Leben tragen konnte,
ohne aufzufallen. Es erhellt das z. B. aus der Überschrift, welche Dionysius
Exiguus in seiner Sammlung von Papstbriefen dem bekannten Schreiben
Cölestins I. (423 — 432) an die gallischen Bischöfe gab. Indem er näm-
lich die Worte Cölestins: Discernendi sumus a plebe vel ceteris doctrina,
non veste, conversatione, non habitu, mentis puritate, non cultu 6, auf die Altar-
kleidung bezieht (nicht, wie es richtig hätte geschehen sollen, auf die außer-
liturgische geistliche Gewandung), bekundet er, daß zu seiner Zeit, also
um 530, zu Rom die liturgische Kleidung noch keineswegs von der lai-
kalen formell wesentlich verschieden war. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung
auch die Beschreibung, welche Johannes Diakonus von den noch zu Lebzeiten
1 C. 18 (M. 65, 136). 114, 952): Primis temporibus communi in-
- Vgl. oben S. 62. dumento vestiti missas agebant, sicut et
s S teph. 1., Epist. n. 3 (Hi nschi us, De- hactenus quidamorientales facere
cret. Pseudoisid. 183). perhibentur. 6 Vgl. oben S. 98.
1 Ass., Bibl. III I 251. Vgl. auch Wala- » C. 1 (M. 50, 430). Vgl. auch oben S. 620
fried, De exordiis et incrementis c. 24 (M. Anm. 1.
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung.
775
Gregors d. Gr. gemachten Bildern des Vaters Gregors, Gordianus, und des
Papstes selbst gibt. Nur das Pallium unterschied Vater und Sohn.
Ein durchgreifenderer Unterschied zwischen der laikalen und der liturgi-
schen Tracht trat erst ein, als im profanen Leben die im 3. Jahrhundert in
Aufnahme gekommene Talartunika wieder der kurzen Tunika und die nicht
gerade bequeme Pänula dem offenen Mantel weichen mußte, die Kirche aber
an beiden als Bestandteilen sowohl der außerliturgischen wie namentlich der
liturgischen Kleidung der Geistlichen festhielt.
Es war kein öder Konservativismus, der sie dazu veranlagte, sondern
die Erwägung und Erkenntnis, daß eben diese Gewandung sich besser als
jede andere für den Klerus im täglichen Leben wie am Altar eigne, weil sie
der ihm eigenen Würde wie auch der Würde der gottesdienstlichen Funk-
tionen angemessener erschien. Außerdem aber hat darauf zweifelsohne die
Tendenz eingewirkt, den Klerus auch in seiner Kleidung, und zwar sowohl
im täglichen Leben als namentlich am Altare, von den Gläubigen möglichst
sinnfällig zu unterscheiden, eine Tendenz, die im Osten schon im 4. Jahr-
hundert zu liturgischen Distinktiva in Gestalt des Orarium und des Omo-
phorion geführt hatte. Auf das Festhalten an der Talartunika mag oben-
drein, wie früher gesagt wurde, die Erinnerung an den poderes des jüdischen
Kultus von Einfluß gewesen sein.
Man hat den eben erwähnten Wechsel in der profanen Kleidung mit
dem Einbruch der germanischen Völker zu erklären gesucht und in der kurzen
Tunika und dem offenen Mantel eine Nachbildung der germanischen Soldaten-
tracht sehen wollen 1. Ohne Grund. Sowohl die offenen Mäntel wie die
kurzen Tuniken waren bei einem großen, die letzteren sogar bei dem größten
Teil der Bevölkerung nie außer Gebrauch gekommen. Insbesondere aber
waren die einen wie die andern stets dem Militär und der Mehrzahl der kaiser-
lichen Beamten eigen. Es bedurfte darum nicht erst eines vorbildlichen
Einflusses der Gewandung der nordischen Barbaren, um die Talartunika und
die Pänula im bürgerlichen Leben wieder außer Verwendung zu bringen und
an ihre Stelle die kurze Tunika und den offenen Mantel treten zu lassen.
Die Talartunika und die Pänula waren eine Mode, wie es deren so viele
schon gegeben hatte. Sie erschienen im 3. bzw. 4. Jahrhundert auf dem
Plan und verschwanden dann wieder, als ihre Zeit um war, als sie nicht
mehr gefielen, als sie sich gleichsam ausgelebt hatten.
Im Orient erhielten sich die tunica talaris und die paenula, den Bild-
werken nach zu urteilen, länger im allgemeinen Gebrauch. Es kam darum hier
erst in viel späterer Zeit zu einer liturgischen Gewandung, die auch nach ihrer
1 Vgl. Marr. xlvi , und im Anschluß an
diesen Realenc. II 182. Marriott beruft sich
namentlich auf die Bemerkung des Johannes
Diakonus (9. Jahrhundert) : Nullus pontifici
(sc. Gregor d. Gr.) famulautium a minimo
usque ad maximum barbarum quodlibet in
sermone vel habitu praeferebat, sed togata
Quiritium more vel trabeata latinitas suum
Latium in ipso Latiali palatio singulariter
pbtinebat (Vita Greg. M. 1. 2, c. 13 [M. 75,
92]). Allein wie kann man, dürfen wir wohl
fragen, diese Angabe des Biographen Gregors
auf das Ausscheiden der Talartunika und der
Pänula aus der Tracht des bürgerlichen
Lebens anwenden ? Oder waren etwa die
kurze Tunika, die Chlamys und die Lacerna
unrömische , den nordischen Barbaren ent-
lehnte Gewänder? Völlig unverständlich ist,
wie Kraus (Kunstgeschichte I 533) schreiben
konnte: „Auf den Mosaiken von S. Vitale
zu Ravenna ist die Tracht der einfachen
Geistlichen noch nicht wesentlich von der
der Hofbeamten des Kaisers Justinian ver-
schieden." Die kurze Tunika und die Chlamys
der Hofbeamten sind denn doch etwas ganz
anderes als die Dalmatik und die Planeta
Maximians und als die Dalmatik der Diakone
des Erzbischofs (vgl. oben B ld 63, S. 159).
776 Schlußabschnitt.
formellen Seite hin von der Alltagskleidung verschieden war. Vielleicht erklärt
sich daraus auch, warum Walafried im Anschluß an die Worte: Primis tempori-
bus communi indumento (Volkstracht) induti missas agebant, mit Bezug auf
den Osten fortfährt: Sicut et hactenus quidam orientales facere perhibentur *.
Betont muß werden, daß die liturgische Kleidung aus dem Boden jener
Gewandung erwuchs, welche seit etwa dem 4. Jahrhundert das Gemeingut
der römisch-griechischen Welt geworden war, nicht aber ausschließlich
aus demjenigen der römischen Tracht oder der Tracht des Ostens. Ebendarum
denn auch die wesentliche Übereinstimmung in Bezug auf die liturgische
Kleidung zu Rom und in den von dem römischen Ritus abhängigen Pro-
vinzen des Abendlandes einerseits und in den verschiedenen Landesteilen des
weiten Ostens anderseits. Daß bei jenem Entwicklungsprozeß der Sakral-
gewandung Rom und der römische Brauch einen bestimmenden oder vorbild-
lichen Einfluß auf den Orient ausgeübt habe, ist zwar behauptet, aber nicht
bewiesen worden und unseres Erachtens auch nicht einmal wahrscheinlich.
Wohl aber kann man umgekehrt von einer Einwirkung des Ostens auf den
Westen reden. Namentlich darf eine solche für Spanien und Gallien an-
genommen werden. Die Übereinstimmung, welche zwischen der Sakral-
gewandung des griechischen Ritus und derjenigen der gallikanischen und alt-
spanischen Kirche besteht, ist zu auffällig, als daß man sie als bloßen Zufall
zu deuten hätte. Allein selbst zu Rom dürfte griechischer Brauch nicht ganz
ohne Nachahmung geblieben sein. Wenigstens ist es keineswegs so ganz
unwahrscheinlich, daß das Pallium und die Stola dorthin aus dem griechischen
Ritus ihren Weg genommen haben. Im übrigen war die Entwicklung der litur-
gischen Gewandung zu Rom freilich eine durchaus selbständige. Man denke nur
an das Schultertuch, die Mappula, die Dalmatik und die liturgische Beschuhung.
Aber auch in der Neigung, die Gewa.ndstücke zu häufen, zeigt sich schon
in der uns hier beschäftigenden Periode der Geschichte der Sakraltracht eine
charakteristische Eigenart der römischen Kultkleidung. Eine teilweise Ein-
wirkung des römischen Brauches auf die liturgische Kleidung in Gallien setzte
bereits im 6. Jahrhundert durch Verleihung des Palliums und die Erteilung
des Privilegs, die Dalmatik zu tragen, ein ; durchgreifend wurde sie jedoch
erst zur Karolingerzeit.
Was die Gewänder anlangt, aus denen sich die liturgische Kleidung
zusammensetzte, so bestand diese um den Beginn des 7. Jahrhunderts
in Spanien bei den Subdiakonen bloß aus einer Tunika, bei den Dia-
konen aus Alba und Orarium, bei den Priestern und Bischöfen
aus Alba, Gürtel, Orarium und Planeta, in Gallien bei den niedern
Klerikern aus der Alba, bei den Diakonen aus Alba und Stola, bei den
Priestern und Bischöfen aus Tunika, Gürtel, Stauchen, Stola (pallium)
und Kasel. Zu Rom bedienten sich damals die Minoristen, die Subdia-
kone eingeschlossen, der Alba und Planeta, wie es scheint, ob auch schon
der Mappula, ist fraglich, die Diakone der udones, der campagi, der
Dalmatik und der Mappula, sowie auch wohl einer unteren Tunika (Albe).
Über die liturgische Tracht der römischen Priester fehlen für den Beginn
des 7. Jahrhunderts genügende Angaben ; wir dürften indessen kaum irre-
gehen, wenn wir uns dieselben mit Albe, Cingulum , Mappula und Kasel be-
kleidet denken. Der Papst trug udones, campagi, Albe und Cingulum,
De exordiis et incrementis c. 24 (M. 114, 952).
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung. 777
Dalmatik, Planeta, Mappula und Pallium. Unsicher ist, ob er auch schon
die Tunika oder dalmatica linea hatte. Wegen des Gebrauches des Orarium
seitens der Diakone, der Priester und des Papstes ist nachzusehen , was
darüber bei Besprechung des Alters der Stola gesagt wurde. Außerhalb
Roms wurde es überall da, wo der römische Ritus maßgebend war, ohne
Zweifel mit der liturgischen Gewandung im großen und ganzen gerade so ge-
halten wie zu Rom selbst. Man vergleiche z. B. die Mosaiken von S. Vitale zu
Ravenna und von S. Apollinare in Classe. Die Mappula und die liturgische Be-
schuhung waren natürlich im Anfang des 7. Jahrhunderts nur wenig verbreitet,
da der römische Klerus diese noch als sein besonderes Vorrecht betrachtete und
demgemäß wachsamen Auges behütete. Dagegen war die Dalmatik wohl
bereits allgemein bei den Diakonen und Bischöfen des römischen Ritus in
Gebrauch. Des Palliums durften sich selbstverständlich nur jene Bischöfe be-
dienen, welche vom Papste mit demselben ausgezeichnet worden waren.
Im Orient finden wir zu Beginn des 7. Jahrhunderts bei den Dia-
konen das Sticharion und das Orarium, bei den Bischöfen das gegürtete
Sticharion, das Epitrachelion, das Phelonion und Omophorion. Vom Epi-
trachelion hören wir freilich erst in der ^lazopia ; immerhin darf unbedenklich
auch schon für das frühe 7. seine Verwendung angenommen werden. Bezüg-
lich der liturgischen Kleidung der niedern Kleriker und der Priester
liegen für diese Zeit keine Nachrichten vor. Wenn jene indessen noch um
das Ende des Jahrtausends ein gegürtetes Sticharion und das Phelonion trugen,
so wird es auch im 7. Jahrhundert wohl so gewesen sein, und wenn die
priesterliche Tracht, wie nicht zweifelhaft, nur eine vereinfachte bischöfliche
Kleidung darstellte, so haben die Priester damals wohl in gegürtetem Sticharion,
im Epitrachelion und im Phelonion ihres Amtes gewaltet.
Über den Verlauf, welchen die Entwicklung der liturgischen Kleidung
im Lauf des 7. und 8. Jahrhunderts nahm, sind wir im einzelnen nicht näher
unterrichtet. In Gallien und Spanien bereitete sich die Aufnahme des römi-
schen Brauches vor. Im griechischen Ritus scheint sich im 8. Jahrhundert
den liturgischen Ornatstücken der Bischöfe das Enchirion , das liturgische
Etikettetuch , zugesellt zu haben. Besonders reich gestaltete sich aber in
dieser Zeit die Sakralgewandung zu Rom aus, wo allerdings die ungemein
einflußreiche Stellung und die hohe Bedeutung, welche Papst und Klerus
inzwischen dort erlangt hatten, eine solche Entfaltung in hervorragendem
Maße begünstigten, ja fast notwendig herbeiführen mußten. Ihr Ergebnis kommt
im 1 . und 3. römischen Ordo, namentlich aber im S. G. K. zum Ausdruck.
Dort ist es vornehmlich die päpstliche Gewandung, über die wir Aufschluß
erhalten. Hier wird uns eine erschöpfende Zusammenstellung des gottesdienst-
lichen Ornates aller einzelnen Stufen des römischen Klerus geboten, die etwa
den Stand der Dinge im 2. Viertel des 9. Jahrhunderts wiedergibt. Eben-
deshalb lassen wir das für die Geschichte der liturgischen Gewandung des
römischen Ritus so wichtige Verzeichnis in einem neuen, auf den handschrift-
lichen Text sich stützenden, durchaus korrekten Abdruck folgen.
De vestimento pontificis. Inprimis camisia et cingitur supra, deinde linea
cum costis (sie) seriea et cingitur, post haec mittitur anagolaium (sie), exinde dalmatica
minore, postea maiore dalmatica et super orarium, post haec planeta et super mittitur
pallium. Nam in his diebus, natali Dmi, pascha, sei. Petri et die ordinationis suae
aliud colere (eolore) jdaneta induitur. Sestace in manu portat; item ealciamenta, in-
primis odhones, deinde campagos.
778 Schlußabschnitt.
Item de vestimento alii romani episcopi. Inprimis camisia et cin-
gitur, postea tunica alba, deinde orarium, post haec planeta et sestace in manu.
Calciamenta, odhones et campagos.
Presbyter romanus similiter praeter tantum subtulares \ quos mittit presbyter 2.
Diaconus inprimis camisia et super cingitur, postea tonica (sie) alba et cingitur,
deinde anagolagium, post lioc brachiale in dextra manu, dalmatica minore et maiore et
planeta usque dum venitur presby terio, ibidem tollitur ab acolito. Calciamenta sicut pontifex.
Subdiaconus. Camisia et cingitur, deinde anagolagium et tunica alba, orarium
et sestace in sinistra manu.
Acoliti. Camisia et cingitur, sestace in sinistra latere ad cingulum pendens
(pendit?), tonica (sie) alba et orarium ad Collum et planeta, et quando in gradu psallitur,
planeta abstollitur et orarium portat in manu. Calciamenta, odhones et subtulares
sicut et subdiaconus.
ßeliqui vero inferiores gradu ecclesiae, qui in gradu psallunt sicut
et acoliti, illi vero qui in ammone (ambone) non psallunt, si habuerint, similiter in-
duantur. Sin autem non potuerint . . .
Item cottidianis diebus qualiter pontifex induitur. Inprimis
camisia et cingitur. Deinde tonica serica, orarium, planeta et pallium, sestace in
manu. Calciamenta vero tarn pontifex quam etiam et omnes reliqui sive festis diebus
sive cottidianis suo modo induuntur. Item diaconi3.
Eines Kommentars bedarf das Verzeichnis nicht, da an manchen Stellen
dieses Werkes, auf die hier verwiesen werden kann, auf dasselbe Bezug ge-
nommen wurde. Es sei daher nur auf die eigenartige Häufung der liturgischen
Ornatstücke aufmerksam gemacht, wie sie uns in dem S. Gr. K. entgegen-
tritt, und zwar nicht bloß beim Papst, sondern selbst bei den Akolythen.
Dabei ist bemerkenswert, daß die Gewandung der römischen Hebdomadar-
bischöfe und Priester im Vergleich mit derjenigen der übrigen Ordines auffallend
einfach ist. Am reichsten ausgestattet ist der liturgische Ornat des Papstes
und der Diakone; begreiflich, da eben diese zu Rom die hervorragendste
Stelle einnahmen, der Papst als summus pontifex, die Diakone als seine
nächsten Ministri und zugleich als die papabili. Beachtung verdient auch
der Umstand, daß der Papst beim Gottesdienst an gewöhnlichen Tagen eine
einfachere Gewandung trug als an den hohen Festen, an denen er in vollem
Glanz pontifizierte.
Charakteristisch ist für die hier in Frage kommende Periode die große
Schlichtheit der liturgischen Gewänder. Dieselben erscheinen auf den Bild-
werken stets ungemustert, und, wenn wir die Dalmatik mit ihren traditionellen
clavi ausnehmen, fast immer ohne allen Zierbesatz. Es liegt aber kein Grund
vor, welcher uns berechtigte, die Monumente in Bezug auf diesen Punkt als
der Wirklichkeit nicht entsprechend zu betrachten. Indessen bedurfte es
ja auch bei der weiten, vollen, faltenreichen Form der Gewänder keineswegs
eines reichen Schmuckes derselben, um den Liturgen und seinen Gehilfen
ihrer erhabenen Stellung gemäß auszuzeichnen. Auch ohne besonderes Orna-
ment auf ihrer Gewandung waren diese, wie die römischen und ravennati-
schen Mosaiken so sinnfällig bekunden, ungemein würdevolle Erscheinungen.
1 In der Handschrift steht subtula und Trennungszeichen Kommata gesetzt , b) die
dann in der folgenden Zeile mit Wieder- Worte einheitlich, sofern es sich nicht um
holung von la lares, offenbar ein Irrtum des den Satzanfang handelt, mit kleinen Anfangs-
Schreibers, buchstaben geschrieben, c) die Abkürzungen
- Das Manuskript hat pbs = presbyteres. aufgelöst, d) zwei evidente Schreibfehler ver-
3 Bei der Wiedergabe des Kataloges wurden bessert. In allem übrigen ist der Text mit
aj statt der Punkte innerhalb der Sätze als aller Treue wiedergegeben.
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung. 779
IV. DIE LITURGISCHE GEWANDUNG VOM IX. BIS XIII. JAHRHUNDERT.
Seit dem 9. Jahrhundert war die römische Sakralkleidung im ganzen
Abendland herrschend. Für Spanien bezeugen das die Inventare; sie muß
hier spätestens im S. Jahrhundert Aufnahme gefunden haben. Nach Eng-
land war sie zugleich mit den römischen Glaubensboten gekommen, die Gre-
gor d. Gr. dorthin geschickt und mit dem zur Feier der Liturgie nötigen
Apparat ausgerüstet hatte. In Gallien hatte die karolingische Reform die
liturgische Gewandung, wie sie zu Rom in Gebrauch war, endgültig eingebürgert.
Was Hraban, Amalar, Pseudo-Alkuin, Walafried und die fränkischen Inventare
des 9. Jahrhunderts an liturgischen Gewändern aufzählen, ist durchaus die Sa-
kralkleidung des römischen Ritus. Daß diese in Italien gebräuchlich war,
braucht kaum ausdrücklich bemerkt zu werden. Selbst im Süden, wo sich
griechischer Einfluß geltend machte, und zu Mailand waren die Abweichungen
unbedeutend. Fraglich ist, wie es im 9. Jahrhundert in Irland stand. Wir
haben darüber für diese Zeit keine Nachrichten. Erst um 1100 erfahren wir
Näheres über die daselbst übliche gottesdienstliche Kleidung. Damals war
in Bezug auf diese in Irland römische Sitte maßgebend.
Natürlich haben wir die Aufnahme römischen Brauches nicht dahin
aufzufassen, als ob die römische Sakralkleidung bis in ihre kleinsten Einzel-
heiten kopiert worden wäre. Für die damalige Zeit mit ihrer Weitherzig-
keit und ihrer Freiheit in liturgischen Dingen wäre das ein Ding der Un-
möglichkeit gewesen. Es waren aber nur nebensächliche Punkte, in denen
man von Rom abwich. Insbesondere war^die Kleidung der Minoristen ein-
facher als zu Rom ; das Orarium scheint außerhalb Roms bei denselben
nie gebräuchlich gewesen zu sein, die Mappula nur bei den Subdiakonen.
Die Bischöfe bedienten sich nach dem Vorbild der römischen Hebdomadar-
bischöfe wohl meist nur einer Obertunika, also nicht zugleich der Dalmatik
und Tunika, die Diakone zu Mailand und in Süditalien aber behielten die Ge-
pflogenheit bei, die Stola über der Dalmatik zu tragen. Volle Überein-
stimmung bestand in Bezug auf die priesterliche Kleidung, höchstens daß
in Bezug auf den Gebrauch des Amikts zwar nicht in der Theorie, so doch
in der Praxis einiges Schwanken herrschte. Abweichungen hinsichtlich der
Form und Beschaffenheit der Paramente machen sich im 9. Jahrhundert nur
wenige bemerklich. Am deutlichsten treten solche bei der Dalmatik auf, und
zwar sowohl hinsichtlich der Länge als der Verzierung derselben. Außer-
halb Roms, und zwar im Norden, war es auch wohl, wo die Mappula sich
am frühesten zum bloßen Zierstreifen umbildete.
Die Entwicklung, welche die liturgische Kleidung seit dem 9. Jahr-
hundert nahm, äußerte sich namentlich nach zwei Richtungen hin, erstens in
der Modifizierung der Verwendung einzelner Gewandstücke im Sinne des heute
bestehenden Brauches und dann in der Erweiterung der Sakraltracht durch
Einführung neuer Bestandteile.
Die Kasel, die Stola und die Mappula kamen bei den Akolythen, die
Kasel und Stola bei den Subdiakonen allenthalben in Abgang; die Kasel
wurde spezifisches Meßgewand, der Manipel Insignie der Subdiakone und
mit der Tuniceila die eigentlich subdiakonale Gewandung.
Gewänder, die neu in Gebrauch kamen, waren die Cappa und das
Superpelliceum. Insbesondere aber erfuhr die pontifikale Kleidung durch Auf-
nahme neuer Stücke eine weitere Ausgestaltung. Schon um die Wende des
780 Schlußabschnitt.
9. Jahrhunderts begegnen uns die Pontifikalhandschuhe, die wir dann bald all-
gemein in Gebrauch gewahren. Das 10. Jahrhundert sieht die liturgische Mitra
entstehen. In Süditalien schon im ersten Viertel des 11. Jahrhunderts beim
Erzbischof von Bari Verwendung findend, wird sie 1049 auch in Deutsch-
land und dann rasch überall heimisch. Ferner kommen im 10. Jahr-
hundert das bischöfliche Subcinctorium und das Rationale auf, welch letzteres
allerdings fast ausschließlich auf deutschen Boden beschränkt bleibt. Zur
gleichen Zeit wird die liturgische Fußbekleidung, die vordem, wenngleich
mit gewissen Modifikationen , bei allen Weihestufen des römischen Klerus
Verwendung fand, eine spezifische Eigentümlichkeit und ein Privileg der
Kardinäle und Bischöfe. Auch die Anfänge des Biretts fallen in diese Periode.
Die Veränderungen, welche in Bezug auf die Form der liturgischen Ge-
wänder vor sich geht, sind noch unbedeutend. Bei der Tunicella und
der Dalmatik machen sich auch weiterhin auf Verkürzung derselben hinaus-
gehende Tendenzen geltend. Die Pontifikalsandalen bilden sich gegen Ende
der Periode zu einem Schuh um. Die Mitra, ursprünglich eine konische
Mütze, erhält nach mehrfachem Schwanken im wesentlichen ihre endgültige
Form. Die Mappula verkümmert allgemein und für immer zum Zierstreifen.
Stola und Manipel werden überschmale Bänder, die an den Enden gern mit
trapezartigen Ansätzen abschließen. An Amikt und Albe bürgern sich im
Laufe des 12. Jahrhunderts die Paruren ein. Als letzte Frucht aber schafft
dasselbe Jahrhundert den liturgischen Farbenkanon. Besonderer Wert — größerer
wohl als je zuvor -- wird auf die reiche Beschaffenheit und kostbare
Ausstattung der liturgischen Gewänder gelegt. Man betrachte nur die Bild-
werke, auf denen diese bis zur Karolingerzeit, ja selbst noch bis zur Wende
des Jahrtausends eine auffallende Schlichtheit zur Schau tragen. Sie spiegeln
seit dem 11. Jahrhundert allenthalben deutlich die der sakralen Kleidung in-
zwischen zu teil gewordene gesteigerte Prachtentfaltung wider.
Zwei Punkte sind für die Geschichte der Ausbildung der liturgischen
Kleidung in der Zeit vom 9. bis 13. Jahrhundert charakteristisch. Erstens ist
es nicht Rom allein, welches die neuen Gewänder schafft und gibt.
Die Pontifikalhandschuhe, die Cappa, das Supperpelliceum und wohl auch das
Subcinctorium sind nicht römischen Ursprungs. Sie kamen von auswärts
nach Rom. Auch der liturgische Farbenkanon ist nichts spezifisch Römisches.
Wie früher gesagt wurde, lag er in der Zeit und trat darum auch gleichzeitig
zu Rom und außerhalb Roms ins Dasein ; am wenigsten römisch ist das Ratio-
nale. Nur die Mitra ist eigentlich römischer Herkunft und von Rom aus
in das übrige Abendland importiert worden. Ähnlich wie mit den genannten
neuen Ornatstücken verhielt es sich mit den Namen der liturgischen Ge-
wänder. Die alten römischen Bezeichnungen kamen zum größten Teil außer
Gebrauch und machten andern Platz, die von außen nach Rom gebracht
worden waren. Die Beziehungen des übrigen Abendlandes zu Rom als dem
Mittelpunkte der Kirche waren innigere, der Verkehr zwischen beiden ein
ungleich lebendigerer geworden. Rom gab, aber es wußte auch das Gute
zu schätzen, was es anderswo fand ; zugleich war es weitherzig genug, solches
Gute in seinen eigenen Brauch aufzunehmen.
Zweitens muß auffallen, daß es gerade die Pontifikalgewandung ist,
welche in dieser Periode sich im besondern Maß ausgestaltete. Ohne Zweifel
hängt das mit dem mächtigen Wachstum zusammen, welches das äußere An-
sehen der Bischöfe seit der Karolingerzeit erfahren hatte. Allerdings hatten
Die liturgische Gewandung in ihrer C4esamtentwicklung. 7g 1
diese nicht überall die hohe, selbst in weltlichen Beziehungen so einfluß-
reiche Stellung erlangt, welche ihnen auf deutschem Boden zu teil ge-
worden war; doch war auch anderswo ihre Bedeutung nach außen um ein
Vieles gewachsen. Begreiflich also, daß gerade die Pontifikalkleidung eine
besondere Ausbildung erfuhr.
Es ist gesagt worden i, daß diese Erweiterung der pontifikalen Tracht
unter dem Einfluß der alten Liturgiker erfolgt sei. Wir können diese An-
sicht nicht teilen. Denn die Liturgiker der Karolingerzeit wissen noch gar
nichts von den neuen bischöflichen Gewandstücken; auch findet sich bei
ihnen nicht die geringste Tendenz auf Erweiterung der Pontifikaltracht. Die
Liturgiker des ausgehenden 11. und 12. Jahrhunderts aber sahen schon die
neuen Bestandteile der bischöflichen liturgischen Kleidung allesamt fertig vor
sich. Wie unter solchen Umständen die Liturgiker auf die Ausgestaltung der
Pontifikaltracht eine Einwirkung ausgeübt haben, ist sonach schwer ver-
ständlich.
Als Amalar seine Schrift De officiis ecclesiasticis schrieb, zählten zur
liturgischen Gewandung folgende Stücke: Amikt, Albe, Cingulum, Manipel,
Stola, Tunika, Dalmatik, Kasel, Pontifikalschuhe samt Pontifikalstrümpfen
und Pallium. Es waren ihrer im ganzen elf. Am Ende der Periode, d. i.
um 1200, gehörten außerdem noch zu ihr Cappa, Superpelliceum , Hand-
schuhe, Subcinctorium, Mitra und Kationale, vom päpstlichen Fano oder Orale,
damals noch lediglich Amikt, ganz abgesehen. Es waren also neu hinzu-
gekommen nicht weniger denn sechs Gewänder. Damit hatte dann freilich
die Ausbildung ihren naturgemäßen Abschluß erreicht. Es wäre in der Tat
auch schon schwer geworden, ein weiteres Gewand zu ersinnen.
Was die Riten des Ostens anlangt, so läßt sich nur im griechi-
schen Ritus für die Zeit vom 9. bis 13. Jahrhundert die Entwicklung der Ge-
wandung einigermaßen verfolgen. Sie betrifft lediglich die Pontifikalkleidung,
welche um die Epimanikien und, falls solches nicht schon vor dem 9. Jahr-
hundert geschehen sein sollte, jedenfalls noch vor 1000 um das Enchirion
bereichert wird. Außerdem kommt bei den Patriarchen im Laufe des
11. Jahrhunderts der allem Anschein nach der byzantinischen Hoftracht, ge-
nauer der kaiserlichen Gewandkammer, entlehnte Sakkos in Gebrauch. Eine
formelle Veränderung läßt sich in der hier in Frage stehenden Periode nur
beim Enchirion feststellen. Sie hatte frühestens im Verlauf des 12. Jahr-
hunderts statt. Das Enchirion wurde dabei aus einem Tuche ein rauten-
förmiges, gesteiftes Zierstück.
V. DIE LITURGISCHE GEWANDUNG IM SPÄTEN MITTELALTER UND
IN DER NEUZEIT.
Seit Beginn des 13. Jahrhunderts erscheint die Ausbildung der
liturgischen Gewandung, was Zahl und Charakter ihrer einzelnen Bestandteile
anlangt, abgeschlossen. Kein weiteres Gewand kam in der Folge zu dem
Kanon der Sakralkleidung, wie er zu Innozenz' III. Zeit bestand, hinzu, eben-
sowenig aber schied irgend eines der verschiedenen Ornatstücke völlig aus
dem Gebrauch aus. Denn wenn auch der päpstliche Fano dadurch, daß
der Papst zu ihm hinzu den gewöhnlichen Amikt annahm , seine praktische
Bedeutung verlor und zum bloßen Zierstück wurde, so fand er doch nach wie
1 Realenc. II 184.
1 82 Sclilufiabschnitt.
vor Verwendung; und wenn das Subcinctorium bei den Bischöfen in Abgang
kam, so blieb es doch bis auf die Gegenwart ein Bestandteil der päpstlichen
Pontifikaltracht. Selbst das Rationale erhielt sich, obschon es nie eine Aveite
Verbreitung gefunden hatte, vereinzelt bis auf unsere Tage.
Auch bezüglich der Verwendung der liturgischen Gewänder brachte das
späte Mittelalter und die Neuzeit keine andere bemerkenswerte Veränderung,
als daß seit dem 13. Jahrhundert das Superpelliceum immer mehr an Stelle
der Albe in Gebrauch kam und namentlich an deren Statt das liturgische
Kleid der niedern Kleriker wurde.
Die Geschichte der Sakralkleidung geht demnach seit dem 13. Jahr-
hundert fast ganz auf in der Geschichte ihrer formellen Umbildung,
ihrer stofflichen Beschaffenheit und ihrer Ausstattung. Es
würde selbstverständlich zu weit führen , hier auf einzelnes näher einzu-
gehen; es muß und kann ja auch auf das, was darüber bei Besprechung der
verschiedenen Gewänder gesagt wurde, verwiesen werden. Wir beschränken
uns daher an dieser Stelle auf einige allgemeine Gedanken.
Für die formelle Umbildung im späten Mittelalter, namentlich aber seit
dem 16. Jahrhundert, ist bezeichnend die allgemeine und rapid zunehmende Ten-
denz, die Gewänder immer mehr zu verkürzen. Verkürzungen kamen freilich
bei einzelnen derselben auch schon früher vor, sie blieben aber recht bescheiden
und waren keineswegs grundsätzlicher Art, während das Zustutzen in der
letzten Periode der Geschichte der Sakralkleidung Prinzip, Grundton der Ent-
wicklung ist. Manipel. Stola und Pallium, Tuniceila, Dalmatik und Super-
pelliceum, die Kasel und selbst die Albe mußten es an sich erfahren. Am
übelsten wurde der Kasel mitgespielt, die aus dem weiten, glockenförmigen
Mantel, den sie noch um 1200 darstellte, zuletzt zu einer Art von Skapulier
wurde. Unberührt blieben, wenn wir von Amikt, Cingulum und Subcinctorium,
den Pontifikalhandschuhen und der pontinkalen Fußbekleidung absehen, Ge-
wandstücke, bei denen es nichts zu verkürzen gab, nur das Pluviale und
die Mitra. Ja es machte sich bei diesen sogar eigentümlicherweise ein gegen-
teiliges Bestreben geltend. Beim Pluviale wurde der Schild allmählich so
sehr vergrößert, daß zwischen ihm und dem Gewände jedes entsprechende
Verhältnis schwand. Die Mitra aber ließ man zu einer solchen Höhe und
Breite anwachsen , daß sie zum förmlichen , jedes Maßes entbehrenden Turm
wurde. Alles in allem war es keine weitere Ausgestaltung der liturgischen
Gewänder, was mit diesen seit dem 13. Jahrhundert in formeller Hinsicht
vor sich ging, sondern eine beklagenswerte Verbildung derselben.
Ungleich erfreulicher ist das Bild , welches die Sakralgewandung seit
dem 13. Jahrhundert nach ihrer stofflichen Beschaffenheit und
nach ihrer Ausstattung bietet; weniger freilich in der Neuzeit als im
späten Mittelalter. Allerdings hatte es schon vorher manchen kostbaren Ornat
gegeben : den Beweis liefern die Inventare sowohl wie die noch vorhandenen
Gewandstücke aus der Frühe des Jahrtausends. Allein was die Menge der
prächtigsten Gewänder, die Qualität der zu ihnen verwendeten Stoffe und ihre
reiche Ornamentierung mittels Perlen, Edelsteinen, Plättchen aus edeln Me-
tallen und Emails, namentlich aber mittels großartiger, kunstvollster Stickereien
anlangt, hält die Zeit vor dem 13. Jahrhundert mit dem späten Mittelalter
im ganzen genommen keinen Vergleich aus. Freilich war alles in diesem
der Pflege der Paramentik ungleich günstiger als je zuvor. Die mächtig
aufgeblühten und alle Schichten interessierenden Kunstbestrebungen ; der ge-
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung.
783
steigerte religiöse Sinn, der überall heilige Bilder zu sehen liebte, um sieh
an ihnen zu erbauen; die staunenswerte Opferfreudigkeit des späten Mittel-
alters, wo es galt, die Ehre Gottes zu fördern und die Zierde seines Hauses zu
mehren, in Verbindung mit dem um ein bedeutendes gestiegenen allgemeinen
Wohlstand und der in weiten Kreisen beimisch gewordenen Bildung und
Lebensverfeinerung; das rasche frische Aufblühen der Seidenindustrie in
Mittel- und Norditalien und dann auch diesseits der Alpen in Flandern und
Frankreich; die dadurch ermöglichte Leichtigkeit in Beschaffung glänzender
Paramentenstoffe; die nach Technik und künstlerischer Durchbildung aufs höchste
vervollkommnete Stickkunst und manche andere Faktoren wirkten zusammen,
um das späte Mittelalter zum goldenen Zeitalter der stofflichen Beschaffen-
heit und der Verzierung der Paramente zu machen.
Das 16. und 17. Jahrhundert folgte, was Material und Ausstattung
der liturgischen Gewänder anlangt, im ganzen noch mehr oder minder den
spätmittelalterlichen Traditionen ; doch begann bereits im Lauf des 17. auch
in Bezug auf jene der traurige Verfall, welcher hinsichtlich der Form schon
eine gute Weile früher eingesetzt hatte. Er nahm rasch zu und erreichte
zur Zeit einer nüchternen Aufklärung in den Ornaten aus Leder und Stroh,
aus Sopha- und Kleiderzeugen seinen tiefsten Stand. So verblieb es, bis im
zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts das neu aufblühende kirchliche Leben
und mächtig erwachte religiöse Bewußtsein eine glückliche Reform der litur-
gischen Gewandung, wenn auch vornehmlich nur nach Stoff und Ornamen-
tierung, herbeiführten.
In Bezug auf die liturgische Kleidung im griechischen Ritus — von
den übrigen orientalischen Riten müssen wir auch hier wieder absehen -
hatte in der Zeit von 1200 bis in die Gegenwart eine eigentliche Ent-
wicklung nicht statt. Die Monumente des 13., des 15., des 17., ja des
19. Jahrhunderts gewähren dasselbe Bild der Sakraltracht bei den verschiedenen
Weihestufen wie die des 1 1 . Das einzige Ornatstück, welches zu den bereits
vorhandenen hinzukommt, ist die im Lauf des 15. oder 16. Jahrhunderts ein-
geführte bischöfliche Mitra.
Was die Verwendung der Gewänder anlangt, blieb es im wesentlichen
beim alten. Denn es kann wohl kaum eine bedeutende Veränderung genannt
werden, wenn der Sakkos auch bei den Metropoliten und in einzelnen Zweigen
des griechischen Ritus selbst bei den Bischöfen sich einbürgerte, wenn das
Epigonation allmählich niedern Prälaten als Auszeichnung verliehen wurde
und die Epimanikien bei den Priestern, ja bei den Diakonen in Gebrauch kamen.
Der Mangel an Leben und Entwicklung, der im Osten seit einem Jahrtausend
für die Riten als solche charakteristisch ist, offenbart sich daselbst auch in
Bezug auf die liturgische Gewandung'.
Man kann an das Studium der liturgischen Gewänder unter mancherlei
Gesichtspunkten herantreten. Von welchem Standpunkte man sich aber auch
1 Wir fügen einen kleinen Nachtrag an.
S. 6 wird der 10. Ordo Mabillons als dem
11. — 12. Jahrhundert angehörend bezeichnet;
genauer wird man ihn wohl der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts zuschreiben. Übrigens
ist der Ordo für die Geschichte der liturgi-
schen Gewandung von wenig Bedeutung. Der
koptische Patriarch Gabriel ferner, der S. 51
und 99 als Gewährsmann angeführt wird,
hatte den Patriarchalstuhl von Alexandrien
1409 — 1427 inne. Sein Rituale stammt aus
dem Jahre 1411 (Renaudot, Liturg. Orient,
coli. I 158). S. 51, Zeile 1 von unten und
S. 99, Zeile 11 von oben muß es daher
15. Jahrh. heißen, nicht, wie infolge eines
Versehens, 12. Jahrh.
784 Schlufiabschnit.t.
mit ihnen beschäftigen mag, immer bieten sie eine reiche Fülle des Wissens-
werten und Interessanten. Die Sakralkleidung ist das Produkt jenes Lebens,
das den mystischen Leib Christi durchzieht und ihn so wunderbar fruchtbar
und schöpferisch macht. Wie aus diesem Quell Dogma und Moral ihre herr-
liche Entfaltung schöpften, und wie diesem Leben je nach den Zeiten und
Verhältnissen die äußeren Formen des Gottesdienstes und eine reichste Fülle der
bedeutungsvollsten und erbaulichsten Zeremonien entsprossen, so hat auch unter
dem Einfluß derselben treibenden Kraft die gottesdienstliche Kleidung im Laufe
der Jahrhunderte ihr Dasein und ihre bestimmte Gestalt erhalten. Die heiligen
Gewänder sind weder das Ergebnis des Zufalls noch die Frucht der Willkür oder
spielender Phantasie. Sie sind das Werk der Kirche, der Verwalterin der heiligen
Geheimnisse, welche sie kraft der ihr von Christus verliehenen Gewalt und
in treuer Sorge für die Zierde des Gotteshauses und des Kultes in langsamer,
aber stetiger Entwicklung aus der Festagskleidung der alten griechisch-
römischen Welt sich herausbilden ließ. Die Kirche ist es, unter deren wachen-
den Augen die heiligen Gewänder nach und nach ihre eigenartige Gestalt
gewannen. Sie ist es, die wie im großen, so im kleinen die Verwendung der
Sakralgewandung bei den verschiedenen Funktionen unter Berücksichtigung
der örtlichen und zeitlichen Bedürfnisse wie des religiösen Dekors zu allen
Zeiten sorgsam regelte und noch immer regelt. Ebendarum aber spiegelt sich
ganz naturgemäß in der Geschichte der liturgischen Kleidung das Leben der
Kirche in den verschiedenen Zeiten in aller Deutlichkeit wider. Jugendzeit
und Mannesalter der Kirche, Flut und Ebbe, welche das Leben und Wirken
der Kirche im Laufe der Jahrhunderte infolge der mannigfaltigsten inneren
und äußeren Einflüsse erfuhren, haben ihre Spuren auch der Kultkleidung
aufgedrückt.
Allerdings darfauch der Einfluß außerkirchlicher Faktoren in dem Entwick-
lungsprozeß der liturgischen Gewandung keineswegs verkannt werden. ZAvischen
der Kirche, die für die Menschen da ist und aus Menschen besteht, und der
Welt, in deren Strom sie sich bewegt und wirkt, gibt es ja mancherlei Be-
rührungspunkte und wechselseitige Beziehungen. Die Geschichte der einzelnen
Gewänder bietet in der Tat mehr als einen Beleg für die Einwirkung, welche
die äußeren Verhältnisse auf Ausgestaltung der liturgischen Tracht nach Form,
Stoff und Verzierung ausübten. Allein welcher Art dieselbe auch war und
in welchem Maße sie sich geltend machte, immer bleibt dabei wahr, daß wie
die Zeremonien, welche die gottesdienstlichen Verrichtungen als ebensoviele
Variationen ihres einen großen Grundgedankens umspielen, so in gleicher
Weise die Gewandung der Diener des Heiligtums zuletzt das eigenste Werk
der Braut Christi auf Erden ist. Wenn aber die Kirche jenen eine besondere
Kleidung gab, wenn sie diese Kleidung durch ihren Segen heiligte, wenn sie
wollte, daß die Sakralgewandung rein und geziemend ausgeschmückt sei, so
geschah alles das in der Absicht, die Liturgen am Altare auch in ihrem
Äußern über die Sphäre des alltäglichen, gewöhnlichen Lebens zu erheben und mit
einem Glänze auszustatten, welcher den inneren Wert der göttlichen Geheim-
nisse, ihre Würde und Erhabenheit zwar nimmer voll zum Ausdruck zu bringen
vermag, aber immerhin einigermaßen sinnfällig in die Erscheinung treten läßt.
Schließen wir mit den begeisterten Worten, in denen Jesus Ben Sirach
(Kap. 50, Vers 8 — 11) den Hohenpriester Simon, des Onias Sohn, im Glanz
seiner pontifikalen Kleidung schildert, „Wie der Regenbogen glänzet zwischen
herrlichen Wolken", so sagt er, „wie blühende Rosen in den Tagen des
Die liturgische Gewandung in ihrer Gesamtentwicklung.
785
Frühlings, wie Lilien an Wasserbächen, wie duftende Weihrauchstauden in
den Tagen des Sommers, wie leuchtendes Feuer und im Feuer entzündeter
Weihrauch, wie ein Gefäß von gediegenem Gold mit allerlei kostbaren Steinen
geziert, wie ein fruchtbarer Ölbaum, wie eine in die Höhe aufsteigende
Cypresse, so war er, wenn er das Ehrenkleid anzog und mit allem Schmuck
bekleidet war."
Es muß in der Tat ein herrlicher Anblick gewesen sein, wenn der Hobe-
priester, umgeben von einer Schar weiß gekleideter Priester und Leviten, in
der von Moses auf Geheiß des Herrn angeordneten Prachtgewandung ins
Heilige einzog, um dort am Opferaltar als Mittler zwischen Gott und dem
Volke der Auserwählung seines erhabenen Amtes zu walten, bekleidet mit der
bis auf die Füße herabwallenden, weißglänzenden, mit buntfarbigem Gürtel
geschürzten Kethonet, darüber die blaupurpurne, am Saum mit purpurnen und
scharlachnen Granatäpfeln und goldenen Schellchen besetzte Obertunika, auf
dem Oberkörper den vierfarbigen, mit Gold reich durchwirkten Ephod, auf
jeder Schulter in goldener Fassung einen kostbaren Edelstein mit den Namen
von sechs Söhnen Israels, vor der Brust das goldstrahlende Rationale mit
seinen zwölf Edelsteinen und seinen Ketten aus lauterem Golde, auf dem Haupte
endlich die weißglänzende Mitra mit der goldenen Stirnplatte. Und doch, ob
nicht der gottbegeisterte Erguß des Sohnes Sirachs in ungleich höherem Maße
und mit weit größerem Recht von dem christlichen Hohenpriester, dem Bischöfe,
gilt, wenn dieser inmitten seines Klerus, alle geschmückt mit auserlesener
heiliger Kleidung, er selbst sogar an Hand und Fuß strahlend, zur Opferstätte
des Neuen Bundes schreitet, um dort gemäß des Erlösers letztem Willen das
Gedächtnis an die wunderbare Opfertat auf Golgatha feierlich zu begehen und
dabei zugleich als Stellvertreter Christi und im Namen der Kirche statt der
Vorbilder und der Schatten von einst, die erhabenste Wirklichkeit, das Lamm,
das am Kreuz sein Leben zum Heil der Welt hingab, auf geheimnisvolle, un-
blutige Weise dem Allerhöchsten von neuem für das ganze gläubige Volk dar-
zubringen als würdigstes Lob-, heiligstes Dank-, gnadenvollstes Bitt- und
kräftigstes Sühnopfer ?
Braun, Die liturgische Gewandung.
50
I. VERZEICHNIS
DER BESPROCHENEN ALTEN GEWÄNDER
Aachen (Münster) : Hand-
schuhe 362 ; Kasel 220 ; Ma-
nipel 542 ; Pluvialschüeßen
324; Stola 599.
Admont: Mitra 481.
Altenburg (Tirol): Kasel 188.
Ambazac : Dalmatik 269.
Amiens (Stadtbiblioth.) : Hand-
schuh 370; Mitra 479.
Anagni (Kathedrale): Dalma-
tiken 271 272; Kasel 225:
Manipel 541 ; Mitren 467
468;Pluviale272 34l; Stola
598; Tunicella 272.
Andechs: Cingulum 110; Ma-
nipel 540; Stola 599.
Arles(St-Trophime) : Cingulum
103 105; Stola 572 591;
Pallien 643.
Arlon (St-Donat): Kasel 179;
Manipel 539; Stola 592.
Arras (Kath.): Rochett 132.
Aschafl'enburg (Schloßkirche) :
Kasel 178211; (Stiftskirche) :
Stola 572 591 597.
Ascoli (Kath): Pluviale 339.
Assisi (S. Chiara) : Albe 77
82 87.
Augsburg (Dommuseum) : Cin-
gulum 110 111; Kasein 178
211; (St Ulrich) : Dalmatik
269; Kasel 178.
Avignon (St-Pierre) : Dalmatik
280.
Bagnoreo (Collegio delle Mis-
sioni) : Mitra 476.
Bamberg (Dom) : Kasein 178
185 225 227 228: Mantel
230; Mitra 468; Rationale
680 688; (St Michael) : Kasel
468; Mitra 468.
Barcelona (Kath.) : Mitra 468.
Bayeux (Kath.) : Kasel 174 211;
Manipel 539: Stola 598.
Beauvais ( Museum ) : Mitra467 ;
(Privatbesitz): Dalmatik 277.
Berlin (k. Kunstgewerbe-Mu-
seum) : Albenparura 87 ; Dal-
matik 276 282 ; Kasein 207 :
Kaselkreuze 218 221; Ma-
nipel 539; Mitren 481; Plu-
vialschließe 326 ; Sandalen
414.
Bern (Hist. Museum) : Dal-
matiken 275 277 279 280:
Kasein 187; Pluviale 333;
Stola 599; Tunicellen 290 293.
Besancon (Kath.): Kasel 193;
Mitra 478.
Billerbeck: Kasel 207.
Bi ville: Kasel 180 187; Stola598.
Bologna (Dom): Mitren 438
476; (Museo civico): Plu-
viale 344.
Brandenburg (Dom) : Albe 77
87 : Dalmatiken 275 277 280 ;
Kasein 188 ; Tunicellen 290.
Braunschweig (Herz.Museum):
Dalmatik 270; Kasein 188;
Mantel 225.
Brauweiler: Kasel 178 211.
Briennon : Kasel 187.
Brignoles ( Var.): Dalmatik 277 ;
Handschuhe 369 ; Mitra 479.
Brixen (Dom) : Handschuhe 370
375 376 : Kasein 1 74 : Mitren
468 480; Sandalen 412.
Brüssel (Must5eCinquant.) : Plu-
vialbesatz 334; Sandalen 403.
CJahors (Kath.) : Handschuh-
plättchen 375.
Capua (Dom): Mitra 43S 468.
Castel S. Elia: Alben 75 ; Dal-
matiken (Tunicellen) 276 :
Kasein 180 188 193 f 216:
Mitren 468; Sandalen 402.
Chälons-sur- Marne (Kath.) :
Sandale 403; Mitra 479.
Chelles: Sandalen 403.
Cividale (Dom) : Mitra 438 476.
Comminges (St-Bertrand): Albe
77 ; Handschuhe 370 376 :
Mitra 467; Pluviale 342:
Sandalen 412.
Conflens : Handschuhe 370.
Courtrai(St-Michel): Kasel 179.
Danzig (St Marien) : Alben
76 82 87 ; Albenparuren 87 ;
Amikt 36 ; Amiktparuren 38 ;
Cingula 108 112; Dalmatiken
270 275 ; Dalmatikfliigel 277
278; Kasein 188 215 216:
Manipel 541 ; Pluvialien 333:
Stolen592599;Tunicellen293.
Darmstadt (Museum): Pluvial-
schließe H36.
Delkhofen: Kasel 207.
Delsberg: Caligae 401; San-
dalen 395.
Deutz: Kasel 178.
Dokkum : Kasel 174.
Durham (Kath.): Cingulum 110;
Manipel 532; Stola 596.
Düsseldorf (Kunstgewerbe-Mu-
seum) : Epigonation 551 ;
Stola, arm. 603; Stola, griech.
607 ; Tunika, arm. 95.
Eichstätt (Dom) : Albe 77 87 ;
Amikt 36: Kasel 188: Ra-
tionale 688: (Bischöfl. Pa-
lais) : Kasel 207 : (St Wal-
burga) : Kasel 188.
Einsiedeln: Kasel 192.
Elten: Pluvialschließe 323.
Essen: Pluvialschließe 323.
1 Aufgenommen sind in das Verzeichnis nur solche Gewänder, die noch vorhanden
sind, nicht aber solche, über die nur noch Berichte vorliegen, die jedoch inzwischen zu
Grunde gegangen sind. Über die mittelalterlichen Paramente, welche sich unter den in der
Kapelle Sancta sanctorum durch P. Grisar wiederaufgefundenen Schätzen befinden sollen,
vermochte ich keine Auskunft zu erhalten, wie sie für diese Arbeit notwendig gewesen wäre.
Sie blieben deshalb unberücksichtigt. Die mir von dem Entdecker freundlichst angebotenen
Klischees verschiedener hochinteressanter Textilien des Schatzes mußte ich leider mit herz-
lichstem Dank ablehnen, teils weil der Druck der Arbeit bereits zu weit fortgeschritten war,
als daß ich sie noch hätte erwarten können, teils weil es sich nicht um eigentliche Gewand-
reste handelte.
50*.
788
I. Verzeichnis der besprochenen alten Gewänder.
Evreux (Museum) : Mitra 478.
Exaeten (Canisius-Kolleg): Kä-
se] 191.
Ferentino (Kath ) : Mitra 468. j
Florenz (Museo degli Arrazzi):
Dalmatik 280 ; (Opera del I
Duomo): Kasel 192 233;
(S. Trinitä): Handschuh 369
376; KaseilSO; Mitra 467.
Frankfurt a. M. (Dom) : Plu-
vialschließe 326 : (Roth- !
schildmuseum) : Pluvial-
schließen 326 ; (Stadt. Histor. '
Museum) : Sandalen 414.
Freiburg (Münster) : Hand-
schuhe 372; Mitren 485;
Sandalen 414.
Goß : Albe 90 : Dalmatik 272
273; Kasel 179 232: Plu- !
viale 338; Tunicella 293.
Gran (Dom) : Mitra 483.
Grottaferrata: Omophorion 671.
Halberstadt (Dom): Amikt 36:
Amiktparura 37; Caligae 41 1 ;
Cingula 107 108; Dalma-
tiken 270 271 275 280:
Handschuhe 370 876: Ka-
sein 185 188 193 202 222
225; Manipel 541; Mitren
468 480 481 : Pluvialien 333;
Sandalen 412 413; Stolen
592 597 599 ; Tunicellen 290.
Hamont : Pluvialschließe 325.
Hannover (Provinzialmuseum):
Alben 77 89.
Herford (Johanniskirche): Plu-
vialschließe 326.
Hildesheim (Dom): Kasel 178;
Sandalen 402; (St Gode-
hard): Kasel 178 225; San-
dalen 414.
Husaby: Kasel 203.
Iburg: Kasel 178.
Kamp (Niederrhein) : Hand-
schuhe 372; Mitra 484.
Kempen: Pluvialschließe 323.
Kendenich: Kasel 207.
Köln (Dom): Kasel 234; Mi-
tren485; (Sammlung Schnüt-
gen): Kasel 179; (St An-
dreas): Kasel 599; Manipel
541; Stola 599; (St Maria
Himmelfahrtskirche) : Kasel
222; (St Ursula): Pluvial-
schließe 325.
Kopenhagen (Nationalmuse-
um): Mitra 480; Sandalen
412.
Krakau (Domi: Kasel 219;
Mitra 481; Rationale 685
692.
Kremsbrücken: Dalmatik 282.
Tjausanne (Museum): Sandale
403.
Limburg (Dom): Mitra 483.
Limerick (Kathedrale) : Mitra
480.
Lisieux (Hospiz): Albe 74 88;
Dalmatiken 275.
London (Corpus Christ House) :
Pluviale 343; (Kensington
Museum):Albe 77 88;Manipel
540; Mitra 482; Pluvialien
340 341; Stolen 599.
Louannec: Kasel 180.
Lyon (Kathedrale): Mitren 467
478.
Maastricht (Liebfrauen): Tu-
nika 261.
Madrid (Museum) : Pluviale
340.
Mailand (S. Ambrogio) : Dal-
matik 261; Kasel 190 218.
Mainz (St Stephan): Kasel 178
183.
Marienberg: Kasel 179 232;
Stola 597.
Martinsberg: Kasel 179 230.
Maubeuge: Kasel 180.
Melk: Kasel 179 216.
Mochenwangen: Kasel 207.
Mondovi (Kathedrale): Caligae
411; Sandalen 413.
Mons (St- Nicolas) : Pluviale
334.
Monza (Dom): Mitren 467.
Moskau : Mitren 492 ; Omopho-
rien 672; Sakkos 305.
Moutiers (Kathedrale) : Hand-
schuhe 377.
Moyen-Moutier: Dalmatik 260.
München (Liebfrauen) : Kasel
179; Mitra 468; (National-
museum) : Albe 77 78; Hand-
schuhe 372: Kasein 178 189
211: Pluvialschließe 326;
Rationale 691; Tunika 230.
Münster (Diözesanmuseum) :
Kasein 174 183 207; San-
dalen 414.
BJamur (Kloster U. L. Frau) :
Manipel 538; Mitren 468.
Narni (Dom): Handschuhe 377.
Neresheim (Schloßkirche) :
Albe 77: Amikt 36.
Niederaltaich: Cingulum 109
112; Kasel 178; Sandale
402.
Nürnberg (Germ. Museum) :
Kasel 207; Mitra 468.
Oberwesel (Stiftskirche) : Dal-
matik 282.
Ofen (Kronschatz): Kasel 179
229.
Oppenweiler (Schloßkapelle) :
Kasel 207.
Orvieto (Opera del Duomo):
Dalmatik 280.
Osnabrück (Dom) : Pluvial-
besatz 334.
Oxford (Maria Magdalena-Kol-
leg): Caligae 411: Sandalen
412; (New College): Hand-
schuhe 377 380;"Mitia 480.
Paderborn (Bußdorfkirche) :
Kasel 178 211: (DonO: Plu-
vialschließe 325; Rationale
677 687.
Paris (Cluny-Museum) : Caligae
411; Handschuh 370; Mitren
478 479; Sandalen 403 414:
(Sammlung Hochon) : Plu-
vialschild 332.
Perugia (Universität): Plu-
viale 334.
Petersburg (k. Zeichenschule):
Pluvialschließe 326.
Pienza (Kathedrale): Pluviale
346.
Pisa (Museo civico): Pluviale
344.
Pleasington: Pluviale 346.
Pontigny: Manipel 539; Mitra
467; Sandalen 403 ;Stola597.
Prag (Dom) : Albenparuren 88
89: Handschuh 370 375 378:
Kasel 208; Mitren 480 485;
(Goldschmiedegilde) : Mitra
438.
Provins: Kasel 180 211; Ma-
nipel 539; Stola 597.
Raab (Dom): Mitra 483.
Ratzeburg (Dom) : Alben 77 87.
Ravenna (Dom): Kasel 174
225; (Museo civico): Mitra
476.
Regensburg (Alte Kapelle):
Dalmatiken 269 280; Kasein
188; Tunicellen 290 293;
(Dom) : Kasel 179: Rationale
690; (St Emmeram): Kasel
178 211; Mitra 438 468.
Reims (Kathedrale) : Kasein
212.
Rivadeo: Sandalen 403.
Robecco (Sammlung Visconti) :
Kasein 203 216.
Rom (S. Giovanni): Pluviale
346; (S. Maria Maggiore):
Dalmatiken 281 ; Kasein 190
218; Manipel 542; (S. Mar-
tino ai Monti): Mitra 438
477; Sandalen 395; (St Pe-
ter): Sakkos 304; (S. Pietro
in Vincoli): Mitra 476; (Va-
tikan, Museo cristiano): Mi-
tra 476.
Rostock (Museum): Amikt 36.
Salzburg (Dom): Mitren 468;
(St Peter): Cingula 109; Ka-
sel 179; Mitra 482.
Saragossa (Kathedrale) : Mitra
478.
Sens (Kathedrale) : Albe 73 87 ;
Albenparuren 88; Amikt-
parura 37; Cingulum 106
II. Übersicht über die dem Werke zu Grunde liegenden monument. u. schriftl. Quellen. 789
107 111; Dalmatik 474 475:
Kasein 174 180 211: Mani-
pel 538; Mitren 467; Stolen
547 598.
Siegburg: Pallien 643.
Siena (Dom): Kasel 192 233;
(Opera del Duomo) : Kasel
187; Manipel 541.
Sigmaringen (Hohenzoll. Mu-
seum): Pluvialschliefie 326.
Spalato (Dom) : Handschuh-
stulpen 372.
Speier (Dom): Haudschuh-
scheibchen 369 376.
St-Gildas-de-Ruis: Mitra 438.
St-Hubert: Stola 591 596.
St-Lizier-de-Conserans: Mitra
467.
St-Maximin: Pluviale 340.
St Paul (Kärnten): Kasel 179
230; Pluviale 318 319 338.
St - Rambert -sur- Loire: Kasel
180.
Steeple-Aston: Pluviale 343.
Stockholm (Nationalmuseum) :
Mitra 479.
Strasburg (Sammlung Forrer) :
Kasel 203.
Strengnäs (Kathedrale) : San-
dale 412.
Stuttgart (Altertumssamm-
lung): Kasel 207.
Taben: Dalmatik 261.
Toledo (Kathedrale) : Mitra
478; Pluviale 346.
Tongern : Pluvialschließen324.
Toul (St-Gengoul): Sandale395.
Toulouse (St-Sernin): Hand-
schuhe 375; Kasein 180 187
216; Mitra 438.
Tournai (Kathedrale) : Kasel
179.
Trier (Dommuseum): Hand-
schuhscheibchen 376; Kasel-
fragmente225; Manipel536;
Palliumfragmente 643; San-
dale 402 403 415 f; Stola
592 598; (Liebfrauen) : Stola
592 598.
Troyes (Kathedrale): Hand-
schubscheibchen 376: Ma-
nipel 539.
Utrecht (Jansen. Ordinariat):
Albe 73 81; Manipel 535;
Stola 591 596.
Valencia: Kasel 183 187 188.
Valsainte: Albe 77 88; Amikt
37; Manipel 540; Stola 598.
Venedig (S. Marco): Kasein
183 218.
Verona (S. Zeno) : Mitra 438
461 468.
Vieh (Museo episcopal) : Mi-
tren 468 477; Pluviale
346.
Villingen: Pluvialschliefie 326.
Viterbo (Dom): Albe 77.
Vreden: Dalmatik 280.
Waldsee: Superpelliceuml48.
Westeris (Kathedrale) : Mitra
479.
Wien (Hofburg) : Caligae 401 ;
Cingulum 109; Dalmatik 273
274: Kasel 232; Pluvialien
346; Sandalen404; Tuniceila
293 ; (Museum für Kunst und
Industrie) : Albenparuren 87 ;
Mitra 481.
Worms (Museum ) : Sandalen
402.
Würzburg (Dom) : Handschuhe
372; Kasein 178 230; Mitra
482; Sandalen 414; (Histor.
Verein) : Sandalen 414.
Xanten (Dom) : Albenparura
87 : Dalmatiken 278 280 ; Ka-
sein 178 193 211; Manipel
541; Pluvialien 334; Stola
599; Tunicellen 293.
Zürich (Landesmuseum) : Ka-
sein 207.
II. ÜBERSICHT ÜBER DIE DEM WERK ZU GRUNDE
LIEGENDEN MONUMENTALEN UND SCHRIFTLICHEN
QUELLEN1.
A. MONUMENTE.
Elfenbeinarbeiten 62 167 169
170 174 176 177 209 236
266 268 284 300 305 312
423 435 465 517 532 545
559 646 652 660 669 679
688.
trlasgemälde 681.
Goldgläser 611 612 655.
Grabmonumente 41 42 43 54 90
112 190 193 215 216 241
242 357 401 413 414 417
418 462 465 466 491 500
501 502 503 504 505 509
512 514 536 586 649 651
680 681 688 690 693.
Katakombenfresken 63 72 159
305 312 313
314 316 31S
173 241 251 254 258 259
355 367 395
435 448 450
260 388 392 423 435 559
459 460 461
462 463 465
649 658 660 756 760.
466 490 492
501 522 532
533 536 543
544 546 552
Metallarbeiten 62 73 262 263
553 559 582
583 584 585
268 284 305 351 366 423
587 588 593
601 606 615
435 459 463 465 466 501
646 648 660
669 670 673
502 503 505 521 552 585
679 681 682
756 758.
646 684 698.
Mosaiken 43 57
72 90 146 158
Miniaturen 27 50 62 73 97
159 173 174
175 192 209
99 101 106 114 116 141 145
218 235 242
252 254 258
167 169 170 174 176 177
259 260 265
266 267 303
209 210 213 236 237 238
304 348 351
387 388 389
239 242 255 262 263 265
392 393 417
423 435 501
266 267 268 289 294 302
502 503 552
559 576 585
1 Die beiden nachfolgenden Verzeichnisse bezwecken bloß, eine Übersicht über die
benutzten Quellen zu ermöglichen. Einzeln angeführt wurden außer den römischen Ordines
nur die Autoren. Einen detaillierten Nachweis auch für die Monumente, Konzilien, Bullen,
Sakramentare, Inventare und ähnliches zu geben, wie anfänglich beabsichtigt war, zeigte sich
leider als schlechthin untunlich, da solches zu viele Seiten in Anspruch genommen haben
würde. Die bei den betreffenden Stichworten vermerkten Zahlen bezeichnen daher nur die
Seiten, auf denen überhaupt Monumente, Konzilien usw. erwähnt werden.
790 IL Übersicht über die dem Werke zu Grunde liegenden monument. u. schriftl. Quellen.
611 612 613 626 643 644
645 646 756 758.
Münzen 463 497 499.
Siegel 34 263 367 435 450
451 457 461 463 464 465
466 648 680 682 683 684
685 690 691 692 698.
Skulpturen 43 45 46 53 70
140 216 240 241 242 243
300 348 367 369 417 462
466 501 502 503 577 586
587 619 659 681 683 698.
Tafelgemälde 54 55 111 145
148 278 304 436 502 561 64S.
Wandgemälde 43 54 55 90
111 112 133 144 146 158
175 266 274 275 304 353
354 450 459 500 501 502
509 536 544 588 626 645
646 649 669 674 756.
B. SCHRIFTLICHE QUELLEN.
Abälard 535.
Absalom von Lund 137.
Acta s. Chroniken.
Adalhard von Corbie 383.
Adam von Bremen 287.
— Prämonstr. 137.
Adamanus 731.
Ademar von Chavannes 318.
Admonitio synodalis (Synodal-
ermahnung) 26 61 102 155
391 520 566 582.
Aelfrik 445 519.
Agnellus 308 386 577 635 641
653.
Aldhelmus 428.
Alkuin 307 582.
Amalar 26 29 61 72 102 155
163 166 167 169 283 284
291 363 391 392 393 394
433 441 518 520 521 531
555 566 575 578 579 580
586 589 641 703 706 711
713 714 716 718 721 722
724 725 743.
Ambrosius 426 564 762.
Ammianus Marcellinus 439.
Ammonius von Alexandrien
564.
Amru 50.
Andreas Praeval. 440.
Ansegisus 383.
Anselm von Havelberg 137 143.
Apostol. Konstitutionen 614.
Arabisch- nicänische Kanones
116.
Arno von Reichersberg 137
143.
Arnulf von Luxeuil 351.
Arsenius von Elas. 491.
Artemidor 245.
Asterius von Amasea 13.
Athanasius 95 440.
Athelstan 443.
Augustinus 70 1 57 564 720 762.
Auslegung des Amts der hei-
ligen Messe 186.
Bar Abgar Johannes, nestor.
Patr. 774.
Barhebräus 50.
Balsamon 100 237 302 490
494 551 565 608.
Beda Venerab. 389 390 393
440 444 497 721.
Beleth loan. 118 425 548 706
711 713 731.
Benedict. Anian. 388 389.
Benedikt Levita 391 762 764.
Benzo von Alba 504.
Bernhard von Clairvaux 122
369 449 454.
Beroldus 60 291 449 733.
Berthold von Chiemsee 704.
— von Regensburg 155 186
705 719.
Blastares 565.
Bonifatius 156 427 627 629.
Bonizo von Sutri 455.
Braulio 440.
Bromyard 588.
Brulefer Steph. 727.
Bruno von Köln 311.
— von Segni 29 118 291 297
366 378 384 396 429 449
458 544 567 583 588 646
651 711 715 719 720 723
730.
Buch der Väter 50 494 605 709.
Bullen uud Papstbriefe 121
122 128 135 136 143 144
146 147 251 252 256 257
286 356 365 367 380 385
398 399 408 419 427 428
447 448 449 452 453 454
455 456 457 511 527 620
621 625 626 627 628 629
630 631 633 634 635 636
637 638 639 640 641 642
644 668 677 678 682 683
684 685 696.
Burchard von Straßburg 30.
Caeremoniale episc. 124 128
165 171 200 247 289 290
297 306 307 360 384 429
440 516 517 563 621 740
742.
Cäremonialien s. Ritualien.
Carta Cornutiana 757.
Cäsar 426.
Cassian 157 245 301.
Cellini Benv. 507.
Chrodegang 160 307.
Chronicon paschale 287 245.
Chroniken: Gesta, Acta, Hi-
storiae 33 80 81 118 119
122 131 136 138 140 153
154 155 168 201 213 214
253 287 291 292 293 296
308 311 316 318 327 329
351 364 379 386 388 390
396 425 427 457 493 510
511 519 534 538 564 571
633 682 686.
Cicero 244 426 427.
Constitutum Constantini 352
387 496 527 624.
Consuetudinare s. Mönchs-
regeln.
Corpus iur. can. 431 621 628.
— iur. civ. 426.
Cyrillus von Jerusalem 614.
Decreta authentica 728 729
748 760.
Demetrius Chomatenus 237
303 753.
Diokletian (Maximaltarif) 244
300 301 388 565.
Dionysius Exiguus 620 774.
Dorotheus 301.
Dunstan St 314.
Burandus 30 32 55 83 102 118
138 139 164 166 169 171
173 287 400 429 472 486
520 544 546 547 548 567
586 588 610 646 650 706
712 713 719 720 723 725
740.
Eadmerus 316 633.
Ebedjesu 50.
Eberhard von Bamberg 352.
Ebroin von Bourges 441.
Ekkehard IV. 287 293 311.
Ennodius 440.
Epiktet 245.
Epiphanius 488.
Eucherius von Lyon 243 247.
Eusebius von Cäsarea 95 302
488 564 761 768.
Eustratius 666 668.
Ferrandus Fulgentius 574.
Festus 426.
Flavius Josephus 424 765.
- Vopiscus 564.
Flodoard 427 571 633.
Florianus abb. 440.
Florus von Lyon 703.
Folcuin 311. '
Gabriel Biel 704.
- kopt. Patr. 51 99 783.
GallikanischeMeßerklärung 25
60 67 103 152 156 253 362
565 572 702 731.
Georg von Arbela 50.
Gerhoh von Reichersberg 131
143 352.
II. Übersicht über die dem Werke zu Grunde liegenden mouument. u. schriftl. Quellen. 791
Gerland Job. 139 153.
Gesetze s. Kapitulare.
Gesta s. Chroniken.
Gilbert von Linierick 27 121
131 141 164 285 366 397
449 520 548 764.
Grandisson, Bischof von Exeter
743 744 745 746 747 748
752.
Gregor von Antivari 137.
- d. Gr. 153 250 251 254 283
386 526 528 626 627 629
631 632 637 638 640 642
644 654.
— von Nazianz 95 488.
- von Tours 156 284 307 564
731 755.
Gualterus Cancell. 136.
Helgaud 227 311.
Herard von Tours 391 444.
Heribertus monach. cisterc.
122.
— de Boseham 584.
Hermannus Contractus 396.
Hieronymus 47 66 247 425
440 508 564 654 755 762
765 767 771.
Hildebert von Le Mans 441.
Hildward von Halberstadt 678.
Hinkmar von Reims 445 633.
Hippolytus (Kanones) 757 770.
Holen Gottschalk 741.
Honorius 29 32 118 131 141
166 174 285 287 288 295
315 366 369 396 400 425
426 429 449 495 510 518
523 531 547 586 588 610
641 678 698 711 719 723
726 730.
Hraban 26 29 61 72 102 155
363 391 394 432 517 519
520 563 566 567 574 578
579 641 650 702 711 713
714 716 718 721 724 725.
Hugo, Erzb. von Benevent 498.
— Metellus 137.
- von Pateshull 734.
Ibn 'Assal 96 754.
Ibn Sabaa 10 52.
Innozenz III. 28 32 53 55 83
118 171 285 366 374 382
396 400 454 457 458 493
520 531 544 546 548 567
588 641 646 650 651 705
719 720 723 724 729 742
750 751.
Inventare 26 30 31 32 36 39
40 41 42 55 60 61 69 79
80 81 82 84 85 86 90 106
113 114 119 121 127 153
154 201 202 227 264 265
278 279 283 286 287 288
289 291 292 296 307 308
310 311 321 322 327 330
331 335 336 338 359 363
364 378 418 473 474 517
518 519 533 534 537 560
566 567 568 569 592 593
594 651 683 692 734 737
741 742 744 745 746 748.
Irenäus 65.
Isaak, arm. Katholikos 50 98
239 493 774.
Isidor von Pelusium 605 613
666 667 668 669 701.
- von Sevilla 122 154 243
252 253 301 307 363 425
564 573 624 702.
laTopia i/.y.Xrimaarixri 96 603
707 758 777.
Itinerarium Hierosolymit. 252.
Ivo von Chartres 29 32 285
291 366 391 396 400 449
544 547 563 588 633 678
698 700 711 714 716 721
730.
Johannes von Avranches 27 29
69 138 164 166 269 291 520.
— Balbis 122.
— von Bayon 119.
- Chrysostomus 96 247.
— Cluniac. 584.
- Diakonus 104 157 158 527
644 645 775.
- Longus 364 438.
— von Ravenna 526.
— von Salisbury 121.
Julius Pollux 245.
Justinus 65.
Kapitulare, Gesetze 126 131
138 139 363 383 390 391
581.
Karl d. Gr. 120.
Klemens von Alexandrien 758
770.
Kodinus 673 754.
Konrad von Mainz 452.
Konzilien, Synodalstatuten 27
42 44 58 60 66 72 78 90 103
104 112 118120121 126 127
128 129 180 132 137 138
139 146 147 153 154 155
160 191 19S 217 253 284
289 297 307 308 352 355
357 358 369 380 390 425
510 511 512 513 523 585
542 543 547 561 565 566
567 568 569 570 571 572
573 581 582 595 600 604
614 628 633 666 667 668
675 703 734 735 739 740
742 743 744 745 746 747
748 752 753 755 757 764
769 773.
Iiampridius 244.
Lanfrank 69 314 315 316 522
545 549.
Leo Grammat. 673.
— von Ostia 122 131.
Leodebod von Aniane 350 390.
Liber diurnus 631 640 641.
— Pontiflcalis 65 68 79 111
238 249 301 385 424 444
496 498 499 523 524 526
574 575 624 625 631 640
761 768 773.
Liberatus 639 644 666 668 670.
Liturgische Bücher der Orient.
Riten 94 98 117 237 239
550 601 603 709 710.
Liutprand von Cremona 639
666.
Livius 426.
Lucanus 426.
Lydus 237 245 422.
Lyndwoode 127.
Marcellus Christoph. 55.
Marculfus 440.
Martial 122 244.
Martin von Braga 767.
Menander 237 245.
Mefserklärung, deutsche, ge-
reimte 705 711.
Micrologus 164.
Missale rom. 22 125 150 165
248 306 385 517 728.
Missalien s. Sakramentare.
Mönchsregeln, Consuetudinare,
Statuten von Orden, Kathe-
dral- und Stiftskirchen 47
61 69 128 137 140 143
144 147 153 160 166 201
286 296 307 313 314 315
316 329 354 355 356 363
381 383 388 389 425 439
511 522 535 545 560 564
567 573 583 693 731 735
738 740 741 742 743 744
745 746 763.
Moschos 158 666.
Muartx)) t'/swpia s. Pseudo-Ger-
manus.
Jfagoldus 309 584.
Nebridius von Mündelheim 136.
Nerses von Lampron 50 98 99
239 550 551 606 774.
Nicephorus von Konstantinopel
96 531 552 578 603.
Nicetas Paphlag. 668.
Nikolaus von Clairvaux 486.
Notker von St Gallen 519.
öbituarium der Sorbonne 287.
Odilo 427.
Optatus von Mileve 425.
Ordinäre s. Ritualien.
Ordines romani Hittorps 60 80
162 163 285 294 295 298
359 361 366 382 389 419
548 549 721.
Ordines romani Mabillons :
Ordo 1 23 28 56 61 157 161
163 167 168 171 259 283
284 296 361 432 517 520
530 543 546 567 574 578
644 743; II 161 167 263
361 441 521 546; III 26
28 56 60 61 161 171 263
361 432 517 520 546: VI
162 163 255 309 317 543
II. Übersicht über die dem Werke zu Grunde liegenden monument. u. schritt]. Quellen.
544; VIII 157 163 172 297
574 579 580 589; IX 28
297 429 497 499 521 579
580 584 589 590 617: X 295
309 317 419 732: XI 309
317 429 456 732; XII 317
351 352 429 456 472 499
633 651 732: XIII 28 4S
53 f 60 130 135 171 173
289 294 351 357 366 379
381 397 400 419 420 456
472 485 520 523 633 734
740 742 ; XIV 28 30 48 53
60 118 120 124 127 129
130 136 143 166 171 299
353 366 380 381 397 419
420 425 456 457 485 509
512 545 588 593 651 734:
XV 28 48 53 60 69 120
128 351 352 353 380 381
418 419 485 509 512 734
746.
Ordo romanus Ducbesnes 24 29
163 169 283 295 296 361
432 589 732.
Otto von Freising 457.
Palladius 116 668 669 673
772.
Papstbriefe s. Bullen.
Paschasius Lilybet. 440.
Passiones s. Vitae.
Paulinus Nol. 440 445 446.
— von Perigueux 153.
Pelagius 247.
Persius 243.
Pertinax 299.
Peter von Blois 454.
Petrus Cantor 454.
— Cellensis 699.
- Damiani 351 427 428.
— Diakonus 351.
— Malleus 642.
- Patr. von Antiochien 99
551 606.
Philotheus Patr. Const. 603 608.
Photius 666 668.
Plautus 244.
Polykrates 488 768.
Pontiflcale rom. 128 142 149
360 431 621.
Pontifikalien 28 29 60 61 68
118 119 121 129 142 143
162 170 171 172 173 285
289 294 295 298 299 314
316 359 366 380 381 382
389 419 420 421 472 486
517 518 523 545 546 549
550 566 582 588 589 590
706 712 713 714 715 716
717 718 721 722 723 725
726 740 741 745 746 762
763.
Prokop 157.
Prudentius 427 564.
Pseudo-Alkuin 26 29 105 155
163 166 295 391 434 489
517 531 559 563 567 609
641 711 713 724 732.
Pseudo-Atbanasius 754 757.
Pseudo-Basilius 754 757.
Pseudo-Beda 24 26 29 155 163
166 175 563.
Pseudo-Germanus 96 116 551
60'3 669 708.
Pseudo-Isidor 352 387 496
527 624 761 762 774.
Pseudo-Sophronius 116 551
554 666 669 708 753.
Quaestiones Vet. et Nov. Test.
249 556 558 614.
JRadulf von Bayeux 355.
Ratherius von Verona 567 583.
Ratramnus 489.
Reginald von Durhani 406 442.
Regino von Prüm 61 62 155
518 520 582.
Riculf von Soissons 26 61 103
155 201 391 518 520 566.
Rinthon 245.
Ritenkongregation, Dekrete 21
57 101 125 126 150 152 199
248 249 357 360 383 430
516 517 563.
Ritualien, Ordinäre, Cärerao-
nialien 131 141 147 172 196
285 288 294 296 314 316
318 854 355 380 381 425
733 735 740 741 742 743
744 746 752.
Robert Paululus 30 32 118
164 166 285 366 896 426
429 495 518 531 547 563
641 650 719 723 731.
Romuald von Salerno 153.
Rufinus 301 497.
Ruotgerus monach. Colon. 634.
Rupert von Deutz 29 69 164
174 175 285 307 396 400
426 520 535 641 705 711
716 718 730.
Sakramentare, Missalien 61
67 68 103 121 122 129 153
162 164 172 285 287 288
359 365 381 384 421 434
517 518 548 566 567 582
589 679 702 706 707 710
711 712 713 714 715 717
718 720 721 723 725 727
740 741 742 743 744 745
746 747 763 764.
S. Gr. K. (St Gallener Kleider-
katalog) 23 28 56 61 130
163 167 255 263 286 294
387 432 519 545 546 548
574 579 580 584 586 723
777 778.
Seneca 427.
SermoXIV 131 153 548 714.
Servius Honoratus 426 624.
Severian von Gabala 605 708.
Sieard von Cremona 30 32 118
131 136 137 143 171 285
287 291 299 366 369 382
396 400 425 426 429 458
493 495 518 520 531 545
548 549 567 583 610 646
698 705 726 730.
Sidonius 440.
Siegfried von Mainz 452.
Sigehard monach. Trev. 625.
Simeon von Saloniki 96 100
116 117 237 239 303 490
494 554 565 603 607 60S
667 669 708 754 764.
Simokattes 237 245.
Speculum de myst. eccl. 153
264 269 291 366 396 400
449 458 547 563 711 719
720 731.
Statuten von Orden und Stifts-
kirchen s. Mönchsregeln.
Stephan von Tournai 136 137.
Sueton 244.
Suger von St-Denis 499.
Suidas 616.
Sulpicius Severus 67 152.
Symmachus 251.
Synodalstatuten s. Konzilien.
Tacitus 244.
Tertullian 65 244 247 426 445
657.
Testamentum D. N. I. Christi
604 614 615 757.
Thegan 120 519.
Theodemar von Monte Cassino
307.
Theodor von Canterbury 369
389.
- Lector 666 668.
- von Trimithus 497 772.
Theodoret 758 761.
Theodosius d. Gr. 245 301 619
656 664.
— monach. 386.
- von Jerusalem 488.
Theodulf von Orleans 61 391
392 393 420 433.
Theophanes 497 668.
Theophylakt 122.
Thomas Cantiprat. 454.
— von Aquin 118 123.
- von Kempen 217.
Tractatus de sacr. altaris 30
285 291 299 396 449 548
549 719.
Translationes s. Vitae.
Trebellius Pollio 564.
ITlpian 244 389.
ürban V. 129.
Varro 244 624.
Venantius Fortunatus 153 440
755.
Viktor von Karthago 675.
Vincentius von Lerin 440.
Virgil 426.
Vitae, Translationes, Passiones
26 67 68 103 104 120 122
137 142 153 156 157 158
III. Sachregister.
793
162 190 198 227 245 250
251 253 284 307 309 313
317 361 362 363 385 386
389 406 426 427 428 442
443 444 445 446 456 499
530 564 566 573 583 584
613 625 634 666 675 682
686 698 731 755 773.
Walafried Strabo 26 61 102
155 363 391 433 517 520
567 774 776.
Wilhelm von Malmesbury 136
140.
Willegis von Mainz 819 428
510.
William de Chambre 129.
Wipert von Toul 566.
III. SACHREGISTER.
Abnet 766.
Alba im gallikanischen und
spanischen Ritus 67 252 ;
albaromana59; = Rochettl28.
alba = Tunicella 288.
Albe: in der Gegenwart 57 f;
Namen 59 f ; in karolingi-
scher Zeit 61 f; in vorkaro-
lingischer Zeit 63 f ; Verwen-
dung 68 f ; im Gebrauch bei
den Mönchen 69; Form 69 f;
Stoff 78 f; Ausstattung 801.
Almucia : Alter 355 ; Form 355 f;
Verzierung 356; Name 358.
Alttestamentliche Kultklei-
dung : ihre Bestandteile 765 ;
Farbe 749; Beziehung zur
christlichen 766 f.
Amikt: nach heutigem Brauch
21 f ; Tragweise nach Lyo-
ner Brauch 22 28 ; nach
Mailänder Brauch 22 28;
im Ritus der Subdiakonats-
weihe 23 30; Alter im rö-
mischen Ritus 23 f ; Alter
außerhalb Roms 24 f ; Trag-
weise nach mittelalterlichem
Brauch 28 f ; über dem Ro-
chett (Superpelliceum) 28;
Form 32; Ausstattung im
Mittelalter 32 f; Stoff 43;
Ursprung 44; Namen 48.
Amiktbesatz : Beschaffenheit
33; Form 34 f; Ursprung
und Alter 35; Namen 36.
Amiktkragen nach Lyoner,
Mailänder und spanischem
Brauch 22.
amphibalus : laikaler Mantel
153; liturgischer Mantel s.
Kasel; klerikaler Mantel 153.
anabolagium (ambolagium) 23
48.
uyaßoXatov 48.
anagolagium (anagolaium) =
anabolagium.
Armeltunika 70.
aurifrisium (auriphrygium) =
Parura 36 81 ; Besatz der
Mitra 470.
aurum filatum 39.
— tractitium 39.
Balteus : Gürtel der alttest.
Priester 105; = Schwert-
koppell20; =subcinctorium
120 f.
Bänder am Amikt 22.
Barockkasel 175 196.
batraschil, Stola im koptischen
Ritus 601.
Bearbeitungen der Gesch. der
lit. Gew.: im 16. und 17.
Jahrb. 15 f; im 19.Jahrh. 17 ff.
Behänge der Mitra 459 460
471; ihre Entstehung 460.
Benediktion der liturgischen
Gewänder s. Segnung.
Bernarduskasel 198.
Beschuhung : pontifikale, in der
Gegenwart 384 f ; zu Rom
bis zum 2. Jahrtausend 385 f ;
Namen 388 ; außerhalb Roms
bis zum 2. Jahrtausend 389 f ;
Bestandteile (Schuhe und
Strümpfe) 391 f; Beschaffen
heit bis zum 2. Jahrtausend
393 f ; ein spezifisch bischöf'l.
Schmuck 396; bei den Kar-
dinälen 396 f; Verleihung an
Abte und andere Geistliche
398 f ; Beschaffenheit bis zum
14. Jahrh. 399 f; Beschaffen-
heit seit dem 14. Jahrb. 410 f;
Verwendung 419 f : Ursprung
421 f.
Bildstickereien 33 37 38 39
40 41 84 85 86 88 220 222
227—233 272 273 279 305
331 332 333—347 372 470
477—482 535 537—541 542
551 671 688.
Birett: Alter 510 f; Entwick-
lung 512 f.
biruna, Amikt der Nestorianer
50 488 494.
Borromäuskasel 198.
Brederken = Parura des
Amikts 36: der Albe 82.
burnos, Meßgewand im kopti-
schen Ritus 235.
Calceus senatorius 422 f.
Caligä (Pontifikalstrümpfe) s.
Beschuhung.
Caligae in Nadelarbeit 401;
aus Seidenstücken 402 410.
camelaucum : Kopfbedeckung
des Papstes 496 f ; profane
Kopfbedeckung 497.
camilli (Opferdiener) 557 613
615.
camisia = Albe 59 ; = Decke
79; =Rochett 126 128.
campagus. liturgischer Schuh
385 f 388 422 f.
capitium = Kopfdurchlafi der
Albe 73; = Kapuze der
Cappa 318.
Cappa cantorumSIS; choralis
308 353; clericalis 307 317:
magna 352: manicata 308;
der Mönche 307 ; professionis
329; romana 307 ; rubea 352.
— — Pluviale: nach heutigem
Gebrauch 306; Namen 307 f;
Alter 310 f; Entwicklung
ihrer Verwendung beim Got-
tesdienst 314 f; Form und
Beschaffenheit 317 f; Ka-
puze 318 f; Schild 320 f:
Schließe 321 f; Stoff 326 f;
Verzierung 329 f.
casula diptycha 16.
- Etymologie 154.
catexamitum s. examitum.
cauda der Cappa magna 353.
caudatarius 353.
chirotheca, Alter des Namens
362.
— inconsutiles 369.
Chlamys 245 656.
Chorkappe = Cappa (Pluviale).
choschen 766.
cidaris = Mitra 428.
Cingulum : in der Gegenwart
101 f; in vorkarolingischer
Zeit 102 f; seit dem 9. Jahrh.,
Form 105 f; Material 112;
Verzierung 113 f.
— in den orientalischen Riten
115; seine Geschichte 116.
circulus der Mitra 469 472.
collare s. Parura des Amikts.
collarin, spanischer Amikt-
kragen 22.
collet, colletin, Lyoner Amikt-
kragen 22.
compassus 336.
contabulatio 659.
cornua der Mitra 458 f.
Corona als Anrede 440; =
Tiara 429 485 499.
Cotta = Superpelliceum 136.
cottus (cottis), Rock 137.
cuphia = Mitra 428.
Dalmatik : nach gegenwärti-
gem Gebrauch 247 f ; Alter
249f; spezifisches Gewand des
römischen Ritus 251 f; Ver-
794
III. Sachregister.
leihung au auswärtige Bi-
schöfe und Diakone 251; als
Decke der Bahre gebraucht
254; bei den römischen Kar-
dinalpriestern 255; Verlei-
hung an Abte 256; Verlei-
hung an sonstige Priester
257; Beschaffenheit in vor-
karolingischer Zeit 258 f ;
in nachkarolingischer Zeit
261 f : im späten Mittelalter
270 f ; in der Neuzeit 280 f ;
ihre liturgische Verwendung
298 f ; ihr Gebrauch an Buß-
tagen 294 ; am Gründonners-
tag 295; bei Totenmessen
296; bei der Diakonenweihe
. 297. -
Dalmatik: Clavi 259 265;
Farbe 258 264; Flügel (sca-
pularia) 27S; Fransen 260
277 : Flöckchen 266 : Quasten
274; seitliche Schlitze 260
274 281; seitliche Aus-
schnitte 262; Stoff 259 263
270; Zierbesätze 276.
delicati (Tafeldiener) 557 613
615.
dien- (Dienst-) rock (= Tuni-
cella) 289.
Diensttuch, diakonales 556 f.
doigtier 561.
Egbertpontiflkale: Alter 519
549.
Enchirion (iy/aiptov) 124 551 f.
Endverzierung: des Cingulum
1 14; desManipels 5H3 536; der
Stola 595; des Palliums 651.
Entwicklung der liturgischen
Gewandung : in vorkonstan-
tinischer Zeit 767 f ; vom 4.
bis 9. Jahrh. 771 f; vom 9.
bis 13. Jahrh. 779 f: vom 13.
bis 20. Jahrh. 781 f.
Entwicklungsformen : des Bi-
retts 513; der Kasel 195; der
Mitra475; des Palliums 649.
ephod 653 695 766.
Epigonation: Form und Aus-
stattung 550; Charakter
(Gegenstück des Manipels)
550 560; Alter und Ab-
leitung 551 f ; zum Tragen
des Epigonation Berechtigte
553 f.
Epimanikien : Form 98 : Farbe
99; Alter und Ursprung 99 f.
i.TtiTpo.yji).wj (Epitrachelion),
griechische Priesterstola 601
603.
Etikettetuch 559.
examitum (samitum) 225.
Facistergia (facistercula) 560
561.
fano = Amikt 49; = Behang
der Mitra 459; = Fanoiie
52; — Manipel 518.
Fanone (Fano), päpstlicher Or-
nat: Beschaffenheit 52 55;
Form 52; Verwendung 53 f;
Alter 56.
Farben, liturgische: nach heu-
tigem Brauch 728 f; Alter der
liturgischen Farbenreseln
729 f; ihr Urheber 734: Ihre
frühere Mannigfaltigkeit
737 f ; Norm für die Bestim-
mung der Farben 748; Ur-
sprung der Farbenregeln
749 f ; Symbolik der ver-
schiedenen Farben 750 f ;
liturgische Farben in den
Riten des Ostens 753 f ; Weiß
als liturgische Farbe in vor-
karolingischer Zeit 754 f.
fasciae der Mitra s. Behänge.
femoralia der jüdischen Prie-
ster (michnasim) 123 766.
festa in albis 69.
flbula: der Cappa s. Pluvial-
schließe; als Verzierungs-
mittel s. Zierplättchen.
fimbriae : des Amikts, der Albe
s. Parura; der Mitra s. Be-
hänge; der Mitra, der Dal-
matik, des Manipels, der
Stola s. Fransen.
firmale (firmarium) s. Pluvial-
schließe.
flatterchen, los hangende Ver-
zierungen aus Metall 37.
Flügelrock, eine Art Super-
pelliceum 145.
Fransen (Quästchen , Glöck-
chen): des Cingulum 112;
der Dalmatik 260 266 277;
des Manipels 516 534 536;
der Mitrabehänge 429 458
472; des Pluviale 329; der
Stola 593 600; des Palliums
651.
frigium (plnygium) = tiara
497 499.
frisium (frixium) = Parura
36 81.
Fußkuß 418.
Futter der Kasel 211.
Gabelkreuzförmiger Besatz :
auf Laienkasein 209; auf
liturgischen Kasein: Alter
209; Charakter 213 f; Blüte-
zeit 215; Entartung 216;
auf den Pontifikalschuhen
401.
Gallikanische Meßerklärung:
Alter 7.
Gebetsmanteltheorie 611.
gemma s. Parura.
Girenalbe 59.
Glockenkasel: Form 180 f;
Schnitt und Herstellung 182 ;
Schlitze in den Seiten 182 f;
Schnüre zum Aufziehen 183.
Goldfaden 219; sog. cyprischer
39 219.
grammata s. Parura.
Granatapfel 206.
Gremiale 123.
Guipe (Hochstickerei in Gold
oder Silber) 223 234.
Guipuren (Spitzen) 92.
Gürtelschließe, gallische 103
105.
Halstuch, profanes: auf Monu-
menten 45 : bei den Schrift-
stellern 46.
handlin = Manipel 519.
Handschuhe: Namen 359; nach
heutigem Gebrauch 359 f ;
Alter 361 f; Verbreitung im
12. und 13. Jahrh. 366 f;
Verleihung an Nichtbischöfe
367 f; Form 369; Herstel-
lungsweise 370 f ; Stulpen
372; Verzierung 374 f; Stoff
378; Farbe 379 f; Verwen-
dung 380 f ; im Weiheritus
382; Ursprung 383.
Handvelum 554 f.
hantfane (hantfano) 518.
heubtdoech = Amikt 30.
Hörner der Mitra s. cornua.
Humerale = Amikt 21 48.
Immantatio des erwählten
Papstes 351.
infula: Bedeutung 426 f 444 f
619; = casula 153.
infulae der Mitra s. Behänge
der Mitra.
Inventare als Quelle für die
Gesch. der lit. Gew. 10.
Inschriften : arabische 205 f ;
auf dem Cingulum 113.
Isispriesterinnen 659 663.
'laropia: Alter 10 603.
Kalotte, Scheitelkäppchen
509.
V-Ame\&uk\on(-/.aßf]Xa6y.io\>) pro-
fane Kopfbedeckung 497 ;
klerikale Kopfbedeckung 50.
xd/j-ayog, profaner Standes-
schuh 422.
Kapuze: an der Kasel 176 f 188;
der Cappa 318.
Kasel (Amphibalus, Planeta) :
nach gegenwärtigem Ge-
brauch 149; planeta plicata
149; moderne Kaseltypen
1 50 f ; Namen der Kasel 152 f ;
Alter 155 f ; Gebrauch sei-
tens der Subdiakone und
Minoristen 160 f ; Gebrauch
seitens der Diakone 163 f :
Tragweise bei den Diakonen,
Subdiakonen und Minoristen
166 f ; Verwendung bei den
gottesdienstlichen Funktio-
nen 169 f; Verwendung im
Weiheritus 172 f; Form bis
zum 13. Jahrh. 173 f; Än-
derung der Form 184 f ; Ver-
Sachregister.
795
such der Wiedereinführung
der spätmittelalterlichen Ka-
selform 197 f; Stoff 152
200 f ; Verzierung 209 f; Ur-
sprung 239 f.
Kasel bei Buddhastatuen 243.
Kaselbesatztypus : nordischer
(Gabelkreuz) 212 f; italieni-
scher 217.
Kasel, gotische 198.
Kaselkreuzarten: Gabelkreuz
209 213 f; schrägarmiges
215; horizontalarmiges 216.
Kasel (Amphibalus, Planeta) :
Teil der klerikalen Tracht
153 160; der Laientracht
153 157; derMönchskleidung
153 157.
Kaseltypus: deutscher 151;
französischer 151 f; römi-
scher 150; spanischer 151.
— Verwendung bei dem prot.
Gottesdienst 197.
kethonet 766.
Klerikale Tracht 72.
Kölner Borten 221.
Kolobium 68 301.
Kolobiumförmiges Superpelli-
ceum 146.
Kopfbedeckung , liturgische :
im Abendland s. Mitra: im
Orient 487 f : im griechischen
Ritus 490 f : im syrischen
492 ; im armenischen 493 ;
im chaldäischen 494 : im
koptischen 494.
Koptische Grabfunde, Bedeu-
tung und Irrtümer in Bezug
auf dieselben 13 447 550 643.
- Verzierungen der Tunika
83 97 694.
korerock = Tunicella 289.
Kreuzchen: auf dem Manipel
516 536; den Sandalen 393
416 f: der Stola 593 f; dem
Pallium 649 f.
kuklion, Meßgewand der Kop-
ten 235.
Ijacerna 348.
lamina, Stirnplatte des jüdi-
schen Hohenpriesters 488
766.
Lederkasein 207.
Leinwand (Baumwollzeug) : als
Kaselstoff 202: bedruckte
203.
less- (leis-) rock = Tunicella
289.
Liber Pontificalis, Alter 250.
licinum, Name des Pontifikal-
strumpfes 398.
ligulae (linguae) der Mitra
s. Behänge der Mitra.
linea (tunica linea) = Albe 59:
= Tunicella 288.
lingula = Bindevorrichtung der
Albe 73.
Linnenkasein 202.
Liturgiker: der Karolingerzeit '
8f; des 11., 12. und 13.
Jahrh. 9.
Liturgische Bücher als Quelle
der Gesch. der lit. Gew. 6.
— Gewänder, alte: Irrtümer
in Bezug auf ihre Datierung
13: Quellen für die Gesch.
der lit. Gew. 12 ff
— Gewandung : Begriff 1 : Über-
sicht über ihre Bestandteile
in dem lat. Ritus 1 ; in den
orientalischen Riten 1 f.
Xwpia : Besätze der Tunika 100.
lorum = Pallium 624.
Maaphra des nestorianischen
Ritus = Kopfschleier 50 494 :
= Meßgewand 235.
macnaftä, Schultertuch des
syrischen Ritus 49 f 493.
mandyas (p.avdüaq) , Mantel
der griechischen Bischöfe
350.
manica = Handschuh 359 363 :
= Stauche 101 362.
Manipel: in der Gegen wart 5 1 5 f :
Namen 517 f : der Manipel
zu und seit der Karolinger-
zeit 520 f 531 : im Gebrauch
bei Mönchen 522: in vor-
karolingischer Zeit 523 f :
Umbildung zum Zierstreifen
531 f: Stoff und Verzierung
bis zum 13. Jahrh. 534 f :
Beschaffenheit seit dem 12.
Jahrh. 535 f ; in der Neuzeit
541 f: Tragweise in ältester
Zeit 543 : Änderung in der
Tragweise 544; liturgischer
Gebrauch 545f:Zeitpunktder
Anlegung 545 f : Verwendung
im Weiheritus 548 f : der Ma-
nipel im armenischen Ritus
550 ; Ursprung 554 f.
manipulus, Bedeutung 519.
mantile = Manipel 51 9: = Ser-
viette, Handtuch 519 558.
Mantum 351.
manuale = Manipel 519: =
Stauche 362.
mapilla 527.
mappa, Bedeutung 517 559.
Mappula = Manipel 517 520
526 f 530 f; = = Halstuch,
Schweißtuch, Baldachin 517 :
Velum 517 530.
— (mappulus) = Schabracke
526.
mappularii 317.
meil 766.
meszachel (missahachul, masse
hacele) = Kasel 155.
Meßgewand im armenischen,
syrischen, chaldäischen und
koptischen Ritus 235 239.
Methode in der Behandlung
der Gesch. der lit. Gew. 4.
michnasim 766.
migba'ah 424 766.
Missa Illyrica, Alter 122.
Mitra : Namen des Ornatstückes
424 f: Bedeutung des Wortes
mitra 425; die Mitra im
heutigen Gebrauch 429 f : ihr
Alter 431 f ; die ersten Ver-
leihungen an Bischöfe 447 f ;
bischöflicher Ornat 449; bei
Kanonikern 452; bei Äbten
453 f ; bei den Kardinälen
455 f ; bei weltlichen Fürsten
456: bei dem Kaiser (der
Kaiserin) 457.
— Form und Beschaffenheit:
Kegel- (Kalotten-) form 458f;
angeblich ursprünglich Kopf-
tuch 462 : mit seitlichen Hör-
nern 463 f : mit Hörnern über
Stirn und Hinterhaupt 464 f;
Herstellungsweise im 12. und
13. Jahrh. 469: Verzierung
im 12 und 13. Jahrh. 470 f;
Arten der Mitra 472; Form
und Ausstattung im späten
Mittelalter und in der Neu-
zeit 474 f ; zur Zeit des Ba-
rocks 483 ; des Rokoko 484 ;
liturgischer Gebrauch 485 f ;
Verwendung im Ritus der
Bischofsweihe 486 :Ursprung
495 f.
mitra: cum aurifrisio in circulo
ettitulo472: cum aurifrisio
in titulo sine circulo 472 :
auriphrygiata 429 472 : pre-
tiosa429: simplex 429 472.
Mitra in den Riten des Ostens
s. Kopfbedeckung, liturg.
miznephet 51 424 766.
Mönchsgürtel 104 116.
Monumente: als Quellen für die
Gesch. der lit. Gew. 11 f: Re-
geln für ihre Verwertung 1 1 f.
morsus, Pluvialschließe 321.
Mozzetta: Form, Alter 357:
Ableitung 358.
IVaccus (nattus) = Schabracke
527.
Nadeln zur Befestigung des
Palliums 644 651.
Offertorium = Mappula 521.
Offlzialen, Tracht 245 656.
Omophorion, profanes 668 673.
- sakrales: griechisches und
armenisches 665; syrisches
665: Alter 666; Symbolik
und Charakter 667 f : Be-
schaffenheit 665 668: Trag-
weise 670 f ; Ursprung 672 f.
opus anglicanum, romanum etc.
41 221 347.
ojpäpto'j, griechische Diakonen-
stola 565 601.
Orarium : Etymologie 563 567 :
= Pallium 574: = profanes
Tuch 564 573; = Stola 565 f.
F96
Sachregister.
Ordines, römische, Mabilloris,
Alter 6 256 497 783.
d#6vi) = wpdptov 605 613 615.
ouvraige de Fleurence (opus
Florentinurn) 347.
Paenula 243.
Palla, Frauenmantel 659.
Pallium, Bedeutung des Wor- j
tes 624 656.
pallium : gallicanum 25 572
573 675 f 695 ; linostimum
524 574.
Pallium, liturgisches, nach heu-
tigem Gebrauch: Segnung
620: Charakter 621: Ge-
brauch 621 f : Bedeutung
622 f : Ritus der Übergabe
623.
— Geschichte: Alter 624 f;
Verleihungen an päpstliche
Vikare u. Metropoliten 626 f ;
Verpflichtung der Metropoli-
ten, um das Pallium nach-
zusuchen 627 f : Verleihung
anSuffragane 629 f; Übersen-
dung und persönliche In-
empfangnahme 630 : Pal-
liumsporteln 631 ; professio
fidei und Treueid vor Emp-
fang 631 : sakraler Charak-
ter 631 f; Verwendung 632 f:
Stellung der 'weltlichen Für-
sten zu den Palliumverlei-
hungen 624 f : Interventio-
nen weltlicher Fürsten 638 f :
Bedeutung des Palliums
639 f; älteste Form desselben
642 f; Stoff 644: Nadeln zur
Befestigung 644 651: Ände-
rung in der Form 645 f ;
Kreuze auf dem Pallium
649 f; Farbe der Kreuze 650 ;
Endstücke und Fransen 651.
— Ursprung vom Kaiser ver-
liehene Insignie 652; Ab-
leitung vom Ephod des Alten
Bundes 653; Ableitung von
einem Mantel des hl. Petrus
654: Ableitung von einem
sakralen Mantelpallium 655 :
Ableitung von einem pro-
fanen Mantelpallium 657 f ;
als Insignie eingeführt 661 f.
— in Gallien, Spanien, Afrika
674 f.
— profaner Mantel 64 656
657 f.
Parura, paratura: des Amikts
33 f : der Albe 81 f ; der Dal-
matik 276.
pedules, Strümpfe, Pontifikal-
strümpfe 389 398.
pellicea (Pelzkleid) 139 f.
penduli der Mitra s. Behänge
der Mitra.
■nepioxsXides = udones 422.
-ipiTpo.yrj).wv = i-nczpayrjhov
603. "
Perlenstickereien 37 38 39 88
212 233 374 377 470 473
474 477 478 480 481 482
483 537.
Pestkasein -203.
phaina, Meßgewand des syri-
schen Ritus 235.
cpaiv6Xi]z {ipawöXtov) s. peiil^s
(wsXovio'j).
tp£\6v7jz, profaner Mantel 245 ;
= Buchhülle 247.
Phelonion (<psX6vtov, (pslöv-qq) ,
Meßgewand des griechischen
Ritus: Form 234: Stoff
235 : Geschichte 236 ; Träger
238.
Philosophentracht 64 f.
Pileolus 509.
pileus cantorum 319 510.
— = Mitra 428.
plaga, plagnla s. Parura.
Planeta s. Kasel.
planeta, Etymologie 154.
— plicata 149 166 f.'
Pluvialagraffe s. Pluvial-
schließe.
Pluviale s. Cappa.
pluviale, Etymologie 309.
Pluvialschließe 321 f.
poderes = Albe 59; = Talar-
tunika der jüdischen Prie-
ster 95 767.
polystaurion (TioXocraupiov),
mit Kreuzen verziertes Meß-
gewand 237.
-orapoc 94 96 350.
praecinctorium = subcincto-
rium 120.
praetexta s. Parura.
presbyterium, Geldspende 135.
procedere (Bedeutung) 528.
Pseudo-Beda: Alter 8.
Pseudo-Germanus: Alter 10.
Pseudo-Sophronius: Alter 10.
Quaestiones Vet. et Novi Test. :
Alter 249.
Quellen für die Gesch. der lit.
Gew. 5.
Kationale des jüdischen Ho-
henpriesters 653 766.
— pontiflkales Schultergewand
in der Gegenwart 676 f; Alter
678 f; Verbreitung 680 f :
Charakter 686; Beschaffen-
heit 687 f; Typen 693: Ur-
sprung 694 f; pontifikaler
Brustschmuck 697 f.
Rauchmantel = Cappa 306.
Reformversuch Pauls IV. 190.
regnum = Tiara 497 499 f.
Religiöse Bilder auf profanen
Gew. 13.
roccus = Tunicella 288.
Rochett: Unterschied vom Su-
perpelliceum: Form 125:
Namen 126 f; Charakter
des Gewandes 129 f : Alter
130 f; Beschaffenheit 132 f:
Verzierung (Spitzen) 135.
romanum (opus) = de Romania
(Griechenland) 221.
saghavart, Kopfbedeckung des
armenischen Ritus 487 493.
Sakkos: Charakter und Be-
schaffenheit 302; Alter 302;
Träger 303; Ursprung 305.
samitum 225.
Sandalen s. Beschuhung.
— Farbe 393 405 418; Löch-
lein im Oberstoff 406 ; Ma-
terial 405 : Typen im Mit-
telalter 393 404 412; in
der Neuzeit 413 f; in Stiefel-
form 414.
sarcos (saroht, sarcotium, sar-
rotus) = Rochett 127.
scapularia s. Dalmatikflügel.
Schabracke, weiße, als Aus-
zeichnung verliehen 526 f.
Schärpen 619 659 663.
Schaufäden 611.
Schaufelmanipel 542.
Schaufelstola 600.
Schild = Parura 36 : des Plu-
viale 320 f.
Schultertuch im gewöhnlichen
Leben s. Halstuch.
— im armenischen 49 ; chal-
däischen 50: koptischen 49
51 ; syrischen Ritus 49 50 f.
schurtschar, Meßgewand des
armenischen Ritus 235.
Schweißtuch 558 f 561.
segmenta, Verzierung der Tu-
nika 83.
Segnung der liturgischen Ge-
wänder: nach heutigem Ge-
brauch 760 ; Alter 761 f : For-
mulare 762 ; ein bischöfliches
Vorrecht 764: in den Riten
des Ostens 764.
semicinctium = Hüfttuch 122;
= Subcinctorium 122.
Senatorenschuh s. calceus se-
natorius.
Senatorentracht 245.
Sermo XIV: Alter 9.
sestace = Manipel 519.
sigilla, Verzierung der Tunika
83.
Soli-Deo = Pileolus 509.
sotularis = Caliga 388.
Spange s. Zierplättchen.
Spatelalbe 59.
Speculum de myst. eccl.: Al-
ter 9 719.
Spitzen : bei der Albe 91 : beim
Rochett 135; beim Super-
pelliceum 148.
Statuta ecclesiae antiqua (Conc.
Carth. IV vulg.), Alter 253.
Staurophor 554.
Stoffe, bedruckte 203.
Stoffmuster: in der Frühe des
zweiten Jahrtausends 204:
Sachregister.
797
im 13. und 14. Jahrh. 205;
im 15. Jahrh. 206.
Stola: nach heutigem Brauch
562; als Insignie 563; Na-
men 563 f ; Ursprung des
Namens Stola 568; Alter
569 f ; zur Karolingerzeit
578 f: als Insignie 580 f:
Verwendung 582 f : Trag-
weise 584 f ; im Weiheritus
589 f : Beschaffenheit in vor-
karolingischer Zeit 590 f :
seit dem 9. Jahrh. 591 f: Fran-
sen (Gloekchen) 593 : Kreuze
593 f: Farbe 594: Endstücke
595; Ursprung 608 f.
— in den Riten des Ostens:
Form 601 f; Tragweise 602:
Verwendung 602 f 608; Ge-
schichte 603 f.
— latior (stolone) 150.
— = Matronengewand 609.
Stowe-Missale, Alter 7.
stricta = Tuniceila 288.
Strohkasel 208.
Stulpen an den Handschuhen
372.
subbiretum = Pileolus 509.
subcingulum = Subcinctorium
118.
Subcinctorium : nach gegen-
wärtigem Gehrauch 117; Al-
ter 118; Beschaffenheit, Aus-
stattung, Tragweise 119:
Namen 120f: Ursprung 123f.
submitrale = Pileolus 509.
subtalaris = campagus 388.
subtile = Tuniceila 287.
succa, sucta, subta = Rochett
128.
sudarium = Manipel 518 558 f.
superhumerale = Amikt 48.
Superpelliceum: Alter 135 f:
Namen 136 f; Gebrauch 138;
Ursprung des Namens 139 f :
des Gewandes 140 f : Ver-
wendung im Ordinationsritus
142: älteste Form 143 f;
Änderungen in der Form
144 f : Verzierung (Spitzen)
147 f; Fältelung 148.
Symbolik, Arten: moralische
700 ; dogmatisch - typische
700 705 : dogmatisch-reprä-
sentative 705 : allegorische
705 f.
— in den Stoffmustern 206.
Symbolische Deutung der li-
turgischen Gewänder im
Abendland: in vorkarolingi-
scher Zeit 702; zur Karo-
lingerzeit 702 f; im 12. und
13. Jahrh. 704: im späten
Mittelalter 704.
- im griechischen Ritus
707; im nestorianischen
709; im syrischen 709; im
armenischen 709 f.
— — des Schultertuches 710;
der Albe 712; des Cingulum
713: desManipels 714; der
Stola 716; der Kasel 718:
der Mitra 719; der Ponti-
fikalhandschuhe 720: der
Caligae und Pontifikalschuhe
721: des Subcinctorium 723:
des Pallium 723 f : des Super-
pelliceum 725 : der Dalmatik
(Tuniceila) 725; desPluviale
726: der liturgischen Farben
750.
TußXia 350 656.
talaris tunica = Albe 59.
Talartunika 71.
Tallith (Talles), jüdischer Ge-
betsmantel 564 611.
Taschenmanipel 542.
tassellus s. Zierplättchen und
Pluvialschließe.
Tiara : ohne Kronreifen 498 ;
mit einem Kronreif'en 499 f:
mit gezacktem Kronreifen
500: Behänge 501; Beschaf-
fenheit 502; mit zwei Kro-
nen 503; mit drei Kronen
504 f ; oberer Abschluß 506 ;
Ausschmückung 506 f; Ur-
sprung 508.
tiara = Mitra 428.
titulus der Mitra 469.
Toga 652 657 658 664.
Totentanzdarstellung 334.
Tractatus de sacr. altaris, Al-
ter 9 719.
trica, Dalmatikverzierung 279.
triregnum = Tiara 504 f.
truncus s. Parura.
Tüllspitzen 92.
tunica epistolaria = Tuniceila
288.
Tuniceila: nach gegenwärtigem
Gebrauch 247 f: Alter ihrer
Verwendung 283 f ; bei Ako-
lythen 285 : bei Abten 286 :
Namen 287 f ; Beschaffenheit
in dem Mittelalter und der
Neuzeit 289 f ; liturgische
Verwendung 293 f ; an Buß-
tagen 294: am Gründonners-
tag 295: bei Totenmessen 296:
bei der Subdiakonenweihe
298: Farbe 291: Form 289 f:
Stoff 290; Verzierung 292.
Tunika in den orientalischen
Riten : Form 92 ; Farbe, Ver-
zierung 93 ; Gebrauch 94 :
Verwendung im Weiheritus
94; Geschichte 95 f.
— des Liturgen in vorkon-
stantinischer Zeit 63 ff.
— profane, im Altertum 70 f.
Udo: Pontifikalstrumpf 385 f
422,- profane Fußbekleidung
387 422.
umbral = humerale 48 711.
um)Sfjij.a = xdij—ayog 4cH.
urar, Stola im armenischen
Ritus 601.
uroro , Stola im syrischen
Ritus 601.
Ursprung der liturgischen Ge-
wandung 765 f 776.
Vakas, Schultertuch im ar-
menischen Ritus 49.
vellus, Bedeutung 362.
Verhältnis : der lit. Gew. des
lat. Ritus zu der der Orient.
Riten 1 ; der lit. Gew. der
Orient. Riten zueinander 2.
Vespermantel = cappa 306.
vittae der Mitra s. Behänge
der Mitra.
Vorspan (Fürspan) = Zier-
plättchen 41.
Wantus — Handschuh 359.
wardecor = Dalmatik 287.
Weihetuch 619.
Zierplättchen (Scheibchen): als
Verzierung der Handschuhe
375 376: bei sonstigen Pa-
ramenten 36 37 40 41 114
221 278 476 477 480.
ziz = lamina 424 766.
zizith, Quasten am jüdischen
Obergewand 611.
zona roinana 105.
Von demselben Verfasser sind in der Herdersellen Verlagshandluiig zu Freibarg
im Breisgau erschienen und können durch alle Buchhandlungen bezogen werden :
200 Vorlagen für Paramentenstickereien, entworfen
nach Motiven mittelalterlicher Kunst. 28 Tafeln nebst Text. Zweite,
vermehrte Auflage. Größe der Tafeln 52 X 70 cm. Text: Lex.-8°
(VI u. 26) In Halbleinwand-Mappe M 18.—
Dasselbe Werk ist auch in französischer und englischer Ausgabe erschienen.
„Im Vorjahre bereits hatten wir Anlaß genommen, auf dieses ganz ausgezeichnete Werk
hinzuweisen, und in Nr 2 des laufenden Jahrgangs unseres Blattes ist ja unsern Lesern
Gelegenheit geworden, den in dieser Materie wohlbewanderten Autor in seinen eigenen Aus-
führungen kennen zu lernen. Nach kaum mehr denn Jahresfrist liegt uns nun sein Haupt-
werk bereits in Zweitauflage vor, der beste Beweis dafür, daß in jenen Kreisen, welche für
dieses Fach beschäftigt oder sonst irgendwie interessiert sind, diese Motivenmappe sich ent-
sprechende Wertschätzung errungen hat. Dieser gute Erfolg hat denn auch P. Braun ermuntert,
die Erstausgabe um vier Tafeln — mit 50 Vorlagen — zu vermehren ; dieselben beziehen
sich auf die künstlerische Ausschmückung von Kirchenwäsche verschiedener Bestimmung,
von Kasein, Pluvialen, Schultervelen und Dalmatiken, eine gewiß vielfach dankenswert emp-
fundene Bereicherung des gebotenen Stoffes. Die hierzu gebrachten Motive zeichnen sich durch
Gefälligkeit wie auch durch große Verschiedenartigkeit aus, die Größe ihrer Darstellung
erleichtert wesentlich ihre Verwendung in den verschiedenen Bearbeitungsformen. Damit ist
zweifellos ein höchst beachtenswertes Hilfswerk zur Betätigung dieses Zweiges kirchlicher
Kunstpfiege geschaffen: möge ihm auch die verdiente Wertschätzung nicht vorenthalten bleiben."
(Der Kunstfreund, Innsbruck 1904, Nr 5 )
„Unter den 200 Vorlagen der Sammlung befinden sich 14 bzw. 16 Entwürfe zu Kasel-
kreuzen, 5 bzw. 6 zu Pluvialausstattungen, 7 zu Dalmatikbesätzen, 7 zur Verzierung von
Segensvelen, 11 zu Stolen, mehr denn 40 zu Bordüren für Alben, Altartücher, Superpellicien,
etwa 15 zum Besticken von Baldachinbehängen, 24 zur Verzierung von Pallen usw. Das sehr
bedeutende Material kann noch erhöht werden durch passende Vergrößerung oder Verkleinerung
mancher Vorlagen oder durch geeignete Kombinationen derselben. Die Vorlagen sind teils
im romanischen, vorzugsweise im gotischen Stile gehalten, viele originell und von hervor-
ragender Schönheit, alle tragen echt kirchlichen Charakter. Das Werk hat bereits in seiner
ersten Auflage sowohl seitens fachkundiger Gelehrten wie praktisch tätiger Stickerinnen von
hervorragenden Leistungen ungeteilte Anerkennung gefunden. Von ersteren nennen wir nur
den hochw. Herrn Domkapitular Prof. Dr Schnütgen, einen der vorzüglichsten Kenner und
Förderer der mittelalterlichen Kunst und zumal der mittelalterlichen Paramentik. Der Samm-
lung ein weiteres Wort der Empfehlung beizugeben, halten wir für unnötig: ihre Zeitgemäßheit
wie ihre Brauchbarkeit beweist am besten die innerhalb eines Jahres notwendig gewordene
zweite Auflage. Dem Verfasser gebührt für seine Mühewaltung der wärmste Dank. Die
Fundgrube von Vorlagen ist eine in hohem Grade brauchbare Beihilfe zur würdigen Ausstattung
der dem Dienste des Allerhöchsten und des Lammes geweihten Gewandung und Paramente."
(Pastoralblatt, Köln 1904, Kr 6.)
„Schon die erste Auflage dieses wertvollen Paramentenschatzes hat wegen der schönen
Ausführung und praktischen Verwendbarkeit der Vorlagen allseitige Anerkennung und günstige
Aufnahme gefunden, so daß schon nach Jahresfrist eine Neuauflage nötig wurde. Diese neue
Auflage ist um vier Tafeln mit über 50 neuen Vorlagen vermehrt worden und bietet nun
eine außerordentlich reiche Auswahl hübscher und stilvoller Motive für Paramentenstickereien,
teils romanisch, meist aber in den mannigfaltigen und effektvollen Formen der Gotik gebalten.
Über die Verwendung der einzelnen Muster und die Art der Ausführung belehrt ein separat
gedruckter Text, der zu jeder Tafel und Nummer die nötigen Angaben enthält. Der Verfasser,
der über eine genaue Kenntnis der mittelalterlichen Zierformen verfügt, hat mit der Heraus-
gabe dieser Vorlagen der kirchlichen Kunst einen wichtigen Dienst geleistet. Wir wünschen
auch dieser neuen, bereicherten Ausgabe seines Werkes weiteste Verbreitung."
(Alte und Neue Welt, Einsiedeln 19C4, Nr 21.)
Winke für die Anfertigung' und Verzierung- der
Paramente. Mit 2 Tafeln und 74 Abbildungen im Text. Ergänzung
zu der Sammlung von „Vorlagen für Paramentenstickereien". Mit ober-
hirtlicher Approbation. Lex.-8° (XII u. 188) M 6.40; geb. in Leinw. il/8.—
„P. Braun ist zur Zeit wohl der erste Kenner der Paramentik sowohl nach der historischen
wie auch nach der ästhetischen Seite des Gegenstandes. — Vorliegender Band, wie der Titel
anzeigt, insbesondere als Ergänzung zu des Verfassers .Vorlagen' gedacht, enthält eingehende
Unterweisungen über Stoff und Bearbeitung wie über Aufbewahrung und Reparatur der Para-
mente. Künstler, Archäolog und Praktiker in einer Person, hat Verfasser ein äußerst nützliches
Werk geboten, das volle Beachtung aller beteiligten Kreise verdient. Gewiß wird es weite
Verbreitung finden und somit auch noch manche Auflagen erleben. ..."
(Allgemeines Literaturblatt, Wien 1905, Nr 2.)
In der Herdersclien Yerlagsliandlmigr zu Freibnrg' im Breisgau ist erschienen und kann
durch alle Buchhandlungen bezogen werden :
Geschichte
der
Christlichen Kunst,
Von
Franz Xaver Kraus.
In zwei Bänden. Mit zahlreichen Illustrationen. Lex. -8°
Erster Band: Die hellenistisch-römische Kunst der alten Christen. Die
byzantinische Kunst. Anfänge der Kunst hei den Völkern des Nordens.
Mit Titelbild in Farbendruck und 484 Abbildungen im Text. (XX u. 622)
M.W.— ; geb. in Örig.-Einb. : Halbsaffian M 21.— : Einbanddecke M 3.—
Zweiter Band: Die Kunst des Mittelalters, der Renaissance und der Neuzeit.
Erste Abteilung: Mittelalter. Mit Titelbild in Heliogravüre und
306 Abbildungen im Text. (XII u. 512) 71/14.—: geb. M 19.— Einband-
decke M 3. —
Zweite Abteilung: Renaissance und Neuzeit. Erste Hälfte. Mit
132 Abbildungen. (IV u. S. 1—282) M 8.—
Die zweite, das Werk abschließende Hälfte von Band II, 2. Abteilung
wird im Sommer 1907 erscheinen.
„. . . Kraus gibt uns eine .Geschichte der christlichen Kunst', worin nur die Werke
christlicher Meister ins Auge gefaßt werden, aber auch unter diesen nur jene, welche religiös
sind oder sein sollen, nicht also bürgerliche Baukunst, Ausstattung von Schlössern u. dgl.
Überdies betont er die geschichtliche Ausbildung des Inhaltes der Kunstvorstellungen, die
Einwirkung der gesellschaftlichen und literarischen Kultur auf die Kunsttätigkeit. Seine
Ausführungen gründen sich, wie man dies bei allen seinen Arbeiten zu finden gewohnt ist,
auf eine ausgedehnte, Staunen erregende Kenntnis der älteren und neueren Forschungen.
Sie berücksichtigen mit Vorliebe alle jene Fragen, welche durch die so lebhaft geförderte
Kunstforschung unserer Tage in den Vordergrund geschoben und kühn aufgestellt, mit Eifer
verfochten und vorschnell angenommen oder auch rasch abgewiesen werden. . . .
„Die Kritik hat von allen Seiten her sein Buch als eine hervorragende Leistung anerkannt.
Auch Männer, welche dessen bekannte kirchenpolitischen Ansichten nicht teilen, haben frei-
gebiges Lob ausgesprochen. Der geistreiche Bischof von Rottenburg nannte das Werk
,eine literarische Großtat, auf welche das katholische Deutschland stolz sein darf, Professor
Neumann einen mächtigen Bau, welcher ,auf lange Zeit hin als das Hauptwerk (dieser Art)
gelten wird', die , Studien aus dem Benediktiner- und Cistercienserorden' ,eine wissenschaftliche
Leistung ersten Hanges'. ..." (Stimmen aus Maria-Laach, Freiburg 1901, 4. Hoft.)