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Full text of "Die liturgische Gewandung im Occident und Orient; nach Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik"

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purchased  by  the 
Mary  Stuart  Book  Fund 

established  1893 
The  Cooper  Union  Library 


DIE  LITURGISCHE  GEWANDUNG. 


Widmungsbihl  der  Viviansbibel : 
Abt  Vivian  und  die  Mönche  von  St  Martin  zu  Tours  überreichen  die  Bibel  Karl  dem  Kahlen. 

Paris,  Bibl.  Nat.  (ms.  Iat.  1,  f.  423). 


IE  LITURGISCHE 

GEWANDUNG 

IM  OCCIDENT  UND  ORIENT 


NACH    URSPRUNG   UND  ENTWICKLUNG, 
VERWENDUNG   UND  SYMBOLIK. 


VON 


JOSEPH  BRAUN  S.  J. 


MIT  316  ABBILDUNGEN. 


FREIBURG  IM  BREISGAU. 

HERDERSCHE  VERLAGSHANDLUNG. 

1907. 

BERLIN,  KARLSRUHE,  MÜNCHEN,  STRASSBURG,  WIEN  UND  ST  LOUIS,  MO. 


J  hl 


Cum  opus,  cui  titulus  est:  Die  liturgische  Gewandung  in  der  Gegenwart  und  Ver- 
gangenheit, a  P.  Josepho  Braun,  sacerdote  societatis  Iesu  compositum  aliqui  eiusdem  societatis 
revisores,  quibus  id  commissum  fuit,  recognoverint  et  in  lucem  edi  posse  probaverint,  facul- 
tatem  concedimus,  ut  typis  mandetur,  si  ita  iis,  ad  quos  pertinet,  videbitur. 

In  quorum  fldem  has  litteras  manu  nostra  subscriptas  et  sigillo  muneris  nostri  muni- 
tas  dedimus. 

Luxemburg,  die  8.  Januarii  1905. 

P.  C.  Sckaeffer  S.  J. 


Imprimatur. 
Friburgi  Brisgoriae,  die  29  Ianuaiii  1907. 

4^  Thomas,  Archiep~ps. 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Buchdruckerei  der  Herderschen  Verlagsliandlung  in  Freiburg. 


331843 


VORWORT. 

Das  vorliegende  Werk  ist  die  Frucht  vieljähriger,  eingehendster  Be- 
schäftigung mit  der  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung.  Es  will  nicht 
lediglich  in  großen  Zügen,  sondern  nach  Möglichkeit  bis  ins  einzelne  ein  Bild 
des  Werdens  der  liturgischen  Gewänder  nach  Form,  Beschaffenheit,  Verwen- 
dung und  Symbolik  geben.  Nach  Möglichkeit;  denn  nur  zu  oft  geschieht 
es,  daß  die  Quellen  entweder  ganz  schweigen  oder  doch  nicht  in  wünschens- 
wertem Maße  Auskunft  gewähren.  Das  gilt  namentlich  für  die  vorkarolingisehe 
Zeit.  Aber  auch  noch  später  sieht  man  sich,  sobald  man  Einzelfragen  nach- 
forscht, nur  zu  oft  vor  mehr  oder  weniger  dichtem  Dunkel.  Je  eingehender 
sich  jemand  mit  der  liturgischen  Gewandung  der  Vergangenheit  befaßt,  um 
so  mehr  wird  er  inne,  wie  vieles  wir  im  einzelnen  nicht  oder  doch  bloß 
mangelhaft  wissen  und  zum  großen  Teil  wahrscheinlich  auch  in  Zukunft  nie- 
mals vollkommener  wissen  werden.  Der  allein  kann  wähnen,  es  herrsche  in 
der  Geschichte  der  Sakralkleidung'  allerwegen  lauter  Licht  und  der  hellste  Tag, 
wer  sich  nur  oberflächlich  mit  derselben  beschäftigt  hat. 

Der  Hauptgegenstand  der  Arbeit  sind  die  liturgischen  Gewänder  des 
Abendlandes.  Indessen  wurde  auch  die  Kultgewandung  der  orientalischen 
Riten  in  den  Kreis  der  Untersuchungen  gezogen,  und  es  darf  ohne  Bedenken 
versichert  werden,  daß  dieser  bislang  noch  keine  so  ausgiebige  Behandlung 
zuteil  wurde  wie  in  dem  vorliegenden  Werke.  Leider  ist  es  ganz  unmöglich, 
ihre  Entwicklung  über  die  Hauptzüge  hinaus  zu  verfolgen.  Ja  für  die  Ge- 
schichte der  liturgischen  Kleidung  der  Syrer,  Armenier,  Nestorianer  und 
Kopten  läßt  sich  aus  Mangel  des  dazu  erforderlichen  Materials  nicht  einmal 
das  leisten.  Es  darf  daher  nicht  wundernehmen,  wenn  den  Kultgewändern 
der  orientalischen  Riten  nur  ein  verhältnismäßig  kleiner  Raum  gewidmet  ist 
und  von  einer  Schilderung  ihrer  einzelnen  Entwicklungsstadien  fast  ganz  Ab- 
stand genommen  werden  mußte. 

Die  Darstellung  baut  sich  auf  den  Quellen  selbst  auf,  den  Schriften  der 
Litui'giker,  den  gelegentlichen  Angaben  der  alten  Historiker,  den  offiziellen 
liturgischen  Büchern  und  Gottesdienstordnungen,  den  einschlägigen  synodalen 
Bestimmungen,  den  mittelalterlichen  Schatzverzeichnissen,  den  Monumenten 
jeglicher  Art  und  dem  noch  vorhandenen  Bestand  an  liturgischen  Gewand- 
stücken aus  früherer  Zeit.  Namentlich  wurden  im  weitesten  Umfang  diese 
alten  Paramente  und  die  Inventare,  deren  Wichtigkeit  nicht  hoch  genug  ge- 
wertet werden  kann,  ausgenutzt.  Die  zahlreichen  durch  das  Werk  verstreuten 
Auszüge  aus  den  mittelalterlichen  Schatzverzeichnissen  und  die  am  Schlüsse 
gebotene  Zusammenstellung  der  in  ihm  berücksichtigten  liturgischen  Gewänder 
legen  dafür  reichlich  Zeugnis  ab.  Natürlich  wurde  auch  zu  Rate  gezogen, 
was  andere   über  die  Geschichte   der  Sakralkleidung   geschrieben  haben,  und 


Vi  Vorwort. 

es  gibt  solcher  Arbeiten  sehr  viele  und  sehr  gute.  Allein  nichts  wurde  daraus 
herübergenonnnen,  das  nicht  zuvor,  soweit  nur  eben  tunlich,  an  den  Quellen 
selbst  nachgeprüft  worden  wäre.  Wirklich  erwiesen  sich  nicht  wenige  An- 
gaben als  ungenau,  ja  geradezu  als  irrig,  darunter  auch  solche,  welche  wie 
ein  Erbübel  sich  bereits  durch  eine  Reihe  von  Schriften  hingezogen  hatten. 
Sie  wurden  teils  ausdrücklich  teils,  und  dies  in  den  meisten  Fällen,  still- 
schweigend richtiggestellt. 

Bei  Benutzung  der  schriftlichen  und  monumentalen  Quellen  war  leitender 
Grundsatz  sorgfältige  Wertung  und  Sichtung  des  Materials;  im  Vorlegen  der 
Resultate  seiner  Forschung  aber  suchte  der  Verfasser  sich  vorsichtiger  Zurück- 
haltung zu  befleißigen.  In  zahlreichen  Fällen  war  er  daher  veranlaßt,  sich 
mit  einem  größeren  oder  geringeren  Grad  von  Wahrscheinlichkeit,  mit  einem 
„könnte",  „dürfte"  u.  a.  zu  begnügen.  Er  hegt  nicht  die  Besorgnis,  daß 
solches  dem  Werk  zum  Nachteil  gereicht.  Gegenteiligen  Meinungen  von  irgend 
einer  Bedeutung  wurde  volle  Rechnung  getragen  und  keine  Schwierigkeit 
wurde  unberücksichtigt  gelassen.  Dem  Verfasser  scheint  es  ein  Gebot  wissen- 
schaftlicher Ehrlichkeit,  auch  abweichende  Auffassungen,  soweit  sie  nur  eben 
der  Beachtung  wert  sind,  samt  ihren  Gründen  anzuführen.  Er  könnte  es 
sich  nicht  verzeihen,  wollte  er  in  Fragen,  über  die  man  streitet,  lediglich 
seine  persönliche,  wenn  auch  noch  so  begründete  Meinung  vortragen.  Ist  ja 
doch  auch  nur  bei  Anwendung  des  Grundsatzes :  Audiatur  et  altera  pars,  die 
erwünschte  Klärung  möglich. 

Ein  allseitig  abgeschlossenes  Werk  zu  schaffen,  das  gleichsam  in  Sachen 
der  liturgischen  Gewandung  das  letzte  Wort  gewesen  wäre,  konnte  angesichts 
des  in  so  vieler  Hinsicht  beschränkten  Quellenmaterials  unmöglich  als  Ziel 
in  Aussicht  genommen  werden.  Der  Verfasser  erwartet  daher  auch  trotz  aller 
Sorgfalt,  mit  der  er  vorgegangen  ist,  keineswegs,  daß  seine  Aufstellungen  in 
allein  und  jedem  die  Zustimmung  des  Lesers  finden  werden.  Möge  man  die- 
selben prüfen  und,  wo  es  am  Platze  ist,  richtigstellen.  Niemand  wird  sich 
über  jede  wirkliche  Verbesserung  aufrichtiger  freuen  als  der  Verfasser,  dem 
es  nicht  um  seine  persönliche  Meinung,  sondern  einzig  um  die  Wahrheit  zu 
tun  ist.  Bei  längerem  Zögern  hätte  er  selbst  wohl  noch  dem  Bilde,  das  er 
von  der  liturgischen  Gewandung  und  ihrer  Geschichte  entworfen  hat,  den 
einen  oder  andern  Strich  hinzufügen  können.  Allein  es  schien  an  der  Zeit, 
einen  Abschluß  zu  machen.  Um  Wesentliches  hätte  er,  solange  kein  neues  Ma- 
terial zu  Tage  kommt,  seine  Ausführungen  ja  doch  nicht  bereichern  können; 
lediglich  aber  die  Belege  für  die  Einzelheiten  zu  mehren,  erschien  unzweck- 
mäßig, weil  das  zu  einer  Breite  geführt  hätte,  die  der  Klarheit  und  Über- 
sichtlichkeit nur  geschadet  haben  würde.  Zudem  bietet  ja  das  Buch  auch 
so,  wie  es  vorliegt,  die  umfassendste  und  eingehendste  von  allen  Bearbeitungen 
der  Geschichte  der  Sakralkleidung,  die  bisher  erschienen.  Vielleicht  wird  der 
eine  oder  andere  wünschen,  daß  in  der  Darstellung  der  Entwicklung  der 
liturgischen  Gewandung  noch  mehr,  als  es  geschehen  ist,  auf  deren  Zusammen- 
hang mit  den  jeweiligen  äußeren  Verhältnissen  hingewiesen  worden  wäre. 
Soweit  sich  darüber  etwas  Zuverlässiges  sagen  ließ,  ist  das  Milieu,  in  dem 
und  unter  dessen  Einfluß  die  Ausgestaltung  der  Sakralkleidung  sich  vollzog, 


Vorwort.  YU 

gegebenenorts  genügend  gezeichnet  worden.  Im  übrigen  aber  schien  es  nicht 
angebracht,  Lücken  durch  Phantasien  und  geistreiche  Mutmaßungen  auszufüllen 
und  so  künstlich  einen  Zusammenhang  zu  schaffen,  wo  für  den  nüchternen 
Forscher  ein  solcher  nicht  ersichtlich  ist. 

Große  Sorgfalt  wurde  auf  die  Auswahl  der  Abbildungen  gelegt.  Ein 
Bilderbuch  sollte  und  durfte  nicht  geschaffen  werden,  doch  mußte  alles  irgend- 
wie Belangreiche  durch  eine  entsprechende  Illustration  belegt  und  erläutert 
werden.  Auch  sollte,  soviel  wie  eben  möglich,  neues,  jedenfalls  aber  bloß 
minder  leicht  zugängliches  Material  genommen  werden.  Bevorzugt  wurden 
Wiedergaben  von  noch  erhaltenen  alten  Paramenten,  welche,  weil  Photo- 
graphien davon  nur  selten  zu  haben  sind,  zumeist  vom  Verfasser  selbst  an 
Ort  und  Stelle  aufgenommen  wurden.  Überhaupt  stammt  von  diesem  die 
Mehrzahl  der  in  dem  Werk  verwendeten  photographischen  Abbildungen. 

Die  Ai'beit  will  vor  allem  einen  Beitrag  zur  Geschichte  der  Liturgie 
bilden;  doch  dürfte  sie  auch  für  die  Kenntnis  der  mittelalterlichen  Textilien 
und  Stickereien,  für  die  Archäologie,  für  die  Kunstwissenschaft  und  für  die 
Geschichtsforschung  von  Wert  sein,  für  die  letzten  Disziplinen,  von  anderem 
abgesehen,  namentlich  auch  deshalb,  weil  die  in  ihr  niedergelegten  Ergebnisse 
manchen  Anhaltspunkt  zur  Datierung  von  Monumenten  und  illuminierten  Hand- 
schriften gewähren. 

Bei  meinen  dem  mittelalterlichen  Paramentenbestand  gewidmeten  Reisen 
habe  ich  mich  allenthalben  des  freundlichsten  Entgegenkommens  zu  erfreuen 
gehabt.  Ich  fühle  mich  gedrungen,  solches  hier  mit  herzlichstem  Dank  gegen 
alle,  die  mir  gütige  Unterstützung  liehen,  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Einzig 
das  Kapitel  des  Domes  zu  Brandenburg  schlug  mir  kurzer  Hand  eine  nähere 
Besichtigung  der  dortigen  Paramente  ab,  während  mir  die  Herren  Superintendent 
Oberdomprediger  Dr  Hermes  und  Diakonus  Brausewetter  mit  bereitwilligster 
Zuvorkommenheit  die  Paramentenschätze  des  Domes  zu  Halberstadt  bzw.  der 
St  Marienkirche  zu  Danzig  zum  Zwecke  eines  Studiums  der  darin  geborgenen 
kostbaren  Gewandstücke  öffneten.  Aber  auch  sonst  haben  mich  manche  durch 
die  Auskünfte,  die  sie  mir  auf  meine  Bitte  gaben,  oder  das  Material,  das  sie 
mir  zur  Verfügung  stellten,  Ordensgenossen  wie  Nichtordensgenossen,  vielfältig 
verpflichtet.    Auch  ihnen  meinen  herzlichsten  Dank. 

Luxemburg,  am  Feste  der  Geburt  des  Herrn  1906. 


JOS.  BRAUN  S.  J. 


INHALTSVERZEICHNIS. 


Seite 

Vorwort         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .         .  v 

Illustrationsverzeiclinis xiv 

Literaturverzeichnis xvn 

Einleitung. 

I.  Gegenstand  und  Methode 1 

II.  Quellen 5 

III.  Bearbeitungen 14 

Erster  Abschnitt. 

Die  liturgischen  Untergewänder. 

Erstes  Kapitel. 

Der   A  m  i  k  t. 

I.  Der  Amikt  nach  heutiger  Praxis    ..........  21 

II.  Der  Amikt  als  Bestandteil  der  liturgischen  Kleidung  im  Mittelalter    ...  23 

III.  Die  Gebrauchsweise  des  Amikts 28 

IV.  Beschaffenheit  und  Ausstattung  des  Humerale        .......  32 

V.  Ursprung  des  Schultertuches.     Seine  Namen           .......  44 

VI.  Das  Schultertuch  in  den  orientalischen  Riten          .......  49 

Zweites  Kapitel. 

Der   Fanone. 

I.  Der  Fanone  nach  gegenwärtigem  Brauch 52 

II.  Der  Fanone  seit  dem  13.  Jahrhundert 53 

III.  Der  Fanone  vor  dem  13.  Jahrhundert 56 

Drittes  Kapitel. 

Die    Albe. 

I.  Die  Albe  in  der  Gegenwart 57 

II.  Name  des  Gewandes 59 

III.  Die  Albe  in  karolingischer  Zeit       ..........  61 

IV.  Die  Albe  in  vorkarolingischer  Zeit          .........  63 

V.  Form  der  Albe 69 

VI.  Beschaffenheit  und  Ausstattung  der  Albe        ........  78 

VII.  Die  liturgische  Tunika  in  den  orientalischen  Riten.     Die  Epimanikien          .         .  92 

Viertes  Kapitel. 
Das    Cingulum. 

I.  Das  Cingulum  nach  gegenwärtigem  Brauch 101 

II.  Das  Cingulum  als  Bestandteil  der  liturgischen  Gewandung  in  der  Vergangenheit  102 

III.  Beschaffenheit  des  liturgischen  Gürtels  im  Mittelalter 105 

IV.  Der  liturgische  Gürtel  in  den  Riten  des  Orients 115 


Inhaltsverzeichnis. 


Fünftes  Kapitel. 

Das    Subcinctorium. 

I.  Das  Subcinctorium  nach  gegenwärtigem  Brauch     .... 
II.  Das   Subcinctorium  im  Mittelalter.     Sein  Alter,   seine  Beschaffenheit, 
anzulegen         ......  ..... 

III.  Balteus,  Praecinctorium  und  Semicinctium 

IV.  Zweck,  Ursprung  und  Bedeutung  des  Subcinctorium 

Sechstes  Kapitel. 

Rochett   und   Superpelliceum. 

I.  Vorbemerkung 

IL  Rochett  als  Name  eines  geistlichen  Gewandes 

III.  Charakter  des  Gewandes  zu  Rom  und  außerhalb  Roms 

IV.  Erste  Spuren  des  Gewandes    .         .   ■ 
V.  Beschaffenheit  des  Gewandes 

VI.  Auftreten  des  Superpelliceum 
VII.  Name  und  Gewand  in  ihrem  Ursprung  . 
VIII.  Das  Superpelliceum  im  Ordinationsritus 
IX.  Beschaffenheit  des  Superpelliceum 


We 


ise,  es 


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143 


Zweiter  Abschnitt. 

Die  liturgischen  Obergewänder. 

Erstes  Kapitel. 

Die    K  a  s  e  1. 

I.  Die  Kasel  in  der  Gegenwart 149 

II.  Die  Namen  des  Meßgewandes .         -         .         .  152 

III.  Die  Kasel  als  liturgisches  Gewand           .         .    '      .         .         .         .         .         .         .  155 

IV.  Die  Kasel  bei  den  Subdiakonen  und  Minoristen     . 160 

V.  Die  Kasel  bei  den  Diakonen   . 163 

VI.  Anlegungsweise  der  Kasel  bei   den  Diakonen,  Subdiakonen  und  Akolythen.     Die 

planeta  plicata          .............  166 

VII.  Die  Kasel  im  liturgischen  Gebrauch       .         .         .         .         .         .         .         .         .169 

VIII.  Die  Kasel  im  Weiheritus         .         .                 172 

IX.  Form  der  Kasel  im  Mittelalter  bis  zum  13.  Jahrhundert       .....  173 

X.  Änderungen  in  der  Form  des  Gewandes  seit  dem  13.  Jahrhundert        .         .         .  184 

XI.  Die  Kasel  in  der  neuesten  Zeit        ..........  197 

XII.  Stoff  des  Meßgewandes 200 

XIII.  Verzierung  des  Meßgewandes          .         .         .         .         .         .         .         .         •         .  209 

XIV.  Bestickte  Meßgewänder 224 

XV.  Das  Meßgewand  in  den  Riten  des  Ostens       ........  234 

XVI.  Ursprung  des  Meßgewandes    .         .         .         .         .         .         ....         .         .  239 

Zweites  Kapitel. 

Dalmatik   und   Tunicella. 

I.  Dalmatik  und  Tunicella  nach  gegenwärtigem  Brauch     ......  247 

II.  Alter  des  Gebrauches  der  Dalmatik        .........  249 

III.  Der  Gebrauch  der  Dalmatik  seit  dem  9.  Jahrhundert    ......  255 

IV.  Beschaffenheit  der  Dalmatik  in  vorkarolhigischer  Zeit  ......  258 

V.  Beschaffenheit  der  Dalmatik  vom  9.  Jahrhundert  bis  zum  späten  Mittelalter        .  261 

Beschaffenheit  der  Dalmatik  seit  dem  späten  Mittelalter      ....  270 

VI.  Die  Dalmatik  in  der  Neuzeit           ........•■  280 

VII.  Alter  der  Verwendung  der  Tunika  bei  den  Subdiakonen  und  Bischöfen        .  283 

VIII.  Namen  der  Levitengewänder 287 

IX.  Beschaffenheit  der  Tunika  im  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit        ....  289 

X.  Liturgische  Verwendung  der  Dalmatik  und  Tunicella    .         .         .         .         .         •  293 

XL  Ursprung  der  Dalmatik  und  Tunicella 299 

XII.  Die  Tunika  der  Diakone  und  Subdiakone  in  den  Riten  des  Ostens.     Der  Sakkos  302 


Inhaltsverzeichnis. 


XI 


Drittes  Kapitel. 

Das    Pluviale. 

Seite 

I.  Das  Pluviale  nach  gegenwärtigem  Brauch 306 

IL  Name  des  Gewandes        ............       307 

III.  Alter  des  Gewandes         ............       310 

IV.  Gebrauch  des  Gewandes  ...........       314 

V.  Form  und  Beschaffenheit  des  Gewandes  ........       317 

VI.  Verzierung  des  Pluviale 329 

VII.  Ursprung  des  Gewandes.   Das  päpstliche  Mantum.    Die  Cappa  magna  und  Almutia       348 

Dritter  Abschnitt. 

Die  liturgischen  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  und  des 

Kopfes. 

Erstes  Kapitel. 

Die    Pontifikalhandschuhe. 


I.  Name  der  liturgischen  Handschuhe.    Die  Pontifikalhandschuhe  in  der  Gegenwart 
IL  Alter  des  Gebrauches  der  Pontifikalhandschuhe 

III.  Die  Pontifikalhandschuhe  im   12.  und  13.  Jahrhundert  . 

IV.  Verleihung  des  usus  chirothecarum  an  Nichtbischöfe 
V.  Form  und  Herstellungsweise  der  Pontifikalhandschuhe 

VI.  Ausstattung  der  liturgischen  Handschuhe 

VII.  Stoff  und  Farbe  der  Pontifikalhandschuhe 
VIII.  Die  liturgische  Verwendung  der  Handschuhe 

IX.  Ursprung  der  pontifikalen  Handbekleidung 

Zweites  Kapitel. 

Die   pontifikale    Fußbekleidung. 

I.  Die   pontifikale   Fußbekleidung   in   der   Gegenwart.     Ihre   Bestandteile:   Sandalen 

und  Caligae 

IL  Die  liturgische  Fußbekleidung  in  der  römischen  Kirche  bis  zur  Wende  des  ersten 
Jahrtausends    ............ 

III    Die  liturgische  Fußbekleidung  außerhalb  Roms  bis  zum  11.  Jahrhundert 
IV.  Die  Bestandteile  der  liturgischen  Fußbekleidung    ..... 

V.  Beschaffenheit  der  beiden  Bestandteile   der  liturgischen  Fußbekleidung  bis   zum 
11.  Jahrhundert        ............ 

VI.  Die  Träger  der  Sandalen  und  Caligae  seit  dem  Ende  des  ersten  Jahrtausends 
VII.  Verleihung  der  pontifikalen  Fußbekleidung  an  Nichtbischöfe 
VIII.  Beschaffenheit  der  Sandalen  und  Caligae  vom  11.  bis  14.  Jahrhundert 
IX.  Beschaffenheit   der  Sandalen  und  Caligae   im  späten  Mittelalter  und   der  Neuzeit 
X.  Verwendung  der  sakralen  Fußbekleidung  im  liturgischen  Dienst 
XL  Ableitung  der  liturgischen  Fußbekleidung       .         .         . 


359 
361 
366 
367 
369 
374 
378 
380 
382 


384 

385 
388 
391 

393 
396 
398 
399 
410 
419 
421 


Drittes   Kapitel. 

Die    M  i  t  r  a. 

I.  Name  des  Ornatstückes 424 

IL  Die  Mitra  in  der  Gegenwart 429 

HI.  Erstes  Auftreten  der  pontifikalen  Mitra  ........  431 

IV.  Weitere  Verleihungen  unter  Leo  IX.     Die  Mitra  wird  bischöflicher  Ornat  .         .  448 

V.  Die  Mitra  bei  Kanonikern,  bei  Äbten  und  bei  den  Kardinälen       ....  452 

VI.  Älteste  Form  der  Mitra 458 

VII.  Änderungen  in  der  Form  der  Mitra 463 

VIII.  Die  Mitra  im  späten  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit 474 

IX.  Liturgische  Verwendung  der  Mitra .         •  485 

X.  Die  liturgische  Kopfbedeckung  in  den  orientalischen  Riten   .....  487 

XL  Ursprung  der  Mitra 495 


XII 


Inhaltsverzeichnis. 


Viertes  Kapitel. 

Tiara,  Pileolus,  Birett. 


I.  Die  Tiara 
II.  Der  Pileolus 
III.  Das  Birett 


Seite 
498 
509 
510 


Vierter  Abschnitt. 

Die   I  nsignien. 

Erstes  Kapitel. 

Der  Manipel. 

I.  Der  Manipel  in  der  Gegenwart 

II.  Namen  des  Ornatstückes 

III.  Der  Manipel  seit  der  Karolingerzeit 

IV.  Die  ältesten  Nachrichten  über  die  Verwendung  des  Manipels        .... 
V.  Beschaffenheit    des   Manipels    zur    Karolingerzeit.     Seine    Umwandlung    in    einen 

Zierstreifen 

VI.  Der  Manipel  seit  dem  12.  Jahrhundert  bis  zur  Neuzeit  ..... 

VII.  Der  Manipel  in  der  Neuzeit    ........... 

VIII.  Tragweise  des  Manipels  ........... 

IX.  Verwendung  des  Manipels       ........... 

X.  Die  Überreichung  des  Manipels  im  Ritus  der  Subdiakonatsweihe 
XI.  Das  Gegenstück  des  Manipels  in  den  Riten  des  Ostens         ..... 

XII.  Ableitung  des  Manipels 

Zweites  Kapitel. 

Die    Stola. 

I.  Die  Stola  nach  der  gegenwärtigen  Praxis 
IL  Namen  des  Ornatstückes         .         .         .         .      •  . 

III.  Die  ältesten  Nachrichten  über  die  Stola  im  Abendland 

IV.  Die  Stola  als  liturgisches  Ornatstück  zur  Karolingerzeit 
V.  Gebrauch  der  Stola  ..... 

VI.  Die  Überreichung  der  Stola  im  Weiheritus 
VII.  Beschaffenheit  der  Stola  im  Mittelalter 
VIII.  Die  Stola  in  den  Riten  des  Ostens 
IX.  Ursprung  der  Stola 


Drittes  Kapitel. 

Das    Pallium. 

I.  Das  abendländische  Pallium  in  der  Gegenwart       .         .         .         .         . 
IL  Alter  des  römischen  Palliums  .......... 

III.  Die  Verleihung  des  Palliums  ........... 

IV.  Liturgischer  Charakter  des  römischen  Palliums.    Seine  Verwendung  beim  Gottes- 
dienst        

V.  Die  Palliumverleihungen  im  6.  Jahrhundert  und  der  Kaiser  .         .         .         . 

VI.  Bedeutung  des  Palliums  ........... 

VII.  Gestalt  und  Beschaffenheit  des  Palliums 

VIII.  Ursprung  des  Palliums 

IX.  Das  bischöfliche  Schultergewand  in  den  Riten  des  Ostens 

X.  Die  bischöfliche  Insignie  in  den  Kirchen  Galliens,  Spaniens  und  Nordafrikas 

Viertes  Kapitel. 

Das  Rationale. 

I.  Das  Rationale  in  der  Gegenwart     .......... 

II.  Das  erste  nachweisbare  Auftreten  des  Rationale    ....... 

III.  Verbreitung  des  Gebrauches  des  Rationale 


515 
517. 
520 
523 

530 
535 
541 
543 
545 
548 
550 
554 


562 
563 
569 
578 
582 
589 
590 
601 
608 


620 
624 
626 

631 
634 
639 
642 
652 
664 
674 


676 
678 
680 


Inhaltsverzeichnis.  XIII 

Seite 

IV.  Form  und  Ausstattung  des  Rationale 687 

V.  Ursprung  des  Rationale 694 

VI.  Das  Rationale  als  bischöflicher  Brustschmuck 697 

Fünfter  Abschnitt. 

Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Erstes  Kapitel. 

Die   mystische   Deutung  der  liturgischen   Gewänder. 

I.  Die  mystische  Deutung  im  Abendland 701 

IL  Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder  in  den  Riten  des  Ostens        .  707 

III.  Die  symbolische  Bedeutung  der  priesterlichen  Gewiinder  im  Abendland        .         .  710 

IV.  Die  Symbolik  der  bischöflichen  Ornatstücke  .......  719 

V.  Die   symbolische  Bedeutung   des  Superpelliceum,    der  Levitengewiinder   und    des 

Pluviale 724 

Zweites  Kapitel. 

Die    liturgischen    Farben. 


IL  Das  erste  Auftreten  des  liturgischen  Farbenkanons 

III.  Mannigfaltigkeit  der  liturgischen  Farbenregeln  in  der  Vergangenheit 

IV.  Ursprung  und  Symbolik  der  liturgischen  Farbenregel    . 

V.  Die  Riten  des  Ostens  und  die  liturgische  Farbe    .... 
VI.  Weiß  als  liturgische  Farbe  in  der  vorkarolingischen  Zeit 


728 
729 
737 
749 
753 
754 


Drittes  Kapitel. 

Segnung   der   liturgischen    Gewänder.   .        .        .  760 
Schlußabschnitt. 

Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung. 

I.  Die  liturgische  Kleidung  in  ihrer  Beziehung  zur  alttestamentlichen  Kulttracht     .  765 

II.  Die  liturgische  Gewandung  in  vorkonstantinischer  Zeit 767 

III.  Die  liturgische  Kleidung  vom  4.  bis  9.  Jahrhundert       .         .         .         .         .         .771 

IV.  Die  liturgische  Gewandung  vom  9.  bis  13.  Jahrhundert 779 

V.  Die  liturgische  Gewandung  im  späten  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit            .         .  781 

I.  Verzeichnis  der  besprochenen  alten  Gewänder          ......  787 

IL  Übersicht  über  die  dem  Werke  zu  Grunde  liegenden  monumentalen  und  schrift- 
lichen Quellen 789 

III.  Sachregister 793 


ILLUSTRATIONSVERZEICHNIS. 


Bild  Seite 

Titelbild:  Widmungsbild  der  Viviansbibel 

1.  Heutiger  Amikt 22 

2.  Spanischer  goldbestickter  Amiktkragen          .  22 

3.  Amikt  und  Cingulum 34 

4.  Anlegungsweise  des  Amikts  nach  mittelalter- 
licher Weise 35 

5.  Von  der  Grabplatte  des  Kanonikus  Job,  Peter 

von  Seckendorf 36 

6.  Vom    Grabmal    des    Bischofs    Gottfried    von 
Limburg 36 

7.  Amiktbesatz 37 

8.  In  Seide  und  Perlen  gestickter  Amiktbesatz  37 

9.  Aniiktparura 38 

10.  In   Perlen-    und    Reliefstickerei    ausgeführte 
Amiktparura         .......  39 

11.  Amiktkragen  nach  Mailänder  Gebrauch          .  43 
12  u.  13.  Reliefs  der  Trajanssäule  zu  Roni  .  46 

14.  Grabstele  des  Ccnturio  Faltonius     ...  47 

15.  Schultertuch  und  liturgische  Stauchen  im  ar- 
menischen Ritus 49 

16.  Bischofsweihe.  Miniatur  eines  syrischen  Pon- 
tifikale 51 

17.  Fanone 52 

18.  Grabmal  Bonifatius'  VIII           ....  54 

19.  Grabfigur  Sixtus'  IV 54 

20.  Cosinio  Roselli:  Papst  Silvester       ...  55 

21.  Papst  Innozenz  II 56 

22.  Mit  Besätzen  verzierte  Albe  nach  ambrosia- 
nischem  Ritus 57 

23.  Albe  von  mittelalterlicher  Form  u.  Verzierung  58 

24.  Subdiakon   und   Minoristen.     Miniatur   eines 
Sakramentars  in  Autun 62 

25.  Sog.    Camillus    in    sackförmiger,    gegürteter 
Tunika 70 

26.  Albe  des  hl.  Bernulf 73 

27.  Albe 74 

28-31.  Alben 75 

32.  Albe  mit  herabfallenden  Giren         ...  76 

33.  Albe 77 

34.  „ 82 

35.  „ 83 

36.  Albenparura  mit  Figurenstickerei    ...  8S 

37.  Albenparura 89 

38.  Albenparura 89 

39.  Albe 91 

40.  Armenischer  Diakon  und  Subdiakon       .        .  93 

41.  Armenische  Diakonentunika      ....  95 

42.  St  Nikolaus.    Griechische  Miniatur          .        .  97 

43.  Teil  eines  Ledergürtels 104 

44.  Schnalle  eines  Gürtels 104 

45.  Cingulum 107 

46.  Cingulum 107 

47.  Cingulum 108 

48.  Kaisergürtel 109 

49.  Witgariusgürtel 110 

50.  Detail  des  Witgariusgürtels      ....  110 

51.  Ankleidung  zur  Messe.  Miniatur  eines  Manu- 
skriptes von  1380 114 

52.  Priesterlicber  Gürtel    im  griechischen   Ritus  115 

53.  Gürtel  des  Subdiakons  im  griechischen  Ritus  115 

54.  Subcinctoriuin 117 

55.  Rochett  des  hl.  Thomas  Becket       ...  133 

56.  Melozzo  da  Forli:   Piatinas  Audienz  bei  Six- 
tus IV 134 


Bild  Seite 

57.  Stiftsherr  aus  Oberwesel  in  Pelzkleid,  Super- 
pelliceum  und  Almutia 140 

58.  Fra  Angelico:  Weihe  des  hl.  Laurenthis      .  144 

59.  Stifter.  Ausschnitt  aus  einem  Tafelbild 
Barthel  Bruyns 145 

60.  Weihe  des  Bischofs  von  Bamberg  VeitTruch- 
seß  von  Pommersfelden.  Miniatur  aus  dem 
Gundekarpontifikale 146 

61.  Kaselformen 151 

62.  Hl.  Ambrosius 158 

63.  Kaiser  Justinian  mit  Erzbischof  Maximian 

und  Gefolge 159 

64.  Papst  Honorius  I.    Mosaik      ....  160 

65.  Elfenbeintafel 167 

66.  Elfenbeintafel 168 

67.  Ellenbeinplatte  vom  Sakramentar  des  Drogo  170 

68.  „  171 

69.  Elfenbeintafel 177 

70.  Glockenkasel 178 

71.  „                 179 

72.  „                 180 

73.  „                 181 

74.  Schnitt  der  Glockenkasel        ....  183 

75.  Kasel 185 

76.  Kasel  Kalixtus'  III 187 

77.  Kasel  des  hl.  Karl  Borromäus        ...  190 

78.  Kasel  Pius'  V 190 

79.  Kasel  des  sei.  Petrus  Canisius       .        .        .  191 

80.  Kasel 192 

81.  „ 193 

82—87.  Kasein,  die  Entwicklung  der  Kasel  vom 

12.  Jahrb.  an  bietend 195 

88.  Leinwandkasel 202 

89.  Musterung  der  Bernwardskasel     .        .        .  204 

90.  Lederkasel 207 

91.  Kasel  aus  Stroh 208 

92.  Elfenbeinrelief  von  der  Katbedra  Maximians 

zu  Ravenna 210 

93.  Miniatur  eines  Registers  Gregors  des  Großen  211 

94.  Kasel 212 

95.               213 

96.  Miniatur     in     Hrabans    Laudes     S.     Crucis  .     214 

97.  Kaselkreuz 215 

98.  „                   218 

99.  Kasel 219 

100.  Kasel  mit  Kreuz  in  Perlen      ....  220 

101.  Kaselkreuz  in  Perlenstickerei         .        .        .  221 

102.  Kasel 222 

103. 223 

104.  „ 228 

105.  Kasel,  gestiftet  von  König  Stephan  d.  H, 
und  seiner  Gemahlin  Gisela,  jetzt  ungarischer 
Krönungsmantel 229 

106.  Kasel 231 

107.  Kasel  des  Ornats  des  Ordens  vom  Goldenen 

Vlies 233 

108.  Griechische  Kaselverzierung   ....  234 

109.  Armenischer  Priester 235 

110.  Prozession.  Miniatur  im  Menologium  Ba- 
silius'  II 236 

111.  Chor  der  Bischöfe.  Miniatur  einer  Samm- 
lung griechischer  Marienpredigten         .        .  237 

112.  Einsegnung  des  Archipresbyter.  Miniatur 
eines  syrischen  Pontifikale      ....  238 


Hlustrationsverzeichuis. 


XV 


Bild  Seite 

113.  Sarkophagskulptur  (altcliristlich)    .        .        .  240 

114.  Relief  von  der  Trajanssäule  zu  Rom     .        .  241 

115.  Grabstele  eines  Centurio  .  '  .  .  .  241 
110.  Grabstele  des  Schiffers  Blussus      .        .        .  242 

117.  Buddha  mit  Tunika,  Kasel  und  Sudarium    .  243 

118.  Hl.  Septimius.    Mosaik 258 

119.  Der  hl.  Optatus 259 

120.  Dalmatik 260 

121.  St  Laurentius.    Miniatur  eines  Tropars  von 
Prüm 262 

122.  Translation  der  Reliquien  des  hl.  Stephanus. 
Miniatur  eines  Evangeliars      ....  262 

123.  Siegel  des  Mainzer  Domstifts          .        .        .  263 

124.  Sigebert  von  Minden  mit  seinen  Klerikern. 
Miniatur  eines  Mindener  Codex      .        .        .  266 

125.  Der  Subdiakon  Juvenianus.    Miniatur  eines 
Codex 267 

126.  Dalmatik .  269 

127.  „            270 

128 271 

129.  „             272 

130.  „            .        .        .        .        .        .        .        .  273 

131 274 

132.  Papst    Silvester    zeigt    Kaiser    Konstantin 

die  Bilder  der  Apostelfürsten.    Fresko         .  275 

133.  Spanische  Dalmatik 276 

134.  Dalmatikflügel .277 

135.  Dalmatik 278 

136.  „            ........  279 

137 281 

138.  Tunicella 292 

139.  Ädil,  das  Zeichen  gebend         ....  300 

140.  Diptychon  des  Konsuls  Felix          .        .        .  301 

141.  St  Johannes  Chrysostomus.    Mosaik     .        .  303 

142.  Griechische  Tafelmalerei          ....  304 

143.  Relief  vom  Deckel  des  Drogosakramentars  312 

144.  Piuviale 319 

145.  Übersicht  über  die  Entwicklung  des  Pluvial- 
schildes 321 

146.  Pluvialschliefie 322 

147.  „               323 

148.  „  .324 

149.  „               324 

150.  „               325 

151.  „               325 

152.  „               326 

153.  „               327 

154.  „               328 

155.  Pluvialschild 332 

156.  Schild  und  Teile  des  Besatzes  eines  Piuviale  334 

157.  Szenen   aus   dem  Leben   der  hl.  Magdalena. 
Pluvialbesatz 335 

158.  Pluvialstäbe  mit  Totentanzszenen           .        .  337 

159.  Piuviale  Nikolaus'  IV 338 

160.  Piuviale  aus  Syon 339 

161.  Piuviale  aus  Hildesheim           ....  340 

162.  Piuviale 341 

163.  Piuviale.     (Rekonstruktion)     ....  342 

164.  Piuviale  des  Kardinals  Albornoz    .        .        .  343 

165.  Piuviale 344 

166.  Piuviale   des   Ornats   des   Ordens  vom  Gol- 
denen Vlies 345 

167.  Kanonisation    der    hl.    Katharina.      Fresko 
Pinturicchios 353 

168.  Der  hl.  Franziskus  vor  Honorius  Hf.    Fresko 
Giottos 354 

169.  Bischof   Albert    von    Hohenfels    und    seine 
Canonici.      Miniatur    des    Gundekarpontifi- 

kale 355 

170.  Grabplatte  des  Georg  von  Schaumburg          .  357 

171.  Armreliquiar 366 

172.  Pontifikalhandschuh 370 

173.  Pontifikalhandschuh    Peters  von  Courpalay  370 

174.  Pontifikalhandschuh  im  Domschatz  zu  Prag  371 
175—177.  Pontifikalbandschuhe  ....  372 
178—179.  „  ....  373 
180.  Pontifikalhandschuh 373 


Bild  Seite 

181.  Stulpen  eines  Handschuhpaares  aus  einem 
Bischofsgrab      ...:...  374 

182.  Pontifikalhandschuh  mit  Zipfeln    ...  375 

183.  Pontifikalhandschuh 375 

184.  „                           376 

185.  Grabfigur  des  Bischofs  Johannes  von  Lübeck  376 
186—187.  Handschuhfibeln    aus   einem  Bischofs- 

grabe.    Eniailplättchen 377 

1S8.  Zierscheibchen  in  Stickerei     .        .        .        .  377 

189.  S.  Felicissimus.    Mosaik 393 

190.  Pontifikalschuhe  der  Grabfigur  des  Bischofs 

Otto  von  Braunschweig 401 

191—192.  Pontifikalstrümpfe 403 

193.  Pontifikalschub  St  Godehards         ...  406 

194.  Pontifikalschub  des  Bischofs  Bernhard  von 
Hildesheim 406 

195.  Pontifikalschub     des     Bischofs    Konrad    II. 

von  AVorms 407 

196.  Pontifikalschub 409 

197.  „                       409 

198.  „                       409 

199.  Pontifikalstrumpf  des  Arnold  de  la  Vie        .  411 

200.  Pontifikalstrumpf 411 

201.  Pontifikalschub 412 

202.  „                       412 

203.  Pontifikalsandale 413 

204.  Pontifikalschuh 413 

205.  Stiefelartiger  Pontifikalschub          .        .        .  414 
206-208.  Pontifikalschuhe    aus    den   Trierer  Bi- 
schofsgräbern       415 

209.  Pontifikalschuh    des    Erzbischofs    Arnold   I. 

von  Trier 416 

210—212.  Pontifikalschuhe  aus  den  Trierer  Bi- 
schofsgräbern       417 

213.  Pontifikalschuhe   der  Grabfigur  Martins   V.  418 

214.  Segnung  des  Taufwassers.  Miniatur  eines 
Taufrotels 447 

215.  Erzbischof  Friedrich  von  Köln.  Miniatur 
einer  Sammlung  der  Hieronymusbriefe    .    .  450 

216.  Die  Bischöfe  Felicius,  Faustmus  und  Jo- 
hannes.   Miniatur  einer  Kanonessammlung  451 

217.  Majestätssiegel  Kaiser  Karls  IV.    ,        .        .  457 

218.  Miniatur  in  der  Vita  S.  Willibrordi       .        .  458 

219.  Hl.  Heribert.    Ausschnitt  einer  Miniatur      .  459 

220.  Mitra  aus  dem  Grab  des  Trierer  Erzbischofs 
Albero 460 

221.  Siegel  Gottfrieds  von  Nevers         .        .        .  463 

222.  Mitra 464 

223-       -        ■                                     465 

224.  „ 466 

225.  „ 466 

226.  „ 467 

227.  Herstellungsweise    der    Mitra    im    12. 'und 

13.  Jahrhundert 467 

228.  Mitra  .                                  468 

229.  „ 469 

230.  „ 470 

231.  „ 471 

232.  „ 472 

233.  „ 473 

234.  Entwicklung  der  Mitra  vom  11.  Jahrhundert 

bis  heute 475 

235.  Mitra  des  Jean  de  Marigny    ....  478 

236.  Mitra .479 

237.  „ 480 

238.  „ 481 

239.  „ 482 

240.  „ 483 

241.  „ 484 

242.  „ 485 

243.  Griechische  Mitra 487 

244.  Liturgische  Kopfbedeckung  der  armenischen 
Priester 487 

245.  Athanasius.  Miniatur  im  Menologium  Ba- 
silius'  II 490 

246.  Spiridion.     Miniatur   im   Menologium    Basi- 

lius'  H 490 


XVI 


Illustrationsverzeichnis. 


Bild 
247. 
248. 

249. 
250. 
251. 
252. 
253 
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255. 
250. 


257. 
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259. 

260. 
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263. 
264. 
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266. 
267. 

268. 
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270. 
271. 
272. 
273. 
274. 
275. 

276. 

277. 
278. 
279. 
280. 
281. 
282. 


Papst.    Miniatur  eines  Exultetrotels     . 

St  Gregor   d.  Gr.    Von   der  Bronzetüre  des 

Luca  della  Robbia 

St  Silvester.    Fresko       .... 
Tiara  der  Grabstatue  Benedikts  XI. 
Fragment  der  Grabstatue  Benedikts  XII 

Tiara  Julius'  II. 

Vom  Grabmal  Klemens'  VI.  . 
Vom  Grabmal  des  Kardinals  Alanus  . 
Grabstein  Peters  Ton  Thure 
Übersiebt  über  die  Entwicklung  des  Biretts 
an  Hand  der  Grabplatten  in  den  Domen  zu 
Augsburg,  Bamberg,  Kegensburg  und  Würz- 
burg         .        . 

Anonymes  Konsulardiptychon 
Relief  vom  Palliotto  zu  Mailand    . 
Ausschnitt    aus    einer   Miniatur    des    Gero- 
evangeliars   

Manipel  des  bl.  Bernulf 

Ehemalige  Bindevorrichtung  am  Manipel     . 

Manipel 

Manipel  des  hl.  Edmund  .        .        .        . 

Manipel 

Manipel  und  Stola 

Manipel 

Manipel   in  Goldstickerei.     Slavische  Arbeit 

des  16. — 17.  Jahrh 

Epigonation        .        .        .        .        . 

St  Gregor  der  Wundertäter.    Miniatur   des 

Menologium  Basilius'  II 

St  Nikolaus.     (Tauschierarbeit) 

St  Atbanasius.    Mosaik 

Doigtier 

Bischof  Ecclesius.    Mosaik      .        .        .        . 

Altar  des  Ratchis 

Taufszene.   Miniatur  in  einer  AVessobrunner 

Handschrift 

Segnung    der    Osterkerze.      Miniatur    eines 

Exultetrotels 

Diakon.    Marmorrelief 

Stola 

Stola  aus  dem  Grabe  Theodorichs  II.  von  Trier 

Stola 

Stola  (Mittelstück) 

Stola    ." 


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551 

552 
552 
553 
561 
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583 


Bild 
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591 

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595 

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314 

597 

315. 

Seite 

Stola  (oberes  Stück) 599 

Weihe  der  Subdiakone.    Miniatur  eines  syri- 
schen Pontifikale 601 

Priesterstola  des  griechischen,  syrischen,  ar- 
menischen und  koptischen  Ritus   .        .        .  602 

Armenische  Diakonstola 603 

Bittgottesdienst.    Miniatur  aus  einer  Honii- 
liensammlung  Gregors  von  Nazianz       .        .  606 
St  Abibus.     Miniatur  im    Menologium   Ba- 
silius' II 606 

Griechische  Priesterstola          ....  607 

Reichgestickte  griechische  Priesterstola  von 

1617     ....                 ....  607 

Koptische  Grabstele 619 

Modernes  Pallium 621 

Papst  Symmachus.    Mosaik    ....  626 

Papst  Markus.    Mosaik 645 

Hl.  Gregor.    Miniatur  eines  Evangeliars  aus 

St  Gereon  zu  Köln 646 

Pallien  der  hll.  Heribert  und  Anno       .        .  647 

Übersicht  über  die  Entwicklung  des  Palliums  649 
Veneranda  mit  der  hl.  Petronilla      Fresko 

in  der  Katakombe  S.  Domitilla  zu  Rom       .  661 

Triptychon  der  Sammlung  Harbaville  .        .  ,663 

Omopborion  in  den  orientalischen  Riten      .  665 

Reliquientranslation.    Elfenbeinplatte   .        .  669 
Der  hl.  Gregor  von  Nyssa.    Miniatur  einer 

Sammlung  der  Homilien  Gregors  von  Nazianz  670 

Reichbesticktes  griechisches  Omophorion     .  671 
Profanes  Omophorion.    Miniatur  eines  Psal- 

terium          7 673 

Rationale  des  Bischofs  von  Paderborn         .  677 

Rationale  (Rückseite) 679 

Grabmal  des   Bischofs  Albert   von  Hohen- 

lohe 681 

Büste  des  hl.  Lambertus          ....  685 
Vom   Grabmal    des   Bischofs   Heinrich    von 

Absberg 689 

Rationale  (Vorderseite) 690 

Rationale  (Rückseite) 690 

Rationale 691 

Siegel  des  Lütticher  Bischofs  Johannes  von 

Heinsberg 693 

Statue  des  hl.  Klemens 698 

Papst  Klemens  II 699 


VERZEICHNIS  DER   HÄUFIGER   BENUTZTEN 
MITTELALTERLICHEN  WERKE. 

Admonitio  synodalis '.     M.  115,  675  ff. 

Alcuini  (Pseudo-)  De  divüiis  officiis  c.  38  39.     M.  101,  1238  ff. 

Amalarii  Symphos.  De  ecclesiasticis   officiis  1.  2,    c.  15  ff ;   1.  3,   c.  4.     M.  105,  1093  ff  1107. 

Bedae  (Pseudo-)   De  Septem  ordinibus.    M.  94,  553  ff. 

Belethi  Ioannis  Rationale  divinorura  officiorum  c.  32.     M.  202,  43. 

Berthold  von  Regensburg,  Predigt  über  die  heilige  Messe:  Wackernagel,  Altdeutsche  Predigten 

Nr  41,  Basel  1876,  70. 
Brunonis  Signiensis  Tractatus  de  sacramentis  ecclesiae.     M.  165,  1103  ff. 
Durandi  Rationale  divinorum  officiorum  1.  3,  c.  1  ff,  ed.  Lugdun.   1612  f,  63  ff. 
Expositio  brevis  antiquae  liturgiae  gallicanae  ep.  2.     M.  72,  95  ff. 
Germani  Constant.  (Pseudo-)  Mu/rrr/.ij  üswpia.     Mg.  98,  393  f. 
Gilberti  Lunic.  De  statu  ecclesiae.     M.  159,  997  ff. 
laropia  ixxhj(naazi7.Tj,  Jahrbuch  von  Odessa  IV  2  (1894),  178  ff;  in  der  lateinischen  Übersetzung 

des  Anastasius  Bibliothecarius,  Revue  de  l'Orient  chretien  1905,  301  ff. 
Honorii  Augustod.  Gemma  animae  1.  1,  c.  199  ff.     M.  172,  604  ff. 
Honorii  Augustod.  Sacramentarium  c.  25  ff.     M.  172,  760  ff. 
Innocentii  III.  P.  De  sacro  altaris  mysterio  1.   1,  c.  10  ff.     M.  217,  780  ff. 
Ioannis  Abrincensis  De  officiis  ecclesiasticis.     M.  147,  62  210. 
Isidori  Hispal.  Etymologiarum  1.  19,  c.  24  ff.     M.  82,  689  ff. 
Ivonis  Carnot.  Sermo  3.     M.  162,  524  ff. 
Liber  Patrum :  La  science  catholique,  annee  1890,  450. 
Nerses  von  Lampron,  Kommentare  zur  heiligen  und  göttlichen  Liturgie  c.  5  25  27  (ed.  Venet. 

1847,  80  140  145). 
Ordo  Romanus  I,  n.  6.     M.  78,  940. 
Ordo  Romanus  III,  n.  6.     M.  78,  978. 
Ordo  Romanus  IX,  n.  4.     M.  78,  1005. 
Ordo  Romanus  XIII,  n.  2-6.     M.  78,   1105  ff. 
Ordo  Romanus  XIV,  n.  48  ff,  c.  103.     M.  78,  1153  ff  1233  f. 
Ordo  Romanus  XV,  n.  8.    M.  78,  1276. 

Rabani  Mauri  De  institutione  clericorum  1.  1,  c.   14  ff.     M.  107,  306  ff. 
Riculfi  Statuta.     M.  131,  15  ff. 

Roberti  Paululi  De  caeremoniis,  sacramentis  et  officiis  ecclesiasticis  1.  1,  c.  45  ff.    M.  177,  403  ff. 
Ruperti  Tuitiens.  De  divinis  officiis  1.   1,  c.  18  ff;  1.  2,  c.  24.     M.  170,  21  54. 
S.  G.  K.  (St  Gallener  Kleiderkatalog),  S.  777  f  dieses  Werkes. 
Sermonum  C  sermo  XIV.     M.  177  927  f. 
Sicardi  Cremon.  Mitralis  1.  2,  c.  5  ff.     M.  213,  72  ff. 
Simeonis  Thessalon.  De  sacra  liturgia  c.  80  ff.     Mg.   155,  257  ff. 
Simeonis  Thessalon.  De  divino  templo  c.  33  ff.     Mg.  155,  712  ff. 
Sophronii  Hierosolym.  (Pseudo-)  Commentarius  liturgicus.     Mg.  87,  3,  3986  f. 
Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  c.  6.     M.  177,  352  ff. 

Theodulphi  Aurelian.  Paraenesis  ad  episcopos  carm.  1.  5,  n.  3.     M.  105,  354  ff. 
Tractatus  de  sacramento  altaris  c.  5  ff.     M.  172,  1277  ff. 
Walafriedi  Strabonis    De  exordiis   et  incrementis   quarundam  in  observationibus  ecclesiasticis 

rerum  c.  24.     M.  114,  951  f. 

1  Um  die  Fußnoten  möglichst  zu  beschränken,  werden  in  der  Arbeit  die  folgenden 
Werke  nur  dann  unter  dem  Text  zitiert,  wo  solches  aus  besondern  Gründen  zweckmäßig 
ist;  im  übrigen  muß  auf  das  hier  gegebene  generelle  Verzeichnis  verwiesen  werden.  Es 
kann  das  aber  auch  um  so  eher  geschehen,  als  die  in  ihnen  den  liturgischen  Gewändern 
gewidmeten  Abschnitte  nur  kürzeren  Umfanges  und  außerdem  meist  in  Kapitel  mit  besondern 
Überschriften  eingeteilt  sind,  so  daß  ein  Vergleich  keinerlei  Schwierigkeiten  bietet. 


Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


VERZEICHNIS  BEMERKENSWERTER  FÜR  DIE  ARBEIT 
BENUTZTER  INVENTARE. 

Abdinghof,    Abteikirche.     Inventar  von  1031  '.     M.  G.  SS.  XI  156  f. 

—  —  Inventar  von  ca  1105.     Voyage  litteraire    de    deux   religieux  Benedictins    de    la    con- 

gregation  de  St-Maur  (Paris  1724)  241  f. 

Aberdeen,  Kathedrale  (1436  1465  1550).  Innes  C,  Registrum  episcopatus  Aberdonensis  II 
(Edinburg  1845:  Publikation  des  Spalding  Club)  127  ff. 

Albairs,  St-,  Abteikirche  (ca  1400).  Riley  O.  H.,  Annales  monasterii  S.  Albani  (Cbronicles 
and  Memorials)  II  (London  1871)  322  ff. 

Allenstein,  Pfarrkirche  (1581).  Hipler,  Die  ältesten  Schatzverzeicbnisse  der  erinländi- 
schen Kirchen  (Braunsberg  1886)  40  ff. 

Altenburg,  Pfarrkirchen  (1527).  Mitteilungen  der  geschicbts-  und  altertumsforschenden 
Gesellschaft  des  Osterlandes  zu  Altenburg  V  (1862)  354. 

—  Bergerkloster  (1528).     Ebd.  453  f. 

Amiens,  Kathedrale  (1419).  Garnier  ,T..  Memoires  de  la  Soc.  des  Antiquaires  de  Picardie 
X  (1850)  277  ff. 

Anagni,    Gaben  Bonifaz'  VIII.  (ca  1300).     Annales  archeologiques  XVIII  (1858)  22  ff. 

Angers,  Kathedrale  (1297  1391  1421  ff).  Revue  de  l'art  chretien,  3C  serie  III  (1885)  168  ff 
299  ff;  IV  (1886)  170  ff. 

Aquileja,  Kathedrale  (1358 — 1378  1408).  Joppi  V.,  Archivio  storico  per  Trieste,  1' Istria 
ed  il  Trentino  II  (1883)  56  ff;  III  (1884)  58  ff. 

Arles,  St-Cesaire  (1473).     Revue  des  Societes  savantes,  7e  serie  I  (1879)   168  ff. 

Assisi,  S.  Francesco.  Inventar  von  1320.  Abschrift  in  Dr  Bocks  Sammlung  mittelalter- 
licher Inventare  im  städtischen  Suermondt-Museum  zu  Aachen. 

—  —  Inventar  von  1341.  Fratini  G.,  Storia  della  Basilica  di  S.  Francesco  in  Assisi  168  ff. 
Bajos  (Diöz.  Vieh),  S.  Benito  (972).  Marca  P.  de,  Marca  Hispanica  (Parisiis  1688)  c.  899. 
Bamberg,    Kathedrale    (1127).     Weber  H.,    Die  St -Georgenbrüder    am   alten    Domstift  zu 

Bamberg  (Bamberg  1883)  38  ff. 

—  Abtei  Michelsberg  (1483).     Abschrift   in  Dr  Bocks  Sammlung   mittelalterlicher  Inventare 

im  Besitz  des  städtischen  Suermondt-Museums  zu  Aachen. 

Beauvais,  Kathedrale  (1464).  Desjardins,  Histoire  de  la  cathedrale  de  Beauvais  (Beau- 
vais  1865),  Documents  159  ff. 

Benediktbeuren,  Abteikirche  (1032).     M.  G.  SS.  IX  223. 

Braunsberg,  St  Marien  (1565).  Hipler,  Die  ältesten  Schatzverzeichnisse  der  ermländi- 
schen  Kirchen  48  ff. 

Braunschweig,  St  Gertrud  (Ende  des  15.  Jahrh.).  Vaterländisches  Archiv  des  histor. 
Vereins  für  Niedersachsen  Jahrg.  1836,  380  ff. 

Breslau,     St   Elisabeth    (1483).      Abhandlungen    der   schlesischen    Gesellschaft    für   vater- 
ländische Kultur,  philosoph. -histor.  Abteil.,  Jahrg.   1867,  6  ff. 
-  St  Bernhardin  und  St  Jakob   (1521).     Ebd.     18  ff. 

—  St  Nikolai  (1529).     Ebd.  22  ff. 

Brügge,  St  Donat  (1347).  Dehaisnes,  L'art  dans  la  Flandre,  Documents  (Lille  1886)  359  f. 
Cambrai,  Notre-Dame  (1359  u.  1401).     Ebd.  402  ff  799  ff. 

Cambridge,  King's  College  (1452).  The  Ecclesiologist  XX  (1859)  311  ff:  XXI  (1860) 
5  ff;  XXIV  (1863)  100  f. 


1  Wie  die  Hinweise  auf  die  Angaben  der  mittelalterlichen  Liturgiker,  so  werden 
auch  die  Verweise  auf  die  Inventare  und  die  ihnen  entnommenen  Auszüge  und  Daten  der 
Vereinfachung  des  Fußnotenmaterials  halber  nur  in  besondern  Fällen  ausdrücklich  durch 
genaue  Stellenangabe  belegt.  Da  die  Inventare  in  der  Regel  nur  geringen  Umfang  haben, 
größere  aber  in  Rubriken  geschieden  zu  sein  pflegen,  ist  auch  so  ein  Vergleich  ohne  Mühe 
zu  bewerkstelligen.  Das  obige  Verzeichnis  gibt  die  älteren  gedruckten  Inventare  von  irgend 
einer  Bedeutung  vollständig,  die  späteren  mit  Auswahl.  Aus  den  meisten  derselben  werden 
im  Verlauf  der  Arbeit  Exzerpte  geboten.  Eine  reichhaltige,  fast  vollständige  Zusammen- 
stellung aller  bisher  im  Druck  erschienenen  Inventare  aus  dem  Mittelalter  und  der  Neuzeit 
bietet  Ferd.  de  M61y  et  Ed.  Bishop,  Bibliographie  generale  des  Inventaires  imprimes, 
2  vols.,  Paris  1892-1895. 


Verzeichnis  bemerkenswerter  für  die  Arbeit  benutzter  Inventare.  xiX 

Canterbury,    Kathedrale     (1316).      Dart,    The   history   and    antiquities    of  the  Cathedral 

Church  of  Canterbury  (London  1726),  App.  iv  ff. 
Chartres,    Kapelle    des  Bischofs  Robert   von   Joigny    (1327).     Bulletin    du   Comite   de  la 

langue  IV  (1857)  309  ff. 

—  Kathedrale  (1322  1353).     Mely  F.  de,  Tresor  de  Chartres  (Paris  1885)  101  f. 

—  St-Pere-en-Vall^e  (10.  Jahrh.).     Revue  de  l'art  chretien,  3°  Serie  IV  (1886)  308. 
Chemnitz,     Abteikirche    (1541).      Ermisch,    Urkundenbuch    der   Stadt   Chemnitz    (Leipzig 

1879)  436  f. 

—  Franziskanerkirche  (1539).     Ebd.  451. 

Chester-le-Stree  t,  Gaben  Athelstans  (ca  930).     Dugdale,  Monasticon  anglicanum,  nova 

editio  (1846)  I  234. 
Chieti,    S.    Liberatore    (1019).      Muratori,    Antiquitates  Italicae   medii    aevi    IV    (Milano 

1741)  767  ff. 
Clairvaux,  Abteikirche  (1405).    Lalore  Ch.,  Le  tresor  de  Clairvaux  du  XIIe  au  XVIIIe  siecle 

(Troyes  1875)  98  ff. 
Clermont-Ferrand,  Kathedrale  (10.  Jahrh.).     Revue  archeologique  X  (1853)  172  ff. 
Cluny,  Abteikirche  (1382).     Revue  de  l'art  chretien,  3«  serie  VI  (1888)   195  ff. 
Coldinghham,     Klosterkirche     (1362—1374).      Raine    J. ,     The    Priory     of    Coldingham 

(Surtees  Society  XII,  London  1841)  xl  ff. 
C  r  e  ino  n  a ,  Kathedrale  (984).  Historiae  patriae  monumenta.  Codex  diplom.  Langobardiae  1442  ff. 
Dijon,    Ste-Chapelle    (1563).     Arbaumont  J.  d',    Le   tresor   de  la  Sainte-Chapelle   de  Dijon 

(Dijon  1887)  1  ff. 
Dol  (Bretagne),  Kathedrale  (1410).     Bulletin  du  Comite  de  la  langue  II  (1853—1855)  64  ff. 
Douai,  St-Aine  (13.  Jahrh.).    M.  G.  SS.  XXIV  28. 

—  —  Inventar  von  1377  und    1386.    Dehaisnes,  L'art  dans  la  Flandre,  Documents  541  ff. 
Dover,  St  Martin  (1535).     Dugdale,  Monasticon  anglicanum,  nova  editio  IV  542. 
Durham,  Kathedrale  (1418).     Raine  J.,  St  Cuthbert  (Durham  1828)   142  ff. 

-  Nachlaß    der   Bischöfe    (12.  bis  14.  Jahrh.).     Raine  J.,    Durham    Wills     and    Inventories 

I  (London  1835)  1  ff. 
Ecouis    (Eure),    Stiftskirche   (1565).     Bulletin    de   la    Societe'    des  Antiquaires    de   la  Nor- 

mandie  XIV  (1888)  390  ff. 
Egmond,    Abteikirche,    Gaben  Egberts  von  Trier   (976—993).     Miraeus,  Codex  donationum 

piarum  I  (Lovanii  1723)  71. 
El  hing,    Kirchen  und  Kapellen  (1544 — 1547).     Hipler,  Die  ältesten  Schatzverzeichnisse  der 

ermländischen  Kirchen  6  ff. 
Eine  (915),  Testament  Riculfs  von  Eine.     Migne,    P.  lat.  132,  468. 
Ely,  Kathedrale  (1079).     Monasticon  anglicanum,  nova  editio  I  477. 
Enger    (10.  bis  11.  Jahrh.).     Diekamp  W.,  Westfälisches  Urkundenbuch  92  f. 
Exalata  (Coxan),  Klosterkirche  (855).    Marca  P.  de,  Marca  Hispanica  (Parisiis  1688)  788  f. 
Ex  et  er,   Kathedrale  (1277  1327  1506).     Oliver,    Lives  of  the  Bishops   of  Exeter    (Exeter 

1861)  297  ff. 

—  Schenkung  Leofrics  von  Exeter    (vor  1073).    Warren   F.  E.,    The  Leofric  Missal  (Oxford 

1883)  xxn. 

Farfa,  Abteikirche  (ca  947  1119  1122).     M.  G.  SS.  XI  536  578  582. 

Fecamp,  Abteikirche  (1362—1375).  Bibliotheque  de  l'Ecole  des  Chartes,  4^  serie  V  (1859) 
160  ff  399  ff. 

Fontenelle  (823—833),  Gaben  des  hl.  Ansegisus.     M.  G.  SS.  II  295. 

Frauenburg,  Kathedrale  (1578).  Hipler,  Die  ältesten  Schatzverzeichnisse  der  ermländi- 
schen Kirchen  25  ff. 

Freiberg  (Sachsen),  Franziskanerkirche  (1530),  Jungfernkloster  (1542),  Dom  (1535). 
Ermisch,  Urkundenbuch    der  Stadt  Freiberg  in  Sachsen  I  394  519  623. 

Freising,   Inventar  des  Chorbischofs  Herold  (855).     Meichelbeck,    Histor.  Frising.  I2  351. 

—  Kathedrale,    Inventar    von     1352.     Anzeiger     für    Kunde     der    deutschen    Vorzeit    XIV 

(1867)  303  f. 
—  Inventar  von  1456.     Ebd.  XV  (1868)   14  f. 
Gandersheim,    Klosterkirche    (12.  Jahrh.).     Ebd.     XX  (1873)  345. 
Genf,  Kathedrale    (1535).     Memoires    et    documents    publies    par    la  Societe    d'histoire    et 

d'archeologie  de  Geneve  V  (1849)  126  ff. 
Gent,  St  Bavo  (860).     Neues  Archiv  VIII  (1882)  374. 
Genua,  S.  Maria  di  Castello  (1253).     Vigna  R.  A.,   L'antica  Collegiata  di  S.  Maria  di  Ca- 

stello  in  Genova  (1859)  184  f. 


XX  Verzeichnis  bemerkenswerter  für  die  Arbeit  benutzter  Inventare. 

Georgenberg  bei  Goslar,  Klosterkirche  (ca  1125 — 1150).  Heinemann  0.  v.,  Die  Hand- 
schriften der  herzoglichen  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel,  1.  Abteil.,  I  175. 

Gerona,  St  Felix  (1310)".     Florez  H.,  Espana  sagrada  XLV  (1832)  255  ff. 

Glasgow,  Kathedrale  (1433).  Innes  C. .  Registrum  episcopatus  Glasguensis.  Publikation 
des  Bannatyne  Club  und  des  Maitland  Club  (Edinburg  1843)  329  ff. 

Gnesen,  Kathedrale  (1450).     Monumenta  Poloniae  historica  V  (1888)  950  ff. 

Gottesthal  (Rheingau,   1499).     Roth,  Geschichtsquellen  aus  Nassau  III  202. 

Gran,  Kathedrale  (1528  1553  1592  1609).  Dankö  J.,  Geschichtliches  aus  dem  Graner  Dom- 
schatz 142  ff. 

Gubbio,  Augustinerkirche  (1341).  Mazzatinti  G.,  Archivio  storico  per  le  Marche  e  per 
F  Umbria  III  (1886)  570  ff. 

Halberstadt,  Kathedrale,  Gaben  des  Bischofs  Konrad  (1208).  Riant,  le  comte  P.,  Exuviae 
sacrae  Constantinopolitanae  I  20  ff:  II  84  f. 

Heilsberg.,  Pfarrkirche  und  Schloßkapelle  (1581).  Hipler,  Die  ältesten  Schatzverzeich- 
nisse der  ermländischen  Kirchen  58  f. 

Hereford,  Kathedrale  (1817).  Weib  J.,  A  roll  of  the  household  expenses  of  Richard 
de  Swinfleld,  Bishop  of  Exeter  (Camden  Society  1854)  xxxvi  f. 

Hermannstadt  (Siebenbürgen),  St  Marien  (1440).     Serapeum  IX  (1848)  227  ff. 

Hildesheim,    Dom    (1409).     Anzeiger   für   Kunde    deutscher  Vorzeit  XXV  (1878)  207  ff. 

Karl  der  Kühne  von  Burgund  (1467).    Laborde,  comte  de,  Les  ducs  de  Bourgogne  II  1  ff. 

Karl  V.  von  Frankreich  (1379).  Labarte  J.,  Documents  inedits  de  l'histoire  de  la  France 
(Paris  1879). 

Kiedrich  (Rheingau),  St  Valentin  (1583).  Annalen  des  Vereins  für  nassauische  Altertums- 
kunde  und  Geschichtsforschung  XXIX  (1898)  220  f. 

Kolbatz,  Klosterkirche  (1509).     Baltische  Studien  XXVII  (1877)  267  f. 

Köln,  St  Brigiden  (1508  1541  1578  1597  1612).  Annalen  des  historischen  Vereins  für 
den  Niederrhein  XLV  (1886)   118  ff. 

—  St  Georg  (ca  1100).     Bock,  Das  heilige  Köln  (Leipzig  1858),  St  Jakob  8  ff. 

(14.  Jahrh.).     Ebd.    14  ff. 

-  St  Johann  (1406).     Ebd.,  St  Johann  14. 

Königsberg,  Schloßkirche  (1518).  Hipler  F.,  Mitteilungen  des  ermländischen  Kunst- 
vereins III  (1875)  56  ff. 

Krakau,  Kathedrale  (1101  u.  1110).  Essenwein  A.,  Die  mittelalterlichen  Kunstdenkmale 
der  Stadt  Krakau  (Leipzig  1869),  Anhang  xxxiii. 

Kremsmünster,  Klosterkirche  (1.  Hälfte  des  11.  Jahrb.).     M.  G.  SS.  XXV  669. 

Lamspringe  (?)  ,  Klosterkirche  (10.  Jahrh.).  Heinemann  O.  v. ,  Die  Handschriften  der 
herzoglichen  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel,  1.  Abteil.,  I  333. 

Lausanne,  Kathedrale  (1536).  Chavannes  E.,  Le  tresor  de  l'eglise  cathedrale  de  Lausanne  50  ff. 

Leon,  Kathedrale  (1063),  Gaben  des  Königs  Ferdinand.  Florez  H.,  Espaiia  sagrada  XXXVI 
(1787)  clxxxix.     (1073),  Gaben  des  Bischofs  Pelagius.     Ebd.  i.ix  f.- 

Lerez,  S.  Salvador  (ca  916).    Schenkung  König  Ordonos  II.  von  Leon.    Ebd.  XIX  (1765)  355. 

Lichfield,  Kathedrale  (1346).  Journal  of  the  Derbyshire  Archaeological  Society  IV 
(1882)  107  ff. 

Lille.  St  Pierre  (1397).     Dehaisnes,  L'art  dans  la  Flandre,  Documents  751  ff. 

Limoges,  St  Martial  (12.  Jahrh.).    Bulletin  archeologique  IV  (1847/1848)   100  f. 

-  Inventar  von  1226—1245.    Bibliotheque  de  l'Ecole  des  Chartes,  4<>  stSrie  (1855)  I  29  ff. 

Lincoln,  Kathedrale  (1536  u.  1553).  Monasticon  anglicanum,  nova  editio  VI  1278  f  1287  ff. 

London,  St  Paul  (1245  1295  1402).     Archaeologia  L  (1887)  464  ff. 

Lüttich,  St  Laurent  (1034).    Heibig  J.,  La  sculpture  au  pays  de  Liege  (Bruges  1890)  8  f. 

Lyon  (1448).     Valois  V.  de,  Inventaire  du  tresor  de  l'eglise  de  Lyon  (Lyon  1877)  1  ff. 

Mailand,  S.  Ambrogio  (11.  Jahrh.).  Magistretti  M.,  Delle  vesti  ecclesiastiche  in  Milano 
(Milano  1897)  79  ff. 

Mainz,  Altmünster  (12.  Jahrb.).  Serapeum,  Zeitschrift  für  Bibliothekswissenschaft  XVIII 
(1857)  363. 

—  Kathedrale  (12.— 13.  Jahrb.).     M.  G.  SS.  XXV  239  ff. 

-  St  Quintin.     Laib  und  Schwarz,  Kirchenschmuck  XXVII  (1870)  30. 

Marchiennes,  Klosterkirche  (9.  Jahrh.).    Dehaisnes,  L'art  dans  la  Flandre,  Documents  14. 
Martinsberg,    Klosterkirche  (12.  Jahrb.).     Mitteilungen  der  k.  k.  Zentral-Kommission  V 

(1860)  350  ff. 
Mehlsack,    Pfarrkirche    (1581).     Hipler,    Die    ältesten    Schatzverzeichnisse    der    ermländi- 
schen Kirchen  65  f. 


Verzeichnis  bemerkenswerter  für  die  Arbeit  benutzter  Inventare.  xXI 

Meschede  (Westfalen),  Gaben  der  Äbtissin  Hidda.     Neues  Archiv  XI  (1886)  409. 
Milz,  Klosterkirche  (ca  800).     Schannat,  Corpus  traditionum  Fuldensium  (Lipsiae  1724)  69. 
Mittelheim  (1492).    Roth  F.  W.,  Geschichtsquellen  aus  Nassau  III  (Wiesbaden  1880)  419. 
Monte  Cassino.     Erwerb  des  Abtes  Desiderius.  Chronicon  Cassinense  1.  8,  c.  18  (M.  G.  SS. 

VII  710). 
-  Hinterlassenschaft  Viktors  III.     Ebd.  c.  74  (M.  G.  SS.  VII  753). 
Monza,  S.  Giovanni.    Inventar  von  ca  910.    Bulletin  monumental  XLVI  (1880)  313  f  464  ff. 

Inventar  von  1275.     Ebd.  627  ff. 

Muri,    Klosterkirche    (12.  Jahrb.).     Hergott  M. .    Genealogia    diplomatica   Augustae    Domus 

Habsburgicae  I  (Viennae  1737)  313  ff. 
Namur,  St  Aubin  (1218).     Le  Beffroi  III  (1871)   129  ff. 

Nevers,  Kathedrale  (11.  Jahrb.).  Revue  de  l'art  chrefien,  4e  Serie  (1890)  247. 
Novara,  Kathedrale  (1212).  Historiae  patriae  monumenta,  Chartarum  I  1192  ff. 
Obona,  Stiftungsurkunde  Adelgasters  von  Asturien  (ca  790).    Florez,  Espana  sagrada  XXXV 11 

(1789)  308. 
Oberaltaich,  Klosterkirche  (ca  1150).    Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  Ge- 
schichtsforschung IV  (1883)  288. 
Oldesloe,    St  Peter   und   Paul  (1489).     Jahresbericht   des  Realprogymnasiums   in  Oldesloe 

1889—1890,  4  ff. 
Olmütz,  Kathedrale.     Inventar  von  ca  1100.     Notizenblatt,  Beilage  zum  Archiv  für  Kunde 

der  österreichischen  Geschichtsquellen  II  (1852)  231. 

Inventar  von   1435.     Ebd.  170  ff. 

Osimo,   Kathedrale.    Inventar  von  1267.    Zaccaria  F.  A.,    Excursus  litterarii  per  Italiam  ab 

anno  1742  ad  annum  1752  I  (Venetiis  1754)  255. 

—  Inventar  von   1379.     Compagnoni  P.,    Memorie    istorico-critiche    della   chiesa   di  Osimo  V 

(Roma  1783)  146  ff. 
Oxford,  Lincoln  College  (1480).    Second  report  of  the  Royal  Commission  on  historical  manu- 
Scripts  130  f. 

—  New  College  (ca  1450).     Ebd.  135. 

—  St  Frideswide  (1545).     Monasticon  anglicanum,  nova  editio  II  166. 

Päd  na,  S.  Antonio  (1396).  Abschrift  in  der  Dr  Bockschen  Sammlung  mittelalterlicher  Inven- 
tare im  Besitz  des  städtischen  Suermondt-Museums  zu  Aachen. 

Palermo,  Pfalzkapelle  (1309).     Annales  archeologiques  XXV  (1865)  296. 

Paris,  Inventar  der  Königin  Klementine,  Witwe  Ludwigs  X.  (1328).  Revue  de  l'art  chretien, 
4C  Serie  (1892)  415  f. 

Parma,  Kathedrale  (1483).     Pezzana,  Storia  della  cittä  di  Parma  IV,  app.  72  ff. 

Passau,  Gaben  des  Chorbischofs  Madalwin  (903).     Monumenta  Boica  XXVIII  2,  201. 

Perugia,  Inventar  des  Schatzes  des  Apostolischen  Stuhles  (1311).  Regesta  Clementis  Papae  V, 
app.  I  (Romae  1892)  369  ff. 

Peterborough ,  Gaben  des  Bischofs  Ethelwold  (ca  970).  Monasticon  anglicanum.  nova 
editio  I  365  382. 

—  Infirmary  Chapel  (1539).     Ebd.  I  365. 

—  Kathedrale  (1539).     Ebd.  I  382. 

Pfäffers,    Klosterkirche    (Ende   9.  Jahrh.,   10.  Jahrh.,    ca   1020  1067  1155).     M.  G.    Libri 

confrat.  396  ff. 
Philipp  der  Gute  von  Burgund  (1420).    Laborde,  comte  de,  Les  ducs  de  Bourgogne  II  235  ff. 
Philipp  der  Kühne  von  Burgund  (1404).     Dehaisnes,    L'art  dans  la  Flandre,  Documents 

835  ff. 
Pisa,  S.  Michele  (ca  1048).     Muratori,  Antiquitates  Italicae  medii  aevi  IV  789  ff. 
Poitiers,  Kathedrale  (1406).   Auber,  Histoire  de  la  cathedrale  de  Poitiers  (Paris  1849)  II  139  ff. 
-  Kathedrale  (1469).     Bibliotheque  de  l'Ecole  des  Chartes,  3=  serie  I  (1849)  495  ff. 
Polnische  Kirchen  (1522).     Lukowski  J.    et  Korytkowski  J.,    loannis    de  Lasco,  Gnesn. 

archiep.,  Liber  beneficiorum  II  (Gnesnae  1880). 
Prag,  Dom  (1354  1355  1387  1396—1512).    Chrämovy  poklad  u  sv.  Vita  u  Praza  (Prag  1903). 

Anhang  III  ff. 
Preßburg,  Kathedrale  (1425).    Mitteilungen  der  k.  k.  Zentral-Kommission  II  (1857)   151  ff. 
Priifening,  Klosterkirche  (12.  Jahrh.).     Neues  Archiv  XIII  (1888)  560  ff. 
Prüm,  Klosterkirche  (1003).     Beyer  H.,  Mittelrhein.  Urkundenbuch  (Koblenz  1860)  717. 
Ravensburg,  Stadtkirche  (15.  Jahrh.).     Diözesanarchiv  von  Schwaben  III  (1886)  28. 
Reading,  Abteikirche  (13.  Jahrh.).    Barneid  S.,  The  Englisb  historical  Review  1888,  116  f. 
Ribe,  Kathedrale  (1213).     Terpager  F.,  Ripae  cimbricae  descriptio  (Flensburg!  1736)  211  ff. 


XXII  Verzeichnis  bemerkenswerter  für  die  Arbeit  benutzter  Inventare. 

Riquier  St-,  Klosterkirche,  Inventar  aus  der  Zeit  Angilberts  (ca  800).    M.  G.  SS.  XV  177. 

—  Inventar  von  831.     Chronicon  Centul.  1.  3,  c.  3  (M.  P.  lat.  174,  1257  ff). 
Rochester,    Kathedrale    (11. — 13.  Jahrb.).     Registrum  Roffense,    Revue    de   l'art  chretien, 

3e  serie  V  (1887)  332. 
Rom,    St  Johann    im    Lateran    (1455).      Müntz  E.,    Melanges   d'archeologie    et   d'histoire  IX 
(1889)  165  ff. 

—  St  Peter  (1361   1436  1454  1489).    Müntz  e  Frothingham,  II  tesoro  di  S.  Pietro,  in  Archivio 

della  Societä  Romana  di  storia  patria  VI  (1883)  11  ff. 

—  Inventar   des   Schatzes    des  Apostolischen    Stuhles    (1295).     Bibliotheque    de   l'Ecole    des 

Chartes  XLVI  (1885)  16  ff. 
Rouen,  Kathedrale  (Ende  des  12.  Jahrb.).  Revue  de  l'art  chretien,  3C  serie  IV  (1886)460ff. 
Saint-Omer,  St-Bertin  (867).     M.  G.  SS.  XIII  634. 
Salisbury,  Kathedrale  (1212  1222).    Jones  W.  H.  R.,  Registrum  S.  Osmundill  (London  1884) 

127  ff. 

—  Kleinere  Kirchen  in  Wilts  und  Berks   (Ruscombe,  Sonning,  Hurst  etc.).     Ebd.  I  275  ff. 
Sankt  Gallen  (11.  Jahrb.).     Stimmen  aus  Maria-Laach  LXVIII  (1904)  354. 
Schweidnitz    (Schlesien),    Stadtkirche  (1471).     Anzeiger   für   Kunde    der   deutschen  Vor- 
zeit XXI  (1874)  169  ff. 

Siena,  Dom  (1467).     Annales  archeol.  XXV  263  ff. 

Sitten  und  Valeria  (1364).  Memoires  et  documents  publies  par  la  Societe  de  la  Suisse 
romande  XXXIII  (Lausanne  1884)  254  ff. 

Soignies  (1382).     Dehaisnes,  L'art  dans  la  Flandre,  Documents  592. 

Speier,  Dom  (1051).     Schannat,  Vindemiae  litterariae  (Lipsiae  1723)  9  f. 

Staffelsee,  St  Michael  (ca  810).     M.  G.  Leg.  sect.  II,  I  251. 

Sternberg,  Augustinerkirche  (1527).  Jahrbücher  des  Vereins  für  mecklenburgische  Ge- 
schichte XII  (1847)  276  ff. 

Stolp,  Dominikanerkirche  (1523  1525).  Bau-  und  Kunstdenkmäler  des  Regierungsbezirks 
Küslin  II,  Kreis  Stolp  (Stettin  1894)  81. 

Susteren,  Klosterkirche  (1174).  Fisenne  L.  v. ,  L'art  monumental  du  moyen-äge  (Aachen 
1880),  l"  serie,  1.  2,  7. 

Todi,  S.  Fortunato  (ca  1300).     Archivio  storico  italiano  II  (Firenze  1888)  261  ff. 

Toledo,  Inventar  der  Kirchensachen  des  Kardinals  Gonzalo,  Erzbischofs  von  Toledo  (f  1275). 
El  arte  en  Espana,  Revista  mensual  del  arte  y'de  su  historia  VII  (1868)  45  ff. 

—  Inventar  der  Kirchensachen  des  Erzbischofs  Albornoz  von  Toledo  (ca  1350).     Ebd.  101  f. 
Toulon,  Kathedrale   (1333).     Revue  des  Societös  savantes,  7e  serie  I  (1880)   156  ff. 
Toulouse,  St  Sernin  (1489).    Memoires  de  la  Societe  archeologique  du  midi  de  la  France  IV 

(1840)  158  ff. 
Treguier,  Kathedrale  (1620).     Revue  de  l'art  chretien  III  (1859)  451  ff. 
Trier,  Dom  (1238).     Abschrift  in  der  Dr  Bockschen  Sammlung   mittelalterlicher  Inventare 

im  Besitz  des  städtischen  Suermondt-Museums  zu  Aachen. 
Trond  St-,  Klosterkirche.     M.  G.  SS.  X  230  f. 

Venedig,  S.  Marco  (1519).   Pasini,  II  tesoro  di  S.  Marco  in  Venezia  (Venezia  1886),  app.  CI  ff. 
Westminster,  Abteikirche  (1388).     Archaeologia  LH  (1890)  213  ff. 
Wien,    St  Stephan,  Kapelle  des  hl.  Morandus.     Mitteilungen  der  k.  k.  Zentral-Kommission 

XIV  (1869),  Anh.  c. 

Winchester,  Kathedrale.    Gaben  des  Bischofs  Heinrich  von  Blois  (ca  1170).    The  Downside 

Review  III  41. 
Windsor,  Königl.  Kapelle  (1384).     Monasticon  anglicanum,  nova  editio  VI  1362  ff. 
Wormditt,  Pfarrkirche  (1584).    Hipler,  Die  ältesten  Schatzverzeichnisse  der  ermländischen 

Kirchen  83  ff. 
Wörthsee  (Kärnten),    Pfarrkirche  (ca  1000).     Anzeiger  für  Kunde    der    deutschen  Vorzeit 

XV  (1868)  95  f. 

Würzburg,  Dom  (1448).  Archiv  des  historischen  Vereins  von  Unterfranken  und  Aschalfen- 
burg  IV  (1838)  131  ff. 

—  Neumünster  (1230).    Ebd.  XVI  (1863),  2.  Tl  246  ff. 

—  Schottenkloster  (1535).     Ebd.  45  f. 

York,  Kathedrale  (ca  1360  1364  1483  ca  1500).     Raine,    The  fabric  rolls  of  York  Minster 

(Durham  1858)  212  ff  275  ff. 
Zeitz,    St  Michael  (1514).     Bau-  und  Kunstdenkmäler   der  Provinz  Sachsen  I,    Kreis  Zeitz 

(Halle  1879)  70  f. 


VERZEICHNIS  DER  TITELABKÜRZUNGEN 
ÖFTER  ZITIERTER  WERKE. 

A.    E.   Med.  =  Acta  Ecclesiae  Mediolaneusis.    Frederici  Card.  Borromaei  archiepiscopi  Medio- 

lan.  iussu  edita.     Mediolani  1599. 
A.  SS.  =  Acta  Sanctorum  Bollandiana.     Editio  novissima.     Parisiis  1863  fl'. 
A.  SS.  0.  S.  B.    =  Acta  Sanctorum  Ordinis  S.  Benedicti.    Venetiis  1733  ff. 
Ag.  =  Seroux    d'Agincourt  (J.-B.),    Sammlung   von   Denkmälern    der    Architektur,    Skulptur 

und  Malerei.     Deutsch  v.  F.  von  Quast.     Frankfurt  am  Main  1840. 
Ann.  =  Didron,   Annales  archeologiques.     Paris  1844  ff. 

Ann.  0.  S.  B.  =  Mabillon  (L),  Annales  Ordinis  S.  Benedicti.     Lucae  1739—1745. 
Arts  sompt.  =  Mauge-Ciappori-Louandre,  Les  arts  somptuaires.     Paris  1857. 
Ass.,  C.  1.  =  Assemani  (J.  A.),  Codex  liturgicus.     Romae  1749 — 1766. 

Ass.,  Bibl.  =  Assemani  (I.  S.),  Bibliotheca  orientalis  C'lementino-Vaticana.    Romae  1719 — 1728. 
Bock,  Gesch.  =  Bock  (Dr  Fr.),  Geschichte  der  liturgischen  Gewänder  des  Mittelalters.    Bonn 

1856—1871. 
Bock,  Reichski.  =  Die  Kleinodien  des  heil,  römischen  Reiches  deutscher  Nation.     Wien  1864. 
Bona  =  Bona  (Card.  I.),  Rerum  liturgicarum  libri  duo,  editio  aucta  observationibus  D.  Roberti 

Sala.    Augustae  Taurinorum  1747 — 1753. 
Braun,  Winke  =  Braun  (Joseph)  S.  J.,    Winke  für  die  Anfertigung  und  Verzierung  der  Para- 

mente.    Freiburg  1904. 
Bullet,  mon.  =  Bulletin  monumental,  ou  Collection  de  memoires  et  de  renseignements  sur  la 

statistique  monumentale  de  France.    Paris  1835  ff. 
Caerem.  =   Caeremoniale    episcoporum  Clementis  VIII,    Innocentii  X    et  Benedicti  XIII  iussu 

editum. 
Cahier  =  Cahier  (P.  Ch.)   S.  .T.,  Nouveaux  melanges  d'archeologie.     Paris  1874 — 1877. 
Cahier   et  Martin  =  Cahier  (P.  Ch.)  S.  J.    et   Martin    (P.  A.)  S.  J.,   Melanges   d'archeologie. 

Paris  1847—1856. 
Chambers  =  Chambers  (J.  D.),  Divine  Worship  in  England  in  the  XIII"'  and  XIV"1  centuries. 

London  1877. 
Coli.  Lac.  =  Acta  et  Decreta  sacrorum  conciliorum  recentium  sive  Collectio  Lacensis.    Friburgi 

1870-1890. 
Corp.  SS.  eccl.  =  Corpus  Scriptorum  ecclesiasticorum  latinorum.     Vindob.  1866  ff. 
D.  C.  =  Du  Cange,  Glossarium  mediae  et  infimae  latinitatis.  editio  nova.    Niort  1883 — 1887. 
Decret.  auth.  =  Decreta  authentica  Congr.  SS.  Rituum  edita  sub  auspiciis  SS.  D.  N.  Leonis 

PP.  XIII.    Romae  1898  ff. 
Delisle,  Mem.  =  Delisle  (Leop.),  Memoire  sur  d'anciens  sacramentaires.     Paris  1886. 
De  Farcy  =  Farcy   (L.  de),    La   broderie    du   XL   siecle   jusqu'ä    nos  jours.     Angers    1890; 

Supplement.     Angers  1900. 
De  Linas  =  Linas  (Ch.  de),  Anciens  vetements   sacerdotaux    et   anciens   tissus   conservfe  en 

France,  3e  Serie,  Paris  1860—1863. 
De  Rossi,  Mus.  =  Rossi  (G.  B.  de),  I  Musaici  cristiani  delle  chiese  di  Roma.    Roma  1899  ff. 
De  Vert  =  Vert  (Cl.  de),  Explication  simple,  litterale  et  historique  des  ceremonies  de  l'Eglise. 

Paris  1706—1708. 
Duch.,  Orig.  =  Duchesne  (L.),  Origines  du  culte  chretien.     Paris  1903. 
Duch.,  L.  P.  =  Duchesne  (L.),  Liber  Pontiflcalis.     Parisiis  1886. 
Forcell.  =  Forcellini,  Totius  latinitatis  lexicon.     Lipsiae  1839. 
Franz  =  Franz  (A.),  Die  Messe  im  deutschen  Mittelalter.     Freiburg  1902. 
Garr.  =  Gai'rucci  (P.  R.)  S.  J.,    Storia  dell'  arte  cristiana  nei  primi  otto  secoli  della  Chiesa. 

Prato  1872—1880. 
Gav.   =   Gavanti   (B.),    Thesaurus    sacrorum    rituum    cum    novis    observationibus    C.   Merati. 

Venetiis  1823. 
Gay  =  Gay  (Victor),  Glossaire  archeologique.     Paris  1887. 
Gräven  —  Gräven  (D.  H.),    Frühchristliche  und  mittelalterliche  Elfenbeinwerke.     Rom  1898 

und  1900. 


XXIV  Verzeichnis  der  Titelabkürzungen  öfter  zitierter  Werke. 

Hard.  =  Harduini  (P.  T.)  S.  J.  Conciliorum  collectio  regia  maxima.     Parisiis  1715. 

Hartzh.  =  Hartzheim  (P.  J.)  S.  J.,  Concilia  Germaniae.    Colon.  Agripp.  1759—1775. 

Hef,  Beitr.   =   Hefele   (K.  J.),    Beiträge  zur  Kirchengeschichte ,    Archäologie    und   Liturgik. 

Tübingen  1864. 
Hef.,  Concilien  =  Hefele  (K.  J.  v.),  Conciliengeschichte,  2.  Aufl.,  Freiburg  1873  ff;  VIII  u.  IX, 

1.  Aufl.,  Freiburg  18S7— 1890. 
Hefner-Alt.  =  Hefner-Alteneck  (Dr  J.  H.  v.),  Trachten,  Kunstwerke  und  Gerätschaften  vom 

frühen  Mittelalter   bis   zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts.     Frankfurt  a.  M.  1879—1889. 
Hitt.  =  Hittorpii  (M.)  De  divinis  catholicae  ecclesiae  officiis.     Parisiis  1610. 
J.  =  Jaffe  (Ph.),  Regesta  Pontificum  Romanorum,  editio  altera.     Lipsiae  1888. 
Kirchenlex.  =  Kaulen  (Dr  Fr.),  Wetzer  und  Weites  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.   Freiburg  1882 — 1901. 
Kirchenschmuck  =  Kirchenschmuck ,  herausgegeben  unter  der  Leitung  des  christlichen  Kunst- 
vereins der  Diözese  Rottenburg.     Stuttgart  1857 — 1870. 
Le  Brun  =  Le  Brun  (Pierre),  Explication  litterale,   historique  et  dogmatique  des  prieres  et 

des  ceremonies  de  la  Messe,  t.  I,  Lyon  1850 ;  t.  II — IV,  ibid.  1843. 
M.  =  Migne,  Patrologia  latina.     Parisiis  1844—1864. 

Magistretti  =  Magistretti  (M.),  Delle  vesti  ecclesiastiche  in  Milano.     Milano  1897. 
Magistretti,  Monumenta  =  Magistretti  (M.),    Monumenta  veteris   liturgiae  Ambrosianae,  Pon- 

tificale  in  usum  ecclesiae  Mediolanensis.     Mediolani  1897. 
Marr.  =  Marriot  (B.),  Vestiarium  christianum.     Londini  1868. 

Mart.  =  Martene  (E.),  De  antiquis  ecclesiae  ritibus  libri  tres.     Antverpiae  1763 — 1764. 
Mart.,  Mon.  =  Martene  (E.),  De  monachorum  ritibus  libri  quinque.    Antverpiae  1764.    Bildet 

den  vierten  Band  der  Antwerpener  Ausgabe  von  Martenes  Werk :  De  antiquis  ecclesiae 

ritibus. 
Mart ,  SS.  Vet.  =  Martene  (E.)    et  Durand  (U.),    Veterum   Scriptorum   amplissima  collectio. 

Parisiis  1724—1738. 
Mart.,  Thes.  =  Martene  (E.)  et  Durand  (U.),  Thesaurus  novus  anecdotorum.     Parisiis  1717. 
Mg.  =  Migne,  Patrologia  graeca.     Parisiis  1857 — 1866. 
M.  G.  Conc.  =  Monumenta  Germaniae  historica,  Legum  sect.  III,  concilia. 
M.  G.  Confr.  =  Monumenta  Germaniae  historica,  Antiquitates,  Libri  confraternitatum. 
M.  G.  Epp.  =  Monumenta  Germaniae  historica,  Epistolae. 
M.  G.  LL.  =  Monumenta  Germaniae  historica,  Leges. 
M.  G.  SS.  =  Monumenta  Germaniae  historica,  Scriptores. 

M.  G.  SS.  Langob.  =  Monumenta  Germaniae  historica,  Scriptores  rerum  Langobardicarum. 
M.  G.  SS.  M.  =  Monumenta  Germaniae  historica,  Scriptores  rerum  Merovingicarum. 
Miss.  =  Missale  Romanum  S.  Pii  V  P.  M.  iussu  editum. 

Mitt.  =  Mitteilungen  der  k.  k.  Zentral-Kommission  zur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Bau- 
denkmale.   Wien  1856  ff. 
Mor.  =  Moroni  (G.),  Dizionario  di  erudizione  storico-ecclesiastica.     Venezia  1840 — 1879. 
Mühlb.  =  Mühlbauer  (Wolfg.),   Decreta  auth.  Congreg.  SS.  Rituum.     München  1865—1867. 

Supplementum,  ibid.  1876—1885. 
Mur.,  Ant.  =  Muratori  (L.  A.),  Antiquitates  Italicae  medii  aevi.     Mediolani  1738  — 1742. 
Mur.,  SS.  =  Muratori  (L.  A.),  Rerum  Italicarum  scriptores.     Mediolani  1723 — 1738. 
Pflugk-Harttung  =  Pflugk-Harttung    (J.   v.),    Acta   Pontificum    Romanorum.      Tübingen    1881 

bis  1886. 
Realenc.  —  Kraus  (F.  X.),  Realencyklopädie  der  christlichen  Altertümer.    Freiburg  1882  1886. 
Revue  =  Revue  de  l'art  chretien  I— XXX.     Paris  1857—1880;  dann  Lille  1883  ff. 
Roh.  =  Rohault  de  Fleury  (Ch.),  La  Messe.     Paris  18*3— 1889. 
Thalhofer  =  Thalhofer  (Dr  V.),  Handbuch  der  kath.  Liturgik.     Freiburg  1883. 
Ebner  =  Thalhofer  (Dr  V.),  Handbuch  der  kath.  Liturgik,  2.  Aufl.,  besorgt  von  Dr  A.  Ebner. 

Freiburg  1894. 
Wilp.,  Cap.  =  Wilpert  (G.),  Un  capitolo  di  storia  del  vestiario.     Roma  1898. 
Wilp.,   Gew.   =   Wilpert  (J.),    Die  Gewandung  der    Christen    in    den    ersten    Jahrhunderten. 

Köln  1898. 
Wilp.,  Kat.  =  Wilpert  (J.),  Die  Malereien  der  Katakomben  Roms.     Freiburg  1903. 
Wilp.,  Sakr.  =  Wilpert  (J.),  Malereien  der  Sakramentskapellen.    Freiburg  1897. 
Zeitschrift  =  Zeitschrift  für  christliche  Kunst.     Düsseldorf  1888  ff. 


EINLEITUNG. 


I.  GEGENSTAND  UND  METHODE. 

Unter  liturgischer  Gewandung  versteht  man  diejenige  Kleidung,  deren 
sich  die  Geistlichen  bei  Ausübung  ihrer  gottesdienstlichen  Funktionen  zu  be- 
dienen haben.  Es  gibt  nicht  bloß  im  lateinischen,  sondern  auch  in  den  orien- 
talischen Riten  eine  besondere  Kulttracht.  Selbst  der  Protestantismus  hat 
nicht  einmal  völlig  auf  sie  Verzicht  geleistet. 

Die  liturgische  Kleidung  ist  bei  den  verschiedenen  Weihestufen  eine  ver- 
schiedene. Am  reichsten  erscheint  sie  im  abendländischen  Ritus,  wie 
leicht  begreiflich,  beim  obersten  aller  Liturgen,  beim  Papst,  ausgestaltet.  Sie 
besteht  bei  ihm  aus  dem  Amikt,  der  Albe,  dem  Cingulum,  dem  Subcinctorium, 
der  Stola,  der  Tuniceila,  der  Dalmatik,  der  Kasel,  dem  Kanone,  dem  Pallium, 
der  Mitra  und  dem  Manipel.  Bei  den  Erzbischöfen  fehlen  von  diesen  Gewand- 
stücken Subcinctorium  und  Fanone,  bei  den  Bischöfen  auch  das  Pallium,  doch 
ist  bei  einigen  wenigen  der  letzteren  ein  Gegenstück  des  Palliums,  das  sog. 
Rationale,  in  Gebrauch.  Die  priesterliche  liturgische  Gewandung  setzt  sich  aus 
Amikt,  Albe,  Cingulum,  Manipel,  Stola  und  Kasel  zusammen,  die  der  Diakone 
aus  Amikt,  Albe,  Cingulum,  Manipel,  Stola  und  Dalmatik,  die  der  Subdiakone 
aus  Amikt,  Albe,  Cingulum,  Manipel  und  Tuniceila.  Die  niederen  Kleriker 
tragen  nach  gegenwärtigem  Gebrauch  bei  ihren  Funktionen  das  Superpelliceum. 

Übrigens  wird  die  liturgische  Kleidung  in  ihrer  Vollständigkeit  von  den 
Geistlichen  nur  bei  der  Vornahme  der  vorzüglichsten  aller  ihrer  Amtshand- 
lungen, bei  der  Feier  des  heiligen  Opfers,  und  bestimmten  mit  derselben  in 
unmittelbarer  Verbindung  stehenden  Verrichtungen  verwendet.  Bei  andern 
Gelegenheiten  bedienen  sie  sich  einer  vereinfachten  liturgischen  Gewandung, 
bei  welcher  insbesondere  die  Albe  durch  das  Superpelliceum  und  die  Kasel 
durch  das  Pluviale  ersetzt  wird.  So  trägt  der  Priester  z.  B.  bei  Spendung 
der  heiligen  Taufe  Superpelliceum  und  Stola,  der  Bischof  bei  Erteilung  der 
heiligen  Firmung  Rochett  bzw.  Superpelliceum,  Amikt,  Stola  und  Pluviale,  bei 
Abhaltung  feierlicher  Vespern  Amikt,  Albe,  Cingulum,  Stola  und  Pluviale. 

Die  liturgische  Kleidung  in  den  Riten  des  Ostens  ist  derjenigen  des 
lateinischen  Ritus  durchaus  verwandt.  Aber  auch  untereinander  ist  der  Unter- 
schied in  Bezug  auf  die  liturgische  Gewandung  in  den  verschiedenen  dortigen 
Riten  kein  wesentlicher.  Vergleichen  wir  die  orientalischen  Kultgewänder  mit 
denen  des  Abendlandes,  so  finden  wir,  wenngleich  mit  einigen  Abweichungen 
in  Bezug  auf  Form,  Beschaffenheit  und  Verwendung,  allenthalben  eine  Unter- 
tunika (Albe),  das  Cingulum,  die  Stola,  einen  liturgischen  Mantel  (Kasel)  und 
das  Pallium.    Nur  vereinzelt  sind  ein  Schultertuch  (Armenier,  Syrer,   unierte 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  1 


Einleitung. 


Kopten)  und  die  Mitra  (Armenier,  Maroniten,  unierte  Chaldäer  und  unierte 
Kopten)  gebräuchlich.  Das  Schultertuch  fehlt  in  den  übrigen  Riten  des  Orients 
vollständig,  anstatt  der  Mitra  trägt  man  bald  einen  der  Tiara  ähnlichen  Hut 
(Griechen,  armenische  Priester),  bald  eine  turbanartige  Kopfbedeckung  (nicht 
unierte  Kopten),  bald  endlich  eine  Art  von  Kapuze  oder  Schleier  (nicht  unierte 
Chaldäer).  Unbekannt  sind  im  Osten  der  Manipel  —  den  armenischen  Ritus 
ausgenommen  — ,  die  bischöflichen  Handschuhe,  Strümpfe  und  Schuhe,  das 
päpstliche  Subcinctorium ,  der  päpstliche  Fanone ,  das  Superpelliceum ,  das 
Pluviale,  soweit  es  ein  Gegenstück  und  ein  Ersatz  der  Kasel  ist,  die  Tuniceila 
und  Dalmatik.  Eigentümlich  sind  den  orientalischen  Riten  dagegen  der  Sakkos 
des  griechischen  Ritus,  eine  der  Dalmatik  formverwandte  und  den  liturgischen 
Mantel  vertretende  Obertunika  der  Metropoliten  und  Bischöfe,  das  Epigonation 
der  Bischöfe  und  Prälaten  (Griechen,  Armenier)  und  die  Epimanikien  oder 
liturgische  Stauchen,   die  sich  in  allen  Riten  des  Orients  finden 1. 

Im  einzelnen  gilt  von  der  liturgischen  Gewandung  der  Riten  des  Ostens  folgendes : 
In  allen  haben  die  Lektoren  nur  eine  Tunika.  Die  Subdiakone  tragen  außer 
der  Tunika  einen  Gürtel  bei  den  Griechen,  den  Manipel  bzw.  Epimanikien  bei  den 
Armeniern,  eine  Stola  bei  den  Syrern,  Chaldäern  und  Kopten.  Die  Diakone  sind 
nach  allen  Riten  mit  Tunika  und  Stola  (Orarion)  ausgestattet;  der  Epimanikien  be- 
dienen sie  sich  in  allen  Zweigen  des  griechischen  Ritus,  einer  liturgischen  Kopf- 
bedeckung in  einzelnen  Fällen  bei  den  Armeniern.  Die  wenigste  Verschiedenheit 
offenbart  sich  hinsichtlich  der  priesterlichen  Gewandung.  Sie  besteht  bei  allen  Orien- 
talen aus  Tunika,  Stola,  Gürtel  und  Epimanikien.  Einen  Amikt  tragen  die  armenischen 
und  die  linierten  koptischen,  einen  sakralen  Kopfschmuck  die  armenischen  und  nicht 
unierten  koptischen  Priester.  Das  Obergewand  ist  zweifacher  Art,  entweder  ein  vorn 
geschlossener  oder  ein  vorn  geöffneter  Mantel.  Ersteier  eignet  dem  griechischen, 
letzterer  allen  übrigen  Riten. 

Ein  erheblicherer  Unterschied  besteht  zwischen  den  spezifisch  pontifikalen  Gewand- 
stücken der  verschiedenen  orientalischen  Riten.  Das  Epigonation  kennen  nur  Griechen 
und  Armenier,  das  Omophorion  Griechen,  Armenier,  Syrer  und  die  katholischen  Kopten. 
Eine  Mitra  in  abendländischer  Form  begegnet  uns  im  armenischen  Ritus  sowie  bei 
den  linierten  Kopten ,  Syrern  und  Chaldäern,  eine  sonstige  Kopfbedeckung,  sei  es  in 
Gestalt  einer  Krone,  eines  Hutes,  Turbans  oder  Schleiers,  bei  den  Griechen,  nicht 
linierten  Chaldäern  und  Kopten.     Der  Sakkos   ist   nur  dem  griechischen   Ritus  eigen. 

Der  Vergleich  zeigt  ein  Doppeltes. 

Erstens  läßt  sich  eine  wesentliche  Übereinstimmung  zwischen  der  Sakral- 
gewandung der  verschiedenen  orientalischen  Riten  nicht  verkennen.  Die 
Hauptstücke  derselben  sind  überall  die  nämlichen,  wenn  sie  auch  in  Bezug 
auf  die  Ausstattung  und  die  Tragweise  im  einzelnen  voneinander  abweichen. 
Es  erhellt  daraus,    daß  die  Sakraltracht  der  Riten  des  Ostens  einen  gemein- 


1  Hier  wie  im  folgenden  unterscheiden  wil- 
den griechischen  Ritus,  zu  dessen  Schattie- 
rungen auch  die  Russen,  Ruthenen,  Bul- 
garen, Melcliiten  und  Italo-Griechen  gehören, 
den  armenischen,  den  syrischen,  den  chal- 
däischen  und  koptischen  und  zählen  zu  dem 
syrischen  die  monophysitischen  Syrer  oder 
Jakobiten,  die  unierten  Syrer  oder  sog.  reinen 
Syrer  und  die  Maroniten,  die  in  der  Liturgie 
vieles  aus  dem  römischen  Brauch  herüber- 
genommen haben  (vgl.  Die  Synode  vom  Berge 
Libanon  aus  dem  Jahre  1736,  in  Coli.  Lac.  II 
1H8),    zum    chaldäischen    die   nicht   unierten 


Nestorianer  und  die  unierten  Nestorianer,  die 
eigentlichen  Chaldäer.  Zum  koptischen  Ritus 
rechnen  wir  die  nicht  unierten  Kopten  Ägyp- 
tens, die  abessinischen  Kopten  und  die  unier- 
ten Kopten  Ägyptens.  Prinzip  dieser  Unter- 
scheidung ist  die  Übereinstimmung  im  Ritus. 
Eine  etwas  andere  Teilung,  wobei  indessen 
nicht  der  Ritus,  sondern  der  Gesamtcharak- 
ter der  verschiedenen  Zweige  der  Kirche 
des  Ostens  maßgebend  ist,  bei  J.  Silber- 
nagl,  Verfassung  und  gegenwärtiger  Be- 
stand sämtlicher  Kirchen  des  Orients,  Regens- 
burg 1904. 


I.  Gegenstand  und  Methode.  3 

samen  Ursprung  und  Ausgang  haben  muß,  der  angesichts  des  zwischen  den 
einzelnen  Riten  bestehenden  Gegensatzes  unzweifelhaft  in  eine  Zeit  hinaufreicht, 
da  die  Ostkirche  noch  nicht  in  Sekten  zerklüftet  war. 

Auf  der  andern  Seite  ergibt  sich  aber  aus  dem  Vergleiche  auch,  daß 
die  Kultgewandung  bei  den  einzelnen  Riten  ihre  eigene  Entwicklung  durch- 
gemacht hat.  Es  fehlt  ja  nicht  an  mancherlei  Unterschieden.  Es  sind  weder 
alle  Gewänder  in  allen  Kirchen  des  Ostens  Brauch,  noch  stimmen  sie  in  Bezug 
auf  die  Beschaffenheit  und  die  Weise,  wie  sie  angelegt  werden,  völlig  überein. 
Indessen  ist  auch  das  durchaus  erklärlich.  Bei  dem  selbständigen  Charakter 
der  orientalischen  Kirchengemeinschaften  konnte  ebensowenig  wie  in  Bezug 
auf  den  Ritus  hinsichtlich  der  Kulttracht  eine  selbständige  Fortentwicklung 
und  Ausbildung  ausbleiben. 

Außer  den  bisher  erwähnten  gibt  es  aber  auch  noch  eine  Anzahl  von  Gewand- 
stücken ,  welche  zwar  nicht  zu  den  liturgischen  Gewändern  im  eigentlichen  Sinne  ge- 
hören, jedoch  entweder  im  weiteren  Sinne  der  liturgischen  Kleidung  beigezählt 
werden  können  oder  durch  ihre  Verwandtschaft  mit  bestimmten  Bestandteilen 
der  letzteren  eine  kurze  Behandlung  oder  doch  Erwähnung  verdienen.  Es  sind  das 
Rochett,  die  Cappa  magna,  die  Almutia,  die  Mozetta,  der  griechische  Mandyas,  die 
Tiara,  der  Pileolus  und  das  Birett.  Namentlich  erheischt  das  Rochett  eine  Be- 
sprechung, weil  es  nicht  nur  ehedem  vielfach  als  Ersatz  des  Superpelliceums  ver- 
wendet wurde,  indem  man  beim  Gebrauch  nicht  zwischen  Rochett  und  Superpelliceum 
unterschied,  sondern  auch  noch  jetzt  hie  und  da  in  dieser  Eigenschaft  Verwertung  findet. 

Was  den  Gewandcharakter  der  einzelnen  Stücke  der  Sakralkleidung 
anlangt,  so  kann  man  diese  in  vier  Gruppen  scheiden:  Untergewänder,  Ober- 
gewänder, Bekleidung  der  Hände,  des  Fußes  und  des  Kopfes  und  Abzeichen. 
Zu  den  Untergewändern  zählen  der  Amikt,  der  päpstliche  Fanone,  die  Albe 
mit  ihrem  Zubehör,  dem  Cingulum  und  den  Epimanikien,  das  päpstliche  Sub- 
cinctorium  und,  als  Ersatz  der  Albe,  das  Superpelliceum  (Rochett).  Zu  den 
0  berge  wändern  rechnen  die  Kasel,  die  Dalmatik,  die  Tunicella  und  das 
Pluviale,  welch  letzterem  passend  die  Cappa  magna,  die  Almutia  und  die 
Mozetta  angeschlossen  werden.  Die  Almutia  war  ursprünglich  allerdings  eine 
Kopfbedeckung,  nicht  mantelartiges  Bekleidungsstück ;  später  wurde  sie  jedoch 
jenem  ersteren  Zwecke  ganz  entfremdet  und  zum  bloßen  Schultermäntelchen. 
Der  dritten  Gruppe  gehören  an  die  Pontifikalhandschuhe,  die  Pontifikal- 
strümpfe,  die  Pontifikalsandalen  und  die  Mitra,  von  den  liturgischen  Ornat- 
stücken im  weiteren  Sinne  aber  Tiara,  Pileolus  und  Birett.  Die  vierte 
endlich  umfaßt  den  Manipel,  die  Stola,  das  Pallium  und  das  Rationale' 

Die  Punkte,  welche  bei  Behandlung  der  einzelnen  Gewänder  in  Betracht  kommen, 
sind  Ursprung,  formelle  Entwicklung,  stoffliche  Beschaffenheit, 
Ausstattung,  Träger,  Verwendung  im  liturgischen  Dienst,  Farbe, 
mystische  Deutung  und  Segnung.  Auf  die  ersten  sechs  muß  bei  jedem  der 
verschiedenen  Ornatstücke  eingegangen  werden;  dagegen  empfiehlt  es  sich,  die  drei 
letzten  erst  nach  Abschluß  der  den  Gewändern  gewidmeten  Untersuchungen  zusammen- 
fassend zu  besprechen.  Die  kirchliche  Farbenregel,  die  mystische  Deutung  und  die 
Segnung  der  .liturgischen  Kleidung  bedeuten  nicht  nur  für  diese  eine  äußerliche,  durch 
die  Beschaffenheit  der  Gewänder  und  ihre  Verwendung  an  sich  noch  nicht  gegebene  Zutat, 
sie  haben  obendrein  auch  ihre  eigene  f4eschichte,  die  sich  übersichtlich  nur  behandeln 
läßt,  wenn  sie  losgelöst  von  den  einzelnen  Ornatstücken  im  Zusammenhang  dargestellt 
werden.  Demgemäß  folgt  den  Abschnitten,  welche  den  Untergewändern,  den  Ober- 
gewändern, der  Bekleidung  der  .Hände,  der  Füße,  des  Hauptes  und  den  liturgischen 
Abzeichen  gewidmet  sind,  ein  weiterer,  der  sich  mit  der  kirchlichen  Farbenregel,  der 
mystischen  Deutung  und  der  Segnung  der  heiligen  Gewänder  beschäftigt. 

1* 


4  Einleitung. 

Was  die  Methode  der  Behandlung  der  einzelnen  Gewandstücke  anlangt, 
so  werden  diese  zunächst  nach  Beschaffenheit  und  Verwendung  geschildert, 
wie  es  der  gegenwärtige  Brauch  will.  Die  heutige  liturgische  Kleidung  ist 
ja  das  Ergebnis  nicht  des  Zufalls,  sondern  einer  langen  Entwicklung.  Wer 
daher  an  das  Studium  ebendieses  Prozesses  herantreten  will,  tut  gut,  vor 
allem  sich  mit  dem  Kesultat  desselben  recht  vertraut  zu  machen.  Je  klarer 
und  bestimmter  dieses  vor  seinem  Geiste  steht,  um  so  besser  wird  er  die 
verschiedenen  Phasen  in  der  Ausgestaltung  der  liturgischen  Gewandung  und 
die  in  ihr  jeweilig  zum  Ausdruck  kommende  Tendenz  verstehen. 

Die  Untersuchung  über  die  Entwicklung  der  Kultgewänder  selbst  knüpft 
an  das  nachweisbar  früheste  Auftreten  der  letzteren  an,  um  dann  von  da  bis 
zur  Gegenwart  herabzusteigen.  Die  Erörterung  über  ihren  Ursprung  und 
ihre  Ableitung  macht  in  der  Kegel  den  Beschluß.  An  sich  wäre  es  freilich 
natürlicher,  hiermit  zu  beginnen.  Allein  so  klar  im  allgemeinen  der  Ursprung 
der  liturgischen  Kleidung  ist,  so  läßt  sich  das  doch  nicht  in  gleichem  Maße 
von  allen  und  den  einzelnen  Bestandteilen  derselben  sagen.  Es  genügt,  auf 
die  verschiedenen  Meinungen  hinzuweisen,  welche  hinsichtlich  der  Herleitung 
z.  B.  des  Manipels,  der  Stola,  des  Palliums  bestehen.  Außerdem  verliert  sich 
bei  manchen  der  Gewänder  die  älteste  Geschichte  zu  sehr  ins  Dunkle,  so  daß 
wir  weniger  durch  positive  Nachrichten,  als  vielmehr  durch  die  Verwandt- 
schaft, die  zwischen  ihnen  und  den  entsprechenden  profanen  Kleidungsstücken 
in  Bezug  auf  Charakter  und  Form  besteht,  auf  ihren  Ursprung  hingewiesen 
werden.  Man  denke  nur  an  den  Amikt,  die  Albe,  das  Cingulum,  die  Mitra, 
die  Pontifikalhandschuhe  usw.  Unter  solchen  Umständen  erschien  es  nicht 
bloß  als  zweckmäßig,  sondern  zur  möglichsten  Klarstellung  der  Sachlage  als 
notwendig,  die  Frage  nach  der  Ableitung  der  einzelnen  Ornatstücke  für  gewöhn- 
lich erst  an  den  Schluß  der  betreffenden  Untersuchung  zu  setzen.  Manche 
Irrtümer  hinsichtlich  des  Ursprungs  der  liturgischen  Gewandung  haben  ihren 
Grund  vornehmlich  in  einem  allzu  aprioristischen  Vorgehen.  Sie  wären  ver- 
mieden worden,  wenn  man  mehr  von  der  Erscheinung  ausgegangen  wäre, 
welche  die  einzelnen  Gewänder  bei  ihrem  ersten  Auftreten  und  dann  in  der 
Folge  gewähren. 

Wenn  in  der  Arbeit  die  Bestandteile  der  liturgischen  Kleidung  jeder 
für  sich,  nicht  im  Zusammenhang  miteinander  nach  bestimmten  Epochen  be- 
sprochen werden,  so  liegt  die  Uz-sache  hierfür  teils  in  den  unleugbaren  Vor- 
teilen, welche  diese  Methode  zunächst  für  das  Verständnis  der  Entwicklung 
der  einzelnen  Ornatstücke,  dann  aber  indirekt  auch  für  das  der  Ausgestaltung 
der  ganzen  Kulttracht  bietet,  teils  in  der  ungemeinen  quantitativen  und  quali- 
tativen Ungleichheit  des  Nachrichtenmaterials,  welches  aus  den  verschiedenen 
Zeiten  über  die  Sakralkleider  vorliegt.  Das  gilt  besonders  für  die  vorkaro- 
lingische  Periode,  zum  Teil  aber  selbst  noch  für  die  Frühe  des  zweiten  Jahr- 
tausends. Es  geschah  sonach  nicht  ohne  Grund,  wenn  bisher  fast  allgemein 
die  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  in  eine  Geschichte  der  liturgischen 
Gewänder  aufging.  Von  Nachteil  war  hierbei,  daß  gewisse  Fragen  allgemeiner 
Art  nicht  oder  nicht  hinlänglich  zur  Erörterung  kommen  konnten  und  daß 
dem  Zusammenhang  in  der  Ausgestaltung  der  Kultkleidung  zu  wenig  Auf- 
merksamkeit geschenkt  wurde.  Um  diesen  Übelstand  in  der  vorliegenden 
Arbeit  nach  Möglichkeit  zu  vermeiden,  wird  ihren  Abschluß  eine  zusammen- 
fassende Übersicht  über  die  Entwicklung  der  liturgischen  Gewandung  in  den 
verschiedenen  Epochen  bilden.     Sie  wird  eine  Ergänzung  der  Untersuchungen 


IL    Quellen.  5 

sein,  welche  deren  einzelnen  Bestandteilen  gewidmet  waren,  zugleich  aber  auch 
in  einem  Gesamtbild  das  Ergebnis  dieser  Untersuchungen  nach  Maßgabe  der 
einander  folgenden  Perioden  vorführen. 

II.    QUELLEN. 

Die  Quellen  für  die  nachfolgende  Geschichte  der  liturgischen  Gewänder 
sind  vor  allem  Bestimmungen  von  Konzilien  oder  sonstige  Ver- 
ordnungen der  maßgebenden  kirchlich  en  Autoritäten  betreffs  der 
sakralen  Kleidung,  die  liturgischen  Bücher,  die  Schriften  der  Li- 
turgiker,  die  Inventare,  die  Monumente  mit  Darstellungen  geistlicher 
Personen  in  ihrer  liturgischen  Tracht  und  endlich  die  aus  früherer  Zeit  noch 
erhaltenen  Ornatstücke.  Es  erscheint  angebracht,  auf  diese  Quellen 
etwas  näher  einzugehen  und  sie  nach  Wert  und  Bedeutung  zu  würdigen. 

Die  erste  bietet  wenig  zu  bemerken.  Eingehender e  Bestimmungen  über  die 
liturgischen  Gewänder,  ihre  Beschaffenheit,  Form  und  die  für  sie  zu  nehmenden  Stoffe 
fehlen  im  Mittelalter  vollständig.  Es  gibt  deren  weder,  die  für  die  ganze  Kirche  oder 
doch  das  ganze  Abendland  erlassen  wurden,  noch  solche  für  einzelne  Diözesen  oder 
Kirchenprovinzen.  Selbst  Verordnungen,  in  denen  die  Zahl  der  zur  liturgischen  Ge- 
wandung gehörenden  Einzelstücke  aufgeführt  werden,  sind  selten.  Sehen  wir  von  der 
„ Synodal ermahnung"  (9.  Jahrhundert)  ab,  so  beschränken  sie  sich  auf  die  Statuten 
Riculfs  von  Soissons  (889),  der  Synode  von  Coyaca  (1050  ')  und  der  Synoden  von 
Lüttich  (1287  2)  und  Cambrai  (ca  1300 3).  Aber  auch  die  Neuzeit  brachte  im  ganzen 
wenig  ausdrückliche  Bestimmungen  über  die  Sakralkleidung.  Die  eingehendsten  Vor- 
schriften erließ  über  dieselbe  der  hl.  Karl  Borromäus,  Vorschriften,  die  zwar  in  Rom 
approbiert  wurden,  indessen  auch  so  ihre  lediglich  partikuläre  Bedeutung  behielten,  ein 
Punkt,  der  bei  den  Reformbestrebungen,  wie  sie  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  bezüglich 
des  Paramentenwesens  hervorbrachte,  häufig  übersehen  wurde.  Außer  dem  hl.  Karl  er- 
liefä nur  noch  die  Prager  Synode  von  1605  ',  gestützt  auf  die  Mailänder  Statuten,  nähere 
Bestimmungen,  Bestimmungen,  welche  dann  von  der  Prager  Synode  von  1860  5  im 
wesentlichen  wieder  erneuert  wurden.  Was  in  den  Generalrubriken  des  Missale  und 
den  Rubriken  des  römischen  Caeremoniale,  des  Pontificale  und  Rituale  bezüglich  der 
liturgischen  Ornatstücke  festgesetzt  wird,  betrifft  fast  nur  deren  Verwendung.  Auch  was 
die  Ritenkongregation  seit  ihrem  Entstehen  an  Entscheidungen  erliefä,  bezieht  sich  auf 
kaum  etwas  anderes  denn  auf  Zweifel,  die  ihr  bezüglich  des  Gebrauches  der  Gewänder 
vorgelegt  worden  waren.  Erst  die  neueste  Zeit  brachte  verschiedene  Dekrete  über  den 
Stoff,  die  Verzierung  und  die  Form  einzelner  der  letzteren.  Wie  der  Ritus  überhaupt, 
so  beruhte  demnach  auch  die  Sakralkleidung  mehr  auf  Brauch  und  Herkommen  als 
auf  ausdrücklichen  kirchlichen  Bestimmungen,  ein  Umstand,  der  für  die  Geschichte 
ihrer  Entwicklung  von  großer  Bedeutung  ist.  Denn  er  erklärt,  wie  die  liturgischen 
Gewänder  im  Laufe  der  Zeit  fast  unmerklich  und  ohne  daß  die  kirchlichen  Autoritäten 
sich  gegen  ein  solches  Vorgehen  erhoben ,  die  tief  eingreifenden  Veränderungen  er- 
leiden konnten,  welche  mit  ihnen  vorgingen.  Man  denke  nur  an  die  Kasel,  die  Dal- 
matik,  Tuniceila,  Mitra.  Aber  auch  für  die  Verwendung  der  Sakralkleidung  war  mehr 
die  jeweilige,  nach  Ort  und  Zeit  wechselnde  Praxis  denn  bestimmte  Satzungen  maß- 
gebend. Nur  für  die  Feier  der  Messe  hatte  sich  schon  im  9.  Jahrhundert  ein  Kanon 
gebildet,  wiewohl  noch  um  die  Wende  des  Jahrtausends  in  der  Praxis  bezüglich  des 
Amikts,  wie  es  scheint,  ein  Schwanken  statthatte.  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind 
eine  freilich  nicht  große  Zahl  von  konziliaren  Bestimmungen  aus  vorkarolingiseher 
Zeit  hinsichtlich  einzelner  liturgischer  Gewänder. 


1  Hard.  VI  1,  1025.  4  Ib.  VIII  691. 

2  Hartz  h.  III  690.  3  Ib.  IV  70.  5  Coli.  Lac.  V  538. 


6  Einleitung. 

Die  liturgischen  Bücher,  S  akr  amentar  e,  Pontifikalien,  Missalien, 
Ordines  sind  besonders  wertvoll  für  die  Kenntnis  der  Verwendung  der  sakralen 
Kleidung  und  die  Symbolik,  welche  man  mit  dieser  verband.  Über  die  Beschaffenheit 
geben  sie  meist  nur  indirekt  einigen  Aufschluß.  Namentlich  sind  für  die  Geschichte 
der  Sakralkleidung  von  Bedeutung  die  Ordines,  Gottesdienstordnungen,  Zusammen- 
stellungen von  Angaben  über  die  Feier  der  liturgischen  Verrichtungen,  auch  Konsue- 
tudinare,  Consuetudines,  Ordinäre,  Agenden  u.  ä.  genannt,  vor  allem  die  sog.  rö- 
mischen Ordines.  Sie  sind,  nachdem  schon  früher  einige  derselben  herausgegeben  worden 
waren,  am  vollständigsten  durch  Mabillon  veröffentlicht  worden1.  Seine  Publikation 
umfaßt  im  ganzen  15  Ordines,  von  denen  nur  der  vierte  (ein  kurzes  Fragment)  und 
der  siebente  (ein  Taufordo)  für  die  liturgische  Gewandung  nicht  in  Betracht  kommen. 
Der  achte  und  neunte  sind  Weiheordines,  d.  h.  sie  geben  den  Ritus  wieder,  nach  dem 
zu  Eom  die  heiligen  Weihen  statthatten.  Die  Mabillonsche  Ordinessammlung  ist  eine 
überaus  schätzenswerte  Quelle  für  die  Geschichte  der  römischen  Liturgie  im  allgemeinen 
wie  der  römischen  Sakraltracht  im  besondern.  Sie  entspricht  indessen  nicht  mehr 
allerwegen  dem  heutigen  Stand  der  kritischen  Forschung,  weshalb  eine  Neuherausgabe 
der  römischen  Ordines  dringend  zu  wünschen  wäre. 

Was  das  Alter  der  Mabillonschen  Ordines  anlangt2,  so  stammt  der  erste,  von 
dem  Anhang  abgesehen,  in  seiner  jetzigen  Form,  wie  es  scheint,  etwa  aus  der  Mitte, 
der  zweite  und  dritte  aus  dem  Ende  des  8.  Jahrhunderts.  Der  einem  St  Gallener  Kodex 
entnommene  fünfte  Ordo  ist  von  hervorragender  Bedeutung  durch  das  Verzeichnis  der 
Bestandteile  der  liturgischen  Kleidung  der  verschiedenen  römischen  Geistlichen ,  vom 
Papst  angefangen  bis  zu  den  Akolythen.  Der  Kodex,  in  dem  er  sich  findet,  gehört 
dem  10.  Jahrhundert  an,  doch  ist  der  Katalog  selbst  älteren  Datums  und  schon  im 
Lauf  des  9.  Jahrhunderts  entstanden.  Wir  werden  die  Aufstellung,  auf  die  wir  uns 
des  öfteren  beziehen  müssen,  der  Kürze  halber  mit  S.  G.  K.  (St  Gallener  Kleiderkatalog) 
bezeichnen.  Der  sechste  Ordo  gibt  den  Ritus  der  römischen  Pontifikalmesse  wieder, 
wie  er  um  1000  an  manchen  Orten  außer  Rom  rezipiert  war,  von  den  beiden  Weihe- 
ordines stammt  der  erste,  der  achte  Mabillons,  etwa  aus  der  zweiten  Hälfte  des  8., 
der  zweite  aus  dem  9.  Jahrhundert.  Der  zehnte  Ordo  gehört  dem  11. — 12.  Jahrhundert 
an,  der  elfte  wurde  zwischen  1140  — 1143  von  einem  Kanonikus  von  St  Peter,  Benedikt 
mit  Namen,  der  zwölfte  zu  Lebzeiten  Cölestins  III.  (1191  — 1198)  von  dem  Kardinal 
Cencius  de  Sabellis  und  späteren  Papst  Honorius  III.  verfaßt.  Der  dreizehnte  Ordo 
wurde  unter  dem  Titel  Caeremoniale  Romanum  auf  Befehl  Gregors  X.  (1271  — 1276) 
herausgegeben.  Der  vierzehnte  Ordo  ist  eine  im  16.  Jahrhundert  entstandene  Kom- 
pilation 3,  die  außer  Auszügen  aus  Diarien ,  dem  ebengenannten  Caeremoniale  und 
dem  gleich  zu  erwähnenden  Ordo  des  Petrus  Amelii  auch  das  in  mancher  Be- 
ziehung wichtige,  von  Kardinal  Jakob  Gaietanus  Stefaneschi  um  1311  verfaßte  Ordi- 
när enthält.  Der  fünfzehnte  Ordo  endlich  hat  zum  Urheber  den  Bischof  Petrus 
Amelii  von  Sinigaglia,  1401  als  Patriarch  von  Grado  gestorben.  Er  führt  den  Titel: 
Liber  de  caeremoniis  ecclesiae  Romanae.  Ein  Mabillon  unbekannt  gebliebener 
römischer  Ordo  aus  dem  9.  Jahrhundert ,  der  für  die  Geschichte  der  liturgischen 
Gewandung  verschiedene  sehr  bemerkenswerte  Notizen  enthält,  wurde  von  L.  Duchesne 
herausgegeben '. 

Von  außerrömischen  Ordines  ist  bisher  im  ganzen  nur  wenig  veröffentlicht  worden, 
wenigstens  harrt  ungleich  mehr  noch  des  Augenblicks ,  da  es  ans  Licht  treten  soll. 
Obendrein  ist  die  Ausbeute,  welche  sie  für  die  Geschichte  der  Sakralkleidung  liefern, 
im  allgemeinen  nicht  in  gleichem  Maße  erheblich  wie  die,   welche  die  römischen  Or- 


1  Museum  Ital.  II,    Paris.  1689,  1  ff ;   bei  schieden,  und  doch  gehören  beide  verschiedenen 
M.  8«,  937  ff.  Zeiten  an.    Sie  sind  nur  deshalb  bei  Mabillon 

2  Über  die  römischen  Ordines  vgl.  beson-  zusammengestellt  worden,  weil  sie  im  St  Gal- 
ders  auch  Ebner  47  ff.    Beim  fünften  Ordo  lener  Kodex  einander  folgen. 

wird  liier  nicht  zwischen  dem  Kleiderverzeich-  a  Cod.  Vat.  Urbin.  469. 

nis    und    dem    eigentlichen    Meßordo    unter-  *  Du  eh.,  Orig.  456  ff. 


II.  Quellen. 


dines  gewähren.  Am  ergiebigsten  sind  noch  einzelne  der  alten  monastischen  Kon- 
suetudinare,  namentlich  die  Consuetudines  Farfenses  1. 

Von  den  vorkarolingischen  Sakramentaren  tut  lediglich  das  altirische  sog.  Stowe- 
Missale,  und  zwar  nur  gelegentlich  in  einem  Vorbereitungsgebet,  zweier  liturgischer  Ge- 
wänder, der  Albe  und  des  Cingulums,  Erwähnung  -.  Erst  im  9.  Jahrhundert  wird  der 
Sakralkleider  in  den  Sakramentaren  etwas  häufiger  gedacht,  doch  ist  in  diesen  sowie 
den  mittlerweile  in  Gebrauch  gekommenen  bischöflichen  Pontifikalien  noch  im  10.,  ja 
11.  Jahrhundert  im  ganzen  von  ihnen  bloß  selten  die  Rede.  Werden  sie  aufgeführt, 
so  geschieht  es  entweder  im  Ankleideritus  oder  bei  Darstellung  der  Weihezeremonien, 
hie  und  da  auch  in  den  Rubriken  des  Gründonnerstags  oder  Karfreitags.  Auch  als 
die  Missalien  und  Pontifikalien  durch  Aufnahme  reichlicherer  Rubriken  sich  vervoll- 
ständigt hatten,  werden  sie  kaum  anders   als  bei  diesen  Gelegenheiten  erwähnt. 

Was  an  Liturgien  und  Weiheordines  der  orientalischen  Riten  herausgegeben 
wurde ,  bietet  für  die  Geschichte  der  liturgischen  Kleidung  entweder  kein  oder  doch 
nur  sehr  geringes  Material.  Obendrein  entstammen  dieselben  meist  entweder  recht 
später  Zeit  oder  sind  sehr  unsichern  Datums.  Die  meiste  Bedeutung  haben  noch  die 
von  Joh.  Morinus  (f  1659),  den  Brüdern  Joseph  Alois  (f  1782)  und  Joseph  Simon 
(f  1768)  Assemani  und  H.  J.  Dom.  Denzinger  (f  1883)  veröffentlichten  Weiheordines3. 

Von  größter  Bedeutung  sind  für  die  Kenntnis  der  mittelalterlichen  Sakral- 
kleidung die  Schriften  der  alten  Liturgiker,  allerdings  nur  für  die  Zeit 
von  dem  Beginn  des  9.  bis  zum  letzten  Viertel  des  13.  Jahrhunderts.  Was 
nach  dem  letzteren  liegt,  ist  teils  infolge  seiner  Knappheit,  teils  weil  es  fast 
nur  auszugsweise  das  Rationale  des  Durandus  wiedergibt,  ohne  Bedeutung. 
Aus  vorkarolingischer  Zeit  liegt  nur  eine  kurze  liturgische  Schrift,  die  viel- 
leicht noch  bis  zum  6.  Jahrhundert  hinaufreichende  gallikanische  Meßerklärung4, 


1  Bd.  P.  Bruno  Albers,  Stuttgart  1900.  Andere 
Ordines  werden  im  Laufe  der  Arbeit  erwähnt. 

2  Über  das  Stowe-Missale,  dessen  ältester 
Teil,  wozu  jenes  Gebet  gehört,  nicht  ohne 
Grund  dem  zweiten  Viertel  des  7.  Jahrhun- 
derts zugeschrieben  wird ,  vgl.  namentlich 
Mac  C  a  r  t  h  y ,  On  the  Stowe  Missal,  in  Trans- 
actions  of  the  Royal  Irish  Academy  XXVII, 
Dublin  1886, 135  ff  und  den  hieran  sich  anschlie- 
f3enden  Aufsatz  von  P.  S.  B  aeum  e  r  0.  S.  B., 
Das  Stowe-Missale,  in  Zeitschrift  für  kath. 
Theologie  XVI,  Innsbruck  1892,  446  ff. 

3  Die  sog.  Liturgie  des  hl.  Joh.  Chrysost. 
unter  anderem  bei  Mg.  63,  901  ff.  Eine  syrische 
Mefiliturgie  gab  Fabricius  Boderianus 
im  Anhang  zur  Taufliturgie  des  Severus  von 
Antiochien  (Antverp.  1572)  heraus;  die  arme- 
nische bei  L  e  B  r  u  n  III  58  ff.  Wegen  der 
koptischen  Meßkleidung  vgl.  die  Angaben  des 
Rituale  des  Patriarchen  Gabriel  (ca  1 140) 
bei  Renaudot,  Collectio  liturgiarum  orienta- 
lium  I,  Francofordi  1847,  160.  Weiheordines 
bei  Morinus  in  Desacrisecclesiae  ordinationi- 
bus  IT,  Paris.  1655,  bei  Jos.  Alois  Asse- 
mani in  dessen  Codex  liturgicus  ecclesiae 
universae  VIII,  2-5,  Romae  1749— 1766,  bei 
Jos.  Sim.  Assemani  in  Bibliotheca  orientalis 
Clementino-Vaticanall  III,  Romae  1719 — 1728, 
und  bei  Denzinger  in  Ritus  orientalium,  Cop- 
torum,  Syrorum  et  Armenorum  in  admini- 
strandis  sacramentis  II,  Wirceburgi  1863  und 


1864;  vgl.  auch  A.  von  Maltzew,  Die  Sakra- 
mente der  orthodox-katholiscben  Kirche  des 
Morgenlandes,  Berlin   1898,  301  ff. 

4  Über  das  Alter  und  den  Verfasser  der 
gallikanischen  Meßerklärung  sind  die  An- 
sichten sehr  geteilt.  Martene,  ihr  erster 
Herausgeber  (M.  72,  87),  hält  es  nicht  für 
unwahrscheinlich,  daß  der  hl.  Germanus  ihr 
Verfasser  sei  oder  daß  sie  doch  einen  Auszug 
aus  einer  Schrift  des  Heiligen  darstelle.  Jeden- 
falls glaubt  er  sie  dem  6.  Jahrhundert  zu- 
schreiben zu  dürfen.  Marriott  (Vest.  christ. 
204,  Note  421)  weist  die  Mefierklärung  mit  der 
kurzen  Bemerkung:  Internal  evidence  points 
to  the  IX"1  or  X"1  Century  as  the  earliest, 
at  which  the  Ms.  could  have  been  actually 
written ,  frühestens  dem  9.  oder  10.  Jahr- 
hundert zu,  worin  ihm  Krieg  (Realenc.II  200) 
folgt.  Thalhofer  und  Ebner  bemerken,  die 
Expositio  brevis  antiquae  liturgiae  gallicanae 
werde  mit  guten  Gründen  dem  Bischof  Ger- 
manus beigelegt  (Thalhofer  159:  Ebner 
I  70).  Duchesne  (Orig.  155)  sagt:  Je  ne  vois 
pas  la  moindre  raison,  de  contester  cette  attri- 
bution.  Ähnlich  entscheidet  sich  Propst  (Die 
abendländische  Messe  316).  Nirschl  hält  die 
Autorschaft  des  hl.  Germanus  für  zweifelhaft 
(Patrologie  III,  Mainz  1885,  517).  Franz 
meint  (Die  Messe  340),  die  Schrift  sei,  wenn 
nicht  vom  hl.  Germanus,  so  doch  wohl  noch 
aus  dem    6.  Jahrhundert.     Koch   (Tübinger 


8  Einleitung. 

vor,  "welche  den  gallikanisclien  Ritus  samt  dessen  liturgischer  Kleidung  be- 
handelt. Denn  das  angebliche  Schriftchen  Bedas  des  Ehrw.  De  Septem  ordini- 
bus  ist  nichts  als  eines  der  vielen  frühen  Exzerpte  aus  Hrabans  und  Amalars 
Erörterungen  über  die  liturgischen  Gewänder,  nicht  aber  die  Vorlage  derselben. 

Die  Liturgiker  des  9.  Jahrhunderts,  welche  von  der  liturgischen  Kleidung  handeln, 
sind  Hraban  (f  856),  Amalar  (f  ca  850),  Walafried  Strabo  (f  849)  und  Pseudo- 
Alkuin  l.  Hraban  schrieb  819,  Amalar  820,  Walafried  um  841,  die  unter  dem  Namen 
Alküins  gehende  Schrift  De  divinis  officiis  aber  entstand  um  den  Ausgang  des  Jahr- 
hunderts. Hraban  behandelt  nur  die  priesterlichen  bzw.  bischöflichen  Gewänder,  und 
zwar  kurz  und  nüchtern ,  Amalar  gibt  dagegen  eine  ausführliche  Schilderung  der  ge- 
samten liturgischen  Tracht.  Allerdings  bezweckt  er  keineswegs,  eine  Kenntnis  der 
formellen  und  qualitativen  Beschaffenheit  der  Sakralgewänder  zu  vermitteln,  er  will  diese 
vielmehr  lediglich  mystisch  erklären ;  allein  der  Umstand,  daß  er  bei  ihrer  Ausdeutung 
auf  die  Einzelheiten  die  größte  Eücksicht  nimmt,  macht  aus  den  fraglichen  Abschnitten 
seiner  Schrift  eine  tatsächliche,  zum  Teil  sehr  eingehende  Beschreibung  der  liturgischen 
Kleidung.  Amalar  hat  zu  seiner  Zeit  wie  bezüglich  der  mystischen  Deutung  im  all- 
gemeinen, so  bezüglich  seiner  Auslegung  der  liturgischen  Gewandung  heftigsten  Wider- 
spruch gefunden.  Es  wurde  sogar  auf  das  perfide  Betreiben  des  Lyoner  Diakons  Plorus 
hin,  der  Sätze  aus  dem  Zusammenhang  riß  und  ihnen  einen  falschen  Sinn  unterlegte, 
seiner  Deutungsweise  von  der  Synode  zu  Quiercy  838  eine  entschiedene  Verurteilung 
zu  teil.  Aber  auch  in  unserer  Zeit  hat  man  über  Amalar  zu  hart  abgeurteilt,  ohne  zu 
bedenken,  daß  man  einen  Mann  des  9.  Jahrhunderts  nicht  schlechthin  nach  den  Ge- 
pflogenheiten und  dem  Geschmack  des  20.  bemessen  darf.  Amalar  war  bei  aller  über- 
strömenden Phantasie  und  bei  manchen  unserem  Empfinden  schlecht  zusagenden  Ge- 
dankenflügen und  Einfällen  ohne  Zweifel  ein  scharfsinniger,  groß  angelegter  Geist,  dem 
es  nur  an  Schulung  fehlte,  ein  Geist,  der  die  Ideenrichtung  der  Zeit  klar  erfaßt  hatte, 
dessen  Schöpfungen  daher  auch  trotz  ihrer  Verurteilung  das  ganze  übrige  Mittelalter 
hindurch  von  größtem  Einfluß  auf  die  Auffassung  der  liturgischen  Verrichtungen  waren, 
ein  Geist,  der  jahrhundertelang  auf  dem  Felde  der  Deutung  der  Liturgie  und  alles  dessen, 
was   in   ihren  Bereich   gehört,   wie   kein  anderer  die  Herrschaft   ausüben   sollte,   und 


theol.  QuartalschriftLXXXII  [1900]  528)  glaubt 
die  Expositio  dem  Heiligen  mit  Rücksicht 
darauf,  daß  sie  die  Ausweisung  der  Kate- 
chumenen  als  nicht  mehr  in  Brauch  befind- 
lichen  Ritus  darstelle ,  während  dieser  doch 
noch  im  frühen  6.  Jahrhundert  in  Gallien  be- 
kannt gewesen  sei,  entschieden  absprechen 
zu  sollen.  Die  Ansicht  Marriotts  und  Kriegs 
ist  unter  allen  Umständen  abzuweisen;  der 
Umstand,  daß  die  Schrift  eine  Erklärung  des 
gallikanisclien  Meßritus  gibt,  läßt  keinen 
ernsten  Zweifel,  daß  sie  vorkarolingiscli  ist. 
Die  Annahme ,  daß  sie  vom  hl.  Germanus 
herrühre,  stützt  sich  auf  die  Eingangsworte 
der  Schrift.  Indessen  bieten  diese,  wie  Koch 
mit  Recht  betont,  keine  genügende  Unterlage 
für  eine  solche  Zueignung.  Auch  wenn  man 
sie  nicht  lediglich  als  Zitat  aus  einer  ver- 
loren gegangenen  Schrift  des  Heiligen  auf- 
faßt, so  gewähren  sie  bei  der  Unzuverlässig- 
keit  so  mancher  mittelalterlichen  Aufschriften 
doch  zu  wenig  Bürgschaft  für  ihre  Richtigkeit. 
Eine  andere  Frage  ist  freilich,  ob  der  von 
Koch  geltend  gemachte  Grund  stichhaltig 
genug   ist,   um  die  Schrift   schlechthin   dem 


hl.  Germanus  absprechen  zu  können.  Wie 
dem  indessen  sein  mag,  jedenfalls  ist  diese, 
und  darauf  kommt  es  vor  allem  an,  vor- 
karolingisch.  Auch  mag  sie  immerhin,  wenn 
nicht  ins  6.  Jahrhundert  hinein,  so  doch  bis 
gegen  dasselbe  hinaufreichen. 

1  Die  Schriften  dieser  und  der  späteren 
Liturgiker  sind  bereits  früher  in  einem  der 
Vorrede  folgenden  besondern  Verzeichnis 
unter  gleichzeitiger  Angabe  des  Bandes  und 
Ortes,  wo  sie  in  der  Migneschen  Vätersamm- 
lung zu  finden  sind,  zusammengestellt.  Es 
ist  daher  überflüssig,  hier  noch  einmal  die  Titel 
der  Schriften  anzuführen.  Die  Schrift  Hra- 
bans De  institutione  clericorum  libri  tres 
und  Walafrieds  De  exordiis  et  incrementis 
quarundam  in  observationibus  ecclesiasticis 
rerum  wurden  jüngst  in  vortrefflicher  Weise 
neu  ediert  von  A.  Knöpfler,  München  1899 
und  1901 ;  nur  geht  es  wohl  nicht  an,  mit 
dem  Herausgeber  die  Schrift  De  Septem 
ordinibus  als  Werk  Bedas  und  als  Vorlage  für 
Hraban  zu  betrachten.  Ausführlicheres  über 
die  karolingischen  Liturgiker,  als  der  Raum 
hier  gestattet,  bei  Ebner  73  ff. 


II.  Quellen.  9 

selbst  bei  Männern  wie  Innozenz  III.  Anerkennung  und  Ausnutzung  fand.  Amalar 
war  aber  auch ,  und  das  macht  hier  seine  besondere  Bedeutung  aus ,  ein  guter  Be- 
obachter, und  darum  verdanken  wir  ihm  einen  großen  Teil  der  eingehenden  Kenntnisse, 
welche  wir  von  der  liturgischen  Gewandung  des  9.  Jahrhunderts  besitzen.  Pseudo- 
Alkuin  bietet  in  seiner  Abhandlung  über  die  sakrale  Kleidung  des  Neuen  Bundes  nichts 
von  Belang.  Was  er  vorbringt,  ist  nur  ein  Exzerpt  aus  Amalar  und  Hraban.  Da- 
gegen enthält  das  Kapitel  über  die  jüdische  Kultkleidung  verschiedene  sehr  wert- 
volle Notizen  über  einzelne  neutestamentliche  liturgische  Ornatstücke,  die  sich  bei 
keinem  der  früheren  Liturgiker  finden  und  ganz  das  Eigentum  Pseudo-Alkuins  sind. 
Walafried  sagt  nur  wenig  von  den  liturgischen  Gewändern.  Mystische  Deutungen 
meidet  er,  dagegen  macht  er  einige  Bemerkungen  über  den  Ursprung  derselben,  ein 
schwacher  Ansatz  zu  einer  Geschichte  der  Sakralgewandung,  der  freilich  noch  für  Jahr- 
hunderte auch  nur  Ansatz  bleiben  sollte. 

Pseudo-Alkuin  ist  der  letzte  Liturgiker  der  Karolingerzeit,  dem  wir  Angaben  über 
die  liturgischen  Gewänder  verdanken.  Erst  die  zweite  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts 
bringt  neue  liturgische  Schriften,  die  sich  mit  denselben  beschäftigen,  im  12.  folgt 
dann  eine  reiche  Literatur  über  die  Kultkleider  freilich  ganz  im  Geist  der  Zeit,  deren 
Streben  vor  wie  nach  völlig  in  der  herkömmlichen  mystischen  Betrachtung  und  Deutung 
der  liturgischen  Gewänder  aufging.  Es  waren  die  alten  von  Hraban  und  namentlich 
Amalar  eingefahrenen  Pfade,  auf  denen  die  Liturgiker  auch  jetzt  voranzogen.  Immer- 
hin spiegelt  sich  in  den  betreffenden  Schriften,  sofern  sie  nicht  lediglich  Exzerpte  aus 
den  karolingischen  Liturgikern  sind ,  der  mehrfach  veränderte  Stand  der  Sakral- 
gewandung im  11.  und  12.  Jahrhundert,  genügend  wider,  so  daß  sie  bei  allem  Fest- 
halten an  der  alten  Deutungsweise  manchen  wertvollen  Beitrag  zur  Geschichte  der 
liturgischen  Kleidung  jener  Tage  liefern. 

Der  erste,  dem  wir  im  11.  Jahrhundert  eine  Abhandlung  über  die  Sakralkleider 
verdanken,  ist  Johannes  von  Avranches  (f  1079  ')■  Sie  findet  sich  im  Anhang  zu  dem 
von  ihm  abgefaßten  Ordo.  Dann  folgen  Ivo  von  Chartres  (f  ca  1117),  Bruno  von 
Segni  (f  1123),  Rupert  von  Deutz  (f  1135),  Honorius  (schrieb  um  1120).  Der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  gehören  an  Robert  Paululus  (f  ca  1184),  Johannes  Beleth 
(t  nach  1165),  der  indessen  nur  wenig  über  die  liturgische  Kleidung  sagt  und  selbst 
dies  wörtlich  aus  der  Gemma  animae  des  Honorius  oder  einer  älteren  Quelle  ent- 
nommen hat,  aus  der  auch  dieser  geschöpft  haben  mag.  In  dieselbe  Zeit  fallen  auch 
das  Speculum  de  mysteidis  ecclesiae  mit  seinem  der  Sakralkleidung  gewidmeten  sechsten 
Kapitel,  der  14.  der  hundert  Sermones  im  Anhang  der  Werke  Hugos  von  St  Viktor, 
und  der  irrig  Stephan  von  Bauge  zugeschriebene  Tractatus  de  sacramento  altaris.  Am 
Schluß  des  Jahrhunderts  stehen  Sicard  von  Cremona  (f  1215)  und  Innozenz  III.  (f  1216). 
Am  selbständigsten  von  allen  erscheinen  Rupert  von  Deutz  und  namentlich  Bruno  von 
Segni  sowie  der  angeführte  Sermo  XIV ;  am  ausführlichsten  behandelt  die  liturgische 
Kleidung  Honorius.  Was  Robert  Paululus  schreibt,  ist  fast  nur  Auszug  aus  des 
Honorius  Gemma.  Auch  Sicard  ist  in  hohem  Maße  Kompilator,  während  Innozenz  III. 
zwar  ebenfalls  nur  wenig  Neues  bringt,  immerhin  aber  das  Alte  in  ansprechender 
Weise  zu  verarbeiten  gewußt  hat.  Der  Wende  des  Jahrhunderts  gehört  auch  eine 
gereimte  deutsche  Meßerklärung  an,  in  welcher  die  liturgische  Gewandung  eine  zum 
Teil  recht  eigenartige  Deutung  erfährt  -. 

Was  das  13.  Jahrhundert  an  Werken  über  die  Liturgie  schuf,  ist  für  die  Ge- 
schichte der  liturgischen  Gewandung  fast  ohne  Bedeutung.  Das  gilt  selbst  von  dem 
Rationale  des  Durandus,  einer  ungemein  fleißigen,  im  einzelnen  aber  wenig  geordneten 
Sammlung   alles  dessen,   was  frommer  Sinn  bis  dahin  über   die  Messe,    das  Offizium, 


1  Näheres  über  die  Liturgiker  des  11.  bis  zügliche    Schrift    von    J.    Sauer,    Symbo- 

13.    Jahrhunderts     bei    Ebner    79   ff    und  lik    des    Kirchengebäudes ,     Freiburg    1902, 

Franz    407  ff.      Über    Honorius    und    die  12  ff. 

Streitfrage   betreffs    seiner  Nationalität,    Si-  -  Kelle,  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae, 

cardus    und    Durandus    namentlich    die   vor-  München  1858,  149  ff. 


10 


Einleitung 


das  Kirchenjahr  usw.  und  auch  die  Sakralkleidung  Erbauliches  und  Mystisches  ersonnen 
und  geschrieben  hatte.  Veraltetes  und  im  Brauch  Stehendes  wird  in  einer  Weise  ver- 
mengt, daß  es  in  manchen  Fällen  schwer  ist,  Vergangenheit  und  Gegenwart  zu  sondern. 
Für  die  mittelalterliche  Anschauungsweise  freilich,  die  nur  an  mystische  Ergründung  des 
Sinnes  der  liturgischen  Gewänder  wie  der  liturgischen  Verrichtungen  überhaupt  dachte, 
war  das  Rationale  das  ganze  noch  übrige  Mittelalter  das  Universalhandbuch  der  Liturgik  l. 

Der  liturgischen  Abhandlungen  aus  den  Riten  des  Ostens,  welche  sich 
mit  Erklärung  der  Kultgewänder  beschäftigen,  sind  nur  sehr  wenige. 

Die  älteste  ist  die  'Iircopia  IxxXir)(?ia<n:i-/.7},  die,  anscheinend  von  einem  Mönche  ge- 
schrieben, sehr  wahrscheinlich  noch  in  die  vorkarohngische  Zeit  fällt  -.  Eine  Erweiterung 
und  Bearbeitung  dieser  Schrift  ist  die  Muorty-T]  fkiupia,  die  unter  verschiedenen  Namen  geht, 
namentlich  dem  des  hl.  Germanus  von  Konstantinopel  (f  733),  daher  auch  wohl  Pseudo- 
Germanus  genannt3.  Ihr  Alter  mit  Sicherheit  festzustellen,  ist  nicht  möglich;  jeden- 
falls fällt  sie  aber  noch  in  das  erste  Jahrtausend.  Ebenfalls  auf  der  'loropia  gründet  die 
von  dem  Herausgeber,  Kard.  Angelo  Mai,  dem  hl.  Sophronius  von  Jerusalem  (j  638) 
zugeschriebene  Meßerklärung4.  Sie  entstand,  wie  Krasnojeljcev  nachgewiesen,  im 
11. — 12.  Jahrhundert.  Eine  in  Fragen  und  Antworten  abgefaßte  kurze  Erklärung  der 
heiligen  Kleidung,  bei  welcher  St  Basilius  der  Fragesteller  ist,  St  Gregor  der  Theolog 
aber  antwortet,  scheint  ebenfalls  aus  der  Frühe  des  Jahrtausends  herzurühren  \  Der 
Wende  des  14.  Jahrhunderts  entstammen  die  auch  für  die  Kenntnis  der  damaligen 
sakralen  Gewandung  des  griechischen  Ritus  wichtigen  liturgischen  Traktate  des  schis- 
matischen Metropoliten  Simeon  von  Saloniki  (f  1429  6).  Eine  Deutung  der  Gewänder 
des  syrisch-nestorianischen  Ritus  findet  sich  in  dem  „Buche  der  Väter",  das  dem 
1 2.  Jahrhundert  zugeschrieben  wird 7,  Angaben  über  die  liturgischen  Gewänder  der 
Kopten  enthält  die  Schrift  Ibn  Sabaas  (14.  Jahrh.):  Monile  pretiosum  in  scientia 
eeclesiae s.  Die  armenische  Kultkleidung  wird  ziemlich  ausführlich  in  des  Nerses  von 
Lampron  (f  1198)  Kommentaren  zur  heiligen  und  göttlichen  Liturgie  behandelt9. 

Eine  wichtige  Ergänzung  der  schriftlichen  Nachrichten,  welche  über  die 
liturgische  Gewandung  aus  dem  Mittelalter  vorliegen,  bilden  die  Inventare. 
Sie  reichen  bis  in  das  Ende  des  8.  Jahrhunderts  hinauf,  im  ganzen  ist  in- 
dessen, wie  leicht  begreiflich,  ihre  Zahl  bis  zum  13.  nicht  allzu  groß.  Aus 
dem  späten  Mittelalter  hat  sich  eine  lange  Reihe  von  Schatzverzeichnissen 
erhalten.  Die  älteren  Inventare  sind  sehr  knapp  abgefaßt  und  gehen  leider 
häufiger  als  wünschenswert  über  Stoff  und  Verzierung  der  Gewänder  still- 
schweigend hinweg.  Doch  gibt  es  kaum  eines  dieser  älteren  Inventare,  das 
nicht  von  Bedeutung  wäre.  Die  späteren  Schatzaufnahmen  sind  vielfach  sehr 
eingehend  und  geben  oft  umständliche  Beschreibungen  der  Stoffe  und  Ver- 
zierungen der  Paramente  nach  Qualität  und  Darstellungen.  Beispiele  sind  die 
Inventare  von  St  Paul  zu  London  (1245,  1402),  des  Schatzes  des  Apostolischen 


1  Betreffs  der  Meßerklärungen  des  14.  und 
15.  Jahrhunderts,  wobei  gewöhnlich  auch  die 
Gewänder  gedeutet  werden,  vgl.  das  bereits 
erwähnte,  für  die  Geschichte  der  Meßerklä- 
rungen des  späten  Mittelalters  unentbehrliche 
Werk  von  A.  Franz  über  die  Messe  im 
deutschen  Mittelalter  515  ff. 

2  Jahrbuch  von  Odessa  IV  2  (1894)  178  ff. 
Krasnojeljcev  hält  es  für  möglich,  daß  die 
Schrift  vom  hl.  Basihus  herrühre,  doch  ist 
das  bloß  eine  Vermutung.  Der  Umstand,  daß 
sie  wie  die  von  ihr  abhängige  filumr/.i)  Vziupia 
auch  dem  hl.  Basilius  zugeeignet  wird,  ist 
für  eine  solche  Annahme  nicht  Grund  genug. 


3  Mg.  98,  393  ff.  Da  in  der  Schrift  die 
Ankunft  des  Antichrist  auf  das  Jahr  6500 
=  992  n.  Chr.  festgesetzt  wird,  muß  sie 
vor  diesem  Termin  geschrieben  sein. 

4  Mg.  87,  3,  3985  ff. 

5  N.  Krasnojeljcev,  Addenda  et 
Anecdota  graecolryzantina ,  Odessa  1898, 
Nr  13. 

6  Mg.  155,  257  ff  712  ff. 

7  Dom  Jean  Parisot,  Le  livre  des  Pures, 
in  La  Science  cath.  1890,  450. 

8  Renaudot,  Collectio  liturg.  orient.  I, 
Francof.  1847,  161. 

9  c.  5  25  27  (ed.  Venet.  1847,  p.  80  140  145). 


II.  Quellen.  H 

Stuhles  von  1295,  des  Domes  zu  Prag  (1387,  1396,  1476),  der  Kathedrale  zu 
York  (1500),  des  Santo  zu  Padua  (1396),  von  S.  Francesco  zu  Assisi  (1320), 
des  Domes  zu  Olmütz  (1435)  u.  a.  Die  Angaben  sind  bisweilen  so  vollständig 
und  bestimmt,  daß  man  sich  ohne  Mühe  ein  klares  Bild  des  betreffenden 
Gegenstandes  machen  kann,  zumal  wenn  man  mit  den  noch  erhaltenen  Para- 
menten  und  Paramentenresten  aus  dem  Mittelalter  vertraut  ist.  Es  ist 
bereits  eine  große  Anzahl  mittelalterlicher  Inventare  herausgegeben  worden. 

Eine  ziemlich  vollständige  Zusammenstellung  derselben  bietet  nebst  freilich  zu 
knapper  Inhaltsangabe  und  unter  Bezeichnung  der  Werke,  in  denen  sie  Veröffent- 
lichung gefunden  haben,  Perd.  de  Mely  und  Ed.  Bishop  in  dem  schätzenswerten  Werk 
Bibliographie  generale  des  inventaires  imprimes  (Paris  1892 — 1895). 

Die  Monumente  sind  ebenso  wichtig  als  Zeugnisse  für  den  Gebrauch 
der  liturgischen  Kleidung  bzw.  ihrer  einzelnen  Bestandteile  wie  für  die  Kennt- 
nis der  Form  und  Beschaffenheit  der  letzteren.  Besondere  Bedeutung  haben 
sie,  wo  schriftliche  Angaben  mangeln.  Aber  auch  da,  wo  deren  vorliegen,  sind 
sie  immerhin  eine  wertvolle  Ergänzung  derselben.  Allerdings  erheischt  das 
Studium  der  Monumente  einige  Vorsicht. 

Das  Bestreben,  das  Alter  derselben  möglichst  hoch  hinaufzurücken,  ist  noch 
keineswegs  ausgestorben,  und  es  fehlt  darum  noch  immer  nicht  an  Bildwerken,  die 
mehr  oder  weniger  weit  über  ihre  wirkliche  Entstehungszeit  hinaus  datiert  werden. 
Aber  auch  bei  solchen,  bei  welchen  die  früheren  Altersbestimmungen  als  unzutreffend 
nachgewiesen  wurden,  dauert  es  oft  recht  lange,  bis  die  richtige  Erkenntnis  durch- 
dringt, so  daß  die  falschen  Altersbestimmungen  vor  wie  nach  noch  eine  gute  Weile 
in  den  Büchern  herumzuspuken  pflegen.  Wer  die  Monumente  für  das  Studium  der 
liturgischen  Gewandung  ausnutzen  will,  muß  daher,  wie  überhaupt  jeder,  der  auf  ihnen 
aufbauen  möchte,  vor  allem  sich  nach  Möglichkeit  über  das  Alter  derselben  zu  ver- 
gewissern suchen,  wo  nicht  klare,  bestimmte  innere  oder  noch  besser  äußere  Anhalts- 
punkte vorliegen,  allerdings  eine  schwierige  Sache,  bei  der  man  nur  zu  häufig  über 
eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  nicht  hinauskommt '.  Sichere  Schlüsse  können  sich 
nur  auf  sicher  datierten  Bildwerken  aufbauen.  Außerdem  aber  ist  zu  beachten,  daß 
die  mittelalterlichen  Bildwerke  in  Bezug  auf  Genauigkeit,  Vollständigkeit  und  Korrekt- 
heit der  auf  ihnen  dargestellten  liturgischen  Gewänder  vieles  zu  wünschen  übriglassen. 
Hier  hat  es  dem  Künstler  an  Beobachtung  der  Wirklichkeit  gefehlt,  dort  ist  es  eine  über- 
quellende, dekorationslustige  Phantasie,  welche  Feder,  Pinsel  oder  Meißel  geführt  hat, 
anderswo  ist  es  jene  den  mittelalterlichen  Meistern  eigene  Sorglosigkeit,  welcher  die 
Verstöße  und  Mängel  zuzuschreiben  sind.  Auch  das  Stilisieren  von  Personen  und  Ge- 
wändern trägt  seinen  guten  Teil  an  den  Eigenarten  Schuld,  welche  wir  auf  den  alten 
Bildwerken  bei  der  liturgischen  Kleidung  antreffen.  Gewifa  herrschte  im  Mittelalter 
in  Bezug  auf  die  liturgische  Gewandung  nicht  die  straffe  Einheit,  welche  heute,  wo 
alles  durch  bestimmte  Vorschriften  geregelt  ist  und  eine  besondere  Kongregation  über 
die  Einhaltung  des  einmal  festgelegten  Kitus  wacht ,  alle  bindet.  Allein  so  bunt, 
wie  es  nach  den  Bildwerken  scheinen  könnte,  sah  es  zu  keiner  Zeit  in  Bezug  auf 
Gebrauch,  Form,  Ausstattung  usw.  der  Sakralkleidung  aus.  Im  allgemeinen  darf  als 
Erfahrungssatz  aufgestellt  werden,  daß  die  mittelalterlichen  Künstler  am  zuver- 
lässigsten sind  in  Bezug  auf  das  Gesamtbild  der  Kleidung  oder  der 
einzelnen  Gewänder,  daß  sie  dagegen  in  Bezug  auf  das  Detail  aus  den  vorhin 
angeführten  Gründen  weniger  Glauben  verdienen.  Nichts  wäre  verkehrter,  als  in  den 
Schöpfungen   der   alten    Miniatoren,    Glasmaler,    Sticker,    Bildhauer,    Maler   eine   Art 


1    Gerade     die    Beschaffenheit    der    litur-  Monumente  oder  sonstwie  festgestellt  wurde, 

gischen  Gewandung   bildet,    wo  sie  für  eine  ein  wertvolles  Mittel  zur  Datierung  mancher 

bestimmte     Zeit     auf     Grund     zuverlässiger         andern  Monumente. 


12 


Einleitung. 


von  Photographien  zu  sehen  '.  Zu  den  für  die  Geschichte  der  liturgischen  Gewänder 
bedeutsamsten  Bildwerken  gehören  die  Bischofssiegel  des  12.  und  13.  Jahrhunderts 
sowie  die  Grabfiguren  des  12.  und  der  folgenden  Jahrhunderte. 

Je  häufiger  eine  bestimmte  Eigentümlichkeit  in  Bezug  auf  die  liturgische 
Gewandung  auf  den  Monumenten  bezeugt  ist,  um  so  mehr  darf  sie  als  den  tatsäch- 
lichen Verhältnissen  entsprechend  angesehen  werden.  Vereinzelten  Darstel- 
lungen wird  man  nur  dann  wirklichen  Wert  und  wirkliches  Gewicht  beizumessen 
berechtigt  sein,  wenn  die  ganze  Ausführung  darauf  schließen  läßt,  daß  der  Künstler 
die  Wirklichkeit  wiedergebe.  Wo  an  allen  Enden  die  Phantasie  und  Laune  des 
Künstlers  durchscheint,  haben  sie  eine  recht  zweifelhafte  Bedeutung. 

Wir  machen  noch  auf  eine  letzte  wichtige  Wahrnehmung  aufmerksam.  Danach 
darf  es  im  allgemeinen  als  Kegel  angesehen  werden,  daß  Veränderungen,  die  mit  den 
liturgischen  Gewändern  vor  sich  gingen,  nicht  auch  schon  ohne  weiteres  und  als- 
bald auf  den  Monumenten  zum  Ausdruck  kommen.  Die  Tradition,  die  im  Mittel- 
alter einen  ungleich  größeren  Einfluß  auf  das  Kunstschaffen  hatte  als  gegenwärtig, 
wo  in  der  Kunst  alles  im  Fluß  ist  und  alle  Welt  nach  Neuem  strebt,  machte  sich  nicht 
selten  noch  eine  Reihe  von  Jahren  geltend,  und  es  dauerte  bisweilen  eine  verhältnis- 
mäßig geraume  Zeit,  ehe  die  Künstler  die  alte  Weise  verließen  und  die  Neuerung 
zur  Darstellung  brachten.  Aus  demselben  Grunde  aber  sehen  wir  nicht  selten  umgekehrt 
Eigentümlichkeiten  auf  den  Monumenten  auftreten,  die  in  Wirklichkeit  bereits  einige 
fünfzig  Jahre  vom  Schauplatz  verschwunden  waren.  Ein  geradezu  klassisches  Beispiel 
bietet  die  Wiedergabe  der  Mitra.  Trotzdem  diese  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des 
11.  Jahrhunderts  weithin  in  Gebrauch  war,  sind  Darstellungen  derselben  auf  den  Bild- 
werken noch  bis  1100  sehr  selten.  Anderseits  aber  kommen  auf  den  Monumenten 
noch  nach  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  bei  Bischofsfiguren  Mitren  von  einer  Form 
vor,  welche  einer  um  50 — 100  Jahre  früheren  Periode  angehört  und  längst  durch 
eine  neue  abgelöst  worden  war. 

Am  allerwichtigsten  sind,  wie  leicht  ersichtlich,  für  die  Geschichte  der 
Entwicklung  der  liturgischen  Kleidung  die  aus  dem  Mittelalter  noch 
vorhandenen  Gewänder.  Was  die  Inventare  beschreiben  oder  oft  nur 
andeuten,  was  die  Monumente  in  ihrer  Weise  mehr  oder  weniger  künstlerisch 
umgestaltet  wiedergeben,  sehen  wir  bei  ihnen  leibhaftig  vor  uns.  Um  so  mehr 
ist  zu  bedauern,  daß  die  Zahl  derjenigen  liturgischen  Gewänder,  welche  mit 
Sicherheit  dem  ersten  Jahrtausend  zugewiesen  werden  können,  äußerst  geling 
ist.  Will  man  freilich  den  laufenden  Traditionen  glauben,  dann  gibt  es  noch 
eine  ziemliche  Anzahl  von  Paramenten  aus  dieser  Periode.  Indessen  lassen  Form, 
Stoff,  Ausstattung  und  was  wir  sonst  von  der  Geschichte  der  liturgischen 
Gewänder  Sicheres  wissen,  keinen  Zweifel  übrig,  daß  sie  einer  weit  späteren 
Zeit  ihre  Entstehung  verdanken.  Pontifikalhandschuhe  eines  hl.  Cassius  (f  558) 
zu  Narni  und  eines  hl.  Sabinus  (f  ca  566)  zu  Canosa,  die  Mitra  des  hl.  Sil- 
vester I.  (f  335)  in  S.  Martino  ai  Monti  und  des  hl.  Gildas  (um  547)  zu  St-Gildas- 
de-Rhuys,  die  Pontifikalschuhe  des  heiligen  Abtes  Germanus  (f  ca  677)  zu  Dels- 
berg  u.  a.  sind,  ganz  abgesehen  von  ihrer  Beschaffenheit,  welche  sie  evident 
dem  zweiten  Jahrtausend  zuweist,  für  die  Zeit,  welcher  sie  angehören  sollen, 


1  Man  führt  wohl,  wenn  sich  auf  den  Bild- 
werken scheinbar  altertümelnde  Eigenarten 
in  Bezug  auf  die  liturgische  Gewandung  zeigen, 
solche  auf  den  Umstand  zurück,  daß  dem 
Künstler  Vorlagen  aus  früherer  Zeit  zum 
Muster  dienten.  Wirklich  mögen  sie  sich  in 
solchen  Fällen  hie  und  da  auf  diese  Weise 
am   besten  erklären  lassen.     Immerhin  wird 


man  sehr  wohl  zusehen  müssen,  um  nicht 
Gefahr  zu  laufen,  sich  in  leere  Hypothesen 
zu  verlieren  und  eine  Phantasie  des  Künstlers 
als  Reminiszenz  an  alte  Zeiten  oder  ältere 
Monumente  auszugeben.  Man  sollte  nur  dort 
so  vorgehen,  wo  Bildwerke  aus  früherer  Zeit 
und  andere  sichere  Gründe  genügenden  An- 
halt für  eine  solche  Erklärung  bieten. 


II.  Quellen. 


13 


Anachronismen.  Bei  andern,  wie  z.  B.  bei  der  Kasel  des  hl.  Johannes  Ange- 
loptes  (f  432)  in  S.  Urso  zu  Ravenna,  schließt  wenigstens  die  Beschaffenheit 
durchaus  den  Ursprung  aus,  den  die  Überlieferung  will.  Übrigens  sind  eben- 
diese  Überlieferungen  bei  genaueren  Nachforschungen  bisweilen  relativ  recht 
jungen  Datums. 

Manche  Erwartungen  knüpften  sich  an  die  koptischen  Gräberfunde  in  den 
Gräberfeldern  der  Provinz  Fajüm ,  zu  Antinoe  in  Mittel-  und  zu  Aehmini  in 
Oberägypten.  Indessen  haben  diese  über  die  liturgische  Gewandung  leider  keinerlei 
Aufschluß  gebracht,  so  belehrend  sie  auch  hinsichtlich  der  Form  und  Beschaffen- 
heit der  profanen  Tracht  gewesen  sind  '. 

Kecht  stattlich  ist  die  Zahl  der  liturgischen  Gewänder,  die  sich  aus  dem 
11.  bis  16.  Jahrhundert  erhalten  haben;  insbesondere  gilt  das  von  den  Kasein,  den 
Pontifikalschuhen,  der  Mitra  und  auch  der  Albe.  Freilich  gibt  es  auch  hier  manche 
unzutreffende  Traditionen,  indessen  fallen  die  betreffenden  Stücke  doch  immer  noch 
in  Wirklichkeit  ins  Mittelalter,  mögen  sie  auch  um  ein,  zwei  oder  vielleicht  drei 
Jahrhunderte  später  zu  datieren  sein,  als  die  örtliche  Überlieferung  will.  Sehen  wir 
von  den  Gewändern  ab,  die  sich  in  protestantischen  Kirchen,  namentlich  in  St  Marien 
zu  Danzig,  im  Dom  zu  Brandenburg  und  im  Dom  zu  Halberstadt,  in  die  Gegenwart 
gerettet  haben  und  die  fast  ausnahmslos  dem  späten  Mittelalter  angehören ,  so 
verdanken  die  übrigen  noch  vorhandenen  mittelalterlichen  Paramente  in  den  meisten 
Fällen  ihre  Erhaltung  dem  Umstände,  daß  sie  Reliquien  waren  oder  doch  als  solche 
galten,  ein  Umstand,  dessen  glückliche  Wirkung  namentlich  ist,  daß  wir  aus  der 
Frühe  des  Jahrtausends,  d.  i.  dem  11.,  12.  und  beginnenden  13.  Jahrhunderts,  noch 
die  bedeutende  Zahl  von  etwa  dreißig  Glockenkasein  besitzen.  Wenn  es  in  den  katho- 
lischen Kirchen  Deutschlands  aus  dem  Ende  des  Mittelalters  zwar  noch  ungemein  viele 
Reste  alter  Paramente,  aber  äußerst  wenig  unversehrte  gibt,  so  kommt  das  daher,  daß 
die  fraglichen  Gewänder  nicht  als  Reliquien  betrachtet  wurden  und  daß  man  deshalb 
kein  Bedenken  trug ,  bei  veränderter  Mode  sie  dem  neuen  Geschmack  gemäß  um- 
zugestalten. 

Übrigens  muß  betont  werden,  daß  in  den  Fällen,  wo  die  Tradition  hinsichtlich 
des  einen  oder  andern  Ornatstückes  nach  Ausweis  der  Form  und  Beschaffenheit  des- 
selben unzutreffend  ist,  in  der  Regel  immerhin  irgend  eine  Beziehung  des  fraglichen 
Gewandes  zu  dem  Heiligen ,  dessen  Kamen  es  trägt ,  vorliegt.  Insbesondere  stellt 
ein  großer  Teil  solcher  Paramente  Gewandstücke  dar,  mit  denen  der  Leib  eines 
Heiligen  bei  seiner  ersten  Erhebung  oder  einer  andern  späteren  Gelegenheit  neu  be- 
kleidet wurde.  Es  sind  das  also  Gewänder,  die,  wenn  auch  erst  in  späterer  Zeit, 
wirklich  mit  dem  heiligen  Leib  in  Berührung  kamen  und  darum  mit  Recht  als  eine 
Art  von  Reliquien  verehrt  werden  können  und  als  solche  offenbar  mit  mehr  Recht 
verehrt  werden    als   die    altchristlichen  Brandea ,    Tücher ,    die   man  auf  die  Sehreine 


1  Wenn  F.  X.  Kraus  die  Erwartung  aus- 
sprach, daß,  wie  schon  jetzt  abzusehen  sei, 
die  koptischen  Grabfunde  wesentliche  Ver- 
änderungen der  Geschichte  der  liturgischen 
Gewandung  zur  Folge  haben  würden  (Ge- 
schichte der  christl.  Kunst  I  5S4),  so  beruht 
das  auf  einer  sehr  mangelhaften  Kenntnis  der 
wirklichen  Ergebnisse  der  Nachforschungen 
in  den  koptischen  Gräbern.  Allerdings  hat 
mau  unter  den  Textilien,  welche  ans  Licht 
kamen,  auch  Reste  von  Pallien,  einer  Stola 
bzw.  eines  Manipels  und  altchristlicher  Infulae 
zu  entdecken  geglaubt.  Man  wird  indessen 
gut  tun,  über  derartige  Funde,  bei  deren  Be- 
stimmung, wie  wir  fürchten,  die  Phantasie  eine 


größere  Rolle  gespielt  hat  als  die  Archäo- 
logie, zur  Tagesordnung  überzugehen.  Wenn 
man  aus  Heiligendarstellungen  auf  koptischen 
Gewandstücken  auf  deren  liturgischen  Ge- 
brauch und  Charakter  einen  Schluß  machen 
möchte,  so  übersieht  man,  daf3  solche  im 
Orient  keineswegs  eine  Eigentümlichkeit  der 
Sakralkleidung  waren,  da  es  bei  den  Reichen 
Sitte  war,  auch  profane  Gewänder  mit  ihnen 
zu  schmücken.  Vgl.  die  lehrreiche  Rede  des 
Asterius  von  Amasea  (5.  Jahrh.)  De  divite 
et  Lazaro  (Mg.  40,  167).  Heiligenbilder  auf 
koptischen  Grabfunden  beweisen  also  keines- 
wegs, daß  diese  einst  liturgischen  Zwecken 
dienten. 


14  Einleitung. 

oder  die  Confessio  legte,  um  sie  dann  als  Reliquien  zu  versenden.  Andere  Ornat- 
stücke haben  mit  Reliquienbüsten  oder  Statuen  eines  Heiligen  in  Verbindung  gestanden : 
denn  die  Sitte,  Büsten  oder  Statuen  mit  Gewändern  zu  schmücken,  entstand  nicht  erst 
in  der  Zeit  der  Renaissance.  So  stammt  die  Mitra  Silvesters  I.  in  S.  Martino  zu 
Rom,  wie  kaum  zu  bezweifeln,  von  einer  Reliquienbüste  des  Heiligen,  die  Mitra  und 
Dalmatik  des  hl.  Ludwig  zu  Brignoles  aber  von  einer  damit  geschmückten  Statue. 
Die  Maße  beweisen  das  hier  wie  dort.  Wieder  bei  andern  Gewändern  erklärt  sich 
die  Zuweisung  an  einen  Heiligen  durch  den  Umstand,  daß  sie  Votivgaben  zu  Ehren 
dieses  Heiligen  waren  oder  für  einen  Altar,  eine  Kapelle  desselben  gestiftet  wurden. 
Aus  der  casula  S.  N.  im  Sinne  eines  zu  Ehren  des  betreffenden  Heiligen  geschenkten 
Meßgewandes  wurde  im  Lauf  der  Zeit  bei  zunehmender  Verdunklung  des  Ursprungs 
eine  casula  S.  N.  im  Sinne  einer  von  dem  Heiligen  herrührenden  Kasel.  Anderswo 
waren  ursprünglich  authentische  Ornatstücke  vorhanden.  Es  trat  aber  infolge  von 
Wirren  eine  Verwechslung  ein,  und  während  die  echten  zu  Grunde  gingen,  erhielten 
sich  die  unechten.  Auch  kam  es  wohl  vor,  daß  da,  wo  man  irgend  eine  wirkliche 
Gewandreliquie  besaß,  sich  durch  Zufall  im  Laufe  der  Zeit  andere  Ornatstücke  zu 
dieser  gesellten,  die  dann  auch  den  Namen  jenes  Heiligen  erhielten. 

Solche  und  ähnliche  Irrtümer  waren  um  so  eher  möglich,  als  unsere  Vorfahren 
auf  der  einen  Seite  große  Freunde  alles  dessen  waren,  was  den  Namen  Reliquie  trug, 
anderseits  aber  in  ihrer  schlichten,  kindlichen  Frömmigkeit  weiter,  als  gerade  gut, 
davon  entfernt  waren,  einen  Zweifel  an  der  Authentizität  der  Reliquien  zu  hegen, 
die  kritische  Sonde  anzusetzen  und  eine  Untersuchung  über  Echtheit  oder  Unechtheit 
der  Reliquien  vorzunehmen.  Freilich  wären  sie  dazu  auch  in  vielen  Fällen  schlechter- 
dings nicht  im  stände  gewesen.  Denn  sie  waren  weder  so  kritisch  geschult,  wie  es 
meistens  nötig  ist,  noch  hatten  sie  die  reichen  wissenschaftlichen  Hilfsmittel,  die  heute 
dem  Forscher  bei  seinen  Prüfungen  zu  Gebote  stehen.  Es  wäre  sehr  töricht,  mit  unsern 
Vorfahren  deshalb  zu  rechten,  weil  sie  irrtümlich  unechte  Gewandreliquien  für  echte  an- 
gesehen haben.  Wenn  wir  jetzt  die  Datierungen  der  Textilien  durchgehen,  die  vor 
fünfzig  Jahren  erfolgten,  werden  wir  manche  als  zu  hoch  gegriffen  bezeichnen  müssen, 
und  doch  waren  sie  ihrerzeit  das  Werk  von  Fachleuten.  Um  wieviel  mehr  war  also 
ein  Irrtum  im  Mittelalter  möglich.  Und  noch  jetzt,  wo  wir  die  großen  Sammlungen 
von  Textilien  besitzen  und  photographische  Abbildungen  die  letzteren  zum  wissen- 
schaftlichen Gemeingut  machen,  ereignet  es  sich  oft  genug,  daß  der  Fachmann  sich 
täuscht,  falls  er  nicht,  um  der  Gefahr  eines  Mißgriffes  zu  entgehen,  nur  unter  Vor- 
behalt und  mit  vielen  Fragezeichen  eine  Zeitbestimmung  versucht.  Nur  wer  von  den 
tatsächlichen  Verhältnissen  keine  Ahnung  hat  und  von  den  Schwierigkeiten  nichts 
weiß,  welchen  noch  jetzt  die  Datierung  von  Stoffen  begegnet,  kann  über  unechte  Ge- 
wandreliquien lächeln  oder  witzeln.  Wissenschaft  ist  das  jedenfalls  nicht.  Der 
Forscher  aber  wird  sich  freuen,  daß  infolge  solcher  leicht  verzeihlichen  Irrtümer 
manches  auf  unsere  Tage  gekommen  ist,  was  sonst  wie  tausend  andere  Sachen  rettungs- 
los im  Strom  der  Zeit  untergegangen  wäre,  und  zugleich  den  kindlich-frommen,  gläu- 
bigen Sinn  bewundern,  der  sich,  wie  überhaupt  im  Reliquienkultus,  so  insbesondere 
auch  in  Bezug  auf  die  Gewandreliquien  im  Mittelalter  vielfach  so  anheimelnd  und  er- 
bauend äußerte. 

III.  BEARBEITUNGEN. 

Das  Mittelalter  hat  keine  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  hervor- 
gebracht. Eine  geschichtliche  Betrachtung  derselben  lag  seinen  Ideen  zu  fern. 
Die  ersten  Keime  einer  solchen,  welche  sich  bei  Walafried  Strabo  finden,  blieben 
nur  Keime.  Erst  die  Neuzeit  wandte  sich  bei  dem  erwachten  historischen 
Sinn  und  dem  immer  mehr  zunehmenden  Interesse  an  der  Vergangenheit,  wie 
der  Geschichte  der  Liturgie  überhaupt,  so  auch  derjenigen  der  liturgischen 
Gewandung  zu.  Ein  äußerer  Anlaß  und  Antrieb  dazu  lag  freilich  auch  in  den 
Zeitumständen,  sofern  es  galt,  die  alten  katholischen  Einrichtungen  und  Riten 


III.  Bearbeitungen.  15 

gegenüber  den  Neuerem,  welche  diese  gemäß  ihrem  Grundirrtum  betreffs  der 
priesterlichen  Mittlerschaft  aus  dem  Gotteshause  ganz  oder  fast  ganz  verbannt 
hatten,  als  altkirchlich  und  berechtigt  zu  begründen  und  zu  verteidigen. 

Die  Untersuchungen  bezüglich  der  liturgischen  Kleidung  waren  übrigens 
bis  zum  19.  Jahrhundert  nach  alter  Weise  fast  immer  mit  der  Darstellung 
der  Liturgie  verbunden.  Besondere  Schriften  erschienen  über  dieselbe  nur  in 
geringer  Zahl.  Eigentümlich  ist  allen,  daß  sie  sich  kaum  auf  andern  als  den 
schriftlichen  Quellen  aufbauen.  Außer  der  einen  oder  andern  Angabe  des 
Papstbuches,  einiger  Heiligenbiographien  und  sonstigen  historischen  Quellen- 
werke sind  es  namentlich  die  Ordines,  die  kirchlichen  Bestimmungen  und  die 
mittelalterlichen  liturgischen  Schriften ,  die  ihren  Ausführungen  zu  Grunde 
liegen.  Die  Inventare  sind  so  gut  wie  ganz  unberücksichtigt  geblieben.  Auch 
die  Monumente  sind  nur  in  sehr  geringem  Maß  verwertet.  Obendrein  sind 
sie,  wo  sie  herangezogen  werden,  recht  oft  mißverstanden  oder  falsch  datiert. 
Nicht  besser  verhält  es  sich  mit  den  Überresten  an  liturgischen  Gewändern 
aus  früherer  Zeit,  was  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  seitdem  manche  der- 
selben leider  für  immer  zu  Grunde  gegangen  sind.  Abbildungen,  die  zur  Illu- 
stration des  Textes  hie  und  da  gebracht  werden,  sind  meist  sehr  ungenau  und 
stilistisch  völlig  umgearbeitet,  daher  fast  stets  ohne  Wert.  Eine  rühmliche 
Ausnahme  machen  die  für  ihre  Zeit  ungemein  treuen  Wiedergaben  in  Gerberts, 
des  gelehrten  Abtes  von  St  Blasien,  Vetus  liturgia  alemannica,  von  der  weiter 
unten  die  Rede  sein  wird. 

Es  würde  zu  weit  führen,  auf  alle  diese  älteren  Abhandlungen  einzugehen,  zumal 
die  meisten  jedes  selbständigen  wissenschaftlichen  Wertes  entbehren  und  meist  nur 
bereits  Gesagtes  zu  wiederholen  pflegen.  Es  ist  uns  auch  hier  mehr  darum  zu  tun, 
die  Art  der  Bearbeitung  der  Sakralgewandung  im  17.  und  18.  Jahrhundert  im  allgemeinen 
zu  charakterisieren,  als  eine  Anzahl  einzelner  Schriften  aufzuführen.  Immerhin  müssen 
einige  Namen  genannt  werden.  Zu  ihnen  gehört  vor  allem  der  des  Kardinals  Johannes 
Bona  (f  1674),  dessen  bündige,  verständige  Untersuchungen  über  die  liturgischen 
Gewänder  lange  den  Liturgikern  als  Grundlage  dienten  und  auch  jetzt  noch  Beachtung 
verdienen.  Erweitert  und  kommentiert  wurden  sie  in  der  von  dem  Cistercienser 
Robert  Sala  veranstalteten  Ausgabe  der  Eerum  liturgicarum  libri  duo  (Aug.  Taiir. 
1747 — 1753).  Dann  erheischt  Erwähnung  der  Cluniacenser  Claudius  de  Vert 
(t  1708),  dessen  Erörterungen  über  die  Sakralkleidung  in  dem  Werk  Explication 
simple  litterale  et  historique  des  ceremonies  de  l'eglise  (2.  Aufl.  Paris  1707 — 1708) 
zwar  kui'z  sind,  aber  immerhin  manche  interessante  Angabe  über  den  älteren  Brauch 
in  französischen  Kirchen  bieten.  Bemerkenswert  ist,  daß,  während  Bona  zwar  die 
mystische  Bedeutung  der  liturgischen  Gewänder  beiseite  läfst ,  aber  nicht  verwirft, 
de  Vert  ein  abgesagter  Feind  aller  mystisch-symbolischen  Auslegung  ist.  Auch  der 
Oratörianer  Peter  Le  Brun  (t  1729)  muß  genannt  werden,  sofern  auch  er  in 
seiner  Explication  litterale,  historique  et  dogmatique  des  priores  et  des  ceremonies 
de  la  Messe  (jüngste  Ausgabe  Lyon  1843  u.  1850)  in  seiner  Darstellung  der  Meß- 
kleidung Notizen  aus  französischem  Brauche  bringt.  Was  B.  Gavanti  (f  1638)  im 
Thesaurus  sacrorum  rituum  über  die  Geschichte  der  liturgischen  Kleidung  bietet, 
ist  selbst  in  der  von  dem  Theatiner  C.  Merati  besorgten  erweiterten  Form  (Romae 
1736—1738  u.  ö.)  kaum  der  Anführung  wert;  dagegen  ist  durchaus  der  Erwähnung- 
würdig  die  Abhandlung ,  welche  Benedikt  XIV.  seiner  oft  herausgegebenen  Schrift 
De  sacrosanctae  missae  sacrificio  (neueste  Ausgabe  Mainz  1874)  über  die  Meß- 
gewänder eingegliedert  hat,  nicht  zwar,  als  ob  hier  Neues  geboten  würde,  wohl  aber 
wegen  der  vortrefflichen  Behandlung  des  Gegenstandes.  Ungleich  einlässiger  ist, 
was  der  Dominikaner  Augustinus  Kratzer  in  seiner  Schrift  De  apostolicis 
necnon    antiquis    ecclesiae    occidentalis    liturgiis    (Augustae    Vindel.    1786)    über    die 


16 


Einleitung. 


liturgische  Gewandung  schreibt.  Es  gehört  zum  Besten,  was  bis  zum  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  in  liturgischen  Werken  über  diesen  Gegenstand  gesagt  worden  ist. 
Auch  der  Traktat  über  die  Sakralkleidung,  den  Abt  Martin  Gerbert  von  St  Blasien 
(t  1793)  seiner  Vetus  liturgia  alemannica,  disquisitionibus  praeviis,  notis  et  observa- 
tionibus  illustrata  (S.  Blasii  1776)  eingeflochten  hat,  verdient  alle  Anerkennung, 
zumal  hier  mehr  als  sonst  die  Bildwerke  und  noch  vorhandene  mittelalterliche 
liturgische  Gewänder  berücksichtigt  sind.  Einige  Jahrzehnte  älter  ist  die  Schrift  des 
Dominikus  Giorgi  (f  1764) :  Liturgia  Romani  Pontificis  in  celebratione  missarum 
sollemni  (Eomae  1731  — 1744),  worin  auch  die  Pontifikalkleidung  eine  eingehende 
Behandlung  findet,  vielleicht  das  Vorzüglichste,  was  bis  zum  19.  Jahrhundert  über 
dieselbe  geboten  wurde.  In  enzyklopädischer  Art  werden  die  liturgischen  Gewänder 
erörtert  in  des  Dominikus  Macri  (f  1672)  Hierolexicon  sive  sacrum  dictionarium 
(ursprünglich  italienisch;  lateinisch  Romae  1677),  das  später  von  dessen  Bruder  Karl 
Macri  vervollständigt  wurde  (Venetiis  1712).  Ganz  der  sakralen  Kleidung  gewidmet 
sind  die  drei  Bände  des  Touler  Bischofs  Andre  as  du  Saussay  (fl675):  Panoplia 
episcopalis  seu  de  sacro  episcopi  ornatu  (Paris.  1646),  Panoplia  clericalis  seu  de 
clericorum  tonsura  et  habitu  (Paris.  1649)  und  Panoplia  sacerdotalis  seu  de  venerando 
sacerdotum  habitu  (Paris.  1653),  alle  in  Folio,  ein  höchst  umfangreiches  Werk,  das 
aber  außer  dem  allgemeinen  Mangel  an  der  nötigen  Berücksichtigung  der  Monumente 
obendrein  an  starker  Kritiklosigkeit  und  ermüdender ,  nichtssagender  Breite  der  Dar- 
stellung leidet,  für  seine  Zeit  allerdings  eine  sehr  bemerkenswerte  Leistung  l. 

Die  Kultkleidung  der  orientalischen  Riten  hat  bis  zum  19.  Jahrhundert 
keine  zusammenfassende  Bearbeitung  gefunden.  Einzelne  Angaben  sind  ge- 
legentlich den  vorhin  erwähnten  Abhandlungen  über  die  abendländischen 
Sakralgewänder  eingefügt,  einlässigere  Notizen  enthalten  des  Dominikaners 
Jakob  Goar  (f  1653)  Euchologium  (Paris.  1647),  des  Eusebius  Re- 
naudot  (f  1720)  Collectio  liturgiarum  orientalium  (neueste  Ausgabe  Frank- 
furt 1847),  der  Codex  liturgicus  Ecclesiae  universae  (Romae  1749 — 1766)  des 
Maroniten  Jos.  Alois  Assemani  (f  1782)  und  die  Bibliotheca  orientalis 
Clementino - Vaticana  (Romae  1755 — 1757)  des  Jos.  Simon  Assemani 
(f  1768),  Jos.  Mich.  AVansleben  (f  1679)  oder  Vansleb,  Histoire  de 
l'eglise  d'Alexandrie  (Paris  1677),  Kap.  16  der  Noten  Jak.  Gretsers  S.  J. 
(f  1625)  und  Goars  zu  Codmus,  De  officiis  magnae  ecclesiae  et  aulae 
constantinopolitanae 2,  John  Glen  King,  Gebräuche  und  Zeremonien  der 
griechischen  Kirche  Rußlands  (aus  dem  Englischen,  Riga  1773)  u.  a.,  von 
denen  einige  schon  früher  erwähnt  worden  sind. 

Neues  Leben  brachte  in  das  Studium  der  geschichtlichen  Entwicklung 
der  liturgischen  Gewandung  das  19.  Jahrhundert.  Die  Reformbestrebungen, 
welche  gegen  die  Mitte  desselben  in  Bezug  auf  Gestalt  und  Ausstattung,  auf 
Stoff  und  Ornamentierung  der  Sakralkleidung  einsetzten,  lenkten  immer  mehr 


1  Was  an  Monographien  über  einzelne  Ge- 
wänder aus  dem  17.  und  18.  Jahrhundert  vor- 
liegt—  sie  betreffen  meist  die  Mitra  (Tiara)  und 
namentlich  das  Pallium  —  ist  zu  unbedeutend, 
als  daß  es  hier  besondere  Erwähnung  er- 
heischte; einiges  Brauchbare  wird  ohnehin 
gelegentlich  genannt  werden.  Eine  Ausnahme 
sei  nur  mit  der  vorzüglichen  Abhandlung 
Ruinarts  Disquisitio  hist.  de  pallio  archi- 
episcopali,  inOuvrages  posthumes  II,  Parisl724, 
gemacht.  Die mehrgenannte  Schrift  M.  Sartis 
De  veteri  casula  diptycha  (Faenza  1753)  soll 


nicht  sowohl,  wie  der  Titel  vermuten  lassen 
könnte,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  litur- 
gischen Gewänder  als  vielmehr  zur  Bischofs- 
geschichte Veronas  sein.  Sie  handelt  nämlich 
von  den  Bildern  veronesischer  Bischöfe,  die 
sich  auf  den  Zierbesätzen  der  fraglichen  Kasel 
befanden.  Der  Name  casula  diptycha,  den  Sarti 
deshalb  dieser  gab,  ist  ein  Unsinn.  Auch  hat 
Sarti  übersehen,  daß  die  fraglichen  Stäbe  ihr 
nicht  ursprünglich,  sondern  von  einem  älteren 
Antipendium  (10.  Jahrb..)  hergenommen  waren. 
2  M.  157,  181  ff. 


III.  Bearbeitungen.  17 

den  Blick  auf  deren  große  Vergangenheit.  Man  sah  in  der  Rückkehr  zu  den 
Traditionen  des  Mittelalters  den  einzigen  Weg,  den  Paramenten  wieder  eine 
geziemendere  Form  und  einen  geziemenderen  Schmuck  zu  geben.  Kein  Wunder, 
daß  unter  solchen  Umständen  auch  das  Interesse  an  der  Geschichte  der  litur- 
gischen Gewandung  von  neuem  erwachte  und  dann  im  Kampf  um  die  Ideale, 
die  man  anstrebte,  immer  mehr  erstarkte.  So  kam  es  bald  zu  größeren  und 
kleineren  Aufsätzen  und  nicht  lange  nachher  auch  zu  größeren  Monographien 
über  die  Sakralkleidung  im  allgemeinen  oder  einzelne  ihrer  Bestandteile.  Von 
besonderem  Wert  war,  daß  man  sich  nicht  mehr  vornehmlich  auf  die  schrift- 
lichen Nachrichten  gründete,  sondern  auch  in  ungleich  ausgedehnterem  Maße 
die  zahlreichen  Bildwerke  früherer  Zeit  mit  Darstellungen  liturgischer  Gewänder 
und  ganz  besonders  das  noch  vorhandene  Material  an  mittelalterlichen  Para- 
menten und  Paramentenresten  verwertete.  Man  gewann  dadurch  gegenüber 
den  älteren  Arbeiten  über  die  Sakralkleider  ebenso  an  Gründlichkeit  wie  an 
Weite   und  Sicherheit. 

Manche  Momente  wirkten  fördernd  auf  diese  stärkere  Berücksichtigung 
der  Monumente  und  der  noch  erhaltenen  Gewänder  des  Mittelalters  ein:  die 
allgemein  erhöhte  Wertschätzung  der  mittelalterlichen  Kunst  und  ihrer  Produkte, 
auf  die  man  vordem  sehr  verächtlich  herabgesehen  hatte,  und  im  Zusammen- 
hang damit  eine  große  Pietät  gegenüber  den  Erzeugnissen  der  Kunst  einer  vom 
christlichen  Geist  ganz  durchdrungenen  Vorzeit,  die  von  kirchlichen,  staatlichen 
und  städtischen  Behörden,  sowie  von  manchen  für  die  Werke  der  Vorzeit 
begeisterten  Privaten  angelegten  Sammlungen,  worin  auch  die  Textilien,  kirch- 
lichen Stickereien  und  Gewänder  einen  ihrer  Bedeutung  entsprechenden  Platz 
erhielten,  die  ungleich  vervollkommnete  Reproduktionstechnik,  bei  welcher  es 
möglich  wurde,  die  Gegenstände  in  größter  Naturtreue  wiederzugeben,  die 
außerordentlich  erhöhte  Leichtigkeit  des  Verkehrs,  welche  ohne  allzu  große 
Beschwerden  eine  persönliche  Einsichtnahme  der  Monumente  und  mittelalter- 
lichen Gewänder  ermöglichte,  Sammelwerke  mit  guten  Abbildungen  der  alten 
Kunstdenkmale  u.  a.  Vornehmlich  war  es  die  Entwicklung  der  liturgischen 
Gewänder  nach  Form  und  Beschaffenheit,  welche  den  Gegenstand  der  Ab- 
handlungen bildete.  Eine  eingehende  Untersuchung  über  ihre  Verwendung 
und  ihre  Symbolik,  die  bis  dahin  minder  berücksichtigt  worden  waren,  unter- 
nahm namentlich  der  Verfasser  dieses  Werkes  in  seinen  beiden  Mono- 
graphien über  die  priesterliche  und  pontifikale  Gewandung. 

Es  ist  unmöglich,  die  zahlreichen  größeren  oder  kleineren  Aufsätze  auch  nur 
zum  Teil  zu  nennen,  welche  seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  in  den  verschie- 
densten Zeitschriften  über  die  liturgische  Gewandung,  über  einzelne  Bestand- 
teile derselben  oder  noch  erhaltene  Paramente  aus  früherer  Zeit  erschienen.  Manche 
sind  ohne  Wert,  manche  andere  wichtige  Beiträge  zur  Geschichte  der  Sakralkleidung. 
Besonders  reich  an  Abhandlungen  dieser  Art  ist  der  freilich  besonders  mit  Hinblick  auf 
die  Pflege  der  Paramentik  von  Dr  Fl.  Biefj,  Pfarrer  Laib  und  Pfarrer  Dr  Schwarz 
gegründete  Eottenburger  „Kirchenschmuck"  (Stuttgart  1857  —  1870).  Zahlreiche  andere 
Aufsätze  enthalten  die  „Mitteilungen  der  k.  k.  Zentralkommission  zur  Erforschung 
und  Erhaltung  der  Baudenkmale'  (Wien  1856  ff),  doch  nur  in  ihren  älteren  Jahr- 
gängen, die  jüngere,  von  dem  durch  seine  ausgebreiteten  Kenntnisse  der  mittelalter- 
lichen Kunst  und  speziell  der  mittelalterlichen  Textilien  und  Paramente  ausgezeichneten 
und  durch  seine  kostbare,  mit  großer  Feinsinnigkeit  hergerichtete  Sammlung  bekannten 
Domkapitular  Prof.  Dr  Alex.  Schnütgen  trefflich  redigierte  „Zeitschrift  für  christ- 
liche Kunst'  (Düsseldorf  1888 ff)  und  die  Eevue  de  Part  ehr etien  (Paris  1857ff; 
Lille  1883  ff),   welche  namentlich  aus  der  Feder  der  tüchtigen  Charles  de  Linas 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  2 


18  Einleitung. 

und  Louis  de  Farcy,  sowie  des  überaus  fleißigen,  aber  zu  breitspurigen  und  bis- 
weilen der  nötigen  Kritik  entratenden  X.  Barbier  de  Montault  viele  schätzens- 
werte Bausteine  zur  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  brachte.  Auch  der  Grazer 
„Kirehenschmuck"  (Graz  1870  ff),  das  Bottenburger  „Archiv  für  christliche  Kunst" 
(Stuttgart  1884 ff),  V.  Didrons  Annales  areheologiques  (Baris  1844 — 1881)  und  das 
von  A.  de  Caumont  begründete  Bulletin  monumental  lieferten  eine  größere  oder 
geringere  Zahl  sehr  brauchbarer  Aufsätze  über  die  Sakralkleidung  im  allgemeinen  und 
mehr  noch  über  einzelne  Gewandstücke.  Desgleichen  boten  eine  Beihe  guter  Beiträge 
die  BF.  Ch.  Ca  hier  S.  J.  und  Arthur  Martin  S.  J.  in  den  Melanges  de  l'arche- 
ologie  (Baris  1847  ff)  und  nach  dem  Tode  des  letzteren  (f  1856)  B.  Ch.  Cahier 
(f  1882)  allein  in  den  Nouveaux  melanges  (Baris  1874  ff). 

Der  Baum  gestattet  leider  nicht,  auch  nur  die  hervorragendsten  der  Arbeiten 
hier  anzuführen,  welche  in  diesen  Zeitschriften  ans  Licht  traten.  Soweit  sie  nicht 
über  die  Sakralkleidung  als  Ganzes  handelten ,  sind  es  namentlich  Albe ,  Kasel, 
Fluviale,  die  pontifikalen  Ornatstücke,  das  Ballium  und  die  liturgischen  Farben,  denen 
sie  gewidmet  waren.  Von  Abhandlungen,  die  in  sonstigen  Zeitschriften  erschienen, 
heben  wir  hervor  die  in  der  „Linzer  Theol.  Quartalschrift"  (1897  und  1898)  von 
B.  Beda  Kleinschmidt  0.  S.  Fr.  veröffentlichte  Serie  von  Artikeln  über  die  priester- 
lichen Gewänder,  eine  vorzügliche  Popularisierung  und  Verarbeitung  der  bis  dahin 
erzielten  Besultate  der  diese  betreffenden  Forschungen,  sowie  ebendesselben  Aufsätze 
über  Manipel  und  Pallium  im  „Katholik"  (1899  und  1900),  ferner  eine  die  Tiara 
und  Mitra  betreffende  Arbeit  des  Archäologen  E.  Wüscher-Becchi  in  der  „Böniischen 
Quartalschrift"  (1899),  die  für  die  spätere  Entwicklungsgeschichte  der  Tiara  geradezu 
erschöpfende  Monographie  Eugene  Müntz'  La  Tiare  pontificale  in  Memoires  de  l'Aca- 
demie  des  Inscriptions  et  Belles-Lettres  XXXVI  (1898),  der  für  die  ältere  Geschichte 
des  Bluviale  bedeutungsvolle  Artikel  Ed.  Bishops:  The  origin  of  the  cope  as  a 
church  vestment,  in  Dublin  Beview  CXX  (1897)  und  endlich  die  an  die  Mosaiken  in 
S.  Venanzo  beim  Lateran  anknüpfenden,  ebenso  soliden  wie  lehrreichen  Ausführungen 
B.  H.  Grisars  S.  J.  über  die  auf  jenen  vorkommenden  liturgischen  Gewandstücke 
in  Civiltä  cattolica  Jahrg.  1898,  I,  die  erweitert  mit  Becht  in  des  Verfassers  Analecta 
Bomana  n.  XII  (Born  1899)  aufgenommen  zu  werden  verdienten. 

Was  im  19.  Jahrhundert  über  die  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  in 
Liturgiken,  Archäologien  und  Kunstgeschichten  erschien,  ist  zum 
großen  Teil  von  wenig  oder  keinem  Belang.  Das  Beste  lieferten  D.  Bock  (f  1871) 
in  Hierurgia  or  the  holy  sacrifice  of  the  mass  (3.  Aufl.  London  1892 — 1893)  und 
The  faith  of  our  fathers  (London  1849),  B.  Baff aele  Garrucci  S.  J.  (f  1885)  in 
Storia  della  arte  cristiana  nei  primi  otto  secoli  della  chiesa  I  (Brato  1873 — 1881), 
der  gelehrte  Herausgeber  des  Liber  Eontificalis  L.  Duchesne  in  Origines  du  culte 
chretien  (3.  Aufl.  Paris  1903),  der  Löwener  Professor  Can.  Keusens  in  Elements 
de  l'archeologie  chretienne  (2.  Aufl.  Aachen  1885)  und  namentlich  der  ebenso  ge- 
lehrte wie  gemütvolle  und  fromme  V.  Thalhof  er  (f  1891)  im  „Handbuch  der  katho- 
lischen Liturgik"  (Freiburg  1883) ,  unzweifelhaft  das  Vortrefflichste,  was  über  die 
Sakralkleidung  in  Werken  dieser  Art  in  neuerer  Zeit  geschrieben  wurde. 

Von  enzyklopädischen  und  Nachschlagewerken,  welche  wegen  ihrer 
Behandlung  der  liturgischen  Gewänder  Erwähnung  verdienen,  nennen  wir  Viktor 
Gays  (f  1887)  leider  unvollendet  gebliebenes  Glossaire  archeologique  (Baris  1887), 
ferner  E.  Viollet-le-Duc  (f  1879),  Dictionnaire  raisonne  III  IV  (Paris  1873  ff), 
B.  Atz,  Die  christliche  Kunst  in  Wort  und  Bild  (Begensburg  1899),  Wetz  er  und 
Weites  Kirchenlexikon  (2.  Aufl.  Freiburg  1882—1901),  Gaet.  Moroni  (f  1883), 
Dizionario  di  erudizione  storico-ecclesiastica  (Venedig  1840 — 1861),  dessen  ausführ- 
liche Artikel  über  die  liturgischen  Gewänder  zwar  nur  wenig  geordnete  und  großen 
Mangel  an  Kritik  verratende  Kompilationen  sind,  aber  von  riesigem  Fleiß  zeugen  und 
manches  Material  aus  weniger  leicht  erhältlichen  älteren  Werken  enthalten.  Eine  gute 
zusammenfassende  Darstellung  der  Sakralkleidung  bieten  C.Krieg  in  Fr.  X.  Kraus, 
Bealencyklopädie   der   christlichen  Altertümer  (Freiburg  1882 — 1886)    unter  Kleidung 


III.  Bearbeitungen.  19 

und  V.  Schultze  in  Eealencypklopädie  für  protestantische  Theologie  (Leipzig  1896  ff) 
unter  Kleider.-  Über  die  gegenwärtige  liturgische  Gewandung  und  ihre  Bestandteile  im 
lateinischen  und  den  orientalischen  Eiten  unterrichtet  in  vorzüglicher  Weise  unter 
Beigabe  ausgezeichneter  farbiger  Abbildungen  nach  photographischen  Aufnahmen 
Herders   Konversations-Lexikon. 

Von  selbständigen  größeren  oder  minder  ausführlichen  Arbeiten  über  die 
liturgische  Kleidung  verzeichnen  wir  vor  allem  das  für  die  Neubelebimg  und  das 
Studium  der  Paramentik  so  bedeutungsvolle  und  verdienstliche  Werk  Dr  Fr.  Bocks 
(f  1899)  „Geschichte  der  liturgischen  Gewänder  des  Mittelalters"  (Bonn  1856 — 1871). 
Ist  es  auch  jetzt  zum  großen  Teil  veraltet,  so  hat  es  doch  das  Verdienst,  wesent- 
lich dazu  beigetragen  zu  haben ,  die  Sakralkleidung  in  gründlicherer  Weise  nach 
den  Monumenten  und  den  noch  erhaltenen  Gewändern  früherer  Zeit  zu  erfor- 
schen und  dem  Stoff  und  der  Ausstattung  der  Paramente  eine  bis  dahin  ungekannte 
Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Wenn  es  in  Bezug  auf  die  schriftlichen  Nachrichten 
noch  ganz  auf  den  nicht  immer  kritischen  Arbeiten  des  17.  und  18.  Jahrhunderts 
fußt  und  auch  die  Datierungen  von  Stoffen  und  Gewändern  nicht  selten  fehlgehen, 
so  wird  man  diese  Mängel  unzweifelhaft  milde  beurteilen,  wenn  man  an  den  be- 
deutenden Fortschritt  denkt ,  welche  die  Kritik  in  der  Ausgabe  der  historischen 
Quellen,  in  Erforschung  der  Denkmäler  und  der  damals  noch  in  den  Kinderschuhen 
steckenden  Textilkunde  gemacht  hat.  Das  Werk  bedeutet  einen  Markstein  in  der 
wissenschaftlichen  Darstellung  der  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung.  Eine  mit 
guten  Noten  versehene  und  mit  einer  geistreichen  Einleitung  über  die  Entwicklung  der 
Sakralkleidung  versehene,  sehr  brauchbare  Materialiensammlung  in  Wort  und  Bild 
schuf  der  Anglikaner  Wharton  B.  Marriott  in  seinem  Vestiarium  christianum 
(London  1868).  Die  Schrift  des  Anglikaners  E.  A.  S.  Macalister  Ecclesiastical  vest- 
ments  (London  1896)  ist  von  weit' geringerer  Bedeutung.  Die  beiden  von  dem  Ver- 
fasser herausgegebenen  Ergänzungshefte  zu  den  „Stimmen  aus  Maria-Laach" :  „Die 
priesterlichen  Gewänder  des  Abendlandes"  (Freiburg  1897)  und  „Die  pontifikalen  Ge- 
wänder des  Abendlandes"  (Freiburg  1898)  setzten  sich  zum  Ziel  eine  möglichst  allsei- 
tige Untersuchung  der  betreffenden  liturgischen  Ornatstücke.  Für  die  ältere  Geschichte 
der  liturgischen  Kleidung  ist  sehr  wichtig  die  kleine,  aber  inhaltreiche  Arbeit 
J.  Wilperts  „Die  Gewandung  der  ersten  Christen"  (Köln  1898).  Wertlos  ist  die 
Schrift  P.  J.  Einaldi-Buccis  De  insignibus  episcoporum  commentaria  (Regens- 
burg  1891),  für  welche  die  Forschungen  des  19.  Jahrhunderts  spurlos  vorübergezogen 
sind,  die  sich  in  rührender  Bescheidenheit  auf  das,  was  das  17.  und  18.  Jahrhundert 
dachte,  beschränkt  und  selbst  noch  die  sog.  Silvestermitra  in  S.  Martino  zu  Rom  als 
echt  behandelt.  Eine  sehr  fleißige  und  in  mancher  Beziehung  sehr  brauchbare  Leistung 
sind  die  beiden  von  den  liturgischen  Ornatstücken  handelnden  Bände  VII  und  VIII 
des  großartig  angelegten  Werkes  La  messe  (Paris  1883  ff)  von  G.  Rohault  de  Fleury 
(f  1904).  Sie  bieten  aber  nur  unverarbeitete  Materialien,  die  im  Text  nach  Jahr- 
hunderten geordnet  sind  und  bloß  bis  zum  14.  Jahrhundert  reichen.  Ein  empfindlicher 
Mangel  ist  die  Kritiklosigkeit,  die  sich  oft  in  ihnen  offenbart  und  um  so  unangenehmer 
ist,  als  die  Zitate  nur  zu  häufig  sehr  ungenau  sind.  Angaben  aus  Rohault  ungeprüft 
benutzen,  heißt  sich  der  Gefahr  aussetzen,  fehlzugehen.  Der  Hauptwert  des  Werkes  liegt 
übrigens  in  den  Tafeln,  die  eine  Fülle  meist  sehr  guter  Abbildungen  bringen.  Leider 
fehlte  es  bei  der  Auswahl  an  einem  festen  System ,  weshalb  für  manche  Punkte  die 
monumentalen  Belege  übermäßig  gehäuft  sind,  während  anderswo  Abbildungen  mangeln. 
Außerdem  sind  die  Datierungen  der  Bildwerke  mit  Vorsicht  hinzunehmen,  weil  nicht 
immer  zuverlässig.  Immerhin  bieten  die  beiden  Bände  bei  allen  ihren  Mängeln  durch 
das  mit  Riesenfleiß  gesammelte  Material  manchen  wertvollen  Ausgangspunkt  für 
weiteres  Studium.  Eine  treffliche  Arbeit  ist  C  h.  de  Linas  (t  1887),  Anciens 
vetements  sacerdotaux  (Paris  1860 — 1863)  in  2  Bdn,  trefflich  sowohl  durch  das  reiche 
Material,  wobei  namentlich  Frankreich  und  die  daselbst  noch  vorhandenen  mittelalter- 
lichen Gewänder  berücksichtigt  sind,  wie  durch  die  sorgfältige,  durchwegs  kritische 
Verarbeitung  desselben.     Die  Schrift  des  Mailänder  Kanonikus  Dr  M.  Magistretti 

2* 


20  Einleitung. 

Delle  vesti  ecclesiastiche  in  Milano  (Mailand  1897)  enthält  gute  Notizen  über  die 
Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  zu  Mailand. 

Nicht  unmittelbar  eine  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  und  doch  eine 
für  diese  höchst  wichtige,  ja  unentbehrliche  Arbeit  ist  das  große  Werk  des  französi- 
schen Gelehrten  Louis  de  Farcy,  La  broderie  du  XIe  siecle  jusqu'aux  nos  jours 
(Angers  1890;  Supplement  1900)  mit  seinen  vorzüglichen  Tafeln  und  dem  kaum 
minder  wertvollen  Text.  Die  zahlreichen  phototypisclien  Wiedergaben  liturgischer 
Ornatstücke  aus  Mittelalter  und  Neuzeit  bilden  eine  ungemein  lehrreiche  Illustration 
zur  Entwicklung,  welche  diese  sowohl  bezüglich  der  Form  als  namentlich  der  Orna- 
mentation  seit  dem  11.  Jahrhundert  nahmen. 

An  selbständigen  Monographien  über  einzelne  Stücke  der  Sakralkleidung  erschien 
im  ganzen  nicht  viel;  wir  nennen  davon  E.  Berrisch,  „Die  Stola  in  ihrer  Entstehung" 
(Köln  1867),  eine  allerdings  wenig  bedeutende  Schrift;  G.  Wilpert,  Un  capitolo  della 
storia  del  vestiario  (Borna  1898 — 1899),  für  die  ältere  Geschichte  von  Manipel,  Stola 
und  Fallium  von  großem  Wert;  H.  Grisar  S.  J.,  Das  römische  Fallium  in  „Fest- 
schrift zum  1100jährigen  Jubiläum  des  deutschen  Campo  Santo"  (Freiburg  1897), 
eine  vortreffliche  Arbeit;  H.  Thurston,  The  Fallium  (London  1892);  DrL.  Eisen- 
hof er,  „Das  bischöfliche  Bationale"  (München  1904),  eine  sehr  beachtenswerte  Studie. 
Die  Schrift  des  Anglikaners  J.  Wickham-L  egg,  The  liturgical  colours  (London 
1882),  ist  eine  ungemein  fleißige  Untersuchung  über  die  liturgischen  Farben  im  latei- 
nischen Eitus. 

Die  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  in  den  Biten  des  Ostens  hat  im 
19.  Jahrhundert  keine  eingehendere  Bearbeitung  gefunden.  Allerdings  bietet  sie 
auch  die  äußersten  Schwierigkeiten ,  da  schriftliche  wie  monumentale  Quellen  nur 
sehr  spärlich  fließen,  zum  großen  Teil  sogar  ganz  fehlen.  Über  die  Sakralkleidung, 
wie  sie  gegenwärtig  in  den  Biten  des  Ostens  in  Brauch  ist,  handelt  eingehend  der 
Artikel  der  „Stimmen  aus  Maria-Laach"  LIX  (1900):  „Die  liturgische  Gewandung  in 
den  Biten  des  Ostens".  Kurze  Angaben  bieten  darüber  auch  A.  v.  Maltzew,  Die 
Sakramente  der  orthodox-katholischen  Kirche  des  Morgenlandes  (Berlin  1898),  sowie 
J.  Silbernagl  (j  1904),  „Verfassung  und  gegenwärtiger  Bestand  sämtlicher  Kirchen 
des  Orients"  (2.  Aufl.  Kegensburg  1904),  der  indessen  die  neueste  Literatur  nicht 
genug  berücksichtigt  hat,  ferner  M.  Bajewski,  Euchologion  der  orthodox-griechischen 
Kirche  (Wien  1861)  u.  a.  Über  ihre  Geschichte  findet  sich  einiges  in  des  Verfassers 
Schriften  „Die  priesterliche  Gewandung  des  Abendlandes"  und  „Die  pontifikalen  Ge- 
wänder des  Abendlandes",  ferner  bei  Wilpert,  Un  capitolo,  bei  Bohault  de 
Fleury,  La  Messe  VII  VIII,  bei  C.  Krieg  in  Fr.  X.  Kraus,  Bealencyklopädie, 
unter  Kleidung,  bei  A.  J  Butler,  The  ancient  coptic  churches  of  Egypt  (Oxford  1884), 
besonders  aber  bei  dem  Anglikaner  J.  Neale  (f  1866),  History  of  the  holy  eastern 
church  I  (London  1850). 

Wir  können  damit  schließen.  Es  sind  nur  die  bemerkenswertesten 
Arbeiten  hinsichtlich  der  liturgischen  Gewandung,  die  wir  verzeichneten.  Auf 
andere  zu  verweisen  werden  wir  in  der  Arbeit  selbst  Gelegenheit  finden. 


ERSTER  ABSCHNITT. 

DIE  LITURGISCHEN  UNTERGEWÄNDER. 

ERSTES  KAPITEL. 

DER   AMI  KT. 

I.    DER  AMIKT  NACH   HEUTIGER  PRAXIS. 

Der  Amikt  (amictus,  von  amicire,  umhüllen)  ist  ein  rechteckiges  oder 
quadratisches  Tuch,  welches  um  Hals,  Schultern  und  Brust  geschlungen  wird. 
Weil  er  den  Schultern  aufliegt,  heißt  er  auch  Humerale  (von  humerus,  Schulter), 
Schultertuch. 

Der  Amikt  muß  aus  Linnen  oder  Hanftuch  angefertigt  werden. 
Die  Verwendung  von  Baumwollstoffen,  welcher  Art  dieselben  auch  sein  mögen, 
wurde  durch  das  von  Pius  VIT-  ausdrücklich  approbierte  Dekret  der  Riten- 
kongregation vom  18.  Mai  1819 1  verboten.  In  der  Mitte  soll  dem  Amikt, 
wie  aus  der  Rubrik  des  römischen  Missale,  welche  die  Anlegung  desselben 
beschreibt,  hervorgeht,  ein  Kreuzchen  aufgenäht  oder  eingestickt  sein. 
Natürlich  braucht  selbiges  nicht  mathematisch  genau  in  der  Mitte  des  Tuches 
zu  stehen.  Es  kann  vielmehr  nach  dem  oberen  Rande  zu  angebracht  werden. 
Reiche  Verzierung  pflegt  der  Amikt  nicht  zu  erhalten.  Sie  wäre  auch  an- 
gesichts der  Weise,  wie  er  jetzt  getragen  wird,  zwecklos.  Insbesondere  ist 
eine  Wiedereinführung  der  mittelalterlichen  Besatzweise  des  Schultertuches, 
wonach  sich  der  aufgenähte  Zierbesatz  über  der  Kasel  bzw.  Dalmatik  kragen- 
artig um  den  Hals  legte,  untunlich.  Sie  würde  voraussetzen,  daß  der  Amikt, 
wie  einst  im  Mittelalter,  bis  nach  Anlegung  der  Kasel  bzw.  Dalmatik  auf  dem 
Kopfe  ruhen  bleibe,  was  indessen  der  Anweisung  des  Missale  direkt  entgegen 
ist.  Den  Besatz  aber,  die  sog.  Parure,  als  eine  Art  selbständigen  Kollars 
behandeln,  das  man  nachträglich  an  dem  Humerale  oder  auch  der  Kasel  bzw. 
Dalmatik  befestigt,  ist,  wo  solches  nicht  auf  altem  Herkommen  beruht,  wie 
zu  Lyon,  zu  Mailand  und  in  spanischen  Kirchen,  unzulässig.  Immerhin  mag 
man  an  dem  oberen  Saum  des  Schultertuches  eine  schmale  Bordüre  etwa  in 
Rotstickerei  anbringen,  da  es  sich  ohne  Schwierigkeit  so  anlegen  läßt,  daß 
dieselbe  sichtbar  bleibt. 

Über  die  Größenverhältnisse  des  Amikts  ist  nichts  Bestimmtes  vor- 
geschrieben. Er  muß  eine  solche  Ausdehnung  in  die  Länge  und  Breite  haben, 
daß  er,  wie  es  das  Missale  vorschreibt,  um  Hals  und  Schultern  gelegt 
werden   kann2.     Zum  Zweck   der   Befestigung   des   Humerale    müssen  an 


1  C.  B.  decret.  gen.  18.  Maii  1819  (D.  auth.  2  Braun,  Winke  28  werden  für  die  Länge 

Nr  2600).  0,80-0,90  m,  für  die  Breite  0,60—0,70  m  an- 

gesetzt. 


22 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


seinen  beiden  vorderen  Ecken  Schnüre  oder  Bänder  vorgesehen  werden.  Über 
die  Weise,  wie  sie  dort  angebracht  werden,  ist  nichts  angeordnet.  Man  kann 
sie  annähen,  kann  sie  aber  auch,  falls  man  sie  beim  Waschen  vom  Schulter- 
tuch zu  trennen  wünscht,  Ösen  oder  Schleifen  einschlingen,  mit  welchen  man 
die  vorderen  Ecken  des  Amikts  versehen  hat. 

Wie  man  sich  mit  dem  Amikt  zu  bekleiden  habe,  ist  in  den  General- 
rubriken des  Missale  ausführlich  beschrieben 1.  Man  soll  ihn  an  seinen  Enden, 
und   zwar   an   den  Schnüren   anfassen,   ihn  in  der  Mitte,  wo   das  Kreuzchen 

angebracht  ist,  küssen,  dann  auf  den 
Kopf  legen ,  aber  alsbald  ihn  auf  die 
Schultern  herablassen,  den  Kragen  des 
Kleides  ringsum  mit  ihm  bedecken,  hier- 
auf die  Schnüre  von  vorn  unter  den 
Armen  her  zum  Rücken  führen,  sie  von 
dort  wieder  zur  Brust  bringen  und  endlich 
hier  zusammenbinden  (Bild  1). 
Nach  dem   römischen  Ritus  muß  das  Schultertuch  vor   der  Albe  an- 


Bild 1.     Heutiger  Amikt. 


gelegt  werden. 


Anders  nach  dem  zu  Mailand  geltenden  ambrosianischen  Ritus, 


nach  welchem  erst  die  Albe  und  dann  der  Amikt  angezogen  wird. 

Auch  darin  hat  der  ambrosianische  Ritus  etwas  Eigenartiges,  daß 
er  die  sog.  Amiktparure  beibehalten  hat.  Nur  ist  diese  nicht  mehr  am  Amikt 
selbst  befestigt.  Sie  wird  vielmehr  jetzt  an  der  Kasel  oder  Dalmatik  mittels 
Knöpfen  festgemacht,  jedoch  so,  daß  ihre  ursprüngliche  Zugehörigkeit  zum 
Schultertuch  noch  wohl  erkennbar  ist  und  sie  einen  die  Halsöffnung  der  Kasel 
bzw.  Dalmatik  umgebenden  Kragen  bildet. 

Wie  der  ambrosianische,  so  hat  auch  der  Lyoner  Ritus  das  Eigen- 
tümliche, daß  der  Amikt  über  der  Albe  getragen  werden  kann  und  an  den  drei 
Kartagen  sogar  in  dieser  Weise  getragen  werden  muß.  Ebenso  kennt  er  den 
aus  der  Amiktparure  entstandenen  Kragen,  nur  daß  dieser  nie  zur  Kasel,  son- 


Bild  2.     Spanischer  goldbestickter  Amiktkragen  (17.  Jahrh. 
Berlin,  Kunstgewerbemuseum. 


dem  bloß  zur  Dalmatik  und  Tunicella  benutzt  wird.  Ehedem,  d.  i.  bis  1868,  be- 
dienten sich  sogar  Diakon  und  Subdiakon  überhaupt  keines  Amikts,  indem  man  den 
Kragen,  collet  oder  colletin  genannt,  als  Ersatz  des  Schultertuches  betrachtete2. 
Auch  in  Spanien  hat  sich  die  Amiktparure  bei  den  Ministri  als  ein 
über  Dalmatik  und  Tunicella  gelegter  Kragen,  collarfn,  erhalten  (Bild  2).    Der 


1  Miss,   ritus   celebr.    I   8. 

2  Nach  gütigen  Mitteilungen  meines  Ordensgenossen  P.  A.  Feder  S.  J. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt.  23 

Amikt  selbst  wird  dort  jedoch  allgemein,  den  mozarabischen  Ritus  nicht 
ausgenommen,  unter  der  Albe  getragen.  Selbständiger  Ornat  geworden,  hat 
hier  die  Parure  eine  ungewöhnliche  Form  erhalten,  während  sie  z.  B.  in  Mai- 
land noch  ganz  die  rechteckige  Gestalt,  die  ihr  ehedem  eigen  war,  bewahrt  hat. 

Bei  der  Subdiakonatsweihe  muß  der  Ordinandus  nach  der  Vorschrift 
des  römischen  Pontifikale  in  gewöhnlicher  Weise  mit  Amikt  und  gegürteter 
Albe  bekleidet  sein.  Am  Schluß  der  feierlichen  Handlung  zieht  dann  der 
Bischof  den  Amikt  über  den  Kopf  des  neuen  Subdiakons,  indem  er  dabei 
die  Worte  spricht :  „Nimm  hin  den  Amikt,  welcher  die  Zucht  im  Reden  be- 
deutet, im  Namen  des  Vaters  usw.  Amen. "  Die  Zeremonie  ist  eine  Remini- 
szenz aus  der  Zeit,  da  man  noch  das  Humerale  über  den  Kopf  zu  legen  und 
erst  nach  Anlegung  aller  andern  Gewänder  auf  die  Kasel  bzw.  Dalmatik  und 
Tuniceila  zurückzuschlagen  pflegte. 

Erscheint  der  Amikt  in  den  diesen  Ritus  begleitenden  Worten  des  Bischofs 
als  Symbol  der  Wachsamkeit  beim  Reden,  so  ist  er  in  dem  Gebet,  welches 
man  beim  Anlegen  spricht,  Sinnbild  des  Helmes  des  Heiles,  von  dem  der 
Apostel  im  Epheserbrief  (6,  17)Tedet,  d.  i.  der  Hoffnung  auf  den  himmlischen 
Lohn,  die  uns  im  Kampfe  gegen  die  Feinde  des  Heiles  einem  festen  Helm 
gleich  Schutz  und  Schirm  gewährt.  „Setze  auf  mein  Haupt",  so  betet  der 
Priester,  „den  Helm  des  Heiles,  auf  daß  ich  abwehren  möge  alle  Angriffe 
Satans. " 

II.  DER  AMIKT  ALS    BESTANDTEIL    DER    LITURGISCHEN  KLEIDUNG 

IM  MITTELALTER. 

Das  Schultertuch  wird  im  römischen  Ritus  zuerst  gegen  Aus- 
gang des  8.  Jahrhunderts  erwähnt. 

Die  früheste  Mitteilung  erhalten  wir  von  ihm  im  1.  römischen  Ordo, 
welcher,  im  Kern  gregorianisch,  in  seiner  jetzigen  Gestalt  dem  8.  Jahrhundert 
angehört.  Dieser  bemerkt,  wo  er  den  Ritus  der  feierlichen  Papstmesse  be- 
schreibt: „Der  Pontifex  wechselt  mit  Hilfe  der  Subdiakonen  seine  Kleidung 
in  folgender  Weise.  .  .  .  Die  Regionarsubdiakonen  nehmen,  um  den  Papst 
anzuziehen,  nach  ihrer  Ordnung  diese  Gewänder:  der  eine  das  Linnenkleid, 
der  andere  das  Cingulum,  wieder  ein  anderer  das  anagolaium,  d.  i.  den  Amikt, 
ein  weiterer  die  linnene  Dalmatik,  ein  fernerer  die  größere  Dalmatik,  ein 
letzter  endlich  die  Planeta,  und  so  bekleiden  sie  der  Reihe  nach  den  Ponti- 
fex." In  der  römischen  Kirche  zählte  sonach  schon  wenigstens  seit  der 
Mitte  des  8.  Jahrhunderts  das  Schultertuch  zu  den  liturgischen  Gewandstücken 1. 

Auffallend  ist,  daß  der  S.  G.  K.  bei  Aufzählung  der  liturgischen  Gewänder  der 
Hebdomadarbischöfe  und  Priester  keines  anagolaium  gedenkt.  Es  ist  das  um  so 
befremdender,  als  doch  sowohl  nach  dem  von  Duchesne  herausgegebenen  Ordo  wie 
nach  dem  S.  G.  K.  selbst  die  Diakone  und  Subdiakone  sich  des  anagolaium  fana- 
golagium)  bedienten.  Nichtsdestoweniger  scheinen  jene  wirklich  bis  ins  9.  Jahrhundert 
kein  Schultertuch  benutzt  zu  haben.  Aber  auch  die  Ministri  trugen  es  damals  noch 
keineswegs  allzeit  beim  Gottesdienst.  Denn  es  heißt  im  Ordo  Duchesnes :  Quando 
(pontifex)  dalmaticas  induit,  et  diaconi  et  subdiaconi  similiter  induunt  se  et  sub- 
diaconi  involvunt  se  anagolagio  circa  collo  et  induunt  se  tunicas  albas,  quales 
habent,  sericas  aut  lineas.  Et  si  pontifex  dalmaticas  non  induerit,  diaconi  vel  sub- 
diaconi   non    se    involvunt    anagolagio,    sed    cum    tunicis    albis    et    planitis 


1  V.  Ermoni  läßt  (D.  Cabrol,   Diction.  d'avch.  ehret.  I  [Par.   1904]   1597)  schon  Hiero- 
nymus  vom  Amikt  reden,  hat  aber  die  Stellen,  die  er  dafür  zitiert,  durchaus  mißverstanden. 


24  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

ambulant  '.  Sie  hatten  also  das  anagolagium  nur  an,  wenn  der  Papst  bei  der  Litur- 
gie außer  den  übrigen  Gewändern  auch  eine  Dalmatik  anlegte  und  sie  dann  ebenfalls 
mit  der  Dalmatik  und  Tunika  ausgestattet  waren,  d.  i.  bei  feierlichen  Gelegenheiten. 
Sie  gebrauchten  dagegen  das  Schultertuch  nicht,  wenn  der  Papst  ohne  Dalmatik  fungierte 
und  sie  selbst  statt  mit  der  ihnen  eigenen  Obertunika  mit  der  Planeta  (Kasel) 
bekleidet  waren,  d.  i.  an  den  Tagen,  welche  einen  Bußcharakter  hatten,  sowie  den  ge- 
wöhnlichen Ferialtagen,  den  quotidianis  diebus  des  S.  G.  K. 

Aber  selbst  der  Papst  trug  den  Amikt  nicht  an  allen  Tagen ;  denn  unter  den 
Gewändern,  die  er  nach  dem  S.  G.  K.  quotidianis  diebus  anzog,  fehlt  nicht  nur  die 
Dalmatik,  sondern  auch  das  Schultertuch.  Auch  er  benutzte  also  dieses  ursprünglich 
bloß  in  Verbindung  mit  der  Dalmatik.  Das  anagolagium  war  demnach  gemäß  römi- 
scher Anschauung  nur  Zubehör  der  Dalmatik,  das  wie  diese  allein  vom  Papste  und 
seinen  Ministri,  und  zwar  bloß  an  Pesttagen,  wenn  sie  in  liturgischer  Gala  erschienen, 
gebraucht  wurde.  Die  Priester  und  Hebdomadarbischöfe  trugen  nach  dem  S.  G.  K. 
nie  die  Dalmatik,  letztere  wohl  zum  Unterschied  vom  Papste,  aber  eben  darum  auch 
keinen  Amikt.  Außerhalb  Eoms  fand  bei  der  Adoption  der  römischen  Gewandung 
eine  solche  Beschränkung  keine  Nachahmung,  doch  auch  zu  Rom  verlor  sie  sich  noch 
im  9.  Jahrhundert 2,  vielleicht  unter  dem  Beispiel  von  außen  her. 

Auf  den  römischen  Monumenten  des  9.  und  der  vorhergehenden  Jahr- 
hunderte gewahrt  man  kein  liturgisches  Schultertuch.  Man  betrachte  nur  die 
Mosaiken  und  Fresken  aus  dieser  Zeit.  Wohl  erblickt  man  innerhalb  des 
Kopfdurchlasses  des  Obergewandes  mehrfach  einen  hellen  Streifen,  der  sich 
rings  um  den  Hals  zieht;  allein  es  ist  völlig  unklar,  ob  dieser  die  Unter- 
tunika oder  einen  Amikt  andeuten  soll.  Den  Monumenten  läßt  sich  daher 
kein  Beweis  dafür  entnehmen,  daß  im  römischen  Ritus  schon  etwa  im  6.  und 
7.  Jahrhundert  das  Schultertuch  im  Gebrauch  gewesen  sei.  Man  kann  sich 
freilich  auch  nicht  für  das  Gegenteil  auf  sie  berufen.  Denn  noch  zu  einer  Zeit, 
da  das  Humerale  schon  lange  allgemein  Verwendung  fand,  im  10.,  11.  und 
12.  Jahrhundert,  ist  auf  den  römischen  Monumenten  von  ihm  fast  nie  etwas 
zu  sehen.  Es  liegt  das  zum  Teil  in  dem  Charakter  und  der  Anlegungsweise 
des  Schultertuches.  Erst  als  man  auch  zu  Rom  angefangen  hatte,  dieses 
wie  eine  Art  von  Kopftuch  zu  behandeln  und  statt  völlig  unter,  teilweise 
sichtbar  über  dem  Obergewand  (Kasel,  Dalmatik)  zu  tragen,  kommt  es  nach 
und  nach  auch  auf  den  Bildwerken  häufiger  zum  Vorschein. 

Ob  es  in  vorkarolingischer  Zeit  da,  wo  der  römische  Ritus 
nicht  in  Gebrauch  war,  ein  liturgisches  Schultertuch  gegeben,  ist  mit  Sicher- 
heit nicht  festzustellen.  Nichts  wissen  wir  von  dem  Brauch  in  Spanien. 
Das  Anabolium,  von  dem  der  hl.  Isidor  in  seinen  Etymologien  redet,  ist  nicht 
das  sakrale  Gewandstück,  welches  in  den  römischen  Ordines  mit  anaboladium, 
anagolagium,  anagolaium  bezeichnet  wird3.  Denn  der  Heilige  beschreibt  es 
als  einen  linnenen  Umwurf,  mit  dem  die  Frauen  ihre  Schultern  bedeckten  und 
den  die  Griechen  wie  die  Lateiner  auch  wohl  sindon  hießen.  Ebensowenig  ist 
es  bekannt,  wie  es  auf  den  britischen  Inseln  gehalten  wurde.  Zwar  be- 
handelt die  dem  ehrwürdigen  Beda  (f  735)  zugeschriebene  Schrift  De  septem 
ordinibus  das  Schultertuch  als  eines  der  priesterlichen  Gewänder;  sie  ist  in- 
dessen, wie  früher  schon  gesagt  wurde,  unecht  und  ehestens  im  9.  Jahr- 
hundert, wenn  nicht  später  entstanden. 

Was  endlich  den  gallikanischen  Brauch  anlangt,  so  hängt  die  Antwort 
auf  die  Frage,    ob  derselbe  ein  liturgisches  Schultertuch  gekannt,    ganz  von 


1  Buch.,   Orig.  456.  2  Ordo  9    n.  4  (M.  88,  1006).  3  L.  19,  c.  "25  (M.  82,  693). 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt.  25 

der  Bedeutung  ab,  welche  das  Wort  pallium  in  dem  6.  Kanon  des  ersten 
Konzils  von  Mäcon  (583)  und  in  der  vor  der  karolingischen  Reform  ent- 
standenen gallikanischen  Meßerklärung  hat. 

Das  Konzil  von  Mäcon  verbietet  in  dem  genannten  Kanon  den  Bisehöfen,  ohne 
pallium  die  Messe  zu  feiern  '.  In  der  gallikanischen  Meßerklärung  aber  lesen  wir 
da,  wo  die  liturgische  Kleidung  beschrieben  und  gedeutet  wird:  ,Das  Pallium,  das 
rings  um  den  Hals  bis  zur  Brust  geht,  hieß  im  Alten  Bunde  Bationale.  .  .  .  Daß  es 
den  Hals  umgibt,  ist  alten  Brauches ,  weil  die  Könige  und  Priester  von  einem  Pal- 
lium, einem  glänzenden  Gewände  umgeben  waren.  .  .  .  Daß  aber  Fransen  an  den 
priesterlichen  Gewändern  angebracht  werden,  hat  seinen  Grund  darin,  daß  der  Herr 
dem  Moses  befahl,  es  sollten  die  Kinder  Israels  an  den  vier  Ecken  ihrer  Mäntel 
(palliorum)  Fransen  machen,  damit  das  Volk  des  Herrn  nicht  bloß  im  Werk,  sondern 
auch  in  der  Kleidung  Gottes  Gebote  zum  Ausdruck  bringe." 

Man  hat  in  dem  pallium  des  Konzils  von  Mäcon  und  der  gallikanischen  Meß- 
erklärung ein  bischöfliches  Gewandstück,  also  nicht  das  gewöhnliche  Schultertuch, 
sondern  etwa  ein  Gegenstück  des  erzbischöflichen  Palliums  gesehen.  Es  lag  das  um 
so  näher,  als  der  6.  Kanon  der  genannten  Synode  in  der  früher  bekannten  Fassung 
lautete :  ut  archiepiscopus  (irrig  statt  episcopus)  sine  palleo  (sie)  missas  dicere  non 
praesumat.  Neuerdings  hat  man  dagegen  gesagt,  unter  dem  pallium  sei  an  beiden 
Stellen  lediglich  ein  Hals-  oder  Schultertuch,  also  eine  Art  von  Amikt  zu  verstehen  -. 
Allein  diese  Auffassung  dürfte  weder  dem  Kanon  der  Synode  von  Mäcon  noch  der 
Meßerklärung  genügend  gerecht  werden. 

Wenn  es  sich  bloß  um  ein  Halstuch  handelt,  warum  schreibt  der  Kanon  dann 
nur  den  Bischöfen  und  nicht  auch  den  Priestern  und  Diakonen  den  Gebrauch  eines 
solchen  bei  der  Messe  vor?  Im  5.  Kanon  verbietet  doch  das  Konzil  allen  Klerikern, 
das  Sagum  oder  sonstige  weltliche  Kleidung  sowie  weltliches  Schuhwerk  zu  tragen. 
Wenn  nun  das  pallium  nur  ein  gewöhnliches  Halstuch  ist,  warum  wird  dann  im 
folgenden  Kanon  bloß  den  Bischöfen  sein  Gebrauch  bei  der  Messe  zur  Pflicht  gemacht  ? 
Eine  Dalmatik,  als  deren  Ergänzung  es  hätte  gelten  können,  war  im  gallikanischen 
Bitus  unbekannt.  Warum  überhaupt  in  diesem  Falle  eine  so  strenge  Vorschrift,  da  doch 
das  Schultertuch  nach  dem  Ordo  Duchesnes  und  dem  S.  G.  K.  nicht  einmal  zu 
Born  an  allen  Tagen  beim  Gottesdienst  angelegt  wurde?  Es  sind  zudem  alles  höchst 
wichtige  Sachen,  die  in  den  übrigen  Kanones  zum  Ausdruck  kommen.  Kann  man 
demnach  den  6.  Kanon  bloß  dahin  verstehen,  es  sollten  die  Bischöfe  bei  der  Messe 
ein  Halstuch  brauchen?  Was  aber  die  gallikanische  Meßerklärung  anlangt,  so  muß 
auffallen,  daß  sie  von  allen  priesterlichen  bzw.  bischöflichen  Gewändern  nur  drei 
erwähnt,  die  Kasel,  das  pallium  und  die  manicae.  Würde  das  Wort  nur  ein  Halstuch 
bedeuten,  so  ist  nicht  einzusehen,  warum  die  Meßerklärung  gerade  diesem  mit  Über- 
gehung z.  B.  der  liturgischen  Tunika  und  des  Orariums  (der  Stola)  eine  so  aus- 
giebige Deutung  und  Beschreibung  widmet.  Ein  Schultertuch  (Halstuch)  ist  also  das 
pallium  des  Konzils  von  Mäcon  und  der  Meßerklärung  wohl  nicht. 

Der  französische  Cluniacenser  Claudius  de  Vert  (f  1708)  wollte  das  Schulter- 
tuch schon  bei  einer,  wie  man  sagte,  im  7.  Jahrhundert  in  Belief  ausgeführten  Figur 
des  hl.  Firmin  gefunden  haben,  mit  welcher  das  unter  dem  Hochaltar  der  Abteikirche 
von  St-Acheul  bei  Amiens  gelegene  steinerne  Grabmal  des  Heiligen  geschmückt  war 3. 
Leider  besteht  keine  Möglichkeit ,  seine  Angaben  am  Monument  selbst  auf  ihre 
Bichtigkeit  zu  prüfen,  weil  dasselbe  mitsamt  dem  fraglichen  Bilde  mittlerweile  zu 
Grunde  ging.     Indessen   ist    genugsam  bekannt,  was  man  von  Datierungen  wie  der- 


1  M.  G.  Leges  III,  Conc.  I  157.  Qu'on-  juge    apres   cela,    quelle   foi   on    doit 

2  Wilp. ,  Cap.  II  50.  ajouter  ä  ce  qu'avance  M.  Thiers  .  .  .  qu'on  n'a 

3  De  Vert  II  242.    Er  hält  das  Denkmal  commence  ä  se  servir  de  l'amict  dans  l'eglise 
für  einen  Beweis,  daf3  schon  vor  dem  9.  Jahr-  latine  qu'au  IXC  siecle. 

hundert   der   Amikt   in    Gebrauch    gewesen . 


26  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

jenigen  de  Verts  zu  halten  hat.  Es  ist  nicht  zweifelhaft,  daß  dieser  geirrt  und  ein 
Denkmal  etwa  aus  dem  12.  bis  13.  Jahrhundert  in  das  7.  versetzt  hat.  Ein  Grabmal, 
wie  es  dasjenige  des  hl.  Firmin  gewesen  sein  muß,  wäre,  wie  jeder,  der  einen 
Einblick  in  die  Kunstgeschichte  hat,  im  7.  Jahrhundert  ein  Anachronismus.  Der 
Irrtum  de  Verts  erhellt  übrigens  zur  Genüge  schon  aus  der  Angabe,  es  habe  der 
Amikt  den  Kopf  des  Bildes  eingehüllt  en  forme  de  capuchon  fort  serre.  Denn  die 
Gepflogenheit,  das  Humerale  um  den  Kopf  zu  legen,  kam  frühestens  erst  gegen 
Ende  des  9.  Jahrhunderts  auf. 

Wie  es  aber  auch  immer  in  vorkarolingischer  Zeit  außerhalb  Roms 
um  den  Gebrauch  eines  liturgischen  Schultertuches  bestellt  gewesen  sein  mag, 
im  9.  Jahrhundert  bildet  das  anabolagium 1,  id  est  amictus,  quod  dicitur 
humerale,  wie  es  im  3.  Ordo  Mabillons  heißt,  wenigstens  de  iure  überall 
da,  wo  durch  die  karolingische  Reform  der  römische  Ritus  Eingang 
erhalten  hatte,  einen  Teil  der  sakralen  Gewandung.  Darum  ist  denn 
auch  seit  dieser  Zeit  von  ihm  häutig  als  von  einem  der  liturgischen  Gewandstücke 
die  Rede,  namentlich  bei  den  Liturgikern.  Schon  bald  nach  Beginn  des 
9.  Jahrhunderts  geschieht  das  in  des  Hrabanus  Maurus  Schrift  De  clericorum 
institutione.  Es  heißt  darin  im  Anschluß  an  das  ephod  bath,  von  dem  1  Kg  2,  18 
spricht,  superhumerale.  Etwas  früher  noch  begegnen  uns  Amikte  in  dem 
Inventar  der  Gegenstände,  mit  welchen  Abt  Angilbert  (f  814)  die  Kirche  des 
Klosters  Centula  (St-Riquier,  Somme)  die  er  neu  erbaut,  bereichert  hatte. 
Walafried  Strabo  (f  849)  schweigt  auffälligerweise  von  dem  Schultertuch,  ja 
er  stellt  sogar  dem  Superhumerale  des  levitischen  Hohenpriesters  die  mappula, 
den  Manipel,  entgegen,  falls  nicht  etwa  unter  der  mappula  eben  der  Amikt 
zu  verstehen  ist.  Sein  Verhalten  ist  um  so  merkwürdiger,  als  ja  doch  schon 
sein  Lehrer  Hraban  eine  Weile  vorher  das  Schultertuch  unter  den  litur- 
gischen Gewändern  behandelt  hatte.  Indessen  läßt  sich  aus  Walafrieds 
Schweigen  um  so  weniger  etwas  gegen  die  Verwendung  des  Schultertuches 
folgern,  als  sein  Zeitgenosse  Amalar  von  Metz  (f  zwischen  850  und  853)  das- 
selbe, und  zwar  unter  dem  Namen  Amictus,  bestimmt  und  wiederholt  zu  der 
liturgischen  Kleidung  rechnet.  Vielleicht  liegt  die  Erklärung  für  die  Nicht- 
erwähnung des  Amikts  bei  ihm  darin,  daß  der  Amikt  zwar  bereits  de  iure 
einen  Bestandteil  der  liturgischen  Tracht  ausmachte,  in  der  Praxis  aber  noch 
keineswegs  immer  zur  Verwendung  kam.  Daß  er  selbst  im  10.  Jahrhundert 
noch  nicht  allgemein  gebraucht  wurde,  ergibt  sich  beispielsweise  aus  Gerhards 
Miracula  S.  Udalrici2. 

In  der  Folge  begegnet  uns  der  Amikt  bei  Pseudo-Alkuin,  bei  Pseudo- 
Beda,  in  der  weit  verbreiteten  und  einflußreichen  Admonitio  synodalis  und  den 
Statuten  Riculfs  von  Soissons.  Überall  erscheint  er  hier  als  eines  der  bei 
der  Feier  der  Liturgie  vorschriftsmäßig  zu  tragenden  sakralen  Gewandstücke. 
Insbesondere  bestimmt  die  Synodalermahnung  ausdrücklich:  „Niemand  singe 
die  Messe  ohne  Amikt,  Albe,  Stola,  Fano  (Manipel)  und  Kasel."  Riculf 
aber  verordnet  889  in  seinen  Statuten  unter  anderem,  es  solle  der  Priester 
für  die  Feier  des  heiligen  Opfers  außer  den  sonstigen  liturgischen  Kleidern, 
die  im  einzelnen  aufgeführt  werden,  auch  zwei  reine  Amikte  vorrätig  haben. 
In  den  liturgischen  Büchern  werden  im  9.  und  10.  Jahrhundert  sehr  selten 
die  sakralen  Kleider  erwähnt,   weil   selbige   fast  nur  die  bei  der  Messe  und 


'  Bei  Mabillon  heißt  das  Schultertuch  hier  2  Nr  20  (M.  G.  SS.  IV  422).    Die  Schrift 

ambolagium,  wofür  ohne  Zweifel  anabolagium  entstammt  noch  dem  10.  Jahrhundert, 

zu  lesen  ist. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


*l( 


den  sonstigen  gottesdienstlichen  Handlungen  gebräuchlichen  Gebete  enthalten. 
Wo  sie  aber  genannt  werden,  finden  wir  regelmäßig  auch  das  Schultertuch 
darunter.     915    ist  von  Amikten  im  Testamente  Riculfs  von  Eine   die  Rede. 

Leider  geben  uns  die  Quellen  nur  wenig  Aufschluß  darüber,  wer  vonden 
liturgischen  Personen  außerhalb  Roms  sich  des  Amikts  zu  bedienen  pflegte. 
Daß  der  Bischof  es  trug,  geht  aus  Hrabans  und  Amalars  Angaben  hervor. 
Daß  aber  auch  die  Priester  den  Amikt  gebrauchten  oder  doch  gebrauchen 
sollten,  daran  lassen  die  „Synodalermahnung"  und  die  Statuten  Riculfs  von 
Soissons  keinen  Zweifel.  Dagegen  erfahren  wir  nicht,  wie  es  sich  mit  den  Diakonen. 
Subdiakonen  und  Akolythen  verhielt.  Immerhin  darf  es  als  sicher  betrachtet 
werden,  daß  auch  außerhalb  Roms  schon  zur  Karolingerzeit  die  Diakone  und 
Subdiakone  ein  Schultertuch  verwendeten.  Die  Gründe,  welche  hier  Anlaß  waren, 
dem  Priester  bei  der  Messe  den  Gebrauch  desselben  vorzuschreiben,  wie  es 
die  „Synodalermahnung"  tat,  galten  ja  doch  auch  zuletzt  für  die  Ministri.  Oben- 
drein war  die  liturgische  Gewandung,  wie  sie  fast  überall  außerhalb  Roms  in 
Aufnahme  gekommen  war,  nur  das  Nachbild  römischen  Brauches.  Auffällig 
ist  zwar,  daß  noch  Johannes  von  Avranches  (f  1079)  in  seiner  Gottesdienst- 
ordnung bei  Angabe  der  liturgischen  Gewänder  der  Ministri  von  einem  Schulter- 
tuch völlig  schweigt;  indessen  ist  zu  beachten,  daß  er  ebensowenig  von  einem 
Cingulum  redet,  obschon  es  nicht  zweifelhaft  sein  kann,  daß  die  Albe  bei  den 
Diakonen,  Subdiakonen  und  Akolythen  gegürtet  war.  Amikt  und  Gürtel  waren 
eben  mittlerweile  zu  einem  ständigen  Zubehör  der  Albe  geworden,  das  selbst 
in  den  Inventaren  nicht  einmal  immer  einzeln  aufgeführt  wurde.  Es  mochte 
daher  Johannes  von  Avranches  überflüssig  erscheinen,  sie,  weil  selbstverständ- 
lich besonders  zu  nennen.  Es  ist  wohl  nur  Zufall,  wenn  wir  außerhalb  Roms 
erst  spät  von  einem  Schultertuch  der  Diakonen,  Subdiakonen  und  Ako- 
lythen hören.  Das  liegt,  wie  es  scheint,  bloß  daran,  daß  keiner  der  älteren 
Liturgiker  sich  eingehender  mit  den  einzelnen  Gewändern  der  Ministri  befaßt. 
Hraban,  Pseudo-Alkuin,  Walafried  und  Pseudo-Beda  handeln  lediglich  von  der 
liturgischen  Kleidung  des  Priesters  bzw.  der  Bischöfe.  Einzig  Amalar  beschäftigt 
sich  mit  der  Gewandung  der  Ministri,  indessen  auch  er  nur  in  einigen  gelegent- 
lichen Bemerkungen.  Seine  früheste  Erwähnung  findet  außerhalb  Roms  das 
Schultertuch  der  Diakonen  im  dritten  Kapitel  der  Synode  von  Coyaca  in  Spanien 
aus  dem  Jahre  1050 1.  Die  ersten  Liturgiker,  welche  ausdrücklich  den  Amikt 
als  ein  den  Bischöfen,  Priestern,  Diakonen,  Subdiakonen  und  Akolythen,  also 
allen  am  Altar  fungierenden  Klerikern  zustehendes  Gewand  bezeichnen,  sind 
Gilbert  von  Limerick2  und  Honorius. 

Eine  der  ältesten  oder  gar  die  älteste  der  Darstellungen,  auf  welcher 
das  liturgische  Schultertuch  auftritt,  ist  eine  Miniatur  der  Bibel,  welche  von 
den  Insassen  des  Klosters  vom  hl.  Martinus  von  Tours  zu  Metz  Karl  dem 
Kahlen  geschenkt  wurde  und  den  Akt  der  Übergabe  des  Buches  darstellt. 
Das  Gewandstück  nämlich,  welches  besonders  bei  einem  der  auf  ihr  in  ihrer 
liturgischen  Kleidung  abgebildeten  Mönche  am  Hals  unter  der  Kasel  hervortritt, 
ist  augenscheinlich  der  Amikt  und  nicht  der  Saum  der  AlbeR. 


1  Hard.  VI1  1026.  3  Vgl.  auf  dem  Titelbild  den  obersten  Geist- 

2  De  statu  eccl.  (M.  159,  999):  Atque  hi  liehen  rechts.  Die  Photographie  der  Miniatur 
quattuor  ordines  (ostiarii,  exorcistae,  lectores,  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Prof. 
acolythi)  in  offieiis  suis  solent  indui  super-  Dr  A.  Haseloff.  Eine  brauchbare  farbige 
humerali,  alba  et  cingulo.  Wiedergabe  in  Arts  sompt.  pl.  16. 


28  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

III.    DIE  GEBRAUCHSWEISE  DES  AMIKTS. 

Hraban  bezeichnet,  wie  auch  die  Pastoralhomilie  es  tut,  das  Schultertuch 
als  erstes  Gewand  der  Priester  des  Neuen  Bundes.  Auch  nach  Amalar  ist 
der  Amikt,  von  dem  er  sagt:  amictus  ideo  dicitur,  quia  circumicitur,  das 
erste  Gewandstück.  Dagegen  muß  auffallen,  daß  er  im  1.  römischen  Ordo 
in  der  Reihe  der  Pontifikalkleider  an  dritter  Stelle  genannt  wird.  Auch 
für  die  Folgezeit  verhält  es  sich  ähnlich.  Alle  mittelalterlichen  Liturgiker 
bezeichnen  das  Humerale  als  erstes  Gewand ,  nur  wenige ,  z.  B.  Ivo  von 
Chartres  (f  ca  1117)  und  den  Verfasser  des  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae, 
ausgenommen.  Ebenso  wird  in  den  alten  Pontifikalien  und  Sakramentaren 
stets  zunächst  der  Amikt  genannt;  eine  Ausnahme  bildet  fast  nur  das  ambro- 
sianische  Missale 1.  Umgekehrt  wird  nach  dem  3.  und  9.  römischen  Ordo  und 
dem  S.  G.  K.  erst  die  Albe  und  dann  das  Schultertuch  angelegt.  Beim  Papst 
finden  wir  diesen  Brauch  nach  Ausweis  des  15.  Ordo  noch  gegen  Ende  des 
14.  Jahrhunderts2.  Ja  noch  jetzt  trägt  derselbe,  so  oft  er  feierlich  pontifiziert, 
ein  Schultertuch  über  der  Albe,  den  sog.  fanone,  von  dem  später  besonders  die 
Rede  sein  wird.  Es  ist,  wie  aus  einem  Vergleich  mit  dem  13.,  14.  und  15.  Ordo 
Mabillons  und  den  Angaben  Innozenz'  III.  und  des  Durandus  erhellt,  identisch 
mit  dem  fano  des  13.  und  dem  fanum  des  15.  Ordo,  dem  orale  der  beiden 
genannten  Liturgiker  und  dem  anabolagium  des  1.  und  3.  Ordo  Mabillons  und  des 
S.  G.  K.  Allerdings  hat  der  Papst  heute  nicht  mehr  Avie  ehedem  bloß  den 
fanone,  sondern  außerdem  den  gewöhnlichen  Amikt,  diesen  unter,  jenen  über  der 
Albe.  Es  wurde  das  im  Verlauf  des  15.  Jahrhunderts  Sitte  als  der  Fanone  seinem 
praktischen  Zweck  ganz  entfremdet  und  zum  bloßen  Schmuckstück  geworden 
war.  In  der  Privatmesse  bedient  sich  der  Papst  lediglich  des  allgemein  ge- 
bräuchlichen Schultertuches;  seit  wann,  konnten  wir  nicht  feststellen.  Bei 
den  Bischöfen,  Priestern  und  Ministri  muß  zu  Rom  der  Brauch,  den  Amikt 
über  der  Albe  zu  tragen,  etwa  um  das  Ende  des  ersten  oder  in  der  Frühe 
des  zweiten  Jahrtausends  abhanden  gekommen  sein.  Jedenfalls  bestand  er 
bei  ihnen  daselbst,  wie  aus  der  Schrift  Innozenz'  III.  De  sacro  mysterio  altaris 
erhellt3,   schon  wenigstens  um  die  Wende  des  12.  Jahrhunderts  nicht  mehr. 

Die  Sitte,  den  Amikt  über  der  Albe  zu  tragen,  erhielt  sich,  wie  vorhin 
gesagt  wurde,  in  der  ambrosianischen  Liturgie  und  zu  Lyon  bis  auf  die  Gegen- 
wart. Übrigens  findet  sich  auch  noch  im  römischen  Ritus  eine  schwache  Er- 
innerung an  die  ursprüngliche  Tragweise  des  Schultertuches.  Beim  Pontifikal- 
amt  und  den  Pontifikalvespern  legen  nämlich  nach  dem  Caeremoniale  für  die 
Bischöfe  der  assistierende  Priester,  die  Ehrendiakone  und  die  Ehrensubdia- 
kone,  ehe  sie  das  Pluviale  bzw.  die  Dalmatik  und  Tunicella  anziehen,  über 
ihr  Rochett  bzw.  ihr  Superpelliceum  (Cotta)  ein  Schultertuch  an4.  Daß  aber 
diese  Sitte  nicht  erst  durch  das  Caeremoniale  eingeführt  wurde,  sondern  dem 
Mittelalter  entstammt,  beweisen  der  14.  und  15.  Ordo  Mabillons5. 


1  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  3;  I  173.  auch  den  13.  römischen  Ordo  nr  5  6  (M.  78, 
Magistretti  45.  Magistretti  irrt  übrigens,  1106  1107)  und  namentlich  betreffs  der  Kar- 
wenn er  (ebd.  44)  meint,  Innozenz  III.  lasse  dinalbischöfe  den  14.  Ordo  c.  48  53  (ebd. 
den  Papst  zwei  Atnikte  tragen.    Das  Gegen-  1153  1157). 

teil   ist   der  Fall.     Vgl.  De  sacrificio  missae  4  L.  1,  c.  7,  n.  1;    c.  8,  n.  2;   L.  2.  c.  K 

1.   1,  c.  35  53  (M.  217,  787  793).  n.  4;  c.  2,  n.  4. 

2  C.  8  (M.  78,  1277).  '■>  Ordo  14,  c.  46  48  78  u.  a.;  ordo  15,  c.  20 

3  L.  1,  c.  10  53  (M.  217,  780  793).    Vgl.  54  u.  a.  (M.  78,  1145  1153  1196  1282  1300. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt.  29 

Wer  dem  Gottesdienst  in  einer  Kirche  der  Franziskaner  oder  Dominikaner 
beigewohnt  hat,  wird  bemerkt  haben,  daß  der  Priester  beim  Austritt  aus  der 
Sakristei  mit  dem  Amikt  wie  mit  einem  Kopftuch  das  Haupt  bedeckt  hatte 
und  ihn  erst  am  Altar  auf  die  Schulter  niederließ.  Es  ist  diese  Sitte,  die 
uns  auch  noch  bei  einigen  andern  älteren  Orden,  wie  den  Trinitariern, 
Serviten  u.  a.,  begegnet,  der  Rest  eines  ehedem  allgemeinen  Brauches.  Nur 
war  es  nicht  überall  Gepflogenheit,  das  Schultertuch  erst  am  Altar  herab- 
zuschlagen. Das  gewöhnliche  war  vielmehr,  das  Humerale  gleich  nachdem 
man  alle  liturgischen  Gewänder  angelegt  hatte,  und  bevor  man  die  Sakristei 
verließ,  vom  Kopf  auf  die  Schultern  herabzuziehen  und  rings  um  den  Hals 
zu  ordnen. 

Bei  dieser  Anlegungsweise  wurde  also  der  Amikt  nicht,  wie  das  heute 
nach  dem  römischen  Missale  geschehen  soll,  gleich  von  Anfang  um  den  Hals 
gelegt.  Man  bedeckte  vielmehr  zunächst  mit  ihm  in  der  Weise  den  Kopf, 
daß  er  wie  ein  Schleier  über  die  Schultern,  den  Nacken  und  die  Brust  herab- 
hing,  und  beließ  ihn  so,  bis  man  alle  andern  Paramente,  die  Kasel  eingeschlossen, 
angezogen  hatte. 

Wann  der  fragliche  Brauch  aufgekommen,  läßt  sich  nicht  genau  be- 
stimmen. Hraban  und  Amalar,  Pseudo-Beda  und  Pseudo-Alkuin  haben  ihn 
ersichtlich  noch  nicht  gekannt.  Denn  sonst  würden  sie  schwerlich  unter- 
lassen haben,  seiner  Erwähnung  zu  tun  und  ihn  mystisch  zu  deuten.  Für 
Hraban  und  Pseudo-Alkuin  sinnbildet  der  Amikt  nur  die  Reinheit  der  guten 
Werke,  für  Amalar  und  Pseudo-Beda  aber  die  Wachsamkeit  im  Reden.  Auch 
der  Ordo  Duchesnes  weiß  noch  nichts  von  der  fraglichen  Gepflogenheit.  Im 
Gegenteil  sagt  er  ausdrücklich,  man  habe  das  anagolagium  um  den  Hals  ge- 
wunden: involvunt  se  anagolagio  circa  collo  (sie). 

Es  scheint,  daß  die  Sitte,  mit  dem  Humerale  beim  Ankleiden  zunächst 
den  Kopf  zu  bedecken,  etwa  gegen  Ende  des  9.  Jahrhunderts  aufzutauchen 
begann.  Ankleidegebete,  in  denen  der  Amikt  als  ein  geistlicher  Helm  oder 
als  Schirm  des  Hauptes  bezeichnet  wird,  die  also  auf  die  uns  beschäftigende 
Gewohnheit  hinweisen  bzw.  sie  als  bestehend  voraussetzen,  finden  sich  schon 
in  einigen  Sakramentaren  des  10.  Jahrhunderts1. 

Anfänglich  wie  alles  Neue  nur  vereinzelt  in  Übung,  erlangte  der  Brauch 
allmählich  immer  weitere  Verbreitung.  Davon  zeugen  insbesondere  auch  die 
Sakramentare  und  Pontitikalien  des  11.  und  12.  Jahrhunderts,  in  denen  um 
diese  Zeit  auf  ihn  hindeutende  Ankleidegebete  immer  häufiger  werden3.  Von 
den  damaligen  Liturgikern  tun  Johannes  von  Avranches  (f  1079),  Ivo  von 
Chartres  (f  ca  1117)  und  Bruno  von  Segni  (f  1123)  seiner  noch  keine  Er- 
wähnung. Die  ersten  unter  ihnen,  die  von  ihm  reden,  sind  Rupert  von  Deutz 
(t  1135)  und  Honorius  (schrieb  ca  1120).  „Der  Priester",  so  bemerkt  jener, 
„bedeckt  mit  einer  Sorte  von  Umwurf  sein  Haupt,  bis  er  ihn  über  die  Hals- 
öffnung der  Kasel  zurückschlägt  und  wie  ein  Kopfstück  oder  eine  Bekrönung 


1  Marl,  L.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  7;  1192  Ambrosiana  Cod.  D,  84  (ca  1000).  Rom, 
(ca  900).  St  Gallen,  Stiftsbibliothek  Cod.  339  Bibl.  Vaticana  Cod.  lat.  7231  (s.  XII— XIII)  ; 
(s.  X).  Vgl.  auch  Mart.,  1.  c,  ordo  6;  I  190;  ebd.  Ottob.  Cod.  576  (s.  XII)  und  ebd.  Barb. 
wo  indessen  das  betreffende  Pontificale  zu  Cod.  XII  2  (ca  1200);  ferner  Rom,  Bibl. 
hoch  hinauf  datiert  sein  dürfte.  Angelica  Cod.  477  (s.  XII)  1092  (s.  XII— XIII). 

2  Mart.,  L.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  12  13  Modena,  Bibl.  Capit.  Cod.  I  8  (s.  XII  ex.); 
16:  I  204  207  214.  Florenz,  Bibl.  Riccard.  II  20  (s.  XII).  Paris,  Bibl.  nat.  f.  lat.  10  500 
Cod.    299    (s.  XI)    300    (s.  XI).     Mailand,  (s.  XI),   821   (s.  XI),  2293  (s.  XI  in.)  u.  aa. 


30 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


derselben  anpaßt. " 


der  Sitte  bei  den  Liturgikern   regelmäßig  die  Rede 


Seit  etwa   der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  ist  dann  von 

so  bei  Robert  Paululus 
(f  ca  1184),  bei  dem  Verfasser  des  Tractatus  de  sacramento  altaris,  bei  Sicard 
von  Cremona  (f  1215),  Innozenz  III.  (f  1216)  und  Durandus  (f  1296),  welche 
sie  als  allgemein  in  Übung  stehend  behandeln.  Eine  sehr  interessante  und  ein- 
gehende Beschreibung,  wie  das  Schultertuch  auf  Grund  jener  Gepflogenheit 
angelegt  wurde,  findet  sich  im  14.  römischen  Ordo2. 

Der  Gebrauch,  den  Amikt  beim  Ankleiden  zunächst  aufs  Haupt  zu  legen 
und  erst,  nachdem  die  Kasel  übergeworfen  war,  auf  die  Schultern  zurück- 
zuschlagen, hörte  in  Rom  schon  gegen  Ende  des  Mittelalters  auf.  Der  Ordo 
missae  Burchards  von  Straßburg,  des  Zeremonienmeisters  Sixtus'  IV.,  Inno- 
zenz' VIII.  und  Alexanders  VI.,  kennt  ihn  nicht  mehr.  Die  Weise,  wie  in 
ihm  die  Anlegung  des  Schultertuches  beschrieben  wird,  entspricht  schon  ganz 
den  Anweisungen,  welche  darüber  das  römische  Missale  gibt.  Dasselbe  hat 
demnach  in  die  Generalrubriken  hinsichtlich  des  Amiktes  nur  aufgenommen, 
was  sich  schon  seit  einer  Weile  als  römischer  Brauch  herausgebildet  hatte. 
Zweierlei  erinnert  jedoch  noch  im  römischen  Ritus  an  die  alte  Sitte.  Das  eine 
ist  das  Gebet,  welches  der  Priester  bei  Anlegung  des  Schultertuches  spricht: 
„Setze,  o  Herr,  auf  mein  Haupt  den  Helm  des  Heiles,  auf  daß  ich  alle  teuf- 
lischen Angriffe  abschlagen  möge",  in  Verbindung  mit  der  Gewohnheit,  das- 
selbe beim  Ankleiden  einen  Augenblick  über  dem  Kopf  ruhen  zu  lassen.  Das 
andere  ist  die  Zeremonie  bei  der  Subdiakonatsweihe,  daß  der  Bischof  den 
Amikt  von  den  Schultern  des  Ordinanden  über  dessen  Kopf  zieht  und  dabei 
spricht:  „Nimm  hin  den  Amikt,  durch  den  die  Zucht  im  Reden  bezeichnet 
wird,  im  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des  Heiligen  Geistes.  Amen." 
Dieser  Ritus  entstammt  dem  späten  Mittelalter.  Solange  die  Minoristen  noch 
Albe  mit  Humerale  trugen,  hatte  er  keine  Bedeutung.  Seitdem  dieselben 
jedoch  bei  Ausübung  ihrer  Funktionen  sich  des  Superpelliceums  bedienten 
—  in  Rom  war  das  sicher  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
der  Fall  -  -  und  Humerale  samt  Albe  der  Regel  nach  erst  von  den  Subdiakonen 
gebraucht  wurden,  konnte  man  in  jener  Zeremonie  einen  Hinweis  auf  den  Ordo 
des  Subdiakonats  erblicken. 

Mit  der  Aufnahme  des  neuen  römischen  Missale  verschwand  auch  außer- 
halb Roms  nach  und  nach  die  Sitte,  das  Humerale  bis  nach  Anlegung  der 
Kasel  auf  dem  Haupte  zu  belassen.  Doch  war  sie  noch  bis  gegen  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  häufig.  In  einem  Inventar  der  St  Brigidenkirche  zu  Köln 
heißen  die  Humeralien  noch  im  Jahr  1578  heubtdoecher 3,  offenbar  wegen  des 
Brauches,  mit  ihnen  beim  Ankleiden  den  Kopf  zu  bedecken.     Auch  der  Um- 


1  De  off.  div.  1.  1,  c.  19  (M.  170,  22).  Die 
gewöhnliche  Lesart  ist:  Quidam  amictu  Ca- 
put suura  obnubit.  Statt  dessen  ist  richtiger 
zu  lesen:  Quodam  amictu  .  .  .  obnubit  (sc. 
sacerdos).  So  lautet  die  Stelle  in  der  Tat 
in  Cod.  246  der  St  Gallener  Stiftsbibliothek,  in 
dessen  explicit  die  Schrift  irrig  Beda  zu- 
geschrieben wird. 

2  c.  53  (M.  78,  1157):  In  primis  ergo  aco- 
lythi  deferant  amictum,  quem  ponat  super 
caput  pontificis  diaconus  et  eiusdem  amictus 
ehordulam  sinistram  diaconus,  dextram  sub- 
diaconus   accipiat   et   post   tergum   pontificis 


ducant  et  reducant  ad  anteriorem  partem 
super  cingulum,  quas  invicem  colligare  po- 
terit  ipse  pontifex.  .  .  .  Planeta  complicata, 
diaconus  de  capite  pontificis  amictum  depo- 
nat  et  aptet  circa  Collum  eius. 

3  A.Ditges.EineKülnerGerkammer, m„An- 
nalen  des  hist.  Vereins  für  den  Niederrhein" 
XLV  130.  Eine  der  Bezeichnung  heubt- 
doecher verwandte  Benennung  findet  sich  in 
Inventaren  der  Kathedrale  von  Lincoln  aus 
dem  16.  Jahrhundert,  wo  der  Amikt  ammis 
kerchif  heißt  (kerchif  =  couvre-chef  = 
Kopftuch). 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt.  31 

stand,  daß  in  diesem  wie  in  andern  Schatzverzeichnissen  des  ausgehenden 
16.  Jahrhunderts  noch  immer  Amiktparuren  aufgeführt  werden,  beweist,  daß 
die  alte  Gepflogenheit  damals  vielfach  noch  bestand.  Wir  finden  deren  z.  B. 
noch  in  einem  Schatzverzeichnis  von  St  Valentin  zu  Kiedrich  im  Rheingau  aus 
dem  Jahre  1583,  in  Inventaren  ermländischer  Kirchen  aus  den  Jahren  1597 
und  1598  l  und  einem  Graner  Inventar  vom  30.  März  1609.  Am  längsten 
erhielt  sich  beim  Weltklerus  in  Frankreich  die  Sitte.  Sie  dauerte  daselbst 
an  manchen  Orten,  wenngleich  mit  mehr  oder  weniger  Einschränkungen  und 
verschiedenen  Eigenheiten,  bis  ins  18.  Jahrhundert  fort,  so  zu  Langres, 
Narbonne,  Angers,  Auxerre,  Paris,  Rochelle,  Dijon,  Puy.  Zu  Langres  und 
Narbonne  trugen  die  Kanoniker  das  Humerale  auf  dem  Kopf,  bis  sie  zum 
Altare  kamen.  Zu  Auxerre  war  es  nur  von  Allerheiligen  bis  Ostern  ge- 
bräuchlich, den  Amikt  in  Form  eines  Kopftuches  zu  tragen.  Zu  Paris  be- 
hielt man  ihn  im  Winter  bis  zur  Secret,  zu  Rochelle  bis  zum  Beginn  des 
Kanons  auf  dem  Haupt.  Zu  Angers  schlug  man  ihn  das  ganze  Jahr  hindurch 
nur  während  des  Kanons  auf  die  Schultern.  Bloß  in  Messen  vor  ausgesetztem 
hoch  würdigsten  Gute  trug  man  ihn  während  der  ganzen  heiligen  Handlung 
um  den  Hals.  In  St-Benigne  zu  Dijon  wurde  das  Humerale  über  das  Birett 
gelegt.     Ahnlich  geschah  es  vereinzelt  auch  in  der  Diözese  Puy  2. 

Daß  es  bei  verschiedenen  Mönchsorden  noch  jetzt  Gewohnheit  ist,  mit 
dem  Schultertuch  auf  dem  Kopf  zum  Altar  zu  treten  und  erst  dort  selbiges 
herabzulassen,  wurde  vorhin  schon  bemerkt. 

Auf  die  Frage,  wo  die  Gepflogenheit,  den  Amikt  auf  den  Kopf  zu 
legen,  ihren  Ursprung  genommen  habe,  läßt  sich  eine  sichere  Antwort 
nicht  geben.  Sollte  jedoch  der  Umstand,  daß  uns  das  Ankleidegebet,  in 
welchem  das  Gewand  als  Helm  des  Heiles  und  Schutz  des  Hauptes  gedeutet 
wird,  zuerst,  soweit  sich  darüber  ein  Urteil  bilden  läßt,  in  fränkischen  Sakra- 
mentaren auftritt,  nicht  darauf  hinweisen,  daß  sie  im  nördlichen  Frankreich 
aufgekommen  sei?    Römischer  Herkunft  ist  sie  allem  Anschein  nach  wohl  nicht. 

Auch  für  die  andere  Frage,  was  zu  dem  fraglichen  Brauch  ge- 
führt, fehlt  noch  eine  genügende  Lösung.  Als  zweifellos  darf  betrachtet 
werden,  daß  nicht  eine  mystische  Erwägung  ihn  veranlaßte,  sondern  die 
mystische  Deutung  hier  wie  auch  sonst  der  Praxis  folgte.  Auch  scheint  es 
wenig  wahrscheinlich,  daß  der  Amikt  auf  dem  Wege  zum  Altar  und  bei 
etwaigen  mit  der  Messe  in  Verbindung  stehenden  Prozessionen  statt  der  sonst 
üblichen  Kapuze  oder  in  Verbindung  mit  ihr  als  eine  Art  Kopfbedeckung 
dienen  sollte.  Wenn  etwas  für  diese  Erklärung  sprechen  könnte,  so  ist  es  die 
später  in  manchen  Orden  herrschende  Gewohnheit,  das  Schultertuch  über  die 
Kapuze  anzulegen.  Indessen  ist  eine  solche  Gepflogenheit  allem  Anschein 
nach  weit  jünger  als  der  Brauch ,  den  Amikt  bis  nach  Anlegung  der  Kasel 
auf  dem  Kopf  zu  belassen  und  wohl  erst  spätmittelalterlich.  Außerdem  be- 
lehrt uns  Rupert  von  Deutz,  daß  man  das  Humerale  herabzog,  sobald  man 
die  Kasel  übergeworfen  hatte. 

Vielleicht  daß  der  Wunsch,  das  vielfach  kostbare  Obergewand,  zumal 
die  Kasel,  die  infolge  ihres  Schnittes  im  Nacken  einen  Bausch  zu  bilden 
pflegte,   besser  zu   schützen,    der   Grund   für   die   Einführung   der   Sitte  war. 


1  Fr.  H  i  p  1  e  r ,  Die  ältesten  Sckatzverzeich-  gehenden  Mittelalters  im  deutschen  Nordosten 

nisse  der  ermländischen  Kirchen,  Braunsberg  (Zeitschrift  III  [1890]  246). 

1886,  68  ff  und  Fr.  Dittrich,  Inneres  Aus-  3  De  Vert   II   243   261.     Roh.  VII   19. 

sehen  und  Ausstattung  der  Kirchen  des  aus-  Le  Brun  I,  traite  prelira.  art.  4,  §  1;  139. 


32  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  UntergeTvänder. 

Vielleicht  auch,  daß  ästhetische  Erwägungen  den  Anlaß  gaben.  Die  Be- 
merkung Ruperts,  daß  man  den  Amikt  wie  ein  Kopfstück  und  eine  Krone,  d.  i. 
einen  bekrönenden  Abschluß,  um  den  Kopfdurchlaß  der  Kasel  herumlege,  und 
die  Angabe  des  Tractatus  de  sacramento  altaris,  der  Amikt  werde  der  Zierde 
halber  über  der  Kasel  zusammengefaltet,  dürften  darauf  hinweisen.  Insbesondere 
mag  aber  das  Bestreben,  an  dem  Saum  des  Amikts  angebrachte  Verzierungen 
besser  zur  Geltung  zu  bringen,  auf  die  Entstehung  des  Brauches  von  Einfluß 
gewesen  sein.  Indessen  sind  alle  diese  Erklärungen  zuletzt  kaum  mehr  als 
bloße  Vermutungen. 

Wie  es  sich  aber  auch  mit  dem  Ursprung  der  in  Frage  stehenden  Sitte 
verhalten  mag,  jedenfalls  war  es  eine  unbedingte  Notwendigkeit,  das  Humerale 
in  der  beschriebenen  Weise  anzulegen,  seitdem  man  damit  begann,  das 
Schultertuch  mit  dem  im  späteren  Mittelalter  so  beliebten  kragenartigen  Zier- 
besatz zu  versehen. 

IV.  BESCHAFFENHEIT  UND  AUSSTATTUNG  DES  HUMERALE. 

Das  Schultertuch  der  ältesten  Zeit  haben  wir-  uns  als  ein  einfaches 
rechteckiges  oder  quadratisches  Tuch  zu  denken,  das  je  nach 
der  Würde  des  Trägers  größer  oder  kleiner  sein  mochte1.  Mit  Bändern, 
die  um  Brust  und  Rücken  geschlungen  werden  konnten,  scheint  es  ursprüng- 
lich nicht  ausgestattet  gewesen  zu  sein.  Weder  Hraban  noch  Amalar  noch 
Pseudo-Alkuin  sagen  davon  das  geringste,  und  doch  hätten  sie,  falls  der 
Amikt  zu  ihrer  Zeit  mit  solchen  versehen  gewesen  wäre,  es  schwerlich 
untei'lassen,  von  ihnen  zu  reden  und  sie  mystisch  zu  deuten 2.  Man  vergleiche 
nur,  wie  eingehend  sie  die  Dalmatik  und  die  Sandalen  nach  allen  ihren  Teilen 
erörtern.  Weiß  doch  z.  B.  Amalar  für  jedes  Riemchen  der  Fußbekleidung 
eine  entsprechende  Auslegung.  Wir  dürften  um  so  mehr  erwarten,  daß  sie 
von  ihnen  geredet  hätten,  als  die  Liturgiker  seit  dem  12.  Jahrhundert  ge- 
treulich anmerken,  daß  das  Schultertuch  mit  Schnüren  ausgestattet  sei,  und 
was  selbige  besagten.  Der  erste,  welcher  die  Bänder  ausdrücklich  erwähnt 
—  Ivo  von  Chartres  scheint  sie  nur  anzudeuten  — ,  ist  Honorius.  Ihm  folgen 
Robertus  Paululus,  Sicard  von  Cremona,  Innozenz  III.,  welcher  sie  vasculi 
nennt,  und  natürlich  auch  Durandus.  Es  scheint  fast,  als  seien  Bänder  zur 
Befestigung  des  Schultertuches  demselben  erst  angefügt  worden,  als  die  Sitte 
aufkam,  den  Amikt  über  den  Kopf  zu  legen  und  allda  bis  nach  Annahme 
der  Kasel  zu  belassen. 

Von  einer  Verzierung  des  Humerale  vernehmen  wir  schon  im  Testa- 
ment Riculfs  von  Eine  (f  915);  denn  unter  den  verschiedenen  liturgischen 
Gewändern,  welche  er  darin  seinem  Nachfolger  hinterläßt,  werden  auch  vier 
goldgeschmückte  Amikte  genannt.  Daß  aber  kostbare  Schultertücher  dieser 
Art  im  10.  Jahrhundert  keine  vereinzelte  Erscheinung  bildeten,  zeigen  bei- 
spielsweise das  Inventar  von  Clermont-Ferrand,  das  15  bonos  amictos  (sie),  cum 
auro  5  optimos,  alios  amictos  cum  auro  10  verzeichnet,  und  das  von  St-Pere-en- 
Vallee  zu  Chartres,  das  von  12  collaria  auri  (nach  dem  Zusammenhang  = 
humeralia)   berichtet.      1051    erwähnt   ein   Speierer  Inventar   humeralia   cum 


1  Ordo  9,  n.  4  (M.  88,  1006)  ist  von  einem  2  Auch  die  Worte  des  von  Duchesne  (Orig. 

anagolagium    grande    des  Bischofs  die  Rede.  456)    herausgegebenen    Ordo:    involvunt 

Es   scheint   hiernach,    daß    das   Schultertuch  se    anagolagio   circa    collo   et   induunt 

des  Bischofs  größer  war  als  das  der  Priester  se    tunicas,    scheinen    nicht    für    eine    Bind- 

und  Diakonen.  Vorrichtung  zu  sprechen. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


33 


auro  texta,  1077  eine  Schenkungsurkunde  Hugos  von  Burgund  10  amicti 
aurei1.  Auch  ein  noch  dem  11.  Jahrhundert  entstammendes  Schatzverzeichnis 
von  Enger  nennt  2  superhumeralia  auro  parata. 

Ein  kostbares,  örtlicher  Überlieferung  zufolge  dem  11.  Jahrhundert  ent- 
stammendes Humerale  befand  sich  bis  zur  Aufhebung  des  Stiftes  im  Jahre  1802 
in  der  Stiftskirche  des  hl.  Andreas  zu  Freising.  Es  sollte  wie  einige  andere 
dort  aufbewahrte  Paramente  vom  Bischof  Ellenhard  von  Freising  (1052 — 1078), 
einem  geborenen  Grafen  von  Meran  und  dem  Gründer  des  Stiftes,  herrühren. 
In  einer  Handschrift  vom  Jahre  1728  wird  es  folgendermaßen  beschrieben:  „Auf 
dem  Humerale,  welches  der  Priester  auf  die  Schultern  und  um  den  Hals  zu 
nehmen  pflegt,  ist  in  der  Mitte  angebracht  das  Lamm  Gottes,  und  an  den  Ecken 
sieht  man  die  vier  Tiere  der  Evangelisten  mit  Edelsteinen  und  Gemmen  pracht- 
voll gestickt."2  Welche  Verbreitung  im  10.  und  11.  Jahrhundert  der  Brauch 
hatte,  das  Schultertuch  in  dieser  oder  ähnlicher  Weise  auszustatten,  läßt  sich 
nicht  bestimmen.  Bei  den  Bildwerken  aus  jener  Zeit,  namentlich  den  aller- 
dings vielfach  unvollkommenen  Miniaturen,  sind  die  Humeralien  durchweg  nur 
wenig,  meist  aber  gar  nicht  sichtbar,  so  daß  aus  ihnen  ein  Urteil  über  die 
Ausstattung  des  Amiktes  nicht  zu  gewinnen  ist.  Die  Inventare  aus  dem  Ende 
des  1.  und  dem  Beginn  des  2.  Jahrtausends  aber  erwähnen  im  ganzen  nur 
selten  Humeralien  besserer  Art. 

Einen  besondern  Aufschwung  nahm  die  Verzierung  des  Amiktes  im 
12.  Jahrhundert,  und  bald  kam  es  zu  jenem  kragenartigen  Humeral- 
besatz,  der  für  die  ganze  übrige  Zeit  des  Mittelalters  die  Herrschaft 
behaupten  sollte.  Er  bestand  in  einem  mehr  oder  minder  breiten  Zierstück 
von  kostbarem  Stoff  (Bild  3),  welcher  häufig  mit  reichen  Stickereien  und 
selbst  aufgesetzten  Perlen  und  Edelsteinen  versehen  war,  oder,  wenngleich 
seltener,  in  einem  dem  Humerale  unmittelbar  eingestickten  Zierstreifen.  An- 
gebracht war  er  an  einer  der  Langseiten,  und  zwar  an  derjenigen,  an  der 
sich  die  Bänder  zum  Anbinden  befanden.  Seine  Länge  schwankte  gewöhn- 
lich zwischen  0,40  bis  0,50  m.  Beim  Ankleiden  wurde  der  Amikt  so  auf  den 
Kopf  gelegt,  daß  der  Besatz  sich  von  Schläfe  zu  Schläfe  erstreckte,  und  zwar 
entweder  einfach  oder  in  der  Breite  des  Besatzes  umgeschlagen.  Dann 
wurden   die  Bänder   um   die  Brust  geschlungen ,   die  Albe ,    Stola   und  Kasel 


1  d'Achery,  Spicileg.  III,  Paris.  1723,412. 
Von  einem  sehr  kostbaren  Amikt  ist  auch 
in  der  Vita  des  Bischofs  Hugo  von  Auxerre 
(1000—1039)  die  Rede  (Hist.  episc.  Autissiod. 
c.  49;  M.  138,  277):  In  amictu  lamina  aurea 
margaritis  et  lapidibus  pretiosis  intertexta 
quasi  regali  diademate  summi  sacerdotis  Ca- 
put illustrabat.  Der  Bischof  soll  ihn  samt 
andern  prächtigen  Paramenten  von  Kaiser 
Otto  III.  erhalten  haben.  Sowohl  die  Be- 
schreibung des  Amikts,  bei  der  dem  Verfasser 
der  Vita  ersichtlich  ein  mit  Parura  verziertes 
Humerale  vorschwebte,  als  auch  was  über 
seine  Herkunft  gesagt  wird,  lassen  die  An- 
gaben der  Historia  als  spätere  Fabel  er- 
scheinen, welche  auf  Zuverlässigkeit  keinen 
Anspruch  erheben  kann.  Man  vergleiche 
auch  den  Widerspruch  zwischen  der  Er- 
zählung der  Vita  Hugonis  von  den  kostbaren 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


Gewändern,  mit  denen  Hugo  am  Ende  seines 
Lebens  seine  Kathedrale  bereicherte,  und  dem 
Bericht  der  Vita  Godofredi,  der  etwa  ein  De- 
zennium später  Bischof  wurde,  über  den  da- 
maligen armseligen  Zustand  der  Paramente 
in  der  Kathedrale  :  Nulla  denique  pontificalia, 
in  quibus  missam  ipse  decenter  celebraret, 
habebantur  indumenta.  Die  Lebensbeschrei- 
bung Hugos  wurde  allem  Anschein  nach  erst 
spät  im  12.  Jahrhundert  geschrieben. 

2  Kirchenschmuck  I  (1857)  15.  Vgl.  auch 
Meichelbeck,  Hist.  Frising.  I  257.  Übrigens 
geben  wir  obige  Daten  nicht  wieder,  ohne 
unser  Bedenken  an  der  Echtheit  des  frag- 
lichen Amiktes  zum  Ausdruck  zu  bringen. 
Die  angeblich  ebenfalls  von  Bischof  Ellen- 
hard herrührende  und  ebendort  beschrie- 
bene Albe  stammte  sicher  erst  aus  späterer 
Zeit. 

3 


34 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgische  Untergewanduna. 


angezogen  und  nun  das  Schultertuch  so  über  den  Hinterkopf  herabgelassen, 
daß  die  Verzierung  kragenförmig  den  Hals  umgab.  Bild  4  veranschaulicht 
den  Vorgang.  Wurde  der  Amikt  auf  den  Kopf  gelegt,  wie  es  Bild  4  an- 
deutet, d.  i.  ungedoppelt,  so  hatte  der  Besatz,  wenn  um  den  Hals  geordnet, 
das  Aussehen  eines  umgeschlagenen  Kragens.  Brachte  man  jenen  in  der  Breite 
der  letzteren  gedoppelt  oder  zusammengefaltet  auf  den  Kopf,  so  ähnelte  er 
nach  dem  Herablassen  des  Humerale  einem  Stehkragen  *. 

Belege  für  das  Gesagte  liefern  die  Monumente  seit  etwa  der  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts bis  zum  16.  Jahrhundert  und  selbst  darüber  hinaus  die  Hülle  und  Fülle. 
Auf  französischen  Biscliofssiegeln  erscheint  der  Besatz  schon  um  1150,  auf  englischen 
gegen  Ende  des  Jahrhunderts  -.  Auf  den  Siegeln  der  Mainzer  Erzbischöfe  ist  er  mit 
Sicherheit  erst  bei  Heinrich  IL  (1286 — 1288) 3  nachweisbar,  auf  den  Siegeln  der 
Bischöfe  von  Paderborn,  Münster,  Osnabrück  und  Minden  begegnet  er  uns  ebenfalls 
kaum  vor  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts.  Begelmäßig  tritt  er  auf  denselben  erst  um 
1300  auf4.  Auf  Kölner  Siegeln  gewahren  wir  das  Zierstück  vielleicht  schon  bei  Philipp 

von  Heinsberg  (1167  bis 
1191)  und  Dietrich  von 
Bergen  (1208-1212), 
falls  das,  was  einem  Be- 
satz ähnelt,  nicht  etwa 
der  Amikt  selbst  ist. 
Unzweifelhaft  findet  es 
sich  auf  dem  Siegel  Sieg- 
frieds von  Westerburg 
(1275-1297).  Auf  den 
Trierer  Siegeln  mag  es 
schon  bei  Dietrich  (1212 
bis  1242)  vorkommen. 
Um  1275  treffen  wir  die 
fragliche  Verzierung  des 
Amiktes  auf  dem  Siegel 
des  Abtes  Adolf  von  Sieg- 
burg und  um  1300  auf 
dem  des  tüchtigen  Abtes 
Arnold  von  St  Martin  zu  Köln,  um  1250  auf  dem  Siegel  des  Domes  zu  Hildesheim. 
Um  dieselbe  Zeit  kommt  sie  auch  auf  den  Hildesheimer,  den  Halberstädter  und  Würz- 
burger Bischofssiegeln  vor. 

Auf  den  italienischen  Bischofssiegeln  dürfte  der  Amiktbesatz  kaum  vor  1250 
auftreten.  Eegel  wird  er  auf  ihnen  erst  gegen  Ende  des  Jahrhunderts.  Als  noch 
fraglich,  vermerken  wir  ihn  auf  dem  Siegel  des  Bischofs  Egidius  von  Poligno  (1208 
bis  1243).  Sicher  finden  wir  dagegen  das  Zierstück  auf  den  ersichtlich  unter  fran- 
zösischem Einfluß  stehenden  Siegeln  der  Bischöfe  Johannes  von  Perrara  (1252 — 1257) 


Bild   3.      Amikt  und   Cingulum.    Danzig,  Marienkirche.    (Nach  Hinz.) 


1  Bock  (Gesch.  II  30)  beschreibt  auch  noch 
eine  zweite  im  Mittelalter  gebräuchliche  An- 
legungsweise des  Amikts  (vgl.  dazu  a.  a.  O. 
Tl  2,  2).  Wir  haben  indessen  für  dieselbe 
keine  Bestätigung  gefunden,  es  spricht  viel- 
mehr alles,  was  wir  vom  mittelalterlichen 
Amikt  und  seiner  Beschaffenheit  wissen,  gegen 
sie.  Jedenfalls  ist  das  Untertüchlein,  das 
nach  Bock  bei  der  oben  im  Text  beschriebe- 
nen Weise  nötig  und  Anlaß  zu  der  von  ihm 
an  zweiter  Stelle  geschilderten  Anlegungs- 
weise gewesen  sein  soll,  eine  Fabel. 


2  Man  vergleiche  die  zahlreichen  Abbil- 
dungen französischer  und  englischer  Siegel 
bei  Roh.  VII  VIII  sowie  unter  andern 
L.  Blancard,  Iconographie  des  Sceaux 
des  arch.  depart.  des  Bordes  -  du  -  Rhone, 
Paris  1860. 

3  Würdtwein,  Nova  subsidia  dipl.  t.  IV, 
tab.  21 ;  V,  tab.  22  ff. 

4  G.  Tumbült,  Die  westfälischen  Siegel 
des  Mittelalters  2.  Hft,  1.  Abtl:  Die  Siegel 
der  Bischöfe,  Münster  1885  (Münster,  Pader- 
born, Osnabrück,  Minden). 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


35 


Jakobus  von  Feltre  (1291  bis  ca  1298),  Vivianus  von  Faenza  (1282—1287),  Otto 
von  Ventimiglia  (1304—1319),  Hubertus  von.  Hontefeltro  (1288—1318),  Maurus  von 
Amelia  (1286—1300),  Monaldus  von  Civita  Castellana  (1288—1300),  des  Kardinals 
Berengar  von  Frascati  (1309 — 1323)  und  des  Patriarchen  Egidius  von  Grado 
(1296 — 1311).  Ebenso  weisen  den  Besatz  auf  die  Siegel  des  Bischofs  Magnus  von 
Vexiö  in  Schweden  (1295 — 1320),  des  Bischofs  Boderich  von  Mondoiiedo  in  Spanien 
(1297—1318)  und  des  Erzbischofs  Martin  von  Braga  in  Portugal  (1295-1313)'. 

Es  kann  hiernach  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen ,  daß  die  fragliche 
Amikt  Verzierung  aus  Frankreich  stammt ;  sie  begegnet  uns  also  da 
zuerst,  wo  auch  die  Wiege  der  Gotik  gestanden  hat.  Es  ist  bemerkenswert 
-  die  Siegel  bekunden  das  auf  das  deutlichste  — ,  wie  die  Ausbreitung  ihrer 
Verwendung  gleichen  Schritt  mit  der  Verbreitung  der  Gotik  hält.  Wie 
diese,  so  nimmt  auch  das  Zierstück  des  Amikts  zunächst  seinen  Weg  über  den 
Kanal,  während  in  Deutschland  beide  erst  eine  geraume  Weile  später  ihren 
Einzug  halten  und  sich  einbürgern.  Nicht  anders  verhält  es  sich  hinsichtlich 
Italiens  und  Spaniens. 


Bild  4.     Anlegungsweise  des  Amikts  nach  mittelalterlicher  Weise. 

Der  Besatz  umgibt,  wie  schon  gesagt,  entsprechend  der  vorhin  geschilder- 
ten Anlegungsweise  auf  den  Bildwerken  den  Hals  bald  nach  Art  eines  an- 
liegenden umgeschlagenen  Kragens  (Bild  5,  S.  36),  bald  gleicht  er,  zu- 
mal im  14.  und  15.  Jahrhundert,  einem  Stehkragen  (Bild  6,  S.  36).  Nicht 
selten  machen  die  Monumente  den  Eindruck,  als  sei  er  nicht  am  Amikt,  sondern 
an  der  Kasel  bzw.  der  Dalmatik  befestigt.  Es  ist  das  namentlich  bei  Bildwerken 
aus  dem  ausgehenden  Mittelalter  der  Fall.  Gewöhnlich  wird  das  jedoch  nur 
bloßer  Schein  oder  künstlerische  Lizenz  sein.  Daß  er  indessen  wirklich  hie  und 
da  statt  am  Amikt  der  Einfachheit  halber  an  dem  Meßgewand  (bzw.  dem  Leviten- 
gewand) angebracht  wurde,  beweist  z.  B.  die  Notiz  eines  Pontifikale  von 
Montecassino  in  der  vatikanischen  Bibliothek,  wonach  der  Abt  für  die  Messe 
casula  cum  collari2  bekleidet  werden  soll,  falls  man  nicht  lieber  die  Rubrik 
von   einer   Kasel    und    einem   vom  Amikt   losgelösten   selbständigen   Kragen, 


1  Nach  Originalsiegeln  oder  Kopien  in  der 
dem  Skriptorenhaus  der  deutschen  Ordens- 
provinz gehörenden  Siegelsammlung.  Die  den 
Bischöfen  beigefügten  Daten  beruhen  hier 
wie  auch  sonst  in  diesem  Werke  auf  P.  P  i  u  s 


Garns,  Series  episcoporum  (Regensburg  1873) 
mit  Benutzung  der  Korrekturen  bei  P.  K.  E  u- 
bel  O.  Min.  Conv.,  Hierarchia  eatholica  medii 
aevi,  Münster  1898. 

2  Vatic.  Cod.  lat.  9340,  4  v. 
3* 


36 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


wie  dieser  noch  jetzt  in  Mailand  gebräuchlich  ist,  verstehen  will.  Hinsichtlich 
der  Farbe  richtete  sich  das  Zierstück,  seitdem  und  wo  es  einen  liturgischen 
Farbenkanon  gab,  gewöhnlich,  wenngleich  keineswegs  ausschließlich,  nach 
der  Farbe  des  Tagesoffiziums.  Insbesondere  wurden  bessere,  reichere  und 
kunstvollere  Besätze  ohne  strenge  Rücksicht  auf  die  jeweilige  Tagesfarbe 
gebraucht.  Bei  dem  Amiktbesatz  konnte  um  so  eher  davon  abgesehen  werden, 
als  er  ja  nicht  einen  wesentlichen  Teil  des  Gewandes  ausmachte,  sondern 
bloß  Verzierung  war. 

In  den  Inventaren  heißt  der  Besatz  des  Schultertuches  bald  parura 
oder  c  o  1 1  a  r  e ,  bald  p  1  a  g  a ,  p  1  a  g  u  1  a  oder  p  1  i  c  a ,  bald  g  e  m  m  a ,  p  r  a  e- 
texta,  truncus1  oder  aurifrisium  (auriphrygium),  frisium,  in 
deutschen  schilt,  brederken  (Kragen)  und  ähnlich.  Nicht  selten  wird  er 
indessen  auch  vom  ganzen  Gewand  humerale  genannt.  So  lesen  wir  z.  B. 
in  einem  Olmützer  Inventar  aus  dem  Jahre  1435  von  gelben  oder  goldenen 
Humeralien,    von   einem  Humerale   aus   schwarzem   Samt,   in  einem    Schatz- 


Bild  5.     Von  der  Grabplatte  des  Kano- 
nikus Joh.  Peter  von  Seckendorf  (f  1557). 
Bamberg,  Dom. 


Bild  6.     Vom  Grabmal  des  Bischofs 

Gottfried  von  Limburg  (f  1455). 

Würzburg.  Dom. 


Verzeichnis  von  Eibin g  von  grünen,  braunen  Humeralien,  von  schwarzen  Hume- 
ralien, von  einem  „silbern  übergult  humeral  cum  radice  Iesse",  einem  „silbern 
übergult  humeral  mit  einem  übergulten  Marienbild",  einem  „rot  humeral  mit 
gelben  spangen"  (Metallplättchen,  die  als  Schmuck  aufgesetzt  wurden)  und  einem 
weißen  Kreuz  usw. 2  Selbstredend  kann  sich  eine  derartige  Benennung  nicht 
auf  den  ganzen  Amikt,  sondern  nur  auf  den  Besatz  beziehen,  der  ja  auch  in 
der  Tat,  weil  sich  um  die  Schultern  legend,  ein  Humerale  war.  Es  ist  die 
Ausdrucksweise  wohl  zu  beachten,  andernfalls  kommt  man  zum  Irrtum,  es 
habe  ehedem  schwarze,  rote  usw.  Schultertücher  gegeben. 

Von  mittelalterlichen  Schultertüchern  sind  nur  einige  wenige 
auf  uns  gekommen.  Es  gibt  deren  ja  eines  zu  Valsainte  bei  Bulle  in 
der  Schweiz,  Neresheim  (Württemberg),  Rostock  (Museum)  und  Eich- 
stätt,  zwei  zu  Halberstadt  und  drei  zu  Danzig.  Bei  dem  Neres- 
heimer  Amikt  besteht  der  Besatz  aus  einer  Goldborte  mit  schönem,  farbigem 


1  Inventar  von  Frauenburg  vom  Jahre  1598 
(Zeitschrift  III  [1890]  246). 


2Hipler,    Die    ältesten    Schatzverzeich- 
nisse 7  12  13.    Vgl.  namentlich  auch  S.  29. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


37 


Vogel-  und   Pflanzenmuster1, 
Besatz. 


der  Eichstätter  hat  einen  einfach   gelbseidenen 


Von    den   drei  Humeralien   im  Dom    zu  Halberstadt   ist   eines   mit    rotseidener 
Parura   versehen ,   welche  mit   silbervergoldeten   Zierplättchen   (fibulae,  Spangen)   ge- 
schmückt  ist.      Ein    zweites 
weist  einen  blauseidenen,  mit 
blauen,    weißen    und    roten 
Perlen  bestickten  Besatz  auf. 

Von  den  drei  Schulter- 
tüchern in  der  St  Marien- 
kirche zu  Danzig  sind  zwei 
mit  rotsamtener  Parura,  die 
über  und  über  mit  silber- 
vergoldeten Rosettchen  und 
Blättchen  besät  ist,  ausgestat- 
tet ( Bild  3,  S.  34).  Bei  einer  der- 
selben sind  auf  den  Rosett  chen 
kleine,    frei   herabbaumelnde 

Anhängsel    aus    vergoldetem  Bild  7-     Amiktbesatz.     Danzig,  Marienkirche. 

Silber  angebracht  (Bild  7),  in 

einem  Inventar  von  St  Elisabeth  zu  Breslau  aus  den  Jahren  1483  —  1498  flatterchen 
genannt 2.  Das  glänzendste  Stück  ist  aber  das  dritte  Humerale ,  dessen  Parura  mit 
einer  in  Ausführung ,  Zeichnung  und  Technik  gleich  vorzüglichen  Stickerei  in  Seide 
und  Perlen,  Christi  Auferstehimg  darstellend,  geschmückt  ist  (Bild  8).  Der  im  Besitz 
der  Kartäuser  zu  Valsainte  befindliche  Amikt  entbehrt  der  Parura  3. 

Lose  Amiktbesätze  sind,  wenngleich  etwas  häufiger  als  vollständige  Amikte, 
doch  im  ganzen  gleichfalls  nur  in  geringer  Zahl  erhalten.  Die  ältesten  sind  die  schön 
in  farbiger  Seide  und  Gold  gestickte  Parura  im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Sens, 
welche  als  Reliquie  des  hl.  Thomas  von  Canterbury  von  dessen  Aufenthalt  zu 
Sens  her  gilt,  jedenfalls  aber  spätestens  aus  der  Frühe  des  13.  Jahrhunderts  stammt, 
und  ein  der  gleichen  Zeit  angehörender,  hochinteressanter  Besatz  im  Dom  zu  Halber- 
stadt, der  in  späterer  Zeit  als  Einfassung  des  Kopfdurchschlupfs  einer  Kasel  ver- 
wendet wurde  und 
sich  noch  jetzt  als 
solche  an  dieser  be- 
findet. Die  Parura 
in  der  Kathedrale  zu 
Sens  ist  0,67  m  lang, 
0,125  hoch  und  mit 
Kreisen  gemustert, 
die  einander  über- 
schneiden und  in  der 
Mitte  mit  einem 
kreuzförmigen  Orna- 
ment gefüllt  sind. 
Der      Halberstädter 


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Bild  8.     In  Seide  und  Perlen  gestickter  Amiktbesatz. 
Danzig,  Marienkirche.    (Nach  Hinz.) 


Amiktbesatz  ist  ca  0,55  m  lang  und  ca  0,08  m  hoch  und  enthält  auf  tiefblauem  Fonds 
von   schwerem  Seidenköper   in   der  Mitte    eine  Darstellung   der  Majestas,  rechts   und 


1  Nach  gütiger  Mitteilung  des  Herrn  Pfarrers 
von  Neresheim,  Schulinspektor  K.  Schips. 

2  Alwin  Schultz,  Schatzverzeiclmisse 
Breslauer  Kirchen  10  f :  Lobwerg  mit  silberen 
vorgulten  flatterchen  .  .  .  mit  obergnlten  span- 


geleyn  und  natterchen  .  .  .  mit  silbern  span- 
geleyn  und  flatterchen  vorgultet  beslagen. 

3  Nach  freundlicher  Angabe  des  hochw. 
Herrn  Bibliothekars  Dom  Louis  Maria  de 
Massiac. 


38 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


Bild  9.     Ainiktparura  (ca  1200).     Halberstadt,  Dom. 

links  unter  rundbogigen  Arkaturen  die  Bilder  von  je  sechs  Aposteln.  Die  Fleischteile 
ausgenommen,  ist  alles  übrige  in  Goldstickerei  ausgeführt,  wobei  die  Abheftfäden  so  tief 
in  den  Stoff  hineingezogen  wurden,  daß  sie  für  das  Auge  völlig  verschwinden  (Bild  9), 
eine  kunstvolle,  im  Mittelalter  sehr  beliebte  und  geübte  Art  der  Abkeftteehnik  '. 

Von  sonstigen  Amiktparuren  finden  sich  bei  weitem  die  meisten  und  vorzüg- 
lichsten in  St  Marien  zu  Danzig,  darunter  solche  von  ausnehmender  Pracht  und  Kostbar- 
keit2.  Dieselben  entstammen  teils  dem  15.,  teils  dem  beginnenden  16.  Jahrhundert. 
Echte  Perlen  sind  bei  einzelnen  von  ihnen  in  geradezu  verschwenderischer  Fülle  an- 
gebracht. Das  Verderben  des  guten  Geschmackes  tritt  aber  auch  schon  bei  ver- 
schiedenen deutlich  zu  Tage  (Bild  10).  Beliefstickereien  mit  fast  freistehenden  Dar- 
stellungen sind  auf  einem  Amiktbesatz  trotz  aller  Kostbarkeit  und  trotz  aller  Kunst 
oder  besser  Kunstfertigkeit ,  mit  der  sie  hergestellt  wurden ,  widersinnig,  weil  ihrem 
Zwecke  durchaus  zuwider. 

Es  ist,  was  wir  noch  von  mittelalterlichen  Humeralien  und  ihren  Be- 
sätzen besitzen,  nur  ein  winziger  Bruchteil  der  alten  Herrlichkeit  und  keines- 
wegs geeignet,  uns  ein  vollständiges  Bild  von  dem  Keichtum  und  der  glänzenden 
Ausstattung  des  mittelalterliehen  Schultertuches  zu  geben.  Indessen  haben 
wir  einen,  wenngleich  nur  unvollkommenen  Ersatz  in  den  zahlreichen  Bild- 
werken des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts,  welche  uns  Bischöfe,  Priester, 
Diakone  und  Subdiakone  mit  bald  mehr  bald  minder  reich  verziertem  Amikt 
ausgestattet  zeigen. 

Hier  stellt  der  Besatz  ein  ungemustertes  Zeug  dar,  dort  ist  er  mit  Perlen  und 
Edelsteinen  aufs  glänzendste  geschmückt ;  anderswo  gewahren  wir  auf  ihm  Inschriften, 
Rankenwerk  oder  gar  bildliche  Darstellungen.  Ein  Blick  auf  die  zahlreichen  Statuen 
an  den  herrlichen  Portalen  der  mittelalterlichen  Dome  in  Prankreich,  Deutschland 
und  Spanien,  auf  die  Glasgemälde,  die  sich  aus  dem  späteren  Mittelalter  noch  in 
reicher  Fülle  erhalten  haben,  auf  die  Werke  des  Pinsels,  mit  denen  die  alten  Meister 
die  Wände  und  Altäre  der  Gotteshäuser  schmückten  und  ganz  besonders  die  prächtigen 
Grabmonumente,  die  uns  seit  dem  13.  Jahrhundert  in  großer  Menge  in  Deutschland 
(Köln,  Paderborn,  Würzburg,  Bamberg,  Regensburg  usw.),  in  England,  Frankreich, 
Spanien  und  Italien  begegnen ,  zeigt  uns,  mit  welch  verschwenderischer  Pracht  die 
Humeralien  im  Mittelalter  ausgestattet  zu  werden  pflegten.  Zugleich  belehrt  er  uns, 
welche  große  Verbreitung  die  Gepflogenheit  gewonnen  hatte ,  den  Amikt  mit  dem 
kragenartigen  Zierbesatz  zu  versehen. 

Den  besten  Begriff  von  dem  Reichtum  der  mittelalterlichen  Paruren  ge- 
währen aber  die  Schatzverzeichnisse  des  13.,  14.,  15.  und  16.  Jahrhunderts,  von 
denen  zwar  nicht  alle,  aber  doch  sehr  viele  von  den  Humeralien  ausführliche 
Beschreibungen  geben.  Wir  lernen  aus  ihren  nicht  selten  bis  ins  einzelne 
gehenden   Angaben,   daß   die  Meister,  welche  die   alten  Monumente   schufen, 


1  Vgl.  über  diese  Technik  Braun,  Winke 
132.  Bei  Verwendung  feiner  G  oldfäden  gleichen 
die  Stickereien  täuschend  einem  Goldgewebe. 


2  Abbildungen  der  meisten  bei  Hinz,  Die 
Schatzkammer  von  St  Marien  zu  Danzig, 
Danzig  1870. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


39 


keineswegs  übertrieben  haben,  wenn  sie  so  prächtige  Amikte  zur  Darstellung 
brachten,  und  daß  man  ehedem  wirklich  nichts  gespart  hat,  um  dem  Amikt 
eine  würdige,  ja  oft  fast  zu  glänzende  Ausstattung  zu  geben.  Hören  wir  nur, 
was  uns  das  eine  oder  andere  Inventar  zu  erzählen  weiß. 

Im  Schatzverzeichnis  der  Kirche  von  Salisbury  aus  dem  Jahre  1212  werden 
zwei  goldverzierte  und  mit  Edelsteinen  besetzte  Amikte  und  außerdem  fünf  andere, 
die  mit  Stickereien,  und  zehn,  die  mit  Aurifrisien  versehen  waren,  erwähnt.  Das 
Inventar  des  päpstlichen  Schatzes  von  1295  nennt  unum  amictum  laboratum 
ad  aurum  tractitium  et  perlas  et  flores  de  serico  diversorum  colorum,  unum  amictum 
laboratum  ad  aurum  et  perlas,  unum  amictum  cum  frixio  de  Romania  (Besatz  byzantini- 
scher Herkunft)  ad  aurum  tractitium,  unum  amictum  ad  aurum  filatum  de  opere  angli- 
cano  cum  media  imagine  Salvatoris  in  medio  et  sex  aliae  circa  eam,  unum  amictum  cum 
frixio  anglicano  ad  imagines  medias,  unum  amictum  cum  frixio  de  Alamania  u.  a.,  also 
Amikte ,  die  mit  Perlen  und  Goldstickerei  und  aufgestickten  Halbbildern  prächtig 
verziert  waren  '. 

Ein  Schatzverzeichnis  des  Prager  Doms  vom  Jahre  1387  verzeichnet  vier  mit 
Perlen  geschmückte  Humeralien,  von  denen  eines  in  großen  Perlen  die  Inschrift 
Maria  Virgo  trug. 
In  dem  Inventar 
des  Domes  zu  0 1- 
mütz  von  1435 
findet  sich  neben 
sonstigen  kaum 
minder    kostbaren 

Schultertüchern 
ein  Amikt  mit 
einer  praetexta  aus 
Goldstoff,  auf  wel- 
cher außer  vier 
andern  Bildern 
Maria  Krönung 
dargestellt       war. 

Ebendort  treffen  wir  auch  Besätze  aus  Goldstoff  und  aus  schwarzem  Samt  für  Hume- 
ralien ohne  Leinwand ,  d.  i.  losgetrennt  vom  Schultertuch,  wofür  sie  bestimmt 
waren,  an.  Sehr  reich  an  Amikten  mit  kostbaren  Besätzen  war  auch  die  Schatz- 
kammer der  Peterskirche  in  Rom.  Dort  fand  sich  beispielsweise  dem  Schatz- 
verzeichnisse von  1361  zufolge  unter  sonstigen  ein  Amikt  mit  einem  aus  Gold  und 
Perlen  gearbeiteten  Aurifrisium.  Die  Parura  eines  andern  enthielt  in  sechs  Feldern 
die  Bilder  verschiedener  Heiligen,  Wappen  und  Blattwerk.  Das  Aurifrisium  eines 
dritten  Humerale  bestand  aus  drei  Feldern,  war  aber  im  übrigen  ähnlich  wie  das 
letztgenannte  eingerichtet.  Auch  treffen  wir  neben  diesen  und  andern  Schulter- 
tüchern gleicher  Art  im  Schatz  von  St  Peter  einen  alten  Amiktbesatz,  der  mit  sieben 
Heiligenfiguren  geschmückt  war  und  als  sehr  reich  mit  Perlen  verziert  beschrieben  wird. 

Sehr  viele  kostbar  ausgestattete  Humeralien  weist  das  Inventar  des  Graner 
Domschatzes  aus  dem  Jahre  1609  auf.  Ausdrücklich  erwähnt  und  näher  beschrieben 
werden  ihrer  dreizehn.  Da  gibt  es  z.  B.  ein  Schultertuch  mit  einem  Besatz  aus 
Goldstoff;  die  Parura  eines  zweiten  ist  mit  dem  aus  roten  und  grünen  Edelsteinen 
gebildeten  Namen  Jesu  geschmückt.  Auf  andern  waren  der  Weltheiland  mit  zwei 
Engeln,  die  auf  der  Brust  einen  Edelstein  trugen,  die  Verkündigung,  Maria  mit  Hei- 


Bild  10.     In  Perlen-  und  Reliefstickerei  ausgeführte  Araiktparura. 
Danzig,  Marienkirche.     (Nach  Hinz.) 


1  C.  54  (Bibl.  de  l'Ecole  des  Ckartes  XLVI 
36).  Frixium  ist  gleich  frisium  oder  aurifrisium 
(auriphrygium);  aurum  tractitium  bezeichnet 
einen   mit   goldenem  oder  silbervergoldetem 


Lahn  hergestellten,  aurum  filatum  dagegen, 
wie  es  scheint,  den  in  neuerer  Zeit  irrig  „Cy- 
prisches  Gold"  genannten  Goldfaden.  Näheres 
über  Goldfäden  bei  Braun,  Winke  7. 


40  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

ligen ,  das  Lamm  Gottes  dargestellt  oder  die  Namen  Maria  und  des  hl.  Johannes  in 
Edelsteinen  angebracht  usw.  Es  waren  diese  Humeralien  offenbar  wie  die  Kasein  und 
Dalmatiken,  wozu  sie  gehörten,  meist  Erbstücke  des  ausgehenden  Mittelalters  oder 
auch  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts. 

Balis  aber  auch  in  kleineren  Kirchen  zahlreiche  glänzend  ausgestattete  Amikte  sich 
vorfanden,  beweist  ein  Einblick  in  die  meist  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts 
entstammenden  Schatzverzeichnisse  ermländischer  Kirchen.  So  nennt  das  Inventar 
von  Allenstein  fünf  mit  fibulae  geschmückte  Humeralien,  dasjenige  der  Lieb- 
frauenkirche in  Braun sb er g  Septem  humeralia  fibulata.  octo  aurata,  varii  coloris 
auro  intei'texta  quatuor,  ex  serico  et  holoserico  varii  coloris  duodecim.  Bas  Schatz- 
verzeichnis  von  Heilsberg  vermerkt  mehr  als  zehn  mit  fibulae  versehene  Schulter- 
tücher, in  W o r m d i 1 1  treffen  wir  ihrer  sieben  an.  Daß  wir  erst  recht  im  Dom  zu 
Frauenburg  einerEeihe  prächtiger  Humeralien  begegnen,  ist  unter  solchen  Umständen 
nicht  zu  verwundern.  Nach  dem  Inventar  von  1578  waren  hier  zehn  mit  Perlen,  drei 
mit  Heiligenbildern,  drei  mit  Laubwerk,  eines  mit  dem  Lamm  Gottes  innerhalb  Laub- 
werk, zwei  alte  mit  Zierplättchen  (fibulae)  geschmückt.  Eines  war  mit  einem  Besatz  aus 
Goldbrokat  versehen,  der  in  der  Mitte  ein  Lamm  aus  Perlen  aufwies,  bei  dreien 
bestand  die  Parura  ganz  aus  vergoldetem  Silber,  bei  fünfen  war  sie  mit  vergoldeten 
Spangen  und  Kügelchen  besetzt  usw.  Bei  einfachen  Humeralien  war  der  Besatz 
aus  Samt,  aus  rotem  Brokat  und  ähnlichen  Stoffen  angefertigt. 

Noch  großartiger  war  der  Bestand  an  kostbaren  Amikten  im  Dom  zu  Frauenburg 
im  Jahre  1598.  Das  Inventar  aus  diesem  Jahre  verzeichnet:  Humerale  unum  totum 
margaritis  contextum  cum  imagine  Agnus  Dei  —  Humeralia  duo  tota  gemmatis  floribus 
frondeis  similis  operis  decorata  —  Humerale  unum  cum  imaginibus  B.  V.,  S.  Catharinae 
et  Borotheae  ex  gemmis  effigiatis  —  Humerale  cum  imaginibus  Salvatoris,  S.  Petri 
et  Pauli  ex  gemmis  paratum  --  Humeralia  duo- ex  argento  solido  tota  deaurata  cum 
imaginibus  coronationis  B.  V.  et  Sanctorum  —  Humeralia  t-ria  ex  serico  viridi  cum 
bullis  maioribus  et  minoribus  argenteis  deauratis  numero  89  etc.  '  Beliebt  war  es, 
besonders  im  ganzen  Norden  und  Nordosten  von  Deutschland,  den  Humeralbesatz  mit 
silber vergoldeten  Zierplättchen  zu  schmücken,  fibulae,  Spangen,  Löbern, 
Berlein  u.  ä.  genannt.  Eine  zu  Heilsberg  befindliche  Amiktparura  zählte  deren 
nicht  weniger  als  132  \  Es  gab  sogar  Besätze,  die  ganz  aus  Silber  gearbeitet 
und,  um  sich  dem  Hals  anpassen  zu  können,  in  Glieder  abgeteilt  waren.  So  besaß 
die  St  Nicolauskirche  zu  Elbing  nach  dem  Inventar  von  15-44  „3  silberne 
überguldete  gefaltete  Humeralia,  davon  2  haben  zu  11  und  1  zu  10  gliedern",  die 
Kirche  zum  heiligen  Leichnam  nach  dem  Inventar  von  1547  „1  silbern  vergult 
groß  humeral  mit  beumen  und  bildern  von  silber  in  sieben  fachen",  der  Altar  der 
hl.  Katharina,  welcher  der  Trägerzunft  zugehörte,  „1  silbern  übergult  humeral  cum 
radice  Iesse  mit  3  gliedern  und  1  silbern  übergult  humeral  mit  einem  übergulten 
Marienbild  und  7  übergulten  gliedern".  Ein  zu  Allenstein  befindlicher  Humeral- 
besatz aus  vergoldetem  Silber  wog  mehr  als  l1/-:  m  (=   8/«  Pfd.)3. 

Zum  Schluß  noch  einige  Angaben  aus  einem  S t o  1  p e r  und  einem  Breslauer 
Inventar. 

Das  Inventar  von  Stolp  verzeichnet  die  Gegenstände,  welche  1525  den  Domini- 
kanern zu  Stolp  beim  Bildersturm  „mith  gewalt  genamen"  wurden;  darunter  17  Amikte, 
die  alle  mehr  oder  weniger  reich  mit  Spangen  besetzt  waren.  Item,  heißt  es  in  ihm, 
1  amith  resurectio  van  Perlen  und  gokle,  de  Forstynne  gegeven  heft.  Item  1  amith 
van  3  groten  Spangen  und  34  kleynen  dartho.  Item  een  grüen  amith,  Moria  (sie)  genannt, 
mit  40  Spangen.  Item  1  amith  ave  mit  51  Spangen.  Item  1  amith  10  grote  Spangen 
und   40   kleyne.     Item    1    amith   mit    12   grote  Spangen   und   36  kleyne.     Item   noch 


'  Di ttri ch ,  Inneres  Aussehen  und  innere  3  Hipler,    Die    ältesten    Schatzverzeich- 

Ausstattung  (Zeitschrift  III  [1890]  246).  nisse  9  12  41.     Dittrich  a.  a.  O.  246. 

2  Ebd.  245. 


Erstes  Kapitel.     Der  Araikt. 


41 


1  amith  4  grote  Spangen   und  37  kleyne.     Item  1  amith  roth  Sammith  mit  3  groten 
Spangen  und  20  kleynen  u.  a.  ' 

Das  Breslauer  Inventar  entstammt  dem  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  und  gibt 
den  Befund  an  Paramenten  in  der  St  Elisabethenkirche  zu  Breslau  wieder.  Auch 
hier  ist  die  Zahl  der  mit  kostbaren  Besätzen  geschmückten  Humeralien  eine  sehr 
große.  Wir  heben  aus  ihr  hervor :  Item  Eyn  Humeral  Eot  Samath  mit  Perlen  mit 
vorgulten  Cron.  Item  Czwee  Humeral  gülden  mit  Perlenn  gehafft  mit  den  nahmen  Maria 
und  mit  18  vorspan  (Zierplättchen).  Item  eyn  Humeral  gülden  mit  Perlen  gehaft  mit 
dreyen  bilden  mitten  Imago  Salvatoris  in  Majestate.  Item  Eyn  humeral  gülden  mit  Perlen 
gehafft  mit  dreyen  Bilden  Mitten  imago  Beate  Marie  virginis  cum  infantulo.  Item 
eyn  humeral  Kot  Samath  mit  fünf  Silbern  bilden  mitten  Signum  Crucifixi  mit  Silbern 
Sternen.  .  .  .  Item  Czwee  humeralia  Roth  Samath  mit  perlen  gehafft  lobwerg  mit 
Silberen  vorgulten  flatterchen.  Item  eyn  Humeral  uff  grwhner  Zeyde  mit  Silberen 
großen  Spangen  gehaft  und  mitten  an  den  spangen  der  Buchstabe  A  mit  swartzem 
gesmeltze.  Item  Eyn  Humeral  von  Kempchen  Rot  und  geel  mit  kleynen  vorgulten 
Spangeleyn  silveren  und  glackeleyn  (Grlöckchen  an  den  Zierplättchen)  daran.  .  .  .  Item 
eyn  humeral  bloe  mit  4  grossin  silberen  spangyn  clor  off  synt  bilde  mit  bloenn  grünen  und 
brawen  gesmelcze  off  den  renden  silberne  obirgulthe  pockiln  und  Korallyn  dartwischen \ 

In  Rom  kam  die  Amiktparura  um  die  Wende  des  15.  Jahrhunderts 
außer  Gebrauch.  Der  Ordo  missae  Burchards  von  Straßburg  kennt  sie  nicht 
mehr,  wie  ihm  überhaupt  die  Sitte,  den  Amikt  bis  nach  Anlegung  der  Kasel 
auf  dem  Haupt  zu  belassen,  bereits  fremd  geworden  ist.  Immerhin  gibt  es 
zu  Rom  noch  aus  der  Frühe  des  16.  Jahrhunderts  verschiedene  Monumente, 
welche  den  Amiktbesatz,  wenngleich  anscheinend  in  Form  eines  Kragens,  auf- 
weisen. Dazu  gehören  z.  B.  die  Grabfiguren  der  Kardinäle  Ascanius  Sforza  (f  1505) 
und  Hieronymus  Basso  (f  1507)  in  S.  Maria  del  Popolo,  des  Bischofs  Pietro 
de  Vincentia  (f  1504)  in  der  seitlichen  Vorhalle  von  Ära  Celi,  des  Kardinals 
Johannes  Michaeli  (f  1503)  in  S.  Marcello  al  Corso,  des  Kanonikus  von  St  Peter 
Bernardo  Capeila  (f  1524)  in  S.  Stefano  Rotondo  und  das  eines  1538  ver- 
storbenen Bischofs  in  S.  Cecilia.  Allerdings  sind  das  nur  vereinzelte  Erschei- 
nungen, bei  denen  obendrein  zum  Teil  Einflüsse  von  auswärts  maßgebend 
gewesen   sein  mögen.     Zur  Zeit,    da  das  offizielle  römische  Missale  erschien, 


1  L.  Böttger,  Die  Bau-  und  Kunstdenk- 
mäler  des  Regierungsbezirks  Köslin  II  81. 
In  einer  Anmerkung  werden  die  „  Amitlie"  irrig 
als  Kleider  des  Marienbildes  bezeichnet. 

2  Auch  die  bei  Alwin  Schultz  (Schatz- 
verzeichnisse  Breslauer  Kirchen)  mitgeteilten 
Inventare  aus  andern  Kirchen  zu  Breslau  ent- 
halten Angaben  über  kostbar  geschmückte 
Amikte.  Von  sonstigen  sei  noch  besonders 
auf  die  Schatzverzeichnisse  der  Kathedralen 
zu  London  (1245)  und  zu  Preßburg  (1416), 
die  Inventare  der  Pfarrkirche  zu  Altenburg 
(1527)  ,  der  Kapelle  des  hl.  Morand  in 
St  Stephan  zu  Wien  (1426) ,  der  Königs- 
berger Schloßkirche  (1518)  und  der  St  Micha- 
elskirche zu  Zeitz  (1514)  verwiesen.  Überall 
eine  Fülle  kostbarer  Amiktbesätze.  Bock  und 
andere  haben  geglaubt,  in  denfibulae,  Spangen, 
in  den  englischen  Inventaren  tasselli  genannt, 
das  opus  anglicanum  wiedererkennen  zu  sollen, 
von  dem  in  mittelalterlichen  Schatzverzeich- 
nissen öfters  die  Rede  ist.    Sie  irren  indessen. 


Die  Verwendung  von  Zierplättchen  zur  Aus- 
stattung der  Paramente  war  nichts,  das  Eng- 
land eigenartig  gewesen  wäre.  Sie  war  seit 
etwa  dem  13.  Jahrhundert  allenthalben  ge- 
bräuchlich, in  Frankreich  wie  in  Italien,  in 
England  wie  in  Deutschland.  Neben  dem  opus 
anglicanum  wird  in  den  Inventaren  auch  ein 
opus  theotonicum,  opus  Alamaniae,  opus  Ro- 
manum,  opus  Lucanum  usw.  genannt.  Meist 
handelt  es  sich  bei  diesen  Bezeichnungen  um 
Stickereien ,  doch  nicht  ausschließlich.  So 
wird  der  Ausdruck  opus  anglicanum  auch  oft 
von  Metallarbeiten  gebraucht.  Beispiele  bei 
G  a  y  I  33.  Wenn  dort  aus  einem  Inventar 
Karls  V.  ein  Pluviale  de  points  d'Angleterre 
angeführt  wird,  so  heißt  das  nur  ein  Pluviale 
mit  englischer  Stickerei.  Daß  es  sich  um 
eine  besondere  Stickart  handelt,  folgt  nicht 
aus  der  Angabe.  Der  richtige  Sinn  von  opus 
anglicanum,  Lucanum,  Romanum  (=  de  Ro- 
mania)  usw.  ist:  englische  Arbeit  oder  Ware, 
Fabrikat  von  Lucca,  Ware  aus  Byzanz. 


42  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

d.  i.  1570,  hatte  die  Verwendung  des  Amiktbesatzes  zu  Korn  völlig  aufgehört. 
In  dem  jenem  vorgedruckten  Ritus  celebrandi  ist  nur  von  einem  Kreuz  die  Rede, 
das  in  der  Mitte  des  Schultertuches  angebracht  sein  soll. 

Außerhalb  Roms  tritt  das  Zierstück  zu  sehr  verschiedenen  Zeiten 
vom  Schauplatz  ab.  Auf  den  Mainzer  Bischofsmonumenten  verschwindet  es  bald 
nach  Beginn  des  16.  Jahrhunderts.  Jakob  von  Liebensteins  (1504 — 1508) 
Grabfigur  ist  die  letzte,  welche  die  Amiktparura  aufweist.  Damit  stimmt 
das  Zeugnis  der  Mainzer  Bischofssiegel,  auf  denen  die  Parura  um  dieselbe 
Zeit  aufhört.  Anderswo  in  Deutschland  erhält  sich  die  Verzierung  des 
Amikts  bis  nahe  dem  17.  Jahrhundert.  So  in  Ermland,  wie  die  angeführten 
Inventare  beweisen,  in  Münster  und  Paderborn,  wie  aus  dem  Grabmal  Rem- 
bolds  von  Kerssenbroich  (f  1568)  im  Dom  zu  Paderborn  und  der  Grabplatte 
Johannes'  von  Hoya  (f  1574)  im  Dom  zu  Münster  erhellt,  in  Köln,  wie  sich 
aus  dem  Inventar  der  St  Brigiden- Kirche  vom  Jahre  1578  ergibt.  „Item",  heißt 
es  in  letzterem,  „noch  5  alven  mit  ihr  heubtdoecher  gerüstet  und  die  brederkens 
daran  geneit."  Auch  im  Rheingau  war  um  den  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts 
der  Amiktbesatz  noch  nicht  ganz  außer  Gebrauch  gekommen.  Denn  das 
Inventar  der  St  Valentinskirche  zu  Kiedrich  verzeichnet  unter  anderem  auch 
noch  „2  humeral  mit  güldenen  kragen  mit  perlen  und  silber  bestickt,  2  bloenn 
sammat  humeral,  1  grünen  humeral".  In  Brixen  verordnet  die  Synode  von 
1603,  es  sollten  die  scutella  (Schilde,  Paruren)  aus  den  Alben  und  Humeralien 
entfernt  und  ein  gesticktes  Kreuz  auf  dem  Amikt,  der  Stola  und  dem  Manipel 
angebracht  werden  x. 

In  den  Niederlanden  war  das  Zierstüek  noch  wenigstens  bis  gegen  die 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  in  Gebrauch,  wie  die  aus  Breda  stammende  Grab- 
platte des  Priesters  Wilhelm  (f  1539)  im  Rijksmuseum  zu  Amsterdam  be- 
weist. Zu  Gran  begegneten  wir  mit  Paruren  versehenen  Humeralien  noch 
beim  Ausgang  des  ersten  Jahrzehnts  des  17.  Jahrhunderts. 

In  Frankreich  fand  der  Besatz  des  Schultertuches,  wenngleich  nur 
in  beschränktem  Maße,  an  verschiedenen  Orten,  wie  z.  B.  zu  Angers,  bis  ins 
18.  Jahrhundert  hinein  Verwendung2.  In  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhun- 
derts muß  er  daselbst  noch  recht  häufig  benutzt  worden  sein.  So  war  die 
Amiktparura,  das  collet,  damals,  wie  du  Saussay  berichtet,  zu  Paris  außer  in 
Notre  Dame  auch  noch  in  den  bedeutenderen  Stifts-  und  Pfarrkirchen  in  Ge- 
brauch3. Namentlich  erhielt  sie  sich  lange  in  den  Kathedralen  Frankreichs; 
im  Lyoner  Ritus  kam  sie,  wie  früher  bereits  bemerkt  wurde,  bei  den  Diakonen 
und  Subdiakonen  in  Gestalt  eines  Kragens  sogar  bis  in  die  Gegenwart. 

Zu  Mailand  schrieb  der  hl.  Karl  den  Zierbesatz  für  die  ganze  mai- 
ländische  Kirchenprovinz  vor.  „Das  Humerale",  so  lautet  seine  Verordnung, 
„soll  in  alter  Weise  angefertigt  werden.  Es  soll  nämlich  mit  einem  Besatz 
(fascia)  versehen  werden,  welcher  über  dem  Meßgewand  wie  ein  Kragen  den 
Hals  umgibt.  Die  Ränder  dieses  Zierstückes  sollen  passend  geschmückt  und 
drei  Kreuze  auf  demselben  angebracht  werden,  eines  in  der  Mitte,  die  beiden 
übrigen  an  den  Enden.  Die  Länge  des  Besatzes  betrage  1  cub.  2  unc.  =  0,53  m, 
seine  Breite  7  unc.  —  0,13  m.  .  .  .  Wird  das  Humerale  aber  ohne  Parura  ge- 
braucht, so  muß  ein  Kreuz,  das  ca  0,035  m  groß  ist,  etwa  zwei  Finger  vom 
oberen  Rand  entfernt  eingestickt  oder  eingenäht  werden." i    Auch  im  ambrosia- 


1  C.  de  eccl.  n.  16    (Hartzh.  VIII  565).  3  Panoplia  episc.  56. 

2  Revue  1886,  172.  '  A.  E.  Med.  626. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


43 


irischen  Ritus  hat  sich  die  Amiktparura,  wie  vorhin  schon  gesagt  wurde,  in 
Form  eines  Kragens  bis  in  die  Gegenwart  erhalten  (Bild  11).  Unter  solchen 
Umständen  kann  es  natürlich  nicht  wundernehmen,  wenn  uns  das  Zierstück 
auf  den  Bildwerken  im  Gebiet  der  mailändischen  Kirchenprovinz  nicht  nur  im 
ganzen  16.  Jahrhundert,  sondern   auch  noch  später   immer  wieder   begegnet. 

Auch  im  übrigen  Italien  scheint  sich  die  Amiktparura  an  verschiedenen 
Orten  länger  als  zu  Rom  im  Gebrauch  erhalten  zu  haben.  So  wenigstens 
nach  den  Bildwerken  zu  urteilen.  Zu  Venedig  begegnet  sie  uns  z.  B.  noch 
beim  Mosaikbild  des  hl.  Geminianus  im  Portikus  von  S.  Marco,  einem  Werke 
des  Jahres  1535,  und  in  der  Accademia  bei  einem  hl.  Augustinus  von  Girolamo 
da  S.  Croce  (arbeitete  ca  1520 — 1549),  zu  Florenz  aber  treffen  wir  sie  nicht  nur 
im  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  bei  Arbeiten  aus  der  Schule  Robbias,  z.  B. 
einem  hl.  Zenobius  in  der  Opera  del  Duomo,  und 
einem  hl.  Laurentius  am  Chorgestühl  von  S.  Maria 
Novella,  einer  Schöpfung  Baccio  d'Agnolos  (1460  bis 
1543),  sondern  auch  beim  Grabmal  des  Bischofs 
Paulus  Jovius  von  1574  im  Kreuzgang  von  S.  Lo- 
renzo,  dem  Fresko  Passignanos  (1560 — 1638)  „Die 
Übertragung  des  hl.  Antonin"  in  S.  Marco  und  der 
„Gründung  des  Servitenordens",  einem  Fresko  im 
Kreuzgang  der  Annunziata.  Auch  schreibt  noch  im 
17.  Jahrhundert  Kard.  Bona  (f  1674):  Sunt  quidam, 
qui  amictui  ex  holoserico  vel  aurea  textura  plagulam 
assuunt  colori  et  opificio  casulae  sive  stolae  con- 
similem.  Ambrosiani  tertio  loco  amictum  sumunt1. 
Es  waren  also  zu  Bonas  Zeiten  wohl  nicht  bloß  die 
Ambrosianer,  welche  die  Parura  noch  beibehalten 
hatten.  Wenn  freilich  Benedikt  XIV.  ein  Jahr- 
hundert später  von  der  in  Rede  stehenden  Gepflo- 
genheit spricht2,  so  denkt  er  wahrscheinlich  nur 
an  die  Ambrosianer.  Denn  außer  ihnen  dürfte  sich 
damals  sonst  niemand  mehr  in  Italien  der  Amikt- 
parura bedient  haben.  Wie  in  Mailand  und  Lyon, 
so  starbauch  in  Spanien  der  Gebrauch  der  Parura 
nicht  ganz  aus. 

Übrigens  wäre  es  irrig,  wollte  man  glauben,  es  sei,  seitdem  einmal  die 
Amiktbesätze  aufgekommen  waren,  das  Schultertuch  stets  mit  solchen  aus- 
gestattet gewesen.  Die  Inventare,  die  neben  amictus  parati  auch  von  ein- 
fachen Humeralien  sprechen,  beweisen  das  Gegenteil.  Wie  es  scheint,  wurden 
die  mit  Besätzen  versehenen  Amikte  vornehmlich  von  höher  stehenden  Geist- 
lichen oder  an  Festtagen  getragen. 

Nach  Hraban,  Pseudo-Alkuin  und  Pseudo-Beda  wurde  das  Superhumerale, 
wie  sie  das  Schultertuch  nennen,  aus  Linnen  angefertigt.  So  blieb  es  auch, 
wie  wir  aus  den  späteren  Liturgikern  des  Mittelalters  sehen,  in  der  Folgezeit. 
Wohl  hören  wir  in  den  Inventaren  hie  und  da  von  seidenen  Humeralien. 
Doch  ist  dann  meist  der  Besatz  gemeint.  Ganz  aus  Seidenstoff  verfertigte 
Amikte  kommen  zwar  auch  hie  und  da  in  mittelalterlichen  Inventaren  vor,  doch 
blieben  sie  stets  Ausnahme.    Eine  strenge  Vorschrift,  das  Humerale  aus  Linnen 


Bild  11.     Amiktkragen  nach 
Mailänder  Gebrauch. 


Rer.  liturg.  1.  1,  c.  24,  §  3,  II  219. 


-  De  SS.  Sacrif.  Missae  1.  1,  c.  7,  n.  5,  p.  47. 


44  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

anzufertigen,  scheint  übrigens  nicht  bestanden  zu  haben.  Es  ist  uns  weder 
eine  allgemeine  noch  eine  partikulare  Bestimmung  dieser  Art  bekannt.  Eine 
der  ersten  ausdrücklichen  Verordnungen,  welche  das  Humerale  aus  Linnen  ge- 
macht wissen  will,  dürfte  diejenige  des  hl.  Karl  Borromäus  sein.  In  die 
Fußstapfen  dieses  großen  Reformators  im  guten  Sinn  eintretend,  bestimmte 
ein  Vierteljahrhundert  später  auch  die  Provinzialsynode  von  Prag  vom  Jahre 
1605,  es  sollte  der  Amikt  aus  weißer  Leinwand  gemacht  werden1. 

V.    URSPRUNG  DES  SCHULTERTUCHES.     SEINE  NAMEN. 

Über  die  Ursachen,  welchen  der  Amikt  seine  Aufnahme  unter  die  litur- 
gischen Gewänder  verdankt,  finden  sich  verschiedene  Ansichten. 

Mittelalterliche  Liturgiker  und  mit  ihnen  einzelne  neuere  sahen  in  ihm 
eine  Nachbildung  des  Schulterkleides  (ephod,  imo/iig,  superhumerale) 
des  jüdischen  Hohenpriesters,  weshalb  jene  den  Amikt  nicht  selten  Ephod 
oder  Superhumerale  nennen.  Daß  jedoch  der  Ephod  des  Alten  Bundes  Anlaß 
zur  Einführung  des  Humerale  gewesen,  ist  abgesehen  von  der  verschiedenen 
Gestalt  und  Beschaffenheit  beider  Gewänder  schon  darum  zu  verneinen,  weil 
er  mitsamt  dem  sog.  Richtschmuck  (chosen,  Xöywv,  rationale)  das  oberste  und 
vornehmste  Kleid  des  alttestamentlichen  Pontifex  bildete,  der  Amikt  aber, 
mag  er  nun  anfänglich  über  oder  unter  der  Albe  getragen  worden  sein,  stets 
nur  ein  nebensächliches  TJntergewand  darstellte.  Nachher  freilich,  als  man 
einmal  anfing,  die  Kultgewänder  des  Neuen  Bundes  mit  denen  des  Alten 
Bundes  zu  vergleichen,  hat  man,  um  eine  Analogie  für  das  Schultertuch  zu 
finden,  dasselbe  wohl  oder  übel  mit  dem  Ephod  in  Verbindung  gebracht.  Der 
einzige  Anhaltspunkt  hierfür  lag  in  dem  Umstände,  daß  beide  über  den  Schul- 
tern getragen  wurden  (superhumerale  —  humerale). 

Rohault  de  Fleury2  scheint  unter  der  Voraussetzung,  daß  der  Amikt  vor 
allem  Hauptbedeckung  habe  sein  sollen,  zur  Annahme  zu  neigen,  das 
Kopftuch  heidnischer  Priester  habe  zu  seinem  Gebrauch  geführt,  wobei  der 
Schleier,  den  der  Apostel  den  Frauen  für  den  Gottesdienst  vorschreibt,  gleich- 
sam das  Zwischenglied  gewesen  sei.  Allein  er  übersieht,  daß  er  kurz  vor- 
her selbst  den  Kanon  des  unter  Zacharias  743  gefeierten  römischen  Konzils 
anführt,  der  -  -  also  noch  in  der  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  —  unter  Be- 
rufung auf  1  Kor  11,  4  bestimmt,  kein  Bischof,  Priester  und  Diakon  dürfe 
am  Altare  bedeckten  Hauptes  erscheinen 3.  Obendrein  sei  daran  erinnert,  daß 
das  Schultertuch  ursprünglich  nur  ein  Halstuch  war  und  die  Sitte,  es  beim 
Ankleiden  auf  den  Kopf  zu  legen,  erst  nachträglich  aufkam.  Aber  auch  dann 
war  der  Amikt  noch  immer  bloß  im  weiteren  Sinne  eine  Kopfhülle.  Der  in 
Frankreich  vorkommende  Brauch,  ihn  bei  der  Messe  bis  zu  der  Sekreta  oder 
dem  Kanon  auf  dem  Kopf  zu  behalten,  ist  sehr  späten  Ursprungs  und  durch- 
aus unrömisch. 

Eine  dritte  Ansicht  geht  dahin,  das  Humerale  verdanke  seine  Aufnahme 
unter  die  liturgischen  Gewänder  mystischen  Erwägungen.  So  hat  man 
gemeint,  es  habe  vielleicht  der  Umstand,  daß  man  symbolisch  den  Helm  des 
Heiles  oder  den  Schirm  gegen  die  Versuchungen  habe  darstellen  wollen,  dazu 


'  C.  13  (Hartzh.  VIII  691).  missarum   sollemnia   praesuraat   cum   baculo 

2  La  messe  VII  4  10.  introire    aut   velato    capite    altario    assistere 

3  C.  13  (Hard.  III  1929):  Ut  nullus  epi-  (quoniam  et  apostolus  prohibet  viros  velato  ca- 
scopus,  presbyter  aut  diaconus  ad  celebrandum  pite  orare  in  ecclesia).  lief.,  Concilien  III  517. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt.  45 

geführt,  es  der  gottesdienstliehen  Kleidung  einzufügen,  während  von  anderer 
Seite  die  Vermutung  ausgesprochen  wurde,  der  Amikt  sei  anfänglich  nur  für 
den  Priester  bestimmt  gewesen  und  habe  demselben  das  sein  und  symbo- 
lisieren sollen,  was  das  erzbischöfliche  Pallium  ist  und  bedeutet,  eine  Insignie 
und  ein  Symbol  des  Hirtenamtes. 

Allein  auch  diese  Erklärungen  können  nicht  befriedigen.  Wer  die  Ge- 
schichte der  liturgischen  Gewänder  verfolgt  hat,  weiß,  daß  nicht  mystische  An- 
schauungen und  Grübeleien  die  Sakralkleidung  geschaffen  haben,  sondern  daß  sich 
diese  naturgemäß  aus  der  Volkstracht  herausgestaltete,  und  daß  die  mehr  oder 
minder  tiefsinnigen  und  ansprechenden  Deutungen,  welche  die  liturgischen  Klei- 
der erfahren  haben,  nicht  denselben  vorausgingen,  sondern  an  das  Bestehende  an- 
knüpften. Der  zweiten  Erklärung  gegenüber  aber  ist  noch  insbesondere  zu  be- 
merken, daß  sich  unter  den  mystischen  Deutungen  des  Humerale  niemals  eine 
findet,  welche  dieses  als  Symbol  des  Hirtenamtes  betrachtet.  Außerdem  wider- 
spricht sie  völlig  dem  Charakter  des  Schultertuches.  Dasselbe  erscheint  stets  als 
minder  bedeutsames  Untergewand,  während  das  Pallium  als  auszeichnendes 
Abzeichen  der  erzbischöflichen  Würde  über  allen  andern  Gewändern  getragen 
wurde.  Außerdem  kam  es  ursprünglich  so  wenig  nur  den  Priestern  zu,  daß 
diese  vielmehr  nach  römischem  Brauch  noch  bis  ins  9.  Jahrhundert  hinein  kein 
anagolagium  getragen  zu  haben  scheinen;  denn  der  S.  G.  K.  vermerkt  es  bloß 
bei  dem  Papst,  den  Diakonen  und  Subdiakonen,  nicht  aber  den  Priestern. 

Eine  vierte  Meinung  endlich  leitet  wie  die  übrigen  liturgischen  Gewän- 
der so  auch  den  Amikt  von  einem  entsprechenden  Bestandteil  der  Alltags- 
tracht ab.  Sie  ist  zweifellos  die  richtige.  Man  braucht  in  der  Tat  nicht 
weit  zu  gehen,  um  den  Ursprung  des  Amiktes  zu  erklären.  Er  ist  nichts 
anderes  als  das  im  profanen  Leben  unter  Namen  wie  amictus,  focale,  pallidum, 
pallium,  mappula,  orarium  bekannte  und  gebräuchliche  Hals-  oder  Schulter- 
tuch. Es  fand  bei  allen  Klassen  der  Bevölkerung  Verwendung,  bei  hoch  und 
niedrig,  arm  und  reich,  vornehm  und  gering,  natürlich  in  verschiedener  Be- 
schaffenheit und  Ausstattung.  Bedienten  sich  doch  selbst  die  römischen  Sol- 
daten der  Halstücher,  wie  wir  aus  verschiedenen  interessanten  Reliefs  der 
Trajanssäule  entnehmen.  Wir  geben  zwei  derselben  (Bild  12  und  13,  S.  46)  wieder. 
Das  eine  stellt  Soldaten  mitten  im  Kampfe  dar.  Sie  tragen  das  Koller  und 
um  den  Hals  ein  Halstuch,  das  unter  dem  Kinn  in  einen  Knoten  geschlungen 
ist.  Das  zweite,  einer  Belagerungsszene  entnommen,  zeigt  uns  zwei  Soldaten  im 
Küraß  und  eine  Anzahl  mit  der  Pänula  bekleideter  Soldaten.  Die  einen  wie  die 
andern  sind,  wie  sich  deutlich  erkennen  läßt,  mit  dem  Halstuch  versehen. 

Häufig  trifft  man  namentlich  Halstuch  und  Pänula  zusammen,  so  z.  B. 
zweimal  auf  der  Trajanssäule  bei  Trajan  selbst,  das  eine  Mal  bei  seiner  Ein- 
schiffung zum  zweiten  Feldzug  gegen  die  Dacier,  das  andere  Mal  bei  einer 
Opferszene 1,  ferner  auf  Skulpturen  der  Rostrabrüstung,  auf  Reliefs  des  Triumph- 
bogens des  Septimius  Severus  auf  dem  römischen  Forum  u.  a.,  und  zwar  be- 
weisen die  Bildwerke  der  Rostrabrüstung  mit  aller  Bestimmtheit,  daß  man  sich 
des  Halstuches  nicht  bloß  beim  Militär,  sondern  auch  im  bürgerlichen  Leben  zur 
Pänula  bediente.  Auch  die  römischen  Monumente  im  Norden  weisen  treffliche 
Beispiele  für  den  Gebrauch  des  Halstuches  auf.  Es  findet  sich  auch  hier  bei 
Militär-  wie  bei  Zivilpersonen,  und  zwar  ebensowohl  zur  Pänula  wie  unter  der 
Tunika.    Zwei  der  trefflichsten  Beispiele  finden  sich  im  römisch-germanischen 


1  Vgl.  die  Abbildung  der  Szene  weiter  unten  in  dem  der  Kasel  gewidmeten  Kapitel. 


46 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


Zentralmuseum  zu  Mainz.  Es  sind  die  Grabstelen  des  Centurio  Faltonius 
(Bild  14)  und  eines  Schiffers  namens  Blussus  1.  Ein  Sklave  Peregrinus 
in  Pänula  und  Halstuch  erscheint  auf  einem  Speierer  Grabstein 2,  eine  Frau 
mit  Halstuch  auf  dem  Grabmonument  Nr  51  im  Museum  römischer  Altertümer 
des  Historischen  Vereins  zu  Regensburg.  Andere  Beispiele  bieten  die  römischen 
Altertümer  zu  Luxemburg.  Daß  aber  Halstücher  nicht  bloß  in  den  drei  ersten 
Jahrhunderten,  sondern  auch  noch  in  den  folgenden  in  Gebrauch  waren,  dafür 
haben  wir  mancherlei  Zeugnisse.  Hieronymus  redet  z.  B.  in  dem  Brief  an 
Nepotian  von  einem  linnenen  Amikt,  den  er  gleich  darauf  sudarium  orariumque 
nennt3.  Es  ist  also  eine  Art  von  Halstuch,  wovon  er  spricht.  Von  dem 
hl.  Fulgentius,  Bischof  von  Ruspe  (f  533),  berichtet  sein  Biograph,  es  habe 
derselbe  unter  der  Kasel  ein  schwärzliches  oder  weißliches  Umschlagtuch  ge- 
tragen, ja  bei  gutem  Wetter  innerhalb  des  Klosters  sich  auch  wohl  bloß  dieses 


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Bild  12  und  13.     Reliefs  der  Trajanssäule  zu  Rom. 

Tuches  zur  Tunika  bedient 4.  Wiederholt  ist  ferner  von  dem  Schultertuch  in 
den  alten  Mönchsregeln  die  Rede,  wie  z.  B.  in  des  Hieronymus  Übersetzung 
der  Regel  des  hl.  Pachomius,  wo  zu  den  Kleidern,  die  ein  jeder  Mönch  er- 
halten solle,  auch  ein  linnener  Amikt  gerechnet  wird,  und  in  den  Regeln  des 
hl.  Isidor,  in  denen  jedem  Klosterinsassen  außer  zwei  pallia  eine  mappula 
zugestanden  und  bestimmt  wird,  man  solle,  falls  man  nicht  das  pallium  trage, 
mit  der  mappula  die  Schultern  bedecken.  Von  einem  palliolum  lineum  bzw. 
einem  palliolum  lesen  wir  in  den  Regeln  des  hl.  Orsiesius  und  des  hl.  Fruc- 


1  Eine  Abbildung  des  Grabsteines  des 
Blussus  s.  unten  im  Kapitel,  welches  die  Kasel 
behandelt.  Die  Photographien  beider  Monu- 
mente erhielt  ich  durch  die  Güte  des  Herrn 
Prof.  E.  Neeb  zu  Mainz. 


2  Abbildung   in    Bonner  Jahrbücher   1902, 
Tl  5,  Fig.  3. 

3  Ep.  52  ad  Nepot.  n.  9  (M.  22,  535). 
*  C.  18,  n.  37  (M.  65,  135). 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


47 


tuosus1.  Es  diente,  wie  wir  von  Cassian  vernehmen,  als  Ersatz  des  Ober- 
gewandes'2. Auch  unter  dem  orarium,  von  dem  bei  Behandlung  der  Stola 
die  Rede  sein  wird,  ist  verschiedentlich  ein  Halstuch  zu  verstehen. 

Was  aber  war  der  Anlaß,  daß  man  zu  Rom  —  denn  hier  geschah  das 
ohne  Zweifel  zuerst  --  das  profane  Schultertuch  der  liturgischen  Kleidung 
einreihte?  Waren  es,  wie  man  gesagt  hat,  praktische  Gründe,  etwa  das  Be- 
streben, die  oft  kostbaren  Oberkleider  gegen  Schweiß  zu  schützen,  For- 
derungen des  Anstandes,  welcher  eine  Entblößung  des  Halses  bei  der  Liturgie 
als  wenig  geziemend  erscheinen  lassen  mochte,  das  Bedürfnis  nach  wärmerer 
Kleidung  bei  den  heiligen  Funktionen  in  den  oft  kalten  und  zugigen  Kirchen, 
die  Notwendigkeit,  für  Erhaltung  der  Stimme  Sorge  zu  tragen?  Wie  es 
scheint,  kaum.  Die  nach  Personen  und  Zeit  so  beschränkte  Verwendung, 
welche  der  Amikt  bis  ins  9.  Jahrhundert  zu  Rom  fand,  spricht  dagegen.  Denn 
jene  praktischen  Gründe  galten  ja  doch 
nicht  bloß  in  Bezug  auf  den  Papst  und 
seine  Ministri,  sondern  auch  in  Bezug 
auf  die  andern  Geistlichen,  nicht  bloß 
hinsichtlich  der  Dalmatik ,  sondern 
auch  hinsichtlich  der  Kasel  und  Tu- 
nika, und  nicht  bloß  für  die  Feste, 
sondern  auch  für  die  sonstigen  Tage. 
Höchstens  ließe  sich  denken,  daß  die 
Rücksicht  auf  Schonung  der  wertvollen 
weißen  Obertunika  des  Papstes,  seiner 
Diakone  und  Subdiakone  auf  die  In- 
gebrauchnahme des  Amiktes  von  eini- 
gem Einfluß  gewesen  sei.  Es  dürfte  daher 
wohl  zutreffender  sein,  wenn  wir  seine 
Aufnahme  unter  die  liturgischen  Ge- 
wänder des  römischen  Ritus  nicht  so- 
wohl praktischen  Erwägungen  als  viel- 
mehr dem  Umstände  zuschreiben,  daß 
zur  Zeit,  da  die  sakrale  Galakleidung 
des  Papstes  und  seiner  nächsten  Mi- 
nistri ihre  Ausgestaltung  erhielt,  ein 
Amikt  überhaupt  zum  Bestand  einer  hochvornehmen  Festgewandung  gehörte, 
und 


Bild  14.     Grabstele  des  Centurio  Faltonius. 
Mainz,  Rüniisch-german.  Zentralmuseum. 


es  darum  angezeigt  schien, 


ihn  auch  der  Festkleidung  des  obersten  Litur- 


gen  und  seiner  unmittelbaren  Altargehilfen  einzureihen. 

Das  liturgische  Schultertuch  begegnet  uns  mit  Sicherheit  erst  im  Verlauf 
des  8.  Jahrhunderts.  Die  obigen  Ausführungen  machen  es  jedoch  mehr  als  wahr- 
scheinlich, daß  es  schon  eine  gute  Weile  vorher  in  Gebrauch  gewesen  sei.  Sollte 
der  Abschnitt,  in  welchem  der  erste  Ordo  Mabillons  die  Weise  und  Reihenfolge 
beschreibt,  in  denen  der  Papst  mit  den  liturgischen  Gewändern  bekleidet 
werden  mußte,  dem  gregorianischen  Kern  des  Ordo  angehören,  so  hätte  der 
Amikt  schon  um  das  Ende  des  6.  Jahrhunderts  zu  Rom  den  Charakter  eines 


1  Hieron.,  Tratisl.  reg.  S.  Pachom.,  prae- 
fatio  4  (M.  22,  64);  reg.  S.  Isidori  (Con- 
cord.  reg.  S.  Benedict.  Aman.  c.  62,  §  10 
[M.  103,  1244]) ;  ebendort  auch  §  13  ex  doctr. 


S.  Orsiesii  (ebd.  1245)  und  §  17  reg.  S.  Fruc- 
tuosi  ep.  Bracc.  (ebd.  1248). 

2  De  coenobiorum  institutis  1.  1,  o.  7   (M. 
49,  72). 


48 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


Kultgewandes  gehabt.    Allein  er  ist  sehr  wahrscheinlich  nur  ein  Einschiebsel 
aus  der  Zeit  der  Redaktion  des  Ordo,  d.  i.  dem  8.  Jahrhundert. 

Was  die  Namen  des  liturgischen  Schultertuches  anlangt,  so  heißt  es  auffälliger- 
weise in  den  ältesten  römischen  Ordines  überall  anagolaium,  anagolagium. 
anabolagium ;  es  muß  das  daher  die  offizielle  Bezeichnung  gewesen  sein,  welche  man 
im  9.  und  10.  Jahrhundert  zu  Eom  für  das  Gewandstück  hatte.  Das  Wort  dürfte 
aus  anabolaium  (gr.  avaßolaiov),  Umwurf,  verderbt  sein.  Der  Name  war  noch  im 
11.  Jahrhundert  die  eigentlich  römische  Benennung  des  Schultertuches.  Denn 
in  der  Bulle  vom  Jahre  1049,  worin  Leo  IX.  dem  Stifter  das  Klosters  Heiligkreuz 
zu  Donauwörth,  Mangold  von  Kyburg,  und  dessen  Nachkommen  die  Vogtei  über  das- 
selbe überträgt,  wird  als  jährlich  nach  Rom  zu  entrichtende  Abgabe  neben  einer 
goldverzierten  Stola,  einem  Manipel  und  einem  Cingulum  auch  ein  anabolagium,  das 
bezeichnenderweise  für  die  Adressaten  durch  das  ihnen  verständlichere  fano  erläutert 
wird,  genannt:  anabolagium  i.  e.  fanonem i.  Anderthalb  Jahrhundert  später  war  die 
Bezeichnung  ganz  abgekommen,  um  dem  aus  dem  Norden  stammenden  Namen  amictus 
für  immer  Platz  zu  machen.  Schon  Innozenz  III.  bezeichnet  das  Schultertuch  nur 
noch  mit  amictus.  Auch  in  den  Ordines  des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts  führt 
dasselbe  ausschließlich  diesen  Namen.  Statt  anagolagium  war  amictus  die  offizielle 
römische  Benennung  des  Gewandes  geworden,  die  denn  auch  in  das  römische  Missale, 
in  das  Pontifikale  und  in  das  Caeremoniale  überging.  Außerhalb  Boms  scheint  die 
Bezeichnung  anagolagium  nirgends  gebräuchlich  gewesen  zu  sein.  Hier  hieß  es  bald 
in  Erinnerung  an  das  Ephod  des  alttestamentlichen  Hohenpriesters  superhumerale,  bald 
einfach  humerale,  Schultertuch,  bald  amictus,  vereinzelt  auch  fano. 

Am  gewöhnlichsten  war  der  Name  amictus.  Im  klassischen  Latein  bezeichnet 
das  Wort  allgemein  jede  Verhüllung,  im  besondern  Sinne  aber  einen  mantelartigen  Um- 
wurf 2.  Der  Etymologie  nach  von  derselben  Bedeutung  wie  avaßoXaiov  war  es  zweifels- 
ohne ein  guter  Ersatz  für  das  griechisch-römische  verderbte  anagolagium.  Als  Be- 
zeichnung des  Schultertuches  kommt  der  Ausdruck  schon  in  dem  aus  dem  Beginn 
des  9.  Jahrhunderts  stammenden  Verzeichnis  der  von  Angilbert  dem  Kloster  des 
hl.  Richarius  zu  Centula  (St-Riquier,  Somme)  geschenkten  Paramente  vor.  Auf  die 
Verbreitung,  welche  er  gewann,  dürfte  nicht  ohne  Einfluß,  gewesen  sein,  daß  er  bei 
Amalar,  dessen  liturgische  Schriften  für  die  Folgezeit  von  so  großer  Bedeutung  waren, 
als  Name  des  Schultertuches  gebraucht  ist. 

Die  Bezeichnungen  superhumerale  und  humerale3  waren  namentlich  in 
Deutschland  beliebt,  anderswo  scheinen  sie  nur  wenig  angewandt  worden  zu  sein.  Wo 
immer  in  deutschen  Inventaren  vom  Schultertuch  die  Rede  ist,  heißt  es  fast  regelmäßig 
superhumerale  und  humerale ,  verdeutscht  humeral ,  umbral ,  umbalar  u.  ä.  Super- 
humerale  begegnet   uns   schon  bei  Hraban,  humerale  in  einem  Inventar  von  Pfäffers 


1  J.  4207.  Über  die  Form  ambolagium  statt 
anabolagium  s.  oben  S.  26.  V.  Ermoni  führt 
anagolagium  auf  gula  zurück,  ein  Verfahren, 
das  ein  wenig  an  die  im  Mittelalter  beliebte 
Ableitungsweise  erinnert.  (Dom  F.  Cabrol, 
Dictionnaire  d'archeologie  chröt.  I,  Paris  1904, 
1597).  Schon  die  Endung  agium  beweist  das 
Unzutreffende  einer  solchen  Etymologie.  Ana- 
golagium ist  verderbt  aus  anabolagium  und 
dieses  aus  anabolaion.  In  einem  griech.-latein. 
Schulgespräch  (Corp.  Gloss.  III  645,  2,  bei 
Mommsen-Blümn  er,  Der  Maximaltarif 
des  Diokletian,  Berlin  1893,  170)  wird  das 
mit  anagolaium  sachlich  identische  ävaßöXcuov 
mit  palla  wiedergegeben :  inoirjaa  TtBpi  tuv 
rpä'/pikov  ävaßöXcuov,  feci  circa  Collum  pallam. 


Über  das  Schultertuch  wurde  ein  i-sväürrjg 
Xsuxog,  eine  Pänula,  angezogen. 

-  Vgl.  Forcell.  unter  amictus  I  154  und 
namentlich  Thesaurus  linguae  latinae  (Leip- 
zig 1904)  unter  amictus  I  1899  ff. 

3  Beim  römischen  Juristen  Paulus  (Dig.  49, 
16,  14),  der  unter  Septimius  Severus,  also 
ca  200  lebte,  ist  von  einem  humerale  der 
Soldaten  die  Rede.  Dem  Soldaten,  heißt  es 
dort,  welcher  das  tibiale  und  humerale  ver- 
kaufe ,  sollten  dafür  Prügel  als  Strafe  zu 
teil  werden.  Wie  es  scheint,  ist  unter  dem 
humerale  eben  das  Schultertuch  zu  verstehen, 
welches  wir  auf  den  früher  erwähnten  römi- 
schen Monumenten  bei  Soldaten  unter  der  Pä- 
nula um  den  Hals  herum  hervorkommen  sehen. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


49 


(Schweiz)    aus    der  Wende   des  9.  Jahrhunderts.     Superhumerale  kam  übrigens,   wohl 
weil  zu  langatmig,  schon  seit  Ausgang  des  11.  Jahrhunderts  bald  in  Abgang. 

P  a  n  o  (fanum)  ward  später  zur  Benennung  des  päpstlichen  Sonderschultertuches, 
das  den  Gegenstand  des  folgenden  Kapitels  bilden  wird.  Bereits  im  13.  Jahrhundert 
hieß  dasselbe  fano  (fanum). 


VI.    DAS  SCHULTERTUCH  IN  DEN  ORIENTALISCHEN   RITEN. 

Was  die  Ostkirche  anlangt,  so  gibt  es  ein  liturgisches  Schultertuch 
nur  im  armenischen,  syrischen  und  koptischen  Ritus. 

Das  Schultertuch  der  Armenier,  Vakas  (Bild  15),  stellt  einen  Amikt 
genau  von  der  Art  dar,  wie  er  im  Abendland  seit  Mitte  des  12.  Jahrhunderts 
üblich  war,  nur  daß  dem  Besatz  am  oberen  Saum  durch  eingelegten  Karton 
eine  fast  bretterne  Steifheit  gegeben  ist.  Über  Stoff  und  Farbe  bestehen  keine 
Vorschriften.     Der  Besatz   ist   in    seiner 


Mitte  mit  einem  Kreuz  geschmückt. 


Wie 


im  ambrosianischen  Ritus  wird  das  Schul- 
tertuch über  der  Tunika  getragen,  es 
bedienen  sich  seiner  aber  nur  die  Bischöfe 
und  Priester,  nicht  die  Diakone  und  Sub- 
diakone.  Angelegt  wird  es  vollständig  in 
derselben  Weise  wie  ehedem  der  abend- 
ländische amictus  paratus.  Es  kommt 
nämlich  ebenfalls  zunächst  auf  den  Kopf 
zu  liegen,  und  zwar  so,  daß  der  Besatz 
sich  von  der  einen  Schläfe  zur  andern 
zieht;  dann  wird  es  mittelst  der  Schnüre 
angebunden;  hierauf  wird  der  liturgische 
Mantel  umgeworfen  und  nun  das  Tuch 
auf  die  Schultern  herabgelassen  und  kra- 
genförmig  um  den  Hals  gelegt.  Im  syri- 
schen Ritus  ist  zwischen  Maroniten  und 
Jakobiten  (unierten  und  nicht  unierten) 
zu  unterscheiden.  Bei  ersteren  ist  das 
Schultertuch,  macnaftä,  in  allem  dem 
armenischen  Amikt  gleich.  Bei  letzteren 
ist  es  in  zweifacher  Hinsicht  von  diesem 

verschieden.  Erstens  hat  nämlich  der  Besatz  nicht  i'echteckige  Gestalt,  sondern 
die  Form  eines  Kreisabschnittes.  Dann  ist  das  Schultertuch  bei  den  Jakobiten 
nicht  Bischöfen  und  Priestern  gemeinsam,  sondern  ein  privilegiertes  Gewand  der 
Bischöfe.  Keinen  Amikt  gibt  es  bei  den  schismatischen  Kopten;  denn 
die  lange,  mit  Kreuzen  versehene  Binde  (ballin,  tailasan),  welche  die  Priester 
und  Bischöfe  derselben  nach  Art  eines  Turban  so  um  den  Kopf  schlingen,  daß 
die  Enden  über  die  Schultern  herabfallen,  ist  nicht  ein  Schultertuch,  sondern 
eine  Kopfbedeckung.  Wohl  aber  ist  er  bei  den  unierten  Kopten  in  Gebrauch. 
So  wie  er  hier  jetzt  beschaffen  ist,  unterscheidet  er  sich  in  keiner  Weise  von  dem 
lateinischen  Humerale.  Insbesondere  wird  er  auch  wie  dieses  unter  der  Tunika 
getragen.  Ehedem  bedeckte  man  jedoch  mit  ihm  den  Kopf,  weshalb  er  mit 
reichen  Stickereien  in  Seide,  Silber  und  Gold  versehen  zu  werden  pflegte.  Nur 
während  des  Evangeliums  und  des  Kanons  ließ  man  ihn  auf  die  Schultern  herab 1. 

1  Nach  gütigen  Mitteilungen  des  koptischen  Bischofs  von  Minieh.  Mons.  Maximos  Sedfaui. 

Braun,   Die  liturgische  Gewandung.  4 


Bild.  15.     Schultertuch  und  liturgische 
Stauchen  im  armenischen  Ritus. 


50  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Über  die  Geschichte  des  liturgischen  Schultertuches  des  armenischen 
Ritus  läßt  sich  nichts  feststellen.  Fände  es  sich  nur  bei  den  Armeniern,  so 
ließe  sich  vielleicht  annehmen,  es  sei  durch  die  Bemühungen  der  sog.  Unitores 
im  14.  Jahrhundert  oder  schon  bei  den  Unionsbestrebungen  im  Beginn  des 
13.  Jahrhunderts  bei  ihnen  eingeführt  worden  und  demgemäß  dem  abend- 
ländischen Ritus  entnommen.  Allein  wir  treffen  es  auch  bei  den  Maroniten 
und  Syrern,  bei  welch  letzteren  es  sogar  den  Charakter  eines  spezifisch  ponti- 
fikalen  Gewandstückes  hat.  Seine  Heimat  ist  daher  zweifelsohne  im  Orient 
selbst  zu  suchen,  und  zwar  hat  es  sich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aus  einer 
kapuzen artigen  Kopfbedeckung  herausgebildet,  so  daß  es  also  ursprünglich 
nicht  eine  Art  Schultertuch,  sondern  ein  Kopftuch  gewesen  wäre.  Nerses  von 
Lampron  erwähnt  den  Vakas  in  seiner  Erklärung  der  göttlichen  Liturgie  noch 
nicht;  er  ist  ihm  offenbar  noch  unbekannt.  Aber  er  gedenkt  auch  in  ihr 
keiner  liturgischen  Kopfbedeckung.  Indessen  redet  schon  einige  Jahrzehnte 
früher  der  Katholikos  Isaak  in  seinen  Invectivae  adversus  Armenos  1  von  einem 
doppelten  y.afiyjXauxwv,  mit  dem  Bischöfe  und  Hegumene  bei  der  Liturgie  ihr 
Haupt  bedeckten,  ein  Brauch,  den  er  freilich  in  scharfen  Worten  als  durch- 
aus unstatthaft  rügt.  Man  wird  wohl  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  das  eine 
dieser  y.ap.rjlw'r/xa  als  eine  Art  Kopfschleier  auffaßt  und  auf  dasselbe  den  jetzigen 
Vakas  zurückführt.  Wenn  Nerses  dieser  Kopfbedeckung  bei  Aufzählung  und 
Beschreibung  der  liturgischen  Gewänder  nicht  gedenkt,  so  dürfte  das  darin 
seinen  Grund  haben,  daß  auch  er,  der  von  der  Erhabenheit  der  Liturgie  so 
durchdrungen  war,  jene  za/uykauzia  als  unzulässig  und  als  Mißbrauch  ansah 
und  darum  der  gottesdienstlichen  Kleidung'  nicht  zurechnete. 

Bei  den  Nestorianern,  welche  ein  Schultertuch  nicht  kennen,  tragen 
die  Bischöfe  noch  jetzt  eine  Kopf  hülle,  biruna,  von  welcher  Assemani  sagt: 
„cidaris,  phrygio  opere  ornata,  qua  caput  tegitur  estque  instar  amictus  latini, 
quo  fratres  minores  cucullum  tegunt,  dum  e  sacrario  ad  altare  pergunt,  litur- 
giam  celebraturi 2.  Sie  ist  dieser  Beschreibung  zufolge  allem  Anschein  nach 
dasselbe  Gewandstück  wie  die  syrische  Macnaftä  und  der  armenische  Vakas. 
Auf  das  Alter  der  biruna  wirft  Licht,  daß  nicht  nur  Amru  (ca  1340)  in  seiner 
Geschichte  der  nestorianischen  Patriarchen3,  Ebedjesu  (f  1318)  in  seinem  Ab- 
riß der  Synodalkanones 4  und  Barhebräus  (y  1286)  in  seiner  Chronik5  sie  er- 
wähnen, sondern  auch  schon  „das  Buch  der  Väter"  (12.  Jahrh.)  in  seiner  Aus- 
legung der  liturgischen  Gewänder  von  ihr  spricht.  Sie  wird  jedoch  nach  einer 
Äußerung  Georgs  von  Arbela  (f  ca  990)  noch  viel  weiter  hinaufreichen  B. 

Daß  die  Macnaftä  der  syrischen  Bischöfe  —  und  somit  auch  wohl 
der  Vakas  der  Armenier  —  ursprünglich  in  der  Tat  eine  Kopfbe- 
deckung gewesen  ist,  geht  aus  den  Miniaturen  eines  syrischen  Manuskriptes 
der  Pariser  Nationalbibliothek7  aus  dem  Jahre  1239  hervor  (Bild  16).  Die- 
selben stellen  die  Erteilung  der  heiligen  Weihen  dar.  Dabei  tragen  die 
Bischöfe  um  den  Kopf  eine  weiße,  kapuzenartige,  über  der  Stirn  mit  einem 
Kreuz  geschmückte  Hülle,  wie  man  sie  auch  wohl  bei  den  orientalischen 
Mönchen,  aus  denen  die  Bischöfe  genommen  zu  werden  pflegten  und  pflegen, 
auf  den  Miniaturen  antrifft.    Auf  den  Nacken  zurückgeschlagen  und  oben  mit 


1  Orat.  II,  n.  29  (Mg.  132,  1236).  5  Ebd.  II  423. 

2  Ass.,  Bibl.  III,  2,  683.          3  Ebd.  666.  6  De  off.  bapt.  c.  4  (ebd.  III,  2,  257).     Der 
*  Pars   6,    c.   6.     De   privilegiis   monaste-  Kopfschleier  heißt  hier  maaphra. 

riorum  (ebd.  III,  1,  343).  '  f.  Syriaques  112. 


Erstes  Kapitel.     Der  Amikt. 


51 


einer  steifen  Einlage  versehen,  wäre  sie  ganz  dasselbe  Gewandstück,  welches 
uns  in  der  Macnaftä  und  dem  Vakas  entgegentritt  \ 

Es  muß  auffallen,  daß  man  bei  der  Macnaftä  des  syrischen  und  dem  Vakas 
des  armenischen  Ritus  eine  Verzierungsweise  antrifft,  welche  uns  seit 
der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  auch. bei  dem  liturgischen  Amikt  des  lateini- 
schen Ritus  begegnet.  Ob  zwischen  dem  eigenartigen  Besatz  der  einen  und 
der  Parura  des  letzteren  eine  nähere  Beziehung,  eine  Verwandtschaft  be- 
steht? Der  Gedanke  drängt  sich  unwillkürlich  auf.  Allein  so  auffällig  auch 
die  Übereinstimmung  ist,  so  wird  es  sich  zuletzt  doch  wohl  nur  um  eine  zu- 
fällige Ähnlichkeit  und  eine  nur  scheinbare  Verwandtschaft  handeln.  Ahnliche 
Verhältnisse  und  Umstände 
führen  zu  ähnlichen  Resul- 
taten. Außer  der  bloßen 
äußeren  Übereinstimmung 
der  Besätze  fehlt  es  an 
irgend  einem  weiteren  An- 
halt für  die  Annahme  einer 
wirklichen  verwandtschaft- 
lichen Beziehung  derselben. 
Die  bloße  äußere  Ähnlich- 
keit reicht  aber  offenbar 
nicht  aus,  eine  innere  Be- 
ziehung und  Abhängigkeit 
der  abendländischen  Amikt- 
parura  und  des  Besatzes 
der  Macnaftä  bzw.  des 
Vakas  mit  Grund  behaup- 
ten zu  können.  Jedenfalls 
stammt  die  Parura  nicht 
von  einem  Zierbesatz  der 
Macnaftä,  da  die  Kopf- 
hülle, mit  der  die  Bischöfe 
auf  den  Miniaturen  des 
vorhin  erwähnten  syrischen 
Kodex  der  Pariser  Natio- 
nalbibliothek ausgestattet 
sind,  zwar  ein  Kreuz,  aber 
noch  keine  Spur  eines  pa- 
ruraartigen  Zierbesatzes  aufweisen.  Am  ehesten  ließe  sich  noch  denken,  es 
sei  die  abendländische  Verzierungsweise  des  Amiktes  zunächst  etwa  von  den 
Maroniten  oder  Armeniern,  welche  infolge  ihrer  Beziehungen  zu  Rom  und 
zum  Abendland  auch  sonstige  Einzelheiten  aus  dem  abendländischen  Ritus 
sich  aneigneten,  oder  von  beiden  zugleich  herübergenommen  und  von  ihnen 
dann  auch  zu  den  jakobitischen  Syrern  verpflanzt  worden.  Indessen  ist  das 
kaum  mehr  als  eine  bloße  Vermutung. 

Bei    den   Kopten   begegnet    uns    unter    den    liturgischen    Kleidern    im 
12.  Jahrhundert   im  Rituale   des   Patriarchen   Gabriel    ein   epomis   genanntes 


Bild  16.     Bischofsweihe.     Miniatur  eines  syrischen 
Pontifikale    (1239).     Paris,  Bibl.  Nat. 


1  Auch  der  Name  des  Gewandes,  identisch 
mit  dem  hehräischen  miznephet,  womit  der 
Kopfbund  des  alttestamentlichen  Hohenprie- 


sters bezeichnet  wird,  dürfte  darauf  hinweisen, 
daß  das  Schultertuch  ehedem  eine  Kopf- 
bedeckung war. 

4* 


52 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Unterge-n-änder. 


Gewandstück,  das  der  Priester  über  der  Tunika  anlegte,  ehe  er  die  Stola 
und  den  Gürtel  annahm1.  Dasselbe  wird  auch  im  14.  Jahrhundert  in  des 
Ibn  Sabaa  Traktat  über  die  kirchliche  Wissenschaft  bei  Aufzählung  der 
priesterlichen  Kleider  erwähnt2.  Es  handelt  sich  bei  ihm,  wie  es  scheint, 
um  das  Schultertuch,  welches  noch  jetzt  bei  den  unierten  Kopten  in  Gebrauch 
ist,  so  daß  letzteres  nicht  erst  in  der  Folge  der  Union  im  koptischen  Ritus 
Aufnahme  gefunden  hätte. 

In  dem  verbreitetsten  aller  orientalischen  Riten,  dem  griechischen, 
gibt  es  weder  ein  liturgisches  Schultertuch,  noch  hat  es  jemals  in  demselben, 
soweit  sich  erkennen  läßt,  ein  solches  gegeben.  Man  hat  freilich  gesagt,  es 
habe  sich  die  priesterliche  und  bischöfliche  Stola  bei  den  Griechen  aus  einem 
Halstuch  entwickelt;  doch  ist  das  mehr  behauptet  als  bewiesen  worden. 
Wäre  dem  wirklich  so,  so  darf  man  mit  Recht  fragen,  warum  man,  als  man 
aus  dem  Halstuch  ein  bloßes  Zierstück  gemacht  hatte,  kein  anderes  dafür 
wieder  eingeführt  habe,  da  ja  doch  die  Gründe  für  den  Gebrauch  eines  solchen 
vor  wie  nach  dieselben  blieben. 

ZWEITES  KAPITEL. 

DER   FANONE. 

I.  DER  FANONE  NACH  GEGENWÄRTIGEM  BRAUCH. 


Dem  Amikt  reiht  sich  passend  der  päpstliche  Fauone  an,  da  er  wie  jener 
ein  Schultertuch  ist.  Wenn  der  Papst  feierlich  pontifiziert,  so  trägt  er  außer 
dem  gewöhnlichen  linnenen  Humerale  noch  ein  zweites,  ihm  ausschließlich 
eigenes  Schultergewand,  das  den  Namen  fano,  ital.  fanoue,  führt. 

Der  Fanone  stellt  flach  ausgebreitet 
ein  der  Kreisform  sich  näherndes  Oval  dar, 
dessen  größter  Durchmesser  ca  92  cm  be- 
trägt, und  besteht  aus  zwei  übereinander 
liegenden  Blättern  Seidenstoff.  Dieselben 
sind  nur  in  der  Mitte,  wo  sich  die  Öffnung 
für  den  Kopf  befindet,  aneinandergenäht. 
Das  obere  Blatt  ist  ringsum  etwa  eine  Hand- 
breit kleiner  als  das  untere.  Mit  Futter- 
stoff ist  der  Fanone  nicht  versehen.  Die 
beiden  Seidenstücke  sind  von  weißer  Farbe, 
mit  roten  und  goldenen  Streifen  verziert 
und  außerdem  rundum  mit  einer  schmalen 
Goldborde  eingefaßt.  Auf  dem  Vorderteil 
des  Fanone  befindet  sich  ein  goldgesticktes 
Kreuz;  an  der  hinteren  Seite  ist  im  An- 
schluß an  die  Halsöffnung  des  leichteren  Anziehens  halber  ein  Einschnitt 
angebracht.  Bänder  zum  Zwecke  des  Anbindens  wie  am  gewöhnlichen  Amikt 
befinden  sich  nicht  an  ihm  (Bild  17). 

Die  Anlegung  des  Gewandstückes  vollzieht  sich  in  folgender  Weise. 
Nachdem  der  Diakon  den  Papst  mit  dem  linnenen  Amikt,  der  Albe,  dem 
Cingulum   samt  Subcinctorium    und    dem    Brustkreuz    versehen  hat,    zieht  er 


Bild  17.     Fanone. 


1  Renaudo t,  Liturg.  Orient,  coli.  I  160. 


2  Ebd.  161. 


Zweites  Kapitel.     Der  Fanone.  53 

ihm  den  Fanone  mittels  der  in  demselben  angebrachten  Öffnung  so  über  den 
Kopf,  daß  dieser  wie  ein  Kragen  die  Schultern,  den  Kücken  und  die  Brust 
bedeckt,  und  der  Teil,  welcher  mit  dem  Kreuze  geschmückt  ist,  nach  vorn 
gerichtet  ist.  Dann  schlägt  der  Diakon  die  hintere  Hälfte  des  oberen  Blattes 
über  das  Haupt  des  Papstes,  bekleidet  diesen  mit  Stola,  Tunicella,  Dalmatik 
und  Kasel,  läßt  hierauf  den  über  den  Kopf  des  Papstes  geschlagenen  Teil  des 
Fanone  wieder  herab,  zieht  die  vordere  Hälfte  des  oberen  Blattes  unter  dem 
Meßgewand  hervor  und  ordnet  schließlich  das  Ganze  so  um  die  Schultern 
an,  daß  das  Ornatstück  diese  wie  ein  Kragen  bedeckt. 

II.    DER  FANONE  SEIT  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT. 

Der  Fanone  war  ein  liturgisches  Sondergewand  des  Papstes 
schon  im  13.  Jahrhundert,  wie  Durandus  und  vorher  schon  Innozenz  III.  be- 
zeugen. „Der  römische  Bischof",  sagt  letzterer,  „legt  nach  der  Albe  und 
dem  Cingulum  das  Orale  an,  welches  er  um  den  Kopf  wickelt  und  auf  die 
Schultern  zurückschlägt;  er  folgt  hierbei  der  Gepflogenheit  des  alttestament- 
lichen  Hohenpriesters,  welcher  über  die  Linnentunika  und  den  Gürtel  den 
Ephod  (das  Schultergewand)  anzog."  Ähnlich  lauten  die  Worte  des  Bischofs 
von  Mende.  Das  Recht,  den  Fanone  zu  tragen,  war  dem  Papst  schon  damals 
so  ausschließlich  vorbehalten ,  daß  es,  wie  sich  aus  dem  Ordo  des  Jakobus 
Gaietanus  Stefaneschi  ergibt,  nicht  einmal  den  Kardinalbischöfen  zustand, 
sich  desselben  zu  bedienen 1.  Ja  selbst  der  papa  electus  legte  das  Ornat- 
stück erst  an ,  wenn  er  sich  zum  Empfang  der  Bischofsweihe  ankleidete 2, 
nicht  aber  auch  schon,  wenn  er  sich  zu  dem  der  Priesterweihe  rüstete. 

In  den  Ordines  Gregors  X. ,  des  Kardinals  Gaietanus  und  des  Bischofs 
Petrus  Amelii,  d.  i.  im  13.,  14.  und  15.  der  Ordines  Mabillons,  heißt  das 
Gewandstück  nicht  orale,  sondern  wie  gegenwärtig  fano  (fanum).  Die  letztere 
Bezeichnung  scheint  die  vorwiegendere  gewesen  zu  sein.  Nach  den  genannten 
Ordines  trug  der  Papst  den  Fanone  bei  seiner  Konsekration3,  bei  den  Feier- 
lichkeiten, die  sich  an  seine  Konsekration  anschlössen,  und  dem  feierlichen 
Krünungsmahl4,  bei  der  feierlichen  Messe5,  bei  der  Fußwaschung  am  Grün- 
donnerstag ,  dem  sog.  Mandatum 6,  und  dem  Mahl  desselben  Tages 7.  Am 
Karfreitag  bediente  er  sich  keines  Fanone 8,  wohl  aber  wurde  die  Leiche  des 
Papstes  mit  ihm  ausgestattet11. 

Bei  der  Messe  umgab  das  Gewandstück  nicht  bloß  den  Hals,  sondern  fiel 
auch,  abweichend  vom  gewöhnlichen  Amikt,  auf  die  Schultern,  den  Nacken  und 
den  oberen  Teil  der  Brust  herab.  Partem  illam  fanonis,  quae  dependet  ante 
pect us    pontificis,    aptet    (cardinalis)    decenter    sub    cruce   pallii,    sagt    der 

14.  Ordo10.    So  sehen  wir  es  denn  auch  auf  den  Bildwerken  des  13.,  14.  und 

15.  Jahrhunderts.  Bei  den  älteren  Darstellungen  pflegt  sich  das  Orale  wohl 
in  einem  Bausch  oder  in  einem  spitzen  Winkel  tief  über  die  Brust  hinab- 
zuziehen, während  es  Nacken  und  Schultern  fast  ganz  unbedeckt  läßt.  Das  ist 
z.  B.  der  Fall  bei  den  Statuen  Bonifaz'  VIII.  im  Lateran  (Bild  18,  S.  54)  und 


1  Ordo  14,  c.  48  53  (M.  78,  1153  1157).  «  Ordo  14,  c.  84  (ebd.  1207). 

-  Ordo  13;  n.  5  6  (ebd.  1106  1107  1108).  7  Ordo  14,  c.  87;  ordo  15,  c.  70  (ebd.  1209 

3  Ordo  13,  n.  6  (ebd.  1108).  1312). 

4  Ordo  14,  c.  23  43  (ebd.  1133  1139).  8  Mor.  XXIII  176. 

5  Ordo  14,  c.  47;  ordo  15,  c.  8  (ebd.  1151  9  Ordo  15,  c.  144  (ebd.  1351). 
1277).                                                                              io  Ordo  14,  c.  47  (ebd.  1151). 


54 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


;ild  18.    Grabmal  Bonifatius 

Koni,  Lateranbasilika. 


VIII. 


im  Dom  zu  Florenz,  bei  der  Grabstatue  des- 
selben Papstes  in  der  Krypta  von  St  Peter  so- 
wie der  Grabfigur  Honorius'  IV.  in  Ära  Celi. 
Bei  andern,  namentlich  den  späteren  Bildwerken, 
bedeckt  es  gleichmäßig  Brust,  Nacken  und  Schul- 
tern. So  z.  B.  auf  einem  der  Bilder  des  Fra 
Angelico  in  der  Kapelle  Nikolaus'  V.  im  Vati- 
kan (der  hl.  Laurentius  wird  von  Papst  Sixtus 
zum  Diakon  geweiht) 1,  einem  Gemälde  Simone 
Martinis  (St  Gregor  d.  Gr.)  im  Museo  civico  zu 
Pisa  (sala  III,  n.  17),  dem  Gewölbefresko  Taddeo 
Gaddis  in  der  Sakramentskapelle  von  Santa  Croce 
zu  Florenz  (St  Gregor  d.  Gr.),  den  Grabstatuen 
Martins  V.  im  Lateran,  Sixtus'  IV.  (Bild  19)  und 
Innozenz'  VIII.  in  St  Peter  u.  a. 

Bei  den  feierlichen  Mahlzeiten  und 
dem  Mandatum  wurde  der  Fanone  nach  Art 
einer  Kapuze  auf  den  Kopf  gezogen. 

Den  gewöhnlichen 
Amikt  trug  der  Papst  im 
13.  Jahrhundert,  wenn  er 
in  Pontifikalkleidung  war, 
außer  dem  Fanone  nicht. 
Es  geht  das  aus  dem  Ordo 


Gregors  X.  mit  Bestimmt- 
heit hervor.  Wo  darin  von  einer  etwa  vorzunehmenden 
Bischofsweihe  des  erwählten  Nachfolgers  Petri  die  Eede 
ist,  heißt  es:  „Hat  er  die  Hände  gewaschen,  so  soll  er 
allen  Schmuck  anziehen,  nämlich  zuerst  die  Albe  und 
das  Cingulum  mit  dem  Subcmctorium,  dann  das  Pektorale, 
hierauf  den  Fanone,  weiterhin  die  Stola,  die  Tunicella  und 
die  Dalmatik.  Ferner  nimmt  er  die  Handschuhe  und  end- 
lich die  Kasel  und  die  Mitra.  Pallium  und  Ring  empfängt 
er  später  zu  seiner  Zeit."  Wie  man  sieht,  ist  hier  vom 
Amikt  nicht  nur  keine  Rede,  derselbe  wird  sogar  durch  den 
Wortlaut  (allen  Schmuck  —  zuerst)  völlig  ausgeschlossen  2. 
Umgekehrt  soll  der  papa  electus,  falls  er  noch  zum  Priester 
zu  weihen  wäre,  für  die  Priesterweihe  mit  einem  Amikt 
unter  der  Albe  bekleidet  sein,  aber  weder  eine  Tunicella 
noch  eine  Dalmatik,  noch  die  Sandalen,  noch  das  Brust- 
kreuz, noch  endlich  den  Fanone  tragen3. 

Der  Amikt  fehlt  noch  am  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
in  der  Pontifikalkleidung  des  Papstes.  Es  erhellt  das  aus 
der  Beschreibung,  welche  der  Ordo  des  Petrus  Amelii  von 
derselben  gibt.  Auch  hier  ist  es  die  Albe,  mit  welcher 
die  Kardinaldiakone  den  Papst,  der  sich  zur  feierlichen 
Nachtmesse  am  Weihnachtsfest  rüstet,  zuerst  und  vor  allen 
andern  Gewändern  bekleiden.  Dann  folgen  Cinctorium 
(Cingulum)  und  Subcinctorium,  weiterhin  das  Pektorale  und 
erst  an  vierter  Stelle  der  Fanone  '. 


Bild  19. 

Grabfigur  Sixtus'  IV. 

Eom,  Peterskirclie. 

(Phot.  Alinari.) 


1  Vgl.   die  Wiedergabe    des   Bildes  weiter 
unten  im  Kapitel :  Rochett  und  Superpelliceum. 

2  Ordo  13,  n.  6  (78  1108). 


3  Ebd.  1107. 

4  Ordo    15,    c.   8    (ebd.    1277);   vgl.    auch 
c.  144  (ebd.  1351). 


Zweites  Kapitel.     Der  Fanone. 


55 


Um  den  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  trägt  der  Papst,  wie  sich  das  aus  den  An- 
gaben des  Christoph  Marcellus  in  dem  1516  herausgegebenen  Caeremoniale  der  päpst- 
lichen Kapelle  ergibt,  Amikt  und  Fano  zugleich '.  Die  Aufnahme  des  gewöhnlichen 
Amikts  in  die  päpstliche  Pontifikaltracht  muß  sich  demnach  im  Lauf  des  15.  Jahr- 
hunderts vollzogen  haben. 

Zum  Pluviale  nahm  um  1500  der  Papst  ebenfalls  den  gewöhnlichen  Amikt, 
nicht  den  Fanone 2.  Wie  er  es  vorher  gehalten,  ist  aus  den  römischen  Ordines 
nicht  ersichtlich.  Nur  so  viel  läßt  sich  aus  ihnen  feststellen,  daß  der  Papst 
dann  zum  Pluviale  den  Fanone  behielt,  wenn  er  nach  der  Pontifikalmesse  für 
irgend  eine  an  dieselbe  sich  anschließende  Funktion,  wie  z.  B.  die  Fuß- 
waschung am  Gründonnerstag,  unter  Beibehaltung  der  übrigen  Meßgewänder 
die  Planeta  mit  dem  Mantum  (dem  päpstlichen  Pluviale)  vertauschte  3. 

Über  die  Beschaffenheit  und  Form,  welche  das  Orale  im  13.,  14. 
und  15.  Jahrhundert  besaß,  liegen  nur  wenige  Nachrichten  vor.  Innozenz  III. 
schweigt  von  derselben ;  Durandus  beschränkt  sich  darauf,  es  sindon  zu  nennen. 
Der  Fanone,  mit  welchem  einst  die  Leiche  Boni- 
faz'  VIII.  bekleidet  worden  war,  bestand  nach 
dem  bei  der  Eröffnung  des  Grabes  im  Jahre  1605 
über  den  Befund  abgefaßten  Protokoll  aus  einem 
höchst  zarten  weißen  Tuch  aus  reiner  Seide,  ohne 
Goldverzierung  und  sonstigen  Schmuck.  Für  seine 
Gestalt  ist  die  Bemerkung  von  Belang,  er  sei 
mehreremal  über  der  Albe  um  die  Schultern  ge- 
wickelt und  dann  über  der  Kasel  rings  um  den 
Hals  geschlagen  gewesen4.  Im  Inventar  des 
päpstlichen  Schatzes  aus  dem  Jahre  1295  werden 
angeführt  4  große  Oralien,  welche  mit  je  3  Gold- 
streifen an  den  Enden  und  in  der  Mitte  und  außer- 
dem mit  sonstigen  schmäleren  Streifchen  verziert 
waren,  14  Oralien  mit  breiten,  roten  oder  grünen 
Seidenstreifen  an  der  Seite,  4  Oralien  mit  schwar- 
zen Längsstreifen ,  1  Orale  mit  3  Goldstreifen 
an  jedem  Ende  und  einem  Goldstreifen  an  der 
einen  Seite,   sowie  13  teils  einfachere   teils  ganz 

schmucklose  Oralien.  Nach  dem  handschriftlichen  Caeremoniale  des  Paris  de 
Grassis  bestand  der  Fanone  zur  Zeit  dieses  päpstlichen  Zeremonienmeisters 
aus  Linnen,  das  mit  Goldfäden  durchwirkt  war5.  Das  Orale,  welches  Papst 
Sixtus  auf  dem  vorhin  erwähnten  Gemälde  des  Fra  Angelico  trägt,  ist  mit 
breiten  und  schmalen  Längsstreifen  verziert.  Ähnlich  das  Bild  Silvesters  von 
Cosimo  Roselli  in  der  Sistina  (Bild  20).  Auf  dem  Gemälde  Simone  Martinis 
im  Museo  civico  zu  Pisa6  ist  es  mit  goldenen  Doppelstreifen  geschmückt;  meist 
tritt  es  aber  auf  den  bildlichen  Darstellungen  als  einfaches  weißes  Tuch  auf. 

Ein  erschöpfendes,  völlig  klares  Bild  des  mittelalterlichen  Fanone  des 
Papstes  gewähren  alle  diese  Angaben  nicht ;  doch  war  er  jedenfalls  nicht  ein 


Bild  20.     Cosimo  Roselli: 

Papst  Silvester. 

Rom,  Sistina. 


1  L.  II,  c.  14. 

2  Burcliard.  Argent.  bei  Can  c  ellieri, 
Storia  de'  solenni  possessi,   Roma  1802,   57. 

3  Ordo  12,  n.  25 ;  ordo  14,  c.  91 ;  ordo  15, 
c.  78  (M.  78,  1074  1210  1311). 

4  Bzovius,  Annal.  ad  1303;  XIV  51. 

5  Giorgi,  Liturgia  Rom.  Pontif.  I  148.  Die 


Ausstattung  mit  Streifen  wurde  dem  Fa- 
none vielleicht  in  Erinnerung  an  den  mehr- 
farbigen Ephod  (Schulterkleid)  des  jüdischen 
Hohenpriesters  zu  teil,  als  dessen  Abbild  das 
Ornatstück  gelten  konnte,  seitdem  es  in  Rom 
päpstliches  Sondergewand  geworden  war. 
6  S.  oben  S.  54. 


56 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergevränder. 


kragenartiges  Ornatstück  wie  gegenwärtig.  Er  hatte  vielmehr  wie  der  ge- 
wöhnliche Amikt  noch  im  15.  Jahrhundert  die  Gestalt  eines  Tuches.  Das 
beweisen  die  Bildwerke  auf  das  bestimmteste.  Wann  der  Fanone  Kragenform 
erhielt,  läßt  sich  kaum  näher  bestimmen,  da  seit  dem  16.  Jahrhundert  die 
Päpste  im  Pluviale  dargestellt  zu  werden  pflegen.  Als  die  Papstfiguren  der 
Cappella  Sistina  entstanden  (vgl.  Bild  20)  und  Kaffael  die  Stanzen  ausmalte, 
scheint  er  noch  kein  förmlicher  Kragen  gewesen  zu  sein ;  doch  war  er  damals 
jedenfalls  schon  auf  dem  besten  Wege  dazu. 


III.    DER  FANONE  VOR  DEM  XIII.  JAHRHUNDERT. 

Nicht  ohne  Grund  wurde  vorhin  darauf  hingewiesen,  daß  der  Papst  bis 
zum  15.  Jahrhundert  bei  dem  Pontifikalamt  nur  den  Fanone,  d.  i.  ein  über 
die  Albe   gelegtes  Schultertuch,    getragen,    nicht   aber   außerdem   noch  unter 

der  Albe  sich  des  gewöhnlichen  Amikts  bedient 
habe.  Es  beweist  das  nämlich,  daß  das  anagola- 
gium (anagolaium,  anabolagium),  von  dem  im  1.  und 
3.  römischen  Ordo  Mabillons,  im  S.  G.  K.  und  im 
Ordo  Duchesnes  die  Rede  ist,  mit  dem  späteren 
Orale  (Fanone)  im  wesentlichen  eins  ist  und  daß 
somit  dieses,  wenn  auch  unter  anderem  Namen, 
bereits  im  8.  Jahrhundert  in  Gebrauch  war. 

Nach  dem  1.  Ordo  bekleiden  die  Regionarsubdia- 
kone  den  Papst  der  Reihe  nach  mit  der  linea  (Albe),  dem 
Cingulum,  dem  anagolaium,  d.  L,  wie  erklärend  bemerkt 
wird,  mit  dem  amictus,  der  linnenen  Dalmatik,  der  größeren 
Dalmatik  und  der  Planeta.  Ähnlich  lauten  die  Angaben 
in  dem  3.  Ordo,  in  welchem  das  anabolagium  nicht  nur 
durch  amictus,  sondern  auch  durch  humerale  erläutert 
wird.  Der  S.  G.  K.  beschreibt  die  päpstliche  Sakralklei- 
dung wie  folgt:  In  primis  cam.(isia)  et  cingitur  supra. 
Dein  linea  cum  cottis,  serica  et  cingulum.     Post   haee 


Bild  21.  Papst  Innozenz  II. 
Vom  Apsidalmosaik  in  S.  Maria 
in  Trastevere.  (Nach  Photographie.) 


mittitur  anagolagi;  exinde  dalmatica  minore,  postea 
maiore  dalmatica  et  supra  orarium.  Post  haec  planeta  et 
supra  mittitur  pallium.  Die  camisia  bedeutet  eine  Art  Rochett,  die  linea  die  Albe. 
Was  cum  cottis,  serica  besagt,  ist  unklar  *.  Das  anagolagi  ist  offenbar  das  anagolaium 
des  1.  und  das  anabolagium  des  S.  Ordo.  Wie  aus  den  drei  Stellen  hervorgeht,  trug 
der  Papst  im  8.,  9.  und  10.  Jahrhundert  nur  ein  Schultertuch  über  der  Albe,  aber 
keines  unter  ihr,  gerade  wie  es  noch  im  13.  und  14.  Jahrhundert  der  Fall  war.  Es 
kann  also  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  das  anagolagium  des  1.,  3.  und  5.  Ordo  und 
der  spätere  Fanone  ein  und  dasselbe  Gewandstück  darstellen. 

Beachtenswert  ist  indessen,  daß  im  Gegensatz  zum  Orale  des  13.  Jahr- 
hunderts das  Schultertuch  des  1.  und  3.  Ordo  sowie  des  S.  G.  K.  noch  kein 
dem  Papst  ausschließlich  vorbehaltenes  Ornatstück  war 2. 

Wann  zu  Rom  bei  den  andern  Bischöfen,  den  Priestern,  Diakonen  und 
Subdiakonen  die  Sitte  aufkam,  das  Schultertuch  eher  als  die  Albe  anzulegen, 
mit  andern  Worten,  wann  das  anagolagium  dort  zu  einem  dem  Papst  vor- 
behaltenen Gewandstück,  also  zum  päpstlichen  Orale  oder  Fanone  wurde,  ist, 
wie  früher  gesagt  wurde,   nicht  genau  festzustellen;   der  Wechsel   muß  sich 


1  Statt  des  unverständlichen  cum  cottis,  serica  ist  vielleicht  cum  costis  sericis,  mit  seidenen 
Besatzstreifen  zu  schreiben.  s  Vgl.  oben  S.  23  f. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


57 


in  der  Zeit  zwischen  dem  10.  und  Ende  des  12.  Jahrhunderts  vollzogen  haben. 
Auf  den  Mosaiken  der  Apsis  in  S.  Maria  in  Trastevere  ist  Papst  Innozenz  II. 
(1130 — 1143),  der  Stifter  des  Bildwerkes,  mit  einem  weißen  Schultertuch 
dargestellt,  das  rings  um  den  Hals  über  der  Planeta  gelagert  ist  (Bild  21). 
Ob  damals  schon  das  anagolagium  zum  Orale  geworden  war  ? 1 

Die  Frage  nach  dem  Ursprung  des  römischen  anagolagium,  des  Vor- 
läufers des  späteren  Orale  (Fano)  und  jetzigen  päpstlichen  Fanone,  kann  hier 
übergangen  werden.  Da  es  Schultertuch  war,  gilt  von  ihm  in  dieser  Hinsicht, 
was  über  die  Entstehung  des  liturgischen  Amikts  gesagt  wurde. 


DRITTES  KAPITEL. 


DIE    ALBE. 


I.    DIE  ALBE  IN  DER  GEGENWART. 

Die  Albe  ist  eine  Tunika,  d.  h.  ein  mit  engen  Ärmeln  und  einem  Durch- 
schlupf für  den  Kopf  versehenes,  vorn  geschlossenes,  sackartiges  Gewandstück. 

Wie  der  Amikt  muß  sie  kraft  des  Dekretes  vom  18.  Mai  1819  aus 
weißem  Linnen  oder  Hanfstoff  gemacht  werden.  Das  gilt  jedoch  nur 
von  der  Albe  selbst,  nicht  aber  von  den 
Besätzen  oder  Spitzen,  mit  denen 
sie  etwa  verziert  wird.  Es  ist  weder 
verboten,  eine  Bordüre  aus  Seidenstoff 
am  Saum  oder  den  Ärmeln  des  Gewan- 
des anzubringen,  noch  mittels  Seide 
oder  Baumwollengarn  einen  Zierstreifen 
dem  Albenrand  einzusticken,  noch  end- 
lich selbst,  mit  Spitzen  aus  Baumwolle 
das  Gewand  zu  verzieren,  wiewohl 
solche  keineswegs  hier  empfohlen  wer- 
den sollen.  Über  die  sonstige  Be- 
schaffenheit und  die  Breite  der  Spitzen 
und  Besätze  gibt  es  ebenfalls  keine 
bestimmten  kirchlichen  Vorschriften.  Es 
muß  darüber  außer  dem  Brauch  und 
der  gebührenden  Bücksicht  auf  den 
Ernst  des  Gottesdienstes  und  die  Natur 
des  Gewandes  vornehmlich  der  gute 
Geschmack  entscheiden 2.  Spitzen  dürfen 
nach  neueren  Entscheidungen  der  Riten- 
kongregation mit  farbigem  Stoff  unter- 
legt werden,  damit  sie  besser  wirken 3. 

Im  Mittelalter  versah  man  (seit  etwa  dem  12.  Jahrh.)  die  Alben  am 
Saum  und  auch  wohl  an  dem  Ärmelrand  nicht  sowohl  mit  durchlaufenden 
Besätzen,    als  vielmehr  mit  kurzen  Zierstücken,    die  bei  den  Ärmeln  auf  der 


Bild  22.     Mit  Besätzen  verzierte  Albe  nach 
ambrosianischem  Ritus. 


1  de  Rossi,  Musaici  fasc.  VII  und  VIII. 

2  Über  die  Beschaffenheit  der  Albenbesätze 
und  Spitzen  findet  sich  Näheres  in  Braun, 
Winke  34  f. 


3  C.  R.  12.  Juli  1892  und  24.  November 
1899  (Decret.  auth.  n.  3780  4048).  Es  steht 
also  auch  nichts  im  Wege,  farbige  Stickereien 
am  Saum  der  Albe  anzubringen. 


58 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


oberen  Hälfte,  beim  Saum  aber  in  der  Mitte  der  Vorder-  und  Rückseite  an- 
gebracht waren.  Gegenwärtig  ist  diese  Verzierungsweise  des  Gewandes  nur 
noch  in  Mailand  (Bild  22,  S.  57)  und  einigen  Kirchen  Spaniens  in  Gebrauch1. 
Doch  hat  man  in  neuester  Zeit  versucht,  sie  auch  anderswo  wieder  einzuführen 
(Bild  23). 

Bezüglich  der  Maß  verhält  nisse  der  Albe  gibt  es  keine  allgemein  gültigen 
kirchlichen  Bestimmungen.  Die  Verordnung,  welche  der  hl.  Karl  betreffs  der- 
selben erließ2,  war,  obwohl  von  Rom  approbiert,  nur  partikulärer  Natur;  ihre 
Geltung   ging   nie  über  den  Rahmen  eines  Diözesan-  bzw.  Provinzialdekretes 

hinaus.  Obendrein  wird  sie 
selbst  nicht  einmal  in  Mai- 
land mehr  in  allem  beob- 
achtet. Die  Maße  aber, 
welche  Gavanti  für  die  Albe 
angibt,  sind  lediglich  dem 
Mailänder  Synodalstatut  ent- 
nommen, also  nicht  einmal 
die  seinerzeit  in  Rom  üb- 
lichen3. Auch  sind  dieselben 
niemals  von  der  kirchlichen 
Autorität  für  maßgebend  er- 
klärt worden. 

Genaue  Maße  lassen  sich 
überhaupt  für  das  Gewand 
nicht  angeben,  da  dieselben 
zu  sehr  durch  die  Größe  des- 
jenigen bedingt  sind,  welcher 
das  Gewand  zu  benutzen 
hat.  Für  die  Länge  bietet 
einen  ungefähren  Anhalt  die 
Bemerkung  des  Missale,  es 
solle  die  Albe,  wenn  ge- 
gürtet und  aufgeschürzt, 
ringsum  gleichmäßig  etwa 
eine  Fingerbreite  vom  Boden 
3  abstehen  (in  latitudinem  di- 
giti  vel  circiter  super  terram 
'  aequaliter  fluat).  Für  ge- 
wöhnlich dürfte  zu  dem 
Ende  eine  Durchschnittslänge  von  1,50 — 1,60  m  völlig  ausreichen.  Die  Weite 
der  Albe  muß  der  Art  sein,  daß  sowohl  das  Schreiten  und  Knien  ohne  Be- 
schwerde und  ohne  Beschädigung  des  Gewandes  erfolgen,  als  auch  ein  schöner 
Faltenfluß   sich   bilden   kann.     Für   beides   genügt   es,  wenn  die  Alben  einen 


Bild  23.    Albe  von  mittelalterlicher  Form  und  Verzierun 
(Geai-beitet  von  f  Frl.  J.  Nellessen  zu  Kornelimünster.) 


1  Die  Photographie  der  Albe  verdanke 
ich  der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Can. 
Dr  M.  Magistretti  zu  Mailand. 

2  A.  E.  Med.  626. 

3  Gav.  II  v;  II  272.  Die  Maßverhält- 
nisse, wie  sie  in  der  Verordnung  des  hl.  Karl 
und   bei  Gavanti   sich   finden,    können  nicht 


einmal  als  Norm  empfohlen  werden.  Die  ge- 
wöhnliche Albe  soll  nach  beiden  16  Ellen, 
d.  i.  7 — 8  m  weit  sein,  gewiß  des  Guten  zu 
viel.  Eine  mit  Zierbesätzen  versehene  Albe 
braucht  nach  dem  Mailänder  Statut  dagegen 
nur   4  Ellen,   also   nur   ca   2  m  Umfang   zu 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  59 

Umfang  von  ca  3,20  m  besitzen,  eine  Weite,  die  sie  denn  auch  heute  ge- 
wöhnlich erhalten. 

Was  den  Schnitt  der  Alben  betrifft,  so  ist  heutzutage  diejenige  Form 
wohl  die  gewöhnlichste,  bei  welcher  der  Albenkörper  einen  überall  gleichweiten 
Sack  darstellt.  Die  am  oberen  Ende  zum  Zweck  eines  guten  Sitzens  des  Ge- 
wandes nötige  Verengerung  erreicht  man  bei  ihr  dadurch,  daß  man  den  Alben- 
stoff oben  an  dem  Durchlaß  für  den  Kopf  nach  Bedürfnis  einkräuselt.  Von 
ganz  anderem  Schnitt  ist  eine  zweite,  der  mittelalterlichen  Albe  nachgebildete 
Albenform,  die  sog.  Girenalbe,  während  eine  dritte  Albenart,  die  sog.  Spatel- 
albe, eine  Vermittlung  zwischen  dieser  und  der  erstgenannten  Albenform 
darstellt a. 

Die  Albe  kommt  den  Bischöfen,  Priestern,  Diakonen  und  Sub- 
diakonen  zu,  sie  kann  indessen  auch  von  den  Minoristen  getragen  werden, 
wenn  auch  das  den  letzteren  eigentümliche  Gewand  nicht  die  Albe,  sondern 
das  Superpelliceum  ist.  Gebraucht  wird  sie  für  gewöhnlich  nur  bei  der  Messe 
und  den  damit  in  Verbindung  stehenden  Funktionen.  Bei  andern  wird  sie 
in  der  Regel  durch  das  Superpelliceum  ersetzt. 

Gegenstand  einer  besondern  Zeremonie  bei  einer  der  heiligen  Weihen 
ist  die  Albe  nicht.  Die  mystische  Deutung,  welche  die  Kirche  mit  ihr 
verknüpft,  erhellt  aus  dem  Gebet,  welches  der  Priester  bei  Anlegung  des 
Gewandes  zu  sprechen  hat:  „Mach  mich  weiß  und  reinige  mein  Herz,  o  Herr, 
auf  daß  ich  geläutert  im  Blute  des  Lammes  die  ewigen  Freuden  genießen 
möge."  Rein  soll  der  Priester  sein,  wenn  er  zum  Altar  tritt,  um  denjenigen 
zu  empfangen,  den  er  einst,  geläutert  eben  durch  das  Blut  des  Lammes,  das 
er  beim  heiligen  Mahl  genießt,  im  Himmel  in  ewig  seligem  Jubel  zu  schauen 
hofft  und  verlangt. 

II.    NAME  DES  GEWANDES. 

Bei  den  Liturgikern  des  Mittelalters,  in  den  römischen  Ordines,  den 
mittelalterlichen  Inventaren  usw.  begegnen  wir  einer  mehrfachen  Benennung 
des  Gewandes.  Bald  heißt  es  in  Anbetracht  des  Materials,  aus  dem  es  an- 
gefertigt ist,  einfach  linea,  bald  mit  Rücksicht  auf  den  Stoff  und  den  Charakter 
des  Gewandes  tunica  linea,  bald,  weil  es  bis  auf  die  Füße  oder  bis  zu 
den  Knöcheln  reicht,  also  der  Länge  wegen,  poderes,  talaris  oder  tunica 
talaris,  bald  wieder,  vielleicht  im  Anschluß  an  eine  Äußerung  des  hl.  Hie- 
ronymus,  camisia,  bald  endlich  um  der  Farbe  willen  alba.  Die  Bezeich- 
nung alba  romana,  die  uns  hie  und  da  begegnet,  bedeutet,  wo  damit  eine 
wirkliche  Albe  gemeint  ist,  entweder  eine  zu  Rom  gebräuchliche  Albenform 
oder  besagt  nur,  daß  es  sich  um  Alben  handelt,  die  aus  Rom  gekommen 
waren.  Von  den  verschiedenen  Namen,  mit  denen  ehedem  das  zweite  litur- 
gische Gewand  bezeichnet  wurde,  hat  sich  fast  nur  das  Wort  alba  im  kirch- 
lichen Gebrauch  erhalten. 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  das  Wort  alba,  welches  in  der  Vita  Claudii  c.  14 
und  c.  19  des  Trebellius  Pollio  zur  Bezeichnung  einer  profanen  Tunika  angewandt 
wird,  als  Terminus  eines  liturgischen  Gewandes  zuerst  in  Afrika,  Spanien  und  Gallien 
auftritt.  In  Eom  scheint  es  bis  zum  2.  Jahrtausend,  wie  aus  dem  1.  und  3.  Ordo 
Mabillons  und  dem  S.  G.  K.  hervorgeht,  als  Name  unserer  Albe  nicht  oder  kaum  in 
Brauch  gewesen  zu  sein.    Diese  hieß  hier  linea  oder  camisia.   Der  Zusatz :  quam  dicimus 


Näheres  über  den  Schnitt  der  drei  Albenarten  in  Braun,  Winke  31  ff. 


60 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  TJntergewänder. 


albam,  der  in  dem  3.  Ordo  bei  Aufzählung  der  Pontifikalgewänder  irrig  statt  der  linea 
der  dalmatica  linea  angefügt  wurde,  ist  ersichtlich  nur  Glosse  des  Kopisten.  Später  er- 
scheint freilich  auch  in  der  römischen  Kirche  das  Wort  alba  als  Name  des  Gewandes. 
Es  muß  schon  zu  Innozenz'  III.  Zeit  daselbst  mit  Vorzug  so  geheißen  haben.  Jeden- 
falls war  gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  zu  Rom  alba  die  vorherrschende  Bezeichnung, 
wie  dies  bestimmt  aus  dem  13.,  14.  und  15.  Ordo  Mabillons  hervorgeht.  Überall  heißt 
das  Gewand  darin  alba.  Wo  einer  camisia  gedacht  wird,  ist  stets  die  Rede  von  der 
außerliturgischen  linnenen  Tunika,  dem  jetzigen  Rochett.  Im  Italienischen  hat  sich 
jedoch  bis  jetzt  der  alte  Ausdruck  camisia  in  der  Umbildung  camice  als  Albenname 
erhalten.  Der  Benennung  des  Gewandes  in  den  meisten  übrigen  Sprachen  liegt  das 
Wort  alba  zu  Grunde  (deutsch  Albe,  französisch  aube,  englisch  alb,  spanisch  alba). 
Übrigens  ist  wohl  zu  beachten ,  daß  der  Ausdruck  alba  im  Mittelalter  noch 
keineswegs  bloß  für  das  sakrale  Gewand  gebraucht  wurde,  welchem  dieser  Name 
gegenwärtig  ausschließlich  zukommt.  Im  spanischen  und  gallikanischen  Ritus  be- 
zeichnete man  mit  ihm  die  liturgische  Tunika  der  Diakone  und  der  Lek- 
toren. Es  geschieht  das  z.  B.  in  der  gallikanischen  Meßerklärung  und  im  28.  Kanon 
der  vierten  Synode  von  Toledo  '.  Später  verstand  man  unter  alba  nicht  selten  die  Tuni- 
cella,  das  Amtskleid  des  Subdiakons,  wohl  wegen  der  engen  Ärmel,  welche  dieselbe 
gewöhnlich  mit  der  Albe  im  Sinne  der  camisia  gemeinsam  hatte.  So  wird  z.  B.  in 
des  Beroldus  Ordo  für  S.  Ambrogio  in  Mailand  aus  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts die  subdiakonale  Tunika  regelmäßig  alba  genannt.  Selbst  die  rote  dia- 
konale  Tunika,  deren  sich  die  Diakone  beim  Absingen  der  Passion  bedienten, 
heißt  darin  alba  (rubea) 2.  Auch  in  dem  Ordo  romanus  officiorum  totius  anni, 
wie  er  im  11.  und  12.  Jahrhundert  weit  verbreitet  war,  wird  die  Tunika  des  Sub- 
diakons mit  alba  bezeichnet s.  Teils  bischöfliche,  teils  diakonale  oder  subdiakonale 
Tuniken  waren  wohl  die  alba  nigra  cum  minutis  lineis  aureis  aus  der  Hinterlassen- 
schaft des  Bischofs  Galfried  von  Durham  (f  1140)  und  die  10  albae  briulatae  (bestickt), 
welche  aus  dem  Nachlaß  des  Bischofs  Hugo  (f  1195)  der  Kathedrale  zufielen,  darunter 
eine  rubea  cum  aquilis  deauratis,  duo  capita  habentibus  in  parvis  rotis,  eine  alba  magna 
viridis  cum  griffonibus,  eine  alba  indici  coloris  cum  griffonibus,  leonibus  et  floribus 
in  parvis  rotis,  eine  alba  viridis  cum  apostolis,  eine  alba  nigra  cum  largis  orariis 
(Saumbesätzen)  deauratis 4.  Denn  es  scheint  nicht,  daß  in  diesen  Fällen,  wie  das 
allerdings  sonst  in  den  Inventaren  hie  und  da  vorkommt,  die  Alben  lediglich  wegen 
der  Farbe  und  Beschaffenheit  der  Besätze  als  nigrae ,  brudatae  usw.  bezeichnet 
werden5.  Die  in  einem  Inventar  von  Peterborough  aus  dem  Jahre  1539  erwähnten 
7  albes  called  ferial  black,  40  blue  albes  of  divers  sortes,  27  red  albes  for  Passion 
week  waren  entweder  Alben  mit  Paruren  oder  wohl  richtiger  Tuniken  für  Akolythen, 
Ministrantenröcke G,  wie  deren  z.  B.  in  einem  Inventar  des  Mainzer  Domes  aus 
der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  aufgeführt  werden :  Multae  tunicae  diversorum 
colorum  videlicet  rubei,  virides  et  violacei  coloris,  virgulatae,  crocei,  albi  coloris, 
quibus  utebantur  ministri  altarium  et  acolythi  et  chrismatis  portatores.  In  einem 
Inventar  von  Angers  begegnen  uns  solche  unter  dem  Namen  dalmaticae  pro  pueris  7. 


!  Hard.  III  586. 

2  Mur.,  Ant.  IV  867  891  896  899. 

3  Hitt.  61  76.  Man  vergleiche  auch  das 
Pontifikale  von  Besancon  bei  Mart.  1.  4, 
c.  22  ;  III 109,  das  Pontifikale  von  St-Germain- 
des-Pres  (ebd.  III  114),  ein  Kölner  Pontifi- 
kale der  Vaticana  (Ottob.  Cod.  167)  u.  a. 

■'  Vgl.  auch  die  Hinterlassenschaften  der 
Bischöfe  Philipp  (f  1208),  Richard  IL  (f  1237): 
2  albae,  una  nigra  brudata  cum  vinea,  in 
qua  sedent  aves  et  alia  de  serioo  non  bru- 
data, Anton  (f  1310);  3  albae  de  uno  panno 
aureo   indici   coloris    cum   ramis  arborum  et 


floribus  et  aviculis  super  ramos  et  flores 
consedentes.    (Raine,  Durham  wills  I  1  ff). 

5  So  sind  z.  B.  in  dem  Würzburger  Inven- 
tar von  1448  unter  den  darin  aufgeführten 
„grünen"  Alben  mit  ihren  Umbralen  nach 
dem  Zusammenhang  Alben  mit  „grünen"  Schii- 
ten (Paruren)  zu  verstehen. 

c  Tunicellen  sind  jedenfalls  nicht  gemeint, 
da  diese  in  dem  Inventar  tunicles  genannt 
werden. 

7  Revue  1886,  176.  Vgl.  auch  ebd.  zu  einem 
Inventar  von  Rouen  p.  464,  nota  4,  ferner  das 
Inventar  von  St  Paul  zu  London  von  1245: 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  61 

Es  gibt  da  weiise,  rote,  grüne,  schwarze  usw.  Dalmatiken  für  die  Chorknaben.  In 
Spanien  waren  an  verschiedenen  Orten  noch  bis  in  die  neueste  Zeit  dalmatikartige 
Obergewänder  bei  den  Akolythen  in  Gebrauch. 

Es  ist  wichtig,  auf  die  verschiedenen  Bedeutungen  zu  achten,  welche  das  Wort 
alba  hat.  Nicht  überall,  wo  eine  alba  genannt  wird,  ist  die  Albe  in  dem  heutigen 
Sinne  gemeint.  Man  wird  daher  in  den  einzelnen  Fällen  nachzusehen  haben,  was 
dem  Zusammenhang  nach  darunter  verstanden  werden  muß  und  zwar  gilt  das  ebenso- 
wohl für  das  späte  Mittelalter  als  auch  schon  für  die  ältere  Zeit.  Andernfalls  wird 
man  sich  unvermeidlich  der  Gefahr  aussetzen,  der  Albe  in  Beziehung  auf  Stoff  und 
Farbe  Eigenschaften  beizulegen,  welche  sie  nicht  oder  nur  ausnahmsweise  und  gegen 
den  gewöhnlichen  Brauch  hatte  oder  Stellen  auf  sie  zu  beziehen,  die  zwar  von  einer 
alba,  nicht  aber  von  unserer  Albe  reden. 

Es  verdient  hervorgehoben  zu  werden ,  daß  der  jetzige  Name  des  Ge- 
wandes ursprünglich  nicht  im  römischen  Ritus  in  Gebrauch  war  und  daß  er 
unter  Verdrängung  der  einheimischen  Bezeichnung  von  auswärts  in  Rom  ein- 
geführt wurde.  Es  ist  derselbe  Vorgang,  den  wir  schon  hinsichtlich  der  Be- 
nennung des  Schultertuches  sich  abspielen  sahen,  ein  Vorgang,  der  auch  bei 
den  Namen  verschiedener  anderer  liturgischen  Gewänder  wiederkehrt.  Rom 
hat  sich  in  liturgischen  Dingen  nicht  bloß  gebend,  sondern  auch  nehmend 
verhalten.  Es  gab  dem  Abendland  seine  eigenen  Kultgewänder,  es  nahm 
aber  dafür  im  Laufe  der  Zeit  von  ihm  die  Namen  derselben  unter  Aufgabe 
der  ursprünglich  römischen  an. 

III.    DIE  ALBE  IN  KAROLINGISCHER  ZEIT. 

Von  der  Geschichte  der  Albe  oder  der  liturgischen,  d.  h.  den  gottes- 
dienstlichen Funktionen  allein  vorbehaltenen  Tunika  wissen  wir  für  die  acht 
ersten  Jahrhunderte  im  ganzen  nur  wenig.  Es  empfiehlt  sich  daher,  bevor  wir 
unsern  Blick  der  vorkarolingischen  Zeit  zuwenden,  uns  mit  dem  Stande  der 
Dinge  im  9.  Jahrhundert  zu  beschäftigen. 

Im  9.  Jahrhundert  war  unzweifelhaft  eine  liturgische  Tunika  im  Sinne 
unserer  heutigen  Albe  sowohl  in  Rom  wie  überall,  wo  der  römische  Ritus 
Aufnahme  gefunden  hatte,  in  Gebrauch.  Es  ergibt  sich  dies  aus  den  Angaben 
eines  Hraban,  eines  Amalar  von  Metz,  eines  Theodulf  von  Orleans1,  eines 
Walafried  Strabo,  aus  dem  1.  und  3.  römischen  Ordo,  dem  S.  G.  K.,  aus  den 
Sakramentaren  und  Pontifikalien  jener  Zeit2,  aus  der  „ Synodal ermahnung", 
den  Statuten  Riculfs  von  Soissons  und  Reginos  Schrift  De  ecclesiae  disciplina3. 
„Keiner",  schreibt  die  Synodalermahnung  vor,  „feiere  ohne  Albe  die  Messe." 
Riculf  will,  es  solle  der  Priester  für  die  Feier  des  heiligen  Opfers  eine  oder 
zwei  Alben  bereit  halten.  Nach  Regino  hat  der  Bischof  bei  der  Visitation 
sich  zu  erkundigen,  ob  man  sich  unterfange,  ohne  Albe  oder  in  der  Alltags- 
albe die  Messe  zu  halten. 

In  fast  allen  der  angeführten  Belege  ist  nur  von  der  priester liehen 
und  bischöflichen  Albe  die  Rede.  Daß  die  als  Cantores  fungierenden 
Kleriker  diese  bei  Ausübung  ihres  Amtes  trugen  und  der  Subdiakon  bei  Ab- 
lesung der  Epistel   mit   ihr  versehen  war,    sagt  uns  Amalar4.     Als  Bestand- 


7  dalmaticae  puerorum,  das  von  St  Arne  zu  2  Vgl.   z.   B.    Mart.   1.   1,   c.   4,    art.    12, 

Douai  (13.  Jahrhundert)  octo  tunicae  puerorum  ordo  5  ff,  I  186  ff. 

neben  11  albae  puerorum,  die  Consuetudines  3  De  discipl.  eccl.  inquisitio  n.  66  und  1.  1, 

von  Farfa  (ed.  B.  Albers,  Stuttgart  1900)  can.  80  (M.  132,  190  207). 

10  14  und  sonst  (vgl.  Ind.  III  sub  tunica)  u.  a.  "  De  eccl.  offic.  1.  3,  c.  4  15  (M.  105,  1107 

1  Carm.  1.  5,n.3.  Par.  ad  episc.  (M.  105355).  1122). 


62 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


teil  der  liturgischen  Kleidung  aller  Ordines,  des  Papstes,  der  Bischöfe, 
der  Priester,  der  Diakone,  der  Subdiakone  und  sonstigen  Kleriker  erscheint 
die  Camisia  im  St  Gallener  Kleiderverzeichnis.  Auch  auf  einer  höchst  inter- 
essanten Miniatur  des  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  angehörigen  Sakramentars 
von  Autun 1,  welche  die  verschiedenen  Weihestufen  in  der  ihnen  eigenen  litur- 
gischen Kleidung  darstellt,  tragen  nicht  nur  der  Bischof  und  Priester,  sondern 
auch  der  Diakon  und  Subdiakon,  Akolyth  und  Lektor,  Exorzist  und  Ostiarius 
die  Albe  (Bild  24).  Ebenso  gewahrt  man  auf  den  Elfenbeintafeln  der  Deckel 
des  bekannten  Drogosakramentars  und  auf  seinen  Miniaturen  diese  nicht  bloß 
beim  Bischof,  sondern  auch  bei  den  übrigen  Klerikern 2.  Die  Albe  war  sonach 
zur  Karolingerzeit  ein  allen  Ordines  zukommendes  liturgisches  Gewand,  ohne 
das  keiner  der  am  Gottesdienst  Beteiligten,  vom  opfernden  Papst  oder  Bischof 
an  bis  zum  letzten  Kleriker,  am  Altare  erscheinen  durfte. 

Es  ist  indessen 
nicht  außer  acht  zu 
lassen,  dal  man  im 
9.,  ja  selbst  10.  Jahr- 
hundert unter  „Albe" 
nicht  nur  die  zur  li- 
turgischen Kleidung 
gehörende  Linnentuni- 
ka, sondern  auch  den 
entsprechenden  B  e- 
standteil  der  ge- 
wöhnlichen kleri- 
kalen Tracht  ver- 
stand. Es  scheint  aber, 
daß  man  sich  in  der 
Praxis  mißbräuchlich 
dieser  außerliturgi- 
schen Albe  nicht  sel- 
ten statt  der  litur- 
gischen bediente  bzw. 

es  sich  bei  der  Messe  mit  der  Alltagsalbe  genug  sein  ließ.  Es  bestimmt  nämlich 
im  Jahre  889  Eiculf  von  Soissons :  „Wir  untersagen  aber  allerwegen,  daß  man  sich 
jener  Albe  bei  der  Feier  der  heiligen  Geheimnisse  bediene,  die  man  im  Alltags- 
leben anzieht."  Auch  die  „Synodalermahnung"  sagt:  „Niemand  soll  sich  vermessen, 
in  der  Albe  die  Messe  zu  singen,  die  er  für  gewöhnlich  trägt."  Dementsprechend 
soll  auch,  wie  bereits  gesagt  wurde,  nach  Eegino  von  Prüm  (f  915)  der  Bischof 
bei  der  Visitation  sich  erkundigen,  nicht  nur  ob  der  Priester  ohne  Albe,  sondern  auch 
oh  er  in  seiner  Alltagsalbe  die  Messe  zu  singen  sich  unterfange.  Allerdings  erhellt 
aus  diesen  Verordnungen  nicht  minder,  daß  die  maßgebende  kirchliche  Auffassung  im 
9.  und  10.  Jahrhundert  sehr  wohl  zwischen  der  Albe,  die  im  Dienst  des  Kultus  stand, 
und  derjenigen  des  Alltagslebens,  wie  sehr  dieselben  auch  im  übrigen  einander  gleichen 
mochten,  unterschied  und  die  praktische  Nichtbeachtung  dieses  Unterschiedes  als 
Mißbrauch  betrachtete. 


Bild  24.    Subdiakon  und  Minoristen.   Miniatur  eines  Sakramentars 
in  Autun  (9.  Jahrb.). 


1  Das  Sakramentar  befindet  sich  im  Besitz 
des  Seminars  von  Autun  (Ms.  n.  19  bis). 
Delisle,  Mem.  96.  Abbildungen  der  Minia- 
tur schon  bei  Gerbert,  Vetus  liturgia 
alleman.  I  264,  und  Itealenc.  II  556;  seitdem 
genauer  bei  Roh.  I,  pl.  VII  und  neuestens  bei 
Wilp.,  Cap.  77. 


2  Bibl.  nat.  f.  lat.  9428.  Abbildungen  bei 
Cahier,  Miniatures  116  ff  und  Roh.  I, 
pl.  IV  ff.  Man  vergleiche  unter  anderm  auch 
die  Reliefs  des  Palliotto  in  S.  Ambrogio  zu 
Mailand  (Abbildung  bei  Roh.  I,  pl.  VIII). 
Über  das  Alter  des  Palliotto  vgl.  Stimmen 
aus  Maria-Laach  LVII  (1899)  311  ff. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  63 

IV.  DIE  ALBE  IN  VORKAROLINGISCHER  ZEIT. 

Die  Schwierigkeit,  welche  diese  Epoche  für  die  Geschichte  der  Albe 
bietet,  betrifft  nicht  den  Nachweis,  daß  man  damals  bei  der  Liturgie  sich 
überhaupt  einer  Tunika  bedient  habe,  sondern  daß  bereits  eine  liturgische, 
d.  i.  einzig  für  die  gottesdienstlichen  Verrichtungen  bestimmte 
Tunika  in  Gebrauch  gewesen  sei,  die  bei  andern  Gelegenheiten  zu  benutzen 
als  ungeziemend  und  unstatthaft  galt.  Nicht  jedes  Gewand,  das  beim  Gottes- 
dienst getragen  wird,  ist  ja  darum  auch  schon  ohne  weiteres  ein  litur- 
gisches Gewand.  Andernfalls  würde  ja  auch  die  Soutane  oder  die  vestis 
talaris,  mit  welcher  der  Priester  bei  der  Messe  unter  der  Albe  nach  der 
Vorschrift  des  römischen  Missale  bekleidet  sein  soll,  zur  Sakralgewandung 
zählen.  Was  ein  Obergewand  (Kasel,  Dalmatik)  oder  Untergewand  (Tunika) 
zu  einem  Sakralkleid  macht,  ist  die  ausschließliche  Bestimmung  für  liturgische 
Funktionen.  Aber  auch  aus  dem  Umstand,  daß  das  Obergewand  liturgischen 
Charakter  hat,  folgt  noch  nicht  sofort  das  gleiche  für  das  Untergewand,  da 
ein  liturgisches  Obergewand  keineswegs  notwendig  als  Ergänzung  ein  sakrales 
UntergeAvand  fordert. 

Daß  es  von  jeher  und  nicht  bloß  erst  seit  dem  4.  Jahrhundert  Brauch 
Avar,  bei  der  Feier  der  Liturgie  sich  einer  Tunika  zu  bedienen,  ist  zu  selbst- 
verständlich, als  daß  solches  auch  nur  im  geringsten  zweifelhaft  sein  könnte. 
War  doch  die  Tunika  das  allernotwendigste  und  unentbehrlichste  GeAvand- 
stück,  das  Allerweltskleid ,  dessen  sich  jedermann,  hoch  Avie  niedrig,  arm 
wie  reich  im  gewöhnlichen  Leben  zu  bedienen  pflegte.  Ein  ObergeAvand  trug 
man  nicht  immer,  namentlich  nicht  zu  Hause  oder  bei  der  Arbeit.  Auf  das 
UntergeAvand  aber  verzichtete,  abgesehen  von  den  Leuten,  deren  Beschäftigung 
eine  Beschränkung  der  Kleidung  auf  den  Leibschurz  oder  etwa  einen  um  den 
Unterkörper  geschlungenen  Mantel  mit  sich  brachte,  kaum  jemand  anders 
als  Bettler  und  geAvisse  Philosophen.  Freilich  sollte  man,  nach  den  zahl- 
reichen nackten  oder  halbbekleideten  Figuren  der  antiken  BildAverke  zu  ur- 
teilen, glauben,  eine  Tunika  sei  bei  den  Alten  nicht  eben  ein  großes  Be- 
dürfnis gewesen.  Indessen  galten  die  Grundsätze  der  antiken  Ästhetik 
glücklichenveise  nicht  auch  im  Alltagsleben.  Man  trug  sogar,  wenn  die 
Witterung  oder  die  körperliche  Verfassung  solches  erheischten,  eine  innere 
und  eine  äußere  Tunika  oder  gar  mehrere.  So  Avissen  Avir  z.  B.  aus  Sueton, 
daß  Augustus  sich  im  Winter  außer  mit  einer  Toga  aus  dickem  Stoff  noch 
mit  vier  Tuniken,  einem  Hemd  und  einer  Wolljacke  bekleidete  K  Mögen  auch 
die  meisten  genügsamer  geAvesen  sein,  die  paradiesischen  Zustände,  Avie  sie 
auf  den  Bildwerken  uns  entgegentreten,  entsprachen  gewiß  nicht  dem  realen 
Leben.  Überall,  avo  dieses  dargestellt  wird,  fehlt  die  Tunika  nimmer.  Daß 
insbesondere  in  kälteren  Gegenden  ein  Untergewand  dringendstes  Bedürfnis 
war  und  zum  eisernen  Bestand  der  Kleidung  gehörte,  liegt  auf  der  Hand. 

Die  Anschauung  der  Christen  hinsichtlich  des  Gebrauches  der  Tunika 
erhellt  deutlich  aus  den  Fresken  der  römischen  Katakomben.  Es  sind  nur 
ganz  bestimmte  Persönlichkeiten,  wie  z.  B.  Jonas,  oder  allegorische  Wesen, 
welche  ohne  Kleider  auftreten.  Bloß  ein  Lendenschurz  kommt  einmal  bei 
Johannes  dem  Täufer  und  einigemal  bei  Daniel  vor2.  Die  sog.  Philosophen- 
tracht,  das  unmittelbar  ohne  Tunika  über  dem  Leibe  getragene  Pallium,  bei 


1  Aug.  82.  2  Wilp.,  Gew.  5;  Sakr.  19;  Kat.  69. 


64  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untei-gewänder. 

"welchem  der  rechte  Arm,  die  rechte  Schulter  und  teilweise  auch  die  rechte 
Seite  des  Körpers  sichtbar  blieb,  kommt  nur  sehr  vereinzelt  vor,  und  zwar 
außer  bei  dem  Propheten  Isaias  auf  der  bekannten  Darstellung  der  Mutter 
Gottes  in  S.  Priscilla  auffallenderweise  bloß  in  zweien  der  sog.  Sakraments- 
kapellen in  S.  Callisto 1.  Es  sind  dort  -  -  und  zwar  entgegen  der  sonstigen 
Gewohnheit  —  Moses,  Christus  und  ein  Heiliger  so  dargestellt ;  daß  hier  das 
Obergewand  ohne  eine  Tunika  auftritt,  mag  eine  Reminiszenz  an  Gepflogen- 
heiten der  profanen  Kunst  sein,  wie  eine  solche  auch  sonst  wohl  in  der  alt- 
christlichen Kunst  sich  bemerklich  macht. 

Im  übrigen  fehlt  auf  den  Grabgemälden  der  Katakomben  nie  die  Tunika, 
Dieselbe  ist  bald  gegürtet,  bald  ungegürtet,  bald  kurz,  bald  länger,  bald 
ärmellos,  bald  mit  kurzen,  bald  mit  langen  Ärmeln  versehen,  bald  eine  exomis, 
welche  die  rechte  Schulter  freiließ,  bald  von  gewöhnlicher  Form,  je  nachdem 
es  dem  Brauch  der  Zeit,  in  welcher  die  Bildwerke  entstanden,  oder  dem 
darzustellenden  Gegenstand  entsprach2.  Dieselbe  Wahrnehmung  wie  die 
Katakombengemälde  gestatten  im  wesentlichen  auch  die  andern  christlichen 
Monumente  der  drei  ersten  Jahrhunderte.  Unter  solchen  Umständen  ist  es 
klar,  daß,  wenn  irgend  jemand,  dann  sicher  der  christliche  Liturg  bei  der 
Darbringung  des  heiligen  Opfers  stets,  und  nicht  erst  in  nachkonstan- 
t  in  i  seh  er  Zeit,  sich  einer  Tunika  bediente.  So  weitherzig  und  so  wenig 
feinfühlend  man  auch  in  der  antiken  Welt  in  mancher  Beziehung  in  Sachen 
des  Anstandes  gewesen  sein  mag,  es  wäre  unter  normalen  Verhältnissen  un- 
zweifelhaft als  grobe  Ungehörigkeit  betrachtet  worden,  hätte  ein  Bischof  nur 
im  Pallium  ohne  Tunika,  die  rechte  Seite  mitsamt  der  Schulter  und  dem  Arm 
entblößt,  den  heiligen  Dienst  verrichtet. 

Wirklich  gewahren  wir  auf  den  freilich  wenig  zahlreichen  liturgischen  Dar- 
stellungen, welche  uns  auf  den  Sepulkralgemälden  begegnen,  unter  der  Pänula  bzw. 
dem  Pallium  überall  die  Tunika,  so  bei  der  Einkleidung  einer  gottgeweihten  Jungfrau, 
in  S.  Priscilla  an  der  alten  Via  Salaria 3  und  einigen  Taufdarstellungen  '.  Auch  die 
Statue  des  Hippolytus,  um  von  andern  Darstellungen,  wie  z.  B.  den  Papstbildern  auf 
den  Goldgläsern  abzusehen,  zeigt  eine  Tunika  unter  dem  Pallium.  In  der  sog.  Kon- 
sekrationsszene 5  in  einer  der  Sakramentskapellen  von  S.  Callisto  soll  allerdings  ein 
Priester  in  der  Philosophentracht  auftreten  6.  Allein  gibt  denn  wirklich  dieses  Fresko 
die  Darstellung  der  Konsekration  wieder?  Weist  nicht  vielmehr  der  Umstand,  daß 
auf  dem  Tisch,  neben  welchem  rechts  die  weibliche  Orans,  links  die  männliche  Person 
im  Philosophengewand  steht,  nur  Brot,  nicht  aber  auch  Wein  sich  findet,  samt  der 
Haltung  und  dem  Gestus  des  sog.  Liturgen  die  Deutung  des  Bildes  auf  den  Wandlungs- 
moment entschieden  ab?  Es  kann  das  Fresko  nicht  einmal  als  realistische  Wiedergabe 
der  Austeilung  der  heiligen  Kommunion  gelten.  Denn  auch  in  diesem  Falle  würde 
man  auf  dem  Tische  neben  der  Brotsgestalt  die  des  Weines  erwarten,  da  ja  ehedem 
die  Himmelsspeise  den  Gläubigen  unter  beiden  Gestalten  gereicht  wurde.  Die  Dar- 
stellung hat  vielmehr ,  wie  auch  die  Orans  beweist ,  durchaus  einen  symbolischen 
Charakter.  Sie  will  zum  Ausdruck  bringen,  daß  der  Heiland  der  gläubigen  Seele,  hier 
durch  die  Verstorbene  als  Orans  symbolisiert,  sich  selbst  als  das  Brot  des  Lebens 
zur  Speise  gibt.  Darum  auch  der  Fisch  neben  dem  Brote  auf  dem  Tische.  Oder  aber 
es  soll,  wie  Wilpert  meint,  in  freier  Weise  natürlich,  Christus  dargestellt  werden,  wie 
er   das  Wunder  der  Vermehrung   an   einem  Eisch   und  einem  Laib  Brot  wirkt.     Daß 


1  Ebd.  11  bzw.  19  u.  74.  *  Wilp.,  Kat.  260. 

2  Wilp.,  Kat.  65  ff  und  Gew:  1  ff.  5  Abbildungen   bei  Kraus,   Roma  sotter- 

3  Abbildung  in  W  i  1  p. ,  Die  gottgeweihten  ranea 2  Tat'.  VIII,  und  G  a  r  r.  Taf.  7,  besser  bei 
Jungfrauen    Tl    1     und    besser    in    Wilp.,  Wilpert,  Kat.  Taf.  41  und  Sakr.  17. 
Kat.  Taf.  79.  c  Kraus  a.  a.  0.  314  f;  Realenc.  II  179. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


65 


hierbei  der  Fisch  und  das  Brot  auf  einem  Tisch  liegen,  soll  andeuten,  daß  durch  das 
Wunder  symbolisch  die  Konsekration  dargestellt  werde  '. 

Allerdings  ist  richtig,  daß  etwa  in  der  Zeit  von  150  bis  250  hie  und  da  bei 
Geistlichen  die  Philosophentracht,  d.  i.  ein  Pallium  ohne  Untertunika,  in  Gebrauch  kam. 
Am  häufigsten  scheint  das  im  Osten  geschehen  zu  sein,  wenngleich  wir  nur  von 
wenigen  bestimmten  Fällen  wissen.  So  nahm  z.  B.  der  alexandrinische  Presbyter 
Herakles  die  Philosophengewandung  an  2.  Im  Abendlande  dürfte  die  Philosophentracht 
kaum  Verbreitung  gefunden  haben  3. 

Jedenfalls  folgt  daraus,  daß  einige  Geistliehe  im  Alltagsleben  sich  des  Palliums 
ohne  Tunika  bedienten,  nicht  auch  schon,  dafs  dieselben  je  in  diesem  Anzug  an  den 
Altar  getreten  seien.  Und  wenn  zuletzt  die  absolute  Möglichkeit,  dafs  der  eine  oder  andere 
das  aus  falsch  verstandener  Aszese  oder  aus  Philosophendimkel  wirklich  getan,  nicht 
verneint  werden  kann  —  denn  was  ist  nicht  alles  schon  vorgekommen  — ,  ein  Beweis, 
daß  tatsächlich  solches  geschehen  sei,  ist  nicht  zu  erbringen.  Es  ist  denn  doch  allzu 
kühn,    aus   des  Eusebius  Äußerung   betreffs   des   hl.  Justinus :   'Iougtivo?    sv    cptXoco'tpcuv 


cr/rjJ.aT!   -fjiTjji'Jtov  tov   ilsiov  Aofov   xai  toi; 


Iva7<i>v[£o|Asvo;  tjuffpap-p-atjiv  *, 


auf  eine  liturgische  Verwendung  der  Philosophentracht  bei  der  Liturgie  zu  schließen. 
Abgesehen  davon,  daß  es  bekanntlich  mehr  als  fraglich  ist,  ob  Justinus  überhaupt 
je  Priester  war,  sind  denn  doch  das  Wort  Gottes  verkünden  und  das  heilige  Opfer 
darbringen  zwei  grundverschiedene  Dinge.  Noch  heute  kann  man  das  erste  ohne 
alle  sakrale  Kleidung  tun.  Wirklich  will  Eusebius  auch  nur  sagen,  der  hl.  Justinus 
habe  als  Philosoph  die  göttliche  Wahrheit  gepredigt. 

Als  der  hl.  Cyprian  (f  258)  zum  Tode  geführt  wurde,  war  er  nach  den  Pro- 
konsularakten  mit  einer  Untertunika  (linea),  einer  Obertunika  (dalmatica,  tunica)  und 
dem  Mantel  (lacerna,  byrrus)  bekleidet b.  Es  war  das,  wie  aus  dem  Zusammenhang 
hervorgeht,  seine  gewöhnliche  Kleidung.  Es  liegt  aber  auf  der  Hand,  daß  der  Heilige 
bei  der  Feier  der  heiligen  Geheimnisse  nicht  weniger  Gewänder  angezogen  hat  wie 
im  Alltagsleben. 

Daß  man  also  in  vorkonstantinischer  Zeit  auch  eine  Tunika  bei  der  Feier 
der  heiligen  Geheimnisse  getragen,  kann  vernünftigerweise  nicht  im  geringsten 
bezweifelt  werden.  Da  jedoch  eine  Tunika,  welche  beim  Gottesdienst  ge- 
braucht wird,  noch  nicht  darum  allein  schon  das  ist,  was  wir  eine  liturgische 
Tunika  nennen,  so  bleibt  die  Frage,  ob  es  damals  auch  bereits  eine  eigentlich 
liturgische  Tunika  gegeben  habe. 

Die  einzigen  Stellen  von  einiger  Bedeutung,  auf  welche  man  sich  zu 
Gunsten  einer  bejahenden  Antwort  etwa  berufen  könnte,  sind  erstens  die 
Worte  des  hl.  Irenäus,  in  denen  er  den  poderes,  die  Talartunika  des  Menschen- 
sohnes (Offb  1,  13),  „etwas  Priesterliches",  aliquid  sacerdotale  nennt6,  und 
dann  das  bekannte,  im  Liber  Pontificalis  Papst  Stephan  I.  (255 — 257)  zu- 
geschriebene Dekret,  wonach  die  vestes  sacratae  nur  in  der  Kirche,  nicht 
aber  im  Alltagsleben    getragen  werden   sollten7.     Allein   der  hl.  Irenäus  be- 


1  Über  die  sog.  Konsekrationsszene  in  S.  Cal- 
listo  vgl.  namentlich  W  i  1  p.,  Sakr.  15  ff  sowie 
Kat.  289. 

2  Euseb.,  Hist.  eccl.  1.  6,  c.  19  (Mg. 
20,  569). 

3  So  adoptierte  Tertullian  den  Philosophen- 
mantel,  wie  aus  seiner  Schrift  De  pallio  er- 
hellt, einer  von  Witz  und  Spott  überfließenden 
Verteidigung  des  pallium.  Übrigens  ist  die 
Behauptung,  Tertullian  empfehle  dasselbe  als 
für  den  christlichen  Priester  einzig  passend 
(Kraus,   Roma   sotterr.  314),  durchaus  im- 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


zutreffend.  In  der  ganzen  Schrift  findet  sich 
davon  kein  Wort.  Zudem  verteidigt  Tertullian 
keineswegs  schlechthin  die  Philosophentracht 
im  Sinne  eines  pallium  ohne  Tunika,  wie  aus 
c.  1  u.  5  (M.  2,  1084  1102)  hervorgeht.  Er  will 
nur  keine  Tunika,  die  aufgeschürzt  und  ge- 
gürtet werden  müßte. 

4  Euseb.,  Hist.  eccl.  1.  4,  c.  11  (Mg.  20, 
329). 

6  C.  5  (Corp.  SS.  eccl.  III,  app.  cxin). 

6  Adv.  haer.  1.  4,  c.  20,  n.  11  (Mg.  7,  1040). 

'  Du  eh. ,  L.  P.  I  154. 

5 


66  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

zeichnet  allem  Anschein  nach  jenen  poderes  als  „etwas  Priesterliches"  ledig- 
lich im  Hinblick  auf  die  Talartunika  des  jüdischen  Priestertums ;  denn  er 
fügt  unmittelbar  an :  „Und  darum  hat  Moses  nach  dieser  Weise  den  Hohen- 
priester bekleidet."  Was  aber  das  angebliche  Dekret  Stephans  I.  anlangt, 
so  ist  es  sehr  fraglich,  ob  dasselbe  wirklich  von  diesem  herrührt  oder  ob  es 
nicht  vielmehr  erst  aus  nachkonstantinischer  Zeit  stammt. 

Auch  im  vierten  und  den  nächstfolgenden  Jahrhunderten  fehlt  es  noch 
sehr  an  den  wünschenswerten  Belegen  für  die  Verwendung  einer  eigentlich 
liturgischen  Tunika.  Was  zunächst  die  Monumente  anlangt,  so  lassen  aller- 
dings die  Darstellungen  von  Päpsten,  Bischöfen,  Priestern  und  Diakonen  auf 
den  römischen  und  ravennatischen  Monumenten  des  6.  und  7.  Jahrhunderts 
deutlich  unter  der  Planeta  oder  Dalmatik  eine  Tunika  erkennen ;  allein  sie 
sagen  uns  nicht,  daß  es  sich  bei  dieser  um  ein  wirklich  liturgisches  Gewand 
und  nicht  um  die  Alltagstunika  handelt. 

Was  aber  die  schriftlichen  Zeugnisse  betrifft,  so  muß  man  sehr  wohl 
zusehen  und  untersuchen,  ob  in  ihnen  wirklich  von  einer  liturgischen  Tunika 
im  Sinne  unserer  Albe,  von  der  Tunika  der  gewöhnlichen  Kleidung  oder 
von  einer  Obertunika  nach  Art  der  Dalmatik  die  Rede  ist.  Am  ehesten 
scheint  noch  von  einem  der  späteren  Albe  analogen  Gewand  die  Rede  zu  sein, 
wenn  im  Brief  des  hl.  Hieronymus  an  Heliodor1  erzählt  wird,  der  Presbyter 
Nepotian  habe  sterbend  seinem  Onkel  den  Auftrag  gegeben,  seine  Tunika,  die 
er  „im  Dienste  Christi"  getragen,  Hieronymus  als  Andenken  zu  übersenden. 
Und  doch  wird  auch  hier  bei  näherem  Zusehen  die  Sache  zweifelhaft.  Denn  es 
ergibt  sich  weder  aus  den  Worten  Nepotians  noch  aus  dem  Zusammenhang, 
ob  dieser  das  fragliche  Gewand  bei  seinen  Amtsverrichtungen  bloß  verwendet 
hatte  wegen  seiner  besseren  Beschaffenheit  oder,  weil  es  als  unstatthaft  galt, 
im  Altardienst  sich  anderer  Kleider  als  solcher  zu  bedienen,  die  ausschließ- 
lich für  die  liturgischen  Amtshandlungen  bestimmt  waren.  Das  letzte  mag 
freilich  das  wahrscheinlichere  sein.  Denn  die  Anschauung,  welche  Hieronymus 
in  seiner  Erläuterung  von  Ez  44,  19  in  die  Worte  kleidet:  „Hieraus  lernen 
wir,  daß  wir  nicht  mit  den  alltäglichen  und  mit  beliebigen,  durch  die  Ver- 
wendung im  gewöhnlichen  Leben  beschmutzten  Kleidern  in  das  Allerheiligste 
eintreten,  sondern  nur  mit  reinem  Gewissen  und  in  reinen  Gewändern  des 
Herrn  Geheimnisse  in  den  Händen  halten  dürfen.  .  .  .  Die  göttliche  Religion 
hat  ein  anderes  Gewand  im  heiligen  Dienst,  ein  anderes  im  Alltagsleben"  2, 
war  zweifelsohne  nicht  bloß  die  des  Schreibers,  sondern  auch  die  seines 
Schülers  und  geistigen  Sohnes  Nepotian. 

Verhältnismäßig  früh  wird  uns  aus  Gallien  von  einer  liturgischen 
Tunika  der  Diakone  und  Lektoren  berichtet.  Es  ist  von  ihr  schon  bei  Gregor 
von  Tours,  in  den  Kanones  der  Narbonner  Synode  von  589,  ja  bereits  in 
den  neuerdings  dem  5.  Jahrhundert  zugeschriebenen  Statuta  ecclesiae  antiqua 
die  Rede.  Sie  hieß  alba  und  war  nach  den  Statuta  zweifellos  ein  eigentlich 
liturgisches  Gewand,  war  aber  wohl  eher  ein  Gegenstück  der  römischen  Dal- 
matik als  eine  Tunika  von  der  Art  unserer  Albe,  weshalb  auch  erst  bei  der 
Dalmatik  näher  auf  sie  eingegangen  werden  soll.  Unsicher  ist,  seit  wann  es 
in  Gallien  bei  den  Priestern  und  Bischöfen  eine  liturgische  Tunika  gegeben 
hat.  Um  das  Ende  des  4.  Jahrhunderts  scheint  die  Tunika  derselben  noch 
nicht  den  Charakter  eines  sakralen  Gewandes   besessen  zu  haben.      Sulpicius 


1  Ep.  60,  n.  13  (M.  22,  597).  "■  In  Ezech.  1.  13,  c.  44  (M.  25,  437). 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


67 


Severus  erzählt  nämlich,  als  eines  Tages  der  hl.  Martin  von  Tours  sich  bereit 
gehalten  habe,  an  den  Altar  zu  treten,  um  das  heilige  Opfer  darzubringen,  sei 
ein  Bettler  in  die  Sakristei  gedrungen  und  habe  dringend  um  ein  Gewand  zum 
Schutz  gegen  den  Frost  gebeten.  Darauf  habe  der  Heilige  unter  seinem  Amphi- 
balus,  einer  Glockenkasel,  seine  Tunika  ausgezogen  und  dieselbe  dem  Armen 
gereicht,  damit  er  sich  damit  bekleide.  Dann  habe  er  den  Archidiakon  ge- 
rufen und  ihm  befohlen,  eine  Tunika  für  einen  Armen,  worunter  der  Heilige  sich 
selbst  verstanden,  herbei  zu  besorgen.  Unwillig  habe  jener,  da  er  vom  Sach- 
verhalt keine  Kenntnis  gehabt,  um  weniges  Geld  eine  schlechte,  rauhe  und 
schäbige  Tunika  in  der  Nachbarschaft  gekauft  und  dem  Bischof  gebracht. 
Dieser  habe  ihn  herausgehen  heißen,  alsbald  das  Gewand  angezogen  und  sich 
so  zum  Altar  begeben  1.  Hätte,  so  sollte  man  glauben,  zur  Zeit  des  hl.  Martin 
in  Gallien  die  Tunika  einen  ausgesprochen  liturgischen  Charakter  besessen,  so 
hätte  der  Heilige  schwerlich  so  handeln  können  noch  auch  gehandelt,  wie  es 
Sulpicius  Severus  berichtet. 

Es  mag  sogar  im  dortigen  Ritus  die  priesterliche  Tunika  noch  eine  gute 
Weile  länger  nicht  zu  den  eigentlich  sakralen  Gewändern  gehört  haben. 
Denn  es  ist  auffällig,  daß  die  gallikanische  Meßerklärung  sie  bei  der  Deutung 
der  liturgischen  Kleider  vollständig  unberücksichtigt  läßt,  ja  sie  überhaupt 
nur  ganz  zufällig  und  nur  ganz  nebenher  nennt2. 

Auf  den  Stand  der  Dinge  in  Nordafrika  wirft  ein  bezeichnendes 
Licht,  was  von  dem  hl.  Fulgentius  von  Ruspe  dessen  Biograph  berichtet. 
Der  Heilige,  so  erzählt  dieser,  habe  in  der  Tunika,  in  welcher  er  geschlafen, 
das  heilige  Opfer  dargebracht  und  gesagt,  zur  Zeit  des  Opfers  solle  man 
lieber  die  Herzen  als  die  Kleider  wechseln  s.  Die  Handlungsweise  des  Bischofs 
war,  wie  aus  dem  Zusammenhang  hervorgeht,  nicht  das  Gewöhnliche;  man 
kann  sie  als  aszetische  Sonderbarkeit  bezeichnen,  sie  setzt  aber  ersichtlich 
voraus,  daß  es  zu  Lebzeiten  des  hl.  Fulgentius,  also  im  Beginn  des  6.  Jahr- 
hunderts, in  der  afrikanischen  Kirche  noch  keine  eigentlich  liturgische  Tunika 
gab,  wenigstens  nicht  allgemein  und  nicht  kraft  Vorschrift  oder  bindender 
Gewohnheit.  Wäre  ihr  sakraler  Charakter  dort  schon  über  allen  Zweifel 
erhaben  gewesen,  hätte  der  Heilige  gewiß  bei  der  Messe  sich  nicht  seiner 
gewöhnlichen  Tunika  bedient. 

Aus  Spanien  besitzen  wir  nur  Nachrichten  über  eine  liturgische  Albe 
der  Diakone  und  eine  sakrale  Tunika  der  Subdiakone  4.  Daß  es  in  Irland 
im  7.  Jahrhundert  eine  priesterliche  liturgische  Tunika  gab,  dürfte  vielleicht 
aus  dem  Gebet  des  Stowe-Missale,  welches  der  Priester  bei  der  Vorbereitung 
auf  die  heilige  Messe  zu  sprechen  hatte,  gefolgert  werden.  „Ich  bitte  dich, 
allerhöchster  Gott  Sabaoth,  heiliger  Vater,  du  wollest  mich  mit  der  Tunika 
der  Keuschheit  gnädigst  umgeben  und  meine  Lenden   mit  dem  Gürtel  deiner 


1  Dialog.  1.  2,  c.  1  (Corp.  SS.  eccl.  I  180). 

-  M.  72,  98:  Proliibet  autem  manica  to- 
nica  (=tonicae).  ne  appareat  vile  vestimen- 
tum  (wohl  die  Alltagskleidung).  In  der  Bio- 
graphie des  hl.  Cäsarius  von  Arles  (f  542)  wird 
erzählt,  es  habe  der  Heilige  eines  Tages  einem 
Armen,  da  er  sonst  nichts  gehabt,  casulam 
qnamprocessoriam  habebat,  albamquepascha- 
lem  mit  der  Weisung  gegeben,  dieselben  an  je- 
manden   aus  dem  Klerus  zu  verkaufen  (Cy- 


prian.,  Episc.  Toi.,  Vita  S.  Caesar.  1.  1, 
c.  4  [M.  67,  101 7J).  Der  letzte  Umstand  und 
die  Wendung :  quam  processoriam  habebat, 
lassen  wohl  in  jenen  Kleidern  wirklich  litur- 
gische Stücke  erkennen,  doch  ist  unklar,  ob 
alba  paschalis  eine  Obertunika,  die  gewöhn- 
liche Tunika  oder  (mit  Ergänzung  von  easula) 
eine  Kasel  bedeutet. 

3  Vita  S.  Fulgentii  c.  18,  n.  37  (M.  65,  136). 

4  Näheres  auch  über  sie  unter  Dalmatik. 

5* 


68  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Liebe  umschließen"  usw.,  so  lautet  dasselbe  1.  Es  scheint  darauf  hinzudeuten, 
daß  der  Priester,  während  er  dieses  Gebet  sprach,  sich  mit  einer  eigenen, 
nur  für  die  gottesdienstlichen  Funktionen  bestimmten  Untertunika  bekleidete. 
Zu  Rom  muß  es  eine  liturgische  Tunika  im  Sinne  der  heutigen  Albe 
schon  eine  geraume  Weile  vor  dem  6.  Jahrhundert  gegeben  haben.  Denn 
das  vorhin  erwähnte  angebliche  Dekret  Papst  Stephans  I.  gibt  unzweifelhaft 
den  liturgischen  Brauch  wieder,  wie  er  zur  Zeit  der  Abfassung  des  ersten 
Teiles  des  Papstbuches,  d.  i.  in  dem  Anfange  des  6.  Jahrhunderts,  bereits 
seit  langem  bestanden  haben  muß.  Andernfalls  hätte  ja  der  Schreiber  der 
Vita  Stephani  es  unmöglich  als  von  diesem  Papst  herrührend  hinstellen  können. 
Freilich  spricht  das  Dekret  nicht  ausdrücklich  von  der  Albe,  sondern  begnügt 
sich,  generell  den  Gebrauch  der  vestes  sacratae  im  Alltagsleben  zu  verbieten. 
Indessen  lautet  es  so  allgemein  und  ohne  jede  Einschränkung,  daß  es  wohl 
von  der  Gesamttracht  verstanden  werden  muß,  in  welcher  die  an  der  Feier 
der  Liturgie  beteiligten  Geistlichen  am  Altare  erschienen,  also  nicht  bloß  von 
der  Planeta,  dem  mantelförmigen  Obergewand,  und  der  Dalmatik,  der  Ober- 
tunika des  Papstes  und  der  Diakone,  sondern  auch  von  der  Tunika,  dem  nach 
römischem  Begriff  zur  Planeta  und  Dalmatik  unumgänglich  notwendigen  Unter- 
gewand, dem  nie  fehlenden,  weil  unentbehrlichsten  Teil  eines  anständigen 
Anzuges. 

Nach  der  um  500  entstandenen  "Vita  S.  Silvestri  könnte  es  sogar  scheinen,  als 
ob  es  bereits  im  4.  Jahrhundert  zu  Rom  eine  liturgische  Albe  gegeben  habe.  Dieselbe 
erzählt :  Zur  Zeit  dieses  Papstes  sei  ein  heiliger  Bischof  Pamphiliens,  Euphrosinus  mit 
Namen,  nach  Rom  gekommen  und  habe  dort  am  Altar  ein  colobium,  eine  ärmellose, 
wallende  Tunika,  getragen,  die  ehedem  dem  Apostel  Jakobus  gehört  habe.  Daraufhin 
hätten  dann  auch  Silvester,  seine  Presbyter  und  seine  Diakone  Kolobien  in  Gebrauch 
genommen,  und  so  sei  es  geblieben  unter  Markus,  Julius  und  Liberius.  Da  aber 
dann  die  Nacktheit  der  Arme  getadelt  worden  sei,  habe  man  die  Kolobien  mit 
Dalmatiken  vertauscht.  Visum  est  enim  melius  huic  proposito  convenire,  quod  accu- 
ratius  magis  aspectibus  placere  valeat  populorum 2. 

Indessen  ist  die  Silvesterbiographie  zu  voll  des  Fabelhaften,  um  als  zuverlässig- 
gelten  zu  können 3.  Dann  scheint  es  sich  in  ihr  nicht  sowohl  um  eine  Unter-  wie 
um  eine  Obertunika  zu  handeln.  Ferner  steht  die  obige  Erzählung  im  Widerspruch 
mit  der  Notiz  des  L.  P.,  dem  zufolge  bereits  Silvester  bestimmte,  es  sollten  sich  die 
Diakone  der  Dalmatik  bedienen.  Ausserdem  ist  es  unzutreffend ,  wenn  die  Vita 
auch  den  Presbytern  die  Dalmatik  zuweist,  da  diesen  nach  römischem  Brauch  das 
Gewand  nie  zustand.  Endlich  redet  die  Biographie  nicht  sowohl  von  dem  liturgischen 
Charakter  als  der  Form  der  Tunika,  Ihre  Angaben  sind  also  für  den  Nachweis,  daß 
es  bereits  im  4.  Jahrhundert  zu  Rom  eine  liturgische  Tunika  im  Sinne  der  späteren 
Albe  gegeben  habe,  ohne  Belang. 

Ausdrücklich  genannt  wird  die  Albe  als  Bestandteil  der  römischen 
Sakraltracht  zuerst  in  dem  1.  Ordo  Mabillons. 

Seit  dem  9.  Jahrhundert  bietet  die  Geschichte  der  Albe,  was  deren 
Charakter  als  liturgisches  Gewand  und  deren  Verwendung  im  Kultus  anlangt, 


1  Propst,  Die  abendländische  Messe  44.  f.  lat.  9432,  f.  10)  betet  es  der  Bischof,  wenn 

Über  das  Alter  des  Stowe-Missale  vgl.  oben  S.  7.  er  die  bischöfliche  Tunika  anzieht.   Nach  dem 

Dieses  Gebet  findet  sich  auch  im  Sacramen-  Cod.  Vatic.  1.  4770    (s.  X — XI)    spricht   der 

tarium  Ambros.    (ed.   Pamelius  293)    und   in  Priester  es  bei  Anlegung  des  Gürtels.    Propst 

manchen    späteren    Missalien.      Nach    einem  (a.  a.  0.  59)    scheint   anzunehmen,    daß  das 

Pontifikale    von    Troyes   (s.  XI)    bei   Mart.  Gebet  aus  Rom  stammt. 

1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  6;  I  190  und  einem  2  Duch. ,  L.  P.  I  189. 

Sakramental-  von  Amiens  (s.  IX ;  Bibl.  nation.  3  Ebd.  I,  Introduct.  cxiv  ff. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  69 

bis  gegen  das  13.  Jahrhundert  hin  kaum  etwas  Bemerkenswertes.  Die  Angaben, 
die  wir  über  dieselbe  bei  Pseudo-Beda,  Pseudo-Alkuin,  Johannes  von  Avranches 
und  in  sonstigen  Quellen  finden,  decken  sich  ganz  mit  dem,  was  wir  von  ihr 
durch  Hraban,  Amalar  usw.  erfuhren.  Von  einigem  Interesse  ist  zuletzt  nur 
eine  Notiz  bei  Rupert  von  Deutz  \  die  uns  belehrt,  daß  in  manchen  Klöstern 
von  der  Regel  des  hl.  Benedikt  an  gewissen  Festen  nicht  nur  die  beim  Gottes- 
dienst unmittelbar  tätigen  Kleriker,  sondern  überhaupt  alle,  die  im  Chor 
saßen,  eine  Albe  trugen.  Die  Sitte  bestand  nach  den  Consuetudines  Clunia- 
censes  z.  B.  bei  den  Cluniacensern2.  Andeutungsweise  spricht  von  ihr  auch 
Lanfrank  in  einem  Briefe  an  Johannes  von  Avranches3.  Von  den  Alben, 
welche  an  diesen  Tagen  von  allen  Klosterinsassen,  auch  den  infantes,  getragen 
wurden,  hießen  die  betreffenden  Feste  schlechthin  festa  in  albis4,  der  Aus- 
druck festa  in  albis  aber  galt  hinwiederum  als  gleichbedeutend  mit  „hohe 
Feste".  Es  ist  nicht  so  unwahrscheinlich,  daß  diese  Gepflogenheit  bereits 
schon  im  9.  Jahrhundert  bestand.  Wenigstens  scheinen  die  260  Alben,  welche 
Angilbert  für  das  Kloster  Centula  beschaffte,  auf  einen  ähnlichen  Brauch 
hinzuweisen.  Daß  selbe  lediglich  für  die  Priester  und  ihre  Ministri  bestimmt 
waren,  dürfte  die  große  Zahl  der  Alben  ausschließen. 

Auch  die  Geschichte  der  Albe  seit  dem  13.  Jahrhundert  bringt, 
was  den  Gebrauch  des  Gewandes  bei  den  gottesdienstlichen  Funktionen  an- 
langt, keinen  wesentlichen  Wechsel  im  bisherigen  Stand  der  Dinge.  Die  einzige 
Veränderung  von  Bedeutung,  die  in  dieser  Hinsicht  seit  etwa  1150  vor  sich 
geht,  besteht  darin,  daß  sich  für  eine  Anzahl  von  priesterlichen  Funktionen 
und  als  liturgisches  Gewand  der  Minoristen  anstatt  der  Albe  allmählich  ein 
Ersatz  derselben,  das  Superpelliceum,  einbürgerte.  Wir  müssen  auf  diese 
Sache  bei  Behandlung  des  Superpelliceums  näher  eingehen  und  können  des- 
halb hier  von  einer  Schilderung  dieses  Wechsels  Abstand  nehmen.  Wir  be- 
merken daher  bloß,  daß  die  Albe  bereits  im  15.  Jahrhundert  für  gewöhnlich 
nur  noch  bei  der  Messe  und  etwaigen  mit  derselben  in  Verbindung  stehenden 
Funktionen  getragen  zu  werden  pflegte.  Sehr  belehrend  ist  in  Bezug  auf  den 
damaligen  römischen  Brauch   der    15.  Ordo  Mabillons. 

V.  FORM  DER  ALBE. 

Auf  den  liturgischen  Darstellungen  der  Katakombenfresken  tritt  die 
Tunika  des  Liturgen,  von  der  wir  allerdings  nicht  wissen,  ob  sie  ein  sakrales 
Gewand  darstellen  soll,  in  verschiedener  Form  auf.  Der  taufende  Priester 
in  der  Sakramentskapelle  trägt,  wie  es  scheint,  eine  mittelkurze,  geschürzte, 
mit  Halbärmeln  versehene  Tunika.  Auf  der  sog.  „Einkleidung  einer  gott- 
geweihten Jungfrau"  finden  wir  dagegen  bei  dem  Bischof  eine  lange,  weitärmelige, 
ungegürtete  Tunika,  ähnlich  der  späteren  Dalmatik.  Es  wäre  in  der  Tat  un- 
zutreffend, wollte  man  annehmen,  es  habe  sich  der  Liturg  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten einer  bestimmten  Form  der  Tunika  beim  Gottesdienst  bedient.  Die 
Tunika,  die  er  unter  dem  Obergewand  trug,  entsprach  in  Bezug  auf  Form 
und  Beschaffenheit  unzweifelhaft  dem  gerade  herrschenden  Brauch. 


1  De  off.  div.  1.  2,  c.  23  (M.  170,  54).  IV  97  145  148  160  178  186  189  194.    Consuet. 

2  L.  1,  c.  11   (M.  149,  653).    Vgl.  Mar t.,  Farfens.  (ed.  Albers)  43  57  70  86. 
De  autiquis   monach.   rit.    1.  3,    c.  4,    n.  28;  3  Ep.  13  (M.  150,  520). 

c.  16,  n.  2  27;  c.  22,  n.  1  ;  1.  4,  c.   1,  n.  9 ;  *  Vgl.   z.  B.    den  Auszug    aus    dem    Regi- 

c.  2,  n.  2;  c.  3,  n.  11;  c.  5,  n.  1  und  sonst;  strum  Roffense  in  Revue  1887,  332  ff. 


70 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untersrewander. 


Die  römische  Tunika  war  in  der  Regel  gegürtet ;  eine  Ausnahme  bildete 
die  tunica  laticlavia  der  Senatoren.  Die  afrikanische  Tunika  wurde  ursprüng- 
lich nicht  aufgeschürzt,  wie  aus  Tertullians  Schrift  De  pallio  *  erhellt.  Die 
gegürtete  Tunika  erhielten  die  Afrikaner  von  den  Römern.  In  der  ersten 
Kaiserzeit  hatte  der  Leibrock  in  der  Regel  kurze  Ärmel,  falls  er  nicht  ganz 
ärmellos  war.  Wir  haben  ihn  uns  nach  den  Bildwerken  aus  dieser  Epoche  als 
eine  Art  von  weitem,  unten  offenem  Sack  vorzustellen,  der  oben  in  der  Mitte 
einen  Durchlaß  für  den  Kopf  besaß,  oben  an  den  Seiten  mit  einem  Schlitz 
zum  Durchstecken  der  Arme  versehen  war  und  bei  Erwachsenen  etwa  eine 
Breite  von  1,00  bis  1,50  m  haben  mochte  (vgl.  Bild  14,  S.  47).  Durch  die  Gür- 
tung bildete  sich  bei  ihm  so  etwas  wie  Ärmel  (Bild  25).  Wir  begegnen  dieser 
Tunikaform  auf  den  Monumenten  äußerst  häufig,  und  zwar  finden  wir  sie  bei 

Personen  aus  allen  Ständen,  ein  Beweis  für  ihre 
weite  Verbreitung. 

Die  tunica  manicata  oder  manuleata,  lang- 
ärmelige  Tunika,  kommt  auf  den  Fresken  der 
Katakomben  in  den  beiden  ersten  christlichen 
Jahrhunderten  sehr  selten  und  nur  bei  bestimmten 
Personen,  namentlich  den  Magiern  und  den  baby- 
lonischen Jünglingen,  also  besonders  bei  Orien- 
talen, vor2.  Auch  auf  den  Profanmonumenten 
dieser  Zeit  bat  die  Tunika  für  gewöhnlich  ent- 
weder keine  oder  nur  kurze  Ärmel.  Langärmelige 
Tuniken  zu  tragen,  galt  eben  für  Männer  damals 
noch  als  ungeziemend.  Bald  nahm  die  nimmer 
rastende  Mode  den  langen  Ärmeln  freilich  das 
Unschickliche;  in  der  späteren  Kaiserzeit  waren 
langärmelige  Tuniken  sehr  gewöhnlich.  Schon 
Tertullian  will,  daß  die  Ärmel  weder  zu  kurz 
noch  an  den  Händen  zu  eng  seien,  nee  brachiis 
parcae,  nee  manibus  aretae 3.  Zur  Zeit  des 
hl.  Augustinus  galt  es  für  Leute  von  Stand 
sogar  als  ungeziemend  und  schimpflich,  kurz- 
ärmelige zu  tragen.  Talares  et  nianicatas  tu- 
nicas  habere,  apud  Romanos  veteres  flagitium 
erat,  nunc  autem  honesto  loco  natis,  cum  tunicati  sunt,  non  eas  habere 
flagitium  est4. 

Was  die  Länge  des  Gewandes  anlangt,  so  reichte  die  Tunika  in  der 
ersten  Kaiserzeit  bei  den  Männern  regelmäßig  nur  bis  mitten  vor  das  Knie, 
jedenfalls  aber  nicht  weit  über  dasselbe5.  Lang  herabwallende  Tuniken  zu 
tragen,  galt  als  weibisch  und  unpassend.  Ein  Wechsel  konnte  aber  bei  der 
zunehmenden  Verweichlichung  auch  hier  nicht  ausbleiben  und  es  scheint,  daß 
die  Kaiser  selbst  mit  gutem  Beispiel  vorangingen.  Im  3.  Jahrhundert  hatte  die 
Sitte,  wonach  auch  Männer  sich  lang  herabfallender  Tuniken  bedienten  —  die 
Dalmatik  ist  eine  Abart  derselben  — ,  bereits  eine  weite  Verbreitung  gefunden, 
im  4.  war  sie  nach  dem  angeführten  Zeugnis  des  hl.  Augustinus   bei  Leuten 


Bild  25.     Sog.  Camillus  in 
sackförmiger,  gegürteter  Tunika 


1  c.  1   (M    2,  1084). 

-  Wilp. ,  Gew.  4  und  Kat.  67. 

••  De  pallio  c.  1  (M.  2,  1084). 


i  De  doctr.  christ.   1.  3,   c.  12,   n.  20   (M. 
34,  74). 

5  Vgl.  die  Monumente  aus  jener  Zeit. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  71 

von  Stand  herrschend.  Auf  dem  Triumphbogen  Konstantins  sind  der  Kaiser 
wie  die  Vornehmen,  die  in  der  Toga  zur  Entgegennahme  der  Geldspende  vor 
dem  Kaiser  stehen ,  mit  langer  Tunika  versehen.  Treffliche  Beispiele  fin- 
den Gebrauch  der  Talartunika  liefern  auch  die  Konsul ardiptychen,  nament- 
lich das  noch  dem  4.  Jahrhundert  angehörende  des  Rufinus  Probianus.  Auch 
mit  dem  Stoff,  aus  dem  die  Männertuniken  angefertigt  wurden,  ging  im  Laufe 
der  Zeit  eine  Veränderung  vor  sich.  Ursprünglich  wurden  sie  nach  römischem 
Brauch  für  gewöhnlich  aus  ungefärbter,  weißer  Wolle  gemacht;  Leinwand 
scheint  bei  ihrer  Anfertigung  erst  im  3.  Jahrhundert  eine  ausgedehntere  An- 
wendung gefunden  zu  haben.  Gegen  Ende  des  4.  Jahrhunderts  aber  bestand 
die  Tunika  meist  aus  Linnen  und  nur  noch  die  äußeren  Kleider  aus  Wolle: 
Interiora  sunt  enim  linea  vestimenta,  lana  exteriora 1,  sagt  der  hl.  Augustinus. 

Es  ist  wohl  nicht  zweifelhaft,  daß  die  Geistlichen,  seitdem  die  Talar- 
tunika in  Gebrauch  gekommen  war,  sich  wenigstens  beim  Gottesdienst  dieser 
Art  von  Tunika  zu  bedienen  pflegten.  Namentlich  darf  das  mit  aller  Be- 
stimmtheit für  die  nachkonstantinische  Zeit,  als  die  Kirche  den  Frieden  er- 
langt hatte,  frei  auftreten,  sich  ungehindert  entfalten  und  die  Opferfeier  mit 
dem  geziemenden  Glanz  umgeben  durfte,  als  Regel  angesehen  werden.  Die 
wallende,  die  Blöße  der  Arme  bedeckende  tunica  talaris  manicata  mußte  der 
hohen  Würde  der  christlichen  Liturgie  MTie  des  christlichen  Liturgen  und 
seiner  Gehilfen  am  entsprechendsten  erscheinen.  War  ja  doch  auch  eine 
Talartunika  auf  Gottes  Geheiß  von  Moses  dem  alttestamentlichen  Priester  als 
Kultgewand  vorgeschrieben  worden  in  gloriam  et  decorem,  zur  Zier  und  zum 
Schmuck 2.  Es  ist  wohl  keine  Übertreibung  der  Einwirkung  der  alttestament- 
lichen Kulttracht  auf  die  Bildung  der  neutestamentlichen,  wenn  man  der 
Erinnerung  an  den  Poderes  des  Alten  Bundes  auch  irgend  einen  Einfluß  auf 
die  Annahme  der  Talartunika  für  den  christlichen  Kultus  seitens  der  Geist- 
lichen zuschreibt.  Heißt  es  doch  in  der  Kanonessammlung  des  hl.  Martin, 
Bischof  von  Braga  (f  5S0):  „Die  Geistlichen  sollen  nicht  mit  wohl  gepflegtem 
Haar  ihren  Dienst  verrichten,  sondern  mit  geschorenem  Haupte  und  sicht- 
baren Ohren,  und  nach  dem  Vorbilde  Aarons  eine  Talartunika  anziehen, 
auf  daß  sie  so  mit  dem  für  sie  passenden  Gewände  ausgestattet  sind." 3 

Bei  den  Laien  hielt  sich  die  Talartunika  auf  die  Dauer  nicht  im  Ge- 
brauch. Sie  hatte  für  dieselben  Avirklich  zu  viel  Unbequemlichkeiten  und 
Schattenseiten.  Die  Mode  machte  darum ,  wie  das  auch  sonst  nicht  selten 
vorkommt,  eine  rückläufige  Bewegung,  und  man  kehrte  nach  und  nach  zur 
kurzen  Tunika  zurück.  Man  hat  das  mit  dem  Hereinbrechen  der  germanischen 
Völker  und  Einflüssen  des  Auslandes  in  Verbindung  gebracht.  Ohne  Grund. 
Bei  einer  großen,  vielleicht  der  größten  Masse  des  Volkes,  der  arbeitenden 
Klasse  und  dem  Militär,  war  die  kurze  Tunika,  wie  leicht  begreiflich,  über- 
haupt nie  außer  Brauch  gekommen.  Es  ist  daher  nicht  von  nöten, 
den  Blick  auf  die  nordischen  Barbaren  zu  richten,  um  den 
Wechsel    der   Mode   zu   erklären. 

Lehrreich  sind  für  den  Stand  der  Dinge  im  6.  und  7.  Jahrhundert  nament- 
lich die  aus  jener  Zeit  stammenden  römischen  und  ravennatischen  Mosaiken. 
Wo  auf  denselben  Laien  in  realistischer  Weise  dargestellt  werden,  und  es  sich 
also  nicht  um  einen  bloßen  Typus  oder  etwa  einen  Heiligen  im  Kleide  der 
Seligkeit  handelt,  gewahren  wir  bei  denselben   regelmäßig  ein  kurzes  Unter- 


1  Sermo  de  Script,  s.  37,  c.  5  (M.  38,  224).  "-  Ex  28,  40.  3  Can.  66  (M.  84,  583). 


72  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

gewand.  Ein  treffliches  Beispiel  bietet  namentlich  die  Tracht  eines  Justinian 
und  seiner  wie  seiner  Gemahlin  Höflinge  auf  den  Mosaiken  in  S.  Vitale  zu 
Kavenna. 

Anders  wie  bei  den  Laien  und  im  profanen  Treiben  verhielt  es  sich 
jedoch  bei  den  Geistlichen  und  im  Kultleben.  Hier  blieb  die  Talartunika. 
Was  die  Laien  zu  einer  Änderung  in  der  Tracht  führen  mußte,  fiel  bei  dem 
Klerus  weg.  Zudem  mußte  die  Talartunika  vor  wie  nach  als  die  für  den 
Gottesdienst  und  die  gottesdienstlichen  Personen  passendste,  weil  würdigste 
Tunikaart  erscheinen.  Versuche  von  Klerikern,  es  im  außerkirchlichen  Leben 
und  selbst  in  der  Kirche  den  Laien  gleichzutun,  begegnen  uns  nur  sehr  ver- 
einzelt und  nur  in  Gallien  und  Spanien1. 

Über  die  nähere  Beschaffenheit  der  Talartunika,  wie  sie  seit  etwa  den 
Tagen  Konstantins  beim  Klerus  in  Gebrauch  war  —  von  ihrem  liturgischen 
Charakter  sehen  wir  hier  ab  — ,  erhalten  wir  vor  dem  9.  Jahrhundert  aus 
schriftlichen  Quellen  keine  Auskunft.  Von  den  Monumenten  aber  geben  uns 
darüber  nur  wenige  Aufschluß  und  selbst  diese  bloß  einen  recht  kümmerlichen. 
In  den  meisten  Fällen  ist  das  Gewand,  weil  es  sich  um  Darstellungen  von 
Bischöfen  und  Diakonen  handelt,  auf  den  Bildwerken  durch  die  Dalmatik  so 
sehr  verdeckt,  daß  wir  im  besten  Falle  bloß  die  Mündungen  der  Ärmel  sehen. 
Vollständiger  erscheint  es  auf  den  Mosaiken  in  S.  Venanzo  bei  dem  Presbyter 
Asterius  und  auf  dem  Fresko  in  der  Katakombe  des  hl.  Pontian  beim  hl.  Vin- 
zenz,  die  beide  ohne  Dalmatik  abgebildet  sind.  Es  reicht  hier,  wie  die  Dal- 
matik, bis  zu  den  Füßen,  ist  aber  statt  mit  weiten,  mit  engen  Ärmeln  versehen. 

Die  erste,  freilich  sehr  unzureichende  Beschreibung  unserer  Albe  erhalten 
wir  durch  Hraban  und  Amalar  im  Beginn  des  9.  Jahrhunderts. 

Nach  Hraban  ist  das  zweite  Gewand,  mit  dem  sich  der  Priester  bekleidet, 
eine  tunica  linea,  welche  im  Griechischen  poderes,  im  Lateinischen  aber  talaris 
genannt  werde.  Den  Grund  dafür,  daß  es  aus  Linnen  verfertigt  werde,  findet 
er  in  der  Symbolik  desselben;  wegen  seiner  Weiße  sinnbilde  es  nämlich  die 
Enthaltsamkeit  und  Keuschheit.  Dadurch,  daß  es  bis  zu  den  Knöcheln 
heruntergehe,  ermahne  es  den  Priester,  bis  zum  Ende  des  Lebens  guten 
Werken  obzuliegen. 

Eigentümlicherweise  bezeichnet  Hraban  die  linea  der  Priester  des  Neuen 
Bundes  als  eng  anschließend.  Amalar  betont  nämlich  im  Gegenteil  ausdrücklich, 
daß  die  camisia,  die  man  Albe  nenne,  d.  i.  das  liturgische  Gewand  des  christ- 
lichen Kultus,  sich  von  der  linnenen  Tunika  des  jüdischen  Opferdienstes  durch 
die  Weite  unterscheide.     Diese  sei  eng  gewesen,  jene  aber  sei  weit. 

Den  mystischen  Grund  hierfür  findet  er  in  den  Worten  des  Apostels :  Non  enim 
accepistis  spiritum  servitutis  in  timore.  Die  Juden  waren  durch  das  Gesetz  eingeengt 
und  wie  in  Knechtschaft  geschlagen,  wir  aber,  die  der  Sohn  Gottes  befreit,  seien  als 
Gotteskinder  frei. 

Das  Bild,  welches  die  Monumente  des  9.  Jahrhunderts  von  der  Gestalt  der 
Albe  vermitteln,  läßt  sie  als  eine  schlichte  Ärmeltunika,  die  bis  zu  den  Füfsen  reicht, 
erscheinen.  Unten  von  ziemlicher  Weite,  hat  sie  meist  sehr  enge  Ärmel,  namentlich 
dann,  wenn  eine  zweite  Tunika  bzw.  eine  Dalmatik  darüber  getragen  wird.  Man 
vergleiche    die    schon    früher    erwähnte    Miniatur    in    der    Bibel    Karls    des    Kahlen 


1  Vgl.  Synode  von  Agde  (a.  506)  can.  20  des   hl.  Martin  von  Braga   und   can.  11  des 

(Hard.  II  1000) ;  Synode  von  Mäcon  (a.  583)  zweiten  Konzils  von  Braga   (a.  563)  (Hard. 

can.  6  (M.  G.  Conc.  I  156);  den  vorhin  an-  III  351):  Item  placuit,   ut  Iectores  in  habitu 

geführten    Kanon  66    der    Kanonessammlung  saeculari  ordinati  non  psallant. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


73 


(s.  Titelbild),  die  Miniatur  des  Sakramentars  von  Antun  (vgl.  Bild  24,  S.  62),  die  Reliefs 
der  Rückseite  des  herrlichen  Pallioto  in  S.  Ambro gio  zu  Mailand  u.  a.  Die  Erklärung 
des  Widerspruches,  in  dem  sich  Hraban  und  Amalar  bezüglich  der  Albenweite  befinden, 
ist  wohl  darin  zu  suchen,  daß  Hraban  seine  Angabe  wörtlich  aus  Bedas  Schrift  De 
Tabernaculo  1.  8,  c.  8,  wo  vom  jüdischen  poderes  die  Rede  ist,  abschrieb. 

Von  der  Gestalt  der  Albe,  wie  sie  dem  Gewände  im  Beginn  unseres 
Jahrtausends  eignete,  gewährt  eine  dem  hl.  Bernulf,  Bischof  von  Utrecht 
(f  1056),  zugeschriebene  und  in  der  bischöflichen  fjansenistischen)  Kanzlei  zu 
Utrecht  aufbewahrte  Prachtalbe  ein  Bild.  Dem  Stoff  nach  besteht  sie  aus 
ziemlich  grober  Leinwand ;  dabei  ist  sie  jedoch,  wie  Bild  26  zeigt,  am  unteren 
Saum,  um  den  Rand  der  Ärmel,  um  den  Kopfdurchlaß  usw.  reich  mit  Gold- 
borten besetzt1. 

Die  Liturgiker  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  geben  uns  von  der 
Albe    eine    ziemlich    ausführliche   Beschreibung.     Was   wir   von   ihnen   über 

die  Gestalt  und  Beschaffenheit  des 
Gewandes  hören,  ist  etwa  folgen- 
des: Die  Albe  steigt  bis  zu  den 
Knöcheln  hinab ;  ihre  Ärmel  sollen 
eng  sein.  Oben  ist  sie  mit  einem 
caputium,  d.  h.  einer  Öffnung  zum 
Durchstecken  des  Kopfes,  versehen. 
An  diesem  caputium 2  ist  eine  lin- 
gua,  lingula,  ligula3,  d.  i.  eine 
Schließe  oder  Bindevorrichtung, 
angebracht,  welche  zum  Schließen 
des  Durchlasses  dient.  In  der 
Mitte  verengert  sich  die  Albe,  er- 
weitert sich  aber  nach  unten  wie- 
der und  wallt  in  reichem  Falten- 
fluß auf  die  Füße  des  Trägers 
hernieder. 

Daß  diese  Schilderung  der  Albe 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  zutreffend 
ist,  zeigt  Bild  27,  S.  74.  Es  stellt  eine 
Albe  dar,  welche  als  ein  Andenken  an 
dsn  hl.  Thomas  von  Canterbury,  der  sich  ihrer  während  seiner  Verbannung  bedient  haben 
soll,  mit  andern  Meßgewändern  desselben  Heiligen  (Kasel,  Stola,  Manipel)  in  der 
Kathedrale  von  Sens  aufbewahrt  wird. 


Bild  26.     Albe  des  hl.  Bernulf.     Utrecht. 


1  Het  Gildeboek  (Utrecht  1877)  1  ff.  Zu 
Mainz  wurde  in  St  Stephan  bis  gegen  Ende 
des  vorigen  Jahrhunderts  eine  angeblich 
vom  hl.  Willigis  herrührende  Albe  aufbe- 
wahrt. Sie  wird  von  P.  J.  Gamans  S.  J. 
näher  beschrieben  (Kirchenschmuck  XXVI 
[1869]  12).  Interessant  ist,  was  derselbe 
über  den  Schnitt  des  Gewandes  sagt.  Es 
war  offenbar  eine  Albe  von  der  Form,  wie 
sie  seit  wenigstens  dem  Ende  des  ersten 
Jahrtausends  bis  in  die  Neuzeit  hinein  gang 
und  gäbe  war.  Der  Umstand,  daß  die  Albe 
mit  Paruren  versehen  war,  scheint  dafür  zu 
sprechen,  daf3  sie  nicht  dem  hl.  Willigis  an- 


gehört  hat,    es   sei  denn,   daß  diese  Besätze 
nachträglich  angebracht  wurden. 

2  Rohault  de  Fleury  (VII  17)  ver- 
stellt unter  dem  caputium  cum  lingula  im 
etroit  capuce  avec  oreilles.  Allein  Honorius 
sagt  ausdrücklich :  caputium,  quo  alba  i  n- 
duitur  .  .  .  lingula,  quae  in  caputio 
nunc    innectitur,    nunc    resolvitur. 

3  Daß  die  lingula  als  Schließe  oder  Binde- 
vorricbtung  aufzufassen  ist,  folgt  auch  aus 
Ans.  von  Havelberg  (Liber  de  ord.  ca- 
nonic.  c.  12;  M.  188,  1104),  wo  die  lingua 
der  tunica  pellicea  der  snalla  gleichgesetzt 
wird:  lingua  seil  snalla. 


74 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


Bild  27.     Albe.     Sens,  Kathedrale. 


Bei  dem  Gewände  fällt  die  eigentümliche  Form  des  Oberteils  auf.  Das 
Bruststück  ist  verhältnismäßig  eng;  die  Ärmel  sind  nach  den  Händen  zu  so 
schmal,  daß  hier  ein  Schlitz  angebracht  wurde,  um  das  Anziehen  zu  erleichtern, 
eine  Eigentümlichkeit,  die  wir  übrigens  nur  bei  dieser  Albe  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatten.  Dagegen  haben  sie  dort,  wo  sie  an  den  Albenkörper 
angenäht  sind,  eine  sehr  bedeutende  Weite.  Sehr  weit  ist  der  untere  Teil 
des  Gewandes.  Um  dem  Träger  eine  freiere  Bewegung  zu  ermöglichen  und 
einen  volleren  Faltenfluß  zu  erzielen,  hat  man  beiderseits  zwischen  die  recht- 
eckig geschnittenen  Mittelbahnen  große  Zwickel  eingesetzt.  Es  leuchtet  ein, 
daß  bei  dieser  Einrichtung  in  der  Tat  ein  reicher  Faltenwurf  entstehen  mußte. 
Alba  descendens  usque  ad  talos,  medio  angustatur,  in  extremitate  multis  com- 
missuris  dilatatur,  stringet  manus  et  brachia,  sagt  Sicard  von  Gremona ;  seine 
Worte  klingen  wie  ein  genauer  Kommentar  zu  Bild  26. 

Eine  der  Albe  von  Sens  verwandte,  einst  dem  hl.  Thomas  von  Cantilupe, 
Bischof  von  Hereford  in  England  (f  1282),  zugehörige  Albe  befindet  sich  im 
Hospiz  zu  Lisieux.  Ihre  Rumpf  breite  beträgt  1,05  m,  der  Umfang  am  unteren 
Saum  4,76  m  und  die  Länge  1,90  m.  Die  Giren  an  den  Seiten  sind  1,05  m 
hoch  und  dicht  gefältelt.  Die  Besätze,  mit  denen  das  Gewand  einst  geschmückt 
war,  sind  verschwunden1. 

Die  Form  und  Machweise  der  Albe,  wie  dieselben  im  12.  und  13.  Jahr- 
hundert üblich  waren,'  erhielten  sich  das  ganze  übrige  Mittelalter.  Es  ist  im 
wesentlichen  eine  und  dieselbe  Erscheinung,  welche  uns  in  dieser  Hinsicht 
alle  aus  dem  ausgehenden  12.,    dem  13.,   14.  und  15.  Jahrhundert  noch  vor- 


'  Die  Albe  galt  früher  als  Reliquie  des 
hl.  Thomas  von  Canterbury;  de  Me4y  hat  in- 
dessen nachgewiesen,  daß  sie  mit  einigen 
andern  Paramenten ,  einer  Kasel  und  drei 
Dalmatiken  (Tunicellen),  vom  hl.  Thomas  von 
Cantilupe  herrührt  (Revue  1891,  91  ff).    Die 


Beschaffenheit  der  Dalmatiken  hätte  übrigens 
auch  ohne  den  von  de  Mely  gelieferten  Nach- 
weis eine  Zuweisung  der  Gewänder  an  den 
hl.  Thomas  Decket  und  jede  die  zweite  Hälfte 
des  13.  Jahrhunderts  überschreitende  Datie- 
rung entschieden  verboten. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


75 


handenen  Alben  bieten.  Die  Veränderungen  sind  so  wenig  bedeutend  und  so 
wenig  charakteristisch,  daß  es  in  den  meisten  Fällen  schwer,  wenn  nicht  gar 
unmöglich  ist,  lediglich  aus  Schnitt  und  Gestalt  einen  sichern  Anhaltspunkt 
für  die  Bestimmung  des  Alters  zu  gewinnen. 

Ein  interessantes  Bild  der  Alben,  wie  sie  im  ausgehenden  13.,  dem  14.,  und 
15.  Jahrhundert  im  Gebrauch  waren,  bieten  fünf  Alben  in  dem  Paramentenschatz  von 
Castel  S.  Elia  bei  Nepi  in  der  römischen  


oben 


1,90 
2,02 
2,04 
2,38 
2,46 


1.15 
1,00 
1,00 
0,90 
0,80 


2,26 
1,76 
2,08 
2,16 
2,38 


Ärmel- 
länge 


Vordere 
Ärmel- 
weite 


Campagne  1,   von   denen   vier   in   Bild  I Breite 

28—31  skizziert  sind.  Albe  jn  der 

..  unten 

Über  die  höchst  bemerkenswerten 
Maßverhältnisse   dieser  Gewandstücke       i 
gibt  dienebenstehendeTabelle  Auskunft,        2 
bei  welcher  die  beiden  Gewandhälften        3 
aufeinander  gelegt  zu  denken  sind.  4 

Bei  allen  Alben  ist  die  untere  5 
Breite  sehr  auffallend,  wenn  man  mit 
ihr  die  der  modernen  Albe  vergleicht,  welche  am  Saume  allerhöchstens  etwa  3,00  m 
bis  3,20  m  zu  messen  pflegt.  Ist  doch  die  Saumweite  von  Nr  4  und  5  (Bild  31  und  29) 
gerade  um  die  Hälfte  größer  als  diejenige  unserer  heutigen  Albe.  Selbst  bei  Nr  1 
(Bild  30)  ist  sie  noch  bedeutender,  als  es  jetzt  bei  den  Alben,  namentlich  wie  sie  in 
Italien  in  Gebrauch  sind,  der  Fall  ist.  Dagegen  ist  umgekehrt  bei  den  Alben  von 
Castel  S.  Elia  die  Brustweite  um  vieles  geringer  als  bei  der  gegenwärtig  üblichen  Alben- 


1,70 

1,80 
1,95 
1,70 
2,17 


0,73 
0,58 
0,70 
0,75 
0,66 


0,17 
0,11 
0,20 
0,14 
0,14 


Bild   28 — 31.      Alben.      Castel  S.  Elia.      Die  punktierten  Linien  deuten  die  Nähte  an. 
Bild  28  =  Nr  3,  Bild  29  =  >"r  5,  Bild  30  =  Nr  1,  Bild  31  =  Nr  4  der  Tabelle. 


form.  Namentlich  fällt  das  bei  Nr  5  (Bild  29)  auf.  Die  Ärmellänge  schwankt  bei  den 
Alben  zwischen  73  cm  und  66  cm,  die  vordere  Ärmelweite  zwischen  11  cm  und  20  cm. 
Die   eigenartigen   Maßverhältnisse   der   miltelalterlichen   Alben    sind    die   Folg* 


ihrer  Anfertigungsweise.   Die  Abbildungen  28- 


1  Vgl.    über    den    Paramentenschatz     von 
Castel  S.  Elia    die    diesbezüglichen  Aufsätze 


-31,  auf  denen  die  Nähte  durch  punktierte 

des  Verfassers   in  „Zeitschrift"   1899,   291  ff 
343  ff,  über  die  Alben  352  ff. 


76 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Unteraewänder. 


Linien  angedeutet  sind,  erläutern  besser  als  eine  lange  Beschreibung  den  Schnitt  der 
mittelalterlichen  Alben.  Dieser  ist  allerdings  bei  den  vier  Alben  im  einzelnen  einiger- 
maßen verschieden.  Wesentlich  ist  aber  allen  die  geringe  Breite  der  Mittelbahnen, 
die  Giren  zur  Seite  des  Mittelstückes,  deren  es  bei  Nr  4  (Bild  31)  rechts  wie  links 
sogar  je  zweimal  vier,  im  ganzen  also  je  acht  gibt,  die  durch  diese  Einrichtung  be- 
dingte Enge  in  der  Körpermitte  bei  auffallend  großer  unterer  Breite  und  endlich  die 
Weite  der  Ärmel  da,  wo  sie  an  den  Rumpfteil  des  Gewandes  angesetzt  sind.  Bei 
Nr  3  und  5  (Bild  28  und  29)  ist  diese  Ärmelweite,  wie  die  Skizze  zeigt,  durch  Zwickel, 
bei  Nr  4  (Bild  31)  durch  eine  eigenartige  Bildung  der  Ärmel  erzielt  worden. 

Das  Charakteristische  der  mittelalterlichen  Alben  ergibt  sich  hieraus  von  selbst. 
Es  liegt  einerseits  in  der  Bildung  der  Ärmel  und  anderseits,  und  zwar  besonders  in 
der  verhältnismäßig  geringen  mittleren  und  großen  unteren  Weite. 

Zwei  weitere  Eigentümlichkeiten  der  Alben  von  Castel  S.  Elia  sind  nur  die 
Folge  der  eigenartigen  Machweise.    Die  erste  besteht  in  dem  Mangel  einer  Einkräuse- 

lung,  wie  dieselbe  bei  der  modernen 

$?■-'  '  1  sackförmigen    Albe     rings    um    den 

Kopfdurchlaß  herum  gebräuchlich,  ja 
notwendig  ist,  damit  dieselbe  dem 
Oberkörper  sich  besser  anpasse.  In- 
folge des  Schnittes  der  Alben  von 
Castel  S.  Elia  war  bei  denselben  das 
Einkräuseln  überflüssig.  Die  zweite  be- 
merkenswerte Eigentümlichkeit  liegt 
in  dem  Faltenwurf.  Vorn  und  hinten 
fallen  nämlich  die  Alben  fast  ganz 
glatt  herunter  (Bild  32).  Dagegen 
gewahren  wir  an  den  Seiten  infolge 
der  eingesetzten  Giren  einen  dichten, 
malerischen  Faltenfluß.  Es  war  daher 
auch  nicht  notwendig,  beim  Anklei- 
den das  Gewand,  wie  das  heute  zu 
geschehen  pflegt,  auf  dem  Rücken  in 
einen  massigen,  schweren  Falten- 
bausch zusammenzulegen.  Denn  es 
war  schon  in  der  Machweise  ein 
natürlicher,  schöner  Faltenwurf  ge- 
geben. 

An  die  Halsöffhung  schließt  sich 
bei  Nr  2  bis  5  ein  über  die  Brust 
sich  hinabziehender  Schlitz  an,  welcher  das  Durchstecken  des  Kopfes  erleichtern  soll. 
Er  findet  sich  nicht  in  der  Mitte  des  Durchschlupfs,  sondern  bald  an  der  rechten,  bald 
an  der  linken  Seite  desselben,  so  daß  auf  der  Brust  sich  eine  Art  von  schließbarer 
Klappe  bildet.  Dieselbe  läuft  bei  einigen  in  eine  Zunge  aus.  Es  ist  die  lingua,  von 
der  bei  den  Liturgikern  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  wiederholt  die  Rede  ist. 

Ein  vorzügliches  Gegenstück   der  Alben   zu  Castel  S.  Elia   bilden   sechs  Alben 

in  der  St  Marienkirche  zu  Danzig.  Es  ist 
durchaus  ein  und  dasselbe  Bild,  welches  diese 
wie  jene  von  dem  Gewände  gewähren.  Die  Un- 
terschiede, welche  zwischen  beiden  bestehen, 
sind  nur  unwesentlich.  Sie  beschränken  sich  le- 
diglich auf  die  etwas  abweichenden  Maßverhält- 
nisse und  auf  die  Bildung  des  Kopfdurchlasses, 
der  bei  den  Alben  zu  Danzig  bloß  aus  einem 
wagerechten  Ausschnitt  besteht.  Über  deren 
Maße  gibt  die  beifolgende  Aufstellung  Auskunft. 


Bild  32. 


Albe  mit  herabfallenden  Giren. 
Castel  S.  Elia. 


Breite 

Länge 

Albe 

unten 

in  der          . 
,,.,,           oben 
Mitte 

Hinge 

1 
2 
3 

4 
5 
6 

1,84 
1,84 
1,68 
2,50 
2,00 
2,18 

1,10 
1,05 
1,16 
1,38 
1,14 
1,16 

2,24 
2,24 
2,32 
2,56 
2,22 
2,34 

1,81 

1,61 
1,67 
1,63 
1,81 
1,58 

0,56 
0,58 
0,58 
0,59 
0,53 
0,59 

Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


77 


Wie  man  sieht,  ist  die  Höhe,  die  Ärmellänge  und  die  Saumbreite  bei  den  Alben 
der  St  Marienkirche  etwas  geringer,  der  Albenrumpf  dagegen  etwas  breiter  als  bei 
den  Alben  von  Castel  S.  Elia.     Die    obere  Breite  ist   bei  beiden  ziemlich  die  gleiche. 

Die  Danziger  Alben  werden  allesamt  aus  dem  15.  Jahrhundert  stammen,  während 
die  Alben  von  Castel  S.  Elia  zum  Teil  noch  in  das  14.  und  13.  Jahrhundert  hinauf- 
reichen mögen.  Sie  zeigen,  daß  das  Gewand  im  späteren  Mittelalter  denselben  Typus 
im  äußersten  Nordosten  Deutschlands  aufwies,  der  ihm  im  Herzen  Italiens  eignete.  Es 
handelt  sich  ja  hier  nicht  um  eine  vereinzelte  Albe,  sondern  um  eine  verhältnismäßig- 
bedeutende  Zahl  derselben. 

Von  andern  mittelalterlichen  Alben  seien  noch  erwähnt  eine  Albe  im  Kartäuser- 
kloster Valsainte  bei  Bulle  (Schweiz),  eine  Albe  in  Santa  Chiara  zu  Assisi,  gewöhnlich 
als  Albe  des  hl.  Franziskus  bezeichnet,  doch  wahrscheinlich  aus  späterer  Zeit,  eine 
Albe  im  Dom  zu  Eichstätt,  welche  unter  dem  Namen  der  Albe  des  hl.  Willibald  läuft, 
eine  Albe  zu  Neresheim  in  Würt- 


^H£ 


temberg;  ferner  je  eine  Albe  im   sl|§  ' '" -^  .  ■■  ^ 'j,-;.y^s,5>  ;:'^öl§< 

Dom  zu  Brandenburg,  im  König- 
lich bayrischen  Nationalmuseum 
zu  München,  im  Museum  zu  Ro- 
stock, im  Kensington  Museum  zu 
London,  ehedem  in  der  Samm- 
lung Bock,  im  Dom  zu  Viterbo 
und  in  St  Bertrand  zu  Com- 
minges.  Zwei  gibt  es  im  Pro- 
vinzialmuseum  zu  Hannover,  drei 
im  Dom  zu  Batzeburg.  Alle 
folgen  dem  Typus  der  Alben  von 
Castel  S.  Elia  und  Danzig  '.  Nur 
die  Albe  von  Comminges  bildet 
eine  Ausnahme,  doch  ist  es  mehr 
als  wahrscheinlich,  daß  das  Ge- 
wand im  Laufe  der  Zeit  Verän- 
derungen erlitten  und  seine  ur- 
sprüngliche Form  eingebüßt  hat. 
Die  Albe  in  S.  Chiara  zu 
Assisi,  durch  ihre  Besätze  und 
die  oben  an  den  Giren  angebrach- 
ten Weißstickereien  eine  der  her- 
vorragendsten unter  den  noch  er- 
haltenen mittelalterlichen  Alben, 
ist  bemerkenswert  durch  ihre  große  Weite  von  5,40  m.  Sie  wird  indessen  noch 
durch  die  Albe  im  Dom  zu  Brandenburg  übertreffen,  deren  unterer  Umfang  sich  bei 
einer  Länge  von  ca  1,80  m  auf  volle  6  m  beläuft.  Recht  anormal  sind  die  Maß- 
verhältnisse der  Albe  im  Königl.  bayrischen  Nationalmuseum  (Bild  33);  denn  bei 
einer  Länge  von  1,90  m  und  einem  Saumumfang  von  4,56  m  beträgt  hier  die  obere 
Breite  nur  1,79  m,  die  Brustweite  0,87  m  und  die  Ärmellänge  0,46  m.  Auch  die 
Maße   der  Alben   im   Dom   zu   Batzeburg   sind   ungewöhnlich;    1,63  m   lang   und  am 


Bild  33.     Albe. 

München,  bayi'isches  Nationalmuseum. 


1  Bezüglich  des  Schnittes  der  Albe  zu 
Viterbo  ließ  sich  nichts  Näheres  feststellen. 
Von  früher  vorhandenen,  im  Strudel  der  Re- 
volution aber  vernichteten  Alben  aus  dem 
Mittelalter  seien  kurz  genannt  eine  Albe  zu 
Angers  (Abbildung  bei  de  Farcy,  Broderies 
et  tissus,  conserves  autrefois  dans  la  Catlie- 
drale  d' Angers,    in  Revue   1886,    173),    eine 


Albe  zu  Toul  (Abbildung  und  Beschreibung 
bei  Roh.  VII  16  und  pl.  DXIX),  eine  Albe 
zu  Montreuil  (Diözese  Amiens)  und  zu  Senlis 
(ebd.  13).  Es  waren  das  alles  Alben  vom 
Typus  der  Alben  zu  Castel  S.  Elia  und  Danzig 
und  nach  Ausweis  des  Schnittes  und  der 
Ausstattung  Erzeugnisse  etwa  des  13.  oder 
14.  Jahrhunderts. 


78 


Erster  Abschnitt.     Die   liturgischen  Untergewänder. 


Saum  4,20  m  weit,  sind  sie  in  der  Brust  nicht  weniger  denn  1,63  m  breit,  so  daß 
die  Giren  an  den  Seiten  unten  nur  ea  0,25  m  messen.  Sehr  bedeutend  sind  die 
Maße  der  Neresheimer  Albe.  Hat  dieselbe  doch  eine  Länge  von  1,96  m,  eine 
untere  Weite  von  4,63  m,  eine  obere  Breite  von  2,35  m,  eine  Ärmellänge  von  0,60  m 
und  eine  Brustbreite  von  1,15  m.  Die  geringsten  Maße  haben  die  beiden  Alben  im 
Provinzialmuseum  zu  Hannover.  Die  obere  Breite  ist  allerdings  noch  groß  (2,30 
bzw.  2,14  m),  dagegen  beläuft  sich  die  Länge  nur  auf  1,75  bzw.  1,38  m  und  die 
untere  Weite  auf  3,12  bzw.  3,10  m.  Die  Albe  zu  Valsainte,  welche  sich  durch 
interessante  Weißstickereien  an  den  Ärmeln ,  auf  den  Schultern,  unter  den  Achseln 
und  um  den  Kopfdurchschlüpf  auszeichnet,  ist  1,92  m  lang  und  bei  einer  Brustweite 
von  2,40  m  unten  4,76  m  weit  '. 

Den  Entwicklungsgang,  den  die  Machweise  der  Albe  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert genommen,  in  seinen  einzelnen  Stadien  zu  verfolgen,  ist  unmöglich, 
weil  die  Zahl  der  noch  vorhandenen  Alben  dafür  zu  gering  ist.  Es  läßt  sich 
nur  so  viel  feststellen,  daß  gegen  Ausgang  des  Mittelalters  die  Mittelbahn  des 
Albenkörpers  durchweg  an  Breite  zunahm,  die  Giren  dagegen  schmäler  wurden. 

Die  Vorschriften,  welche  der  hl.  Karl  Borromäus  hinsichtlich  der  An- 
fertigung der  Alben  erließ,  setzen  offenbar  noch  die  alte  Machweise  voraus. 
Die  Albe  sollte  4  cubiti  =  ca  1,72  m  lang  sein,  so  daß  sie,  aufgeschürzt  und 
gegürtet,  noch  bis  zu  den  Füßen  reiche.  Unten  sollte  sie,  falls  sie  nicht  mit 
Paruren  verziert  werde,  die  --  enorme  -  -  Weite  von  16  cubiti  =  ca  7  m 
haben,  damit  sie,  aufgegürtet  und  oberhalb  des  Cingulums  im  Bausch  sich 
um  den  Körper  legend,  unten  einen  reichen  und  schönen  Faltenwurf  bilde. 
Mit  Zierbesätzen  versehen,  sollte  sie  etwas  kürzer  und  nur  4  cubiti  oder  etwas 
mehr  weit  sein.  Die  Ärmel  sollten  an  den  Schultern  etAva  1  cubitus  = 
ca  0,43  m  breit  sein,  nach  den  Händen  zu  sich  jedoch  verengern 2.  Ihre  Länge 
wird  auf  IV2  cubitus  =  ca  0,65  m  angesetzt. 

Nach  den  Statuten  des  Prager  Konzils  vom  Jahre  1605,  des  einzigen 
deutschen,  welches  über  die  Maße  der  liturgischen  Gewänder  nähere  Be- 
stimmungen erließ,  soll  die  Albe  drei  (böhmische)  Ellen  =  ca  1,70  m  lang 
und  am  unteren  Saum  ebenfalls  drei  Ellen  weit  sein  3. 


VI.  BESCHAFFENHEIT  UND  AUSSTATTUNG  DER  ALBE. 

In  dem  1.  und  3.  römischen  Ordo  heißt  die  Albe  linea.  Sie  wurde  also 
damals  aus  Linnen  gemacht,  sonst  hätte  man  sie  nicht  schlechthin  linea 
genannt.  Aber  auch  von  Hraban  hörten  wir  bereits,  daß  das  Gewand  aus 
Linnen  hergestellt  werde,  und  ebenso  versichert  Amalar,  daß  die  camisia 
aus   Leinwand   bestehe.      Wenn   daher   in    dem   Inventar   von    St-Riquier,    in 


1  Die  Daten  über  die  Ratzeburger  Alben 
schulde  ich  dem  liebenswürdigen  Entgegen- 
kommen des  Herrn  Dompropstes  Ohl ,  die 
Angaben  über  die  Maße  der  Albe  zu  Neres- 
heim  den  freundlichen  Bemühungen  des  Herrn 
Pfarrers  Schulinspektor  Schips  zu  Neres- 
heim;  über  die  Alben  zu  Hannover  gab  mir 
in  zuvorkommendster  Weise  Herr  Direktorial- 
assistent Runde  Auskunft.  Ich  verfehle  nicht, 
diesen  Herren  auch  hier  den  gebührenden  Dank 
auszusprechen.  Abbildung  der  Albe  zu  Val- 
sainte in  Revue  1905,  407. 

2  A.  E.  Med.  626.  Die  Angabe,  es  solle 
die  Albe,  falls  Besätze  zur  Anwendung  kämen, 


unten  4  cubiti  =  ca  1,72  m  weit  sein,  scheint 
schlecht  zu  der  späteren  Bestimmung  zu 
passen,  daß  Alben  ohne  Parura  16  cubiti  weit 
und  so  paulo  latiores  sein  sollten  als  albae 
grammatis  ornatae.  Vielleicht  ist  statt  quat- 
tuor  quattuordeeim  oder  statt  sedecini  sex 
zu  lesen.  Selbst  ein  gutes  Stück  des  Um- 
fanges  für  das  Fälteln  gerechnet,  bleibt  der 
Unterschied  zwischen  2  und  16  Ellen  immer 
noch  zu  groß. 

3  C.  13  (Hartzh.  VIII  691).  Mit  3  Ellen 
Weite  ist  der  ganze,  nicht  der  halbe  Umfang 
gemeint:  longe  tres  Ultras  producta  et  Jäte 
tres  item  circumquaque  appareat. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


79 


welchem  von  260  linnenen  Alben  berichtet  wird,  mit  denen  Angilbert  das 
Kloster  beschenkte,  auch  6  sericae  albae  romanae  cum  amictibus  suis  auro 
paratae  aufgeführt  werden,  so  dürften  darunter  nicht  sowohl  gewöhnliche 
Alben  als  vielmehr  das  Gegenstück  der  Dalmatik,  subdiakonale  Tuniken  zu  ver- 
stehen sein.  Freilich  könnte  man  dem  entgegen  auf  den  Zusatz  cum  amictibus 
suis  verweisen,  allein  es  handelt  sich  im  Inventar  um  albae  romanae,  nach 
römischem  Brauch  aber  gehörte  im  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  das  anago- 
laium,  der  Amikt,  nicht  sowohl    zur  Albe   als   zur  Dalmatik  und  Tuniceila  1. 

Noch  viel  weniger  ist  eine  Albe,  wie  man  überall  liest,  die  camisia  alba 
sigillata  olosyrica  cum  chrisoclavo,  welche  der  angelsächsische  König  Ethel- 
wolf  der  Peterskirche  unter  Benedikt  III.  (855 — 858)  zum  Geschenk  machte 2, 
es  handelt  sich  bei  ihr  vielmehr  um  eine  Decke.  Da  nämlich  in  Rom  nach 
Ausweis  der  Monumente  Bischof  und  Diakon  eine  so  lange  Dalmatik  trugen, 
daß  die  Tunika  ganz  von  dieser  bedeckt  wurde,  ist  es  von  vornherein  un- 
wahrscheinlich, daß  man  daselbst  Alben  mit  kostbaren  Goldbesätzen  getragen 
habe.  Dann  aber  laut  auch  die  Gesellschaft  von  Kirchenutensilien  wie  Corona, 
baucae,  spata,  imagines,  gabathae,  saraca,  vela  maiora,  unter  denen  sich  die 
fragliche  camisia  befindet,  nur  an  eine  Decke  denken.  Wirklich  kommt  das 
Wort  in  diesem  Sinne  auch  sonst  mehrfach  vor.  So  begegnet  es  uns  in  der 
Bedeutung  von  Buchdecke,  Altardecke,  Decke  eines  Behälters,  ja  sogar  von 
Schabracke  (Pferdedecke) 3.  Endlich  ist  der  Umstand  sehr  beachtenswert,  daß 
nirgends  im  L.  P.  sonst  einer  Schenkgabe  liturgischer  Kleider  an  Kirchen 
gedacht  wird.  Wohl  hören  wir,  wie  die  Päpste  in  einzig  dastehender  Wreise 
die  römischen  Basiliken  und  sonstige  Gotteshäuser  bedenken,  aber  unter  den 
zahllosen  Altargeräten,  Schaustücken,  gottesdienstlichen  Einrichtungsgegen- 
ständen, Behängen,  Decken,  Altarverhüllungen  (vestes)  aus  edlem  Metall 
und  den  prächtigsten  Stoffen  findet  sich  nirgends  ein  liturgisches  Gewand 
genannt.  Daß  der  L.  P.  nicht  von  einer  Schenkung  liturgischer  Kleider  be- 
richtet, erklärt  sich  wohl  durch  den  Umstand,  daß  damals  die  Beschaffung  der 
nötigen  Sakralgewänder  den  einzelnen  Klerikern  selbst,  nicht  der  Kirche  oblag4. 

Wie  es  sich  aber  immer  mit  den  6  sericae  albae  romanae  des  Inven- 
tars von  St-Riquier  und  der  „seidenen,  mit  runden  Zierflecken  und  Gold- 
borten geschmückten  camisia"  Ethelwolfs  verhalten  mag,  Alben  aus  Seide 
waren  nicht  bloß  im  9.  Jahrhundert,  sondern  auch  in  der  Folgezeit  nicht 
nur  sehr  selten ,  sondern  stets  Ausnahme.  Die  Liturgiker  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  betonen  immer  wieder,  daß  das  Gewand  aus  Linnen  ge- 
macht werde.  Wenn  in  den  Schatzverzeichnissen  des  Mittelalters  mehrfach 
von  albae  de  serico  die  Rede  ist,  so  darf  man  sich  dadurch  nicht  täuschen 
lassen.  In  manchen  Fällen  ist ,  wie  früher  des  näheren  ausgeführt  wurde, 
gerade  wie   im    Ordo   officiorum   bei   Hittorp  die   subdiakonale  Tunicella   ge- 


1  S.  oben  S.  23  f. 

2  Du  eh. ,  L.  P.  II  148. 

3  D.  C.  II  53.  Als  Hülle  des  Evangeliars 
und  Missale  finden  wir  z.  B.  das  Wort  im  Testa- 
ment Riculfs  von  Eine  :  camisiae  ad  textum  et 
missale  4,  unum  de  auro  purpureum,  als  Altar- 
decke in  der  Stiftungsurkunde  des  Klosters 
Tuiion  (Spanien)  von  891 :  camisiae  altaris  3 
(Florez,  Espana  sagr.  XXXVII  339).  In 
einem  Verzeichnis  der  von  Alfons  II.  812  der 


Kathedrale  von  Oviedo  geschenkten  Gegen- 
stände heißen  diese  camisiae  tunicae  de  alta- 
ria  (sie)  (ebd.  313),  in  einem  Inventar  der 
Kathedrale  von  Lugo  von  998  (Florez  a.  a.  0. 
XL  409) :  mitrae  de  mensa. 

4  Betreffs  der  einzigen  Schenkung  von  litur- 
gischen Gewändern  an  geistliche  Per- 
sonen vgl.  die  Vita  Stephani  (Du  eh., 
L.  P.  I  443).  In  Klöstern  war  deren  Be- 
schaffung natürlich  Sache  der  Kirche. 


80  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

meint '.  in  andern  handelt  es  sich  um  eine  ungenaue  Bezeichnung  einer  mit 
seidenen  Zierbesätzen  versehenen  Albe,  ähnlich  wie  amictus  de  aurifrigiis  mit 
Paruren  aus  Borten  geschmückte  Schultertücher  bedeuten.  Man  muß  in  jedem 
einzelnen  Falle,  wo  es  sich  um  albae  de  serico  handelt,  zusehen,  was  darunter 
nach  dem  Zusammenhang  oder  der  Sprechweise  des  betreffenden  Inventars  zu 
verstehen  ist. 

Immerhin  kommen  tatsächlich  hie  und  da  wirkliche  Alben  aus  Seide  in  den  Schatz- 
verzeichnissen  vor.  Es  wurde  eben  ehedem  mit  dem  Stoff  der  Paramente,  wie  mit 
manchen  andern  liturgischen  Fragen,  nicht  so  genau  genommen  wie  jetzt,  wo  eine  Riten- 
kongregation  über  die  Beobachtung  dessen,  was  Rechtens  und  kirchlichen  Herkommens 
ist,  wacht.  Solche  Alben  waren  indessen  auch  im  Mittelalter  nur  vereinzelte  Er- 
scheinungen. Wirkliche  aus  Seide  gemachte  Alben,  also  keine  bischöfliche  oder  sub- 
diakonale  Tunicellen  sind  wohl  die  quattuor  albae  de  serico  des  Inventars  von 
Angers  vom  Jahre  1297  2,  die  zwei  vestimenta  (=  albae)  de  serico  im  Inventar  von 
St  Paul  zu  London  von  1245  und  die  tres  albae  de  serico  brosdatae  (bestickte)  des 
Schatzverzeichnisses  der  Kathedrale  von  Rouen  aus  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  3, 
kaum  aber  die  alba  de  serico  pretiosissima,  welche  Bischof  Brithwold  von  Wilton 
(f  1045)  als  Geschenk  dem  hoehberühmten  Kloster  Glastonbury  in  Somersetshire  über- 
sandte 4.  Ob  alle  die  seidenen  Alben,  welche  Chambers  erwähnt 5,  Alben  im  heutigen 
Sinne  gewesen,  scheint  sehr  fraglich,  dagegen  dürfte  die  alba  de  tenui  serico  vetus 
im  Schatzverzeiehnis  von  St  Veit  zu  Prag  aus  dem  Jahre  1354,  weil  mitten  unter 
linnenen  Alben  genannt,  wohl  eine  Albe  der  gewöhnlichen  Art  bedeuten.  Dasselbe 
gilt  von  8  albae  de  serico  im  Inventar  der  Kathedrale  von  Salisbury  von  1212.  Die 
12  albae  consutae  de  serico,  welche  im  Registrum  Roffense,  dem  Gabenverzeichnis  der 
Kathedrale  von  Rochester  in  England,  für  den  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  als  der 
Kirche  geschenkt  vermerkt  werden,  sind  zwar  richtige  Alben  —  denn  die  sub- 
diakonale  Tuniceila  heißt  darin  tunica  oder  tunica  epistolaria  — ,  aber  mit  Seide 
besetzte  Alben,  nicht  seidene  Alben. 

Eine  reichere  Ausstattung  scheint  die  Albe  bis  in  den  Beginn  des 
12.  Jahrhunderts  für  gewöhnlich  nicht  erhalten  zu  haben.  Reich  verzierte 
Alben  sind  bis  dahin  eine  seltene  Erscheinung.  Immerhin  kommen  solche 
vor.  So  begegnen  wir  im  Testament  Riculfs  von  Eine  neben  zwei  albae 
planae  auch  drei  albae  clarae.  Das  Inventar  von  Clermont-Ferrand  aus 
dem  10.  Jahrhundert  verzeichnet  zwei  goldverzierte  Alben  zum  Gebrauch  für 
den  Bischof  und  eine  mit  Seide  besetzte  Albe.  Gegen  Ende  des  Jahrhunderts 
verehrte  Herzogin  Hadawiga  von  Schwaben  dem  Kloster  St  Gallen  eine 
Albe,  die  in  Goldstickerei  mit  der  Hochzeit  der  Philologie  und  Merkurs  ge- 
schmückt war6.  Die  Albe,  welche  die  Kaiserin  Agnes  dem  Kloster  Monte 
Cassino  schenkte,  hatte  nicht  nur  um  den  Halsausschnitt  und  die  Ärmelsäume 
eine  reich  verzierte  Borte,  es  zog  sich  auch  ein  kostbarer  Besatz  über  die  Schultern. 
Den  Saum  des  Gewandes  aber  umgab  ein  Aurifrisium,  das  fast  die  Breite 
einer  Elle  hatte7.  Eine  andere  glänzende  Albe  aus  dem  Beginn  des  11.  Jahr- 
hunderts wird  in  der  Geschichte  der  Bischöfe  von  Auxerre  erwähnt8.  Auf 
der  Brust    war   dieselbe   mit  einem  Zierstück    aus  Goldstoff,  unten  aber  mit 


1  Hitt.  61:  subdiaconi  albis  sericis  in-  4  Willi.  Malmesbury,  De antiq.  Glaston. 
duantur;    76:    subdiaconi    lineis    aut   sericis  (M.  179,  1722) 

albis.     Vgl.  auch  oben  S.  60.  6  Divine  worship  p.  31. 

2  Revue  1886,  173.  6  Ekkeh.  IV.  Casus  c.  10  (M.  G.  SS.  II 123). 

3  Ebd.  464.  Unmittelbar  nach  den  3  albae  '  Chron.  Casin.  1.3,  n.  31  (M.G.SS.  VII722). 
de  serico  et  brosdatae  werden  aufgeführt  8  C.  49  (M.  138,  277).  Die  Albe  heißt  hier 
14  albae  paratae  et  13  sine  paraturis.  palla.     Siehe    übrigens   oben  S.  33,  Anm.  1. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  81 

einer  Borte  aus  Brokat,  die  von  den  Knien  bis  zu  den  Knöcheln  reichte, 
geschmückt.  Die  Albe  des  hl.  Bernulf  zu  Utrecht,  von  der  oben  schon  die 
Rede  war  (Bild  26,  S.  73),  ist  ein  Prachtstück  dieser  Art.  Kostbare  Goldborten 
fassen  die  Ärmelmündungen,  den  Saum  und  den  Kopfdurchlaß  des  Gewandes 
ein.  Außerdem  ziehen  sich  vorn  und  hinten  zwei  Goldborten  von  oben 
nach  unten.  Der  Besatz  am  unteren  Rande  der  Albe,  eigentlich  mehrere 
nebeneinander  gelegte  Borten,  hat  eine  Breite  von  etwa  0,40m.  Das  Ge- 
wand ist  ersichtlich  ein  ausgezeichnetes  Gegenstück  sowohl  der  Albe,  welche 
Kaiserin  Agnes  den  Mönchen  zu  Monte  Cassino  gab,  als  auch  derjenigen, 
von  welcher  die  Geschichte  der  Bischöfe  von  Auxerre  erzählt.  Von  zwei 
albae  auro  insignes  berichtet  ein  Inventar  von  St  Gallen  aus  dem  11.  Jahr- 
hundert; ein  Speierer  Schatzverzeichnis  aus  dem  Jahre  1051  erwähnt  albam 
unam,  auro  texto  (Goldstoff)  optime  ornatam,  ein  Inventar  von  Ely  (Eng- 
land) aus  dem  Jahre  1079  octo  albas,  una  est  de  serico  cum  aurifrisio  et 
cum  amictu,  sex  cum  amictibus  et  aurifrisio  .  .  .,  tres  sine  amictu  cum  auri- 
frisio. Der  Dom  zu  Bamberg  besaß  laut  Inventar  von  1127  im  Beginn 
des  12.  Jahrhunderts  acht  mit  Goldborten  besetzte  Alben:  albae  46,  ex  his 
8  cum  aurifrigio. 

Auf  den  Bildwerken  des  9.,  10.  und  11.  Jahrhunderts,  namentlich  den 
Miniaturen,  ist  die  Albe  fast  stets  schmucklos.  Prachtalben,  überhaupt  mit 
Zierbesätzen  versehene  Alben,  dürften  damals  wohl  nur  bei  Bischöfen  und 
sonstigen  Würdenträgern  als  Festalben  in  Gebrauch  gewesen  sein.  Das  deutet 
das  Inventar  von  Clermont  zur  Genüge  an.  Auch  die  „Geschichte  der  Bischöfe 
von  Auxerre"  läßt  das  durchblicken. 

Das  12.  Jahrhundert  brachte  einen  um  ein  bedeutendes  gesteigerten 
Verkehr  mit  dem  Osten.  Die  kostbaren  Stoffe  und  Borten,  welche  der 
Orient  erzeugte,  wurden  infolgedessen  im  Abendlande  häufiger  als  bis  dahin. 
Zum  Überfluß  begannen  gleichzeitig  die  Seidenmanufakturen  in  Sizilien  eine 
großartige  Tätigkeit  zu  entfalten  und  überallhin  ihre  prächtigen  Zeuge, 
köstlichen  Borten  und  glänzenden  Stickereien  auszuführen.  Auch  die  Albe 
hatte  ihren  Nutzen  davon.  Die  Zierbesätze  werden  auf  ihr  nun  immer  ge- 
wöhnlicher und  bei  besseren  Alben  allmählich  Regel. 

Anfangs  hielt  man  sich  bei  der  Ausstattung  der  Albe  noch  an  die  alte 
Weise,  wonach  man  das  Gewand  am  Saum  und  an  den  Ärmeln  mit  einer 
den  ganzen  Rand  umziehenden  Borte  versah.  Bald  aber  bildete  sich  eine 
eigenartige  Verzierungsweise  der  Alben  aus.  Statt  mit  einem  Vollbesatz  wurde 
die  Festalbe  nunmehr  mit  vier  oder  fünf  kurzen  quadratischen  oder  rechteckigen 
Zierstücken  (parurae,  plagulae,  grammata,  gemmata,  aurifrisia,  frisia,  fimbriae, 
plicae,  fasciae  u.  ä.  genannt)  versehen  (Bild  34,  S.  82),  die  entweder  bloß  aus 
kostbarem  Stoff  (Damast,  Brokat,  Samt,  Goldtuch)  bestanden,  oder  bald  mehr, 
bald  minder  reich  und  kunstvoll  bestickt  waren.  Bei  Prachtalben  wurde  für 
die  Besätze  weder  Gold  noch  Perlenschmuck  noch  edles  Gestein  geschont, 
wie  aus  den  Beispielen  erhellt,  die  wir  aus  Schatzverzeichnissen  anführen 
werden.  Je  einer  der  Besätze  erhielt  vorn  auf  den  Ärmeln  seinen  Platz : 
ein  drittes  Zierstück  hatte  seine  Stelle  an  der  Vorderseite  der  Albe  unten 
in  der  Mitte,  ein  wenig  über  dem  Saum ;  ein  viertes  war  entsprechend  unten 
an  der  Rückseite  des  Gewandes  befestigt.  Wurde  eine  fünfte  plagula  ver- 
wendet —  und  solches  scheint  in  Italien  nicht  selten  vorgekommen  zu  sein  — , 
so  befand  sich  dieselbe  vorn  auf  der  Brust  unterhalb  des  Schlitzes,  der  zum 
Durchlassen    des  Kopfes  diente.     Die  Besätze   der  Ärmel   umzogen   entweder 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  6 


82 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


den  ganzen  Rand  derselben  oder  waren  nur  auf  der  oberen  Hälfte  angebracht. 
Das  letztere  scheint  in  Frankreich  und  Deutschland,  das  erstere  in  Italien  das 
Vorherrschendere  gewesen  zu  sein.  Die  Parurae  oder  Grammata,  wie  sie  bei 
Durandus  und  in  den  italienischen  Inventaren  gern  genannt  werden ,  waren 
meist  der  Albe  aufgenäht,  damit  sie  von  ihr  getrennt  werden  konnten,  wenn 
die  Notwendigkeit  eintrat,  das  Gewand  zu  waschen1.  Doch  finden  sie  sich 
auch  dem  Albenstoff  eingestickt  oder  eingesetzt,  so  daß  ein  Loslösen  nicht 
möglich  war.  Ein  vorzügliches  Beispiel  für  eine  Albe  der  letzteren  Art  ist 
die  Albe  in  S.  Chiara  zu  Assisi  (Bild  35).  Die  Paruren  bestehen  bei  der- 
selben aus  kanevasartigen  Linnenstücken,  die  mittelst  des  sog.  Gobelinstiches 
mit  geometrischer  Musterung  versehen,  dann  dem  Stoff  der  Albe  eingenäht  und 
zuletzt  mit  einem  Goldbörtchen  eingefaßt  wurden. 


Bild  34.      Albe.      Danzig,  Marienkirche. 


Seitdem  sich  die  kirchlichen  Farben  fixiert  hatten,  d.  i.  seit  dem  Ende 
des  12.  Jahrhunderts,  pflegte  man  die  Besatzstücke  der  Albe  der  Farbe  der 
Kasel  entsprechen  zu  lassen.  Eine  allgemeine  Vorschrift  war  das  jedoch  nicht. 
Insbesondere  brauchte  man  Alben  mit  besseren  Paruren  häufig  ohne  Rück- 
sicht auf  deren  Farbe. 

Es  ist  nicht  möglich,  zu  bestimmen,  wann  die  neue  Ausstattung  der 
Albe  zum  erstenmal  aufgetreten  ist.  Sie  scheint  sich  in  der  ersten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts  ausgebildet  zu  haben. 

Was  aber  die  Heimat  der  Albenparuren  anlangt,  so  glauben  wir  nicht 
fehlzugehen,    wenn    wir,    wie   die  Heimat   der  Parura   des  Amiktes,    so   auch 


1  Eine  hierauf  bezügliche  Notiz  bei  Maca- 
lister  (Ecclesiastical  vestments,  London  1896, 
67)  aus  der  Kirchenrecbnung  von  St  Peter  zu 
Sandwich:  For  washing  of  an  awbe  and  an 
amyce  .  .  .  and  for  sewing  on  of  üie  parelles 
of  the  same,  V  d.  Vgl.  auch  Annalen  des  histor. 


Vereins  für  den  Niederrhein  XLV  130:  „Item 
noch  5  alven  mit  ir  heubtdoecher  gerüstet 
(gewaschen)  und  die  brederkens  (die  Paruren) 
daan  geneit."  Oft  ist  in  den  Inventaren  von 
losen  Besätzen  die  Rede,  die  auf  eine  ge- 
legentliehe Verwendung  warteten. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  83 

die  der  Grammata  der  Alben  im  nördlichen  Frankreich  suchen.  Wie  die 
Gotik  zuerst  auf  französischem  Boden ,  so  erscheint  auch  die  neue  Besatz- 
weise beider  Gewänder  zuerst  auf  französischen  Monumenten.  Woher  aber 
die  Idee  zu  derselben,  vermögen  wir  nicht  zu  sagen.  Scheibenförmige  und 
viereckige  Zierstücke  (segmenta,  sigilla)  treffen  wir  schon  auf  Tuniken  des 
3.  und  4.  Jahrhunderts  und  selbst  früherer  Zeit  an.  Bekannt  ist  ihre  aus- 
giebige Verwendung  auf  koptischen  Gewandstücken.  Auch  auf  Prachtmäntel 
des  11.  und  12.  Jahrhunderts  wurden  solche  Zierstücke  aufgenäht,  zumal  auf 
solche  sizilischen  oder  byzantinischen  Ursprungs.  Mit  der  eigentümlichen 
Ausstattung  der  Albe  des  späteren  Mittelalters  steht  diese  Verzierungsweise, 
die  einen  durchaus  profanen  Charakter  hatte,  abgesehen  von  dem  entscheiden- 
den Umstand,  dal?,  jene  Zierbesätze  in  ganz  anderer  Anordnung  wie  die  Pa- 


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Bild   35.      Albe.      Assiai,  S    CMara. 


ruren   aufgesetzt  wurden,   schon   darum    in    keinem  Zusammenhang,   weil  die 
Albe  vor  dem   12.  Jahrhundert  niemals  derartige  Besätze  aufweist. 

Besondern  mystischen  Erwägungen,  wie  man  sie  später  mit  dieser  eigen- 
artigen Verzierungsweise  der  Albe  verband,  dürften  die  Paruren  ebenfalls 
ihre  Entstehung  nicht  verdanken.  Denn  in  diesem  Falle  würde  wohl  bei  den 
zahlreichen  Liturgikern  des  12.  Jahrhunderts  sich  irgend  etwas  darüber  finden, 
während  diese  doch  in  Wirklichkeit  nicht  nur  nicht  von  der  Bedeutung  der 
Besätze,  sondern  auch  von  den  Besätzen  selbst,  ja  jeder  Ausstattung  der 
Albe  schweigen. 

Von  den  Liturgikern  des  Mittelalters  erwähnt  zuerst  Innocenz  III.  unsere 
Albenbesätze.  Der  Priester  stellt  nach  ihm  Christi  Braut  dar,  und  so  ge- 
ziemt ihm  gemäß  den  Worten  des  Psalmisten  (Ps  44,  10):  Astitit  regina  a 
dextris  tuis  in  vestitu  deaurato,  circumdata  varietate,  ein  herrliches  Gewand. 
Deshalb  das  Aurifrisium  und  die  Gemmata  (Grammata),  „welche  an  verschie- 
denen Stellen  und  in  mannigfaltiger  Arbeit  der  Zierde  halber  an  der  Albe 
angebracht  sind".     Ein  Echo  des  großen  Papstes  bildet  Durandus. 

6* 


84  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Die  Pariiren  gewannen  rasch  eine  große  Beliebtheit,  wie  aus  den  Bild- 
werken und  nicht  minder  aus  den  Schatz-  und  Gabenverzeichnissen  hervor- 
geht. Am  beliebtesten  waren  sie  im  Norden,  wo  allerdings  auch  die  Form 
der  liturgischen  Obergewänder,  namentlich  die  größere  Kürze  der  Dalmatik, 
ihre  Verwendung  begünstigte.  In  Italien,  wo  die  Dalmatik  bis  in  eine  weit 
spätere  Zeit  als  in  Frankreich,  Deutschland  und  England  eine  sehr  ansehnliche 
Länge  bewahrte,  und  wo  infolgedessen  die  Albe  beim  Bischof  und  den  Diakonen 
durch  die  Obertunika  ganz  oder  fast  ganz  verdeckt  wurde,  ging  man  bald 
dazu  über,  statt  die  Albe  eben  die  Dalmatik  mit  Zierbesätzen  nach  Art  der 
Albenparuren  zu  versehen.  Immerhin  kamen  auch  im  Süden,  wie  die 
Schätzverzeichnisse,  die  Bildwerke  und  verschiedene  noch  vorhandene  mittel- 
alterliche Alben  beweisen,  die  Grammata,  wie  sie  hier  gern  genannt  wurden, 
bei  den  Alben  recht  häufig  zur  Anwendung.  Wie  die  Parura  des  Humerale 
und  die  Albenparuren  gleichzeitig  oder  doch  fast  gleichzeitig  auf  dem  Plane 
erscheinen,  so  ging  auch  ihre  Verbreitung  im  ganzen  in  gleichem  Schritt 
vor  sich.  Bildeten  sie  ja  auch  in  der  Tat  eine  gegenseitige  Ergänzung. 
Was  über  das  erste  Auftreten  des  Amiktbesatzes  in  den  einzelnen  Ländern 
gesagt  wurde,  gilt  daher  auch  von  dem  der  Paruren  der  Albe.  Um  die  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  waren  auch  diese  nach  Ausweis  der  Inventare  und 
Bildwerke  fast  allgemein  gebräuchlich. 

Um  einen  Begriff  von  der  Kostbarkeit  und  Pracht  so  mancher  mittel- 
alterlichen Albenparuren  zu  erhalten,  braucht  man  nur  einen  Blick  auf  die 
Monumente  des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts  zu  werfen.  Daß  aber  die 
Künstler  wirklich  nichts  anderes  darstellten,  als  was  sie  sahen,  beweisen  die 
eingehenden  Angaben,  welche  wir  über  die  Besätze  der  Alben  in  manchen 
Inventaren  aus  damaliger  Zeit  finden. 

Es  kann  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  noch  gestattet  es  uns  der  Kaum,  an  dieser 
Stelle  lange  Auszüge  aus  mittelalterlichen  Schatzverzeichnissen  über  die  Alben- 
paruren zu  geben;  immerhin  empfiehlt  es  sich,  wenigstens  einiges  von  dem  hier  mit- 
zuteilen, was  uns  die  Inventare  von  deren  Pracht  erzählen. 

So  hatte  eine  Albe  gemälä  einem  gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  aufgestellten 
Schatzverzeichnis  von  Anagni  einen  Brustbesatz  von  Gold  und  dicken  Perlen,  auf 
dem  die  Bilder  des  Erlösers  und  der  allerseligsten  Jungfrau  dargestellt  waren.  Die 
Besätze  am  unteren  Saume  (fimbriae)  bestanden  aus  gemustertem  Seidenstoff,  dem 
Papageien  und  anderes  Ornament  eingewebt  waren,  während  die  Paruren  der  Ärmel 
Bildwerk  aufwiesen.  Eine  andere  Albe  desselben  Verzeichnisses  enthielt  auf  dem 
Bruststück  eine  Darstellung  der  Flucht  nach  Ägypten;  ihre  Ärmelbesätze  waren  mit 
je  drei  Bildern  geziert.  Die  aufgesetzten  Stoffstücke  am  unteren  Eand  der  Albe 
waren  aus  Goldstoff  gemacht  und  gleichfalls  mit  Figuren  bestickt.  Eine  Albe  in 
St  Peter  zu  Eom  hatte  nach  dem  Inventar  von  1361  Besätze  aus  indigofarbigem 
Stoff.  Auf  den  Stoffstücken,  die  unten  an  der  Vorder-  und  Rückseite  aufgenäht  waren, 
befanden  sich  zwei  am  Hals  gekoppelte,  goldene  Drachen,  deren  Schweif  in  Ranken 
auslief.  Die  Paruren  (mappuli)  der  Ärmel  waren  mit  Blattwerk  verziert;  an  jedem 
Ärmel  befanden  sich  —  wohl  als  Verschlußvorrichtung  der  geschlitzten  Ärmel  —  acht 
silbervergoldete  Knöpfe.  Um  die  Halsöffnung  lief  eine  einfachere  Borte ;  der  Knopf, 
der  dort  behufs  Schlieihmg  des  Schlitzes  angebracht  war,  bestand  wie  die  Knöpfe 
an  den  Ärmeln  aus  vergoldetem  Silber.  •  Ein  prächtiges  Stück  war  auch  die  Albe,  in 
der  Bonifaz  VIII.  (f  1303)  begraben  wurde1.  Sie  bestand  aus  flandrischer  Leinwand 
und  hatte  fünf  Paruren,  auf  denen  in  Gold-  und  Seidenstickerei  die  Verkündigung, 
Heimsuchung,  Geburt   und   zahlreiche    andere   heilige  Geheimnisse   dargestellt   waren. 


1  Jjzo  vi  us,  Annales  ad  a.  1303,  n.  8;  XIV  50.   Die  Rekognition  der  Leiche  fand  1605  statt. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  85 

Diejenigen,  welche  sich  am  Albensaum  befanden,  waren  3'/o  Hand  breit  und  eine 
Hand  hoch. 

Eine  reiche  Albe,  die  vordem  in  der  nunmehr  verschwundenen  Stiftskirche  zum 
hl.  Andreas  zu  Freising  aufbewahrt  wurde,  wird  von  einem  Kanonikus  des  Stifts 
1728  folgendermaßen  beschrieben  '.  „Die  Albe  ist  vom  feinsten  Linnen  und  sehr 
lang.  An  dem  Teil  der  Albe,  welcher  vom  Halse  bis  zur  Brust  reicht,  hat  der  Nadel- 
maler mit  Gold-  und  Seidenfäden  von  verschiedener  Arbeit  das  Bild  Christi  ausgeführt, 
welchen  Nikodemus  vom  Kreuze  abnimmt,  während  Maria,  die  Mutter  Jesu,  und  sein 
Lieblingsjünger  Johannes  zur  Seite  stehen.  Gegen  den  Saum  der  Vorderseite  sehen 
wir  mit  ähnlicher  Kunst  dargestellt  Christum  mit  den  zwölf  Aposteln ;  Christus  sitzt 
in  ihrer  Mitte ;  zu  seiner  Beeilten  steht  Petrus,  den  Schlüssel  in  der  Kechten,  das 
Buch  in  der  Linken  haltend,  zur  Linken  Paulus  mit  einem  Buche.  An  diese  reihen 
sich  Andreas  mit  einem  Buche  usw.  an,  alle  prachtvoll,  wenn  auch  nicht  künst- 
lich für  unsere  Zeit  (!)  ausgeführt.  In  der  Mitte  der  Albe  auf  der  Bückseite 
sieht  man  die  Gestalt  eines  Weibes,  das  in  der  rechten  Hand  ein  Messer  trägt,  in 
der  Linken  aber  eine  große  Bolle.  Über  ihrem  Haupte  steht  die  Inschrift  Synagoga. 
Zu  ihrer  Bechten  erblicken  wir  den  König  David  mit  einer  Krone  auf  dem  Haupte 
und  einer  gleichen  Bolle,  zur  Linken  aber  den  Propheten  Isaias  usw.,  ein  anmutiges 
Schaustück  für  Liebhaber  des  Altertums."  Man  beachte  die  sinnvolle  Wahl  der  Dar- 
stellungen auf  den  Besätzen.  Wie  nüchtern  und  geistlos  erscheint  dieser  Albe  gegen- 
über so  manche  prunkende  Albe  einer  späteren  Zeit  mit  ihrer  meterbreiten  Spitze ! 
Besonders  kostbare  Albenparuren  enthält  das  Schatzverzeichnis  des  Apostolischen 
Stuhles  vom  Jahre  1295.  Da  heißt  es  z.  B. :  Item  unum  camisum  cum  gramitis  ad 
argentum  deauratum  tractitium  et  per  diversas  partes  earum  sunt  aves,  pectorale 
(der  Brustbesatz)  autem  est  in  xamito  rubeo,  ornato  de  uno  esmalto  (Emailplättchen) 
in  auro  in  medio  cum  uno  angelo  et  ad  alia  esmalta  et  rosas  de  auro  et  sunt  ibi  una 
amatissa  (Amethyst),  unus  smaragdus,  unus  topacion  (Topas),  plures  fragae  (erdbeer- 
artige Verzierungen)  aureae,  diversae  perlae  grossae ;  deficiunt  tarnen  plures  lapides  et 
topacion.  Eine  zweite  Albe  hatte  Paruren  aus  Goldbrokat,  auf  ilirem  Brustbesatz  aber 
fanden  sich  außer  sonstigem  Schmuck  vier  Medaillons  aus  Gold  und  Email  mit  Blumen, 
vier  in  Gold  gefaßte  Saphire,  drei  große,  gleichfalls  in  Gold  gefaßte  Smaragde,  sechs 
Bubine  und  sieben  Granate.  Eine  dritte  wies  auf  den  Paruren  teils  Heiligenfiguren 
unter  Arkaturen,  teils  in  Goldstickerei  ausgeführtes  Bankenwerk,  auf  dem  Bektorale 
aber  eine  Darstellung  des  letzten  Abendmahles  auf.  Bei  einer  vierten  war  dem  Brust- 
besatz die  „Sendung  des  Heiligen  Geistes"  und  den  Saumparuren  die  „Verkündigung" 
und  „Geburt"  aufgestickt.  Die  Armelparuren  sowie  ein  Schulterbesatz  waren  in  Perlen- 
stickerei gearbeitet.  Von  einer  andern  Albe  sagt  das  Inventar:  Item  unum  camisum 
cum  fimbriis  (Paruren)  de  opere  anglicano  cum  historia  B.  Nicolai  et  pectorali  laborato 
ad  aurum  cum  imagine  Salvatoris  in  medio  et  4  evangelistis.  Im  ganzen  werden 
20  Alben  mit  mehr  oder  minder  kostbaren  Zierbesätzen  aufgezählt. 

Um  etwa  dieselbe  Zeit  führt  ein  Inventar  von  Peterborough  fünf  Alben  auf, 
quarum  parurae  sunt  de  rubeo  samito  cum  ymaginibus,  clavibus  et  rosis  ex  aurifrigio 
bene  brusdatis,  11  Alben,  quarum  parurae  sunt  de  panno  Turky  (orientalisches  Ge- 
webe), quae  quasi  aurum  resplendent,  eine  Albe,  deren  aus  rotem  Samt  bestehende 
Paruren  mit  Bildwerk  und  großen  in  Silber  gefaßten  Steinen  geschmückt  waren,  eine 
weitere  Albe,  deren  seidene  Besätze  mit  Bildern  in  Gold  bestickt  waren,  und  schließlich 
eine  Albe,  die  auf  den  Paruren  in  kunstvollster  Stickerei  Szenen  aus  Christi  Leiden 
aufwies  2. 

Ein  Inventar  von  St  Viktor  zu  Marseille  aus  dem  Jahre  1358  verzeichnet 
eine  Albe   paratam   ante   et   retro    in   fimbriis    et   in  pectore    et   in  summitatibus 


'Kirchenschmuck   I    (1857)    15.     Ähnlich  daß  sie  frühestens  dem  12.  bis  13.  Jahrhundert 

Meichelbeck,  Hist.  Frising.  I  257.     Die  entstammte  (vgl.  oben  S.  33  Anm.  2). 

Albe   sollte  von   Bischof  Ellenhard  (t  1078)  -  Gay  83.   Vgl.  dort  auch  die  Auszüge  aus 

herrühren.     Indessen    beweisen    die  Besätze,  Inv.  von  N.-D.  zu  Paris  u.  der  Kath.  zu  Amiens. 


86  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

pugnorum.  Die  Saumparuren  waren  mit  je  fünf  Ganzbildern  verziert,  auf  dem  Brust  - 
besatz  war  der  Erlöser  zwischen  zwei  Engeln  dargestellt,  auf  den  Ärmelparuren  aber 
befanden  sieh  je  fünf  Halbbilder.  Dazu  kam  ein  Amiktbesatz  mit  sieben  Halbbildern, 
in  ihrer  Mitte  Christus.  Geschlossen  wurden  die  Ärmel  cordello  viridi  cum  acu 
argenteo  (sie),  qui  est  in  eius  summitate  l. 

Besonders  groß  ist  die  Zahl  der  Alben,  die  reich  mit  Paruren  verziert  waren, 
in  den  Inventaren  von  St  Paul  zu  London  aus  den  Jahren  12452  und  1402,  zumal 
im  letztgenannten,  welches  deren  über  120  notiert.  Viele  waren  mit  figürlichen  Dar- 
stellungen bestickt,  z.  B.  mit  Szenen  aus  dem  Leben  des  hl.  Thomas  Becket,  mit 
Brustbildern  der  Apostelfürsten,  mit  den  Figuren  der  Apostel,  mit  Begebenheiten  aus 
dem  Leben  des  Heilandes  und  der  allerseligsten  Jungfrau,  mit  Heiligenbildern  u.  ä. 
Interessant  sind  im  Inventar  von  1402  8  albae  cum  paruris  albis  depanno 
lineo  depictis  cum  rosis  r  üb  eis,  ordinatae  pro  pueris  choristis  und 
4  albae  cum  paruris  de  panno  lineo  nigri  coloris,  ordinatae  pro  pueris 
choristis. 

Wie  beliebt  schon  früh  die  albae  paratae  waren,  ergibt  sich  z.  B.  aus  dem 
Registrum  Eoffense.  Unter  der  endlosen  Reihe  der  Geschenke  an  Paramenten,  welche 
darin  aufgezählt  werden,  spielen  eine  Hauptrolle  mit  Paruren  versehene  Alben.  Immer 
und  immer  wieder  heißt  es  darin :  Dedit  albam  paratam,  albam  cum  parura,  albam 
cum  parura  de  cendal  (taftartiger  Seidenstoff),  albam  paratam  cum  aureis  leuneulis  u.  ä. 
Daß  es  sich  aber  in  diesen  Fällen  wirklich  um  einen  Albenbesatz  im  Sinne  unserer 
Paruren  und  nicht  um  Vollborduren  handelt,  geht  daraus  hervor,  daß  in  Fällen,  wo 
letztere  gemeint  sind,  ausdrücklich  solches  bemerkt  wird,  so  wenn  es  heißt :  duas  albas 
cum  nigris  paruris,  quae  parurae  circumdant  totam  albam,  oder  albam  circumdatam  de 
pallio  optimo.  Es  erhellt  ferner  aus  der  interessanten  Angabe  des  Registrum:  Wal- 
terus  episcopus  (1148 — 1182)  dedit  .  .  .  sandalia  brusdata,  de  quibus  facta  est  parura 
ad  albam.  Denn  der  Besatz,  den  man  aus  diesen  sandalia  machte,  kann  unmöglich 
eine  Vollbordüre  gewesen  sein,  auch  wenn  man  unter  ihnen  die  Pontifikalstrümpfe 
verstehen  sollte.  Lehrreich  für  den  Umfang,  den  die  Verwendung  der  Paruren  im 
14.  und  15.  Jahrhundert  gewonnen  hatte,  sind  namentlich  die  Schatzverzeichnisse 
von  Cluny  (1382),  Prag  (1354  und  1387),  Olmütz  (1435),  das  oben  erwähnte  Inventar 
von  St  Paul  zu  London  (1402)  u.  a.  Wie  bedeutend  sie  selbst  hie  und  da  noch  gegen 
Ausgang  des  16.  Jahrhunderts  war,  bekundet  das  Inventar  von  St  Brigiden  zu  Köln  aus 
dem  Jahre  1578,  worin  neben  einer  Anzahl  von  Alben,  denen  die  Besätze  angenäht 
waren,  auch  erwähnt  werden:  „Item  zu  77  alven  Bretger  ohne  angeneit",  sowie  das 
Inventar  von  Kiedrich  von  1583,  das  „3  alpenn  mitt  bloen  sammat  schilten,  2-  alpenn 
mitt  rodt  verblömet  sammat  schilten,  eyn  alb  mit  rod  verblömet  damasten  schilten, 
eyn  alb  mitt  gülden  schilten,  eyn  alb  mit  weysem  damast,  eyn  alb  mit  rodem  bur- 
satt"  (Brokat)  und  „eyn  alb  mit  schwarzen  duch"  zu  verzeichnen  hat3. 

Natürlich  waren  im  Mittelalter  ebensowenig  alle  Alben  mit  Paruren 
versehen,  wie  heute  alle  mit  Spitzen  ausgestattet  sind.  Es  gab  auch  einfache 
Alben,  zumal  in  Landkirchen  und  für  den  werktäglichen  Gottesdienst.  Von 
den  fünf  Alben  zu  Kastei  S.  Elia  zeigen  beispielsweise  nur  zwei  Spuren  oder 
Reste  von  Besätzen. 

Überhaupt  scheint  im  allgemeinen  auf  die  Albenbesätze  nicht  der  Fleiß 
und  Wert  gelegt  worden  zu  sein  wie  auf  die  Parura  des  Amiktes.  Der 
Grund  hierfür  dürfte  vor  allem  in  dem  stärkeren  Verschleißen  liegen,  dem 
die  Albenparuren  naturgemäß  ausgesetzt  waren.  Dann  aber  mochte  der 
Umstand  darauf  einwirken,  daß  dieselben  weniger  in  die  Augen  fielen  als 
der  Zierbesatz  des  Schultertuches,    welcher   wie  ein  Kragen  das  Meßgewand 


1  Gay  83.  s  Vgl.    auch    die  Inventare  von  St  Martin 

2  Die  Alben  heißen  im  Inventar  von  1245         zu  Dover    (1536)    und   der  Infirmary    eliapel 
vestimenta.  zu  Peterborough   (1539). 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  87 

wirkungsvoll  abschloß.  Auffallend  ist  diese  Verschiedenheit  in  der  Behand- 
lung der  Albe  und  des  Amiktes  namentlich  in  den  späteren  Inventaren.  So 
wird  man  in  den  ermländischen  Schatzverzeichnissen  nirgends  einem  Alben- 
besatz begegnen,  der  sich  auch  nur  in  etwa  mit  einer  der  vielen  darin  er- 
wähnten Amiktparuren  vergleichen  ließe.  Es  ist  überhaupt  darin  kaum  irgendwo 
von  Albenparuren  die  Rede.  Selbst  von  den  Alben  schweigen  diese  Inven- 
tare  zum  Teil,  da  dieselben  als  selbstverständliches  Zubehör  zur  Kasel  und 
den  Levitengewändern  angesehen  wurden.  Ähnlich  verhält  es  sich  in  dem 
Stolper  Inventar  aus  dem  Beginn  des  16.,  dem  Breslauer  aus  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  und  dem  Schatzverzeichnis  des  Graner  Doms.  Wie  es 
scheint,  bestanden  die  Albenparuren  hier  überall  lediglich  aus  Stoffstücken  vom 
Material  des  Meßgewandes,  der  Dalmatik  und  der  Tunicella,  so  daß  eine  be- 
sondere Erwähnung  überflüssig  erscheinen  mochte.  Wirklich  stellen  die  zahl- 
reichen Albenbesätze,  welche  sich  aus  dem  Ende  des  Mittelalters  in  St  Marien 
zu  Danzig  erhalten  haben,  bloße  Damaste,  Brokate  und  Samte  von  der  gleichen 
Beschaffenheit  dar,  wie  sie  sich  an  den  zahlreichen  alten  Kasein  der  Kirche 
finden,  so  daß  es  nicht  schwer  sein  würde,  für  manche  der  letzteren  aus 
dem  Haufen  der  Albenparuren  die  einst  zu  ihnen  gehörenden  Albenbesätze 
wieder  herauszulesen. 

Von  den  Alben,  die  sich  aus  dem  Mittelalter  in  unsere  Zeit  herübergerettet 
haben,  weisen  nur  wenige  Paruren  von  Bedeutung  auf.  Zu  ihnen  gehört  namentlich 
die  Albe  des  hl.  Thomas  Becket  zu  Sens  mit  prächtigen  Goldstickereien  auf  den 
Besätzen,  wie  sie  ähnlich  die  im  Grabe  Theodorichs  von  Trier  (f  1242)  aufgefundenen 
Kaselreste  aufweisen.  Die  Albe  in  St  Chiara  zu  Assisi  besitzt  Paruren  mit  den  im 
13.,  14.  und  15.  Jahrhundert  so  beliebten  Hakenmustern. 

Die  meisten  der  noch  vorhandenen  alten  Alben  entbehren  gegenwärtig  der 
Besätze,  doch  lassen  sich  bei  verschiedenen  noch  deutlich  die  Spuren  derselben  er- 
kennen. Die  Albe  im  Dom  zu  Brandenburg  ist  mit  Zierstücken  aus  Samtbrokat, 
die  Eichstätter  Albe  mit  Paruren  aus  gelber  Seide  geschmückt.  Die  einzige  Albe  in 
St  Marien  zu  Danzig,  welche  noch  ihre  ursprüngliche  Ausstattung  besitzt,  hat  Paruren 
aus  dunkelblauem,  fast  schwarzem  Samt  (vgl.  Bild  34,  S.  82).  Die  Paruren  der  drei  Alben 
im  Dom  zu  Katzeburg  bestehen  aus  rotem,  grünem  und  blauem  Samt. 

Von  losen  Albenparuren  besitzt  ein  einfaches,  aber  schönes,  in  der  Applikations- 
technik ausgeführtes  Exemplar  der  Dom  zu  Xanten  '.  Es  stammt  etwa  aus  dem 
Anfang  des  15.  Jahrhunderts.  Etwas  reicher  ist  eine  Parura  im  Königl.  Kunst- 
gewerbemuseum zu  Berlin,  ein  Muster  schlichter  Eleganz.  Aus  grünem  Taft  an- 
gefertigt ,  ist  sie  durch  Zickzacklinien  in  über  Eck  stehende  Quadrate  eingeteilt, 
welche  ringsum  von  einem  zierlichen  Bankenfries  eingefafst  werden.  Die  Quadrate 
sind  mit  je  zwei  einander  zugewandten  Vöglein,  welche  durch  ein  Bäumchen  ge- 
schieden werden,  ausgefüllt.  Die  Halbquadrate  an  den  Lang-  und  Schmalseiten  und  die 
Viertelquadrate  in  den  Ecken  enthalten  Blattwerk  oder  Ranken.  Die  Parura  ist  von 
bester  Wirkung,  obwohl  die  Ausführung  der  Ornamente  fast  nur  in  gelber,  gelbgrüner 
und  weifser  Seide  und  fast  blofs  unter  Anwendung  einfacher  Konturenstickerei  erfolgte. 

Auch  das  k.  k.  Museum  für  Kunst  und  Industrie  zu  Wien  besitzt  einige  hübsche 
Albenparuren.  Eine  erinnert  durchaus  an  die  Xantener,  nur  ist  die  Ausführung  eine 
andere  (Gold-  und  Seidenstickerei) 2.  Drei  andere  haben  hinsichtlich  ihrer  Musterung 
einige  Verwandtschaft  mit  den  eigenartigen  Dessins  der  sog.  Kölner  Borten  3.  Zwei  in 
reicher  Eigurenstickerei    gearbeitete  Paruren   befinden  sich  im  Schatz  der  Kathedrale 


1  Abbildung  in  Zeitschrift  III  (1890)  289.  2  Abbildung   und   Beschreibung   ebd.  XIII 

Aus  der  Parura  ist  später  unter  Zuhilfenahme  (1900)   213. 

des  zu  ihr  gehörenden  Araiktbesatzes  ein  Be-  3  Ebd.  XII  (1899)  189.    Über  die  „Kölner 

hang  angefertigt  -worden.  Borten"  ebd.  XIII  1  ff  und  Braun,  Winke  19. 


88 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


zu  Sens ;  sie  gehören  dem  13.  Jahrhundert  an  und  weisen  unter  reizenden  Arkaturen 
den  Erlöser  und  die  allerseligste  Jungfrau  mit  dem  Kind  inmitten  von  je  sechs  Aposteln 
auf '.  Eine  andere  mit  Bildwerk  verzierte  Parura  besitzt  St-Bertrand  zu  Comminges ; 
sie  enthält  unter  gotischen  Bogen  die  Apostel  Philippus,  Petrus,  Johannes,  Matthias 
und  Jakobus  und  ist  den  Inschriften  zufolge  italienischen  Ursprungs  (Bild  36). 

Die  vorzüglichsten  voii  allen  noch  vorhandenen  mittelalterlichen  Albenparuren 
besitzt  aber  der  St  Veitsdom  zu  Prag  (Bild  37  u.  38)  -.  Es  sind  ihrer  vier.  Jede  enthält  auf 
einem  Goldfond,  der  durch  abgeheftete  Goldfäden  hergestellt  und  mit  Banken  in  feinster 
Perlenstickerei  belebt  ist,  außer  dem  Halbbild  des  Heilandes  bzw.  seiner  jungfräu- 
lichen Mutter  die  Halbbilder  von  je  zwei  männlichen  bzw.  je  zwei  weiblichen  Heiligen. 
Alle  Figuren  sind,  nur  die  Fleischteile,  das  Haar,  die  Unterseite  der  Gewänder  und 
einiges  andere  kleinere  Detail  ausgenommen,  ganz  in  Perlen  ausgeführt.  Umrahmt 
ist  das  Bildwerk  von  einem  Blattfries,  bei  welchem  gleichfalls  echte  Perlen  in  reichstem 
Maße  zur  Verwendung  gelangt  sind.  Die  Länge  der  Paruren,  die  aus  der  letzten 
Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  herrühren  mögen,  beträgt  ca  0,31  m,  ihre  Höhe  ca  0,18  m. 

Außer  den  Paruren  kamen  übrigens  nicht  selten  auch  noch  Zierstreifen 
als    Albenornament    zur    Verwendung.      Beliebt    war    es    namentlich,    solche 

auf  den  Schultern  anzu- 
bringen. Sie  liefen  hier  ent- 
weder bloß  rechts  und  links 
von  dem  Armelansatz  bis 
zum  Kopfdurchlaß  oder  an 
diesem  vorbei  von  Ärmel  zu 


Bild  36. 


Albenparura  mit  Figurenstickerei. 
Comminges,  St-Berirand. 


Ärmel.  Auch  umgab  man 
wohl  den  Kopfdurchschlupf 
selbst  mit  einem  Börtchen. 
Dann  finden  wir  mehrfach 
einen,  zwei,  ja  selbst  drei 
Vertikalstreifen  auf  der  Vor- 
der- und  Rückseite  oder 
doch  wenigstens  der  Vorder- 
seite des  Gewandes.  Bei  drei  Vertikalstreifen  befand  sich  einer  in  der  Mitte, 
während  die  andern  sich  den  Rand  der  Mittelbahn  herabzogen  (Bild  39,  S.  91). 

Auf  der  Albe  im  Königl.  bayrischen  Nationalmuseuni  zu  München  (vgl.  Bild  33,  S.  77) 
geht  ein  Zierstreifen  über  die  Schultern,  ein  anderer  um  den  Kopfdurchlaß.  Ein  dritter 
steigt  über  die  Brust  vom  Kopfdurchlaß  bis  zur  Mitte  des  Gewandes  herab,  ein  vierter 
endlich  verläuft  quer  über  die  Brust,  bildet  also  mit  dem  senkrechten  Streifen  ein 
förmliches  Kreuz.  Eine  Saumparura  scheint  die  Albe  nie  besessen  zu  haben,  dagegen 
findet  sich  bei  ihr  am  oberen  Ende  der  Giren  ein  Zierstück  in  Form  eines  über  Eck 
stehenden  Quadrates  angesetzt,  von  dem  die  Fältelung  der  Giren  ausgeht,  eine  Ein- 
richtung, welche  sich  ähnlich  auch  sonst  bei  mittelalterlichen  Alben  findet,  wie  z.  B. 
bei  den  Alben  im  Hospiz  zu  Lisieux,  in  S.  Chiara  zu  Assisi,  zu  Valsainte  und  im 
Kensington  Museum.  Das  Zierstück  ist  hier  überall  dreieckig.  Bei  den  drei  ersten 
ist  es  in  Weißstickerei  mit  Rhomben  gemustert,  bei  der  letzten  mit  einem  Kreuz  bestickt. 

Alben,  die  einen  Vollbesatz  am  Saum  aufweisen,  scheinen  nach  Ausweis 
der  Inventare  und  Bildwerke  im  13.,  14.  und  15.  Jahrhundert  im  Ganzen  nur 
selten  vorgekommen  zu  sein.    Von  allen  aus  jener  Zeit  noch  erhaltenen  Alben 


1  Abbildungen  in  d  e  F  a  r  c  y  pl.  23.  Die  Pa- 
rura in  St-Bertrand  zu  Comminges  auf  pl.  31. 

2  Abbildung  aller  vier  Paruren  bei  A.  P  o  d- 
laha    und    E.    Sittler,    Topographie    der 


histor.  und  Kunstdenkmale  Böhmens.  Der 
Domschatz  in  Prag,  Prag  1903,  185  ff.  Eine 
ist  gut  in  Farben  wiedergegeben  bei  B  o  c  k, 
Gesch.  I,  Tfl  11. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


89 


Bild  37.     Albenparura.     Prag,  Domschatz. 
(Aus  Podlaha  u.  Sittler,  Der  Domschatz  zu  Prag ) 

ist  bloß  eine  mit  einem  solchen  ausgestattet,  die  aus  der  Neustädter  St  Johannes- 
Kirche  zu  Hannover  stammende,  mit  M.  XX  6  bezeichnete  Albe  im  Pro- 
vinzialmuseum  daselbst.  Die  Bordüre  setzt  sich  aus  Vierpässen  zusammen, 
"Welche  mit  einem  Wappenschild  gefüllt  sind  und  durch  Blattwerk  voneinander 
geschieden  werden.  Bemerkenswert  ist,  daß  aber  auch  hier  in  der  Mitte  des 
Saumes  die  Paruren  nicht  fehlen. 

In  der  Neuzeit    ging   es   den  Albenparuren  ähnlich  wie  dem  Besatz  des 
Amiktes.    Während  indessen  bei  letzterem  die  Verzierung  ganz  aufhörte,  be- 


Bild  38.     AlbeDparura.      Prag,  Domschatz. 
(Aus  Podlaha  u.  Sittler,  Der  Domschatz  zu  Prag.) 


90  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

gann  bei    der  Albe    eine   rückläufige  Bewegung,    indem    wieder  Vollbordüren 
an  Stelle  der  Paruren  traten. 

Ein  gutes  Beispiel  einer  solchen  Albe,  eine  Schöpfung  des  16.  Jahr- 
hunderts, findet  sich  in  der  ehemaligen  Stiftskirche  zu  Goß  in  Steiermark. 
Der  breite  Besatz,  der  sich  um  den  ganzen  Eand  derselben  hinzieht,  ist  teils 
in  mehrfarbiger  Seide  teils  in  Goldstickerei  ausgeführt1. 

Im  allgemeinen  hielt  das  Außermodekommen  der  Alben-  und  Amiktparura 
gleichen  Schritt,  wie  sie  ja  auch  so  ziemlich  zur  gleichen  Zeit  aufgetreten 
waren  und  in  gleichem  Maß  sich  verbreitet  hatten.  Freilich  auch  nur  im 
allgemeinen.  Denn  wie  wir  noch  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  dort  Amikt- 
besätze  antreffen,  wo  die  Zierstücke  der  Alben,  wie  es  scheint,  schon  außer 
Gebrauch  gekommen  waren ,  so  begegnen  uns  umgekehrt  diese  hie  und  da 
noch,  nachdem  jene  bereits  eine  Weile  von  der  Bildfläche  verschwunden  waren. 
So  hört  z.  B.  auf  den  Mainzer  Bischofsmonumenten  die  Amiktparura,  wie 
früher  ausgeführt  wurde,  schon  im  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  auf,  während 
die  Albe  noch  bei  Albrecht  von  Brandenburg  (f  1545),  Sebastian  von  Heusen- 
stamm (f  1555)  und  selbst  Daniel  Brendel  von  Homburg  (f  1582)  die  alte  Besatz- 
art  aufweist.  Ähnlich  gewahrt  man  auf  dem  Grabstein  eines  Willem  Symoens 
zu  Gent  (f  1570)   nicht   mehr   die  Amikt-,  wohl  aber  noch  die  Albenparura. 

In  Deutschland  bleibt  die  Albenparura  teilweise  noch  bis  gegen  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  in  Gebrauch.  Außer  den  schon  angeführten  Grabmälern 
der  Mainzer  Erzbischöfe  verweisen  wir  zum  Beweis  hierfür  auf  die  Grabplatten 
der  Bischöfe  Rembert  von  Kerssenbroich  (f  1568)  im  Dom  von  Paderborn  und 
Johannes  von  Hoya  (f  1574)  im  Dom  zu  Münster.  Noch  später  treffen  wir 
die  Zierstücke  als  Albenschmuck  auf  der  Grabplatte  des  Bischofs  Johannes 
Nasius  (f  1590)  in  der  Franziskanerkirche  zu  Innsbruck.  Von  den  77  Alben- 
paruren,  die  unter  dem  Namen  „bretgen,  brederken"  im  Inventar  der  St  Brigiden- 
kirche  zu  Köln  von  1578  erwähnt  werden,  war  schon  die  Rede.  In  dem- 
selben Schatz  Verzeichnis  heißt  es:  „Item  noch  5  alven  mit  ir  heubtdoecher 
gerüstet  (gewaschen)  und  die  brederkens  daan  geneit."  An  einer  andern  Stelle 
findet  sich  der  Vermerk,  es  seien  einer  Albe  „roth  kamelotte  (Wollstoff)  bretgen" 
aufgenäht.  Zu  Kiedrich  im  Rheingau  waren  die  „Albenschilde"  noch  1583  im 
Gebrauch.  Zu  Brixen  untersagte  erst  die  Synode  von  1603,  ferner  scutella 
(Schilde)  zur  Verzierung  der  Alben  zu  gebrauchen 2.  Die  Prager  Synode  vom 
Jahre  1605  scheint  die  Paruren  nicht  mehr  zu  kennen.  Was  sie  über  die 
Albe  sagt,  beruht  ersichtlich,  wie  ihre  Verordnungen  hinsichtlich  der  Be- 
schaffenheit der  übrigen  Paramente,  auf  den  Bestimmungen  des  hl.  Karl  Borro- 
mäus.  Ausgelassen  ist  aber,  was  der  Heilige  über  die  Albenparuren  sagt, 
wohl  ein  Zeichen,  daß  diese  in  der  Prager  Erzdiözese  außer  Verwendung 
gekommen  waren. 

In  Italien  war  die  Parura,  wenn  wir  von  Norditalien,  namentlich  der 
mailändischen  Kirchenprovinz,  absehen,  schon  um  den  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts kaum  mehr  gebräuchlich.  Zu  Venedig  treffen  wir  sie  noch  auf  dem 
1535  angefertigten  Mosaikbilde  des  hl.  Geminianus  im  Portikus  von  S.  Marco 
und  einem  Gemälde  des  Girolamo  da  S.  Croce  in  der  Accademia  bei  St  Augu- 
stinus. Zu  Mailand  verordnete  der  hl.  Karl  Borromäus:  „Unten  an  der 
Albe  vorn  und  rückwärts  und  ebenso  an  den  Armelenden  mögen  quadrat- 
förmige  Seidenstücke,   welche   man  Grammata   oder  Auriphrygium   nennt,    in 


Mitt.  III  (1885)  94.  2  C.  De  eccl.  n.  16  (Hartzh.  VIII  565). 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


91 


der  Farbe  und  vom  Stoff  der  Kasel  aufgenäht  werden."  .  .  .  Wer  nach  Mai- 
land kommt  und  im  Dome  daselbst  dem  Hochamt  beiwohnt,  wird  bemerkt 
haben,  daß  die  Verordnung  des  hl.  Karl  bezüglich  der  Albenbesätze  noch 
immer  befolgt  wird  (vgl.  Bild  11,  S.  43  und  22,  S.  57).  Freilich  passen  die- 
selben herzlich  schlecht  zu  der  häßlichen  Albenform,  wie  sie  dort  gegenwärtig 
in  Gebrauch  ist. 

Auch  in  Spanien  hat  sich  hie  und  da,  wie  z.  B.  zu  Sevilla1  und  Toledo, 
eine  wenngleich  sehr  beschränkte  Verwendung  der  alba  parata  erhalten.  So 
tragen  zu  Toledo  am  Karfreitag  die  Sänger  der  Passion  mit  Paruren  aus- 
gestattete Alben 2,  wohl  im  Festhalten  an  der  mittelalterlichen  Symbolik,  welche 
die  Albenbesätze  auf  die  Wunden  des  Heilandes  deutete. 

In  Frankreich  ist  der  mittelalterliche  Albenbesatz  heute  ganz  ver- 
schwunden. Im  vorigen  Jahrhundert  gab  es  daselbst  jedoch  noch  einzelne 
Kirchen,  in  denen  man 
sich  an  hohen  Festen 
der  albae  paratae  be- 
diente. So  geschah  es 
z.  B.,  wie  Montfaucon 
berichtet ,  zu  Angers, 
wo  allerdings  derartige 
Alben  gerade  wie  die 
amictus  parati  ein  Vor- 
recht der  Kanoniker 
der  dortigen  Kathe- 
drale bildeten 3.  Wie  die 
Revolution  in  Frank- 
reich leider  eine  Menge 
der  kostbarsten  und  in- 
teressantesten Para- 
mente  aus  dem  Mittel- 
alter vernichtet  hat,  so 
hat  sie  auch  den  trau- 
rigen Ruhm,  mit  man- 
chen andern  mittel- 
alterlichen Überbleibseln  im  Kultus  auch  die  Albenparuren  ganz  weg- 
geschwemmt zu  haben.  Auf  den  Wandel  in  der  Verzierungsweise  der  Alben 
wird  übrigens  das  Aufkommen  und  die  Entwicklung  der  Spitzenindustrie  im 
16.  Jahrhundert  nicht  ohne  Einfluß  gewesen  sein.  Die  prächtigen  Spitzen, 
welche  diese  schuf,  waren  zu  einladend,  um  nicht  auch  zur  Verzierung  bei 
den  Alben  verwendet  zu  werden.  In  der  Tat  kamen  sie  bald  als  Ausstattung 
bei  denselben  in  Gebrauch.  Die  Verbreitung,  die  sie  hierbei  nach  und  nach 
gewannen,  bedeutete  natürlich  das  Ende  der  Paruren.  Alben  mit  Spitzen 
werden  in  einem  Inventar  von  Angers  aus  dem  Jahre  1644  erwähnt4. 

Die  Albenspitzen  haben  sich  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  und  werden 
auch  wohl  nimmermehr  aus  dem  Gebrauche  verschwinden.  In  der  Tat  wäre  es 
verkehrt,  die  Spitzen,  oft  genug  Werke  vollendetsten  Kunstfleißes,  als  Schmuck 
der  Albe  zu  verschmähen.     Richtig  und   mit  gutem  Geschmack  angewendet, 


Bild   39.      Albe.      London,  Kensington-Museum. 


1  Wiseman,     Vermischte    Schritten    I 
(deutsch  Köln  1857)  63. 


5  Nach  Mitteilungen  aus  Toledo. 

3  Revue  1886,  172.  *  Ebd.  181. 


92  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

sind  sie  ein  sehr  brauchbares  Mittel  zu  deren  würdiger  Verzierung.  Es  ist 
allerdings  vielfach  mit  ihnen  Mißbrauch  getrieben  worden.  Sie  standen  nicht 
nur  oft  genug  im  Widerspruch  zum  Stoff  der  Albe  —  man  denke  an  die 
duftigen  Tüllspitzen,  die  großlöcherigen  Guipuren  u.  ä.,  sondern  erhielten  auch 
häufig  zum  Schaden  der  Würde  und  des  Charakters  des  Gewandes  eine  un- 
verhältnismäßige Länge;  gab  es  doch  genug  Albenspitzen,  die  bis  zu  einem 
Meter  breit  waren.  Der  Kampf,  den  man  in  den  fünfziger  Jahren  beim  Wieder- 
erwachen der  religiösen  Kunst  gegen  die  Spitzen  begann,  war  daher  nicht 
unberechtigt.  Es  waren  in  der  Tat  Mißbräuche  zu  beseitigen.  Es  läßt  sich 
aber  nicht  verkennen,  daß  in  der  ersten  Begeisterung  und  im  heiligen  Kampfes- 
eifer nicht  selten  die  Kugeln,  die  man  abschoß,  weit  über  das  Ziel  hinaus- 
flogen1. Man  verwechselte  Mißbräuche  mit  der  Sache  selbst  und  gab  nur  zu 
oft  einseitig  den  eigenen  Geschmack  für  das  allein  Richtige,  allein  Kirchliche 
aus.  Immerhin  fiel  manches  gute  Wort,  manche  treffende  Bemerkung,  mancher 
begründete  Tadel,  manche  aufmunternde  Anregung.  Die  erfreuliche  Frucht  der 
Bewegung  war  denn  auch,  daß  wenigstens  in  Deutschland  in  Bezug  auf  die 
Verwendung  der  Albenspitzen  eine  nicht  unerhebliche  Besserung  eintrat. 

Der  freilich  nur  vereinzelt  gemachte  Vorschlag,  unter  Rückkehr  zur 
mittelalterlichen  Gepflogenheit  wieder  Paruren  zur  Verzierung  der  Alben  zu 
verwenden,  verhallte  jedoch  leider  so  gut  wie  ergebnislos.  Nur  in  England 
begann  man  dieselben  von  neuem  zu  verwerten,  doch  hatten  die  diesbezüglichen 
Bemühungen  auch  hier  weder  einen  durchschlagenden  noch  einen  nachhaltigen 
Erfolg.  Dagegen  gelang  es,  zumal  in  Deutschland,  statt  der  Spitzen  gestickte 
Bordüren  einzuführen,  ein  Ergebnis,  das  man  immerhin  mit  Freuden  begrüßen 
kann.  Allerdings  gilt  auch  hier,  daß  nicht  jede  gestickte  Bordüre  als  solche 
schon  ein  Muster  von  Schönheit  und  eine  geeignete  Verzierung  der  Albe  ist. 
Wer  den  Inhalt  mancher  Sakristeischränke  mustert  und  die  Dutzendware  nicht 
bloß  einer  der  sog.  Anstalten  für  christliche  Kunst  beschaut,  wird  manches 
finden,  das  weit  weniger  zur  Albe  paßt  als  zahlreiche  der  vielgelästerten 
Spitzen.  Das  gilt  besonders  von  den  in  jüngster  Zeit  so  beliebt  gewordenen, 
auf  schwerem  Kanevas  gestickten  Albenbordüren,  die  zu  einer  Tischdecke  und 
ähnlichem  oder  als  Tischläufer  passen  mögen,  für  ein  leichtes  Linnengewand 
aber  zu  steif  und  massig  sind. 

VII.  DIE  LITURGISCHE  TUNIKA  IN  DEN  ORIENTALISCHEN  RITEN. 

DIE  EPIMANIKIEN. 

Bei  allen  Riten  des  Ostens  gibt  es  eine  liturgische  Tunika,  griechisch 
sticharion,  slavisch  stichar,  armenisch  schapik,  syrisch  (chaldäisch)  kutinä, 
koptisch  stoicharion,  tuniah.  Sie  kommt  allen  Klerikern  zu,  vom  Patriarchen 
angefangen  bis  zum  Lektor. 

Bei  den  Priestern  und  Bischöfen  wird  die  Tunika  zwar  gegürtet,  aber 
in  der  Regel  nicht  auch  aufgeschürzt.  Sie  pflegt  daher  etwas  kürzer  zu  sein 
als  die  abendländische  Albe.  Die  Tunika  der  Diakone  wird  in  keinem  Ritus 
gegürtet,  diejenige  der  Subdiakone  und  Lektoren  nur  im  griechischen  und 
koptischen.  Eine  Obertunika  der  Diakone  und  Subdiakone  von  der  Art  der 
abendländischen  Dalmatik  und  Tunicella  ist  den  Riten  des  Ostens  unbekannt. 


1  Man  vergleiche  namentlich  die  diesbezüg-  um  die  Besserung  und  Hebung  des  Para- 
lichen  Aufsätze  in  den  älteren  Jahrgängen  mentenwesens  die  grüßten  Verdienste  er- 
des  „Kirchenschmuck",    der   sich   überhaupt         worben  hat. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


93 


Diakon  und  Subdiakon  tragen  nur  eine  Tunika,  die  bei  ihnen  freilich  in  ge- 
wisser Hinsicht  ein  Mittelding  zwischen  Albe  und  Dalmatik  ist.  Die  priesterliche 
und  bischöfliche  Tunika  hat  allenthalben  enge  Ärmel.  Bei  den  Diakonen  und 
teilweise  auch  den  Minoristen  pflegen  die  Ärmel  der  Tunika  dagegen  fast 
mittelweit  zu  sein,  namentlich  bei  den  Griechen  (Russen)  und  Armeniern  (Bild  40). 
In  Bezug  auf  die  Farbe  der  Tunika  herrscht  in  der  Ostkirche  durchweg 
die  größte  Freiheit.  Wenn  wir  von  Schwarz  absehen,  ist  keine  Farbe  von 
ihr  ausgeschlossen.  Immerhin  bevorzugt  man  für  die  priesterliche  und  bischöf- 
liche Tunika  Weiß.  Vorgeschrieben  ist  dies  für  selbige  bei  den  Kopten.  Ein 
buntes  Farbenspiel  gewähren  die  Tuniken  der  Diakone  und  Minoristen  bei 
den  Armeniern,  wie  jeder  bemerkt 
haben  wird,  der  Gelegenheit  hatte, 
dem  armenischen  Gottesdienst  bei- 
zuwohnen. Da  sieht  man  z.  B.  rote 
Tuniken  mit  breiten  gelben  oder 
blauen  Besätzen  und  gleich  da- 
neben blaue  Tuniken  mit  roten 
oder  a-elben  Besätzen. 


Die  Verzierung  der  Tuni- 


ken   ist    durchweg 


recht    dürftig. 


Der  Regel  nach  beschränkt  sie  sich 
auf  ein  oben  auf  der  Rückseite 
angebrachtes  gleicharmiges  Kreuz. 
Reicheren  Schmuck  erhält  die  Tu- 
nika nur  bei  den  schismatischen 
Kopten  und  den  Armeniern, 
doch  ist  es  bei  letzteren  bloß  die 
Tunika  der  Diakone  und  Minoristen, 
welcher  eine  besondere  Ausstattung 
zu  teil  wird.  Sie  besteht  in  einer 
breiten  Bordüre,  welche  die  Ärmel- 
mündungen und  den  Saum  des  Ge- 
wandes umgibt,  sowie  in  einem 
kragenförmigen  Besatz,  welcher  den 
Durchlaß  für  den  Kopf  umzieht. 
Außerdem  bringt  man  gern  vor  den 
beiden  Schultern  bzw.  auf  den 
beiden  Oberarmen  ein  Kreuz  bzw. 
einen  Cherub  an,  wie  man  sagt,  um  die  Stelle  für  den  Friedenskuß  zu  be- 
zeichnen. Statt  des  kragenähnlichen  Besatzes  trägt  man  übrigens  auch  wohl 
einen  förmlichen,  rings  mit  Fransen  versehenen  Kragen  (Bild  40). 

Bordüren  und  Besatz  werden  bei  einfachen  Tuniken  bloß  aus  anders- 
farbigen, stark  kontrastierenden  Stoffen  gemacht,  bei  besseren  aber  durch 
Stickerei  hergestellt.  Ein  interessantes  Exemplar  einer  Tunika  der  letzteren 
Art  besitzt  das  Düsseldorfer  Gewerbemuseum  (Bild  41,  S.  95).  Der  die  Halsöff- 
nung derselben  umrahmende  kragenförmige  Besatz  weist  im  Nacken  in  reicher 
Goldstickerei  das  letzte  Abendmahl,  vorn  die  Verkündigung  und  Cherubim  auf. 

Die  Tunika  der  schismatischen  Kopten  soll  auf  dem  Rücken  ein  Kreuz, 
auf  den  Ärmeln  das  Bild  des  hl.  Georg  und  des  hl.  Michael  und  vor  der  Brust 
das  der  allerseligsten  Jungfrau  mit  dem  Jesuskinde  und  darüber  ein  zweites 


Bild  40.     Armenischer  Diakon  und  Subdiakon. 


94  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Kreuz  tragen.  Doch  kann  auf  den  Ärmeln  auch  ein  Cherub  angebracht 
werden.  In  diesem  Fall  kommt  die  Darstellung  des  hl.  Georg  unter  diejenige 
der  Gottesmutter  zu  stehen. 

Die  bischöfliche  Tunika  des  griechischen  Ritus  soll  mit  roten 
Vertikalstreifen  (riozaixoi)  verziert  sein. 

Betreffs  des  Stoffes  der  liturgischen  Tunika  besteht  in  den  Kirchen 
des  Ostens  keine  streng  bindende  Vorschrift.  Es  kann  ebensowohl  Seide  und 
Wolle  wie  Linnen  oder  Baumwolle  für  sie  genommen  werden,  doch  pflegt  man 
bei  den  Kopten  die  Tunika  des  Priesters  und  Bischofs  gewöhnlich  aus  Linnen 
anzufertigen;  ähnlich  verhält  es  sich  im  chaldäischen  Ritus.  Die  diakonale 
Tunika  wird  allgemein,  wenn  möglich,  aus  Seide  hergestellt. 

Die  Tunika  wird  in  den  Riten  des  Ostens  fast  nur  bei  dem  heiligen 
Opfer  und  bei  liturgischen  Handlungen  getragen,  die,  wie  die  Erteilung  der 
heiligen  Weihen,  in  engster  Verbindung  mit  demselben  verrichtet  werden. 
Außerhalb  der  Messe  ist  ihr  Gebrauch  beschränkter  als  derjenige  der  latei- 
nischen Albe  bzw.  ihres  Surrogates,  des  Superpelliceum,  weil  da,  wo  man 
im  abendländischen  Ritus  Albe  und  Stola  bzw.  Superpelliceum  braucht,  bei 
den  Orientalen  gewöhnlich  nur  die  Stola  oder  die  Stola  mitsamt  dem  litur- 
gischen Obergewand  zur  Verwendung  kommt. 

Bei  den  Griechen  sollte  der  Lektor  an  sich  keine  Tunika,  sondern  ein 
kurzes  Phelonion  (Kasel)  tragen  und  mit  diesem  zum  Zeichen,  daß  es  sein 
Amtskleid  sei,  bei  der  Weihe  bekleidet  werden.  In  der  Wirklichkeit  hat  sich 
aber  die  Sache  schon  seit  langer  Zeit  dahin  gestaltet,  daß  auch  der  Lektor 
das  Sticharion  hat  und  ihm  demgemäß  bei  der  Weihe  anstatt  des  Phelonion 
das  Sticharion  angelegt  wird.  Ein  Rest  der  alten  Praxis  hat  sich  indessen 
im  russisch-griechischen  Ritus  erhalten.  Denn  obwohl  auch  in  ihm  die  Lek- 
toren für  gewöhnlich  das  Sticharion  benutzen,  wird  ihnen  doch  bei  der  Weihe 
zunächst  das  Phelonion  und  erst  am  Schluß  das  Sticharion  angezogen1. 

Auch  in  den  übrigen  Riten  der  Ostkirche  pflegt  der  Lektor  bei  seiner 
Ordination  mit  der  Tunika  bekleidet  zu  werden,  wenngleich  nicht  bei  allen 
durch  den  Bischof  selbst.  Bei  den  Maroniten,  bei  welchen  die  eigenartige 
Sitte  besteht,  bei  der  Weihe  nicht  nur  dem  Lektor,  sondern  auch  dem  Sub- 
diakon,  Diakon  und  selbst  dem  Bischof  die  Tunika  anzulegen,  spricht  der 
Konsekrator,  während  er  den  Ordinanden  mit  derselben  bekleidet:  „Zieh  an, 
o  Herr,  diesem  deinem  Diener  die  Tunika  des  Lektorats  (Subdiakonats  usw.) 
zum  Lob  und  Preis  der  heiligen  Dreifaltigkeit  und  zur  Erbauung  und  Kräftigung 
der  heiligen  Kirche  und  all  ihrer  Kinder,  auf  den  Titel  des  Altares  der  Kirche 
des  hl.  N.,  im  Namen  des  Vaters  usw."2 

Was  die  Geschichte  der  liturgischen  Tunika  in  den  orientalischen  Riten 
anlangt,  so  läßt  sich  darüber  wenig  feststellen.  Es  sind  nur  ganz  vereinzelte 
und  zudem  meist  späte  Angaben,  die  wir  betreffs  derselben  erhalten.  Auch 
die  Monumente  bringen  wenig  Aufschluß,  zumal  aus  früher  Zeit  kaum  etwas 
an  solchen  vorhanden  ist.  Obendrein  ist  es  fast  nur  die  Tunika  des  grie- 
chischen Ritus,    über  deren  Geschichte  wir   einige   nähere  Auskunft  eimalten. 

Die  Hauptfrage  ist  natürlich,  seit  wann  es  in  den  orientalischen  Riten 
eine  liturgische  Tunika  in  dem  früher  erklärten  Sinne  3  gegeben  habe.   Möglich, 


1  v.    Maltzew,     Die    Sakramente     der  2  Ass. ,    C.  1.  1.  8,    p.  2  praef.   n.  38  ff 

orthodox-katholischen    Kirche,    Berlin    1898,  (p.  lxxix  ff),    sowie    die    dort    abgedruckten 

309  311.    Das  Phelonion  wird  ihnen  vor  An-  einzelnen  Ordines  p.  28  47  80. 

legung  des  Sticharion  wieder  ausgezogen.  3  S.  oben  S.  63. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


95 


daß  schon  der  heilige  Poderes  (eine  bis  zu  den  Füßen  herabwallende  Talartunika), 
der  uns  in  der  bei  Gelegenheit  der  Einweihung  der  Basilika  zu  Tyrus  an  die 
anwesenden  Bischöfe  gehaltenen  Ansprache  des  Eusebius  von  Cäsarea  begegnet, 
als  solche  aufzufassen  ist.  „Freunde  Gottes  und  Priester",  so  begrüßte  der 
Redner  seine  Mitbischöfe,  „die  ihr  bekleidet  seid  mit  der  Talartunika  und  dem 
himmlischen  Ruhmeskranze."  1  Indessen  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß 
Eusebius  nur  im  Bilde  gesprochen  hat,  indem  er  im  Hinblick  auf  die  alt- 
testamentliche  sakrale  Talartunika,  statt  zu  sagen:  „mit  der  Priesterwürde 
bekleidet",  die  Metapher  brauchte:  „mit  dem  heiligen  Poderes  bekleidet". 
Denn  eine  ähnliche,  hier  jedoch  unzweifelhaft  bildliche  Redeweise  findet  sich 


^mm 


bei  Gregor  von  Nazianz  in  der 
Rede  auf  seine  Bischofsweihe 2. 
Nicht  minder  läßt  die  Wendung 
„mit  dem  himmlischen  Ruhmes- 
kranze" die  allegorische  Auf- 
fassung der  Worte  Eusebius' 
als  die  wahrscheinlichste  er- 
scheinen. 

Wie  dem  indessen  auch 
sein  mag,  jedenfalls  können  die 
linnenen  Sticharien,  wegen  deren 
sich  der  hl.  Athanasius  gegen- 
über den  Anschuldigungen  der 
Arianer  zu  verteidigen  veran- 
laßt sah 3  —  man  hatte  dem 
Heiligen  vorgeworfen,  er  habe 
als  der  erste  linnene  Sticharien 
unberechtigterweise  als  Abgabe 
verlangt  — ,  nicht  zum  Beweise 
dienen,  daß  es  zu  des  großen 
Bischofs  Zeit  bereits  eine  Sa- 
kraltunika im  Osten  gegeben 
habe,  wiewohl  man  sie  oft  genug 
zu  diesem  Zweck  herangezogen 
hat.  Denn  wenn  es  sich  auch 
bei  denselben  um  Tuniken  für 
Athanasius  und  seine  Kleriker 
handelt,  so  liegt  doch  kein  Grund  vor,  sie  als  liturgische  Tuniken  aufzufassen. 
Noch  viel  weniger  aber  beweist  das  Sticharion,  von  dem  in  des  Palladius  Historia 
Lausiaca  die  Rede  ist4,  die  Existenz  einer  liturgischen  Tunika.  Denn  wenn 
dort  erzählt  wird,  es  habe  der  hl.  Athanasius,  als  die  Häscher  zur  Nachtzeit  in 
seine  Wohnung  eindrangen,  um  sich  seiner  zu  bemächtigen,  sein  Sticharion 
und  seinen  Birrus  (Tunika  und  Mantel)  genommen  und  ein  Versteck  auf- 
gesucht, so  ist  hier  offenbar  nur  die  gewöhnliche  Tunika  gemeint. 

Einer   diakonalen  Tunika,    die,  wie  es  scheint,    eine  liturgische  Tunika 
darstellt,    geschieht   in   der   83.  Homilie    des   hl.  Johannes   Chrysostomus   zu 


Bild  41.     Armenische  Diakonentunika. 
Düsseldorf,  Kunstgewerbemuseum. 


1  Hist.  eccl.  1.  10,  c.  4  (Mg.  20,  849). 

2  Or.  10,  n.  4  (Mg.  XXXV  829).  Er  schil- 
dert hier  seine  Weihe  im  Bilde  der  aaroni- 
tischen  Priesterweihe  (Lv  8,  6  ff). 


3  Apologia  contra  Arianos  n.  60  (Mg. 
25,  357).  Vgl.  Sozomenus,  Hist.  eccl.  1.  2, 
c.  22  (Mg.  67,  992). 

4  C.  136  (Mg.  34,  1235). 


96 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


Matthäus  Erwähnung:  „Das  ist  eure  Ehre,  eure  Sicherheit  und  eure  Krone 
(nämlich  zu  unterscheiden,  wem  sie  den  Leib  des  Herrn  zu  reichen  haben), 
nicht  aber,  daß  ihr  in  weißer,  hellschimmernder  Tunika  einherzieht",  mahnt 
dort  der  Heilige  die  Diakone  K  Auch  im  Testamentum  Domini  Iesu  Christi 
dürfte  unter  dem  weißen  Gewand,  in  dem  der  Diakon  im  Hospiz  sitzen  soll, 
um  sich  der  Fremden  anzunehmen,  nach  dem  Zusammenhang  die  diakonale 
Amtstunika  zu  verstehen  sein 2. 

Etwas  Bestimmtes  läßt  sich  also  über  das  Alter  und  die  Urgeschichte 
einer  liturgischen  Untertunika  in  den  Riten  des  Ostens  nicht  feststellen. 
Jedenfalls  gab  es  schon  längst  eine  solche,  als  die  'lawpia  exxXqmaffTtxq  ge- 
schrieben wurde,  und  nicht  erst  zur  Zeit,  da  die  unter  dem  Namen  des 
hl.  Germanus  von  Konstantinopel  gehende  Meßerklärung  entstand.  Die  Yaropca 
redet  allerdings  nur  von  dem  Sticharion  des  Bischofs3,  indessen  gestattet 
natürlich  die  Verwendung  einer  liturgischen  Tunika  bei  diesem  einen  Rück- 
schluß überhaupt  auf  den  Gebrauch  einer  solchen.  Bemerkenswert  ist,  was 
die  Schrift  über  die  Ausstattung  des  bischöflichen  Sticharion  mitteilt.  Sie 
erzählt  nämlich,  es  sei  vorn  an  den  Ärmeln  mit  Zierstreifen  versehen  gewesen, 
welche  sie  auf  die  Handfesseln  Christi  deutet.  Außerdem  erfahren  wir,  daß 
seitlich  am  Gewand  Streifen  angebracht  waren,  durch  welche  das  am  Kreuz 
aus  den  Wunden  des  Heilandes  rinnende  Blut  versinnbildet  werde;  es  sind 
die  bekannten  antiken  clavi,  die  sich  als  Reminiszenz  auch  noch  in  den  Be- 
sätzen unserer  Dalmatiken  erhalten  haben. 

Von  der  Farbe  des  Sticharion  sagt  die  Schrift  nichts.  Erst  die  unter 
dem  Namen  des  hl.  Germanus  gehende  Meßerklärung  tut  ihrer  Erwähnung, 
wenn  sie  das  Gewand  als  weiß  bezeichnet.  Weiß  war  auch  das  Sticharion, 
das  Patriarch  Nicephorus  von  Konstantinopel  mit  andern  Meßgewändern  Papst 
Leo  III.  zum  Geschenk  machte4. 

Seit  wann  es  neben  weißen  auch  farbige  Sticharien  gab,  läßt  sich  nicht 
bestimmen.  Auf  den  Miniaturen  kommen  deren  schon  ziemlich  früh  vor,  doch 
sind  diese,  was  die  Farbe  der  Gewänder  anlangt,  nicht  gerade  besonders  zu- 
verlässig. Gegen  Ende  des  Mittelalters  waren  jedenfalls  nicht  mehr  aus- 
schließlich weiße  Tuniken  in  Gebrauch;  denn  Simeon  von  Saloniki  redet  be- 
stimmt von  purpurnen  bischöflichen  Sticharien 5.  Weiß  oder  purpurn  war  nach 
Simeon  auch  das  xaiuaiov.  das  Amtskleid  der  Lektoren,  das  entweder  dem 
Phenolion,  der  Kasel,  gleichen  oder  auch  die  Form  eines  Sticharion  haben 
konnte6.  Immerhin  scheint  das  Sticharion  im  Mittelalter  vorherrschend  von 
weißer  Farbe  gewesen  zu  sein,  besonders  bei  den  Kopten,  bei  welchen  nach 
der  Kanonessammlung  des  Ibn  'Assal  und  den  Canones  imperiales  sogar  die 
ganze  liturgische  Gewandung  aus  weißen  Stoffen  gemacht  sein  sollte  7. 

Die  Besätze,  mit  denen  nach  der  ^lazopia  die  Tunika  geschmückt  wurde, 
erwähnt  auch  Simeon  von  Saloniki.    Er  nennt  sie  notapoi,  Flüsse8,  und  zwar 


'  Mg.  58,  745. 

2  L.  1,  c.  24  (ed.  Rahmani),  p.  83. 

3  Jahrb.  von  Odessa  IV  2  (1894)  245.  In 
den  Handschriften  wechseln  die  Lesearten. 
Sie  haben  teils  diaxövoug,  teils  kpzig,  teils 
iepetg  diazüvoug;  allein  der  Zusammenhang 
ergibt  mit  Bestimmtheit ,  daß  nur  tspsig, 
und  zwar  im  Sinne  von  Bischöfen,  gemeint 
sein  können,  und  daß  die  erste  Leseart  ein 
Schreibfehler,    die   zweite   ein   unglücklicher 


Korrekturversuch   ist.     Die    Mucniy.7)   ßswpia 
gibt  richtig  hpsig. 

4  M.  102,  1068. 

5  De  sacra  liturgia  c.  79  (Mg.  155,  256). 

6  De  sacra  ordinatione   c.  186    (ebd.  396). 

7  Renaudot,  Coli.  iit.  orient.  I  160  Can. 
S  Bas.  c.  99  (W.Riedel,  Kirchenrechtsqnellen 
des  Patr.  von  Alexandrien,  Leipzig  1900,  272). 

8  De  sacra  liturgia  c.  79  (Mg.  155,  256); 
De  divino  templo  q.  37  (ebd.  712). 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe. 


97 


dienten   sicher   im   griechischen   Ritus   zur  Ver- 


war  es  zu  seiner  Zeit  noch  immer  ein  Vorrecht  der  Bischöfe,  ihr  Sticharion 
mit  denselben  zu  schmücken.  Ob  es  immer  so  gehalten  worden,  ist  nicht 
mit  Sicherheit  zu  bestimmen,  doch  ist  das  wohl  am  wahrscheinlichsten.  Es 
ist  uns  keine  Darstellung  bekannt,  auf  der  die  priesterliche  oder  diakonale 
Tunika  mit  den  fraglichen  Streifen  geschmückt  wäre.  Nach  Balsamon,  also 
im  12.  Jahrhundert,  galten  sogar  die  Ttozafioc  auf  dem  Sticharion  als  Vorrecht 
der  Patriarchen1.  Auf  den  Monumenten  sind  die  Trora/joi  bald  von  roter,  bald 
von  dunkelvioletter,  meistens  aber  von  schwarzer  oder  schwärzlicher  Farbe. 
In  der  Regel  bestehen  sie  aus  zwei  parallel  nebeneinander  laufenden  Streifen 
(Bild  42).  Die  nora/xoc 
zierung  der  bischöflichen  Tunika.  Ob 
und  in  welchem  Umfang  sie  auch  in 
den  andern  Riten  des  Ostens  als 
Schmuck  derselben  zur  Verwendung 
kamen,  läßt  sich  nicht  feststellen. 

Wie  die  Funde  in  den  koptischen 
Gräberfeldern  beweisen,  bedienten  sich 
die  Altkopten  im  Alltagsleben  zur 
Verzierung  der  Tunika  außer  Längs- 
streifen,  die  von  oben  bis  unten  reich- 
ten, auch  breiterer  oder  schmalerer 
Saumeinfassungen,  runder,  viereckiger 
oder  herzförmiger  Flecke  sowie  strei- 
fenförmiger Besätze,  die  sich  von  den 
Schultern  bis  etwa  in  die  Mitte  des 
Rückens  bzw.  unter  die  Brust  herab- 
zogen und  unten  mit  einem  runden 
oder  ovalen  Anhängsel  endigten.  Es 
ist  beachtenswert,  daß  auf  diesen  Zier- 
stücken vielfach  auch  religiöse  Motive 
zur  Darstellung  gekommen  sind 2.  Ohne 
Zweifel  wird  man  sich  ähnlicher  Orna- 
mente, die  in  Gobelinwirkerei  herge- 
stellt und  teils  dem  Gewandstoff  auf- 
gesetzt teils  eingearbeitet  waren,  auch 
zur  Ausstattung  der  liturgischen  Tu- 
nika bedient  haben.  Die  Sitte  der 
schismatischeh  Kopten,  die  tuniat 
noch  jetzt  auf  den  Ärmeln,  der  Brust  und  dem  Rücken  mit  Bildwerk  zu  ver- 
sehen, mag  ein  Überbleibsel  der  alten  Gepflogenheit  sein,  von  der  uns  die 
Gräber  Kunde  brachten. 

Auf  den  Miniaturen  des  syrischen  Pontifikale  der  Pariser  National- 
bibliothek ist  weder  bei  den  Bischöfen  noch  Priestern  noch  Diakonen  von 
einer  Verzierung  der  Tunika  mittelst  der  Trora/uoi  etwas  zu  sehen.  Dagegen 
gewahrt  man  wohl  an  dem  Oberarm  der  diakonalen  Tunika  einen  Zierbesatz. 
Der  Fai'be  nach  sind  hier  die  Tuniken  meistens  rot,  blau  oder  grün,  doch 
kommen  auch  weiße  vor.  Ob  die  Darstellungen  Zeugnis  von  dem  damaligen 
Tatbestand  ablegen? 


Bild  42.    St  Nikolaus.    Griechische  Miniatur. 
Rom,  Vaticana. 


1  Meditata.     Mg.  138,  1022. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


S.  oben  S.  13,  Anm.  1. 


98  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Bezüglich  der  Verwendung,  welche  die  liturgische  Tunika  beim  Gottes- 
dienst in  den  Riten  des  Ostens  erfährt,  dürfte  es  sich  in  der  Vergangenheit 
nicht  anders  denn  in  der  Gegenwart  verhalten  haben. 

Im  griechischen  Ritus  trugen  in  älterer  Zeit  nur  die  Bischöfe,  die 
Priester  und  Diakone  das  Sticharion;  die  Subdiakone  und  Lektoren  bedienten 
sich  bei  ihren  Funktionen  statt  seiner  einer  Art  von  Kasel,  des  Phelonion. 
Wann  sich  auch  bei  ihnen  das  Sticharion  einbürgerte,  läßt  sich  nicht  genau 
angeben.  Bis  gegen  das  12.  Jahrhundert  war  solches  wohl  noch  kaum  er- 
folgt. Denn  in  zwei  Weiheordines  aus  der  Wende  des  1.  und  der  Frühe  des 
2.  Jahrtausends  treten  die  Ordinanden  zum  Empfang  der  Diakonatsweihe  noch 
im  Phelonion  hin,  das  ihnen  dann  bei  dieser  ausgezogen  wird 1.  Um  1400 
dagegen  war  bei  den  Subdiakonen  das  Phelonion  schon  eine  Weile  völlig  außer 
Gebrauch  gekommen  und  ganz  durch  das  Sticharion  ersetzt.  Aber  auch  bei 
den  Lektoren  finden  wir  dieses  bereits  um  die  Wende  des  14.  Jahrhunderts, 
wenngleich  bei  ihnen  nur  neben  dem  althergebrachten  Gewand2.  Der  Wechsel, 
durch  den  bei  den  Minoristen  des  griechischen  Ritus  das  Sticharion  ganz  oder 
teilweise  an  die  Stelle  des  Phelonion  trat,  mag  sich  demnach  etwa  im  12.  oder 
13.  Jahrhundert  vollzogen  haben. 

Seit  wann  in  den  übrigen  Riten  des  Ostens  die  Subdiakone  und  Lek- 
toren eine  liturgische  Tunika  tragen,  ist  aus  Mangel  an  diesbezüglichen  Nach- 
richten nicht  näher  zu  bestimmen.  Daß  es  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts im  armenischen  Ritus  bei  ihnen  eine  solche  gab,  ersehen  wir 
aus  den  Angaben  des  Nerses  von  Lampron,  der  ausdrücklich  die  Tunika  als 
das  allen  Geistlichen  zukommende  gottesdienstliche  Gewand  bezeichnet 3. 
Freilich  bestand  damals  bei  den  Armeniern  auch  eine  Richtung,  welche  sich 
um  eine  besondere  liturgische  Kleidung  nicht  kümmerte  und  keinen  Anstoß 
nahm,  die  heiligen  Geheimnisse  in  der  Alltagstracht  zu  feiern.  Nerses  von 
Lampron  deutet  selbst  solches  an  4. 

Eine  Ergänzung  der  sakralen  Tunika  bilden  in  der  Ostkirche  die  sog. 
E  p  i  m  a  n  i  k i  e  n  (griechisch  i-t/j.avlxia,  slavisch  narukawnitza,  armenisch  pazpan, 
syrisch  zendo,  chaldäisch  zendä,  koptisch  kimam).  Sie  sind,  wenngleich  mit 
einigen  geringfügigen  Unterschieden,  bei  allen  Riten  des  Ostens  in  Gebrauch. 
Bei  den  Armeniern,  Syrern,  Chaldäern  und  Kopten  bedienen  sich  ihrer  nur 
die  Bischöfe  und  Priester,  bei  den  Griechen  aller  Schattierungen,  den  Russen, 
den  eigentlichen  Griechen,  den  Syro-Melchiten,  den  Italo-Griechen,  Bulgaren, 
Serben  usw.  tragen  auch  die  Diakone  die  Epiinanikien.  Bei  den  Maroniten 
scheinen,  nach  dem  Ordinationsritus  zu  schließen,  nur  die  Bischöfe  die  Stauchen 
anzulegen.  Ihrem  Gewandcharakter  nach  sind  die  Epiinanikien  eine  Art  von 
Stauchen,  Manchetten  oder  Stulpen  (s.  Bild  15,  S.  49).  Sie  sind  etwa 
0,15 — 0,18  m  lang  und  so  weit,  daß  sie,  ohne  auf  die  Hände  zu  rutschen, 
über  den  Ärmeln  der  Tunika  getragen  werden  können.  Die  liturgischen  Stauchen 
des  griechischen  Ritus  sind  gerade  wie  unsere  Manchetten  an  der  Unterseite 
offen.  Sie  werden  am  Arm  mittelst  einer  an  den  beiden  Schmalseiten  an- 
gebrachten Schnur  befestigt.    In  den  übrigen  Riten  des  Ostens  sind  die  Epi- 


1  Vgl.    die    griechischen  Weiheordines  bei  3  Kommentar   zur   göttl.  Lit.  c.  5  27    (ed. 

Ass.,  C.  1.  1.  VIII  4  114  140  141  143.  Venet.  80  ff  145  ff). 

-  Simeon  Thess. ,  De  ordinatione  c.  162  '  Ebd.    Vgl.  auch  Isaaci  Cath.  Invect.  adv. 

186  (Mg.  368  396).    Näheres  siehe  Absch.  2,  Arm.  II  29  (Mg.  132,  1236):  Ours  äXkdocoumv, 

Kap.  3,  §  15:   Das  Meßgewand  in  den  Riten  oürs  syouaa  ä/.Xa^fjtj.ara.  v^q  Üsiag  kstroupyiag, 

des  Ostens.  rd.  Susp  ixavüvimv  u  p.iyag  SiAßsorpog. 


Drittes  Kapitel.     Die  Albe.  99 

manikien   ringsum   geschlossen,   so   daß   sie   nur   über   den    Tunikaärmel   ge- 
streift zu  werden  brauchen. 

Ein  bestimmter  Stoff  und  eine  bestimmte  Farbe  ist  für  die  liturgischen 
Stauchen  nicht  vorgeschrieben.  Bei  den  Priestern  und  Bischöfen  sind  diese  in- 
dessen gewöhnlich  von  der  Farbe  und  möglichst  auch  dem  Material  des  Ober- 
gewandes, des  Phelonion.  Die  Verzierung  der  Epimanikien  besteht  in  einem 
den  Rand  derselben  umsäumenden  Börtchen  und  einem  auf  der  Oberseite  an- 
gebrachten gleicharmigen  Kreuzchen. 

Die  geschichtlichen  Nachrichten  über  den  Gebrauch  der  Epimanikien 
sind  im  ganzen  spärlich.  Bei  den  Kopten  bezeugt  ihn  nicht  bloß  Ibn  Sabaa 
im  14.  Jahrhundert,  sondern  auch  schon  Patriarch  Gabriel  im  12  1.  Daß  sie 
auch  bei  den  Syrern  bereits  im  Mittelalter  Verwendung  fanden,  beweisen  die 
syrischen  Weiheordines ;  denn  ist  es  auch  beim  jetzigen  Stand  der  Dinge 
noch  nicht  möglich,  sicher  das  Alter  dieser  Weiheformulare  zu  bestimmen, 
so  ist  es  doch  wohl  unzweifelhaft,  daß  sie  nicht  erst  der  Neuzeit  entstammen. 
Es  erhellt  das  ferner  aus  der  zuerst  von  Fabricius  Boderianus  1572  zu  Ant- 
werpen veröffentlichten  syrischen  Meßliturgie,  welche  der  Stauchen  als  eines 
der  liturgischen  Gewänder  des  Priesters  Erwähnung  tut.  Allerdings  irrt  der 
Herausgeber,  wenn  er  dieselbe  dem  Patriarchen  Severus  von  Antiochien  (f  539) 
zuschreibt.  Allein  kann  sie  auch  nicht  dem  6.  Jahrhundert  zugewiesen  werden, 
so  ist  sie  sicher  nicht  unmittelbar  vor  dem  16.  entstanden.  In  der  Tat  er- 
scheinen die  Stauchen  schon  in  aller  Klarheit  auf  einigen  der  Miniaturen  des 
syrischen  Pontifikale  von  1239  in  der  Nationalbibliothek  zu  Paris,  so  auf  der 
Darstellung  der  Bischofsweihe  beim  Konsekrator  (vgl.  Bild  13,  S.  51).  Bei 
den  Armeniern  waren  sie  bereits  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  in 
Gebrauch,  wie  Nerses  von  Lampron  bekundet.  Sie  waren  bei  ihnen  ein  privi- 
legiertes Ornatstück  der  Bischöfe2. 

Am  günstigsten  steht  es  im  griechischen  Ritus.  Hier  vermögen  wir  die  Epi- 
manikien nicht  bloß  mit  Bestimmtheit  bis  zum  Beginn  des  Jahrtausends  zu  ver- 
folgen, sondern  auch  zur  Genüge  ihren  Ursprung  nachzuweisen.  Die  erste 
Nachricht  erhalten  wir  über  sie  um  1054  in  dem  Briefe  des  Patriarchen  Peter 
von  Antiochien  an  den  Patriarchen  Michael  Carularius  3.  Sie  erscheinen  hier  wie 
das  ejysipwv  (Schweißtuch)  und  das  ernzpa^ho^  (Stola)  als  selbständiges 
Ornatstück,  also  nicht  als  bloßer  Besatz  der  Tunika.  Auch  erhellt  aus  dem 
Briefe,  daß  sie  mit  Goldverzierungen  versehen  zu  werden  pflegten.  Da  die 
Epimanikien  vom  Patriarchen  als  allbekannter  Bestandteil  der  liturgischen 
Tracht  behandelt  werden,  müssen  sie  schon  eine  geraume  Weile  im  Gebrauch 
gewesen  sein.  Wirklich  finden  wir  bereits  in  dem  Menologium  des  Basilius  II. 
(t  1025)  in  der  vatikanischen  Bibliothek 4  genug  Abbildungen  der  Epimanikien. 
Auch  die  Darstellung  des  hl.  Nikolaus  in  einem  vielleicht  noch  ins  10.  Jahr- 
hundert hineinreichenden,  spätestens  aber  dem  11.  entstammenden  Alten 
Testament5  der  Vaticana  liefert  ein  gutes  Beispiel  (vgl.  Bild  42,  S.  97). 

Seit  dem  11.  Jahrhundert  ist  dann  wiederholt  von  den  Epimanikien  die 
Rede.  Besonders  beachtenswert  ist,  daß  es  noch  um  das  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts ein  ausschließliches  Vorrecht  der  Bischöfe  war,  sich  der  liturgischen 
Stauchen    zu   bedienen.     Denn   auf  die   Frage,    ob    es    den  Hegumenen   und 


1  Renaudot,    Liturg.    Orient,    collect.    I  wurden   in  die   übrigen  orientalischen  Riten 

(Frankfurt  1847)   160  161.  wohl  aus  dem  griechischen  herübergenommen. 

-  Kommentar  zur   heiligen  und   göttlichen  3  Mg.  120,  800.  *  Vat.  gr.  n.  1613. 

Liturgiee.  27  (ed.  Venet.  145 ff).  Die  Stauchen  5  Vat.  reg.  gr.  1. 

7* 


100  Erster  Abschnitt.     Die  liturgische  Untergewandung. 

Protopopen  (Äbten  und  Erzpriestern)  gestattet  sei,  die  Epimanikien  zu  tragen, 
antwortet  Balsamon,  seit  1193  Patriarch  von  Antiochien,  dem  Patriarchen 
Marius  von  Alexandrien  schlechthin  verneinend  l. 

Die  Sache  änderte  sich  jedoch  allmählich.  Schon  um  1400  fanden,  wie  wir 
von  Simeon  von  Saloniki  vernehmen,  die  Epimanikien  auch  bei  den  Priestern 
Verwendimg 2.  Bei  den  Diakonen  waren  sie  aber  damals  noch  nicht  in 
Gebrauch.  Bei  ihnen  haben  sie  sich  also  frühestens  im  Verlauf  des  15.  oder 
16.  Jahrhunderts  eingebürgert. 

Die  lazopia  und  die  unter  dem  Namen  des  hl.  Germanus  gehende  Meß- 
erklärung kennen  die  Epimanikien  noch  nicht.  Ebenso  weiß  das  von  Krasno- 
jeljcev  veröffentlichte  liturgische  Fragment  nur  erst  von  dem  Sticharion,  dem 
Gürtel,  dem  Epitrachelion,  dem  Phelonion  und  dem  Omophorion  des  Bischofs  3. 

Man  hat  wohl  gemeint,  die  Epimanikien  hätten  einen  ähnlichen  Ur- 
sprung wie  der  abendländische  Manipel,  d.  h.  sie  seien  ursprünglich  Schweiß- 
tücher gewesen.  Indessen  muß  eine  solche  Hypothese  schon  darum  ab- 
gelehnt werden,  weil  die  Epimanikien  stets  an  beiden  Armen  getragen  wurden, 
ein  doppeltes  Schweißtuch  aber,  eines  auf  dem  rechten  und  ein  anderes  auf 
dem  linken  Arm,  weder  jemals  üblich  war,  noch  überhaupt  einen  Sinn  gehabt 
hätte.  Der  Ursprung  der  liturgischen  Stauchen  ist  aber  auch  tatsächlich  ein 
anderer.  Sie  sind  lediglich  die  von  den  Ärmeln  losgelösten  und  zum  selb- 
ständigen Ornatstück  gewordenen  Xtopia,  Zierbesätze  des  Ärmelsaumes  des 
bischöflichen  Sticharion,  von  denen  die  lazopia  und  die  von  ihr  abhängige 
Meßerklärung  des  hl.  Germanus  erzählen.  Daß  diese  hopia  noch  kein  für 
sich  bestehender  Gewandteil  waren,  beweist  mit  aller  Bestimmtheit  der  Um- 
stand, daß  die  beiden  Schriften  alsbald  auch  die  purpurnen  Vertikalstreifen 
der  Tunika  Xapia  nennen. 

Anfänglich  den  Ärmeln  aufgenäht,  wurden  diese  Zierbesätze,  sei  es,  um 
sie  mehr  zu  schonen,  oder  um  sie  zu  verschiedenen  Sticharien  brauchen  zu 
können,  oder  um  der  Notwendigkeit  überhoben  zu  sein,  sie  beim  Waschen 
der  Sticharien  abzutrennen ,  in  der  Folge  von  den  Ärmeln  dauernd  losgelöst 
und  in  der  Form  von  Stauchen  zu  einem  selbständigen  Ornatstück  umgestaltet. 
Als  solches  folgten  sie  dann  hinsichtlich  der  Farbe  auch  nicht  mehr  der  Farbe 
der  Vertikalbesätze  des  Gewandes,  sondern  derjenigen  des  liturgischen  Ober- 
gewandes. Es  ist  ein  ähnlicher  Vorgang,  wie  er  sich  in  der  Neuzeit  im 
Abendland  zu  Mailand,  Lyon  und  in  Spanien  mit  der  Amiktparura  vollzog. 
Wie  hier  sich  der  Besatz  von  dem  Schultertuch  trennte  und  zu  einem  förm- 
lichen Kragen  (collare,  collarfn,  collet)  wurde,  so  bildeten  sich  im  Osten  die 
hopio.  der  Sticharionärmel  zu  förmlichen  Manschetten  um. 

Die  angegebene  Erklärung  der  Entstehung  der  Epimanikien  erklärt  es 
denn  auch,  warum  dieselben  anfangs  ein  Privileg  der  Bischöfe  waren.  Waren 
doch  auch  schon,  wie  die  Ttorupoi  des  Sticharion,  so  ebenfalls  die  hopiu  der 
Ärmel   desselben   ohne  Zweifel   den  Bischöfen   als  Auszeichnung  vorbehalten. 

Leider  läßt  sich  auf  die  Frage,  wann  sich  die  so  interessante  Umbildung 
der  hopia  vollzogen  habe,  nicht  einmal  eine  annähernd  genaue  Antwort  geben, 


1  Resp.   37    (Mg.    138,    987).     Wenn    uns  des    12.  Jahrhunderts   in   dieselbe    hineiuge- 

daher   in  der  sog.  Liturgie   des  hl.  Johannes  kommen  sein  kann. 

Chrysostomus    (Mg.   63,   903)    bei    der  Vor-  2  De  sacra  liturg.  c.  83  (Mg.  155,  261). 

bereitung   zur   Messe   beim   Priester   die    li-  3  N.     Krasnojeljcev,    Addenda     ad 

turgischen   Stauchen   begegnen,    so   ist  klar,  anecdota     graeco  -  byzantina     (Odessa    1898) 

daß  der  fragliche  Passus  erst  seit  dem  Ende  n.  13. 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum.  101 

weil  wir  zu  wenig  über  das  Alter  der  Varopla  und  der  beiden  andern  er- 
wähnten liturgischen  Schriften  wissen.  Um  die  Wende  des  Jahrtausends  war 
sie  jedenfalls  schon  erfolgt.  Vielleicht,  daß  sie  erst  im  10.  Jahrhundert  vor 
sich  ging.  Wenigstens  scheinen  die  Miniaturen  der  zwischen  867  und  886 
für  Kaiser  Basilius  I.  angefertigten  Pariser  Homiliensammlung  des  hl.  Gregor 
von  Nazianz '  mit  ihren  Bischofsbildern  die  Epimanikien  noch  nicht  zu  kennen. 
Die  Verzierung  am  Saum  der  Sticharionärmel  macht  hier  noch  ganz  den  Ein- 
druck der  hopici. 

Ein  Gegenstück  zu  den  Epimanikien  hat  es  im  römischen  Ritus  zu  keiner 
Zeit  gegeben ;  denn  die  mittelalterlichen  Ärmelbesätze  der  Alben  sind  nie  ein 
selbständiges  Ornatstück  geworden.  Dagegen  hat  der  dem  griechischen  in 
vielem  verwandte  altgallikanische  Ritus  allem  Anschein  nach  ein  Pendant  zu  den 
liturgischen  Stauchen  der  Riten  des  Ostens  gekannt,  da  die  manicae,  von 
denen  in  der  gallikanischen  Meßerklärung  die  Rede  ist,  wohl  nur  als  Stauchen, 
die  zum  Schmuck  der  Ärmel  der  Tunika  dienten,  aufgefaßt  werden  können 2. 


VIERTES  KAPITEL 

DAS  CINGULUM. 

I.    DAS  CINGULUM  NACH  GEGENWÄRTIGEM  BRAUCH. 

Die  Albe  muß  nach  der  Vorschrift  des  Missale  und  uraltem  Brauch 
gegürtet  werden.  Es  gehört  daher  zur  sakralen  Gewandung  als  Ergänzung 
der  Albe  das  Cingulum,  der  liturgische  Gürtel. 

Dasselbe  pflegt  gewöhnlich  aus  Linnen  (oder  Hanf)  gemacht  zu  werden. 
Doch  kann  es  nach  einer  Entscheidung  der  Ritenkongregation  vom  22.  Januar 
1701 3  auch  aus  Seide,  und  nach  einem  Responsum  vom  23.  Dezember  1862  4 
selbst  aus  Wolle  angefertigt  werden,  wenngleich  es  als  passender  bezeichnet 
wurde,  das  Cingulum  aus  Linnen  herzustellen  (22.  Januar  1701). 

Was  die  Farbe  anlangt,  so  ist  es  gleich  statthaft,  weiße  wie  farbige 
Cingula  zu  gebrauchen,  wenn  nur  im  letzten  Fall  die  Farbe  des  Gürtels  mit 
derjenigen  des  jeweiligen  Offiziums  übereinstimmt.  Wirklich  sind  denn  auch 
verschiedenenorts  Cingula  von  der  Tagesfarbe  in  Gebrauch.  Unzulässig  sind 
gelbe  Cingula,  weil  Gelb  nicht  zu  den  liturgischen  Farben  zählt,  obwohl 
man  auch  solche  wohl  antrifft.  Das  Cingulum  tritt  in  drei  Formen  auf.  Bei 
der  ersten  ist  es  ein  Strick.  Bei  der  zweiten  stellt  es  ein  Band  von  etwa 
3  cm  Breite  dar,  welches  entweder  auf  dem  Bandstuhl  gewebt  oder  durch 
Zusammennähen  von  Zeugstreifen  hergestellt  ist.  Bei  der  dritten  Art  sind 
an  der  Innenseite  des  Gürtels  Bänder  angenäht,  mit  welchen  derselbe,  statt 
mit  seinen  Enden,  angebunden  wird. 

Wie  leicht  ersichtlich,  braucht  bei  dieser  letzten  Art  das  eigentliche 
Cingulum  bei  weitem  nicht  so  lang  zu  sein  wie  bei  den  beiden  andern,  auch 
wenn  man  diese  nicht  gedoppelt  anwenden  sollte.  Ein  weiterer  Vorteil  be- 
steht darin,  daß  die  Cingula  dieser  Form  weit  weniger  dem  Verbrauch  aus- 
gesetzt, ja  fast  unverwüstlich  sind.  Es  verschleißen  oder  zerreißen  höchstens 
die  inwendig  angenähten  Bänder,  ein  Schaden,  der  leicht  reparierbar  ist. 


1  Bibl.nat.m.gr.ölOf.Tl^vgl.auchf^O^.  3  C.  R,  22.  Januar  1781  ad  7  und  23.  De- 

2  Näheres  darüber  bei  Behandlung  der  Pon-         zember  1862  (Decret.  auth.  2067  3118). 
tifikalhandschuhe.  4  C.  R.  8.  Juni  1709  ad  3  (ebd.  2194). 


102  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Diese  dritte  Art  des  Cingulum,  welche  eine  Verzierung  in  ausgiebigstem 
Maße  gestattet,  ist  gegenwärtig  nur  mehr  in  einzelnen  wenigen  Diözesen,  wie 
zu  Genua,  Pisa  und  Siena,  wo  wir  sie  noch  vor  einigen  Jahren  antrafen,  in 
Gebrauch.  Ehedem,  d.  i.  in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters,  war  sie  da- 
gegen sehr  gewöhnlich.  Als  gegen  Ende  der  fünfziger  Jahre  die  Anregung 
zur  Besserung  des  Paramentenwesens  erging  und  auf  die  mittelalterliche  Form 
der  liturgischen  Gewänder  als  nachahmenswerte  Vorbilder  hingewiesen  wurde, 
machte  man  auch  den  Vorschlag,  das  Cingulum  nach  Weise  früherer  Zeiten 
herzustellen.  Indessen  wurde  ihm  nur  vereinzelt  und  nur  vorübergehend 
Folge  gegeben. 

Die  Cingula  der  ersten  und  zweiten  Art  können  einfach  und  gedoppelt 
gebraucht  werden.  Es  hängt  davon  natürlich  ihre  Länge  ab.  Im  ersten 
Falle  genügt  es,  wenn  sie  2,50  m  lang  sind,  im  zweiten  ist  dagegen  wohl 
mindestens  eine  Länge  von  ca  3  m  erforderlich. 

An  das  Ende  der  Cingula  pflegen  Quasten  oder  Fransen  angesetzt  zu 
werden.  Sie  bilden  in  der  Tat  einen  passenden  Abschluß,  doch  sollten  sie 
nie  zu  groß  und  schwer  sein. 


II.  DAS  CINGULUM  ALS  BESTANDTEIL  DER  LITURGISCHEN 
GEWANDUNG  IN  DER  VERGANGENHEIT. 

„Die  Albe  muß",  sagt  Durandus,  „rings  um  die  Lenden  des  Bischofs 
oder  Priesters  mit  der  Zona  oder  dem  Cingulum  gegürtet  werden,  sowohl 
damit  das  herabwallende  Kleid  das  Ausschreiten  nicht  hindere,  als  auch,  damit 
der  Priester  dadurch  gemahnt  werde,  Sorge  zu  tragen,  daß  die  durch  das 
weiße  Gewand  versinnbildete  priesterliche  Keuschheit  durch  keine  Stacheln 
sündhafter  Reize  gelöst  werde."  Entsprechend  dem  Worte  des  Herrn:  „Eure 
Lenden  sollen  umgürtet  sein"  (Lk  12,  35),  sinnbilde  nämlich  der  Gürtel  die 
Enthaltsamkeit. 

Der  Verfasser  des  Rationale  ist  nicht  der  erste,  der  das  Cingulum  den 
liturgischen  Gewändern  einreiht.  Seit  800  behandeln  es  alle  Liturgiker  als 
eines  der  Gewandstücke,  deren  sich  der  Priester  bei  der  Feier  des  heiligen 
Opfers  zu  bedienen  habe. 

„Das  dritte  Gewand"  —  nämlich  des  Priesters  bei  der  Messe  —  „ist  das 
Cingulum  oder  der  balteus",  so  belehrt  uns  beispielsweise  Hraban;  derselbe 
umgürte  sich  mit  ihm,  damit  die  Tunika  (Albe)  nicht  auf  die  Füße  herabfließe 
und  das  Gehen  erschwere.  Der  Gürtel  sinnbilde  die  Bewachung  des  Geistes. 
Ebenso  erwähnt  Amalar  das  Cingulum  unter  den  heiligen  Gewändern;  dabei 
bemerkt  derselbe  besonders,  es  werde  nicht  über  die  Tunika  (=  Dalmatik) 
angelegt  —  denn  diese  werde  nicht  gegürtet — ,  sondern  bloß  über  die  Camisia 
(=  Albe).  Fast  zur  gleichen  Zeit  setzt  Walafried  Strabo  in  der  Parallele, 
die  er  zwischen  den  Kultkleidern  des  Alten  und  des  Neuen  Bundes  zieht,  den 
Gürtel  der  neutestamentlichen  Liturgen  dem  balteus  gegenüber,  dessen  sich 
die  jüdischen  Priester  bei  Verrichtung  ihres  Amtes  nach  Gottes  Anordnung 
bedienen  mußten. 

Eigentümlicherweise  scheint  die  Admonitio  synodalis  ein  liturgisches 
Cingulum  nicht  zu  kennen,  da  ein  solches  unter  den  Gewändern,  welche  der 
Priester  ihr  zufolge  am  Altare  tragen  soll,  gar  nicht  genannt  wird.  Weil 
jedoch  der  Gebrauch  eines  liturgischen  Gürtels  durch  Hraban ,  Amalar  und 
Walafried  völlig  außer  Zweifel  gestellt  ist,  kann  sein  Fehlen  in  der  „Synodal- 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum.  103 

ermahnung"  nichts  gegen  seine  Verwendung  bei  der  Liturgie  beweisen.  Wie 
es  scheint,  ist  der  Gürtel  übergangen,  weil  man  ihn  entweder  für  selbst- 
verständlich hielt,  oder  weil  er  zwar  gebraucht  wurde,  aber  noch  nicht  eigentlich 
den  Charakter  eines  förmlichen  liturgischen  Gewandstückes  hatte.  Doch  ist 
es  zuletzt  auch  möglich,  daß  eine  allgemeine  Vorschrift,  das  Gewand  bei  der 
Messe  aufgeschürzt  zu  tragen,  im  9.  und  10.  Jahrhundert  noch  nicht  bestand, 
wenngleich  solches  damals  jedenfalls  die  Regel  und  das  Gewöhnliche  war. 
889  bestimmt  Riculf  von  Soissons,  es  sollten  —  neben  den  andern  Meßkleidern, 
als  Albe,  Stola,  Mappula  usw.  —  die  Priester  auch  zwei  zonae  i.  e.  cinctoria 
zur  Meßfeier  vorrätig  halten.  Als  für  die  Feier  des  heiligen  Opfers  vor- 
geschriebenes und  somit  pflichtmäßig  bei  demselben  zu  tragendes  Gewand- 
stück erscheint  der  Gürtel  auch  etwa  150  Jahre  später  in  den  Bestimmungen 
der  spanischen  Synode,  welche  1050  zu  Coyaca,  Diözese  Oviedo,  gehalten  wurde  1. 

Aus  vor  konstantinischer  Zeit  haben  wir  keine  Nachricht  über  die 
Verwendung  eines  Gürtels  im  liturgischen  Dienst.  Da  die  Altarkleidung 
damals  der  Form  und  Zusammensetzung  nach  der  Alltagskleidung  gleich  war, 
wird  man  es  mit  dem  Gebrauch  eines  Cingulum  bzw.  der  Gürtung  der  Tunika 
gehalten  haben,  wie  das  eben  die  Sitte  im  gewöhnlichen  Leben  verlangte. 
Wo  es  als  geziemend  galt,  die  Tunika  aufzuschürzen ,  wird  solches  auch  am 
Altar  geschehen  sein;  wo  die  entgegengesetzte  Sitte  herrschte,  wie  etwa  in 
Afrika,  wird  auch  bei  den  liturgischen  Verrichtungen  die  Gürtung'  unter- 
blieben sein. 

Allein  auch  in  der  nach  konstantinischen  Zeit  hören  wir  bis  zum 
9.  Jahrhundert  nur  sehr  wenig  von  dem  Gebrauch  eines  Cingulum.  Was 
Irland  anlangt,  so  läßt  das  Gebet  Rogo  te,  von  welchem  schon  gelegentlich 
der  Besprechung  der  Albe  die  Rede  war,  es  als  zweifellos  erscheinen,  daß 
dort  der  Priester  im  7.  Jahrhundert  gegürtet  zum  Altar  trat. 

Im  gallikanischen  Ritus  war  keinesfalls  die  Alba  des  Diakons 
gegürtet;  das  sagt  die  gallikanische  Meßerklärung  ausdrücklich.  Von  einer 
Gürtung  oder  Nichtgürtung  der  priesterlichen  Tunika  schweigt  die  Schrift. 
Wohl  heißt  es  darin:  Praecinctio  autem  vestimenti  candidi,  quod  sacerdos 
baptizaturus  praecingitur,  in  signa  Ioannis  agetur,  qui  praecinctus  baptizavit 
Dominum 2.  Allein  daraus,  daß  der  Priester  bei  der  Taufe  —  die  durch  Unter- 
tauchen statthatte  —  seine  Tunika  gürtete,  folgt  nicht,  daß  er  das  auch  beim 
Altardienst  getan.  Immerhin  läßt  der  Umstand,  daß  die  Meßerklärung  die 
Nichtschürzung  der  diakonalen  Alba  hervorhebt,  vermuten,  daß  beim  Priester 
ein  Gürtel  zur  Verwendung  kam.  Wirklich  wird  in  den  Acta  S.  Salvii  unter 
den  goldenen  Kirchengefäßen  und  den  mit  Gold  und  Edelsteinen  geschmückten 
Gewändern,  deren  sich  der  Heilige  bei  der  Feier  der  Messe  bediente,  ein  kost- 
barer, mit  blinkenden  Gemmen  und  Perlen  verzierter  Gürtel  erwähnt3.  Ob 
auch  das  lederne  Cingulum  in  St-Trophime  zu  Arles,  welches  der  Über- 
lieferung nach  dem  hl.  Cäsarius  (f  542)  gehört  haben  soll 4,  liturgischen  Zwecken 
gedient    hat   oder   ob    es   von    dem   Heiligen   nur   im  Alltagsleben  verwendet 

worden  ist,  muß  dahingestellt  bleiben.  Das  Monogramm  pf  nebst  den  bei- 
gefügten A  und  S,  mit  denen  es  bestickt  ist  (Bild  43,  S.  104),  und  das  Bild- 


1  C.  3  (Hard.  VI  1026).  VII  176).  Salvius  lebte  zur  Zeit  Karl  Martells. 

-  M.  72,  97.  Die  Vita  stammt  von  einem  Zeitgenossen. 

3  Vita  S.  Salvii  c.  1,  n.  3  (A.  SS.  26.  Juni,  4  Bullet,  mon.  1877,  240  ff. 


104 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewiinder. 


Bild  43.     Teil  eines  Ledergürtels.     Arles,  St-Trophime. 


werk  der  Elfenbeinschließe,  die  Wächter  am  Grabe  (Bild  44),  sind  nicht  ent- 
scheidend, da  derartige  religiöse  Darstellungen  in  fränkischer  Zeit  auch  an 
profanen  Gürteln  angebracht  wurden. 

Aus  der  spanischen  Kirche  haben  wir  kein  bestimmtes  Zeugnis  für  den 
Gebrauch  eines  Cingulum  bei  der  Liturgie.  Insbesondere  herrscht  bei  Isidor  über 

ein  solches  tie- 
fes Schweigen, 
wo  er  in  den 
Etymologien 
die  verschie- 
denen Arten 
der  Gürtel  be- 
spricht. Im- 
merhin dürfte 

die  Vorschrift  des  Konzils  von  Braga  vom  Jahre  675,  welche  den  Priestern 
gebietet,  die  Stola  gekreuzt  über  der  Brust  zu  tragen,  durchaus  auf  den  Ge- 
brauch eines  Cingulum  hinweisen  l,  da  es  nur  so  möglich  war,  die  Stola  haltbar 
im  Kreuz  über  die  Brust  zu  legen. 

Aus  Afrika  wird  uns  berichtet,  der  hl.  Fulgentius  habe  nie  ein  Orarium 
wie  alle  Bischöfe,  wohl  aber  wie  ein  Mönch  ein  ledernes  Cingulum  getragen 2. 
Es  scheint  hiernach,  daß  dort  die  Weltgeistlichkeit  im  gewöhnlichen  Leben 
und  darum  auch  wohl  beim  Gottesdienst  im  6.  Jahrhundert  einen  Gürtel  nicht 
zu  benutzen  pflegte.  Indessen  will  die  Angabe  der  Vita  S.  Fulgentii  viel- 
leicht nur  sagen ,  es  sei  Eigentümlichkeit  der  Mönche  gewesen ,  sich  eines 
Ledergurtes  zu  bedienen,  nicht  aber,  es  habe  das  Cingulum  ausschließlich 
bei  den  Klosterleuten  in  Gebrauch  gestanden. 

Aus  Rom  kommt  die  früheste  Nachricht  über  einen  liturgischen  Gürtel 
uns  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts.  Er  erscheint  als  das 
zweite  Stück  in  der  Reihe  der  päpst- 


liehen  Pontifikalgewänder 3. 

Freilich  wird  uns  durch  Jo- 
hannes Diakonus  von  einem  Gürtel 
Gregors  des  Großen  erzählt,  der 
bei  den  Gläubigen  eine  große  Ver- 
ehrung genossen  habe i.  Doch  läßt 
sich  aus  seinem  Bericht  nicht  ent- 
nehmen, ob  der  Papst  sich  des- 
selben auch  bei  der  Liturgie  be- 
dient, und  noch  weniger,  ob  schon 
damals  ein  Cingulum  in  Rom  zum  notwendigen  Bestand  der  gottesdienstlichen 
Gewandung  gehört  habe. 

Daß  auf  den  römischen  Monumenten  bei  den  Geistlichen  kein  Cingulum 
wahrnehmbar  ist,  liegt  an  dem  Umstand,  daß  die  Tunika  hier  durch  die 
Dalmatik  und  Planeta  oder  doch  wenigstens  durch  die  letztere  fast  völlig 
verdeckt  wird. 

Das  Bild ,  welches  wir  von  der  Verwendung  eines  Cingulum  bei  den 
gottesdienstlichen  Funktionen  in  der  abendländischen  Kirche  für  die  vorkaro- 


Bild  44.    Schnalle  eines  Gürtels.    Arles,  St-Tropliime. 


1  C.  4  (Hard.  III  1034). 

2  Vita   S.  Fulgentii    c.  18,    n.  37    (M.  65, 
136). 


8  Ordo  1,  n.  6  (M.  78,  940). 
'  Vita  S.  Gregorii  M.  1.  4,  n. 
228). 


(M.  75, 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum.  105 

lingische  Zeit  erhalten ,  ist  ersichtlich  mehr  als  mangelhaft.  Ja  man  kann 
kaum  von  einem  Bild ,  sondern  nur  von  einigen  Strichlein  reden ,  von  denen 
es  obendrein  sehr  zweifelhaft  ist ,  ob  sie  je  auch  nur  zu  einer  halbwegs 
befriedigenden  Skizze  ergänzt  werden  können.  Namentlich  erhalten  wir  auf 
die  Hauptfrage,  wann  der  Gürtel  ein  offizieller  Bestandteil  der  Altarkleidung 
geworden,  keinen  Aufschluß. 

III.  BESCHAFFENHEIT  DES  LITURGISCHEN  GÜRTELS  IM 

MITTELALTER. 

In  Gallien  stellte  der  Gürtel,  wie  er  allgemein  bei  hoch  und  niedrig- 
gebräuchlich  war,  einen  Gurt  von  Leder  oder  starkem  Zeug  dar,  welcher  mit 
einer  Schnalle  geschlossen  wurde.  Die  Museen  besitzen  zahlreiche  Beispiele 
solcher  Gürtelschließen.  Man  legte  großen  Wert  auf  kostbare  Gürtel,  namentlich 
aber  auf  reichverzierte  Schnallen. 

Ein  Gürtel  dieser  Art  ist  das  Cingulum  des  hl.  Cäsarius,  von  welchem 
vorhin  die  Rede  war  (Bild  43).  Der  Gürtel  kann  als  Typus  jener  Gürtel 
gelten ,  deren  man  im  gallikanischen  Ritus  sich  bedient  haben  wird.  Denn 
es  ist  schwer  anzunehmen,  daß  man  in  einer  Zeit,  wo  die  liturgische  Gewan- 
dung noch  in  der  Ausbildung  begriffen  war  und  der  Volkstracht  noch  nach 
Schnitt  und  Ausstattung  viel  näher  stand  als  jetzt,  dem  Gürtel  im  galli- 
kanischen Ritus  eine  andere  als  die  heimatliche  Gürtelform  und  Ausstattung 
gegeben  habe. 

Das  römische  Cingulum  des  Alltagslebens  war,  wenn  wir  von  dem 
Soldatengürtel  absehen,  in  der  Regel  nicht  mit  einer  Schließe  versehen.  Es 
bestand  vielmehr  für  gewöhnlich  nur  aus  einem  Band,  dessen  Enden  mit- 
einander verknotet  wurden.  Es  ist  die  Form,  welche  das  liturgische  Cingulum 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Mittelalters  überall  im  Okzident  besaß  und  die  zu 
Rom  wohl  von  jeher  für  den  liturgischen  Gürtel  gebräuchlich  war.  Nach 
Gallien  muß  sie  bei  Gelegenheit  der  karolingischen  Reform  gekommen  sein ;  sie 
hieß  hier  im  Unterschiede  von  der  gallikanischen  Gürtelform  zona  romana.  Zur 
Gürtung  der  heiligen  Kleider  des  Alten  Bundes  habe  man,  sagt  uns  Pseudo- 
Alkuin,  sich  des  balteus  bedient,  d.  i.  einer  Gürtelart,  die  aus  gezwirntem  Byssus, 
aus  Hyazinth  (Blairpurpur),  aus  Rotpurpur  und  endlich  aus  Scharlach  in  Bunt- 
wirkerei nach  Weise  eines  Schlangenfelles  in  einer  Breite  von  vier  Fingern 
angefertigt  gewesen  sei;  nun  aber  seien  anstatt  des  balteus  die  sog.  römischen 
Gürtel  in  Gebrauch  gekommen,  zonae  quas  appellant  romanas  1. 

Man  hat  geglaubt,  unter  zonae,  quas  romanas  appellant,  seien  reich  aus- 
gestattete und  kostbare  Cingula  zu  verstehen,  und  es  seien  diese  Gürtel,  welche 
Bischöfe  und  höhere  Geistliche  getragen ,  nicht  liturgisch  im  eigentlichen  Sinne, 
sondern  nach  Durandus  nur  saecularia  ornamenta  gewesen,  womit  die  damaligen 
Grof3en  des  Reiches  prunkten,  ähnlich  den  hohen  Beamten,  namentlich  den  Militär- 
beamten früherer  Jahrhunderte,  bei  denen  die  reich  verzierte  zona  hauptsächlichstes 
Abzeichen  der  Würde  war 2.  Allein  mit  Unrecht.  Die  sog.  römischen  Gürtel  Pseudo- 
Alkuins  sind,  wie  aus  dem  ganzen  Zusammenhang  sich  ergibt,  wirkliche  liturgische 
Cingula,  und  zwar  erscheinen  sie  als  ein  allgemein  gebräuchliches  liturgisches  Gewand- 
stück. Sie  sind  ebendarum  jedenfalls  nicht  immer  kostbar  verziert  gewesen,  wenn- 
gleich einzelne,  zumal  die  der  Prälaten,  mit  reichem  Schmuck  ausgestattet  gewesen 
sein  mögen.  Man  wird  daher  den  Ausdruck  „römische  Gürtel"  auf  die  Form  zu 
beziehen  und  unter  den  zonae  romanae  im  Gegensatz  zu  den  gallischen  oder  profanen 


De  offic.  div.  c.  38  (M.  101,  1239).  2  Realenc.  II  193. 


106  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Cingula,  die  mit  einer  Schließe,  einer  Krampe  oder  einer  ähnlichen  Befestigungs- 
vorrichtung  versehen  zu  sein  pflegten,  Gürtel  zum  Binden,  wie  sie  später  uns  tat- 
sächlich ausschließlich  entgegentreten,  zu  verstehen  haben. 

In  dem  Verzeichnis  der  Paramente,  welche  Abt  Ansegisus  (f  883)  dem  Kloster 
Fontanelle  schenkte,  heißen  die  zonae  romanae  cingula  romano  opere  facta  '.  Denn 
wenn  romano  opere  facta  an  sich  auch  bedeuten  könnte :  zu  Eom  gemacht  und  aus 
Eom  eingeführt,  so  ist  hier  damit  doch  wohl  gemeint :  nach  römischer  Art  angefertigt, 
und  cingula  romano  opere  facta  sonach  gleichbedeutend  mit  zonae  romanae. 

Seit  wann  die  im  späteren  Mittelalter  so  beliebte  Einrichtung,  an  der 
Innenseite  der  Cingula  zum  Zwecke  des  Anbindens  besondere  Schnüre  oder 
Bänder   anzubringen,  im  Gebrauch   gewesen   ist,  läßt   sich   nicht   bestimmen. 

Die  Liturgiker,  von  Hraban  und  Amalar  angefangen  bis  auf  Durandus, 
sagen  von  dieser  Bindevorrichtung  wie  überhaupt  von  der  Form  des  liturgischen 
Gürtels  gar  nichts.  Ebenso  lassen  uns  die  Monumente  in  jener  Frage  völlig 
im  Stich.  Meist  schauen  auf  den  Bildwerken  nur  die  Enden  des  Cingulum 
unter  dem  Saum  der  Dalmatik  oder  Kasel  hervor,  wenn  es  überhaupt  zum 
Vorschein  kommt.  Darstellungen,  auf  denen  es  ganz  sichtbar  ist  —  es  handelt 
sich  bei  ihnen  entweder  um  Akolythen  in  der  Albe  oder  um  Priester  in  Albe 
und  Pluviale  —  sind  äußerst  selten.  Aber  selbst  in  diesen  ganz  vereinzelten 
Fällen  fehlt  stets  eine  Andeutung  besonderer  zur  Befestigung  des  Cingulum 
vorgesehener  Bänder  oder  Schnüre,  mit  Ausnahme  vielleicht  einer  Miniatur 
der  Miracula 5  S.  Benedicti  in  der  Stadtbibliothek  zu  Troyes,  auf  der  die  weit 
voneinander  entfernt  herabfallenden  Enden  des  Gürtels  auf  die  in  Rede  stehende 
Bindevorrichtung  hinweisen  mögen.  Der  Codex  soll  nach  Rohault  de  Fleuiy 
dem  11.  Jahrhundert  angehören2. 

Auch  die  Inventare  geben  keinen  Aufschluß,  da  sie  von  der  Einrichtung 
des  Cingulum  in  der  älteren  Zeit  nie  und  selbst  später  nur  ausnahmsweise 
sprechen.  So  heißt  es  einmal  im  Inventar  des  Schatzes  des  Apostolischen 
Stuhles  von  1295:  Unum  cingulum  rubeum  laboratum  ad  aurum  cum  cordone 
de  serico  rubeo  et  viridi.  Der  Grund  hierfür  liegt  indessen  nicht  etwa 
in  einer  äußerst  seltenen  Anwendung  dieser  Bindevorrichtung,  sondern  in  ihrer 
Alltäglichkeit.  Wie  gewöhnlich  sie  gewesen  sein  muß,  erhellt  aus  dem 
14.  Ordo  Mabillons,  wo  die  chordulae  als  selbstverständlicher  Bestandteil  des 
Cingulum  erscheinen :  Subsequenter  subcingat  (diaconus)  eum  (pontificem)  cin- 
gulo  cum  subcinctorio  ...  et  ipsius  cinguli  chordulas  diaconus  invicem  liget 
et  stringat  vel  ipse  pontifex  sti'ingere  poterit,  sicut  ei  placuerit3.  Es  hat 
darum  auch  nichts  Auffälliges  und  Besonderes,  wenn  man  gelegentlich  des 
Neubaues  der  Peterskirche  bei  der  Leiche  Bonifaz'  VIII.  gemäß  dem  über 
den  Leichenbefund  aufgenommenen  Protokoll  ein  cingulum  ex  serico  rubro  et 
viridi  pulchre  quidem  intertextum  cum  suis  chordulis  sericis  ante  pendentibus 
suisque  globulis  et  floccis  antraf4. 

Von  den  Cingula,  welche  sich  aus  dem  Mittelalter  erhalten  haben,  gehören  alle, 
bei  welchen  besondere  Schnüre  an  der  Innenseite  des  Cingulum  zum  Zweck  des  An- 
bindens angebracht  sind,  der  späteren  Zeit  desselben  an.  Das  älteste  von  ihnen  ist 
das  Cingulum  im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Sens  (Bild  45) 5.  Es  wurde  1749  im  Schrein 
des  hl.  Edmund  von  Canterbury  (f  1240)  zu  Pontigny,  in  den  es  1247  bei  der  Er- 
hebung des  heiligen  Leibes  gekommen  war,  vorgefunden  und  gelangte  1884  durch  die 


1  Nr  7  (M.  105,  739):  Cingula  romano  opere  3  C.  53  (M.  78,  1157). 

facta  auro  decorata  duo.  *  ß  zo  vi  us  ,  Annales  ad  an.  1303;  XIV  51. 

2  Roh.  I,  73.    Abbildung  pl.  X.  5  Vgl.  auch  de  Farcy  Taf.  13. 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum. 


107 


Erben  des  Grafen  de  Bastard,  der  es  durch  Kauf  erworben ,  in  den  jetzigen  Besitz. 
Bei  einer  Länge  von  0,87  m  ist  es  0,032  m  breit  und  endet  beiderseits  in  je  drei 
schmale  Bändchen  von  verschiedener  Länge,  von  denen  die  längsten  ebenfalls  ca  0,87  m 
messen.     Außerdem   ist  jedem    Ende    eine   starke   Schnur  zum  Festbinden   angenäht. 

Cingulum  wie  Behänge  bestehen  aus  roter  Seide, 
sind   mit   Lilien,    Fischen,  Vögeln,    Vierfüßlern, 


Bild  45.     Cingulum.      Sens,  Kathedrale. 


Bild   46.      Cingulum.       Halberstadt.  Dom. 


Rauten  und  anderem  geometrischen  Gebilde  sowie  den  Buchstaben  E  und  M  in  Gold 
durchwirkt  und  mit  gelbem  Seidenzeug  gefüttert  '. 


1  Die  Angaben  L.  de  Farcys  (Broderie 
12S),  das  Cingulum  stelle  ein  Trikotgewebe 
dar,  ist  unrichtig.  Dem  Anschein  nach  gleicht 
es  allerdings  einem  solchen,  allein  in  Wirk- 


lichkeit ist  es  in  derselben  Weise  gearbeitet 
wie  so  manches  andere  mittelalterliche  Band, 
d.  i.  mittelst  zweier  Ketten,  deren  Fäden  sich 
nach  Aufnahme  des  Einschusses  umeinander 


108 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


Drei  Cingula  im  Dom  zu  Halberstadt  sind  jüngeren  Datums ,  doch  mag  eines 
von  ihnen,  ein  wahres  Pracht-,  um  nicht  zu  sagen  Prunkstück,  immer  noch  in  das 
13.  Jahrhundert  hinaufreichen  (Bild  46,  S.  107).  Es  besteht  aus  einer  1,08  m  langen 
und  0,016  m   breiten,  grünseidenen  Borte,  der  in  Gold  Löwen,  Eosetten  und  ähnlich 

stilisierte  Ornamente  eingewebt  sind. 
Als  Innenfutter  ist  roter  Taft,  als  Ein- 
lage ein  Pergamentstreifen  verwendet 
worden.  An  den  Enden  des  Gürtels  sind 
kostbare,  in  Posamentierarbeit  herge- 
stellte Behänge  angebracht,  welche  eine 
Länge  von  0,76  m  haben,  in  Gold  und 
farbigen  Seidenfäden  ausgeführt  sind 
und  unten  in  Quästchen  ausmünden. 
Zum  Zweck  des  Anbindens  des  Gürtels 
dienen  zwei  nahe  den  beiden  Enden 
des  eigentlichen  Gürtels  an  der  Innen- 
seite angesetzte  kräftige,  aus  blau- 
leinenem Garn  gewirkte  Bändchen,  von 
denen  das  eine  gegenwärtig  eine  Länge 
von  0,63  m,  das  andere  von  0,97  m 
hat.  Die  beiden  andern  Cingula  im 
Schatz  des  Domes  von  Halberstadt 
werden  wohl  kaum  weit  über  das  späte 
15.  Jahrhundert  hinausgehen.  Bei  dem 
einen  besteht  der  eigentliche  Gürtel 
aus  einem  3,10  m  langen  und  0,063  m 
breiten  schlichten  Linnenstreifen,  bei 
dem  andern  aus  einem  0,075  m  breiten, 
2,75  m  langen,  grünseidenen  Bande, 
dessen  beide  Enden  ein  rotseidenes, 
mit  silbervergoldeten  Plättchen  ge- 
schmücktes Zierstück  von  fast  qua- 
dratischer Form  angesetzt  ist. 

Ein  sehr  interessantes  Cingulum 
in  St  Marien  zu  Danzig  (Bild  47)  ge- 
hört ebenfalls  dem  15.  Jahrhundert  an. 
Es  ist  2,43  m  lang,  0,015  m  breit,  an 
den  Enden  mit  Fransen  von  0,15  m 
Länge  verziert,  aus  Linnen  gemacht 
und  mit  rotem  Leder  gefüttert.  Auf 
der  Außenseite  ist  dem  Linnengrund 
eine  Inschrift  eingewebt,  deren  einzelne 
Worte  durch  geometrische  Gebilde  von- 
einander getrennt  sind.  Inschrift  und 
Ornamente  sind  in  Gold  und  farbiger 
Seide  (blau,  rot,  braun,  grün)  aus- 
geführt. Die  Inschrift  lautet :  Homo  + 
quidam  +  fecit  -j-  cenam  -|-  magnam 
+  vocavit  +  multos  +  et  -f-  misit 
dicere  +  invitatis  +  ut  -4-  venirent  - 
venite  +   comedite  -|-  panem  +  meum 


Bild  47.      Cingulum.       Danzig,  Marienkirche. 

+  servum  +  suu(m)  --  h(ora)  -4-   cene  + 
quia  -f  iam  -4-  parata  -|-  sunt  -f-  omnia  -} 


drehten.  Auch  ist  es  nicht  zutreffend,  wenn 
gesagt  wird,  die  Musterung  sei  in  C4old  und 
»Silber  ausgeführt.    Sie  besteht  nur  aus  Gold. 


Was  jetzt  als  Silber  erscheint,  ist  bloß  die 
infolge  Abschleifens  der  Goldschicht  sichtbar 
gewordene  Silberunterlage  des  Lahns. 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum. 


109 


-+-  et  +  bibite  +  vinum  +  quod  +  miscui  +  vobis  -f-  orate  +  pro  +  me  + 
Katharina  +  de  +  ummen.  Die  ca  0,50  m  langen  und  ca  0,01  m  breiten  linnenen 
Schnüre  an  der  Innenseite  sind  mit  Kreuzchen,  Hakenfiguren,  geometrisch  stilisierten 
Tiergebilden  und  Rosetten  in  farbiger  Seide  verziert  und  an  den  Enden  mit  ca  0,07  m 
langen  Fransen  besetzt.  Das  Cingulum  ist  kein  Prachtstück,  aber  in  seiner  edeln 
Einfachheit  ungemein   gefällig. 

Ein  Cingulum  der  ehemaligen  Bockschen  Sammlung  war  auf  seiner  Außenseite 
mit  kleinen,  durch  Silberfäden  gebildeten  Quadraten  geschmückt,  innerhalb  deren  sich 
auf  violettem  Fond  ein  aus  Goldfäden  hergestelltes  Kreuzchen  befand,  und  an  den 
Enden  mit  einer  aus  Goldfaden  gearbeiteten  Quaste  versehen.  Im  Innern  war  es  mit 
violetter  Seide  gefüttert,  seine  Länge  belief  sich  auf  ],68m,  die  Schnüre  zum  Fest- 
binden waren,  nach  der  Abbildung  des  Cingulum  zu  urteilen,  ca  0,45  m  entfernt  von 
den  Enden  angesetzt '. 

Ein  Gegenstück  zu  den  genannten  Cingula  bildet  ein  Gürtel,  welcher  im  Schatze 
der  Hofburg  zu  Wien  unter  den  Reichskleinodien  aufbewahrt  wird.  Bock,  der  in  dem 
Werke  „Die  Kleinodien  des  heiligen  römischen  Reiches  deut- 
scher Nation"  eine  gute  Abbildung  und  Beschreibung  von  dem- 
selben gegeben  hat,  setzt  ihn  in  das  12.  Jahrhundert,  doch 
wohl  mit  Unrecht,  da  er  schwerlich  über  das  14.  Jahrhundert 
hinaufreicht.  Der  Gürtel  kann  aber  auch  ursprünglich  nicht 
zu  den  Reichskleinodien  gehört  haben,  sondern  erst  seit  dem 
Ende  des  18.  Jahrhunderts,  d.  i.  seitdem  sie  von  Nürnberg 
über  Prag  nach  Wien  gebracht  wurden,  ihnen  zugesellt  worden 
sein,  da  weder  v.  Murr  in  seiner  ausführlichen  Beschreibung 
sämtlicher  Reichskleinodien  vom  Jahre  1790  seiner  Erwähnung 
tut ,  noch  Delsenbach  in  seinen  Abbildungen  der  Kleinodien 
ihn  wiedergibt.  Wie  es  scheint,  zählte  er  bis  dahin  zu  dem 
böhmischen  Krönungsschatze  (Bild  48). 

Der  Gürtel  besteht  an  der  Innen-  wie  Außenseite  aus 
einem  schweren,  hellblauen  Seidenköper  und  hat  bei  einer 
Breite  von  0,035  m  eine  Länge  von  1,52  m.  Etwa  0,34  m 
von  den  beiden  Enden  ist  inwendig  eine  kräftige  Seiden- 
schnur von  roter  Farbe  angenäht,  welche  eine  Länge  von 
0,67  m  besitzt  und  unten  in  eine  rotseidene  Quaste  ausläuft. 
Eigenartig  ist,  daß  sich  die  beiden  Schnüre  nicht  weit  vom 
oberen  Ende  in  je  zwei  und  diese  sich  dann  nochmals  in  je 
vier  Schnüre  teilen.  Ringsum  ist  der  Gürtel  mit  einer  kordel- 
artigen Einfassung  versehen ;  seine  beiden  frei  herabfallenden 
Enden  sind  auf  beiden  Seiten  mit  Perlen,  Edelsteinen  und 
einem  mit  Goldfiligran  bedeckten  Plättchen  geschmückt  °. 

Was  von  mittelalterlichen  Cingula  noch  dem  ersten  Jahrtausend  oder  dem  Be- 
ginn des  zweiten  angehört,  weiß  uns  nichts  von  der  fraglichen  Bindevorrichtung  zu 
erzählen.  Von  zwei  Gürteln  in  St  Peter  zu  Salzburg,  welche  als  Reliquien  der 
hll.  Rupert  (ca  700)  und  Vitalis  (ca  730)  gelten  und  etwa  0,025  bzw.  0,03  m  breit  sind, 
wird  der  eine  mittelst  Haken  und  Ösen,  der  andere  mittelst  einer  Krampe  geschlossen  s. 
Es  ist  zudem  sehr  fraglich,  ob  sie  jemals  als  liturgische  Cingula  gedient  haben.  Das 
Cingulum  des  hl.  Godehard  von  Hiklesheim  (t  1038)  zu  Niederaltaich  (Niederbayern), 
wenn  wirklich  von  diesem  Heiligen  herrührend,  ist  ein  schmales,  schlichtweißes  Band 


Bild  48.     Kaisergürtel. 
Wien,  Hofburg. 


•Bock  II  59  u.  Tl  V,  2.  Wohin  das 
Cingulum  gekommen ,  ließ  sich  nicht  er- 
mitteln. Ob  auch  die  vier  andern  Cingula 
der  ehemaligen  Bockschen  Sammlung,  welche 
ebendort  beschrieben  werden,  mit  Bindevor- 
richtung  versehen  waren,  ist  nicht  angegeben. 


Ihre  Breite  von  5—6  cm  und  die  Seiden- 
stickereien ,  mit  denen  sie  verziert  waren, 
lassen  jedoch  darauf  schließen. 

2  Bock,  Reichski.  64  u.  Tl  XIII. 

3  Gute  Abbildungen  nach  Photographien  bei 
Roh.  VII,   pl.  DXXIII. 


110 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untererewänder. 


ohne  Schließe  oder  sonst  eine  besondere  Einrichtung  zum  Befestigen.  Der  prächtige 
Witgariusgürtel  im  Dommuseum  zu  Augsburg  und  das  dem  Schrein  des  hl.  Kuthbert 
entnommene  Cingulum  im  Museum  der  Kathedrale  zu  Durham  (Nordengland) '  sind  nur 
Fragmente,  die  keine  Spur  einer  Bindevorrichtung'  mehr  erkennen  lassen.  Das  schöne, 
vollständig  erhaltene  Cingulum  im  Beliquienschatz  zu  Andechs  endlich,  das  noch  ins 
11.  Jahrhundert  hinaufreichen  mag,  ist  ohne  Schnüre  an  der  Innenseite.  Es  scheint 
sogar,  daß  es  nie  als  Gürtel,  sondern  stets  als  Stola  gebraucht  wurde,  worauf  auch 
die  Bezeichnung  Stola  S.  Ioannis  Ev.  hinweisen  dürfte. 

Übrigens  wird  der  Brauch,  im  Innern  des  Cingulum 
eine  besondere  Bindevorrichtung  anzubringen,  sicher  bis 
ins  erste  Jahrtausend  hinaufreichen.  Denn  wenn 
wir  eine  solche  an  einem  aus  der  Ottonenzeit 
stammenden,  mit  den  liturgischen  Cingula 
durchaus  verwandten  profanen  Gürtel  antreffen, 
so  wird  sie  zweifelsohne  auch  an  besseren  litur- 
gischen Cingula  zur  Anwendung  gekommen 
sein.  Der  fragliche  Gürtel  ist  heute  leider 
nur  mehr  in  Abbildung  vorhanden.  Er  gehörte 
einst  zu  den  Reichskleinodien,  unter  welchen 
ihn  noch  v.  Murr  gesehen  und  beschrieben 
hat,  und  kam  mit  einigen  andern  Stücken 
derselben  abhanden,  als  er  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts von  Nürnberg  vor  den  einziehenden 
Franzosen  geflüchtet  wurde.  Die  Inschrift  wie 
die  stoffliche  Beschaffenheit  des  Gürtels  lassen 
keinen  Zweifel,  daß  er  von  einem  der  Ottonen 
herrührte. 

In  der  Tat  ist  es  auch  kaum  anders  denkbar,  als 
daß  Gürtel  wie  das  jetzt  leider  nur  mehr  als  Frag- 
ment vorliegende  Cingulum  im  Dommuseum  zu 
Augsburg  (Bild  49  u.  50),  laut  der  Inschrift:  Wit- 
gario  tribuit  sacro  spiramine  plenum  (sie)  +  hanc 
zonam  regina  nitens  sanetissima  Hemma,  ein  Ge- 
schenk der  Königin  Hemma,  Gemahlin  Ludwigs  des 
Deutschen,  an  Bischof  Witgarius  von  Augsburg 
(858 — 887),  an  der  Innenseite  Schnüre  zum  An- 
binden besaßen.  Der  eigentliche  Gürtel  ist  nicht 
mehr  vorhanden,  nur  die  beiden  Endstücke  sind  er- 
halten geblieben.  Sie  sind  0,035  m  breit  und  zu- 
sammen 1,34  m  lang  und  münden  in  einen  trapez- 
förmigen Zieransatz  von  0,067  m  Höhe  und  0,047  m 
unterer  Breite  aus ,  dem  ein  Adler  eingewebt  und 
als  Abschluß  eine  Reihe  zierlicher  Quästchen  an- 
gefügt ist.  Inschrift  und  Adler  heben  sich  in  prächtigem  Eot  von  einem  aus  kost- 
barem  Goldgespinst,   bei   welchem    der    Lahn   ganz    aus    Gold   besteht,   hergestellten 


m 


Bild  49. 
Witgarius- 
gürtel. 
Augsburg,  Dom 
museum. 


Bild  50.     Detail  des 
Witgariusaürtels. 


1  Der  Gürtel  wurde  gefunden ,  als  man 
1827  den  bei  der  Reformation  in  die  Erde 
versenkten  Schrein  des  Heiligen  aufdeckte 
und  öffnete.  Er  scheint  mit  verschiedenen 
andern  Paramenten  im  Laufe  des  11.  oder 
im  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  den  Reliquien 
des  Heiligen  beigegeben  worden  zu  sein.    Die 


Länge  des  noch  erhaltenen  Stückes  beträgt 
ca  76  cm,  seine  Breite  ca  0,022  m.  Der 
Gürtel  ist  aus  roter  Seide  gewirkt  und  mit 
Goldfäden  durchweht.  Den  Rand  entlang 
laufen  zwei  Längslinien.  Das  Futter  besteht 
aus  grüner  Seide  (Raine,  St  Cuthbert 
[Durham  1820]  209). 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum. 


111 


Fond  ab.  Schließen,  wie  die  fränkischen  Gürtel  sie  aufzuweisen  pflegten,  kann  es  an 
dem  Witgariusgürtel  nicht  gegeben  haben.  An  ein  unmittelbares  Verknüpfen,  wie  es 
jetzt  Brauch  ist,  ist  angesichts  der  äußerst  wertvollen  Beschaffenheit  desselben  ebenso- 
wenig zu  denken.  Es  bleibt  also  nur  übrig,  anzunehmen,  es  sei  das  Cingulum,  ähnlich 
wie  der  eben  erwähnte  kaiserliche  Gürtel  aus  der  Ottonenzeit,  inwendig  mit  Bändern 
zum  Anbinden  versehen  gewesen  '. 

Strickf örmige  Cingula  sollen  nach  Bock  erst  im  16.  und  17.  Jahr- 
hundert in  Aufnahme  gekommen  sein.  Der  eigentlich  liturgische  Gürtel  wäre 
ihm  zufolge  das  Bandcingulum ,  das  Strickcingulum  aber  das  Ergebnis  des 
entstellenden,  profanierenden  Einflusses,  den  der  moderne  Zeitgeschmack  wie  auf 
die  übrigen  liturgischen  Gewänder,  so  auch  auf  die  Jahrhunderte  hindurch 
feststehende  Gestalt  und  Beschaffenheit  des  kirchlichen  Gürtels  ausübte 2. 
Das  eine  wie  das  andere  ist  jedoch  irrig.  Das  Strickcingulum  war  bereits 
um  den  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  in  Italien  und  speziell  in  Born  in 
Gebrauch.  Die  Bildwerke  dieser  Zeit  lassen  daran  keinen  Zweifel.  Beispiele 
bieten  z.  B.  Ercole  di  Robertis  (1450 — 1496)  „St  Augustinus"  und  Cima  da 
Coneglianos  (1489  — 1508)  „St  Petrus"  in  der  Brera  zu  Mailand,  Benozzo 
Gozzolis  (1420—1498)  „St  Sixtus  II."  in  der  Sixtinischen  Kapelle  u.  a.  Ja 
wir  finden  schon  im  Inventar  des  Apostolischen  Stuhles  von  1295  mit  klaren 
Worten  ein  strickförmiges  Cingulum  verzeichnet:  unum  cingulum  de  cordone 
rotundo  violaceo  cum  tribus  bottonibus  grossis  (dicken  Knäufen)  et  appen- 
diciis  ad  nodos  (Quasten)  per  totum  ad  aurum  3.     Die  Wahrheit  dürfte  wohl 


1  Im  Dommuseum  zu  Augsburg  finden  sich 
auch  noch  zwei  Fragmente  eines  zweiten 
Cingulum  aus  dem  9.  Jahrhundert,  falls  sie 
nicht  etwa  Überbleibsel  einer  Stola  sind. 
Das  kleinere  Stück  trägt  die  Inschrift : 
OMINE  DOMINI  NO,  dasgrößerelN  NOMINE 
DOMINI  AILBECVND  VE  .  .  V  XPI  IHEV 
NOSTRI  IN  NOMINE  DOM.  Die  Inschrift 
ist  leider  nicht  ganz  lesbar ,  immerhin  geht 
aus  ihr  zur  Genüge  hervor ,  daß  das  Cin- 
gulum die  Gabe  einer  gewissen  Ailbecund 
ist.  Der  Name  kommt  auch  in  den  Libri 
Confraternitatum  von  St  Gallen  (M.  G. 
Confr.  334,  12),  von  Reichenau  (ebd.  42,  36; 
65,  17;  97,  16;  276,  32;  466,  11)  und 
Pfäffers  (ebd.  44,  13)  vor.  Vgl.  ferner  M.  G., 
Necrolog.  dioec.  Salisburg.  ind.  sub  Albegund 
485.  Die  Fragmente  sind  mit  dem  Witgarius- 
gürtel so  sehr  verwandt,  daß  sie  zweifellos 
derselben  Werkstätte  zugewiesen  werden 
müssen.  Nicht  bloß  das  Material,  kräftiges 
karminrotes  Seidengarn ,  sondern  auch  die 
Technik  und  die  Formgabe  der  Inschrift  sind 
hier  wie  dort  völlig  gleich.  Die.  Fragmente 
unterscheiden  sich  von  dem  Gürtel  lediglich 
durch  ihre  um  ca  2  mm  größere  Breite  und 
ihre  einfachere  Ausführung,  sofern  die  In- 
schrift auf  ihnen  nicht  mittelst  eines  Ein- 
schlages von  Goldfäden  in  den  Fond,  sondern 
nur  durch  anders  gerichtete  Drehung  der 
Kettenfäden  hergestellt  ist. 

2  Bock  H  61.  Wenn  derselbe  ebd.  51 
(vgl.     auch    He  f.,     Beitr.    II     179;     Ann. 


VI  168:  Roh.  VII  29,  note  2)  auf 
Grund  einer  Notiz  im  Papstbuch  meint,  der 
Pontifikalgürtel  des  8.  und  9.  Jahrhunderts 
scheine  noch  analog  mit  dem  balteus  des 
Hohenpriesters  rund,  ähnlich  einer  Schlangen- 
haut ,  gewebt  gewesen  zu  sein ,  so  ist  zu 
bemerken,  daß  der  L.  P.  an  dem  fraglichen 
Ort  nicht  von  Gürteln  und  noch  viel  weniger 
vonliturgischen  Gürteln  spricht  (vgl.  die  Stelle 
bei  Duch.,  L.  P.  II  78).  Wenn  dort  nämlich 
von  einem  von  Gregor  IV.  (827 — 844)  für 
das  auf  seine  Kosten  hergestellte  Praesepium 
in  S.  Maria  in  Trastevere  gestifteten  Bild  die 
Rede  ist,  habentem  morenas  prasinales  pre- 
tiosissimas  II  .  .  .  item  morenam  trifylem 
auream  .  .  .  morenam  in  quo  pendent  gemmas 
jachinctas  XIII  .  .  .  item  morenam  fylata  .  .  . 
omnes  morenas  cum  petinantes  eorum ,  so 
kann  man  unter  diesen  morenae  doch  nimmer 
Gürtel  und  am  wenigsten  Pontifikalgürtel 
verstehen. 

3  Im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Sens  befindet 
sich  ein  strickförmiges  Cingulum ,  welches 
als  dasjenige  des  hl.  Thomas  Becket  aus- 
gegeben wird  und  sonach  aus  dem  12.  Jahr- 
hundert stammen  würde.  Es  ist  aus  roter 
Seide  und  Goldfäden  gemacht  und  an  den 
Enden  mit  kräftigen  Quasten  geschmückt. 
Seine  Beschaffenheit  weist  jedoch  durchaus 
auf  eine  jüngere  Entstehungszeit  hin.  Es  ent- 
spricht aber  auch  nicht  der  Beschreibung, 
welche  das  Inventar  von  1446  von  dem  in- 
zwischen offenbar  verloren    gegangenen  Gin- 


112 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


sein,  daß  es  schon  früh,  um  nicht  zu  sagen  stets,  neben  bandförmigen  auch 
strickförmige  Cingula  gegeben  hat,  daß  aber  bei  Gürteln  besserer  Qualität 
bis  gegen  Ausgang  des  Mittelalters  die  Bandform  vorgezogen  wurde.  So 
selbst  zu  Rom,  wo  dann  jedoch  die  Bandcingula  sich  rasch  aus  dem  Gebrauch 
verloren.  Man  trifft  darum  auf  den  römischen  Bildwerken  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts nur  mehr  strickförmige  an,  die  an  den  Enden  mit  kräftigen  Quasten 
versehen  sind.  Gute  Beispiele  bieten  die  Statuen  Leos  X. ,  Pauls  III.  und 
Gregors  XIII.  in  Ära  Celi  und  Klemens'  VIII.  in  S.  Maria  Maggiore.  In  der 
Stanza  della  Segnatura  trägt  Gregor  IX.  auf  Raffaels  Fresko  „Das  kanonische 
Recht"  ein  solches  von  roter  Farbe,  das  in  mächtige  Quasten  endet.  Die 
Strickform  bürgerte  sich  in  Rom  beim  Cingulum  in  dem  Maße  ein ,  daß  sie 
daselbst  zur  offiziellen  Cingulumform  wurde  und  die  Ritenkongregation  dem- 
gemäß in  einem  partikulären  Falle  in  ihrer  Antwort  auf  eine  Anfrage  aus 
Spanien  die  Bandform  als  unzulässig  bezeichnete1.  Außerhalb  Roms  er- 
hielten sich  bandförmige  Cingula  vielerorts  bis  in  die  Gegenwart  im  Gebrauch, 
nur  wurden  sie  im  allgemeinen  nicht  mehr  mit  besondern  Bändern  oder  Schnüren 
zum  Anbinden  versehen. 

Nach  der  Verordnung  des  hl.  Karl  Borromäus  soll  das  Cingulum 
7  cubiti  =  ca  3  m  lang,  aus  weißem  Linnen  oder  zartem  Hanf  verfertigt  und 
an  den  Enden  mit  Linnenquasten  ausgestattet  sein 2.  Von  der  Form  des 
Ornatstückes  spricht  der  Heilige  nicht.  Seine  Bestimmungen  wurden  fast 
wörtlich  von  der  Prager  Synode  vom  Jahre  1605  adoptiert.  Cingulum  e  can- 
dido  filo  conficiatur  longitudinis  ulnarum  quinque.  Eius  autem  capita  globulis 
eiusdem  materiae  inserantur,  filamentorum  manipulis  floccisve  appensis s.  Auch 
Gavanti  nahm  in  seinen  Thesaurus  rituum  die  Vorschriften  des  hl.  Karl  über 
die  Anfertigung  des  liturgischen  Gürtels  herüber. 

Hinsichtlich  des  Materials  des  liturgischen  Gürtels  gab  es  im  Mittel- 
alter keine  Bestimmungen.  Gewöhnliche  Gürtel  dürften  der  Regel  nach  aus 
Linnen  gemacht  worden  sein.  Sieben  solcher  weifilinnenen  Cingula  besitzt 
noch  die  St  Marienkirche  zu  Danzig  (Bild  3,  S.  34).  Sie  sind  ganz  unverziert, 
2,23 — 2,87  m  lang  und  0,01 — 0,015  m  breit  und  stellen  ein  kräftiges,  festes,  auf 
dem  Bandstuhl  hergestelltes  Band  dar.  An  den  Enden  münden  sie  in  Fransen 
aus.  Das  zu  Niederaltaich  befindliche  Cingulum,  welches  vom  hl.  Godehard, 
dem  späteren  Bischof  von  Hildesheim  (1022 — 1038),  herrühren  soll,  ist  an- 
scheinend aus  Wolle  gemacht  und  bei  einer  Breite  von  ca  0,02  m  etwa 
2,25  m  lang 4. 


gulum  des  hl.  Thomas  gibt.  Ihr  zufolge  war 
nämlich  das  Cingulum  des  Heiligen,  welches 
man  im  15.  Jahrhundert  zu  Sens  besaß,  nicht 
strickförmig,  sondern  bandförmig:  une  sain- 
ture  de  soye  faite  en  maniere  de  s angle, 
Riemen,  Gurt.  Band.  (E.  Char  tr  a  ir  e  ,  In- 
ventaire  du  tresor  de  l'eglise  metropolitaine 
de  Sens  42.  Es  ist  auffallend,  daß  der  Ver- 
fasser, der  das  fragliche  Cingulum  ebenfalls 
dem  hl.  Thomas  zuschreibt,  den  Widerspruch 
nicht  beachtet  hat,  in  dem  dessen  Beschaffen- 
heit zur  Angabe  des  Inventars  von  1446 
steht.) 

>  C.  R.  24.  Nov.  1899  (Decr.  auth.  Nr  4048 
ad  6). 


2  A.   E.  Med.  626. 

3  C.  13  (Hartzh.  VIII  691). 

4  Die  für  eine  Untersuchung  höchst  un- 
günstige Aufbewahrungsweise  des  Cingulum 
(hoch  oben  im  Altar  hinter  Glas)  ließ  eine 
sichere  Feststellung  des  Stoffes  nicht  zu. 
Ein  anderes  dem  hl.  Godehard  zugeschriebenes 
Cingulum  ist  in  Niederaltaich  nicht  mehr  vor- 
handen. Eine  wenngleich  sehr  mangelhafte 
Abbildung  desselben  findet  sich  in  den  Monu- 
menta  boica  IX  24.  Es  war  mit  Schließe  ver- 
sehen und  wies  als  Verzierung  die  stets  sich 
wiederholende  Inschrift  Sola  fides  auf.  Die 
ungenaue  Abbildung  gestattet  kein  Urteil 
über  das  Alter  des  Gürtels. 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum.  113 

Bessere  Cingula  bestanden  aus  Seide.  So  verzeichnet  ein  dem  Ende  des 
11.  Jahrhunderts  angehörendes  Inventar  des  St  Georgstiftes  zu  Köln  unter 
sonstigen  auch  ein  cingulum  de  pallio  und  ein  anderes  de  serico.  ein  In- 
ventar von  Salisbury  aus  dem  Jahre  1212  neben  aliae  12  und  8  zonae  nullius 
pretii  für  die  Chorknaben  9  zonae  de  serico,  ein  Schatzverzeichnis  der  Kathe- 
drale von  Chartres  aus  dem  Jahre  1337  :  2  zonae  de  serico.  Das  Inventar 
von  St  Peter  aus  dem  Jahre  1361  führt  tria  cinctoria  de  serico  diversorum 
colorum  und  6  cinctoria  sacerdotalia  de  serico  diversorum  colorum  et  aliqua 
laborata  de  serico  ad  aurum ,  dasjenige  aus  dem  Jahre  1436  Cingula  von 
schwarzer  und  karminfarbiger  Seide  auf.  Ein  um  1200  aufgestelltes  Schatz- 
verzeichnis der  Kathedrale  von  Rouen  weiß  von  2  albae  cum  zonis  de  serico 
und  einem  balteus  (Subcinctorium)  mit  dazu  gehörigen  2  zonae  sericae  una 
alba,  altera  rubea,  zu  berichten.  Ein  Inventar  von  Angers  vermerkt  zum 
Jahre  1418  eine  zona  de  serico  rubri  coloris  1,  ein  Inventar  von  St  Fortunat 
zu  Todi  (ca  1300)  unum  cingulum  latum  de  serico  et  auro,  item  unum  cin- 
gulum de  serico  rubeo,  item  unum  cingulum  de  serico  viridi,  item  unum  cin- 
gulum de  serico  albo,  item  unum  cingulum  de  serico  gallo.  Bonifaz  VIII. 
schenkte  der  Peterskirche,  deren  Kanonikus  er  gewesen  war,  sieben  cingula 
de  serico  2. 

Auch  die  scharlachfarbenen  Cingula,  die  in  älteren  Schatzverzeichnissen 
genannt  werden,  und  mehr  noch  die  goldverzierten  Cingula,  die  sich  darin 
finden ,  haben  wir  uns  nach  dem  Beispiel  der  Gürtelfragmente  im  Dom- 
museum zu  Augsburg  und  in  der  Bibliothek  der  Kathedrale  von  Durham  als 
aus  Seide  gewebt  zu  denken.  Scharlachfarbene  erwähnt  z.  B.  ein  Inventar 
von  Benediktbeuren  aus  dem  Jahre  1032:  zonae  coccinae  4,  ein  Inventar  des 
Klosters  Abdinghof  aus  der  Zeit  des  Bischofs  Meinwerk:  cinctorium  coc- 
cineum  1,  das  Inventar  desselben  Klosters  unter  Abt  Gumbertus:  10  cingula 
coccinea,  mit  Gold  durchwebte  ein  Inventar  von  Clermont-Ferrand  (10.  Jahrb.): 
zonae  2  aureae,  ein  Speierer  Schatzverzeichnis  von  1051:  cingula  3  auro 
parata,  ein  Inventar  von  St  Gallen  (11.  Jahrh.):  cingula  5  aurata,  und  ein 
Inventar  von  Enger  (11.  Jahrb.):  praecingula  auro  ornata  6.  Auch  die  beiden 
Cingula,  welche  Abt  Ansegisus  (f  833)  dem  Kloster  Fontanelle  schenkte,  waren 
auro  decorata,  desgleichen  die  neun  Gürtel,  welche  Bischof  Biculf  von  Eine 
915  seiner  Kathedrale  hinterließ 3. 

Für  reiche  Ornamentierung  bot  das  Cingulum  bei  seiner  geringen  Breite 
nur  wenig  Raum.  Insbesondere  waren  figürliche  Darstellungen,  welche  stets 
größere  Flächen  beanspruchen,  als  dasselbe  zu  bieten  im  stände  ist,  von 
vornherein  ausgeschlossen.  Das  einzig  entsprechende  Ornament  bildeten 
kleine  geometrische  Muster,  einfache  stilisierte  Pflanzen-  und  Tiermotive, 
Wappenschildchen  und  Inschriften,  wie  sie  auch  bei  schmalen  Borden  zur  An- 
wendung kamen. 

Inschriften  finden  sich  auf  dem  Witgariusgürtel  und  dem  vorhin  besprochenen 
Cingulum  in  St  Marien  zu  Danzig.  Ein  ferneres  Beispiel  bietet  das  Cingulum  im 
Reliquienschatz  des  Klosters  Andechs,  dessen  Außenseite  die  auf  den  Zweck  und  die 
mystische  Bedeutung  des  Ornatstückes  hinweisenden  Verse  eingewebt  sind:  Zona 
iustitiae  sie  te,  pater  optime,  cinge,  +  Ut  digne  benedicas  panem  mysterialem,  während 
die  Innenseite  Felder  mit  romanischem  Rankenwerk  und  phantastischen  Tiergestalten 
aufweist.     Der  Gürtel  ist  2,80  m   lang  und  0,03  m   breit.     Ein  Inventar   von  Angers 


1  Revue  1886,  176.  3  M.  132,  468:  zonae  5,  una  cum  auro  et 

2  Müntz  e  Frothingham,  II  Tesoro  12.         gemmis  pretiosis,  aliae  4  cum  auro. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  8 


114 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


aus  dem  Jahre  1467  vermerkt  ein  schönes,  aus  Seide  und  Goldfäden  gemachtes  Cin- 
gulum,  dem  das  ganze  Evangelium  In  principio  erat  verbum  eingewirkt  war. 

Geometrische  Gebilde  und  geometrisch  umgeformte  Tier-  und  Pflanzenmotive 
finden  sich  auf  dem  Prachtcingulum  im  Dom  zu  Halberstadt,  dem  Danziger  Cingulum 
und  dem  hochinteressanten  Gürtel  im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Sens.  Das  Inventar 
des  päpstlichen  Schatzes  vom  Jahre  1295  verzeichnet  unum  cingulum  album  ad  castella 
et  scuta  cum  appendiciis  amplis ,  factis  de  vernicibus  (Zierplättchen)  und  unum  cin- 
gulum antiquum  rubeum  ad  castra,  scuta  et  rosas  auri. 

Außer  eingewebten  und  eingestickten  Ornamenten  dienten  zur  Aus- 
stattung des  Cingulum  auch  wohl  Perlen,  Edelsteine  und  silberver- 
goldete oder  goldene  Zierplättchen.  Natürlich  kamen  solche  nur  bei 
Prachtcingula  zur  Anwendung,  und  zwar  wurden  sie  bei  denselben  namentlich 
an  den  vorn  frei  herabfallenden  Streifen  angebracht.  Das  Inventar  des  päpst- 
lichen Schatzes  von  1295  führt  eine  Anzahl  derartiger  kostbarer  Cingula  an. 
So  heißt  es  darin :  unum  cingulum  de  stri(a)to  (gestreifter  Stoff)  viridi  cum 
appendiciis  factis  de  vernicibus  et  cum  bottone  de  crystallo,  unum  cingulum 
de  serico  albo  cum  bottonibus  et  vernicibus  ad  aurum  (Knöpfchen  und  Plättchen 

aus  Gold)  cum  appendiciis,  unum  cingulum 
album  ad  aurum  cum  perlis  albis  et  indicis 
et  nodis  de  auro  lilato.  Ein  Inventar  von 
St  Peter  von  1436  vermerkt  ein  cingulum 
maspillatum  de  serico  rubeo  et  auro,  ein 
rotseidenes,  golddurchwirktes  Cingulum,  dem 
maspilli,  kleine  Ornamente  aus  Edelmetall 
oder  Kristall,  aufgenäht  waren  '.  Ein  Bild 
solcher  Gürtel  gewährt  das  Cingulum  im 
Schatz  der  Wiener  Hofburg  (Bild  50,  S.  110). 
Die  Enden  des  Cingulum  ließ  man  gern 
in  Fransen,  Quasten  oder  Trödeln  ausmünden. 
Bessere  Cingula  besetzte  man  unten  auch 
wohl  mit  Schellchen,  Metallkügelchen  und 
ähnlichen  Behängsein.  Unum  cingulum  de  serico  diversorum  colorum  cum 
campanellis  de  argento,  heißt  es  unter  Nr  1082  im  Inventar  des  päpstlichen 
Schatzes.  Auch  brachte  man  wohl  an  den  Enden  ein  besonderes  quadratisches 
oder  trapezförmiges  Kopfstück  an,  wie  es  beim  Manipel  und  der  Stola  zu 
geschehen  pflegte.  Ein  Beispiel  bietet  außer  dem  Witgariusgürtel  eines  der 
beiden  einfacheren  Cingula  im  Dom  zu  Halberstadt,  das  in  fast  quadratische, 
mit  vergoldeten  Silberplättchen  besetzte  Abschlußstücke  ausmündet.  Diese 
Verzierungsweise  muß  namentlich  im  12.  und  18.  Jahrhundert  beliebt  gewesen 
sein.  Die  Monumente  dieser  Zeit  bieten  mehrfach  Darstellungen  von  Cingula, 
die  mit  derartigen  Endstücken  versehen  sind.  Natürlich  waren  solche  nur 
bei  Bandcingula  anwendbar. 

Betont  sei  übrigens,  daß  reichere  Cingula  auch  im  Mittelalter  zwar  nicht 
selten,  doch  keineswegs  das  Gewöhnliche  waren.  Es  muß  auffallen,  daß  in 
den  Inventaren  derartiger  Gürtel  im  ganzen  nicht  allzuhäufig  Erwähnung 
geschieht.  Beispielsweise  führt  das  Inventar  von  St  Peter  von  1361  nur 
sechs  bessere  Cingula  auf. 

Die  Anlegung  des  Cingulum  zeigt  eine  interessante  Miniatur  eines  dem 
14.  Jahrhundert   entstammenden  Manuskriptes.     Ein   Priester  ist   im  Begriff, 


Bild  51.     Ankleidung  zur  Messe 
Miniatur  eines  Manuskriptes  von  13 
(Nach  Kohault  de  Fleury.) 


1  Müntz  e  Fr  o  thi  n  eh  am  ,  II  Tesoro  78. 


Viertes  Kapitel.     Das  Cingulum. 


115 


sich  für  das  heilige  Opfer  anzukleiden.  Den  Amikt  und  die  mit  Paruren  ver- 
sehene Albe  hat  er  schon  angezogen,  und  nun  sucht  er  sich  mit  Hilfe  des 
Akolythen  das  Cingulum  umzugürten.  Auf  dem  Betstuhl,  der  vor  dem  Priester 
steht,  liegen  die  noch  übrigen  Paramente.  Die  Darstellung  ist  ganz  aus  dem 
Leben  gegriffen  (Bild  51) *. 


IV.  DER  LITURGISCHE  GÜRTEL  IN  DEN  RITEN  DES  ORIENTS. 

Ein  liturgisches  Cingulum  (griechisch  Ccouy,  £wvdptou,  slavisch  poyas, 
armenisch  koti,  syrisch  zünärä,  zunnär,  koptisch  zounarion)  ist  in  keinem  der 
verschiedenen  Riten  bei  den  Diakonen  im  Gebrauch,  dagegen  bedienen  sich  in 
allen  seiner  die  Priester  und  Bischöfe.  Die  Subdiakone  tragen  einen  Gürtel 
nicht  bei  den  Armeniern,  Syrern  und  Chaldäern,  wohl  aber  bei  den  Griechen 
und  Kopten. 

Der  Gürtel  der  Priester  und  Bischöfe  ist  ein  ca  1,00  m  langes  und 
ca  0,06 — 0,07  m  breites  Band,  welches  entweder  mit  Schnüren  hinter  dem  Rücken 
oder  mit  einer  Schließe  unterhalb  der  Brust  befestigt  wird  (Bild  52).    In  der 


Bild  52.     Priesterlicher  Gürtel 
im  griechischen  Ritus. 


Bild  53.     Gürtel  des  Subdiakons 
im  griechischen  Ritus. 


Regel  besteht  er  aus  demselben  Stoff,  aus  welchem  das  liturgische  Obergewand 
angefertigt  wird.  Bindet  man  das  Ornatstück  hinter  dem  Rücken  an,  so  ist 
vorn  in  der  Mitte  entweder  eine  Agraffe  angebracht  oder  doch  wenigstens 
ein  Kreuz  aufgestickt  bzw.  aufgenäht. 

Der  Gürtel  der  Subdiakone  stellt  ein  ca  2,50 — 3,00  m  langes  und 
ca  0,09 — 0,10  m  breites,  mit  drei  Kreuzen  geschmücktes  Band  dar.  Eine 
bestimmte  Farbe  ist  für  ihn  nicht  vorgeschrieben.  Von  den  drei  Kreuzen 
befindet  sich  eines  in  der  Mitte,  die  beiden  andern  sind  nach  den  Enden  zu 
angebracht.  Die  Anlegung  des  Cingulum  erfolgt  in  eigenartiger  Weise.  Statt 
die  Enden  auf  dem  Rücken  zu  binden,  wie  es  bei  den  Priestern  geschieht, 
führt  man  sie  über  Kreuz  zu  den  Schultern  hinauf,  wirft  sie  von  dort  nach 
vorn  und  steckt  sie  hier,  ohne  sie  nochmals  zu  kreuzen,  unter  dem  Teil  des 
Cingulum  durch,  welcher  sich  unterhalb  der  Brust  quer  vorbeizieht  (Bild  53). 
Zwischen  dem  priesterlichen  bzw.  bischöflichen  Cingulum  einerseits  und  dem 
Cürtel  der  Subdiakone  anderseits,  welcher  der  Form,  wenn  auch  nicht  der 
Tragweise  nach  große  Ähnlichkeit  mit  dem  diakonalen  Orarium  (Stola)  hat, 
ist  sonach  ein  Unterschied. 


Bild,  des  Arsenals  (Paris)  n.  2002;  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  DXXIIL 

8* 


116 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


Über  die  Geschichte  des  Cingulum  in  den  orientalischen  Riten  läßt  sich 
nur  wenig  sagen,  und  das  wenige  betrifft  fast  nur  den  griechischen  Ritus. 
Für  den  Gebrauch  eines  Gürtels  bei  den  Mönchen  liegen  bereits  aus  dem 
4.  Jahrhundert  Zeugnisse  vor.  Wie  wenig  sich  jedoch  aus  dem  Mönchsgürtel 
auf  den  Gebrauch  eines  liturgischen  Cingulum  schließen  läßt,  geht  aus  der 
Bemerkung  der  Historia  Lausiaca  hervor:  Ingredientes  ad  Christi  communionem 
sabbato  et  dominica  zonas  solvant  et  pellem  ovilem  deponant 1.  Die  Mönche 
bedienten  sich  also  nach  der  Regel  des  hl.  Pachomius  des  Gürtels  gerade 
dann  nicht,  wenn  sie  sich  den  heiligen  Geheimnissen  nahten. 

Ziemlich  dunkel  ist,  was  im  22.  (61.)  der  arabisch-nicänischen  Kanones 
über  die  Gürtung  der  Kleriker  beim  Gottesdienst  bestimmt  wird3.  Wie  es 
scheint,  wird  darin  verordnet,  daß  die  Priester  am  Altar  gegürtet,  die  andern 
Kleriker  (wohl  die  Diakone)  aber  ungegürtet  ihres  Amtes  zu  walten  hätten; 
doch  ist  dieser  Sinn  des  Kanons  keineswegs  gewiß.  Obendrein  ist  es  fraglich, 
aus  welcher  Zeit  die  Kanones  stammen;  denn  daß  sie  nicht  nicänisch  sind, 
steht  außer  Zweifel. 

Den  ältesten  sichern  Beleg  für  den  Gebrauch  eines  liturgischen  Gürtels 
in  den  Riten  des  Ostens  bildet  die  sog.  Meßerklärung  des  hl.  Germanus3. 
Leider  erhalten  wir  aus  ihr  keine  Auskunft  über  Form  und  Beschaffenheit 
des  Cingulum.  Auch  in  der  Folge  bleiben  wir  so  gut  wie  ohne  allen  Auf- 
schluß über  diese  doch  so  wissenswerten  Punkte.  Insbesondere  lassen  uns  auch 
die  Bildwerke  nahezu  gänzlich  im  Stich.  Wo  auf  denselben,  wie  z.  B. 
auf  vereinzelten  Miniaturen  des  Menologium  des  Basilius  IL  in  der  vati- 
kanischen Bibliothek,  ein  Stückchen  des  Cingulum  zum  Vorschein  kommt, 
scheint   es  ein  Band   von   der  Art   des   heutigen   Bandcingulum   darzustellen. 

Auffällig  ist,  daß  die  Meßerklärung  auch  den  Diakonen  ein  Cingulum 
zuzuschreiben  scheint i.  Indessen  ist  es  wohl  richtiger ,  wenn  man  die  frag- 
liche Stelle  auf  das  priesterliche  (bischöfliche)  Cingulum  bezieht.  Ein  Diakon 
mit  gegürteter  Tunika  dürfte  dem  griechischen  Ritus,  um  den  es  sich  in  der 
„mystischen  Betrachtung"  handelt,  denn  doch  etwas  gar  zu  fremdartig  sein. 
Wo  immer  griechische  Diakone  abgebildet  sind,  wie  z.  B.  in  den  „Homilien  des 
hl.  Gregor  von  Nazianz"  der  Pariser  Nationalbibliothek  aus  dem  9.5,  dem 
„Menologium  des  Basilius"  der  Vaticana  aus  dem  beginnenden  ll.6  oder 
den  „Homilien  des  hl.  Gregor"  der  Pariser  Bibliothek  aus  dem  14.  Jahrhundert7, 
ist  das  Sticharion  stets  umgegürtet. 

Allerdings  sagt  einmal  Simeon  von  Saloniki  gelegentlich,  es  werde  der 
Diakon  gegürtet8;  wie  wir  das  aber  zu  verstehen  haben,  erklärt  er  uns  selbst. 
Gegürtet  wurden  die  Diakone  mit  ihrem  Orarium ,  ihrer  Stola  --  also  nicht 
einem  eigentlichen  Gürtel  — ,  und  zwar  bloß  bei  einer  bestimmten  Gelegenheit, 
nämlich   bei    der   Kommunion a.     Bei    den  Griechen  war  und    ist   es   nämlich 


1  Pal  lad.,  Hist.  Laus.  c.  38  (Mg.  34, 
1099). 

-  Hard.  I  473.  Die  Zählung  der  Kanones 
ist  nicht  in  allen  Ausgaben  die  gleiche.  In 
dem  von  O.  Braun  (De  sancta  Nicaena 
synodo  76)  übersetzten  Text  hat  er  die 
Nummer  22.  Die  Texte  des  Kanons  sind 
teilweise  recht  verschieden.  Die  Kanones 
werden  von  Braun  dem  5.  Jahrhundert  zu- 
gewiesen. Vgl.  auch  He  f.,  Concilien  I 
361  ff. 


3  Mg.  98,  393.  Vgl.  auchKrasnojeljcev, 
Addenda  ad  Anecdota  graeco-byzantina  (Odessa 
1898)  n.  13  und  Pseudo-Sophroniosn.7 
(Mg.  873,  3988). 

4  Mg.  98,  396. 

5  Ms.  grecs  510.         6  Vatic.  Cod.  gr.  1613. 

7  Ms.  grecs  543.  Der  Codex  wird  von 
Roh.  VII,  pl.  DXLIII  irrig  dem  11.  Jahr- 
hundert zugeschrieben. 

8  De  sacra  liturgia  c.  81   (Mg.  155,  260). 

9  De  sacris  ordinal  c.  173  (ebd.  381). 


Fünftes  Kapitel.     Das  Subcinctorium.  117 

Sitte,  daß  der  Diakon  in  der  Messe  vor  der  Kommunion  die  Stola  von  der 
Schulter  herunternimmt  und  nach  Weise  des  subdiakonalen  Gürtels  umlegt, 
zum  Ausdruck  der  Demut  und  Ehrfurcht,  wie  Simeon  sagt. 

Was  die  Verwendung  eines  Cingulum  seitens  der  Subdiakone  anlangt, 
so  trugen  diese  in  der  Frühe  unseres  Jahrtausends  jedenfalls  noch  kein  solches, 
wie  ein  von  Assemani  mitgeteilter  griechischer  Weiheordo  aus  dieser  Zeit 
beweist1.  Im  14.  Jahrhundert  war  es  dagegen  sowohl  zufolge  der  griechischen 
Weiheordines  des  späten  Mittelalters  wie  der  ausdrücklichen  Angabe  Simeons 
von  Saloniki2  bei  ihnen  zweifellos  im  Gebrauch.  Das  Cingulum  wird  also 
bei  den  griechischen  Subdiakonen  etwa  in  der  Zeit  zwischen  dem  11.  und 
14.  Jahrhundert  aufgekommen  sein.  Jedenfalls  ist  die  gegenwärtig  bei  den 
griechischen  und  koptischen  Subdiakonen  gebräuchliche  Anlegungsweise  des 
Cingulum  nicht  sehr  alten  Datums.  Man  wird  sich  vergebens  auf  den  zahl- 
reichen griechischen  Miniaturen  und  sonstigen  Bildwerken  bis  zum  Ende  des 
Mittelalters  nach  einem  Kleriker  umsehen,  der  so  gegürtet  erscheint,  wie  es 
jetzt  bei  den  Subdiakonen  im  griechischen  Ritus  Sitte  ist. 


FÜNFTES   KAPITEL. 

DAS  SUBCINCTORIUM. 

I.  DAS  SUBCINCTORIUM  NACH  GEGENWÄRTIGEM  BRAUCH. 

Ein  zweites  päpstliches  Sondergewand  ist  das  Subcinctorium,  wie  schon 
der  Name  besagt,  ein  Zubehör  des  Cingulum.  Dasselbe  stellt  wie  der  Manipel, 
dem  es  nach  Gestalt  und  Beschaffenheit  sehr  ähnlich  ist,  einen 
in  der  Mitte  zusammengefalteten  Stoffstreifen  dar,  der  in  der 
Farbe  mit  derjenigen  des  Meßgewandes  übereinstimmt.  Nahe 
am  oberen  Ende  sind  die  beiden  Hälften  durch  eine  Quernaht 
zusammengenäht.  Die  dadurch  gebildete  Masche  ist  so  breit, 
daß  das  Cingulum  bequem  hindurchgezogen  werden  kann  (Bild  54). 
Auf  dem  unteren  Ende  des  einen  Streifens  ist  in  Gold  ein  Lämm- 
chen, auf  dem  des  andern,  ebenfalls  in  Gold,  ein  Kreuz  auf- 
gestickt. Das  Subcinctorium  ist  nicht  am  Cingulum  angenäht, 
sondern  stellt  ein  davon  trennbares,  selbständiges  Gewandstück  dar. 

Der   Papst   bedient   sich    des   Subcinctorium    nur,   wenn   er 
feierlich  pontifiziert.    Man  legt  es  ihm  an,  indem  man  es  an  das  suj,cinct0riuni 
Cingulum  streift  und  ihn  dann  mit  letzterem  umgürtet.    Es  wird 
an  der  linken  Seite  getragen.   Das  Subcinctorium  hat  gegenwärtig  keinerlei  prak- 
tische Bedeutung  und  besitzt  demgemäß  bloß  den  Charakter  eines  Zierstückes. 

II.  DAS  SUBCINCTORIUM  IM  MITTELALTER.     SEIN  ALTER,  SEINE 
BESCHAFFENHEIT.     WEISE,  ES  ANZULEGEN. 

In  Rom  kann  das  Subcinctorium  bis  ins  9.  Jahrhundert  noch  nicht  in  Ge- 
brauch gewesen  sein,  da  weder  der  1.  Ordo  noch  der  3.  noch  endlich  der 
S.  G.  K.  es  unter  den  liturgischen  Gewändern  des  Papstes  erwähnt.  Aber 
auch  außerhalb  Roms  dürfte  es  damals  wohl  noch  nicht  zur  Verwendung 
gekommen   sein.     Denn   weder   Hraban,    noch   Amalar,  noch   Pseudo-Alkuin, 


1  Codex  liturg.  1.  8,  p.  4  141  f.  2  De  sacris  ordinat.  c.  163  (Mg.  155,  368). 


118 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


noch  Pseudo-Beda,  noch  endlich  Walafried  gedenken  des  Subcinctorium;  sie 
kennen  es  ersichtlich  nicht  als  Bestandteil  der  Pontifikaltracht.  Wenn  daher 
ein  Inventar  des  Klosters  vom  heiligen  Erlöser  zu  Stendland  (bei  St-Omer)  aus 
dem  Jahre  867  neben  cinctoria  3  auch  subcinctorium  auro  paratum  1  ver- 
zeichnet 1 ,  so  wird  es  sich  bei  diesem  wohl  nicht  um  ein  Subcinctorium  im 
späteren  Sinne,  sondern  um  einen  reichverzierten  Prachtgürtel  handeln.  Jeden- 
falls war  damals  das  Subcinctorium  noch  kein  allgemein  gebräuchliches,  ja 
nicht  einmal  ein  verbreitetes  Ornatstück. 

Seit  dem  12.  Jahrhundert  ist  wiederholt  bei  den  Liturgikern  von  dem 
Subcinctorium ,  das  auch  wohl  subcingulum  genannt  wird ,  als  einem  wie  zu 
Rom  so  auch  verschiedenenorts  außerhalb  Roms  gebräuchlichen  sakralen 
Ornatstücke  die  Rede. 

Schon  bei  Bruno  von  Segni  (f  1123)  geschieht  seiner  Erwähnung;  es  wird 
von  ihm  ausdrücklich  als  spezifisch  bischöflicher  Ornat  hingestellt.  Sicard,  welcher 
lieben  subcinctorium  auch  die  Ausdrücke  subcingulum  und  perizoma  als  Namen  des 
Gewandstückes  anführt,  rechnet  selbiges  zwar  nicht  mit  bestimmten  Worten  zur 
bischöflichen  Sakraltracht,  behandelt  es  aber  doch  als  einen  Bestandteil  derselben. 
Ausdrücklich  bezeichnen  dagegen  wieder  Innozenz  III. ,  Durandus  und  auch  der 
hl.  Thomas  -  das  Subcinctorium  als  ein  den  Bischöfen  zukommendes  Ornatstück.  Es 
muß  deshalb  auffallen ,  daß  Honorius  und  Robert  Paululus  J  es  auch  der  liturgischen 
Kleidung  der  gewöhnlichen  Priester  einreihen.  Indessen  dürften  sich  wirklich  hie  und 
da  auch  Priester  des  Subcinctorium  bedient  haben ,  so  z.  B.  zu  Mailand ,  wo  es  den 
Kardinalpriestern  der  Metropolitankirche  zugestanden  zu  haben  scheint 1.  Ein  päpst- 
liches Sondergewand  war  das  Subcinctorium  im  12.  und  13.  Jahrhundert  nicht.  Es 
entbehrte  dieses  Charakters  selbst  noch  im  Beginn  des  14.  Jahrhunderts,  da  der  Ordo 
des  Jakobus  Gaietanus  es  um  jene  Zeit  ausdrücklich  zu  den  liturgischen  Kleidern  der 
Kardinalbischöfe  zählt s. 

Welche  Verbreitung  das  Subcinctorium  im  Mittelalter  hatte,  läßt  sich 
nicht  bestimmen.  Mit  dem  Ausgang  desselben  scheint  es  bei  den  Bischöfen 
fast  allgemein  außer  Gebrauch  gewesen  zu  sein.  In  den  spätmittelalterlichen 
Pontifikalien  ist  kaum  mehr  von  ihm  die  Rede.  Wenn  es  in  einem  vereinzelten 
Falle  noch  erwähnt  wird,  mag  das  meist  darin  seinen  Grund  haben,  daß  das 
betreffende  Pontifikale  eine  gedankenlose  Kopie  einer  älteren  Vorlage  ist 6.  In 
Mailand  kam  es  noch  zur  Zeit  des  hl.  Karl  Borromäus  zur  Verwendung,-  wie 
aus  dessen  Verordnungen  über  die  liturgische  Kleidung  erhellt 7.  Das  römische 
Caeremoniale  der  Bischöfe  kennt  das  Subcinctorium  nicht  mehr. 


1  Folcwini  Gesta  abb.  S.  Bertini  Sith. 
n.  117  (M.  G.  SS.  XIII  634). 

2  In  Lombard.  1.  4,  dist.  24,  quaest.  3, 
art.  3;  ed.  Parm.  (1858)  VII  903. 

3  Auch  Johannes  Beleth  rechnet  in  seinem 
Rationale  c.  32  (M.  292,  43)  ein  subcingulum 
unter  die  pviesterlichen  Sakralkleider,  jedoch 
ist  es  unklar,  ob  dasselbe  mit  eben  dem 
subcingulum  eins  ist,  dem  unsere  Erörte- 
rungen gelten;  denn  er  beschreibt  es  als 
„etwas  an  der  Stola,  was  mit  dem  Cingulum 
verbunden  werde"  (est  quiddam  in  stola.  quod 
ligatur  cum  cingulo).  Vielleicht  ist  indessen 
zu  lesen :  est  quiddam  in  cingulo,  quod  ligatur 
cum  stola.  Ivo  von  Chartres  spricht  in  der 
Beschreibung  der  liturgischen  Priesteikleidung 


(Sermo  3  [M.  162,  525])  von  gewissen  nexus 
(Verknüpfungen),  durch  welche  die  Stola  mit 
dem  Gürtel  verbunden  werde.  Ob  er  dabei 
das  subcinctorium  im  Sinne  hat,  geht  aus 
seinen  Worten  nicht  hervor. 

1  Magist retti  43.  Vgl.  auch  Synode 
von  Coyaca  c.  3  (1050),  wo  das  Subcinctorium 
balteus  heißt  (Mansi,  Coli.  Conc.  XIX,  791). 

6  Ordo  14,  c.  48  53    (M.  78,  1153  1157). 

6  Der  Kopist  eines  Benediktinerpontiflkale 
von  Monte  Cassino  aus  dem  14.  Jahrhundert 
(Vat.  lat.  9310  fol.  4v)  hat  mit  dem  Worte 
semicinthium  (=  subcinctorium)  so  wenig 
mehr  anzufangen  gewußt,  daß  er  daraus  das 
Ungeheuer  cimicampamum  machte. 

■>  A.  E.  Med.  626. 


Fünftes  Kapitel.     Das  Subcinctorium.  H9 

Über  die  Beschaffenheit  und  die  Gestalt  des  mittelalterlichen  Subcinc- 
torium erfahren  wir  nicht  viel.  Jedenfalls  war  dasselbe,  wie  auch  heute 
noch,  ein  selbständiges  Gewandstück;  es  bestand  sonach  nicht  bloß,  wie  man 
wohl  geglaubt  hat 1,  in  den  vorn  herabhängenden  Enden  des  Cingulum. 

Bei  Bruno ,  Sicard  und  Durandus  könnte  die  Sache  allerdings  einigermaßen 
zweifelhaft  sein,  Honorius  und  Robert  Paululus  beschreiben  das  Subcinctorium  jedoch 
klar  als  einen  vom  Cingulum  verschiedenen  und  trennbaren  Ornatteil.  Während 
nämlich  jene  nur  bemerken :  a  cinctorio  (zona)  duplex  pendet  subcinctorium 
(subeingulum) ,  sagen  diese :  subcingulum  (subcinctorium)  duplicatum  (d  u  p  1  e  x) 
suspenditur.  Als  ein  vom  gewöhnlichen  liturgischen  Gürtel  unterschiedenes  und 
für  sich  bestehendes  Gewandstück  erscheint  das  Subcinctorium  auch  in  den  Acta  der 
Bischöfe  von  Le  Mans  (subcinctoria  tria ,  unum  pretiosis  margaritis  ornatum)  und 
unter  dem  Namen  succincta  bei  Johannes  von  Bayon  (ca  1326)  in  den  Annalen  von 
Moyen-Moutier  (cingula  serica  12,  succinctae  de  serico  2,  tertiaque  de  auro)  -. 

Da  Honorius  und  Robert  Paululus  sagen,  es  werde  das  Subcinctorium 
gedoppelt,  d.  i.  in  der  Mitte  zusammengeschlagen  am  Cingulum  aufgehängt, 
so  muß  dasselbe  wohl  schon  im  12.  Jahrhundert  ein  manipelförmiges  Ornat- 
stück gewesen  sein.  In  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  war  es 
sicher  ein  solches;  denn  es  heißt  im  Pontitikale  des  Wilhelm  Durandus: 
cingulum  cum  subcinctorio ,  quod  habet  similitudinem  manipuli 3.  Auch 
der  14.  Ordo i  und  ein  Pontitikale  von  Eine5  bezeichnen  das  Subcinctorium 
als  ein  dem  Manipel  ähnliches  Ornatstück.  Bezeichnend  für  die  formelle  Ver- 
wandtschaft zwischen  Manipel  und  Subcinctorium  ist  auch,  daß  im  Inventar 
Bonifaz'  VIII.  vom  Jahre  1295  die  letzteren  zum  Teil  den  Manipeln  zugesellt 
sind.  In  einem  Falle  scheint  es  sogar  dem  Verfasser  des  Verzeichnisses 
schwer  geworden  zu  sein,  zu  bestimmen,  ob  es  sich  um  einen  Manipel  oder  ein 
Subcinctorium  handle;  denn  er  bemerkt:  subcinctorium  vel  manuale 
(andere  Bezeichnung  für  den  Manipel)  rubeum  et  indicum  cum  nodis  et  mani- 
pulis  (Quasten)  auri  filati. 

Auf  die  Ausstattung  des  Subcinctorium  scheint  viel  Wert  gelegt  worden 
zu  sein.  Das  Inventar  Bonifaz'  VIII.  verzeichnet  beispielsweise  außer  dem 
schon  angeführten  auch  ein  subcinctorium  rubeum  ad  8  imagines,  ein  Inventar 
von  Prüfening  (bei  Regensburg)  aus  dem  Jahre  1165  succingula  3  de  auro 
et  argento,  ein  unter  Bischof  Arnulf  von  Speier  um  1151  abgefaßtes  Ver- 
zeichnis der  Schätze  des  Speierer  Domes  neben  cingula  3  auro  texto  parata 
et  1  sine  auro  baltei  (—  subcinctorium)  2  auro  texti. 

Über  die  Stelle  des  Gürtels,  wo  im  12.  und  13.  Jahrhundert  das  Sub- 
cingulum befestigt  wurde,  erfahren  wir  Näheres  von  Honorius  6  und  Durandus. 
Nach  jenem  wäre  es  mitten  vor  dem  Körper  angebracht  worden;  Durandus 
sagt  dagegen  in  seinem  Pontifikale 7,  es  befinde  sich  an  der  rechten,  und  in 
seinem   Rationale,    es    hange    an    der   linken   Seite    herab.     In   Rom    wurde, 


1  Marr.  153,  note  313:  When  the  zona  Auf  bildlichen  Darstellungen  haben  wir  bis- 
and  the  succinctorium  ave  distinguished,  her  nie  das  Subcinctorium  angetroffen,  aller- 
it  seems  that  by  the  latter  term  we  must  dings  begreiflich ,  weil  es  durch  die  Ober- 
understand  the  long  ends  of  the  girdle,  which  gewänder  verdeckt  wurde. 

hang  down  from  the  waist  nearly  to  the  feet.  4  C.  48  (M.  78,  1153). 

Vgl.  auch  Realenc.  II  193.  5  Bei  D.  C.  VII  625. 

2  Mabillon,  Analecta  vet.  III  (Paris.  c  L.  1,  c.  206  (M.  78,  606):  Subcingulum, 
1682)  390 ,  und  D.  C.  sub  subcinctorium  quod  subcinctorium  dicitur ,  circa  pudenda 
VII  625.  duplex  suspenditur. 

5  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  23;  I  221.  '  Mart.  a.  a.  0. 


120 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


wie  aus  der  ausdrücklichen  Vorschrift  sowohl  des  14.  als  auch  des  15.  Ordo 
hervorgeht,  das  Subcinctorium  im  Verlauf  des  14.  Jahrhunderts  von  dem 
Papst  wie  den  Kardinalbischöfen  an  der  linken  Seite  getragen.  Dependere 
debet  (subcinctorium)  a  cingulo  in  sinistra  parte,  sagt  der  14.  Ordo1;  der  15. 
aber  mahnt  den  Kardinaldiakon,  welcher  den  Papst  zur  Messe  ankleidet,  er 
möge  darauf  achten ,  daß  das  Ornatstück  ad  latus  sinistrum  hange 2.  Wie 
im  14.,  so  verhielt  es  sich  beim  Papst  auch  im  17. 3  und  18. 4  Jahrhundert 
und  so  ist  es  auch  jetzt  noch  Sitte. 

Daß  es  zur  Zeit  des  hl.  Karl  Borromäus  in  der  mailändischen  Kirche, 
wo  das  Subcinctorium  damals  noch  zur  Verwendung  kam.  Brauch  war,  das- 
selbe links  am  Gürtel  zu  befestigen,  beweist  die  diesbezügliche  Verordnung 
des  Heiligen:  Cingulum  episcopale  a  sinistro  latere  duplex,  ut  vocant,  suc- 
cinctorium  seu  succingulum,  quo  scilicet  stola  cum  cingulo  connectitur,  habere 
debet  pro  ratione  mysterii5. 


III.  BALTEUS,  PRAECINCTORIUM  UND  SEMICINCTIUM. 

Neben  den  gewöhnlichen  Namen  subcinctorium  und  subcingulum  führte 
das  Ornatstück  auch  noch  einige  andere.  Es  erscheint  nämlich  auch  unter 
den  Bezeichnungen  balteus,  praecinctorium  und  semicinctium. 

Balteus  wird  in  der  Vulgata  der  Gürtel  der  jüdischen  Priester  genannt 6, 
doch  heißt  auch  das  Laiencingulum  darin  balteus.  Bei  den  Klassikern  bedeutet 
das  Wort  bald  allgemein  Einfassung,  Rand,  bald  im  besondern  den  Himmels- 
gürtel, den  Polstergurt  an  den  Säulenkapitälen,  den  Bauchgurt  der  Pferde,  den 
Gurt  zum  Tragen  des  Schwertes,  das  Degengehenk,  die  Koppel 7. 

Isidor  von  Sevilla  beschreibt  den  balteus  als  cingulum  militare, 
dictus,  quod  ex  eo  signa  dependent  ad  demonstrandam  legionis  militaris  sum- 
mam  .  .  .  unde  et  balteus  dicitur  non  tantum  quod  cingitur,  sed  etiam  a  quo 
arma  dependent 8.  Zur  Karolingerzeit  bezeichnete  das  Wort  die  Schwert- 
koppel3, bei  Petrus  von  Pisa  heißt  der  mit  sieben  Schlüsseln  geschmückte 
Gürtel,  welcher  dem  Papst  bei  der  Krönung  angelegt  wurde,  balteus  10. 

Das  gewöhnliche  liturgische  Cingulum  wird  selten  balteus  genannt. 
Von  den  Liturgikern  gibt  ihm  nur  Hraban  diesen  Namen,  und  zwar  zweifels- 
ohne im  Anschluß  an  die  Vulgata.  Wenn  Honorius,  Sicard  und  Durandus 
vom  balteus  reden,  so  meinen  sie  den  sakralen  Gürtel  der  alttestam entlichen 
Priester. 


1  C.  48  (M.  78,  1153). 

2  C.  8  (ebd.  1277). 

3  Bonal.  1,  c.  24,  §15;  II  268.  Macri, 
Notizia  dei  vocaboli  ecclesiast.  sub  voce  Cin- 
gulum; Mor.  LXX   307. 

4  Chiapponi,  Acta  canonizat.  227.  Zac- 
caria,  Onomasticon  rituale  sub  voce  Prae- 
cinctorium; Mor.  1.  c. 

5  A.  E.  Med.  626. 

6  Ex  28,  4  40;  29,  5  8  40 ;  39,  5.  Lv 
8,7.  Dt  23,  13.  1  Kg  18,  4.  2  Kg  18,  11. 
3  Kg  2,    5.     4  Kg  3,  21.     Jb  12,  18. 

7  Porcell.,  sub  balteus,  I  309. 

8  Etymolog.  1.  19,  c.  33  (M.  82,  702).  Der 
erste  Teil  der  Erklärung  beruht  auf  Varro: 
balteum  quod  cingulum  habebant  bullatum, 
balteum  dictum. 


9  Caroli  M.  ep.  ad  Offam  regem  Merciae 
(M.  G.  Ep.  IV,  146) :  iinum  balteum  et  unum 
gladium  hunniscum.  Thegani,  Vita  Hludov. 
Imp.  c.  19  (M.  G.  SS.  II  595) :  balteo  aureo 
praecinctus  et  ense  auro  fulgenti,  und  Vita 
altera  n.  28  (M.  G.  SS.  II  622)  :  Ipsius 
(Ludovici)  tempore  coeperunt  deponi  ab  epi- 
scopis  et  clericis  cmgula  balteis  aureus  et 
gemmeis  cultris  onerata  exquisitaeque  vestes, 
sed  et  calcaria  talos  onerantia  relinqui,  wo 
baltei,  cingula  und  cultei  offenbar  zwar  als 
zusammengehörig,  aber  zugleich  als  vonein- 
ander verschieden  erscheinen. 

10  Vita  Paschal.  II  (Du eh.,  L.  P.  II  296). 
Statt  balteus  wird  auch  oft  baltheus  ge- 
schrieben. Der  Einheit  halber  wählen  wir 
stets  die  Schreibweise  balteus. 


Fünftes  Kapitel.     Das  Subcinctorium. 


121 


Als  Name  des  Subcinctorium  begegnet  uns  das  Wort  balteus  schon  um 
das  ausgehende  10.  Jahrhundert  in  dem  ursprünglich  für  St-Vast  zu  Arras  be- 
stimmten Sakramental'  Ratolds  von  Corbie  1.  Cingulum  und  Balteus  werden 
in  demselben  scharf  voneinander  unterschieden.  Erst  hilft  der  Minister  dem 
Bischof  die  Albe  anziehen,  dann  umgürtet  er  ihn  mit  dem  Cingulum,  und  nun 
legt  er  ihm  den  Balteus  an.  Wir  erhalten  freilich  keine  Beschreibung  des 
letzteren,  indessen  kann  denn  doch  unter  ihm  nicht  wohl  ein  zweiter  voll- 
ständiger Gürtel,  sondern  nur  das  Ornatstück  verstanden  werden,  welches 
sonst  Subcinctorium  genannt  zu  werden  pflegte. 

Etwas  später  finden  wir  balteus  im  Sinn  von  subcinctorium  in  einem 
Pontifikale  von  Besancon,  in  zwei  Pontifikalien  des  Klosters  Le  Bec  (alle  drei 
frühes  12.  Jahrb..)  und  in  einem  Pontifikale  von  Cambrai  (Ende  des  12.  oder 
Anfang  des  13.  Jahrh.) 2.  Hier  überall  ein  pontifikales  Ornatstück,  erscheint 
balteus  in  gleicher  Bedeutung  als  Bestandteil  der  priesterlichen  Kleidung  in  c.  3 
der  Synode  von  Coyaca  von  1050.  Auch  in  Inventuren  treffen  wir  das  Wort  balteus 
in  der  Bedeutung  eines  vom  Gürtel  verschiedenen,  aber  zum  Gürtel  gehörenden 
Ornatstückes  an,  so  in  einem  noch  dem  10.  Jahrhundert  angehörenden  Inventar 
von  Pfäffers  (Schweiz):  baltei  11,  cinguli  insuper  13 3,  in  dem  1051  unter 
Bischof  Arnulf  abgefaßten  Speierer  Schatzverzeichnis:  baltei  2  auro  texti, 
cingula  3  auro  texto  parata  et  1  sine  auro ,  und  in  einem  um  1200  ent- 
standenen Inventar  der  Kathedrale  von  Rouen :  balteum  pretiosum  cum  zonis 
duabus  sericis,  una  alba,  altera  rubea.  Anderswo  ist  nicht  ersichtlich,  ob 
unter  balteus  das  Cingulum  oder  das  Subcinctorium  zu  verstehen  ist,  so  z.  B. 
wenn  in  einem  Verzeichnis  der  Paramente  und  Geräte,  welche  Bischof  Reginard 
von  Lüttich  der  Klosterkirche  zum  hl.  Laurentius  am  Tage  ihrer  Einweihung 
schenkte,  auch  eine  stola  cum  balteo  deaurata  genannt  wird.  Dagegen  ist 
das  Subcinctorium  zweifelsohne  gemeint,  wenn  in  einer  Bulle  Johannes'  XV. 
(986 — 997)  dem  Abt  von  Braunau  die  Erlaubnis  erteilt  wird,  sich  bestimmter 
bischöflicher  Paramente,  darunter  auch  des  Balteus,  zu  bedienen4,  und  Gilbert 
von  Limerick  zu  den  pontifikalen  Sakralgewändern  auch  einen  Balteus  rechnet 5, 
ebensowohl,  wenn  Johannes  von  Salisbury  Papst  Alexander  III.  (1159  bis 
1181)  an  den  anulus  proprius  und  balteus  erinnert,  mit  denen  derselbe  ihn  zu 
Ferentino  ausgezeichnet  hatte6. 

Es  verdient  Beachtung,  daß  beinahe  alle  Stellen,  in  denen  das  Sub- 
cinctorium balteus  genannt  wird,  französischen,  normannischen  und  deutschen 
Ursprungs  sind.  Es  scheint  sonach  dieser  Name  fast  nur  im  Norden  in  Gebrauch 
gewesen  zu  sein  oder  doch  aus  dem  Norden  zu  stammen.     Er  dürfte   seinen 


1  Biblioth.  nat.  f.  lat.  12052.  Mart.  1.  1. 
c.  4,  art.  12,  ordo  11;  1  203.  Über  die  ur- 
sprüngliche Bestimmung  vgl.  D  e  1  i  s  1  e ,  Me- 
moire sur  d'anciens  sacramentaires  (Paris 
1886)   188. 

2  Mart.  c.  1  8,  art.  11,  ordo  10  12;  II  57 
66;  ebd.  1.  1,  c.  4,  art.  1;  I  128. 

3  M.  G.  Confr.  S.  Galli  397.  Das  insuper 
bezieht  sich  auf  Cingula ,  von  denen  vorher 
bei  Aufführung  der  Alben  mit  ihren  zu- 
gehörigen Humeralien  und  Cingula  die  Rede 
war.  Auch  iu  einem  Inventar  aus  dem  Beginn 
des  14.  Jahrhunderts  werden  15  baltei  genannt. 
Cingula  werden  in  demselben  nicht  erwähnt; 


wie  es  scheint,  sind  selbige  gerade  wie  die 
Humeralien  nicht  eigens  verzeichnet  worden, 
weil  man  sie  als  selbstverständliches  Zubehör 
der  Alben  betrachtete. 

4  M.  137,  S47.  Die  Bulle  ist  zweifelsohne 
interpoliert,  so  daß  es  unsicher  ist,  ob  balteus 
der  ursprünglichen  Fassung  angehört.  Das 
Wort  Mitra   ist   sicher  später  eingeschoben. 

5  De  statu  eccl.  (M.  159,  1002) :  Utitur  etiam 
episcopus  pro  dignitatis  honore  baculo  et 
auulo,  chirothecis  et  mitra,  balteo,  dalmatica 
et  sandaliis. 

6  Ep.  42  (M.  199,  26).  Der  Brief  wurde 
ca  1160  geschrieben. 


122  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Grund  in  einer,  wenngleich  nur  entfernten  Formähnlichkeit  des  Subcinctorium 
mit  der  Schwertkoppel  haben. 

Praecinctorium  heißt  das  Ornatstück  in  der  Missa  Illyrica  ',  einem  für 
Sigebert  von  Minden  um  1030  geschriebenen  Mefiordo.  Auch  hier  wird 
zwischen  dem  Cingulum  und  einem  Praecinctorium  unterschieden.  Die  Anlegung 
der  Gewänder  beginnt  mit  dem  Amikt;  dann  folgen  der  Reihe  nach  Albe, 
Cingulum,  Praecinctorium,  Stola,  Subtile  (Tunicella)  usw.  Das  Praecinctorium 
ist  hier  offenbar  ein  vom  Cingulum  verschiedener ,  aber  seinem  Namen  nach 
zum  Cingulum  gehörender  Ornat,  also  zweifelsohne  das  Subcinctorium. 

Eine  mit  praecinctorium  verwandte  Bezeichnung  ist  der  Ausdruck  prae- 
cingulum,  der  sich  in  einem  Inventar  von  Enger  aus  dem  11.  Jahrhundert 
findet:  6  praecingula  auroornata,  doch  scheinen  hier  lediglich  reich  geschmückte 
Cingula  gemeint  zu  sein. 

Im  südlichen  Italien  erscheint  das  Subcinctorium  im  11.  und  12.  Jahr- 
hundert unter  dem  Namen  semicinctium  (semicinthium).  Denn  wenn  Leo  von 
Ostia  in  der  Chronik  des  Klosters  Monte  Cassino  berichtet,  es  habe  Abt 
Desiderius  9  stolas  auro  textas  cum  manipulis  et  semicinthiis  suis  gekauft 2, 
und  wenn  Anaklet  IL,  der  Gegenpapst  Innozenz'  IL  (1130 — 1143),  dem  Abt 
Franco  vom  Sophienkloster  zu  Benevent  und  dessen  Nachfolgern  das  Recht 
verleiht,  wie  die  Bischöfe  Mitra,  Handschuhe,  Dalmatik  und  Semicinctium  zu 
tragen  °,  so  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein ,  daß  hier  wie  dort  unter  dem 
Semicinctium  das  Subcinctorium  zu  verstehen  ist. 

Das  Wort  semicinctium  (gräzisiert  airl|i.ixiv&tov  und  davon  wieder  lateinisch  auch 
semicinthium,  semicintium)  erscheint  in  verschiedener  Bedeutung.  BeiMartial  (14, 
153)  ist  es  ein  Lendenschurz.  Isidor  von  Sevilla  bemerkt:  Cinctus  lata  zona,  minus 
lata  semicinctium,  minima  cingulum4.  Was  die  semicinctia  Apg  19,  12  (virtutes  non 
quaslibet  faciebat  Deus  per  manus  Pauli,  ita  ut  etiam  super  languidos  deferrentur  a 
corpore  eius  sudaria  et  semicinctia  et  recedebant  ab  eis  languores)  bedeuten,  ist  nicht 
klar.  Papst  Gregor  IL  erklärte  sie  nach  dem  ehrwürdigen  Beda  als  eine  Art 
von  Schweißtuch5.  Theophylakt  sagt,  a7]u,iy.£vfhoc  seien  Sudarien,  welche  Leute 
von  konsularischem  Rang  in  den  Händen  trügen  6.  Als  Leibschurz  erscheint  das 
Semicinctium  beim  hl.  Bernhard  De  moribus  episc.  c.  2  7,  in  der  Vita  B.  Hugonis 
de  Lacerta  8,  bei  Heribert  De  mirac.  Cisterc.  monach. 9  und  sonst  mehrfach.  Johannes 
Balbis  (f  1298)  schreibt:  Semicinctium  dicitur  eo,  quod  dimidium  cingat.  In  glossa  Actor.  19 
dicuntur  semicinctia  vestes  ex  uno  latere  dependentes  vel  zonae  sive  vestes  noc- 
turnales  vel  genus  sudarii,  quo  hebraei  utuntur  in  capite  10. 

Bei  Leo  von  Ostia  und  in  der  Bulle  Anaklets  kann  es  sich  offenbar  nicht  um 
ein  Lendentuch  handeln.  Ebensowenig  stellen  die  fraglichen  Semicinctien  den  gewöhn- 
lichen liturgischen  Gürtel  dar,  weil  derselbe  niemals  den  Charakter  eines  privilegierten 
Gewandstückes  hatte.  Daß  sie  aber  auch  keinen  griechischen  Sakralornat  bedeuten, 
wie  man  vielleicht  wegen  der  gräzisierenden  Richtung  in  Süditalien  vermuten  könnte, 
etwa  das  Epigonation ,  damals  noch  Enchirion  der  Bischöfe,  ergibt  sich  daraus,  daß 
sie  in  beiden  Fällen  als  Bestandteil  der  abendländischen  Pontifikalkleidung  erscheinen 


1  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  4;  I  177.  l  Etymolog.  1.  19,  c.  33  (M.  82,  702). 
Wegen  des  Alters  und  Ursprungs  der  Missa  6  Liber  retract.  in  Actus  apost.  c.  19  (M. 
Illyrica     vgl.     Stimmen     aus     Maria-Laach  92,  1027). 

LXVI1I  143  ff.  '  Mg.  125,  764. 

2  L.  3,  c.  18  (M.  G.  SS.  VII  711);  vgl.  in  7  M.  182,  816. 

der   Fortsetzung   der  Chronik   durch   Petrus  8  Mart. ,    SS.  Vet.  VI    1145. 

Diaconus  1.  3,  c.  74  (ebd.  753) :  semicintia  7.  9  L.  1,  c.  6  (M.  185,  457). 

3  J.  L.  n.  8428.  10  D.  C.  (sub  semicinctium)  VII  407. 


Fünftes  Kapitel.     Das  Subcinctorium.  123 

und  insbesondere  in  der  Bulle  Anaklets  II.  auf  einer  Linie  mit  der  Mitra,  den  Hand- 
schuhen und  der  Dalmatik  stehen. 

Es  bleibt  daher  nur  übrig ,  in  ihnen  das  Subcinctorium  zu  sehen ,  welches  als 
bischöfliches  Ornatstück  gemäß  den  Ausführungen  Brunos  von  Segni  in  der  Tat 
wenigstens  im  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  in  Italien  bekannt  gewesen  sein  muß 
Es  liegt  aber  um  so  näher,  Semicinctium  und  Subcinctorium  als  ein  und  denselben 
Ornatteil  zu  betrachten ,  als  einerseits  Leo  von  Ostia  seine  semicinctia  als  eine  Art 
von  Zubehör  zur  Stola  hinstellt  (stolae  9  cum  .  .  .  semicinctiis  suis),  und  anderseits 
das  Subcinctorium  tatsächlich ,  wie  wir  sehen  werden ,  ursprünglich  keinen  andern 
Zweck  hatte,  als  die  vorn  herabhangenden  Stolastreifen  zu  befestigen.  Einen  Beweis 
für  die  Identität  beider  bildet  auch  das  cimicampamum,  welches  in  einem  dem  14.  Jahr- 
hundert entstammenden  Pontifikale  von  Monte  Cassino  unter  den  bischöflichen  Ge- 
wändern erwähnt  wird.  Denn  dieses  Ungeheuer  von  Wort,  das  wohl  aus  semicincthium 
verderbt  ist,  kann  nach  dem  Kontext   nur    das  Subcinctorium  sein  '. 

Balteus,  Praecinctorium  und  Semicinctium  erscheinen  überall,  wo  sie  uns 
begegnen,  als  ein  an  sich  den  Bischöfen  eigentümliches,  aber  auch  andern  als 
Auszeichnung  verliehenes  Ornatstück. 

IV.  ZWECK,  URSPRUNG  UND  BEDEUTUNG  DES  SUBCINCTORIUM. 

Über  die  Bedeutung  und  den  Zweck  des  Subcinctorium  sind  sonderbare 
Ansichten  aufgestellt  worden.  Man  hat  es  für  das  Gremiale  der  Bischöfe, 
d.  i.  für  jene  Decke  gehalten,  welche  dem  Bischof  auf  den  Schoß  gelegt  wird, 
wenn  er  z.  B.  bei  dem  Pontifikalamt  auf  seinem  Thron  sitzt  oder  wenn  er 
bei  den  Weihen  die  Salbungen  vornimmt;  man  hat,  gestützt  auf  den  Um- 
stand, daß  Honorius  das  Ornatstück  mystisch  als  Sinnbild  des  Studium  elee- 
mosynae,  des  Eifers  im  Almosengeben,  deutet,  geglaubt,  selbiges  habe  ehe- 
dem dazu  gedient,  den  saccone,  die  Geldbörse  des  Papstes,  zu  tragen,  gerade 
als  ob  dieser  in  der  heiligen  Messe  die  Geldtasche  an  der  Seite  gehabt  habe. 
Ja  man  hat  sogar  in  ihm  ein  Abbild  der  femoralia,  d.  i.  des  unter  allen 
andern  Kleidern  auf  bloßem  Leibe  getragenen  Schurzes  sehen  wollen,  den 
Gott  durch  Moses  den  jüdischen  Priestern  anzulegen  befohlen  hatte 2.  Einer 
näheren  Erörterung  und  Widerlegung  bedürfen  diese  Meinungen,  deren  Un- 
haltbarkeit  auf  der  Hand  liegt,  um  so  weniger,  weil  der  hl.  Thomas  und 
Durandus  klar  und  bestimmt  den  Zweck  angeben,  den  das  mittelalterliche 
Subcinctorium  hatte.  Per  succinctorium ,  quo  stola  ligatur  cum  alba,  amor 
honestatis  significatur,  sagt  der  hl.  Thomas  im  Kommentar  zum  Lombardus 3 ; 
Durandus  aber  bemerkt:  Est  subcingulum  illud,  quod  dependet  a  cingulo, 
quo  stola  pontificis  cum  ipso  cingulo  colligatur i.  Es  bestand  also  noch  im 
13.  Jahrhundert  unser  Gewandstück  in  einer  am  Gürtel  aufgehängten  Vor- 
richtung, welche  dazu  diente,  die  vorn  haltlos  herabfallenden  Stolenstreifen 
zu  befestigen  und  auch  wohl  aufzuschürzen.  Man  muß  nämlich  vor  Augen 
halten,  daß  die  mittelalterliche  Stola  ein  Band  war,  das  nicht  selten  die  bedeu- 
tende Gesamtlänge  von  3  m  und  selbst  mehr  hatte 5.    Angesichts  dieses  Zweckes, 


1  Vat    lat.  9340  f.  4T:  Dum  supradicta  di-  2  Das    Nähere     bei    M  o  r.    LXX     307    f. 

euntur   calciatus  debet   dictus   praelatus  ab-  Moroni  hält  das  Subcinctorium  für  den  Gürtel, 

luere    (sc.  manus)    sedendo  super  cathedram  an  welchem  der  Papst  die  Geldtasche  behufs 

suam  ;  deinde  servitores  debent  ipsum  induere  Almosenspenden  getragen  hätte, 

sicuti  nioris    et    de  amito    (sie)  ,    de  alba  et  3  S.  oben  S.   118. 

stola.     Et  desuper  stola  zona  cum  eimicam-  *  Rationale  1.  3,  c.  1,  n.  3;  f.  64. 

pamis  etc.    Eine  spätere  Hand  hat  in  Schwarz  5  Wegen  der  grofsen  Länge  der  Stola  im  11. 

über  das  Wort  (unguium  geschrieben.  bis  13.  Jahrh.  vgl.  das  Kapitel  über  die  Stola. 


124  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

welchem  ehedem  das  Gewandstück  diente,  begreift  man  auch  leicht  seinen 
Namen.  War  es  nämlich  dazu  da ,  die  Stola  an-  und  je  nachdem  auch  auf- 
zuschürzen  (subcingere),  so  lag  es  nahe,  dasselbe  subcinctorium,  subcingulum 
zu  nennen.  Da  es  ferner,  wenn  es  zur  Befestigung  der  Stola  gebraucht 
wurde,  nicht  einen  den  ganzen  Leib  umgebenden  Gürtel,  sondern  nur  ein 
gurtartig  vor  der  Vorderseite  desselben  sich  hinziehendes  Band  darstellte, 
wurde  es  mit  Recht  als  semicinctium  (Halbgurt)  und  praecinctorium  (Vor- 
gurt) bezeichnet. 

Das  Subcinctorium  des  Papstes  ist  jetzt  nur  mehr  ein  Zierstreifen ,  der 
seine  praktische  Bedeutung  völlig  eingebüßt  hat.  In  Rom  wird  er  das  schon 
im  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  gewesen  sein.  Denn  der  14.  Ordo  merkt 
an,  es  sollten  die  Ministri,  welche  dem  Kardinalbischof  beim  Ankleiden  zu 
helfen  hatten,  die  beiden  Stolastreifen  mit  dem  Cingulum  (cingulo)  aufschürzen, 
damit  sie  nicht  hinabgleiten  könnten  1.  Es  wurde  also  nach  römischem  Brauch 
bereits  zur  Zeit  des  Jakobus  Gaietanus  die  Stola  nicht  mehr  mit  dem  Sub- 
cinctorium, welches  der  Pontifex  trug  —  et  subsequenter  subcingat  eum  cingulo 
cum  subcinctorio  — ,  sondern  mit  dem  Cingulum  selbst  befestigt.  In  Mailand 
diente  das  Subcinctorium  noch  in  den  Tagen  des  hl.  Karl  Borromäus  seinem 
ursprünglichen  Zweck,  wie  das  aus  der  früher  angeführten  Verordnung  des 
Heiligen  hervorgeht:  succinctorium  seu  succingulum,  quo  scilicet  stola  cum 
cingulo  connectitur.  Das  römische  Caeremoniale  der  Bischöfe,  welches  das 
Subcinctorium  nicht  mehr  kennt,  gibt  als  zweckmäßig  an,  die  bischöfliche 
Stola  behufs  ihrer  Befestigung  vorn  und  rückwärts  mit  Bändchen  zu  versehen2. 

In  Bezug  auf  die  Frage,  wo  das  Subcinctorium  zuerst  in  Gebrauch 
genommen  worden  sei,  lassen  sich  nur  Vermutungen  anstellen.  Man  hat  das 
Subcinctorium  mit  dem  Epigonation  der  griechischen  Kirche  in  Verbindung 
gebracht  und  geglaubt,  eine  Verwandtschaft  zwischen  diesem  zur  liturgischen 
Ausstattung  der  Bischöfe  und  auch  wohl  sonstiger  höheren  Geistlichen 
gehörenden  Ornat  und  unserem  Gewandstück  annehmen  zu  sollen  3.  Allein 
eine  solche  Beziehung  zwischen  Subcinctorium  und  Epigonation  ist  nicht  nur 
nicht  nachweisbar,  es  hat  eine  solche  nie  gegeben.  Subcinctorium  und  Epi- 
gonation sind  zwei  ganz  verschiedene  Dinge. 

Das  griechische  Ornatstück  wurde  stets  an  der  rechten  Seite  getragen, 
das  Subcingulum  dagegen  fast  allzeit  links.  Dann  erscheint  ersteres  schon 
auf  Miniaturen  des  14.  Jahrhunderts  als  taschenartiger,  rautenförmiger  Ornat, 
welcher  an  Bändern  vom  Gürtel  herabhängt ,  während  letzteres  immer  ein 
streifenartiges,  dem  Manipel  ähnliches  und  unmittelbar  am  Cingulum  befestigtes 
Gewandstück  bildete.  Drittens  endlich  war  das  Epigonation  ursprünglich,  und 
zwar  noch  wenigstens  bis  ins  12.  Jahrhundert,  ein  Enchirion  (Schweißtuch), 
während  das  Subcinctorium  zur  Befestigung  der  Stola  diente,  mit  einem  Schweiß- 
tuch also  niemals  etwas  zu  tun  hatte. 

Wie  es  scheint,  haben  wir  die  Heimat  des  Subcinctorium  im  Norden  zu 
suchen,  wahrscheinlich  im  Frankenland,  wo  uns  dasselbe  am  frühesten  begegnet. 
Im  Norden  erhielt  es  auch,  soweit  die  Quellen  ein  Urteil  gestatten,  die  größte 
Verbreitung.  Von  dort  dürfte  es  dann  etwa  um  die  Wende  des  Jahrtausends 
auch  nach  Rom  seinen  Weg  genommen  haben,  um  allda  ein  Bestandteil  der 
römischen  Pontifikalgewandung  zu  werden. 


1  C.  53  (M.  78,  1157).  3  Hef.,    Beitr.   II    180.     Realenc.  II    193. 

2  L.  2,    c.  8,  n.  14.  Bona  1.  1,  c.  24,  §  15;  11268.  Mor.  LXX  309. 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceum.  125 

SECHSTES  KAPITEL. 

ROCHETT  UND  SUPERPELLICEUM. 

I.  VORBEMERKUNG. 

In  den  Generalrubriken  des  römischen  Missale,  welche  den  Ritus  der 
Meßfeier  behandeln,  findet  sich  die  Bestimmung,  es  solle  derjenige,  welcher 
das  heilige  Opfer  darbringen  wolle,  die  liturgischen  Gewänder,  falls  er  welt- 
licher Prälat  sei,  über  ein  Rochett,  falls  er  aber  ein  dem  Ordensstand  an- 
gehörender Prälat  oder  ein  Weltpriester  sei,  über  ein  Superpelliceum  anlegen, 
wofern  ein  solches  leicht  zu  haben  sei  K  Zwischen  Rochett  und  Superpelli- 
ceum besteht  ein  dreifacher  Unterschied.  Der  erste  betrifft  ihre  Form;  das 
Rochett  ist  mit  engen,  das  Superpelliceum  mit  weiten  Ärmeln  (bzw.  mit  großen 
Stoffstücken,  welche  deren  Stelle  vertreten)  ausgestattet.  Der  zweite  liegt  in 
der  Verschiedenheit  der  Personen ,  welche  sich  der  beiden  Gewandstücke 
bedienen.  Das  Superpelliceum  kommt  nämlich  allen  Klerikern  ohne  Unter- 
schied der  Rangordnung  und  der  Weihestufe  zu ,  das  Rochett  bildet  hin- 
gegen ein  Kleid,  das  außer  den  Bischöfen  und  Prälaten  nur  solchen  Geist- 
lichen zusteht,  denen  kraft  eines  Privilegs  der  usus  rochetti  verliehen 
wurde.  Der  dritte  Unterschied  bezieht  sich  auf  den  Charakter  der  beiden 
Gewänder.  Das  Superpelliceum  ist  liturgisches  Ornatstück  im  engeren 
Sinne,  während  das  Rochett  wenigstens  nach  römischer  Auffassung  nur  einen 
Bestandteil  der  außerliturgischen  klerikalen  Tracht  darstellt  und  nur  im 
weiteren  Sinne,  d.  i.  als  Chorgewand,  der  liturgischen  Kleidung  zugezählt 
werden  kann. 

„Der  Gebrauch  des  Rochetts",  so  heißt  es  diesbezüglich  in  einer  Vor- 
bemerkung des  römischen  Missale,  „ist  allen  verboten,  denen  es  nicht  von 
Rechts  wegen  zusteht" ;  außerdem  ist  es,  wie  andurch  bestimmt  wird,  niemand 
gestattet,  bei  der  Feier  der  Messe  oder  beim  Chorgebet  im  Rochett  oder  in 
einer  Cotta,  die  nach  Art  des  Rochetts  enge  Ärmel  hat,  zu  dienen  oder  zu 
assistieren.  Dasselbe  ist  bei  den  Predigten  zu  beobachten  2.  Der  Unterschied 
zwischen  Rochett  und  Superpelliceum,  der  in  dieser  Bestimmung  des  Missale 
zum  Ausdruck  kommt,  wird  auch  in  einer  Reihe  von  älteren  und  jüngeren 
Antworten  der  Ritenkongregation  betont.  So  entschied  diese  unter  dem 
10.  Januar  1852,  das  Rochett  sei  bei  der  Spendung  der  Sakramente  nicht  als 
vestis  sacra  zu  verwenden,  und  demgemäß  habe  man  sich  sowohl  bei  der 
Verwaltung  der  Sakramente  als  auch  beim  Empfang  der  Tonsur  und  der 
niederen  Weihen  des  Superpelliceum  zu  bedienen 3.  Selbst  diejenigen,  welche 
von  Rechts  wegen  oder  kraft  eines  Privilegs  den  Gebrauch  des  Rochetts  haben, 
dürfen  nur  im  Superpelliceum  die  Sakramente  ausspenden.  Kanoniker,  welche 
sich  des  Vorrechtes  erfreuen,  Rochett  und  Cappa  oder  Mozzetta  zu  gebrauchen, 
müssen  daher  bei  Erteilung  der  Sakramente  ein  Superpelliceum  über  das 
Rochett  anlegen ,  andere  haben  sich  bei  diesen  Funktionen  bloß  mit  dem 
Superpelliceum  zu  bekleiden  4.    Allerdings  wird  in  der  Praxis  der  Unterschied 


1  Ritus  eelebrandi  tit.  1 ,  n.  2.    Da  es  hier  -  Decret.    Congreg.    Rit.    ex   mandat.   TJr- 

wie  im  Pontifikale  superpelliceum  heißt,  wird  bau.  VIII.  in  Praef.  ad  Missale  Rom. 

auch    im    folgenden    diese    Schreibweise    an-  3  Decret.  auth.  2993. 

gewandt   und    superpellicium  nur   in  Zitaten  4  C.    R.    31.  Mai    1817,    17.    Sept.    1822, 

gebraucht.  16.  April  1831   (c.  2578,  2622,  2680). 


126 


Erste:-  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


zwischen  beiden  Gewändern  nicht  allenthalben  eingehalten  *.  Solche  Gepflogen- 
heiten sind  jedoch  auch  da,  wo  sie  auf  altem  Herkommen  beruhen,  nur  als 
Ausnahme  von  der  Regel  anzusehen.  Sie  heben  die  tatsächliche  Verschieden- 
heit der  beiden  Gewänder  nicht  auf.  Immerhin  erheischen  sie  es,  daß  wir 
uns  hier  nicht  bloß  mit  dem  Superpelliceum,  sondern  auch  mit  dem  Rochett 
näher  befassen. 


II.  ROCHETT  ALS  NAME  EINES  GEISTLICHEN  GEWANDES. 

Rochett,  rochettum  ist  die  Diminutivform  des  mittellateinischen  roccus, 
das  schon  in  karolingischen  Kapitularien  2  und  in  dem  831  aufgestellten  Inventar 
von  St-Riquier  vorkommt.  Roccus  selbst  hängt  mit  dem  althochdeutschen 
roch ,  rocch ,  rogh ,  roc  sowie  dem  angelsächsischen  rocc  und  unserem  Rock 
zusammen  3. 

Das  Wort  rochettum  scheint  als  Name  des  jetzt  allgemein  mit  demselben 
bezeichneten  Gewandes  vor  dem  LI  Jahrhundert  kaum  in  Gebrauch  gewesen 
zu  sein.  In  Deutschland  kommt  es  in  diesem  Sinne  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  vor,  wie  der  10.  Kanon  der  im  Jahre  1238 
gehaltenen  Trierer  Synode  beweist:  „Das  oberste  Kleid  der  Priester  soll  bis 
auf  die  Füße  reichen  und  geschlossen  sein;  wenn  sie  aber  zum  Gottesdienste 
gehen,  sollen  sie  eine  Camisia,  d.  i.  ein  Rochett,  anziehen"  (camisia  i.  e. 
rochetto  induantur) 4.  Daß  hier  unter  Rochett  nicht  das  weitärmelige  Super- 
pelliceum zu  verstehen  ist,  ergibt  sich  daraus,  daß  es  der  Camisia  gleich- 
gestellt wird.  Camisia  bezeichnete  nämlich  im  Mittelalter  stets  eine  Albe 
oder  albenähnliche,  d.  i.  engärmelige  Linnentunika.  Außerdem  folgt  das 
aus  dem  11.  Kanon  derselben  Synode,  in  welchem  zwischen  Camisia  und 
Superpelliceum   klar  unterschieden  wird. 

Etwa  ein  halbes  Jahrhundert  später  sprechen  auch  die  Lüttich  er 
Synodalstatuten  des  Jahres  1287  von  dem  Rochett:  „Die  Priester  sollen 
unter  den  Alben  entweder  Superpelliceen  oder  Linnentuniken,  die  den  Namen 
saroht  oder  röchet  (sie)  führen,  tragen."  5  Denn  auch  in  diesem  Falle  bedeutet 
röchet  eine  engärmelige  Linnentunika,  d.  i.  ein  Gewand  von  der  Art  des  jetzigen 
Rochetts.  Daß  dieses  röchet  nämlich  Ärmel  hatte,  folgt  aus  den  Worten  der 
Statuten:  „Man  soll  unter  den  Achseln  keine  Öffnungen  in  die  linnene 
Tunika  .  .  .  machen,  um  die  Arme  ohne  die  Ärmel  der  Linnentunika  .  .  .  beim 
Altardienst  herauszustrecken."  °    Daß  es  aber  kein  weitärmeliges  Gewand  war, 


1  Auf  eine  in  einem  besondern  Fall  gestellte 
Anfrage,  ob  die  Sitte,  wonach  der  ganze 
Klerus  einer  Diözese  sich  auf  Grund  alter 
Gewohnheit  des  Rochetts  bediene,  beibehalten 
werden  könne ,  antwortete  die  Rituskongre- 
gation unter  dem  27.  Februar  1847 :  Non 
esse  inquietandos  (Decret.  auth.  n.  2935). 

2  Capit.  Lud.  I,  De  monach.  n.  22  (Hartzh. 
II  4). 

3  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  VIII 
1093.  Sonderbare  Ableitungen  finden  sich 
bei  Gavanti  in  der  Erklärung  der  Rubriken 
des  römischen  Missale  (G  a  v.  P.  2,  tit.  1, 
ii.  2;  I  168).  Seinen  Ausführungen  zufolge 
soll  rochettum  entweder  von  (it'r/.oi  (=  corymbi, 


die  Fruchtbüschel  des  Efeu)  herkommen, 
weil  der  Saum  desselben  mit  ähnlich  ge- 
stalteten linnenen  Zieraten  geschmückt 
worden  sei,  oder  von  [im  —  ynmv  (weichere, 
zartere  Linnentunika)  oder  gar  vom  hebrä- 
ischen rah  (sehen)  und  chetam  (Linnen)  her- 
zuleiten sein.  Im  letzten  Falle  würde  Rochett 
linea  vestis  speciosa,  linum  speetabile  (glän- 
zendes Linnengewand)  bedeuten.  Es  braucht 
kaum  bemerkt  zu  werden,  daß  diese  Etymo- 
logien   nichts    als   gelehrte  Spielereien  sind. 

4  Hartzh.  III  559. 

'-  C.  5,  n.  1  (ebd.  690). 

«  C.  5,  n.  14  (ebd.).  Vgl.  Syn.  von  Cambrai 
c.  Celebrans  (ebd.  IV,  71). 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  SuperpeUiceum. 


127 


erhellt  aus  dem  Umstand ,  daß  es  als  ein  vom  Superpelliceum  verschiedenes 
Gewand  erscheint 1. 

Früh  begegnen  uns  auch  in  England  rochettae.  Dort  werden  solche 
schon  1222  im  Inventar  der  Kathedrale  von  Salisbury  als  zu  den  Altären  des 
hl.  Paulus  und  Allerheiligen  gehörig  und  noch  etwas  vorher  1220  in  den  In- 
ventaren  der  Pfarrkirchen  von  Ruscomb  und  Hill  Deverell  erwähnt.  1240  be- 
stimmt eine  unter  Walter  von  Cantilupe  zu  Worcester  abgehaltene  Synode,  es 
sollten  in  jeder  Pfarrkirche  zwei  Superpelliceen  und  zwei  rochettae  sich  be- 
finden2, eine  Synode  von  Exeter  aber  verordnete  1287  sogar,  es  sollten  zu  jedem 
Altar  zwei  Superpelliceen  und  ein  Rochett  gehören3.  1245  ist  in  dem  Schatz- 
verzeichnis von  St  Paul  in  London  von  Rochetten  die  Rede ;  eines  wird  darin 
als  vom  hl.  Edmund,  Erzbischof  von  Canterbury,  herrührend  bezeichnet.  Um 
1300  rechnet  Robert  von  Winchelsea,  ebenfalls  Erzbischof  von  Canterbury,  in 
der  Konstitution,  in  welcher  er  festsetzt,  was  die  Parochianen  für  die  Pfarr- 
kirche zu  leisten  hätten ,  unter  die  von  diesen  beizubringenden  Gegenstände 
neben  drei  Superpelliceen  auch  ein  Rochett 4.  Es  ist  allerdings  fraglich ,  ob 
unter  den  genannten  englischen  Rochetten  allemal  gerade  unser  Rochett  zu  ver- 
stehen sei.  Vielleicht,  daß  die  erwähnten  Rochette  zum  Teil  ärmellos  statt 
engärmelig  waren.  Denn  der  dem  15.  Jahrhundert  angehörige  Kanonist  Lynd- 
woode  (f  1446)  bemerkt  in  einer  Glosse  zur  Konstitution  Winchelseas :  „Das 
Rochett  entbehrt  der  Ärmel  und  unterscheidet  sich  dadurch  vom  Superpelli- 
ceum, welches  mit  lang  herabfallenden  Ärmeln  ausgestattet  ist;  es  ist  zum 
Gebrauch  für  den  Kleriker,  welcher  dem  Priester  dient,  und  auch  wohl  für 
den  Priester,  welcher  die  Taufe  spendet,  bestimmt,  damit  seine  Arme  nicht 
durch  die  Ärmel  behindert  werden."  5  Indessen  kannte  man  in  England  jeden- 
falls bereits  früh  im  13.  Jahrhundert  ein  Gewand  unter  dem  Namen  rochetta. 

In  Deutschland  und  im  nördlichen  Frankreich  hieß  das  Rochett 
wohl  auch  saroht,  sarcos,  sarcotium ,  sarrotus,  so  in  den  schon  erwähnten 
Lütticher  Synodalstatuten,  in  den  Statuten  der  Synoden  von  Passau  (1284) " 
und  Cambrai  (1300) 7,  in  den  Statuten  Stephans  von  Firomonte,  Abtes  von 
St-Eloi,  und  noch  1419  in  einem  Inventar  der  Kathedrale  von  Noyon,  welches 
5  sarroti  modici  valoris  zu  verzeichnen  hat 8. 

In  Rom  scheint  das  Gewand,  welches  in  den  Statuten  der  Trierer  und 
Lütticher  Synode  Rochett  genannt  wird,  bis  gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
unter  diesem  Namen  noch  nicht  bekannt  gewesen  zu  sein.  In  dem  auf 
Befehl  Gregors  X.  (1271 — 1276)  herausgegebenen  Ordo,  dem  13.  Mabillons, 
findet  sich  das  Wort  rochettum  noch  nirgends.  In  dem  14.  Ordo  kommt  es 
zwar  zweimal  vor,  allein  die  eine  der  beiden  Stellen9  ist  wörtlich  dem  um 
die  Wende  des    14.  Jahrhunderts  entstandenen  15.  Ordo   des  Bischofs  Petrus 


1  C.  b  n.  1  u.  13.  Vgl.  auch  Conc.  Budense 
vom  Jahre  1279  c.  2  (Hard.  VII  792):  Prae- 
lati  deferant  . .  camisias  albas  sive  rosetas, 
quas  semper  sub  cappis  deferant. 

2  C.  1  (Hard.  VII  331). 

3  C.  12  (ebd.  1088). 
'  "C.  4  (ebd.  1212). 

5  Chambers  29  f;  D.  C.  (sub  v.  roccus) 
VII  202. 

6  C.  2  (Hartzh.  III  673):  Sacerdotes 
portantes  .  .  .  hostiam,  chrisma  et  oleum 
superpellicio  et  sarcocio  sint  induti. 


7  C.  de  euch.  (ebd.  IV  70) :  tunica  linea, 
quae  Gallice  dicitur  Sarcos. 

8  D.  C.  (sub  sarcotium  und  sarrotus)  VII 
311  313.  Die  Etymologie  des  Wortes  ist 
nicht  sicher :  es  hängt  wohl  mit  dem  alt- 
deutschen saro  =  Rüstung  zusammen.  Vgl. 
Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  (unter 
sarrock)  VIII  1802  und  E.  Littre,  Diction- 
naire  de  la  langue  francaise  sub  sarrau 
(IV  1828). 

9  C.  78  (M.  78,  1196);  vgl.  ordo  15,  c.  20 
(ebd.   1282). 


128 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


von  Sinigaglia  entnommen,  die  andere  1  ist,  wie  aus  einem  Vergleich  mit  der 
Parallelstelle  des  13.  Ordo  hervorgeht,  ersichtlich  verderbt  und  in  ihrer  jetzigen 
Form  der  ursprünglichen  Fassung  des  14.  Ordo  unzweifelhaft  fremd.  Der 
erste  Ordo,  in  dem  das  Wort  rochettum  als  Name  eines  mit  dem  jetzigen 
Rochett  identischen  Gewandes  vorkommt,  ist  der  15.   Ordo  Mabillons2. 

Das  Kleidungsstück,  welches  uns  im  15.  Ordo  unter  dem  Namen  rochettum 
begegnet,  heißt  im  13.  und  14.  Ordo  camisia  oder  alba  romana.  gleich- 
viel, von  wem  die  Rede  ist3.  Im  15.  Ordo  wird  mit  diesen  Ausdrücken  nur 
noch  die  Linnentunika  bezeichnet,  welche  der  Papst  unter  der  Cappa  bzw. 
unter  der  Meßalbe  über  den  Alltagskleidern  trug. 

Ein  anderer  Name  des  Gewandes  war  succa  (sucta,  subta).  Er 
begegnet  uns  schon  in  einer  Bulle  Nikolaus'  III.  (1277  — 1280) 4  und  einer 
Verordnung  der  Synode  von  Valladolid  (Spanien)  aus  dem  Jahre  1322 5. 
Erstere  bestimmt,  die  Kanoniker  von  St  Peter  sollten  nie  in  der  Kirche  er- 
scheinen, ohne  zum  wenigsten  die  succa  zu  tragen,  letztere,  es  sollten  die 
Bischöfe  und  Prälaten  in  der  Öffentlichkeit  mit  succae  (suctae)  bekleidet  sein. 
Im  15.  Ordo  findet  sich  statt  succa  subta :  cum  subtis  seu  rochettis  6.  Sajetta 
heifät  das  Gewand  neben  rochetum  (sie)  in  den  Konstitutionen  der  Lateranen- 
siseben  Basilika  7. 

Seit  dem  15.  Jahrhundert  verschwinden  allmählich  in  Rom  die  Namen 
camisia,  alba  romana  und  succa  (subta).  Schon  der  Kompilator  des  14.  Ordo 
scheint  succa  nicht  mehr  verstanden  zu  haben,  da  er  aus  demselben  scuta 
gemacht  hat 8.  Das  römische  Missale,  das  römische  Pontifikale  und  das  Caere- 
moniale  episcoporum  nennen  unser  Gewand  nur  mehr  rochettum.  Dieselbe 
Bezeichnung  eignet  ihm  ausschließlich  jeder  andern  auch  in  den  Statuten  des 
hl.  Karl  Borromäus  De  vita  et  honestate  episcoporum  et  clericorum 9.  In 
Spanien  war  schon  nach  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  roquetum  als  Be- 
nennung desselben  das  gewöhnliche.  Episcopi  veste  linea  superiore,  vul- 
gariter  roquetum  nuneupata,  in  publico  semper  utantur10.  Es  ist  inter- 
essant, wahrzunehmen,  wie  auch  bei  dem  uns  hier  beschäftigenden  Kleidungs- 
stück ein  im  Norden  ursprünglich  heimischer  Terminus  in  Rom  Aufnahme 
fand,  dort  den  bis  dahin  gebräuchlichen  verdrängte  und  allmählich  im  ganzen 
Abendland  herrschend  wurde. 


1  C.  10  (M.  78,  1126) :  Prior  diaconorimi  .  .  . 
ponit  ei  (papae  electo),  si  non  habet,  albain, 
rochetum,  camisiam  et  ornamentum  ad  niodum 
presbyteri  super  humeros.  Ordo  13 ,  n.  2 
(ebd.  1105):  ponit  ei  .  .  .  albara  romanam,  ca- 
misiam (=  Albe)  et  orarium  (Stola)  ad  niodum 
presbyteri  super  humeros.  Wie  es  scheint, 
hat  der  Kompilator  mit  der  alba  romana  und 
dem  orarium  nichts  anzufangen  gewußt  und 
darum  romana  durch  das  völlig  überflüssige 
„rochettum"  und  orarium  durch  das  höchst 
sonderbare  ornamentum  ersetzt. 

2  C.  9  20  68  (ebd.  1277  1282  1310). 

3  Auch  außer  Rom  hieß  es  wohl  camisia; 
vgl.  c.  1  des  Konzils  von  Montpellier  1215 
(Hard.  VI  2,  2046)  und  c.  2  des  Konzils 
von  Buda  1279  (ebd.  VII  792).  Die  Kölner 
Synode  des  Jahres  1260  nennt  es  c.  7  u.  8 
vestis    camisialis    (Hartzh.    III    590   591). 


Vgl.  zu  c.  8  das  c.  17  der  Kölner  Synode 
von  c.  1300  (ebd.  IV  42):  camisia  linea.  Die 
Provinzialsynode  von  Aschaffenburg  von  1292 
verordnet  in  c.  2 ,  es  solle  der  Priester  bei 
Versehgängen  ein  Superpelliceum ,  die  cam- 
panarii  eine   camisia  alba  tragen  (ebd.  IV  7). 

4  Bzovius,  Annales  ad  an.  1280:  XIII  912. 

5  C.  6  (Hard.  VII  1466). 

6  C.  70  (M.  78, 1312).       7  C.  1  (M.  78, 1396). 

8  C.  92  103  (ebd.  1212  1233).  C.  92  ist 
von  einer  scuta  die  Rede,  welche  die  capellani 
unter  der  cotta  trugen.  Nach  c.48(ebd.  1153) 
hatten  dieselben  unter  dem  Superpelliceum 
oder  der  Cotta  eine  camisia  linea  (d.  i.  das 
Rochett)  super  communes  vestes.  Scuta  und 
Rochett  sind  also  eins. 

9  A.  E.  Med.  16  132  168   281   und  sonst. 
10  Synode  von  Aranda  (1473)  c.  5  (Hard. 

IX  1505). 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceum. 


129 


III.  CHARAKTER  DES  GEWANDES  ZU  ROM  UND  AUSSERHALB  ROMS. 

Der  Charakter,  den  das  Rochett  gegenwärtig  nach  römischer  Anschauung 
besitzt,  ist  ihm  nicht  erst  in  der  Neuzeit  zu  teil  geworden,  es  hatte  ihn  zu 
Rom  zum  wenigsten  bereits  im  15.,  14.,  ja  13.  Jahrhundert.  Schon  damals 
zählte  es  nicht  zu  der  eigentlichen  liturgischen  Kleidung.  Bei  Ausübung- 
liturgischer  Funktionen  mußte  man  stets  je  nachdem  die  Albe  oder  das  Super- 
pelliceum tragen.  Das  Rochett  galt  nur  als  auszeichnender  Bestandteil  der 
klerikalen  Tracht  höher  gestellter  Geistlichen,  vor  allem  des  Papstes,  dann 
der  Kardinäle  und  Bischöfe,  gewisser  Kanoniker,  wie  der  von  St  Peter,  der 
päpstlichen  Kapläne  u.  a.  Bezüglich  der  Bischöfe  hatte  schon  das  4.  Lateran- 
konzil 1215  bestimmt:  Pontifices  in  publico  et  in  ecclesia  superindumentis 
lineis  utantur,  nisi  monachi  fuerint 1.  Gemeint  aber  war  mit  dem  linnenen 
Überkleid,  welches  diese  sowohl  im  öffentlichen  Verkehr  wie  in  der  Kirche 
tragen  sollten,  die  camisia,  wie  aus  den  Provinzialsynoden  des  13.  Jahr- 
hunderts erhellt,  d.  i.  das  Rochett. 

Der  Papst  trug  nach  dem  römischen  Brauch,  wie  er  im  14.  und  15.  Jahrhundert 
bestand,  das  Gewand  stets2,  alle  andern  bedienten  sich  seiner  wenigstens  bei  feier- 
lichen Gelegenheiten  und  kirchlichen  Punktionen  3.  (Camisiam  lineam)  semper  debet 
habere  super  laneas  vestes,  quando  ad  celebrandum  vadit,  etiamsi  religiosus  sit,  heißt 
es  im  14.  Ordo  vom  Bischof,  der  sich  zur  Pontifikalmesse  ankleidet4.  Es  mußten 
also  selbst  die  dem  Ordensstande  angehörigen  Bischöfe,  welche  sich  für  gewöhnlich 
der  Camisia  nicht  zu  bedienen  pflegten,  bei  der  heiligen  Messe  eine  solche  unter  der 
Albe  haben.  Das  Rochett  wurde  bei  den  Bischöfen  nach  und  nach  eine  Art  von 
Insignie  und  ein  Abzeichen  der  Jurisdiktion,  welches  darum  nach  dem  Caeremoniale 
episcoporum  der  Papst  selbst  dem  Neuerwählten  anlegt,  falls  derselbe  gerade  zu  Rom 
sich  authält b. 

Wie  zu  Rom,  so  verhielt  es  sich  im  13.,  14.  und  15.  Jahrhundert  im  allgemeinen 
auch  außerhalb  Roms.  Auch  hier  wurden  meistens  nur  die  Albe  und  das  Super- 
pelliceum als  eigentliche  liturgische  Gewänder  angesehen ,  während  die  Camisia  bloß 
als  klerikales  Kleid  galt.  Demgemäß  drängten  denn  auch  die  Synoden  und  Diözesan- 
statuten  vielfach  darauf,  daß  man  bei  der  Feier  der  Messe  unter  der  Albe  eine  Camisia 
habe6.  Eine  Mainzer  Synode  vom  Jahre  1233  will  sogar,  daß  der  Priester  bei  der 
Spendung  der  Taufe ,  des  Viatikum  und  der  heiligen  Ölung  mit  der  camisia  alba 
unter  dem  Superpelliceum  bekleidet  sei '.  Ebenso  betonen  die  Synodalverordnungen 
im  Anschluß  an  die  Bestimmung    des  4.  Laterankonzils  wiederholt,  daß  die  Bischöfe 


■  C.  16  (ebd.  VII  34). 

2  Urban.  V.  De  curia  31  (Mor.  LVII  74) : 
Rochetto  lineo  semper  Pontifex  Maximus 
velatus  incedit.  Auch  ordo  13 ,  n.  3  und 
ordo  14,  c.  10  (M.  78, 1106  1127)  erscheint  die 
camisia  als  Teil  der  päpstlichen  Alltags- 
kleidung. 

3  Ordo  14,  c.  46  78  92  103;  ordo  15,  c.  9 
20  68  (M.  78,  1145  1196  1212  1233  1277  1282 
1310)  u.  a. 

4  C.  53  (ebd.  1156). 

5  L.  1,  c.  1,  n.  2.  Vgl.  schon  Will,  de 
C  h  a  m  h  r  e  ,  Continuatio  hist.  Dunelmensis 
(Durham  in  England),  Surtees  Society  1839, 
127:  Bis  adiit  (Richard  von  Bury)  sunimum 
pontificem  Ioannem  (XXII.)  et  recepit  ab  eo 
rochetam  in  loco  bullae  pro  proximo  episcopatu 
vacante  ex  post  in  Anglia. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


6  Stat.  syn.  Leod.  c.  5,  n.  1  (Hartz h. 
III  690)  ;  Syn.  Camerac.  a.  1300 ,  c.  De 
euchar.  (ebd.  IV  70);  Conc.  Col.  a.  1260, 
c.  7  (ebd.  III  591).  Sacerdotes  ipsi  quotiescun- 
que  celebraturi  sunt,  veste  camisiali  sub  alba 
non  careant,  nealbam,  quaeconsecrata 
est  vestis,  ipsorum  tunicae  valeant  im- 
mediate  contingere  nee  ipsae  tunicae  ap- 
pareant,  Pontif.  Guiliemi  Durandi  apud  Mart. 
1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  23;  I  221.  Vgl. 
ebeudort  den  Auszug  aus  dem  Missale  von 
Fecamp  (c.  1300),  ordo  26  (ebd.  228),  wo  es 
in  der  Vorbereitung  auf  die  heilige  Messe 
heißt:  Sacerdos  induat  se  roqueto,  dicens : 
Actiones  nostras,  quaesumus  Domine  etc.  Also 
selbst  beim  Rochett  ein  Ankleidegebet. 

7  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Ober- 
rheins III,  Karlsruhe  1852,  136. 

9 


130 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


und  Prälaten  im  öffentlichen  Leben  über  den  gewöhnlichen  Kleidern  stets  die  Camisia 
tragen  sollten  '.  Immerhin  gab  es  auch  Diözesen,  in  welchen  man  von  dem  römischen 
Brauch  abwich ,  indem  man  zwischen  Eochett  und  Superpelliceum  nicht  unterschied 
und  gleichmäßig  das  eine  wie  das  andere  bei  liturgischen  Akten  verwendete  -.  Außer- 
dem stand  außerhalb  Borns  das  Eochett  nicht  bloß  im  Dienste  der  Prälaten,  sondern 
auch  der  Priester  und  der  Kleriker  überhaupt,  selbst  der  Küster  s. 

IV.  ERSTE  SPUREN  DES  GEWANDES. 

Unzweifelhaft  hat  das  4.  Laterankonzil  durch  die  vorhin  angeführte 
Bestimmung  auf  die  Verbreitung  des  Rochetts  einen  großen  Einfluß  ausgeübt, 
wie  aus  den  Provinzialsynoden  des  13.  Jahrhunderts  hervorgeht.  Irrig  wäre 
es  jedoch,  wollte  man  den  Gebrauch  des  Gewandes  erst  von  jener  Verordnung 
ableiten.  Denn  daß  es  schon  vor  dem  4.  Laterankonzil  bekannt  war,  ist, 
so  wenig  Genaueres  wir  auch  über  seine  frühere  Geschichte  wissen,  durch- 
aus sicher. 

Zu  Rom  muß  sogar  bereits  im  9.  Jahrhundert  eine  Art  von  Rochett 
in  Gebrauch  gewesen  sein.  Denn  der  St  Gallener  Kleiderkatalog  belehrt  uns, 
daß  der  Papst  und  die  römischen  Diakone  unter  den  liturgischen  Kleidern 
eine  Camisia  trugen4.  Es  wird  diese  allerdings  als  gegürtet  bezeichnet,  allein 
solches  kann  nicht  auffallen,  da  selbst  noch  im  14.  Jahrhundert  die  alba 
romana  des  Papstes  mit  einem  Cingulum  aufgeschürzt  wurde.  Es  heißt  im 
13.  und  14.  Ordo  nämlich,  der  Papst  müsse  über  seinen  Tuchkleidern  eine 
alba  camisia  haben  et  erit  subcinctus  cingulo  de  serico  rubeo  super  camisiam 5. 
Derselbe  trug  also  noch  gegen  1300  einen  rotseidenen  Gürtel  über  seiner 
Linnentunika.  Wirklich  fand  man,  als  man  beim  Neubau  der  St  Peterskirche 
1605  das  Grab  Bonifaz'  VIII.  eröffnete,  um  den  Überresten  eine  andere  Ruhe- 
stätte anzuweisen ,  nach  Angabe  des  Protokolls  den  Papst  unter  den  litur- 
gischen Gewändern  mit  einer  gegürteten  Camisia  bekleidet 6.  Der  Gürtel 
bestand  aus  Leder,  war  aber  mit  roter  Seide  überzogen  und  mit  vier  Schnüren 
zum  Zweck  der  Befestigung  versehen.  Es  scheint  sogar,  daß  die  camisia, 
von  welcher  in  dem  Kleiderverzeichnis  die  Rede  ist,  bereits  den  Charakter 
eines  privilegierten  Gewandes  hatte.  Denn  es  ist  bemerkenswert,  daß  der 
Katalog  sie  außer  beim  Papst  nur  bei  den  Diakonen  erwähnt "',  die  im  9.  Jahr- 


1  Vgl.  die  Synoden  von  Montpellier  (1215) 
c.  1  (Hard.  VI  2  2046),  Valladolid  (1322) 
c.  6  (ebd.  VII  1466),  Buda  (1279)  c.  2  (ebd. 
VII  792). 

2  Lütticher  Synodalstatut  c.  5  ,  n.  13 
(Hartzh.  III  690). 

3  Vgl.  die  S.  128  A.  3  angeführten  Stellen, 
dann  die  Bestimmungen  der  Synoden  von  Trier 
(1238)  c.  10  11  (ebd.  II  1559),  Cambrai  (1300) 
c.  Celebrans  (ebd.  IV  71)  und  Passau  (1284) 
c.  2  (ebd.  III  673).  Nach  einer  Kölner  Synode 
(1300)  sollen  die  campanarii  in  der.  Kirche 
eine  camisia  linea  tragen  c.  17  (ebd.  IV  42). 
Die  genannte  Synode  von  Trier  bestimmt 
c.  16  (ebd.):  Campanarii  sine  camisia  in  su- 
periori  non  serviant  in  ecclesia  vel  alias  in 
divinis.  Als  Gewand  der  campanarii  er- 
scheint die  Camisia  auch  in  der  früher  (S.  128) 
mitgeteilten  Verordnung  der  Asehaffenburger 
Provinzialsynode. 


1  N.  1  u.  n.  3  (M.  78,  985).  Bezüglich  der 
Kleidung  des  Papstes  heißt  es :  In  primis 
cam.  et  cingitur  supra.  Dein  linea  .  .  . :  be- 
züglich derjenigen  der  Diakone :  In  primis 
cam.  et  supra  cingulum.  Postea  tonica  alba 
et  cingulum.  .  .  .  Linea  und  tonica  alba  be- 
deuten hier  die  Albe,  nicht  die  Tunicella  oder 
Dahnatik ,  von  welchen  gleich  darauf  die 
Rede  ist. 

5  Ordo  13,  n.  3,  ordo  14,  n.  10  (ebd.  1106 
1127). 

B  Bzovius,  Annal.  ad  an.  1303;  XIV  50. 

7  Nur  beim  Papst  und  bei  den  Diakonen 
ist  von  zwei  Untertuniken  die  Rede,  von 
denen  die  zweite  offenbar  die  liturgische  Albe 
darstellt.  Bei  den  andern,  den  Bischöfen, 
Priestern,  Subdiakonen,  ja  selbst  dem  Papst, 
wo  dessen  Alltagsmel.ikleidung  beschrieben 
wird,  verzeichnet  der  Katalog  nur  eine  Unter- 
tunika, die  liturgische  Albe. 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Supefpellieeum.  131 

hundert  in  Rom  bekanntlich  eine  ungleich  bedeutendere  Stellung  inne  hatten 
als  selbst  die  römischen  Hebdomadarbischöfe.  Für  das  11.  und  12.  Jahrhundert 
bezeugen  den  Gebrauch  des  Gewandes  seitens  des  Papstes  Leo  von  Ostia  und 
Gerhoh  von  Reichersberg1.  Die  camisia  oder  das  Rochett  ist  demnach  zu 
Rom  nicht  erst  eine  Schöpfung  des  späteren  Mittelalters,  höchstens  daß  das 
zweite  Jahrtausend  eine  Erweiterung  des  Kreises  der  zum  Tragen  der  camisia 
Berechtigten  brachte. 

Aber  auch  außerhalb  Roms  finden  sich  schon  lange  vor  dem  13.  Jahr- 
hundert Spuren  des  Gewandes.  Nach  Sicard  von  Cremona  trugen  die  Kleriker 
cappae,  tunicae  laneae,  stolae  und  auch  camisiae  2.  Da  die  stolae  in  der  Folge 
von  Sicard  mit  cottae  und  superpellicea  identifiziert  werden,  können  unter  den 
camisiae  keine  Superpelliceen  verstanden  werden.  Ein  liturgisches  Gewand 
sind  sie  auch  nicht;  nur  die  stolae  werden  als  Sakralkleid  bezeichnet.  Wir 
haben  in  ihnen  demnach  klerikale  Linnentuniken,  d.  i.  das  spätere  Rochett, 
zu  sehen.  Noch  früher  als  Sicard  reden  Gerhoh  von  Reichersberg  und  Honorius 
von  dem  Gewand.  Gerhoh  bezeichnet  es  als  das  eigentliche  klerikale  Kleid, 
das  ein  Bischof  aus  dem  Mönchsstande  dann  tragen  sollte,  quando  clericorum 
choro  interesse  in  aliquo  episcopali  ministerio  cogetur,  also  wenn  er  inmitten  des 
Klerus  in  irgend  einer  bischöflichen  Funktion  öffentlich  aufzutreten  habe 3. 
Honorius  führt  bezüglich  des  Gewandes  aus :  Die  Kleriker  bedienten  sich 
weißer  Gewänder  gleich  denen  der  Senatoren,  von  welchen  dieselben  in  den 
kirchlichen  Gebrauch  übergegangen  seien.  Die  Kleider  seien  weit  und  reichten 
bis  zu  den  Füßen;  oben  seien  sie  mit  einer  Bindvorrichtung  (ligula)  versehen, 
die  camisia  der  Priester  habe  sogar  zwei  ligulae.  Auf  den  Brauch,  bei  der 
Messe  unter  den  liturgischen  Kleidern  eine  camisia  zu  tragen,  scheint  seine 
Bemerkung:  Primo  namque  (d.  i.  bei  der  Vorbereitung  zur  Messe)  sacerdos 
quotidianas  vestes  exuit  et  mundas  induit,  hinzudeuten  i.  Diese  vestes  mundae 
sind  nämlich  nicht  die  liturgischen  Kleider.  Denn  es  heißt  im  Anschluß  an 
die  angeführten  Worte  weiter:  Deinde  pectit  crines  capitis  .  .  .  aqua  abluit 
manus,  deinde  a  sorde  eas  tergit,  hinc  humerale  sibi  imponit.  .  .  .  Sie  können 
darum  nur  die  camisia  bedeuten.  Klar  und  bestimmt  spricht  die  vierzehnte 
der  hundert  Reden,  welche  sich  im  Anhang  der  Schriften  Hugos  von  St  Victor 
vorfinden,  von  der  camisia,  welche  der  Priester  am  Altar  unter  der  Albe 
trug.  Dieser  soll,  wenn  er  sich  zur  Meßfeier  vorbereitet,  die  Alltagskleider 
ablegen,  die  Hände  waschen  und  dann  die  Candida  vestimenta  anziehen.  Als 
solche  werden  genannt  die  linea  inferior,  die  linea  exterior,  der  Amikt,  der 
Gürtel  usw.  Da  die  linea  exterior  ausdrücklich  als  Albe  bezeichnet  wird 
(linea  exterior  scilicet  alba),  so  liegt  auf  der  Hand,  daß  die  inferior  mit  der 
camisia,  d.  i.  dem  später  Rochett  genannten  Gewand,  eins  ist.  In  Irland  war  die 
camisia  schon  wenigstens  im  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  bekannt.  Denn 
nach  Bischof  Gilbert  von  Limerick  (f  ca  1140)  gehörten  zur  Alltagskleidung, 
welche  der  Priester  bei  der  Messe  unter  den  liturgischen  Gewändern  zu  tragen 
hatte,  zum  mindesten  Schuhe,  Beinkleider,  eine  innere  Tunika  und  die  camisia5. 

Sehr  früh  begegnet  uns  des  Gewand  in  England ,  wo  es  den  Namen 
oferslip  führte.     Der   46.  Kanon    der   unter  Edgar  (f  975)    erlassenen  kirch- 


1  Chron.  Cassin.  1.  3,  c.  66  (M.  G.  SS.  VII  Die  Schrift  ist  dem  Bischof  Kuno  von  Regens- 
749);  Gerhoh  Reich  ersb. ,  De  aedif.  Dei  bürg  gewidmet  und  entstand  um  1130. 

c.  28  (M.  194,  1268).  i  L.  1,  c.  199  (M.  172,  604). 

2  Mitralis  1.  2,  c.   1   (M.  213,  59).  »  M.  149,  1001  :  Quotidiana  ad  missam,  ca- 

3  De    aedificio    Dei    c.  28    (M.  194,   1269).  misia,  tnnica,  femoralia,  calceamentum. 


132  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

liehen  Vorschriften  verbietet  allen  Welt-  und  Konventualpriestern ,  ohne  den 
oferslip  in  die  Kirche  oder  das  Sakrarium  zu  kommen  oder  doch  ohne  den- 
selben am  Altar  zu  erscheinen ,  um  allda  ihren  Dienst  zu  verrichten  1.  Der 
oferslip  ist  hier  ersichtlich  nicht  die  liturgische  Albe,  sondern  die  camisia 
Gilberts,  d.  i.  die  Vorläuferin  des  Rochetts.  Im  Frankenreic h  war  die  camisia 
sogar  schon  im  9.  Jahrhundert  manchenorts  unter  dem  Namen  alba  im  Gebrauch. 
Es  beweisen  das  die  bei  Besprechung  der  Albe  erwähnten  Verordnungen 2 
aus  damaliger  Zeit,  in  welchen  den  Priestern  verboten  wird,  die  alba,  deren 
diese  sich  im  gewöhnlichen  Leben  zu  bedienen  pflegten ,  an  Stelle  und  als 
Ersatz  der  liturgischen  Albe  am  Altar  zu  verwenden.  Daß  aber  jene  klerikale 
Albe  der  Form  nach  das  gleiche  Gewand  wie  das  spätere  Rochett  darstellte 
und  daß  sie  insbesondere  enge  Ärmel  wie  dieses  hatte,  bekundet  nicht  nur 
der  Umstand,  daß  man  sie  anstatt  der  engärmeligen  liturgischen  Albe  zu 
gebrauchen  sich  unterfangen  hatte,  sondern  auch  ihr  Name.  Denn  unter  alba 
verstand  man  gerade  wie  unter  camisia  im  Mittelalter  stets  eine  eng- 
ärmelige  Tunika. 

Es  ist  also  die  camisia  in  der  Tat  auch  außerhalb  Roms  weit  vor  dem 
13.  Jahrhundert  nachweisbar,  nur  war  sie  hier  zu  keiner  Zeit  und  nirgends 
ein  eigentlich  privilegiertes  Gewand,  sondern  lediglich  allgemeine  klerikale 
Tunika.  Hatte  doch  das  Rochett  nach  außerrömischem  Brauch  selbst  im 
späten  Mittelalter  noch  keineswegs  überall  den  Charakter,  der  ihm  zu  Rom 
schon  lange  eigen  war. 

Die  Herkunft  des  Rochetts  liegt  nach  dem  Gesagten  auf  der  Hand. 
Es  stammt  zweifelsohne  von  der  alten  klerikalen  camisia  her  und  entstand, 
indem  diese  aus  dem  allgemeinen  Gebrauch  ausschied  und  zum  auszeichnenden 
Gewand  des  höheren  Klerus  wurde,  ohne  dabei  ihren  ursprünglichen  Charakter, 
wonach  sie  nur  außerliturgisches  Gewand  war,  zu  verlieren.  Dieser  Vorgang 
vollzog  sich  am  ersten  zu  Rom.  Außerhalb  Roms  folgte  man  erst  spät  dem 
römischen  Vorbild. 

V.  BESCHAFFENHEIT  DES  GEWANDES. 

In  der  Kathedrale  von  Arras  wird  ein  Rochett  aufbewahrt,  welches  der 
Überlieferung  zufolge  dem  hl.  Thomas  Becket  angehört  hat 3  (Bild  55). 
Da  es  nach  dem  Gesagten  nicht  bezweifelt  werden  kann,  daß  bereits  das 
12.  Jahrhundert  eine  Art  von  Rochett  gekannt  hat,  so  kann  deren  Zueignung 
an  den  großen  Bischof  von  Canterbury  von  dieser  Seite  aus  nicht  beanstandet 
werden.  Es  liegt  aber  auch  sonst  kein  Grund  vor,  die  Richtigkeit  der  Über- 
lieferung in  Frage  zu  ziehen.  Seiner  Form  nach  entspricht  das  Kleid  ganz 
der  Albe  des  12.  Jahrhunderts,  deren  Gestalt  aus  Beispielen  und  den  Be- 
schreibungen der  damaligen  Liturgiker  bekannt  ist 4.  Es  unterscheidet  sich  von 
ihr  nur  durch  den  Umstand,  daß  es  unten  statt  mit  bloß  zwei  mit  vier  zwickel- 
artigen Einsätzen  versehen  ist.  Daß  wir  in  ihm  nicht  die  gewöhnliche  Meß- 
albe  zu  sehen  haben,  ergibt  sich  aus  seiner  geringen  Länge  von  nur  1,25  m. 

Das  Rochett  kam  zwei  Jahre  nach  dem  Tode  des  Heiligen  in  das  Kloster 
Dommartin,  von  wo  es  1709  nach  Abbeville  in  das  dortige  Karmeliterkloster 


1  C.  46  (Wilkins,  D. ,  Concilia  Magnae  der   subueula   in   c.  33  (ebd.)    ist   wohl    der 

Britanniae  I,  London  1734,   85,  und  M.  138,  oferslip  zu  verstehen. 

502,  wo  aber  oferslip  nicht  ganz  genau  mit  2  S.  oben  S.  62. 

superpelliceum  wiedergegeben  ist).  Auch  unter  3  Revue  111  (1859)  145  ff.     4  S.  oben  S.  73ff. 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceum. 


133 


gebracht  wurde.  Seit  der  Revolution  befindet  es  sich  in  der  Kathedrale  zu 
Arras.  Weil  einzig  in  seiner  Art,  ist  das  Gewand  natürlich  von  größter 
Bedeutung.  Es  bietet  ein  verlässiges  Bild  eines  Rochetts  aus  dem  12.  Jahr- 
hundert. Die  Ärmel  sind  vorn  eng;  unter  den  Achseln  sind  Zwickel  an- 
gebracht. Das  Gewand  hat  in  der  Brust  eine  Weite  von  ca  1,40  m.  Von 
den  vier  Stoffstücken,  welche  dem  untern  Teil  eingefügt  sind,  befinden  sich  zwei 
seitlich  zwischen  den  beiden  Linnenbahnen,  aus  denen  das  Rochett  beiderseits 
zusammengesetzt  ist,  die  beiden  andern  dagegen  in  der  Mitte  dieser  Bahnen. 
Aus  feinem  Linnen  angefertigt,  entbehrt  das  Kleid  jedes  Ornaments. 

Die  camisia  blieb  bis  ins  14.  Jahrhundert  hinein  eine  Art  von  Talar- 
tunika.  Die  päpstliche  alba  romana  des  13.  und  14.  Ordo  mußte  sogar  eine 
solche  Länge  haben,  daß  sie,  aufgeschürzt,  einen  über  das  Cingulum  herab- 
fallenden Bausch  bildete.     Et  ipsa  camisia  erit  ita  longa,  quod  elevata  super 


Bild  55.     Rochett  des  hl.  Thomas  Becket. 

ipsum  cingulum  reflectatur 1.  Nach  dem  Kölner  Provinzialkonzil  von  1260 
sollte  die  vestis  camisialis,  welche  jeder  Celebrans  unter  der  Albe  zu  tragen 
hatte,  so  lang  sein,  daß  die  gewöhnlichen  Kleider  unter  ihr  nicht  zum  Vor- 
schein kämen2. 

Die  Verkürzung  des  Gewandes  scheint  zu  Rom,  wo  man  in  liturgischen 
Fragen  stets  sehr  konservativ  war,  erst  um  die  Zeit  angefangen  zu  haben, 
als  sich  dort  der  Name  rochettum  einbürgerte.  In  der  zweiten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  wallte  nicht  einmal  mehr  die  Camisia  des  Papstes  bis  zu 
den  Füßen  hinunter,  wie  z.  B.  aus  dem  Fresko  Mellozzos  da  Forli  „Die  Grün- 
dung der  vatikanischen  Bibliothek  durch  Sixtus  IV."  (Bild  56,  S.  134)  erhellt. 
Die  Camisia  reicht  hier  nur  mehr  bis  etwa  zur  Mitte  des  Schienbeines  herab. 


rOrclol3,n.3;ordol4,n.l0(M.78,11061127).  siali    sub    alba   non   careant,    ne    albain... 

2  C.    7    (Hartzh.    III    591):    Sacerdotes,  ipsorum  tunicae  valeant  contingere,  nee  ipsae 

quoties  celebraturi  sunt  missam,  veste  cami-         tunicae  appareant. 


134 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewäuder. 


Daß  unter  solchen  Umständen  eine  Gürtung  überflüssig  wurde  und  darum  in 
der  Tat  wegfiel,  braucht  kaum  gesagt  zu  werden. 

Einmal  begonnen ,  dauerte  die  Verkürzung  des  Rochetts  nicht  nur  an, 
sondern  nahm  auch ,  wenngleich  langsam ,  beständig  zu.  Im  allgemeinen 
reichte  dieses   im  16.  und  auch  wohl   im  17.  Jahrhundert   noch  bis   über  die 


Bild  56.     Melozzo  da  Forli :  Piatinas  Audienz  bei  Sixtus  IV.    Rom,  Vatikan. 

(Phot.  Alinari.) 

Knie,  dann  schrumpfte  es  aber  dermaßen  zusammen,  daß  es  sich  vielfach  nur 
noch  eben  über  die  Hüften  erstreckte. 

In  einem  Statut  Stephans  de  Firomonte  aus  dem  Jahre  1276  wird  den- 
jenigen, welche  in  den  oberen  Chorstühlen  saßen,  gestattet,  sarrotes  simplices 
et  sine  aliqua  curiositate  zu  tragen 1.  Hiernach  scheint  man  schon  im 
13.  Jahrhundert  reichere  Eochette  verwendet  zu  haben.     Immerhin  kann  das 


1  Bei  B.  C.  (sub  v.  sarrot)  VII  313.    Vgl.  auch    eine   ähnliche  Bestimmung  der  Mailänder 
Statuten  in  A.  E.  M.  362. 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceuin. 


135 


nur  vereinzelt  geschehen  sein.  Nach  Ausweis  der  Bildwerke  war  das  Ge- 
wand bis  wenigstens  zum  Ausgang  des  Mittelalters  eine  durchaus  schlichte 
Linnentunika  ohne  alle  Verzierung.  Als  dann  freilich  die  Spitzenindustrie 
aufkam  und  ihre  prächtigen  Erzeugnisse  schuf,  wurden  wie  bei  andern  kirch- 
lichen Ornatstücken,  so  auch  bei  ihm  Spitzen  zur  Verzierung  des  unteren 
Saumes  und  der  Ärmelränder  herangezogen.  Anfangs  waren  dieselben  nur 
schmal,  allmählich  aber  begannen  sie,  immer  mehr  an  Breite  zuzunehmen.  Es 
verhielt  sich  mit  ihnen  gerade  umgekehrt  wie  mit  der  Länge  des  Kleides.  Je 
mehr  die  Breite  der  Spitzen  wuchs,  um  so  mehr  verkürzte  sich  das  Gewand 
selbst.  Es  kam  zuletzt  selbst  dahin,  daß  das  Rochett  nicht  selten  zu  einem 
kurzen,  zarten,  duftigen  Spitzengewebe  wurde,  allerdings  ein  gewaltiger  Gegen- 
satz zur  ursprünglichen  Beschaffenheit  des  Gewandes.  Die  in  den  fünfziger 
Jahren  unternommenen  Versuche,  den  in  kirchlichem  Dienst  stehenden  Gewand- 
stücken durch  Annäherung  an  die  mittelalterlichen  Vorbilder  eine  bessere 
Form  zu  geben,  blieben,  wenigstens  außer  Deutschland,  für  eine  Umgestaltung 
des  Rochetts  so  gut  wie  völlig  bedeutungslos. 

VI.  AUFTRETEN  DES  SUPERPELLICEUM. 

Das  Superpelliceum  erscheint  als  ein  in  der  römischen  Kirche  ge- 
bräuchliches liturgisches  Kleidungsstück  schon  in  dem  auf  Befehl  Gregors  X. 
(1271 — 1276)  herausgegebenen  13.  Ordo.  Nach  n.  7  trägt  es  der  Kardinal, 
welcher  dem  Papst  bei  der  Messe  nach  der  Papstweihe  ministriert,  unter  dem 
Pluviale;  nach  n.  8  sind  bei  der  Prozession  nach  der  Konsekration  des  Papstes, 
in  der  quilibet  in  suo  gradu  indutus  est,  die  Bischöfe  mit  dem  Pluviale,  die 
Priester  mit  der  Kasel,  Diakon  und  Subdiakon  mit  der  Dalmatik  bzw.  der 
Tunicella,  die  Akolythen  mit  Superpelliceen  bekleidet.  Nach  n.  22  haben  die 
Kapläne  bei  der  Gründonnerstagsfeier  in  Superpelliceen  ihren  Dienst  zu  ver- 
richten ;  ebenso  müssen  sie  nach  n.  25  am  Ostertag  in  denselben  zum  Offizium 
kommen.  Überhaupt  haben  sie  von  Ostern  bis  Allerheiligen  an  allen  festa 
duplicia,  welche  in  der  päpstlichen  Kapelle  gefeiert  werden,  sowie  an  den  auf 
Ostern  und  Pfingsten  nächstfolgenden  Tagen,  bei  den  Vespern,  den  Metten 
und  der  Messe  im  Superpelliceum  sich  am  Gottesdienst  zu  beteiligen1. 

Die  Angaben  des  13.  Ordo  hinsichtlich  des  Superpelliceum  behandeln 
dasselbe  als  etwas  Allbekanntes.  Gewand  und  Name  können  daher  nicht  erst 
unter  dem  Pontifikat  Gregors  X.  sich  in  Rom  eingebürgert  haben 2.  In  der 
Tat  ergibt  sich  aus  einer  Bulle  Alexanders  IV.  (1254 — 1261),  welche  sich  mit 
der  bei  der  römischen  Markusprozession  einzuhaltenden  Ordnung  befaßt,  daß 


1  M.  78,  1110  1118  1119.  Wenn  der  Came- 
rarius  und  der  Kleriker,  welche  dem  Papst 
nach  der  Krönung  bei  der  Austeilung  des  Pres- 
byteriums  (Geldspende)  assistierten,  und  die 
Kardinäle  bei  dem  Mahle  nach  der  Papst- 
weihe und  am  Gründonnerstag  über  ihrer 
Camisia  ein  Superpelliceum  trugen  (ordo  13, 
n.  9;  ordo  14,  n.  23  43  4.r>  [ebd.  1111  1133 
1139  114-i]),  so  erklärt  sich  das  wohl  dadurch, 
da(.i  diese  Akte  Anhängsel  liturgischer  Funk- 
tionen waren  und  darum  auch  einen  gewissen 
liturgischen  Anstrich  hatten.  Auch  der  Papst 
trug  bei  jenen  Mahlzeiten  sakrale  Gewänder: 
Et  attende,  quod  dominus  papa,  dum  est  in 


mensa,  est  indutus  omnibus  paramentis  mis- 
salibus,  exceptis  casula,  pallio  et  chirothecis 
(ordo  14,  n.  43). 

2  In  einer  Bulle  des  Vorgängers  Gregors  X., 
Klemens'  IV.,  für  die  Kirche  von  Le  Puy  ist 
ebenfalls  schon  vom  Superpelliceum  die  Rede. 
Es  erscheint  darin  sogar  bereits  als  Symbol 
eines  kirchlichen  Beneflziums,  offenbar  weil 
zu  Le  Puy  offizieller  Chorrock.  So  n.  38  :  Quod 
nulli  in  ipsa  ecclesia  superpellicium  conceda- 
tur,  nisi  de  legitimo  matrimonio  .  .  .  quod 
clericus,  cui  amodo  superpellicium  conceditur, 
iuret  capitulo  ipsius  ecclesiae  fidelitatem  ser- 
vare  (Bull.  rom.  [Turin  1858]  III  781). 


136 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


daselbst  schon  1260  das  Superpelliceum  als  liturgisches  Kleid  in  Gebrauch 
war 1.  Bei  den  regulierten  Chorherren  in  Rom  muß  unser  Gewand  sogar 
bereits  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  zur  Verwendung  gekommen 
sein.  Denn  es  sendet  Abt  Stephan  von  St  Genovefa  (Paris),  nachmals  Bischof 
von  Tournai,  dem  Kardinal  Albinus  aus  dem  Orden  der  regulierten  Kanoniker 
ein   „superpellicium  novum  candidum  talare"  2. 

Im  14.  Ordo  wird  wiederholt  neben  dem  Superpelliceum  eine  cotta  er- 
wähnt. So  heißt  es  beispielsweise  c.  47 :  cardinalis ,  qui  servit ,  assumat 
cottam  vel  superpellicium ;  c.  48 :  capellanus  camisiam  lineam  super  communes 
vestes,  superpellicium  seu  cottam..  .  habere  debet;  und  c.  92:  capellani  in 
scutis  et  cotta  seu  superpellicio  3.  Möglich,  daß  zwischen  superpellicium  und 
cotta  —  etwa  bezüglich  der  Länge  oder  Weite  —  irgend  ein  Unterschied 
bestand,  erheblich  und  wesentlich  kann  derselbe  jedoch  nicht  gewesen  sein, 
weil  beide  Gewänder  durch-  und  füreinander  gebraucht  wurden.  Am  wahr- 
scheinlichsten sind  jedoch  cotta  und  superpellicium,  welches  im  15.  Ordo,  wie 
auch  anderswo  nicht  selten  verderbt  superplicium  heißt,  nur  verschiedene 
Namen  für  ein  und  dasselbe  liturgische  Gewand.  Was  etwa  dagegen  vor- 
gebracht werden  könnte,  ist  der  Umstand,  daß  es  im  14.  Ordo  bezüglich  der 
Kleidung  der  Akolythen  nur  heißt:  Acolythi  omnes  debent  esse  induti  cottis 
secundum  consuetudinem  sanctae  romanae  ecclesiae 4.  Allein  es  ist  zu  beachten, 
daß  nach  dem  13.  Ordo  und  verschiedenen  Stellen  des  14.  auch  bei  den  Ako- 
lythen vom  Superpelliceum  die  Rede  ist,  und  daß  selbst  bereits  in  der  Bulle 
Alexanders  IV.  das  Superpelliceum  der  Kleriker  der  Cotta  gleichgestellt  wird : 
clerici  induti  .  .  .  superpelliciis  sive  cottis  vadant  processionaliter  5. 

Seit  wann  der  Name  cotta  in  Rom  in  Gebrauch  ist,  läßt  sich  nicht 
bestimmen.  Daß  man  ihn  schon  im  13.  Jahrhundert  daselbst  kannte,  folgt 
aus  den  angeführten  Worten  Alexanders  IV.  und  einer  Bulle  Nikolaus'  III. 
(1277 — 1280) 6.  Die  costae,  von  welchen  der  S.  G.  K.  redet:  In  prim.  camisia 
et  cingitur  supra;  dein  linea  cum  costis  serica  et  cingulum  .  .  .,  können,  wie 
unklar  auch  ihre  Bedeutung  ist,  unmöglich  unser  Gewand  sein. 

Außerhalb  Roms  begegnen  uns  bereits  im  12.  Jahrhundert  mehrfach 
Nachrichten  über  die  Verwendung  des  Superpelliceum  bzw.  der  Cotta.  So 
berichtet  Wilhelm  von  Malmesbury  (f  nach  1142),  Walchelm,  Bischof  von 
Winchester  (f  ca  1080)  habe  an  seiner  Kathedrale  die  Mönche  durch  Kanoniker 
ersetzt  und  diese  mit  Cappae  und  Superpelliceen  ausgestattet ".  Noch  etwas 
früher  erwähnt  Gualter,  Kanzler  Rogers  von  Antiochien,  in  der  Schrift  Bella 


1  Raynald.,  Annal.  ad  1260,  n.  13,  XIV 
(ed.  Colon.  1694)  57. 

2  Ep.  106    (M.  211,  395). 

3  M.  78,  1148  1153  1212. 

4  C.  48. 

5  Vgl.  auch  Sicard  von  Cremona  (Mitralis 
1.  2,  c.  1 :  M.  123,  59),  wo  offenbar  ein  und  die- 
selbe stola,  d.  i.  ein  und  dasselbe  sakrale 
Kleid  der  Kleriker  superpellicium  und  cotta 
genannt  wird.  Nach  Nebridius  von  Mündel- 
heim  bedeutet  superpelliceum  ein  weitärme- 
liges,  rochettum  ein  engärmeliges  Gewand. 
Unter  cotta  versteht  er  ein  Kleid,  quod  uudi- 
que  per  circuitum  clauditur  et  sine  manicis. 
Sie  diente  bei  den  Augustinern  von  Mündel- 
heim   als    Chorrock.     Sarrocia    hießen    nach 


Nebridius  dort  die  außerliturgischen  Linnen- 
tuniken. Sie  war  ebenfalls  ohne  Ärmel,  aber 
an  den  Seiten  offen.  Nur  unten  waren  sie 
hier  etwa  vier  Finger  breit  vernäht.  Beim 
Ausgehen  trug  man  sog.  sarrocia  parva,  d. 
i.  zwei  vier  Finger  breite,  skapulierartig  über 
Brust  und  Rücken  herabfallende  Linnen- 
streifen (Nebrid.,  Antiq.  Monast.  ep.  CXLIII 
656).  Der  Name  cotta  war  im  Mittelalter 
vornehmlich  in  Italien  in  Gebrauch,  und  noch 
jetzt  heißt  das  Superpellicium  (französisch 
surplis)   im  Italienischen  cotta. 

c  Lineis  fcogi»  superpelliciis  sive  cottis. 
Bzovius,  Annal.  ad  ann.  1280,  n.  5;  XIII 
912.     Vgl.   auch   D.  C.  (s.  v.  cota)    II    596. 

7  De  gestis  Pontif.  I  (M.  179.  1478). 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceum. 


137 


Antiochena,  welche  er  als  Augenzeuge  (1114 — 1119)  verfaßte,  das  Gewand,  wo 
er  erzählt,  Ebremarus,  der  lateinische  Erzbischof  von  Antiochien,  sei  bei  einem 
Angriff  dem  Feinde  nicht  im  Panzer,  sondern  „im  priesterlichen  Superpelliceum", 
das  Kreuz  des  Herrn  in  seinen  Händen,  entgegengegangen  1.  Die  Regel  des 
1146  vom  hl.  Gilbert  gestifteten  Ordens  von  Sempringham  (England)  bestimmte, 
es  sollten  die  Priester  unter  den  Meßgewändern  das  Superpelliceum  tragen  2. 
Aus  den  Angaben  Anselms  von  Havelberg  (f  1158) 3,  Arnos  von  Reichersberg 
(f  1 175) 4,  des  Prämonstratensers  Adam  (f  1180) 5,  des  Abtes  Stephan  von 
St  Genovefa  zu  Paris  (f  1203) 6  und  des  Hugo  Metellus  (f  ca  1 157) 7  geht 
hervor,  daß  das  Superpelliceum  das  die  regulierten  Augustiner-Chorherren  kenn- 
zeichnende Obergewand  bildete,  und  daß  diese  es  deshalb  nicht  bloß  beim 
Gottesdienst,  sondern  auch  tagsüber  im  gewöhnlichen  Leben  trugen.  Bei  den 
Prämonstratensern  wurde  es  einzig  bei  gottesdienstlichen  Verrichtungen  ver- 
wendet, wie  z.  B.  von  den  Akolythen,  welche  am  Altare  dienten  oder  den 
Priester  auf  Versehgängen  begleiteten,  und  dem  Priester,  welcher  einem  Kranken 
die  heilige  Kommunion  oder  die  heilige  Wegzehrung  brachte 8.  Daß  auch  in 
Schweden  um  den  Ausgang  des  12.  Jahrhunderts  das  Superpelliceum  in  Gebrauch 
war,  geht  aus  dem  Testament  Absalons,  Bischofs  von  Lund  (f  1201),  hervor. 
Derselbe  vermacht  nämlich  seinem  Kaplan  Thordo  ein  superpellicium  cum  pel- 
licia  de  marturibus  9. 

Cottae  werden  im  letzten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  in  einer  testa- 
mentarischen Verfügung  Gregors  von  Antivari  (f  ca  1199)  und  in  einer  Schen- 
kung Tedeigars  von  Terracina  erwähnt,  in  welcher  bestimmt  wird,  es  sollten 
die  Kanoniker  im  Sommer  in  cottae  die  kirchlichen  Tageszeiten   beten  10. 

Von  den  mittelalterlichen  Liturgikern  erwähnt  erst  Sicard  von  Cremona 
um  die  Wende  des  12.  Jahrhunderts  das  Superpelliceum  und  die  Cotta. 
Dieselben  sind  für  ihn  voneinander  nicht  verschieden,  sondern  bezeichnen  ein 
und  dasselbe  liturgische  Gewand,  dessen  sich  die  Kleriker  an  Festen  anstatt 
der  an   andern  Tagen  üblichen  gewöhnlichen   schwarzen  Cappae   bedienten11. 

Das  11.  Jahrhundert  weiß  nur  wenig  vom  Superpelliceum.  Die 
Synode  von  Coyaca  (Diözese  Oviedo)  bestimmte   1050:  vestes   presbyterorum 


1  C.  15  (M.  155,  1023). 

2  D.  C.  (s.  v.  superpell.)  VII  666. 

3  De  online  canonic.  c.  10  (M.  188,  1103). 

4  Scutiun  canonic.  (M.  194,  1505). 

5  De  ordine  et  habitu  canonic.  Praemonst. 
sermo  III,  n.  6  7  (M.  198,  465  466). 

6  Ep.  106  (M.  221,  395). 

7  D.  C.  667.  Metellus  tadelt  die  Prä- 
monstratenser  wegen  ihrer  Kleidung.  Unter 
anderem  sagt  er:  „Schau,  die  einen  tragen 
Superpelliceen,  die  andern  Tuniken,  gerade, 
als  ob  man  mittelst  der  Kleider  das  Reich 
Gottes  erlange  .  .  .  Die  tunicati  haben  von 
Norbertus,  die  superpelliciati  abervom  hl.  Augu- 
stinus ihren  Ursprung." 

8  Adam.  Praemonst r. ,  De  ordine  et 
habitu  canonic.  Praemonstr.  1.  c.  Es  war  in 
den  Statuten  der  Prämonstratenser  streng 
verboten,  daß  irgend  jemand  in  Anwesenheit 
des  Konvents  ohne  Superpelliceum  oder  Albe 
die  oberen  Altarstufen  besteige. 

9  M.  209,  760. 


10  Bona  1.  1,  c.  24,  §  20,  nota  1;  II  289. 
Cottus  kommt  als  Name  eines  laikalen 
Kleidungsstückes  schon  im  9.  Jahrhundert 
vor;  so  im  3.  Kapitel  der  Synode  von  Metz 
des  Jahres  888  (Hartzh.  II  381):  „Kein 
Kleriker  darf  Laienkleidung ,  nämlich  cotti 
oder  mantelli  sine  cappa,  anziehen",  und  in 
der  ähnlichen  Verordnung  der  Triburer  Synode 
von  895:  „Kleriker  sollen  sich  keiner  welt- 
lichen Bekleidungsgegenstände,  eines  mantel- 
lum,  eines  cottus  sine  cappa  oder  kostbarer  und 
sonderbarer  Fußbekleidung  bedienen"  (ebd.  II 
409).  Das  Wort  cottus,  cotta,  welches  in 
der  Vita  s.  Meinwerci  n.  37  (M.  G.  SS.  XI 
120)  die  Form  cottis  hat,  ist  allem  Anschein 
nach  mit  Kutte,  Kittel  verwandt,  seine  Ab- 
leitung ist  jedoch  unsicher. 

11  Mitralis  1. 2,  c.  1  (M.  213, 59) :  Inter  clericos 
tonsurandi  aut  illico  tonsurati  cappis  utantur 
et  stolis  in  divinis.  Diese  stolae  werden 
gleich  darauf  cotta  seil  superpellicium  ge- 
nannt. 


138 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewäuder. 


sint  superpilitium ,  amictus.  alba  etc.1  Die  Gesta  archiepiscoporum  Rotho- 
magensium  (geschr.  ca  1080)  berichten  von  einer  linea  superpellicialis,  welche 
der  Erzbischof  Johannes  von  Avranches  (f  1079)  trug,  als  er  an  einem  Festtage 
dem  Gottesdienst  in  St-Ouen  inmitten  der  Chorsänger  wie  ein  Praecentor  bei- 
wohnte 2.  Eine  Verordnung  Eduards  des  Bekenners  endlich  bestimmt,  ein  Hin- 
gerichteter, Avelcher  ohne  kirchliche  Zeremonien  beerdigt  worden  sei,  solle, 
wenn  sich  seine  Unschuld  nachträglich  herausstelle,  ausgegraben  und  durch  den 
Priester  unter  Begleitung  von  Weihwasser,  Kreuz,  Kerzen  und  Incens  tragenden, 
mit  Superpelliceen  bekleideten  Klerikern  nach  dem  üblichen  Kitus  von  neuem 
bestattet  werden 3.  Im  letzten  Falle  hat  das  Superpelliceum  offenbar  den 
Charakter  eines  liturgischen  Gewandes. 

Seit  dem  13.  Jahrhundert  ist  häufig  vom  Superpelliceum  die  Rede. 
Durandus  sagt  von  ihm :  „Außer  den  vorgenannten  Gewändern  (Amikt,  Albe  usw.) 
gibt  es  noch  ein  anderes  Kleid ,  welches  Superpelliceum  genannt  wird. 
Alle,  welche  irgend  welchen  Diensten  am  Altar  und  beim  Gottesdienst  ob- 
liegen, müssen  es  über  den  gewöhnlichen  Kleidern  tragen.  An  verschiedenen 
Orten  macht  man  es  aus  den  Chrismaltüchern,  welche  man  über  die  getauften 
Kinder  legt.  Eine  lobenswerte ,  an  manchen  Stellen  bestehende  Sitte  will, 
daß  man  eine  linnene  Camisia  oder  ein  Superpellicium  über  die  Alltagskleider 
anzieht,  ehe  man  den  Amikt  anlegt."  Außerdem  nennt  Durandus  das  Super- 
pelliceum neben  Amikt ,  Albe  und  Cingulum ,  wo  er  die  liturgische  Kleidung 
der  Akolythen  aufzählt i. 

Oft  beschäftigen  sich  die  Synoden  des  13.  Jahrhunderts  mit  unserem  Gewand. 
Hier  nur  einige  Beispiele.  Die  Oxforder  Synode  vom  Jahre  1222  ;'  und  die  Lütticher 
aus  dem  Jahre  1287  6  bestimmen,  der  Kleriker,  welcher  dem  Priester  am  Altare  diene, 
habe  ein  Superpelliceum  zu  tragen.  Nach  den  Verordnungen-  des  Erzbischofs  Edmund 
von  Canterbury  von  1236  7  und  des  Bischofs  Eicliard  Poore  von  Sarum  (Salisbury) 
von  1217  s  mußte  der  Priester,  welcher  das  heilige  Sakrament  zum  Kranken  brachte, 
mit  Superpelliceum  und  Stola  bekleidet  sein.  Eine  gleiche  Bestimmung  erließ  1233 
eine  Mainzer9,  1238  eine  Trierer  lü,  1284  eine  Passauer  Synode11  und  1292  eine  Pro- 
vinzialsynode  zu  Aschaffenburg  l2.  1280  schreibt  «ine  Synode  von  Köln  den  Gebrauch  des 
Superpelliceum  beim  Beichthören  vor  I3,  1298  verordnet  eine  Würzburger  Synode,  es  solle 
der  Priester  oder  Diakon  beim  Waschen  der  Korporalien  ein  Superpelliceum  tragen  '*. 
Die  Statuten  Raymunds,  Bischofs  von  Rhodez,  aus  dem  Jahre  1289  wollen,  daß  der 
Priester  bei  der  Messe  unter  der  Albe  mit  dem  Superpelliceum  bekleidet  sei  15.  Die- 
selbe Verordnung  erließen  auch  die  schon  genannte  Lütticher  Synode,  die  Kölner 
Synode  von  1280  u.  a.  Die  Kölner  Synode  vom  Jahre  1280  lc,  die  Lütticher  vom 
Jahre  1287,  das  Konzil  von  Buda  vom  Jahre  1279  17  und  eine  Reihe  anderer  bestimmen, 


1  Mansi,  Coli.  Conc.  XIX  791.  Nach  der 
Rezension  des  Textes  bei  Hard.  VI  1026 
lautet  die  Verordnung:  vestes  autem  pres- 
byteri  sint  in  sacrificio  amictus  alba  etc. 
Hefele  (Concilien  §  546;  IV  756)  betrachtet, 
wie  es  scheint,  die  erste  Lesart  als  die  bessere. 

2  M.  147,  13.     Rer.  Gall.  SS.  XI  72. 

3  Chambers  27.  S  ch  mi  d  ,  Reinh.,  Die 
Gesetze  der  Angelsachsen  (Leipzig  1832) 
Anhang  XVII. 

*  Rationale  1.  3,  c.  1,  n.  10  15  ;  c.  2,  n.  1  ; 
f.  65  v  f. 

5  C.  10  (Hard.  VII  118).  Vgl.  auch  c.  40 
der  Konstitutionen  des  Bischofs  Richard  Poore 
von  Sarum  aus  dem  Jahre  1217  (Hard.  VII 101). 


G  C.  5,  n.  13  (Hartzh.  III 

7  C.  25  (Hard.  VII  272). 

8  C.  39  (Hard.  VII  101).  Vgl.  auch  c.  9 
der  Synode  von  Worcester  vom  Jahre  1240 
(ebd.  VII  334). 

0  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Ober- 
rheins III,  Karlsruhe  1852,  136. 

10  Can.   11   (Hartzh.  III  559). 

11  C.  2  (Hartzh.  III  673). 

12  C.  2  (Hartzh.  IV  7). 

13  C.  8  (Hartzh.  III  664). 
"  C.  3  (Hartzh.  IV  26). 

15  C.  18  (Mari,  Thes.  IV  716). 
1C  Praef.  (Hartzh.  III  658). 
17  C.  19  (Hard.  VII  796). 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceum. 


139 


daß  die  Pfarrer  und  überhaupt  die  niedern  Geistlichen  in  Superpellieeen  auf  den 
Synoden  zu  erscheinen  hätten.  Mehrfach  findet  sich  auch  die  Vorschrift ,  es  sollten 
beim  Chorgebet  von  Ostern  bis  Allerheiligen  statt  der  Cappae  Superpellieeen  getragen 
werden  '.  Man  beachte,  daß  in  einzelnen  dieser  Verordnungen  das  Superpelliceum 
zwar  als  gleichartig  mit  der  Camisia  (dem  Rochett)  erscheint ,  daß  es  aber  in  den 
meisten  den  Charakter  eines  wirklichen  Sakralgewandes  und  eines  Ersatzes  der  litur- 
gischen Albe  an  sich  trägt.  Auch  in  Ordinarien  des  13.  Jahrhunderts,  wie  z.  B. 
denjenigen  der  Regularen  von  St-Lö  zu  Rouen 2  und  der  Kathedrale  von  Bayeux 3, 
erscheint  es  schon  als  ausgesprochen  liturgisches  Gewand. 

Aus  dem  14.  und  15.  Jahrhundert  Zeugnisse  für  die  Verwendung  des 
Superpelliceum  außerhalb  Roms  anzuführen,  darf  nach  den  aus  dem  13.  bei- 
gebrachten Belegen  als  überflüssig  betrachtet  werden.  Schon  im  14.  Jahr- 
hundert nimmt  das  Superpelliceum  sowohl  zu  Rom  wie  fast  allenthalben 
außerhalb  Roms  die  gleiche  Stellung  im  Kultus  ein,  welche  es  darin  in  der 
Gegenwart  besitzt.  Es  war  Chorkleid,  der  offizielle  Sakralornat  der  niedern 
Kleriker  und  ein  Ersatz  für  die  Albe  bei  der  Abhaltung  von  Prozessionen 
und  Beerdigungen,  der  Vornahme  von  Segnungen,  der  Spendung  der  Sakra- 
mente, der  Teilnahme  an  Synoden  u.  dgl.  Die  Albe  wurde  bereits  im  14.  Jahr- 
hundert beinahe  nur  noch  bei  der  Messe  und  etwaigen  mit  ihr  in  unmittel- 
barer Verbindung  stehenden  Funktionen  getragen. 


VII.  NAME  UND  GEWAND  IN  IHREM  URSPRUNG. 

Was  den  Ursprung  des  Wortes  superpelliceum  anlangt,  so  belehrt  uns 
Durandus,  es  sei  das  mit  diesem  Namen  bezeichnete  Gewand  so  genannt 
worden,  weil  man  es  ehedem  über  Pelztuniken  (super  tunicas  pellicias)  getragen 
habe  i.  Er  fügt  zugleich  hinzu,  noch  zu  seiner  Zeit  sei  das  in  einigen  Kirchen 
üblich.  Ähnlich  wie  der  Bischof  von  Mende  erklärt  ein  englischer  Gram- 
matiker des  13.  Jahrhunderts,  Johannes  Gerland,  die  Etymologie  des  Wortes 
superpelliceum.  „Unserer  Zeit  Priester  bedienen  sich",  so  bemerkt  er  nämlich, 
„der  superlicia  oder,  wie  man  auch  wohl  sagt,  der  superpellicia;  denn  die 
Priester  pflegten  Pelzkleider  (pellicia)  und  darüber  der  Reinlichkeit  halber 
jenes  Gewandstück  zu  tragen." 5  Die  Erklärung,  welche  Durandus  und  Gerland 
von  dem  Wort  superpelliceum  geben,  ist  durchaus  zutreffend.  Das  Gewand  hat 
zweifelsohne  seinen  Namen  wirklich  von  dem  Umstand,  daß  es  über  pelliceae, 
Pelzröcken,  getragen  wurde.  Der  Gebrauch  der  pellicea  war  sowohl  in  den 
Klöstern  wie  bei  der  Stiftsgeistlichkeit  sehr  verbreitet.  Bereits  die  Aachener 
Synode  vom  Jahre  817  bestimmte,  es  soll  der  Abt  dafür  sorgen,  daß  jeder 
Mönch  außer  zwei  Hemden,  Röcken,  Cucullen  und  Cappae  auch  zwei  bis  zu 
den  Knöcheln  reichende  Pelzkleider  erhalte  6.     Seitdem  ist  oft  von  Pelzröcken 


1  Vgl.  z.  B.  c.  13  der  Synode  von  Buda 
IHard.  VII  794)  und  c.  11  der  Synode  von 
Worcester  vom  Jahre  1240  (ebd.  334). 

2  M.  147,  160  (lectio  in  supellicio  legatur 
inter  chorum  et  altare) ;  161  (ceroferarii 
cum  thuriferario  in  supellicüs)  ;  176  (post 
Nonam  onmes  fratres  munda  supellicia 
induant  .  .  .  tres  in  supellicüs  ad  aquam, 
crucem  et  tliuribulum) ;  173  (omnes,  qui 
legunt  vel  cantant  vel  ad  altare  de  cande- 
labris  serviunt,  supellicüs  vel  albis  induantur). 

s  Chevalier,  U. ,  Ordinaire  de  l'eglise 
cath.  de  Bayeux  (Paris  1902)  8  12  21  48  52 


und  sonst.  Besonders  interessant  8 :  Ad  ves- 
peras  et  matutinas  tantum,  dum  dicit  sacer- 
dos  orationem,  puer  unus  indutus  supellicio 
(sie)  tantum,  si  fiat  sine  festo,  vel  alba 
et  amictu,  si  fiat  cum  festo,  tenet  super 
caput  suum  librum  apertum  coram  sacerdote, 
in  quo  orationes  et  capitula  conscribuntur. 
Albe  mit  Amikt  war  also  feierlicher  als 
Superpelliceum. 

4  Rationale  1.  3,  c.  1,  n.  11.  f.  6v. 

6  Commentar.  lib.  Ms.  Cambridge ,  Caius 
College,  f.  209;  Bock  II  333;  Chambers  27. 

6  C.  22  (Hartzh.  II  4). 


140 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


^"s^ 


der  Geistlichen  und  Mönche  die  Rede  \  und  noch  auf  Bildwerken  des  späteren 
Mittelalters  gewahren  wir  bei  Darstellungen  von  Stiftsherren  unter  dem  Super- 
pelliceum  die  pellicea.  Selbst  im  15.  Jahrhundert  muß  es  noch  hie  und  da 
üblich  gewesen  sein,  unter  dem  Superpelliceum  einen  Pelzrock  zu  tragen. 
Eine  aus  Oberwesel  stammende  und  früher  in  Bockschem  Besitz  befindliche 
Skulptur  aus  jener  Zeit,  welche  einen  Stiftsherrn  der  dortigen  Stiftskirche 
darstellt,  läßt  unter  dem  Superpelliceum  deutlich  den  pelzgefütterten  Talar 
erkennen  (Bild  57).  _  Man  bediente  sich  der  pellicea  sowohl  in  der  Kirche  wie 
außerhalb  derselben.  So  aber  lag  es  natürlich  nahe,  die  Linnentunika,  welche 
man  beim  Gottesdienst  oder,  wie  es  bei  den  Augustiner-Chorherren  Regel  war, 
selbst  im  Alltagsleben  darüber  anlegte,  als  superpelliceum  zu  bezeichnen. 

Die  Pelzkleider  waren  namentlich  in  den 
feuchtkalten  Gegenden  des  Noi'dens  heimisch2. 
Sie  waren  hier  in  der  Tat  wegen  der  mangel- 
haften Erwärmung  der  Wohnungen  und  Kloster- 
räume ein  Bedürfnis.  Insbesondere  aber  machte 
sie  der  lange  Aufenthalt  in  den  frostigen  und 
zugigen  Kirchen,  wie  ihn  der  viele  Gottesdienst 
und  das  Chorgebet  bei  Tag  und  Nacht  erheischte, 
zur  eisigen  Winterszeit  als  Schutz  gegen  die 
Kälte  notwendig.  Hiermit  hängt  es  denn  wohl 
auch  zusammen,  daß  der  Name  superpelliceum 
am  frühesten  im  Norden  auftaucht,  während 
er  in  Italien  erst  im  13.  Jahrhundert  nach- 
weisbar ist.  Der  Name  ist  allem  Anschein  nach 
keine  Schöpfung  des  Südens,  sondern  stammt 
von  dort,  wo  vor  allem  die  Pelzröcke  bei  der 
Mönchs-  und  Stiftsgeistlichkeit  gebräuchlich 
Es  bildet  das  ersichtlich  eine  Bestäti- 


waren. 


gung  der  von  Durandus  und  Gerland  gegebenen 


Bild  57.  Stiftslierr  aus  Oberwesel 
in  Pelzkleid,  Superpelliceum  und 
Almutia.  Steinskulptur.  (Sach  Bock.) 


Ableitung  des  Wortes. 


Als  Zeit  des  Aufkommens  des  Ge- 
wandes dürfte  etwa  die  Spätzeit  des  ersten  Jahr- 
tausends anzusetzen  sein.  Zum  erstenmal  wird 
es  um  die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  erwähnt.  Vorher  herrscht  in  Betreff 
seiner  das   tiefste  Schweigen.     Nirgends   findet  sich  vor  1050  auch   nur  eine 


1  In  der  altberühmten  Abtei  Glastonbury 
in  England  (Somersets.)  erhielten  zur  Zeit  des 
Abtes  Turstin  (ca  1080)  die  Klosterinsassen 
neben  den  übrigen  Kleidern  alljährlich 
eine  pellicea  (Wilh.  M  alm  e  sb  u  r. ,  De 
antiqu.  Glaston.  [M.  179,  1732]).  Im  Kloster 
des  hl.  Martialis  zu  Limoges  bekamen  die 
Mönche  nur  alle  zwei  Jahre  ein  neues  Pelz- 
kleid (D.  C.  s.  v.  pellicia  VI  251).  Vgl. 
auch  die  Statuten  von  St  Victor  zu  Paris 
c.  20  (Mart.  III  261),  die  Praemonstratenser- 
statuten  c.  14  (ebd.  335)  u.  a.  Vgl.  nament- 
lich auch  c.  56  der  Statuten  von  St  Victor, 
in  welchen  verordnet  wird,  daß  man,  wenn 
man  tagsüber  ohne  Cappa  umhergehe  oder 
in  der  Kirche   diese  ablege,  um  als  Kantor 


zu  fungieren,  unter  dem  Superpelliceum  eine 
tunica  oder  eine  pellicia  habenmüsse  (ebd.  279). 
Statt  pellicea  wird  auch  häufig  pellicia  ge- 
schrieben (vgl.  D.  C.  ebd.). 

2  Strengeren  Seelen ,  zu  denen  auch  der 
hl.  Bernardus  gehörte,  behagte  es  nicht,  daß 
man  in  den  Klöstern  sich  der  Pelzkleider 
bedient.  Als  der  große  Abt  von  Clairvaux 
darum  dem  Abt  Petrus  von  Cluny  Vorwürfe 
darüber  machte,  daß  man  daselbst  derartige 
Gewänder  dulde,  antwortete  ihm  dieser,  daß 
man  die  Pelzröcke  aus  demselben  Grunde  trage, 
um  dessentwillen  man  sich  zu  Clairvaux  meh- 
rerer Tuniken  bediene,  nämlich  „aus  Notwen- 
digkeit wegen  der  unerträglichen  Strenge  der 
Kälte"  (Petri  Ven.  epp.  1.1, 11.  28  [M.  189, 123]). 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceum.  141 

Spur  des  Gewandes,  weder  in  den  liturgischen  Schriften  noch  in  den  Konsue- 
tudinarien  der  Klöster,  weder  bei  den  Liturgikern  noch  in  den  Inventaren. 
Ebenso  kommt  es  auf  den  Bildwerken  vor  dieser  Zeit  nirgends  vor.  Überall 
gewahren  wir  auf  ihnen  bei  den  Gelegenheiten  und  Personen,  bei  welchen  wir 
später  das  Superpelliceum  antreffen,  an  dessen  Stelle  noch  die  gegürtete,  eng- 
ärmelige  Albe.  Man  vergleiche  unter  andern  z.  B.  die  Bildwerke  des  Drogo- 
sakramentars  und  des  Sakramentars  von  Göttingen  1.  Auch  der  Umstand,  daß 
im  11.  Jahrhundert  die  liturgische  Verwertung  des  Gewandes  noch  sehr  be- 
schränkt war,  beweist,  daß  wir  sein  Aufkommen  nicht  allzuweit  über  das 
11.  Jahrhundert  hinausschieben  dürfen. 

Am  frühesten  muß  das  Superpelliceum  beim  Chorgebet  in  Gebrauch  ge- 
nommen worden  sein.  Denn  es  erscheint  bis  ins  13.  Jahrhundert  vor  allem 
als  Chorkleid.  Aber  es  fand  hie  und  da  auch  schon  bald  bei  den  Minoristen 
an  Stelle  der  gegürteten  Albe  Eingang.  So  begegnen  uns  bereits  in  der 
früher  erwähnten  Verordnung  Eduards  des  Bekenners  die  Kleriker,  welche 
dem  Begräbnisse  assistieren,  in  superpelliceis,  während  es  noch  vom  Priester, 
der  das  Begräbnis  vorzunehmen  hatte,  heißt:  cum  sacerdote  induto  alba, 
manipulo  et  stola.  Immerhin  war  das  Superpelliceum  damals  bei  den  Ako- 
lythen  und  den  andern  niedern  Klerikern  noch  keineswegs  sehr  verbreitet. 
Denn  noch  etwa  70  Jahre  später  bezeichnen  Gilbert  von  Limerick  und  Hono- 
rius  Amikt  und  gegürtete  Albe  als  die  jenen  zukommende  liturgische  Klei- 
dung, ohne  auch  nur  mit  einem  Worte  des  Superpelliceum  als  eines  sakralen 
Ornates  der  Minoristen  zu  gedenken.  Aber  auch  als  das  Gewand  bei  diesen 
weithin  gebräuchlich  geworden  war,  galt  die  Albe  bei  ihnen  noch  längere  Zeit 
als  das  feierlichere. 

Bei  Spendung  heiliger  Sakramente  und  bei  Vornahme  kirchlicher  Seg- 
nungen dürfte  sich  das  Superpelliceum  erst  im  Laufe  des  12.  Jahrhunderts 
eingebürgert  haben.  Bis  dahin  war  es  noch  immer  Brauch,  diese  Akte  in  der 
Albe  zu  vollziehen.  Sehr  lehrreich  sind  in  dieser  Beziehung  besonders  die 
Miniaturen  des  Rituale  von  Lambach  -.  Allgemeinere  Verwendung  erhielt  es 
bei  jenen  Funktionen  erst  im  Lauf  des  13.  Jahrhunderts,  um  dann  freilich 
bald  bei  denselben  die  Albe  ganz  zu  verdrängen. 

Unsicher  ist,  was  das  Aufkommen  des  Superpelliceums  veranlaßt  hat. 
Wahrscheinlich  war  es  indessen  ebendasselbe,  was  dem  Gewände  seinen 
Namen  gegeben  hat,  der  Gebrauch  der  Pelzkleider.  Eine  engärmelige,  gegür- 
tete Albe  war  über  diesen  nicht  gerade  bequem.  Es  lag  daher  nahe,  bei  der 
Albe,  welche  von  den  Stiftsherren  beim  Chorgebet  über  den  schweren  Pelz- 
kleidern getragen  wurde,  die  Gürtung  wegzulassen  und  zugleich  den  Ärmeln 
eine  größere  Weite  zu  geben.  Natürlich  konnte  der  Gebrauch  solcher  Alben, 
wegen  der  darunter  befindlichen  pellicea  zum  Unterschied  von  der  gewöhn- 
lichen Albe  Superpelliceen  genannt,  in  einer  Zeit,  wo  die  liturgische  und 
namentlich  die  klerikale  Gewandung  noch  in  dem  Stadium  fortwährender  Um- 
bildung begriffen  war,  für  die  Dauer  nicht  auf  eine  Verwendung  in  Verbindung 
mit  Pelzkleidern  beschränkt  bleiben.  Allmählich  trug  man  sie  auch  zu  den 
sonstigen  Kleidern,  und  nur  noch  der  Name  erinnerte  an  die  Entstehung  des 
Gewandes.  In  diesem  Stadium  befand  sich  das  Superpelliceum,  als  es  begann, 
sich  auch  als  Ersatz  der  eigentlich  liturgischen  Albe  zunächst  bei  den  Mino- 
risten und  dann  bei  priesterlichen  Funktionen  einzubürgern. 

1  Abbildung   in   Zeitschrift  VII  (1894)  75  2  Franz,    Das    Rituale    von    St    Florian, 

(Darstellung  eines  Versehganges).  Freibnrg  1904,  Tri  2  ff. 


142  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Was  endlich  die  Frage  anlangt,  wo  wir  den  Ursprung  des  Superpelli- 
ceum  zu  suchen  haben,  so  ist  am  wahrscheinlichsten,  daß  es  außerhalb  Roms 
aufgekommen  ist.  Hier  tritt  es  am  frühesten  auf,  hier,  wo  die  Pelzkleider 
ein  ungleich  größeres  Bedürfnis  waren  als  im  Süden ,  lag  auch  am  ehesten 
eine  Veranlassung  vor,  die  Albe  zum  bequemeren  Superpelliceum  umzubilden. 
Außerdem  paßt  die  Änderung  nicht  gut  zu  dem  konservativen  Verhalten,  das 
man  zu  Rom  in  Sachen  der  klerikalen  und  liturgischen  Gewandung  bewies. 
Einen  besondern  Einfluß  auf  die  Verbreitung  des  Superpelliceum  mag  der 
Umstand  ausgeübt  haben,  daß  es  einen  Bestandteil  nicht  bloß  der  Chorkleidung, 
sondern  auch  der  gewöhnlichen  Tracht  der  in  der  zweiten  Hälfte  des  11.  Jahr- 
hunderts entstandenen  regulierten  Augustinerchorherren  bildete.  Die  Erfinder 
des  Superpelliceum  waren  diese  jedoch  keineswegs.  Sie  nahmen  es  als  etwas 
bereits  Bestehendes  an.  Similiter  et  in  toga  linea  Candida  talari  et  ampla, 
quam  superpelliceum  dieimus,  antiquae  ecclesiae  usum  retinentes  .  .  .  nihil 
novitatis  admittunt  (sc.  canonici  reguläres),  sagt  Anselm  von  Havelberg  be- 
züglich des  Superpelliceum  1. 

VIII.  DAS  SUPERPELLICEUM  IM  ORDINATIONSRITUS. 

Nach  dem  römischen  Pontifikale  legt  der  Bischof  demjenigen,  welchen 
er  unter  die  Kleriker  aufnehmen  will ,  nach  Erteilung  der  Tonsur  unter  den 
Worten:  „Es  bekleide  dich  der  Herr  mit  dem  neuen  Menschen,  der  nach  Gott 
erschaffen  ist  in  Gerechtigkeit  und  wahrer  Heiligkeit",  ein  Superpelliceum 
an,  welches  der  Ordinand  auf  dem  Arme  mitgebracht  hat.  Dieser  Ritus  soll 
zunächst  zum  Ausdruck  bringen,  daß  der  Neokleriker  in  einen  neuen  Stand 
eintritt,  indem  er  aus  den  Reihen  der  Laien  ausscheidet  und  dem  Klerus  ein- 
verleibt wird.  Dann  spricht  er  aus,  daß  dieser  Standeswechsel  nicht  in  einer 
bloß  äußerlichen  Veränderung  der  Lebensverhältnisse  bestehen  dürfe,  sondern 
von  einer  Umgestaltung   des  inneren  Menschen  begleitet  sein  müsse. 

Der  Gebrauch,  jemand  bei  seiner  Aufnahme  unter  die  Kleriker  die  geist- 
liche Kleidung  zu  überreichen,  begegnet  uns  schon  früh.  Denn  die  Vita  des 
hl.  Germanus  von  Auxerre  (f  448)  erzählt,  der  Bischof  Amator  habe  dem 
Heiligen,  als  er  ihn  zum  Kleriker  gemacht,  die  ornamenta  saecularia  aus- 
und  den  habitus  religionis,  hier  wohl  nicht  die  eigentlich  liturgische,  sondern 
die  klerikale  Gewandung,  angezogen2.  Es  lag  in  der  Tat  nahe,  die  Ein- 
gliederung in  den  Klerus  durch  Übergabe  der  klerikalen  Kleidung  äußerlich 
kund  zu  tun.  Nichtsdestoweniger  geschieht  einer  solchen  Zeremonie  vor  1200 
in  den  alten  Weiheordines  keine  Erwähnung.  Erst  in  einem  dem  Beginn  des 
13.  Jahrhunderts  entstammenden  Pontifikale  von  Sens  findet  sich  im  Ritus 
der  Erteilung  der  ersten  Tonsur  die  Anweisung :  hie  induat  eum  cappa 3.  Ein 
Pontifikale  von  Senlis  aus  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  enthält  anstatt 
dessen  die  allgemeiner  lautende  Notiz:  quanclo  habitus  datur4. 

Der  Bekleidung  der  Neokleriker  mit  dem  Superpelliceum  als  dem  ihnen 
eigentümlichen  liturgischen  Gewände  wird  erst  in  den  aus  dem  14.  und 
15.  Jahrhundert  stammenden  Pontifikalien  gedacht5.    In  älteren  ist  eine  dies- 


1  De  ord.  canonic.  c.  10  (M.  188,    1103).  (15.     Jahrb.);     1152     (14,     Jahrb.):      4748 

2  N.  5  (Acta  SS.  31.  Juli;  VII  214).  (14.    Jahrh.);    Ottob.    27    (15.    Jahrb.);    501 

3  Mart.  1.   1,    c.  8,    art.  7,    n.  10;    II  17.  (15.  Jahrh.) ;  Borgh.  14  A  1  (14.  Jahrh.) ;  eben- 
Ebenso  Cod.  Vat.  6748  (14.  Jahrh.).  so   im    Pontifikale  von   St  Blasien   aus  dem 

■'  Mart.  a.  a.  O.  14.    Jahrh.     (Gerbert,     Monumenta    vet. 

5  Beispiele     bieten    Cod.    Vat.    lat.    1145  liturg.  alem.  II  45). 


Sechstes  Kapitel.     Rochett  und  Superpelliceum. 


143 


bezügliche  Rubrik  stets  nachträglicher  Zusatz  L  Wann  die  fragliche  Zeremonie 
aufgekommen  sei,  ist  unsicher.  Schwerlich  ist  sie  aber  schon  vor  dem  13.  Jahr- 
hundert in  Brauch  gewesen;  denn  Sicard  von  Cremona  belehrt  uns:  inter 
clericos  tonsurandi  aut  illico  tonsurati  cappis  utantur  et  stolis  in  divinis, 
d.  i.  wie  aus  dem  Nachfolgenden  erhellt,  superpelliciis 2.  Es  trugen  also  nach 
Sicard  ebenso  wie  die  Tonsurierten,  so  auch  schon  die  noch  zu  Tonsurierenden 
beim  Gottesdienst  das  Superpelliceum.  Selbst  Durandus  redet  noch  nicht  von 
der  Übergabe  unseres  Gewandes  an  die  Neokleriker.  Diese  Zeremonie  dürfte 
demnach  aus  der  Zeit  stammen,  in  welcher  die  Albe  bei  den  niedern  Klerikern 
außer  Gebrauch  gekommen  und  das  Superpelliceum  deren  eigentliches  Sakral- 
kleid und  damit  zugleich  deren  Amtsgewand  im  besondern  Sinn  geworden  war3. 
Nunmehr  lag  es  in  der  Tat  nahe,  wie  den  Neosubdiakonen  bei  der  Ordination 
die  Tunicella,  den  Neodiakonen  die  Dalmatik,  den  Neopresbytern  die  Kasel, 
so  auch  den  Neoklerikern  bei  ihrer  Aufnahme  in  den  geistlichen  Stand  das 
Superpelliceum  als  Zeichen  der  neuen  Würde  zu  übergeben.  Das  Gebet,  unter 
welchem  sich  jetzt  die  Übergabe  des  Superpelliceum  vollzieht,  begegnet  uns 
schon  in  Pontifikalien  aus  dem  15.  Jahrhundert4. 

Aus  der  Bulle  Klemens'  IV.  (1265  — 1271)  für  Le  Puy  ersehen  wir,  daß 
„jemand  ein  Superpelliceum  gewähren"  auch  wohl  Symbol  und  Ausdruck  der 
Übertragung  einer  geistlichen  Pfründe  war 5,  offenbar,  weil  das  Superpelliceum 
Chorgewand  war. 

IX.  BESCHAFFENHEIT  DES  SUPERPELLICEUM. 

In  der  Beschreibung,  welche  uns  Anselm  von  Havelberg,  Gerhoh  und 
Arno  von  Reichersberg  sowie  Sicard  von  Cremona  vom  Superpelliceum  des 
12.  Jahrhunderts  geben,  erscheint  dasselbe  als  eine  weite  Linnentunika,  welche 
bis  auf  die  Füße  hinabwallte G.  Gegürtet  war  das  Superpelliceum  nicht. 
Von  der  Länge  der  Ärmel  schweigen  Anselm,  Arno  und  Sicard.  Die  um 
die  Wende  des  12.  Jahrhunderts  entstandenen  Statuten  des  St  Viktorstiftes 
zu  Paris  bestimmen,  es  sollten  die  Ärmel  nicht  mehr  als  zwei  Hand  breit 
über  die  Finger  hinausgehen  7.  Die  Säkularkanoniker  scheinen  vielfach  sehr 
lange  Ärmel  an  ihren  Superpelliceen  gehabt  zu  haben.  Denn  Gerhoh  von 
Reichersberg  sagt,  das  Kleid  der  acephali  —  so  und  pseudo-canonici  nennt 
er  die  Kanoniker,  welche  kein  gemeinsames  Leben  führten  —  sei  mit  Ärmeln 
ausgestattet,  die  nicht  bis  etwa  zur  Hand,  sondern  bis  zu  den  Füßen  gingen 
oder  gar  zugleich  mit  der  toga  erst  an  der  Erde  endigten 8.  Unter  dem  Kleid 
der  acephali  und  der  toga  versteht  er  aber,  wie  aus  dem  Zusammenhang  her- 


1  So  in  Cod.  Vat.  lat.  5791  und  7114  (beide 
aus  dem  13.— 14.  Jahrh.)  und  Ottob.  330 
(15.  Jahrh.). 

2  Mitralis  1.  2,  c.  1  (M.  213,  59). 

3  In  Rom  war  dies  wenigstens  schon  im  Be- 
ginn des  14.  Jahrhunderts  der  Fall.  Denn  es 
heilst  im  14.  Ordo  c.  48  (M.  78,  1153):  Aco- 
lythi  omnes  debent  esse  induti  cottis  secundum 
consuetudinem  sanctae  romanae  ecclesiae. 

*  So  in  Cod.  Vat.  lat.  1145  und  Ottob.  27. 
5  N.  38  (Bull.  rom.  III  781). 
,;  Bezüglich   der  Länge  des  Superpelliceum 
sagen     die     Consuetudines     canonic.     regul. 


S.Victor.  Parisiens.  c.  20  (Mart.  III  262): 
„Das  Superpelliceum  und  die  wollene  Tunika 
sollen  möglichst  von  einer  Länge  sein  und 
wenigstens  eine  volle  Hand  vom  Boden  ab- 
stehen. Es  darf  zudem  kein  anderes  Gewand 
darunter  hervorragen.  Die  Regularkanoniker 
mußten  das  Kleid  auch  außerhalb  des  Klosters, 
z.  B.  auf  Reisen ,  tragen.  Beim  Reiten 
durften  sie  es  durch  ein  Cingulum  gürten 
(Consuetudines  canonic.  reg.  ex  ms.  Mor- 
bacensi  c.  101    102  [Mart.'lII  317]). 

7  Mart.  a.  a.  0. 

3  De   aedif.  Dei    c.  29   (M.  194,  1270). 


144 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewände 


vorgeht  und  aus  der  Bedeutung  des  Wortes  toga  bei  Anselm  und  Arno  folgt 1, 
das  Superpelliceum  derselben.  Von  der  Weite  der  Ärmel  hören  wir  weder 
im  12.  noch  auch  im  13.  Jahrhundert  etwas.  Es  berechtigt  ihre  Länge  jedoch 
zum  Schluß,  daß  sie  auch  entsprechend  breit  gewesen  sein  müssen 2.  Am 
Kopfdurchlaß  blieb  das  Superpelliceum  bei  den  Augustiner-Chorherren  nach 
Arno  von  Reichersberg  ungeschlossen  3. 

Im  13.  Jahrhundert  beginnt  für  das  Superpelliceum  die  Zeit  allmählicher 
Umgestaltung.  Denn  auch  ihm  sollten  Wandlungen  ebensowenig  erspart 
bleiben  wie  den  andern  liturgischen  Gewändern.  Eine  der  ersten  Verände- 
rungen, die  mit  ihm  vorgingen,  war  seine  Verkürzung.    Die  ersten  Spuren 

derselben  finden  sich  be- 
reits im  13.  Jahrhundert. 
Traf  diese  Zustutzung 
auch  zunächst  nur  das 
Superpelliceum,  soweit  es 
außerliturgisches  Gewand 
war,  so  fing  man  jedoch 
allmählich  an,  auch  an 
dem  liturgischen  Super- 
pelliceum herumzuschnei- 
den. Im  14.  Jahrhun- 
dert war  die  Verkürzung 
noch  unbedeutend;  im  15. 
reichte  das  Gewand  durch- 
weg noch  bis  über  die 
Mitte  des  Schienbeins,  in 
Rom  wie  überhaupt  in 
Italien  aber  sogar  fast 
noch  bis  zum  Saum  des 
Talars  (Bild  58).  Im  16. 
und  namentlich  im  17. 
Jahrhundert  geht  es  nur 
noch  bestenfalls  ein 
wenig  über  das  Knie.  Am 
schlimmsten  wurde  es  im 

Verlauf     des    18.    Jahr- 
tSild  08.     tru  Ansx'lico :   Weihe  des  hl.  Laurentms.  ,        ,  rr     -n      ■         ^ 

Eom,  Vatikan.  (Fhot.  Anna«.)  hunderts.    Zu  Beginn  des 

19.  war  es  so  weit  ge- 
kommen ,  daß  das  Superpelliceum  alleihöchstens  nur  noch  bis  zur  Mitte 
des  Oberschenkels,  ja  vielfach  bloß  noch  ein  wenig  über  die  Hüfte  reichte. 
Natürlich  ging  die  Verkürzung  des  Gewandes  nicht  überall  gleich  rasch  vor 
sich.    Je  größer  die  Neuerungssucht  war  und  je  mehr  man  sich  von  Bequem- 


1  Anseimus  Havelb. ,  De  ord.  canonic. 
reg.  c.  10  (M.  188,  1103);  Arno,  Scutum 
canonic.  (M.  194,  1505). 

2  Vgl.  auch  die  Konstitution  Benedikts  XII. 
vom  Jahre  1339  für  die  regulierten  Augu- 
stiner-Chorherren zu  Avignon  c.  19  (Hard. 
VII   1589). 

3  Scutum  canonic.  (M.  194,  1505)  :  Cuius 
tunicae  (sc.  superpellicei)  lingua  soluta  est .  . . 


sicut  lingua  interulae  vel  camisiae  semper 
clausa  est.  Auch  im  spaten  Mittelalter  finden 
sich  auf  den  Bildwerken  noch  Superpelliceen, 
"welche  vom  Kopf  durch!  aß  an  einen  bis  unter 
die  Brust  reichenden  breiten,  spitz  zulaufen- 
den Ausschnitt  aufweisen.  Ein  gutes  Beispiel 
z.  B.  auf  einem  Tafelgemiilde  des  Meisters 
von  St  Severin  im  Pfarrhause  vou  St  Ursula 
zu  Köln :  Ecce  Homo  mit  Stifter. 


Sechstes  Kapitel.     Bochett  und  Superpelliceum. 


145 


lichkeitsrücksichten  leiten  ließ,  um  so  schneller  vollzog  sie  sich.  Auffallend 
ist,  daß  man  auch  zu  Rom,  wo  man  sich  doch  in  Beziehung  auf  die  andern 
Gewänder  so  konservativ  verhielt,  und  wo  das  Superpelliceum  noch  um  die 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  fast  bis  zum  Saum  des  Talars  ging,  bei  der  Zu- 
stutzung tapfer  mittat.  Wie  man  sieht,  ging  es  mit  dem  Superpelliceum  wie 
mit  dem  Rochett ;  die  Verkürzung  des  einen  hielt  mit  derjenigen  des  andern 
gleichen  Schritt. 

Eine  zweite  Umbildung  betraf  die  Ärmel  unseres  Gewandes.  Noch 
im  13.  Jahrhundert  scheinen  dieselben  durchweg  nicht  mehr  als  mittelweit 
gewesen  zu  sein.  Dann  aber  nahmen  sie  allmählich  an  Weite  zu.  Im  15. 
und  16.  Jahrhundert  hatten  sie  nach  Ausweis  der  Monumente  sehr  häufig  eine 
so  bedeutende  Ausdehnung,  daß  sie  an  die  Ärmel  der  Dalmatiken  des  6.  und 
7.  Jahrhunderts  erinnerten  und  in  langem,  dicht- 
gelagertem, malerischem  Faltenwurf  von  den 
Armen  sich  herunterzogen  (Bild  59). 

Einschneidender  war  eine  andere  Wandlung, 
bei  welcher  die  Ärmel  ihren  Ärmelcharakter  ein- 
büßten und  zu  losen  Lappen  wurden.  Schon  im 
13.  Jahrhundert  hören  wir  davon,  daß  man  da, 
wo  sich  die  Ärmel  an  den  Körper  des  Super- 
pelliceum ansetzen,  in  letzterem  wohl  einen 
Schlitz  angebracht  habe,  um  durch  diesen,  an- 
statt durch  die  Ärmel  selbst,  die  Arme  hinaus- 
zustecken. Bei  dieser  Öffnung  blieb  es  jedoch  in 
der  Folge  nicht;  im  weiteren  Verlauf  ging  man 
dazu  über,  die  ganzen  Ärmel  aufzuschlitzen,  so 
daß  dieselben  lappengleich  von  der  Schulter  herab- 
hingen und  bei  jedem  Windzug  hinter  dem  Träger 
einherflatterten.  Superpelliceen  dieser  Art  treffen 
wir  schon  im  15.  Jahrhundert  an  (Bild  60);  sie 
erhielten  an  manchen  Orten,  namentlich  in  Frank- 
reich1 und  Deutschland,  das  Bürgerrecht  und 
blieben  bis  in  die  neueste  Zeit  im  Gebrauch. 

Von  Superpelliceen  mit  aufgeschlitzten  Är- 
meln war  nur  ein  kleiner  Weg  zu  den  sog.  Flügel- 
röcken, dem  Gegenstück  der  modernen  Dal- 
matiken und  Tunicellen,  welche  aus  einem  Brust-  und  Rückenstück  samt  zwei 
von  der  Schulter  auf  die  Arme  herabfallenden  Zeugstücken,  den  Resten  der 
ehemaligen  Ärmel,  bestehen.  Man  brauchte  nur  das  Gewand  auch  noch  an 
den  Seiten  unterhalb  der  Armlöcher  von  oben  nach  unten  aufzuschlitzen,  und 
der  Flügelrock  war  fertig.  Daß  man  wirklich  den  Schritt  nicht  gescheut  hat, 
erhellt  daraus,  daß  in  den  letzten  Jahrhunderten  tatsächlich  verschiedenen- 
orts  Superpelliceen  dieser  Form  in  Gebrauch  kamen. 

Der  Flügelchorrock  ist  im  Grunde  genommen  ebensowenig  eine  Tunika 
mehr  als  die  modernen  Dalmatiken,  er  erinnert  nur  noch  an  eine  solche. 
Besser  hat  den  Tunikacharakter  eine  andere  Abart  des  Superpelliceum  bewahrt, 
welche  der  Ärmel  oder  ihres  Surrogats,  der  Flügel,  gänzlich  entbehrt  und 
seitlich  lediglich  mit  Schlitzen  zum  Durchstecken  der  Arme  versehen  ist;  sie 


Bild  59.     Stifter.     Ausschnitt  aus 

einem  Tafelbild  Barthel  Bruyns. 

Köln,  Museum. 


1  De  Vert  II  274. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung 


10 


146 


Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 


stellt  eine  dem  ärmellosen  Kolobium  der  Alten  verwandte  Tunika  dar.  Der 
Grund  für  ihre  Entstehung  waren  offenbar  Bequemlichkeitsrücksichten.  In 
England  begegnet  uns  diese  Form  des  Superpelliceum  bereits  im  15.  Jahr- 
hundert. Sie  hieß  daselbst  um  jene  Zeit,  wie  wir  früher  hörten,  rochetum 
und  stand  in  Diensten  der  Ministranten  und  des  taufenden  Priesters. 

Das  kolobiumförmige  Superpelliceum  mag  wiederum  den  Weg  zu  jener 
seltsamen  Superpelliceenart  gebildet  haben,  bei  welcher  das  Gewand  nur  noch 
ein  Überwurf  mit  einer  Halsöffnung  zum  Durchstecken  des  Kopfes  ganz  nach 
der  Art  der  mittelalterlichen  Kasein  war.  Beispiele  dieser  eigenartigen  Form 
finden  sich  auf  den  Malereien  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  mehrfach,  so  auf 

einem  Fresko  in  der 
Kirche  degii  Eremitani 
zu  Padua,  einem  Ge- 
mälde im  Duomo  vecchio 
zu  Brescia,  einem  Ge- 
mälde Bassanos  in  der 
Sala  del  Consiglio  dei 
Dieci  „  Papst  Alexan- 
der III.  und  der  Doge 
Ziani"  und  dem  Gemälde 
Paolo  Veroneses  „  Rück- 
kehr des  Dogen  Andrea 
Contarini  nach  dem  Siege 


bei    Chioggia"     in     der 


Bild  60.     Weihe  des  Bischofs  von  Bamberg  Veit  Truchseß 

von  Pommersf'elden.     Miniatur  aus  dem  Gundekarpontiflkale. 

Eichstätt. 


Sala  del  Maggior  Con- 
siglio des  Palazzo  Du- 
cale  zu  Venedig,  einem 
Mosaik  in  der  Schatz- 
kam m  er  von  S .  Mar  co  u .  a. 
Nicht  eine  wirkliche 
Verkümmerung  des  Su- 
perpelliceum ,  sondern 
nur  ein  Surrogat  ist  das 
skapulierartige  Band, 
das  sich  bei  den  regu- 
lierten Augustiner-Chor- 


herren anstatt  des  aufier- 
liturgischen  Superpelli- 
ceum einbürgerte. 
Bei  dem  schon  früh  auftretenden  Streben,  das  Superpelliceum  bequemer 
zu  gestalten,  begreift  es  sich,  daß  ebenso  früh  Bestimmungen  gegen  ein  solches 
Gebaren  erlassen  wurden.  Gegen  die  unter  dem  Einfluß  der  wechselnden 
Tagesmode  entstandene  Gepflogenheit,  an  den  Seiten  im  Gewand  Schlitze  zum 
Durchstecken  der  Arme  anzubringen,  wandten  sich  schon  die  Synodalstatuten 
des  Bischofs  Johannes  von  Lüttich  vom  Jahre  1287  und  die  Synode  von  Cam- 
brai  aus  dem  Jahre  1300  1.  Eine  Konstitution  Benedikts  XII.  aus  dem  Jahre 
1339,  die  von  der  Reformation  der  regulierten  Augustiner-Chorherren  zu  Avignon 
handelt,  verordnet,  es  sollten  die  Kanoniker  in  der  Kirche  und  den  Klaustra 


1  C.  Celebrans  (Hartzh.  IV  71). 


Sechstes  Kapitel.     Rocbett  und  Superpelliceum.  147 

der  Kathedralen,  Konvente  und  Kollegien  sowie  überall,  wo  sie  conventualiter 
aufträten ,  große  und  weite  Superpelliceen  tragen ,  deren  Ärmel  etwa  vier 
Finger  breit  über  die  Hand  hinausgingen.  Kürzerer  Superpelliceen  sich  zu 
bedienen,  sei  nur  außerhalb  der  Kirche  usw.,  und  zwar  bloß  bei  gleichzeitiger 
Benutzung  der  Cappa  oder  des  Mantels  gestattet.  Doch  müßten  selbige  auch 
in  diesem  Falle  noch  bis  zur  Mitte  des  Schienbeines  reichen  und  Ärmel  von 
der  Breite  etwa  einer  Elle  haben  1.  Schon  1333  hatte  Johannes  XXII.  in  einem 
Diplom  für  die  Kanoniker  von  Villanova  festgesetzt,  alle  sollten  Superpelli- 
ceen von  einheitlicher  Form,  sc.  cum  longis  manicis,  tragen  2.  Bezüglich  des 
liturgischen  Chorrockes  verordnete  das  Basler  Konzil,  man  solle  zur  Abhaltung 
des  Stundengebetes  in  der  Talartunika  und  reinen ,  bis  über  die  Mitte  des 
Schienbeines  reichenden  Superpelliceen  in  der  Kirche  erscheinen3.  Eine  gleiche 
Bestimmung  erließ  1485  eine  Synode  von  Sens  4.  Gegen  die  ärmellosen  Super- 
pelliceen wendet  sich  1585  eine  Synode  von  Aix.  „Alle  sollen",  sagt  sie, 
„wenn  es  der  Dienst  erfordert,  sich  der  Superpelliceen  bedienen ;  dieselben  dürfen 
aber  weder  zerrissen  noch  schmutzig  sein  und  müssen  Ärmel  haben.  Ärmellose 
Superpelliceen,  welche  dieses  Namens  nicht  würdig  sind,  sondern  vielmehr 
Mäntelchen  (mantilia)  heißen  sollten,  verbieten  wir  durchaus."5  Im  Super- 
pelliceum  seitlich  unter  den  Ärmeln  Schlitze  anzubringen,  um  durch  dieselben 
statt  durch  jene  die  Anne  hindurchzustecken,  verbot  noch  1640  das  in  mancher 
Beziehung  sehr  konservative  Rituale  von  Rouen  6. 

Sehr  eingehende  Bestimmungen  traf  der  hl.  Karl  Borromäus  hinsichtlich 
des  Superpelliceum.  Es  solle  selbiges  nicht  nach  Art  des  Rochetts  enge, 
sondern  weite  Ärmel  haben  und  aus  reinem  Linnen  bzw.  Hanftuch  angefertigt 
werden.  Der  zur  Verwendung  kommende  Stoff  müsse  weiß  und  zart  sein; 
ungebleichtes  und  allzu  grobes  Material  dürfe  zur  Herstellung  des  Gewandes 
nicht  gebraucht  werden.  Die  Ärmel  sollten  so  lang  sein,  daß  sie,  gefältelt, 
noch  immer  bis  zu  den  Fingerspitzen  reichten,  und  darum  etwa  eine  Länge 
von  2  cubiti  (=  0,86  m)  haben.  Ihr  vorderer  Umfang  solle  ca  4  cubiti 
(=  1,70  m)  betragen.  Die  Halsöffnung  sei  besser  rund  als  viereckig  und 
habe  sich  bezüglich  der  Größe  nach  der  Kopfdicke  zu  richten.  Ein  Schlitz 
dürfe  vorn  auf  der  Brust  nicht  angebracht  werden.  Unten  müsse  das  Gewand 
bis  über  die  Knie  und  etwa  bis  zur  Mitte  des  Schienbeines  reichen.  Sein 
Umfang  solle  sich  am  unteren  Ende  auf  etwa  13  cubiti  (=  5,60  m),  an  den 
Schultern  aber  auf  ungefähr  8  cubiti  (=  3,40  m)  belaufen.  Nirgends  dürfe  das 
Superpelliceum  allzu  große  Künstelei  und  gesuchte  Eleganz  offenbaren  7. 

Sehr  bemerkenswert  ist  auch  die  Verordnung,  welche  die  Prager  Synode 
des  Jahres  1605  in  Bezug  auf  das  Superpelliceum  erließ.  Sie  will,  daß  es 
aus  passendem  Linnen  gemacht  werde,  daß  sein  Saum  höchstens  eine  Viertel- 
elle vom  Boden  entfernt  sei  und  daß  die  Ärmel  eine  Gesamtweite  von  zwei 
und  ein  Viertel  Ellen  besäßen 8.  Wäre  das  Gewand  nur  immer  geblieben, 
was  es  nach  diesen  Bestimmungen  sein  sollte ! 

Eine  reiche  Ausstattung  hat  das  Superpelliceum  im  Mittelalter  im 
allgemeinen  nicht  gefunden.  Bestenfalls  wurde  es  vorn  und  rückwärts  am 
unteren  Saum  mit  einem  quadratischen  oder  rechteckigen  Besatzstück,  der  sog. 


1  N.  19  (Hard.  VII  1589).  5  C.  De  vita  et  honest,  der.  (Hard.X  1544). 

2  Giorgi,   Liturg.  Rom.  Pontif.  I  333.  6  De  Vert  II  274. 

3  Sess.  21,  c.  3  (Hard.  VIII  1197).  7  A.  E.  Med.  635. 

1  C.  1  (Hard.  IX  1522).  8  C.  13  (Hartzh.  VIII  692). 

10* 


148  Erster  Abschnitt.     Die  liturgischen  Untergewänder. 

Parura ,  versehen  K  Doch  dürfte  selbst  das  nicht  allzuhäufig  vorgekommen 
sein.  Auf  den  Monumenten  erscheint  es  durchweg  als  ein  wenngleich  falten- 
reiches, so  doch  im  übrigen  schlichtes  Gewand.  Mit  Beginn  der  Neuzeit 
scheint  man  auf  die  Verzierung  des  Superpelliceum  mehr  Gewicht  gelegt  zu 
haben.  Sah  sich  doch  schon  der  hl.  Karl  Borromäus  veranlaßt,  vor  allzu 
kunstfertiger  und  eleganter  Herstellung  desselben  zu  warnen.  Seitdem  dann 
die  Spitzenindustrie  aufblühte,  bürgerte  sich  die  Gewohnheit  ein,  den  unteren 
Rand  und  die  Ärmelsäume  des  Gewandes  mit  Spitzen  zu  besetzen.  Die  Miß- 
brauche, zu  welchen  eine  gleiche  Gepflogenheit  bei  der  Albe  und  dem  Rochett 
geführt,  machten   sich  jedoch  allmählich  auch    beim  Superpelliceum    geltend. 

Die  Wiedergeburt  der  christlichen  Kunst  hat  in  der  übermäßigen  und 
mißbräuchlichen  Verwendung  der  Spitzen  einigen  Wandel  geschaffen.  Die  hier- 
bei in  Aufnahme  gekommenen  Bordüren  in  Rot-  oder  Buntstickerei  waren  im 
Mittelalter  bei  den  Superpelliceen  wohl  kaum  gebräuchlich ,  sind  aber  sehr 
zweckentsprechend.  Die  neu  erwachten,  an  bessere  Zeit  der  kirchlichen  Kunst- 
tätigkeit anknüpfenden  Bemühungen  haben  auch  das  Verdienst,  dem  Gewand 
vielfach  wieder  eine  würdigere  Form  verschafft  zu  haben. 

Von  dem  Gebrauch,  das  Superpelliceum  künstlich  zu  fälteln,  redet  schon 
der  hl.  Karl  Borromäus.  Er  bestand  bereits  beim  Ausgange  des  Mittelalters, 
wie  z.  B.  das  Porträt  des  Kanonikus  Salviati  von  Gerard  David  (Nat.  Gallery 
zu  London)  beweist;  eine  größere  Verbreitung  und  Ausbildung  erlangte  er 
aber  wohl  erst  seit  dem  17.  Jahrhundert.  Der  Körper  des  Gewandes  wurde 
dabei  in  zahllose,  von  oben  nach  unten  laufende  Parallelfalten  gelegt,  während 
die  Ärmel  in  die  Quere  gefältelt  wurden.  Eine  solche  Fältelung  des  Super- 
pelliceum ,  welche  natürlich  voraussetzt ,  daß  selbiges  zuvor  durch  Stärken 
eine  gewisse  Steifheit  erhalten  hat,  mag  ihre  Vorteile  haben,  übertrieben,  wie 
es  oft  der  Fall  war  und  ist,  artet  sie  aber  in  Spielerei  und  geistloses  Prunken 
aus  und  macht  das  Superpelliceum  zu  einem  Zerrbild  eines  würdevollen  litur- 
gischen Gewandes. 

Von  liturgischen  Superpelliceen  hat  sich  aus  dem  Mittelalter  leider  keines 
erhalten.  Allerdings  soll  sich  noch  ein  solches  auf  Schloß  Friedenstein  bei 
Gotha  befinden,  und  zwar  soll  sich,  wollen  wir  einer  von  Bock  mitgeteilten  Er- 
zählung glauben,  Kaiser  Maximilian  I.  desselben  bedient  haben,  als  er  angeblich 
gelegentlich  einer  Wallfahrt  nach  Echternach  am  Chordienst  der  Mönche  teil- 
nahm 2.    Das  Gewand  hat  indessen  mit  einem  Superpelliceum  nichts  zu  schaffen. 

Ein  interessantes  Augustinersuperpelliceum  wird  in  der  Pfarrkirche  zu 
Waldsee  (Württemberg)  aufbewahrt.  Es  hat  förmliche  Skapulierform ,  ist 
ungefähr  1  m  lang  und  besteht  aus  zwei  1,96  und  1,42  m  breiten  Stücken 
feiner  kreppartiger  Leinwand,  welche  oben  auf  0,14  bzw.  0,12  m  eingekräuselt 
und  durch  zwei  0,29  m  lange  und  IV2  cm  breite  Bänder  miteinander  ver- 
bunden sind.  Das  Gewand  soll  dem  ehrwürdigen  P.  Kügelin,  dem  Beicht- 
vater der  seligen  Beta  von  Reute,  angehört  haben,  doch  stammt  es  wie  eine 
demselben  gleichfalls  zugeschriebene  Kasel  in  der  Pfarrkirche  zu  Waldsee 
wohl  aus  späterer  Zeit  und  nicht  schon  aus  dem  15.  Jahrhundert.  Immerhin 
ist  es  ein  um  so  beachtenswerteres  Stück,  als  sich  ein  derartiges  Gewand 
sonst  kaum  erhalten  haben  dürfte. 


1  Ein  Beispiel  bei  Bock,  Gesch.  II,  Tafel  2  Ebd.II337.  Kirchenschmuck  IV  (1858J  .57 

XLIV.  mit  farbiger  Abbildung. 


ZWEITER  ABSCHNITT. 

DIE  LITURGISCHEN  OBERGEWÄNDER. 

ERSTES  KAPITEL. 

DIE    KASEL. 

I.    DIE  KASEL  IN  DER  GEGENWART. 

Das  liturgische  Obergewand  des  Priesters  und  Bischofs  ist  die  Kasel 
oder  Planeta.  Sie  bildet  mit  der  Albe  den  notwendigsten  Bestandteil  der 
Meßkleidung  und  kann  als  das  Meßgewand  im  besondern  Sinne  bezeichnet 
werden,  da  sie  nur  bei  der  Messe  gebraucht  wird.  Denn  es  ist  im  Grunde 
nur  eine  scheinbare  Ausnahme,  wenn  sich  der  Priester  ihrer  auch  bei  den 
Lesungen  der  Präsanktifikatenmesse  am  Karfreitag  und  den  Prophetien  am 
Karsanistag  bedient,  oder  wenn  sich  die  zwölf  Priester,  welche  am  Grün- 
donnerstag bei  der  Öl  weihe  assistieren,  mit  der  Kasel  bekleiden.  Denn  alle 
diese  Funktionen  stehen  in  innigster  Verbindung  mit  der  Tagesliturgie.  Ledig- 
lich Schmuck  ist  die  Kasel,  wenn  sie,  wie  das  an  verschiedenen  Orten  üblich 
ist,  (ohne  Manipel  und  Stola)  von  Priestern  bei  der  Fronleichnamsprozession 
getragen  wird,  da  die  bloße  Teilnahme  an  einer  Prozession  noch  kein  liturgischer 
Akt  ist.  Symbol  der  Priesterwürde  ist  sie,  wenn  sie  von  den  Priestern,  welche 
bei  der  Priesterweihe  an  der  Händeauflegung  teilnehmen,  angelegt  wird1. 
Bei  der  Priesterweihe  wird  die  Kasel  dem  Ordinanden  durch  den  Bischof  selbst 
angezogen.  Sie  wird  dabei  in  den  Worten,  mit  denen  der  Konsekrator  die 
Zeremonie  begleitet,  ausdrücklich  als  die  vestis  sacerdotalis  bezeichnet.  „Nimm 
hin",  spricht  derselbe,  „das  priesterliche  Kleid,  das  Symbol  der  Liebe;  Gott 
ist  mächtig  genug,  dir  die  Liebe  und  vollkommenes  Werk  zu  mehren." 
Eigentümlich  bei  diesem  Ritus  ist,  daß  die  Kasel  anfangs  auf  dem  Rücken 
noch  zusammengerollt  bleibt.  Erst  am  Schluß  der  Messe,  in  welcher  die 
Weihe  statthatte,  wird  sie  ganz  entfaltet,  wie  um  anzudeuten,  daß  nunmehr 
der  Neugeweihte  völlig  bereit  zum  Altardienst  ist. 

Die  Diakone  und  Subdiakone  gebrauchen  die  Kasel  nur  an  ge- 
wissen Tagen  und  bei  gewissen  Gelegenheiten  und  auch  dann  bloß  in  der 
Form  der  sog.  planeta  plicata.  Es  sind  die  Sonn-  und  Wochentage  der  Advent- 
und  Fastenzeit,  ausgenommen  die  Sonntage  Gaudete  und  Laetare,  der  Grün- 
donnerstag und  der  Karsamstag  (Osterkerzenweihe  und  Messe),  die  übrigen 
Fasttage  des  Kirchenjahres  mit  Ausnahme  der  Vigilien  vor  Weihnachten, 
Pfingsten  (Messe),  Maria  Himmelfahrt,  Peter  und  Paul  und  Allerheiligen, 
sowie  der  Quatembertage  der  Pfingstwoche  und  endlich  die  Aschen-,  Kerzen- 
und  Palmweihe  samt  den  an  die  beiden  letzten  sich  anschließenden  Prozessionen. 

Planeta  plicata  wird  die  Kasel  genannt,  deren  sich  der  Diakon  und  der 
Subdiakon    an    diesen  Tagen   und  bei   den  angeführten  Zeremonien  bedienen, 

1  Pontif.  Roman,  in  ordinat.  presbyteri. 


150  Zweiter  Abschnitt.     Die   liturgischen  Obergewänder. 

weil  sie,  statt  frei  von  den  Schultern  herunterzufallen,  vorn  zusammengefaltet 
ist.  Beim  Subdiakon  bleibt  das  so  die  ganze  Messe  hindurch;  nur  muß  er 
die  Epistel  ohne  planeta  plicata  singen,  weshalb  er  dieselbe  vor  Beginn  der 
Lesung  auszuziehen  hat.  Der  Diakon  behält  die  vor  der  Brust  zusammen- 
gerollte Kasel  bis  zum  Evangelium.  Dann  legt  er  sie  ab,  faltet  sie,  wenn 
er  sich  nicht  etwa  der  sog.  stola  latior,  eines  breiten,  stolaartigen  Bandes,  be- 
dienen will,  streifenartig  zusammen  und  legt  sie  ganz  nach  Weise  der  diako- 
nalen  Stola  wieder  um.  So  trägt  er  sie  bzw.  ihr  Surrogat,  die  stola  latior, 
bis  die  Kommunion  beendet  ist;  dann  zieht  er  die  planeta  plicata  wieder  in 
der  Gestalt  an,  wie  er  sie  beim  Anfang  der  Messe  trug. 

In  den  römischen  Kirchen  bedient  man  sich  statt  eines  vor  der  Brust 
zusammengefalteten  Meßgewandes  einer  vorn  verkürzten  Kasel,  allerdings 
nicht  ganz  im  Einklang  mit  den  Rubriken  des  Missale  und  den  Angaben  des 
Caeremoniale.  Die  stola  latior  (ital.  stolone)  ist  nicht  eine  Stola,  sondern 
nur  Ersatz  der  streifenartig  zusammengerollten  Kasel;  sie  soll  deshalb  auch 
nicht  mit  den  drei  Kreuzen  versehen  sein,  welche  man  auf  der  eigentlichen 
Stola  anbringt 1.  Das  Missale  erlaubt  den  Gebrauch  dieses  Surrogates,  weil 
die  moderne  Kasel  sich  schlecht  oder  kaum  in  Form  der  diakonalen  Stola 
zusammenfalten  und  benutzen  läßt. 

Das  Missale  schreibt  den  Gebrauch  der  planeta  plicata  nur  für  die 
Kathedralen  und  die  sonstigen  hervorragenden  (Stifts-,  Kloster-  und  Pfarr-) 
Kirchen  vor.  Kleineren  Kirchen  ist  ihre  Verwendung  sogar  ausdrücklich 
untersagt.  In  ihnen  sollen  Diakon  und  Subdiakon,  wenn  sie  sich  nicht  der 
Dalmatik  und  Tuniceila  bedienen  dürfen,  nur  in  Albe,  Stola  und  Manipel 
bzw.  in  Albe  und  Manipel  fungieren 2.  Doch  ist  auch  in  manchen  Kathe- 
dralen und  erst  recht  in  vielen  größeren  Kirchen  die  planeta  plicata  nicht 
mehr  im  Gebrauch.  Es  wäre  zu  wünschen,  daß  man  sie  überall  wieder  ein- 
führte, und  wäre  es  auch  nur  im  Hinblick  auf  das  mehr  als  tausendjährige 
Alter  ihrer  Verwendung. 

Die  Kasel  oder  Planeta,  wie  sie  sich  gegenwärtig  allenthalben  im  Ge- 
brauch befindet,  ist  ein  skapulierartiger  Überwurf,  der  über  Brust  und 
Rücken  herabfällt,  an  den  Seiten  die  Arme  unbedeckt  läßt  und  in  der  Mitte 
mit  einem  Durchlaß  für  den  Kopf  versehen  ist.  Neben  der  vollen  Überein- 
stimmung in  der  Grundform  weisen  aber  die  Kasein  in  den  einzelnen  Ländern 
eine  Reihe  von  Verschiedenheiten  auf.  Dieselben  betreffen  teils  den  Schnitt, 
teils  die  Machweise,  teils  die  Abmessungen,  teils  die  Verzierungen  des  Ge- 
wandes. Es  lassen  sich  in  dieser  Beziehung  vier  Typen  unterscheiden,  ein 
römischer  (italienischer),  französischer,  spanischer  und  deutscher  Typus. 

Die  römischen  Kasein  haben  durchweg  eine  Rückenbreite  von  0,75  m 
und  eine  Länge  von  ca  1,20  m.  Die  Ausschnitte  an  der  Vorderseite  können  im 
Vergleich  mit  denjenigen  der  andern  Kaseltypen  als  mäßig  bezeichnet  werden. 
Der  Durchlaß  für  den  Hals  geht  vorn  weit  herab  (Bild  61  c).  In  der  Regel  besteht 
das  Gewand  aus  zwei  Stoffstücken,  einem  größeren  und  einem  kleineren,  welche 
auf  der  Vorderseite  vor  der  Brust  aneinandergesetzt  sind.  Steifes  Innenfutter  zu 
verwenden,  ist  nicht  Brauch.  Die  Kasein  sind  darum  auch  durchweg  leicht 
und  biegsam.  Das  gilt,  wenigstens  in  der  Regel,  selbst  von  solchen,  welche 
mit  Goldstickerei  über  und  über  verziert  sind.  Kasein  von  bretterhafter 
Steifheit  sind  in  Italien  meist  Importware. 


1  C.  R.  25.  Sept.  1852  (Decret.  auth.  3006).  2  Eubricae  generales  tit.  19,  n.  6  7. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


151 


Die  Ausstattung  der  römischen  (italienischen)  Kasein  besteht  in  einem 
Stab  oder,  wie  man  gewöhnlich  sagt,  einer  colonna  (Säule)  auf  dem  Rück- 
ten, einer  breiten  Einfassung  des  Kopfdurchlasses  und  einer  Art  gerad- 
balkigen  Kreuzes  auf  der  Vorderseite.  Bei  den  gewöhnlichen  Kasein  werden 
Säule,  Halseinfassung  und  Kreuz  regelmäßig  durch  Börtchen  imitiert;  bei 
besseren  pflegen  sie  mit  Vorliebe  in  Goldstickerei  hergestellt  zu  werden.  Die 
Bildstickerei  kommt  in  Italien  bei  Ausschmückung  der  Kasel  sehr  wenig  in 
Anwendung.  Die  immer  und  immer  wiederkehrenden  Motive  der  Stickereien 
sind  Banken,  Ähren,  Weinreben,  Blumen,  Schnörkelwerk  und  ähnliche.  Soll 
eine  Kasel  besonders  reich  ausgestattet  werden,  so  wird  sie  mit  Goldstickereien 
ganz  und  gar  wie  übersponnen.  Eigens  zu  diesem  Ende  gewebte  Besätze 
werden  nur  wenig  zur  Verzierung  des  Meßgewandes  gebraucht. 

Vollkommen  ist  die  römische  Kasel  nicht,  sie  kann  indessen  alles  in 
allem  noch  als  der  würdigste  und  entsprechendste  Typus  unter  den  modernen 
Kaselformen  bezeichnet  werden.  Ganz  besonders  steht  sie  weit  über  der 
spanischen  Kasel,  einem  in  jeder  Beziehung  häßlichen  Gewände  (Bild  61  d). 
Man  hat  in  neuerer  Zeit  die  moderne  Kasel  vielfach  Baßgeige  gescholten.  Wenn 
irgendwo,  dann  trifft  dieser  Titel  bei  der  auf  den  Schultern  lächerlich  sehmalen, 


Bild  61.     Kaselformen. 


nach  unten  geigenförmig  sich  erweiternden  spanischen  Form  des  Meßgewandes  zu. 
Der  Durchlaß  für  den  Hals  ist  bei  dem  spanischen  Kaseltypus  weniger  lang  wie 
bei  der  römischen  Kasel,  dafür  aber  sehr  weit.  Oben  hat  die  spanische  Kasel 
eben  Rückenbreite,  sie  mißt  also  daselbst  nur  etwa  0,45  m.  Unten  mag  sich 
ihre  Breite  auf  etwa  0,60  m  belaufen.  Ihre  Länge  beträgt  bestenfalls  etwa 
1  m,  in  der  Tat  zwerghafte  Maße.  Ein  Kreuz  hat  die  Kasel  weder  auf  der 
Brust  noch  auf  dem  Rücken;  hier  wie  dort  findet  sich  bloß  ein  einfacher 
Vertikalbesatz.  Den  Kopfdurchschlupf  umsäumt  bald  eine  breitere  Einfassung, 
bald  nur  ein  schmales  Börtchen. 

Eine  Mittelstellung  zwischen  dem  römischen  und  dem  spanischen  nimmt 
der  französische  und  der  deutsche  Kaseltypus  ein. 

Eine  Beschreibung  der  deutschen  Kasel  (Bild  61a,  b)  ist  überflüssig, 
da  sie  allbekannt  ist.  Es  sei  daher  nur  bemerkt,  daß  ihre  Länge  sich  gewöhn- 
lich auf  ca  1,15  m  und  ihre  Rückenbreite  auf  ca  0,68  bis  0,70  m  beläuft. 

Die  französische  Kasel  hat  im  allgemeinen  etwas  geringere  Ab- 
messungen als  die  deutsche,  namentlich  was  die  Länge  anbetrifft.  An  der 
Vorderseite  ist  sie  regelmäßig  stark  ausgeschnitten.  Die  Halsöffnung,  welche 
beim  deutschen  Typus  in  der  Regel  ovale  oder  elliptische  Form  hat,  ist  dem 
Kopfdurchlaß   des   römischen  Typus   nachgebildet,    doch   etwas   breiter.     Auf 


152 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


dem  Rücken  ist  die  französische  Kasel  ähnlich  wie  die  deutsche  mit  einem 
Kreuz  und  auf  der  Vorderseite  mit  einem  bloßen  Stab  verziert.  Sie  unter- 
scheidet sich  von  dieser  durch  die  breite  Umrahmung  des  Kopfdurchschlupfes 
sowie  auch  wohl  durch  die  Ecken,  welche  mit  Vorliebe  auf  französischen 
Kasein  in  die  vier  von  den  beiden  Kreuzbalken  gebildeten  Winkel  hinein- 
gelegt werden.  Die  Naht,  welche  den  Vorder-  und  Rückteil  verbindet, 
liegt  bald  auf  der  Schulter,  bald  unterhalb  des  Kopfdurchlasses  vor  der  Brust. 
Zur  Verzierung  besserer  Kasein  dienen  mit  Vorzug  Goldstickereien,  nament- 
lich solche  in  Gestalt  von  Guipes,  d.  i.  über  einen  dicken,  steifen  Karton  aus- 
geführte Hochstickereien. 

Zu  diesen  vier  Haupttypen  der  modernen  Kasel  ist  in  neuerer  Zeit  als 
fünfter  eine  Nachbildung  der  spätmittelalterlichen  Meßgewandform  gekommen. 
Er  hat  indessen  nur  eine  geringe  Verbreitung  erlangt.  In  Italien  und  Spanien 
hat  man  nicht  einmal  Miene  gemacht,  zum  mittelalterlichen  Kaseltypus  zurück- 
zukehren ;  in  Frankreich,  Belgien  und  England  fand  er  nur  vereinzelt  Auf- 
nahme; am  meisten  ist  er  in  Deutschland  wieder  zu  Ehren  gekommen, 
wenngleich  auch  hier  nur  in  beschränktem  Maße,  zumal  im  Süden  K 

Über  den  Stoff,  aus  dem  das  Meßgewand  anzufertigen  ist,  geben  die 
Rubriken  keine  Auskunft.  Es  bestehen  darüber  jedoch  verschiedene  Ent- 
scheidungen der  Ritenkongregation.  Hiernach  ist  es  unzulässig,  die  Kasein 
aus  Linnen,  Baumwollzeug  und  selbst  Wollstoffen  herzustellen  2.  Auch  dürfen 
dieselben  nicht  aus  Glasbrokat,  einem  Surrogat  für  Goldbrokat,  bei  welchem 
gesponnene  Glasfäden  die  Stelle  der  Goldfäden  vertreten,  gemacht  werden 3. 
Aus  halbseidenen  Stoffen  darf  das  Meßgewand  nur  hergestellt  weTden,  wenn 
die  seidene  Kette  den  nichtseidenen  Einschlag  völlig  deckt i.  Der  eigentliche 
Kaselstoff  ist  also  dem  heutigen  kirchlichen  Gebrauch  gemäß  die  Seide,  wie 
Linnen  für  die  Albe  und  den  Amikt  der  liturgische  Stoff  im  besondern  Sinne 
ist.  Die  Stoffe  können  gemustert  und  ungemustert,  einfarbig  und  mehrfarbig, 
glatte  Zeuge  und  Samte,  mit  Gold-  wie  mit  Silberfäden  durchwoben  sein. 
Sind  sie  mehrfarbig,  so  muß  eine  Farbe  vorherrschen,  damit  sich  der  Farben- 
charakter des  Gewandes  nach  ihr  bestimmen  lasse 5.  Der  Regel  nach  wird 
das  die  Farbe  des  Stoffgrundes  sein. 

II.  DIE  NAMEN  DES  MESSGEWANDES. 

Statt  mit  dem  in  der  Gegenwart  gebräuchlichen  Namen  Kasel  und 
Planeta  bezeichnete  man  vormals  unser  Gewand  auch  mit  den  Benennungen 
amphibalus  und  infula.  Amphibalus  hieß  es  in  der  gallikanischen 
Kirche  der  vorkarolingischen  Zeit.  Es  führt  diesen  Namen  in  der  galli- 
kanischen Meßerklärung 6,    in   den  Dialogen   des  Sulpicius  Severus 7,   den  ge- 


1  Über  die  Frage,  ob  die  spätmittelalter- 
liche Kaselform  als  zulässig  gelten  dürfe, 
was  gegenwärtig  wohl  nicht  mehr  zweifelhaft 
sein  kann,  vgl.  insbesondere  den  vortrefflichen 
Aufsatz  des  jetzigen  hochw.  Herrn  Bischofs 
von  Rottenburg,  P.  W.  v.  Keppler,  in  dem 
„Archiv  für  christl.  Kunst"  1888,  Nr  1  —  7; 
ferner  Thalhof  er,  Liturgik  I  858  und 
Braun,  Winke  43. 

2  Monitum  C.  R.  28.  Juli  1881  (Acta  S.  Sedis 
XIV  144),  ferner  C.  R.  18.  Dez.  1877  und 
15.  April  1880  (Ballerini-Palmieri,  Opus 


morale  IV  791),  17.  Dez.  1888  (Analecta  Ord. 
Capuc.  VI  182)  und  23.  Juni  1892  (Decret. 
auth.  3779). 

3  C.  R.  11.  Sept.  1847  (Decret.  auth.  2949). 

1  Ebd.  23.  März  1882  (Decret.  auth.  3543). 

5  Ebd.  19.  Dez.  1829,  12.  Nov.  1831,  23.  Sept. 
1837  (Decret.  auth.  2675  2682  2769).  Aus- 
führlicheres über  die  Beschaffenheit  des  Stoffes 
des  Mef3gewandes  bei  Braun,  Winke  3  ff 
und  25. 

6  M.   72,    97. 

7  Dialog.  1.  2,  c.  1   (Corp.  SS.  eccl.  I,  180). 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


153 


reimten  Vitae  S.  Martini  des  Palliums  von  Perigneux 1  und  des  Venantius 
Fortunatus  2  u.  a.  Seitdem  der  gallikanische  Meßritus  aufgegeben  und  durch 
den  römischen  verdrängt  wurde,  scheint  der  Name,  wenn  er  überhaupt  vor- 
her eine  größere  Bedeutung  gehabt,  rasch  außer  Gebrauch  gekommen  zu  sein. 

Im  gewöhnlichen  Leben  bezeichnete  man  mit  amphibalus  (amphimalus)  namentlich 
den  außerliturgischen  Mantel  der  Geistlichen  und  Mönche.  In  diesem  Sinne  begegnet 
uns  das  Wort  in  der  von  dem  hl.  Audoenus  (St-Ouen,  f  683)  verfaßten  Vita  S.  Eligii 
(t  659) s,  in  der  von  einem  Zeitgenossen  geschriebenen  Biographie  des  hl.  Fructuosus. 
Erzbischofs  von  Braga  (t  ca  660  4),  bei  Gregorius  von  Tours  in  der  Schrift  De  gloria 
confessorum  '*,  in  der  von  Cummeneus  herrührenden  Lebensbeschreibung  des  hl.  Columba, 
Abtes  von  Jona  (f  598) 6.  Auch  in  der  Vita  S.  Boniti,  ep.  Claromontani  (f  709), 
in  der  zweimal  von  einem  amphibalus  des  Heiligen  die  Bede  ist,  bedeutet  das  Wort, 
wie  es  scheint,  ein.  außerliturgisches  Gewand  1.  Selbst  Mäntel  der  Laien  wurden  am- 
phibalus genannt,  und  zwar  dürfte  sich  der  Name  in  diesem  Sinne  hie  und  da  ziemlich 
lang  erhalten  haben.  Denn  wir  treffen  das  Wort  noch  in  der  Chronik  des  Erzbischofs 
Bomuald  von  Salerno  (f  1181)  in  dieser  Bedeutung  an8.  Als  Frauenmantel  erscheint 
amphibalus  in  der  Vita  S.  Wiboradae  (10.  Jahrh.) ,J. 

Der  Ausdruck  infula  ist  uns  in  dem  Sondersinn  von  Kasel  vor  1000 
bisher  nirgends  begegnet.  Er  wird  erst  im  11.  Jahrhundert  diese  Bedeutung 
erhalten  haben.  Seit  dieser  Zeit  heißt  das  Meßgewand  freilich  sehr  häutig  infula, 
vornehmlich  in  England  und  Prankreich,  seltener  in  Deutschland  und  Italien. 

So  wird  in  einem  dem  12.  Jahrhundert  entstammenden  Inventar  der  Abtei 
Martinsberg  (bei  Raab  in  Ungarn)  die  Kasel  infula  genannt:  8  infulae  cum  stolis 
manipulisque.  Unter  demselben  Namen  erscheint  sie  ferner  in  dem  Glossar  des  Eng- 
länders Johannes  Gerland10.  Die  infula  nämlich,  die  darin  unter  den  priesterlichen 
Gewändern  aufgeführt  wird,  erklärt  der  Verfasser  selbst  mit  cheisible  (=  chasuble, 
casula).  Besonders  verbreitet  war  aber  die  Benennung  infula  in  Prankreich.  His 
supradictis  (nämlich  Albe  usw.)  imponitur  casula,  quae  alio  nomine  planeta  vel  infula 
dicitur,  heißt  es  in  dem  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  c.  6  ",  und  bald  nachher: 
Habeat  (Priester)  zonam  castitatis,  stolam  fortitudinis  et  plenitudinem  scientiae,  i.  e. 
charitatem,  quam  figurat  infula.  Ebenso  klar  und  bestimmt  wird  das  Meßgewand  vier- 
mal in  dem  kurzen  14.  Sermo ,  der  sich  im  Anhang  zu  den  Werken  Hugos  von 
St  Victor  befindet,  mit  dem  Namen  infula  bezeichnet.  Ein  Schatzverzeichnis  der 
Heiligen  Kapelle  zu  Paris  vom  Jahre  1363  stellt  die  infula  ausdrücklich  der  casula 
gleich :  infula  seu  casula  12.  Dasselbe  tun  die  Statuten  der  Synode  von  Cahors  aus 
dem  Jahre  1289  n. 

In  den  Inventaren  von  Angers  führt  das  Gewand  sogar  noch  im  Jahre  1595  diese 
Bezeichnung.  Erst  mit  dem  Schatzverzeichnis  von  1599  heißt  es  hier  chasuble.  Den 
Namen  infula  erhielt  die  Kasel  wohl  darum ,  weil  sie  das  Meßgewand  in  besonderem 
Sinne  und  damit  zugleich  das  Priesterkleid  mit  Vorzug  geworden  war.  Daher  denn 
auch    der  Name  erst    auftaucht ,    als  die  Kasel   nicht    nur  aus    dem  außerliturgischen 


1  L.  4  in  initio  (M.  61,  1038). 

2  L.  3,  v.  42  (M.  88,  393). 

3  L.  2,  c.  6  (M.  87,  517). 

I  N.  9  (A.  SS.  16.  April;  II  429). 
5  C.  59  (M.  71,  871). 

«  N.  27  (A.  SS.  O.  S.  B.  I  349).   Vgl.  auch 
S.  Greg.  M.  Epp.  1.  XI V,  n.  1 5  (M.  G.  Epp.  11435). 
7  N.  9  36  (A.  SS.  15.  Jan.;  I  353  357). 
9  Mur.,  SS.  VII  155. 
9  N.  4  (A.  SS.  O.  S.  B.  V  46). 
">  Chambers  46. 

II  M.  177,  353  355.    Es  ist  also  unzutreffend, 
wenn  es  Realenc.  II  213  heißt,  im  Spec.  eccl. 


Hugos  von  St  Viktor  sei  die  Bezeichnung 
infula  für  ein  Amt  gesetzt.  Infula  besagt 
dort  klar  und  bestimmt  ein  Gewand,  und  zwar 
nicht  die  Mitra,  sondern  die  Kasel. 

12  D.  C.  (sub  Infula)  IV  358. 

13  C.  18  (Mart,  Thes.  IV  715).  Man  ver- 
gleiche auch  die  sehr  lehrreichen  Stellen  bei 
Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  1  (Auszug  aus  einem 
Missale  von  Auxerre) ;  I  127  und  1.  4,  c.  23 
(Auszug  aus  einem  Rituale  von  Soissons) ; 
III  138;  ferner  Mart.,  Mon.  1.  3,  c.  14,  n.  33 
35  (Ex  consuet.  Sti  Dionysü  et  S.  Cornelii 
Compend.);  IV  138. 


154  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Gebrauch  verschwunden  war,  sondern  auch  im  liturgischen  Dienst  den  Charakter  eines 
spezifischen  Meßornates  erhalten  hatte  und  nur  noch  ausschließlich  der  Meßfeier  diente, 
d.  i.  nach  Einführung  des  liturgischen  Pluviales. 

Gegenwärtig  heißt  das  Meßgewand  nur  noch  planeta  (ital.  pianeta)  und 
casula  (Kasel,  lioll.  casuifel,  franz.  chasuble,  engl,  chasuble,  span.  casulla). 

Die  Etymologie  des  Wortes  planeta  ist  dunkel.  Isidor  bemerkt  bezüglich 
seines  Ursprungs :  Graeci  planetas  dictos  volunt,  quia  oris  errantibus  evagantur.  Unde 
et  stellae  planetae  i.  e.  yagae  suo  errore  motuque  discurrunt '.  Danach  wäre  der 
Name  vom  griechischen  -Xaväu&ai  (errare,  umherirren,  umherschweifen)  abzuleiten,  und 
hätte  das  Gewand  seine  Benennung  von  dem  Umstand ,  daß  wegen  der  Stofffülle  der 
Saum  des  Kleides  gleichsam  in  regellosen  Palten  den  Körper  umirrte.  Die  Erklärung 
Isidors  schmeckt  jedoch  zu  sehr  nach  jener  sonderbaren  Deutungsweise,  die  man  auf  Schritt 
und  Tritt  bei  ihm  antrifft.  Man  hat  darum  neuerdings  gemeint,  es  sei,  weil  die 
Planeta  ursprünglich  ein  Reisekleid  gewesen,  der  Name  vielleicht  von  ~X«v5.v,  7üXav5<rflai 
im  Sinne  von  „reisen,  umherziehen"  abzuleiten.  Dagegen  ist  indessen  zu  erinnern, 
daß  -Xavav,  äXaväsflai  nur  heißt  „planlos  umherschweifen,  in  die  Irre  gehen",  nicht  aber 
umherreisen.  Auch  kommt  die  Bezeichnung  planeta  erst  auf,  als  das  Gewand  schon 
längst  nicht  mehr  Reisegewand  war.  Man  wird  deshalb  auch  diesen  Deutungsversuch, 
der  scheinbar  den  Ursprung  des  Namens  in  einfachster  Weise  erklärt,  auf  sich  beruhen 
lassen  müssen.  Eigentümlich  ist,  daß  bei  den  Griechen  planeta  nie  als  Bezeichnung  des 
Meßgewandes  in  Gebrauch  war  und  ein  von  ^Xaväcilai  gebildetes  Wort  bei 
ihnen  überhaupt  als  Kleidername  nicht  vorkommt.  Sie  nannten  das  der 
planeta  entsprechende  Gewand  ysXöviov  ('fsXo'vyjc),  cpaivoXiov. 

Was  die  Etymologie  des  Wortes  casula  anlangt,  so  leitet  Isidor  dasselbe  von 
casa  ab.  Casula  .  .  .  dicta  per  diminutionem  a  casa  quasi  minor  casa  2.  Casula  würde 
also  Häuschen,  Hüttchen  bedeuten.  Die  Erklärung  Isidors  schließt  sich  an  die  Form 
des  Gewandes  an  und  klingt  durchaus  wahrscheinlich.  Die  Kasel  bildete  in  ihrer  ur- 
sprünglichen Gestalt  in  der  Tat  ein  „Hüttchen",  weil  sie  den  Träger  ringsum  völlig 
umgab  und  nur  für  den  Kopf  einen  Durchschlupf  hatte. 

Sehr  bemerkenswert  ist  das  Verhältnis,  in  welchem  die  beiden  Be- 
zeichnungen planeta  und  casula  zueinander  stehen.  Planeta  ist  der  eigentlich 
römische,  casula  der  außerrömische  Name  des  Gewandes.  So  war  es  indessen 
von  jeher.  Nirgends  stößt  man  in  den  älteren  römischen  Ordines  auf  die 
Bezeichnung  casula.  Aber  auch  sonst  kommt  der  Name,  und  zwar  nicht  bloß 
in  römischen,  sondern  überhaupt  in  italienischen  Quellen,  bis  zur  Wende  des 
Jahrtausends  nur  ausnahmsweise  vor.  Erst  seit  dieser  Zeit  gelangte  er  in 
Italien  zu  größerer  Verbreitung,  doch  hat  er  niemals  daselbst  die  alte  Be- 
zeichnung aus  ihrer  bevorzugten  Stellung  verdrängen  können.  In  den  römischen 
Ordines  des  2.  Jahrtausends  erscheint  selbst  bis  ins  späte  Mittelalter  hinein 
planeta  stets  als  die  vornehmste  Benennung  unseres  Gewandes.  Unter  dem 
Namen  planeta  tritt  es  auch  in  der  Chronik  von  Monte  Cassino,  dem  Schatz- 
verzeichnisse von  Anagni  und  den  Inventaren  der  Peterskirche  aus  den  Jahren 
1303,  1361,  1436,  1454—1455  und  1489  und  andern  italienischen  Schatz- 
verzeichnissen auf.  In  der  neueren  Zeit  erhielt  das  Wort  sogar  durch  die 
Aufnahme  ins  römische  Missale  und  das  Caeremoniale  der  Bischöfe  gewisser- 
maßen einen  offiziellen  Charakter.  Noch  jetzt  ist  in  Italien  „pianeta"  die 
allein  gebräuchliche  Bezeichnung  des  Meßgewandes. 

Umgekehrt  treffen  wir  außerhalb  Roms  seit  alters  nur  sehr  selten  den 
Namen  planeta  an.  Es  ist  eine  Ausnahme,  wenn  das  Gewand  im  28.  Kanon  des 
vierten  Konzils  von  Toledo  planeta  heißt 3.    In  der  Schenkungsurkunde  Adel- 


Etymol.  1.  19,  c.  24  (M.  82,  691).  !  Ebd.  3  Hard.  III  586. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  ]55 

gasters  von  Asturien  aus  dem  Jahre  781  wird  es  wie  sonst  überall  casula 
genannt 1.  Bei  den  gallischen  Schriftstellern  der  vorkarolingischen  Zeit  begegnet 
uns  nie  die  Bezeichnung  planeta.  Wenn  bei  ihnen  vom  Meßgewand  die  Rede  ist, 
wird  es  entweder  amphibalus  oder  casula  genannt.  Auch  als  die  karolingische 
Reform  den  römischen  Ritus  zu  den  Franken  brachte,  blieb  der  Name  casula 
vor  wie  nach  herrschend.  Bei  Hraban,  Amalar,  Walafried,  Pseudo-Alkuin  und 
Pseudo-Beda,  in  der  aus  dem  Frankenreich  stammenden  Synodalermahnung,  bei 
Regino  von  Prüm,  Riculf  von  Soissons,  Riculf  von  Eine,  in  den  Inventaren  von 
St-Riquier  und  in  andern  Inventaren  der  Karolingerzeit  heißt  das  Meßgewand 
ebenso  ausschließlich  casula  wie  in  den  frühen  römischen  Ordines  planeta. 
Allerdings  gedenken  Hraban  und  Pseudo-Beda  im  Anschluß  an  ihn  auch  des 
Namens  planeta,  doch  erhellt  aus  der  Weise,  in  der  sie  das  tun,  klar,  daß 
er  nicht  die  bei  ihnen  gebräuchliche  Bezeichnung  war:  casula,  quam  Graeci 
planeta m  vocant2.  Auch  in  den  aus  fränkischen  Kirchen  stammenden 
Sakramentaren  und  Pontifikalien  führt  das  Gewand,  soweit  darin  seiner  Erwäh- 
nung geschieht,  regelmäßig,  um  nicht  zu  sagen  ausnahmslos,  den  Namen  casula. 

Seit  Beginn  des  zweiten  Jahrtausends  wird  der  Name  planeta  außerhalb 
Roms  etwas  häufiger,  und  zwar  mögen  darauf  die  Liturgiker  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  einigen  Einfluß  ausgeübt  haben,  doch  fand  er  dort  nie 
größere  Verbreitung.  Gegen  Ende  des  Mittelalters  scheint  er  sogar  daselbst 
wieder  fast  ganz  außer  Gebrauch  gewesen  zu  sein. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  daß  es  nicht  zutreffend  ist,  wenn  behauptet 
wurde:  „Seit  dem  Anfang  des  9.  Jahrhunderts  verschwindet  das  Wort  planeta, 
und  casula  wird  allgemein."  Das  Wort  casula  ist  wie  mancher  sonstige  Name 
liturgischer  Gewänder  in  seinem  Ursprung  außerrömisch.  Es  ist  ihm  aber  nie 
wie  andern  gelungen,  in  Rom  die  dort  übliche  Bezeichnung  zu  verdrängen 
und  die  Alleinherrschaft  zu  erringen. 

Eine  mittelalterliche  deutsche  Bezeichnung  des  Meßgewandes,  die  noch 
in  dem  dänischen  messehagel  fortlebt,  war  meszachel  (althochd.  missahachul, 
missahahul,  missihachel,  angelsächs.  masse  hacele) 3. 

III.    DIE  KASEL  ALS  LITURGISCHES  GEWAND. 

Als  liturgisches  Kleid  der  spanischen  Kirche  erscheint  unser  Gewand 
unter  dem  Namen  casula  schon,  wie  vorher  erwähnt  wurde,  in  der  Schenkungs- 
urkunde Adelgasters.  Unter  der  Bezeichnung  planeta  begegnen  wir  ihm  da- 
selbst in  jener  Eigenschaft  bereits  im  28.  Kanon  des  vierten  Konzils  von  Toledo 
(Ü33):  Presbyter  .  .  .  si  a  gradu  suo  iniuste  deiectus  in  secunda  synodo  in- 
nocens  reperitur,  non  potest  esse,  quod  fuerat,  nisi  gradus  amissos  recipiat 
coram  altario  de  manu  episcopi  .  .  .  si  presbyter,  orarium  et  planetam  .  .  . 
sie  et  reliqui  ea  in  reparationem  sui  reeipiant,  quae,  cum  ordinarentur,  per- 
ceperunt.  In  dem  Maße  galt  also  damals  schon  die  Planeta  als  Stück  der 
liturgischen  Tracht,  daß  die  Übergabe  derselben  einen  Bestandteil  des  Weihe- 
ritus bildete  und  ihre  Rückgabe  zum  Restitutionszeremoniell  gehörte.    Eieen- 


1  Ann.  0.  S.  B.  II  255.  (=  Mefimantel)    ist  aus  missa  und  dem  alt- 

2  Die  Bemerkung  ist  ohne  allen  Zweifel  hochdeutschen  hachul,  Mantel,  gebildet.  Bei 
lediglich  aus  den  von  Hraban  gern  benutzten  Ulfilas  ist  2  Tim  4,  13  das  griechische  tpO.övrjc, 
Etymologien  Isidors  herübergenommen.  mit   hakul  wiedergegeben     (Heine,   Ulfilas, 

3  So  in  Bertholds  von  Regensburg  Predigt  Paderborn  1878,  210).  Vgl.  auch  E.  Gr.  Graft, 
über  die  Messe.  Wackernagel,  Altdeutsche  Althochdeutscher  Sprachschatz  (Berlin  1838) 
Predigten  (Basel  1S76)  70.  Das  Wort  Messachel  unter  hachul  IV  797. 


156 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


türnlieh  ist,  daß  Isidor  von  Sevilla,  der  doch  auf  jener  Synode  den  Vorsitz 
führte,  in  seinen  Etymologien  der  liturgischen  Verwendung  der  Kasel  bzw. 
Planeta  bei  Erklärung  dieser  Namen  mit  keinem  Wort  Erwähnung  tut.  Der 
Grund  hierfür  mag  in  dem  Umstand  liegen,  daß  in  jener  Zeit  unser  Gewand 
in  Spanien  noch  nicht  ein  ausschließlich  liturgisches  Kleid  war.  Vielleicht 
aber  auch,  daß  Isidor  darum  vom  Kultcharakter  der  casula  und  planeta 
schweigt,  weil  er  die  Erläuterung  dieser  wie  so  mancher  andern  Worte  un- 
verändert aus  älteren  Scholiasten  herübernahm. 

Daß  in  Gallien  unter  der  Herrschaft  des  gallikanischen  Ritus  auch 
eine  Kasel  zur  Meßkleidung  des  Priesters  gehörte,  beweist  die  gallikanische 
Meßerklärung:  casula,  quam  amphibalum  vocant,  quod  (sie)  sacerdos  induitur. 
Nach  den  Angaben,  welche  sie  von  dieser  casula  macht,  kann  dieselbe  sich 
in  der  Form  weder  von  der  Planeta,  wie  sie  uns  durch  die  römischen  und  raven- 
natischen  Mosaiken  des  6.  und  der  folgenden  Jahrhunderte  bekannt  ist,  noch 
von  dem  Meßgewand,  wie  es  uns  die  älteren  mittelalterlichen  Liturgiker  be- 
schreiben, wesentlich  unterschieden  haben.  Die  Kasel  der  gallikanischen  Meß- 
erklärung ist  nämlich  ein  Umwurf  und  setzt  somit  ein  Unterkleid  voraus; 
vorn  ist  sie  nicht  offen,  sondern  geschlossen;  weiterhin  hat  sie  weder  seit- 
liche Schlitze  noch  Ärmel  (unita  utrinsecus,  non  scissa,  non  aperta;  tota  unita, 
sine  manicis).  Bezeichnend  für  den  liturgischen  Charakter  des  gallikanischen 
Meßamphibalus  ist  die  allerdings  auf  verkehrter  Voraussetzung  beruhende  An- 
merkung der  Meßerklärung:  „Die  Kasel  ist,  wie  man  sagt,  von  dem  Gesetz- 
geber Moses  zuerst  angeordnet  worden.  Der  Herr  befahl  nämlich,  ein  ver- 
schiedenes Gewand  anzufertigen,  damit  der  Priester  ein  solches  anziehe,  wie 
es  das  Volk  nicht  anzuziehen  wage." 

Auch  sonst  hören  wir  vom  gottesdienstlichen  Gebrauch  einer  Kasel  bzw. 
eines  Amphibalus  in  Gallien.  So  erzählt  Gregor  von  Tours  von  casulae  can- 
didae,  quae  per  festa  paschalia  humeris  sacerdotum  imponuntur  1,  und  Cyprian 
in  der  Vita  des  hl.  Cäsarius  von  Arles  von  einer  casula  processoria 2,  d.  i. 
einer  Kasel,  die  bei  Prozessionen  und  der  Messe  gebraucht  wurde.  Ein 
Amphibalus  begegnet  uns  im  Sinne  eines  Meßgewandes  bei  Sulpicius  Severus, 
Paulinus  von  Perigueux  und  Venantius  Fortunatus  3.  Er  muß  nach  den  Um- 
ständen der  hier  berichteten  Begebenheit  ein  weiter,  langer,  rings  geschlos- 
sener Mantel  und  somit  dasselbe  Gewand  gewesen  sein,  welches  auch  in  der 
gallikanischen  Meßerklärung  casula  und  amphibalus  heißt.  Die  Kasel  kam 
also  schon  gegen  Ende  des  4.  Jahrhunderts  in  Gallien  als  Obergewand  beim 
heiligen  Opfer  zur  Verwendung. 

Aus  der  nord afrikanischen  Kirche  besitzen  wir  unseres  Wissens 
kein  Zeugnis,  welches  bewiese,  daß  allda  die  Kasel  bzw.  Planeta  in  der  uns 
beschäftigenden  Zeit  als  Meßgewand  gebraucht  worden  sei.  Beim  hl.  Augustinus 


1  Vita  PP.  c.  8,  n.  5  (M.  71,  1045). 

2  L.  1,  n.  32  (M.  67,  1017).  Als  Bestand- 
teil der  gewöhnlichen  klerikalen  Tracht  er- 
scheint die  Kasel  1.  2,  n.  23  (ebd.  1036),  ferner 
Vita  S.  Medardi  n.  2  (M.  88,  535)  und  Test. 
S.  Caesarii  Arel.  (M.  67,  1140):  casula  vil- 
losa,  zottige  Kasel.  Eine  casula  holoserica 
sed  caprina  lanugine  mixta  sandte  Boni- 
fatius,  der  Apostel  Deutschlands,  ca  742  dem 
Bischof  Daniel  von  Winchester  fEp.  63  [M.  G. 


Epp.  3, 330]).  Ob  es  sich  hier  um  eine  bloß  kleri- 
kale oder  um  eine  liturgische  Kasel  handelt, 
ist  nicht  klar.  Der  Stoff  des  Gewandes  dürfte 
auf  eine  Meßkasel  hindeuten. 

3  S.  oben  S.  67.  Die  spätere  Legende 
schmückte  die  Begebenheit  aus,  indem  sie 
hinzudichtete,  es  sei  ein  Engel  in  der  Messe 
erschienen,  welcher  mit  goldenen  Stauchen  die 
infolge  der  Kürze  der  Tunikaärmel  entblößten 
Arme  des  Heiligen  zum  Lohn  bedeckt  habe. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  157 

erscheint  die  casula  einmal  als  Kleidungsstück  eines  armen  Handwerkers 1, 
ein  anderes  Mal  als  Gewand  des  täglichen  Lebens  ohne  nähere  Bestimmung 
seines  Charakters 2,  bei  Prokop  als  eine  bei  Militärpersonen  ungebräuchliche 
Zivilistentracht,  deren  sich  die  Sklaven  und  gewöhnlichen  Bürger  bedienten  3. 
In  der  Biographie  des  hl.  Fulgentius  ist  eine  planeta  Obergewand  (Mantel) 
vornehmer  Leute,  eine  casula  Oberkleid  des  Bischofs  Fulgentius,  der  in  seinem 
Hirtenamt  die  Mönchstracht  beibehalten  hatte,  sowie  seiner  Mönche 4.  Von 
einem  liturgischen  Charakter  der  Kasel  bzw.  Planeta  oder  doch  wenigstens 
ihrer  Verwertung  bei  der  Litm-gie  erfahren  wir  nichts. 

Daß  zu  Rom  im  8.  Jahrhundert  die  Planeta  zu  den  liturgischen  Ge- 
wändern zählte,  ersehen  wir  aus  dem  1.  und  8.  römischen  Ordo.  In  jenem 
begegnet  sie  uns  als  liturgisches  Gewand  des  Papstes  und  der  Subdiakone,  in 
diesem  als  das  der  Priester.  Für  die  frühere  Zeit  fehlen  bestimmte  schrift- 
liche Nachrichten  über  eine  liturgische  Planeta  in  der  römischen  Kirche.  Wohl 
erzählt  uns  Johannes  Diakonus  in  der  Vita  S.  Gregorii  M.  von  planetati,  die  sich 
bei  einem  feierlichen  Aufzuge  im  Gefolge  des  Papstes  Gregor  d.  Gr.  befanden5. 
Allein  wenn  auch  unter  ihnen  römische  Kleriker  in  der  Planeta  zu  verstehen 
sind,  so  braucht  doch  die  Planeta,  mit  welcher  diese  bekleidet  aufzogen,  nicht 
als  ein  liturgisches  Gewand  angesehen  zu  werden;  denn  nach  dem  1.  Ordo 
mußten  die  Diakone,  welche  den  Papst  zur  Kirche  geleitet  hatten,  vor  dem 
Sekretarium ,  ähnlich  wie  der  Pontifex  selbst  i  n  demselben 6,  die  Kleider, 
welche  sie  auf  dem  Wege  getragen,  mit  andern  —  liturgischen  —  vertauschen. 
Auch  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  daß  Johannes  Diakonus  bloß  dem  Brauch 
seiner  Zeit  gemäß  sich  ausdrückt,  wenn  er  von  planetati  spricht.  Jedenfalls 
war  zu  Gregors  d.  Gr.  Zeit  in  Rom  die  Planeta  noch  nicht  ausschließlich 
liturgisches  GeAvand.  Der  Biograph  des  Papstes  erzählt  nämlich 7,  es  habe 
dieser  im  Atrium  des  Klosters  zum  hl.  Andreas  zwei  Bilder  kunstreich  malen 
lassen,  die  noch  zu  des  Schreibers  Zeit  vorhanden  waren.  Das  eine  stellte 
den  regionarius  Gordianus,  den  Vater  Gregors,  stehend  neben  dem  sitzenden 
hl.  Petrus,  das  andere  die  Mutter  des  Heiligen,  namens  Silvia,  dar.  Gordianus 
war  aber  auf  dem  Bilde  außer  mit  caligae  (hier  wohl  Senatorenschuhen)  und 
der  Dalmatik  mit  einer  kastanienfarbigen  Planeta  bekleidet.  Hiernach  ge- 
hörte also  noch  zur  Zeit  Gregors  d.  Gr.  die  Planeta  in  Rom  zur  Laientracht ; 
denn  für  die  Annahme,  Gordianus  sei  römischer  Kleriker  gewesen  und  darum 
mit  Dalmatik  und  Planeta  auf  jenem  Bilde  dargestellt,  fehlt  die  hinreichende 
Begründung. 

Als  Gewand  eines  persischen  Abtes 8,  der  nach  Rom  gekommen  war, 
und  als  Kleid  eines  römischen  Mönches 9  erscheint  eine  casula  in  des  Johannes 
Diakonus  Vita  Gregors  d.  Gr.  Inwieweit  allerdings  der  Gebrauch  der  Kasel 
seitens  der  Mönche,  wie  er  an  beiden  Stellen  zum  Ausdruck  kommt,  nicht 
bloß  dem  9.  Jahrhundert,  der  Zeit  der  Entstehung  der  Vita,  sondern  auch  den 
Tagen  Gregors  d.  Gr.  selbst  entspricht,  muß  dahingestellt  bleiben10.  Die 
beiden  Erzählungen,   in   denen   bei  Johannes   Diakonus   die  Kasel   eine   Rolle 


1  August  in.,  De  civ.  Dei  1.  22,  c.  8,  n.  9  vestimenta  sua;  n.  6:   Pontifex  mutat  vesti- 
(M.  41,  765).  nienta  sua. 

2  Ders.,  Sermo  107,  c.  5  (M.  38,  630).  7  Vita    S.    Gregor.   1.   4,    n.   83    (M.    75, 

3  Pro  co  p.,   De  hello  vandalico  II,  c.  26.  229). 

4  Vita  S.  Fulgentii  c.  18  29  (M.  65,  136  146).  8  L.  4,  n.  63  (M.  75,  213). 

5  L.  2,  n.  43  (M.  75,  104).  9  L.  2,  n.  45  (ebd.  106). 

"  N.  5   (ebd.  939):  Diaconi...  egrediuntur  10  Von  planeticae  ist  bei  Cassian  (De  liabitu 

secretarium    et   ante    fores    eiusdem   mutant  monach.  1.  1,  c.  7  [M.  49,  71])  die  Rede,  doch 


158 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


spielt,  sind  dem  Pratum  spirituale  des  Moschos  entnommen  K  In  diesem  aber 
ist  im  zweiten  Fall  nicht  von  einer  casula,  sondern  von  einer  tunica  die  Bede, 
im  ersten  findet  sich  in  ihm  statt  der  casula  des  Biographen  Gregors  d.  Gr. 
das  unverständliche  Wort  xouaouiiv. 

Wie  für  Born,  so  ist  auch  für  die  andern  Kirchen  Italiens  die 
liturgische  Verwendung  der  Planeta  im  7.  und  den  vorhergehenden  Jahr- 
hunderten schriftlich  nicht  bezeugt.  Nichtsdestoweniger  kann  es  an- 
gesichts der  bildlichen  Darstellungen  des  5.,  6.  und  7.  Jahrhunderts  keinem 
Zweifel  unterliegen,  daß  damals  in  Italien,  sowohl  in  Bom  wie  außerhalb 
Borns,  die  Planeta  einen  Bestandteil  der  Meßgewandung  bildete. 

Das  älteste  der  liier  in  Betracht  kommenden  Monumente  sind  die  Mosaiken  in 
der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  bei  der  Kirche  des  hl.  Ambrosius  zu  Mailand  2.  Noch  dem 
5.  Jahrhundert  entstammend,  stellen  sie  unter  andern  die  hll.  Mater- 
nus  und  Ambrosius  in  Dalmatik  und  Planeta  dar  (Bild  62).  Ihnen 
Tjürden  in  Bom  die  musivischen  Darstellungen  in  S.  Cosma  e 
Damiano  der  Zeit  nach  zunächst  stehen,  wenn  die  Figur  des 
Papstes  Felix  III.  (526 — 530),  welche  auf  denselben  mit  der  Planeta 
bekleidet  erscheint,  sich  noch  in  ihrem  anfänglichen  Zustande 
befände ;  leider  kann  sie  infolge  der  vorgenommenen  Veränderungen 
nicht  mehr  als  ursprünglich  angesehen  werden.  Von  größerer 
Bedeutung  ist  daher  das  noch  der  ersten  Hälfte  des  6.  Jahr- 
hunderts angehörige  bekannte  Mosaikbild  in  S.  Vitale  zu  Ra- 
venna  3,  welches  den  Erzbischof  Maximianus  mit  seinen  Klerikern 
in  dem  Augenblick  darstellt,  da  er  den  Kaiser  Justinian,  den 
ein  reiches  Gefolge  umgibt,  am  Portal  der  Kirche  empfängt  und 
ins  Gotteshaus  geleitet  (Bild  63).  Die  Diakone  Maximians  sind 
mit  Dalmatiken  bekleidet.  Der  Bischof  selbst  trägt  über  der 
lang-  und  weitärmeligen,  mit  dem  Clavus  ausgestatteten  Dalmatik 
noch  eine  Planeta  und  das  erzbischöfliche  Pallium.  In  der  letzten 
Hälfte  desselben  Jahrhunderts  entstanden  auch  in  S.  Apollinare 
in  Classe  musivische  Darstellungen,  welche  vier  Bischöfe  in  der 
Planeta  aufweisen  4.  Es  sind  dies  die  ravennatischen  Erzbischöf'e 
Ecclesius,  Severus,  Ursus  und  Ursicinus.  Auch  diese  tragen  gerade 
wie  Maximian  in  S.  Vitale  Dalmatik,  Planeta  und  Pallium.  Die 
Rechte  zum  Segen  oder  Redegestus  erhoben,  haben  sie  in  der 
vom  Obergewand  verhüllten  Linken  das  Evangelienbuch.  Zu  den 
für  die  Geschichte  der  Planeta  wichtigen  Bildwerken  des  6.  Jahr- 
hunderts muß  ferner  ein  Gemälde  gerechnet  werden,  welches  zwar 
nicht  mehr  vorhanden  ist,  das  uns  aber  durch  den  Berieht  eines  Augenzeugen,  des  Jo- 
hannes Diakonus,  bekannt  ist5.  Im  Kloster  des  hl.  Andreas  zu  Rom  befindlich, 
stellte  es  Papst  Gregor  d.  Gr.  in  Dalmatik,  Planeta  und  Pallium  dar.  In  der  Linken 
hielt  der  Papst  ein  Evangelienbuch,  mit  der  Rechten  machte  er  das  Zeichen  des  heiligen 
Kreuzes6.  Nach  Angabe  des  Erzählers  war  das  Bild,  das  in  einer  rota  gypsea,  in  einem 
Medaillon  aus  Gipsstuck,  angebracht  war,  noch  zu  Lebzeiten  des  Papstes  entstanden. 


Bild  62. 

Hl.  Ambrosius. 

Mosaik.  Mailand,  S.  Satiro. 


ist  unter  ihnen  kein  liturgisches,  nicht  ein- 
mal ein  spezifisch  klerikales  Gewand  ver- 
standen. Cassian  belehrt  uns,  daß  die  Mönche 
(Ägyptens)  keine  planeticae  trugen,  sondern 
sich  mit  einem  Umschlagtuch  begnügten. 
Die  planeticae  sind  ohne  Zweifel  identisch 
mit  den  planetae,  welche  Isidor  von  Sevilla 
in  seinen  Mönchsregeln  den  Mönchen  zu 
tragen  untersagt  fc.  12  [M.  83,  882J). 
'  C.  151  192  (Mg.  87,  3018  3072). 


2  Garr.  IV.  tav.  236. 

3  Ebd.  tav.  264.  4  Ebd.  tav.  267. 

5  Ioan.  Diac.  a.  a.  0.  1.  4,  n.  S4  (M. 
75,  231). 

6  Besser  ist  vielleicht  die  Angabe  des 
Johannes  Diakonus  dahin  zu  berichtigen,  es 
habe  der  Papst  mit  der  Rechten  den  Rede- 
gestus gemacht.  Redegestus  und  Segens- 
gestus  sind  auf  den  altchristlichen  Monu- 
menten nicht  oder  kaum  unterscheidbar. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


159 


Aus  dem  7.  Jahrhundert  entstammen  die  römischen  Mosaiken  in  S.  Agnese 
fuori  le  Mura  (Bild  64-,  S.  160)  und  im  Oratorium  des  hl.  Venantius  bei  der  lateranen- 
sischen  Taufkirche  '.  Auf  jenen  sind  die  Päpste  Honorius  I.  und  Symmachus,  auf  diesen 
Johannes  IV.  mit  seinem  Nachfolger  Theodorus,  die  heiligen  Bischöfe  Venantius  und 
Maurus  und  der  Presbyter  Asterius  mit  der  Planeta  ausgestattet. 

Dem  7.  Jahrhundert,  vielleicht  sogar  dem  6.,  mag  auch  noch  ein  Fresko  in  der 
Katakombe  des  Ponzian  angehören,  welches  den  hl.  Vincentius  als  Priester  in  gelb- 
brauner Planeta  darstellt  -.  Ob  und  inwieweit  die  mit  der  Planeta  bekleideten 
Bilder  der  heiligen  Päpste  Kornelius  und  Sixtus  II.  und  der  heiligen  Bischöfe  Cyprian 
und  Optatus  in  der  Korneliusgruft ,  wie  Wilpert  will,  noch  dem  6.  Jahrhundert  zu- 
zuschreiben sind,  mag  auf  sich  beruhen  bleiben  '. 

Der  Umstand,  daß  die  Bischöfe  und  Priester  auf  den  italienischen  Bildwerken 
des  6.  und  7.  Jahrhunderts  regelmäßig  in  der  Planeta  dargestellt  sind,  läßt  keinen 
Zweifel  daran  übrig,  daß  diese  damals  in  Italien  zur  liturgischen  Tracht  gehörte. 


Bild  63.     Kaiser  Justinian  mit  Erzbischof  Maximian  und  Gefolge. 
Mosaik.     Ravenna,  S.  Vitale.     (Phot.  Alinari.) 


In  der  Folge  ist  es  ja  allgemeine  Sitte,  die  Kleriker  auf  den  Bildwerken  in  den 
Gewändern  darzustellen,  welche  am  meisten  den  jeweiligen  Weiherang  der  abzubildenden 
Personen  kennzeichnen,  d.  i.  in  den  liturgischen.  Warum  sollen  wir  also  für  das  6.  und 
7.  Jahrhundert  eine  andere  Darstellungsweise  annehmen  ? 

Außerdem  sind  ja  auch  die  Päpste  und  Bischöfe  der  römischen  und  ravenna- 
tischen  Mosaiken  über  der  Dahnatik  und  der  Planeta  mit  dem  Pallium  ausgerüstet. 
Dieses  aber  galt  nach  römischer  Anschauung  als  durchaus  liturgisches  Ornatstück  4. 
Haben  wir  aber  das  Pallium,  mit  dem  jene  Personen  versehen  sind,  als  Sakralgewand 
anzusehen,  warum  dann  nicht  auch  ihre  Planeta? 


1  Garr.  IV,  tav.  272  274;  besser  bei 
de  Rossi,  Mus.  fasc.  3  4  13  14. 

-  Wilp.,  Kat.  TM  258. 

3  Ebd.  TA  256;  dazu. Textband  502  f.  Was 
hier  Wilpert  zur  Begründung  seiner  Ansicht 
anführt,  ist  wohl  nicht   ausreichend,  um  die 


Fresken  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhun- 
derts zuschreiben  zu  können.  Die  Fransen 
an  den  Ärmeln  und  der  Seite  der  Dahnatik 
scheinen  vielmehr  auf  eine  spätere  Zeit  hin- 
zuweisen. 

4  Vgl.  das  Kapitel  über  das  Pallium. 


160 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Dazu  kommt,  daß  die  Päpste  und  Bischöfe  auf  den  musivischen  Darstellungen, 
wenn  sie  auch  nirgends  bei  einer  liturgischen  Funktion  beschäftigt  sind,  so  doch  das 
Evangeliar  oder  das  Kreuz  tragen.  Es  weist  das  darauf  hin,  daß  wir  sie  uns  nicht 
als  im  alltäglichen  Leben  sich  bewegend,  sondern  so  zu  denken  haben,  wie  sie  bei 
den  heiligen  Amtsverrichtungen  zu  erscheinen  pflegten,  d.  i.  in  ihren  Sakralgewändern, 
und  daß  also  auch  die  Planeta  zu  denselben  zählte. 

Nehmen  wir  endlich  hinzu,  daß  im  8.  Jahrhundert  die  Planeta  in  Rom  Sakral- 
kleid war,  daß  sie  in  Spanien  als  solches  schon  für  das  7.  Jahrhundert  bezeugt  ist, 
daß  in  Gallien  der  Amphibalus  selbst  schon  im  4.  Jahrhundert  bei  der  Feier  der 
Liturgie  verwendet  wurde,  und  beachten  wir  weiterhin,  daß  nach  römischer  Sitte  zum 
Feieranzug  stets  ein  Obergewand  gehört  und  darum  auch  die  Bischöfe  im  6.  und 
7.  Jahrhundert  nicht  ohne  solches  zelebriert  haben  werden,  dann  ist  es  kein  Zweifel,  daß 
die  Planeta  auf  den  mailändischen,  römischen  und  ravennatischen  Mosaiken,  welche  die 

Päpste  und  Bischöfe  als  planetati  darstellen,  die  beim 
Gottesdienst  gebräuchliche  Planeta  wiedergibt. 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen,  so  ergibt  sich, 
daß  wenigstens  schon  um  die  Wende  des  4.  Jahr- 
hunderts die  Planeta  (die  Kasel,  der  Amphibalus)  in 
der  Westkirche  als  Obergewand  in  liturgischen  Dien- 
sten stand,  allerdings  nicht  ausschließlich,  wie  heut- 
zutage. Denn  Laientracht  war  sie  verschiedenenorts 
noch  gegen  600,  wenn  nicht  noch  länger.  Als  Mönchs- 
tracht begegnet  sie  uns  im  6.  Jahrhundert  in  Afrika 
und  noch  im  9.  Jahrhundert  bei  Johannes  Diakonus. 
Einen  Teil  der  gewöhnlichen  klerikalen  Tracht  bildete 
sie  aber,  wenn  auch  vielleicht  nicht  überall  im  Abend- 
land, noch  im  8.  Jahrhundert,  wie  aus  einer  Verord- 
nung des  deutschen  Nationalkonzils  vom  Jahre  742 
und  dem  3.  und  8.  Kapitel  der  Regel  Chrodegangs 
hervorgeht. 

Das  deutsche  Nationalkonzil,  welches  unter  dem  Vor- 
sitz des  hl.  Bonifatius  gefeiert  wurde,  bestimmt,  es  sollten 
die  Priester  und  Diakone  nicht  wie  die  Laien  das  sagum, 
sondern  Kasein  nach  Sitte  der  Diener  Gottes  (ritu  servorum 
Dei),  d.  i.,  wie  aus  der  Einleitung  der  Synodalakten  hervor- 
geht, der  Kleriker,  tragen  '.  Das  3.  und  8.  Kapitel  der  Regel 
Chrodegangs  aber  besagen  2:  Wer  aus  dem  Klerus  innerhalb 
der  Klausur  einen  Kleriker  bei  sich  habe  —  nämlich  zur  Bedienung  —  ,  der  solle  dafür 
sorgen,  daß  dieser  eine  Planeta  samt  den  übrigen  Gewändern  besitze,  damit  er  an  Sonn- 
und  Festtagen  in  der  ihm  geziemenden  Tracht  im  Gotteshause  sich  einfinden  könne ;  die 
Kleriker  aber,  welche  außerhalb  des  Klosters  in  der  Stadt  ihren  Aufenthalt  hätten, 
sollten  an  allen  Sonntagen  mit  der  Planeta  bzw.  ihren  Amtskleidern  gemäß 
dem  0  r  d  o  r  o  m  a  n  u  s  zum  Kapitel  kommen.  Die  letzte  Bestimmung  ist  darum 
besonders  interessant,  weil  sie  zeigt,  daß  auch  nach  römischem  Brauche  da- 
mals  die  Planeta   ihren   außerliturgischen  Charakter  noch  nicht   ganz  verloren   hatte. 


Bild  64.    Papst  Honorius  I 

Mosaik.    Rom,  S.  Agnese. 

(Nach  de  Rossi.) 


IV.  DIE  KASEL  BEI  DEN  SUBDIAKONEN  UND  MINORISTEN. 

Als  liturgisches  Gewand  befand  sich  im  8.  und  9.  Jahrhundert  und  zum 
Teil  noch  längere  Zeit  nachher  die  Kasel  nicht  bloß  im  Dienst  des  zelebrie- 
renden Priesters,  sondern  überhaupt  aller  Kleriker.    Sie  war  demnach  in  jener 

1  C.  7  (M.  G.  Conc.  II,  4). 

2  Ebd.  1100  1102.    Vgl.  auch  das  S.  153  über  den  klerikalen  Amphibalus  Gesagte. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel:  161 

Zeit  im  Unterschied  von  der  späteren  Praxis  noch  nicht  ausschließlich  priester- 
liches Meßgewand.  Die  Sache  mag  heute  auffallend  erscheinen ;  sie  ist  aber, 
wenigstens  für  die  römische  Kirche  bzw.  den  römischen  Ritus,  nicht  zu 
bezweifeln. 

Den  Beweis  liefern  die  römischen  Ordines.  Man  durchgehe  nur  den  1.  Ordo 
Mabillons.  Da  empfängt  nach  dem  Evangelium  der  subdiaconus  sequens  das  Evan- 
gelienbuch und  reicht  es  dem  Zelebranten  zum  Kusse  hin ,  indem  er  es  vor  seiner 
Brust  auf  der  Planeta  hält;  derselbe  Subdiakon  nimmt  später  die  Patene,  die  bis 
dahin  der  Akolyth  getragen ,  super  planetam ,  der  Kegionarsubdiakon  aber  hat  die 
Mappula  des  Pontifex,  bevor  er  sie  diesem  übergibt,  auf  dem  linken  Arm  über  der 
zurückgerollten  Planeta  liegen.  Als  liturgisches  Kleid  der  Akolythen  erscheint  unser 
Gewand  im  1.  Ordo,  wenn  es  heißt:  „Derjenige,  welcher  das  Evangelium  lesen  wird, 
bereitet  das  Evangeliar  nach  Brechung  des  Siegels  —  das  Evangelienbuch  befand  sich 
in  einem  versiegelten  Behälter  —  auf  der  Planeta  eines  Akolythen,  oder,  wenn  es 
wegen  größerer  Bücher  notwendig  sein  sollte ,  während  zwei  Akolythen  es  auf  den 
Planeten  halten."  Auf  seiner  Planeta  trägt  ferner  ein  Akolyth  das  Evangeliar,  das 
für  die  Lesung  zurecht  gemacht  war,  zum  Altar ;  auf  der  Planeta  hält  er  später  auch 
den  Scyphus ,  ein  größeres ,  becherartiges  Gefäß ,  in  welches  der  Opferwein  gegossen 
wurde.  Als  liturgisches  Gewand  der  Diakone  erscheint  die  Planeta  im  1.  Ordo  nicht; 
diese  tragen  sie  zwar,  wenn  sie  mit  dem  Pontifex  zum  Altare  ziehen ;  sind  sie  aber 
im  Presbyterium  angekommen,  so  müssen  sie  dieselbe  ablegen  (priusquam  veniant 
ante  altare,  diacones  in  presbyterio  exmmtur  planetis).  Dagegen  ist  der  Primicerius 
nach  dem  1 .  Ordo  mit  der  Planeta  ausgestattet 1. 

Als  liturgisches  Kleid  des  Subdiakons  erscheint  die  Planeta  auch  noch  im 
2.  Ordo  2  mehrfach  und  einmal  wohl  eingangs  des  3.  Ordo  3.  Als  Sakralkleidung  des 
Akolythen  begegnet  sie  uns  im  2.  Ordo  einmal  \  im  3.  aber  gar  nicht.  Nach  dem 
St  Gallener  Kleiderkatalog  b  bildet  die  Planeta  einen  Teil  der  liturgischen  Kleidung 
des  Papstes,  der  Hebdomadarbischöfe  und  der  römischen  Presbyter.  Der  Diakon  trägt 
sie  nur,  usque  dum  venitur  presbyterio,  wo  ein  Akolyth  sie  ihm  abnimmt.  Unter  der 
Gewandung  des  Subdiakons  wird  sie  allda  nicht  mehr  genannt,  wohl  aber  dem  Akolythen 
mit  dem  Bemerken  zugeschrieben,  wenn  er  am  Lesepult  psalliere,  habe  er  sie 
abzulegen  (et  quando  in  gradu  psallitur,  planeta  abstollitur).  Auch  der  1.  Ordo  sagt 
bezüglich  des  Klerikers,  der  am  Karsamstag  nach  der  Kerzenweihe  die  Lektionen  zu 
singen  hatte  6 :  Lector  exuit  se  casula.  Aus  dem  8.  Ordo  ersehen  wir,  daß  den  Ako- 
lythen die  Planeta  bei  der  Weihe  angezogen,  den  zu  Diakonen  zu  Ordinierenden  aber 
bei  derselben  ausgezogen  wurde  ''. 

Wie  lange  in  der  römischen  Kirche  die  Gepflogenheit  sich  erhalten  habe, 
die  Akolythen  und  Subdiakone  bei  der  heiligen  Messe  mit  Kasein  bekleidet 
amtieren  zu  lassen,  läßt  sich  nicht  genau  bestimmen.  Bei  den  Subdiakonen 
hörte  sie  auf,  das  gewöhnliche  liturgische  Obergewand  zu  sein,  seitdem 
dieselben  nach  Weise  der  Diakone  mit  einer  besondern  Obertunika,  der 
späteren  Tunicella,  ausgestattet  zu  sein  pflegten.  Wir  haben  uns  diesen  Wechsel 
indessen  wohl  nicht  so  zu  denken,  als  ob  die  Sache  mit  einem  Schlage  ge- 
ändert worden  wäre.  Wahrscheinlich  vollzog  er  sich  in  der  Weise,  daß  zu- 
nächst den  Subdiakonen  nur  für  bestimmte  höhere  Feste  die  der  Dalmatik 
ähnliche  Obertunika  anstatt  der  Planeta  zugestanden,  dann  aber  ihnen  deren 
Verwendung  allmählich  auch  für  andere  Tage  gestattet  wurde,  bis  das  Gewand 
zuletzt  das  gewöhnliche  Obergewand  der  Subdiakone  an  Stelle  der  ihnen  vor- 
dem eigenen  Kasel  geworden  war. 


1  N.  5  7  8  10  13  17  20    (M.  78,  939  ff).             4  N.  2  (ebd.  969).            5  Ebd.  985. 

2  N.  3  8  (ebd.  969  972).  p  N.  40  (ebd.  955). 

3  N.  5  (ebd.  978).  "  N.  1  3  (ebd.  1000  1001). 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  11 


162  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Um  das  Ende  des  8.  und  den  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  war  die 
Planeta  in  Rom  noch  das  gewöhnliche  Amtskleid  der  Subdiakone.  Denn  so 
muß  noch  Amalar  bei  seinem  damaligen  römischen  Aufenthalt  die  Lage  der 
Dinge  gefunden  haben,  da  er  in  seiner  Darstellung  des  römischen  Ritus  schreibt, 
es  komme  die  Kasel  allen  Klerikern  insgemein  zu.  Der  Wechsel  scheint  etwa 
seit  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts  vor  sich  gegangen  zu  sein.  Jedenfalls  war 
er  um  die  Wende  des  Jahrtausends  schon  vollendete  Tatsache  geworden. 

Doch  auch  bei  den  Akolythen  hat  der  Gebrauch  der  Kasel  das  erste 
Jahrtausend,  wie  es  scheint,  kaum  überdauert.  Wir  hören  allerdings  von 
ihr  als  der  Tracht  der  Leuchter-  und  Weihrauchfaßträger  noch  im  6.  Ordo  K 
Ebenso  tragen  noch  nach  dem  von  Hittorp  herausgegebenen  Ordo  officiorum 
eine  Kasel  die  Akolythen,  welche  nach  der  Feier  am  Gründonnerstag  die 
Altäre  entblößen 2.  Allein  es  ist  sehr  unsicher,  ob  und  inwieweit  der  6.  Ordo 
und  der  Ordo  officiorum  in  dieser  Beziehung  nicht  bloß  den  außerrömischen, 
sondern  auch  den  römischen  Brauch  wiedergeben. 

Daß  im  9.  Jahrhundert  auch  außerhalb  Roms  die  Kasel  den  Mino- 
risten  als  liturgisches  Bekleidungsstück  diente,  erfahren  wir  mit  aller  Be- 
stimmtheit von  Amalar,  der  sie  als  das  generale  indumentum  bezeichnet  und 
von  ihr  sagt:  pertinet  generaliter  ad  omnes  clericos3.  Seine  Angabe  erhält 
eine  Bestätigung  durch  eine  interessante  Notiz  der  „Geschichte  der  Über- 
tragung der  heiligen  Märtyrer  Chysanthus  und  Daria" ,  die  vielleicht  ein 
Werk  Markwards  von  Prüm  (f  853)  ist,  jedenfalls  aber  der  Zeit  der  Trans- 
latio  unter  Lothar  im  Jahre  844  nahe  steht.  „Es  ist  Ortsgebrauch",  so  lesen 
wir  hier,  „daß  auf  Ostern  die  Kleriker  bei  den  Vespern  dieselbe  Kleidung  tragen, 
die  sie  sonst  bei  der  Messe  anziehen.  Nun  geschah  es,  daß  der  custos  —  der 
Kleriker,  der  die  Küsterdienste  versah  — ,  nach  Sitte  wie  die  andern  gekleidet, 
in  die  Kirche  ging,  um  die  Lampen  anzuzünden.  Als  er  aber  etwas  unvorsichtig 
zu  Werke  ging  und  unter  den  Lampen  stand,  floß  das  Ol  einer  derselben 
heraus  und  beschmutzte  einen  Teil  der  Planeta,  mit  der  er  gerade  be- 
kleidet war."1  Der  Ortsgebrauch  bestand  darin,  daß  Ostern  alle  Kleriker 
auch  bei  dem  Abendgottesdienst  die  Planeta  trugen,  nicht  aber  darin,  daß  an 
diesem  Tage  auch  die  niedern  Geistlichen  sich  ihrer  bei  der  Messe  bedienten. 
Das  erscheint  in  der  Erzählung  vielmehr  als  etwas  Gewöhnliches. 

Es  muß  außerhalb  Roms  selbst  noch  im  10.  und  11.  Jahrhundert  ver- 
schiedenenorts  die  Kasel  bei  den  Akolythen  in  Gebrauch  gewesen  sein.  Der 
viel  verbreitete  6.  Ordo  und  der  Ordo  vulgatus  officiorum  Hittorps  bekunden 
das.  Es  waren  indessen  wohl  meist  nur  außergewöhnliche  Gelegenheiten,  bei 
denen  jene  die  Kasel  anzogen.  So  ist  in  einem  Pontifikale  von  Poitiers,  das 
Martene  dem  10.  Jahrhundert  zuschreibt,  in  den  Rubriken  der  Olweihe  am 
Gründonnerstag  von  einer  Planeta  der  Akolythen  die  Rede :  Subdiaconus  tradit 
(ampullam)  acolytho,  qui  super  lineam  indutus  planeta  rotunda  atque  mun- 
dissima  desuper  sindone  amicitur5.  Eine  andere  Gelegenheit  waren  die  Kar- 
freitagszeremonien und  die  Entblößung  der  Altäre  am  Gründonnerstag  6. 


1  N.  1  (M.  78,  989).  *  Hist.  Translat.    SS.  mm.  Chrys.  et  Dar. 

2  Hitt.  64  68.  n.  27  (A.  SS.  0.  S.  B.  IV  1 ;  V  582). 

3  De    ecclesiast.    off.  1.  2,  c.   19    (M.  105,  5  Marl  1.4,  c.  22;  III  106. 

1095);  cf.  1.  3,  c.  15  (ebd.  1122):  Ministri  "  Vgl.  auch  bei  Warren,  Leofric  Missal 
casula  se  exuunt,  quando  lectoris  sive  can-  261  die  Rubriken  für  Gründonnerstag  und 
toris  officium  assumunt  ...  albam  sine  casula  Karfreitag,  eine  Interpolation  des  11.  Jahr- 
portat lector  seu  cantor  in  singulari  officio.  hunderts. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  163 

Auch  war  es  nach  dem  6.  Ordo  noch  hie  und  da  Brauch,  daß  an  Fest- 
tagen alle  im  Chor  Anwesenden  Kasein  trugen :  Et  cum  tintinnabulum  ad 
tertiam  sonuerit,  omnes  simul  f  rat  res  in  chorum  ordinatim  con  venire 
debent,  humeralibus  et  albis,  apud  quosdam  autem  casulis  induti. 

V.  DIE  KASEL  BEI  DEN  DIAKONEN. 

Die  Verwendung  der  Planeta  von  seiten  der  Diakone  war  schon  vor 
dem  5.  Jahrhundert,  d.  i.  seitdem  die  Dalmatik  ihr  Amtsgewand  geworden, 
in  Rom  natürlich  nur  mehr  Ausnahme.  Wohl  trugen  auch  sie  die  Kasel 
auf  dem  Wege  zur  Kirche,  ja  selbst  noch  auf  dem  Wege  zum  Altare.  Doch 
mußten  sie  das  Gewand,  sobald  sie  ins  Presbyterium  eintraten,  ausziehen  und 
es  dem  Regionarsubdiakon  geben,  der  es  seinerseits  wieder  den  Akolythen 
der  Regio  anvertraute,  aus  der  die  Diakone  kamen '. 

Beim  Gottesdienst  selbst  trugen  die  römischen  Diakone  die  Planeta  nur 
an  bestimmten  Tagen.  Doch  erhellt  aus  den  Ordines  nicht  hinreichend, 
wann  und  nach  welcher  Regel  solches  geschah.  Nach  dem  von  Duchesne 
herausgegebenen  Ordo  waren  die  Diakone  bei  der  Bittprozession  am  Licht- 
meßtage mit  planetae  nigrae  ausgestattet;  bei  den  großen  Litaneien  und  bei 
der  Kai  freitagsfeier  erscheinen  sie  nach  demselben  in  planetae  fuscae2.  Allem 
Anschein  nach  wurde  gerade  wie  später  so  auch  schon  im  8.  Jahrhundert 
die  Kasel  von  den  römischen  Diakonen  nur  noch  in  der  Fasten-  und  Advents- 
zeit sowie  an  andern  Bußtagen  getragen. 

Außerhalb  Roms  bestand  die  Sitte,  wonach  Diakon  und  Subdiakon 
an  Fasttagen,  wofern  auf  dieselben  kein  Fest  fiel,  sich  der  Kasel  statt  der 
Dalmatik  bedienten,  sicher  hie  und  da  bereits  im  9.  Jahrhundert.  Denn 
sowohl  Amalar  Avie  Pseudo-Beda  und  Pseudo-Alkuin  bezeugen,  daß  der  Diakon 
an  bestimmten  Tagen  die  Kasel  statt  der  Dalmatik  trage3.  Immerhin  kann 
diese  Gepflogenheit  im  9.  Jahrhundert  außerhalb  Roms  nicht  sehr  verbreitet 
gewesen  sein.  Sagt  nämlich  Amalar,  daß  der  Diakon  an  einigen  Orten 
von  Septuagesima  an  und  in  der  Adventszeit  die  Dalmatik  nicht  gebrauche4, 
so  folgt  daraus,  daß  sich  die  Diakone  zu  seiner  Zeit  für  gewöhnlich  auch 
in  dieser  Zeit  der  Buße  der  Dalmatik  und  nicht  der  Kasel  zu  bedienen  pflegten. 
Wo  der  Brauch  in  Übung  stand ,  war  er  sicher  aus  dem  römischen  Ritus 
herübergenommen.  Unter  der  Herrschaft  des  gallikanischen  Ritus  hatten  im 
Frankenreiche  die  Diakone  in  der  Fastenzeit  pro  humiliatione  die  Stola  aus- 
gelassen. 

Die  römische  Auffassung,  wonach  die  Dalmatik  (und  entsprechend  die 
subdiakonale  Tunicella)  Gewänder  sind,  welche  Freude  und  festliche  Stimmung 
atmen  und  daher  für  gewisse  Tage  als  nicht  passend  erachtet  wurden,  brach 
sich  seit  dem  11.  Jahrhundert  immer  mehr  Bahn.  Die  Praxis,  wie  sie  damals 
hinsichtlich  des  Gebrauches  von  Kasel  bzw.  Dalmatik  und  Tunicella  an  vielen 


1  Ordo  1,  n.  8  und  Ordo  5,  n.  3  (=  S.  G.  K.)  sehen  mußten  (De  offic.  div.  c.  7  18  [M.  101, 
(M.  78,  941  985).  1181   1208]),  desgleichen  den  Ordo  vulgatus 

2  Orig.  468  474  479.  Vgl.  auch  die  An-  bei  Hitt.  24  (Lichtmeß)  und  71  (Karfreitag), 
gaben  Pseudo-Alkuins .  nach  welchen  Ponti-  3  Amalar.  ,  De  offic.  eccles.  1.  2,  c.  21 
fex  und  Klerus  am  Lichtmeßtag  zur  Bitt-  (M.  105,  1097).  Pseudo- Alcuin,  De  offic. 
prozession  schwarze  Kleider  anlegen  und  am  div.  c.  89  (M.  101,  1243).  Pseudo-Beda, 
Karfreitag    der   Archidiakon    und     die   Dia-  De  Septem  ordinibus  (M.  94,  555). 

kone   sich    zur  Abhaltung    der   gottesdienst-  4  De  offic.  eccles.  1.  1,  c.  1  ;  1.  3,  c.  40  (M. 

liehen  Funktionen   mit   planetae  fuscae  ver-  105,  996  1159). 

11* 


164  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Orten  beobachtet  wurde,  beschreibt  uns  Johannes  von  Avranches  mit  den 
Worten:  „Im  Advent  und  von  Septuagesima  bis  Gründonnerstag,  ferner  an 
den  Quatembertagen  und  bei  Totenfeierlichkeiten  sollen  Diakon  und  Subdiakon 
Kasein  anziehen,  falls  jedoch  ein  Festtag  einfallen  sollte,  desgleichen  am 
Gründonnerstag  und  Karsamstag  Dalmatik  und  Tunicella." ! 

Allgemein  war  übrigens  der  Brauch  im  11.  Jahrhundert  noch  keines- 
wegs. Denn  der  Verfasser  des  Micrologus,  wahrscheinlich  Bernold  von  Kon- 
stanz (f  1100),  bemerkt  hinsichtlich  desselben  ausdrücklich:  Quidam  infra  ad- 
ventum  Domini  casulis  pro  dalmaticis  utuntur,  quidam  more  solito  vestiuntur. 
Im  Kapitel  De  septuagesima  schreibt  er  allerdings  einfachhin :  Abbin c  usque 
in  coenam  Domini  Te  Deum,  Gloria  in  excelsis,  Ite  missa  est,  item  dalmaticae 
et  subdiaconalia  antiquo  more  dimittuntur 2.  Auch  Gilbert  von  Limerick, 
der  um  dieselbe  Zeit  lebte,  läßt  die  Diakone  bloß  in  der  Fastenzeit  sich  der 
Kasel  anstatt  der  Dalmatik  bedienen 3.  Man  unterschied  also  an  verschiedenen 
Orten  in  Bezug  auf  die  Benutzung  von  Dalmatik  und  Tunicella  bzw.  Kasel 
seitens  der  Diakone  zwischen  Advent  und  Fastenzeit  und  verbannte  nur  in 
letzterer,  als  der  Zeit  größeren  Bußernstes,  die  Dalmatik  und  Tunicella  aus 
dem  Gebrauch. 

In  den  noch  immer  sehr  unvollständigen  Pontifikalien  und  Missalien 
des  11.  und  12.  Jahrhunderts  findet  sich  selten  eine  Notiz  über  den  Gebrauch 
der  Kasel  statt  der  Dalmatik  und  Tunika.  Höchstens  daß  in  den  Rubriken 
für  die  Lichtmeßprozession  und  den  Karfreitag  sich  darüber  ein  Vermerk  findet. 
Bei  Rupert  von  Deutz  ist  es  schon  allgemeine  Sitte,  daß  man  im  Advent 
(und  natürlich  um  so  mehr  in  den  Fasten)  Dalmatik  und  Tunicella  nicht  ge- 
brauchte, während  er  von  der  Kasel  allerdings  mit  einer,  doch  wohl  nur  zeit- 
lichen Einschränkung  sagt:  Utuntur  autem  interdum  casulis4.  Ein  halbes 
Säkulum  später  spricht  aber  Robert  Paululus  von  der  Gepflogenheit,  an  Buß- 
tagen statt  der  Dalmatik  und  Tunika  die  Kasel  zu  tragen,  ohne  Einschränkung5. 
Jedenfalls  war  dieselbe  den  Ausführungen  zufolge,  welche  ihr  Durandus  an- 
gedeihen  läßt,  gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  überall  in  Übung. 

Der  Verfasser  des  Eationale  führt  eine  Reihe  von  mystischen  Gründen  an, 
warum  der  Diakon  und  der  Subdiakon  in  der  Fasten-  und  Adventszeit  nicht  Dalmatik 
bzw.  Tunicella  tragen,  sondern  statt  deren  die  Kasel  anlegen  c. 

Unter  anderem  bemerkt  er,  es  geschehe  das,  um  anzudeuten,  es  seien  die  Ministri 
des  Priesters  in  jenen  Tagen  zu  derselben  Vollkommenheit  verpflichtet ,  wozu  dieser 
überhaupt;  dann  auch,  um  darauf  hinzuweisen,  daß  Diakon  und  Subdiakon  aus  Liebe 
dienen  sollen ,  da  ja  die  Kasel  die  charitas  versinnbilde,  nicht  aber  aus  Furcht ,  wie 
es  im  Alten  Bunde,  dem  Gesetze  der  Furcht,  der  Fall  gewesen,  zumal  aber  zur  Zeit 
des  Fastens,  das,  ohne  Liebe  geübt,  ohne  Verdienst  bleibe. 

Des  Durandus  Auslegungen  sind  nichts  als  mystische  Spekulationen.  Über  den 
wirklichen  geschichtlichen  Ursprung  des  Brauches  geben  sie  keinen  Aufschluß. 

Einen  verständigeren  Versuch ,  ihren  Grund  zu  erklären ,  hatte  schon  vorher 
Rupert  gemacht.  Er  meint,  es  sei  nicht  als  geziemend  angesehen  worden,  daß  die 
Ministri ,  welche  in  den  Bußzeiten  sich  der  Dalmatik  und  Tunicella  nicht  bedienen 
dürften,  an  den  Sonntagen  und  an  den  einfallenden  Festen  immuniti,  wie  er  kurz  vor- 


1  De  offic.  eccles.  (M.  147,  38).    Vgl.  auch  sagen,  daß  man  die  Kasel  nur  an  jenen  Tagen 
Warren,  Leofric  Missal  261.  der    Adventszeit    gebrauche,    an    denen    ein 

2  Micrologus  c.  30  47  (M.  151,  1003  1012).  Fest  bzw.  ein  Sonntag  einfalle. 

3  De  statu  eccl.   (M.  1-59,  1000).  5  De  caerim.,  sacram.  et  offic.  eccles.  1.  3, 
<  De  div.  offic.  1.  3,  c.  2  (M.  170,  58).    Mit  c.  8  9  (M.  177,  442). 

dieser  letzten  Bemerkung  will  Rupert  wohl  c  L.  2,  c.  9;  1.  3,  c.  11  :  f.  57  74  75. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  165 

her  bemerkt,  d.  i.  ohne  Obergewand  dem  Priester  am  Altare  dienten,  und  darum  habe 
man  ihnen  denn  für  die  Zeit  der  Buße  zum  Ersatz  gestattet ,  die  Kasel  zu  tragen. 
Allein  auch  diese  Deutung  ist,  wenn  ihr  auch  ein  richtiger  Gedanke  zu  Grunde 
liegt ,  nicht  befriedigend.  Eine  eigentümliche  Erklärung  versucht  de  Vert ,  ein 
geschworener  Feind  aller  mystischen  Deutung,  der  alles,  Zeremonien  wie  Gewänder, 
lediglich  aus  rein  praktischen  Veranlassungen  herleitet  '.  Ihm  sind  die  Stationen  die 
Ursache  für  die  Einführung  des  fraglichen  Gebrauchs.  Da  diese  nämlich ,  meint  er, 
in  Zeiten  fielen,  in  welchen  es  an  schlechtem,  unfreundlichem  Wetter  und  häufigen 
Regenschauern  nicht  fehle ,  so  hätten  die  Diakone ,  welche  an  ihnen  teilzunehmen 
hatten,  es  vorgezogen,  Dalmatik  und  Tunika  zu  Hause  zu  lassen  und  sich  der  Kasel 
als  eines  schützenden  Mantels  zu  bedienen.  Die  Folge  hiervon  sei  aber  gewesen,  dafä 
sie  sich  auch  bei  der  Messe  in  der  Stationskirche  dieses  Gewandes  hätten  bedienen 
müssen,  da  sie  ja  doch  nicht  wohl  Dalmatik  und  Tunika  hätten  mitnehmen  können. 
So  aber  sei  es  nach  und  nach  Sitte  geworden ,  dafä  die  Ministri  in  der  Fasten-  und 
Adventszeit  Kasein  trügen.  Comme  un  homme ,  fügt  er  zur  Erklärung  hinzu ,  mar- 
chant  par  la  pluie  dans  les  rues  en  gros  manteau,  s'en  servirait  aussi  dans  ses  visites 
et  ne  penserait  pas  ä  faire  porter  avec  lui  son  habillement  ordinaire.  Die  Erklärung 
de  Verts  ist  nicht  zutreffend.  Denn  erstens  trugen  die  Diakone  die  Planeta,  so  oft 
sie  mit  dem  Pontifex  sich  zur  Kirche  begaben,  und  nicht  bloß  bei  schlechtem  Wetter. 
Zweitens  aber  hatten  sie  nach  dem  1.  Ordo  vor  der  Messe  die  Kleider,  welche  sie 
während  des  Zuges  zum  Gotteshause  getragen,  mit  andern  zu  vertauschen. 

Der  richtige  Grund  wird,  wie  schon  vorhin  angedeutet  wurde,  in  dem 
Umstand  zu  suchen  sein,  daß  die  Tage,  an  welchen  die  Diakone  eine  dunkel- 
farbige Planeta  trugen,  den  Charakter  der  Trauer  und  der  Buße  besaßen. 
Wenn  bei  den  Römern  weiße  Kleider  als  Ausdruck  der  Freude  und  festlicher 
Stimmung,  als  Zeichen  der  Trauer  aber  vestes  pullae  galten,  und  wenn  man 
deshalb  nach  römischer  Sitte  im  gewöhnlichen  Leben  bei  Gelegenheiten,  die 
einen  Trauercharakter  hatten,  eine  toga  pulla  oder  ein  pallium  pullum  an- 
legte, so  mochte  es  nicht  angezeigt  erscheinen,  daß  die  Diakone  an  Buß- 
tagen in  ihrem  Festgewand,  der  weißen,  mit  den  Purpurclavi  versehenen 
Dalmatik,  amtierten.  Es  mußte  vielmehr  als  passender  betrachtet  werden, 
daß  sie  sich  dann  bei  ihren  Funktionen  statt  der  lichten  Tunika  eines  den 
Ernst  der  Zeit  verkündenden  Obergewandes,  also  nach  Lage  der  Dinge  einer 
planeta  fusca  (nigra)  bedienten.  Eine  solche  trug  ja  auch,  wie  wir  aus 
dem  Ordo  Duchesnes  und  den  Angaben  Pseudo-Alkuins2  ersehen,  zum  Aus- 
druck der  Bußstimmung  der  Pontifex.  Es  hätte  sicher  wenig  gepaßt,  wenn 
der  Pontifex  und  alle  andern  Kleriker  in  dunkler  Trauergewandung,  die  Dia- 
kone aber  in  ihrer  weißen,  mit  den  roten  Clavi  versehenen  Dalmatik  er- 
schienen wären.  Daher  also  wohl  die  römische  Gepflogenheit,  daß  der  Diakon 
an  Bußtagen  eine  dunkelfarbige  Kasel  trug. 

Der  Brauch,  wonach  Diakone  und  Subdiakone  an  bestimmten  Tagen 
sich  der  Kasel  statt  ihrer  gewöhnlichen  Gewänder  bedienen  sollen,  erhielt  sich 
das  ganze  Mittelalter  und  wurde  auch  in  das  römische  Missale  und  in  das 
Caeremoniale  der  Bischöfe  aufgenommen,  wenngleich  mit  der  Beschränkung 
auf  die  Kathedralen  und  sonstige  hervorragende  Kirchen3.  Doch  dürfte  er 
auch  vorher  wohl  kaum  in  kleineren  Kirchen  allgemein  in  Übung  gestanden 
haben. 


1  Explicatiou  p.  309,  note  b.  welchen  auch  die  Diakone  sich  ihrer  zu  be- 

2  S.  obenS.  163,  Anm.  2.  Als  die  Subdiakone  dienen  pflegten,  und  zwar  aus  dem  gleichen 
eine  besondere,  der  Dalmatik  ähnliche  Amts-  Grund,  aus  dem  diese  sie  dann  trugen. 
tunika  bekamen,  behielten  sie  den  Gebrauch  3  Rubr.  general.  XIX,  n.  6  7.   Caerem.  episc. 
der  Planeta  natürlich  an  den  Tagen  bei,  an  1.  2,  c.   13,  n.  9;   18,  n.  3. 


166 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


VI.  ANLEGUNGSWEISE  DER  KASEL  BEI  DEN  DIAKONEN,  SUB- 
DIAKONEN UND  AKOLYTHEN.     DIE  PLANETA  PLICATA. 

Nach  dein  römischen  Missale  tragen  Diakon  und  Subdiakon,  wie  früher 
ausgeführt  wurde,  die  Kasel  an  den  Tagen,  an  welchen  sie  sich  ihrer  ab- 
weichend von  der  gewöhnlichen  Ordnung  statt  der  Dalmatik  und  Tunicella 
bedienen,  nicht  wie  der  Priester,  sondern  in  Form  der  planeta  plicata.  Dieser 
Brauch  stammt  nicht  erst  aus  neuerer  Zeit,  sondern  ist  ein  Erbe  aus  alten 
Tagen.  Im  14.  Jahrhundert  erwähnt  ihn  der  14.  römische  Ordo,  in  der 
zweiten  Hälfte  des  13.  Durandus,  welch  letzterer  zugleich  nach  seiner  Weise 
weitläufig  erörtert,  was  es  bedeute,  wenn  Diakon  und  Subdiakon  die  Kasel 
vorn  über  die  Arme  hinaufhöben,  anstatt  sie  nach  Weise  der  Priester  rechts 
und  links  auf  ihnen  zusammenzufalten,  warum  der  Subdiakon  die  Epistel 
ohne  Kasel  singe,  der  Diakon  aber  die  seinige  vor  dem  Evangelium  nach 
Art  der  Stola  umlege  und  erst  gegen  Ende  der  Messe  sich  wieder  in  der 
anfänglichen  Form  mit  dem  Gewand  bekleide.  Im  12.  Jahrhundert  reden 
Honorius  und  Robert  Paululus  von  ihm,  im  11.  Johannes  von  Avranches1,  um 
den  Beginn  des  11.  die  Consuetudines  Farfenses2,  in  der  zweiten  Hälfte  des  10. 
die  Concordia  regularis  St  Dunstans.  Hie  aütem  mos  casularii  tantummodo 
quadragesimali  et  quattuor  temporibus  usu  praecedentium  patrum  observetur: 
subdiaconus  quoties  casula  induitur,  exuat  eam  dum  legit  epistolam,  qua  leeta 
rursus  ea  induatur.  Diaconus  vero  ad  evangelium  legendum  exuat  casulam 
et  duplicans  eam  circumponat  sibi  in  sinistra  scapula,  annectens  alteram  sum- 
mitatem  eius  cingulo  albae.  Peracto  communionis  sacramento  induat  eam  ante- 
quam  collecta  finiätur3,  sagt  beispielsweise  St  Dunstans  Concordia.  Es  ist 
im  wesentlichen  die  gleiche  Praxis,  wie  sie  uns  später  bei  Durandus,  im 
14.  Ordo  und  im  römischen  Missale  begegnet,  nur  daß  nicht  angegeben  wird, 
wie  der  Diakon  vor  dem  Evangelium  und  nach  der  Kommunion  und  der  Sub- 
diakon vor  und  nach  der  Epistel  ihre  Kasel  zu  tragen  pflegten.  Bemerkens- 
wert ist,  daß  die  Concordia  den  Brauch  als  aus  der  Väter,  d.  i.  früherer  Zeit, 
stammend  bezeichnet.  Wirklich  läßt  er  sich  bis  in  die  Frühe  des  9.  Jahr- 
hunderts nachweisen.  Diaconus,  qui  non  est  indutus  dalmatica,  casula  legit 
circumcinctus,  ut  expedite  possit  ministrare  .  .  .,  ipsa  habet  pertusas  subtus 
alas,  quoniam  Christum  vult  imitari,  qui  lancea  perfossus  est  in  latere  et  vult, 
ut  nos  sequamur  eius  vestigia,  quod  significat  pertusus  in  latere,  sagt  Amalar4. 
Was  er  mit  der  letzten  Bemerkung  meint,  ist  nicht  ganz  klar.    Wahrscheinlich 


1  M.  147,  34  38. 

2  Albers,  Consuet.  Farf.  27. 

3  M.  137,  488. 

4  L.  4,  c.  21  (M.  105,  1097) :  Schon  Pseudo- 
Alkuin  scheint  mit  den  Worten:  Ipsa  pertusas 
habet  subtus  alas  etc.  nicht  viel  haben  an- 
fangen können ;  denn  er  hat  nur  den  ersten 
Teil  der  Stelle  aus  Amalar  aufgenommen. 
Pseudo-Beda  hat  auch  den  zweiten  aus- 
geschrieben, dabei  jedoch  die  Worte  Amalars 
zu  verdeutlichen  gesucht.  Er  schreibt:  «Bis- 
weilen liest  der  Diakon,  umgeben  (circum- 
datus)  mit  einer  Kasel,  auf  daß  er  frei  zur 
Verkündigung  des  Evangeliums  hinzutreten 
oder  den  Tisch  des  Herrn  bereiten  könne. 
Die  Kasel  ist  aber  an  der  rechten  Seite  offen, 


wo  der  Arm  herausgesteckt  werden  soll,  weil 
der  Urheber  des  Evangeliums,  den  der  Dia- 
kon nachahmen  soll ,  an  der  rechten  Seite 
mit  der  Lanze  durchbohrt  wurde."  Amalar 
hat  vielleicht  sagen  wollen ,  daß  die  Kasel 
im  Gegensatz  zur  Dalmatik  wie  ein  Gewand 
aussehe,  das  an  den  Seiten  aufgeschlitzt  sei, 
Pseudo-Beda  aber,  daß  sie  den  rechten  Arm 
des  Diakons  völlig  frei  lasse,  wenn  dieser  sie 
zusammengefaltet  auf  der  linken  Schulter 
trage.  Es  liegt  kein  Grund  vor,  die  Worte 
beider  auf  wirkliche,  zum  Zwecke  des  Durch- 
steckens der  Arme  im  Gewand  angebrachte 
Schlitze  zu  deuten,  zumal  der  römische  Brauch, 
den  Amalar  wie  Pseudo-Beda  wiedergeben, 
allem  Anschein  nach  solche  nie  gekannt  hat. 


Erstes  Kapitel:    Die  Kasel. 


167 


denkt  er  daran,  daß  die  Kasel,  wenn  sie  auf  den  Armen  aufgerollt  war,  im 
Gegensatz  zu  der  mit  Ärmeln  versehenen  Dalmatik,  an  den  Seiten  gleichsam 
offen  war.  Aber  auch  der  Sinn  des  circumcinctus,  „umgürtet",  liegt  keines- 
wegs allzu  offen  am  Tage.  Indessen  gibt  Amalar  selbst  in  seiner  zweiten 
Vorrede  zur  Schrift  De  ecclesiasticis  officiis  einen  Kommentar  zu  der  eben 
angeführten  Stelle,  der  an  Deutlichkeit  kaum  etwas  zu  wünschen  übrig  läßt 1. 
Hiernach  geschah  das  circumcingere  in  der  Weise,  daß  sich  der  Diakon  beim 
Alleluja  (nach  dem  Graduale)  seiner  Planeta  entledigte,  dann  die  Stola  und  mit 
ihr  zugleich  die  Planeta  hinter  dem  Rücken  her 
unter  den  rechten  Arm  zog  und  so  beide  bis  gegen 
Ende  der  Messe  beließ.  Nach  dem  ersten  Ordo 
legte  der  Diakon  die  Kasel  schon  etwas  vorher  in 
dieser  Weise  an,  nämlich  nach  Schluß  der  Oration: 
Igitur  diaconus,  quando  dixerit  (sc.  pontifex):  Per 
omnia  saecula  saeculorum  post  Gloria  in  excelsis 
Deo,  levant  (sie)  planetas  in  scapulas2.  Von  dem 
Subdiakon  heißt  es  im  Anschluß  an  diese  Worte: 
Similiter  et  subdiaconi  levant,  sed  cum  sinu;  sub- 
diaconus  vero  de  schola  statim  ubi  imposuerit  anti- 
phonam  ad  introitum  levat  planetam  cum  sinu. 
Ähnlich  der  2.  Ordo 3.  Es  zogen  also  auch  die  Sub- 
diakone  die  Kasein  auf  die  Schulter  hinauf,  jedoch 
so,  daß  sich  bei  ihnen  (vorn)  ein  tief  herabhängen- 
der Faltenbausch  (sinus)  bildete.  Seinen  Grund 
hatte  das  wohl  in  dem  Umstand,  daß  die  Sub- 
diakone  die  heiligen  Geräte  und  Bücher,  wie  die 
Patene,  das  Evangeliar  u.  ä.,  eben  mittelst  der  Pla- 
neta anfassen  mußten.  Über  die  Weise,  in  welcher 
die  Lektoren  und  übrigen  niedern  Kle- 
riker die  Kasel  trugen,  lassen  uns  Ordines  wie 
Liturgiker  völlig  im  dunkeln.  Das  einzige,  was 
wir  von  ihnen  vernehmen 4,  ist,  daß  wie  die  Sub- 
diakone  vor  Absingung  der  Epistel,  so  sie  vor 
Vornahme  der  Lesung  die  Kasel  ausziehen  mußten. 
Auch  die  Bildwerke  geben  uns  keinen  befriedigen- 
den Aufschluß.  Denn  der  mantelartige  Umwurf, 
den  wir  auf  der  schon  früher  erwähnten  Miniatur 
des  Sakramentars  von  Autun  mit  der  Darstellung 
der  verschiedenen  Weihestufen  (vgl.  Bild  24,  S.  62) 

bei  dem  Lektor,  Exorzist,  Akolyth  und  Ostiarius  über  deren  Albe  gewahren, 
ist  wohl  nicht  eine  Kasel  in  der  Form,  in  der  sie  die  Diakone  vom  Evangelium 
an  anzulegen  pflegten,  sondern  die  Sindon,  mit  der  jene  Kleriker  die  Opferkelche, 
die  Patene,  die  Wasserkrüge  und  das  sonstige  Opfergerät  zu  halten  hatten5. 


Bild  65.     Elfenbeintafel. 
Frankfurt,  Stadtbibliothek. 


1  Amalar.,  Praefatio  altera  (M.  105,  992): 
Quando  versus  de  Alleluia  canitur,  exuit  se 
planeta  diaconus  stolamque  post  tergum  ducit 
subtus  alam  dexteram  una  cum  planeta  et 
parat  se  ad  ministrandum  ac  in  eo  habitu 
perseverat  usque  dum  Apostolicus  recesserit 
de  altari. 

-  N.  51  (M.  78,  960). 


3  N.  3  (ebd.  969). 

4  Ordo  1,  n.  40  (ebd.  955);  Ordo  5,  n.  3 
=  S.  G.  K.  (ebd.  985);  AmaL,  De  off.  eccl. 
1.3,  c.  15  (M.  105,  1122). 

5  Man  hat  geglaubt,  in  dem  Umwurf  das 
(Mantel-)Pallium  sehen  zu  sollen,  welches 
auf  altchristlichen  Bildwerken  so  oft  auftritt. 
Indessen   kann  von    einem  solchen    bei    ihm 


168 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Auf  der  Frankfurter  Elfenbeintafel  sind  die  Cantores  nach  Weise  der  Priester 
mit  der  Kasel  bekleidet  (Bild  65,  S.  167),  doch  mag  dieselbe  hier  nicht 
eine  eigentliche  Kasel,  sondern,  wenngleich  mit  Auslassung  der  Kapuze,  die 
dieser  damals  noch  sehr  ähnliche  Cappa  darstellen  sollen.  Denn  auf  dem 
Gegenstück  des  Elfenbeins,  der  ehemaligen  Spitzerschen ,  jetzt  in  englischem 
Privatbesitz  befindlichen  Tafel,  ist  das  fragliche  Gewand  in  aller  Deutlichkeit 
mit  einer  Kapuze  versehen  (Bild  66).  Freilich  ist  wie  in  andern  Fällen,  so 
auch   im  vorliegenden  unsicher,   was   zuletzt  auf  Rechnung   der  Wirklichkeit 

und  was  auf  die  des  Künstlers  fällt.  Halten  wir 
übrigens  vor  Augen,  daß  die  Tätigkeit  der  Ako- 
lythen  beim  Gottesdienst  im  9.  Jahrhundert  sehr 
verwandt  war  mit  derjenigen  der  Subdiakone, 
welche  damals  ebenfalls  noch  zu  den  Minoristen 
zählten ,  so  liegt  der  Schluß  nahe ,  daß  sie  die 
Kasel  in  ähnlicher  Weise  wie  diese  getragen  haben. 
Mußten  sie  doch  auch,  wie  wir  vorhin  hörten,  wenn 
sie  lasen,  gerade  wie  diese  bei  der  Epistel  das 
Gewand  ablegen. 

es   sei   die  Kasel   der  Lek- 


Man   hat   gesagt, 


toren  usw.  kleiner 


gewesen  als  die  der  Priester 1. 


Wirklich  mag  sie  hie  und  da  geringere  Maßverhält- 
nisse gehabt  haben  als  diese.  So  führt,  um  von 
den  Darstellungen  des  Frankfurter  und  Spitzerschen 
Elfenbein  abzusehen,  auf  welchen  die  Kasel  bzw. 
Cappa  der  Cantores  merklich  kürzer  als  die  Kasel 
des  Bischofs  ist,  das  Inventar  von  St-Riquier  vom 
Jahre  831  im  Verzeichnis  der  Paramente  einer 
Nebenkirche  casulae  parvae  sericiae  2  an2.  Ob  es 
aber  allgemein  und  namentlich  zu  Rom  so  gehal- 
ten worden  sei,  ist  mehr  als  fraglich.  Man  hat  sich 
freilich  auf  die  Worte  des  1.  römischen  Ordo  be- 
rufen: Parat  evangelium,  qui  lecturus  est,  reserato 
sigillo  ex  praecepto  archidiaconi  super  planetam 
acolythi  et,  si  necesse  fuerit  propter  maiora  evan- 
gelia,  duobus  acolythis  super  planetas  tenentibus3. 
Allein  der  richtige  Sinn  dieser  Rubrik  dürfte  wohl 
nur  sein:  Ist  das  Evangelium  zu  groß,  als  daß  ein 
Akolyth  es  bequem  halten  könnte,  so  sollen  das 
zwei  tun,  natürlich  auf  ihren  Planeten.  Wie  dem 
indessen  sein  mag,  ein  ganz  kleines  Gewand,  eine 
Art  von  bloßem  Schultermäntelchen,  waren  die  Kasein  der  Lektoren  und 
Akolythen  jedenfalls  nicht;  denn  die  früher  angeführten  Stellen  des  1.  Ordo 
setzen  notwendig  voraus,  daß  sie  eine  ziemliche  Größe  hatten. 


Bild  66.     Elfenbeintafel. 

Kusthall  House,  Tunbridge  (Wells) 
England. 


unmöglich  die  Rede  sein.  Denn  im  9.  Jahr- 
hundert gab  es  unter  den  liturgischen  Ge- 
wändern, die  doch  auf  der  fraglichen  Miniatur 
zur  Darstellung  kommen ,  kein  derartiges 
Pallium.  Was  unter  dem  in  Frage  stehenden 
Tuch  zu  verstehen  ist,  erhellt  aus  Du  eh., 
Orig.  461 :   Et   veniunt  acolythi  .  . .  involuti 


cum  sindonibus  et  unus  ex  illis . . .  tenens 
patenam  ...  et  alii  tenentes  seiffos  cum  fontes, 
alii  saecula  (zur  Aufnahme  der  sacrae  species) . 
1Hef,  Beitr.  II  201;  Thalhofer  I 
883  u.  a. 

2  Chron.  Cent.  1.  8,  c.  8  (M.  174,  1261). 

3  Ordo  1,  n.  5  (M.  78,  940). 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  169 

Die  Gründe,  welche  den  Brauch,  mit  dem  wir  uns  bisher  beschäftigten,  veranlagten, 
hat  schon  Durandus  richtig  erkannt,  wenn  er  —  freilich  neben  andern  Erklärungs- 
versuchen —  meint,  die  Ministri  trügen  die  Kasel  in  einer  von  derjenigen  beim  Priester 
abweichenden  Form ,  sowohl  um  sich  von  diesem  besser  zu  unterscheiden ,  als  auch 
um  ungehinderter  ihren  Dienst  versehen  zu  können.  Den  letzten  führt  schon  Amalar 
an.  Er  war  indessen  nicht  der  Hauptgrund,  das  war  vielmehr  derjenige,  den  Durandus 
an  erster  Stelle  nennt.  Denn  wenn  beim  Mangel  von  Diakonen  ein  Priester  als 
Diakon  fungierte,  so  behielt  er,  wie  der  1.  Ordo  ausdrücklich  anmerkt',  die  ganze 
Zeit  des  Gottesdienstes  seine  Kasel  in  der  gewöhnlichen  Weise  an ,  wiewohl  es  doch 
auch  für  ihn  bequemer  gewesen  wäre ,  das  Gewand  schärpenartig  umzulegen.  Der 
Hauptgrund  kann  also  nicht  die  Notwendigkeit  gewesen  sein,  Unzuträglichkeiten,  die 
aus  dem  Gebrauch  der  Kasel  für  die  Ministri  entstehen  konnten ,  durch  eine  andere 
Anlegungsweise  der  letzteren  vorzubeugen  —  ein  Punkt,  der  ja  auch  zuletzt  nur  beim 
Diakon  zutraf — ,  sondern  die  Absicht,  an  den  Tagen,  an  welchen  alle  beim  Gottes- 
dienst Beschäftigten  in  der  Planeta  amtierten ,  die  Priester  von  den  Sichtpriestern 
äufserlich  zu  unterscheiden  und  die  Diakone ,  Subdiakone ,  Lektoren  usw.  durch  die 
Art,  wie  sie  die  Kasel  trugen,  als  solche  zu  kennzeichnen.  Daneben  mögen  dann 
freilich  auch  Rücksichten  auf  größere  Bequemlichkeit  auf  die  Bildung  des  Brauchs 
von  Einflufä  gewesen  sein. 

Interessant  ist  die  mystische  Deutung,  welche  Amalar  dem  fraglichen  Brauch 
gibt,  soweit  dieser  den  Lektor  oder  Cantor  betrifft.  Das  Amt  des  Lektors  oder 
Cantors ,  meint  er ,  ist  eine  Art  Kriegsdienst ,  und  zwar  treten  diese  Kleriker  bei  der 
Lesung  oder  dem  Absingen  (des  Responsoriimi  nach  der  Lesung  und  des  Tractus)  in 
einen  Emzelkampf ;  sie  gehen  aber,  um  ihres  Dienstes  zu  walten,  aus  dem  Chor  heraus, 
machen  also  gleichsam  einen  Marsch.  Wer  jedoch  einen  Marsch  antritt,  kann  all  die 
frommen  Werke  nicht  üben,  welche  durch  die  Kasel  versinnbildet  werden,  und  so  also 
ist  es  nach  Amalar  zu  verstehen,  weshalb  Lektor  und  Cantor  die  Kasel  ausziehen, 
wenn  sie  die  Lectio  verlesen  oder  das  Responsorium  singen  wollen.  Es  liegt  auf  der 
Hand,  daß  diese  Erklärung  nur  eine  der  vielen  mehr  oder  minder  gesuchten  Deutungen 
ist,  die  frommes  Grübeln  nachträglich  zur  eigenen  oder  fremden  Erbauung  erfunden 
hat.    Der  geschichtliche  Grund  der  fraglichen  Gepflogenheit  ist  in  ihr  nicht  gegeben. 

VII.  DIE  KASEL  IM  LITURGISCHEN  GEBRAUCH. 

Wie  die  Kasel  zur  Karolingerzeit  noch  nicht  ausschließlich  priesterliches, 
ja  noch  nicht  einmal  ausschließlich  liturgisches  Gewand  war,  so  war  sie  noch 
viel  weniger  schon  ausschließlich  Meßgewand.  Sie  wurde  das  erst  seit  der 
Wende  des  Jahrtausends ,  als  sich  das  Pluviale  als  liturgisches  Gewand  ein- 
bürgerte und  die  Kasel,  ausgenommen  bei  der  Messe  und  den  damit  in  Ver- 
bindung stehenden  Akten,  zu  ersetzen  begann.  Bis  dahin  erscheinen  darum 
auch  die  Priester  und  Bischöfe  auf  den  Bildwerken  stets  in  der  Planeta, 
gleichviel,  bei  welcher  liturgischen  Handlung  sie  dargestellt  sind.  Sehr  in- 
struktiv sind  in  dieser  Hinsicht  z.  B.  die  Miniaturen  des  Sakramentars  Drogos 
von  Metz  (f  855) 2  und  die  mit  liturgischen  Szenen  geschmückten  Elfenbein- 
platten vom  Deckel  des  Sakramentars.  Da  sehen  wir  den  Bischof  bei  der 
Messe,  bei  der  Erteilung  der  heiligen  Weihen,  der  Konsekration  der  heiligen 
Öle,  der  Segnung  des  Taufwassers  und  der  Vornahme  der  Taufe,  bei  der  Kircb- 
weihe,  bei  der  Erteilung  der  heiligen  Ölung  und  bei  Exorzismen ;  überall  trägt 


1  N.  51  (ebd.  960).    Etwas  anders   im  Ordo  trägt  er  aber  auch  hier  die  Planeta  in  gewöhn- 

Duchesnes  (Orig.  464),  nach   dem  der  Prie-  licher  Weise,  wie  aus  den  Worten:  descendens 

ster,  welcher    die    Stelle    des   Diakons   ver-  de  ambone  induit  se  planita,  erhellt, 
tritt,  wie  dieser  das  Evangelium   procinctus  -  Die    Miniaturen    bei    Cahier,    Ivoires 

de  planita  singt.    Beim  weiteren  Ministrieren  116  ff. 


170 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


er  die  Kasel  (Bild  67  u.  68).  Belehrend  sind  auch  die  Miniaturen  des  Göttinger 
Sakramentars,  welche  den  Bischof  bei  der  Spendung  der  heiligen  Ölung,  der 
Verkündigung  der  Skrutinien  und  der  Rekonziliation  der  Büßer  darstellen  a. 
Auch  hier  tritt  derselbe  überall  in  der  Kasel  auf.  Nur  bei  ein  paar  Dar- 
stellungen des  Drogosakramentars  ist  er  mit  der  Cappa  bekleidet.  Es  sind 
die  Spendung  der  Firmung  (vielleicht  besser  die  Salbung  des  Täuflings  mit 
dem  Katechumenenöl),  eine  Totenerweckung  und  eine  Teufelsaustreibnng. 

An  schriftlichen  Angaben  über  den  Gebrauch  der  Kasel  liegt  nur  sehr 
wenig  vor.     Was  wir  indessen  davon  besitzen,  bestätigt,  was  die  Bildwerke 

erzählen.  So  verneh- 
men wir  aus  dem  sog. 
Egbertpontifikale,  dem 
Pontifikale  von  Aletis 
(StMalo)unddemPon- 
tifikale  Dunstans,  daß 
Bischof  wie  Ministri 
bei  der  Kirchweihe  mit 
den  Gewändern  beklei- 
det sein  mußten,  cum 
quibus  divinum  myste- 
rium  (ministerium)  ad- 
implere  debent ,  also 
mit  der  Kasel  und  den 
übrigen  Meßgewän- 
dern 2.  Hinsichtlich  der 
Kran  kenversehgänge 
schreibt  das  Pontifikale 
von  Aletis  vor:  Sacer- 
dos . . .  induat  se  super- 
humerali,  alba  et  stola 
cum  phanone  atque 
planeta,  si  affuerit,  si 
alias,  casula  non  in- 
duatur 3. 

Natürlich  trug  man 
bei  der  Spendung  der 
Sterbsakramente ,  der 
Taufe  u.  ä.  die  Kasel 
nur,  wenn  diese  Funktionen  in  feierlicher  Weise  vollzogen  wurden,  wie  man 
ja  auch  später  nur  in  solchen  Fällen  sich  des  Pluviale  bediente. 

Einen  deutlichen  Hinweis  auf  den  Wechsel,  der  sich  im  11.  Jahrhundert 
hinsichtlich  der  Verwendung  der  Kasel  vollzog,  finden  wir  in  einem  Brief 
Lanfranks  an  Erzbischof  Johannes  von  Rouen.  Letzterer,  der  uns  bereits 
bekannte  Johannes  von  Avranches,  hatte  in  einem  Schreiben  an  Lanfrank  die 
Meinung  ausgesprochen,  es  müsse  der  Bischof  bei  der  Kirchweihe  außer  den 


Bild  67.     Elfenbeinplatte  vom  Sakramental'  des  Drogo. 
(Nach  Kraus,  Kunst  und  Altertum  in  Elsaß-Lothringen.) 


1  B  e  i  s  s  e  1 ,  Ein  Sakramentar  aus  Fulda, 
in  Zeitschrift  IX  (1S94)  65  ff.  Vgl.  ferner 
ein  Elfenbein  im  Museum  zu  Amiens  aus 
dem  9.  Jahrb..  bei  Roh.  VII,  pl.  dlxviji. 


2  Mart.  1.  2,  c.  13,  ordo  2  3  4;  II  247 
250  255.  Das  Pontif.  von  Aletis  heißt  hier 
Pontif.  Gemmeticense  (Jumieges). 

3  Ebd.  1.  1,  c.  7,  art.  4,  ordo  1;  I  301. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


171 


andern  pontifikalen  Gewändern  auch  die  Kasel  tragen.  Darob  ist  dieser  jedoch 
erstaunt  und  bemerkt  in  seiner  Antwort,  er  könne  sich  nicht  erinnern,  es 
irgendwo  bemerkt  zu  haben,  daß  man  die  Konsekration  der  Kirche  in  der 
Kasel  vollzogen  habe.  Man  habe  sich  vielmehr  stets  bei  der  Weihe  der  Cappa, 
der  Kasel  aber  erst  bei  der  Messe  bedient.  So  habe  es  auch  Papst  Leo 
gehalten ,  als  er  die  Kirche  von  Remiremont  konsekrierte  1.  Man  merkt 
deutlich,  daß  man  in  einer  Zeit  steht,  da  man  anfängt,  darüber  Erörterungen 
anzustellen,  wann  die  Kasel  zu  gebrauchen  sei  und  wann  nicht,  und  man  die 
Kasel  schon  vielfach  als  eigentliches  Meßgewand  betrachtet. 

Solange  die  Kasel 
noch  die  weite  Form 
hatte,  mußte  sie  an 
den  Seiten  aufgehoben 
und  auf  den  Armen 
zusammengelegt  wer- 
den, damit  der  Cele- 
brans  seine  Hände  frei 
gebrauchen  konnte.  Es 
geschah  dies  nicht  erst 
am  Altar  nach  dem 
Confiteor,  wie  man  ge- 
sagt hat,  sondern  schon 
in  der  Sakristei.  So 
war  es,  wie  aus  dem 
1.  und  3.  Ordo  klar 
hervorgeht,  in  Rom  be- 
reits im  8.  und  9.  Jahr- 
hundert üblich,  so  hielt 
man  es  dort  auch  noch, 
wie  aus  den  Ausfüh- 
rungen Innozenz'  III. 
erhellt2,  im  13.  und, 
wie  der  14.  Ordo  be- 
weist, im  14.  Jahrhun- 
dert :  Subsequenter  dia- 
conus  a  dextris  et  sub- 
diaconus     a     sinistris 


Bild  68.     Elfenbeinplatte  vom  Sakramentar  des  Drogo. 
(Nach  Kraus,  Kunst  und  Altertum  in  Elsaß-Lothringen) 


planetam  super  brachia 

pontificis  apte  complicent3,  ja  solange  die  Kasel  an  den  Seiten  ein  Aufrollen 
erheischte,  d.  i.  bis  in  die  Neuzeit  hinein 4.  Daß  es  auch  außer  Rom  so  Brauch 
Avar,  ergibt  sich  aus  Sicards  Mitralis 5,  aus  des  Durandus  Rationale  6  und  seinem 
kaum  weniger  einflußreichen  Pontifikale  7. 


1  Ep.  13  (M.  150,  520). 

2  De  sacrif.  missae  1.  1,  c.  78  vgl.  mit  1.  2, 
c.  1  13  (M.  217,  795  801  806). 

3  C.  53  (M.  78,  1158). 

4  Caerem.  episc.  1.  2,  c.  8,  n.  19. 

5  L.  2,  c.  8  vgl.  mit  dem  Prologus  zu  1.  3, 
und  1.  3,  c.  2  (M.  213,  89  94). 

0  L.  4,  c.  7;  f.  103. 


7  Mart.  1.1,  c.  4,  art.  12,  ordo  23;  I  221. 
Das  Pontifikale  ist  nicht  von  Durandus  d.  J., 
wie  Ehrensberger,  H.  (Libri  liturgici,  Frei- 
burg  1897,  548)  meint,  sondern  von  Durandus 
d.  Ä.  Denn  im  Pontifikale  beruft  sich  Durandus 
auf  sein  Rationale,  z.  B.  De  praemissis  sin- 
gulis  rationes  in  nostro  Rationali  posuimus 
(ebd.  222). 


172  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Die  Kasel  erst  am  Altar  nach  dem  Confiteor  zu  ordnen,  dürfte  nur  ver- 
einzelt üblich  gewesen  sein.  Es  lag  ja  dafür  auch  kein  Grund  vor.  Eine 
solche  Gepflogenheit  bestand  nach  einem  alten  Ordinarium  des  13.  Jahr- 
hunderts zu  Laon  1.  Auch  Johannes  Beleth  wird  zum  Zeugen  für  dieselbe 
angerufen ,  doch  ist  hier  die  Sache  zum  mindesten  sehr  unklar 2.  Er  gibt 
offenbar  keine  historische  Reihenfolge,  sonst  würde  aus  seinen  Angaben  folgen, 
der  Bischof  habe  die  Kasel  sogar  erst,  nachdem  er  die  Orationen  gesungen  und 
das  übrige  gebetet,  auf  den  Schultern  zusammengefaltet. 

VIII.   DIE  KASEL  IM  WEIHERITUS. 

Bei  der  Priesterweihe  legt  der  Bischof,  wie  wir  früher  hörten,  dem 
Ordinanden,  nachdem  er  dessen  Stola  über  die  rechte  Schulter  gezogen,  eine 
Kasel  an,  deren  Vorderteil  herabhängt,  während  die  hintere  Hälfte  bis  nach  der 
Kommunion  zusammengefaltet  bleibt. 

Es  ist  ein  sehr  alter  Brauch,  den  Neopresbytern  bei  ihrer  Ordination 
die  Planeta  (Kasel)  zu  übergeben.  In  Spanien  war  er  schon  wenigstens 
im  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  bekannt.  Als  Teil  des  römischen  Weihe- 
ritus wird  er  zuerst  im  8.  Ordo  erwähnt3,  der  bezüglich  des  Zeremoniells 
der  Priesterweihe  bemerkt:  „Der  Archidiakon  zieht  ihm  (dem  Ordinanden) 
die  Dalmatik  aus  und  legt  ihm  dann  die  Planeta  an."  Sogar  der  Akolyth 
wurde  bei  seiner  Weihe  diesem  Ordo  zufolge  mit  dem  Gewand  bekleidet,  was 
allerdings  nicht  wundernehmen  kann.  Denn  diese  Zeremonie  steht  ganz  im 
Einklang  mit  der  schon  besprochenen  römischen  Gewohnheit,  wonach  auch 
die  niedern  Kleriker  sich  der  Kasel  bedienten.  Beim  Subdiakon  wird  im 
8.  Ordo  vorausgesetzt,  daß  er  bereits  die  Planeta  trage,  da  der  Archidiakon 
oder  der  Bischof  ihm  bei  seiner  Weihe  den  Kelch  in  ulnas  foras  planeta 
legen   soll. 

In  das  gregorianische  Sakramental-  erhielt  unser  Ritus  seit  dem  9.  Jahr- 
hundert, vielleicht  aber  auch  schon  etwas  früher,  Aufnahme.  Übergibt  aber 
nach  dem  8.  Ordo  noch  der  Archidiakon  dem  Neopresbyter  die  Kasel,  so  tut 
solches  nach  den  Pontifikalien  und  Sakramentaren  des  10.  Jahrhunderts  und 
der  Folgezeit  regelmäßig  der  Bischof  selbst.  Ein  besonderer  Begleitspruch 
scheint  hierbei  nicht  überall  und  allzeit  Brauch  gewesen  zu  sein.  Verschiedene 
Sakramentare  begnügen  sich  bloß  mit  der  Bemerkung:  „Hier  bekleidest  du 
ihn  mit  der  Kasel";  andere  haben  für  die  Anlegung  der  Stola  und  Kasel 
nur  einen  Begieitspruch. 

In  den  älteren  Pontifikalien  und  Sakramentaren ,  besonders  angelsächsischen, 
lauten  die  Begleitworte  meist:  „Der  Segen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des 
Heiligen  Geistes  steige  über  dich  herab,  auf  daß  du  im  Priesterstand  gesegnet  seiest 
und  sühnkräf'tige  Opfergaben  für  des  Volkes  Sünden  und  Übertretungen  dem  all- 
mächtigen Gott  darbringest,  dem  Ehre  und  Ruhm  ist  in  alle  Ewigkeit."  Häufig  ist 
aber  auch  das  Gebet:  „Mit  dem  Gewände  der  Unschuld  bekleide  dich  der  Herr."  Es 
erhielt  sich  in  manchen  Pontifikalien  bis  ins  14.  Jahrhundert.  Die  Worte,  welche 
der  Bischof  jetzt  nach  dem  römischen  Pontifikale  zu  sprechen  hat,  kommen  schon  im 
12.  Jahrhundert  vor  '.  Gewöhnlicher  werden  sie  indessen  erst  im  13.  und  14.  Jahr- 
hundert; doch  haben  sie  noch  im  15.  keineswegs  allgemein  in  die  Pontifikalien  Auf- 
nahme gefunden. 


'  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  20;  I  218.  2  Rationale  c.  33  (M.  202,  43). 

Irrig  steht  hier  in  der  Überschrift:  ecclesiae  ■'  N.  1  2  4  (M.  78,  1000  1001). 

Lugdunensis.     Es  muß  heißen:  Laudunensis.  '  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  12,  ordo  8;  II  53. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  173 

Scharf  tritt  der  Charakter  der  Kasel  im  Gebete  eines  Pontifikale  von  Seez  aus 
dem   Jahre    1045    hervor:    Eecipe  planetam,    ut  possis  legaliter  celebrare  missam  - 
„Nimm  hin  die  Planeta,  damit  du  ordnungsgemäß  die  Messe  feiern  könnest."  l 

Die  Liturgiker  reden  bis  zum  13.  Jahrhundert  kaum  von  der  uns  be- 
schäftigenden Weihezeremonie,  vermutlich,  weil  sie  diese  nur  als  einen  Ritus 
von  untergeordneter  Bedeutung,  der  lediglich  zur  Solemnität  gehöre,  be- 
frachteten. Im  13.  Jahrhundert  aber  erwähnt  Durandus  sie  nicht  nur,  sondern 
rechnet  sie  sogar  zum  Wesen  der  Priesterweihe 2.  Vermutlich  hat  das  seit 
dem  12.  Jahrhundert  in  Aufnahme  gekommene  Gebet:  „Nimm  hin  das  priester- 
liche Kleid  usw."  zu  dieser  seiner  Meinung  beigetragen,  sofern  in  ihm  aus- 
drücklich die  Kasel  als  das  Priestergewand  bezeichnet  wird. 

Die  Anlegung  der  Kasel  bei  der  Weihe  der  Priester  war  in  der  Form, 
wie  sie  nunmehr  das  römische  Pontifikale  als  Weihezeremonie  vorschreibt, 
dem  13.  Ordo  zufolge3  sicher  bereits  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
in  Rom  gebräuchlich.  Wie  weit  dieselbe  in  die  Vergangenheit  zurückreicht, 
läßt  sich  nicht  sagen,  doch  scheint  sie  verhältnismäßig  jungen  Ursprungs  zu 
sein.  Außerhalb  der  römischen  Kirche  hielt  man  mehr  oder  minder  lang  an 
dem  älteren  und  einfacheren  Weihezeremoniell  fest,  welches  ein  anfängliches 
Zusammengefaltetsein  und  folglich  auch  die  nachherige  Entfaltung  des  Gewandes 
nicht  kannte. 

Über  die  Art  und  Weise,  wie  die  Kasel  bei  der  Weihe  gefaltet  wurde, 
sagt  ein  dem  14.  Jahrhundert  angehörendes  Pontifikale  der  Vaticana:  „Die 
Planeta  soll  bloß  im  Nacken  zusammengelegt  werden,  so  daß  sie  lediglich  im 
Nacken  nicht  herunterfällt,  an  der  Vorderseite  aber  sich  zwischen  Hand  und 
Arm  befindet  (d.  i.  hier  lang  herabhängt)."  4 

IX.    FORM  DER  KASEL  IM  MITTELALTER  BIS  ZUM 
XIII.  JAHRHUNDERT. 

Nach  den  bildlichen  Monumenten  zu  urteilen,  war  die  Planeta  der  vor- 
karolingischen  Zeit  ein  weiter,  glockenförmiger  Überwurf,  der  nur  eine  Öffnung 
zum  Durchlassen  des  Kopfes  hatte,  im  übrigen  aber  ganz  geschlossen  war. 
Das  letzte  hebt,  wie  wir  bereits  hörten,  auch  die  gallikanische  Meßerklärung 
ausdrücklich  hervor.  Ließ  man  das  Gewand  herunterhängen,  so  waren  die 
Arme  und  selbst  die  Hände  völlig  unter  demselben  geborgen.  Denn  nach  den 
römischen  und  ravennatischen  Mosaiken  des  6.  und  7.  Jahrhunderts  reichte 
die  Planeta  damals  wenigstens  bis  zu  den  Knieen,  vielfach  sogar  über  die- 
selben. Wollte  man  die  Hand  frei  benutzen,  so  war  man  genötigt,  die  Planeta 
über  den  Arm  zurückzuschlagen.  In  der  Tat  ist,  um  auf  einige  Beispiele  hin- 
zuweisen, bei  Maximian  auf  dem  Mosaik  in  S.  Vitale,  der  in  der  Rechten  das 
Kreuz  trägt,  das  Gewand  auf  den  rechten  Arm  hinaufgezogen  (Bild  63,  S.  159). 
In  gleicher  Weise  tragen  ihre  Planeta  Ecclesius,  Ursus,  Severus  und  Ursicinus 
auf  den  Mosaiken  in  S.  Apollinare  in  Classe,  welche  die  Rechte  zum  Segen 
oder  Redegestus  erhoben   haben.     Der  hl.  Vinzentius  auf  dem  Fresko  in  der 


'  Le  Brun  I,  traite  prelim.  art.  4,  §  1,  inter   manum    et   brachium.      Andere   Ponti- 

chasuble;  I  47,  note  e.  fikalien  des  14.  und  15.  Jahrhunderts,  welche 

2  Rationale  1.  2,  c.  10  :  f.  61.  den  Gebrauch,  die  Kasel  bei  der  Weihe  auf  den 

3  N.  6  (M.  78,  1107).  Rücken   zu   falten,   im   Ordinationsritus   er- 

4  Cod.  Vat.  lat.  1153,  f.  5V:  Planeta  plicata  wähnen,  sind  z.  B.  Cod.  Vat.  lat.  5791  und 
super  collum  tantum,  ita  quod  non  descendat  Ottob.  27  330  501  574.  Vgl.  auch  Mar  t. 
solum  super  collum  et  a  latere  anteriore  stet  1.1,  c.  8,  art.  11,  ordo  17:  II  85. 


174 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Katakombe  des  Pontian  hebt  beide  Arme  zum  Gebet  empor.  Hier  ist  daher 
die  Kasel  auf  beiden  Armen  emporgerafft. 

Planeten  aus  vorkarolingischer  Zeit  haben  sich  unseres  Wissens  leider 
nicht  erhalten.  Eine  ehemals  zu  Vreden  aufbewahrte  und  nunmehr  im  bischöf- 
lichen Museum  zu  Münster  befindliche  Kasel  des  hl.  Sixtus  II.  (f  258)  *  stammt 
aus  der  Wende  unseres  Jahrtausends.  Aus  derselben  Zeit  datiert  das  Meß- 
gewand des  hl.  Ebbo  (f  750)  in  der  Kathedrale  zu  Sens,  ein  byzantinisches 
Gewebe  von  der  Art  der  Adlerkasel  zu  Brixen,  dem  Löwenstoff  zu  Siegburg 
u.  ä.  Die  Kasel  des  hl.  Johannes  „des  Engelschauers"  im  Dom  zu  Ravenna 
ist,  wie  Stoff,  Ausstattung  und  Besatz  mit  aller  Bestimmtheit  beweisen,  eine 
Arbeit  des  11.  bis  12.  Jahrhunderts.  Dasselbe  gilt  von  einem  Meßgewand, 
welches  zu  Dokkum  (Friesland)  aufbewahrt  wird. und  dem  hl.  Bonifatius  zu- 
gehört haben  soll 2.  Die  Kasel  des  hl.  Regnobert  (f  ca  ö68)  zu  Bayeux  mag 
dem  12.  Jahrhundert  entstammen3. 

Es  ist  zu  bedauern,  daß  sich  aus  vorkarolingischer  Zeit  keine  Kasein 
erhalten  haben.  Es  ist  kaum  möglich,  bloß  an  der  Hand  der  Monumente  den 
genauen  Schnitt  des  Gewandes  festzustellen.  Nur  auf  Grund  von  noch  vor- 
handenen Gewandstücken  läßt  er  sich  mit  Sicherheit  bestimmen.  Mit  Hilfe 
der  Monumente  kommt  man  über  eine  gewisse  allgemeine  Gestalt  nicht  hinaus. 
Die  Skizzen,  welche  Rohault  de  Fleury  von  den  Kasein  auf  ravennatischen 
und  römischen  Mosaiken  in  seiner  chronologischen  Übersicht  über  die  Kasel- 
form  gibt,  sind  denn  auch  nur  Produkte  der  Phantasie4. 

Auch  im  9.  und  im  Beginn  des  10.  Jahrhunderts  sind  wir,  was  die 
Form  des  Meßgewandes  anlangt,  noch  allein  auf  die  Monumente  angewiesen. 
Es  sind  besonders  einige  späte  Mosaiken  in  Rom ,  wie  die  musivischen  Dar- 
stellungen in  den  Apsiden  von  S.  Prassede,  S.  Marco,  S.  Cecilia,  sowie  die 
karolingischen  Miniaturen  und  Elfenbeine,  aus  denen  wir  unsere  Kenntnis  der 
Kasel  zu  schöpfen  haben.  Unter  den  Miniaturen  verdient  besondere  Er- 
wähnung die  Darstellung  der  Bibel  Karls  des  Kahlen ,  auf  der  die  Mönche 
von  St  Martin  zu  Tours5  dem  Fürsten  die  Bibel  überreichen,  unter  den  Elfen- 
beinen die  Deckelskulpturen  des  Drogosakramentars.  Die  Liturgiker  des 
9.  Jahrhunderts   lassen   uns   über   die  Form   der  Planeta   ganz   im   unklaren. 

Genaueren  Aufschluß  über  Schnitt  und  Form  des  Meßgewandes  erhalten 
wir  erst  seit  Ausgang  des  10.  Jahrhunderts.  Die  Liturgiker  wissen  uns 
freilich  auch  jetzt  nur  wenig  davon  zu  berichten.  Alles,  was  sie  erzählen,  läuft 
auf  einige  allgemeine  Bemerkungen  hinaus.  Sie  schildern  die  Kasel  als  ein 
Gewand,  das  ringsum  geschlossen,  ohne  Schlitz  (undique  clausa,  una  est  et 
integra;  Rupert)  und  so  lang  und  weit  war,  daß  es  auf  den  Armen,  vor 
der  Brust  und  auf  dem  Rücken  in  Falten  gelegt  werden  mußte  (duplicatur  in 
pectore  et  inter  humeros;  triplicatur  in  clextro  brachio  ...  in  sinistro;  Honorius). 
Hatte  der  Priester  sie  angelegt,  so  schien  sie  gleichsam  aus  zwei  Hälften  zu 


'  Braun,  Die  sog.  Sixtus-Kasel  von  Vreden 
in  Zeitschrift  XII  (1899)  23. 

2  Über  die  Form  des  Gewandes  erhielten 
wir  freundliche  Mitteilung  durch  Herrn 
Iiwliiuitf'ii  v.ui  ll'ul  "liim  zu  Jutfaas  bei 
Utrecht.  Ein  Stück  des  Stoffes  sahen  wir  im 
erzbiscböflichen  Museum  zu  Utrecht. 

;  De  Farcy  in  Memoires  de  la  Societe 
des  antiquaires  de  la  Normandie  1881;  Roh. 
VII  141   und  pl.  DLXXVII. 


1  La  messe  VII  179.  Das  Gesagte  gilt 
überhaupt  von  den  Rekonstruktionen,  welche 
dort  Rohault  de  Fleury  auf  Grund  der  Monu- 
mente versucht  hat.  Die  chronologische 
Folge  der  Kaselformen,  welche  er  bietet,  gibt 
darum  ein  ganz  unzutreffendes  Bild  von  der 
Entwicklung  des  Meßgewandes. 

5  Nicht  zu  Metz,  wie  es  infolge  Übersehens 
bei  der  Korrektur  oben  S.  27  heifit.  Abbildung 
der  Miniatur  siehe  Titelbild. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  175 

bestehen  (in  anteriorem  et  posteriorem  partem  quodammodo  dividitur;  Eupert), 
welche  so  ziemlich  gleich  waren  (suppar  est  post  tergum  et  ante  pectus ; 
Pseudo-  Beda). 

Das  ist  alles.  Um  so  wichtiger  sind  darum  für  die  Geschichte  der  Form 
der  Kasel  die  Monumente  des  11.,  12.,  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts,  deren 
es  eine  unabsehbare  Menge  gibt;  nur  muß  man  sich  sehr  hüten,  alles  und 
jedes,  was  uns  auf  ihnen  entgegentritt,  unbesehen  als  gute  Münze  und  als 
unverfälschtes  Abbild  der  Wirklichkeit  hinzunehmen.  Das  gilt  namentlich 
von  den  Bildwerken  des  11.,  12.  und  selbst  teilweise  noch  denen  des  13.  Jahr- 
hunderts. 

Die  Phantasie  hat  bei  den  Künstlern  zu  allen  Zeiten  eine  große  Rolle 
gespielt;  im  besondern  Maß  ist  das  aber  bei  nicht  wenigen  Darstellungen  aus 
der  Frühe  unseres  Jahrtausends  der  Fall ,  die  obendrein  nur  zu  oft  große 
Unfähigkeit  verraten,  die  Wirklichkeit  korrekt  wiederzugeben.  Es  ist  deshalb 
einige  Vorsicht  in  der  Benutzung  der  Monumente  aus  dieser  Zeit  durchaus 
von  nöten,  wenn  man  nicht  zu  irrigen  Schlüssen  gelangen  will. 

Wenn  z.  B.  auf  einzelnen  Bildwerken  die  Vorderseite  der  Kasel  wie 
spitz  zugeschnitten  erscheint,  so  daß  sie  bisweilen  unten  einen  Wrinkel  von 
etwa  45  Grad  zu  bilden  scheint,  so  tun  wir  nicht  gut,  darum  schon,  wie 
solches  in  der  Tat  geschehen  ist,  von  einer  barocken  Kasel  zu  reden.  Der- 
artige Eigentümlichkeiten  fallen  nicht  auf  Rechnung  des  Gewandes ,  sondern 
der  Künstler.  Um  Einzelheiten  gar  nicht  ängstlich  besorgt,  haben  diese  die 
Kasel  so  wiedergegeben ,  wie  sie  aussah ,  wenn  der  Priester  sie  trug ,  also 
scheinbar  unten  spitz  zulaufend.  Dabei  haben  sie  aber,  was  man  ihnen  aller- 
dings verzeihen  darf,  den  Faltenwurf  darzustellen  vergessen,  der  sich  vorn  bildete, 
wenn  man  das  Gewand  auf  den  Armen  zusammenlegte. 

Ein  treffliches  Beispiel,  wie  wenig  man  aus  derartigen  Bildwerken  auf  eine 
Verstümmelung  der  Kasel  schließen  darf,  bieten  die  Fresken  der  Unterkirche 
von  S.  demente  zu  Rom.  Wollte  man  die  Figur  des  die  Messe  lesenden 
Papstes  Klemens  für  maßgebend  halten,  so  sollte  man  freilich  glauben,  es 
habe  das  Meßgewand  bereits  im  11.  Jahrhundert  eine  gar  sonderbare,  vorn 
merkwürdig  zugespitzte  Form  angenommen.  Vergleicht  man  aber  das  Bild 
mit  den  zahlreichen  andern  Fresken  der  Unterkirche  aus  derselben  Zeit,  den 
Darstellungen  der  Päpste  und  des  Priesters  Calepodius  auf  dem  Apsismosaik 
in  S.  Maria  in  Trastevere  u.  a  ,  auf  denen  das  Gewand  ganz  normal  erscheint, 
so  wird  man  bald  inne,  daß  das  Aussehen  der  Kasel  des  hl.  Klemens  lediglich 
auf  Künstlerlaune  und  Künstlerfreiheit  zurückzuführen  ist. 

Sehr  gewöhnlich  ist  ferner  auf  den  Monumenten  die  Kasel  an  der  Vorder- 
seite kürzer  wie  an  der  Rückseite.  Man  hat  daraus  schließen  wollen,  es  sei 
das  Gewand  bereits  vorn  mehr  oder  weniger  verkürzt  worden.  Auch  diese 
Folgerung  ist  indessen  unrichtig.  Daß  das  Gewand  vor  der  Brust  kürzer 
erscheint,  ist  durchaus  natürlich,  weil  durch  die  Form  des  Körpers,  durch  den 
Schnitt  des  Gewandes  und  durch  die  Art,  in  der  die  Kasel  auf  den  Armen 
zurückgerollt  wurde,  begründet.  Man  mache  nur  einmal  mit  einer  Glocken- 
kasel  die  Probe.  Man  wird  alsbald  finden,  daß  sie  trotz  gleicher  Länge  der 
Vorder-  und  Rückseite  hinten  tiefer  herabsteigt  als  vorn.  Die  Wahrnehmung 
liil.it  sich  selbst  bei  Kasein  gewöhnlicher  Form  machen.  In  diesem  Punkte 
entsprechen  also  die  Bildwerke  genau  der  Wirklichkeit.  Unrichtig  ist  nur, 
was  man  aus  Unkenntnis  des  tatsächlichen  Verhältnisses  aus  denselben  hat 
folgern  wollen. 


176  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Wir  müssen  noch  auf  einen  Punkt  aufmerksam  machen,  der  gleichfalls 
zu  Mißverständnissen  Anlaß  gegeben  hat.  Wir  finden  auf  einigen  älteren 
Bildwerken  Kasein,  die  scheinbar  mit  einer  Kapuze  ausgestattet  sind.  Sollen 
wir  daraus  folgern ,  daß  es  wirklich  Kasein  gab ,  die  mit  einer  solchen  ver- 
sehen waren?  Der  Schluß  wäre  nicht  berechtigt.  Die  Möglichkeit  freilich, 
daß  hie  und  da  gelegentlich  derartige  Kasein  gebraucht  worden  sind,  läßt 
sich  nicht  bestreiten;  denn  was  ist  nicht  schon  alles  vorgekommen.  Jeden- 
falls war  aber  solches,  wo  es  geschah,  nicht  die  Eegel,  sondern  eine  der 
gewöhnlichen  Praxis  zuwiderlaufende  Ausnahme.  Keiner  der  alten  Liturgiker 
erwähnt  die  Kapuze,  nicht  einmal  der  sonst  bis  ins  kleinliche  gehende  Amalar. 
Namentlich  ist  aber  für  den  Stand  der  Dinge  das  Verhalten  Hrabans  be- 
zeichnend, der  in  seiner  den  Etymologien  Isidors  entnommenen  Definition  der 
Kasel  gerade  den  die  Kapuze  betreffenden  Passus  ausläßt.  In  der  Tat,  welchen 
Zweck  hätte  diese  auch  an  dem  Meßgewand  gehabt,  da  ja  die  Messe  un- 
bedeckten Hauptes  gefeiert  werden  mußte  ?  Wirklich  handelt  es  sich  auf  den 
Darstellungen ,  die  eine  Kapuze  an  der  Kasel  aufweisen  oder  aufzuweisen 
scheinen,  entweder  nicht  um  die  Meßkasel,  sondern  um  ein  zwar  kaselförmiges, 
im  Gebrauch  aber  unserem  Pluviale  analoges  Gewand,  oder  es  erklärt  sich 
die  scheinbare  Kapuze  aus  der  eigentümlichen  Machweise  der  Kasel.  Ihr 
Schnitt  war  nämlich,  wie  wir  später  sehen  werden,  derart,  daß  sie,  angezogen, 
im  Nacken  einen  kapuzenähnlichen  Bausch  bildete.  Man  suchte  das  freilich 
häufig  dadurch  zu  beseitigen,  daß  man  den  Kopfdurchlaß  erweiterte,  doch 
geschah  das  nicht  immer  oder  doch  nicht  allzeit  in  ausreichendem  Maß,  wie 
die  noch  vorhandenen  zahlreichen  Glockenkaseln  aus  dem  11.,  12.  und  13.  Jahr- 
hundert beweisen.  Es  kann  deshalb  keineswegs  wundernehmen,  wenn  der 
fragliche  Bausch  sich  hie  und  da  auch  auf  den  Bildwerken  zeigt. 

Eines  der  besten  Beispiele  bilden  die  Miniaturen  des  Weiherotels  Landulfs  IL  von 
Benevent  (1108  —  1119)  '  in  der  Casanatense  zu  Rom  aus  dem  Anfang  des  12.  Jahr- 
hunderts. Hier  ist  der  Bauseh  in  auffälliger  Weise  sichtbar.  Aber  es  handelt  sich, 
wenn  man  das  Original  genau  betrachtet,  auch  nur  um  einen  Bausch.  So  sieht  eine 
Kapuze  nicht  aus.  Klar  wird  die  Sache  aber  ganz  besonders  aus  der  Miniatur,  welche 
die  Übergabe  der  Kasel  an  die  Neopresbyter  darstellt.  Denn  das  Meßgewand,  welches 
einer  der  Ordinanden  in  der  Hand  hält,  ist  zweifelsohne  kapuzenlos.  Auch  ist  bemerkens- 
wert, daß  dasjenige,  was  wie  eine  Kapuze  aussieht,  nur  auf  dem  Weiherotel  Landulfs, 
nicht  aber  auf  seinem  ebenfalls  in  der  Casanatense  befindlichen  Taufrotel,  noch  auch 
den  übrigen  verwandten  beneventanisch-kapuanischen  Miniaturen  auftritt.  Bei  der  An- 
nahme, es  handle  sich  um  eine  wirkliche,  in  Brauch  stehende  Kapuze,  wäre  das  schwer 
zu  erklären.  Anders,  wenn  man  sich  die  Sache  als  den  gewöhnlichen  Kaselbausch  denkt, 
den  der  eine  andeutete,  der  andere  unangedeutet  ließ ,  ein  dritter  mit  künstlerischer 
Lizenz  etwas  kapuzenähnlich  gestaltete.  Ein  anderes  treffliches  Beispiel  bietet  eine 
Elfenbeinplatte  in  der  königlichen  Bibliothek  zu  Berlin  mit  der  Darstellung  Bischof 
Sigeberts  von  Minden  (Bild  69),  einer  Arbeit  des  frühen  11.  Jahrhunderts.  Neben 
Sigebert  stehen  zwei  Priester  wie  der  Bischof  in  liturgischer  Gewandung.  Wer  die 
Figuren  ohne  nähere  Prüfung  betrachtet,  könnte  glauben,  Kasein  mit  Kapuzen  bei 
denselben  zu  finden.  Dem  Kenner  entgeht  es  indessen  nicht,  daß  die  scheinbare 
Kapuze  nur  ein  Kaselbesatz  ist,  den  der  Künstler  allerdings  in  der  Absicht,  ihn  mehr 
zur  Geltung  zu  bringen ,  etwas  stark  herausgearbeitet  hat.  Eine  Bestätigung  erhält 
das  durch  eine  zu  dem  Elfenbein  durchaus  parallele  und  mit  ihm  gleichzeitige  Miniatur, 
welche  ebenfalls  Bischof  Sigebert  inmitten  seiner  Kleriker  darstellt  -.  Hier  tritt  die 
scheinbare  Kapuze  klar  als  das  auf,  was  sie  wirklich  ist,  als  Besatz. 

'  Nicht  Landulfs  I.  (957-983),  wie  Wil-         beiWilp.,  Gew.  und  Cap.    Ag.,  Mal.  Tfl  37  f. 
pertsagt  (Gew.  52.    Cap.  93).    Abbildungen  2  Berlin,  kgl.  Bibl.j  Theol.  quart.  3,  f.  1\ 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


177 


Schon  auf  einigen  karolingischen  Monumenten  scheint  die  Kasel  mit  einer 
Kapuze  ausgestattet  zu  sein,  so  z.  B.  auf  dem  Widmungsbild  der  Bibel  Karls 
des  Kahlen  und  den  Elfenbeinplatten  auf  dem  Deckel  des  Drogosakramentars. 
Doch  gilt  auch  hier,  was  von  den  im  ganzen  wenig  zahlreichen  gleichartigen 
Miniaturen  des  11.  und  12.  Jahrhunderts  gesagt  wurde.  Namentlich  macht 
auf  dem  Elfenbein  des  Deckels  des  Drogosakramentars  für  den  oberflächlichen 
Blick  das  Pallium  im  Nacken  des  Bischofs  die  Täuschung  vollkommen,  doch 
auch  nur  für  den  oberflächlichen  Blick.  Denn  untersucht  man  die  Sache 
etwas  näher,  so  wird  man  bald  gewahr,  daß 
es  sich  um  den  Kaselbausch,  nicht  um  eine 
Kapuze  handelt. 

Es  gibt  nur  vier  Bildwerke,  auf  denen  uns 
eine  mit  einer  wirklichen  Kapuze  versehene  Kasel 
entgegentritt:  ein  Elfenbeinrelief  auf  dem  Deckel 
des  Drogosakramentars  (Salbung  mit  dem  Kate- 
chumenenöl  oder  Firmung) ,  zwei  Miniaturen  des- 
selben Sakramentars  (die  gleiche  Szene  und  Be- 
gebenheiten aus  dem  Leben  des  hl.  Arnold,  Bischofs 
von  Metz,  darunter  namentlich  eine  Teufelsaustrei- 
bung und  eine  Totenerweckung  durch  Salbung  mit 
dem  heiligen  Ol)  und  die  ehemalig  Spitzersche,  jetzt 
in  englischem  Besitz  '  befindliche  Elfenbeintafel 
(Erteilung  des  feierlichen  bischöflichen  Segens). 
Es  handelt  sich  in  diesen  Fällen  jedoch  nicht  um 
das  Mei3gewand ,  sondern  um  die  Cappa ,  von  der 
in  einem  späteren  Kapitel  ausführlicher  die  Bede 
sein  wird.  In  den  drei  ersten  Fällen  begegnen 
wir  ihr  bei  einem  Bischof,  in  dem  letzten  bei  den 
Cantores  2. 

Fragt  man,  warum  der  vorhin  erwähnte 
Bausch  im  Nacken  des  Kaselträgers  sich  nicht 
regelmäßig  auf  den  Monumenten  bemerklich  mache, 
so  ist  die  Antwort  schon  gelegentlich  andeutungs- 
weise gegeben  worden.  Weil  der  Bausch  keines- 
wegs eine  Annehmlichkeit  war,  zumal  bei  schweren 
Stoffen,  pflegte  man  ihn  durch  Erweiterung  des 
Kopfdurchschlupfs  zu  beseitigen.  Er  war  also  auch 
in  der  Wirklichkeit  bei  weitem  nicht  immer  an  der 

Kasel  vorhanden.    Außerdem  aber  war  es  den  alten  Künstlern  um  nichts  weniger  als 
eine  photographisch  genaue  Wiedergabe  des  Gegenstandes  zu  tun. 

Die  beste  Quelle  für  die  Kenntnis  der  Form,  welche  das  Meßgewand 
gegen  Ende  des  10.,  im  11.,  12.  und  noch  im  Beginn  des  13.  Jahrhunderts 
besaß,  bilden  die  aus  jener  Zeit  noch  erhaltenen  Kasein.  Ihre  Zahl  ist  so 
groß,  daß  sie  uns  einen  völlig  befriedigenden  Aufschluß  über  Machweise  und 
Schnitt  des  Gewandes  in  damaliger  Zeit  geben.    Einige  davon  sind  freilich  in 


Bild  69.     Elfenbeintafel. 
Berlin,  Kg].  Bibliothek. 


1  Der  jetzige  Besitzer  ist  Esq.  Frank  Mac- 
lean,  Rusthall  House,  Tunbridge,  Wells. 

■  Näheres  über  die  Darstellungen  im  Ab- 
schnitt, welcher  sich  mit  dem  Pluviale  be- 
schäftigt, woselbst  auch  eine  Abbildung  des 
Reliefs  vom  Deckel  des  Drogosakramentars 
gegeben  ist.  Die  Kapuze ,  welche  sich  auf 
dem  Widmungsbild  des  St  Bernwardsevan- 
Brann,  Die  liturgische  Gewandung. 


geliars  im  Dom  zu  Hildesheim  an  der  Kasel 
des  hl.  Bernward  (Abbildung  bei  Beissel, 
Das  St  Bernwardsevangeliar  Tl  4)  zu  finden 
scheint,  ist,  wie  sich  bei  genauerem  Zusehen 
ergibt,  nichts  als  eine  schildförmige  Dekoration 
des  Gewandes ,  wie  sie  die  Glockenkasel  in 
St  Godehard  zu  Hildesheim  aufweist.  Die 
Darstellung  ist  übrigens  sehr  verzeichnet. 

12 


178 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


M- 


späterer  Zeit  mehr  oder  weniger  zugestutzt  worden  und  haben  darum  für  das 
Studium  der  Form  des  Meßgewandes  nur  dann  Wert,  wenn  sie  bei  und  trotz 
aller  Verstümmelung  den  ursprünglichen  Schnitt  genügend  erkennen  lassen. 
Die  Mehrzahl  ist  indessen  der  Form  nach  völlig  intakt. 

Besonders  reich  ist  an  Kasein  aus  der  Wende  des  ersten  und  der  Frühzeit 
des  zweiten  Jahrtausends  Deutschland.  Zu  Augsburg  befinden  sich  ihrer  drei, 
eine  in  St  Ulrich  und  zwei  im  Dommuseum;  alle  drei  werden  dem  hl.  Ulrich  zu- 
geschrieben (Bild  70). 

Die  Schloßkirche  zu  Aschaffenburg  '  und  St  Stephan  zu  Mainz  2  besitzen  je  eine 
Kasel  des  hl.  Willegis,  die  ehemalige  Abtei  zu  Brauweiler  3  und  der  Dom  zu  Xanten 
je  eine,  der  Überlieferung  nach  vom  hl.  Bernhard  benutzte,  jedenfalls  aber  dem 
12.  Jahrhundert  entstammende  Kasel.  Die  frühere  Benediktinerkirche  zu  Niederaltaich 
(Bayern)  bewahrt  ein  Meßgewand  des  hl.  Godehard,  Bischofs  von  Hildesheim  (t  1038), 
auf.  Eine  zweite,  demselben  Heiligen  zugeschriebene  Kasel,  die  jedoch  in  Wirklich- 
keit erst  aus  dem 
12.  Jahrhundert 
stammt,  findet  sich 
in  St  Godehard  zu 
Hiklesheim.  StEm- 
meram  zu  Regens- 
burg  darf  sich  eines 
Meßgewandes  des 
hl.  Wolfgang  (Bild 
71),  die  Pfarrkirche 
zu  Iburg  einer  Ka- 
sel Bennos  von  Os- 
nabrück (j  1088), 
der  Dom  zu  Hikles- 
heim der  Kasel 
des  hl.  Bernward 
(f  1022),  die  Pfarr- 
kirche zu  Deutz  der- 
jenigen des  hl.  Heri- 
bert von  Köln 
(t  1029)  rühmen. 
Die  sog.  Sixtus- 
kasel  im  bischöf- 
lichen Museum  zu  Münster  wurde  schon  erwähnt.  Auch  in  dem  kgl.  bayrischen  National- 
museum zu  München  gibt  es  eine  Kasel  aus  der  Frühe  des  Jahrtausends.  Eine  weitere 
befindet  sich  im  Dom  zu  Würzburg ;  sie  mag  dazu  gedient  haben ,  die  Gebeine  des 
hl.  Bruno  bei  deren  Erhebung  zu  bekleiden  (Bild  72,  S.  180).  Besonders  reich  aber  ist 
der  Dom  zu  Bamberg  an  Kasein  dieser  Art,  bewahrt  er  doch  deren  nicht  weniger 
als  vier  auf,  die  alle  in  den  Beginn  des  11.  Jahrhunderts  hinaufreichen. 

Von  mehr  oder  weniger  stark  beschädigten  Meßgewändern  müssen  erwähnt 
werden  die  dem  hl.  Bruno  zugeschriebene  Kasel  im  Dom  zu  Würzburg  von  der  Art 
der  Bamberger  Paramente ,  ehedem  ein  ungemein  prächtiges  Stück ,  das  außer  dem 
Futter  leider  nur  Reste  des  ursprünglichen  Oberstoffes  aufweist,  das  Meßgewand  des 
Bischofs  Meinwerk  in  der  Bußdorfkirche  zu  Paderborn,  von  dem  nur  mehr  das  Futter 
vorhanden ,    dessen  Oberstoff  aber   samt   den   Besätzen    bis    auf  winzige   Spuren  ver- 


-*^ 


' 


Bild   70.     Glockenkasel.     Augsburg,  Dommuseuin. 


1  Abbildung  bei  Kuli.  VII.  pl.  dlxxxv. 

-  Abbildung  (jedoch  mangelhaft)  ebd. 
pl.  dlxxxiv;  farbig,  aber  auch  sehr  mangel- 
haft iiinl  in  anrichtigen  Farben  bei  Hefner- 
Alt.,  Trachten.  Frankfurt  a.  M.  1879.  Tfl  40. 


3  Abbildung  bei  Bock  II,  TU  32  Sieistnicht 
nur  in  derFarbe  ungenau,  sondern  auch  hinsicht- 
lich der  Richtung,  in  welcher  sich  die  Muste- 
rung des  Stoffes  bewegt.  Statt  nämlich  horizon- 
tal zu  verlaufen,  geht  sie  von  unten  nach  ohen. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


179 


schwunden  ist,  die  im  Privatbesitz  des  Herrn  Domkapitular  Schnütgen  zu  Köln  befind- 
liche, an  den  Seiten  stark  beschnittene  Kasel  des  hl.  Anno,  ein  sehr  entstelltes,  an- 
geblich vom  hl.  Benno  von  Meißen  herrührendes  Meßgewand  in  der  Liebfrauenkirche 
zu  München,  sowie  die  St  Wolfgangskasel  im  Dom  zu  Regensburg,  von  der  im  Grund 
nur  noch  die  in  Goldstickerei  hergestellten  Besätze  vorhanden  sind ;  denn  alles  andere 
an  ihr  ist  aus  späterer  Zeit. 

Auch  in  Ö  s  t  e r  r  e  i  c  h  -  U  n  g  a  r  n  erfreut  man  sich  noch  einer  bemerkenswerten  Zahl 
von  Kasein  aus  dem  11.— 13.  Jahrhundert.  Je  zwei  gibt  es  deren  in  St  Peter  zu  Salz- 
burg, zu  St  Paul  in  Kärnten  und  im  Dom  zu  Brixen  (Bild  73,  S.  181),  je  eine  im  Kloster 
Martinsberg  (Ungarn),  im  Stift  Melk,  zu  Goß  (Steiermark)  und  Marienberg'  (Tirol).  Die 
beiden  herrlichen ,  ganz  mit  Bildwerk  bestickten  Kasein  zu  St  Paul  stammen  aus 
St  Blasien  im  Schwarzwald;  einige  der  angeführten  Kasein  haben  im  Lauf  der  Zeit 
die  verwüstende  Wirkung  der  Schere  an  sich  erfahren  müssen ,  so  eine  der  Brixener 
Kasein,  dann  das  Gößer  und  das  Marienberger  Meßgewand.  Eine  von  Gisela,  der 
Gemahlin  Stephans  d.  Hl.,  gestiftete  Kasel  war   ursprünglich   auch   der   erst   bei   der 


Bild   71.      Glockenkasel.      Begensburg,  S.  Emmeram. 


Krönung  Maria  Theresias  aufgeschlitzte  ungarische  Krönungsmantel  im  Kron- 
schatz zu  Ofen. 

In  Belgien  besitzt  man  aus  der  Frühe  des  Jahrtausends  nur  noch  eine  völlig 
unversehrte  Kasel.  Sie  befindet  sich  in  der  Kathedrale  zu  Tournai  und  wird  dem 
hl.  Thomas  Becket  zugeschrieben.  Ein  Meßgewand  in  St-Donat  zu  Arlon,  das  vom 
hl.  Bernard  gelegentlich  gebraucht  worden  sein  soll,  ist  schon  an  den  Seiten  merklich 
zurückgeschnitten  und  dürfte,  wenn  solches  nicht  erst  in  späterer  Zeit  geschah,  wohl 
kaum  über  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  hinaus  anzusetzen  sein.  Eine  Kasel  in 
St-Michel  zu  Courtrai,  die  wie  die  Tournaier  dem  hl.  Thomas  Becket  angehört  haben 
soll,  hat,  wenn  wirklich  von  dem  Heiligen  herstammend,  ebenfalls  ihre  ursprüngliche 
Form  nicht  bewahrt.  Für  Holland  verzeichnen  wir  die  schon  früher  erwähnte 
Kasel  zu  Dokkum. 

Frankreich  war  noch  im  18.  Jahrhundert  sehr  reich  an  Kasein  aus  dem  10., 
11.,  12.  und  13.  Jahrhundert,  darunter  solchen  von  außerordentlichem  Wert1.  Von 
den  wenigen ,  welche  dem  Wüten  der  Revolution    glücklich  entronnen  und   überhaupt 


:  Einige  derselben  sind  nach  alten  Skizzen  abgebildet  bei  Roh.  VIII,  pl.  dcv  dcix  dcx. 

12* 


ISO 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


in  der  Form  intakt  auf  die  Gegenwart  gekommen  sind ,  seien  hier  etwa  erwähnt  die 
beiden  unter  dem  Namen  des  hl.  Ebbo ,  bzw.  des  hl.  Thomas  Becket  gehenden  Meß- 
gewänder im  Schatz  der  Kathedrale  von  Sens  ',  die  Kasel  des  hl.  Edmund  von  Canter- 
bury  (f  1240)  zu  Provins  -  und  ein  dem  hl.  Ivo  (f  1303)  zugeschriebenes,  doch  wohl 
älteres  Meßgewand  zu  Louannec  3  (Diözese  St-Brieuc).  Nicht  mehr  vollständig  sind 
die  Kasein  zu  St-Rambert-sur-Loire  4.  Biville  und  Maubeuge,  wenn  sie  überhaupt  vor 
1250  fallen.  Zwei  in  St-Sei'nin  zu  Toulouse  aufbewahrte  Meßgewänder  ä,  von  denen  eines 
dem  hl.  Petrus  Martyr  (f  1252) ,  das  andere  dem  hl.  Dominikus  zugeschrieben  wird, 
dürften  ihrer  Form  und  sonstigen  Beschaffenheit  nach  kaum  vor  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts  entstanden  sein. 

Italien  ist  an  Meßgewändern  aus  der  Frühe  unseres  Jahrtausends  sehr  arm. 
Es  gehören  zu  ihnen  außer  einer  Kasel  in  S.  Trinitä  zu  Florenz .  welche  von  dem 
hl.  Bernardo  degli  Uberti  (f  1133)  herstammen  soll c,  die  sehr  beschädigte,  reich  bestickte 


Bild  72.     Glockenka.sel.     Würzljurg,  Don 


Kasel   des   hl.  Johannes    des   „Engelschauers"   in  S.  Urso  zu  Bavenna,  eine  kostbare 
Arbeit  des  12.  Jahrhunderts,  und  zwei  Linnenkasein  zu  Castel  S.  Elia  bei  Nepi ". 

Es  ist  eine  stattliche  Anzahl  von  Kasein,  die  wir  aufzählen  konnten. 
Sie  sind  zweifellos  hinreichend,  um  uns  von  der  Form  und  dem  Schnitt  der 
Kasein  des  10.,  11.,  12.  und  beginnenden  13.  Jahrhunderts  ein  anschauliches 
und  genügend  vollständiges  Bild  zu  geben,  zumal  es  ja  nicht  bloß  Meßgewänder 
aus  nur  einem,  sondern  aus  ganz  verschiedenen  Ländern  sind. 

Alle  angeführten  Kasein  haben  oder  hatten  doch  ein  und  dieselbe  Ge- 
stalt. Es  sind  bzw.  waren  Glockenkasein  im  vollen  Sinne,  so  genannt 
wegen  der  großen  Ähnlichkeit  mit  einer  Glocke.  Alle  weisen  das  Charak- 
teristikum der  Glockenkaseln  auf;  sie  haben  alle  Avesentlich  die  gleiche  Länge 


VII. 


1  Oft  abgebildet,  am  besten  bei  Rol 
pl.  dxc  und  de  F a r c y  pl.   11. 

-  Abbildung  bei  Roh.  VIII,  pl.  ucvn. 

;  Ebd.  pl.  dcviii. 

4  Ebd.  VII,  pl.  hlxxx  ;  VIII,  pl.  dovidcviii. 


5  Vgl.  die  Skizzen  und  Details  ebd.  VIII, 
pl.  pcxi. 

0  Abbildung  ebd.  VII,  pl.  dlxxxix. 

7  Zeitschrift,  Jahrg.  XII  (1899)  343  ff.  Ab- 
bildungen in  Bild  86—88,  S.  195  u.  202. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


181 


an  der  Vorderseite,  an  der  Rückseite  und  über  den  Armen.  Hie  und  da  mag 
eine  kleine  Differenz  bestehen,  doch  ist  dieselbe  mehr  zufällig  als  beabsichtigt. 
Nicht  selten  ist  sie  nur  scheinbar  und  die  Folge  unrichtigen  Messens.  Legt 
man  die  beiden  Gewandhälften  so  übereinander,  wie  es  der  Schnitt  erfordert, 
so  wird  man  kaum  je  eine  auch  nur  etwas  nennenswertere  Verschiedenheit 
hinsichtlich  der  Länge  entdecken.  Übrigens  weiß ,  wer  sich  eingehend  mit 
der  mittelalterlichen  Kunst  befaßt  hat,  sehr  wohl,  wie  wenig  es  unsern  Vor- 
fahren um  strenge  Symmetrie  und  Regelmäßigkeit  zu  tun  war  und  wie  wenig 
skrupulös  sie  sich  im  Einhalten  der  gleichen  Maße  zu  beweisen  pflegten. 

Am  stärksten  tritt  der  Unterschied  in  den  Maßverhältnissen  bei  der 
St  Willegiskasel  zu  Mainz  auf,  welche  an  der  Vorderseite  um  ca  0,30  m 
kürzer  ist  als  an  der  Rückseite,  wiewohl  sie  daselbst  immer  noch  die  bedeu- 
tende Länge   von  1,20  m    aufweist.     Eine   andere  Ausnahme   bildet   die   dem 


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Bild  73.     Glockenkasel.     Brixen,  Don 


hl.  Thomas  Becket  zugeschriebene  Kasel  in  der  Kathedrale  zu  Sens.  Sie 
mißt  an  der  Vorderseite  ca  0,10  m  und  über  den  Armen  ca  0,20  m  weniger 
als  im  Rücken. 

Jedenfalls  beweisen  die  zahlreichen  noch  vorhandenen  Meßgewänder  aus 
dem  IL,  12.  und  13.  Jahrhundert  mit  aller  Bestimmtheit,  daß  ein  systemati- 
sches, aus  Bequemlichkeitsrücksichten  hervorgehendes  Beschneiden  der  Kasel 
bis  tief  in  das  13.  Jahrhundert  noch  nicht  Brauch  war.  Wo  die  Kasel  von 
der  vollen  Glockenform  etwas  abweichende  Maße  aufweist,  liegt  das,  falls 
diese  noch  die  ursprünglichen  sind,  und  das  Gewand  nicht  in  späterer  Zeit 
eine  Veränderung  erlitten  hat,  an  zufälligen  Ursachen,  wie  Mangel  an  aus- 
reichendem Stoff  und  ähnlichem.  Insbesondere  aber  war  es  so  wenig  Sitte,  die 
Vorderseite  der  Kasel  zu  verkürzen,  daß  man  selbst  noch  im  späteren  Mittel- 
alter sich  lediglich  darauf  beschränkte,  die  Seitenlänge  und  die  Gesamtlänge 
überhaupt  zu  vermindern.  Ein  besonderes  Zustutzen  der  Vorderseite  ist  nicht 
einmal  im   14.  und   15.  Jahrhundert  Brauch  geworden. 


182  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Legt  man  eine  der  Gloekenkaseln  aus  der  Frühe  unseres  Jahrtausends 
so  aufeinander,  daß  ihre  beiden  Hälften  sich  decken,  so  erhält  man  einen 
Kreisteil,  dessen  beide  Geradseiten,  falls  nicht  etwa  die  Spitze  behufs  Er- 
weiterung des  Kopfdurchlasses  abgeschnitten  wurde ,  unter  einem  rechten 
Winkel  aneinanderstoßen,  also  ein  Kreisviertel. 

Spreitet  man  aber  das  Gewand  auseinander,  nachdem  man  es  vorn  in  der  Mitte 
von  oben  nach  unten  aufgeschlitzt  hat,  so  gleicht  es  genau  einem  Pluviale.  Es  stellt 
dann  nämlich  einen  Kreisteil  dar,  der  bisweilen  ein  wenig  über  einen  Halbkreis  hinaus- 
geht, bisweilen  auch  ein  wenig  hinter  demselben  zurückbleibt,  gewöhnlich  aber  einen 
vollen  Halbkreis  bildet.  Hierbei  verlaufen  die  in  der  Regel  sehr  breiten  Stoffstreifen 
ihrer  Länge  nach  von  der  Peripherie  senkrecht  zum  Durchmesser,  gerade  wie  es  auch 
heute  noch  bei  der  Chorkappe  der  Fall  ist,  nicht  aber  parallel  zu  diesem. 

Die  Anfertigung  der  Glockenkasel  war  hiernach  sehr  einfach.  Man  brauchte 
nur  ein  Pluviale  zu  machen  bzw.  ein  halbkreisförmiges  Gewand  herzustellen,  dann 
dieses  an  der  Vorderseite  von  unten  an  bis  nahe  zum  oberen  Ende  zu  vernähen,  und 
die  Kasel  war  im  wesentlichen  fertig  '  (Bild  74  a  u.  b). 

So  einfach  diese  Art  von  Herstellung  des  Meßgewandes  war,  so  hatte  sie  doch 
zwei  üble  Folgen.  Da  sie  ohne  Rücksicht  auf  die  Höhe  und  Breite  der  Schultern 
geschah,  so  bildete  sie  im  Nacken  einen  unschönen,  einer  Kapuze  nicht  unähnlichen 
Bausch  -.  Das  war  der  erste  Nachteil.  Der  andere  bestand  darin ,  daß ,  falls  der 
Gewandstoff  gemustert  war,  die  Muster  auf  der  Rückseite  senkrecht  aufwärts  stiegen, 
während  sie  sich  auf  der  Vorderseite  wagerecht  hinzogen  und  in  der  Mitte  kopfüber 
aneinanderstießen.  Zur  Hebung  des  zweiten  Nachteils  empfahl  es  sich ,  die  Naht  an 
der  Vorderseite  mit  einem  Zierstreifen  zu  verdecken ,  der  gleichsam  einen  Übergang 
zwischen  den  einander  entgegenlaufenden  Mustern  herstellte.  Diese  Borte  war  somit, 
solange  man  das  Meßgewand  in  der  angegebenen  Weise  herstellte,  nicht  bloß  ein 
Ornament,  sondern  hatte  auch  eine  aus  der  Natur  der  Sache  sich  ergebende  praktische 
und  ästhetische  Bedeutung   (Bild  74  a  u.  b). 

Um  dem  erstgenannten  ebenso  unschönen  wie  lästigen  Übelstand  wenigstens 
einigermaßen  zu  begegnen,  schnitt  man  häufig  die  obere  Ecke  des  Meßgewandes 
ab,  indem  man  gleichzeitig  den  Schlitz,  der  als  Kopfdurchlaß  diente,  in  der 
Weise  entsprechend  erweiterte,  daß  man  durch  Beseitigung  der  vorn  noch 
übrig  bleibenden  Einspränge  einen  trapezförmigen  oder,  jedoch  seltener,  ovalen 
Ausschnitt  herstellte  (Bild  74  a).  Beide  Arten  von  Durchlässen  für  den  Kopf 
erhielten  sich  im  ganzen  Mittelalter,  ja  mit  einiger  Modifizierung  bis  in  die 
Gegenwart.  Noch  jetzt  erinnert  die  Form  der  Halsöffnung  römischer  Kasein 
an  den  Schlitz  der  Glockenkasein. 

Außer  dem  Durchschlupf  für  den  Kopf  gab  es  an  dem  Meßgewand  für 
gewöhnlich  keine  weitere  Öffnung.  Schlitze  zum  Durchlassen  der  Arme 
dürften  sehr  selten  und  lediglich  Ausnahmen  gewesen  sein.  Ein  Beispiel 
eines  mit  Armlöchern  versehenen  Kaselgewandes  bietet  die  Kasel  des  Stiftes 
Melk ;  sie  ist  aber  auch  das  einzige.  Obendrein  kann  man  fragen ,  ob  die 
0,50  m  langen   und  in  Schulterhöhe   beginnenden  Schlitze 3  bei   ihr  ursprüng- 

1  Die  beschriebene  Anfertigungsweise  der  einer  Kasel,  bei  der  sich  beide  ungewöhn- 
Kasel  war  die  gewöhnliche,  doch  nicht  die  licherweise  schräg  über  das  Gewand  hin- 
ausschließliche. Bei  Herstellung  des  Meß-  ziehen,  bildet  z.B.  das  Meßkleid  des  hl.  Bern- 
gewandes kam  auch  die  Form  der  zu  Gebote  ward  zu  Hildesheim. 

stehenden    Stoffstücke   in   Betracht.     Waren  2  S.  oben  S.  176.     Man  kann  den  Bausch 

diese  unregelmäßig  geformt,  so  hat  man  sich  noch  heute  am  Pluviale  beobachten, 
geholfen,    so    gut  wie   es    ging.     In    einem  3  Nach   gütiger  Mitteilung   des  hochw.  P. 

solchen    Fall    konnte    natürlich    von    einem  Dr    Ed.    Katschthaler    zu    Stift    Melk.     Die 

regelrechten  Verlauf    der   Nähte    und    Stoff-  Kreuze  auf  der  Kasel  sind  zweifelsohne  erst 

muster   nicht   die   Hede   sein.     Das  Beispiel  in  späterer  Zeit  aufgesetzt  worden. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel 


183 


lieh  sind  oder  ob  sie  nicht  vielmehr  in  später  Zeit  angebracht  wurden.  Die 
einzige  uns  bekannte  Darstellung  einer  mit  Öffnungen  für  die  Arme  aus- 
gestatteten Kasel  befindet  sich  auf  einem  Bischofsgrabmal  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert im  Dom  zu  Freising1;  doch  scheint  es  fast,  als  hätten  wir  es  hier 
bloß  mit  einem  Erzeugnis  künstlerischer  Phantasie  zu  tun. 

Von  einer  Kapuze  findet  sich  bei  keiner  der  noch  erhaltenen  Glocken- 
kaseln  eine  Spur.  Allerdings  redet  ein  Vredener  Kanonikus  Nünning  im  An- 
fang des  18.  Jahrhunderts  von  einem  capucciolum  der  Sixtuskasel :  ad  cer- 
vicem  in  dorso  capucciolum  defluit,  capiti  forte,  dum  convenit,  imponendum. 
Doch  haben  wir  an  ihr  von  einem  solchen  nichts  finden  können.  Die  eigent- 
liche Sixtuskasel,  der  jetzige  Innenstoff  des  Gewandes,  war  sicher  mit  einer 
Kapuze  nicht  ausgestattet.  Das  Gewand  wurde  in  späterer  Zeit  umgedreht 
und  mit  einem  andern  Oberstoff  versehen.  Vielleicht,  daß  Nünning  den  breiten, 
kapuzenartigen  Besatz,  mit  dem  es  bei  dieser  Gelegenheit  um  die  Halsöffnung 
herum  ausgestattet  worden  sein  muß,  für  eine  Kapuze  gehalten  hat.  An- 
gesichts des  defekten  Zustandes,  in  dem  sich  das  Meßgewand  zur  Zeit  des 
Kanonikus  befand,  wäre  ein  solcher  Irrtum  wohl  begreiflich2. 


Bild  74.     Schnitt  der  Glockenkasel. 

Die   gestrichelten  Linien   bezeichnen  die  Form  des  Gewandes,  wenn  es  vorn  aufgeschnitten  und 
auseinandergespreitet  gedacht  wird;   die   punktierten   geben   die  Nebennähte   und  zugleich   den 

Lauf  des  Stoffmusters  an. 

Ahnlich  wie  mit  der  Kaselkapuze  steht  es  mit  den  Schnüren,  welche 
man  nach  Bock  seitlich  an  den  Glockenkaseln  angebracht  haben  soll,  um 
diese  in  gleichmäßigem  Faltenwurf  heraufziehen  und  in  der  Gegend  des  Ober- 
arms in  beliebiger  Höhe  befestigen  zu  können  und  so  zu  verhindern,  daß  die 
aufgehäufte  Masse  der  schweren  Seidenstoffe  bei  Verrichtung  der  heiligen 
Opferhandlung  lästig  und  hinderlich  werde3.  Den  einzigen  Beweis  bilden 
die  Schnüre  an  der  Willegiskasel  in  St  Stephan  zu  Mainz;  allein  dieselben 
sind,  wie  ihre  Beschaffenheit  beweist,  erst  in  späterer  Zeit  und  wohl  über- 
haupt nicht  einmal  mehr  im  Mittelalter  hinzugefügt  worden.  An  allen  andern 
Kasein   aus   dem  Mittelalter  fehlt  die  Einrichtung4.     Insbesondere  aber  wird 


1  Abbildung  bei  v.  Hefner-Alt.  III  149. 
Zwei  Kasein  in  S.Marco  zuVenedig,  die  indessen 
erst  dem  15.  Jahrhundert  entstammen,  hat 
man  der  Bequemlichkeit  halber  an  den  Seiten 
vom  Saum  an  etwa  eine  Spanne  weit  auf- 
geschnitten. Ähnlich  ist  es  bei  der  Kasel 
Kalixts  III.  (1455 — 1458)  zu  Valencia  ge- 
schehen. Wahrscheinlich  wurden  indessen 
diese    Schlitze ,    die    wir    sonst    bei    keiner 


mittelalterlichen  Kasel  gefunden  haben,  nach- 
träglich angebracht. 

2  Braun,  Die  sog.  Sixtus-Kasel  von 
Vreden,  in  Zeitschrift  XII  (1899)  26  ff. 

3  Bock,  Gesch.  I  433. 

4  Die  Kasel  Kalixts  III.  zu  Valencia  ist 
zur  Erleichterung  des  Aufraffens  auf  den 
Seiten  in  Schulterhöhe  mit  einem  Knopf  und 
etwa   0,20  m  vom  Saum   mit    einer  Schleife 


^84  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

man  bei  den  vielen  sonstigen  noch  vorhandenen  Glockenkasein  des  11. — 13.  Jahr- 
hunderts vergeblich  nach  Spuren  von  Schnüren  zum  seitlichen  Aufraffen  des 
Gewandes  fahnden.  Nicht  anders  verhält  es  sich  mit  den  vielen  Hunderten  von 
mittelalterlichen  Bildwerken,  auf  denen  eine  Kasel  vorkommt.  Nirgends  auch 
nur  ein  Anzeichen  der  fraglichen  Vorrichtung.  Es  ist  in  der  Tat  auffällig, 
wie  man  die  Behauptung  Bocks  so  unbesehen  hat  hinnehmen  und  immer 
wieder  von  neuem  hat  wiederholen  können. 

X.    ÄNDERUNGEN   IN  DER  FORM  DES  GEWANDES  SEIT  DEM 
XIII.  JAHRHUNDERT. 

Im  Verlauf  des  13.  Jahrhunderts  —  der  Zeitpunkt  ist  nicht  näher  be- 
stimmbar —  beginnt  ein  neues  Stadium  in  der  Entwicklung  der  Planeta.  Es 
hebt  die  Zeit  der  systematischen  und  fortgesetzten  Zustutzung  des  Meß- 
gewandes an,  deren  letzte  Frucht  die  moderne  Kasel  ist.  Das  Beschneiden  betrifft 
sowohl  die  Gesamtlänge  als  auch,  und  zwar  ganz  besonders,  die  Seitenlänge. 
In  erster  Beziehung  ist  noch  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  die  Verkürzung 
gering;  erst  um  das  17.  Jahrhundert  kommt  es  zu  einem  entschiedeneren 
Zustutzen.  Anders  verhält  es  sich  mit  der  Seitenlänge  der  Kasel,  die  schon 
gegen  Ausgang  des  Mittelalters  vielenorts  eine  beträchtliche  Verminderung- 
erfahren  hatte. 

Fragen  wir  nach  den  Gründen,  welche  die  Umgestaltung  der  Kaselform 
herbeiführten,  so  muß  vor  allem  der  Wechsel  im  Kunstgeschmack  ge- 
nannt werden.  Leichte,  flotte,  aber  zugleich  eben-  und  gesetzmäßige  Linien- 
führung ist  für  die  Gotik  charakteristisch,  ein  groß  angelegter,  lang  gezogener, 
weich  fließender,  lebensvoller  Faltenwurf,  eine  Eigentümlichkeit  des  Bildwerkes 
des  gotischen  Stiles  bis  ins  15.  Jahrhundert  hinein.  Dabei  waren  an  die  Stelle 
der  vollen  Rundung  einander  schneidende  Bogen  getreten.  Es  war  aber  da- 
mals eine  Zeit,  wo  die  Kunst  eine  wirkliche  Volkskunst  war,  wo  sie  noch  das 
ganze  Leben  beherrschte  und  alles  in  den  Kreis  ihres  Wirkens  zog,  wo  Kirche 
und  Haus,  Hausrat  und  Kleidung  den  Einfluß  der  Zeitkunst  an  sich  verspürten 
und  nach  deren  Grundprinzipien  umgeschaffen  wurden.  Unmöglich  konnte  unter 
solchen  Umständen  die  kirchliche  Gewandung  und  namentlich  das  priesterliche 
Obergewand  von  dem  Einfluß  der  neuen  Kunstrichtung  unberührt  bleiben. 

Man  hat  die  Kasein  des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts  gotische  Kasein 
genannt.  Der  Name  hat  an  sich  ebensowenig  Sinn  wie  der  Name  Gotik 
überhaupt.  Und  doch,  nimmt  man  einmal  die  Benennung  Gotik  hin,  dann 
ist  auch  die  andere,  „gotische  Kasel",  immerhin  bezeichnend.  Wir  verstehen 
darunter  eine  Kasel,  bei  der  die  Grundanschauungen  der  Gotik  in  der  Form 
wie  im  Faltenwurf,  soweit  das  möglich  ist,  ihren  Ausdruck  gefunden  haben. 
Es  ist  ganz  sicher,  daß  Kasein,  die  auf  den  Armen  mäßig  zurückgeschnitten 
sind  und  infolgedessen  einen  leichteren  Faltenwurf  ermöglichen,  und  außer- 
dem unten,  vorn  wie  rückwärts,  statt  in  eine  volle  Rundung  in  eine  leichte 
Spitze  ausgehen,  entschieden  ein  „gotischeres"  Gepräge  an  sich  tragen  als 
eine  allenthalben  gleich  lange,  unten  runde  und  auf  den  Armen  einen  mächtigen 
Bausch  bildende  Glockenkasel. 

Es  ist  sicher  nicht  ohne  Grund,  daß  das  seitliche  Beschneiden  des  Meß- 
gewandes,   das   notwendig   auch    eine   mehr  oder   weniger   starke  Zuspitzung 


versehen.     Auch   hier   ist   indessen  die  Ein-         die  ca  0,20  m  langen  Schlitze,  die  man  vom 
richtung  wohl  ebensowenig  ursprünglich  wie         Rand   aus   über   den  Seiten  angebracht   hat. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


18; 


der  unteren  Enden  desselben  im  Gefolge  hatte,  in  Frankreich  wie  überhaupt 
im  Norden  nicht  nur  zuerst  begann,  sondern  auch  am  raschesten  und  energisch- 
sten fortschritt.  Gewiß  konnte  sich  auch  der  Süden  dem  mit  der  Gotik  herr- 
schend gewordenen  Zustutzungstrieb  ebensowenig  wie  der  Aufnahme  dieser 
selbst  völlig  entziehen.  Allein  wie  hier  die  Gotik  nur  in  beschränktem  Maße 
und  in  einer  durch  die  überlieferten  Baugepflogenheiten  und  antiken  Re- 
miniszenzen nicht  wenig  veränderten  Auffassung  und  Formengabe  Boden  fand, 
so  vollzog  sich  auch  der  Umbildungsprozeß  des  Meßgewandes  daselbst  unter 
dem  Einfluß  uralter,  tief  eingewurzelter  Sitte  im  ganzen  in  weit  langsamerem 
Tempo  und  minder  durchgreifend. 

Indessen  dürfte  es  nicht  ausreichen,  die  Änderung  in  der  Form  und  dem 
Schnitt  des  Meßgewandes  lediglich  auf  einen  Wechsel  in  den  Kunstprinzipien 
und  dem  künstlerischen  Geschmack  zurückzuführen.  Das  Bestreben,  dem 
Meßgewande  eine  bequemere  Form  zu  geben,  hat  sicherlich  zu  dessen 
allmählicher  Umgestaltung  auch 
seinen  guten,  wenn  nicht  gar  den 
größten  Teil  beigetragen. 

In  der  Tat  läßt  sich  nicht 
verkennen,  daß  die  alten  Glocken- 
kaseln  nicht  gerade  immer  für 
den  Träger  eine  Annehmlichkeit 
waren,  daß  vielmehr  die  durch 
die  Länge  und  Weite  dieses  Ge- 
wandes bedingte  und  auf  den 
Armen  lastende  Faltenmasse  unter 
Umständen  für  den  Zelebranten 
sehr  lästig  werden  konnte.  Das 
mußte  besonders  dann  der  Fall 
werden,  wenn,  wie  das  im  späten 
Mittelalter  sehr  gewöhnlich  ge- 
schah, das  Meßgewand  aus  schwe- 
rem, steifem  Brokat,  aus  Gold- 
stoff oder  kräftigem  Samt  an- 
gefertigt wurde. 

Bezeichnend  für  das  Gewicht,  das  schon  im  13.  Jahrhundert  die  Kasein 
infolge  der  Stoffmenge  und  der  Ausstattung  wohl  hatten,  ist  eine  Mitteilung 
der  Mainzer  Chronik1,  worin  von  einem  Meßgewand  erzählt  wird,  das  wegen 
des  dabei  verwendeten  Goldes  so  steif  war,  daß  es  nicht  in  Falten  gelegt 
werden  konnte ,  und  so  schwer ,  daß  ein  sehr  kräftiger  Mann  dazu  gehörte, 
um  in  ihm  die  heilige  Messe  zu  feiern.  Die  Bischöfe  und  Prälaten  hätten 
sich  seiner  an  Festtagen  bedient,  aber  nach  dem  Evangelium  und  Offertorium 
es  mit  einem  biegsameren  vertauscht  und  in  diesem  dann  das  heilige  Opfer 
vollendet.  Daß  aber  ähnliche  Kasein  damals  durchaus  keine  Seltenheiten  waren, 
sondern  oft  genug  vorkamen,  beweisen  zur  Genüge  die  Inventare  aus  jener 
Zeit.  Eine  Idee  solcher  schwer  mit  Gold  bestickten  Meßgewänder  gibt  eine 
Kasel  im  Dom  zu  Halberstadt  (Bild  75) 2. 

Unter  solchen  Umständen  ist  es  wohl  begreiflich,  wenn  man  dazu  über- 
ging, die  manchmal  allzu  ungefügen  Kasein  handlicher  und  bequemer  zu  ge- 


Bild 75.     Kasel.     Halberstadt,  Dom. 


M.  G.  SS.  25,  239. 


-  Vgl.  auch  die  Glockenkaseln  im  Dom  zu  Bamberg. 


156  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

stalten,  indem  man  sie  an  den  Seiten  zurückschnitt  und  dadurch  die  Last 
und  die  Faltenmenge ,  welche  auf  den  Armen  sich  aufzuhäufen  pflegte,  ver- 
minderte. Was  so  auf  der  einen  Seite  dem  Meßgewand  zum  Vorteil  gereichte, 
der  kostbare  Stoff  und  die  prächtige  Ausstattung,  wurde  auf  der  andern  der 
alten  majestätischen  Form  der  Planeta  zum  Verderben. 

Wir  werden  übrigens  mit  der  Annahme  schwerlich  fehlgehen,  daß  hie 
und  da  auch  Ersparnisrücksichten  für  die  Einführung  des  Zustutzungs- 
systems  maßgebend  gewesen  sind,  und  es  ist  wohl  nicht  bloß  Zufall,  daß  die 
Verkürzung  der  Kasein  beginnt,  nachdem  sich  bestimmte  liturgische  Farben  aus- 
gebildet hatten.  Riculf  von  Soissons  konnte  sich  noch  damit  bescheiden,  daß 
er  seinen  Priestern  vorschrieb,  sie  sollten  eineMeßkasel  besitzen.  Seit  dem 
13.  Jahrhundert  war  das  nicht  mehr  tunlich,  da  wenigstens  in  größeren  Kirchen 
entsprechend  den  4 — 6  ja  7  Kirchenfarben  auch  ebensoviele  Kasein  vorhanden 
sein  mußten. 

Der  Umbildungsprozeß,  der  sich  mit  dem  Meßgewand  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert vollzog,  betraf,  wie  schon  vorhin  bemerkt  wurde,  vor  allem  die 
Seitenlänge  desselben.  Alle  andern  Veränderungen,  die  bezüglich  der  Form 
der  Kasel  vor  sich  gingen,  sind  sekundärer  Natur,  namentlich  die  Verkürzung 
der  Vorder-  und  Rückseite  und  die  beim  Ausgang  des  Mittelalters  auftauchende 
Änderung  im  Schnitt.  Bis  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  bildeten  die 
Schrägseiten  der  Kasel,  wenn  man  diese  mit  ihren  beiden  Hälften  überein- 
anderlegte, regelmäßig  vor  wie  nach  einen  rechten  Winkel.  Dann  aber  führte 
die  inzwischen  mächtig  voran  geschrittene  seitliche  Zustutzung  des  Meßgewandes 
dazu,  dieses,  bei  dem  von  einem  ergiebigen  Faltenwurf  und  einem  Anschmiegen 
an  den  Körper  schon  seit  einer  Weile  nicht  mehr  wohl  die  Rede  sein  konnte, 
besser  den  Schultern  anzupassen.  Man  ließ  zu  dem  Ende  die  Schrägseiten 
statt  unter  einem  rechten  unter  einem  stumpfen  Winkel  aneinanderstoßen, 
indem  man  dadurch  dem  Schulterteil  des  Gewandes  den  steilen  Anstieg  be- 
nahm und  eine  flachere  Form  gab. 

Die  Umwandlung  der  Kasel  von  der  Glockenform  zur  heutigen  Skapulier- 
form  vollzog  sich  übrigens  weder  plötzlich  noch  an  allen  Orten  zu  gleicher 
Zeit.  Hier  hielt  man  zäher  an  der  alten  Form  fest,  während  man  anderswo 
munter  mit  dem  Strom  der  Zeit  schwamm.  Auch  scheint  die  weite,  faltige 
Kasel  am  ehesten  aus  dem  Alltags gottesdienst  verschwunden  zu  sein, 
während  sie  bei  feierlichen  Gelegenheiten  sowie  bei  den  Bischöfen  und 
sonstigen  Di gnitare n  noch  längere  Zeit  im  Gebrauch  blieb. 

Am  konservativsten  war  man  in  Ralien ;  der  Norden  war  demselben  in 
der  Zustutzung  der  Kasel  um  wenigstens  ein  halbes  Jahrhundert  voraus.  Über 
die  Kasel  in  Deutschland  zu  Ende  des  15.  Jahrhunderts  finden  wir  eine  inter- 
essante Notiz  in  der  gedruckten  „Auslegung  des  Amts  der  heyligen  Messe" 
(Augsburg  1486).  Dort  heißt  es  bei  Deutung  der  Kasel:  „Die  casula.  das 
ist  das  obergewandt  oder  oberkleid  das  wir  nennen  und  heyssen  das  meß- 
gewandt, das  solt  gewönlich  rott  seyn  und  glocken  weytte.  und  nicht  aus- 
gespitzt und  geschnitten  seyn.  als  man  sie  denn  in  disen  teutschen  landen 
pfligt  ze  machen." 

Um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  hatte  die  Kasel  selbst  in  Deutsch- 
land noch  keine  namhafte  Veränderung  hinsichtlich  der  Form  erlitten.  Denn 
damals  beschreibt  sie  uns  Bertold  von  Regensburg  in  seiner  treuherzigen,  an- 
sprechenden Weise  noch  mit  den  Worten:  „Der  meßachel  ist  gar  michel  und 
allumbe  ganz  und  geschaffen  als  ein  glog  und  als  der  himel,  und  so  ihn  der 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


1S7 


prister  uf  die  arme  leget,  so  ist  er  geschaffen  als  ein  schilt  vorn  und  hinten  und 
bezeichnet  die  große  minne,  die  got  zu  dem  menschen  hat."1  Zu  Bertolds 
Zeit  war  also  das  MeßgeAvand  ersichtlich  noch  eine  Glockenkasel ,  jedenfalls 
kann  es  an  den  Seiten  noch  nicht  in  merklicher  Weise  zugestutzt  geAvesen  sein. 
Im  allgemeinen  stellt  noch  im  14.  und  selbst  bis  ins  15.  Jahrhundert 
hinein  die  Kasel  auf  den  BildAverken  eine  solche  Stofffülle  und  eine  so  reiche 
Faltenmasse  auf  den  Armen  dar,  daß  an  eine  übermäßige  Zustutzung  für  diese 
Zeit  noch  nicht  zu  denken  ist.  Dasselbe  beAveisen  auch  die  Meßgewänder 
dieser  Periode,  soAAreit  sie  unverändert  und  unbeschnitten  sich  in  die  Gegen- 
Avart  gerettet  haben. 

Die  Kasel  des  hl.  Petrus  Martyr  zu  St-Sernin  in  Toulouse  hat  auf  den  Armen 
eine  Länge  von  ca  1,10  m,  das  ebendort  aufbewahrte,  dem  hl.  Dominikus  zugeAviesene, 
der  Beschaffenheit  des  Stoffes  und  der  Stickerei  nach  aber  vielleicht  erst  im  14.  Jahr- 
hundert entstandene  MeßgeAvand  eine  Seitenlänge  von  nahe  1  m.  Die  Kasel,  welche 
Grimaldi  im  Grab  Boni- 
faz'  VIII.  fand ,  als  man 
1605  dasselbe  öffnete,  ging 
nach  dem  Protokoll  über 
den  Leichenbefund  noch  um 
eine  kleine  Strecke  über  die 
Hände  hinaus,  hatte  also 
über  den  Armen  jedenfalls 
noch  eine  Länge  von  ca 
1,10  m.  Die  vom  hl.  Ber- 
nardin  gebrauchte  Kasel 
in  der  Opera  del  Duomo 
zu  Siena  mißt  an  den  Seiten 
ca  1,10  m.  Sie  scheint  im 
frühen  15.  Jahrhundert  aus 
einem  älteren  Stoff  her- 
gestellt Avorden  zu  sein, 
wenigstens  stammen  aus 
dieser  Zeit  die  Besätze  des 
Gewandes.  ZAvei  ebenfalls 
dem  15.  Jahrhundert  an- 
gehörige,  aus  schlichtem, 
violettem  "Wollstoff  ge- 
machte Kasein  in  S.  Marco 

zu  Venedig  haben  vorn  und  rückwärts  eine  Länge  von  1,37  m,  an  den  Seiten  aber 
eine  solche  von  1,20  m.  Eine  von  Blanka,  der  zweiten  Gemahlin  Philipps  von  Valois, 
in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  gestiftete  Kasel  zu  Briennon  (Yonne)  mißt 
1,55  m  im  Rücken,  gegen  1  m  auf  den  Seiten2. 

Die  dem  seligen  Thomas  von  Biville  (f  1257)  der  Tradition  nach  einst  angehörige, 
zu  Biville  befindliche  Kasel  hat  über  den  Armen  nur  eine  Länge  von  ca  0,95  m,  ein 
Anzeichen,  daß  das  GeAvand,  Avenn  unbeschnitten,  wohl  aus  etwas  späterer  Zeit  stammt. 

Von  zwei  MeßgeAvändern  im  historischen  Museum  zu  Bern  hat  eines  bei  einer 
Gesamtlänge  von  1,50  m  auf  den  Armen  ca  0,95  m.  Es  gehört  dem  14.  Jahrhundert 
an,  ist  italienischer  Herkunft  und  wahrscheinlich  an  den  Seiten  etwas  zurückgeschnitten. 
Das  andere  stammt  von  Bischof  Aimo  von  Lausanne  (f  1517);  es  Aveist  auf  den  Armen 
nur  noch  0,67  m  auf3. 


Bild    76.      Kasel   Kalixtus'    III.     Valencia. 


1  Wackernagel,  Altdeutsche  Predigten, 
Basel  1876,  Nr  41,  S.  70. 

5  Abbildimg  bei  Roh.  VIII,  pl.  dcxviii. 


3  Abbildung  der  Kasel  Aimos  bei  de  Farcy, 
Suppl.  pl.  163  ;  eine  Skizze  der  ersten  bei  Roh. 
VIII,  pl.  dcxiv,  der  sie  aber  zu  hoch  datiert. 


188 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obera;ewänder. 


Die  Kasel,  die  von  Kalixtus  III.  (1455 — 1458)  bei  der  Kanonisation  des 
hl.  Yinzenz  Ferrerius  getragen  wurde  und  nun  zu  Valencia  aufbewahrt  wird,  hat  eine 
Seitenlange  von  ca  0,90  m  (Bild  76,  S.  187).  Man  hat  das  Gewand  an  den  Seiten  vom 
Band  an  so  weit  eingeschlitzt,  daß  es  nur  mehr  bis  über  den  Ellenbogen  reicht,  die  auf- 
geschlitzten Teile  aber  flügelartig  rechts  und  links  vom  Arm  herabhängen ,  eine  Ein- 
richtung, welche  auch  die  beiden  Wollkaseln  in  S.  Marco,  deren  schon  Erwähnung 
geschah,  aufweisen. 

Von  den  zwei  Meßgewändern  zu  Eichstädt  ist  die  sog.  Liutigerskasel  in 
St  Walburga  eine  vortreffliche  Arbeit  aus  dem  Beginn  des  15.  Jahrhunderts.  Das 
interessante  Dessin  des  Stoffes  besteht  aus  Quadraten,  denen  Eosetten  eingefügt  sind. 
Das  Kreuz  auf  dem  Bücken  des  Gewandes  weist  bereits  horizontale  Arme  auf;  es 
enthält  eine  gut  gestickte  Darstellung  des  Gekreuzigten.  Im  Bücken  1,36  m  lang, 
hat  es  auf  den  Schultern  im  Einklang  mit  der  Zeit  seiner  Entstehung  eine  Länge  von 
0,60  m.  Das  andere  Meßgewand,  die  St  "Willibaldskasel  im  Dom,  ist  älteren  Datums, 
aber  später  an  den  Seiten  beschnitten  worden.  Es  ist  aus  ungemusterter  gelber  Seide 
gemacht,  wie  die  Form  der  Besätze  bekunden,  italienischen  Ursprungs  und  allem  An- 
schein nach  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  entstanden.  Besonders  bemerkens- 
wert sind  die  interessanten  griechischen  oder  doch  gräzisierenden  Figurenstickereien  auf 
dem  Besatz  der  Bückseite.  Das  Gewand  hat  eine  Länge  von  1,51  m;  auf  den  Schultern 
mißt  es  0,75  m  K 

Zwei  Kasein  in  der  Alten  Kapelle  zu  Begensburg  haben  eine  Länge  von  1,40 
bzw.  1,38  m;  über  den  Seiten  messen  sie  0,50  bzw.  0,56  m;  sie  gehören  dem 
15.  Jahrhundert  an,  falls  sie  nicht  etwa  wegen  Schadhaftigkeit  um  diese  Zeit  an  den 
Seiten  auf  ihre  jetzige  Breite  zugestutzt  wurden.  Jedenfalls  reichen  sie  nicht  weit 
über  das  15.  Jahrhundert  hinaus  -. 

Die  größte  Zahl  spätmittelalterlicher  Meßgewänder  befindet  sich  in  dem  Herzog- 
lichen Museum  zu  Braunschweig ,  dem  Dom  zu  Brandenburg ,  der  Marienkirche  zu 
Danzig ,  dem  Dom  zu  Halberstadt  und  zu  Castel  S.  Elia  bei  Nepi.  Das  Herzogliche 
Museum  zu  Braunschweig  besitzt  30  Kasein,  welche  zum  Teil  aus  dem  14.,  zum  Teil 
aus  dem  15.  Jahrhundert  herstammen.  Die  größte  Länge  derselben  beträgt  1,45  m, 
die  geringste  1,31  m;  bei  den  meisten  schwankt  sie  zwischen  1,40  und  1,35  m.  Die 
Seitenlänge  fällt  von  1,17  m  bis  auf  0,67  in,  bei  der  Mehrzahl  der  Kasein  hält  sie 
sich  zwischen  1,00  und  0,85  m.  Von  einer  Zustutzung  kann  wohl  nur  bei  einem  der 
Meßgewänder  die  Bede  sein ;  alle  übrigen  geben  sich ,  abgesehen  von  den  Besätzen, 
die  bei  einzelnen  in  neuerer  Zeit  hinzukamen,  in  dem  Zustande,  in  welchem  die  sog. 
Beformation  sie  fand.  Ein  Teil  der  Kasein  ist  aus  einem  ungemusterten  grünen, 
violetten,  roten  und  blauen  Wollstoff  gearbeitet,  die  meisten  bestehen  jedoch  aus  Seide, 
Brokatellen  und  Brokaten. 

Der  Schatz  von  St  Marien  zu  Danzig  darf  sich  rühmen,  die  höchst  bedeutende 
Zahl  von  79  mittelalterlichen  Kasein  zu  bergen.  Sie  gehören  zum  Teil  noch  dem 
14.,  meist  aber  dem  15.,  einige  dem  frühen  16.  Jahrhundert  an.  Ihre  Länge  schwankt 
zwischen  1,45  und  1,30  m;  über  den  Armen  messen  sie,  soweit  sie  aus  dem  14.  und 


1  Abbildung  der  Gewänder  in  „Eichstätts 
Kunst",  München  1901,  2f  u.  78.  Übereinesehr 
schadhafte  Kasel  zu  Altenburg  (Südtirol) 
vgl.  Mitt.  1895,  259. 

2  Fischbach  Fr.,  Ornamente  der  Gewebe 
vi  undTfl  144  145.  Nach  Fischbach  (ebd.)  rührt 
der  Stoff  der  Gewänder  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts  her.  Denn  eine  arabische 
Inschrift  auf  einer  Dalmatik  und  einer  Tuni- 
ceila, welche  zu  einer  der  Kasein  gehören, 
soll  nach  Karabacek  lauten:  „Verfertigt  hat 
dieses  Feierkleid  der  Meister  Abdul  Aziz  in 
seiner  Fabrik  für  Wilhelm  IL  (von  Sizilien)". 


Indessen  ist  die  Übersetzung  nach  einer  freund- 
lichen Mitteilung  des  P.  L.  Cheikho  S.  J.  zu 
Beirut  (St  Josephs-Universität)  unrichtig.  II 
faut  etre  devin  pour  lire  le  nom  de  Guil- 
laume  II,  roi  de  Sicile ;  en  tout  cas  les  lettres 
qu'on  voit  ne  le  montrent  pas.  Der  Stoff 
stammt  wie  die  durchaus  gleichartigen  Zeuge 
bei  einer  Kasel  im  Herzoglichen  Museum  zu 
Braunschweig ,  einer  Kasel  zu  Kulm  und 
einem  Pluviale  in  St  Marien  zu  Danzig 
frühestens  aus  dem  14.  Jahrhundert.  Es  sind 
Brokatgewebe,  bei  welchen  die  Goldfäden  aus 
vergoldeten  Lederriemchen  bestehen. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  189 

15.  Jahrhundert  stammen  und  nicht  im  16.  Jahrhundert  seitlich  zugestutzt  wurden, 
ca  0,75 — 0,60  m.  Einige  im  16.  Jahrhundert  entstandene  Meßgewänder  haben  nur 
mehr  eine  Seitenlänge  von  ca  0,40  m. 

Im  Dom  zu  Halberstadt  finden  sich,  abgesehen  von  den  Kaselresten  und  ver- 
schiedenen späteren  Kasein,  noch  mehr  denn  30  vollständige  Kasein  aus  dem  Mittel- 
alter. Einige  reichen  noch  ins  18.  Jahrhundert  hinauf,  so  namentlich  das  prächtige, 
aus  kräftigem  blauem  Seidenköper  bestehende,  mit  goldgestickten  Adlern  geschmückte 
Meßgewand,  das  indessen  allem  Anschein  nach  in  späterer  Zeit  an  der  Seite  beschnitten 
wurde.  Die  übrigen  fallen  zumeist  in  das  14.  und  15.  Jahrhundert '.  Bei  einigen 
der  Halberstadter  Kasein  belauft  sich  die  Länge  auf  mehr  denn  1.50  m,  im  all- 
gemeinen schwankt  dieselbe  bei  ihnen  jedoch  zwischen  1,45 — 1,35  m.  Die  Seiten- 
länge beträgt  bei  den  älteren  Gewändern  ca  1,10 — 0,95  m,  um  dann  allmählich  bis 
zum  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  auf  ca  0,50  m  herabzusinken. 

Auch  das  bayrische  Nationalmuseum  besitzt  unter  seinen  zahlreichen ,  meist 
freilich  später  beschnittenen  Meßgewändern  noch  eine  Anzahl  solcher ,  die ,  aus  dem 
15.  Jahrhundert  stammend,  ihre  ursprüngliche  Form  ganz  oder  doch  nur  mit  geringer 
Veränderung  beibehalten  haben. 

Von  den  Kasein  zu  Castel  S.  Elia  wird  weiter  unten  ausführlicher  die  Kede  sein. 

Das  16.  Jahrhundert,  das  für  die  Neubelebung  des  kirchlichen  Lebens 
und  kirchlichen  Geistes  so  bedeutungsvoll  wurde  und  ganz  besonders  durch 
seine  segensreichen  Reformen  auf  dem  Gebiete  der  Liturgik  eine  neue  Periode 
eröffnete,  hat  der  Kasel  nichts  Gutes  gebracht.  Wäre  man  nur  auf  dem 
Standpunkt  stehen  geblieben,  auf  dem  man  beim  Beginn  der  neuen  Zeit  an- 
gelangt war!  Das  16.  Jahrhundert  hat  zwar  nicht  die  wenig  schöne  Meß- 
gewandform geschaffen,  die  noch  jetzt  trotz  aller  dagegen  aufgewandten  Be- 
mühungen den  Markt  beherrscht,  allein  es  hat  denn  doch  mit  dem  überlieferten 
Schnitt  endgültig  gebrochen.  Wohl  war  das  Meßgewand,  wie  es  am  Schlüsse 
des  16.  Jahrhunderts  in  Brauch  war,  im  ganzen  noch  ein  erträglicher, 
ja  im  Vergleich  mit  der  späteren  Kasel  sogar  noch  ein  würdiger  Ornat. 
Allein  das  mittelalterliche  Meßgewand  war  es  nicht  mehr,  und  der  Name 
Kasel  war  bei  ihm  in  jeder  Beziehung  nur  mehr  eine  bloße  Reminiszenz,  ein 
Wort  ohne  Bedeutung.  Schon  die  Kasel  des  15.  Jahrhunderts  hatte  bloß  noch 
mit  teilweiser  Berechtigung  ihren  Namen  wahr  gemacht.  Das  Meßgewand  des 
beginnenden  17.  Jahrhunderts  war  in  keinem  Sinne  ein  „Hüttchen"   mehr. 

„Nostra  aetate  ac  superioribus  aliquot  saeculis  casula  ab  utraque  parte 
concisa  ante  et  retro  sine  errore  ullo  producitur  usque  ad  talos  adeoque  ac- 
cisa  atque  in  aliam  speciem  deformata,  ut  si  cum  antiqua  casula,  unde  de- 
fluxit,  componatur,  vix  suum  nomen  tueatur,  sagt  mit  Recht  Stephan  Durant 
im  Anschluß  an  Wilhelm  Lindanus  (j  1588)  in  seiner  1592  erschienenen 
Schrift  De  ritibus  ecclesiae  catholicae2. 

Selbst  in  Rom,  wie  überhaupt  in  Italien,  wo  die  Kasel  am  längsten 
der  alten  Form  treu  geblieben  war,  hatte  das  Meßgewand,  abgesehen  von 
etwas  größerer  Breite,  schon  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  wesentlich  die 
jetzige  Form. 


1  Verschiedene  sind  mit  älteren,  kostbaren  Arbeit  des  15.  Jahrhunderts.  Das  Meßgewand 
Besätzen  verziert,  so  z.  B.  Nr  209,  welche  selbst  dürfte  jedoch  kaum  dieser  Zeit  an- 
wohl  ebenfalls  noch  aus  dem  13.  Jahrhundert  gehören,  sondern  weit  älter  sein.  Es  ist 
datiert,  und  Nr  208.  Ein  merkwürdiges  schwer  anzunehmen,  daß  man  im  15.  Jahr- 
Gewand  ist  Nr  206.  Es  besteht  aus  plüsch-  hundert  im  Norden  noch  eine  Glockenkasel 
artigem,  grünem  Samt  und  stellt  eine  Glocken-  neu  hergestellt  habe. 

kasel  dar.    Das  mit  Heiligen  in  Reliefstickerei  2  L.    2,    c.    9,    n.    8 ;     (ed.    Colon.    1592) 

verzierte ,  geradbalkige  Kaselkreuz   ist   eine  p.  326. 


190 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Es  ist  interessant,  die  der  Wende  des  15.  Jahrhunderts  entstammenden  Grab- 
figuren in  den  Basiliken  Korns  in  Bezug  auf  die  Kasel  mit  römischen  Bildwerken 
aus  dem  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  zu  vergleichen.  Dort  ist  sie  noch  ein  langes, 
weites  Gewand  mit  mächtigem  Faltenbausch  auf  den  Armen,  hier  legt  sie  sich  fast 
völlig  glatt,  falten-  und  runzellos  dem  Körper  an  und  schließt  im  besten  Fall  etwas 
über  der  Mitte  des  Oberarmes  ab.  Man  halte  nur  einmal  die  Kardinäle  auf  den 
Grabmonumenten  in  S.  Maria  del  Popolo,  einen  Christoforo  della  ßovere  (f  1480), 
einen  di  Castro  (f  1506),  einen  Costa  (f  1508)  und  einen  Podocatharos  (t  1500)  und 
die  Statuen  an  der  Fassade  von  S.  Susanna  aus  dem  Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
gegeneinander. 

Eines  der  frühesten  Beispiele  einer  schon  ziemlich  stark  beschnittenen  Kasel 
bietet  zu  Kom  das  Grabmal  des  Kanonikus  von  St  Peter,  Bernardo  Capella  (f  1524), 
in  S.  Stefano  Kotondo,  welches  dem  Verstorbenen  nach  seinem  Tode  von  zwei  Freunden 
aesetzt  wurde.     Das  Gewand   reicht   unter  sehr  mäßigem  Faltenwurf  nur  noch    eben 


Bild  77.     Kasel  des  hl.  Karl 
Rom,  S.  Maria  Maggio] 


Borromäus. 


Bild  78.     Kasel  Pius'  V. 

Rom,  S.  Maria  Maggiore. 


über  den  Oberarm  hinaus.  Kecht  bezeichnend  tritt  der  Wechsel  in  den  Maßen  der 
Kasel  an  zwei  Meßgewändern  hervor,  die  in  S.  Maria  Maggiore  aufbewahrt  werden. 
Das  eine  stammt  vom  hl.  Karl  Borromäus,  der  bekanntlich  Erzpriester  der  Basilika 
war  (Bild  77),  das  andere  vom  hl.  Pius  V.  (Bild  78).  Jenes  ist  ca  1,45  m  lang, 
1,10  m  im  Rücken,  0,90  m  vor  der  Brust  weit  und  auf  den  Armen  0,60  m  lang. 
Dieses  hat  ebenfalls  eine  Länge  von  1 ,45  m ,  dagegen  beträgt  die  Bücken  breite  nur 
mehr  0,95  m,  die  vordere  Breite  0,73  m  und  die  Seitenlänge  über  den  Armen  0,50  m  \ 

Bemerkenswert  ist,  daß  Paul  IV.  (1555 — 1560)  den  Versuch  machte, 
die  Kasel  auf  ihre  frühere  Form  zurückzubringen.  Oldoinus  berichtet  dar- 
über in  seinen  Zusätzen  zu  Chacons  Vitae  Rom.  Pontificum :  Pontificum  in- 
dumenta,    quae   a  maiestate   formaque   desciverant,    suo  splendori  ac   figurae 


1  Die  Kasel  des  hl.  Karl  Borromäus  im 
Dom  zu  Mailand  weist  auf  den  Armen  eine 
Länge  von  ca  0,54  m  auf,  im  Rücken  mißt  sie 
in  die  Breite  ca  1,06  m.    Die  Länge  des  Ge- 


wandes beläuft  sich  auf  1,27  in.  Es  sind, 
wie  man  sieht,  so  ziemlich  dieselben  Mal.ie. 
welche    der    Kasel    des    hl.    Karl    in    Maria 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel 


191 


restituit 1.  Die  indumenta  können  hier  nach  dem  Zusammenhang  nur  als 
liturgische  Gewänder  gefaßt  werden,  und  zwar  wird  man  bei  ihnen  in  Anbetracht 
der  damaligen  Verhältnisse,  wenn  nicht  allein,  so  doch  vorzugsweise  an  die 
Kasel  zu  denken  haben.  Der  gutgemeinte  Versuch  hatte  leider  keine  nach- 
haltige Wirkung. 

Um  die  Wende  des  Jahrtausends  war  die  Rückenbreite  der  römischen 
Kasel  schon  auf  0,85  m  und  ihre  Länge  über  den  Schultern  auf  ca  0,45  m 
herabgesunken,  Maße,  welche  genau  den  Angaben  Gavantis  in  dessen  1628 
erschienenem  Thesaurus  entsprechen  2. 

Zur  Charakterisierung  der  römischen  Kaselform  des  ausgehenden  16.  Jahr- 
hunderts kann  ein  Meßgewand  dienen,  dessen  sich  der  sei.  Petrus  Canisius  zu  Freiburg 
in  der  Schweiz  während  seiner  letzten  Lebenstage  bediente.  Ob  es  römischen  Ursprungs 
ist,  läßt  sich  nicht  feststellen,  jedenfalls  gibt  es  aber  nach  Schnitt  und  Maßverhält- 
nissen treu  die  damalige  römische  Kasel  wieder 
(Bild  79).  .1  ^ 

Es  ist  aus  einfarbig  grüner,  leichter  Taffet- 
seide angefertigt  und  höchst  einfach;  die  Stäbe  sind 
durch  Börtchen  imitiert.  Seine  hintere  Hälfte  ist  V 
85  cm  breit;  die  nur  sehr  mäßig  ausgeschnittene 
Vorderseite  ist  bloß  um  ein  weniges  schmaler.  Auf  a 
den  Schultern  hat  es  eine  Länge  von  0,45  m.  Das 
Gewand  besteht  aus  zwei  Stoffstücken,  einem  grö- 
ßeren und  einem  kleineren.  Jenes  bildet  den  Rück- 
teil und  zugleich  die  obere  Partie  des  Vorderteils, 
dieses  das  untere  Stück  des  letzteren.  Die  Weise 
der  Anfertigung  der  Kasel  ist  aus  der  beistehenden 
Skizze  ersichtlich.  An  dem  größeren  Stück  wurden 
die  Abschnitte  o  und  o'  um  ab  bzw.  cd  nach  vorn 
geschlagen  und  das  kleine  Stück  an  die  nunmehr 
vorn  in  gerader  Linie  liegenden  Seiten  ef  und  gh 
angenäht.  Dann  wurde  dem  Ganzen  ein  leichter 
Piquestoff  als  Putter  untergelegt  und  schließlich 
durch  Börtchen  der  Besatz  nachgebildet.  Das 
1,32  m  lange  Gewand  hat  infolge  seiner  eigen- 
tümlichen Anfertigung  eine  Öffnung  zum  Durch- 
lassen des  Kopfes,  wie  sie  in  ähnlicher  Weise  bei  gj^j 
der  früher  geschilderten  Herstellung  der  Planeton 
des  11.  Jahrhunderts  entstand. 

Im  übrigen  Italien  vollzog  sich  die  Umbildung  der  Kasel  in  derselben 
Weise  und  demselben  Tempo  wie  zu  Rom.  Man  braucht,  um  sich  davon  zu 
überzeugen,  nur  die  Bildwerke  in  Neapel.  Florenz,  Pisa,  Siena,  Ravenna, 
Bologna,  Venedig,  Verona,  Mailand  usw.  zu  studieren.  Es  ist  nicht  nötig, 
auf  Einzelheiten  einzugehen.  Nicht  darf  jedoch  das  Bestreben  des  hl.  Karl, 
der  Vergewaltigung  der  Kasel  in  seinem  Machtbereiche  ein  Ende  zu  machen, 
unerwähnt  bleiben.  Um  dem  Gewand  eine  würdige  Form  zu  erhalten,  be- 
stimmte der  Heilige,  es  solle  die  Kasel  etwas  mehr  als  3  Cubiti  =  ca  1,30  m 
breit  und  ebenso  lang  oder  noch  etwas  länger  sein,  so  daß  sie  fast  bis  zu 
den  Knöcheln  reiche3.     Freilich   konnten  auch  die  Bemühungen  des  hl.  Karl 


Kasel  des  sei.  Petrus  Canisius. 
Exaeten,  Canisius-Kolleg. 


1  C  i  a  c  o  n  i  i  -  0 1  d  o  i  n  i  Vitae  Rom.  Pontif.  III, 
Romae  1677.  832. 
-  Gav.  H  273. 
3  A.  E.  Med.  627.    Es  wird  dort  ausdrück- 


lich noch   bemerkt ,  es  müsse    die  Kasel   so 

breit   sein ,    daß    sie  unterhalb    der  Schulter 

noch    eine    Faltung  von    der    Breite    einer 
Spanne  zulasse. 


192 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


die  unwiderstehlich  dahinrauschende  Zeitströmung  nicht  aufhalten.  Es  ging 
in  Mailand  wie  anderswo.  Um  die  Wende  des  16.  Jahrhunderts  war  die 
Kasel  auch  dort  bei  denselben  Maßen  angelangt,  die  um  diese  Zeit  in  Korn 
und  dem  übrigen  Italien  bei  dem  Meßgewand  üblich  geworden  waren.  Selbst 
die  zu  Rom  und  Mailand  aufbewahrten  Kasein  des  großen  Mailänder  Erz- 
bischofs entsprechen  nicht  einmal  mehr  ganz  jenen  Maßen. 

Eine  treffliche  Planeta  aus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  befindet  sich 
in  der  Opera  del  Duomo  zu  Florenz  (Bild  80).  Sie  ist  1,41  m  lang,  im  Rücken 
0,98  m  breit  und  auf  den  Schultern  0,50  m  lang.    Das  Meßgewand,  welches  St  Gemi- 

nianus  und  St  Markus  zu 
Venedig  auf  den  Mosaiken  im 
Portikus  von  S.  Marco  aus 
den  Jahren  1535  und  1545 
tragen,  ist  von  etwas  grö- 
ßeren Maßverhältnissen  als 
die  Florentiner  Kasel,  die 
man  Kardinal  Alexander 
Farnese  zuschreibt.  Aus  dem 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts 
mag  die  prächtige  Kasel 
stammen,  welche  in  der  Ka- 
pelle der  Familie  Chigi  des 
Domes  zu  Siena  aufbewahrt 
wird.  Man  eignet  die  Ent- 
würfe zu  den  Stickereien, 
mit  denen  sie  in  reichstem 
Maße  bedeckt  ist,  fälschlich 
Eaffael  zu  (Bild  81).  Das 
Gewand  hat  bei  einer  Länge 
von  ca  1,30  m  eine  Rücken- 
breite  von  ca  0,90  m  und  eine 
Schulterlänge  von  ca  0,45  m. 
Eine  bemerkenswerte  Ka- 
sel italienischen  Ursprungs 
aus  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  besitzt  das 
Stift  Einsiedeln.  Ihre  Länge 
beträgt  1,12  m,  ihre  Rücken- 
breite von  Schulter  zu  Schul- 
ter 0,93  m.  Der  Stoff  des 
Gewandes  besteht  aus  derber 
Leinwand,  der  mittelst  kräf- 
tiger, dunkelblauer  Seidenfäden  Hirsche.  Vögel  und  Lilien  eingewoben  sind.  Das 
Kreuz  mit  dem  Kruzifixus  ist  nachträglich  der  Kasel  aufgesetzt  worden  1. 

Im  Norden  machte  auch  im  16.  Jahrhundert  die  Kasel  den  Verbildungs- 
prozeß  rascher  durch  als  im  Süden.  Hier  finden  wir  bereits  in  der  ersten 
Hälfte  desselben  Meßgewänder  von  einer  Form ,  wie  sie  uns  in  Italien  erst 
gegen  1600  begegnen.  So  hat  beispielsweise  die  1528  von  Bischof  Carandolet 
der  Kathedrale  von  Besancon  geschenkte  Kasel 2  bei  einer  Länge  von  ca  1,30  m 


Bild  SO.      Kasel.      Florenz,  Opera  del  Duomo. 


1  Nach  den  gütigen  Mitteilungen  des  hoch  w. 
Herrn  P.  Odilo  Ringholz.  Gute  Abbildung  des 
Gewandes  in  P.  Odilo  Ringholz,  Geschichte 
des  Stifts  Einsiedeln  I,  Einsiedeln  1904,  256. 


2  De  Parcy  pl.  73.  Bischof  Carandolet 
von  Palermo  war  Dechant  von  Besancon. 
Die  Kasel  ist  eine  Arbeit  aus  Bruges  und 
datiert. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


193 


eine  Rückenbreite  von  nur  0,94  m  und  eine  Schulterlänge  von  ca  0,48  m. 
Die  Kasel  Friedrichs  von  Brandenburg  im  Dom  von  Halberstadt  mißt  bei 
0,90  m  im  Rücken  auf  den  Schultern  nur  0,45  m.  Ebenso  weist  das  durch 
seinen  Stoff  und  namentlich  seine  glänzenden  Stickereien  in  Goldlasurtechnik 
berühmte  Meßgewand  des  Kanonikus  Sibert  von  Ryswick  (f  1540)  im  Schatz 
des  Xantener  Domes  bei  einer  Gesamtlänge  von  1,45  m  eine  Rückenbreite 
von  nur  0,95  m  und  über  den  Schultern  eine  Länge  von  bloß  0,45  m  auf. 

Sehr  lehrreich  sind  für  die  Kenntnis  der  Kasel  des  16.  Jahrhunderts  und 
ihrer  Umbildung  die  Grab- 
mäler  der  Erzbischöfe  im 
Dome  zu  Mainz.  Das  Meß- 
gewand, mit  dem  Kurfürst 
von  Henneberg  (f  1504)  be- 
kleidet erscheint,  ist  noch 
weit  und  faltenreich;  das- 
selbe gilt  von  demjenigen 
seiner  nächsten  Nachfolger. 
In  der  zweiten  Hälfte  des 
Jahrhunderts  aber  verliert 
es  auf  den  genannten  Monu- 
menten seinen  reichen  Fal- 
tenwurf und  schrumpft  bis 
zum  Beginn  des  17.  Jahr- 
hunderts immer  mehr  zu- 
sammen. Dann  aber  ver- 
schwindet die  nunmehr  allzu 
bedeutungslos  gewordene 
Kasel  von  den  Denkmälern, 
um  durch  das  mächtigere 
und  wirkungsvollere  Plu- 
viale  ersetzt  zu  werden. 

Auch  die  Grabmäler 
der  Trierer  Erzbischüfe  Jo- 
hann von  Metzenhausen 
(f  1540)  und  Johann  von 
Schönenberg  (f  1599)  im 
Dom  zu  Trier  sind  für  den 
Entwicklungsprozeß ,  den 
die  Kasel  bei  uns  nahm, 
recht   bezeichnend.     Bei  ersterem 


Bild  81.      Kasel.      Siena,  Dom,  Kapelle  Chig 


Mitte 


reicht  das  Meßgewand  noch   bis  zur 
des  Unterarmes,  bei  letzterem  nur  noch  ein  wenig  auf  den  Oberarm. 

Eine  vorzügliche  Übersicht  über  Form,  Schnitt  und  Größenverhältnisse  des  Meß- 
gewandes im  12.,  13.,  14.,  15.  und  16.  Jahrhundert  liefern  eine  Anzahl  Kasein, 
welche  sich  zu  Castel  S.  Elia  bei  Nepi  in  der  römischen  Campagna  erhalten  haben. 
Sie  bieten  eine  förmliche  Entwicklungsreihe  des  Gewandes  durch  das  spätere  Mittelalter 
hindurch  bis  in  die  Frühe  der  neueren  Zeit  hinein,  und  zwar  besteht  dieselbe  nicht,  wie 
etwa  in  einem  Museum,  aus  Kasein,  die  aus  den  verschiedensten  Orten  und  Gegenden 
zusammengetragen  wurden,  es  sind  Meßgewänder  —  und  das  gibt  ihnen  eine  besondere 
Bedeutung  —  aus  einer  und  derselben  Kirche.  Das  Bild,  welches  sie  uns  von  der 
Umgestaltung  der  Planeta  vermitteln,  ist  darum  ein  durchaus  treues  und  lebenswahres 
Spiegelbild  der  Wirklichkeit. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  13 


194 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Län 

ge  der  Kasel 

Nr 

auf  den 
Armen 

vorn 

rück- 
wärts 

Entstelmngszeit  1 

1 

0,45 

1,30 

1,30 

|   16.  Jahrb.., 

2 

0,50 

1,54 

1,41 

|    2.  Hälfte 

3 
4 
5 

0,59 
0,66 
0,69 

1,39 
1,50 
1,48 

1,39 
1,50 

1,60 

1  16.  Jahrb.. 
(     1.  Hälfte 

6 

0,80 

1,33 

1,33 

15.  Jahrh. 

7 
8 

1,20 

1,22 

1,58 
1,55 

1,58 
1,55 

14.  Jahrh. 

9 

1,45 

1,50 

1,84 

13.— 14.    Jahrh 

10 
11 

1,60 
1,62 

1,60 
1,60 

1,60 
1,62 

12.— 13.  Jahrh. 

Sie  zeigen  uns  aber  nicht  nur,  wie  es  sich  mit  der  allmählichen  Umwandlung 
des  Meßgewandes  im  mittleren  Italien  verhalten  hat.  Da  nämlich  die  Verbildimg  des 
Gewandes  allenthalben  im  Abendland  wesentlich  den   gleichen  Gang  nahm ,  wenn  sie 

sich  auch  in  dem  einen  Lande  rascher 
vollzog  als  in  dem  andern,  so  kann  das 
Bild,  welches  wir  durch  die  Kasein  von 
Castel  S.  Elia  von  der  Entwicklungs- 
geschichte des  Meßgewandes  erhalten,  mit 
allem  Fug  als  Eeflex  der  allmählichen 
Umgestaltung  der  mittelalterlichen 
Kasel  überhaupt  betrachtet  werden. 
Es  sind  im  ganzen  11  Meßgewänder, 
welche  die  schlichte  Landkirche  birgt. 
Ihre  Maßverhältnisse  erhellen  aus  neben- 
stehender Tabelle. 

Bei  nur  zwei  Kasein  ist  der  Vorderteil 
um  ein  nennenswertes  kürzer  als  der  Rück- 
teil ;  die  Mehrzahl  weist  vorn  und  rück- 
wärts dieselbe  Länge  auf;  bei  einer  ist  sogar  die  vordere  Hälfte  um  0,13  m  länger 
als  die  hintere.  Es  sei  hierauf  besonders  aufmerksam  gemacht;  denn  es  zeigt,  wie 
wenig  bis  in  die  Neuzeit  hinein  das  Bestreben  herrschte,  die  Kasel  vorn  zu  verkürzen, 
und  wie  verkehrt  es  ist,  aus  künstlerischen  Lizenzen  oder  scheinbaren  Ungenauigkeiten 
der  Monumente  den  Schluß  zu  ziehen,  man  habe  schon  im  11.  Jahrhundert  die  Kasel 
der  Bequemlichkeit  halber  vorn  zugestutzt.  Die  Kasein  von  Castel  S.  Elia  beweisen 
aufs  schlagendste,  daß  für  Bildwerke,  auf  denen  das  Meßgewand  vorn  kürzer  aussieht 
als  auf  dem  Bücken,  eine  andere  Erklärung  gesucht  werden  muß  2. 

Beachtenswert  ist  ferner,  wie  bei  den  Kasein  im  ganzen  die  Tendenz  sich  äußert, 
um  so  mehr  an  Länge  abzunehmen ,  je  näher  sie  der  Neuzeit  kommen.  Am  inter- 
essantesten ist  aber  die  Tabelle  mit  Rücksicht  auf  die  Seitenlänge  der  Meßgewänder. 
Dieselbe  fällt  von  1,62  m  auf  0,50  m,  mit  andern  Worten:  bei  Kasel  11  und  10 
gleich  der  Gesamtlänge  des  Gewandes  beträgt  sie  bei  Kasel  2  und  1  nur  noch  ca  ein 
Drittel  derselben. 

Wie  schon  früher  bemerkt  wurde,  bestand  die  Umgestaltung  des  Meß- 
gewandes vor  allem  und  wesentlich  in  der  seitlichen  Zustutzung. 

Die  sonstigen  Veränderungen,  welche  mit  ihm  vor  sich  gingen,  die  Verkürzung 
nach  unten  und  die  Einführung  eines  neuen  Schnittes  zum  Zwecke,  das  Gewand  der 
Schulter  besser  anzupassen,  stehen  in  ursächlichem  Zusammenhang  mit  der  seitlichen 
Beschneidung  der  Kasel.  Je  mehr  diese  an  den  Seiten  zusammenschrumpfte ,  um  so 
mehr  mußte  sie  auch  unten  verkürzt  werden,  sollte  ihr  nicht  alles  Ebenmaß  genommen 
werden.  Je  mehr  man  ferner  durch  die  Zurückschneidung  an  den  Seiten  die  Bildung 
eines  Faltenwurfes  auf  dem  Oberarm  erschwerte,  um  so  mehr  mußte  man  daran  denken, 


dem  Meßgewand  eine  Form  zu  geben,  bei  der  es  sich  möglichst  glatt  den  Schultern 
anlegte.  Klar  tritt  dieser  Gang  der  Dinge  bei  den  Skizzen  82 — 87  zu  Tage,  welche  die 
Kasein  Nr  1,  5,  6,  7,  9  und  11  der  Tabelle  wiedei-geben.  Sie  bieten  eine  Darstellung  der 
Umbildung  des  Meßgewandes  in  den  verschiedenen  Phasen  seiner  Entwicklung  vom 
12.  bis  zum  17.  Jahrhundert,  wie  man  sie  sich  besser  und  vollständiger  kaum  wünschen 
könnte.  Zugleich  zeigen  sie  aber  auch  den  tiefgreifenden  Unterschied  zwischen  der  ur- 
sprünglichen Glockenform  des  Gewandes  und  der  Skapulierform,  auf  welche  dieses  durch 
das  anhaltende  Zustutzen  bis  zum  Schluß  des  16.  Jahrhunderts  gebracht  worden  war. 
Übrigens  muß  betont  werden ,  daß  trotz  aller  Beschneidung  die  Kasel 
bis  in  das  17.  Jahrhundert  im  Norden  wie  im  Süden  immer  noch  ein  würdiges 


1  Ka9el   Nr  3    ist   aus    einem  Meßgewand 
des    14.    Jahrhunderts    durch    seitliche    Be- 

schneiduiiü     beriresti-lll     worden.       Audi     die 


Kasein  Nr  2  und  4  wurden  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  in  gleicher  Weise  aus  älteren 
Meßgewändern  gemacht.  2  S.  oben  S.  175. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


195 


Bild  87. 

Bild  82 — 87.     Kasein,  die  Entwicklung  der  Kasel  vom  12.  Jahrh.  an  bietend. 

Castel  S.  Elia. 

13* 


196  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Meßgewand  blieb,  wenngleich  es  natürlich  schon  lange  nicht  mehr  das  Ideal 
eines  solchen  war.  Die  eigentliche  Verbildung  der  Kasel  hebt  erst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  an.  Bis  dahin  hatte  das  Gewand  durch- 
gängig noch  überall  die  angemessene  Rückenbreite  von  0,80  m.  Nun  sinkt 
diese  zunächst  auf  0,75  m,  dann  im  Verlauf  des  18.  Jahrhunderts  auf  0,70  m 
und  zuletzt  gar  auf  0,65 — 0,60  m  herab,  ■  hier  etwas  früher,  dort  etwas  später. 

Damit  aber  nicht  bloß  auf  den  Armen,  sondern  auch  vor  der  Brust 
keine  lästigen  Falten  entständen,  blieb  man  dabei  nicht  stehen,  nur  die  Breite 
des  Gewandes  zu  verringern,  sondern  ging  auch  dazu  über,  die  vordere  Hälfte 
der  Kasel  recht  gründlich  vor  den  Schultern  auszuschneiden.  Es  war  ein 
Radikalmittel ,  durch  welches  indessen  der  Zweck,  den  man  verfolgte ,  voll- 
kommen erreicht  wurde;  denn  nunmehr  gestattete  auch  das  schwerste  und 
steifste  Meßgewand  den  unbehinderten  Gebrauch  der  Arme.  Daß  dadurch 
die  Vorderseite  der  Kasel  die  häßliche  Gestalt  einer  Geige  oder  eines  Schurzes 
erhielt,  machte  keinen  Eindruck.  War  doch  das  Gewand  nun  wahrhaft  be- 
quem geworden.  Und  dann  gewährte  ja  eine  solche  gründliche  Zustutzung 
des  altehrwürdigen  Kleides  volle  Möglichkeit,  ■  die  schwersten  und  strotzendsten 
Goldstickereien  auf  ihm  anzubringen  und  so  der  Prunksucht  die  weiteste 
Rechnung  zu  tragen1. 

Die  Führerschaft  in  der  Vergewaltigung  des  Meßgewandes  hatte  Frank- 
reich übernommen.  Zwar  schrieb  noch  im  Jahre  1651  das  Rituale  von  Rouen  vor, 
es  sollte  die  Form  der  heiligen  Gewänder  eingehalten  werden,  welche  die  von 
den  Vätern  getroffene  Anordnung  und  das  ehrwürdige  Alter  der  Kathedralkirche 
vorschreibe,  und  darum  müßten  die  Kasein  oder  Planeten  nach  beiden  Seiten 
hin  eine  solche  Ausdehnung  haben,  daß  sie  wenigstens  den  ganzen  Arm  be- 
deckten2. Ja  es  waren,  wie  Lebrun-Desmarettes  (de  Moleon)  in  seinen  Voyages 
liturgiques  de  France  berichtet,  noch  1718  an  bestimmten  Tagen  in  einzelnen 
Kirchen  Kasein  von  mittelalterlicher  Form  in  Gebrauch  und  es  hatte  damals 
überhaupt  das  Meßgewand  an  verschiedenen  Orten  noch  eine  solche  Breite, 
daß  es  bis  auf  den  Arm  des  Priesters  herabging.  Allein  das  waren  Ausnahmen 
und  keineswegs  der  Ausdruck  für  den  Geist  und  Geschmack  der  Zeit.  Besser 
paßte  zu  demselben  die  Anschauung,  die  nach  de  Vert  ein  Pariser  Caeremoniale 
zum  Ausdruck  bringt,  wenn  es  bestimmt:  revolutae  illae  partes  ut  superfluae 
amputandae  sunt3.  Die  Falten  auf  den  Armen  waren  überflüssig  und  mußten 
darum  beseitigt  werden.  Aber  auch  in  Deutschland,  Spanien,  Portugal  und 
den  Niederlanden  brach  man  gründlich  mit  der  überlieferten  Kaselform.  Die 
zahlreichen  Meßgewänder  des  18.  Jahrhunderts,  die  sich  in  den  Sakristeien 
noch  erhalten  haben,  legen  vollwichtiges  Zeugnis  dafür  ab.  Man  hatte  sich 
zu  sehr  in  den  Bann  des  französischen  Beispiels  begeben.  Wie  auf  dem  Ge- 
biet der  Kunst,  des  Wissens,  der  Etikette,  der  profanen  Tracht  usw.,  so  war 
dieses  auch  auf  dem  der  Paramentik  tonangebend  geworden.  Lyon  und  Paris 
beherrschten  den  Paramentenmarkt  samt  den  Sakristeien  und  beglückten  alle 
Welt  nicht  bloß  mit  ihren  „reizenden" ,  den  kirchlichen  Farbenregeln  freilich  wenig 
entsprechenden  Stoffen,  sondern  auch  mit  ihren  von  „wahrhaft  modernem  und 
ausgesucht  geläutertem  Geschmack  zeugenden"  fertigen  liturgischen  Gewändern. 

Am  konservativsten  war  man  in  Italien,  namentlich  zu  Rom,  wo  das 
Meßgewand  stets  eine  erträgliche  Form  beibehielt  und  kaum  je  zu  den  kläg- 


1  Eine  Reihe   derartiger    höchst   kostbarer  -  Ioan.    Prevotii    Observat.   ad    libr.    Ioan. 

Kasein  sind  abgebildet  bei  de  Farcy  pl.  88  Abrinc.  de  off.  eccl.  n.  122  (M.  147,  88). 

91  96  103  128  130  u.  a.  "  De  Vert  318  note. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  197 

liehen  Maßverhältnissen  herabgewürdigt  wurde,  die  außer  Italien  allenthalben 
gang  und  gäbe  waren. 

Das  17.  und  namentlich  das  IS.  Jahrhundert  sind  denn  auch  vornehm- 
lich die  Zeit,  da  man  die  Schere  an  ältere  Meßgewänder  legte.  Welche  Bar- 
barei und  welche  unbeschreibliche  Geschmacklosigkeiten  man  dabei  bewies, 
bezeugen  laut  die  verstümmelten  Stickereien,  die  Heiligen,  denen  die  Füße 
amputiert  wurden  oder  die  man  geradezu  halbierte.  Unsere  Sakristeien  und 
Museen  weisen  Hunderte  von  Beispielen  dafür  auf.  Falls  eine  Kasel  nicht 
als  Reliquie  eines  Heiligen  galt,  fand  sie  keine  Barmherzigkeit.  Daher  die 
eigentümliche  Tatsache,  daß  sich  aus  der  Frühe  unseres  Jahrtausends  so  viele 
unversehrte  Meßgewänder  erhalten  haben,  aus  dem  ausgehenden  Mittelalter 
und  selbst  dem  16.  Jahrhundert  jedoch  in  katholischen  Kirchen  nur  äußerst 
wenige.  Wenn  man  intakte  Kasein  aus  dieser  Zeit  sehen  will ,  muß  man 
vor  allem  nach  Danzig  (St.  Marien),  Halberstadt  (Dom)  und  Brandenburg  (Dom) 
gehen.  Aus  protestantischen  Kirchen  stammt  in  den  meisten  Fällen  wohl  auch, 
was  wir  an  unbeschnittenen  .spätmittelalterlichen  Kasein  in  den  Museen  finden. 

Etwas  spezifisch  Katholisches  war  freilich  das  Zustutzen  des  Gewandes 
nicht.  Wo,  wie  in  Dänemark  und  Schweden,  die  Kasel  sich  bis  in  die  Gegen- 
wart beim  protestantischen  Gottesdienst  in  Gebrauch  erhielt1,  hat  sie  den- 
selben Prozeß  durchgemacht,  der  sich  mit  dem  Meßgewand  im  katholischen 
Ritus  vollzog.  Es  gibt  in  Schweden  noch  eine  große  Zahl  Kasein  aus  dem 
ausgehenden  Mittelalter.  Sie  bieten  indessen  dasselbe  Bild,  welches  uns  so 
manches  Meßgewand  aus  jener  Zeit  in  katholischen  Sakristeien  gewährt.  Das 
Beschneiden  des  altehrwürdigen  Gewandes  lag  in  dem  Geschmack  der  Zeit 
und  der  herrschenden  Mode.  Es  wurde  daher  überall  geübt,  wo  dieses  sich 
in  Gebrauch  befand,  bei  den  Katholiken  wie  bei  den  Protestanten. 

XI.  DIE  KASEL  IN   DER  NEUESTEN  ZEIT. 

Auch  in  der  neuesten  Zeit  hat  das  Meßgewand  seine  Geschichte.  Die 
Bestrebungen,  den  liturgischen  Gewändern  statt  der  bisherigen  entarteten 
Formen  eine  würdigere,  der  Heiligkeit  der  liturgischen  Feier  und  dem  re- 
ligiösen Anstand  entsprechendere  Gestalt  zu  geben,  kam  vor  allem  der  Kasel 
zu  gut.  Das  Bedürfnis  nach  einer  Umgestaltung  der  Kasel  war  in  der  Tat 
zu  schreiend,  um  ungehört  zu  verhallen.  Wenn  irgendwo,  dann  galt  es  hier, 
nach  mancherlei  Seiten  hin,  nach  Stoff,  Anfertigungsweise,  Ausschmückung 
und  Form  hin  Wandel  zu  schaffen.  So  erhoben  sich  denn,  unterstützt  durch 
manche  Bischöfe,  in  England,  Frankreich,  den  Niederlanden  und  Deutschland 
eine  Reihe  von  Männern,  welche,  voll  Begeisterung  für  die  gute  Sache,  un- 
ermüdlich alle  Kräfte  für  eine  gründliche  Reform  der  Kasel  einsetzten.  Als 
anzustrebendes  Ziel  galt  möglichste  Einführung  eines  Meßgewandes,  wie  es 
im  späteren  Mittelalter  in  Gebrauch  war. 


1  Auch  in  Deutschland  blieb  die  Kasel  bei  (Kirchenlex.  IX  573).    Zu  Hannover,  Grimma 

den  Protestanten  manchenorts  bis  tief  in  das  und  Lübeck  erhielt  sie  sich   bis   in  den  An- 

17.,   ja    bis    ins    18.  Jahrhundert   neben   der  fang  des  vorigen  Jahrhunderts  (ebd.  VII  175). 

Albe    als   liturgisches  Gewand    in    Gebrauch  Ebenso    trug  die  sächsische  Hof-  und  Pfarr- 

(vgl.  Stimmen   aus   Maria-Laach    LV  [1S98]  geistlichkeit  bis  ins  19.  Jahrhundert  Kasein, 

104).    Zu  Rostock  wurde  sie  im  Beginn  des  und  zwar  recht  farbige  und  mit  Goldstickerei 

18.  Jahrhunderts  aus  der  Liturgie  verbannt,  geschmückte  (C.  Gurlitt,    Kirchen,   Stutt- 

zu  Nürnberg  wurde  sie  erst  1810  abgeschafft  gart  1906,  75). 


198  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Die  Prager  Synode  vom  Jahre  1860  sagt  bezüglich  der  Kasel:  Dolemus 
autem  impraesentiarum  casulas  esse  adeo  decisas  contra  debitam  maiestatem 
et  in  aliam  prope  speciem  deformatas,  ut  si  cum  prisca  et  propria  liuius  in- 
dumenti  forma  componantur,  vix  suum  tueantur  nomen.  .  .  .  Longe  pateant  ad 
minimum  ulnas  duas  et  ab  utroque  latere  infra  humeros  aliquatenus  dependeant; 
fasciam  porro  habeant  decentis  latitudinis  assutam  ab  anteriori  et  posteriori 
parte  usque  ad  extremum  dependentem,  cui  altera  fascia  transversalis  crucis 
quandam  speciem  exprimant 1.  Sie  verlangte  also  für  das  Gewand  eine  Breite 
von  ca  1,20  m,  d.  i.  das  gleiche  Maß,  welches  das  Prager  Konzil  vom  Jahre 
1605  in  Anlehnung  an  die  Bestimmungen  des  hl.  Karl  vorgeschrieben  hatte 2. 
Die  Dekrete  der  Prager  Synode  wurden  von  Rom  bestätigt,  ein  Umstand,  der 
für  die  Frage  nach  der  Erlaubtheit  der  sog.  gotischen  Kasein  nicht  ohne 
Bedeutung  ist.  Denn  diese  sind  es  ja,  welche  das  Konzil  im  Sinne  hatte, 
wenn  es  auch  nicht  ausdrücklich  von  gotischen  Kasein  redet. 

In  Deutschland  haben  sich  namentlich  Dr  Bock  und  der  von  Pfarrer 
Laib  und  Dr  Schwarz  herausgegebene  Kirchenschmuck  wie  um  die  Regeneration 
des  Paramentenwesens  überhaupt,  so  besonders  um  die  der  Kasel  großes  und 
dauerndes  Verdienst  erworben. 

Man  nannte  die  mittelalterliche  Kasel,  deren  Einführung  man  wieder 
anstrebte,  gotische,  altdeutsche  und  Bernarduskasel,  eine  kleinere  Form  aber, 
die  sich  an  die  Verordnungen  des  hl.  Karl  anschloß,  Borromäuskasel.  Auch 
wurde  der  Vorschlag  gemacht,  sie  altrömisches  Meßgewand  zu  heißen.  Die 
Namen  waren  allesamt  nicht  besonders  glücklich,  die  Bezeichnungen  „alt- 
deutsche", „altrömische"  und  „Bernarduskasel"  sind  sogar  schlechthin  falsch3. 
Die  in  Frage  stehende  Form  des  Meßgewandes  war  nie  etwas  spezifisch 
Deutsches  oder  Römisches,  zur  Zeit  des  hl.  Bernard  aber  hatte  dieses,  wie 
die  zahlreichen  Kasein  des  12.  Jahrhunderts  und  namentlich  die  beiden  Kasein 
zu  Xanten  und  Brauweiler  beweisen,  noch  die  volle  Glockenform.  Am  ent- 
sprechendsten wäre  wohl  die  Bezeichnung  „spätmittelalterliche"  Kasel  form 
gewesen;  denn  es  war  ja  das  Meßgewand  des  ausgehenden  Mittelalters,  das 
man  wieder  in  Gebrauch  zu  bringen  suchte.  Vielleicht,  daß  in  diesem  Falle 
die  Wiedereinführung  der  alten  Form  auf  etwas  weniger  Schwierigkeit  ge- 
stoßen wäre.  Man  darf  nicht  vergessen,  daß  das  Wort  „Gotik"  in  den  fünfziger 
und  sechziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  noch  für  viele,  namentlich  aber 
in  Italien,  einen  Übeln  Beigeschmack  hatte.  Die  Schwierigkeiten  waren  so 
groß,  daß  es  sogar  eine  Weile  den  Anschein  hatte,  als  sollte  eine  völlige  Ver- 
urteilung der  Rückkehr  zur  spätmittelalterlichen  oder  „gotischen"  Kasel  form 
—  denn  nur  diese,  nicht  die  Glockenkasel  kam  in  Frage  —  seitens  der  Riten- 
kongregation erfolgen. 

Die  Veranlassung  gab  der  Umstand,  daß  sich  Dr  Bock  zu  Rom  in  der 
Anima  einer  gotischen  Kasel  bei  der  Messe  bedient  hatte.  Die  Sache  war 
aufgefallen  und  kam  vor  die  Kongregation  der  Riten,  vor  der  sich  Dr  Bock 
zur   Rechtfertigung   auf  Bischof  Johann  Georg   von   Münster   berief.      Dieser 


1  Tit.  5,  c.  7  (Coli.  Lac.  V  538).  Gewand  aus  den  Tagen  des  Heiligen  stammt; 

2  C.  13  (Hartzh.  VIII  691).  jedenfalls  ist  seine   heutige  Form   nicht  aus 

3  Die  Bezeichnung  „Bernarduskasel"  rührt  jener  Zeit.  Dagegen  ist  wohl  nicht  zweifel- 
von  Dr  Bock  her  und  knüpft  an  eine  Kasel  haft,  daß  der  hl.  Bernard  zu  Aachen  zelebrierte 
im  Münster  zu  Aachen  an  ,  in  welcher  der  und  der  betreffende  Text  der  Miracula  S.  Bern, 
hl.  Bernard  bei  seinem  Aufenthalt  zu  Aachen  1.  6,  c.  4  lauten  muß  wie  M.  6.  SS.  XXVI 
das  heilige  Opfer  dargebracht  haben  soll.  132;  denn  daß  er  in  einem  Tage  von  Jülich 
Allein  es  ist  wenig  wahrscheinlich,  daß  dieses  nach  Maastricht  zog,  ist  unannehmbar. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  199 

wurde  zu  einem  Bericht  aufgefordert,  den  er  denn  auch  unter  dem  10.  Juni 
1859  der  Kongregation  einreichte.  Die  Denkschrift  wurde  dem  apostolischen 
Zeremonienmeister  Msgr  Johannes  Corazza  übergeben,  welcher  darüber  ein 
sehr  ausführliches  Votum  in  131  Nummern  abfaßte.  Die  üblichen  Fragen  am 
Schlüsse  desselben  lauteten,  1.  ob  der  Bischof  die  Vollmacht  habe,  in  seiner 
Diözese  ohne  Anfrage  beim  Heiligen  Stuhl  und  ohne  Rücksicht  auf  die  Form,  wie 
sie  in  der  römischen  Kirche  gebräuchlich  sei,  eine  längst  in  Abgang  gekommene 
Form  des  Meßgewandes  wieder  einzuführen ;  2.  ob  die  sog.  gotische  Form  zu 
tolerieren  oder  zu  verbieten  sei;  3.  ob  die  sog.  Baßgeigenform  geduldet  oder 
untersagt  werden  solle  und  4.  was  in  Betreff  der  Angaben  des  Gavantus  und 
der  römischen  Form  zu  sagen  sei,  die  dem  Bischof  von  Münster  zufolge  durch 
kein  positives  Gesetz  oder  Dekret  angeordnet  sei.  Der  Referent  schlug  vor, 
auf  Nr  1  mit  Nein,  auf  den  ersten  Teil  von  Nr  2  und  3  gleichfalls  mit  Nein, 
den  zweiten  mit  Ja  zu  antworten.  Bezüglich  Nr  4  ging  sein  Antrag  dahin, 
die  römische  Form  solle  nach  Beratung  mit  dem  Papst  für  maßgebend  erklärt 
werden.  Die  Bischöfe  aber  sollten  angewiesen  werden,  zu  verordnen,  es 
dürften  neue  Gewänder  nur  gemäß  den  Maßen  und  der  Form  der  römischen 
angefertigt  werden,  die  vorhandenen  aber  könnten,  wenn  die  Abweichungen 
gering  seien,  aufgebraucht  werden,  andernfalls  seien  sie  umzuändern 1. 

Indessen  kam  es  zur  wirklichen  Verurteilung  nicht,  wie  der  päpstliche 
Zeremonienmeister  im  Eifer  für  den  römischen  Usus  gewollt,  noch  wurde 
eben  dieser  Usus  für  einzig  maßgebend  erklärt.  Das  Zirkular  vom  21.  August 
1863  enthielt  sich  einer  allgemeinen  und  definitiven  Entscheidung,  während 
es  in  einer  andern  Frage,  der  Aufbewahrung  des  Allerheiligsten  in  einem 
sog.  Sakramentshäuschen  zur  Seite  des  Altars,  ein  kategorisches  Verbot  er- 
ließ, und  begnügte  sich  mit  der  Bemerkung :  eadem  perdurante  disciplina  —  es 
meint  den  durch  Gewohnheit  eingeführten  Gebrauch  der  seitlich  zugestutzten 
Kasel  -  -  necnon  sancta  Sede  inconsulta  nihil  innovari  posse.  Als  Grund  gibt 
es  nicht  die  verpflichtende  Kraft  des  Brauches  der  römischen  Kirche,  son- 
dern den  Umstand  an,  daß  Änderungen  dieser  Art,  weil  der  erprobten  Sitte 
der  Kirche  zuwider,  Verwirrung  stiften  und  bei  den  Gläubigen  Aufsehen  er- 
regen könnten.  So  wenig  beabsichtigte  das  Dekret  ein  Verbot,  daß  es  die 
Bischöfe  verbis  amantissimis  einlud,  falls  etwa  in  ihrer  Diözese  tatsächlich 
der  Wechsel  in  der  Form  der  Kasel  stattgehabt,  über  Grund  und  Veran- 
lassung davon  zu  berichten2. 

Die  Utrechter  Provinzialsynode  vom  Jahre  1865  nahm  das  Dekret  zum 
Anlaß,  für  den  Bereich  der  Utrechter  Kirchenprovinz  jede  andere  als  die 
römische  Kaselform  ausdrücklich  zu  untersagen3.  Das  Rottenburger  Ordinariat 
verordnete  unter  dem  24.  November  1863,  daß  vorerst  und  bis  zur  weiteren 
Entscheidung  des  Heiligen  Stuhles  bei  Anschaffungen  neuer  Paramente  nur 
auf  den  hergebrachten  römischen  Stil  das  Absehen  genommen  werden  dürfe4. 
Das  Limburger  Ordinariat  will  in  seinem  Erlaß  vom  20.  November  1863 
zwar  nicht  den  Gebrauch  der  gotischen  Meßgewänder  verbieten,  aber  doch 
deren  weiteres  Anschaffen  widerraten,  weil  ein  positives  Verbot  seitens  des 
Heiligen  Stuhles   über   kurz  oder  lang   erfolgen   könne5.     Die  Prager  Synode 


1  Analecta  iuris  Pontif.  1888  fasc.  239  240  '-  Analecta  iuris  Pontif.    fasc.  61 ;   Mühl- 

und  die  Besprechung  des  Votums  in  „Archiv  bau  er,  Decreta  auth.  II,  München  1865,  628. 

für  christl.  Kunst'   1891,  21  ff  u.  44  ff  durch  3  C.  2  (Coli.  Lac.  V  850). 

den    gegenwärtigen    hochw.    Herrn    Bischof  '  Vogt,  Verordnungen  318. 

Dr  P.  W.  Keppler.  5  Eichstätter  Pastoralblatt  1864,  27. 


200  Zweiter  Abschnitt,     Die  liturgischen  Obergewänder. 

von  1860  war,  während  noch  die  Sache  in  Rom  verhandelt  wurde,  in  ihren 
von  Korn  approbierten  Statuten,  wenn  auch  nicht  formell  unter  dem  Namen 
gotische  Kasel,  so  doch  tatsächlich  zur  spätmittelalterlichen  Kasel  zurück- 
gekehrt. 

Es  war  ein  Fehler  gewesen,  daß  man  beim  Bestreben,  die  Kaselform 
des  späteren  Mittelalters  wieder  einzuführen,  mehr  als  zweckmäßig  den  für 
manche  abschreckenden  Namen  „gotische  Kasel"  betont  und  zugleich  sich  zu 
sehr  den  Anschein  gegeben  hatte,  als  gäbe  es  außer  der  Gotik  keine  wahrhaft 
kirchliche  Kunst.  Auch  wäre  ein  ruhigeres  und  vorsichtigeres  Eintreten  für 
die  frühere  Form  des  Meßgewandes  der  Sache  unzweifelhaft  weit  förderlicher 
gewesen  als  der  gewiß  bestgemeinte,  aber  nicht  immer  genug  überlegende 
Eifer,  den  man  im  Kampfe  um  die  Reform  der  Kasel  entwickelte. 

Eine  endgültige  formelle  Entscheidung  und  eine  Verwerfung  der  sog. 
gotischen  Kasel  ist  bisher  nicht  erfolgt  und  dürfte  auch  wohl  noch  nicht  so  bald 
in  Zukunft  erfolgen,  nachdem  in  jüngster  Zeit  durch  die  Jubiläen  Leos  XIII. 
unbeanstandet  Meßgewänder  spätmittelalterlicher  Form  als  Gaben  ihren  Weg 
nach  Rom  gefunden  haben  und  auch  die  neueste  editio  typica  des  Caeremoniale 
episcoporum  die  Rubrik  beibehalten  hat,  wonach  die  Ministri  die  Kasel  auf 
dem  Arm  des  Bischofs  zurückfalten  sollen,  damit  sie  ihn  nicht  behindere1. 
Im  Gegenteil  dürfen  solche  Kasein,  und  zwar  auch  dann,  wenn  sie  mit  Gabel- 
kreuz ausgestattet  sind,  nunmehr  als  zweifellos  zulässig  gelten,  seitdem  der  päpst- 
liche Visitator  bei  der  jüngsten  Visitatio  apostolica  zu  Rom  gelegentlich  seiner 
Tätigkeit  im  Campo  Santo  keinen  Anstand  gegen  die  dort  befindlichen  Meß- 
gewänder dieser  Art  erhoben,  sondern  ihre  Verwendung  beim  heiligen  Opfer 
gestattet  hat. 

XII.   STOFF  DES  MESSGEWANDES. 

Über  den  Stoff,  aus  dem  in  vorkarolingisc her  Zeit  das  Meßgewand 
gemacht  zu  werden  pflegte,  fehlt  es  an  Nachrichten.  Für  gewöhnlich  mag 
es  damals  noch  aus  wollenen  Zeugen,  Leinwand  oder  Baumwollstoffen  her- 
gestellt worden  sein.  Doch  hat  es  sicher  schon  früh  auch  seidene  Meßgewänder 
gegeben,  zumal  in  hervorragenderen  .Kirchen,  in  denen  man  alle  Mittel  daran 
setzte,  den  Gottesdienst  mit  möglichster  Pracht  zu  feiern.  Allerdings  waren 
im  4.  und  5.  Jahrhundert  die  Seidenzeuge  noch  immer  sehr  kostbar,  indessen 
war  ihr  Preis  doch  keineswegs  mehr  so  enorm,  daß  man  unmöglich  an  die  An- 
fertigung seidener  Kasein  hätte  denken  können.  Wenn  man  die  Mittel  besaß, 
die  Kirchen  nicht  bloß  mit  linnenen,  sondern  auch  mit  halbseidenen  und  ganz- 
seidenen Wandbehängen  auszustatten  —  und  solches  geschah,  nach  Ausweis 
der  Charta  Cornutiana,  der  471  abgefaßten  Stiftimgsurkunde  einer  bei  Tivoli 
gelegenen  Dorfkirche,  selbst  in  kleineren  Kirchen  — ,  so  konnte  erst  recht 
die  Beschaffung  seidener  Gewänder  an  dem  Kostenpunkt  kein  Hindernis  finden. 

Im  9.  Jahrhundert  waren  seidene  Kasein  nicht  einmal  im  Franken- 
land  mehr  etwas  Ungewöhnliches.  Die  Stoffe  zu  denselben  kamen  aus  Byzanz, 
Syrien,  Persien,  Arabien,  Ägypten,  Indien  und  selbst  dem  äußersten  Osten 
Asiens.  Es  ist  zum  Erstaunen,  welch  eine  Fülle  der  kostbarsten  Meßgewänder 
sich  schon  im  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  in  den  Sakristeien  bevorzugter 
Kirchen  angehäuft  hatte.  Unter  den  Paramenten ,  welche  Angilbert  dem 
Kloster  St-Riquier   schenkte ,    befanden   sich  z.  B.  casulae   de  pallio  (Seiden- 


1  L.  2,  c.  8,  n.  19.    Surgit  episcopus  et  in-         aptatur  et  revolvitur  diligenter,  ne  illum  im- 
duitur  planeta,  quae  hinc  inde  super  brachia         pediat. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  201 

stoff)  30,  de  purpura  10,  de  storace  (gelber  Seidenstoff)  6,  de  blatta  (eine 
Purpurart)  15,  de  cendato  (leichterer  Seidenstoff)  5.  Aus  dem  831  auf- 
gestellten Inventar  von  St-Riquier  heben  wir  hervor:  casulae  sericae  nigrae  10, 
persae  (pfirsichblütenfarbige)  sericae  3,  ex  blatta  1,  ex  pallio  20,  galbae  (gelb) 
sericae  5,  melnae  (gelblich)  sericae  3,  ex  cendato  4.  Ansegisus  gab  dem 
Kloster  Fontanelle  um  dieselbe  Zeit  casulas  ex  cindato  indici  coloris  (blau- 
seidene) 3,  viridis  coloris  ex  cindato  item  3,  item  rubei  sive  sanguinei  coloris 
ex  cindato  1,  blatteam  item  casulam  1.  In  den  Gesta  abbatum  Trudonensium 
wird  uns  zum  Jahre  870  von  casulae  12  preciosae  de  pallio  berichtet1.  Gegen 
Ausgang  des  9.  Jahrhunderts  waren  die  Seidenstoffe  im  Frankenland  bereits 
so  wenig  selten  mehr,  daß  Riculf  von  Soissons  seinen  Priestern  vorschreiben 
konnte,    es  solle  ein  jeder  eine  seidene  Kasel  für  die  Messe  vorrätig  halten. 

Im  11.  und  12.  Jahrhundert  muß  die  Verwendung  von  Seide  zur  An- 
fertigung der  Kasein  schon  etwas  recht  Gewöhnliches  gewesen  sein,  da  sonst 
Abt  Stephan  von  Citeaux  um  1110  sich  wohl  nicht  veranlaßt  gesehen  hätte, 
zum  Ausdruck  der  strengen  Armut,  die  er  in  den  Klöstern  seines  Ordens 
gepflegt  wissen  wollte,  den  Seinen  den  Gebrauch  seidener  Meßgewänder  zu 
verbieten.  Die  Statuten  des  Heiligen  erlauben  nur  solche  aus  Baumwolle 
oder  Leinwand2.  Wirklich  lassen  die  Inventare  dieser  Zeit  keinen  Zweifel 
an  dem  ausgedehnten  Gebrauch  seidener  Kasein.  Besonders  lehrreich  sind  die 
diesbezüglichen  Angaben  der  Chronik  von  Monte  Cassino  und  des  Registers 
von  Rochester.  Nicht  ohne  wesentlichen  Einfluß  auf  die  bedeutende  Ver- 
mehrung solcher  Meßgewänder  war  die  Einführung  der  Seidenfabrikation  in 
Sizilien  und  die  hohe  Blüte,  zu  der  gerade  damals  die  Seidenindustrie  in 
Spanien  gelangte.  Doch  hatte  auch  wohl  die  durch  die  Kreuzzüge  veranlaßte 
Erhöhung  des  Verkehrs  mit  dem  Orient  und  die  damit  im  Zusammenhang 
stehende  häufigere  Importierung  orientalischer  Seidenstoffe  keinen  geringen 
Anteil  daran. 

Im  13.,  14.  und  15.  Jahrhundert  strotzen  die  Inventare  geradezu  von 
Kasein  aus  Brokaten,  Brokatellen,  Damasten,  Samten,  Köper,  Cendel  (Taft) 
und  andern  Seidenzeugen  von  oft  kaum  mehr  zu  deutenden  Namen.  Der 
Grund  für  diese  Steigerung  des  Verbrauchs  der  Seide  im  Dienste  des  Kultus 
lag  einerseits  in  dem  mächtigen  Aufschwung,  den  das  ganze  gesellschaftliche 
und  wirtschaftliche  Leben,  die  Kunst  und  namentlich  auch  die  Äußerungen  des 
religiösen  Sinnes  im  13.  Jahrhundert  genommen  hatten,  anderseits  in  der 
erhöhten  Produktion  und  dem  vermehrten  Angebot  der  mannigfachen  Arten 
von  Seidenzeugen.  Die  Seidenfabrikation  hatte  sich  aus  Sizilien  zuerst  nach 
dem  südlichen  und  dann  auch  nach  dem  mittleren  und  nördlichen  Italien  ver- 
pflanzt und  namentlich  zu  Lucca,  Genua  und  Venedig  rasch  zu  herrlichster 
Blüte  entfaltet.  Die  Stoffe,  welche  hier  erzeugt  wurden,  waren  zum  großen 
Teil  mehr  oder  weniger  freie  Nachbildungen  orientalischer  Gewebe,  da  noch 
immer  die  prächtigen  byzantinischen,  syrischen,  mamelukischen,  sarazenischen 
und  maurischen  Muster  den  Markt  beherrschten.  So  aber  entstand  bald  ein 
lebhafter  Konkurrenzkampf  zwischen  Orient  und  Okzident,  der  zur  Folge 
hatte,  daß  sich  eine  wahre  Flut  von  Erzeugnissen  der  Seidenfabrikation  über 


1  M.  G.  SS.  X  230.    Wenn  Leo  IV.  ca  850  Papstbriefe  in  „Neues  Archiv"  V  [1879]  383), 

den  Judex  Leo  in  Sardinien  beauftragt,  lana  so  scheint  es  sich  hier  nicht  um  liturgische 

marina  für  jeden  Preis  zu  kaufen,  weil  er  sie  Kleider ,    sondern    um    die    außerliturgische 

für  seine  und  seiner  Palastgeistlichen  Festtags-  Festgewandung  zu    handeln, 
kleidung  nötig  habe  (Britische  Sammlung  der  2  Exordium  Cisterc.  c.   17   (M.  166,   1509). 


202 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obereewänder. 


das  Abendland  ergoß.  Das  byzantinische  Kaiserreich  entsandte  seine  panni 
de  Romania,  Syrien  sein  diasprum  de  Antiochia;  aus  Ägypten  und  Persien 
kamen  die  panni  tartarici,  aus  Bagdad  der  baldequinus,  von  Cypern  die  panni 
Cyprenses.  Die  Mauren  boten  ihre  glänzenden  panni  hispanici  zum  Kauf  an, 
Lucca  das  bald  hochberühmte  opus  lucanum,  Venedig  seine  herrlichen  panni 
de  Venetiis,  Genua  seine  kaum  geringer  geschätzten  panni  ianuenses.  Kein 
Wunder,  daß  bei  dem  Eifer,  der  alle  Welt  für  die  Förderung  der  Ehre 
Gottes  erfüllte,  dem  tiefgläubigen  Frommsinn  des  Volkes,  das  mehr  auf  den 
Glanz  des  Gotteshauses  und  des  Gottesdienstes  wie  auf  den  Schmuck  und 
die  Behaglichkeit  des  eigenen  Heims  bedacht  war,  und  jener  wahrhaft  fürst- 
lichen Freigebigkeit  gegenüber  den  Kirchen,  welche  hoch  und  niedrig  im  13., 
14.  und  15.  Jahrhundert  beseelte,  die  Schränke  und  Truhen  der  Sakristeien 
sich  immer  mehr  mit  kostbaren  seidenen.  Meßgewändern  füllten. 

Allerdings  gab  es  auch 
jetzt  noch  vor  wie  nach  Meß- 
gewänder aus  Wollzeugen,  aus 
Leinwand  und  Baumwolle.  Be- 
finden sich  doch  unter  den 
30  mittelalterlichen  Kasein  im 
Herzoglichen  Museum  zu  Braun- 
schweig nicht  weniger  als  zwölf, 
die  aus  feinem  einfarbigem  ro- 
tem ,  grünem  oder  violettem 
Wollstoff  gemacht  sind.  In- 
dessen waren  nach  Ausweis  der 
Inventare  derartige  Meßgewän- 
der bei  weitem  nicht  mehr  das 
Gewöhnliche,  namentlich  nicht 
in  hervorragenderen  Kirchen. 
Insbesondere  begegnet  man  im 
späteren  Mittelalter  in  den  In- 
ventaren  nur  selten  mehr  Kasein 
aus  Linnen  oder  Baumwolle. 
Ganz  ausgestorben  waren  solche 
freilich  noch  nicht.  Erwähnt  doch  sogar  das  Schatzverzeichnis  des  Aposto- 
lischen Stuhles  aus  dem  Jahre  1329  noch  unam  planetam  albam  de  tela 
bombacina  seu  fustamica,  tarnen  modici  valoris.  Desgleichen  sind  in  den 
Inventaren  von  St  Peter  aus  dem  14.  und  15.  Jahrhundert  noch  eine  An- 
zahl von  Kasein  dieser  Art  verzeichnet1.  So  heißt  es  zum  Jahre  1361:  9  pla- 
netae  de  panno  lineo  albo  cum  aliquibus  crucibus  de  sindone  rubeo  sine  signo 
et  sine  fodere  (Futter);  zum  Jahre  1436:  planetae  albae  de  panno  lineo 
numero  6,  zum  Jahre  1454/1455:  planetae  lineae  inter  bonas  et  malas 
numero  15.  Beispiele  solcher  Kasein  aus  Leinwand  befinden  sich  noch  jetzt 
zu  Castel  S.  Elia,  in  St-Donat  zu  Arlon,  im  Dom  zu  Halberstadt.  Zu  Castel 
S.  Elia  gibt  es  ihrer  nicht  weniger  denn  fünf  (Bild  88),  während  der 
Dom  zu  Halberstadt  ihrer  zwei  besitzt.  Die  Besätze  dieser  Meßgewänder 
bestehen  meist  in  schmalen  Streifen  von  roter  Seide  oder  blauer  Leinwand. 
Statt   einfachen  Linnens   benutzte  man  auch  wohl  mit   dem  Model    bedruckte 


■&■ 


Bild  88.     Leinwandkasel.     Castel  s.  Elia. 


1  Müntz  e  Frothingham,  II  tesoro  di  S.  Pietro  39  81  97. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


203 


Leinwand.  Ein  derartiges  Meßgewand  besitzt  z.  B.  noch  die  Kirche  zu  Husaby 
in  Schweden1,  ein  anderes  veröffentlichte  der  Strafiburger  Antiquar  Forrer 
unter  der  romanhaften  Bezeichnung  „Pestkasel" 2.  Eine  solche  bedruckte 
Kasel  ist  auch  wohl  in  einem  Inventar  der  Kathedrale  von  Chälons  aus  dem 
Jahre  1410  gemeint,  wenn  es  darin  heißt:  casula  de  tela  nigra,  duplex  de 
tela  alba,  depicta  de  diversis  operibus  factis  ad  colores  et  supra  partem  nigram 
loco  aurifrisii  est  una  banda  stricta  ad  crucem  de  pari  opere3. 

Die  einzigen  Bestimmungen  über  den  Stoff  des  Meßgewandes,  welche 
aus  dem  Mittelalter  vorliegen,  wurden  bereits  erwähnt;  es  sind  die  Verord- 
nung Riculfs  von  Soissons  aus  dem  Ende  des  9.  und  das  Statut  des  hl.  Stephan 
Harding  aus  dem  Beginn  des  11.  Jahrhunderts.  Möglich,  daß  auch  sonst 
noch  gelegentlich  ähnliche  partikuläre  Bestimmungen  über  das  Material  der 
Kasein  erlassen  wurden,  doch  ist  das  jedenfalls  schwerlich  häufig  vorgekommen. 
Ein  allgemein  verbindliches  Gebot  ist  niemals  im  Mittelalter  in  Betreff  dieses 
Punktes  ergangen. 

Die  Stoffe,  welche  man  im  Mittelalter  zur  Kasel  verwendete,  scheinen 
bis  ins  12.  Jahrhundert  hinein  meist  einfarbig  gewesen  zu  sein.  Darauf 
lä&t  schon  der  Umstand  schließen,  daß  diese  auf  den  Monumenten,  angefangen 
von  den  Mosaiken  des  5.,  6.  und  7.  Jahrhunderts  bis  zu  den  Miniaturen  des  12., 
regelmäßig  als  einfarbiges  Gewand  auftritt,  obschon  es  doch  sonst  an  bunt- 
gemusterten Kleidern  auf  ihnen  nicht  fehlt.  Es  ist  fast  eine  Ausnahme,  wenn 
sie  auf  dem  Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen  und  einigen  wenigen 
verwandten  Darstellungen  mit  Gruppen  von  je  drei  Goldpunkten  verziert  ist. 
Noch  bemerkenswerter  und  wichtiger  ist  jedoch,  daß  die  noch  vorhandenen 
Kasein  aus  dem  10.  und  11.  Jahrhundert  beinahe  alle  einfarbig  gelb,  purpurn, 
blau,  braun  usw.  sind.  Etwaige  Muster  sind  auf  ihnen  nicht  durch  Wechsel 
in  der  Farbe,  sondern,  wie  es  bei  den  Damastgeweben  geschieht,  durch  Wechsel 
in  der  Bindung  erzielt  worden.  Sie  sehen  aus,  als  ob  sie  dem  Grund  bloß 
eingeritzt  wären,  und  sind  in  ihren  Einzelheiten  oft  nur  mit  Mühe  erkennbar. 
Sie  sind  die  Vorläuferinnen  ausgebildeter  Damaste  und  als  solche  für  die  Ge- 
schichte der  Textilkunst  von  großer  Bedeutung.  Die  einzigen  Beispiele,  welche 
eine  andersfarbige  Musterung  aufweisen,  sind  die  Adlerkasel  zu  Brixen  mit 
ihren  mächtigen  dunkeln  Adlern  auf  rotpurpurnem  Grund  und  die  sog.  Ebbo- 
kasel  im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Sens  mit  ihren  großen  gelben  Weinblättern 
und  Rosetten  auf  weißem  mit  Adlern  damaszierten  Fond. 


1  Revue  1867,  211.  Eine  Kasel  aus  be- 
drucktem Linnen,  welche  wir  in  einer  Privat- 
sainmlung  zu  Robecco  bei  Cremona  sahen, 
dürfte,  wie  es  scheint,  nur  das  Futter  einer 
Kasel  gewesen  sein. 

2  Die  Kunst  des  Zeugdrucks ,  Straßburg 
1898,  Tfl  sxvi,  87.  Forrer  hat  die  Bezeich- 
nung „Pestkasel"  Bock  entlehnt.  Pestkasein 
nannte  dieser  die  Linnenkasein,  weil  er  meinte, 
man  habe  sie  getragen,  wenn  man  zur  Pest- 
zeit den  vom  schwarzen  Tod  Befallenen  das 
Viatikum  gebracht.  Linnenkasein  habe  man 
alier,  statt,  wie  Vorschrift,  Kasein  aus  Seide, 
zu  diesem  Zwecke  genommen ,  um  sie  nach 
dem  Gebrauch  waschen  zu  können  und  so 
weitere  Ansteckung  zu  verhüten  (Bock 
II  2-19    und   Die  Anfange    der  Druckerkunst 


in  Bild  und  Schrift,  Leipzig  1866,  14). 
Bock  hat  außer  acht  gelassen ,  daß  es  im 
13.,  14.  und  15.  Jahrhundert  nicht  Sitte  war, 
bei  Verseilgangen  das  Meßgewand  zu  tragen, 
sondern  Albe  oder  Superpelliceum  (vgl.  oben 
S.  138)  und  Stola,  daß  überhaupt  eine  Kasel 
bei  dieser  Funktion  und  zumal  bei  Pestkranken 
sehr  unbequem  und  unangebracht  gewesen 
wäre,  und  daß  Bestimmungen  über  den  Stoff 
des  Meßgewandes  erst  mehrere  Jahrhunderte 
später  erlassen  wurden,  nicht  aber,  wie  Bock 
annimmt,  schon  im  Mittelalter  bestanden.  Aus- 
führlicheres über  die  angeblichen  Pestkasein 
in  einem  Aufsatz  des  Verfassers  in  „Stimmen 
aus  Maria-Laach"  LIX  (1900)  361  ff. 

3  De  Farcy  67.    Sonst  sind  uns  bedruckte 
Linnenkasein  in  Inventaren  nicht   begegnet. 


204 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänc 


Eine  erhöhte  Verwendung  von  zwei-  und  mehrfarbigen  Seiden- 
zeugen scheint  erst  das  12.  Jahrhundert  gebracht  zu  haben.  Im  13.  werden 
solche  Stoffe  dann  unter  dem  Einfluß  der  allgemein  steigenden  Prachtliebe 
mit  immer  größerer  Vorliebe  gebraucht,  im  14.  und  15.  aber  ist  ihre  Ver- 
wertung zur  Herstellung  der  Meßgewänder  etwas  ganz  Gewöhnliches,  wie 
nicht  nur  die  noch  vorhandenen,  manches  Tausend  betragenden  Kaselreste  aus 
jener  Zeit,  sondern  auch  die  Inventare  mit  ihren  oft  ins  einzelne  gehenden 
Beschreibungen  der  Kaselstoffe  bekunden. 

Die  Dessins,  welche  sich  auf  den  mittelalterlichen  Paramentenstoffen 
finden,  sind  äußerst  mannigfaltig,  doch  haben  die  einzelnen  Perioden  ihre  be- 
sondern, die  betreffende  Zeit  kennzeichnenden  Typen1.  Für  die  gemusterten 
Stoffe  der  Frühe  des  2.  Jahrtausends  kommen  deren  namentlich  zwei  in  Be- 
tracht.    Für   den   einen   ist   eine   Einteilung   in   Felder   charakteristisch.     Sie 

sind  bald  größer  bald 
kleiner     und     bestehen 


meist  aus  Kreisen,  die 
sich  in  wagerechter  und 
senkrechter  oder  in 
schräger  Richtung  an- 
einander reihen ,  oder 
aus  spitz-ovalen ,  von 
wellenförmigen  Streifen 
eingeschlossenen  Kom- 
partimenten,  doch  auch 
wohl  aus  Polygonen, 
vierpaßähnlichen  Gebil- 
den u.  ä.  Gefüllt  sind 
die  Felder  bald  mit  Tier- 
unholden (Löwen,  Dra- 
chen, Greife,  Adler  usw.), 
die  hier  einzeln,  dort 
paarweise  angebracht 
sind  (Bild  89),  bald  mit 
leichten  phantastischen, 
halb  geometrischen  und 
halb  vegetabilischen  Gebilden.  Ein  zweiter  häufiger  Typus  der  Dessins  auf 
den  Geweben  des  10.,  11.  und  12.  Jahrhunderts  besteht  in  größeren  oder 
kleineren  sitzenden,  schreitenden  oder  aufspringenden  Tiergestalten,  welche 
ohne  alle  Umrahmung  einzeln  oder  zu  zweien  in  regelmäßigen  horizontalen 
Reihen  übereinander  angeordnet  sind.  Ein  Beispiel  desselben  bietet  die  Brixener 
Adlerkasel  mit  ihren  gewaltigen  Adlern,  eines  der  hervorragendsten  Specimina 
dieses  Typus  (Bild  73,  S.  181). 

Im  13.  Jahrhundert  verschwinden  die  bisherigen  Typen  allmählich.  Sie 
werden  durch  einen  neuen  verdrängt,  der  bald  zu  größter  Beliebtheit  gelangt, 
das  ganze  14.  Jahrhundert  tonangebend  ist  und  sich  bis  tief  in  das  15.  hinein 
zu  behaupten  weiß.  Reichen  doch  seine  letzten  Vertreter  bis  zur  Wende  des 
15.  Jahrhunderts.  Die  starre  Anordnung  und  Teilung  ist  verschwunden.  In 
lebendiger   Komposition   überspinnt   ein   Gemisch   von   Tiergebilden ,   Ranken- 


Bild  89.     Musterung  der  Bernwardskasel.     Hildesheim,  Do 


1  Selbstverständlich  kann  hier  nur  auf  die 
charakteristischsten     aufmerksam      gemacht 


werden  ,   da   kein  Abriß    der  Geschichte  der 
Weberei  geboten  werden  kann  und  soll. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  205 

und  Laubwerk,  Monden,  Sonnen,  Sonnenstrahlen,  Wolken  und  Inschriften  in 
immer  neuen  und  wechselnden  Verbindungen  die  Stoffe.  Man  weiß  nicht, 
was  man  an  diesen  Mustern  mehr  bewundern  soll,  die  schier  endlose  Er- 
findungsgabe der  Zeichner  oder  ihren  feinen  Sinn  für  harmonische  Gruppierung, 
ebenmäßige  Verteilung  von  Grund  und  Musterung  und  wohltuende,  bei  aller 
Frische  zart  abgestimmte  Farbenzusammensetzung.  Ein  besonderer  Vor- 
zug dieser  Stoffe  vor  den  früheren  besteht  in  der  reichlichen  Verwendung 
von  Gold,  wie  sie  freilich  erst  durch  Benutzung  des  sog.  Cyperngoldes  an 
Stelle  echter  Goldfäden  ermöglicht  wurde.  Waren  vordem  nur  einzelne 
kleinere  Partien  der  Dessins,  wie  z.  B.  Köpfe,  Klauen,  Krallen,  obere  Flügel- 
teile, in  Gold  broschiert  worden,  so  wurde  jetzt  mit  Hilfe  des  billigeren, 
mittels  vergoldeten  Häutchen  hergestellten  Goldfadens,  der  ohne  große  Kosten 
durch  den  ganzen  Stoff  hindurchgeführt  werden  konnte,  das  ganze  Muster  in 
Gold  ausgeführt. 

Sehr  interessant  und  nicht  minder  belehrend  ist,  was  die  Schatzverzeich- 
nisse des  14.  und  15.  Jahrhunderts  über  die  Muster  der  Paramentenstoffe 
erzählen.  Wer  sich  mit  den  mittelalterlichen  Textilien  vertraut  gemacht  hat, 
glaubt  manchmal  die  Gewebe  selbst  vor  sich  zu  sehen ,  so  eingehend  sind 
nicht  selten  die  Beschreibungen,  welche  von  den  Stoffmustern  nach  Gegen- 
stand und  Farbe  geboten  werden.  Zu  den  vorzüglichsten  Inventaren  dieser 
Art  gehört  das  Inventar  von  St  Veit  zu  Prag  aus  dem  Jahre  1387. 

Es  ist  eine  bunte  Folge  von  Dessins ,  die  es  zu  verzeichnen  weiß ,  und  kaum 
minder  bunt  ist  die  Eeihe  der  Motive,  die  bei  den  Mustern  zur  Verwendung  gekommen 
sind.  Da  begegnen  uns  Greife,  Adler,  Hasen,  grolle  und  kleine  Vogelgestalten,  Löwen, 
Leoparden  ,  Elefanten  ,  Hirsche ,  ein-  und  mehrschwänzige  Drachen  ,  Hunde  ,  Fische, 
geflügelte  Eosse,  Schwäne,  Pfauen,  Pelikane  und  andere  mehr  oder  weniger  phantastische 
oder  naturalistische  Tiergestalten;  dann  Rosen,  Lilien,  Glockenblumen,  großes  und  kleines 
Blattwerk  und  sonstige  meist  nur  als  flores  bezeichnete  vegetabilische  Gebilde ;  ferner 
Kreuze,  Sterne,  Pfauenfedern,  sarazenische  (litterae  gentiles)  und  lateinische  Inschriften, 
Kronen ,  Kreise ,  schachbrettartige ,  gewürfelte  und  gestreifte  Musterungen ,  Punkte, 
kleine  goldene  Scheiben  nach  Art  von  Goldmünzen,  Türme;  weiterhin  Frauengestalten, 
geflügelte  Frauenköpfe,  Mädchen  mit  einem  Körbchen  und  kleinen  Vögeln,  Hände,  die 
Hunde  festhalten,  mit  Ketten  am  Fuß  gefesselte  Tiere,  wasserschöpfende  Mädchen, 
strahlende  Sonnen  u.  a.  im  mannigfaltigsten  Wechsel  und  immer  neuen,  von  geradezu 
unerschöpflicher  Phantasie  zeugenden  Verbindungen.  Aus  den  vielen  hier  nur  einige 
Beispiele.  Da  gab  es  ein  schwarzes  Pluviale,  auf  dem  in  Gold  gewebt  Hunde  in  Umfriedi- 
gungen dargestellt  waren ,  über  ihnen  die  Sonne,  welche  ihre  Strahlen  auf  sie  herab- 
sandte. Auf  einem  andern  sah  man  auf  rotem  Fond  in  Gold  große  Vögel,  zwischen 
deren  Krallen  ein  Menschenhaupt  angebracht  war ,  im  Wechsel  mit  kleinen  Vögeln 
dargestellt,  welche  im  Schnabel  einen  Zweig  und  in  den  Krallen  ein  Tuch  hielten ; 
wieder  ein  anderes  wies  auf  rotem  Grund  goldene  Hirschkälber  und  grüne  Bäume 
auf.  Zahlreich  sind  die  Muster,  in  die  goldenes  oder  farbiges  Blumen-  und  Banken- 
werk mit  Drachen,  Löwen,  Adlern  oder  sonstigem  mehr  oder  weniger  phantastisch 
behandeltem  Getier  eingewoben  waren.  Auf  einem  Seidenstoff,  den  Herzog  Johannes  von 
Görlitz  bei  den  Execpuien  eines  Paulus  von  Wlassym  geschenkt,  gewahrte  man  auf 
grünem  Fond  in  Gold  Löwen,  Bäume,  pelikanartige  Vögel,  die  auf  den  Bäumen  ihre 
Jungen  atzten ,  und  Drachen ,  die  mit  den  Löwen  kämpften.  Ein  anderes  Zeug  ent- 
hielt auf  rotem  Grund  inmitten  von  Ranken  und  Blumen  in  Gold  und  farbiger  Seide 
goldene  Vögel,  die  mit  den  Klauen  kleine  Tiere  gepackt  hatten,  sowie  goldene  Hunde, 
die  aus  einem  von  Strahlen  umglänzten  Dorngebüsch  hervortraten.  Ein  Pluviale  aus 
rotem  Brokat  war  mit  goldenen  Vögeln,  Vierfüßlern  und  Buchstaben  gemustert.  Auf 
einem  gelb  und  weiß  gestreiften  Altarbehang'  waren  Reiter  in  gelben  Kreisen  zur 
Darstellung  gekommen. 


206  Zweitei  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Das  hervorstechendste  Gewebemuster  des  15.  Jahrhunderts  ist  der  Granat- 
apfel. Eine  Schöpfung  des  ausgehenden  14.  Jahrhunderts,  wußte  es  bald  mit 
den  immer  neuen  reizenden  Variationen,  in  denen  es  auftrat,  allen  andern 
Dessins  den  Rang  abzulaufen.  Seine  höchste  Blüte  fällt  etwa  in  die  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts.  Es  sind  wahrhaft  köstliche  Formen,  in  die  es  sich 
um  diese  Zeit  kleidet.  Dann  beginnt  es  allmählich  zu  entarten,  ohne  jedoch 
an  Beliebtheit  zu  verlieren.  Nachklänge  des  Granatapfelmusters  erhalten  sich 
im  ganzen  16.  Jahrhundert;  ja  selbst  im  17.  treten  noch  häufig  genug  Spuren 
desselben  auf. 

Es  war  eine  Zeit,  da  man  in  den  Mustern  der  mittelalterlichen  Stoffe  viel 
Symbolik  finden  wollte.  Kaum  ein  Dessin,  für  das  man  nicht  eine  mystische  Deutung 
versucht  hätte ,  und  zwar  wußte  der  eine  für  die  Tierunholde  oder  den  Granatapfel 
noch  eine  tiefsinnigere  Erklärung  als  der  andere.  Kein  Wunder,  daß  man  die  mittel- 
alterlichen Stoffe  mit  Vorzug  als  kirchlich  pries.  Man  war  indessen  auf  einem  Irrweg, 
wie  heute  jeder  gesteht,  der  sich  näher  mit  den  mittelalterlichen  Textilien  beschäftigt 
hat.  Die  religiöse  Symbolik,  welche  man  in  diesen  zu  finden  vermeinte,  ist  den  Künstlern, 
welche  die  Muster  entwarfen ,  in  den  allermeisten  Fällen  durchaus  fremd  gewesen. 
Ein  beträchtlicher  Teil  der  Paramentenstoffe  war  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters 
sarazenischen  oder  maurischen  Ursprungs ;  die  Seidenzeuge  aber,  welche  Lucca,  Venedig 
und  Genua  schufen ,  erweisen  sich  zum  sehr  großen  Teil  als  mehr  oder  minder  freie 
Kopien  orientalischer  Dessins,  bei  denen  selbst  die  arabischen  Inschriften,  Lobpreisungen 
Allahs  oder  irgend  eines  Sultans,  ein  Koranspruch  u.  ä.  nachgebildet  wurden.  Es  hat 
allerdings  auch  Stoffe  mit  spezifisch  christlich-religiösen  Mustern  gegeben ,  sie  waren 
aber  keineswegs  häufig.  Unter  den  vielen  Tausenden  von  Resten  mittelalterlicher 
Gewebe,  die  in  unsern  Sakristeien  und  Museen  aufbewahrt  werden,  findet  sich  nur 
ein  äußerst  kleiner  Bruchteil,  dessen  Musterung  eine  christlich-religiöse  Symbolik  zu 
Grunde  liegt.  Man  war  im  Mittelalter  ungemein  frei  in  der  Verwendung  gemusterter  Stoffe. 
Würde  man  auf  den  Gegenstand  der  Muster  gesehen  haben,  hätte  man  sicherlich  bei  Aus- 
wahl der  Paramentenstoffe  mit  mehr  Unterscheidung  verfahren.  Denn  Löwen,  die  Gazellen 
würgen,  Falken,  die  auf  Hasen  stoßen,  zähnefletschende  Hunde,  die  an  der"  Kette 
liegen,  Halbmonde  um  Halbmonde,  Mädchen,  die  Wasser  schöpfen,  um  Hunde  damit  zu 
tränken ,  Frauengestalten ,  die  aus  einer  Tritonsmuschel  hervorragen  und  Netze  aus- 
werfen, Schwäne,  die  über  das  Wasser  rudern,  Affen  im  Spiel  mit  einem  Hund,  der 
auf  einem  vierräderigen  Karren  sitzt,  ein  Hund  im  Kampf  mit  einem  ergrimmten 
Schwan,  Anrufungen  Allahs  u.  ä.  sind  nicht  gerade  passende  Darstellungen  für  Meß- 
gewänder und  sonstige  Paramente.  Allein  der  Gegenstand  des  Musters  war  es  nicht, 
der  anzog  und  gefiel,  sondern  dessen  Wirkung.  Die  Löwen,  Hunde,  Drachen,  Adler, 
Wolken,  Strahlen  und  was  sich  sonst  noch  an  Dessins  dem  Blick  immer  wieder  auf 
den  mittelalterlichen  Stoffen  darbietet,  waren  für  ihre  Zeit  dasselbe,  was  die  Tulpen, 
Blumenbouquets  u.  ä.  auf  den  Seidenzeugen  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  darstellten, 
bloßes  Ornament.  Man  verband  mit  ihnen  nicht  mehr  Sinn  wie  mit  den  arabischen  In- 
schriften, welche  uns  bald  als  sarazenische  Originale  bald  als  mehr  oder  weniger  gute  Kopien 
auf  so  zahlreichen  mittelalterlichen  Stoffen  begegnen  und  so  sehr  als  bloßes  Ornament 
angesehen  wurden,  daß  die  lucchesischen  Seidenweber  sie  schlechthin  kopierten,  obwohl 
es  ihnen  ein  leichtes  gewesen  wäre ,  sie  durch  religiöse  Sprüche  in  lateinischer  oder 
italienischer  Sprache  zu  ersetzen.  Was  bei  den  Stoffen  Eindruck  machte  und  gefiel, 
ist  ebendasselbe,  was  sie  allzeit  für  Paramentenstoffe  als  vorbildlich  erscheinen  läßt, 
die  reiche  Pracht,  die  edle  Komposition,  die  feste  Stilisierung,  die  geschmackvolle 
Farbengebung ,  die  Vermeidung  aller  plastischen  Behandlung  des  Dessins,  die  Ur- 
sprünglichkeit der  Darstellung  und  der  schier  unerschöpfliche  Reichtum  der  Erfindung 
in  Verbindung  mit  weisestem  Maßhalten. 

Auch  der  Umstand,  daß  man  die  gleichen  gemusterten  Gewebe  sowohl  im  All- 
tagsleben und  zu  profanen  Zwecken ,  als  auch  im  Dienste  des  Kultus  und  zu  kirch- 
lichen Zwecken  zu  verwenden  pflegte,  bekundet,  wie  wenig  man  mit  den  Dessins  eine 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


207 


religiöse  Symbolik  verband.  Dieselben  Muster,  welche  wir  auf  mittelalterlichen  Kasein 
und  sonstigen  Paramenten  antreffen,  kamen  bei  profanen  Festtagskleidern,  bei  De- 
korationsstücken weltlicher  Prachträume,  ja  selbst  bei  Pferdeschabracken  vor. 

Erst  die  allerneueste  Zeit  sollte  über  den  Stoff  der  Kasel  feste  Bestim- 
mungen bringen.  Nicht  einmal  die  eingehenden  Vorschriften  des  hl.  Karl  bezüg- 
lich des  Meßgewandes  und  die  diesbezüglichen  Verordnungen  der  Prager  Synode 
vom  Jahre  1605  hatten  über  ihn  ein  Wort  verlauten  lassen.  Es  gab  darum 
auch  bis  ins  vorige  Jahrhundert  hinein  in  den  Sakristeien  neben  seidenen  und 
halbseidenen  vor  wie  nach  wollene  und,  wenngleich  nur  vereinzelt,  aus  Lein- 
wand gemachte  Meßgewänder.  Aus  demselben  Grunde  begreift  es  sich,  wie  es 
möglich  war,  daß  man  im  18.  Jahrhundert  sogar  dazu  übergehen  konnte, 
Kasein  aus  Leder  anzufertigen. 

Es  war  keineswegs  wertloses  Zeug,  was  man  zur  Herstellung  dieser 
ledernen  Meßgewänder  verwertete.  Das 
Leder  war  nach  Art  der  Ledertapeten  ver- 
goldet, mit  Blumen  bemalt  und  mit  Pres- 
sungen versehen,  aber  es  war  doch  zuletzt 
nur  ein  Stoff,  der  sich  allenfalls  für  einen 
Koller,  nicht  aber  für  ein  Meßgewand  eignete. 

Es  hat  sich  noch  eine  ziemliche  Anzahl 
von  Lederkasein  erhalten.  Ein  aus  schwarzem, 
teilweise  vergoldetem  und  versilbertem  Leder 
hergestelltes  Meßgewand  befindet  sich  zu  Ken- 
denich  in  der  Nähe  von  Köln.  Ein  weiteres 
besitzt  die  Kirche  zu  Billerbeck.  Das  bischöfliche 
Museum  zu  Münster  bewahrt  noch  zwei  lederne 
Meßgewänder  samt  den  dazu  gehörigen  Stolen 
und  Manipeln  auf.  Das  eine  hat  einen  silbernen, 
buntgemusterten  Grund  und  ein  rotes,  mit  Gold- 
und  Silbermusterung  versehenes  aufgemaltes 
Kreuz ;  bei  dem  andern  ist  der  vergoldete  Grund 
mit  Blumen  ausgestattet,  während  die  Stäbe  Gold- 
muster auf  Silbergrund  aufweisen.  Das  Landes- 
museum zu  Zürich  besitzt  drei  Lederkasein.  Zu 
allen  dreien  ist  noch  die  Stola,  zu  einer  auch 
der  Manipel  vorhanden.  Sie  gleichen  vollständig 
den  Kasein  im  bischöflichen  Museum  zu  Münster. 
Auch  im  kgl.  Kunstgewerbemuseum  zu  Berlin  gibt  es  drei  Lederkasein,  von  denen 
die  eine  einen  Goldfond  mit  silbernen  Banken  und  blaue,  silbergemusterte  Stäbe, 
die  zweite  einen  mit  Goldblumen  geschmückten  roten  Fond  und  silberne,  gold- 
gemusterte Stäbe,  die  dritte  einen  blau  lasierten  Silbergrund  mit  silbernen  und  farbigen 
Dessins  und  goldene,  mit  silberner  und  farbiger  Musterung  versehene  Stäbe  aufweist. 

In  Württemberg  befinden  sich  noch  Lederkasein  zu  Delkhofen  (O.-A.  Spaichingen), 
zu  Mochenwangen  (O.-A.  Ravensburg),  in  der  Schloßkapelle  zu  Oppenweiler  (O.-A. 
Backnang)  und  in  der  Altertumssammlung  zu  Stuttgart '.  Auch  das  Germanische 
Museum  zu  Nürnberg  und  das  bischöfliche  Museum  zu  Eichstätt  besitzen  je  ein 
Exemplar  dieser  ledernen  Meßgewänder  (Bild  90).  Eine  Lederkasel  mit  zugehörigen 
ledernen  Levitengewändern  birgt  die  Stiftskirche  zu  Oberwesel. 

Die  Lederkasein,  welche  recht  häufig  gewesen  sein  müssen2,  stellen  in 
jeder  Beziehung   den  Höhepunkt   der  Verbildung   der  einst  so   majestätischen 


Bild  90.     Lederkasel. 
Eichstätt,  Bischöfliches  Palais. 


1  P.  W.  Keppler,  Württembergs  kirchl. 
Knnstaltertümer,  Rottenburg  1888,  lxxvi. 


-  Vgl.  auch  Swoboda,  Das  Parament  und 
seine  Geschichte,  in  „Mitt.  desK.  K. Museums", 


208 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Glockenkasel  dar.  Sie  sind  überkurz  und  überschmal  und  gleichen  an  der 
Vorderseite  vollständig  einem  Kinderschürzchen.  Es  mußte  in  der  Tat  das 
faltenreiche  Meßgewand  erst  zum  leblosen,  steifen,  platten  Küraß  werden, 
ehe  Mißgeburten  wie  die  Lederkasein  das  Tageslicht  begrüßen  durften.  Dauer- 
haft waren  dieselben  freilich;  sie  waren,  wo  sie  nicht  etwa  von  Mäusen  ge- 
fressen wurden,  wirklich  unverschleißbar,  höchstens,  daß  man  sie  hie  und  da 
einmal  mit  etwas  Lack,  Farbe  und  Blattgold  aufzuputzen  hatte.  Die  Leder- 
kasein blieben  noch  teil- 
weise bis  in  das  19.  Jahr- 
hundert hinein  im  Gebrauch, 
wenngleich  neue  in  dem- 
selben wohl  kaum  mehr 
angefertigt  worden  sein 
dürften. 

Die  Lederkasein  waren 
eine  arge  ästhetisch-litur- 
gische Verirrrung  und  doch 
noch  nicht  die  schlimmste. 
Eine  ärgere  war  die  Kasel 
aus  Stroh,  von  der  im 
„  Kirchenschmuck "  erzählt 
wird.  Von  moderner  Form 
natürlich  und  mit  Verzie- 
rungen und  Besätzen  ver- 
sehen, die  gleichfalls  aus 
t*»  Stroh  gemacht  waren, 
wurde  sie  als  Meßgewand 
bei  der  ersten  Weihnachts- 
messe —  der  Hirtenmesse — 
gebraucht1.  Die  Meinung 
dessen,  der  die  Kasel  an- 
fertigen ließ,  war  gewiß 
gut,  das  Gewand  aber, 
wenn  man  es  so  überhaupt 
nennen  kann,  der  ärgste 
Frevel  am  guten  Geschmack 
und  an  der  liturgischen 
Sitte,  ein  ästhetisch-litur- 
gischer Unsinn.  Eine  Kasel 
dieser  Art  befindet  sich  im 
Dom  zu  Prag  (Bild  91). 
Seit  etwa  dem  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  entsprachen  die  gemusterten 
Stoffe  wenig  mehr  dem  Ernst  und  der  Würde  des  Gottesdienstes.  Die  Dessins 
waren  zu  unruhig,  zu  bunt,  zu  schwulstig,  später  zu  naturalistisch,  zu  nüchtern. 
Dazu  kam  seit  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  unter  dem  Einfluß  der  Re- 
volution  der   qualitative  Niedergang   der  Seidenstoffe.     Es   mußte  sich  daher 


Bild  91.     Kasel  aus 
(Aus  Podlaiia  u.  Sittler, 


Stroh.      Prag,  Domschatz. 
Der  Domschatz  zu  Prag.) 


Neue  Folge,  10.  Jahrg.,  Hft  7,  Wien  1895; 
ferner  die  Kataloge  der  Ausstellungen  zu 
Münster  von  1879  (5  Lederkasein),  Brüssel 
von  1888  (1  Lederkasel),  Augsburg  von  1886 


(1  Lederkasel),  Paderborn  von  1899  (2  Leder- 
kasein j  und  zu  Wien  von  18S7(  10  Lederkasein). 
1  Jahrg.  1857,  I  60.    Gemeint  ist  wohl  die 
Strohkasel  im  Dom  zu  Prag. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  209 

das  Bestreben  derjenigen,  welche  in  den  fünfziger  Jahren  des  letzten  Jahr- 
hunderts alle  Hebel  zu  einer  Reform  des  Paramentenwesens  in  Bewegung 
setzten,  auch,  und  zwar  nicht  zum  wenigsten,  auf  die  Herstellung  von  Ge- 
weben nach  dem  Muster  der  mittelalterlichen  Seidenstoffe  richten.  Die  Be- 
mühungen sind  bekanntlich  nicht  fruchtlos  geblieben.  Man  hat  in  Anlehnung 
und  teilweise  unter  Kopierung  alter  Stoffe  Brokate,  Brokatelle,  gemusterten 
Samt  und  Samtbrokate  geschaffen ,  die  sich  kühn  neben  die  mittelalterlichen 
Seidengewebe  stellen  dürfen,  ohne  fürchten  zu  müssen,  von  denselben  in  den 
Schatten  gestellt  zu  werden. 

XIII.   VERZIERUNG  DES  MESSGEWANDES. 

Schon  auf  den  Mosaiken  des  6.  und  7.  Jahrhunderts  finden  wir  die 
Kasel  mit  einem  Besatz  versehen.  In  S.  Venanzo  zu  Rom  besteht  derselbe 
in  einer  Einfassung  des  Halsdurchschlupfes  und  einem  über  die  Brust  sich 
hinabziehenden  Zierstreifen.  Auf  ravennatischen  Mosaiken,  wie  den  Figuren 
des  hl.  Ecclesius  und  des  Bischofs  Maximian  in  S.  Vitale  und  den  Bischofs- 
bildern der  Apsis  von  S.  Apollinare  in  Classe,  hat  er  die  Form  eines  Gabel- 
kreuzes 1.  Die  ungemein  geringe  Breite,  den  hier  die  Besätze  besitzen,  könnte 
allerdings  bei  oberflächlichem  Zuschauen  dazu  verleiten,  in  ihnen  lediglich  die 
Gewandnähte  zu  erkennen.  Indessen  unterliegt  es  bei  genauerem  Studium 
keinem  Zweifel ,  daß  es  sich  nicht  um  eine  Darstellung  der  Kaselnähte, 
sondern  um  die  eines  Zierbesatzes  handelt.  Denn  erstens  pflegen  sonst  nie 
die  Nähte  der  Gewänder  auf  den  Mosaiken  angedeutet  zu  werden;  zweitens 
ist  nicht  ersichtlich,  weshalb  sie  hier  ausnahmsweise  wiedergegeben  wurden ; 
drittens  dürften  an  den  Stellen ,  wo  die  Schrägstreifen  sich  finden ,  Nähte 
überhaupt  keinen  Sinn  haben;  viertens  endlich  gibt  es  verschiedene  Bildwerke 
aus  der  Zeit,  aus  welchen  die  Mosaiken  entstammen,  auf  welchen  das,  was 
auf  diesen  zuletzt  bei  oberflächlicher  Betrachtung  als  Nähte  gelten  könnte, 
sich  mit  aller  wünschenswerten  Klarheit  und  Bestimmtheit  als  gabelförmiger 
Zierbesatz  kundtut.  Was  dabei  besonders  interessiert,  ist  der  Umstand,  daß 
die  auf  diesen  Monumenten  abgebildeten  Personen,  welche  eine  mit  einem 
Gabelkreuz  geschmückte  Kasel  tragen,  Laien,  und  zwar  vornehmlich  Juden, 
darstellen.  Diese  Bildwerke  sind  eine  Elfenbeintafel  mit  der  Szene  der  Blinden- 
heilung  im  Museo  archeologico  zu  Mailand  (Bild  92,  S.  210),  eine  Elfenbeinpyxis 
im  Britischen  Museum,  auf  welcher  die  Hinrichtung  und  Verehrung  des  hl.  Mennas 
zur  Darstellung  gebracht  ist2,  eine  Miniatur  der  Wiener  Genesis3  und  zwei 
Miniaturen  des  Evangeliars  von  Rossano  (Unteritalien)*.  Die  Elfenbeintafel 
entstammt  der  Kathedra  des  hl.  Maximian  (546 — 556)  im  Dom  zu  Ravenna. 
Die  Person,  welche  darauf  eine  mit  einem  Gabelkreuz  versehene  Kasel  (Pänula, 
Planeta)  trägt,  ist  der  Blinde,  welcher  vom  Heiland  das  Augenlicht  zurück- 
erhielt. Auf  der  Pyxis  findet  sich  der  gabelkreuzförmige  Besatz  bei  einer 
der  Personen,  welche  den  hl.  Mennas  verehren,  der  Stellung  und  Tracht  nach 


1  Auf  den  Abbildungen,  die  von  den  Mo-  2  Gr  ä  ven,  Frühchristliche  und  mittelalter- 

saiken    bei    Garrucci    und    sonst    vorliegen,  liehe  Elfenbein  werke  Ser.  1,  Nr  17. 

kommen    die   Besätze    vielfach    nicht   genug  3  Wickhoff,  Fr.,   Die  Wiener  Genesis, 

zur  Geltung.    Die  gabelkreuzförmigen  Besatz-  Wien  1895,  Tfl  xvi. 

streifen  der  Planeta  auf  den  ravennatischen  4  Haseloff,    Codex    purpureus    Rossa- 

Mosaiken  weisen  unseres  Erachtens  bestimmt  nensis  Tfl  i  n.  Abbildung  auch  bei  B  ei  ssel,  St., 

auf   eine  Beeinflussung   derselben  durch  die  Geschichte   der    Evangelienbücher,    Freiburg 

Kunst  des  Ostens  hin.  1906,  33. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  14 


210 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


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Bild  92.    Elfenbeinrelief  von  der  Kathedra 
Maximians  zu  Ravenna.    Mailand,  Mus.  arch. 


einem  Mann  aus  gewöhnlichem  Stande. 
Die  Miniaturen  des  Codex  von  Rossano, 
welche  das  Gabelkreuz  aufweisen,  sind  die 
Auferweckung  des  Lazarus  und  der  Ein- 
zug Jesu.  Auf  beiden  sind  es  Juden,  bei 
welchen  sich  die  mit  dem  gabelkreuzartigen 
Besatz  geschmückte  Kasel  findet.  Auf  der 
Miniatur  der  Wiener  Genesis,  „Isaak  bei 
Abimelech",  treffen  wir  das  Gabelkreuz 
gleichfalls  bei  Juden,  Isaak  und  seinen  Be- 
gleitern, an.  Hervorgehoben  muß  werden, 
daß  die  das  Kreuz  bildenden  Besatzstreifen 
auch  auf  diesen  Bildwerken  fast  überall 
sehr  schmal  sind. 

Selbst  beim  Ausgang  des  10.  Jahr- 
hunderts finden  sich  auf  Kasein  noch  Gabel- 
kreuze von  äußerst  geringer  Breite.  Bei 
der  Adlerkasel  zu  Brixen  (Bild  73,  S.  181) 
sind  die  Besätze  z.  B.  nur  etwa  5  mm  breit ; 
kaum  breiter  war  der  gabelkreuzförmige 
Besatz,  mit  dem  eine  in  den  Stürmen  der 
Revolution  zu  Grunde  gegangene,  gleichfalls 
mit  mächtigen  Adlern  gemusterte  Kasel  in  St  Arnold  zu  Metz  ausgestattet 
war.  Bei  einer  der  St  Ulrichskasein  im  Dommuseum  zu  Augsburg  wird 
das  Gabelkreuz  von  einem  Kördeichen  gebildet  (Bild  70,  S.  178).  Auch 
das  Gabelkreuz,  mit  dem  die  Kasel  Gregors  des  Großen  auf  der  Miniatur 
eines  dem  10.  Jahrhundert  entstammenden  Registrum  S.  Gregorii  in  der 
Stadtbibliothek  zu  Trier  geschmückt  ist  (Bild  93),  besitzt  nur  eine  sehr 
geringe  Breite. 

Sehr  reich  ist  die  Kasel  der  Mönche  des  Klosters  zum  hl.  Martin  zu 
Tours  auf  dem  Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen  mit  Besätzen  verziert 
(Titelbild).  Es  umgibt  hier  sowohl  den  Saum  wie  den  Kopfdurchschlupf  des 
Gewandes  eine  Borte;  außerdem  zieht  sich  ein  vertikaler  Zierstreifen  in  der 
Mitte  der  Vorderseite  von  oben  bis  unten  herab.  Dazu  kommt  bei  drei 
Mönchen  ein  Besatz,  der  von  dem  Streifen  auf  der  Brust  aus  über  die  beiden 
Schultern  läuft  und  auf  dem  Rücken  unter  einem  spitzen  Winkel  zusammen- 
stößt. Es  scheint  fast,  als  habe  man  eine  Kapuze  imitieren  wollen;  eine 
wirkliche  Kapuze  findet  sich  jedoch  bei  keinem  der  Mönche. 

Übrigens  sind  mit  Borten  (Aurifrisien,  auriphrygium,  aurifrisium)  ver- 
zierte Kasein  auf  den  Bildwerken  des  1.  Jahrtausends  keineswegs  das  Ge- 
wöhnliche. Es  ist  bezeichnend,  daß  bis  ins  10.  Jahrhundert  hinein  das  Meß- 
gewand in  der  Regel  als  ein  ganz  einfaches,  jedes  Zierbesatzes  entbehrendes 
Gewand  auftritt,  höchstens,  daß  es  etwa  um  den  Hals  eine  schmale  Bor- 
düre aufweist. 

Erst  gegen  die  Wende  des  Jahrtausends  werden  auf  den  Monumenten 
mit  Zierstreifen  versehene  Kasein  häufiger.  Bald  umgibt  ein  Besatz  bloß 
den  Kopfdurchlaß,  bald  umrandet  er  auch  den  Saum  oder  zieht  sich  senkrecht 
über  die  Vorderseite  des  Gewandes  herab.  Hier  mangelt  jeder  Zierbesatz, 
dort  gesellt  sich  zu  dem  Vorderstab  und  der  Einfassung  des  Kopfdurchschlupfs 
und   des   Saums   ein    Vertikalstreifen   in    der   Mitte    der  Rückseite,    während 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


211 


anderswo  die  Besätze  ein  förmliches  Gabelkreuz  bilden.  Auch  kommt  es 
vor,  daß  die  Umbordung  des  Kopfdurchlasses  wie  zu  einem  breiten  Kragen 
ausgestaltet  erscheint.  Kurz,  es  herrscht  auf  den  bildlichen  Darstellungen 
des  10.,  11.  und  12.  Jahrhunderts  ein  völliger  Wirrwarr  in  der  Anbringung 
der  Besätze. 

Daß  indessen  dieses  Durcheinander  nicht  lediglich  auf  die  Phantasie 
der  Künstler  zurückzuführen  ist,  sondern  ein  Spiegelbild  der  Wirklichkeit 
darstellt,  beweisen  die  zahlreichen  Meßgewänder,  die  wir  aus  dieser  Zeit  be- 
sitzen. Bald  fehlt  bei  ihnen  jeder  Besatz,  wie  z.  B.  bei  der  St  Heriberts- 
und der  Bennokasel  (Iburg),  bald  beschränkt  derselbe  sich  auf  eine  Ein- 
fassung des  Halsdurchlasses,  wie  bei  der  St  Bernwards-  und  der  Sixtuskasel, 
bald  besteht  er  außer  in  der  Umbordung  des  Kopf  durch  schlupf  es 
noch  in  einem  Vertikalstab,  sei  es  bloß  an  der  Vorderseite  oder  zugleich 
an  der  Vorder-  und  Rückseite  des  Gewandes,  wie  bei  der  St  Bernardskasel 
zu  Brauweiler  und  Xanten  u.  a.  Ein  Gabelkreuz  finden  wir  bei  der  Adler- 
kasel  zu  Brixen,  den  beiden  Kasein  im  Dommuseum  .zu  Augsburg,  der  St  Mein- 
werkskasel  zu  Paderborn,  den  beiden  St  Wolfgangskaseln  in  St  Emmeram 
und  dem  Dom  zu  Regensburg,  der  St  Regnobertskasel  zu  Bayeux,  dem  jetzigen 
ungarischen  Krönungsmantel  (ursprünglich  ein  von  Stephan  dem  Heiligen  und 
seiner  Gemahlin  gestiftetes  Meßgewand)  u.  a.  Bei  einer  der  St  Ulrichskaseln 
im  Dom  zu  Augsburg  scheint  indessen  das  aus  zwei  parallelen  Börtchen  be- 
stehende Gabelkreuz  eine  Zugabe  aus  späterer  Zeit  zu  sein.  Die  St  Willegis- 
kasel  zu  Aschaffenburg,  welche  jetzt  ebenfalls  ein  Gabelkreuz  aufweist,  war 
ursprünglich  nur  mit  Vertikalstreifen  geschmückt.  Bei  der  St  Willegiskasel  in 
St  Stephan  zu  Mainz  zieht  sich  ein  schmales,  in  eine  Spitze  auslaufendes, 
0,20  m  langes  Goldbörtchen  von  der  Einfassung  des  Kopfdurchlasses  an  eine 
Spanne  weit  über  den  Rücken  herab. 

Um  den  Sauni  ist  ein  Besatz  angebracht  bei  der  Kasel  im  Dom  zu 
Ravenna,  bei  einer  der  St  Ulrichskasein 
im  Dom  zu  Augsburg,  bei  der  St  Wolf- 
gangskasel  zu  St  Emmeram  in  Regens- 
burg, bei  einer  der  Salzburger  Kasein, 
bei  dem  Meßgewand  des  hl.  Thomas 
von  Canterbury  zu  Sens,  der  Kasel  des 
hl.  Edmund  zu  Provins  u.  a.  Er  ist 
bei  keiner  übermäßig  breit,  da  seine 
Breite  nie  0,10  m  weit  übersteigt,  und 
besteht   meistens   aus    einer   Goldborte. 

Auch  an  der  Innenseite  ist  bei 
einigen  Kasein  den  Saum  entlang  ein 
Besatz  aufgenäht,  so  bei  der  St  Mein- 
werkskasel,  der  Kasel  im  kgl.  bayrischen 
Nationalmuseum  zu  München  u.  a.  Er 
hatte  den  Zweck,  den  beim  Aufraffen 
des  Gewandes  zum  Vorschein  kommen- 
den Partien  der  Unterseite  ein  gefällige- 
res Aussehen  zu  verleihen.  Als  Futter 
der  Kasein  wurde  nämlich  für  gewöhn- 
lich nur  geringwertiger  Stoff,  grauliche,  Bild  93.  Miniatur  des  Registers  Greg 
gelbliche ,     rötliche    oder     blaue    Lein-  des  Großen.    Trier,  stadtbftiiothek. 

14* 


212 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


wand  verwendet;  nicht  selten  ließ  man  es  sogar  ganz  beiseite,  weil  es  bei 
den  schweren,  kräftigen  Seidenstoffen,  wie  sie  zur  Anfertigung  der  Kasein 
gebraucht  wurden,  nicht  nur  kein  Bedürfnis  war,  sondern  unter  Umständen 
sogar  sehr  lästig  werden  konnte1.  Der  Besatz  war  in  solchen  Fällen  eine 
Art  Ersatz  für  einen  besseren  Futterstoff.  In  Fällen,  in  denen  die  Kasel  des 
Futters  ganz  entbehrte,  mochte  er  außer  dieser  ästhetischen  auch  noch  die 
praktische  Aufgabe  haben,  den  Saum,  der  am  ehesten  Schaden  leiden  konnte, 
zu  stärken. 

Eine  merkwürdige  Verzierung  weist  die  in  St  Godehard  zu  Hildesheim  auf- 
bewahrte Kasel  auf.  Eine  Skizze  derselben,  welche  die  Hälfte  der  Vorder-  wie  der 
Rückseite  darstellt,  überhebt  uns  einer  näheren  Beschreibung  (Bild  94).  Das  Gewand 
ist  nicht  das  einzige  seiner  Art.  Ähnlicher  Ausstattung  ist  nämlich  auch  das  Meß- 
gewand des  hl.  Thomas  Becket  in  der  Kathedrale  zu  Sens.  Von  einer  dritten  Kasel 
des  gleichen  Typus  haben  wir  nur  noch  aus  der  Abbildung  und  Beschreibung,  die 
Montfaucon  von  ihr  hinterließ,  Kenntnis  2.    Sie  befand  sich  in  der  Kathedrale  zu  Angers 

und  galt,  indessen  mit  Unrecht,  als 
Meßgewand  des  hl.  Bischofs  Lupus 
(t  ca  680).  Leider  wurde  sie,  wie  so 
vieles  andere,  von  den  Stürmen,  die 
am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  über 
Prankreich  dahmbrausten ,  unwieder- 
bringlich weggerafft. 

Ebenfalls  ein  Opfer  der  Revolution 
wurde  eine  sehr  interessante  Kasel  in 
der  Kathedrale  zu  Angers,  bei  welcher 
der  Besatz  auf  dem  Rücken  durch  eine 
oben  und  unten  von  Rankenwerk  des 
Übergangsstiles  umspielte  Reihe  von 
fünf  übereinander  stehenden  Medaillons 
ersetzt  war 3.  Montfaucon  hat  auch 
von  ihr  glücklicherweise  eine  Skizze 
hinterlassen.  Roch  eigenartiger  ist 
die  Verzierung  zweier  um  1200  ent- 
standener Meßgewänder  im  Schatz  der 
Kathedrale  zu  Reims.  Eines  davon  ist 
Wie  man  sieht,  hat  sich  hier  der  Zierbesatz  der  Rückseite 
zu  einem  förmlich  baumartigen  Gebilde  entwickelt. 

Zu  bestimmten  Typen  des  Kaselbesatzes  kommt  es  erst  seit  etwa  dem 
Beginn  des  13.  Jahrhunderts.  Es  sind  deren  zwei,  von  denen  man  den  einen 
den  nordischen,    den   andern  den   italienischen  oder  römischen   nennen    kann, 


Bild  94.      Kasel.      Hildesheim,  St  Godehard. 


in  Bild  95  wiedergegeben 


1  Selbst  von  den  kostbaren  Kasein,  die  im 
Inventar  von  St  Peter  (1361)  verzeichnet 
werden ,  entbehrten  viele ,  wie  ausdrück- 
lich bei  ihnen  angemerkt  ist ,  des  Futters 
(sine  fodere).  Wenn  man  heute  klagt,  daß 
Meßgewänder  von  mittelalterlicher  Form  sehr 
lästig,  weil  zu  schwer  seien,  so  kommt  das 
daher,  daß  man  sie  gerade  wie  moderne 
Kasein  behandelt,  d.  h.  sie  nicht  nur  mit 
einem  kräftigen  Futter,  sondern  obendrein 
noch  mit  einem  besondern  Zwischenstoff  ver- 
sieht. Würde  man  sich  mit  einem  leichten 
Futter  begnügen  oder,  wo  der  Oberstoff  das 
zuläßt,    lediglich    mit   einem  Raudbesatz   an 


der  Innenseite  des  Gewandes,  so  würden  die 
Klagen  bald  verstummen. 

2  Roh.  VII  144,  pl.  dlxxix.  Vgl.  auch 
die  Angaben  de  Farcys  in  Revue  1886,  184. 
Zu  Angers  befanden  sich  vor  der  Revolution 
noch  eine  größere  Anzahl  von  mittelalter- 
lichen Kasein  (ebd.  1885,  183  und  Roh. 
VII  144  171  ;  VIII,  pl.  dcix  dcx).  Eines  der 
Meßgewänder  wurde  irrtümlich  dem  hl.  Licinius 
(f  ca  605)  zugeschrieben. 

3  Ebd.  VIII,  pl.  dcix. 

4  Nur  die  Verzierung  ist  ursprünglich,  das 
Gewand  selbst  ist  erneut.  Gute  Wiedergabe  bei 
d  e  Farcy  pl.  25,  farbig  bei  Bock  II,  Tfl  xn. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


213 


nicht  als  ob  diese  ausschließlich  im  Norden  bzw.  ausschließlich  in  Italien  zur 
Verwendung  gelangt  seien,  sondern  weil  der  eine  im  Norden,  in  Deutschland, 
Frankreich,  England,  der  andere  in  Italien  vorherrschte. 

Beim  nordischen  Typus  war  auf  jeder  der  beiden  Hälften  des  Meßgewandes 
ein  sog.  Gabelkreuz  angebracht.  Die  beiden  Kreuze  hatten  entweder,  wenn- 
gleich nur  selten,  ähnlich  wie  das  Pallium  die  Form  eines   Y    oder  —  und  das 


war  die  Regel  —  die  eines 


T 


und  stießen  auf  den  Schultern  oder  dem  Ober- 


arm mit  ihren  Schrägbalken  zusammen. 

Wir  haben  diese  Verzierungsweise  der  Kasel  schon  auf  den  ravennatischen 
Mosaiken  angetroffen.  Aber  auch  im  Norden  kannte  man  sie  bereits  eine  gute 
Weile  vor  dem  13.  Jahrhundert.  Sie  findet  sich  hier  schon  auf  Bildwerken 
des  10.  und  11.  Jahrhunderts,  wie  z.  B.  einer  Miniatur  der  aus  Fulda  stammen- 
den Laudes  S.  Crucis  Hrabans  in  der  Vatikanischen  Bibliothek  (Bild  96,  S.  214) \ 
der  früher  erwähnten  Darstellung  Gregors  des  Großen  in  dem  Trierer  Fragment 
des  Registrum  S.  Gre- 
goriiM.  (Bild  93,  S.  211) 
und  ein  wenig  später 
bei  Bischof  Bernward 
auf  dem  Widmungsbild 
des  Bernwardevange- 
liars  im  Dom  zu  Hildes- 
heim2. Auch  bei  den 
Kasein,  die  sich  aus  dem 
Ende  des  10.  und  .der 
Frühe  des  11.  Jahrhun- 
derts erhalten  haben, 
kommt  bereits  der  gabel- 
förmige Besatz  vor,  so 
z.  B. ,  wie  wir  früher 
hörten,  bei  der  Adler- 
kasel  zu  Brixen  und  einer  der  St  Ulrichskasein  im  Dommuseum  zu  Augsburg, 
dann  bei  den  Kasein  des  hl.  Wolfgang  zu  Regensburg  und  des  hl.  Meinwerk 
zu  Paderborn  sowie  dem  später  als  Krönungsmantel  verwendeten  Meßgewand, 
welches  1031  König  Stephan  der  Heilige  und  Königin  Gisela  der  Marienkirche 
zu  Stuhlweißenburg  zum  Geschenk  machten.  Ebenso  muß  die  Kasel,  von 
welcher  die  Geschichte  der  Bischöfe  von  Auxerre  in  der  Biographie  Hugos 
von  Chälon  (1000 — 1039)  erzählt,  mit  einem  gabelförmigen  Besatz  versehen 
gewesen  sein.  Denn  wenn  dort  berichtet  wird,  ihre  handbreiten  Besätze  hätten 
ein  Bild  des  Schulterkleides  und  Richtschmuckes  (des  Alten  Testamentes)  nach 
Art  des  erzbischöflichen  Palliums  geboten,  so  kann  das  offenbar  nur  von  einem 
Gabelkreuz  verstanden  werden3. 

Der  gabelförmige  Kaselbesatz  ist  also  keineswegs  eine  Erfindung  des 
13.  Jahrhunderts.  Während  er  aber  vordem  nur  vereinzelt  zur  Anwendung 
kam,  war  er  seit  Ausgang  des  12.  Jahrhunderts  ein  sehr  gewöhnlicher  Schmuck 
des  Meßgewandes,  besonders  aber  in  Deutschland,  Frankreich  und  England, 
so  daß  er  hier  zum  förmlichen  Typus  wurde. 

1  Vat.  Reg.  Lat.  Cod.  124.  -  Beissel,  St.,  Des  hl.  Bernward  Evangelienbuch,  Hildes- 

heini 1891,  Tfl  iv.  3  Hist.  episc.  Autiss.  c.  49  (M.  138,  278). 


Bild   95.      Kasel.      Keims,  Kathedrale. 


214 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewäuder. 


Die  Frage,  wie  es  zur  Entstehung  des  Gabelkreuzes  gekommen,  hat  eine  ver- 
schiedene Beantwortung  erfahren.  Die  einen,  wie  z.  B.  Thalhofer,  führen  sie  auf 
mystische  Erwägungen  zurück.  „Galt  einmal",  so  sagt  dieser,  „das  Meßgewand  als 
iugum  Domini,  dann  lag  es  gewiß  nahe,  auf  demselben  (zunächst  auf  der  Bückseite) 
das  Kreuz  des  Erlösers,  das  eigentliche  iugum  Domini,  abzubilden.'  '  Andere,  wie 
Bock ,  haben  im  Gabelkreuz  eine  Nachahmung  des  erzbischöflichen  Palliums  sehen 
wollen.  „Es  lag  nahe",  meint  derselbe,  „durch  eine  reiche  Stickerei  in  Gold-  und 
Seidenfäden  auf  beiden  Teilen  des  Meßgewandes  die  Form  des  griechischen  Tau  als 
ornamentales  Beiwerk  unbeweglich  aufzunähen  und  zu  befestigen ,  die  als  auszeich- 
nendes Ornatstück  nur  die  Erzbischöfe  und  Metropoliten  in  ähnlicher  Form  und  An- 
legungsweise beweglich  auf  der  Planeta  zu  tragen  das  Vorrecht  besaßen."  Bock 
beruft  sich  dann  zur  Stütze  seiner  Ansicht  auf  die  bereits  angeführte  Notiz  aus 
der  „Geschichte  der  Bischöfe  von  Auxerre"  und  schließt:  „Durch  eine  kunstreiche 
Stickerei,  die  in  ihrem  Äußern  die  Gestalt  des  erz bischöflichen  Palliums  nachahmte, 
wurde  also  bereits  im  12.  Jahrhundert  auf  der  Dorsal-  und  Pektoralseite  der 
bischöflichen  Kasel  der  Mangel  des  ebengedachten ,  nur  Erzbischöfen  zustehen- 
den Ornates  weniger  sicht- 
bar." 2 

Die  eine  wie  die  andere 
Erklärung  ist  jedoch  un- 
zutreffend. Es  gab  einen 
gabelförmigen  Besatz  bei 
der  Kasel,  wie  die  früher 
erwähnten  Bildwerke  be- 
kunden, schon  im  6.  Jahr- 
hundert, ja  noch  früher,  und 
zwar  war  er  nicht  eine  Eigen- 
tümlichkeit einzig  der  1  i  t  u  r- 
g  i  s  c  h  e  n  Planeta,  sondern 
Schmuck  der  Planeta  (Kasel) 
überhaupt,  da  er  sich  ja 
auf  den  Monumenten  nicht 
bloß  bei  Bischöfen,  sondern 
auch  bei  Laien,  ja  selbst  bei 
Juden  findet.  Er  kann  also 
ursprünglich  weder  als  Dar- 
stellung des  Kreuzes  noch  als  Nachahmung  des  Palliums,  sondern  nur  als  bloßes 
Ornament  gedacht  worden  sein. 

Kreuz  wird  der  Besatz  auch  erst  in  dem  späteren  Mittelalter  genannt  und 
selbst  dann  keineswegs  allgemein.  Vor  dem  Ende  oder  frühestens  der  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  ist  diese  Bezeichnung  ganz  ungebräuchlich.  Das  früheste  Beispiel, 
das  uns  bisher  vorkam,  findet  sich  in  dem  Begister  von  Bochester  und  stammt  aus 
der  Zeit  zwischen  1258 — 1279.  Dazu  kommt  die  sehr  bemerkenswerte  Tatsache,  daß 
bei  allen  sonstigen  Deutungen,  welche  die  alten  Liturgiker  der  Kasel  zu  teil  werden 
lassen,  keiner,  nicht  einmal  Durandus,  von  einem  Kreuze  redet,  womit  man  die- 
selbe als  Sinnbild  des  iugum  Domini  zu  verzieren  pflege.  Und  doch  sollte  man  das 
bestimmt  erwarten ,  ■  falls  der  gabelförmige  Besatz  in  der  Tat  jener  mystischen  An- 
schauung seinen  Ursprung  zu  verdanken  gehabt  oder  damals  auch  nur  als  Kreuz 
gegolten  hätte 3.  Er  hat  offenbar  in  den  Augen  eines  Bruno  von  Segni ,  Ivo  von 
Chartres,  Honorius,  Sicard,  Innozenz  usw.  nur  dekorativen  Zweck  gehabt.     Es  dürfte 


Bild  96.    Miniatur  in  Hrabans  Laudes  S.  Crucis  (10.  Jahrh.) 
Koni,  Vatikan. 


1  Liturgik  I  880.  2  Bock  II  107. 

3  Auch  in  dem  angeführten  Passus  der 
Gesta  epp.  Autiss.  wird  der  Kaselbesatz,  der 
darin    mit     überschwenglichen    Worten    ge- 


schildert wird,  mit  keiner  Silbe  Kreuz  genannt; 
es  wird  nur  seine  Ähnlichkeit  mit  dem  alt- 
testamentlichen  Rationale  und  dem  erzbischöf- 
lichen Pallium  hervorgehoben. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


215 


übrigens  auch  schwer  fallen,  für  das  erste  Jahrtausend  in  der  christlichen  Kunst  über- 
haupt Kreuze  in  Gabelform  nachzuweisen.  Im  späten  Mittelalter  erscheint  das  Kreuz  aller- 
dings nicht  selten  in  der  Form  eines  schrägarmigen  oder  gegabelten  Kreuzes ,  weil 
man  es  liebte,  das  Kreuz  des  Herrn  in  naturalistischer  Weise  als  Lebensbaum  mit  schräg 
aufsteigenden  Asten  erscheinen  zu  lassen,  im  ersten  Jahrtausend  tritt  es  dagegen  stets 
als  horizontalarmiges  Kreuz  auf.  Eine  wirkliche  Kreuzesdarstellung  in  Gestalt  eines 
Gabelkreuzes  dürfte  selbst  noch  für  das  12.  Jahrhundert  ein  Anachronismus  sein. 

Gegen    die   Ansicht   Bocks ,  wonach    das    Gabelkreuz   auf   das   Pallium   zurück- 
zuführen ist,  wäre  im  besondern  zu  bemerken :  erstens,  der  fragliche  Kaselbesatz  hat 


abweichend  vom  Pallium   in  der   ältesten  Zeit  regelmäßig   nicht      j    -,  sondern 

form;  zweitens  haben  die  Besätze  bisweilen  eine  so  minimale  Breite  --  man  denke 
nur  an  die  Brixener  Adlerkasel,  an  das  früher 
erwähnte  Meßgewand  des  hl.  Ulrich  im  Dom 
zu  Augsburg  und  an  die  Miniatur  des  Registers 
Gregors  des  Großen  in  der  Stadtbibliothek  zu 
Trier  — ,  daß  schon  ein  ziemlich  guter  Wille 
dazu  gehört,  in  ihnen  Verwandte  des  erzbischöf- 
lichen Palliums  zu  sehen ;  drittens  erscheinen 
die  gabelförmigen  Besätze  auf  den  Bildwerken 
so  wenig  als  Kopien  des  Palliums ,  daß  sie 
sich  nicht  bloß  auf  den  ravennatischen  Mo- 
saiken, sondern  auch  auf  den  angeführten 
Miniaturen  der  Laudes  S.  Crucis  des  Hraban  und 
des  Registers  Gregors  des  Großen  in  Verbindung 
mit  diesem  dargestellt  finden.  Wenn  aber  der 
Schreiber  der  Vita  Hugos  von  Chälon  den 
Kaselbesatz,  von  dem  er  erzählt,  als  dem  Pallium 
ähnlich  bezeichnet,  so  folgt  daraus  eben  nur 
eine  gewisse  formelle  Übereinstimmung  beider, 
nicht  aber  auch ,  daß  der  Besatz  eine  beab- 
sichtigte Nachahmung  des  Palliums  war,  und 
noch  viel  weniger,  daß  das  Gabelkreuz  über- 
haupt dem  Bestreben,  das  Pallium  zu  kopieren, 
sein  Dasein  verdankt. 

Die  Blüte  des  Gabelkreuzes   fällt  in 
das  13.  und  14.  Jahrhundert.    Im  Verlauf 

des  15.  kommt   es  allmählich  in  Abgang,   Bild  97    Kaselkreuz.    Danz.g,  Marienkirche, 
doch  währt  es  lange,  bis  es  ganz  von  dem 

Meßgewand  verschwunden  ist.  An  einzelnen  Orten  erhält  es  sich  bis  tief  ins 
17.  Jahrhundert  hinein  in  Gebrauch.  So  findet  es  sich  z.  B.  in  Lüttich  noch 
auf  Grabsteinen  aus  den  Jahren  1605  (Hof  des  alten  bischöflichen  Palastes) 
und  1641  (Kreuzgang  von  St  Paul).  In  St-Maurice  zu  Angers  aber  gab  man 
das  Gabelkreuz  erst  Ende  des  17.  oder  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  auf1. 
Immerhin  waren  das  nur  vereinzelte  Erscheinungen ;  schon  in  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  war  nicht  mehr  das  Gabelkreuz  das  Gewöhnliche, 
sondern  das  horizontalarmige. 

Eine  Abart  des  Gabelkreuzes  und  zugleich  wohl  die  Mittelform  zwischen 
dem  gabelförmigen  und  dem  horizontalarmigen  war  ein  Kreuz,  dessen  Quer- 
balken zwar  schräg  anstiegen,  sich  aber  nicht  bis  auf  die  Schultern  hinauf- 
zogen.    Es  wurde  meist  nur  auf  der  Rückseite  des  Meßgewandes  angebracht 

1  Revue  1885,  184. 


216  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

und  scheint  im  Verlauf  des  14.  Jahrhunderts  aufgekommen  zu  sein.  Im  15. 
war  es  nach  Ausweis  der  Monumente,  die  häufig  Darstellungen  von  ihm 
bringen,  recht  beliebt.  Vorzügliche  Beispiele  dieser  Kaselkreuzart ,  der  wir 
noch  auf  dem  Grabmal  des  Trierer  Erzbischofs  Johannes  von  Schönenberg 
(f  1599)  im  Dom  zu  Trier  begegnen,  birgt  die  Schatzkammer  von  St  Marien 
zu  Danzig.  Sie  gehören  zum  Teil  zu  den  hervorragendsten  Werken  spätmittel- 
alterlicher Figurenstickerei  (Bild  97,  S.  215). 

Eine  andere,  doch  sehr  seltene  Umbildung  des  Gabelkreuzes,  die  aber  erst 
aus  der  Wende  des  15.  Jahrhunderts  zu  datieren  scheint,  bestand  darin,  daß 
man  in  der  Absicht,  eine  größere  Fläche  zur  Anbringung  von  Stickereien  zu 
schaffen,  die  Schrägbalken  fast  bis  zum  Kopfdurchschlupf  erbreiterte.  Trotz 
aller  reichen  Nadel  arbeiten,  mit  denen  man  diese  Abart  des  Gabelkreuzes  versah, 
war  dieselbe  doch  nur  eine  wenig  schöne  Verzierung  des  Meßgewandes. 

Horizont  alarmige  Kreuze  kamen  vereinzelt  schon  um  die  Mitte  des 

13.  und  in  der  Frühe  des  14.  Jahrhunderts  vor.  So  treffen  wir  ein  solches 
in  Verbindung  mit  einem  Gabelkreuz  bereits  auf  der  dem  hl.  Petrus  Martyr 
(f  1252)  zugeschriebenen  Kasel  in  St-Sernin  zu  Toulouse  und  für  sich  allein 
zu  Castel  S.  Elia  auf  einem  Meßgewand  aus  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts an  (Bild  88,  S.  202). 

Es   handelt   sich  indessen   bei   derartigen  Beispielen   bis   zum  Ende  des 

14.  Jahrhunderts  nur  um  Ausnahmen,  nicht  um  die  Regel.  Erst  dann  ge- 
winnt das  horizontalarmige  Kreuz  größere  Verbreitung.  In  Deutschland  und 
Frankreich  drängt  es  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts  das  Gabelkreuz  nach 
und  nach  ganz  in  den  Hintergrund  und  wird  hier  an  dessen  Stelle  zum  vor- 
herrschenden Kaselbesatztypus.  In  Frankreich  erhält  sich  dabei  die  breite 
Einfassung  des  Kopfdurchschlupfs,  der  wir  bei  den  Kasein  des  12.  und  13.  Jahr- 
hunderts nicht  selten  begegnen,  während  diese  in  Deutschland  entweder  ganz 
außer  Anwendung  kommt  oder  zu  einem  schmalen  Börtchen  zusammen- 
schrumpft. 

In  der  Regel  wurde  das  geradbalkige  Kreuz  nur  auf  der  Rückseite  der 
Kasel  angebracht.  Indessen  kam  es  auch  wohl  vor,  daß  man  beide  Seiten 
mit  einem  solchen  bedachte.  Ein  frühes  Beispiel  eines  derartigen  Meßgewandes 
ist  die  Bild  88  wiedergegebene  Kasel  zu  Castel  S.  Elia  (14.  Jahrhundert),  ein 
spätes  eine  Kasel  in  der  Kathedrale  von  Bergamo 1 ;  ein  anderes  aus  der  Wende 
des  Mittelalters  sahen  wir  in  einer  Privatsammlung  zu  Robecco  bei  Cremona, 
in  die  es  aus  einer  Kirche  des  Aostatales  gelangt  war.  Auch  die  Melker 
Kasel  ist  mit  zwei  Kreuzen  versehen,  die  indessen  jünger  als  das  Gewand 
selbst  sind.  Auf  den  Bildwerken  begegnen  uns  ebenfalls  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert hie  und  da  Kasein  mit  horizontalarmigem  Kreuz  auf  der  Vorder-  wie 
der  Rückseite.  Ein  gutes  Beispiel  aus  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
liefert  eine  aus  der  „Groote  Kerk"  zu  Gouda  stammende  Skulptur  im  Rijks- 
museum  zu  Amsterdam. 

Am  meisten  scheinen  Kasein  mit  zwei  horizontalarmigen  Kreuzen  in  Italien 
vorgekommen  zu  sein,  wo  allerdings  der  Umstand,  daß  die  Vorderseite  hier 
regelmäßig  mit  einem  kreuzartigen  Besatz  versehen  wurde,  das  häufigere  Auf- 
treten eines  doppelten  horizontalbalkigen  Kreuzes  auf  dem  MeßgeAvand  leicht 
erklärt.  Zum  Typus  ist  diese  Verzierungsweise  der  Kasel  indessen  auch  in 
Italien  nicht  geworden,  obschon  der  hl.  Karl  Borromäus  ausdrücklich  bestimmte, 


1  Abbildung  bei  Beltrami,  L'arte  negli  arredi  sacri  della  Lombardia,  Milano  1897,  tav.  xix. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  217 

es  solle  auf  beiden  Gewandhälften  ein  durch  mindestens  8  unciae  (=  ca  0,14  m) 
breite  Streifen  gebildetes  Kreuz  aufgenäht  werden 1.  Es  ist  interessant ,  zu 
beobachten,  wie  selbst  die  vom  hl.  Karl  stammenden  Kasein  in  S.  Maria 
Maggiore  zu  Rom  und  im  Dom  zu  Mailand  nur  den  gewöhnlichen  Besatz  der 
italienischen  Meßgewänder,  einen  Stab  auf  der  Rückseite  und  ein  Kreuz  auf 
der  Vorderseite,  aufweisen.  In  Deutschland  müssen  Kasein  mit  geradbalkigem 
Kreuz  auf  Brust  und  Rücken  stets  nur  Ausnahmen  gewesen  sein.  Unter  den 
zahlreichen  Meßgewändern  aus  dem  Mittelalter,  die  sich  hier  bis  zur  Stunde 
erhalten  haben,  ist  uns  nur  ein  Beispiel  bekannt,  welches  auf  der  Vorder- 
wie  Rückseite  ein  solches  aufweist,  die  Kasel  zu  Stift  Melk.  Wenn  es  in 
der  „Nachfolge  Christi"  heißt:  „(Sacerdos)  habet  ante  se  et  retro  dominicae 
crucis  signum"  2,  so  ist  hier  unter  dem  doppelten  Kreuz  das  eigentliche  Gabel- 
kreuz zu  verstehen,  mit  welchem  sowohl  die  Vorder-  wie  die  Rückseite  des 
Meßgewandes  versehen  wurde. 

Es  war  sogar  in  Deutschland  im  15.  Jahrhundert  sehr  gewöhnlich,  die 
Vorderseite  der  Kasel  bei  Anwendung  des  horizontalarmigen  Kreuzes  ohne 
allen  Besatz  zu  lassen.  So  Aveisen  von  den  zahlreichen  mit  einem  derartigen 
Kreuz  auf  dem  Rücken  geschmückten  Meßgewändern  in  dem  Museum  zu 
Braunschweig ,  dem  Dom  zu  Halberstadt,  dem  Dom  zu  Brandenburg  und 
St  Marien  zu  Danzig  nur  sehr  wenige  vorn  den  jetzt  allgemein  gebräuchlichen 
Vertikalstreifen  auf. 

Welche  Einflüsse  die  Umwandlung  des  Gabelkreuzes  in  das  horizontal- 
balkige  herbeigeführt  haben,  ist  mit  Sicherheit  nicht  zu  sagen.  Es  waren 
wohl  mehrere  Faktoren,  die  den  Wechsel  bewirkten,  so  die  seitliche  Ver- 
kürzung der  Kasel,  die  im  Norden  schon  um  das  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
einen  bedeutenden  Grad  erreicht  hatte,  ferner  die  seit  dem  14.  Jahrhundert 
mächtig  gestiegene  Vorliebe  für  Kaselbesätze  mit  reicher  Figurenstickerei  und 
darum  auch  für  breitere  Besätze,  als  Gabelkreuze  es  sein  können,  ohne  schwer, 
plump  und  unschön  zu  werden,  endlich  und  wohl  am  meisten  das  Bestreben, 
durch  ein  eigentliches  Kreuz  das  Geheimnis  sinnfällig  anzudeuten,  bei  dessen 
Feier  sich  der  Priester  der  Kasel  bedient,  die  unblutige  Erneuerung  von  Christi 
Kreuzestod.  Es  ist  wohl  nicht  ohne  Grund,  daß  zur  Zeit,  da  das  horizontal- 
armige  Kreuz  an  Verbreitung  gewinnt,  auch  die  Darstellung  des  Gekreuzigten 
auf  der  Kasel  häufiger  wird.  Um  die  Wende  des  15.  Jahrhunderts  gab  man 
sogar  dem  Kreuz  häufig  die  Gestalt  eines  förmlichen,  mit  knorrigen  Asten 
besetzten  Baumes  (Bild  98,  S.  218). 

Der  zweite  Besatztypus,  den  wir  oben  den  italienischen  nannten, 
weil  er  in  Italien  vorherrschte,  wie  im  Norden  das  Gabelkreuz,  bestand-  aus 
einem  Stab  auf  der  Vorder-  und  der  Rückseite  des  Meßgewandes,  einer 
Einfassung  der  Halsöffnung  von  wenigstens  der  halben  Breite  der  Vertikal- 
besätze und  einem  kurzen  Querstück  zwischen  der  Bordüre  des  Kopfdurch- 
lasses  und  dem  oberen  Ende  des  vorderen  Stabes,  der  vornehmsten  Eigen- 
tümlichkeit des  Typus.  Querbalken  eines  Kreuzes  zu  sein,  war  nicht  der 
ursprüngliche  Zweck  dieses  Querbesatzes.  Er  wurde  vielmehr  aus  praktischen 
und  ästhetischen  Rücksichten  angebracht.  Aus  praktischen;  denn  er  sollte 
das  Einreißen  des  Kopfdurchlasses  verhüten;  aus  ästhetischen,  weil  er  den 
um  die  Halsöffnung  angebrachten  Borten  an  ihrem  unteren  Ende  einen  passenden 
Abschluß  geben  und  eine  Überleitung  zu  dem  vorderen  Vertikalstab  bilden  sollte. 


A.  E.  Med.  627.  -  L.  4,  c.  5,  n.  3. 


218 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


v 


Er  ging  deshalb  auch  ursprünglich  nicht  oder  nur  wenig  über  die  Bordüre  des 
Kopfdurchschlupfes  seitlich  hinaus.  Selbst  im  15.  und  16.  Jahrhundert  springt 
der  Querbesatz  noch  häufig  bloß  um  ein  geringes  über  die  Einfassung  des 
Kopfdurchschlupfes  vor,  wie  das  außer  den  zahlreichen  bildlichen  Darstellungen 
z.  B.  die  Kasein  zu  Castel  S.  Elia,  die  Kasein  von  S.  Marco  zu  Venedig,  die 
Kasel  des  Papstes  Kalixt  IL  und  die  Kasein  des  hl.  Karl  zu  Rom  (S.  Maria 
Maggiore)  und  Mailand  (Dom)  beweisen. 

Es  ging  überhaupt  keine  wesentliche  Wandlung  mit  dem  Besatz  seit 
dem  13.  Jahrhundert  vor  sich.  Die  hauptsächlichste  Veränderung  betraf  seine 
Breite.  Im  13.  Jahrhundert  erscheint  er  meistens  noch  recht  schmal,  dann 
aber  erwacht  auch  in  Italien  die  Vorliebe  für  breite,  die  Anbringung  reicher 

Figurenstickerei  ermöglichende  Besätze.  Im  übri- 
gen gewährt  in  Bezug  auf  die  Verzierungsart 
die  italienische  Kasel  des  14.  und  15.  Jahrhun- 
derts dasselbe  Bild,  welches  das  Meßgewand  im 
13.  bot.  Der  Besatztypus  kommt  schon  auf  den 
unter  Innozenz  II.  (1130—1143)  angefertigten 
Apsismosaiken  in  S.  Maria  in  Trastevere  beim  Pres- 
byter Calepodius  vor.  Seit  dem  14.  Jahrhundert 
gewahrt  man  auf  den  italienischen  Bildwerken 
kaum  eine  andere  Besatzart  auf  der  Kasel  mehr. 
Gute  Beispiele  finden  sich  auf  dem  Meß- 
gewand des  hl.  Bernardo  degli  Uberti  in  S.  Trinitä 
zu  Florenz,  der  Kasel  des  hl.  Bernardin  von  Siena 
in  der  dortigen  Opera  del  Duomo,  den  beiden 
Meßgewändern  in  S.  Marco  zu  Venedig  sowie  den 
andern  vorhin  genannten  Kasein. 

Die  Neuzeit  bietet  wenig  Bemerkenswertes 
in  Bezug  auf  die  Form  des  Kaselbesatzes.  Die 
Typen,  welche  das  ausgehende  Mittelalter  als  Erbe 
hinterließ,  erhielten  sich  ohne  weitere  Umbildung 
bis  in  die  Gegenwart.  Nur  bekamen  nunmehr 
alle  Kasein  Besätze,  während  sie  im  Mittelalter, 
ja  noch  teilweise  bis  in  das  16.  Jahrhundert  nicht 
selten  ganz  ohne  solche  geblieben  waren,  doch 
wurden  bei  gewöhnlichen  Meßgewändern  Kreuz 
und  Stäbe  gern  durch  schmale  Börtchen  nach- 
gebildet, namentlich  in  Italien. 
Im  allgemeinen  waren  die  Besätze  jetzt  stets  von  ziemlicher  Breite.  Die 
Neuzeit  hatte  aus  dem  späten  Mittelalter  auch  die  Vorliebe  für  breite  Besätze  als 
Vermächtnis  herübergenommen.  Ja  je  mehr  das  Gewand  an  Breite  abnahm, 
um  so  mehr  schien  das  Kaselkreuz  an  Ausdehnung  gewinnen  zu  sollen,  gleich 
als  ob  ein  mächtiges  Kreuz  einen  Ersatz  für  die  unbedeutende  Wirkung  des 
zusammengeschrumpften  Gewandes  hätte  bieten  sollen.  Allerdings  dürfte  auf 
die  Erbreiterun  g  des  Kaselbesatzes  auch  noch  eine  andere ,  praktische  Er- 
■  wägung  Einfluß  gehabt  haben. 

War  nämlich  das  Kaselkreuz  recht  breit,  so  reichte  bei  der  geringen 
Ausdehnung  des  Meßkleides  selbst  zur  Anfertigung  des  Rückteiles  eine 
Stoffbreite  aus.  Man  konnte  in  diesem  Fall  sogar  bei  etwas  Nachdenken  und 
Übung  durch  kluges  Zuschneiden  das  Material  für  die  Stola  und  den  Manipel 


Bild  98.     Kaselkreuz. 

Berlin,  Kunstgewerbemuseum. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


219 


aussparen,  so  daß  man  bei  Kasel  und  Zubehör  fast  mit  21/2— 3  m  Stoff,  die 
Breite  zu  54  cm  gerechnet,  auskam.  Allerdings  ein  gewaltiger  Unterschied 
im  Vergleich  mit  den  Glockenkaseln  früherer  Zeit,  zu  denen  bei  gleicher 
Breite  das  Dreifache  erforderlich  gewesen  war! 

Was  die  Beschaffenheit  der  Kaselbesätze  anlangt,  so  bestanden  sie 
bis  in  das  13.  Jahrhundert  hinein  gewöhnlich  aus  gewebten  Borten.  Die- 
selben hatten  durchweg  eine  Breite  von  3 — 8  cm.  Breitere  Borten  scheinen 
nur  selten  verwendet  worden  zu  sein ,  häufiger  dagegen  schmälere ,  doch 
wurden  auch  wohl  zwei  oder  drei  schmälere  Besätze  nebeneinander  angebracht, 
wie  z.  B.  bei  der  Glockenkasel  in 
St  Emmeram  zu  Regensburg  und 
einer  der  Kasein  im  Dommuseum 
zu  Augsburg. 

Es  haben  sich  noch  manche 
dieser  Borten  erhalten.  Sie  stellen 
ein  vorzügliches,  äußerst  dauerhaftes, 
fast  lederartig  festes  Gewebe  dar. 
Zu  ihrer  Herstellung  wurde  eine 
Doppelkette  gebraucht  und  die  beiden 
Kettenfäden  nach  der  jedesmaligen 
Einführung  des  Einschlages  um- 
einander gedreht.  Bei  der  Mehrzahl 
dieser  Borten  ist  reichlich  Gold  zur 
Anwendung  gebracht  worden.  Das- 
selbe besteht  bis  in  das  12.  Jahr- 
hundert hinein  aus  einem  massiv 
goldenen  Metallriemchen,  welches  um 
einen  Seidenfaden  gesponnen  ist, 
dann  aus  einem  silbervergoldeten, 
gleichfalls  um  einen  Seidenfaden  ge- 
sponnenen Metallstreifchen.  Der  irrig 
sog.  cyprische  Goldfaden,  ein  Surro- 
gat echter  Goldfäden ,  bei  dem  ein 
vergoldetes  Häufchen  um  einen 
Linnenfaden  gedreht  ist,  gehört  erst 
dem  späteren  Mittelalter  an.  Die 
zu  den  Borten  im  11.  und  12.  Jahr- 
hundert gebrauchten  Goldfäden  sind 
von  äußerster  Feinheit.  Um  ihre  Wirkung  zu  erhöhen,  pflegte  man  die  fertig 
gewebte  Borte  zu  walzen.  Es  ist  erstaunlich,  wie  vortrefflich  sich  diese  durch 
ihr  Material  ungemein  kostbaren  Borten  durch  alle  die  Jahrhunderte  hindurch 
erhalten  haben.  Vorzügliche  Beispiele  derselben  bieten  die  sog.  Sixtuskasel  im 
bischöflichen  Museum  zu  Münster,  die  beiden  Willegiskaseln  zu  Mainz  und 
Aschaffenburg,  die  Brixener  Adlerkasel,  die  Kasein  im  Schatz  des  Bam- 
berger Domes  und  namentlich  die  St  Wolfgangskasel  in  St  Emmeram  zu 
Regensburg. 

Die  Borten  des  späteren  12.  und  des  13.  Jahrhunderts,  bei  denen  das  rein 
goldene  Metallstreifchen  durch  ein  silbervergoldetes  ersetzt  und  obendrein  mehr 
farbige  Seide  verwendet  ist,  haben  weniger  gut  der  Zeit  zu  trotzen  verstanden, 
obschon  auch  sie  sich  immer  noch  als  sehr  haltbar  erwiesen  haben. 


Bild   99.      Kasel.      Krakau,  Dom.     (I'liot.  J.  Krieger.) 


220 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Die  Musterung  der  Besätze  bestand  bis  ins  13.  Jahrhundert  hinein  fast 
nur  aus  geometrischen  Gebilden,  aus  stilisierten  Ranken  und  phantastischen 
Tieren.  Figurale  Darstellungen  bürgern  sich  auf  ihnen  erst  ein,  als  die  Stick- 
kunst beginnt,  mit  ihren  Schöpfungen  die  Stäbe  zu  beleben.  Schon  das 
13.  Jahrhundert  bringt  manche  herrliche,  mit  Bildwerk  reich  geschmückte 
Kaselbesätze  hervor;  die  eigentliche  Blütezeit  derselben  fällt  aber  in  das  14. 
und  15.  Jahrhundert. 

Die  Darstellungen,  denen  wir  auf  ihnen  begegnen,  sind  sehr  mannigfaltig. 
Sie  nehmen  vor  allem  natürlich  Bezug  auf  den  Heiland  und  sein  Leben,  doch 
auch,  und  zwar  ganz  besonders,  auf  die  allerseligste  Jungfrau  und  die  Geheim- 
nisse ihrer  irdischen  Pilgerschaft  bis  zu  ihrer  Aufnahme  in  den  Himmel  und 

ihrer  Krönung ,  auf 
die  Engel,  die  Apostel 
und  die  Heiligen,  na- 
mentlich auf  die  vom 
Volk  verehrten  Pa- 
trone und  die  Titel- 
heiligen der  Kirchen 
und  Altäre.  Es  ist 
ein  äußerst  wechsel- 
volles Bild,  was  sich 
bei  der  Durchmuste- 
rung der  Kaselreste 
aus  alter  Zeit  oder 
beim  Durchlesen  der 
Inventare  des  späte- 
ren Mittelalters  dem 
Auge  oder  der  Phan- 
tasie darbietet.  Es 
waren  diese  Sticke- 
reien keineswegs  aus- 


nahmslos Kunst- 
werke ;  sie  waren  zum 
Teil  handwerksmä- 
ßige ,  kunstlose ,  ja 
rohe  Arbeiten.  Aber 
es  gab  unter  ihnen 
auch  zahllose  Perlen  wahrer  Kleinkunst,  Nadelmalereien,  die  in  ihrer  edeln  Aus- 
führung den  Vergleich  mit  den  besten  Schöpfungen  des  Pinsels  nicht  zu  scheuen 
brauchten.  Die  vielen  Reste  mittelalterlicher  Kaselbesätze  in  den  Kirchen, 
Museen  und  Privatsammlungen  legen  dafür  beredtes  Zeugnis  ab. 

Das  ausgehende  15.  und  das  beginnende  16.  Jahrhundert  sehen  auf  den 
Kaselstäben  Stickereien  in  Hochrelief  entstehen.  Es  sind  meistens  Einzel- 
figuren wie  der  Gekreuzigte  (Bild  98,  S.  218),  Maria  und  Heilige,  die  in  Relief- 
stickerei auf  dem  Kaselkreuz  angebracht  werden,  doch  kommen  in  dieser 
Stickweise  auch 
ragendste  Beispiel 
aus  dem  Leben  des  heiligen  Bischofs  Stanislaus  (Bild  99,  S.  219). 

Technisch  betrachtet,  waren  diese  über  Werg  modellierten  Reliefstickereien 
vielfach  sehr  kunstreich,  vom  ästhetischen  Standpunkt  aus  und  als  Ornamente 


Bild  100.     Kasel  mit  Kreuz  in  Perlen.     Aachen,  Münster. 


ganze  Szenen  auf  demselben   zur  Ausführung.     Das   hervor- 
tildet  wohl  eine  Kasel  im  Dom  zu  Krakau  mit  Darstellungen 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


221 


eines  Gewandes  müssen  sie  indessen  entschieden  verurteilt  werden.  Sie 
bekunden,  daß  der  Sinn  für  das  wahrhaft  Schöne  schon  im  Weichen  begriffen 
und  die  Vorliebe  zum  Bizarren  und  Sonderbaren  erwacht  war,  und  daß  man 
das  Verständnis  für  die  wahre  Bedeutung  der  Besätze  bereits  in  hohem  Maße 
verloren  hatte  und  das  zur  Hauptsache  zu  machen  begann,  was  als  Ornament 
doch  nur  Nebensache  war. 

Häufig  werden  seit  dem  13.  Jahrhundert  auch  Perlen,  seltener  Edel- 
steine zur  Verzierung  der  Kaselbesätze  verwendet.  Die  Inventare  führen 
sehr  oft  Aurifrisien  dieser  Art  an.  Eine  interessante  Kasel,  deren  Stab  in 
eigentümlicher  Weise  aus  Perlen  gebildet  wird,  ist  die  sog.  St  Bernardskasel 
im  Münster  zu  Aachen.  Eine  Abbildung  des  Gewandes  (Bild  100)  überhebt 
uns  einer  näheren  Beschreibung.  Ein 
anderes  interessantes,  ganz  mit  feinen 
Perlen  besticktes  Kreuz  findet  sich  im 
Berliner  Kunstgewerbemuseum  (Bild 
101).  Öfters  wurden  ferner  im  späteren 
Mittelalter  gestanzte  vergoldete  Me- 
tallplättchen  zur  Ausschm ückung der 
Kaselstäbe  gebraucht  (Bild  102,  S.  222). 
Sie  hatten  die  Form  von  Rosetten,  Vier- 
pässen, Rauten  u.  ä.  und  waren  in  der 
Mitte  mit  Ornamenten,  ja  selbst  mit 
religiösen  Darstellungen,  z.  B.  Szenen 
aus  dem  Leben  Christi,  versehen.  Statt 
gestanzter  kamen  auch  wohl,  wie  die 
Inventare  bezeugen,  mit  Emailbildchen 
geschmückte  Zierplättchen  zur  Ver- 
wendung. 

Übrigens  wurden  auch  im  späteren 
Mittelalter  neben  bestickten  immer  noch 
häufig  gewebte  Besätze  gebraucht. 
Hauptbezugsquellen  derselben  waren 
im  14.  Jahrhundert  den  Inventaren  zu- 
folge Lucca  (opus  lucanum),  Venedig 
(opus  venetum),  Siena  (opus  senense), 
Romania,  d.  i.  Griechenland  (opus  ro- 
manum),  Cypern  (opus  cyprense  oder 
cyprianum)  und  der  sarazenische  Osten  (opus  tartaricum).  Im  15.  kommen 
dazu  Florenz  mit  seinen  schon  den  Einfluß  der  Renaissance  atmenden  Floren- 
tiner und  der  Niederrhein  (Köln)  mit  den  ebenso  wirkungsvollen  wie  charak- 
teristischen sog.  Kölner  Borten,  die  hier  eine  besondere  Erwähnung  ver- 
dienen. Sie  gehören  zu  den  vorzüglichsten  Borten,  welche  im  Mittelalter  von 
der  Hand  des  Webers  geschaffen  wurden.  Der  Grund  war  bei  ihnen  entweder 
in  dem  fälschlich  sog.  Cyperngold  oder  in  farbiger  Seide  hergestellt.  Im 
letzten  Falle  liebte  man  es,  in  bestimmten  Abständen  und  in  regelmäßiger 
Wiederkehr  mit  der  Farbe  zu  wechseln.  Das  Ornament,  für  welches  satte, 
kräftige  Farben,  namentlich  ein  tiefes  Blau  und  ein  leuchtendes  Rot  bevor- 
zugt wurden,  bestand  bald  in  fortlaufenden  Ranken,  bald  in  reizend  stilisierten 
Bäumchen,  Blumen,  Rosetten,  kurzen,  in  die  Quere  gestellten  Inschriften, 
Wappenschildchen   und   ähnlichen  Motiven,    die   in   mannigfachen  Zusammen- 


Bild  101.     Kaselkreuz  in  Perlenstickerei. 
Berlin,  Kunstgewerbemuseum. 


9.9.9. 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Stellungen  miteinander  kombiniert  wurden,  bald  endlich  in  freistehendem  oder 
unter  Baldachinen  angebrachtem  Figurenwerk  (dem  Gekreuzigten,  der  alier- 
seligsten  Jungfrau,  Heiligen  usw.).  Bei  Borten  mit  figürlichen  Darstellungen, 
welche  den  Höhepunkt  der  Fabrikation  bildeten,  wurden  nur  die  Hauptteile  der 
Figur  auf  dem  Webstuhl  fertiggestellt,  nicht  aber  auch  die  Einzelheiten,  wie 
die  Gesichter,  das  Haar,  Köpfe,  Hände  und  Füße,  die  Falten  und  die  Musterung 
des  Gewandes.     Alles  das  Avurde  nachträglich   durch  die  Hände  des  Stickers 

oder  der  Stickerin  ergänzt 
(gemischte  Technik).  Wie 
bekannt,  hat  man  in  jüng- 
ster Zeit  zu  Krefeld  die 
Herstellung  der  alten  Köl- 
ner Borten,  von  denen 
sich  noch  manche  Über- 
bleibsel erhalten  haben, 
mit  Glück  von  neuem  ins 
Leben  gerufen. 

Die  Bildstickerei 
stellt  um  das  Ende  des 
16.  Jährhunderts  auf  den 
Kaselstäben  fast  ganz  ihre 
Tätigkeit  ein.  Ganz  mit 
figürlichen  Darstellungen 
ausgestattete  Besätze  sind 
im  17.  Jahrhundert  Aus- 
nahmen. Vorzügliche  Bei- 
spiele finden  sich  auf  der 
Kasel  Oliers,  des  Stifters 
der  Sulpicianer  in  St-Sul- 
pice  zu  Paris  ',  und  na- 
mentlich einem  Meß- 
gewand in  der  ehemaligen 
Jesuitenkirche  zu  Köln, 
einer  Arbeit  des  Laien- 
bruders Johannes  Lütgen, 
der  von  1643  bis  1673 
im  Kölner  Kolleg  als  acu- 
pictor,  wie  die  Kataloge 
sagen,  tätig  war.  Bild 
103  gibt  die  Bückseite 
wieder.  Auf  der  Vorder- 
seite sind  übereinander  Christus  als  Feldherr,  unter  seinem  Mantel  heilige 
Kreuzesträger ,  zwei  weibliche  Heilige  (Cäcilia?  und  Lucia)  und  die  Apostel 
Petrus  und  Paulus  dargestellt.  Kreuz  und  Stab,  die  beide  in  sog.  Lasur- 
stickerei über  Goldfäden  hergetellt  sind,  dürfen  sich  in  ihrer  äußerst  delikaten 
Ausführung  kühn  den  besseren  Werken  des  Mittelalters  anreihen 2.  Den 
Grund  der  Kasel  bedecken  in  Gold  ausgeführte,  technisch  vollendete,  aber 
allzu    schwere    und    massige   Hochstickereien    (Ranken,   Früchte,    Vögel),   die 


Bild    102.      Kasel.      Halberstadt,  Dom. 


Abbildung  bei  de  Farey  pl.  cxv. 


2  Zeitschrift  XVIII  (1905),  301  ff. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


223 


zu  den  flachen  Stickereien  des  Kreuzes  und  des  Stabes  in  auffallendem  Kon- 
trast stehen. 

Wollte  man  den  Kaselbesatz  mit  Bildwerk  verzieren ,  so  begnügte  man 
sich  für  gewöhnlich  damit,  in  der  Kreuzung  der  Balken  ein  Medaillon  mit  ein- 
gesticktem Bilde  anzubringen.  Indessen  geschah  nicht  einmal  das  allzu  oft. 
In  der  Regel  ließ  man  es  in  der  Mitte  des  Kreuzes  bei  irgend  einem  Symbol 
bewenden;  für  die  Balken  und  Stäbe  selbst  aber  wollte  die  Mode  Arabesken, 
klassizierende  Ranken,  Riemen-  und  Kartuschenwerk  u.  ä.  Bei  besseren  Meß- 
gewändern wurden  die  Stickereien  mit  Vorliebe  in  steifem,  schwerem  Gold- 
oder Silberguipe  (der  bekannten  Hochstickerei,  bei  welcher  die  Gold-  bzw. 
Silberfäden  über  dick  aufgelegte  Fäden 
oder  kräftigen  Karton  gespannt  und 
so  auf  dem  Grund  aufgenäht  werden) 
ausgeführt.  Es  ist  das  die  Reliefstickerei, 
die  wir  schon  um  1500  in  Blüte  fanden. 
Technisch  betrachtet,  sind  die  Sticke- 
reien auf  den  Kaselbesätzen  im  17.  Jahr- 
hundert durchweg  gute,  ja  vielfach  aus- 
gezeichnete Arbeiten  von  ungemeiner 
Sauberkeit  und  Glätte  und  reich  ent- 
wickelter, mannigfaltiger  Technik.  Lei- 
der entsprach  der  Sorgsam  keit  in  der 
Ausführung  und  der  Ausbildung  der 
Technik  nicht  im  gleichen  Maße  der 
gute  Geschmack.  Es  war  denn  doch 
das  immer  wiederkehrende,  an  die  An- 
tike sich  anlehnende,  monotone  Ranken- 
gewirr  ein  schlechter  Ersatz  für  das 
herrliche  Bildwerk,  welches  die  früheren 
Künstler  mit  der  Nadel  auf  die  Kasel- 
besätze  zu  zaubern  verstanden  hatten. 

Im  18.  Jahrhundert  gewähren  die 
bestickten  Kaselstäbe  im  großen  und 
ganzen  dasselbe  Bild  wie  im  17.,  nur 
daß  auch  aus  dem  Medaillon  in  der 
Mitte  des  Kreuzes  das  Bild  verschwin- 
det, und  daß  das  Ornament  sein  antiki- 
sierendes Gepräge  verliert  und  einen  naturalistischen  Charakter  erhält  oder  zu 
willkürlichem  Schnörkelwerk  wird.  Die  technische  Ausführung  der  Stickereien 
stand  auch  jetzt  noch  auf  einer  hohen  Stufe,  dagegen  nahm  der  gute  Ge- 
schmack immer  mehr  ab,  wie  das  namentlich  in  der  üppigen  Anwendung  über- 
ladener Goldstickereien  zu  Tage  trat. 

Das  19.  Jahrhundert  sah  bei  seinem  Anbruch  die  kirchliche  Stickkunst 
wie  die  Kunst  überhaupt  auf  einer  tiefen  Stufe,  bis  auch  ihr  in  den  fünfziger 
Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Reformbewegung  in  Deutschland,  Frank- 
reich, Belgien  und  Holland  neues  Aufblühen  brachte.  Es  entstanden  in  An- 
lehnung an  die  mittelalterliche  Technik  wie  die  mittelalterliche  Darstellungs- 
weise Kaselbesätze,  die  sich  kühn  neben  den  alten  Meisterwerken  sehen  lassen 
durften.  Namentlich  gingen  aus  stillen  Klosterräumen,  in  denen  frommer  Eifer 
für  die   Zierde   des  Heiligtums  im  Verein  mit  hoher  Kunstfertigkeit,   feinem 


Bild    103.      Kasel.      Köln,   ehem.  Jesuitenkirche. 
Arbeit  des  Laienbruders  Joh.  Lütgens. 


224  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Verständnis  für  Stil  und  edlem  Geschmack  waltete,  manche  herrliche  Sticke- 
reien zur  Ehre  Gottes  und  zum  Schmuck  der  Kaselbesätze  hervor.  Besondere 
Erwähnung  verdienen  die  zahlreichen  vollendeten  Schöpfungen  der  technisch 
ebenso  geschulten  wie  feinsinnigen  und  kunsterfahrenen  Schwestern  vom 
Armen  Kinde  Jesu  zu  Aachen  und  Simpel veld  (holländisch  Limburg). 

Es  war  kein  Vorteil  für  die  Kasel,  daß  sich  in  dem  letzten  Viertel  des 
vorigen  Jahrhunderts  die  aufstrebende  Industrie  mit  ihrer  Stickmaschine  und 
ihrer  künstlerisch  wertlosen  Dutzendware  und  die  sog.  Anstalten  für  christliche 
Kunst  mit  ihren  Spekulationen  der  Paramentenstickerei  bemächtigten.  Was 
von  ihnen  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  auf  den  Markt  gebracht  wurde,  ist 
vielfach  so  stil-  und  charakterlos  und  künstlerisch  so  minderwertig,  daß  man 
oft,  trotz  aller  ihrer  Gebrechen,  die  Zeit  des  Rokoko  wieder  herbeiwünschen 
möchte. 

Spanien  und  Italien  blieben  mit  ihren  Kaselstickereien  stilistisch 
auf  dem  Standpunkt  des  18.  Jahrhunderts.  Eine  Rückkehr  zur  mittelalter- 
lichen Stickweise  wurde  in  Spanien  nur  in  bescheidenstem  Maße,  in  Italien 
kaum  versucht. 

Die  Verwendung  von  eigens  zu  diesem  Zweck  gewebten  Kaselbesätzen 
nahm  seit  dem  17.  Jahrhundert  allenthalben  ab.  Die  Besätze  wurden,  was 
allerdings  auch  schon  früher  vielfach  geschehen  war,  nun  gern  durch  schmale 
Parallelbörtchen  imitiert  oder,  was  gleichfalls  schon  im  Mittelalter  Brauch 
gewesen  war,  aus  Streifen  andersfarbigen,  gemusterten  oder  ungemusterten 
Stoffes  hergestellt.  Eigens  als  solche  gewebte  Kaselbesätze  kamen  erst  im 
19.  Jahrhundert  wieder  mehr  in  Aufnahme.  Es  war  indessen  bis  über  die 
Mitte  des  Jahrhunderts  hinaus  technisch  und  namentlich  stilistisch  betrachtet 
nur  sehr  geringwertiges  Zeug,  was  an  Kreuzen  und  Stäben  zu  Lyon  fabriziert 
und  von  dort  überallhin  vertrieben  wurde.  Es  mag  genügen ,  an  die  Urnen, 
die  Genien  mit  Fackeln  und  die  Monumente  mit  Zypressen  zu  erinnern ,  die 
auf  den  Stäben  schwarzer  Kasein  mit  Vorliebe  dargestellt  wurden.  Erst  der 
Anschluß  an  mittelalterliche  Motive  führte  eine  teilweise  Wandlung  zum 
Besseren  herbei. 

XIV.  BESTICKTE  MESSGEWÄNDER. 

Außer  zur  Verzierung  der  Besätze  wurde  die  Stickkunst  auch  zur  Aus- 
schmückung des  Meßgewandes  selbst  herangezogen.  Das  geschah  namentlich, 
seitdem  die  Kasel  zu  einem  skapulierförmigen  Gewand  geworden  war,  das 
die  Arme  nicht  weiter  bedeckte  und  darum  auch  nicht  weiter  belastete.  So 
lange  sie  bis  tief  auf  die  Arme  herabreichte  und  beim  Gebrauch  über  den- 
selben in  Falten  zusammengelegt  werden  mußte,  empfahl  es  sich  wenig,  das 
ganze  Gewand  mit  Stickereien  zu  verzieren,  weil  solches  sie  sehr  unbequem 
gemacht  haben  würde.  Wirklich  treffen  wir  in  den  mittelalterlichen  In- 
ventaren  nicht  allzu  häufig  ganz  mit  Stickereien  versehene  Kasein  an.  Selbst 
das  Schatzverzeichnis  des  Apostolischen  Stuhles  aus  dem  Jahre  1295  und  die 
Inventare  von  St  Peter  aus  dem  Jahre  1361  wissen  nur  wenig  von  solchen 
zu  berichten.  Es  verhält  sich  eben  mit  dem  Meßgewand  anders  wie  mit  dem 
Pluviale.  Pluvialien ,  die  vollständig  bestickt  waren ,  kamen  im  Mittelalter 
häutiger  vor.  Begreiflich,  weil  hier  der  Grund  wegfiel,  welcher  verbot,  die 
Kasein  in  dieser  Weise  zu  verzieren.  Da  nämlich  das  Pluviale  vorn  geöffnet 
war,  brauchte  es  nicht,  wie  es  beim  Meßgewand  zu  geschehen  hatte,  auf  die 
Arme  emporgehoben  und  dort  in  Falten  gelegt  zu  werden. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


225 


Die  Ausführung  der  Stickereien  erfolgte  bei  bestickten  Kasein  entweder 
in  Gold  oder  in  farbiger  Seide.  Im  ersten  Fall  diente  als  Stickgrund  weißer 
oder  farbiger  Seidenstoff,  im  zweiten  Leinwand.  Bei  Linnengrund  wurde  außer 
dem  Muster  auch  der  Fond  ausgestickt.  Die  Stickereien  selbst  bestanden  für 
gewöhnlich  nur  in  ornamentalen  Motiven  von  der  Art,  wie  sie  sich  auf  den 
gewebten  Stoffen  fanden,  also  in  bald  größeren,  bald  kleineren  animalischen, 
vegetabilischen  oder  geometrischen  Gebilden,  welche  in  regelmäßigen  Reihen 
übereinander  angebracht  wurden,  hier  dicht  aneinander,  da  wie  verstreut. 

Beispiele  von  Kasein,  die  in  dieser  Weise  bestickt  erseheinen,  sind  die  Meß- 
gewänder in  S.  Urso  zu  Ravenna  und  in  S.  Godehard  zu  Hildesheim,  eine  Kasel  im 
Dom  zu  Halberstadt,  sowie  eine  leider  um  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  stark 
verstümmelte  Kasel  in  der  Kathedrale  zu  Anagni.  Das  erstgenannte  Gewand  ist 
auf  dunkelblauem  Fond,  dem  eine  leichte  Musterung  wie  eingeritzt  ist,  mit  Miniatur- 
adlern und  Möndchen ,  das  zweite  auf  bräunlichem  Seidengrund  mit  kleinen  Rosetten 
und  Möndchen  bestickt.  Die  Kasel  in  der  Kathedrale  zu  Anagni  stammt  aus  der 
Schenkung  Bonifaz'  VIII.  und  muß  ursprünglich  ein  ungemein  prächtiges  Stück  gewesen 
sein.  Sie  besteht  aus  einem  schweren  Seidenköper  von  leuchtend  roter  Farbe  und  ist 
mit  großen,  kreisförmigen  Feldern  verziert,  in  denen  doppelküpfige  Adler,  Löwen, 
Greife  und  anderes  phantastisches  Getier  angebracht  sind.  Auch  hier  ist  die  Stickerei 
ganz  in  Gold  ausgeführt.  Das  Gewand  wird  im  Verzeichnis  der  Paramente,  welche 
Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale  von  Anagni  verehrte,  mit  den  Worten  aufgeführt:  una 
planeta  de  samito  laborato  de  auro  cum  acu  ad  leones,  papagallos ,  grifos  et  aquilas 
cum  geminis  capitibus  et  aurifrisio  de  samito  laborato  de  auro  ad  ymagines  genera- 
logiae  Salvatoris  cum  perlis  et  lapidibus  pretiosis  '.  Auf  dem  Halberstädter  Meßgewand 
(Bild  75,  S.  185)  sieht  man  in  Reihen  geordnet  goldene  Adler  mit  dazwischen  ein- 
gestreuten goldenen  Rosetten  auf  dunkelblauem  seidenem  Grund.  Ein  ferneres  vor- 
zügliches Exemplar  war  die  zweite  der  früher  erwähnten,  durch  die  Revolution  leider 
vernichteten  Kasein  in  der  Kathedrale  zu  Angers,  welche  mit  Möndchen,  Sternen  und 
kleinen  Löwen  bestickt  war9.  Auch  die  Kaselfragmente,  die  man  im  Grabe  Theo- 
dorichs  IL  von  Trier  fand,  geben  ein  gutes  Bild  der  in  Frage  stehenden  Verzierung 
des  Meßgewandes,  bei  welcher  den  Künstlern  ersichtlich  die  prächtigen  Goldbrokate 
als  Vorbilder  vorschwebten.  Das  Gewand  war  mit  einem  förmlichen  Ketz  goldgestickter 
Spitzwecken,  wie  sie  beim  Überschneiden  von  Kreisen  entstehen,  überzogen.  Da,  wo 
dieselben  aneinanderstießen,  war  ein  Knöpfchen  angebracht,  in  den  von  den  Spitz- 
wecken eingeschlossenen  Feldern  aber  befand  sich  eine  Rosette.  Das  glänzendste  und 
großartigste  Beispiel  bildet  aber  eine  der  Bamberger  Kasein.  Sie  ist  mit  mächtigen 
Rundmedaillons  bedeckt,  in  welchen  ein  Reiter  hoch  zu  Roß  dargestellt  ist,  in  der  Linken 
ein  Zepter,  in  der  Rechten  einen  Falken,  auf  dem  Haupt  eine  Krone,  während  am  Boden 
Krieger  liegen  und  ein  Löwe  sich  mächtig  gegen  Roß  und  Reiter  aufbäumt 3.  Die  Umrahmung 
der  Medaillons  und  die  Zwickel  zwischen  denselben  haben  eine  Füllung  von  Rankenwerk, 
dem  Tiergestalten  eingegliedert  sind ,  erhalten.  Verbunden  sind  die  Reitermedaillons 
untereinander  durch  Scheiben ,  in  welchen  zwei  Vögel  symmetrisch  auf  einem  Baum 
angebracht  sind.  Über  die  Mitte  der  Vorderseite  zieht  sich  gegenwärtig  ein  breiter 
Vertikalstreifen  aus  gelbem  Brokat,  eine  Zutat  aus  neuerer  Zeit.  Er  dürfte  Ersatz 
für  eine  ehedem  hier  befindliche  Goldborte  sein.  Übrigens  sind  von  der  ursprüng- 
lichen Kasel   nur  noch   die  Stickereien   übrig;    der   dunkelblaue  Seidenstoff,  auf  dem 


1  Unter  samitum  ist  hier,  wie  auch  sonst 
häufig,  nicht  Samt,  sondern  Seidenköper  zu 
verstehen.  Unseres  Erachtens  wurde  ur- 
sprünglich mit  dem  Namen  examitum,  catexa- 
mitum,  xamitum ,  samitum  nicht  ein  sechs- 
fädiger,  besonders  starker  Stoff,  also  eine 
Art  sog.  Gros,  bezeichnet,  wie  man  gewöhn- 
lich sagt,  sondern  ein  Stoff,  hei  dem  die 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


Bindung    allemal    erst   beim  sechsten  Faden 
statthatte,  d.  i.  ein  sog.  sechsschäftiger  Köper. 

2  Ein  getreues  Gegenstück  zur  Stickerei 
bildet  die  Musterung  des  Mantels  Ottos  IV. 
im  Herzogl.  Museum  zu  Braunschweig.  Far- 
bige Abbildung  bei  Bock,    Reichski.  Tfl  x. 

3  Abbildung  bei  Bock  II,  Tfl  xxxm  und 
in  Farben  bei  Bock,  Reichski.  Tfl  xlii. 

15 


226  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

dieselben  in  ungemein  geschickter  Weise  aufgenäht  sind,  ist  nicht  mehr  der  alte,  sondern 
stammt  aus  dem  Ausgang  des  Mittelalters.  Er  ist  bereits  der  dritte  Grundstoff.  Bock 
läßt  das  Gewand,  das  unseres  Eraclitens  stets  als  Kasel  gedient  hat,  frühestens  im 
12.  Jahrhundert  entstanden  sein;  man  wird  es  indessen  richtiger  wohl  dem  11.,  und 
zwar  dessen  Frühzeit  zuweisen. 

Die  Inventare  wissen,  wie  schon  bemerkt  wurde,  im  ganzen  nur  wenige 
mit  Stickereien  versehene  Kasein  zu  verzeichnen ,  doch  ist  zu  beachten ,  daß 
ihre  Angaben  mehrfach  unvollständig  oder  unklar  sind,  so  daß  nicht  sicher 
erhellt,  ob  eine  Kasel  aus  Brokat  oder  eine  goldgestickte  Kasel  gemeint  ist. 
Es  mag  daher  in  Wirklichkeit  mehr  der  Meßgewänder  der  letzteren  Art 
gegeben  haben,  als  es  nach  den  Inventaren  scheinen  könnte. 

Schatzverzeichnisse ,  die  bestimmt  von  goldbestickten  Kasein  reden ,  sind  z.  B. 
das  Inventar  des  päpstlichen  Schatzes  von  1295,  das  Verzeichnis  der  Gaben,  welche 
Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale  von  Anagni  spendete ,  das  Inventar  von  St  Paul  zu 
London  von  1295,  das  Schatzverzeichnis  von  Cluny  von  1382,  das  Inventar  von 
S.  Francesco  zu  Assisi  von  1320  u.  a.  So  heißt  es  im  Inventar  von  St.  Paul:  Item 
casula  de  radice  Iesse ,  quam  dedit  rex  Henricus  ,  breudata  cum  stellis  et  lunis  et 
dorsali  (Besatz  auf  der  Bückseite)  cum  ymagine  crucis ,  16  lapidibus  insertis ,  et  de- 
ficiunt  2  lapides ,  im  Inventar  von  Cluny  (in  Übersetzung) :  item  une  chasuble  noire 
travaillee  ä  l'aiguille  avec  des  figures  et  des  lettres  d'or,  item  une  chasuble  couleur 
indienne  travaillee  ä  l'aiguille  avec  des  cercles  d'or  et  des  figures;  und  im  Schatz- 
verzeichnis von  Assisi :  una  planeta  de  diaspro  laborato  ad  acum  de  auro  ad  figuras 
cum  perlis  cum  fregio  (=  frisio)  aureo  a  pede  (am  Saum) ;  item  alia  planeta  in  eampo 
albo  laborata  de  auro  ad  acum  ad  figuras  avium  et  arborum  et  perlis ;  item  alia  planeta 
cum  campo  rubeo  laborata  ad  acum  cum  griffonibus  et  eatenis  et  aliis  figuris  de  auro. 
Auch  die  Chronik  von  Mainz  berichtet  uns  von  einem  mit  goldenen  Möndclien  und 
Sternen  bestickten  purpurnen  Meßgewand.  Es  war  jene  früher  erwähnte  Kasel,  die 
wegen  der  Menge  der  Goldstickereien  nach  dem  Bericht  des  Chronikschreibers  kaum 
in  Falten  gelegt  werden  konnte  und  wegen  ihrer  Schwere  nur  bis  nach  der  Opferung 
getragen  zu  werden    pflegte ,    um    dann   mit  einer  leichteren  vertauscht   zu   werden l. 

Die  meisten  dieser  goldbestickten  Meßgewänder  entstanden  im  11.,  12. 
und  13.  Jahrhundert,  d.  i.  zu  einer  Zeit,  in  welcher  der  aus  vergoldeten 
Häutchen  hergestellte  Goldfaden  noch  nicht  oder  nur  erst  wenig  zur  Verwendung 
kam.  Damals  mochte  es  allerdings  bei  dem  geringen  Preis  der  Arbeit  empfehlens- 
werter sein,  um  an  Gold  zu  sparen,  das  Gewand  mit  Mustern  in  Gold  zu  be- 
sticken, statt  es  mit  solchen  zu  durchweben.  Anders  verhielt  sich  jedoch  die 
Sache,  als  jenes  Surrogat  echter  Goldfäden  an  die  Stelle  rein  goldener  oder 
silbervergoldeter  zu  treten  begann.  Nun  konnte  man  ohne  Schwierigkeit  den 
Goldfaden  als  Schuß  durch  die  ganze  Breite  des  Stoffes  gehen  lassen,  ohne 
diesen  allzusehr  zu  verteuern  und  allzu  schwer  zu  machen.  Es  war  daher 
auch  nicht  mehr  nötig,  die  Kasel  in  mühsamer  und  langwieriger  Arbeit  mit 
Goldornamenten  zu  besticken,  und  so  begreift  es  sich  unschwer,  weshalb  die 
Inventare  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  fast  nur  Meßgewänder  aus  Brokat 
verzeichnen.  Was  noch  in  dieser  Zeit  an  goldgestickten  Kasein  erwähnt  wird, 
dürften  aus  früheren  Tagen  stammende  Gewänder  sein. 

Außer  Kasein,  welche  mit  ornamentalen  Goldstickereien  nach  Art  der 
Goldbrokate  geschmückt  waren ,  gab  es  im  Mittelalter  aber  auch  solche, 
die  ganz  mit  figürlichen  Darstellungen  bestickt  waren.  Une  chasuble  rouge, 
ouvrage  avec  des  cercles  et  des  figures  de  saints  en  or  heißt  es  z.  B.  in  dem 
Inventar  von  Cluny;  item  una  planeta  de  samito  albo  ad  ymagines  sanctorum 


1  S.  oben  S.  185. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


227 


et  angelorum  et  aliarum  figufarum  de  auro  in  dem  Inventar  von  S.  Francesco 
zu  Assisi;  item  una  planeta  contexta  ad  aurum  de  serico  de  historia 
Salvatoris  ab  annuntiatione  beatae  virginis   im  Anagneser  Gaben  Verzeichnis 1. 

Es  hat  sich  noch  eine  verhältnismäßig  beträchtliche  Anzahl  solcher  bild- 
bestickter Meßgewänder  erhalten.  Die  älteren  sind  in  Gold  auf  farbigem 
Seidengrund,  die  jüngeren  in  Seide  oder  Seide  und  Gold  auf  Linnengrund  aus- 
geführt. Einige  sind  leider  stark  beschnitten  oder  sonst  stark  beschädigt. 
Im  wesentlichen  unversehrt  sind  drei  derartige  Kasein  im  Dom  zu  Bamberg, 
zwei  zu  St  Paul  in  Kärnten,  eine  im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Anagni,  ferner 
das  später  zum  ungarischen  Krönungsmantel  gemachte  Meßgewand  im  Kron- 
schatz zu  Preßburg  und  die  zum  Meßornat  des  Ordens  vom  goldenen  Vlies 
gehörige  Kasel  in  der  k.  k.  Schatzkammer  zu  Wien.  Nur  Torsos  sind  die 
Kasein  zu  Marienberg  (Tirol) ,  Goß  (Steiermark)  und  eine  Kasel  im  Dom  zu 
Würzburg. 

Von  den  drei  Bamberger  Kasein  stellt  eine,  das  Werk  eines  gewissen  Ismael,  in  ihrem 
Bildwerk  den  Sternenhimmel  dar:  DESCRIPTIO  TOCIVS  ORBIS  +  PAX  ISMA- 
HELI  QVI  HOC  ORDINAVIT,  sagt  eine  diesbezügliche  Inschrift 2.  Indessen  kommen 
zu  den  Sternbildern  auch  einige  religiöse  Bilder,  wie  der  thronende  Heiland,  die  aller- 
seligste  Jungfrau,  Johannes  der  Täufer,  Maria  mit  dem  Kinde  usw.  Die  Darstellungen 
sind  durch  entsprechende  Inschriften  erläutert ,  die  für  die  Sternbilder  auf  einer  um 
700  im  Frankenreich  entstandenen  und  etwas  später  bearbeiteten  lateinischen  Über- 
setzung der  griechischen  Schoben  zu  Arats  Sterngedicht  fußen.  Das  Gewand  stammt, 
laut  der  in  mächtigen  Unzialen  den  Saum  entlang  angebrachten  Inschrift :  0  DECVS 
EVROPAE  CESAR  HENRICE  BEARE  ANGEAT  (augeat)  IMPERIVM  IBTI  (tibi) 
REX  Q  (qui)  REN  (regnat)  WINE  (in  evum),  aus  den  Tagen  Heinrichs  des  Heiligen, 
also  aus  dem  Beginn  des  11.  Jahrhunderts"'.  Daß  es  von  Anfang  an  zum  Ge- 
brauch beim  Gottesdienst  bestimmt  war ,  also  stets  als  Kasel  gedient  hat ,  daran 
läßt  die  unter  dem  Bilde  des  Erlösers  angebrachte  Weiheinschrift:  SVPERNE  VSYE 
SIT  GRATV(M)  HOC  CESARIS  DONVM  keinen  Zweifel.  Die  Meinung  Bocks,  es  sei 
ursprünglich  ein  Mantel  Heinrichs  gewesen  und  ein  Geschenk  Ismaels ,  des  Herzogs 
von  Apulien ,  später  aber  von  dem  Kaiser  seiner  Lieblingsstiftung ,  dem  Dom  zu 
Bamberg ,  übergeben  worden ,  ist  nicht  bloß  leere  Vermutung ,  sondern  tut  auch  den 
Inschriften  des  Gewandes  Gewalt  an.  Übrigens  ist  auch  bei  diesem  nur  die  Stickerei 
alt;  der  dunkelblaue,  mit  dem  Granatapfel  gemusterte  Seidenstoff,  der  als  Fond  dient, 
gehört  dem  späten  15.  Jahrhundert  an.  Den  ursprünglichen  Grund  der  Stickerei  bildete 
ein  tiefblauer,  schwerer  Seidenköper. 


1  Vgl.  auch  das  Inventar  von  Lincoln  (1539) : 
Inprimis  a  chasuble  of  white  cloth  broidered 
with  images  and  angels  of  gold  with  costly 
orphreys  of  gold,  having  The  Trinity  in  the 
back,  the  holy  Ghoost  beeing  of  pearls  .  .  . 
gift  of  John  Weiburne  sometime  treasurer 
(1351—1381). 

-  Adelheid,  die  Mutter  König  Roberts  von 
Frankreich  (f  1031),  schenkte  der  Abtei 
St-Denis  ein  kostbares  „ornamentum  quod 
vocatur  orbis  terrarum"  (Helgaudi,  Vita 
Roberti  regis  [M.  141,  918]).  Bock  hat  das- 
selbe für  eine  Kasel  und  für  ein  Gegenstück 
der  Bamberger  Kasel  angesehen,  doch  dürfte 
es  sich  nach  dem  Zusammenhang  bei  Helgaud 
schwerlich  um  ein  Meßgewand  handeln.  Dem 
Kloster  des  hl.  Martin  stiftete  Adelheid  eine 
Kasel ,  auf  der  im  Nacken  die  Maiestas 
Domini   zwischen   anbetenden  Cherubim  und 


Seraphim ,  auf  der  Brust  aber  das  Lamm 
Gottes  zwischen  den  Evangelistensymbolen 
in  Goldstickerei  angebracht  war  (ebd.  918). 
3  Abbildung  in  Buntdruck  bei  Bock, 
Reichski.  Tfl  xli,  in  Zinkätzung  in  Zeitschrift 
XII  (1899),  Sp.  327  ff.  Die  beste  Besprechung 
des  Bildwerkes  bietet  der  vortreffliche  Aufsatz 
vonProf.Ernst  Maas,  Inschriften  und  Bilder 
des  Mantels  Kaiser  Heinrichs  IL,  ebd.  321  ff. 
Die  Ausführungen  Bocks  im  Text  zu  den 
„Kleinodien"  S.  192  ff  und  der  „Geschichte" 
I  167  ff  werden  hier  in  manchen  Punkten 
korrigiert  und  die  Inschriften  als  aufs  Arats 
Sterngedicht  sich  gründend  nachgewiesen  und 
richtig  erklärt.  Irrig  scheint  es  uns  indessen, 
wenn  das  Bildwerk  des  Mantels  mit  Sternen- 
gewändern des  altheidnischen  Kultus  oder 
römischer  Kaiser  in  Verbindung  gebracht 
wird. 

15* 


228 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Die  Kasel  mit  dem  Sternenhimmel  ist  unzweifelhaft  ein  ungemein  hervorragendes 
Stück,  und  doch  ist  ein  zweites  der  drei  mit  Bildwerk  verzierten  Meßgewänder  des 
Bamberger  Domschatzes  noch  weit  ausgezeichneter,  allerdings  nicht  hinsichtlich  des 
Materials  und  der  Technik,  welche  bei  beiden  Gewändern  die  gleichen  sind,  wohl  aber 
durch  größeren  Reichtum  und  tieferen  Gehalt  des  Bilderschmuckes  '.  Die  Anordnung 
des  Bildwerks  erhellt  aus  Bild  104.  Der  Gedanke,  welcher  in  ihm  versinnlieht  wird, 
ist  die  Verheißung  des  Heilandes ,  die  Erwartung  und  Geburt  desselben  und  die 
Spendung  des  in  Christus  gegebenen  Heiles  an  die  Juden  und  Heiden  durch  die 
Stiftung  und  Wirksamkeit  der  Kirche.  Ihre  segensreiche  Tätigkeit  bei  den  Juden 
wird  durch  die  Wunder  Petri  bei  den  Juden  (links),  die  zum  Frommen  der  Heiden 
durch  seine  Taten  zu  Rom  (rechts)  dargestellt.  Dort  schauen  wir  Petrus  den  Lahmen 
heilen ,  Tabitha  zum  Leben  erwecken  usw. ,  hier  gewahren  wir  ihn  zusammen  mit 
Paulus  den  Simon  Magus  bekämpfen  und  für  den  Glauben  sterben.  Wenn  dabei  auch 
das  Ende  Neros  zur  Darstellung  kommt,  so  will  das  wohl  auf  den  schließlichen  Sieg 
der  Kirche  und  das  Ende  ihrer  Widersacher  hinweisen.     Alle  Bilder  sind  durch  Um- 


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Bild   104.      Kasel    (11.    Jahrb.).      Bamberg,  Dom.     (Nach  Bock.) 

schritten  erläutert.  Am  großartigsten  gedacht  ist  die  Bildergruppe  in  der  Mitte  der 
Kasel ;  in  der  Mandorla  tritt  der  Heiland  aus  seiner  Himmelsherrlichkeit  hervor.  Von 
den  acht  Kreisen,  die  sich  um  die  Mandorla  lagern,  stellen  sechs  ebensoviele  der  großen 
O-Antiphonen  symbolisch  dar ,  während  der  siebte  durch  die  Wiedergabe  von  Beth- 
lehem auf  die  bekannte  Weissagung  des  Propheten  Michäas  und  der  achte  auf  die 
Prophetie  Balaams  hindeutet.  Die  vier  Kreisausschnitte  endlich ,  welche  die  Gruppe 
oben  und  unten  zur  Rechten  und  Linken  abschließen ,  enthalten  Personen ,  welche 
unter  lebendig  bewegten  Gesten  dem  Kommen  des  Heilandes  entgegenharren.  In  der 
Tat,  nur  wenige  Meßgewänder  dürften  jemals  mit  einem  gleich  bedeutungsvollen  und 
inhaltreichen  Bilderschmuck  versehen  worden  sein.  Schade ,  daß  das  künstlerische 
Können  des  Stickers  nicht  auf  gleicher  Stufe  mit  dem  technischen  stand  und  die 
Stickerei  darum  manche  zeichnerische  Mängel  aufweist.  Allerdings  haben  dieselben 
zum  Teil  in  der  Technik  ihren  Grund,  die  hier  zur  Anwendung  kam.  Goldstickerei, 
bei  der  nach  Art  eines  Brokates  alles  in  Gold  ausgeführt  wird ,  ist  für  figürliche 
Stickereien  die  allerundankbarste  Stickweise ,  zumal  wenn  es  sich  wie  hier  um  Dar- 
stellungen von  geringer  Größe  handelt.   Ein  Mangel  ist  auch  die  Einteilung  des  Grundes 


1  Farbige  Abbildung  bei  Bock,  Reichski.  Tfl  xliii. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


229 


in  kreisförmige  Medaillons ,    deren   Folge   am   Rand   des    Gewandes   unschöne   Kreis- 
segmente mit  halben  Figuren  und  verstümmelten  Inschriften  sind  '. 

Ungleich  besser  ist  in  dieser  Beziehung  die  Weise ,  in  welcher  das  Bildwerk 
auf  dem  jetzigen  ungarischen  Krönungsmantel  angeordnet  ist  (Bild  105).  Hier  hat 
der  Künstler  von  einer  regelmäfsigen  Flächeneinteilung'  abgesehen  und  es  vorgezogen, 
die  Darstellungen  in  vier  Zonen  übereinander  anzubringen.  Der  Bilderschmuck  dieses 
ehemaligen  Meßgewandes  stellt  die  Verherrlichung  Christi  dar  und  darf  als  eine  grofs- 
artige  Blustration  des  Tedeum  bezeichnet  werden  '-.  Die  obere  Zone  weist  in  der  Mitte 
in  einer  Mandorla  Christus  als  Sieger  über  die  höllischen  Mächte  auf;  rechts  davon  ist 
Christi  Auffahrt,  links  der  Gottesgebärerin  Aufnahme  dargestellt.  Die  Trennung  zwischen 
der  oberen  und  der  zweiten  Zone  wird  durch  die  Schrägstreifen  des  Gabelkreuzes  ge- 
bildet, mit  dem,  wie  schon  früher  gesagt  wurde,  die  Kasel  verziert  ist.  Dieselben  ent- 
halten in  Rundmedaillons  Brustbilder  von  Engeln.  Die  zweite  Zone  ist  durch  die  Vertikal- 


Bild  105.     Kasel,  gestiftet  von  König  Stephan  d.  H.  und  seiner  Gemahlin  Gisela, 
jetzt  ungarischer  Krönungsmantel.     (Nach  Bock.) 

besätze  des  Gewandes,  von  denen  jetzt  freilich  nur  mehr  der  rückseitige  vorhanden  ist, 
in  zwei  Hälften  geschieden.  Beide  enthalten  Christus,  der  das  eine  Mal  durch  die  bei- 
gefügten A  und  12,  das- andere  Mal  durch  die  Worte  principium  und  finis  gekennzeichnet 
ist,  umgeben  von  je  zwei  der  großen  und  je  sechs  der  kleinen  Propheten.  Ein  Band 
scheidet  die  zweite  Zone  von  der  dritten.  Die  Inschrift,  die  auf  ihm  an  gebracht  ist, 
enthält  die  Widmung :  CASULA  HEC  OPERATA  ET  DAT(A)  ECCLESIAE  SANCTAE 
MARIAE  SITAE  IN  CIVITATE  ALBA  ANNO  INCARNACIONIS  XRI  MXXXI  IN- 
DICCIONE  XIII  A  STEPHANO  REGE  ET  G1SLA  R.  s    Die  dritte  Zone  zeigt  in  der 


1  Die  dritte  Kasel  im  Schatz  des  Bamberger 
Domes  können  wir  hier  übergehen,  weil  wir 
doch  bei  Besprechung  des  Rationale  näher 
auf  sie  eingehen  müssen. 

-  Farbige  Abbildung  bei  Bock,  Reichskl. 
Tri  xvii. 

3  Nach  Bock  I  157  wäre  das  Gewand  von 
der  kunstsinnigen  Königin  Gisela  mit  eigenen 


Händen  angefertigt  worden.  Wenn  er  das 
aus  der  Inschrift  erschließt,  hätte  er  auch 
wohl  den  hl.  Stephan  als  eigenhändigen  Ver- 
fertiger bezeichnen  müssen.  Ein  Irrtum  ist 
es,  wenn  Bock  im  Text  zur  Tafel  (Reichskl. 
88)  die  Halbbilder  der  unteren  Zone  unter  den 
sonderbarsten  Konjekturen  als  Könige  deutet 
und    den   an    der   Vorderseite    angebrachten, 


230 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Mitte  in  spitzovalem  Medaillon  Christus  als  Herrscher,  rechts  und  links  unter  Arka- 
turen  je  sechs  Apostel.  Der  Raum  oberhalb  dieser  Arkaturen  ist  mit  kleinen,  lebhaft 
bewegten  menschlichen  Figuren  gefüllt,  vielleicht  eine  Darstellung  der  Ecclesia  mili- 
tans  oder  der  Welt  der  vorchristlichen  Zeit,  der  die  Propheten  das  Heil  in  Christus 
verkündeten.  Die  unterste,  vierte  Zone  ist  von  der  darüberliegenden  dritten  durch 
einen  mit  vegetabilischen  und  animalen  Motiven  ornamentierten  Streifen  geschieden 
und  weist  in  Rundmedaillons  zwischen  Rankenwerk,  dem  Pfauen  eingefügt  sind,  in 
der  Mitte  die  Halbbilder  Stephans  und  Giselas ,  zur  Rechten  und  Linken  aber  die- 
jenigen von  je  fünf  heiligen  Märtyrern  als  Vertretern  des  chorus  martyrum  auf.  Wahr- 
scheinlich schlofä  sich  an  diese  vierte  Zone  noch  ein  Streifen  mit  Brustbildern  heiliger 
Bekenner  und  Jungfrauen  an,  von  dem  sich  noch  ein  kurzes,  jetzt  an  der  Vorderseite 
des  Gewandes  angebrachtes  Stück  erhalten  hat.  Das  einst  vorn  geschlossene  Gewand 
wurde  gelegentlich  der  Krönung  Maria  Theresias '  größerer  Bequemlichkeit  halber  auf- 
geschlitzt, wobei  ein  Teil  der  dort  befindlichen  Stickereien  verloren  ging,  darunter 
namentlich  der  größte  Teil  eines  Medaillons  und  eines  darüber  befindlichen  rechteckigen 
Feldes  -.  Die  Kasel  ist  wie  die  Bamberger  ganz  in  Goldstickerei  auf  blaupurpurnem, 
kräftigem  Seidenstoff  ausgeführt. 

Auch  die  sehr  schadhafte  und  fast  nur  aus  Fetzen  bestehende  Kasel  im  Dom  zu 
Würzburg  gehört  nach  Material,  Technik,  Stil  und  Charakter  des  Bildwerkes  zur  Gruppe 
der  Kasein  im  Bamberger  Domschatz  3.  Es  kann  darum  wohl  nicht  zweifelhaft  sein, 
daß  auch  sie  wie  diese  der  Frühe  des  11.  Jahrhunderts  entstammt.  Die  Überlieferung 
will,  daß  sich  Bischof  Bruno  (f  1045)  ihrer  bedient  habe.  Zur  Zeit,  da  das  Gewand 
noch  intakt  war  und  in  seinem  ursprünglichen  Glanz  strahlte ,  muß  es  ein  wahres 
Prachtstück  gewesen  sein,  das  den  Vergleich  mit  dem  jetzigen  ungarischen  Krönungs- 
mantel und  den  Kasein  im  Kaiserdom  zu  Bamberg  kaum  zu  scheuen  brauchte.  Es 
war  mit  großen  Medaillons  geschmückt,  welche,  nach  den  spärlichen  Resten  zu  urteilen, 
Christus  und  Heilige  enthielten. 

Sehr  verschieden  von  den  bisher  beschriebenen  Kasein  sind  die  beiden  Meß- 
gewänder zu  St  Paul.  Während  bei  jenen  nur  der  Bilderschmuck  in  Stickerei  her- 
gestellt ist  und  sie  darum  den  Anschein  erwecken,  als  seien  sie  aus  goldbroschiertem 
blauem  Purpur  hergestellt,  ist  bei  diesen  sowohl  das  Bildwerk  wie  der  Fond  auf  grober, 
kanevasähnlicher  Leinwand  mit  der  Nadel  angefertigt.  Während  ferner  dort,  abgesehen 
von  den  zum  Abheften  nötigen  roten  Seidenfäden,  ausschließlich  Gold  zur  Verwendung 
kam ,  diente  hier  entweder  lediglich  farbige  Seide  oder  Seide  in  Verbindung  mit 
Gold  als  Stickmaterial. 

Die  eine  der  beiden  Kasein  zu  St  Paul  entstammt  etwa  der  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts; die  Form,  welche  die  Mitra  auf  verschiedenen  Darstellungen  hat,  macht 
das  zweifellos.  ■  Als  Stiche  sind  bei  der  Kasel  nur  der  Zopfstich  und  der  Kettenstich 
verwendet  worden.  Im  Zopfstich  sind  Grund  und  Ornamente  ausgeführt ;  der  Ketten- 
stich diente  zur  Markierung  der  Konturen ,  der  Falten  und  des  sonstigen  Details, 
wie  z.  B.  der  Gesichtszüge. 


mit  Brustbildern  von  Heiligen  verzierten 
Streifenrest  als  Überbleibsel  des  vorderen 
Vertikalstabes  ausgibt.  Die  Stellung  dieser 
Brustbilder  läßt  keinen  Zweifel  übrig,  daß  sie 
von  einem  horizontal  verlaufenden  Zierstreifen 
herrühren,  wie  es  ein  Saumstreifen  war. 

1  Er  asm  us  Froelichs  S.  J.  Casulae 
S.  Stephani  Reg.  Hung.  vera  imago  et  ex- 
positio,  Viennae  1754,  54. 

-  Die  Kasel  zu  Martinsberg  (vgl.  oben 
S.  179)  enthält  dieselben  Darstellungen  wie 
der  jetzige  ungarische  Krönungsmantel,  jedoch 
nicht  in  Stickerei ,  sondern  in  Malerei  auf 
einem    feinen,   jetzt  stark  gedunkelten  (sei- 


denen?) Stoff.  Die  Figuren  und  Ornamente 
sind  farbig,  die  Konturen  derselben  schwarz- 
braun (Jahrb.  der  k.  k.  Zentralkommission  I, 
Wien  1857,  105).  Ob  sie  die  Vorlage  zur 
Oiselakasel  ist  oder  eine  Kopie,  wagen  wir 
nicht  zu  entscheiden,  da  wir  sie  nicht  von 
Augenschein  kennen. 

3  Zu  dieser  Gruppe  gehören  auch  die  schon 
erwähnte  Kasel  mit  den  Reitern  im  Dom  zu 
Bamberg,  der  sog.  St  Kunigundenmantel  da- 
selbst, der  Besatz  der  St  Wolfangskasel  im 
Dom  zu  Regensburg  und  die  sog.  Tunika 
Heinrichs  IL  im  kgl.  bayr.  Nationalmuseum 
zu  München. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


231 


Die  Anordnung  des  Bilderschmuckes  ist  aus  Bild  106  ersichtlich.  Der  quadra- 
tischen Felder,  in  welche  die  Fläche  des  Gewandes  eingeteilt  ist,  gibt  es  im  ganzen  38, 
von  denen  indessen  12  unvollständig  sind.  Sie  werden  durch  geometrisch  gemusterte 
Streifen  voneinander  getrennt  und  sind  bis  auf  die  vier  kleinsten  Quadratfragmente 
allesamt  mit  figuralen  Darstellungen  gefüllt.  Das  Bildwerk  gliedert  sich  in  vier  Gruppen. 
Die  erste  umfaßt  auf  acht  Feldern  Begebenheiten  aus  dem  Leben  des  Erlösers  (Ver- 
kündigung, Geburt,  Anbetung  durch  die  Weisen,  Taufe,  Gefangennehmung,  Geißelung, 
Kreuzigung,  Christus  als  Weltrichter) ;  die  zweite  auf  vier  Feldern  acht  Bilder  von  Pro- 
pheten (David  und  Salomon ,  Isaias  und  Jeremias ,  Ezechiel  und  Daniel ,  Job  und 
Balaam);  die  dritte  auf  12  Feldern  vorbildliche  Szenen  aus  dem  Alten  Bunde  (Evas 
Erschaffung,  Kain  und  Abel,  Melchisedech  und  Aaron,  Isaaks  Verheißung,  Isaaks 
Opferung,  Joseph  in  die  Zisterne  versenkt,  Moses  und  Elisäus ,  Aarons  Stab,  Josue 
und  Judas,  Verkündigung  der  Geburt  Samsons ,  Samuel  erschlägt  Agag,  Naamans 
Heilung   im    Jordan);    die   vierte   endlich   auf  zehn   Feldern   Heiligenfiguren    (Gregor 


Bild   106.      Kasel.      St  Paul  (Kärnten). 


d.  Gr. ,  Nikolaus  und  Blasius ,  Laurentius ,  Stephanns  und  Vinzentius ,  Sebastianus 
und  Georg,  Eegula  und  Felix,  Benediktus  und  Gallus,  Verena,  Agnes  und  Cäcilia, 
Oswald  und  Mauritius,  Ulrich  und  Konrad,  Erasmus  und  Pantaleon).  Zur  Füllung 
der  von  figürlichen  Darstellungen  freien  Felder  wurden  romanisch  stilisierte  Drachen 
und  Ranken  benutzt.  Den  Saum  umgibt  als  Abschluß  eine  breite  Borte ,  welche  in 
kreisförmigen  Medaillons  die  Brustbilder  von  Persönlichkeiten  aus  dem  Alten  und 
Neuen  Testament  enthält.  Jenem  wurden  die  kleinen  Propheten,  die  Könige  Ezechias 
und  Josias,  Esther  und  die  Eltern  Johannes'  des  Täufers  entnommen;  diesem  die 
Evangelisten  und  Apostel,  Kaiser  Konstantin,  St  Helena  und  Kaiser  Otto  (L). 

Die  zweite  Kasel  datiert  aus  dem  Beginn  des  13.  Jahrhunderts;  sie  steht 
zeichnerisch  wie  technisch  um  ein  bedeutendes  höher  als  ihre  ältere  Schwester.  Der 
Fond  ist  wie  bei  dieser  über  straminartigem  Linnen  im  Zopfstich  hergestellt.  Ebenso 
wurden  auch  bei  ihr  die  Umrisse,  die  Faltenlinien  und  ähnliches  im  Kettenstich  ge- 
stickt, dagegen  ist  das  Figurenwerk  teils  im  Küperstich,  teils  in  Goldabheftarbeit 
ausgeführt. 

Die  Kasel  ist  oder  besser  war  einst  in  36  quadratische  Felder  eingeteilt,  von  denen 
26  vollständig,  10  unvollständig  waren.    Über  die  Mitte  der  Bückseite  verläuft  von  oben 


232 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


nach  unten  ein  mit  neun  Scheibenmedaillons  verzierter  Streifen.  Das  Bildwerk,  welches 
diese  umschließen ,  besteht  aus  dem  Lamm  Gottes ,  den  Evangelisten  und  den  vier 
großen  Propheten.  Die  dem  Vertikalstreifen  rechts  und  links  zunächstliegende  Reihe 
von  je  fünf  Feldern  enthält  Szenen  aus  dem  Neuen  Testament  (die  Verkündigung  und 
Heimsuchung ,  die  Geburt  Christi  und  ihre  Offenbarung  an  die  Hirten ,  die  Anbetung 
durch  die  Weisen,  die  Taufe,  Geißelung  und  Dornenkrönung,  Christus  am  Kreuz,  die 
Grablegung ,  Auferstehung  und  Vorhölle).  Alle  übrigen  Felder  weisen  Darstellungen 
aus  dem  Leben  des  hl.  Nikolaus  auf.  Geschieden  werden  die  Felder  durch  Bänder, 
die  zum  Teil  mit  vegetabilischem  oder  geometrischem  Ornament ,  zum  Teil  mit  er- 
läuternden Inschriften  versehen  sind.  Zur  Füllung  der  Felder,  welche  sich  für  figürliche 
Darstellungen  als  zu  klein  erwiesen,  wurden  auch  hier  Pflanzen-  und  Tiermotive  benutzt '. 

Auch  bei  den  gegenwärtig  verstümmelten  Kasein  zu  Marienberg  und  Goß  sind 
Muster  und  Grund  in  Seidenstickerei  hergestellt.  Auf  dem  Marienberger  Meßgewand 
sind  oben  auf  dem  Bücken  in  Rundmedaillons  das  Lamm  Gottes  und  die  vier  Evan- 
gelistensymbole angebracht.  Das  Lamm  Gottes  befindet  sich  in  der  Mitte  eines 
aus  romanischen  Ranken  bestehenden  Kreuzes ;  die  Evangelistensymbole  haben  in  dem 
Raum  zwischen  dessen  Armen  eine  Stelle  erhalten.  Über  der  Brust  ist,  begleitet  von 
zwei  Engeln,  in  ovalem  Medaillon  der  Weltrichter  dem  Gewand  aufgestickt.  Im  übrigen 
überziehen  den  Fond  mächtige,  mit  Blättern  reichbesetzte  Bäume,  eine  ganz  eigenartige 
Dekoration.     Die  Kasel  mag  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  entstammen2. 

Die  aufs  äußerste  zugestutzte  und  schrecklich  entstellte  Gösser  Kasel  weist  auf 
dem  oberen  Teil  der  Rückseite  in  einem  großen  Kreise  den  Heiland  auf  dem  Throne, 
auf  dem  unteren  Engel  unter  rundbogigen  Arkaturen  auf.  Die  Vorderseite  schmückt 
oben  eine  Kreuzigungsgruppe,  gleichfalls  in  großem  Kreise,  unten  gewahrt  man  Apostel 
unter  Rundbogen.  Die  Kasel  ist  mitsamt  einem  Pluviale,  einer  Dalmatik,  einer  Tuni- 
ceila und  einem  Antependium  die  Stiftung  einer  Äbtissin  Kunigunde  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts3. 

Aus  dem  sj}äten  Mittelalter  gibt  es  nur  noch  eine  ganz  mit  figürlichen  Dar- 
stellungen bestickte  Kasel,  das  zum  Meßornat  des  Ordens  vom  Goldenen  Vlies  gehörende 
Meßgewand  in  der  k.  k.  Schatzkammer  zu  Wien,  künstlerisch  betrachtet  unstreitig  das 
Vollendetste,  was  mittelalterliche  Sticker  an  Bilderkasein  hervorgebracht  haben.  Es  ist 
keine  Glockenkasel  mehr,  denn  seine  Länge  beträgt  über  den  Schultern  nur  noch 
ca  0,60  m.  Ebenso  ist  der  Schnitt,  wie  der  stumpfe  Winkel  beweist,  welchen  die 
Schrägseiten  bilden ,  schon  ein  anderer  geworden.  Allein  es  wäre  eine  Glockenkasel 
bei  der  hier  beliebten  Stickweise  auch  schlechthin  unbrauchbar  gewesen. 

Auf  der  Rückseite  der  Kasel  (Bild  107)  ist,  und  zwar  teils  auf  dem  Gabelkreuz 
teils  auf  dem  Gewand  selbst,  in  großen  Figuren  die  Verklärung,  auf  der  Vorderseite 
die  Taufe  Christi   dargestellt.     Die   noch   übrige  Fläche   beleben   anbetende  Engel   in 


1  Ausführlich  werden  die  beiden  Kasein 
besprochen  in  Hei  der,  Liturgische  Gewänder 
aus  dem  Stifte  St  Blasien  im  Schwarzwald 
(Jahrbuch  der  k.  k.  Zentralkommission  zur  Er- 
forschung und  Erhaltung  der  Baudenkmäler 
IV  111  ff)  nebst  guten  Teilillustrationen. 
Abbildung  der  ganzen  Vorderseite  beider 
Kasein  bei  Kraus,  Der  Kirchenschatz  von 
St  Blasien  (Freiburg,  Akademische  Verlags- 
handlung), Atlas  Tfl  i  ir,  wo  indessen  die 
Unterschriften  vertauscht  sind.  Dazu  Kraus, 
Die  Kunstdenkmäler  der  Großherzogtums 
Baden,  Kreis  Waldshut,  103.  Die  Kasein 
wurden  zuerst  beschrieben  und  abgebildet 
von  Abt  Gerbert  von  St  Blasien  (Liturgia 
allem.  I  247  267,  tab.  vi  vu).  Die  Abbildungen 
sind  für  ihre  Zeit  überraschend  getreu. 


2  Über  die  Marienberger  Kasel  vgl.  Mitt. 
1895,  189  ff,  nebst  Skizzen. 

3  Über  das  Gösser  Meßgewand  vgl.  nament- 
lich ebd.  1858,  57  ff.  Eine  mangelhafte  farbige 
Abbildung  der  Vorderseite  des  Gewandes 
findet  sich  Beilage  II  des  „Kirchenschmucks" 
Jahrg.  1874.  Skizzen  der  Vorder-  und  Rück- 
seite ebendort  Beilage  I.  Eine  gute  photo- 
typische Abbildung  beider  bei  De  Farcy  77. 
Die  Darstellungen  auf  der  Marienberger  Kasel 
decken  sich  vollständig  mit  dem  bildlichen 
Schmuck  des  von  Adelheid ,  der  Mutter 
Roberts  von  Frankreich,  dem  Kloster  des 
hl.  Martin  verehrten  Meßgewandes  (s.  oben 
S.  227,  Anm.  2),  nur  daß,  was  bei  diesem 
die  Brustseite  schmückte,  bei  jener  auf  der 
Rückseite  angebracht  ist  und  umgekehrt. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


233 


langgezogenen,  sechseckigen  Feldern.  Die  figürlichen  Darstellungen  sind  mit  Ausnahme 
der  Fleischteile,  des  Haares  und  ähnlicher  Einzelheiten  in  vollendetster  Lasurstickerei, 
die  Goldborten ,  welche  die  Umrahmung  der  Sechsecke  bilden ,  im  Korbstich ,  die 
Eosetten  an  den  Ecken  der  Felder,  die  Bänder  der  Spruchbänder  und  Nimben  und 
ähnliches  in  Perlstickerei  hergestellt.  Der  einzige  Mangel  ist  die  hier  schlecht  angebrachte 
Einteilung  der  Gewandfläche  in  Sechsecke.  Was  bei  den  zur  Kasel  gehörigen  drei 
Pluvialien  vortrefflich  wirkt,  weil  sich  dort  die  Felder  radienförmig  und  ohne  Ver- 
stümmelung um  einen  Mittelpunkt  gruppieren  können ,  wirkt  hier  unschön ,  da  weder 
die  strahlenförmige  Anordnung  zur  Geltung  kommt,  noch  ein  Zerschneiden  einzelner 
Felder  bei  der  Form  des  Gewandes  sich  vermeiden  ließ.  Die  Kasel  steht  mit  ihrem 
Zubehör,  drei  Pluvialien,  Dalmatik  und  Tunicella,  im  späten  Mittelalter  vereinzelt  da. 
Sie  dürfte  schwerlich  zu  ihrer  Zeit  ein  Gegenstück  gefunden  haben. 

Ein  namhaftes  Hinder- 
nis für  die  Bestickung  des 
ganzen  Meßgewandes  bildeten 
im  Mittelalter  seine  große 
Länge  und  Weite  und  die 
damit  im  Zusammenhang 
stehenden  Unzuträglichkeiten 
beim  Gebrauch  derartig  be- 
stickter Kasein.  Selbst  in 
der  Spätzeit  hatte  es  im  Ver- 
gleich mit  den  Kaselmaßen 
im  17.  und  18.  Jahrhundert 
immer  noch  sehr  beträcht- 
liche Größenverhältnisse.  In 
dem  Grade,  wie  das  Meß- 
gewand seit  dem  16.  Jahr- 
hundert an  Ausdehnung  ab- 
nahm, mußte  daher,  wie  leicht 
begreiflich,  bei  der  Pracht- 
liebe der  Renaissance  die  Vor- 
liebe für  bestickte  Kasein 
zunehmen. 

Wirklich  entstanden     Bild  107      Kasel  des  Ornats  des  Ordens  vom  Goldenen 

schon  im  16.  und  in  der  Frühe  Vlies,    wien,  t.  k.  Schatzkammer. 

des  17.  Jahrhunderts  zahl- 
reiche ganz  mit  Stickereien  überzogene  Kasein.  Die  Regel  war,  den  Fond 
entweder  mit  größeren  Ranken  in  klassischem  Geschmack  oder  kleinerem, 
dicht  zusammengerücktem  Ornament  auszufüllen,  wobei  gern  den  Rand  des 
Gewandes  entlang  eine  breite  Borte  gestickt  wurde.  Als  Arbeitsmaterial  wurde 
zu  den  Stickereien  mit  großer  Vorliebe  Gold  und  Silber  gebraucht.  Figürliche 
Darstellungen  waren  durchaus  Ausnahmen.  Die  vorzüglichsten,  mit  Bildwerk 
verzierten  Kasein  aus  dieser  Zeit  sind  die  bereits  gelegentlich  erwähnten  Kasein 
in  der  Kapelle  der  Chigi  im  Dom  zu  Siena  und  in  der  Opera  del  Duomo  zu 
Florenz  (Bild  80,  S.  192  und  81,  S.  193);  aber  selbst  diese  weisen  auf  den 
neben  dem  Besatz  liegenden  Flächen  zuletzt  nur  mäßigen  figürlichen  Schmuck 
auf,  der  überdies  bei  dem  Florentiner  Meßgewand  stark  antikisiert,  jeder  tieferen 
Bedeutung  bar  ist  und  statt   in  Stickerei  mit  dem  Pinsel  hergestellt  wurde. 

Besonders  beliebt  wurden   bestickte  Kasein  seit   der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  d.  i.  zur  Zeit,  da  das  Meßgewand  in  das  letzte  Stadium  seiner 


234  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Verbildung  getreten  und  ein  weiteres  Zustutzen  desselben  kaum  mehr  möglich 
war.  Mit  Vorzug  wurden  jetzt  möglichst  schwere  und  in  die  Augen  fallende 
Gold-  und  Silberguipes  unter  reichlicher  Verwendung  von  glitzerndem  Bouillon 
und  glänzendem  Platt  zum  Besticken  des  Gewandes  gebraucht,  das  nur  zu 
häufig  infolgedessen  zu  zwei  steifen  Brettern  oder  zu  einem  Küraß  wurde. 
Es  war.  wie  wir  schon  früher  bemerkten,  als  ob  man  die  Wirkung,  welche 
die  Kasel  hinsichtlich  ihrer  Form  eingebüßt  hatte,  durch  Entfaltung  größten 
Prunkes  hätte  wettmachen  wollen.  Welches  Gewicht  das  Meßgewand  infolge 
dieser  Gold-  und  Silberstickereien  bisweilen  erhielt,  beweist  z.  B.  das  zum 
Klementinenornat  im  Dom  zu  Köln 1  gehörende  Meßgewand ,  Avelches  nicht 
weniger  denn  13  Kilo  wiegt.  Und  doch  kann  man  es  noch  nicht  als  das 
prunkvollste  und  schwerste  bezeichnen.  Wird  doch  von  de  Farcy  eine  Kasel 
aus  dem  Jahre  1690  erwähnt,  welche  ein  Gewicht  von  18  Kilo  erreichte2. 

Es  kann  kein  Zweifel  sein,  daß  derartige  Meßgewänder,  so  glänzend  sie 
auch  sein  mochten  und  so  vollendet  auch .  die  Technik  der  auf  ihnen  an- 
gebrachten Stickereien  war,  bei  ihrer  Steifheit,  ihrer  Schwere  und  dem  auf- 
dringlichen Charakter  der  Verzierungen,  mit  denen  sie  förmlich  beladen  waren, 
als  Geschmacksverirrung  zu  bezeichnen  sind.  Es  verdient  hervorgehoben  zu 
werden,  daß  man  am  längsten  noch  in  Italien  guten  Geschmack  bei  An- 
fertigung bestickter  Kasein  bewahrte.  Statt  mit  unbeholfenen  Bossagesticke- 
reien  verzierte  man  hier  bis  ins  18.  Jahrhundert  hinein  das  Meßgewand  gern 
mit  leichten,  biegsamen  Anlegearbeiten,  bei  welchen  dieses  mehr  als  anderswo 
Weichheit  und  Schmiegsamkeit  behielt. 

XV.  DAS  MESSGEWAND  IN  DEN  RITEN  DES  OSTENS. 

In  den  Riten  des  Ostens  tritt  das  priesterliche  Obergewand  in  zAveierlei 
Formen  auf.  Bei  den  verschiedenen  Zweigen  des  griechischen  Ritus 
ist  es  im  wesentlichen  der  mittelalterlichen  Glockenkasel  gleich,  nur  daß  sich 
bei  ihm  im  Rücken  statt  des  ganz  ungebräuchlichen 
Vertikalbesatzes  regelmäßig  ein  durch  aufgenähte  Bor- 
ten gebildetes,  ein  gesticktes  oder  ein  gewebtes  Kreuz 
angebracht  (Bild  108)  findet.  Auf  der  Vorderseite 
kommt  auch  beim  griechischen  Meßgewand  häufig  ein 
schmaler,  die  Naht  in  der  Mitte  bedeckender  Zier- 
streifen vor. 

Das  Gewand  heißt  <p  e  X  6  v  i  o  v  {(pzlüvqc,,  <paivuhov. 
<pacv6/7]c),  slavisch  felon.  Bei  der  Messe  wird  es  vorn 
bis  zur  Brusthöhe  aufgehoben,  damit  es  den  Priester 
bei  Ausübung  seiner  Funktionen  nicht  belästige,  ähnlich 
wie  im  Mittelalter  die  abendländische  Kasel  aus  gleichem 
Grunde  rechts  und  links  auf  den  Armen  zu- 
Bild 108.  Griechische  sammengerafft  wurde.  Um  den  Faltenbausch,  der  dabei 
Kaselverzierung.  vor  ^  grus^   entsteht,  zu  verringern,  ist  es  vielfach 

Danzig\  Marienkirche.  _.       T_       n«  ..  -  _.  -  ... 

Brauch,  die  Vorderseite  des  Gewandes  zu  verkurzen, 
gerade,  wie  die  mittelalterliche  lateinische  Kasel  aus  demselben  Motive  an 
den  Seiten  zugestutzt  wurde.  Indessen  ist  das  Beschneiden  nie  so  bedeutend, 
daß  die  Wirkung  des  Phelonion  dadurch  irgendwie  merklich  litte. 


1   .Klementinenornat"  heißt  dieser  von  Erz-  Feier     der     Kaiserkrönung     seines    Bruders 

bischof  Klemens  August,    der  ihn    1740  um         Karls  VII.  anfertigen  ließ, 
den  Preis  von    6200  Taler  zu  Lyon   für  die  2  De  Farcy  77. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


Art  l 


Bei  den  übrigen  Riten  des  Orients,  den  Armeniern,  Syrern,  Chaldäern 
und  Kopten,  hat  das  priesterliche  Obergewand  (arm.  schurtschar,  syr.  phainä, 
chald.  maaphrä,  phainä,  kopt.  burnos,  felonion,  kuklion)  die  Form  des  lateini- 
schen Pluviale  (Bild  109);  doch  fehlen  die  Besätze,  welche  dieses  vorn  be- 
säumen, und  der  im  Rücken  angebrachte  Schild.  Dafür  ist  hinten  wie  bei 
dem  Phelonion  ein  gleichbalkiges,  mäßig  großes  Kreuz  angebracht. 

Bezüglich  des  Stoffes  des  priesterlichen  Obergewandes  gibt  es  in  den 
orientalischen  Riten  keine  bestimmten  Vorschriften.  Wenn  möglich ,  pflegt 
man  es  aus  Seide  zu  machen,  doch  kann  es  auch 
aus  Woll-  und  andern  Zeugen  hergestellt  werden. 

Bei  den  Armeniern,  Syrern,  Chaldäern  und 
Kopten  kommt  das  Gewand  nur  dem  Priester  zu ; 
bei  den  Griechen  eignet  das  Phelonion  außer  dem 
Priester  auch  dem  Lektor,  nur  daß  es  bei  diesem 
kürzer  ist  als  bei  jenem.  Außerdem  kommt  es 
den  Lektoren  mehr  in  der  Theorie  denn  in  der 
Praxis  zu,  da  diese  für  gewöhnlich  bei  ihren 
Funktionen  das  Sticharion,  die  Tunika1,  tragen. 

Die  Verwendung,  welche  das  Phelonion 
und  das  ihm  entsprechende  Obergewand  der 
übrigen  Riten  bei  den  liturgischen  Verrichtungen 
linden,  ist  etwas  umfassender  als  die  der  latei- 
nischen Kasel.  Denn  sie  werden  nicht  bloß  beim 
heiligen  Opfer,  sondern  überhaupt  gebraucht,  so 
oft  eine  liturgische  Funktion  sollemniter  vollzogen 
wird,  z.  B.  bei  feierlichen  Trauungen,  bei  der 
feierlichen  Abhaltung  des  Officium  divinum,  bei 
Prozessionen  u.  ä. ,  bei  den  linierten  Orientalen 
anstatt  des  Pluviale  auch  bei  feierlichen,  aus  dem 
lateinischen  Ritus  herübergenommenen  Andachten. 
Wie  im  lateinischen,  so  wird  auch  in  den  orien- 
talischen Riten  der  Priester  bei  seiner  Weihe 
mit  dem  Meßgewand  bekleidet. 

Bei  den  Russen,  den  Ruthenen,  Bulgaren 
und  Italo-Griechen  wird  von  den  Bischöfen  statt 
des  Phelonion  der  Sakkos  (griech.  (ti/xxoq,  slav.  sakkos)  getragen;  bei  den 
Griechen  und  den  Gräco-Melchiten  bildet  derselbe  eine  Auszeichnung  der 
Metropoliten.  In  den  übrigen  orientalischen  Riten  ist  der  Sakkos  nicht  in 
Gebrauch  2. 

Die  Geschichte  des  priesterlichen  Obergewandes  der  orientalischen  Riten 
bietet  nicht  viel  des  Bemerkenswerten.  Obendrein  hebt  sie  hier  erst  ver- 
hältnismäßig spät  an ,  nicht  als  ob  vorher  ein  solches  in  den  Riten  des 
Ostens  noch  nicht  in  Brauch  gewesen  wäre,  sondern  weil  es  an  genügenden 
Nachrichten  über  dasselbe  mangelt.  Es  ist  nur  äußerst  wenig  an  Bildwerk 
aus  der  Zeit  vor  dem  9.  Jahrhundert  bekannt,  auf  welchem  das  liturgische 
Phelonion  zur  Darstellung  käme.  Wohl  sind  z.  B.  auf  den  Mosaiken  der 
St  Georgskirche  der  Presbyter  Romanus  und  der  Bischof  Philippus  in  einer 
Planeta   abgebildet,    allein    ein    gleiches    Oberkleid    tragen   auf  ihnen   ebenso 


Bild  109.     Armenischer  Priester. 


S.  oben  S.  94. 


2  Näheres  über  den  Sakkos  am  Schluß  des  folgenden  Kapitels. 


236 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


die  hll.  Kosmas  und  Damianus.  Überdies  findet  sich  in  der  Kleidung  der 
beiden  kein  sonstiger  Anhaltspunkt,  der  uns  berechtigte,  ihre  Planeta  als 
etwas  über  die  gewöhnliche  Tracht  Hinausgehendes  anzusehen.  Nicht  besser 
verhält  es  sich  mit  der  Darstellung  des  Bisehofs  Eusebius  von  Cäsarea  in  dem 
syrischen  Evangeliar  der  Laurentiana  aus  dem  Jahre  586.  Eusebius  trägt 
auf  derselben  eine  hellbraune  Tunika  und  eine  dunkelbraune  (kastanienfarbige) 
Glockenkasel.  Irgend  etwas,  was  darauf  hinwiese,  daß  wir  ihn  uns  in 
liturgischer  Gewandung  zu  denken  haben,  ist  auch  hier  nicht  vorhanden.  Ein 
Monument,  welches  ein  zweifellos  liturgisches  Phelonion  aufweist,  ist  die 
bekannte  Trierer  Elfenbeintafel  mit  der  Darstellung  einer  Reliquientranslation, 
vorausgesetzt,  daß  dieselbe  wirklich  dem  6.  Jahrhundert  und  nicht  einer 
späteren  Zeit  angehört.    Was  man  nämlich  zu  Gunsten  jenes  älteren  Datums 

vorgebracht 
hat 1,    erscheint 
keineswegs     so 

ausschlag- 
gebend, daß  je- 
der Zweifel  da- 
ran schlechthin 
als  unberechtigt 
bezeichnet  wer- 
den könnte.  Ein 
anderes  frühes 
Beispiel  des  li- 
turgischen Phe- 
lonion scheinen 
zwei  Miniaturen 
mit  den  Bildern 
des  Patriarchen 
Theophilus  von 

Alexandrien 
(f  412)  zu  bie- 
ten, welche  sich 
in  einem  wahr- 
scheinlich  noch 
im  5.  Jahrhundert  geschriebenen,  eine  Weltchronik  enthaltenden  Papyrus 
finden.  Theophilus  ist  in  beiden  Fällen  in  gelber  Tunika,  rotbraunem  bzw. 
blauviolettem  Mantel  und  kurzem  Omophorion,  in  der  Linken  ein  mit  einem 
Kreuz  geschmücktes  Buch  haltend  abgebildet2. 

Auch  was  an  schriftlichen  Nachrichten  über  den  liturgischen  Gebrauch 
des  Gewandes  aus  der  Zeit  vor  dem  9.  Jahrhundert  vorliegt,  ist  höchst  un- 
bedeutend. '  Es  beschränkt  sich  fast  einzig  auf  die  Angabe  des  Panegyrikus  auf 
den  hl.  Rabulas,  Bischof  von  Edessa,  wonach  dieser,  außer  seiner  gewöhn- 
lichen ännlichen  Kleidung  zwei  Mäntel  zur  Verwendung  bei  dem  Gottesdienst 
hatte,   einen   für   den   Sommer,   den  zweiten  für   den  Winter3.     Die  'lavopia 


Bild  110.     Prozession 


Miniatur  im  Menologium  Basilius' 
Koni,  Vatikan. 


1  Vgl.  besonders  J.  Strzygowski,  Orient 
oder  Rom,  Leipzig  1901,  85  ff. 

2  A.  Bauer  und  J.  Strzygowski,  Eine 
alexandrinische  Weltchronik  ,  Wien  1905, 
Tfl  6"  und  6y.     Das  Gewand   ist  nicht  ganz 


klar  dargestellt,  doch  kann  wohl  kein  Zweifel 
sein,  daß  es  ein  auf  die  rechte  Schulter  auf- 
gerafftes Phelonion  wiedergeben  soll. 

3  Bibliothek  der  Kirchenväter:  Bickell, 
Syrische  Kirchenväter  188. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


237 


redet  nur  andeutungsweise  von  dem  Phelonion ;  denn  es  ist  nicht  ganz  klar, 
ob  auch  unter  der  arokrj  des  Bischofs,  von  der  sie  spricht,  dasselbe  zu  ver- 
stehen ist.  Das  (peXöviov  aber,  von  dem  wir  sonst  einige  Male  bei  älteren 
griechischen  Schriftstellern  hören,  bezeichnet  entweder  ein  außerliturgisches 
klerikales  Gewand  oder  eine  laikale  Kleidung  1. 

Seit  dem  9.  Jahrhundert  begegnet  uns  das  Plielonion  des  griechischen 
Ritus  häufig  auf  den  Bildwerken.  Es  hat  genau  das  Aussehen  der  abend- 
ländischen Glockenkasel  und  ist  auch  im  Gegensatz  zur  späteren  Praxis 
wie  diese  an  den  Seiten,  nicht  vorn  aufgehoben  und  auf  den  Armen 
statt  vor  der  Brust  in  Falten  gelegt  (Bild  110). 

Bis  in  das  11.  Jahrhundert  hinein  erscheint  das  Plielonion  auf  dem  Bild 
stets  als  einfarbiges,  gänzlich  schmuckloses  Gewand,  gleichviel  ob  es  sich  bei 
Priestern,  Bischöfen,  Metropoliten  oder  Patriarchen  findet.  Dann  ändert  sich 
die  Sache  und  es  wird  Brauch,  das  patriarchale  Phelonion  zum  Unterschied 
von  dem  der  übrigen  hierarchischen  Bangstufen  durch 
eingewebte  Kreuze  auszuzeichnen.  Man  nannte  ein  solches 
Phelonion  von  den  vielen  Kreuzen,  mit  denen  es  ver- 
ziert war,  7ro?MffTauptov.  Die  frühesten  uns  bekannten 
Darstellungen  von  nohjaraupia  bieten  zwei  Miniaturen 
der  Vatikanischen  Bibliothek.  Die  eine  (Bild  111)  ge- 
hört einer  dem  11.  Jahrhundert  entstammenden  Samm- 
lung von  Marienpredigten,  die  andere  der  um  1100  ent- 
standenen und  Kaiser  Alexios  Komnenos  (1081 — 1118) 
gewidmeten  Panoplia  des  Euthymios2  an.  Ihre  erste 
schriftliche  Erwähnung  finden  die  noXuaraupta  im  12.  Jahr- 
hundert bei  Balsamon,  der  sie  ausdrücklich  als  patriar- 
chales  Vorrecht  bezeichnet.  Auf  die  Anfrage  des  Patri- 
archen Markus  von  Alexandrien,  ob  es  den  Hegumenen 
und  Protopapen  erlaubt  sei,  die  Epimanikien  und  das  Epi- 
gonation  zu  tragen,  antwortet  dieser  nämlich,  es  sei  das 
ebensowenig  statthaft,  wie  daß  die  Bischöfe  sich  des  den 
Patriarchen  zustehenden  Sakkos  und  des  diesen  gleich- 
falls vorbehaltenen  Polystaurion  bedienten3. 

Später  kamen  die  mit  Kreuzen  geschmückten  Phelonien  auch  bei  den 
Metropoliten  in  Aufnahme.  Es  muß  das  spätestens  im  Laufe  des  14.  Jahr- 
hunderts geschehen  sein,  da  diese  zur  Zeit  Simeons  von  Saloniki,  d.  i.  um 
1400,  das  Tco/.'jora'jpiov  bereits  zu  tragen  pflegten4.  Den  gewöhnlichen  Bischöfen 
war  es  jedoch  damals  noch  nicht  gestattet,  ein  mit  Kreuzen  geschmücktes 
Phelonion  zu  tragen 5.  Übrigens  wurden  nur  die  weißen  (bzw.  die  als  weiß 
geltenden),  nicht  aber  die  violetten  Phelonien  mit  Kreuzen  geschmückt.  Die 
purpurnen  mußten,  wie  uns  der  bulgarische  Erzbischof  Demetrius  Chomatenus 


Im  '&& 


Bild  111.     Chor  der 

Bischöfe.   Miniatur  einer 

Sammlung    griechischer 

Marienpredigten. 

Rom,  Vatikan. 


1  Vgl.  z.B.  Theophyl.  Simocattes,  Hist. 
1.7,  n.6,  Bonnae  1834,  280.  Menander 
Prot.,  Fragm.  hist.,  Bonnae  1829,  439. 
Chron.  Pasch,  ad  an.  419,  Bonnae  1832,  574. 
Iohannis  Laurentii  Lydi  De  magistrat. 
1.  1,  n.  7:  1.  3,  n.  8,  Bonnae  1837,  126  201. 
Auf  die  sog.  Liturgie  des  hl.  Johannes  Chry- 
sostomus  und  das  Typicum  Sabbae  c.  45  hin- 
zuweisen, halten  wir  für  überflüssig,  da  die 
Stellen,   in  welchen  des  Phelonion  in    ihnen 


Erwähnung    geschieht ,     späte     Einschiebsel 
sind. 

2  Cod.  Vat.  gr.  666.  Eine  Abbildung  bei 
Seroux  d'Agincourt,  Malerei  TU  lviii. 

3  Resp.  ad  Marcum  Alex.  resp.  37  (Mg. 
138,  989.  Vgl.  auch  Balsamon,  Meditata 
(ebd.  1021  1025).  Oüzs  yäp  eräxxoog  oüts 
-oXoaraüpia  ävdtduaxovTai  (die  Bischöfe). 

4  Resp.  ad  Gabriel.  Pentapol.  qu.  19  (Mg. 
155,  872).  5  Ebd. 


238 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


(ca  1200)  in  seinem  Schreiben  an  den  Metropoliten  von .  Dyrrhachium,  Kon- 
stantin Cabasilas,  belehrt,  weil  Ausdruck  der  Trauer,  nach  herrschendem  Brauch 
stets  einfarbig  und  ohne  Verzierung  sein  K 

Wann  es  Gewohnheit  wurde,  das  Phelonion  vorn  statt  seitlich  auf- 
zuheben und  zusammenzurollen,  läßt  sich  nicht  bestimmen.  Wäre  das  in  den 
Antiquites  de  Tempire  de  Russe  abgebildete,  angeblich  von  Bischof  Niketas 
(12.  Jahrhundert)  herrührende  Phelonion  echt,  und  wären  die  Ösen,  welche  zum 
Aufraffen  des  Gewandes  an  dessen  Vorderseite  angebracht  sind,  ursprünglich,  so 
hätte  schon  sehr  früh  die  Sitte  bestanden,  dasselbe  vorn  aufzurollen.  Indessen 
läßt  die  ebendort  wiedergegebene  Musterung  des  Phelonion  keinen  Zweifel  daran, 
daß  wir  es  bei  demselben  mit  einem  Gewand  nicht  aus  dem  12.,  sondern  etwa 
dem  16.  Jahrhundert  zu  tun  haben2.     Unsicher  ist  auch,  seit  wann  die  jetzt 

vielfach  beliebte  Verkür- 
zung der  Vorderseite  des 
Gewandes  datiert.  Noch 
auf  den  Bildern  des  aus- 
gehenden Mittelalters 
hängt  dieses  vorn  regel- 
mäßig weit  herab.  Ob 
das  ein  Reflex  der  Wirk- 
lichkeit oder  eine  Folge 
der  künstlerischen  Tra- 
dition ist,  welche  be- 
kanntlich in  der  griechi- 
schen religiösen  Kunst 
stets  eine  so  bedeutende 
Rolle  spielte  und  noch 
spielt,  ist  nicht  festzu- 
stellen ;  pflegt  doch  selbst 
noch  auf  den  bildlichen 
Darstellungen  aus  der 
Neuzeitdas  Gewand  nach 
alter  Weise  an  der  Vor- 
derseite weit  herabzu- 
steigen. 

Wie  die  Kasel  des  lateinischen  Ritus,  so  war  übrigens  auch  das  Phelonion 
lange  Zeit  kein  ausschließlich  priesterliches  Gewand 3.  Denn  als  die  Legaten 
Hadrians  II.  (867  —  872)  in  Konstantinopel  ihren  Einzug  hielten,  wurden  sie, 
wie  das  Papstbuch  berichtet4,  von  Geistlichen  jedes  Ordo,  die  alle  im  Phelonion 
erschienen  waren,  in  Empfang  genommen.  Die  einzigen,  welche  sich  des 
Gewandes,  wie  es  scheint,  für  gewöhnlich  nicht  bedienten,  waren  die  Diakone, 
welche  im  Sticharion  und  dem  Orarium  zu  amtieren  pflegten.  Bei  den  Sub- 
diakonen  muß  das  Phelonion  bis  um  das  12.  Jahrhundert  noch  in  Gebrauch 
gewesen  sein.     Im  späteren  Mittelalter   war  es   dagegen   bei   ihnen  ganz  ab- 


Bild  112.     Einsegnung  des  Archipresbyter.     Miniatur  eines 
syrischen  Pontifikale  (1239).     Paris,  Bibl.  Nat. 


1  Mg.  119,  949. 

2  Tfl  99  u.  100.  Auf  TU  101  ist  das  Phe- 
lonion eines  Bischofs  Sergius  vom  Dreifaltig- 
keitskioster  abgebildet,  welches  gleichfalls 
auf  der  Brust  mit  einer  Vorrichtung  zum  Auf- 
heben des  Vorderteils  versehen  ist,  indessen 


ebensowenig  wie  das  angebliche  Phelonion 
des  Bischofs  Niketas  über  das  16.  Jahrhundert 
zurückreichen  dürfte. 

3  Siehe  oben  S.  237  die  Zitate  aus  alteren 
griechischen  Schriftstellern. 

<  Duch.,  L.  P.  II  180. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel.  239 

gekommen,  indem  sie  sich  nunmehr  bei  ihren  liturgischen  Funktionen  des 
Sticharion  bedienten  *. 

Bei  den  Lektoren  erhielt  sich  das  Phelonion  in  einem  gewissen  Maße 
bis  auf  die  Gegenwart,  doch  war  es  schon  im  späteren  Mittelalter  nicht  mehr 
deren  einziges  liturgisches  Gewand,  da  sie  sich  bereits  um  1400  statt  seiner 
auch  wohl  des  Sticharion  zu  bedienen  pflegten 2.  Außerdem  war  schon  wenigstens 
damals  das  Lektorenphelonion  oder  xa/iiatov,  wie  es  auch  genannt  wurde, 
kleiner  als  das  prieslerliche,  offenbar,  damit  es  sich  von  diesem  unterscheide B. 

Über  das  Gegenstück  des  Phelonion  in  den  übrigen  Kirchen  des  Ostens 
können  wir  kurzerhand  weggehen.  Die  wenigen  Notizen,  die  wir  darüber 
zusammenstellen  konnten,  bieten  nichts  von  Belang.  Bemerkenswert  ist  nur, 
daß  nach  Ausweis  der  Miniaturen  des  dem  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  an- 
gehörenden syrischen  Pontifikale  in  der  Nationalbibliothek  zu  Paris  die  Phaina 
damals  noch  ein  ringsum  geschlossener  Mantel  ganz  von  der  Art  des  griechi- 
schen Phelonion  war  (Bild  112).  Die  Pluvialeform  hätte  demnach  das  priester- 
liche Obergewand  bei  den  Syrern  und  demgemäß  auch  wohl  bei  den  andern 
Riten  erst  im  späteren  Mittelalter  erhalten.  Bei  den  Armeniern  trugen 
wenigstens  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  nach  Nerses  von 
Lampron  nur  die  Bischöfe  und  Priester  den  Schurtschar,  nicht  die  übrigen 
Kleriker,  insbesondere  nicht  die  Subdiakone  und  Lektoren.  Derselbe  war  beim 
Katholikos,  aber  auch  nur  bei  diesem,  mit  Kreuzen  geschmückt,  wohl  in  Nach- 
ahmung des  TznhjoTo.üpwv  der  griechischen  Patriarchen  4. 

XVI.  URSPRUNG  DES  MESSGEWANDES. 

Wo  wir  den  Ursprung  des  Meßgewandes  zu  suchen  haben,  kann  keinem 
auch  nur  einen  Augenblick  zweifelhaft  sein ,  der  an  der  Hand  der  schrift- 
lichen Zeugnisse  wie  namentlich  der  Monumente  die  profane  Tracht  der  sechs 
ersten  christlichen  Jahrhunderte  studiert.  Beide  beweisen  mit  aller  Bestimmt- 
heit, daß  die  Kasel,  welche  der  Liturge  am  Altare  trägt,  auf  ein  Obergewand 
der  gewöhnlichen  Volkskleidung  der  römisch-griechischen  Welt  nachchrist- 
licher Zeit  zurückgeführt  werden  muß. 

Die  schriftlichen  Zeugnisse  wurden  schon  früher  angeführt.  Planeta 
und  casula  erscheinen  in  denselben  nicht  nur  als  ein  Bestandteil  der  Altar- 
kleidung, sondern  als  Stück  der  gewöhnlichen  klerikalen  Tracht,  der  Mönchs- 
gewandung  und  der  Kleidung  der  Laien ,  der  Vornehmen  wie  der  Leute 
geringen  Standes  5. 

Fast  noch  erdrückender  ist  das  Zeugnis  der  Monumente,  auf  welchen 
uns  bei  Leuten  jeder  Art  und  jeden  Geschlechtes  sehr  häufig  ein  mit  der 
Planeta  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  unverkennbar  verwandtes  Obergewand 
begegnet. 

Dasselbe  tritt  in  zwei  Hauptformen  auf.  Bei  der  einen  ist  es,  gerade 
wie  es  die  Glockenkasel  war,   ringsum  völlig  geschlossen  und  nur  mit  einer 


1  Ass.  C.  1.  VIII,  pars  4,  114  137;  vgl.  (Mg.  a.  a.  0.  396):  Kapimov  üitep  y  xazä 
indessen  die  Rubrik  am  Schluß  des  Ordo  rüirov  tpaivoXiou  /j.ixpoü  r/  cm%dpiov  ix  Xifou. 
subdiaconatus  (142),  wonach  dem  Subdiakon  Vgl.  auch  c.  156  (ebd.  365). 

nach    der  Weihe    das  Phenolion    ausgezogen  *  Erklärung  der  göttl.  Liturgie  c.  5  (ed.  Venet. 

und  der  Gürtel  gelöst  werden  soll.  80ff).   Auch  der  Katholikos  Isaak  erwähnt  das 

2  Vgl.  oben  S.  98.  Gewand  (Adv.  Arm.  orat.  1, c.8[Mg.  132, 1 179]). 
'  Simeon   Thess.,    De    ordinat.    c.   186  5  S.  oben  S.  153   157. 


240 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  übergewunden 


Öffnung  zum  Durchlassen  des  Kopfes  versehen  (Bild  113).  Bei  der  andern 
ist  es  vorn  in  der  Mitte  vom  Saum  bis  etwa  unterhalb  der  Brust  aufgeschlitzt 
(Bild  114  und  Bild  13,  S.  46),  offenbar,  um  bequemer  die  Arme  gebrauchen 
und  das  Gewand  leichter  über  die  Schultern  und  Arme  zurückschlagen  zu  können. 
Bei  beiden  Formen  sehen  wir  das  Gewand  auf  den  Monumenten  gerade 
wie  die  mittelalterliche  Glockenkasel  bald  auf  beiden  Schultern,  bald  nur  auf 
einer,  bald  endlich  auf  den  Armen  zusammengerollt.  Bisweilen  hat  es  infolge- 
dessen das  Aussehen,  als  ob  es  an  den  Seiten  stark  beschnitten  wäre.  Es 
bieten  die  Monumente  in  solchen  Fällen  ein  Bild  desselben,  wie  es  uns  auch 
die  Miniaturen  aus  der  Frühe  des  2.  Jahrtausends  von  der  Kasel  bisweilen 
gewähren.  Man  hat  daraus  geschlossen,  es  habe  schon  in  altchristlicher  Zeit 
ein  Gegenstück  zur  Kasel  des  Barock  gegeben.  Allein  man  wird  wohl  richtiger 
die  scheinbare  seitliche  Verkürzung  des  Gewandes  den  Künstlern  oder  besser 
Handwerkern  zur  Last  legen,  aus  deren  Hand  das  Bildwerk  hervorging.  Sie 
haben  wie  ihre  mittelalterlichen  Kollegen  den  Mantel  in  der 
Form  dargestellt,  wie  er  gewöhnlich  getragen  wurde,  dabei 
aber  infolge  Unachtsamkeit  oder  künstlerischer  Unfähigkeit 
die  Falten  entweder  ganz  oder  nahezu  ganz  vergessen. 

Daß  es  sich  wirklich  bei  derartigen  Bildern  nur  um  eine 
Ungenauigkeit  in  der  Darstellung  handelt,  liegt  bei  einzelnen 
Monumenten  ganz  klar  zu  Tage,  so  z.  B.  auf  einer  Grabstele 
eines  Centurio  in  der  vatikanischen  Sammlung,  auf  der  unser 
Mantel  fast  nur  mehr  einem  Skapulier  gleicht,  das  auf  den 
Schultern  leicht  umgeschlagen  ist  (Bild  115).  Ein  Ding  wie 
dieses  Obergewand  konnte  doch  einem  Soldaten  wahrlich 
keinen  Schutz  bieten.  Es  kann  sich  darum  auf  der  Stele 
unmöglich  um  eine  korrekte  Wiedergabe  der  Wirklichkeit 
handeln. 

Die  zweite  Hauptform,  bei  welcher  das  Gewand  vorn  bis 

Bild  113.  ZUr  Brust  aufgeschlitzt   ist,   kommt   namentlich  bei  Soldaten 

Sarkophagskulptur  vor ^   begreiflich,    weil   diesen   besonders   daran   gelegen   sein 

„    .       '    ''      musste,  auch  dann  noch,  wenn  sie  mit  demselben  bekleidet 

Mantua,  Dom.  '  _  ' 

waren,  im  Gebrauch  der  Hände  möglichst  unbehindert  zu  sein. 

Die  Länge  des  Mantels  ist  auf  den  Monumenten  verschieden.    Bald  reicht 

er  bis  über  die  Kniee,    bald  bis  in  die  Mitte  des  Oberschenkels;   hie   und  da 

ist  er  selbst  noch  kürzer.     Im  Nacken  ist  er  sehr  häufig,  zumal  bei  Militärs, 

mit  einer  Kapuze  versehen. 

Vortreffliche  Beispiele  für  das  Gesagte  liefern  aus  dem  Beginn  des  2.  Jahr- 
hunderts verschiedene  Reliefs  der  Trajanssäule  zu  Rom ,  auf  denen  nicht  nur  die 
Soldaten  das  in  Rede  stehende  Gewand  tragen ,  dessen  Beschaffenheit  auf  einzelnen 
der  Darstellungen  (Bild  13,  S.  46)  in  besonders  vorzüglicher  Weise  erkennbar  ist,  sondern 
auch  Trajan  selbst  zu  wiederholten  Malen  damit  bekleidet  ist,  so  bei  seiner  Ein- 
schiffung zum  zweiten  Feldzug  gegen  die  Dacier  und  sogar  bei  der  Vornahme  eines 
Opfers  (Bild  114).  Ein  römischer  Bürger  ist  mit  unserem  Oberkleid  dargestellt  auf 
einem  wohl  noch  dem  2.  Jahrhundert  angehörigen  Grabcippus  in  der  vatikanischen  In- 
schriftengalerie '.  Bildwerke  aus  der  Zeit  des  Septimius  Severus  mit  der  Darstellung 
unseres  Gewandes  finden  sich  am  Triumphbogen  des  Severus  auf  dem  römischen 
Forum,  am  Bogen  der  Wechsler  bei  S.  Giorgio  in  Velabro  zu  Rom,  auf  der  Grabstele 
eines  Infanteristen  im  lateranensischen  Museum  -  und  auf  der  Stele  eines  Kavalleristen 


Wilp. ,  Gew.  Fig.  14. 


2  Wilp.,  Cap.  Fig.  28. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


241 


in  der  Inschriftengalerie  des  Vatikans  '.  Sind  es  hier  überall  Soldaten ,  bei  welchen 
wir  dasselbe  gewahren ,  so  sind  es  auf  den  Schranken  der  Rednerbühne  des  Forums 
Zivilisten,  welche  mit  ihm  bekleidet  sind. 

Auch  die  außeritalischen  römischen  Monumente  aus  der  Kaiserzeit  liefern  viele 
treffliche  Beispiele,  so  verschiedene  Cippen  im  Römischen  Museum  zu  Regensburg,  die 
Grabsteine  des  Sklaven  Peregrinus  im  Museum  zu  Speier 2  und  des  Schiffers  Blussus 
im  Germanisch-römischen  Zentralmuseum  zu  Mainz  (Bild  116,  S.  242),  das  Fragment  eines 
mächtigen  Grabmonumentes  am  ehemaligen  Mansfeldschen  Schlosse  zu  Klausen  bei 
Luxemburg  usw.  Andere  finden  sich  auf  Abbildungen  römischer  Skulpturen  in  den 
noch  großenteils  unedierten  Manuskripten  des  Jesuiten  Alexander  Wiltheim  (f  1684), 
eines  hervorragenden  Kenners  und  Sammlers  römischer  Altertümer,  welche  um  so  mehr 
von  Wert  sind ,  als  sie  manche  inzwischen  zu  Grunde  gegangene  Monumente  wieder- 
geben :.  Bemerkenswert  ist,  daß  das  Gewand  in  den  Provinzen  häufiger  als  zu  Rom 
bei  Zivilisten  vorkommt.    Zu  Rom  herrschte  eben  noch  zu  sehr  die  Toga,  wenn  auch 


Bild  114.     Relief  von  der  Trajanssäule 
zu  Rom. 


Bild  115.     Grabstele  eines  Centurio. 
Rom,  Vatikan  (Galerie  der  Inschriften). 


nicht  als  Alltagskleid,  so  doch  als  Oberkleid  bei  feierlichen  Gelegenheiten,  weshalb 
denn  auch  dort  die  Künstler  für  ihre  Darstellungen  die  Toga  bevorzugten.  In  den 
Provinzen  war  diese  zwar  auch  das  offizielle  Staatskleid,  doch  stand  sie  hier  weit 
weniger  im  Vordergrund,  teils  weil  die  Verhältnisse  auf  ein  praktischeres  Gewand 
hinwiesen,  als  es  gerade  die  Toga  der  Kaiserzeit  war,  teils  weil  die  überkommene  Sitte 
in  der  Fremde  naturgemäß  weniger  Einfluß  auszuüben  vermochte. 

Aus  dem  3.  Jahrhundert  stammt  das  bekannte  Fresko  in  S.  Priscilla,  welches 
einen  Bischof  auf  seiner  Kathedra  in  unserem  Mantel  darstellt ;  dem  Beginn  des  4. 
angehörende  Bildwerke,  auf  denen  dieser  uns  begegnet,  sind  ein  Fresko  in  S.  Callisto 
(der  hl.  Nemesius),  Malereien  in  S.  Pietro  e  Marcellino  (Oranten)  '  und  ein  Relief  des 
Triumphbogens  Konstantins  d.  Gr.  (römische  Bürger). 

3  Im  Besitz    der   historischen  Sektion  des 


1  Wilp.,  Gew.  Fig.  12. 

2  Jahrbuch  des  Vereins  von  Altertumsfr. 
im  Rheinland  Hft  108  109,  Bonn  1902,  Tfl  5, 
n.  3  4.  Wegen  der  Abbildung  des  Grabsteines 
des  Blussus  vgl.  oben  S.  46  Anm.  1. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


Institut  Grand-ducal  zu  Luxemburg. 

*  Wilp.,  Rat.  Tfl  110  160  185  223.  Die 
Darstellungen  in  S.  Pietro  e  Marcellino 
scheinen  von  einer  Hand  herzurühren. 

16 


242 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Monumente  des  ausgehenden  4.,  des  5.  und  6.  Jahrhunderts,  die  eine  besondere 
Erwähnung  verdienen ,  sind  das  Diptychon  des  Probian  (Berlin ,  Kl.  Bibliothek) ,  auf 
dem  die  Notare  unser  Gewand  tragen > ,  dann  die  in  jeder  Beziehung  so  wichtige 
Holztüre  von  S.  Sabina  auf  dem  Aventin,  auf  der  wir  es  bei  römischen  Bürgern,  bei 
Soldaten  und  bei  Juden  gewahren  -.  die  Mosaiken  in  S.  Maria  Maggiore  zu  Rom  und 
S.  Apollinare  Nuovo  zu  Ravenna 3 ,  wo  es  die  Juden  charakterisiert ,  ein  prächtiger 
altchristlicher  Sarkophag  im  Dom  zu  Mantua  4,  verschiedene  altchristliche  Sarkophage 
mit  der  Darstellung  des  Durchgangs  durch  das  Rote  Meer  5  und  der  zur  letzten  Ruhe- 
stätte des  Dogen  Domenico  Morosini  (f  1262)  benutzte  altchristliche  Sarkophag  im 
Portikus  von  S.  Marco  zu  Venedig  mit  seinen  zwei  Reihen  von  abwechselnd  männ- 
lichen und  weiblichen,  durch  ein  Rauchfaß  getrennten  Oranten.  Alle  Männer  tragen 
gleichmäßig  über  einer  langen,  engärmeligen  Tunika  einen  der  Glockenkasel  ähnlichen, 
auf  den  Schultern  zusammengelegten  Überwurf.  Auf  dem  Sarkophag  von  Mantua 
sehen  wir  den  mit  gegürteter  Tunika  und  einer  Kasel  bekleideten  Verblichenen  von 
seiner  Gattin  Abschied  nehmen.  Interessant  ist  hier  der  unter  der  Halsöffnimg  des 
Mantels   befindliche  kleine,  oben  geschlossene  Schlitz,  welcher  offenbar  des  leichteren 

Anziehens  halber  angebracht  wurde  (Bild  113, 
S.  240).  Auf  den  Sarkophagen  mit  der  Szene  des 
Durchgangs  durch  das  Rote  Meer  dient  das  Ge- 
wand ähnlich  wie  auf  den  obengenannten  Mosaiken 
zur  Kennzeichnung  der  Juden. 

Auch  die  Frauen  trugen  den  unserer  Kasel 
ähnlichen  Mantel.  Interessante  Beispiele  aus  der 
Frühe  des  1.  Jahrhunderts  liefern  einige  Tonfiguren 
und  sechs  Wandgemälde  aus  Pompeji  im  Museum 
von  Neapel.  Letztere  stellen  Frauen ,  die  einen 
Totentanz  aufführen  G,  die  Tonfiguren  1,  von  denen 
sich  auch  im  Musee  Guimet  zu  Paris  drei  vor- 
zügliche Exemplare  finden,  Klageweiber  dar.  Im 
ersten  christlichen  Jahrhundert  mag  hiernach  das 
Gewand  bei  den  Frauen  besonders  zu  Trauer- 
zwecken gedient  haben.  Später  finden  wir  es  jedoch 
selbst  bei  hochstehenden  Persönlichkeiten ;  so  tra- 
gen es  z.  B.  auf  den  Mosaiken  in  S.  Vitale  die  Damen, 


Bild  116.     Grabstele  des  Schiffers 
Blussus. 

Mainz,  G  erm.-rümisches  Zentralmuseuni. 


welche  den  Hofstaat  der  Kaiserin  Theodora  bilden s. 
Griechische   Monumente    aus   frühchristlicher 

Zeit  mit  Darstellungen  des  Gewandes  sind  selten ; 
doch  ist  zu  beachten ,  daß  überhaupt  griechische  Bildwerke  aus  dieser  Epoche  nicht 
gerade  häufig  sind.  Es  gehören  zu  ihnen  verschiedene  Miniaturen  im  Kodex  von 
Rossano  und  der  Wiener  Genesis,  die  Menaspyxis  im  Britischen  Museum  ,J,  eine  ägyp- 
tische Arbeit,  wie  es  scheint,  und  eine  Elfenbeintafel  im  Museo  archeologieo  zu 
Mailand,  die  unter  ägyptischem  oder  griechischem  Einfluß  entstanden  sein  dürfte  und 
einst  zur  Kathedra  Maximians  im  Dom  zu  Ravenna  gehörte  (vgl.  Bild  92,  S.  210). 


1  Wilp.,  Cap.  Fig.  5;  besser  bei  E.  Mo- 
linier,  Les  ivoires  pl.  iv. 

2  Wieg  and,  Das  altchristliche  Haupt- 
portal an  der  Kirche  der  hl.  Sabina,  Trier 
1900,  Tfl  5  8  12  21. 

3  Garr.  tav.  219,  3;  220,  3;  248,  6; 
249,  3  4;  250,  4  5  6;  252,  2.  Die  raven- 
natischen  Abbildungen  sind  besser  bei  Ricci, 
Ravenna,  Bergamo  1903,  27. 

*  Die  Abbildung  bei  Garr.  (tav.  320,  1), 
welche  die  Figur  in  einer  Art  von  Toga  zeigt, 
ist  unrichtig. 


5  Beispiele  derselben  finden  sich  zu  Arles, 
Nimes ,  Spalato.  Vergleiche  die  freilich 
mangelhaften  Abbildungen  bei  Garr.  tav. 
308 ,  2  und  309 ,  12  4.  Peyre,  Nimes, 
Arles,  Orange  (Paris  1903)  93. 

6  Abteilung  der  Pompejanischen  Fresken 
Nr  9352—9357. 

7  Museo  Naz.  mezzanino  n.  4326  4825 
6302  6681. 

8  Abbildung  bei  Garr.  tav.  264.  Kraus, 
F.  X.,  Geschichte  der  christl.  Kunst  I,  Freiburg 
1896,  443.  »  Vgl.  oben  S.  209. 


Erstes  Kapitel.     Die  Kasel. 


243 


Aber  nicht  bloß  in  Rom.  Gallien,  Germanien  und  Griechenland,  sondern 
auch  im  Orient  muß  das  Gewand  in  Gebrauch  gewesen  sein.  Es  ist  sehr 
bemerkenswert,  daß  es  ebensowohl  auf  den  angeführten  griechischen  Bild- 
werken wie  auf  den  Mosaiken  Roms  und  Ravennas  und  einer  Anzahl  alt- 
christlicher Sarkophage  vorwiegend  bei  Darstellungen  von  Juden  vorkommt. 
Auf  den  griechischen  Monumenten  bleibt  das  so  bis  in  das  zweite  Jahrtausend 
hinein.  In  späterer  Zeit,  als  die  Tradition  und  Schablone  die  Kunst  des 
Ostens  beherrschten ,  mag  diese  Gepflogenheit  bei  ihnen  allerdings  bloß  ein 
Erbstück  aus  früheren  Tagen  gewesen  sein.  In  der  altchristlichen  griechischen 
Kunst ,  welcher  ein  stark  realistisches  Gepräge  eigen  ist ,  war  sie  jedoch 
ebenso  wie  auf  den  durchaus  gleichartigen  römischen  Monumenten  wohl  Hin- 
ein Abbild  der  wirklichen  Verhältnisse. 

Wir  haben  indessen  auch  einen  direkten  Beweis,  daß  wenigstens  schon 
im  zweiten  nachchristlichen  Jahrhundert  das  Gewand  im  Orient  ein  sehr 
gebräuchliches  und  dabei  angesehenes  Kleidungsstück 
gewesen  sein  muß :  die  damals  unter  dem  syro-römi- 
schen  Einfluß  entstandenen  buddhistischen  Gandhara- 
skulpturen.  Es  sind  keine  geringeren  als  Buddha  und 
seine  Schüler,  die  auf  diesen  Bildwerken  mit  ihm  be- 
kleidet erscheinen,  und  zwar  so  regelmäßig,  daß  das 
Gewand  eine  Art  von  Charakteristikum  derselben 
bildet.  Es  sind  merkwürdige  Darstellungen,  die  nicht 
selten  wie  ein  getreues  Bild  eines  christlichen  Priesters 
aus  altchristlicher  Zeit  in  seiner  liturgischen  Gewan- 
dung aussehen.  Fehlt  doch  selbst  das  Sudarium  vorn 
auf  dem  linken  Arm  bei  manchen  nicht  (Bild  117) 1. 

Der  römische  Name  des  Gewandes  war  pae- 
nula.  Es  gab  bei  den  Römern  verschiedene  Arten 
von  mantelartigen  Obergewändern.  Man  unterschied, 
um  von  einigen  selten  vorkommenden  Namen  ab- 
zusehen, bei  den  Männern  toga,  pallium,  lacerna, 
birrus,  chlamys  (sagum,  paludamentum)  und  paenula2. 
Vergleichen  wir,  was  wir  über  diese  Gewänder  wissen, 
mit  den  Monumenten,  so  ergibt  sich,  daß  der  kaselartige  Mantel,  der  uns  so 
oft  auf  denselben  begegnet,  nur  paenula  geheißen  haben  kann. 

Eine  Schwierigkeit  scheinen  freilich  die  Definitionen  zu  bilden ,  welche  Isidor 
von  Sevilla  im  Anschluß  an  den  Kommentator  des  Persius  3  und  Eucherius  von  Lyon 
(f  ca  450) 4  von  der  Pänula  geben.  Nach  Isidor  bzw.  dem  Scholiasten  des  Persius 
war  dieselbe  ein  mit  langen  Fransen  versehener  Mantel :  paenula  est  pallium  cum 
fimbriis  longis.  Eucherius  bezeichnet  sie  als  verwandt  mit  der  lacerna  (einem  auf  der 
Brust  mit  einer  fibula  befestigten  Um-  oder  Überwurf),  aber  mit  clavi,  d.  i.  von  oben 
nach  unten  herablaufenden  Zierstreifen ,  versehen :  est  quasi  lacerna  descendentibus 
clavis.  Wer  indessen  die  höchst  ungenaue  Definitionsweise  der  alten  Scholiasten 
kennt,  wird  weder  den  Worten  Isidors  bzw.  des  Kommentators  des  Persius  noch  denen 
des  Eucherius  eine  Bedeutung  beimessen.  Zudem  lassen  sie  sich  genügend  mit  den 
Bildwerken    und  sonstigen  Angaben  in  Einklang  bringen.     Isidor  bzw.  sein  Gewährs- 


Bild  117.     Buddha  mit 
Tunika,  Kasel  und  Sudarium. 
Kalkutta  India  Museum. 


1  Abbildung  in  The  ancient  monuments, 
temples  and  sculptures  of  India.  Part  I.  The 
earliest  monuments,  London  1897,  und  The 
Journal  of  Indian  art  vol.  VIII,  n.  63  69. 
Auf  die  Gandhara-Skulpturen  wurde  ich  durch 


meinen    Ordensgenossen    P.    Jos.    Dahlmann 
freundlichst  aufmerksam  gemacht. 

2  Vgl.  darüber  namentlich  Wilp.,  Gew.  7  ff. 

3  Etymol.  1.  19,  c.  14  (M.  82,  691). 

4  Instr.  ad  Salon.  1.  2,  c.  10  (M.  50,  820). 

16* 


244  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

mann  mag  die  zottige  Hegen-  und  Winterpänula  der  älteren  Zeit,  Eucherius  aber  jene 
Pämilaform ,  welche  vorn  bis  auf  die  Brust  aufgeschlitzt  war  und  darum  ohne  große 
Ungenauigkeit  als  quasi  lacerna  bezeichnet  werden  konnte,  im  Sinne  haben.  Wenn 
letzterer  aber  auch  von  clavi  deseendentes,  Vertikalbesätzen,  redet,  so  liegt  kein  ernst- 
licher Grund  vor,  deren  wirkliches  Vorkommen  bei  der  Pänula  zu  bezweifeln. 

Von  der  Pänula  —  zusammenhängend  mit  pannus,  Tuch,  Gewebe  —  ist 
bei  den  lateinischen  Schriftstellern  sowohl  aus  der  Zeit  der  Republik  wie  der 
Kaiserzeit  wiederholt  die  Rede.  Sie  begegnet  uns  bei  Plautus,  bei  Cicero  und 
Varro,  bei  Horaz,  Martial,  Lampridius  u.  a. 1  Bei  Plautus  ist  sie  ein  Sklaven- 
kleid 2,  bei  Cicero  erscheint  sie  als  Reisemantel  und  als  Obergewand  eines 
Maultiertreibers 3.  Bei  Varro  hat  die  Pänula  den  Charakter  eines  Regen- 
mantels 4,  während  Horaz  sie  nicht  undeutlich  als  Überwurf  für  den  Winter 
bezeichnet 5.  Nach  Martial  scheint  sie  für  gewöhnlich  nur  von  Leuten  niederer 
Klasse  getragen  worden  zu  sein  6.  Doch  hören  wir  von  Sueton,  daß  auch  der 
freilich  zu  Extravaganzen  geneigte  Caligula  sich  der  Pänula  bedient  habe. 
Es  waren  allerdings  bestickte  und  mit  Edelsteinen  verzierte  paenulae  7.  Ebenso 
bedienten  sich  bereits  nach  dem  Dialogus  de  oratoribus ,  der  gewöhnlich 
dem  Tacitus  zugeschrieben  wird,  die  Advokaten  bei  Gericht  der  Pänula8. 
Der  Verfasser  des  Dialogus  sieht  darin  eine  der  Ursachen  des  Niederganges  der 
Gerichtsreden,  da  das  Gewand  die  freie  Bewegung  und  die  Entfaltung  eines 
großartigen  Gestus  hindere  und  den  Redner  zu  einer  bloßen  Unterhaltung  mit 
dem  Richter  zwinge. 

Eigentlich  römische  Tracht  war  aber  selbst  gegen  Ende  des  2.  Jahr- 
hunderts die  Pänula  noch  nicht  geworden.  Es  war  vielmehr  gegen  alle  Sitte 
und  Gewohnheit ,  daß  Commodus  zu  Leichenfeierlichkeiten ,  denen  er  selbst 
präsidierte,  die  Senatoren  —  diese  Lesart  ist  wohl  vorzuziehen  —  nicht  in 
der  Toga ,  sondern  in  der  Pänula  entbot 9.  Beim  Volk  muß  diese  indessen 
schon  im  Beginn  des  3.  Jahrhunderts  sehr  verbreitet  gewesen  sein ,  da  von 
Kaiser  Makrinus  berichtet  wird,  er  habe  zu  Ehren  seines  Sohnes  Diadumenianus, 
den  er  zum  Cäsar  hatte  ausrufen  lassen,  dem  Volk  rosenfarbene  paenulae  zu 
spenden  beabsichtigt 10,  und  um  etwa  dieselbe  Zeit  Ulpian  die  Pänula  neben 
dem  Pallium  zu  den  vestimenta  communia,  d.  i.  zu  den  Kleidungsstücken, 
welche  Männer  und  Frauen  ohne  Unterschied  gebrauchten,  rechnet 11.  Alexander 
Severus  gestattete  den  Senatoren  (senes),  sich  der  Kälte  halber  innerhalb  der 
Stadt  der  Pänula  zu  bedienen ;  den  römischen  Matronen  erlaubte  er  jedoch 
bloß ,  auf  Reisen  dieselbe  anzulegen 12.  Lampridius ,  der  uns  das  berichtet, 
weist  zur  Erklärung  dieser  Verordnung  darauf  hin,  daß  die  Pänula  stets  als 
ein  Reise-  oder  Regenmantel  gegolten  habe  (cum  id  vestimenti  genus  semper 
itinerarium  aut  pluviale  fuisset).  Bei  Tertullian  ist  die  Pänula  einmal  ein 
bürgerliches  Obergewand,  dessen  sich  Christen  wie  Heiden  bedienten,  ein 
anderes  Mal  ein  Soldatenmantel 1S.  Im  Maximaltarif  Diokletians  gehört  die 
Pänula  noch  nicht  gerade  zu  den  kostbarsten  Gewändern.  Sie  ist  auf  4000  bis 
5000  Denare  (den  Denar  zu  l>/5  Pfennig)  gewertet,  während  z.  B.  ein  gallisches 


1  Die   Stellen   sind   gut   zusammengestellt  6  Epig.  5,  27.             7  Cal.  52. 

bei  Marriott  192  ff;   vgl.  auch  Forcell.  s  N.  39.            "  Lamprid.  in  Comm.  IG. 

II,  276  und  Marquardt,   Das  Privatleben  ,0  Id.  in  Anton.  Diadurn.  2. 

der  Römer,  Leipzig  1886,  564.  "  Dig.  34,  2,  23. 

2  Most.  IV,   11,  74.  n  Lamprid.  in  Alex.  Sev.  27. 

3  Mil.  20;  P.  Sest.  38;  Att.  13,  33.  »  De  orat.  c.  15  (M.  1,  1171);  De  Corona 

4  Apud  Nonn.  14,  3.  milit.  c.  1   (M.  2,    95).     Unklar   ist  Apolog. 

5  Epist.  1,  11  18.  adv.  gent.  c.  6  (M.  1,  301). 


Erstes  Kapitel.     Die  Easel. 


245 


Sagum  auf  8000  Denare  angesetzt  ist '.  Im  Kleidergesetz  vom  Jahre  382  wird 
bestimmt,  es  solle  kein  Senator  ein  militärisches  Kleid  für  sich  in  Anspruch 
nehmen  und  darum  nicht  die  militärische  Chlamys,  sondern  Kolobium  (Talar- 
tunika)  und  Pänula  tragen;  die  Offizialen,  deren  Aufgabe  es  war,  die  Beschlüsse 
zum  Vollzug  zu  bringen  und  das  Notwendige  durchzuführen,  also  die  Exekutiv- 
beamten, sollten  sich  einer  gegürteten  Tunika  und  der  Pänula  bedienen.  Es 
handelt  sich  in  diesem  Erlaß  übrigens  nicht  um  die  offizielle  Tracht,  der 
Senatoren,  das  „Staatskleid",  sondern,  wie  wir  sagen  würden,  um  die  „Interims- 
kleidung". Bezüglich  des  „Staatskleides"  der  Senatoren  sollte  es  beim  alten 
bleiben,  und  vor  wie  nach  die  Toga  als  solches  gelten:  Cum  autem  vel  con- 
ventus  ordinis  canclidati  coeperit  agitari  vel  negotium  eius  sub  publica  iudicis 
sessione  cognosci  togatum  eundem  interesse  mandamus  2. 

Die  Monumente  geben  im  Verein  mit  diesen  Angaben  der  römischen 
Schriftsteller  ein  treffliches  Bild  von  dem  Wechsel  der  römischen  Mode,  bei 
welchem  die  Pänula,  anfangs  nur  ein  Kleid  der  Sklaven,  geringer  Leute  und 
der  Soldaten ,  bei  besseren  Ständen  höchstens  Reise-  und  Regenmantel ,  der 
Toga  immer  mehr  Terrain  abgewinnt  und  sich  zuletzt  als  AlltagsgeAvand  selbst 
in  den  höchsten  Kreisen  einbürgert. 

Die  Bezeichnung  paenula  verlor  sich  im  Lauf  der  Zeit;  an  ihre  Stelle 
trat  der  uns  schon  bekannte  Name  planeta,  der  seitdem  nie  mehr  aus  dem 
Gebrauch  verschwinden  sollte.  Der  Zeitpunkt  dieses  Wechsels  in  der  Be- 
nennung des  Gewandes  läßt  sich  nicht  bestimmt  feststellen.  Von  vestes 
planeticae  redet,  wie  früher  gesagt  wurde,  bereits  Cassian  (Anfang  des  5.  Jahr- 
hunderts), von  planetae  die  Vita  S.  Fulgentii  (erste  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts). 

In  Gallien  und  Afrika  wurde  die  paenula  von  ihrer  Gestalt  casula,  in 
Gallien  nach  ihrer  Anlegungsweise  auch  amphibalus  genannt. 

Bei  den  Griechen  hieß  das  Gewand  (pcuv6h)Q,  (paivöXu,  ipzh'ivqc,,  cpaivöfoov, 
navjöXwv.  Es  wird  schon  beim  Komiker  Rinthon  (ca  300  v.  Chr.)  und  dem 
Mechaniker  Athenäus  (ca  150  v.  Chr.)  erwähnt.  Später  wird  es  im  zweiten 
Brief  des  hl.  Paulus  an  Timotheus  (4,  13) 3,  bei  Epiktet  (2.  Jahrhundert 
n.  Chr.),  bei  Artemidor  (ca  150  n.  Chr.),  bei  Julius  Pollux  (Ende  des  2.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.),  bei  Johannes  Laurentius  Lydus  (f  ca  565),  bei  Menander 
Protector  (Ende  des  6.  Jahrhunderts),  bei  Theophylakt  Simokattes  (Anfang 
des  7.  Jahrhunderts)  und  in  dem  um  die  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  entstandenen 
Chronicon  paschale  genannt 4.  Bei  Simokattes  handelt  es  sich  um  ein  kleri- 
kales Gewand,  wie  es  scheint s,  bei  allen  übrigen  aber  um  ein  laikales  Kleidungs- 
stück. Bei  Lydus  finden  wir  es  bei  den  Advokaten  6 ;  im  Chronicon  paschale 
erscheint  es  als  Bestandteil  der  Tracht  des  Stadtpräfekten  von  Konstantinopel ". 
Bezeichnend  für  die  Bedeutung,  welche  der  <pzh)vqq  allmählich  erlangt  hatte, 
ist  die  bildliche  Redensart  bei  Menander:  ipaivdhov  u.riooöaaadai  =  herab- 
kommen, unter  seinen  Stand  herabsteigen  8. 


1  M  o  m  m  s  e  n  -  B  1  ii  m  n  e  r  ,  Der  Maximal- 
tarif des  Diokletian  154  ff. 

2  Cod.  Theod.  1.  14,  tit.  10  de  habitu  (ed. 
Haenel,  Lipsiae  1837,  1400*). 

3  So  wenigstens  nach  der  gewöhnlicheren 
Auffassung ;  man  hat  nämlich  den  pshrsTjg 
im  2.  Timotheusbrief  auch  als  Buchhülle  aus- 
gelegt. An  der  fraglichen  Stelle  bittet  der 
Apostel  den  Adressaten ,  er  möge  ihm  bei 
seinem   Herkommen    die    paenula    (ps/iunjs), 


die  er  bei  Karpus  in  Troas  zurückgelassen 
habe,  sowie  die  Bücher  und  zumal  die  Perga- 
mente mitbringen. 

1  Sophokles,  Griechisches  Lexikon 
(Leipzig  und  New  York  1893)  unter  <pafjöfojq 
(S.  1132)  und  TiaivöAim  (S.  831). 

5  Hist.  1.  7,  n.  6  (Bonnae  1834,  280). 

6  De  magistrat.  1.  3,  n.  8  (Bonnae  1837,  201). 
1  Ad  an.  419  (Bonnae  1832,  574). 

8  Fragm.  bist.  (Bonnae  1829,  439). 


246  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Es  kann  nach  dem  Gesagten  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  die  liturgische 
Planeta  oder  Kasel  von  dem  Gewand  herkommt,  welches  die  Römer  paenula, 
die  Griechen  (paivöhjQ,  <psX6vrjQ,  die  Syrer  phainfl  nannten.  Zur  Kaiserzeit  in 
der  ganzen  griechisch-römischen  Welt  bekannt,  war  es  ein  wirklicher  Allerwelts- 
mantel.  Denn  wir  finden  es  zu  Rom  und  überhaupt  in  Italien  wie  in  Ger- 
manien, in  Gallien  wie  im  Norden  Afrikas,  in  Griechenland  wie  in  Syrien,  ja 
im  äußersten  Nordwesten  Indiens  in  Gebrauch,  und  zwar  galt  es  damals  sogar 
zu  Rom  nicht  mehr  als  ein  gering  gewertetes  Kleidungsstück  der  Sklaven,  Maul- 
tiertreiber, Soldaten  und  Leute  ähnlichen  Schlages,  oder  als  bloßer  Regen- 
mantel, dessen  man  sich  nur  bei  Wind  und  Wetter  bediente.  Selbst  hier  war 
es  allmählich  zu  Ansehen  gekommen  und  ein  beliebtes,  weil  praktisches  Ober- 
gewand geworden,  in  dem  man  mit  allen  Ehren  in  der  Öffentlichkeit  auftreten 
konnte.  Wohl  hatte  die  Toga  offiziell  noch  immer,  und  zwar  noch  für  lange 
Zeit  das  Vorrecht,  das  eigentliche  römische  Staatskleid  zu  sein.  In  Wirk- 
lichkeit aber  war  ihre  Verwendung  bereits  eine  sehr  beschränkte  geworden. 
Hatte  sich  doch  die  Pänula  nicht  bloß  auf  dem  Forum,  sondern  selbst  schon  bei 
den  Gerichtshöfen  heimisch  gemacht.  Sogar  bei  den  Senatoren  war  sie  anstatt 
der  Toga  im  Lauf  der  Zeit  nicht  zwar  zur  amtlichen,  aber  doch  zur  außer- 
amtlichen Tracht  emporgestiegen. 

Unter  solchen  Umständen  ist  es  leicht  erklärlich,  daß  das  Gewand  auch 
bei  den  christlichen  Liturgen  sich  einbürgerte,  und  zwar  nicht  bloß  zu  Rom 
und  überhaupt  im  Abendland,  sondern  auch  im  Osten. 

Welche  Ursachen  darauf  eingewirkt  haben,  daß  die  Pänula  eine  so 
weite  Verbreitung  in  der  ganzen  römisch-griechischen  Welt  fand,  läßt  sich 
nicht  feststellen.  Möglich,  daß  die  Soldatenpänula,  die  mit  den  römischen 
Soldaten  überall  hinkam ,  darauf  von  Einfluß  gewesen  ist.  Indessen  ist  es 
ja  auch  von  wenig  Belang,  klarzulegen,  wie  das  zuging.  Nicht  die  Gründe 
der  allgemeinen  Verbreitung  des  Gewandes  sind  es,  was  uns  hier  zuletzt  inter- 
essiert, sondern  die  Tatsache  dieser  seiner  allgemeinen  Verbreitung.  Denn  diese 
gibt  uns  den  Schlüssel  zur  Lösung  der  Frage,  wie  es  kam,  daß  jenes  später 
ebensowohl  im  Osten  wie  im  Westen  einen  Bestandteil  der  liturgischen 
Kleidung  bildet.  Das  priesterliche  Obergewand  ist  nicht  etwa  im  Orient  aus 
dem  profanen  ipsh'ivyc,  entstanden  und  dann  vom  Abendland  adoptiert  worden, 
noch  haben  umgekehrt  die  Riten  des  Ostens  es  dem  lateinischen  Ritus  ent- 
lehnt, nachdem  in  diesem  aus  der  Pänula  die  sakrale  Planeta  geworden  war. 
Es  ist  vielmehr  hier  wie  dort  autochthon ,  d.  h.  es  hat  sich  hier  wie  dort 
gleichmäßig  aus  dem  gewöhnlichen  Mantel  des  Alltagslebens  herausgebildet, 
der  im  Abendland  freilich  schon  lange  völlig  außer  Gebrauch  gekommen  ist, 
im  Orient  aber  sich  noch  jetzt,  wenngleich  mit  Veränderungen,  in  Gestalt 
des  Burnus  der  Araber  erhalten   hat. 

Den  Zeitpunkt  zu  bestimmen,  zu  dem  die  Pänula  bzw.  der  profane 
(fzhWr^  bei  den  Liturgen  in  Gebrauch  kam,  ist  unmöglich.  Es  geschah 
schwerlich  überall  zu  gleicher  Zeit.  Immerhin  darf  angenommen  werden,  daß 
solches  nicht  erst  erfolgte,  als  die  Fesseln  für  die  Kirche  gefallen  waren  und 
diese  frei  ihre  Wirksamkeit  entfalten  konnte.  Wirklich  ist  schon  der  Bischof 
auf  dem  Fresko  der  „Einkleidung  einer  gottgeweihten  Jungfrau"  in  der  Kata- 
kombe der  hl.  Priscilla  zu  Rom ,  einem  Werk  des  3.  Jahrhunderts ,  mit  der 
Pänula  bekleidet.  Natürlich  hatte  das  Gewand  damals  noch  keinen  spezifisch 
liturgischen  Charakter.  Diesen  erhielt  es  erst  in  weit  späterer  Zeit,  als  die 
Mode  eine  rückläufige  Bewegung  begann,  und  es  zunächst  bei  den  Laien,  dann 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila.  247 

aber  auch  als  Alltagsgewand  bei  den  Geistlichen  wieder  außer  Brauch  kam. 
Erst  von  da  ab  kann  man  von  einer  spezifisch  liturgischen  Planeta,  einem 
eigentlich  liturgischen  Phelonion  reden. 

Man  hat  auffälligerweise  mehrfach  geglaubt,  die  paenula  {yekövrjQ),  von 
welcher  der  Apostel  Paulus  im  2.  Timotheusbrief  4,  13  redet,  als  liturgische 
Kasel  auffassen  zu  sollen.  Eine  solche  Annahme  heißt  indessen  die  Entwicklung 
der  sakralen  Gewandung  völlig  verkennen.  Sie  entbehrt  aber  auch  allen 
Grundes.  Haben  doch  schon  zur  Zeit  des  hl.  Hieronymus  einzelne  Exegeten 
unter  jener  paenula  sogar  eine  Bücherumhüllung  verstanden  1.  Bedeutet  sie, 
was  allerdings  das  wahrscheinlichste  ist,  ein  Gewand,  so  ist  sie  lediglich  der 
(psXövrjQ  des  Alltagslebens.  So  und  nicht  anders  fassen  denn  auch  Tertullian 2, 
Pelagius  3,  Johannes  Chrysostomus  *  und  Eucherius ä  sie  auf.  Von  einer  An- 
deutung, daß  sie  vielleicht  ein  Sakralgewand  gewesen,  findet  sich  bei  keinem 
von  diesen  auch  nur  eine  Spur;  ein  Zeichen,  wie  fern  noch  eine  liturgische 
Pänula  im  späteren  Sinn  ihrem  Ideenkreis  lag.  Besonders  bezeichnend  ist 
wie  für  die  Bedeutung  der  paenula  beim  hl.  Paulus,  so  überhaupt  für  die 
Frage  nach  der  Existenz  einer  sakralen  Pänula  in  vorkonstantinischer  Zeit 
das  Verhalten  Tertullians  in  seiner  Schrift  De  oratione.  Es  gab  damals  Christen, 
welche  in  Nachahmung  der  Heiden  beim  Beten  die  Pänula  ablegten.  Tertullian 
will  das  als  abergläubisch  und  töricht  tadeln ,  und  er  bemerkt  deshalb  mit 
dem  ihm  eigenen  Salze,  wenn  man  die  Pänula  beim  Gebet  abzulegen  habe,  so 
hätten  das  denn  doch  wohl  vor  allem  die  Apostel,  die  uns  über  das  Verhalten 
beim  Gebet  belehrten,  begriffen;  man  müßte  denn  annehmen,  Paulus  habe 
seine  Pänula  bei  Karpus  vergessen,  als  er  betete.  Ob  wohl  Gott,  welcher  die 
drei  Jünglinge  im  Feuerofen  in  ihren  Pluderhosen  und  Mützen  erhörte,  nicht 
auch  die  höre,  welche  mit  einer  Pänula  bekleidet  seien?  Es  liegt  auf  der 
Hand,  daß  Tertullian  weder  die  Pänula  des  Timotheusbriefes  für  ein  Meßgewand 
gehalten  noch  überhaupt  eine  liturgische  Pänula  gekannt  hat. 

ZWEITES  KAPITEL. 

DALMATIK  UND  TUNICELLA. 

I.    DALMATIK  UND  TUNICELLA  NACH  GEGENWÄRTIGEM    BRAUCH. 

Das  liturgische  Obergewand  der  Diakone  ist  die  Dalmatik,  das  der 
Subdiakone  die  Tuniceila.  Gemäß  dem  jetzigen  Brauch  sind  beide  der  Form 
und  Verzierung  nach  nicht  mehr  voneinander  verschieden.  Dalmatik  und 
Tunicella  sind  nur  noch  zwei  Namen  für  ein  und  dasselbe  Gewand.  Nach 
dem  bischöflichen  Caeremoniale  soll  sich  allerdings  die  subdiakonale  Tunika 
von  der  Dalmatik  dadurch  unterscheiden ,  daß  sie  etwas  engere  und  längere 
Ärmel  als  diese  hat 6,  weshalb  denn  auch  die  Provinzialsynode  von  Prag  aus 
dem  Jahre  1860  verordnete,  es  solle  die  Tunicella  mit  engeren  und  kürzeren 
Ärmeln  als  die  Dalmatik  versehen  werden  und  überhaupt  etwas  kleiner  als 
diese  sein  7.  Allein  praktisch  wird  der  Unterschied  nicht  einmal  zu  Rom  mehr 
festgehalten. 


1  Chrysost.  in    2   Tim   4,    13    (Mg.  62,  i  A.  a.  0. 

656).     Hieron.,  Ep.  36,    n.   13  ad  Damas.  5  Instruct.  ad  Salon.  1.  2,  c.  10  (M.  50,  820). 

(M.  22,  458).  *  L.  1,  c.  10,  n.  1  ;  von  einem  Unterschied 

2  De  orat.  c.  15  (M.  1,  1171).  in  der  Länge  der  Gewänder  ist  keine  Rede. 

3  In  2  Tim  4,  13  (M.  30,  895).  '  Tit.  5,  c.  7  (Coli.  Lac.  V  539). 


248  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

In  Frankreich,  England,  Spanien,  Deutschland  usw.  stellen  die 
Dalmatik  und  Tunicella  in  ihrer  gegenwärtigen  Gestalt  einen  skapulierähn- 
lichen  Überwurf  mit  einem  Durchlaß  für  den  Kopf  und  viereckigen,  von  der 
Schulter  über  den  Oberarm  herabfallenden  Zeuglappen,  den  Überbleibseln  der 
ehemaligen  Ärmel,  dar.  Eine  wirkliche  Tunika  sind  sie  noch  in  Italien.  Zwar 
sind  sie  auch  hier  an  den  Seiten  bis  unter  die  Achseln  aufgeschlitzt,  doch 
haben  sie  noch  förmliche  Ärmel. 

Die  Verzierung  der  Dalmatik  (Tunicella)  besteht  vor  allem  in  zwei 
von  der  Schulter  bis  zum  Saum  hinabgehenden  Streifen,  welche  bei  der 
italienischen  Dalmatik  schmal,  bei  der  deutschen  und  französischen  aber  von 
ziemlicher  Breite  sind  und  durch  einen  Querbesatz  verbunden  zu  werden 
pflegen.  Bei  der  Dalmatik,  wie  sie  in  Frankreich  üblich  ist,  befindet  sich 
dieses  Querstück  in  der  Kegel  hart  oben  am  Kopfdurchlaß,  bei  der  deutschen 
vor  der  Brust  bzw.  mitten  auf  dem  Kücken,  bei  der  italienischen  tief  unten 
nahe  am  Saum  des  Gewandes,  und  zwar  stellt  es  bei  den  beiden  ersten  einen  ein- 
fachen, breiten  Streifen  dar,  während  es  beider  letzten  aus  zwei  schmalen  Borten 
besteht,  die  so  weit  voneinander  entfernt  sind,  daß  sie  mit  den  Vertikalstreifen 
nahezu  ein  Quadrat  bilden.  Dalmatiken,  die,  ähnlich  dem  Meßgewand,  bloß 
mit  einem  Stab  versehen  sind,  kommen  nur  in  Deutschland  und  Frankreich 
vor,  aber  auch  hier  nicht  als  das  Gewöhnliche.  Der  Besatz  ist  bei  solchen 
in  der  Mitte  der  Vorder-  und  Rückseite  angebracht  und  meist  von  be- 
deutender Breite. 

Die  Vertikalstreifen  bilden  eine  für  die  Dalmatik  (Tunicella)  charak- 
teristische Verzierung.  Ein  Schmuck  mehr  nebensächlicher  Art  sind  die 
Besätze,  welche  am  Saum  der  Ärmel  bzw.  deren  Surrogats,  der  Ärmellappen, 
aufgesetzt  werden ,  sowie  die  Fransen ,  mit  denen  man  gern  die  seitlichen 
Schlitze  und  den  unteren  Rand  versieht.  Die  früher  so  beliebten ,  von  der 
Schulter  auf  den  Rücken  herabfallenden  Quasten  sind,  wenigstens  in  Deutsch- 
land, in  jüngerer  Zeit  stark  in  Abgang  gekommen. 

Über  den  Stoff  der  Dalmatik  und  Tunicella  gibt  es  weder  in  den 
Rubriken  eine  Vorschrift,  noch  bestehen  darüber  sonst  ausdrückliche  Bestim- 
mungen; indessen  liegt  auf  der  Hand,  daß  es  nicht  passend  ist,  sie  aus  minder- 
wertigen Zeugen  herzustellen.  Es  sollte  nur  Seide  zu  ihnen  genommen  werden. 
Nicht  nötig  ist,  daß  sie  genau  aus  dem  gleichen  Stoff  gemacht  oder  gleich 
kostbar  sind  wie  das  Meßgewand,  zu  dem  sie  gehören,  wofern  sie  nur  die 
gleiche  Farbe  haben  1. 

Die  Gelegenheiten,  bei  denen  die  beiden  Gewänder  zur  Verwendung 
kommen,  sind  nach  dem  römischen  Missale  die  missa  solemnis  sowie  die  feier- 
lichen Prozessionen  und  Benediktionen.  Nicht  gebraucht  werden  sie  jedoch 
an  den  Tagen,  welche  den  Charakter  der  Buße  haben 2,  desgleichen  nicht  bei 
der  Aschenweihe  sowie  ebenfalls  nicht  bei  der  Kerzen-  und  Palmenweihe  und 
der  an  diese  sich  anschließenden  Prozession  3,  weil  Dalmatik  und  Tunicella  von 
alters  her  die  Bedeutung  eines  Festgewandes  besitzen.  Tunicella  und  Dalmatik 
sind  das  spezifische  Obergewand  der  Subdiakone  und  Diakone;  darum 
werden  denn  auch  diese  bei  ihrer  Weihe  mit  ihnen  feierlich  durch  den  Bischof 
bekleidet.  „Die  Tunika  der  Freude  und  das  Gewand  des  Jubels  ziehe  dir  an 
der  Herr.  Im  Namen  usw.",  spricht  der  Bischof,  wenn  er  dem  neuen  Sub- 
diakon  die  Tunicella  anlegt.     „Es   bekleide  dich   der  Herr  mit   dem  Gewand 


1  C.  RR.  4.  Juli  1817  (Decret.  auth.  2578).  2  Siehe  S.  148.  3  Rubricae  generales 

tit.  19,  n.  5  6. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


249 


des  Heiles  und  dem  Kleid  der  Freude,  und  mit  der  Dalmatik  der  Gerechtig- 
keit umgebe  er  dich  auf  immerdar.  Im  Namen  usw."  sind  die  Worte,  mit 
welchen  er  die  Übergabe  der  Dalmatik  an  den  eben  geweihten  Diakon  am 
Ende  der  heiligen  Handlung  begleitet. 

Außer  den  Diakonen  und  Subdiakonen  bedienen  sich  beider  Gewänder 
aber  auch  die  Bischöfe,  wodurch,  wie  gewöhnlich  gesagt  wird,  angedeutet 
werden  soll,  daß  in  diesen  alle  Ordines  vereinigt  sind,  sowie  diejenigen  Prä- 
laten, welchen  kraft  eines  allgemeinen  oder  persönlichen  Privilegs  der 
Gebrauch  der  Pontifikalgewänder  zusteht.  Während  indessen  Diakon  und  Sub- 
diakon  die  Dalmatik  und  Timicella  auch  bei  andern  Funktionen  als  dem 
heiligen  Opfer  tragen ,  dürfen  die  Bischöfe  und  die  genannten  Prälaten  sie 
lediglich  bei  der  Messe  und  bei  Funktionen,  welche  innerhalb  der  Messe  statt- 
haben, also  nur  in  Verbindung  mit  der  Kasel  benutzen,  nie  zugleich  mit  dem 
Pluviale.  Die  Nichtbischöfe,  welche  sich  des  Vorrechtes  erfreuen,  die  beiden 
Gewandstücke  zu  gebrauchen,  dürfen  solches  obendrein  nur  an  den  Tagen, 
bei  den  Gelegenheiten  und  an  den  Orten,  für  welche  ihnen,  sei  es  gemäß  den 
allgemeinen  Regeln 1,  sei  es  kraft  ihres  besondern  Privilegs ,  die  Benutzung 
der  Pontifikalkleidung  zugestanden  wurde. 


II.    ALTER  DES  GEBRAUCHES  DER  DALMATIK. 

Die  Dalmatik  war  zu  Rom  sicher  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  4.  Jahr- 
hunderts bei  dem  Papst  und  den  Diakonen  in  Gebrauch.  Die  allem  Anschein 
nach  zu  Rom  geschriebenen,  jedenfalls  aber  die  römischen  kirchlichen  Ver- 
hältnisse auffallend  berücksichtigenden  Quaestiones  Veteris  et  Novi  Testa- 
menti  stellen  das  außer  Zweifel.  Man  hatte  behauptet,  David  sei  Priester 
gewesen,  und  zum  Beweise  dessen  angeführt,  daß  er  nach  Angabe  der  Heiligen 
Schrift  den  priesterlichen  Ephod  getragen  habe.  Der  Verfasser  der  Schrift 
widerlegt  nun  dieses  Argument,  indem  er  darauf  hinweist,  daß  ja  doch  auch 
die  Diakone  wie  die  Bischöfe  eine  Dalmatik  trügen,  ohne  deshalb  ebenfalls 
Bischöfe  zu  sein:  Quasi  non  hodie  diaconi  dalmaticis  utantur  sicut  et  epi- 
scopi2.  Es  müssen  also  zu  Rom  zur  Zeit  der  Entstehung  der  Quaestiones, 
d.  i.  zur  Zeit  Damasus'  I.  (366 — 384),  sowohl  der  Papst  wie  die  Diakone 
sich  bereits  der  Dalmatik  bedient  haben.  Übrigens  gesetzt  auch,  ihr  Verfasser 
habe  bei  jener  Bemerkung  nicht  lediglich  den  Stand  der  Dinge  im  Auge 
gehabt,  wie  er  damals  zu  Rom  lag,  so  behält  trotzdem  sein  Zeugnis  seinen 
vollen  Wert.  Denn  wenn  es  auch  dann  nicht  ausschließlich  auf  Rom  und 
die  römischen  Verhältnisse  bezogen  werden  kann,  so  gilt  es  doch  jedenfalls 
wenigstens  in  erster  Linie  bezüglich  des  römischen  Brauches,  da  die  Dal- 
matik bis  zur  Karolingerzeit  hin  gerade  für  den  dortigen  Ritus  ein  charak- 
teristischer Ornat  war. 

Wollen  wir  dem  Papstbuche  glauben,  so  geschah  zu  Rom  die  Einführung 
der   Dalmatik   im   Kultus   durch   Silvester  I.  (314 — 335).     Hie   constituit,   ut 

1  Decret.  Alexandri  VII.  circa  usum  ponti- 
ficalium  vom  27.  September  1659  und  die  Kon- 
stitution Pius'  VII.  „Decet  Romanos  ponti- 
fices"  vom  4.  Juli  1823  in  Decret.  auth.  n.  1131 
und  2624. 

2  Quaest.  46  (M.  35,  2246).  Über  den  un- 
genannten Verfasser  ist  man  nicht  einig  (vgl. 
Bardenhewer,  Patrologie,  Freiburg  1901, 
387).    Das  Alter  der  Schrift  ergibt  sich  aus 


Quaest.  44  (M.  35,  2243),  wo  es  heißt,  es  seien 
seit  der  Erfüllung  der  Weissagung  Daniels 
von  den  Jahrwochen  durch  die  Geburt  und 
das  Leiden  Christi  sowie  dem  Untergang 
Jerusalems  etwa  300  Jahre  verflossen :  Et 
quis  ambigat  de  hoc  numero ,  cum  trecenti 
circiter  anni  nunc  super  hunc  numerum  in- 
veniantur.  Sie  entstand  also  wohl  unter 
Damasus  I.  (367—385). 


250 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


diaconi  dalmaticis  in  ecclesia  uterentur,  berichtet  dieses1,  und  so  klingt 
es  wie  ein  Echo  ohne  Ende  von  da  an  durch  alle  folgenden  Zeiten  nach. 
Dagegen  soll  nach  der  Vita  S.  Silvestri  erst  unter  Liberius  (352—366)  die 
Dalmatik  liturgisches  Gewand  geworden  sein2. 

Leider  sind  nicht  bloß  die  Angaben  des  mit  Fabeln  angefüllten  Silvester- 
lebens, sondern  auch  die  Notizen  in  den  älteren  Papstbiographien  des  Papst- 
buches wenig  zuverlässig.  Wie  die  Dinge  liegen,  ist  es  daher  unmöglich,  auch 
nur  mit  einiger  Sicherheit  zu  bestimmen,  ob  wirklich  die  Dalmatik  unter 
Silvester  I.  im  römischen  Ritus  Aufnahme  fand  oder  erst  unter  Liberius  oder 
sonst  einem  Papste;  ob  das  Gewand,  wie  die  Vita  anzudeuten  scheint,  beim 
Papst  und  den  Diakonen  zu  gleicher  Zeit  in  Gebrauch  kam,  oder  ob  es  sich 
zunächst  bloß  bei  jenem  und  dann  erst  bei  diesen  einbürgerte ;  endlich  ob  die 
Dalmatik  eingeführt  wurde,  um  die  Diakone  vor  den  übrigen  Klerikern  aus- 
zuzeichnen, wie  das  dem  Papstbuch  am  meisten  entspricht,  oder  lediglich  auf 
Grund  praktischer  und  ästhetischer  Erwägungen.  Immerhin  sind  die  An- 
gaben des  Silvesterlebens  und  der  Silvesterbiographie  im  Papstbuch  insofern 
wenigstens  für  die  Geschichte  der  Dalmatik  nicht  ohne  Belang,  als  auch  sie 
beweisen,  daß  diese  nicht  erst  gegen  Anfang  des  6.  Jahrhunderts,  sondern 
schon  eine  geraume  Zeit  vor  der  Abfassung  der  beiden  Schriften  zu  Rom  Ver- 
wendung gefunden  haben  muß. 

Es  ist  sogar  nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  Dalmatik  bereits  im  3.  Jahr- 
hundert im  römischen  Kultus  Eingang  fand.  Wenn  damals  nämlich  der 
hl.  Cyprian  (f  258)  zu  Karthago  sich  ihrer  bei  der  Liturgie  bediente,  so  geschah 
ähnliches,  wenigstens  seitens  des  Papstes,  zu  gleicher  Zeit  auch  wohl  schon  zu 
Rom,  wo  ja  das  Gewand  als  profanes  Kleidungsstück  bereits  recht  gebräuchlich 
geworden  war.  Daß  aber  jener  sie  tatsächlich  bei  den  gottesdienstlichen  Ver- 
richtungen getragen  habe,  dürfen  wir  mit  allem  Fug  aus  den  Akten  seines 
Martertodes  schließen.  Denn  wenn  er  diesen  Akten  zufolge  selbst  im  Alltags- 
leben außer  der  Tunika  und  dem  Mantel  eine  Dalmatik  anzog3,  wird  er  es 
sicher  erst  recht  in  gleicher  Weise  bei  der  Feier  der  heiligen  Geheimnisse 
gehalten  haben,  bei  der  er  doch  zweifelsohne  nicht  weniger  reich  gekleidet 
war  als  auf  der  Straße.  Es  war  aber  auch  die  Lage  der  Christen  im  3.  Jahr- 
hundert zu  Rom  keineswegs  so  armselig  und  so  ungünstig  mehr,  daß  nicht 
wenigstens   der  Papst  hätte  daran   denken   können,    bei   der  Liturgie   die   im 


1  Du  eh.,  L.  P.  I  171. 

2  S.  oben  S.  68.  Die  Vita  S.  Silvestri  stammt 
aus  dem  Beginn  des  6.  Jahrhunderts.  Der  erste 
Teil  des  L.  P.  entstand  nach  Duchesne  (L.  P.  In- 
trod.  p.  xxxinff)  unter  Hormisdas  (514 — 523). 
P.  Grisar  setzt  ihn  (Zeitschrift  für  kath.  Theo- 
logie, Innsbruck  1887,  426  ff)  in  die  Zeit  des 
Pontifikats  Bonifaz'  II.  (530—532).  Dagegen 
verweist  Mommsen  in  der  Vorrede  zu  der  in 
den  Monuroenta  Germaniae  von  ihm  besorgten 
neuen  Ausgabe  des  Papstbuches  selbst  die  Ab- 
fassung der  ersten  Redaktion  in  die  erste  Hälfte 
des  7.  Jahrhunderts  (Proleg.  c.  1,  p.  xvm), 
doch  halten  Duchesne  (Melanges  d'archeologie 
et  d'histoii-e  XVIII  381  ff)  wieP.  Grisar  (Ana- 
lecta  Romana,  Romae  1899  660  ff)  an  ihrer 
Datierung  fest.  Mit  Recht.  Wenn  Mommsen 
(Proleg.  p.  xvii)  unter  anderem  darum  will, 
daß   der   älteste    Teil    des    L.    P.    erst   nach 


Gregor  d.  Gr.  entstanden  sei,  weil  der  L.  P. 
den  Papst  Telesphorus  sieben  Fastenwochen 
anordnen  läßt,  Gregor  aber  erst  sechs  kennt, 
so  ist  zu  erwidern,  daß  es  bekanntlich  auch 
nach  Gregor  bis  jetzt  in  der  römischen  Kirche 
nie  sieben  Fastenwochen  gegeben  hat.  Noch 
schwerer  begreiflich  ist  aber,  wie  er  (ebd.  p.  xvi) 
die  ordinationes  im  Brief  Gregors  d.  Gr.  an 
Secundinus  (1.  9,  c.  147  [M.  G.  Epp.  II  147]) 
als  Weihen  verstehen  und  daraus  dann  einen 
weiteren  Beweis  für  seine  Aufstellung  her- 
leiten konnte,  da  doch  der  richtige  Sinn  von 
ordinatio  an  jener  Stelle  evident  ist.  Ordi- 
natio  heißt  dort  nicht  Weihe ,  sondern  Ver- 
ordnung, wie  auch  sonst  in  den  Briefen  Gregors 
(vgl.  den  Index  ebd.  II  570). 

3  Acta  proconsularia  c.  5  (Corp.  SS.  eccl. 
III,  app.  cxm). 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Timicella. 


251 


gewöhnlichen  Verkehr  schon  weit  verbreitete,  der  Erhabenheit  der  gottes- 
dienstlichen Verrichtungen  so  ganz  entsprechende  Dalmatik  in  Verwendung 
zu  nehmen.  Im  Gegenteil  mußten  die  verhältnismäßig  langen  damaligen 
Friedensperioden,  in  denen  es  sogar  nicht  an  Begünstigungen  seitens  einzelner 
Kaiser  fehlte  und  das  Christentum  in  den  höheren  Kreisen  manche  Anhänger 
gewann,  notwendig  darauf  hinwirken,  daß  sich  der  Gottesdienst  nach  Mög- 
lichkeit mit  der  ihm  gebührenden  äußeren  Würde  und  Zier  vollzog.  Gab 
es  doch  zu  Rom  im  3.  Jahrhundert  auch  schon  eine  große  Anzahl  eigentliche 
öffentlich  bekannte,  wenn  auch  noch  nicht  staatlich  als  solche  anerkannte 
Kirchen1.  Dazu  kommt,  daß  wir  wirklich  bereits  auf  einem  Katakomben- 
fresko des  3.  Jahrhunderts  bei  einem  Bischof  unter  der  Pänula  (Kasel)  eine 
dalmatikartige  Tunika,  um  nicht  zu  sagen  eine  richtige  Dalmatik  antreffen. 
Es  ist  die  Szene  der  Einkleidung  einer  gottgeweihten  Jungfrau  in  S.  Priscilla2. 
Demnach  ist  es  keineswegs  so  ganz  unwahrscheinlich,  daß  die  Dalmatik  schon 
im  Laufe  des  3.  Jahrhunderts  zu  Rom  beim  Gottesdienst  in  Gebrauch  kam, 
wenigstens  beim  Papste.  Wenn  daher  Silvester  I.  wirklich  die  ihm  im 
L.  P.  zugeschriebene  Verordnung  erlassen  haben  sollte,  was  in  sich  durch- 
aus nichts  Unmögliches  enthält,  so  ist  dieselbe  wohl  dahin  zu  deuten,  daß  er 
durch  sie  den  Gebrauch  der  Dalmatik  auf  die  Diakone  ausdehnte,  um  diese 
dadurch  als  die  nächsten  Ministri  des  Papstes  vor  den  übrigen  Klerikern  aus- 
zuzeichnen. Ob  freilich  die  Dalmatik  schon  in  vorkonstantinischer  Zeit 
ein  eigentlich  liturgisches  Gewand  war,  falls  sie  damals  wirklich  beim  Gottes- 
dienst Verwendung  fand,  muß  dahingestellt  bleiben.  Um  das  Ende  des  4.  Jahr- 
hunderts dürfte  sie  aber  wohl  schon  einen  eigentlich  sakralen  Charakter  be- 
sessen haben.  Die  Art  und  Weise,  wie  der  Verfasser  der  Quaestiones  Novi 
et  Veteris  Testamenti  von  ihr  spricht,  scheint  darauf  hinzuweisen. 

Träger  der  Dalmatik  waren,  wenn  vielleicht  nicht  ursprünglich,  so 
doch  schon  im  4.  Jahrhundert  zu  Rom  der  Papst  und  die  römischen  Dia- 
kone, und  zwar  hatten  nach  römischer  Auffassung  nur  sie  das  Recht,  sich 
des  Gewandes  zu  bedienen.  Andere  Bischöfe  und  andere  Diakone  bedurften  dazu 
einer  ausdrücklichen  oder  stillschweigenden  Genehmigung  des  Papstes.  Eine 
solche  gab  z.  B.  Papst  Symmachus  (498 — 514)  den  Diakonen  des  hl.  Cäsarius 
von  Arles3  und  nahezu  ein  Jahrhundert  später  Gregor  d.  Gr.  unter  Beifügung 
von  zwei  römischen  Originaldalmatiken  dem  Bischof  Aregius  von  Gap,  der  ihn 
bei  seiner  Anwesenheit  zu  Rom  darum  gebeten  hatte,  für  diesen  selbst  und  seinen 
Archidiakon*.  Wir  begegnen  selbst  noch  um  die  Mitte  des  8.  Jahrhunderts 
einer  Verleihung  des  Rechtes  an  auswärtige  Diakone.  In  der  Bulle  nämlich, 
in  welcher  Abt  Fulrad  von  St  Denis  757  von  Papst  Stephan  IL  (752 — 757) 
die  Erlaubnis  empfängt,  sechs  Diakone  beim  Gottesdienst  verwenden  zu  dürfen, 
erhalten  diese  Diakone  zugleich  die  Ermächtigung,  „allzeit  bei  Ausübung  ihres 
Ministeriums  das  Ehrengewand  der  Dalmatik  anzuziehen" 5. 


1  Die  Beweisstellen  sind  sehr  gut  zu- 
sammengestellt in  Kirsch,  J.  P.,  Die  christ- 
lichen Kultusgebäude  in  vorkonstantinischer 
Zeit,  in  „Festschrift  zum  elfhundertjährigen 
Jubiläum  des  deutschen  Campo  Santo",  Frei- 
burg 1897,  6  ff. 

2  Abbildung  in  Wilp.,  Die  gottgeweihten 
Jungfrauen  ffl  1  und  Wilp.,  Kat.  Tfl  79. 
Warum  man  das  Gewand  des  Bischofs  nur 
als  Armeltunika  bezeichnet,  die  obere  Tunika 


der  Orans  des  Fresko  und  anderer  Oranten 
aber  als  Dalmatik,  will  nicht  recht  einleuchten. 
Ich  sehe  dafür  keinen  genügenden  Grund. 

3  Vita  S.  Caesarii  Arel.  1.  1,  c.  4  (M.  67, 
1016)  :  Diaconos  ipsius  ad  romanae  instar 
ecclesiae  dalmaticarum  fecit  habitu  prae- 
minere. 

*  Epist.  1.  9,  ep.  107  (M.  77,  1034). 

5  J.  276;  M.  89,  1018:  Congruum  pro- 
speximus  .  .  .   sex  constituere    diaconos ,    qui 


252 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Es  sind  im  ganzen  nur  einige  wenige  Fälle  bekannt,  in  welchen  aus- 
wärtigen Bischöfen  und  Diakonen  die  Erlaubnis  gewährt  wurde,  sich  der  Dal- 
matik  zu  bedienen;  sie  sind  ohne  Zweifel  nicht  die  einzigen,  welche  erfolgten, 
doch  hat  sich  von  den  meisten  alle  Kunde  verloren.  Indessen  hat  man  es 
auch  zu  Born  mit  der  Notwendigkeit  einer  ausdrücklichen  Genehmigung  zum 
Gebrauch  der  Dalmatik  wohl  schwerlich  allzu  streng  genommen  und  manch- 
mal als  Tatsache  hingenommen,  was  man  ohnehin  kaum  hätte  ändern  können. 

Welche  Verbreitung  der  Gebrauch  der  Dalmatik  bis  etwa  zum  Ende 
des  6.  Jahrhunderts  bei  auswärtigen  Bischöfen  und  Diakonen  gewonnen  hatte, 
sei  es  unter  stillschweigender  Anerkennung  der  tatsächlich  erfolgten  Herüber- 
nahme des  Gewandes ,  sei  es  mit  ausdrücklicher  Genehmigung  seitens  des 
Papstes,  läßt  sich  nicht  bestimmen.  Schon  zu  Ende  des  4.  Jahrhunderts 
mag  sie  manchenorts  bei  den  einen  wie  den  andern  eingebürgert  gewesen  sein, 
wie  vielleicht  die  früher  angeführte  Stelle  aus  den  Quaestiones  Veteris  et 
Novi  Testamenti  andeutet.  Fanden  wir  sie  doch  selbst  bereits  im  3.  Jahr- 
hundert beim  hl.  Cyprian.  Zu  Mailand  begegnet  sie  uns  schon  auf  den  dem 
5.  Jahrhundert  entstammenden  Mosaiken  in  der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  bei 
den  Bildern  der  hll.  Ambrosius  (Bild  62,  S.  158)  und  Maternus,  zu  Ra- 
venna  aber  erst  auf  den  kurz  vor  550  entstandenen  Mosaiken  in  S.  Vitale 
bei  dem  Ersbischof  Maximin  und  seinen  Diakonen,  woraus  natürlich  keines- 
wegs folgt,  daß  sie  daselbst  erst  im  6.  Jahrhundert  in  Gebrauch  genommen 
worden  sei. 

Man  hat  aus  der  Definition,  welche  Isidor  von  Sevilla  in  seinen  Etymo- 
logien von  der  Dalmatik  gibt:  Dalmatica  vestis  primum  in  Dalmatia  provincia 
Graeciae  texta  est,  tunica  sacerdotalis  Candida  cum  clavis  ex  purpura1,  ge- 
schlossen, daß  das  Gewand  schon  damals  eine  so  große  Verbreitung  bei  den 
Bischöfen  gefunden  habe,  daß  der  Heilige  sie  geradezu  die  „priesterliche 
Tunika"  nenne2.  Indessen  läßt  sich  das  aus  den  Worten  des  großen  Bischofs 
von  Sevilla  doch  wohl  keineswegs  folgern.  Noch  weniger  aber  berechtigen 
sie  zu  dem  Schluß,  daß  damals  vielleicht  auch  schon  Priester  sich  nach  Weise 
der  Bischöfe  der  Dalmatik  bedient  hätten. 

In  Spanien  und  Gallien  entsprach  der  diakonalen  Dalmatik  im 
6.,  7.  und  8.  Jahrhundert   eine  'Tunika,    welche  Alba   genannt   wurde.     Sie 


stolam  dalmaticae  decoris  induantur,  ut  sie 
sacrum  peragant  omni  tempore  ministerium. 
Eine  Bulle,  in  welcher  Gregor  III.  (731—741) 
den  Bischöfen  Englands  mitteilt,  er  habe 
Tatwin,  dem  Erzbischof  von  Canterbury,  den 
Gebrauch  der  Dalmatik  und  des  Palliums 
verliehen  und  zum  Primas  von  Britannien 
bestellt,  ist  verdächtig;  die  Bulle  des  Papstes 
Zacharias  (741  —  752),  in  welcher  dem  Erz- 
bischof Austrobert  von  Vienne  das  Recht 
gewährt  wird,  das  Gewand  zu  tragen,  ist 
gefälscht. 

1  Etymol.  1.  19,  c.  22  (M.  82,  684). 

2  Wilp. ,  Gew.  39.  Ob  überhaupt  Isidor 
von  der  diakonalen  und  bischöflichen  Dal- 
matik spricht  ?  ob  er  nicht  vielmehr  an  ein 
Gewand  des  heidnischen  Kultus  bei  seiner 
Erklärung  des  Wortes  denkt?  Es  ist  auf- 
fällig, daß  er  in  seinen  Etymologien  sonst 
nirgends   auch   nur   das  Geringste    über   die 


christliche  Kultkleidung  des  Neuen  Bundes 
verlauten  läßt.  Man  vergleiche  tunica  (1.  19, 
c.  22 ;  ebd.  685),  casula,  planeta  (c.  24 :  ebd. 
691),  stola,  anaboladium  (c.  25  ;  ebd.  692  f), 
cingulum  (c.  33 ;  ebd.  702)  und  namentlich 
auch  pallium  (c.  24;  ebd.  689).  Ganz 
fehlen  sudarium  ,  mappula  ,  campagus ,  udo 
und,  was  besonders  auffallend  ist,  alba  und 
orarium.  Unter  solchen  Umständen  ist  es 
offenbar  sehr  fraglich ,  ob  Isidor  bei  sacer- 
dotalis an  ein  Gewand  des  christlichen  Kultus 
denkt.  Um  mit  Sicherheit  den  Sinn  der 
Stelle  feststellen  zu  können,  müßte  man  die 
Quelle  kennen,  aus  der  Isidor  geschöpft  hat. 
Im  Itinerarium  Hierosolymitanum  n.  38  wird 
von  einem  sarazenischen  Priester  auf  dem 
Berg  Horeb  erzählt,  der  mit  einer  Dalmatik 
und  einem  linnenen  Pallium  bekleidet  war 
(Corp.  SS.  eccl.  XXXIX  184) :  Sacerdos  ipsorum 
indutus  dalmatica  et  pallium  lineum  (sie). 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


25; 


findet  in  den  Quellen  aus  dieser  Zeit  wiederholte  Erwähnung.  So  ist  bei 
Gregor  von  Tours  (f  594)  in  der  Historia  Francorum  von  einem  Archidiakon 
die  Rede,  der  am  Weihnachtstage  mit  der  Alba  bekleidet  den  zur  Kirche 
kommenden  Bischof  in  Empfang  nimmt  und  einladet,  zum  Altar  zu  gehen1. 
In  der  Vita  S.  Aridii  begegnen  uns  Diakone,  die  in  albis  eine  Bittprozession 
um  Abwendung  übermäßigen  Regens  abhalten 2.  Die  Synode  von  Narbonne 
vom  Jahre  589  verordnet,  es  solle  sich  weder  der  Diakon  noch  der  Lektor 
unterfangen,  vor  Ende  der  Messe  die  Alba  auszuziehen8;  der  41.  Kanon  der 
Statuta  ecclesiae  antiqua  aber  verbietet  den  Diakonen,  die  Alba  anders  als 
zur  Zeit  der  Messe  und  Lesung,  also  außerhalb  der  liturgischen  Funktionen 
zu  tragen4.  Nach  dem  28.  Kanon  der  vierten  Synode  von  Toledo  war  es  in 
Spanien  Brauch,  den  Diakonen  bei  ihrer  Weihe  außer  dem  Orarium  auch  die 
Alba  zu  überreichen5.  Demgemäß  bestimmt  die  Synode  in  dem  gleichen 
Kanon,  es  solle  die  Restitution  eines  etwa  unschuldig  abgesetzten  Diakons 
durch  die  Zurückgabe  beider  Gewandstücke  erfolgen.  Auch  Isidor  von  Sevilla^ 
erwähnt  in  seiner  für  die  Folge  so  einflußreichen  Schrift  De  ecclesiasticis 
officiis  im  Kapitel,  das  von  den  Diakonen  handelt,  die  diakonale  Alba:  Levitae 
altari  albis  induti  assistunt6.  Eine  freilich  sehr  mangelhafte  Beschreibung 
der  Diakonalalba  des  gallikanischen  Ritus  gibt  die  unter  dem  Namen  des  hl.  Ger- 
manus gehende  Meßerklärung.  Wir  erfahren  daraus,  daß  sie  von  weißer 
Farbe  sein  mußte,  aus  Seide  oder  Wollstoff  bestand  und  ungegürtet  ge- 
tragen wurde. 

Die  Alba  war  zweifelsohne  ein  eigentlich  liturgisches  Gewand.  Der 
12.  Kanon  der  Synode  von  Narbonne  und  noch  mehr  der  41.  Kanon  der 
Statuta  und  der  28.  Kanon  der  vierten  Synode  von  Toledo  bekunden  das  mit 
aller  Bestimmtheit.  Seit  wann  sie  jedoch  ihren  sakralen  Charakter  besaß,  und 
seit  wann  sie  überhaupt  im  Gebrauch  war,  läßt  sich  nicht  feststellen. 

Ein  privilegiertes  Gewand  der  Diakone,  wie  die  römische  Dalmatik,  war 
diese  Alba  nicht.  Sie  kam  auch  den  Lektoren  zu,  wie  sich  aus  dem  12.  Kanon 
der  Narbonner  Synode  ergibt,  und  wich  in  Bezug  auf  ihre  Farbe,  Form  und 
sonstige  äußere  Erscheinung  von  der  subdiakonalen  Tunika  so  wenig  ab,  daß 
der  9.  Kanon  des  zweiten  Konzils  von  Braga  es  den  Diakonen  einschärfen  zu 
sollen  glaubt,  das  Orarium  über  der  Tunika  zu  tragen,  weil  man  sie  sonst 
nicht  von  den  Subdiakonen  unterscheiden  könne7.  Wenn  es  eine  Verschieden- 
heit zwischen  der  Alba  der  Diakone  und  derjenigen  des  niederen  Klerus  gab, 


1  L.  4,  c.  44  (M.  71,  306). 

2  C.  8  (ebd.  1124). 

3  Can.  12  (Hard.  III  493). 

4  Ebd.  I  981.  Über  Alter  und  Herkunft 
der  Statuta  ecclesiae  antiqua,  bekannter  unter 
dem  Namen  der  Kanones  des  sog.  4.  Konzils 
von  Kartbago,  liegen  manche  Untersuchungen 
vor.  Die  Hauptarbeit  ist  die  der  Gebrüder 
Ballerini  im  Appendix  zu  den  Opera  Leonis 
Mag.  II,  c.  3,  §  4  (M.  56,  104  ff),  welche  sie 
als  eine  private  Arbeit  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  5.  Jahrhunderts  bezeichnen.  Vgl.  auch 
Hef.,  Concilien  II  68.  A.  Malnory  nimmt 
dagegen  die  Statuta  für  Cäsarius  von  Arles 
in  Anspruch  und  setzt  ihre  Entstehung  in 
dieZeitvon502bis506(Congres  scientif.  inter- 
nat.  II,  Paris  1888,  428  ff),  während  J.  Peters 


sie  nach  Spanien  versetzt,  wo  sie  in  der 
ersten  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts  zusammen- 
gestellt sein  sollen  (Congres  scientif.  inter- 
nat.  II,  Brüssel  1894,  220  ff;  vgl.  auch 
TübingerQuartalschriftl896,693ff).  Maassen 
glaubt  sich  (Geschichte  der  Quellen  und  der 
Literatur  des  kanonischen  Rechts,  Graz  1870, 
382  ff)  für  Arles  als  Ursprungsort  und  die 
zweite  Hälfte  des  5.  Jahrhunderts  als  Ent- 
stehungszeit entscheiden  zu  sollen ,  P.  H. 
Brewer  aber  weist  die  Statuta  auf  Grund 
neuerer ,  demnächst  zu  veröffentlichender 
Forschungen  Hilarius  von  Arles  (f  449)  zu 
und  lälit  sie  um  441  geschrieben  sein. 
s  Hard.  III  586. 

6  C.  8  (M.  83,  789). 

7  Hard.  III  351. 


254 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


so  kann  derselbe  höchstens  darin  bestanden  haben,  daß  man  zur  diakonalen 
Alba  besseres  Material,  namentlich  auch  Seide  nahm. 

Auf  den  Monumenten  tritt  vor  dem  9.  Jahrhundert  im  ganzen  nur  selten 
die  liturgische  Dalmatik  auf,  weil  Darstellungen  von  Bischöfen  und  Diakonen  auf  den- 
selben bis  dahin  nicht  häufig  sind.  Das  früheste  Bildwerk,  auf  dem  sie  uns  begegnet, 
ist  das  schon  genannte  Mosaik  in  der  Satyruskapelle  bei  S.  Ambrogio  zu  Mailand 
mit  den  hll.  Ambrosius  und  Maternus.  Dann  folgen  die  Mosaiken  in  S.  Vitale  zu 
Ravenna  (Bild  63,  S.  159)  und  S.  Apollinare  in  Classe,  Werke  aus  der  Mitte  und  der 
zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts.  In  Kom  lassen  sich  nach  dem  jetzigen  Bestand 
der  Denkmäler  mit  Sicherheit  Darstellungen  mit  der  liturgischen  Dalmatik  erst  im 
7.  Jahrhundert  nachweisen  l.  Die  frühesten  Beispiele  bieten  daselbst  die  Mosaiken  in 
S.  Agnese  fuori  le  Mura  und  in  der  Kapelle  des  hl.  Venantius  bei  der  lateranensischen 
Taufkirche.  Dort  erscheinen  Honorius  I.  (Bild  64,  S.  160)  und  Symmachus,  hier 
Johannes  IV. ,  sein  Nachfolger  Theodorus ,  die  heiligen  Bischöfe  Venantius ,  Maurus, 
Domnio  und  der  heilige  Diakon  Septimius  im  Schmuck  der  Dalmatik.  Häufiger  werden 
Darstellungen,  auf  denen  sie  auftritt,  auch  zu  Kom  erst  im  9.  Jahrhundert. 

Von  einem  eigenartigen  Brauch,  der  im  6.  Jahrhundert  zu  Rom  bestand,  erfahren 
wir  durch  eine  Bestimmung  einer  unter  Gregor  d.  Gr.  (ca  595)  gehaltenen  römischen 
Synode.  Es  hatte  sich  daselbst  ex  amore  fidelium  die  Sitte  eingebürgert,  den  Leichnam 
der  verstorbenen  Päpste  auf  dem  Wege  zur  Begräbnisstätte  mit  Dalmatiken  zu  be- 
decken. Nach  erfolgter  Beisetzung  zerriß  das  Volk  dieselben,  und  die  Stücke  wurden 
dann  als  Kelicpuien  pro  sanctitatis  reverentia  unter  die  Gläubigen  verteilt.  Der  Papst 
verbietet  diesen  Brauch  als  durchaus  unpassend  und  verordnet  aufs  strengste,  daß  in 
Zukunft  überhaupt  keinerlei  Decke  auf  die  Bahre  eines  Papstes  gelegt  werden  dürfe  -. 
Man  wird  wohl  nicht  fehlgehen,  wenn  man  es  der  Bedeutung,  welche  die  Dalmatik  in 
Rom  hatte,  zuschreibt,  daß  man  gerade  zu  dem  genannten  Zwecke  die  Dalmatik  ver- 
wendete 3.  Auch  bei  der  Bestattung  von  Diakonen  kam  es  zu  Rom  vor,  daß  man  über 
die  Bahre  eine  Dalmatik  ausbreitete,  wie  aus  einer  Notiz  im  vierten  Buche  der  Dia- 
loge Gregors    des  Großen    erhellt.     Es   wird    dort   nämlich   berichtet .    ein  Besessener 


1  Über  die  Fresken  in  S.  Callisto,  auf  denen 
die  hll.  Kornelius,  Cyprian,  Sixcus  und  Op- 
tatus  unter  der  Planeta  die  Dalmatik  tragen, 
vgl.  oben  S.  159. 

2  Hard.  III  497:  Praesenti  decreto  con- 
stituo  ,  ut  feretrum  quo  romani  pontificis 
corpus  ad  sepeliendum  ducitur,  nullo  tegmine 
veletur.  Suam  decreti  mei  curam  gerere 
sedis  huius  presbyteros  et  diaconos  censeo. 
Si  quis  vero  ex  eorum  ordine  haee  curare 
neglexerit,  anathema  sit. 

3  C.  40  (M.  77,  397).  Wenn  Li  eil  (Die 
Kirche  des  hl.  Quiriakus  zu  Taben ,  Trier 
1895 ,  46)  die  Sitte  mit  dem  angeblichen 
Dekret  des  Papstes  Eutychian  (275—283): 
Ut  quicumque  fidelium  martyrem  sepeliret, 
sine  dalmatica  aut  colobio  purpurato  nulla 
ratione  sepeliret  (Du eh.,  L.  P.  I  159),  in 
Zusammenhang  bringt,  so  geschieht  das  ohne 
Grund,  da  ihr  Zweck  ein  ganz  anderer  war. 
Bei  jener  Verordnung  erscheint  die  mit  Pur- 
purstreifen besetzte  Dalmatik  als  Erkennungs- 
zeichen der  Märtyrereigenschaft  des  Toten, 
während  auf  die  Bahre  des  Papstes  Dal- 
matiken nur  gelegt  wurden,  um  nachher  in 
Stücke  gerissen  zu  werden ,  die  dann  als 
Andenken    aufbewahrt   wurden.     Aber    auch 


Liells  Behauptung ,  nach  Aufhebung  der 
blutigen  Verfolgung  sei  der  Gebrauch,  von 
dem  das  Dekret  Eutychians  redet,  bei  Bischöfen 
und  Diakonen ,  die  im  Rufe  der  Heiligkeit 
gestorben  waren,  beibehalten  worden,  ent- 
behrt einer  genügenden  Unterlage.  Oder  ist 
die  römische  Sitte,  welche  Gregor  sich  ab- 
zuschaffen veranlaßt  sah,  und  das  vereinzelte 
Faktum,  von  dem  derselbe  in  den  Dialogen 
berichtet,  wirklich  schon  ein  Beweis?  Erst 
recht  unberechtigt  ist  es  jedoch,  wenn  Liell 
den  fraglichen  Gebrauch  als  einen  nicht  bloß 
zu  Rom,  sondern  auch  anderswo  herrschenden 
hinstellt  (a.  a.  0.  19).  Unzutreffend  ist  es 
endlich,  wenn  er  meint,  Papst  Gregor  habe 
den  Gebrauch,  über  die  Leichen  von  Bischöfen 
und  Diakonen  eine  Dalmatik  zu  spreiten, 
wieder  auf  die  Märtyrer  beschränkt.  Das 
Statut  der  römischen  Synode  sagt  davon  nicht 
das  Geringste.  Wohl  spricht  es  von  vela- 
mina  a  sacris  corporibus  apostolorum  rnar- 
tyrumque,  allein  sind  denn  etwa  diese  Hüllen, 
welche  man  über  die  Gräber  der  Apostel- 
fürsten —  denn  nur  diese  können  gemeint 
sein  —  und  der  heiligen  Märtyrer  ausbreitete, 
mit  den  dalmaticae  Eutychians  ein  und  das- 
selbe? 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


255 


habe  die  Dalmatik  berührt ,  welche  auf  der  Bahre  des  zur  Zeit  des  Papstes  Sym- 
machus  (498 — 514)  verstorbenen  Diakons  Pasehasius  gelegen  habe,  und  sei  alsbald 
geheilt  worden. 


III.    DER  GEBRAUCH  DER  DALMATIK  SEIT  DEM  IX.  JAHRHUNDERT. 

Um  das  9.  Jahrhundert  gehörte  die  Dalmatik  ziemlich  allgemein  zum 
Bestand  der  liturgischen  Gewandung,  und  es  bedurften  weder  die  Bischöfe 
noch  die  Diakone  weiterhin  einer  besondern  Ermächtigung,  sie  zu  tragen, 
die  einen  als  Obertunika  unter  der  Kasel ,  die  andern  als  das  ihnen  eigen- 
tümliche liturgische  Obergewand.  Daß  sie  sich  bei  den  Diakonen  allent- 
halben eingebürgert  hatte,  mag  teilweise  darauf  zurückzuführen  sein,  daß 
man  das  angebliche  Dekret  Silvesters  I.  als  allgemein  geltende  liturgische 
Vorschrift  auffaßte,  ein  Standpunkt,  auf  dem  natürlich  von  der  Notwendigkeit 
einer  speziellen  Erlaubnis  zum  Gebrauch  des  Gewandes  nicht  die  Rede  sein 
konnte.  In  Gallien  aber  war  die  karolingische  Reform  auf  die  Verbreitung, 
welche  die  Verwendung  der  Dalmatik  daselbst  bei  den  Bischöfen  und  Diakonen 
gewonnen  hatte,  sicher  nicht  ohne  Einfluß. 

Um  das  zweite  Viertel  des  9.  Jahrhunderts  war  der  Gebrauch  des  Ge- 
wandes bereits  so  allgemein  geworden,  daß  nach  der  Versicherung  Walafried 
Strabos  hie  und  da  selbst  Priester  dasselbe  unter  der  Kasel  tragen  zu  dürfen 
glaubten  1.  Wirklich  sind  auf  dem  Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen 
alle  Mönche  von  St  Martin  zu  Tours  mit  einer  einzigen  Ausnahme  -  -  einer 
ist  nämlich  als  Diakon  gekleidet  —  in  Dalmatik  und  Kasel  dargestellt,  ob- 
schon  doch  keiner  von  ihnen  Bischof  war  (Titelbild). 

Zu  Rom  war  es  jedoch  noch  keineswegs  Brauch,  daß  Priester  sich  der 
Dalmatik  bedienten.  Hatten  ja,  wie  aus  dem  S.  G.  K.  hervorgeht,  daselbst 
nicht  einmal  die  sieben  Hebdomadar-  oder  Kardinalbischöfe,  d.  i.  die  Bischöfe 
der  sieben  suburbikarischen  Diözesen,  welche  an  den  Wochentagen  in  Ver- 
tretung des  Papstes  in  der  Laterankirche  abwechselnd  den  Dienst  versahen 
und  bei  den  feierlichen  päpstlichen  Messen  assistierten,  bis  ins  9.  Jahrhundert 
hinein  das  Recht,  sie  zu  tragen.  Der  Grund  hierfür  lag  ohne  Zweifel  im 
Bestreben ,  diese  bei  ihren  Funktionen  von  dem  Papst  durch  die  Kleidung- 
besser  zu  unterscheiden.  An  Stelle  der  Dalmatik  waren  sie  deshalb  bloß  mit 
einer  tunica  alba,  wie  der  S.  G.  K.  sagt,  bekleidet,  d.  i.  mit  einer  Tunicella. 
Indessen  trugen  sie  die  Dalmatik  wohl  nur  zu  Rom  nicht,  während  sie  in 
ihren  eigenen  Diözesen  sich  derselben  sicher  bedienen  durften,  da  ja  hier  der 
Grund  wegfiel,  um  dessentwillen  sie  zu  Rom  ohne  das  Gewand  zu  amtieren 
hatten.  Sie  waren  also  keineswegs  vollständig  von  dem  Gebrauch  der  Dal- 
matik ausgeschlossen.  Ebendarum  aber  wurden  auch  sie  wie  alle  andern 
Bischöfe   bei  ihrer  Konsekration   mit   dieser   bekleidet2.     Übrigens   mag   sich 


1  De  rerum  eccl.  exordio  et  increm.  c.  24 
(M.  114,  952):  Ubi  intelligitur,  non  omnibus 
tunc  fuisse  concessum,  quod  nunc  pene  omnes 
episcopi  et  nonnulli  presby terorum  sibi 
licere  existimant,  id  est,  ut  sub  casula  dal- 
matica  vestiantur. 

■  Ordo  9,  n.  4  (M.  78,  1005).  Der  Weihe- 
ordo,  wie  er  sich  hier  findet,  ist  ganz  all- 
gemeinen Charakters  und  galt  daher  zweifels- 
ohne auch  bezüglich  der  suburbikarischen 
Bischöfe.     Es   liegt   kein    Grund  vor .    seine 


Geltung  einzig  auf  die  übrigen  Bischöfe  der 
römischen  Kirchenprovinz  und  auf  Bischöfe 
anderer  Provinzen,  deren  Weihe  zu  Rom 
statthatte,  zu  beschränken.  Wenn  der  Ordo 
die  Anweisung  gibt,  den  Consecrandus  vor 
der  heiligen  Handlung  unter  anderem  auch 
mit  der  Dalmatik  zu  bekleiden ,  und  zwar 
nicht  bloß  mit  der  dalmatica  minor,  der  tunica 
alba  des  S.  G.  K ,  sondern  auch  der  dalmatica 
maior,  der  eigentlichen  Dalmatik,  so  stand 
dem  auch   bei    den  Kardinalbischöfen  nichts 


256 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


schon  zeitig  im  9.  Jahrhundert  die  Sache  dahin  geändert  haben ,  daß  die 
Suburbikarbischöfe  auch  zu  Rom  die  Dalmatik  trugen. 

Seit  welcher  Zeit  die  römischen  Kardinalpriester  von  der  Dalmatik  Ge- 
brauch machen  durften ,  ist  nicht  genau  festzustellen.  Um  den  Beginn  des 
1 1.  Jahrhunderts  waren  sie  sicher  schon  im  Besitz  dieses  Privilegs.  Denn 
in  dem  Schreiben  Klemens'  II.  an  den  Abt  von  Fulda  aus  dem  Jahre  1046 
sagt  der  Papst  ausdrücklich:  Dalmaticas  nostri  cardinales  presbyteri  ferunt1, 
und  als  Viktor  IL  1057  den  Kardinalpriester  Friedrich  von  Lothringen  zum 
Abt  von  Monte  Cassino  machte,  verlieh  er  ihm  zwar  nochmals  das  Recht,  die 
Sandalen  und  die  Dalmatik  zu  gebrauchen,  bemerkte  jedoch  dabei,  daß  der 
Neuernannte  dasselbe  eigentlich  bereits  vom  Apostolischen  Stuhl  iure  cardi- 
nalatus  empfangen  habe2.  Wie  es  scheint,  datiert  die  Ingebrauchnahme  des 
Gewandes  seitens  der  Kardinalpriester  etwa  aus  der  ersten  Hälfte  des  10.  Jahr- 
hunderts. Denn  bald  nach  950  beginnen  die  Verleihungen  des  Privilegs  an 
Äbte  und  an  auswärtige  Kardinalpriester. 

Das  früheste  bekannte  Beispiel  einer  Ei'teilung  des  Privilegs  an  Abte  fällt  in 
die  Zeit  Johannes'  XIII.  (965—972),  welcher  970  dem  Abt  des  Klosters  vom  hl.  Vin- 
zenz  zu  Metz  auf  Ansuchen  des  Bischofs  Theodorich  Dalmatik  und  Sandalen  ver- 
lieh s.  Im  Jahre  986  ermächtigte  dann  Johannes  XV.  (985 — 996)  den  Abt  Petrus 
des  Klosters  S.  Pietro  in  Celo  d'  oro  zu  Pavia,  994  aber  den  Abt  Hatto  von  Fulda, 
sich  der  Dalmatik  zu  bedienen  J.  Gregor  V.  (996 — 999)  gewährte  998  das  Privileg  dem 
Abt  Alarich  von  Reichenau  und  seinen  Nachfolgern  auf  Bitten  Kaiser  Ottos  5,  Leo  IX. 
(1049—1054)  1050  dem  Abt  Fulco  von  Corbie,  1054  dem  Abt  Albuvinus  von  Nien- 
burg auf  Fürsprache  des  Abtes  Richerius  von  Monte  Cassino  6,  Viktor  IL  (1055 — 1057) 
1057  dem  Abt  Friedrich  von  Monte  Cassino7,  Nikolaus  IL  (1058—1061)  dem  Abt 
Desiderius  daselbst 8.  Alexander  IL  (1061 — 1073)  begabte  mit  dem  Eecht,  die  Dalmatik 
zu  gebrauchen,  1063  den  Abt  Egelsinus  vom  St  Augustinuskloster  zu  Ganterbury  und 
1069  den  Abt  Reinbert  von  Echternach9,  Urban  IL  (1088—1099)  1088  den  Abt 
Hugo  von  Cluny10,  Paschalis  IL  (1099— 1118)  1102  den  Abt  Anselm  von  S.  Pietro  in 
Celo  d'oro  zu  Pavia11,  1109  den  Abt  Pontius  von  Cluny,  1113  den  Abt  Johannes  von 
Nonantula  und  1114  den  Abt  von  S.  Michele  della  Chiusa  l2.  Weitere  Verleihungen 
begegnen  uns  bis  zum  letzten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  unter  Honorius  IL  (1124 
bis  1130),  Eugen  III.  (1145—1153),  Alexander  III.  (1159-1181)  und  den  Gegen- 
päpsten Anaklet  IL  (1130—1138),  Viktor  IL  (1159—1164),  Paschalis  III.  (1164  bis 
1168)  und  Calixt  III.  (1168—1178).  Bei  allen  diesen  Privilegien  handelt  es  sich 
übrigens  nie  um  die  Dalmatik  allein,  sondern  stets  zugleich  um  andere  Teile  des 
Pontitikalornates.     Bis  ca  1050  sind  es  Dalmatik  und  Sandalen,  deren  Gebrauch  den 


im  Weg,  denen  es  ja  nach  dem  oben  Gesagten 
nur  verwehrt  war,  zu  Rom  in  Vertretung  des 
Papstes  oder  als  dessen  Assistenten  die  Dal- 
matik zu  tragen,  nicht  aber,  sich  ihrer  in 
der  eigenen  Kathedrale  zu  bedienen.  Wegen 
des  9.  Ordo  vgl.  neuerdings  J.  K  ö  s  t  e  r  s, 
Studien  zu  Mabillons  römischen  Ordines, 
Münster  1905 ,  25  ff,  dessen  Ausführungen 
jedoch  sowohl  in  Einzelheiten  wie  iu  ihren 
Ergebnissen  meines  Erachtens  teils  nicht 
genug  begründet  teils  unzutreffend  sind. 
Von  großem  Nachteil  für  die  Untersuchung 
war,  daß  der  Verfasser  sich  nicht  über  das 
Alter  der  Handschriften  in  der  Stiftsbibliothek 
zu  St  Gallen,  welche  den  9.  Ordo  enthalten, 
vergewisserte.  Es  mußte  das  den  unumgänglich 
notwendigen  Ausgangspunkt  derselben  bilden. 


1  J.  n.  4134. 

2  Ebd.4B68.  Ähnlich  in  der  Bulle  Nikolaus'II. 
für  den  Abt  Desiderius  von  Monte  Cassino 
(ebd.  4397).  Daß  in  den  angeführten  Stellen 
nur  von  den  Kardinalpriestern  die  Rede  ist, 
nicht  von  den  Kardinalbischöfen,  liegt  daran, 
daß  es  sich  in  den  fraglichen  Verleihungen 
nur  um  eine  Erteilung  des  Privilegs ,  die 
Dalmatik  zu  gebrauchen,  an  Priester  handelte. 

3  Ebd.  n.  3741. 

4  Ebd.  n.  3826  3853.     5  Ebd.  n.  3880. 
0   Ebd.  n.  4212  4335.     '  Ebd.  n.  4368. 

8  Ebd.  n.  4397;  M.  143,  1306. 

9  J.  n.  4541  4667.  10  Ebd.  n.  5372. 

11  Ebd.  n.  5891 ;  vgl.  auch  die  Erneuerung 
des  Privilegs  im  Jahre  1105  (ebd.  n.  6011). 

12  Ebd.  n.  6242  6354  6385. 


Zweites  Kapitel.     Dahnatik  und  Tunicella. 


257 


Äbten  gestattet  wird;  dann  gesellen  sieh  zu  denselben  Mitra  und  Handschuhe  oder 
die  Mitra  bzw.  die  Handschuhe  allein.  Einige  Bullen  enthalten  eine  genaue  Angabe 
der  Tage  und  der  Gelegenheiten,  für  welche  den  Adressaten  die  Erlaubnis  gegeben 
wird ,  die  Dalmatik  zu  tragen,  die  meisten  schweigen  jedoch  darüber,  wahrscheinlich, 
weil  die  Eegeln  für  den  Gebrauch  des  Gewandes  als  bekannt  vorausgesetzt  wurden. 
Als  Anlaß  für  die  Erteilung  des  Privilegs  wird  in  den  Bullen  bald  das  Verdienst  des 
Empfängers ,  bald  die  von  diesem  gestellte  Bitte  um  Gewährung  jenes  Vorrechtes, 
bald  die  ihm  von  einflufäreichen  Persönlichkeiten  zu  teil  gewordene  Empfehlung  oder 
ähnliches  bezeichnet. 

Die  erstbekannte  Erteilung  des  Hechts,  die  Dalmatik  zu  tragen,  an  K  a r  d in a  1- 
priester  auswärtiger  Kathedralen  fällt  in  das  Pontifikat  Benedikts  VII., 
welcher  975  den  Kardinalpriestern  von  Trier  für  den  Fall,  daß  sie  dem  Erzbischof 
beim  Pontifikalamt  Assistenz  leisteten  oder  in  seiner  Vertretung  als  Hebdomadare 
im  Dom  zelebrierten ,  gestattet ,  sich  dabei  der  Dalmatik  und  der  Sandalen  zu  be- 
dienen'.  Eine  Bulle,  in  welcher  Benedikt  VIII.  (1012—1024)  1012  den  zwölf  Kardinal- 
priestern von  Magdeburg  den  Gebrauch  der  Dalmatik  erlaubt,  unterliegt  hinsichtlich 
ihrer  Echtheit  einigen  Bedenken2.  Leo  IX.  (1049 — 1054)  erneuerte  1049  dem  Erz- 
bischof  Eberhard  von  Trier  das  Privileg,  welches  Benedikt  VH.  dessen  Vorgänger 
Theodorich  für  seine  Kathedrale  gegeben  hatte  3 ;  den  Kardinalpriestern  von  Besancon 
aber  erlaubte  er  nicht  nur,  sondern  gebot  er  1051  sogar,  die  Dalmatik  zu  tragen, 
wenn  sie  an  den  Festen  des  Herrn ,  der  Mutter  Gottes ,  des  Erzengels  Michael ,  der 
Apostel,  des  Erzmärtyrers  Stephanus  und  einiger  anderer  Heiligen,  sowie  am  Aller- 
heiligen- und  Kirchweihtage  an  dem  von  ihm  selbst  am  3.  Oktober  1050  geweihten 
Hochaltar  der  dortigen  Kathedrale  zelebrierten  J.  Eine  Bulle,  in  welcher  Leo  IX.  für 
die  Kölner  Kathedrale  sieben  Kardinalpriester  verordnet  und  denselben  zugleich  ge- 
stattet ,  Festtags  an  den  beiden  Hauptaltären  der  Kirche  mit  der  Dalmatik  bekleidet 
die  Messe  zu  feiern,  ist  nicht  ganz  einwandfrei 5.  Sicher  wurde  indessen  das  Privileg 
100  Jahre  später  dem  Erzbischof  Arnold  durch  Eugen  III.  (1145 — 1153)  für  seine 
Kathedrale  gegeben  6. 

Fassen  wir  das  Gesagte  kurz  zusammen,  so  ergibt  sich  als  Praxis  im 
11.  Jahrhundert:  die  Dalmatik  ist  das  liturgische  Obergewand  der  Diakone; 
ebenso  bildet  sie  allgemein  einen  Bestandteil  der  Pontifikalkleidung  der  Bi- 
schöfe. Von  den  Priestern  haben  nur  die  römischen  Kardinalpriester  de  iure 
ein  Recht,  nach  Weise  der  Bischöfe  unter  der  Kasel  die  Dalmatik  zu  tragen. 
Andere  Priester  dürfen  solches  nur  kraft  besonderer  Ermächtigung  seitens 
des  Apostolischen  Stuhles.  Es  ist  das  die  Praxis,  welche  von  da  an  für  alle 
Folgezeit  bis  in  die  Gegenwart  hinein  in  Geltung  bleiben  sollte.  Sie  ist  der 
Abschluß  einer  langsamen,  durch  manches  Jahrhundert  sich  hindurchziehenden 
Entwicklung. 

Eine  Insignie,  d.  i.  das  Abzeichen  des  Ordo.  war  die  Dalmatik  nie.  Sie 
hätte  das  ja  auch  nur  bei  den  Diakonen  sein  können.  Nun  aber  erscheint 
sie  niemals  als  diakonales  Abzeichen.    Das  ist  vielmehr  schon  zur  Karolinger- 


1  Ebd.  n.  3783.  "-  Ebd.  n.  3989. 

3  Ebd.  n.  4161. 

1  Ebd.  n.  4249;  M.  143.  668. 

'-  J.  n.  4271.  J.  hält  den  die  Kaiser- 
krönung  betreffenden  Passus  für  eingeschoben, 
das  übrige  für  echt,  andere  (vgl.  J.  a.  a.  O.) 
bezeichnen  die  ganze  Bulle  als  unecht.  J.s 
Ansicht  dürfte  den  Vorzug  verdienen.  Wäre 
die  Bulle  Leos  IX.  nur  eine  Bearbeitung  der 
Bulle  Eugens  III. ,  so  versteht  man  nicht, 
warum  die  Fälscher  unterließen,  auch  die 
Mitra  aufzunehmen,  die  in  letzterer  den  sieben 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


Kardinalpriestern  verliehen  wird.  In  einer 
Bulle  Leos  IX.  aber  paßt  das  Fehlen  der 
Mitra  sehr  gut.  Außerdem  ist  es  schwer 
begreiflich ,  daß  Eugen  noch  1152  sieben 
Kölner  Diakonen  und  Subdiakonen  das  Recht 
gewährt,  die  Sandalen  zu  tragen,  wenn  diese 
sich  nicht  bereits  infolge  eines  älteren  Privi- 
legs jenes  Vorrechts  erfreuten  und  sonach 
Eugens  Bulle  nur  Bestätigung  eines  älteren 
Privilegs  war.  Eine  erstmalige  derartige 
Verleihung  ist  für  1152  zu  ungewöhnlich. 
6  Ebd.  n.  9515;  M.  180,  1487. 
17 


258 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


zeit  die  Stola.  Die  Dalmatik  war  lediglich  ein  liturgisches  Gewand,  wie 
z.  B.  die  Kasel  der  Priester  und  die  Pontifikalschuhe  der  Bischöfe  und  die 
Tunicella  der  Subdiakone.  Wohl  war  und  ist  es  mit  Ausnahme  der  Bi- 
schöfe und  Kardinäle  de  iure  keinem  andern  als  den  Diakonen  gestattet,  sich 
der  Dalmatik  zu  bedienen1,  indessen  ist  nicht  jedes  privilegierte  Gewand 
auch  schon  eine  Insignie.  Aber  auch  in  der  vorkarolingischen  Zeit  war  die 
Dalmatik  kein  Abzeichen  des  diakonalen  Ordo.  Wohl  betrachtete  man 
sie  anfänglich  zu  Rom  als  Vorrecht  der  römischen  Diakone,  doch  nur  in  dem 
Sinne,  wie  überhaupt  ein  auszeichnendes  Gewand  ein  Vorrecht  bildet.  Es 
verhielt  sich  mit  der  Dalmatik  ähnlich  wie  mit  gewissen  modernen  außer- 
liturgischen Gewandstücken,  z.  B.  dem  Rochett,  der  Mozetta  und  der  Cappa. 
Sie  sind  privilegierte  Gewänder  bestimmter  hervorragender  Geistlichen,  aber 
nicht  auch  Insignien  derselben.  Außerdem  aber  war  die  Dalmatik  zu  keiner 
Zeit  ein  den  Diakonen  allein  und  ausschließlich  zukommender  Ornat,  den 
niemand  sonst  besessen  hätte.  Wenn  man  daher  auf  die  Bahre  des  Diakons 
Paschasius  dessen  Dalmatik  legte 2,  so  beweist  das  noch  keineswegs,  daß  diese 
als  Abzeichen  des  diakonalen  Ordo  betrachtet  wurde.  Bildete  sich  ja  im 
6.  Jahrhundert  auch  der  Brauch,  auf  die  Bahre  der  Päpste  eine  Dalmatik 
auszuspreiten,  und  doch  war  diese  zu  keiner  Zeit  päpstliche  Insignie. 


IV.   BESCHAFFENHEIT  DER  DALMATIK  IN  VORKAROLINGISCHER 

ZEIT. 

Die  Dalmatik  erscheint  auf  den  Monumenten  der  vorkarolingischen  Zeit 
stets  als  eine  lange,  mit  weiten  Ärmeln  ausgestattete  Tunika.  So  schon  auf 
dem  früher  erwähnten  Fresko  in  S.  Priscilla,  so  später 
auf  dem  Mosaik  in  S.  Satiro  zu  Mailand,  so  auf  den 
ravennatischen  Mosaiken  des  6.  und  den  römischen  Mo- 
saiken des  7.  Jahrhunderts  (Bild  118).  Ein  Unterschied 
zwischen  der  Dalmatik  der  Diakone  und  Bischöfe  ist  nicht 
zu  bemerken.  Sie  ist  bei  beiden  ganz  dasselbe  Gewand. 
Die  Weite  der  Ärmel  muß  sehr  bedeutend  gewesen 
sein.  Auf  den  musivischen  Darstellungen  in  S.  Venanzo 
zu  Rom  kommt  ihre  vordere  Breite  nahezu  der  halben 
Länge  des  Gewandes,  ihr  Gesamtumfang  also  beinahe 
dessen  ganzer  Länge  gleich.  Ebenso  verhält  es  sich  auf 
dem  Mosaik  in  S.  Satiro  zu  Mailand  (Bild  62,  S._158). 
Dagegen  sind  auf  den  ravennatischen  Mosaiken  die  Ärmel 
der  Dalmatik  etwas  enger,  wenngleich  auch  hier  ihre 
Weite  sich  noch  wenigstens  auf  ein  Drittel  der  Gewand- 
länge beläuft. 

Was  die  Farbe  betrifft,  so  ist  die  Dalmatik  auf  den 

Bildwerken  der  vorkarolingischen  Zeit   stets  weiß.     Eine 

Ausnahme  bildet  nur  die  Darstellung  des  hl.  Ecclesius  auf 

dem  Apsismosaik  in  S.  Vitale  zu  Ravenna,  auf  welcher  das 

Gewand  mit  farbiger,  aus  Kreisen  bestehender  Musterung 

Bild  118  Hl.Septimius.     versehen  ist_  Indessen  ist  dieses  hier  in  seiner  jetzigen  Gestalt 

Mosaik.  ,  ,.  ,  n  ,_",.. 

Kom,  s.  venanzo.  nicht   mehr  ursprünglich,   sondern  das  Ergebnis  einer  im 


1  Priester  tragen  natürlich  die  Dalmatik,  wenn  sie  an  Stelle  von  Diakonen  fungieren,  aber 
dann  auch  nur  die  Dalmatik.  2  S.  oben  S.  254. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


259 


12.  Jahrhundert  vorgenommenen  Restauration. 
Seine  ganze  Beschaffenheit  läßt  daran  keinen  Zwei- 
fel. Die  Dalmatik  ist  nämlich  auch  noch  in  anderer 
Beziehung  sehr  auffällig  und  befremdend.  Sie 
ist  sehr  kurz,  kaum  daß  sie  unter  der  Planeta 
hervorkommt,  am  Saum  ungewöhnlicherweise  mit 
breiter  Borte  versehen  und  an  der  rechten  Seite 
der  Vertikalbesätze  mit  roten  Fransen  geschmückt, 
alles  Dinge,  die  mit  Sicherheit  auf  eine  spätere 
Restauration  hinweisen  K  Wie  die  Dalmatik  zu 
Ravenna  im  6.  Jahrhundert  aussah,  zeigt  die  Dar- 
stellung des  Bischofs  Maximian  und  seiner  Dia- 
kone  auf  der  Seitenwand  des  Chores  von  S.  Vi- 
tale (Bild  63,  S.  159). 

Über  den  Stoff,  aus  dem  die  Dalmatik  ge- 
macht zu  werden  pflegte,  können  die  Monumente 
natürlich  keine  Auskunft  geben.  Es  fehlt  aber 
darüber  für  die  uns  beschäftigende  Periode  auch 


an  genügenden  sonstigen  Angaben. 


Im  gewöhn- 


lichen Leben  waren  um  die  Wende  des  4.  Jahr- 
hunderts die  Dalmatiken,  wie  der  Maximaltarif 
Diokletians  zeigt,  aus  Leinwand,  Wolle  oder 
Halbseide  gemacht.  Später,  als  die  Seide  häutiger 
und  billiger  geworden  war,  hat  es  jedenfalls  auch 
ganzseidene  profane  Dalmatiken  gegeben.  Auch 
beider  liturgischen  Dalmatik  wird  ursprüng- 
lich Leinwand  oder  feiner  Wollstoff  die  Regel 
gewesen  sein,  später  wurde  indessen  sicher  auch 
Seide  zu  ihrer  Anfertigung  verwendet.  In  dem- 
selben Maße,  in  welchem  die  Kirche  über  größere 
Mittel  verfügte  und  das  Ansehen  und  die  Stellung 
des  Klerus  nach  außen  sich  hob,  mußte  ja  auch 
der  Glanz,  mit  dem  man  die  Feier  des  Gottes- 
dienstes umgab,  und  der  Reichtum  der  litur- 
gischen Gewandung  zunehmen.  Es  ist  bemerkens- 
wert, daß  im  8.  Jahrhundert  zu  Rom  die  untere 
Dalmatik  den  Namen  dalmatica  linea  führte2. 
Die  obere  Dalmatik,  d.  i.  die  Dalmatik  im  eigent- 
lichen Sinne,  wird  daher  schon  damals  für  gewöhnlich  nicht  aus  Linnen, 
sondern  entweder  aus  Wolle  oder   aus   Seide   angefertigt  worden  sein. 

Die  Verzierung  der  Dalmatik  bestand,  wie  es  scheint,  ursprünglich  nur 
in  den  sog.  Clavi  und  in  Besätzen  am  Saum  der  Ärmel,  später  aber  auch 
in  Fransen,  welche  teils  am  Armelrand  teils  unten  an  der  Seite  des  Gewandes 
angebracht  wurden.  Die  Clavi  waren  zwei  schmale,  über  die  Vorder-  und 
Rückseite  der  Dalmatik  von  den  Schultern  bis  zum  Saume  verlaufende  Vertikal- 
streifen. Sie  sind  auf  den  ältesten  Monumenten  von  dunkler,  an  tiefes 
Violett  erinnernder  Farbe,    auf  späteren  Darstellungen  dagegen  rot.     Rote 


Bild  119.     Der  hl.  Optatus. 
Rom,  Callistuskatakonlbe. 


S.   unten    im   Kapitel    Stola,  Absehn.  3. 
Ordo  1,  n.  6  (M.  78,  940);  vgl.  ordo  3, 


n.  6    (ebd.  978). 
matik,  gewöhnlii 


Wegen    di 
her  Tunica, 


r   unteren    Dal- 
vel.  S.  284. 


260 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Clavi  begegnen  uns  zuerst  auf  den  Mosaiken  in  S.  Venanzo,  jedoch  nur  auf 
der  Dalmatik  der  hll.  Venantius  und  Domnio.  Bei  den  übrigen  sind  sie  von 
schwärzlichblauer  oder  braungrauer  Farbe. 

Die  Zierstreifen,  welche  den  Ärmelsaum  umziehen,  setzen  sich  in  der 
Regel  aus  zwei  schmalen,  nahe  nebeneinander  stehenden  Streifen  zusammen. 
Fransen  begegnen  uns  schon  auf  dem  Mosaik  in  S.  Venanzo  bei  den  Figuren 
Johannes'  IV.  und  des  hl.  Domnio.  Sie  sind  hier  unten  links  an  der  Dal- 
matik angebracht  und  dienten,  wie  in  späterer  Zeit,  zweifelsohne  als  Abschluß 
der  Ränder  eines  Schlitzes,  mit  dem  man  dort  behufs  Erleichterung  des  An- 
ziehens das  Gewand  zu  versehen  pflegte.  Eine  ausgiebigere  Verwendung  mögen 
die  Fransen  erst  gegen  Ende  des  9.  Jahrhunderts  gefunden  haben.  Eine  be- 
stimmte Regel  scheint  für  ihre  Anbringung  nicht  bestanden  zu  haben,  wenigstens 


i ■     '-'"  'i th 


Bild  120.     Dalmatik.     Moyen-Moutier. 


finden  sie  sich  auf  den  bildlichen  Darstellungen  bald  an  der  rechten ,  bald 
an  der  linken  Seite  des  Gewandes.  Fransen  am  Ärmelsaum  kommen  bei 
dem  Bild  des  hl.  Optatus  auf  dem  Wandgemälde  der  vier  heiligen  Bischöfe  in 
S.  Callisto  vor  (Bild  1 19,  S.  259) ;  auf  den  römischen  Mosaiken  begegnen  Avir  ihnen 
erst  im  9.  Jahrhundert.  Die  Ärmelfransen  auf  dem  Fresko  in  S.  Callisto 
dürften  ein  Anzeichen  sein ,  daß  dieses  später  als  im  6.  Jahrhundert  ent- 
standen ist. 

Eine  treffliche  Illustration  zum  Gesagten  liefert  eine  zu  Moyen-Moutier  auf- 
bewahrte Dalmatik,  welche  von  den  einen  dem  hl.  Hildulf  (f  707),  von  andern  dem 
hl.  Leodegar  (f  678)  zugeschrieben  wird,  jedenfalls  aber  spätestens  aus  dem  8.  oder 
9.  Jahrhundert  stammt.  Das  Bild,  welches  das  Gewand  bietet,  ist  im  wesentlichen 
dasselbe,  welches  uns  die  Mosaiken  von  S.  Venanzo  und  S.  Vitale  von  der  Dalmatik 
gewähren  (Bild  120). 

Das  Gewand  ist  1,40  m  lang,  oben  bei  ausgestreckten  Ärmeln  1,95  m,  unten 
0,92  m  breit.  Die  Länge  der  Ärmel  beträgt  0,515  m,  ihre  Weite  0,67  m.  An  den 
Ärmelsäumen  sind  Fransen  angebracht;    außerdem    umziehen  dieselben  ca  10cm  vom 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


2(31 


Rand  entfernt  zwei  rote,  0,014  m  breite,  zu  beiden  Seiten  von  einer  roten  Linie  be- 
gleitete Streifen ,  zwischen  denen  vereinzelte ,  mit  einer  kreuzartigen  Verzierung  im 
Innern  versehene  Kreise  angebracht  sind.  Die  clavi  werden  durch  einen  roten  Mittel- 
streifen von  0,014  m  Breite,  der  rechts  und  links  von  einem  ganz  schmalen  roten 
Streifchen  eingefaßt  ist,  gebildet.     Clavi  und  Ärmelbesätze  sind  von  Seide  '. 

Die  Dalmatik  von  Moyen  -  Moutier  ist  für  die  Geschichte  der  Dalmatik  um  so 
wichtiger,  als  sie  in  ihrer  Art  einzig  dasteht. 

Möglich  allerdings ,  daß  auch  noch  die  1833  im  Schrein  des  hl.  Quiriakus  zu 
Taben  an  der  Saar  aufgefundene  Dalmatik  bis  ins  8.  Jahrhundert  hinaufreicht.  Sie 
besteht  aus  weißer,  durch  Alter  vergilbter  Seide  mit  einer  technisch  wie  zeichnerisch 


gleich   interessanten   Musteruiu 


Ihre   Länge    beträgt    1,42  m,    die    Breite    auf  den 


Schultern  0,73  m,  am  Saum  0,92  m.  Über  Vorder-  und  Bückseite  ziehen  sich  zwei 
schmale,  aus  roter  Seide  geschnittene  und  dem  Gewandstoff  aufgenähte  Vertikalbesätze. 
Die  Ärmel  fehlen  gegenwärtig.  Vielleicht ,  daß  sie  abgetrennt  wurden ,  als  man  das 
Gewand  als  Decke  der  Reliquien  des  Heiligen  in  dessen  Schrein  legte.  Daß  sie  ur- 
sprünglich vorhanden  waren,  deutet  der  Schnitt  des  nach  oben  zu  sich  verjüngenden 
Gewandes  genugsam  an  "-. 


V.    BESCHAFFENHEIT   DER    DALMATIK  VOM   IX.  JAHRHUNDERT  BIS 
ZUM  SPÄTEN  MITTELALTER. 


Im  9.  Jahrhundert  macht  sich  in  Bezug  auf  die  Form  des  Gewandes  zu 
Rom  noch  keine  Veränderung  bemerkbar,  gleichviel  ob  es  sich  um  die  dia- 
konale  oder  pontifikale  Dalmatik  handelt.  Wie  die  Mosaiken  in  S.  Marco 
zu  Rom,  S.  Prassede  und  S.  Cecilia  zeigen,  hat  es  überall  noch  dieselbe  Weite, 
dieselbe  Länge  und  dieselbe  Breite  der  Ärmel  wie  vordem.  Auch  in  der  Folge 
erweist  man  sich  zu  Rom  und  überhaupt  in  Italien  noch  lange  Zeit  sehr  kon- 
servativ. Die  Miniaturen,  zumal  die  der  Exsultetroteln  des  11.  und  12.  Jahr- 
hunderts, die  Fresken  der  Unterkirche  von  S.  demente  und  andere  Monu- 
mente legen  hierfür  reichlich  Zeugnis  ab.  Erst  im  12.  Jahrhundert  treten 
vereinzelte  leise  Spuren  einer  beginnenden  systematischen  Verkürzung  des  Ge- 
Avandes  auf. 

Etwas  anders  als  im  Süden  vollzieht  sich  die  Entwicklung  des  Ge- 
wandes im  Norden.     Hier  erfährt  es  schon  im  9.  Jahrhundert  eine  deutlich 


1  Journal  de  la  Societe  d'archeologie 
lorraine  Jahrg.  1854,  101  ff.  Über  Gewand- 
fragmente  aus  rotem,  taffetaitigem,  dünnem 
Seidenstoff  in  S.  Ambrogio  zu  Mailand,  welche 
als  Reste  einer  Dalmatik  des  hl.  Ambrosius 
bezeichnet  werden ,  vgl.  Revue  1899 ,  307. 
Ein  früherer ,  mehrfach  abweichender  Be- 
richt ebendort  1860,  652.  Schon  im  11.  Jahr- 
hundert glaubte  man  in  S.  Ambrogio  die 
Dalmatik  des  hl.  Ambrosius  zu  besitzen.  Ob 
die  Fragmente,  welche  Form  und  Schnitt  des 
Gewandes  nicht  mehr  erkennen  lassen,  wirk- 
lich von  dem  Heiligen  herrühren ,  muß  auf 
sich  beruhen  bleiben.  Von  einer  beim  Gottes- 
dienst von  ihm  gebrauchten  Dalmatik  stam- 
men sie  indessen  nicht,  da  die  liturgische 
Dalmatik  bis  ins  10.  Jahrhundert  hinein  stets 
von  weißer  Farbe  war. 

2  Li  eil,  Die  Kirche  des  hl.  Quiriakus  zu 
Taben,  Trier  1895,  38  ff  mit  Skizze  der  Dalmatik 
und  vortrefflicher  Abbildung  des  Stoffmusters. 


Der  Verfasser  sieht  in  dem  Gewand  ein  alt- 
christliches Kolobion  (ärmellose  Tunika)  aus 
dem  4.  Jahrhundert.  Was  er  jedoch  an 
Beweisen  für  seine  Ansicht  vorbringt,  hält 
einer  ruhigen  Prüfung  keinen  Stand.  Eine 
angebliche  Dalmatik  des  hl.  Lambertus  in 
der  Liebfrauenkirche  zu  Maastricht  ist  erst 
in  jüngster  Zeit  in  eine  Dalmatik  umgetauft 
worden.  Vordem  hieß  sie  Superpelliceum 
des  hl.  Lambertus.  Die  ältesten  Nachrichten 
über  das  Gewand  reichen  nicht  über  die  Neu- 
zeit hinaus.  Clavi  und  Zierbesätze  fehlen. 
Der  Stoff,  eine  Art  gemusterter  Gaze,  ist 
nach  Musterung  wie  Technik  ein  Unikum ; 
eine  sichere  Datierung  des  Gewandes  ist 
nicht  möglich,  es  scheint  indessen  verhältnis- 
mäßig jungen  Ursprungs  zu  sein.  Wir 
würden  nicht  wagen,  es  dem  hl.  Lambertus 
wirklich  zuzuschreiben.  Abbildung  und  ge- 
naue Beschreibung  bei  Braun,  Die  Dalmatik 
des  hl.  Lambertus    (Zeitschrift  1899,  375fl'J. 


262 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


wahrnehmbare  Verringerung  seiner  Länge.  Man  ver- 
gleiche z.  B.  das  Widmungsbild  in  der  Bibel  Karls  des 
Kahlen  (Titelbild),  die  Miniaturen  des  Sakramentars 
von  Autun  (Weihestufen  und  der  hl.  Gregor  der 
Große),  die  Bischofsbilder  im  Metzer  Kanon  1  u.  a. 
Am  frühesten  begann  man  bei  der  bischöflichen 
Dalmatik  mit  der  Verkürzung.  Bei  der  d  i  a  k  o  n  a  1  e  n 
hielt  man,  wie  es  scheint,  an  der  alten  Form  etwas 
zäher  fest,  doch  betrat  man  auch  bei  ihr  nur  zu 
bald  den  gleichen  Weg.  So  ist  z.  B.  bereits  auf 
dem  unter  Erzbischof  Angilbert  (824—860)  an- 
gefertigten Mailänder  Palliotto,  der  Arbeit  des  fränki- 
schen Mönches  Wolvinius,  bei  dem  Diakon  die  Dal- 
matik merklich  verkürzt.  Im  10.  Jahrhundert  muß 
nicht  bloß  bei  der  Dalmatik  der  Bischöfe,  sondern 
auch  bei  der  Diakonendalmatik  im  Norden  das  Zu- 
stutzen bereits  sehr  um  sich  gegriffen  haben,  um 
nicht  zu  sagen,  allgemein  üblich  gewesen  sein.  Die 
Darstellungen  auf  dem  im  Grab  des  hl.  Kuthbert  zu 
Durham  gefundenen  Manipel,  einer  Arbeit  aus  der 
Frühe  des  10.  Jahrhunderts2,  Miniaturen  des  Tro- 
pars von  Prüm  in  der  Pariser  Nationalbibliothek 
(Bild  121)  und  andere  Bildwerke  bekunden  das  zur 
Genüge.  Überall  kommt  auf  ihnen  unter  der  Dalmatik  mehr  oder  weniger  die 
Albe  zum  Vorschein.  Auch  sind  schon  die  Ärmel  von  geringerer  Weite,  als 
es  noch  auf  den  Monumenten  des  9.  Jahr- 
hunderts der  Fall  zu  sein  pflegt. 

Übrigens  war  die  Veränderung, 
welche  die  Dalmatik  im  Norden  erfuhr, 
nach  Ausweis  der  Bildwerke  noch  im  11., 
ja  12.  Jahrhundert  im  ganzen  wenig  be- 


Bild 121.     St  Laurentras. 

Miniatur  eines  Tropars  von 

Prüm.     Paris,  Bibl.  Nat. 


deutend  und  bloß  ein  Anfang. 


Erst  gegen 


Ausgang    des    letzteren    wurde    sie    er- 
heblicher. 

Eine  auf  Bildwerken  des  12.  Jahr- 
hunderts häufige  Eigentümlichkeit  der 
Dalmatik  besteht  in  Ausschnitten, 
welche  seitlich  unten  an  Stelle  bloßer 
Schlitze  bei  ihr  angebracht  erscheinen. 
Sie  schließen  oben  bald  geradlinig,  bald 
mit  einer  Rundung  ab  und  sind  regelmäßig 
mit  breiten  Borten  eingefaßt.  Diese  Ein- 
richtung findet  sich  fast  ausschließlich  auf 
deutschen,  französischen  und  englischen 
Monumenten.  Eines  der  ältesten  Bild- 
werke, auf  denen  die  Dalmatik  mit  jenen 
Ausschnitten  ausgestattet  erscheint,  ist 
eine  Miniatur  des  etwa  um  die  Mitte  des 


1  Abbildung    in    Farben 
pl.  xv. 


bei    Louanilre 


Bild  122.     Translation  der  Reliquien  des 

hl.  Stephanus.  Miniatur  eines  Evangeliars. 

Brüssel,  kgl.  Bibliothek. 

2  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  dxxxi,  wo 
der  Manipel   irrig   als  Stola   bezeichnet   ist. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


263 


11.  Jahrhunderts  entstandenen  Echternachter  Evangeliars  in  der  kg].  Biblio- 
thek zu  Brüssel.  Sie  stellt  die  Übertragung  der  Reliquien  des  hl.  Stephanus 
dar.    Die  Ausschnitte  der  Dalmatik  sind  hier  noch  gering  (Bild  122). 

Monumente  aus  der  Wende  des  Jahrhunderts ,  auf  denen  sie  bei  dem  Gewand 
vorkommen,  sind  ein  Tragaltar  im  Dom  zu  Paderborn  ',  eine  Emailplatte  in  St  Severin 
zu  Köln  2  und  eine  Miniatur  in  einem  Pontifikale  des  Britischen  Museums  mit  der  Dar- 
stellung des  hl.  Gregor  des  Großen  3.  Ein  wenig  spätere  Beispiele  liefern  verschiedene 
Miniaturen  des  Salzburger  Antiphonars  *.  Bildwerke  aus  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts, welche  die  Ausschnitte  aufweisen,  sind  unter  andern  mehrere  Illustrationen 
des  Hortus  deliciarum  der  Herrad  von  Landsberg  5,  die  Miniaturen  eines  Evangeliars  der 
kgl.  Bibliothek  zu  Stuttgart6,  das  Bild  des  hl.  Heribert  in  einem  aus  Deutz  stammen- 
den Codex  der  fürstl.  Bibliothek  zu  Donaueschingen '.  Um  1200  bietet  gute  Beispiele 
der  Einrichtung   die   zweite  Keihe   der  Eichstätter  Bischöfe   im  Gundekarpontifikale  8. 

Auf  Siegeln  ist  die  Einrichtung  auf- 
fallenderweise  bei  der  Dalmatik  weit  sel- 
tener, wenngleich  sie  auch  auf  ihnen  bei 
dieser  nicht  völlig  fehlt.  So  treffen  wir 
sie  auf  den  Siegeln  der  Bischöfe  Alexan- 
der (f  1147)  und  Kobert  (t  1166)  von  Lin- 
coln ,  Robert  III.  von  Chartres  (f  1 1 64) 9, 
Hermann  (f  1254)  und  Berthold  (f  1267) 
von  Würzburg  10  an.  Auch  das  Siegel  des 
Mainzer  Domstiftes  weist  die  Ausschnitte 
auf  (Bild  123). 

Dafä  dem  Befund  auf  den  Bildwerken 
ein  wirklicher  Tatbestand  entsprochen 
haben  muß,  steht  bei  der  grollen  Zahl 
der  aus  den  verschiedensten  Gegenden 
stammenden    und    sich    durch    das    ganze 

12.  Jahrhundert,  ja  vereinzelt  selbst  noch 
bis  in  die  zweite  Hälfte  des  13.  hinziehenden 
Beispiele  außer  Frage.  Die  barocke  Form, 
welche  die  Ausschnitte  auf  den  Miniaturen 
hie  und  da  haben,  wird  indessen  nur  ein 
Produkt  der  Phantasie  der  Künstler  sein. 

Die   Ausschnitte    der   Dalmatik 
verlieren  sich  auf  den  Bildwerken  seit 
etwa  1200  mehr  und  mehr,  doch  kommen  sie  vereinzelt  noch  bis  gegen  Ende 
des  13.  Jahrhunderts  vor. 

Über  den  Stoff,  welcher  zur  Herstellung  der  Dalmatik  verwendet  zu 
werden  pflegte,  erhalten  wir  auch  in  dieser  zweiten  Periode  kaum  je  nähere 
Nachrichten.    Die  Liturgiker  schweigen  sich  darüber  vollständig  aus,  und  auch 


Bild  123. 


Siegel  des  Mainzer  Domstifts 
(13.  Jahrli.). 


1  Abbildung  bei  Bock,  Die  byzantinische 
Zellenschmelze, Aachen  1890, Tfl 6.  O.V.Falk e, 
Deutsche  Schmelzarbeiten  des  Mittelalters, 
Frankfurt  1904,  Tfl  10. 

'*  Bock,  Das  heilige  Köln ,  St  Severin. 
O.  v.  Falke  a.  a.  O.  Tfl  2. 

3  Cotton.  Claudius  A.  III.  Farbige 
Abbildung  bei  Westwood,  Facsimiles  of 
the  miniatures  of  the  anglo-saxon  manuscr. 
pl.  L  und  A.  Fiih,  Geschichte  der  bil- 
denden Künste,  Freiburg  1903,  Tfl  19. 
Bei    Goyau-Perate,    Der   Vatikan,    Ein- 


siedeln 1898,  37    irrig  dem  10.  Jahrhundert 
zugeschrieben. 

4  Lind,  Ein  Antiphonar  mitBilderschmuck, 
Wien  1870,  Tfl  4  21  26  34  45. 

5  Herr  ade  de  Landsberg,  Hortus  de- 
liciarum, Straßburg  1901,  pl.  xm  liii  lix  lxi. 

c  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  dlvi. 

7  Roh.VII.pl.Div.     8„Eichstätts Kunst "36. 

3    Roh.   VII,    pl.  DLIII   DCLIV. 

10  Heffner,  Die  Würzburger  Siegel  im 
Archiv  des  Historischen  Vereins  für  Aschaffen- 
bura  und  Unterfranken  Tfl  6,  n.  2. 


264  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

die  Inventare,  von  denen  man  doch  am  ehesten  Aufschluß  zu  erwarten 
berechtigt  wäre,  reden  fast  nie  von  dem  Material  des  Gewandes.  Immerhin 
darf  angenommen  werden,  daß  wenigstens  die  Dalmatiken,  Avelche  man  an 
den  höheren  Festen  gebrauchte,  bereits  im  11.  und  namentlich  im  12.  Jahr- 
hundert regelmäßig  aus  Seide  bestanden.  Das  läßt  sowohl  die  reiche  Aus- 
stattung, welche  man  nach  den  Inventaren  und  den  Bildwerken  der  Dalmatik 
damals  gern  zu  geben  pflegte,  als  namentlich  auch  die  Musterung,  welche  das 
Gewand  auf  den  Miniaturen  aus  jener  Zeit  häutig  aufweist,  vermuten.  Denn 
diese  Musterung  ist  von  ähnlicher  Art  wie  die,  welche  uns  auf  den  aus  jenen 
Tagen  noch  erhaltenen  Seidenzeugen  begegnet.  Außerdem  aber  waren  damals 
nicht  einmal  seidene  Subdiakonaltuniken  etwas  Außerordentliches  mehr,  und 
dann  bot  ja  auch  im  11.  und  12.  Jahrhundert  die  Beschaffung  der  nötigen 
Seidenstoffe  weiter  keine  erheblichen  Schwierigkeiten. 

Im  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  waren  seidene  Dalmatiken  unzweifelhaft 
schon  so  wenig  selten,  daß  sie  fast  als  das  Gewöhnliche  bezeichnet  werden 
dürfen.  Man  vergleiche  z.  B.  die  durch  ihre  genauen  Angaben  ausgezeichneten 
Inventare  von  Salisbury  (1222)  und  Mainz  (erste  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts) 1. 
Sie  geben  ein  treffliches  Bild  des  Bestandes  der  Sakristeien  in  den  größeren 
Kirchen  damaliger  Zeit.  Nahezu  alle  in  ihnen  aufgeführten  Dalmatiken  er- 
scheinen als  aus  Seide  gemacht. 

Was  die  Farbe  anlangt,  so  wird  die  Dalmatik  bis  zur  Wende  des 
Jahrtausends  nach  wie  vor  der  Regel  gemäß  weiß  gewesen  sein.  Jedenfalls 
war  sie  es  noch  im  9.  Jahrhundert.  „Weiß  soll  die  Dalmatik  erglänzen,  frei 
von  entstellenden  Falten",  singt  Theodulf  in  seiner  Paränese  an  die  Bischöfe. 
Bei  Amalar  ist  der  candor  der  Dalmatik  Sinnbild  eines  unbefleckten  Lebens. 
Hraban  spricht  von  der  Farbe  des  Gewandes  nicht  ausdrücklich;  daß  er  in- 
dessen bei  seinen  Ausführungen  an  die  weiße,  mit  Purpurstreifen  verzierte 
römische  Dalmatik  denkt,  zeigt  der  Umstand,  daß  er  deren  purpureos  tramites, 
die  purpurnen  Besätze,  erwähnt.  Auch  das  Verhalten  der  karolingischen  Minia- 
toren  ist  bemerkenswert.  Bei  aller  Vorliebe,  welche  sie  für  färbige  Gewandung 
hegen,  und  bei  all  ihren  Sonderlichkeiten  in  der  Anwendung  der  Farbe  verwenden 
sie  für  die  Dalmatik  regelmäßig  entweder  Weiß  oder  eine  ersichtlich  Weiß  ver- 
tretende helle  Farbe.  Daß  zu  Rom  im  9.  Jahrhundert  das  Gewand  von  weißer 
Farbe  war,  bekunden  die  Mosaiken  in  S.  Marco,  S.  Prassede  u.  a. 

Seit  dem  Beginn  des  zweiten  Jahrtausends  werden  aber  farbige  Dal- 
matiken allmählich  häufiger,  namentlich  außerhalb  Italiens,  wo  die  alte 
Tradition,  die  in  Rom  so  tief  wurzelte,  fehlte  und  die  Neigung  zur  Weiter- 
bildung der  liturgischen  Gewandung  sich  stets  stärker  geltend  machte  als  im 
konservativeren  Süden.  Indessen  blieb  wohl  noch  bis  gegen  Ausgang  des 
12.  Jahrhunderts  bei  dem  Gewand  allenthalben  Weiß  vorherrschend.  Sowohl 
Johannes  von  Avranches  wie  Honorius  nennen  die  Dalmatik  schlechthin 
Candida,  und  noch  Sicard  von  Cremona  sagt  von  ihr:  est  saepius  Candida.  .  . 
propter  munditiam.  Auch  auf  den  Bildwerken  ist  im  11.  und  12.  Jahrhundert 
das  Gewand  noch  in  den  meisten  Fällen  von  weißer  oder  doch  heller  Farbe. 
Am  frühesten  scheinen  bei  den  Bischöfen  farbige  Dalmatiken  in  Aufnahme 
gekommen  zu  sein.  Das  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  bezeichnet  sogar 
-  wenngleich  zweifelsohne  in  übertriebener  Weise  ■ —  die  Pontifikaldalmatik 
einfachhin  als  hyazinthfarbig  (purpurn). 


Sehr  instruktiv  ist  auch  das  Register  von  Rochester. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tiinicella.  265 

In  den  Inventaren  dieser  Zeit  wird  wie  des  Stoffes,  so  auch  der  Farbe 
nur  ausnahmsweise  gedacht.  So  verzeichnet  das  Register  von  Rochester  eine 
Dalmatik  aus  weißem  Damast,  welche  Erzbischof  Lanfranc  (f  1089)  geschenkt 
hatte,  zwei  Dalmatiken  aus  weißer,  gemusterter  Seide,  welche  Bischof  Ernulf 
(f  1124)  gestiftet,  eine,  wie  es  scheint,  rotseidene  Dalmatik,  die  von  Bischof 
Gwalerannus  (f  1184)  gegeben  worden  war,  und  eine  Dalmatik  aus  weißem 
Damast,  welche  Bischof  Gilbert  (f  1214)  der  Kathedrale  verehrt  hatte. 

Farbige  Dalmatiken  wurden  erst  das  Gewöhnliche,  seitdem  sich  ein  litur- 
gischer Farbenkanon  herausgebildet  hatte,  d.  i.  seit  der  Spätzeit  des  12.  Jahr- 
hunderts ,  und  zwar  offenbar  gerade  infolge  der  Fixierung  bestimmter  litur- 
gischer Farben.  Gab  es  einmal  eine  liturgische  Farbenregel  für  das  Obergewand 
des  zelebrierenden  Priesters,  so  mußte  es  in  der  Tat  passend  erscheinen, 
daß  ihr  auch  das  Obergewand  der  Diakone,  die  Dalmatik,  und  die  ponti- 
fikale  Dalmatik  folgten.  Es  entspricht  ganz  diesen  Verhältnissen ,  wenn 
Christian  von  Mainz  in  seiner  Chronik  gelegentlich  der  Beschreibung  des  vor- 
maligen Domschatzes  bei  Aufzählung  der  Kasein  alsbald  auch  der  zu  ihnen 
gehörenden  gleichfarbigen  Dalmatiken  und  Tunicellen  gedenkt. 

Die  Verzierung  der  Dalmatik  bestand  noch  bis  gegen  das  13.  Jahr- 
hundert nach  altem  Brauch  in  den  für  das  Gewand  charakteristischen  clavi. 
Noch  der  große  Innozenz  III.  betont,  um  von  den  diesbezüglichen  Äußerungen 
der  früheren  Liturgiker  abzusehen ,  es  müsse  die  Dalmatik  vorn  und  rück- 
wärts mit  zwei  von  oben  bis  zum  Saum  laufenden  roten  Streifen  versehen 
sein.  Wir  finden  denn  auch  die  roten  clavi  auf  den  bildlichen  Darstellungen 
bis  wenigstens  zur  Wende  des  12.  Jahrhunderts,  d.  i.  bis  sich  die  liturgische 
Farbenregel  ausbildete.  Dann  verschwanden  sie  entweder  ganz  von  dem 
Gewand  oder  es  traten  je  nach  der  Beschaffenheit  der  Kasel  andersfarbige  an 
ihre  Stelle. 

Freilich  können  auch  schon  vorher  die  clavi  nicht  mehr  ausnahmslos 
und  in  jedem  Fall  zur  Anwendung  gekommen  sein.  Denn  es  finden  sich 
bereits  vor  dem  13.  Jahrhundert  mehrfach  Darstellungen  der  Dalmatik,  auf 
denen  diese  der  roten  Vertikalstreifen  völlig  entbehrt.  Zum  Teil  mag  das 
allerdings  seinen  Grund  in  einer  Vergeßlichkeit  des  Künstlers  haben.  In- 
dessen kommen  Dalmatiken  ohne  die  clavi  denn  doch  zu  häufig  vor,  als  daß 
das  Fehlen  der  letzteren  stets  auf  Rechnung  des  Malers  zu  setzen  wäre.  Man 
darf  nicht  vergessen,  daß  das  Gewand  sich  schon  lange  in  einem  Stadium  der 
Entwicklung  befand ,  bei  welcher  es  zwar  langsam ,  aber  in  stetigem  Fort- 
schritt immer  mehr  von  seiner  ursprünglichen  Eigenart  einbüßte,  zumal  fern 
von  Rom,  wo  keine  Tradition  einen  hemmenden  Einfluß  ausübte. 

Auch  die  schmalen  Zierstreifen ,  die  einige  Zentimeter  entfernt  um  den 
Rand  der  Ärmel  herum  angebracht  wurden,  bleiben  bis  ins  12.  Jahrhundert 
hinein  sehr  beliebt,  zumal  zu  Rom,  wo  z.  B.  noch  das  unter  Innozenz  II. 
(1130 — 1143)  entstandene  Apsismosaik  von  S.  Maria  in  Trastevere  gute  Bei- 
spiele dieser  Verzierung  der  Dalmatikärmel  aufweist  (vgl.  Bild  21,  S.  56). 
Dann  gehen  sie  in  einen  mehr  oder  minder  breiten,  dicht  am  Ärmelrand  sich 
hinziehenden  Besatz  über.  Auf  deutschen  Miniaturen  findet  sich  dieser  schon 
in  der  Frühe  des  11.  Jahrhunderts,  wie  beispielsweise  auf  einer  den  Bischof 
Sigebert  von  Minden  inmitten  von  Geistlichen  darstellenden  Miniatur  in  der 
kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  (Bild  124,  S.  266)  beim  Diakon  zur  Linken  des  Bischofs. 

Am  Saum  des  Gewandes  einen  Besatz  aufzunähen,  war  in  vorkaro- 
lingischer  Zeit  nicht  üblich ;    seit   dem  9.  Jahrhundert   fängt  man  jedoch  an, 


266 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


vom   9.   bis    13.  Jahrhundert   gern    der   Dalmatik  zu   teil  werden  ließ 
früher    gesagt  wurde 


auch  hier  einen  solchen  anzubringen.  Er  findet  sich  bereits  bei  den  Diakonen- 
darstellungen auf  dem  im  Grab  des  hl.  Kuthbert  zu  Durham  gefundenen 
Manipel  und  etwas  später  auf  Miniaturen  des  Prümer  Tropars  in  der  Pariser 
Nationalbibliothek  (vgl.  Bild  121,  S.  262).  Im  11.  Jahrhundert  sind  Besätze 
am  Saum  der  Dalmatik  auf  den  Bildwerken  schon  sehr  häufig ;  noch  mehr 
ist  das  im  12.  der  Fall.  Auch  hier  scheint  der  Norden  vorangegangen  zu 
sein,  doch  liefern  selbst  zu  Rom  bereits  im  11.  Jahrhundert  die  Fresken 
in  der  Unterkirche  von  S.  Clemente  und  nicht  lange  nachher  die  Mosaiken 
von  S.  Maria  in  Trastevere  gute  Beipiele  des  Saumbesatzes  der  Dalmatik. 

Von   eigentümlicher  Art  war   die  Fransenverzierung,  welche   man 

Wie 
hatte  man  schon  wenigstens  im  7.  Jahrhundert  an- 
gefangen, das  Gewand  unten  an  den 
Seiten,  den  dort  angebrachten  Schlitz 
entlang,  mit  Fransen  zu  besetzen.  Etwas 
später,  wie  es  scheint,  hatte  man  dann 
auch  solche  am  Ärmelsaum  hinzugefügt. 
Gegen  das  9.  Jahrhundert  nun  kommen 
zu  diesen  Fransen  an  der  Seite  und  an 
den  Ärmeln  noch  kleine  Fransenbüschel 
an  den  clavi.  Die  seitlichen  Fransen 
wurden  nach  Amalar,  welcher  uns  die 
erste  Beschreibung  dieses  Fransen- 
systems gibt,  nur  an  der  linken  Seite 
angebracht,  die  Ärmelfransen  nur  am 
linken  Ärmel.  Wie  die  Fransenflocken 
an  den  clavi  angesetzt  wurden,  ob  nur 
von  einer  oder  von  beiden  Seiten  der- 
selben her,  geht  aus  Amalars  Worten 
nicht  bestimmt  hervor.  Die  Fransen 
an  der  Seite  und  dem  Ärmel  waren  wie 
das  Gewand  von  weißer,  die  an  den 
clavi  angenähten  Fransenbüschel  wie 
die  clavi  von  roter  Farbe.  Die  Zahl 
dieser  Büschel  betrug  im  ganzen  bald 
56,  bald  60,  so  daß  auf  den  einzelnen 
clavus  entweder  14  oder  15  fimbriae 
kamen.  Im  letzten  Falle  sollten  sie  nach  Amalar  die  „fünfzehn  Äste  der 
Gottesliebe"  versinnbilden,  von  denen  der  Apostel  Paulus  im  ersten  Brief  an 
die  Korinther  (13,  4 — 7)  spricht,  wenn  er  sagt:  Caritas  patiens  est,  benigna  est, 
non  aemulatur,  non  agit  perperam,  non  inflatur,  non  est  ambitiosa,  non  quaerit 
quae  sua  sunt,  non  iritatur,  non  cogitat  malum,  non  gaudet  super  iniquitäte, 
congaudet  autem  veritati,  omnia  suffert,  omnia  credit,  omnia  sperat,  omnia 
sustinet. 

Eine  vorzügliche  Illustration  zur  Schilderung ,  Avelche  Amalar  vom 
Fransenschmuck  der  Dalmatik  gibt,  bilden  die  Skulpturen  auf  der  Frankfurter 
Elfenbeintafel  und  deren  Gegenstück,  dem  ehemaligen  Spitzerschen  Elfenbein 
(Bild  65,  S.  167  und  Bild  66,  S.  168).  Es  ist  fast,  als  ob  er  bei  seiner 
Beschreibung  diese  Tafeln  vor  sich  gehabt  hätte.  Sowohl  beim  Bischof  wie 
bei   den  Diakonen  finden  sich  Fransen  nur  am  linken  Ärmel,    an  der   linken 


Bild  124.     Sigebert  von  Minden   mit   seinen 

Klerikern.     Miniatur   eines   Mindener  Codes 

(ca   1030).      Berlin,  tgl.  Bibliothek. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


267 


Seite  und  an  den  clavi;  bei  letzteren  sind  sie  paarweise  rechts  und  links 
vom  Streifen,  dem  stipes  caritatis,  wie  Amalar  sagt,  angebracht.  Am  Ärmel 
und  an  der  Seite  des  Gewandes  bilden  die  fimbriae  eine  fortlaufende  Reihe, 
an  den  Vertikalbesätzen  vereinzelte  Büschel. 

Andere  Bildwerke  weichen  mehr  oder  minder  von  den  Angaben  Amalars 
ab,  so  z.  B.  das  Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen  (vgl.  Titelbild) 
und   die  Bischofs- 


darstellungen im 
Metzer  Kanon.  Bei 
beiden  fehlen  an 
der  Seite  die  Fran- 
sen; bei  den  clavi 
sehen  wir  sie  nur 
an  deren  linker 
Seite.  Armelfran- 
sen  finden  sich  nur 
auf  der  Miniatur 
der  Bibel,  und  zwar 
teils  am  rechten, 
teils  am  linken  Är- 
mel, überall  aber  in 
Gestalt  vereinzel- 
ter roter  Flocken. 
Auf  den  r  ö- 
mischen  Mosaiken 
des  9.  Jahrhunderts 
kommen  Fransen  nur 
an  den  Ärmeln  und 
der  Seite  des  Ge- 
wandes vor.  Im  ein- 
zelnen herrscht  aber 
auch  hier  keine  Über- 
einstimmung. So  ge- 
wahrt man  z.  B.  in 
S.  Marco  bei  der 
Dalmatik  des  heili- 
gen Diakon  Agapitus 
Fransen  bloß  an  bei- 
den Ärmeln ,  beim 
heiligen  Diakon  Feli- 
cissimus  außerdem 
unten  links,  und  bei 
dem  Titelheiligen  der 


Bild  125. 


Der  Snbdiakon 
(9.  Jahrb.). 


Juvenianus.     Miniatur  eines  Codex 
Rom,  Bibl.  Vallicelliana. 


Kirche,  dem  Papste  St  Markus,  außer  an  beiden  Ärmeln  auch  unten  rechts.  Ganz 
fehlen  die  Fransen  auf  den  Mosaiken  in  S.  Cecilia ;  nur  an  der  Seite  der  Dalmatik 
sind  sie  angebracht  auf  den  Mosaiken  in  S.  Prassede  bei  Papst  Pasehalis  (unten  links) 
und  einem  heiligen  Diakon  (unten  rechts).  Eine  Miniatur  in  einem  Codex  der  Valli- 
celliana  (Rom),  den  man  dem  9.  Jahrhundert  zuschreibt,  zeigt  uns  die  Fransen  in  merk- 
würdiger Anordnung.  Außer  den  mit  Fransenbüscheln  besetzten  clavi  und  den  Besätzen, 
welche  den  Ärmelsaum  der  Dalmatik  umgeben,  laufen  noch  zwei  breite  rotfarbige,  mit 
vereinzelten  Fransenflocken  zu  beiden  Seiten  geschmückte  Zierstreifen  quer  oben  über 
den  Ärmel.  Der  Miniator  hat  hier  seiner  Phantasie  offenbar  allzusehr  die  Zügel 
schießen  lassen  (Bild  125). 


268  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Angesichts  der  großen  Mannigfaltigkeit,  welche  hinsichtlich  der  Fransen 
auf  den  Bildwerken  zu  Tage  tritt,  ist  es  zweifellos,  daß  in  Bezug  auf  die  An- 
bringung derselben  eine  einheitliche,  feste  Praxis  nicht  bestanden  haben  kann, 
und  daß,  was  Amalar  darüber  sagt,  nur  eine  der  vielen  Weisen,  die  Dalmatik 
mit  fimbriae  zu  schmücken,  darstellt.  Es  hing  offenbar  von  örtlichen  Gewohn- 
heiten, vom  Geschmack  des  einzelnen,  von  mystischen  Erwägungen,  die  man 
mit  den  Fransen  verband,  und  ähnlichem  ab,  in  welchem  Umfang  und  in 
welcher  Weise  diese  zur  Verwendung  kommen  sollten.  Auch  kann  die  frag- 
liche Verzierungsweise  des  Gewandes  bei  aller  Verbreitung,  die  sie  im  9.  und 
10.  Jahrhundert  im  Norden  gehabt  haben  mag,  in  jener  Zeit  dort  keineswegs 
allgemein  üblich  gewesen  sein;  denn  es  fehlt  nicht  an  Bildwerken  aus  den 
Tagen  der  Karolinger,  auf  denen  das  Gewand  vollständig  der  Fransen  ent- 
behrt. Dahin  gehören  z.  B.  die  Darstellungen  der  Messe  auf  einem  der  Deckel- 
elfenbeine (Bild  67,  S.  170)  und  den  Miniaturen  des  Drogosakramentars,  die 
Miniaturen  des  Sakramentars  von  Autun  und  die  von  Frankenhand  geschaffenen 
Reliefs  des  Palliotto  von  S.  Ambrogio  zu  Mailand.  Auch  Hraban  spricht  nicht 
von  den  fimbriae  der  Dalmatik,  obwohl  er  ihrer  purpurnen  Vertikalstreifen 
und  der  Armelbesätze  Erwähnung  tut. 

Wann  und  wo  die  Sitte  aufkam,  nicht  bloß  an  dem  seitlichen  Schlitz 
und  dem  Armelrand  Fransen  anzubringen,  sondern  obendrein  die  clavi  mit 
roten  Flöckchen  zu  verzieren,  ist  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  sagen.  Da  sie 
bereits  im  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  bestand,  muß  sie  sich  spätestens  im 
Lauf  des  8.  Jahrhunderts  gebildet  haben ,  und  zwar  geschah  das  allem  An- 
schein nach  im  Frankenland.  Hier  findet  sie  ja  zuerst  bei  Amalar  Erwähnung, 
hier  tritt  sie  auch  zuerst  auf  den  Bildwerken  auf. 

In  Italien  mag  der  Brauch  überhaupt  niemals  große  Verbreitung  gefunden 
haben.  Bruno  von  Segni  scheint  nur  von  den  Fransen  an  der  Seite  des 
Gewandes  zu  sprechen.  Auch  ist  die  Zahl  der  italienischen  Monumente, 
auf  welchen  die  fraglichen  Fransen  an  den  clavi  der  Dalmatik  angebracht 
sind,  im  ganzen  nur  gering.  Um  so  beliebter  wurde  die  Gepflogenheit  im 
Norden.  Es  ist  keine  bloße  Wiederholung  der  Ausführungen  Amalars,  wenn 
das  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae,  Robert  Paululus  und  Honorius  von 
den  an  den  Zierstreifen  der  Dalmatik  angebrachten  fimbriae  reden.  Es 
gibt  bis  tief  ins  12.  Jahrhundert  hinein  zahlreiche  Bildwerke,  welche  für 
diesen  Brauch  Zeugnis  ablegen.  Begegnen  uns  die  fimbriae  an  den  clavi 
doch  noch  auf  der  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  entstandenen  zweiten 
Serie  der  Bischofsbilder  im  Pontifikale  Gundekars  von  Eichstätt.  Erst 
mit  dem  Ausgang  des  Jahrhunderts  kommt  die  Sitte  im  Norden  endgültig 
in  Abgang. 

Allgemein  war  hier  der  Brauch  indessen  auch  im  11.  und  12.  Jahr- 
hundert nicht  geworden.  Man  kann  sogar  fragen,  ob  er  überhaupt  das  Gewöhn- 
lichere gewesen  sei.  Denn  neben  den  freilich  zahlreichen  Darstellungen,  auf 
welchen  die  Dalmatikbesätze  mit  Fransenflöckchen  geschmückt  erscheinen, 
gibt  es  aus  dieser  Zeit  fast  noch  mehr,  auf  welchen  sie  derselben  gänzlich  ent- 
behren. Der  Umstand  aber,  daß  Honorius,  Robert  Paululus  und  das  Speculum 
der  Gepflogenheit  gedenken,  beweist  besten  Falls  bloß,  daß  man  noch  immer 
die  Vertikalbesätze  und  Armeiborden  der  Dalmatik  gern  mit  fimbriae  ver- 
sehen habe,  nicht  aber  auch,  daß  solches  damals  regelmäßig  geschehen  oder 
gar  Vorschrift  gewesen  sei,  wie  man  aus  Unkenntnis  des  Avirklichen  Tat- 
bestandes behauptet  hat. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


269 


Sowohl  die  Form  der  Fransen  wie  die  Weise,  in  der  sie  den  clavi  an- 
gesetzt erscheinen,  sind  auch  im  11.  und  12.  Jahrhundert  auf  den  Bildwerken 
noch  immer  sehr  verschieden.  Wie  im  9.  und  10.  Jahrhundert,  so  kann  des- 
halb auch  jetzt  weder  in  der  einen  noch  in  der  andern  Übereinstimmung 
geherrscht  haben.  Selbst  wenn  man  manches  der  dichtenden  Phantasie  oder 
besser  der  Willkür  der  Künstler  zuschreibt,  bleibt  noch  immer  zu  viel  Mannig- 
faltigkeit, als  daß  man  an  eine  mit  dem  Geist  des  Mittelalters  ohnehin  wenig 
harmonierende  einheitliche  Praxis  bezüglich  der  Fransen  und  ihrer  Verwendung 
glauben  könnte.  In  Frankreich  muß  es  nach  Johannes  von  Avranches J 
und  dem  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  Sitte  gewesen  sein ,  außer  den 
üblichen  Flöck- 
chen  der  Verti- 
kalbesätze auch 
auf  Brust  und 
Rücken  einem 
dort  angebrach- 
ten Querbesatz 
je  drei  Fransen- 
büschel anzu- 
nähen. Sie  soll- 
ten die  heiligste 
Dreifaltigkeit 
symbolisieren. 

Dalmatiken 
des  9.,  10.,  11. 
oder  12.  Jahrhun- 
derts ,  deren  Be- 
sätze mit  fimbriae 
geschmückt  wä- 
ren, haben  sich 
leider  nicht  er- 
halten. Es  fehlt 
überhaupt ,  um 
von  der  Dalmatik 
zu  Taben ,  die 
vielleicht  noch  in 
die   vorkarolingi- 

sche  Zeit  hinaufreicht,  abzusehen,  ganz  an  Dalmatiken,  welche  mit  einiger  Sicherheit 
der  uns  hier  beschäftigenden  Periode  zugewiesen  werden  könnten. 

Ein  als  Dalmatik  des  hl.  Ulrich  bezeichnetes ,  aus  purpurfarbigem ,  gelb  und 
grün  gemustertem  (Vögel  in  Kreisen)  Brokatell  gemachtes  Gewand  in  St  Ulrich  zu 
Augsburg,  dürfte  den  ungemein  engen  Ärmeln  zufolge  eher  eine  Tunika  gewesen  sein, 
wenn  es  überhaupt,  was  aber  schwerlich  der  Fall  ist,  von  dem  Heiligen  herrührt. 
Eine  zu  Ambazac  befindliche,  dem  hl.  Stephan  von  Muret  (fll24)  zugeschriebene  Dal- 
matik wird  erst  dem  13.  Jahrhundert  entstammen2.  Zwei  Dalmatiken  in  der  Alten 
Kapelle  zu  Kegensburg,  welche  zu  den  früher  erwähnten  Kasein  3  daselbst  gehören, 
dürften  wie  diese  frühestens  aus  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  datieren.  Eine  der- 
selben (Bild  126)  scheint  keine  besondern  Veränderungen  in  späterer  Zeit  erfahren 
zu  haben ,  bei  der  andern  werden  dagegen  später  die  seitlichen  Schlitze  vergrößert 
und  Saum ,    Schlitze   und  Ärmel   mit  Fransen   besetzt   worden   sein.     Auch   muß   der 


Bild   126.      Dalmatik.      Regensburg,   Alte  Kapelle. 


1  De  offic.  eccles.  in  fine  (M.  147,  62)  :  voll- 
ständig ebd.  210. 


2  Abbildung  bei  Rob.  VII,  pl.  dxlvi. 

3  S.  oben  S.  188. 


270 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Kopf  durchschlupf  eine  Erweiterung  erlitten  haben.  Die  vordere  Ärmelweite  beträgt 
bei  dem  zweiten  der  beiden  Gewänder  0,35  m,  die  Länge  1,20  m,  die  Weite  am 
unteren  Saum  1,20  m.  Die  entsprechenden  Maße  des  ersten  sind  0,25,  1,35  und 
1,28  m.     Ein  Besatz  fehlt  an  beiden  Dalmatiken. 


V.    BESCHAFFENHEIT  DER  DALMATIK  SEIT  DEM  SPATEN 

MITTELALTER. 

Als  Stoff  gebrauchte  man  zur  Dalmatik  in  den  letzten  Jahrhunderten 
des  Mittelalters  mit  Vorzug  Seide.  Ein  Blick  in  die  vielfach  sehr  ins  einzelne 
gehenden  Inventare  dieser  Zeit  läßt  daran  keinen  Zweifel.  Es  wurden  sogar 
mit  Vorliebe  zu  ihrer  Herstellung  bessere  Seidenstoffe  verwendet.  Unter  den 
zahlreichen  Dalmatiken,  welche  sich  aus  dem  späten  Mittelalter  erhalten  haben, 
ist  dementsprechend  denn  auch  kaum  die  eine  oder  andere,  die  nicht  aus 
Seide   bestände.     Das    ist    namentlich   da   besonders   bemerkenswert ,    wo    sie 

sich,  wie  zu  Danzig,  in  großer 
Anzahl  in  unsere  Zeit  hinein 
gerettet  haben,  nicht  weil  man 
bestrebt  gewesen  wäre,  sie 
wegen  ihres  kostbaren  Stoffes 
vor  dem  Untergang  zu  be- 
wahren, sondern  weil  sie  ihrer 
Zeit  lediglich  beiseite  gelegt 
wurden  und  dann  bis  in  unsere 
Tage  völliger  Vergessenheit 
anheimfielen.  In  den  Inven- 
taren  werden  die  Dalmatiken 
in  der  Regel  in  Verbindung 
mit  der  Ivasel,  zu  welcher  sie 
gehörten,  aufgeführt. 

In  Deutschland  begegnet 
uns  etwa  seit  dem  Ausgang 
des  14.  Jahrhunderts  die  eigen-  . 
tümliche  Sitte,  die  Dalmatik 
aus  Stoffen  von  verschiedener 
Farbe  und  Musterung  zusammenzusetzen.  Eine  bestimmte  Regel  gab  es  dafür 
nicht.  Bald  bestanden  bloß  Giren  und  Rumpf,  bald  bloß  Ärmel  und  Rumpf,  bald 
Giren,  Ärmel  und  Rumpf  aus  ebenso  vielen  verschiedenen  Stoffen.  Hie  und 
da  ging  die  Laune  und  Geschmacklosigkeit  selbst  so  weit,  die  Vorderseite 
des  Gewandes  aus  ganz  andern  Zeugen  zu  machen  als  die  Rückseite.  Treff- 
liche Belege  des  Gesagten  liefern  die  Dalmatiken  im  Dom  zu  Halberstadt 
und  in  St  Marien  zu  Danzig.  Bei  einzelnen  sind  nicht  weniger  denn  vier 
verschiedene  Stoffe  zur  Verwendung  gekommen,  einer  für  den  Gewandkörper, 
ein  zweiter  für  die  Ärmel,  ein  dritter  für  den  unteren  Teil  der  Giren,  ein 
vierter  für  den  oberen  Teil  derselben  (Bild  127).  Das  abschreckendste  Beispiel 
einer  derartigen  Dalmatik  findet  sich  im  herzoglichen  Museum  zu  Braun- 
schweig, eine  wirkliche  Musterkarte  von  Stoffen,  bei  der  auf  einer  Seite  sich 
selbst  der  Rumpf  aus  zwei  verschieden  gemusterten  Seidenzeugen  zusammen- 
setzt. Zum  Teil  mag  die  Entstehung  solcher  Gewänder  sich  durch  das 
Bestreben  erklären,  vorhandene  Stoffreste  zu  verwerten.  Doch  trug  sicherlich 
auch  ein  Stück  Mode  die  Schuld  daran.    Die  Periode,  in  der  wir  mehrstoffige 


Bild   127.      Dalmatik.      Danzig,  Marienkirche. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


271 


Dalmatiken  antreffen ,   ist   dieselbe  Zeit ,  in  der  auch   im  profanen  Leben  die 
buntscheckige  Tracht  blühte. 

Bestickte  Dalmatiken  werden  nur  selten  in  den  Inventaren  erwähnt 
und  wohl  auch  in  Wirklichkeit  nicht  häufig  gewesen  sein.  Finden  sich  deren 
doch  selbst  im  Verzeichnis  der  Schätze  Bonifaz'  VIII.  nur  etwa  drei  ver- 
zeichnet, während  in  dem  sehr  detaillierten  Inventar  von  St  Peter  aus  dem 
Jahre  1361  auch  nicht  eine  einzige,  wie  es  scheint,  aufgeführt  wird. 

Zwei  schöne  Beispiele  derartiger  Dalmatiken ,  Arbeiten  des  13.  Jahrhunderts, 
besitzt  der  Dom  zu  Halberstadt.  Bei  der  einen  besteht  der  Rumpf  aus  rotem  Seiden- 
köper ,  während  die  Ärmel  aus  gelber  Seide  gemacht  sind ;  die  andere  ist  ganz  aus 
einem  schweren,  hochroten  Seidenstoff  angefertigt.    Bei  beiden  Gewändern  ziehen  sich 


ild    128.      Dalmatik.      Halberstadt,  Dom. 


über  die  Vorder-  wie  Rückseite  in  einer  Entfernung  von  beiläufig  0,35  bzw.  0,30  m 
voneinander  drei  schmale  Streifen  von  oben  bis  unten ,  von  welchen  in  bestimmten 
Abständen  nach  rechts  und  links  Ranken  ausgehen  wie  eine  Reminiszenz  an  die  ehe- 
maligen fimbriae.  Den  Raum  zwischen  diesen  Vertikalstreifen  füllen  bei  der  einen 
Dalmatik  außer  kleinen  über  den  Grund  zerstreuten  Ornamenten  Centauren,  die  einen 
Hirsch  jagen  (Bild  128),  auf  der  andern  Löwen  ',  die  von  einem  Doppelkreis  umrahmt 
sind.  Alle  Stickereien  sind  in  Gold,  und  zwar  in  ungemein  zarter  Abhefttechnik,  aus- 
geführt.    Die  Ärmel  wurden  ohne  Verzierung  belassen. 

Eine  andere  reich  in  Gold  bestickte  Dalmatik  birgt  die  Kathedrale  zu  Anagni. 
Das  Gewand  entstammt  ebenfalls  dem  13.  Jahrhundert,  hat  aber  leider  zu  Ende  des 
16.  Jahrhunderts  durch  eine  Restauration  seine  ursprüngliche  Form  eingebüßt.  Sie 
wurde  von  Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale  geschenkt   und  ist  wie  die   früher  erwähnte 


Abbildung  bei  Bock  II,  Tfl  5. 


272 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Kasel ',  der  sie  entspricht,  ein  sehr  kostbares  Stück.  Der  ganze  Fond  des  Gewandes 
ist  auch  hier  mit  mächtigen  Kreisen  bedeckt,  in  denen  doppelköpfige  Adler,  zu 
Paaren  gestellte  Papageien  und  Greife  angebracht  sind.  Den  freien  Raum  zwischen 
den  Kreisen  füllt  wie  bei  ähnlich  gemusterten  Brokaten  ein  kreuzförmig  gestaltetes 
Blattornament.  Im  Inventar  der  Gaben ,  welche  Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale  von 
Anagni  zukommen  ließ,  ist  die  Dalmatik  verzeichnet  als:  Item  una  dalmatica  rubea 
cum  grifis  et  aliis  avibus ,  aquilis  cum  duobus  eapitibus  et  paraturis  in  manicis  et 
fimbriis  ad  ymagines  et  pernas  (=  perlis)  -. 

Sehr  selten  müssen  Dalmatiken  gewesen  sein,  welche  mit  figürlichen 
Darstellungen  bestickt  waren.  Zwei  ungemein  kostbare  Gewänder  dieser  Art 
sind  in  dem  Verzeichnis  der  Geschenke,  die  Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale  von 
Anagni  machte,  mit  den  Worten  vermerkt:  Item  una  dalmatica  contexta  de 


Bild  129.     Dalmatik.     Goß  (Steiermark). 


auro,  argen to  et  serico  cum  82  plactis  de  auro  et  perlis  ad  ystoriam  beati 
Nicolai;  item  una  dalmatica  de  samito  rubeo  cum  diversis  passionibus  sanctorum 
ad  ymagines  salvatoris  et  virginis  in  pectorale  et  foderata  sennato  (=  cendato) 
viridi.  Die  zweite  dieser  Dalmatiken  ist  ganz  verschwunden.  Die  erste  da- 
gegen ist  zwar  noch  vorhanden,  jedoch  inzwischen  in  eine  Kasel  umgewandelt 


1  S.  oben  S.  222. 

2  Bei  der  Restauration  hat  die  Dalmatik 
leider  ihre  kostbaren  gestickten  Besätze  ver- 
loren. Die  jetzt  auf  ihr  angebrachten  schmalen 
Böi'tchen  stammen  aus  dem  Ende  des 
16.  Jahrhunderts.  Eine  Tuniceila  im  Schatz 
der  Kathedrale  von  Anagni  von  derselben 
Art  wie  die  Dalmatik  ist  nicht  ursprünglich, 
sondern  wurde  um    das  Ende    des    16.  Jahr- 


hunderts aus  einem  Pluviale  angefertigt,  das 
im  Verzeichnis  Bonifaz'  VIII.  beschrieben 
wird :  Item  unum  pluviale  de  samito  rubeo 
laborato  ad  acum  de  auro  battuto  ad  grifos. 
pappagallos  et  aquilas  cum  duobus  eapitibus 
et  aurifrisio  cum  pernis.  Von  diesem  Pluviale 
wurde  auch  genommen,  was  seiner  Zeit 
zur  Restauration  der  schadhaft  gewordenen 
Dalmatik  nötig  war. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


273 


und  zu  dem  Ende  aufs  bedauerlichste  verstümmelt  worden.  Nur  die  Ärmel 
dienen  noch  ihrem  alten  Zweck;  sie  sind  jetzt  an  einer  Bilderdalmatik  des 
Schatzes,  welche  um  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  aus  einem  mit  Figuren- 
werk auf  das  glänzendste  bestickten  Pluviale  hergestellt  wurde,  angebracht 1. 

Die  einzige  mit  Bildwerk  bestickte  Dalmatik  aus  dem  13.  Jahrhundert, 
welche  im  wesentlichen  wohlerhalten  auf  die  Gegenwart  gekommen  ist,  be- 
findet sich  zu  Goß  in  Steiermark.  Sie  bildet  mit  der  früher  erwähnten  Kasel, 
einem  Pluviale,  einer  Timicella  und  einem  Antependium  einen  vollständigen 
Ornat.  Die  Veränderungen,  die  mit  ihr  vorgegangen  sind,  bestehen  in  der 
Hauptsache  bloß  in  einer  Verkürzung  ihrer  Länge  und  in  einer  Vergrößerung 
des  Halsausschnittes.  An  figuralen  Darstellungen  findet  sich  nur  eine  auf 
dem  Gewand,  die  Verkündigung,  im  übrigen  besteht  alles  Ornament  aus 
geometrischen  Gebilden  und  phantastischen,  quadratischen  Feldern  eingefügten 

Tiergestalten. 
Ein  Kunstwerk 
und  schön  kann 
die  Dalmatik 
nicht  gerade  ge- 
nannt werden, 
dafür  ist  die  Ar- 
beit zu  derb,  das 
Arrangement  zu 
unruhig  und  die 
Farbengebung 
zu  bunt,  aber  sie 
ist  interessant 
und  kunstge- 
schichtlich un- 
zweifelhaft aller 
Beachtung  wert 
(Bild  129). 

Aus  dem 
14.  Jahrhundert 
gibt  es  keine 
Bilderdalmatik ; 

dem  15.  gehört  die  mit  Bildwerk  auf  das  großartigste  bestickte  Dalmatik  des 
burgundischen  Meßornats  in  der  k.  k.  Schatzkammer  zu  Wien  an  (Bild  130). 
Den  Fond  des  Gewandes  bedecken  die  Darstellungen  männlicher  Heiligen,  auf 
den  Besätzen  haben  lobpreisende  Engel  Platz  gefunden.  Anordnung  des  Bilder- 
schmucks, Technik  und  Material  sind  bei  der  Dalmatik  (wie  die  übrigen 
Bestandteile  des  Ornats  eines  der  hervorragendsten  Erzeugnisse  der  Stickkunst 
aller  Zeiten)  die  gleichen  wie  bei  der  schon  beschriebenen  Kasel. 

Manches  Bemerkenswerte  bieten  in  dem  uns  beschäftigenden  Zeitraum 
Form  und  Ausstattung  der  Dalmatik. 

Im  13.  Jahrhundert  beträgt  die  Länge  des  Gewandes  etwa  1,40 — 1,30  m. 
In  Italien  und  insbesondere  in  Rom  bleibt  es  so  auch  noch  im  14.  Jahrhundert, 
während  im  Norden,  wo  sich   die  auf  Verkürzung  des  Gewandes  hinzielende 


Bild  130.     Dalmatik 


Wien,  k.  k.  Schatzkammer. 


1  Das  Pluviale  war  ebenfalls  ein  Geschenk 
Bonifaz'    VIII.    und    wird    im    Gabenregister 
beschrieben  als  :  Item  unum  pluviale  laboratum 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


ad  aurum  de  auro  battuto  et  serico  de  di- 
versis  ystoriis  et  passionibus  sanctorum, 
foderatum  de  purpura  ad  aves  croceas. 

18 


274 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obersiewänder. 


Tendenz  nach  wie  vor  stärker  als  im  Süden  geltend  machte,  die  Länge  damals 
nur  selten  mehr  1,30  m  überschritten  haben  dürfte.  Im  15.  Jahrhundert  er- 
scheint auch  in  Italien  die  Dalmatik  schon  merklich  zugestutzt,  in  Deutsch- 
land aber  war  ihre  Länge  um  diese  Zeit  bereits  auf  1.25 — 1,20  m  herabgesunken. 
Im  16.  Jahrhundert  war  das  Gewand  auch  in  Italien  nur  mehr  ca  1,20  m  lang. 
Die  Ärmelweite  bleibt  in  dieser  Periode  sich  ziemlich  gleich.  In  der 
Regel  bewegt  sie  sich  zwischen  0,30  bis  0,35  m.  Unter  0,25  m  scheint  sie 
nach  Ausweis  der  Monumente  und  der  noch  erhaltenen  Dalmatiken  nur  selten 
herabgestiegen  zu  sein.  Ebenso  dürfte  sie  aber  auch  kaum  je  0,40  m  über- 
schritten haben. 

An  den  Seiten  des  Gewandes  war  regelmäßig  zur  Erleichterung  des 
Anziehens  ein  Schlitz  angebracht.  Nur  bei  Dalmatiken,  welche  durch  An- 
fügung von  Giren  unten  eine  Breite  erhalten  hatten,  daß  Schlitze  überflüssig 

erscheinen  mochten ,  fehlten  allenfalls 
solche.  Was  die  Länge  der  Schlitze 
anlangt,  so  reichten  dieselben  im  13. 
und  teilweise  noch  im  14.  Jahrhundert 
durchweg  nur  bis  etwa  zur  Mitte  der 
Seiten.  Dann  werden  sie  immer  größer, 
bis  sie  zuletzt  vom  Saum  bis  zu  den 
Ärmeln  gehen.  Die  Ärmel  selbst  blie- 
ben noch  im  15.  Jahrhundert  fast  aus- 
nahmslos geschlossen.  Wenn  Dalma- 
tiken, die  aus  der  Wende  des  Mittel- 
alters stammen,  auch  unter  dem  Ärmel 
aufgeschlitzt  sind,  so  ist  der  Schlitz 
regelmäßig  erst  in  späterer  Zeit  an- 
gebracht worden ,  als  es  Brauch  ge- 
worden war,  die  Ärmel  durch  Ärmel- 
lappen zu  ersetzen.  Das  einzige  Beispiel 
einer  Dalmatik  aus  dem  15.  Jahrhundert, 
deren  Ärmel  an  der  Unterseite  von 
Anfang  an  geöffnet  waren,  bildet  die 
zum  Meßornat  des  Ordens  vom  Goldenen 
Vlies  gehörende  Dalmatik  (Bild  130,  S.  273).  Sie  werden  hier  mit  Hilfe  von 
Knöpfen  und  Schleifen  geschlossen.  Allein  es  begreift  sich  angesichts  der 
schweren  Stickereien,  mit  denen  die  Ärmel  bedeckt  sind,  unschwer,  daß  man 
hier  dazu  überging,  diese  aufzuschlitzen.  Andernfalls  wäre  es  kaum  möglich 
gewesen,  das  Gewand  anzuziehen. 

Auch  der  Kopfdurchschlupf  wurde  bisweilen  mit  seitlichen  Schlitzen, 
welche  nach  Anlegung  des  Gewandes  mit  Schnüren  geschlossen  wurden,  ver- 
sehen. Im  15.  Jahrhundert  wurde  es  Brauch,  an  den  Enden  dieser  letzteren  eine 
Quaste  anzubringen,  welche  man  von  den  Schultern  über  Brust  und  Rücken 
oder  auch  bloß  über  den  Rücken  herabhangen  ließ.  Frühe  Beispiele  dieser  Ein- 
richtung, welche  in  Italien  aufgekommen  zu  sein  scheint,  bieten  die  Fresken  Fra 
Angelicos  in  der  Kapelle  Nikolaus'  V.  im  Vatikan  (vgl.  Bild  58,  S.  144).  Später 
wurden  aus  der  einen  Quaste  oft  zwei,  drei  oder  gar  ein  ganzes  Quastenbündel ; 
außerdem  wendete  man  nun  häufig  Schnüre  mit  Quasten  als  bloßen  Zierat 
auch  bei  solchen  Dalmatiken  an,  bei  denen  sich  keine  Schlitze  neben  dem  Kopf- 
durchschlupf  befanden  und  die  Schnüre  daher  nicht  zum  Zubinden  dienen  konnten. 


Bild    131.      Dalmatik.      Sens,  Kathedrale. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


275 


Was  das  Gesamtbild  der  Dalmatik  anlangt,  so  muß  seit  dem  13.  Jahr- 
hundert jene  Form  vorgeherrscht  haben,  bei  welcher  sich  das  Gewand  von 
den  Ärmeln  an  nach  unten  zu  mehr  oder  weniger  erweiterte.  Es  gibt 
unter  den  zahlreichen  noch  vorhandenen  Dalmatiken  aus  dem  13.,  14.  und 
15.  Jahrhundert  nur  sehr  wenige,  bei  welchen  der  Gewandrumpf  überall 
die  gleiche  Breite  hat.  Zu  ihnen  gehören  z.  B.  die  Dalmatiken  im  Hospiz 
zu  Lisieux  (Frankreich)  und  eine  Dalmatik  samt  Tunicella  im  Historischen 
Museum  zu  Bern.  Die  meisten  nehmen  nach  unten  an  Weite  zu ,  die  einen 
nur  mäßig,  wie  z.  B.  die  sog.  Ebbo-Dalmatik  in  der  Kathedrale  zu  Sens, 
eine  aus  äußerst  dünnem,  violettem  Taft  gemachte,  mit  einfachen  Zier- 
streifen versehene  bischöfliche  Dalmatik  (Bild  131),  andere  dagegen  in 
bedeutendem  Mai?  (vgl.  Bild  127,  S.  270). 

Eine  große  Mannigfaltigkeit 
herrschte  im  13.,  14.  und  15.  Jahr- 
hundert hinsichtlich  der  Aus- 
stattung der  Dalmatik.  Fran- 
senbüschel an  den  clavi  waren 
nicht  mehr  üblich.  Wenn  Duran- 
dus  ihrer  noch  gedenkt,  so  sind 
seine  Worte  kein  Spiegelbild  des 
damaligen  Brauches,  sondern  ohne 
Rücksicht  auf  die  bestehenden 
Verhältnisse  wörtlich  aus  älteren 
Liturgikern  herübergenommen. 
Sogar  die  clavi  waren  stark  in 
Abgang  gekommen,  und  das  nicht 
bloß  außerhalb  Roms,  sondern 
selbst  bei  den  römischen  Dal- 
matiken. Man  durchlese  nur  das 
Inventar  Bonifaz'  VIII.,  das  Ver- 
zeichnis der  Paramente,  welche 
derselbe  Papst  der  Kathedrale  von 
Anagni  schenkte,  und  die  Inven- 
tare  von  St  Peter,  zumal  das 
detaillierte  Inventar  vom  Jahr 
1361.  Nur  sehr  selten  werden 
darin  Dalmatiken  verzeichnet,  welche  von  der  Schulter  bis  zum  Saum  sich 
hinziehende  Vertikalbesätze  aufwiesen.  Auch  die  römischen  Monumente  des 
13.  Jahrhunderts  lassen  diese  Zierstreifen  durchweg  vermissen  (Bild  132). 
Erst  gegen  das  15.  Jahrhundert  kommen  die  Vertikalbesätze  wieder  mehr  in 
Gebrauch,  in  Rom  und  überhaupt  in  Italien  sowie  in  Spanien  in  Form 
schmaler,  etwa  2 — 3  cm  breiter  Streifen,  in  Deutschland  und  Frank- 
reich dagegen  in  Gestalt  breiterer  Borten,  die  bald  eigens  zu  diesem  Zweck 
gewebt  oder  gestickt,  bald  aus  einem  zum  Gewandstoff  kontrastierenden  Stoff 
geschnitten  waren.  Man  begnügte  sich  sogar  hie  und  da  nicht  einmal  mit 
zwei  Vertikalstreifen ,  sondern  brachte ,  wie  Dalmatiken  in  den  Domen  zu 
Halberstadt  und  Brandenburg  bekunden,  ihrer  auch  wohl  drei  auf  den  beiden 
Gewandseiten  an.  Anderseits  ließ  man  freilich,  wie  die  zahlreichen  Dalmatiken 
in  St  Marien  zu  Danzig  zeigen,  auch  noch  im  15.  Jahrhundert  häufig  alle 
Besätze  fort. 

IS* 


Bild  132.    Papst  Silvester  zeigt  Kaiser  Konstantin 
die  Bilder  der  Apostelfiirsten.     Fresko. 
Rom,  S.  Quattro  Coronati  (Kapelle  des  hl.  Silvester). 


276 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obere;ewänder. 


Nach  römischem  Brauch  bestand  die  Ausstattung  der  Dalmatik  im 
13.,  14.  und  15.  Jahrhundert  aus  Besätzen  (paraturae)  die  den  Rand  der 
Ärmel  rings  umgaben  und,  wenn  breit,  in  den  Inventaren  auch  wohl  schlecht- 
hin manicae,  Ärmel,  genannt  zu  werden  pflegten,  aus  den  fimbriae  (grammata, 
listae.  aurifrisia,  fasciae),  d.  i.  parurenartigen  Zierstücken  am  Saum  der 
Vorder-  und  Rückseite  des  Gewandes ,  und  dem  aurifrisium  ad  Collum ,  einer 
schmalen ,  den  Kopfdurchschlupf  umziehenden  Borte.  Dazu  kamen  vielfach 
noch  aurifrisia  ad  spatulas,  Borten,  welche  vom  Hals  der  Länge  nach  über  die 
Schulter  bis  zum  Ärmelansatz  liefen ,  ferner  aurifrisia  ad  brachia ,  Borten, 
welche  die  Stelle  verdeckten,  wo  die  Ärmel  dem  Rumpf  angesetzt  waren, 
dann  Zierbesätze   auf  Brust   und  Rücken  nach  Art   der  fimbriae   des  Saumes 

und  endlich ,  jedoch  häufiger 
erst  seit  dem  15.  Jahrhundert, 
zwei  aus  einer  Borte  gebildete 
Vertikalbesätze  von  der  Art 
der  ehemaligen  clavi,  aurifrisia 
genannt.  Auffallend  ist  die  ge- 
ringe Übereinstimmung,  welche 
den  Inventaren  zufolge  zwischen 
den  verschiedenen  Besätzen  in 
Bezug  auf  Stoff,  Farbe,  Muste- 
rung, Stil  und  Technik  ge- 
herrscht haben  muß.  Allein 
das  Mittelalter  liebte  eine  bunte 
Mannigfaltigkeit  und  war  da- 
bei keineswegs  engherzig  und 
feinfühlig,  eine  Wahrnehmung, 
die  man  auf  allen  Gebieten 
des  damaligen  Kunstschaffens 
machen  kann. 

Besondere  Beachtung  ver- 
dient der  Wechsel,  welcher  mit 
den  Maßverhältnissen  der  fim- 
briae (Saumbesätze)  allmählich 
vor  sich  ging.  Im  13.  und 
14.  Jahrhundert  haben  sie  die 
Form  eines  langgezogenen,  ver- 
hältnismäßig niedern  Recht- 
ecks, im  15.  aber  nähern  sie  sich  einem  Quadrat  oder  nehmen  selbst  völlig 
Quadratsgestalt  an.  Die  fimbriae,  welche  man  bei  der  Dalmatik  der  Leiche 
Bonifaz'  VIII.  antraf,  besaßen  nach  dem  Protokoll  über  den  Leichenbefund 
eine  Länge  von  ca  0,7  m  und  eine  Höhe  von  ca  0,35  m.  Die  Saumbesätze 
einer  dem  14.  Jahrhundert  entstammenden  Dalmatik  (richtiger  wohl  Tuni- 
cella)  in  der  Pfarrkirche  zu  Castel  S.  Elia  haben  bei  einer  Länge  von  0,73  m 
eine  Höhe  von  nur  0,24  m. 

Die  Besätze  auf  den  Schultern  und  über  den  Ärmelnähten  verschwinden 
gegen  Ausgang  des  Mittelalters;  ein  gleiches  gilt  von  den  Zierstücken  auf 
Brust  und  Rücken  des  Gewandes,  so  daß  um  den  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
die  Ausstattung  der  Dalmatik  zu  Rom  und  überhaupt  in  Italien  bereits  wesent- 
lich dieselbe  ist,  wie  sie  ihr  gegenwärtig  daselbst  gegeben  zu  werden  pflegt. 


Bild  133.     Spanische  Dalmatik. 
Berlin,  Kunstgewerbemuseum. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


277 


In  Frankreich  und  Deutschland  scheint  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters 
eine  auch  nur  einigermaßen  einheitliche  Verzierungsweise  der  Dalmatik  nicht 
bestanden  zu  haben.  Häufig  blieb  diese  ohne  allen  und  jeden  Besatz,  ausgenommen 
etwa  eine  Einfassung  des  Kopfdurchlasses;  in  andern  Fällen  versah  man  sie 
nur  am  Saum  und  den  Ärmeln  mit  einer  schmäleren  oder  breiteren  Borte.  Auch 
wurden  wohl  auf  den  Schultern  Zierstreifen  (aurifrisia  ad  spatulas)  angebracht 
oder,  wenngleich  bis  ins  15.  Jahrhundert  im  ganzen  nur  seltener,  die  Vorder- 
und  Kückseiten  des  Gewandes  mit  parallelen  Vertikalbesätzen  verziert.  Saum- 
paruren,  wie  sie  in  Italien  an  der  Tagesordnung  waren,  sind  in  Frankreich  und 
Deutschland  nur  vereinzelte  Erscheinungen.  Beispiele  bieten  die  Dalmatik 
von  Ambazac,  zwei  Dalmatiken  des  Historischen  Museums  zu  Bern  und  die 
angebliche  Dalmatik  des  hl.  Ludwig  von  Anjou  zu  Brignoles1. 

Eine  größere  Übereinstimmung  in  der  Verzierungs- 
weise tritt  erst  im  Verlauf  des  15.  Jahrhunderts  ein. 
Die  Ärmel  erhalten  am  Saum  einen  mittelbreiten  Besatz, 
vorn  und  rückwärts  werden  zwei  breite  Vertikalstreifen 
angebracht  und  zwischen  diesen  auf  Brust  und  Rücken 
(Deutschland)  oder  nahe  am  Kopfdurchlaß  (Frankreich) 
ein  Querbesatz  eingefügt.  Es  ist  die  Besatzweise,  die 
dann  seit  dem  16.  Jahrhundert  allmählich  typisch  wird. 

In  Spanien  mag  man  im  Mittelalter,  den  Monu- 
menten nach  zu  urteilen,  hinsichtlich  der  Ausstattung 
der  Dalmatik  mit  Vorliebe  römischem  Brauch  gefolgt 
sein.  Noch  im  16.  und  17.  Jahrhundert  erinnert  dort 
das  Gewand,  was  seine  Besätze  anlangt,  einigermaßen 
an  die  Weise,  wie  man  im  13.,  14.  und  15.  Jahrhundert 
dasselbe  in  Italien  zu  schmücken  pflegte  (Bild  133). 

Inwieweit  Fransen  nach  römischem  und  außer- 
römischem Gebrauch  im  späteren  Mittelalter  als  Schmuck 
der  Säume  der  Dalmatik  Verwendung  fanden,  läßt  sich 
schwer  bestimmen.  Allzuhäufig  scheinen  sie  indessen 
keineswegs  benutzt  worden  zu  sein.  Jedenfalls  bilde- 
ten sie  keine  ständige  Verzierung  des  Gewandes.  Die 
noch  erhaltenen  Dalmatiken  aus  jener  Zeit  lassen  daran 
keinen  Zweifel.  Es  sind  nur  wenige,  welche  an  dem  Saum  und  den  seit- 
lichen Schlitzen  oder  gar  an  den  Ärmeln  mit  Fransen  besetzt  sind ;  die  meisten 
entbehren  ihrer.  Auch  in  den  Inventaren  ist,  selbst  wo  eingehendere  Be- 
schreibungen der  Dalmatiken  gegeben  werden,  nur  selten  von  ihnen  die  Rede. 
Häufiger  werden  sie  an  dem  Gewand  erst  gegen  Ausgang  des  Mittelalters. 
Die  einzige  auf  uns  gekommene  Dalmatik,  welche,  wie  es  scheint,  noch  nach 
früherem  Brauch  nur  am  linken  Ärmel  und  am  Schlitz  der  linken  Seite  mit 
Fransen  umsäumt  war,  ist  die  Dalmatik  Theobalds  von  Nanteuil,  Bischofs  von 
Beauvais  (1283— 1300) "-. 

Eine  eigentümliche,  übrigens  seltene  Verzierung  haben  zwei  im  Dom  zu 
Brandenburg  befindliche  Dalmatiken.    Auf  ihrer  Rückseite  ist  oben  nahe  dem 


Bild  134.   Dalmatikflügel. 

Danzig,  Marienkirche. 


1  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  dxlix,  besser 
Revue  IV  561.  Das  Gewand  scheint,  wie 
seine  Maße  vermuten  lassen,  eine  Dalmatik  zu 
sein,  die  im  15.  Jahrhundert  für  eine  Statue 
des  Heiligen  angefertigt  wurde.    Es  hat  einen 


Gesamtbrustumfang  von  nur  0,90  m  und  ist 
dazu  nicht  einmal  bis  zur  halben  Seitenhöhe 
offen. 

s  Revue    1860,    653 ff  mit  Abbildung   der 
Dalmatik. 


278 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Rande  ein  Paar  silbervergoJdeter  Löwenköpfe  aufgenäht,  aus  deren 
Maul  einst  eine  Quaste  herabhing.  Die  Dahnatiken  stammen  aus  der  Wende 
des  15.  Jahrhunderts1. 

Noch  merkwürdiger  ist  ein  Schmuck ,  welchen  wir  bis  tief  in  das 
16.  Jahrhundert  hinein  im  Norden  und  Nordosten  Deutschlands  wiederholt 
bei  dem  Gewand  antreffen.  Er  bestand  in  dreieckigen,  von  Fransen  ein- 
gefaßten und  mit  vergoldeten  Silberplättchen  reich  besetzten  Seidenstücken, 
welche  von  den  Schultern  auf  den  Rücken  herabhingen.  Sie  waren  ur- 
sprünglich wohl  nicht  bloß  als  Verzierung  gedacht,  sondern  sollten  auch,  wie 
es  scheint,  gleich  den  vorhin  erwähnten  Quasten  zum  Verschließen  eines  an 
dem  Kopfdurchschlupf  angebrachten  Schlitzes  dienen.    Die  St  Marienkirche  zu 


Bild    1S5.      Dalmatik.      Xanten,  Dom. 


Danzig  bewahrt  noch  zwei  dieser  Zierstücke  auf  (Bild  134,  S.  277).  Daß  diese 
wirklich  in  der  angegebenen  Weise  verwendet  wurden,  bekundet  ein  Gemälde 
des  St  Barbaraaltars  in  derselben  Kirche,  welches  die  Bestattung  der  Heiligen 
durch  Engel  darstellt.  Die  Dalmatik,  welche  einer  der  Engel  trägt,  weist 
auf  der  Rückseite  zwei  Behänge  von  derselben  Art  wie  jene  Zierstücke  im 
Schatz  von  St  Marien  auf.  Man  nannte  diese  dreieckigen ,  reich  verzierten 
Zeugstücke  „Flügel,  scapularia".  So  heißt  es  z.  B.  in  einem  Elbinger  In- 
ventar aus  dem  Jahr  1544:  1  Kestlein,  darin  4  flügel  zu  Dahnatiken  mit 
4  silbern  übergulten  bildern  und  vergulten  spangen  ...  8  paar  flügel  zu  Dal- 


1  Ein  Inventar  von  St  Elisabeth  zu  Breslau 
von  1483  bis  1498  erwähnt  czwene  newe 
diene  Rücke  von  Rottem  Samath  mit  czween 


Silbern  Knewffenn.  Diese  Knäufe  waren 
wohl  auf  dem  Rücken  angebracht  und  Gegen- 
stücke der  Löwenköpfe. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


279 


matiken  mit  übergulten  spangen  und  knöpfein  . . .  schwartze  flügel  mit  leberchen; 
und  in  einem  Allensteiner  Sehatzverzeichnis  von  1581:  Dalmaticae  2  dama- 
scenae  ruhrae  cum  scapularibus  3  plene  fibulatis  et  4to  in  extremitatibus 
tantummodo.  Ebenso  verzeichnet  das  Inventar  der  Dominikanerkirche  zu 
Stolp  von  1523:  item  58  Rosetten  Spangenn  unde  4  Bordtspangenn  up  den 
twe  flögein  tho  den  Dyakenn  Röcken  und  mit  10  Knöpenn  K 

Die  Besätze  der  Dalmatiken  mit  Bildstickereien  zu  versehen,  scheint 
nicht  einmal  im  späteren  Mittelalter  sonderlich  Brauch  gewesen  zu  sein.  Es 
gibt  unter  den  noch  vorhandenen  Dalmatiken  aus  dieser  Zeit  nur  wenige, 
welche  auf  den  Stäben  figurale  Darstellungen  aufweisen ;  aber  auch  die 
Inventare  erwähnen  nur  selten  solche.  Kommt  doch  in  dem  an  kostbaren 
Dalmatiken  so  reichen  Inventar  von  St  Peter  aus  dem  Jahre  1361  nur  eine 
vor,  bei  der  vermerkt  ist,  daß  auf  ihren  fimbriae  (Saumbesätzen)  je  drei 
Heiligenbilder  in 

Rundmedaillons 
angebracht  seien. 
Nicht  besser  ver- 
hält  es   sich    im 

Inventar  der 
Schätze  des  Apo- 
stolischen Stuh- 
les aus  dem  Jahre 
1295.  Ein  wenig- 
günstiger  steht  es 
um  bestickte  Dal- 
matikbesätze  im 
Verzeichnis  der 
Paramente,  wel- 
che Bonifaz  VIII. 
der      Kathedrale 

von       Anagni 
schenkte,  da  sich 
unter  den  vielen 
hier      genannten 
Dalmatiken  doch 

wenigstens  drei  befinden,  welche  auf  den  Stäben  Figurenwerk  aufwiesen :  Item  una 
dalmatica  .  .  .  cum  ymaginibus  Salvatoris  et  apostolorum  Petri  et  Pauli  ex  parte 
ante  et  beatae  Virginis,  sei  Ioannis  et  sei  Nicolai  a  tergo  in  fimbreis  de  auro 
et  in  manicis  cum  10  ymaginibus  .  .  .  item  una  dalmatica  .  .  .  cum  fimbriis  ad 
ystoriam  sei  Eustacii  ...  et  manicas  ad  minutas  ymagines  et  aves.  Die  dritte 
wurde  schon  erwähnt 2. 

In  der  Tat  boten  die  Besätze  der  Dalmatik  mit  etwaiger  Ausnahme  der 
Querstücke  am  Saum  oder  auf  Brust  und  Rücken  wegen  ihrer  geringen  Breite 


Bild  136 


Bern,  Hist.  ]\Iu.seiim.     (Phot.  de  Farcy.) 


zu  wenig  Raum  für  figurale  Darstellungen. 


Es  ging,  falls  das  Bildwerk  nicht 


1  Im  Inventar  von  St  Veit  zu  Prag  aus  dem 
Jahre  1387  werden  als  Verzierung  der  Dalma- 
tik und  des  Subtile  tricae  erwähnt,  so  Nr  226  : 
Integer  ornatus  de  nachone  (eine  Art  von 
Brokatell)  blavo  ...  et  subtile  ac  dyalmatica 
habent   tricas  de  rubeo  serico,  und  Nr  233 : 


Integer  ornatus  albus  .  .  .  dyalmatica  et  sub- 
tile habent  tricas  dependentes  de  rubeo  serico. 
Unter  tricae  werden  sonst  Flechten  ver- 
standen ;  was  sie  hier  bedeuten ,  ist  unklar, 
am  wahrscheinlichsten  Vertikalbesätze. 
2  S.  oben  S.  272. 


280 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


miniaturartig  klein  oder  die  Besätze  zu  breit  und  schwer  werden  sollten,  kaum 
anders,  als  Einzelfiguren  auf  ihnen  anzubringen.  Die  sind  es  denn  auch 
fast  allein,  welche  man  auf  ihnen  antrifft.  Vorzügliche  in  dieser  Weise 
mit  Heiligenfiguren  geschmückte  Dahnatikbesätze  finden  sich  zu  Greven  und 
Vreden  (beide  in  Westfalen),  zu  Xanten  (Bild  135,  S.  278)  sowie  im  Histo- 
rischen Museum  zu  Bern  (Bild  136,  S.  279).  Bei  der  Dalmatik  im  Berner 
Museum  sind  auf  den  entsprechend  hohen,  nach  italienischer  Weise  am  Saum 
angebrachten  Querbesätzen  Szenen  aus  dem  Leben  Christi  (der  Jesusknabe  im 
Tempel,  die  Hochzeit  zu  Kana)  zur  Darstellung  gekommen. 

Die  Zahl  der  Dalmatiken ,  welche  sich  aus  dem  späteren  Mittelalter  erhalten 
haben,  ist,  wie  früher  schon  gelegentlich  bemerkt  wurde,  eine  beträchtliche.  Die  Mehr- 
zahl derselben  findet  sich  in  Deutschland;  namentlich  sei ,  um  von  einzelnen 
Exemplaren  abzusehen,  auf  die  Dalmatiken  im  Dom  zu  X  anten,  in  der  St  Marien- 
kirche zu  Danzig,  in  den  Domen  zu  Halberstadt  und  Brandenburg  und 
in  der  Alten  Kapelle  zu  Regensburg  hingewiesen.  Von  den  zahlreichen  Halber- 
städter Dalmatiken  gehören  zwei  noch  dem  13.,  die  übrigen  zum  Teil  dem  14.,  zum 
Teil  dem  15.  Jahrhundert  an.  Die  Mehrzahl  der  Danziger  entstammt  dem  15.,  einige 
dem  14.  und  16.  Jahrhundert '.  Von  spätmittelalterlichen  Dalmatiken  in  Österreich 
sind  besonders  bemerkenswert  die  Dalmatiken  zu  Goß  und  zu  Wien ,  von  denen 
schon  ausführlicher  die  Rede  war.  In  der  Schweiz  haben  sich  unseres  Wissens 
keine  andern  erhalten  als  die  drei,  welche  sich  samt  den  zu  ihnen  gehörenden  Tuni- 
cellen  im  Historischen  Museum  zu  Bern  befinden  (vgl.  Bild  136,  S.  279)  3. 

Auch  Italien  ist  sehr  arm  an  Dalmatiken  aus  dem  Mittelalter.  Was  sich  an 
solchen  noch  zu  Anagni  befindet,  ist  leider  nicht  mehr  in  dem  ursprünglichen  Zustand. 
Einige  Dalmatiken  in  der  Opera  del  Duomo  zu  Orvieto  und  im  Museo  degli  Arrazzi 
zu  Florenz  scheinen  gleichfalls  nicht  mehr  intakt  zu  sein.  Zwei  dalmatikartige 
Gewänder  in  der  Pfarrkirche  zu  Castel  S.  Elia  bei  Nepi  sind  angesichts  der  un- 
gewöhnlich  schmalen  Ärmel  wohl  keine  Dalmatiken,  sondern  Tunicellen. 

Auch  Frankreich  kann  sich  nur  mehr  einer  recht  beschränkten  Zahl  mittel- 
alterlicher Dalmatiken  rühmen.  Sie  sind  fast  alle  schon  gelegentlich  erwähnt  worden. 
Wir  reihen  daher  hier  noch  an  die  unten  leider  um  etwa  15 — 20  cm  verkürzte 
Dalmatik  des  sei.  Peter  von  Luxemburg  in  St-Pierre  zu  Avignon  s.  Die  Dalmatiken 
im  Hospiz  zu  Lisieux,  die  bis  vor  kurzem  als  Reliquien  des  hl.  Thomas  Becket  galten, 
wurden  seitdem  als  solche  des  hl.  Thomas  von  Gantilupe  nachgewiesen  '. 


VI.    DIE  DALMATIK  IN  DER  NEUZEIT. 

Die  Geschichte  der  Dalmatik  in  der  Neuzeit  läßt  sich  mit  wenig  Strichen 
zeichnen.  Zu  Rom  ist  um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  der  Typus  fertig, 
der  dort  von  nun  an  für  alle  Folgezeit  maßgebend  bleibt.  Die  fimbriae  der 
Inventare,  d.  i.  die  Paruren  am  Saum,  sind  bei  dem  Gewand  verschwunden 
oder  werden,  richtiger  gesagt,  durch  zwei  parallele  Horizontalborten  angedeutet. 
Die  Länge  des  Gewandes,  dessen  Ärmel  stets  geschlossen  sind,  beträgt  ca 
1,20  m.    Frühe  treffliche  Beispiele  bieten  zwei  Dalmatiken  in  S.  Maria  Maggiore 


1  Im  Dom  zu  Halberstadt  beläuft  sich  die 
Zahl  der  Dalmatiken  und  der  ihnen  nach 
Stoff,  Form  und  Ausstattung  gleichartigen 
Tunicellen  auf  24,  zu  St  Marien  in  Danzig 
auf  18,  im  Dom  zu  Brandenburg  auf  19,  zu 
Xanten  auf  10. 

2  Abbildungen  der  beiden  andern  bei  d  e 
Farcy,  Suppl.  pl.  164,  wo  sie  jedoch  irr- 
tümlich als  Heroldsröcke  (tabars)  bezeichnet 


sind.  Vgl.  wegen  der  Dalmatiken  auch 
J.  Stammler,  Der  Domschatz  von  Lausanne 
und  seine  Überreste,  in  „Katholische  Schweizer- 
Blätter"  X  (1894)  38  ff  85  ff  91  ff. 

3  Abbildungundßeschreibungbei  de  Linas, 
Anciens  vttements  sacerdotaux  I  57  ff. 

*  Bullet,  mon.  1849,  262  ff  mit  Abbildung 
und  Revue  1891,  91  f.  Vgl.  wegen  der  Zu- 
weisung auch  oben  S.  74,  Anm.  1. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tnnicella. 


281 


zu  Rom,  von  denen  die  eine  vom  hl.  Pius  V.,  die  andere  vom  hl.  Karl  Bor- 
romäus  stammt.  Es  sind  Dalmatiken,  wie  sie  noch  jetzt  in  Italien  allent- 
halben gebräuchlich  sind  (Bild  137). 

Außerhalb  Roms  dauert  die  Entwicklung  über  das  16.  Jahrhundert  hinaus 
fort.  Bezüglich  des  Besatzes  hatte  sich  auch  hier  bereits  zu  Ende  des  Mittel- 
alters ein  Typus  gebildet,  der  seitdem  eine  wesentliche  Veränderung  nicht 
mehr  erlitt.  Dagegen  hatte  die  Weiterbildung,  besser  Verbildung  des  Ge- 
wandes in  Bezug  auf  die  Maßverhältnisse  und  die  Form  noch  keineswegs 
ihren  Abschluß  gefunden. 

Schon  im  15.  Jahrhundert  war  es,  wie  wir  hörten,  wenngleich  nur  ver- 
einzelt, vorgekommen,  daß  man  auch  die  Ärmel  des  Gewandes  aufschlitzte. 
Im  16.  Jahrhundert  wurde  diese  Gepflogenheit  immer  häufiger  und  im  17.  dann 
allgemein  gebräuchlich.  Schon  um  1650  dürften  im  ganzen  Norden  Dalmatiken 
mit  geschlossenen  Är- 
meln kaum  mehr  ge- 
macht worden  sein. 
Anfangs  wurden  die 
Ärmel  mittels  Haften 
oder  Bändern,  die  man 
an  den  Schlitzen  an- 
gebracht hatte,  nach 
Weise  eines  geschlos- 
senen Armeis  zusam- 
mengebunden ,  doch 
kam  auch  das  bald 
außer  Gebrauch,  und 
schon  im  17.  Jahr- 
hundert waren  bei  der 
diakonalen  Dalmatik 
die  Ärmel  allenthalben 
zu  Flügeln  geworden, 
welche  lose  über  den 
Oberarm  herabhingen. 
Bei  der  bischöflichen 
Dalmatik  erhielten 
sich   die   Bänder   aus 

Zweckmäßigkeitsrücksichten ;  in  der  Tat  waren  sie  ja  hier  auch  kaum  zu  ent- 
behren. Den  Grund  zur  Änderung  der  Form  der  Ärmel  haben  wir  in  dem 
leidigen  Bestreben  zu  suchen,  das  Gewand  möglichst  bequem  zu  gestalten. 
Es  war  das  aber  auch  die  Triebfeder,  dieses  immer  mehr  nach  Länge  und 
Weite  zuzustutzen. 

Im  16.  Jahrhundert  betrug  die  Länge  der  Dalmatik  durchweg  noch 
1,20—1,15  m.  Im  17.  Jahrhundert  sehen  wir  sie  dann  auf  1,15 — 1,10  m 
und  im  18.  sogar  auf  nur  1,00  m  herabsinken.  Weiter  konnte  man  allerdings 
nicht  gehen.  Man  hatte  die  äußerste  Grenze  in  der  Zustutzung  des  Gewandes 
erreicht.  Die  stets  zunehmende  Verkürzung  der  Länge  bedingte  aber  auch 
eine  entsprechende  Verringerung  der  Weite,  sollte  nicht  alles  Verhältnis  ge- 
stört werden.  Wirklich  fiel  denn  auch  die  untere  Breite  der  Dalmatik  von 
etwa  1,00  m  im  16.  Jahrhundert  allmählich  auf  bloß  0,75  m  im  18.,  die  Brust- 
weite  aber   in   gleichem  Maße   von   ca  0,75  m   auf  ca  0,50  m.     Zuletzt   ging 


Bild   137.     Dalmatik.     Rom,  S.  Maria  Maggiore. 


282  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

man  sogar  nicht  selten  dazu  über,  der  größeren  Bequemlichkeit  halber  die 
Vorderseite  der  Dalmatik,  ähnlich  wie  man  es  bei  der  Kasel  zu  machen 
pflegte,  vor  den  Armen  auszuschneiden.  Je  mehr  dabei  der  Sinn  für  die 
Wirkung  der  Form  schwand,  um  so  mehr  legte  man  auf  glänzende  Aus- 
stattung Wert.  Auch  in  diesem  Punkt  verhielt  es  sich  mit  der  Dalmatik 
wie  mit  dem  Meßgewand.  Noch  jetzt  gibt  es  zahlreiche  Dalmatiken  aus  dem 
17.  und  18.  Jahrhundert,  welche  über  und  über  mit  schweren  Gold-  und 
Silberstickereien  bedeckt  sind.  Es  sind  zum  Teil  wirkliche  Prunkstücke,  darauf 
berechnet,  möglichst  großen  Effekt  zu  machen,  aber  gleich  den  Pracbtkaseln 
aus  jener  Zeit  auch  nur  Prunkstücke.  Religiöse  Motive  treten  bei  ihren 
Stickereien  sogar  noch  mehr  zurück  wie  bei  diesen.  Für  gewöhnlich  geht 
das  Ornament  bei  ihnen  ganz  in  Arabesken,  pseudo-klassischem  Rankenwerk 
und  allerlei  Schnörkelwesen  auf.  Am  wenigsten  war  auf  den  Dalmatiken 
ein  Plätzchen  für  figürliche  Darstellungen  mehr  übrig,  und  wäre  es  selbst 
nur  ein  bescheidenes  Brustbild  gewesen,  namentlich  im  18.  Jahrhundert. 

Nur  in  Spanien  erhielt  sich  die  Figurenstickerei  auf  den  Dalmatiken 
noch  eine  Weile  über  das  16.  Jahrhundert  hinaus.  Die  breiten,  rechteckigen 
Besätze,  welche  man  hier  vor  wie  nach  bei  besseren  Dalmatiken  am  Saum 
anzubringen  pflegte,  waren,  weil  für  Bildstickerei  besonders  geeignet,  ohne 
Zweifel  darauf  von  Einfluß.  Die  bildlichen  Darstellungen  sind  vornehmlich 
in  der  sog.  Lasurtechnik  ausgeführt  (Bild  133,  S.  276).  Im  17.  Jahrhundert 
verschwinden  indessen  auch  auf  der  spanischen  Dalmatik  allmählich  die  figür- 
lichen Stickereien  \ 

Es  ist  ein  gewaltiger  Unterschied  zwischen  der  alten  Glockenkasel,  wie 
sie  uns  auf  den  frühchristlichen  Bildwerken  entgegentritt  und  sich  bis  ins 
13.  Jahrhundert  in  Gebrauch  erhielt,  und  dem  überkurzen  und  überschmalen 
Miniaturmeßgewand,  wie  es  allmählich  infolge  einer  durch  Jahrhunderte  sich 
hinziehenden  Verkümmerung  im  18.  Jahrhundert  Mode  geworden  war.  Indessen 
fast  noch  gewaltiger  ist  der  Kontrast  zwischen  der  weihevollen,  bis  auf  die 
Füße  herabwallenden  Dalmatik  des  ersten  Jahrtausends  mit  ihren  mächtigen, 
bauschigen  Ärmeln,  ihren  Purpurstreifen  und  dem  edlen,  vollen  Faltenfluß, 
mit  welchem  sie  den  Körper  umhüllte,  und  dem  armseligen,  pygmäenhaften, 
geflügelten  Skapulier,  womit  das  altehrwürdige  Gewand  die  lange  Reihe  seiner 
verschiedenen  Entwicklungsphasen  in  der  Zeit  des  Rokoko  endlich  beschließen 
sollte.  Der  Grund  aber  für  die  Verkümmerung  beider  Gewänder  war  hier 
wie  dort  neben  dem  Verlangen  nach  größerem  Glanz  in  der  Ausstattung  vor 
allem  die  stets  wachsende  Sucht  nach  immer  größerer  Bequemlichkeit.  Die 
schlimmste  Entartung  waren  wie  die  Lederkasein  die  Lederdalmatiken,  gleich 
geschmacklos  in  Bezug  auf  Form,  Material  und  Verzierung,  aber  würdig  der 
Zeit  der  Aufklärung ,  deren  Errungenschaft  sie  waren.  Beispiele  solcher 
Dalmatiken  finden  sich  noch  in  der  Stiftskirche  zu  Oberwesel  am  Rhein  und 
zu  Kremsbrücken  in  Kärnten. 

Bei  der  Erneuerung  des  Paramentenwesens  im  Beginn  der  zweiten  Hälfte 
des  19.  Jahrhunderts  wandte  man  auch  der  Verbesserung  der  Dalmatik  sein 
Augenmerk  zu  und  erzielte  in  Deutschland  wirklich  eine  bemerkenswerte 
Reform.  Insbesondere  erhielt  die  Dalmatik  bessere  Maßverhältnisse.  Zu  völlig 
geschlossenen  Ärmeln  kehrte  man  leider  nicht  zurück,  doch  wurde  es  viel- 
fach Brauch,  an  den  Ärmeln  wieder  Haften  oder  Schnüre  zum  Schließen  an- 


Eine  Anzahl  vorzüglicher  Besätze  sind  abgebildet  bei  de  Farcy  pl.  79  176. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


283 


zubringen.  Weniger  Glück  hatte  das  Bestreben  in  Frankreich  und  Belgien. 
Die  römische  Dalmatik  bedurfte  kaum  einer  verbessernden  Hand,  da  sie  bis 
in  die  Gegenwart  alles  in  allem  eine  genügend  würdige  Form  bewahrt  hatte. 


VII.  ALTER  DER  VERWENDUNG  DER  TUNIKA  BEI  DEN  SUBDIAKONEN 

UND  BISCHÖFEN. 

Eine  subdiakonale  Obertunika  war  zu  Rom,  wie  aus  dem  Schreiben 
Gregors  des  Großen  an  den  Bischof  Johannes  von  Syrakus  erhellt,  schon  im 
6.  Jahrhundert  vorübergehend  in  Gebrauch ;  sie  wurde  aber  gegen  Ende  des- 
selben durch  Gregor  „im  Einklang  mit  der  alten  Sitte  der  Kirche",  wie  es 
in  dem  Briefe  heißt,  wieder  abgeschafft1.  Seitdem  bedienten  sich  die  Sub- 
diakone  von  neuem  wie  vorher  der  Planeta,  und  zwar  wohl  bis  in  den  An- 
fang des  9.  Jahrhunderts.  Jedenfalls  geschah  das  noch  um  die  Mitte  des 
8.  Jahrhunderts,  d.  i.  zur  Zeit,  da  der  1.  Ordo  entstand.  Denn  trotzdem 
dieser  den  Ritus  der  feierlichen  Papstmesse  am  Ostertag  beschreibt,  treten  in 
ihm  die  Subdiakone  doch  überall  nur  in  Planeten,  nirgends  in  einer  der 
diakonalen  Dalmatik  verwandten  Tunika  auf.  Allein  es  scheint  zu  Rom 
selbst  um  das  Ende  des  8.  Jahrhunderts  bei  den  Subdiakonen  eine  solche 
noch  nicht  zur  Verwendung  gekommen  zu  sein,  da  auch  der  2.  und  3.  römische 
Ordo,  die  aus  jener  Zeit  stammen  mögen,  die  Subdiakone  noch  immer  in  der 
Planeta  ihres  Amtes  walten  lassen  -. 

Amalar  kennt  schon  die  subdiakonale  Dalmatik,  wie  er  das  GeAvancl 
nennt3.  Das  gleiche  gilt  vom  Ordo  Duchesnes  und  vom  S.  G.  K.  Auch  in 
den  Inventaren  des  9.  Jahrhunderts  ist  bereits  von  der  Tunika  der  Sub- 
diakone die  Rede.  So  verzeichnet  das  Inventar  von  St-Riquier  vom  Jahre  831 
neben  31  Dalmatiken  hrocci  serici  15,  lanei  11,  sericus  albus  1,  persi  (pfirsich- 
blütfarbige)  serici  2.  In  einer  Nebenkirche  befanden  sich  zusammen  mit 
Kasein  und  Dalmatiken  hrocci  de  pallio  3.  Ein  Schatzverzeichnis  von  St  Bertin 
aus  dem  Jahre  867  erwähnt  unter  den  liturgischen  Gewändern  eine  dalmatica 
subdiaconalis ,  ein  Inventar  von  St  Trond  aus  dem  Jahre  870  dalmaticae  9 
cum  tunicis  subdiaconalibus.  In  der  Kirche  zu  Staffelsee  befand  sich  laut 
der  um  810  gemachten  Aufnahme  des  Bestandes  außer  2  planetae  castaneae, 
1  planeta  de  lana  facta  et  tincta,  7  albae  und  1  dalmatica  auch  1  linea, 
worunter  nach  dem  Zusammenhang  nur  die  subdiakonale  Tunika  verstanden 
werden  kann. 

Bildwerke  aus  dem  9.  Jahrhundert,  welche  einen  Subdiakon  in  seiner 
Tunika  wiedergeben,  sind  ein  Relief  des  Mailänder  Palliotto  4,  die  Miniatur  des 


1  Bp.  1.  9,  n.  26  (M.  G.  Epp.  II  59) :  Sub- 
diaconos  autem  ut  spoliatos  procedere 
facerem ,  antiqua  consuetudo  ecclesiae  fuit. 
Sed  placuit  cuidam  nostro  pontifici ,  nescio 
cui,  qui  eos  vestitos  procedere  praecepit. 
Nam  vestrae  ecclesiae  (in  Sizilien)  numquid 
traditionem  a  Graecis  acceperunt  ?  Unde 
liabent  ergo  hodie  ut  subdiaconi  in  eis  in 
tunicis  procedant,  nisi  quia  hoc  a  matre  sua 
romana  ecclesia  perceperunt.  Spoliati  kann 
liier  nach  dem  Zusammenhang  nur  heißen 
„ohne  besondere  Obertunika'  ,  wie  die  Dia- 
kone  sie  trugen,  vestiti  „mit  einer  solchen". 
Aus  dem  Brief  geht  hervor,  daß  der  Brauch 
viin  Rom  sich  auch  schon  nach  Sizilien  ver- 


pflanzt hatte.  Die  gedruckten  Ausgaben 
haben  auf  Grund  eines  Codex  lineis  statt  in 
eis,  doch  ist  in  eis  wohl  das  Richtige. 

2  S.  oben  S.  161. 

3  De  offic.  eccles.  1.  2,  c.  26  (M.  105, 
1102):  Dalmatica  diaconi  et  sui  ministri 
(d.  i.  des  Subdiakons),  quae  est  itineri  ha- 
bilis,  cura  proximorum  est.  Ob  indessen 
vielleicht  nicht  besser  zu  lesen  ist:  Dal- 
matica episcopi  et  sui  ministri ,  d.  i.  des 
Diakons  (vgl.  c.  22;  ebd.  1098). 

4  Das  Relief  stellt  St  Ambrosius  am  Altar 
in  Schlaf  versunken  dar.  Ein  Diakon ,  der 
hinter  ihm  steht,  zupft  ihn  an  der  Schulter, 
wie   um    ihn   zu  wecken,  während   ein  Sub- 


9g4  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Sakramentars  von  Autun  mit  der  Darstellung  der  Weihegrade  (vgl.  Bild  24, 
S.  62)  und  eine  Miniatur  in  Codex  B  25  2  der  Vallicelliana  zu  Rom  mit  der 
Figur  des  Subdiakons  Juvenianus  (Bild  125,  S.  267). 

Wir  werden,  alles  in  allem  genommen,  wohl  nicht  fehlgehen,  wenn  wir 
die  Einführung  einer  Obertunika  bei  den  Subdiakonen  an  Stelle  der  bis  dahin 
ausschließlich  gebräuchlichen  Planeta  für  Rom  etwa  in  die  erste  Hälfte  des 
9.  Jahrhunderts  setzen.  Außerhalb  Roms  mag  der  Wechsel  etwas  früher  vor 
sich  gegangen  sein.  Wenigstens  würde  es  sich  so  am  leichtesten  erklären, 
daß  schon  im  Inventar  von  Staffelsee  die  linea  aufgeführt  wird  und  bereits 
um  850  das  Relief  des  Palliotto  eine  Darstellung  des  Gewandes  aufweist. 
War  man  ja  doch  außerhalb  Roms  ungleich  fortschrittlicher  wie  zu  Rom, 
wo  man  konservativen  Sinnes  möglichst  am  Alten  festzuhalten  liebte. 

Welche  Verbreitung  die  subdiakonale  Tunika  im  Lauf  des  9.  Jahrhunderts 
fand,  läßt  sich  bei  dem  Mangel  an  diesbezüglichen  Nachrichten  nicht  fest- 
stellen. Zur  Zeit  Drogos  von  Metz  (826 — 855)  kam  sie  jedenfalls  noch  nicht 
allgemein  zur  Verwendung,  da  auf  den  durch  Treue  der  Darstellung  so  wich- 
tigen Elfenbeinreliefs  der  Deckel  des  Drogosakramentars  die  Subdiakone 
lediglich  in  gegürteter  Albe  wiedergegeben  sind. 

Wie  es  in  vorkarolingischer  Zeit  außerhalb  Roms  im  Abendland 
hinsichtlich  einer  Obertunika  der  Subdiakone  gehalten  wurde,  ist  unklar. 
Aus  Gallien  fehlt  jegliche  Nachricht  über  eine  solche  wie  überhaupt  über 
die  Kleidung,  in  welcher  diese  ministrierten.  Die  Lektoren  trugen  wie  die 
Diakone  die  Alba1.  In  Spanien  hatten  die  Subdiakone  zufolge  dem  9.  Kanon 
der  Synode  von  Braga  aus  dem  Jahre  561  bei  ihren  Amtsverrichtungen 
eine  ungegürtete  Tunika.  Dieselbe  kann ,  wie  schon  früher  gesagt  wurde, 
von  der  diakonalen  Albe  nicht  merklich  verschieden  gewesen  sein,  weil  die 
Synode  vorschreibt,  es  sollten  die  Diakone  das  Orarium  über  der  Tunika 
tragen,  damit  sie  sich  so  von  den  Subdiakonen  genügend  unterschieden2. 

Ungleich  früher  als  bei  den  Subdiakonen  finden  wir  die  Tunika  zu  Rom 
bei  dem  Papste.  Sie  erscheint  schon  im  1.  Ordo  als  Bestandteil  der  päpst- 
lichen Pontifikalkleidung  und  hieß  dalmatica  minor ,  dalmatica  linea  oder 
schlechthin  tunica.  Die  römischen  Kardinal priester  und  Hebdomadarbischöfe 
durften  sich  nach  dem  S.  G.  K.  nur  dieser  Tunika  bedienen 3.  Bei  den  übrigen 
Bischöfen  war  die  Verwendung  des  Gewandes  allem  Anschein  nach  im 
9.  Jahrhundert  nur  erst  wenig  verbreitet,  zumal  im  Norden.  Denn  weder 
Hraban  noch  Walafried  tut  seiner  bei  Aufzählung  der  bischöflichen  Sakral- 
gewänder irgendwelche  Erwähnung.  Amalar  widmet  zwar  der  Tunika  einige 
Worte1,  deutet  aber  durch  die  Art  und  Weise,  wie  er  von  ihr  spricht, 
genugsam  an,  daß  es  damals  noch  keineswegs  bei  den  Bischöfen  die  Regel 
war,  außer  der  Dalmatik  auch  die  Tunika  zu  tragen.  Es  hat  überhaupt 
lange  gedauert,  bis  sich  diese  neben  der  Dalmatik  als  fester  Bestandteil  der 
Pontifikalkleidung   allenthalben  eingebürgert   hatte;  war  sie  doch  erst   gegen 


diakon  (Lector'?)  die  Epistel  singt.  Als  St  Mar-  wurde  und  dort  die  Beisetzung  seines  Freundes 

tin  von  Tours  gestorben  war,  so  erzählt  Gregor  vornahm.             '  S.  oben  S.  253. 

von  Tours    (De   mirac.    S.    Mart.    1.    1 ,    c.  5  2  Hard.  III  351  und  oben  S.  253. 

[M.  71,  918]),  stand  zur  Zeit,  da  er  bestattet  3  S.  oben  S.  255  f. 

werden  sollte,  St  Ambrosius  am  Altar,  um  das  *  De  offlc.  eccles.  1.  2,  c.  22  (M.  105,  1098) : 

heilige  Opfer  darzubringen.     Allein  plötzlich  Si  quis  voluerit  uti  duabus  tunicis  (gemeint 

fiel  er  in  einen  tiefen  Schlaf,  während  dessen  sind   Dalmatik    und  Tunicella) ,    ostendet   se 

er    wunderbarerweise    nach    Tours    entrückt  esse  diaconum  et  sacerdotem. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella.  285 

Ende  des  12.  Jahrhunderts  bei  den  Bischöfen  allgemein  in  Gebrauch.  Bis 
dahin  ließen  es  sich  diese  noch  immer  vielfach  mit  der  Dalmatik  genug  sein, 
die  dann  häufig  schlechthin  statt  dalmatica  tunica  genannt  wurde.  So  kennen 
z.  B.  nur  eine  Tunika,  d.  i.  die  Dalmatik,  das  Sakramental"  von  Corbie  aus 
dem  Ende  des  10.  Jahrhunderts1,  der  Weiheordo  bei  Hittorp2,  die  Gemma 
animae  des  Honorius,  Gilbert  von  Limerick,  Rupert  von  Deutz  und  ein  inter- 
essanter anonymer  Traktat  über  die  bischöflichen  Gewänder  in  einer  dem 
12.  Jahrhundert  entstammenden  Handschrift  der  St  Gallener  Stiftsbibliothek 3 ; 
der  Tractatus  de  sacramento  altaris  aber  macht  die  Bemerkung,  der  Bischof 
ziehe  über  der  Albe  eine  oder,  wie  andere  wollten,  zwei  Tuniken  an.  Bei 
Ivo  von  Chartres  ist  die  Sache  nicht  ganz  klar.  Wie  es  indessen  scheint, 
spricht  auch  er  nur  von  einer  Tunika,  d.  i.  der  Dalmatik;  denn  von  den 
beiden  Tuniken,  die  er  dem  Bischof  zuschreibt,  bedeutet  eine  unzweifelhaft 
die  Albe4. 

Zwei  Tuniken  im  Sinne  von  Dalmatik  und  Tunicella  zählen  zur  Pon- 
tifikalgewandung  Hugo  von  St  Viktor,  Robertus  Paululus,  Sicard  von  Cremona 
und  Innozenz  III.  Im  Sacramentarium  gedenkt  auch  Honorius  der  Tunika. 
Sie  heißt  hier  subucula5. 

Bei  den  Subdiakonen  war  die  Tunika  schon  um  die  Wende  des  Jahr- 
tausends so  gebräuchlich,  daß  man  Tunika  und  Manipel  kurzerhand  als  vestes 
subdiaconales  zu  bezeichnen  pflegte,  ähnlich  wie  Stola  und  Dalmatik  vestes 
diaconales  genannt  wurden.  Der  Subdiakonat  hatte  allmählich  eine  höhere 
Bedeutung  gewonnen,  und  schon  war  die  Zeit  nicht  fern,  da  er  den  ordines 
maiores  zugesellt  werden  sollte.  Es  ist  daher  leicht  verständlich ,  daß 
bei  den  Subdiakonen  die  Tunika  schnell  allgemeine  Aufnahme  fand.  Das 
höhere  Ansehen,  welches  dem  Subdiakonat  nach  und  nach  zu  teil  geworden 
war  und  seine  Inhaber  fast  den  Diakonen  gleichstellte,  mußte  in  der  Tat 
gebieterisch  dazu  drängen,  daß  ihnen  ein  Gegenstück  zur  diakonalen  Dal- 
matik in  Gestalt  einer  besondern  Obertunika  beigelegt  und  der  Gebrauch 
der  Planeta,  wo  ein  solcher  stattgehabt,  auf  jene  Tage  beschränkt  wurde, 
für  welche  die  festtägliche  Tunika  nicht  jmssend  erschien.  Schon  um  die 
Wende  des  Jahrtausends  ist  die  Zahl  der  subdiakonalen  Tuniken  in  den  Schatz- 
verzeichnissen bisweilen  eine  sehr  bedeutende.  So  führt  z.  B.  ein  Inventar 
von  Prüm  aus  dem  Jahre  1003  neben  28  dalmaticae  diaconales  nicht  weniger 
als  24  dalmaticae  subdiaconales  auf. 

Übrigens  bedienten  sich  nicht  an  allen  Orten  alle  Subdiakone  ohne 
Ausnahme  der  Tunika.  In  Mailand,  wo  das  Gewand  Alba  hieß,  durften  es 
beispielsweise  lediglich  die  Subdiakone  der  Kathedrale  —  die  sog.  ordinarii  - 
und  solche  Subdiakone,  welche  Äbte  waren,  tragen6,  allen  übrigen  war  der 
Gebrauch  der  Alba  verboten.  So  war  es  dort  noch  gegen  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts Brauch.  Immerhin  werden  Gepflogenheiten  dieser  Art  doch  mehr 
den  Charakter  von  Ausnahmen  besessen  haben.  Es  war  sogar  manchenorts 
üblich,  daß  auch  die  Akolythen  nach  Weise  der  Subdiakone  über  der 
Albe  eine  Tunika  trugen.  Ceroferarii  et  thuriferarii,  sagt  z.  B.  das  Ordinarium 
von  Bayeux  aus   dem  13.  Jahrhundert,    in   omni   festo   cum    quattuor   cappis 


1  Hart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  11;  I  203.  4  M.   162,  5'22  524. 

2  Hitt.  109.  5  C.  26  (M.  172,  761). 

3  Cod.  777,  f.  89  ff.  Der  Verfasser  rechnet  6  Magistretti  46;  vgl.  auch  ebenders., 
zu  den  bischöflichen  Gewändern  auch  das  Pontificale  in  usum  ecclesiae  Mediolanensis, 
Rationale,  ein  Schultergewand.  Mediolani  1897,  40. 


286  Zweiter  Abschnitt.     Die   liturgischen  Obergewänder. 

de  stallo  altiore  induuntür  super  albam  et  amictum  tunicis  sericis1.  Das 
Inventar  des  Domes  zu  Mainz  weiß  von  einer  großen  Zahl  derartiger  Tuniken 
zu  erzählen :  item  multae  tunicae  diversorum  colorum,  vid'elicet  rubei,  viridis 
et  violacei  coloris,  virgulatae,  croceae,  albae,  quibus  utebantur  ministri  altaris 
et  acolythi  et  chrismatis  portatores.  Ein  Inventar  von  Soignies  aus  dem  Jahre 
1382  erwähnt  4  tournikials  d'enfans.  Die  Sitte  muß  namentlich  in  England, 
Spanien  und  Frankreich  häufig  gewesen  sein.  In  Spanien  hat  sie  sich  ver- 
einzelt bis  in  die  Gegenwart  erhalten ;  in  England  ging  sie  mit  dem  Umsturz 
der  alten  kirchlichen  Ordnung  zu  Grunde;  in  Frankreich  dauerte  sie  nach 
Ausweis  der  Inventare  hie  und  da  noch  bis  wenigstens  ins  17.  Jahrhundert2. 
Man  nannte  die  Akolythentunika  auch  wohl  dalmatica,  so  in  den  Inventaren 
von  Angers  von  1297  bis  1643  und  noch  jetzt  in  Spanien,  sowie  alba,  so  be- 
sonders in  England ;  7  albes  called  ferial  black,  40  blue  albs  of  divers  sorts, 
red  albs  for  Passion  week  27,  sagt  beispielsweise  ein  Inventar  von  Peter- 
borough  von  1539 3. 

Zu  Rom  müssen  Akolythentuniken  nach  den  Angaben  des  S.  G.  K.  schon 
im  Lauf  des  9.  Jahrhunderts  in  Gebrauch  gekommen  sein.  Um  die  Wende  des 
ersten  Jahrtausends  begegnen  uns  solche  zu  Farfa,  wo  den  Consuetudines 
Farfenses  zufolge  an  bestimmten  hohen  Festen  sämtliche  pueri  in  tunicis  er- 
schienen, an  andern  dagegen  wenigstens  die  Akolythen,  welche  die  Evangeliare 
zu  tragen  oder  die  Prophetie  bzw.  die  Epistel  zu  singen  hatten i.  Sie  mögen 
zu  Farfa  in  Nachahmung  römischer  Sitte  eingeführt  worden  sein.  Auch  in 
Frankreich  dürften  bereits  im  10.  Jahrhundert  hie  und  da  Akolythentuniken 
üblich  gewesen  sein.  Denn  unter  den  corcibals  8  et  alios  vetulos  5  samt 
den  camsili  (sie)  serici  3  und  den  rocci  serici  3  im  Inventar  von  Clermont- 
Ferrand  können  wohl  nur  Akolythengewänder  verstanden  werden. 

Abten  scheint  das  Recht,  die  Tunika  zu  tragen,  in  älterer  Zeit  nur 
sehr  selten  verliehen  worden  zu  sein;  wenigstens  hören  wir  nur  ausnahms- 
weise von  der  Erteilung  dieses  Privilegs.  Johannes  XV.  gewährte  es  990 
dem  Abt  Folcuin  von  Lobbes,  Alexander  III.  1169  dem  Abt  von  La  Cava, 
1176  dem  Abt  von  Monreale  und  1177  dem  Abt  von  St-Vaast  zu  Arras5. 
Möglich,  daß  das  Vorrecht,  sich  der  Dalmatik  zu  bedienen,  wie  es  manchen 
Äbten  zu  teil  wurde,  das  andere,  auch  die  Tunika  zu  gebrauchen,  ohne  weiteres 
einschloß;  indessen  ist  das  keineswegs  sicher,  da  ja  im  11.  und  12.  Jahrhundert 
nicht  einmal  bei  den  Bischöfen  der  Gebrauch  von  Tunika  und  Dalmatik  all- 
gemein war.  Im  Gegenteil  macht  der  Umstand,  daß  in  den  Bullen  für  Lobbes, 
La  Cava,  Monreale  und  St  Vaast  die  Tunika  ausnahmsweise  ausdrücklich 
erwähnt  wird,  es  wahrscheinlicher,  daß  den  Äbten  wirklich  für  gewöhn- 
lich nur  der  usus  dalmaticae  bewilligt  wurde.  Erst  als  um  das  13.  Jahr- 
hundert die  Tunika  zum  selbstverständlichen  Bestandteil  der  Pontifikalkleidung 
und  zu  einer  Art  von  Zubehör  der  bischöflichen  Dalmatik  geworden  war, 
bedurfte  sie  in  den  Bullen,  wodurch  den  Äbten  der  Gebrauch  der  Pontifikalien 
gestattet  wurde,  keiner  besondern  Nennung  mehr. 


1  Chevalier,  Ordinaire  et  coutumier  de  Inventar  von   St  Johann   zu  Köln  von    1406 
Bayeux  3  6  et  passim.  neben   8  leisröcke  (Levitentuniken)    auch   2 

2  Vergleiche  z.  B.  (Revue  1886,  176)  die  scholarenröcke. 

Inventare  von  Angers ,  in   denen   noch   zum  3  Macalister,    Ecclesiast.    vestments, 

Jahre     1643     Akolythentuniken     aufgeführt  London  1896,  65.     Vgl.  auch  oben  S.  60. 

werden.    Ein  Inventar  von  St-Omer  aus  dem  4  Albers,  Cousuet.  Farfens.  10  14  23  43 

Jahr    1557    (ebd.    464,    note    4)   verzeichnet  57  83  (pueri  toti  tunicas  habeant). 

36   tuniques  pour  les  enfants  de  choeur,  ein  5  J.  3837  11591  12683  12770. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


287 


VIII.  NAMEN  DER  LEVITENGEWÄNDER. 

Die  Dalmatik  hat  ihren  Namen  nie  gewechselt.  Sie  hieß  so  zur  Zeit, 
da  sie  zu  Rom  in  Gebrauch  kam  und  dann  von  dort  aus  sich  im  übrigen  Abend- 
land einzubürgern  begann,  und  sie  heißt  noch  jetzt  so  nach  kirchlichem  Sprach- 
gebrauch. Nur  hier  und  dort  wurde  im  Mittelalter  das  Gewand  mit  dem 
allgemeinen  Namen  tunica  bezeichnet1.  Die  Namen  der  subdiakonalen  Ober- 
tunika waren  ehedem  sehr  mannigfaltig.  Die  hauptsächlichsten  Bezeich- 
nungen waren  subtile  und  tunica  (tunicella).  In  Italien,  England  und  Frank- 
reich wurde  sie  vornehmlich  tunica  genannt.  In  Deutschland  herrschte  etwa 
seit  der  Wende  des  Jahrtausends  die  Benennung  subtile  vor. 

Wir  begegnen  dem  Namen  subtile  schon  in  einem  unter  Abt  Hesso  im  Beginn 
des  10.  Jahrhunderts  entstandenen  Inventar  der  Klosters  Pf  äffers  in  der  Schweiz 
und  einem  Inventar  der  königlichen  Basilika  zu  Monza  von  ca  910 2.  Im  11.  und 
12.  Jahrhundert  bildet  er  in  den  Schatzverzeichnissen  deutscher  Kirchen  die  ständige 
Bezeichnung  für  die  subdiakonale  Obertunika.  Man  vergleiche  die  Inventare  von 
Pfäffers  aus  dem  11.  und  12.  Jahrhundert,  das  Inventar  von  Wörthsee  in  Kärnten 
(ca  1000)  und  Lamspringe  (?)  (10.  bis  11.  Jahrhundert),  das  Verzeichnis  der  Para- 
mente ,  welche  Bischof  Meinwerk  von  Paderborn  dem  Kloster  Abdinghof  gab ,  die 
Angaben  Adams  von  Bremen  betreffs  der  liturgischen  Gewänder,  welche  Kaiser  Hein- 
rich IV.  dem  Dom  zu  Hamburg  schenkte 3,  die  Notiz  Ekkehards  des  Jüngeren  über 
die  Paramente,  welche  Hedwig  von  Schwaben  dem  Kloster  St  Gallen  verehrte4, 
die  Inventare  von  St  Gallen  (11.  Jahrhundert),  Enger  (11.  Jahrhundert),  Benedikt- 
beuren  (1032),  Speier  (1156),  St  Georg  zu  Köln  (ca  1100),  Krakau  (1101),  Bamberg 
(1127),  Martinsberg  in  Ungarn  (12:  Jahrhundert),  Prüfening  bei  Regensburg  (1165), 
Altmünster  zu  Mainz  (12.  Jahrhundert),  Gandersheim  (12.  Jahrhundert),  Neumünster 
zu  Würzburg  (1230),  Trier  (123S)  u.  a. ä  Nur  sehr  selten  führt  die  subdiakonale  Ober- 
tunika in  den  älteren  deutschen  Schatzverzeichnissen  einen  andern  Namen,  wie  z.  B. 
im  Inventar  von  Prüm  von  1003,  wo  sie  dalmatica  subdiaconalis  heißt.  Auch 
Honorius  nennt  in  seiner  Gemma  animae  das  Obergewand  des  Subdiakons  subtile e. 
Er  ist  der  einzige  von  allen  Liturgikern ,  bei  dem  es  diesen  Namen  trägt ,  ein  Um- 
stand, der  unzweifelhaft  nicht  wenig  zu  Gunsten  der  Annahme  spricht,  daß  Honorius 
ein  Deutscher  war  oder  doch  in  Deutschland  seine  Schrift  verfaßte  7. 

Der  Name  subtile  erhielt  sich  in  Deutschland  bis  ins  späte  Mittelalter 
hinein.  Wir  finden  ihn  z.  B.  noch  in  den  Inventaren  von  Freising  (1352). 
Prag  (1354,  1387,   1396,  1413)  und  Olmütz  (1435).    Wie  es  gekommen,  daß 


1  Ein  älterer  französischer  Name  der  Dal- 
matik ist  wardecor;  sie  heißt  so  z.  B.  im  In- 
ventar der  Kapelle  Roberts  von  Flandern  von 
1319  (Dehaisnes,  L'art  en  Flandre,  Docu- 
ments  225) ;  ältere  deutsche  Benennungen 
siehe  unten  am  Schluß  des  Abschnittes. 

-  Der  Verfasser  des  Inventars,  ein  gewisser 
Subdiakon  Adalbertus,  muß,  wie  die  Schreib- 
weise Perengarius  statt  Berengarius ,  tal- 
matica  statt  dalmatica ,  ein  Süddeutscher 
gewesen  sein. 

3  Gesta  Pontif.  Hammaburg.  eccl.  1.3,  n.44 
(M.  G.  SS.  VII  352). 

4  Ekkeh.  IV,  Casus  S.  Galli  c.  10  (M.  G. 
SS.  II  123). 

5  Auch  in  der  sog.  Missa  lllyrica  heißt  die 
Tunika  subtile  (Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12, 
ordo  4;    I  177).     In  Frankreich   scheint    der 


Name  nur  sehr  wenig  gebräuchlich  gewesen 
zu  sein.  Ein  Beispiel  findet  sich  in  einem 
Obituarium  der  Sorbonne  ad  an.  1324  :  Idem 
dominus  (Gilbertus  de  Sancta  Aldeghonde) 
dedit  ornamenta  bona,  videlicet  casulam  .  .  . 
et  subtile  subdiaconi  (Recueil  des  Histoires 
de  la  France,  Obituaires  I  739). 

6  Gemma  1.  1,  c.  229  (M.  172,  613) :  Sub- 
diacono  .  .  .  subtile  et  sudarium  adduntur. 

1  Wenn  auch  S  i  c  a  r  d  (Mitralis  1.  2,  c.  8 
[M.  213,  85])  das  Gewand  subtile  nennt,  so 
kommt  das  daher,  daß  seine  Worte  einfach- 
en der  Gemma  des  Honorius  entlehnt  sind. 
Ahnlich  verhält  es  sich  später  bei  Durandus 
(1.  3,  c.  10;  f.  73),  der  zudem  genügend  an- 
deutet, daß  subtile  für  ihn  nicht  die  gewöhn- 
liche Bezeichnung  war:  tunica  quae  alibi 
subtile. 


288  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  ObergewUnder. 

man  das  Gewand  subtile  genannt,  ist  unklar.  Bei  Ezechiel  (16,  10)  und  Isaias 
(19,  9)  bedeuten  subtilia  feine  Gewebe  oder  Gewänder  aus  feinem  Stoff.  Mög- 
lich, daß  man  der  subdiakonalen  Obertunika  im  Anschluß  an  diese  Stellen 
der  Heiligen  Schrift  darum  den  Namen  subtile  gab,  weil  sie  aus  besserem  und 
feinerem  Stoff  als  die  untere  Tunika,  die  Albe,  gemacht  wurde. 

Als  spezifisches  Obergewand  der  Subdiakone  hieß  die  Tunika  vestis 
subdiaconalis  oder  auch  wohl,  wie  z.  B.  im  Verzeichnis  der  liturgischen 
Geräte  und  Paramente,  welche  Bischof  Reginard  von  Lüttich  dem  Kloster 
St  Laurentius  1034  bei  Gelegenheit  der  Konsekration  der  Klosterkirche 
schenkte,  schlechthin  subdiaconale. 

Auch  dalmatica  subdiaconalis  wird  die  Tunika  der  Subdiakone 
wiederholt  genannt,  wohl  im  Anschluß  an  die  römischen  Ordines,  welche  von 
einer  dalmatica  maior  und  minor  sprechen.  Als  sich  im  späten  Mittel- 
alter der  Unterschied  in  Bezug  auf  die  Form  der  Dalmatik  und  Tunicella 
verwischt  hatte,  verlor  sich  vielfach  auch  der  Unterschied  in  der  Bezeich- 
nung, so  daß  beide  Gewänder  gleichmäßig  Dalmatik  genannt  wurden. 

Die,  wie  es  scheint,  nur  ganz  vereinzelt  gebräuchliche  Benennung  linea1 
dürfte  sich  an  den  Ausdruck  dalmatica  linea  des  1.  römischen  Ordo  anlehnen 
und  sich  auf  den  Umstand  gründen,  daß  die  subdiakonale  Tunika  ursprüng- 
lich nur  aus  Linnen  gemacht  zu  werden  pflegte. 

Der  Name  alba,  welchen  sowohl  die  Tunika  der  Subdiakone  wie  der 
Bischöfe  im  Mittelalter  nicht  selten  führte,  wird  teils  von  der  Ähnlichkeit,  welche 
diese  wegen  ihrer  engen  Ärmel  mit  der  gewöhnlichen  Albe  hatte,  teils  von 
der  weißen  Farbe,  welche  die  Tunika  ursprünglich  besaß,  herkommen.  Dieses 
letztere  Moment  geriet  freilich  im  Lauf  der  Zeit  so  gründlich  in  Vergessen- 
heit, daß  man  ohne  alles  Bedenken  von  albae  rubrae,  virides,  nigrae  usw. 
redete2.  Übrigens  mag  sich  in  dem  Namen  alba  auch  eine  Erinnerung  an 
die  liturgische  Tunika  der  Diakone  und  Lektoren  des  gallikanischen  Ritus 
erhalten  haben. 

Stricta  tunica  oder  kurz  stricta  wurde  das  subdiakonale  Ober- 
gewand an  einigen  Orten  genannt,  weil  sie  von  geringerer  Weite  als  die 
Dalmatik  war  und  namentlich  engere  Ärmel  als  diese  besaß3.  Der  Name 
blieb  auch,  als  sich  der  Formunterschied  zwischen  Dalmatik  und  Tunicella 
verloren  hatte,  doch  erlangte  er  nie  weitere  Verbreitung4.  Er  begegnet  uns 
noch  im  16.  Jahrhundert  in  der  italienischen  Umbildung  stretta  in  einem 
Caeremoniale  von  S.  Marco  zu  Venedig  als  gemeinsame  Bezeichnung  der  Dal- 
matik und  Tunicella5. 

Der  Name  roccus  gehört  der  älteren  Zeit  an.  Wir  treffen  ihn  z.  B. 
im  Inventar  von  St-Riquier,  im  Testament  Riculfs  von  Eine0  und  noch  im 
11.  Jahrhundert,  wenngleich  in  angelsächsischer  Umformung  im  Testament 
Leofrics  von  Exeter  (f  1072) 7  an.  Leofric  vermacht  darin  unter  andern 
liturgischen  Gegenständen  seiner  Kathedrale  3  pistel  roccas,  Tuniken  für  die- 
jenigen, welche  die  Epistel  sangen,  die  Subdiakone. 


1  Vgl.   z.  B.  das   Inventar  von   Staffelsee.  5  Civiltäcattolical899,  ser.  17,  vol. 8,  S.  460. 

2  S.  oben  S.  60.  Vgl.  auch  das  Schatzverzeichnis  von  S.  Marco 

3  Gemma  1.  1,  c.  229  (M.  172,  613).  aus  dem  Jahre  1519. 

4  Er    findet   sich   z.    ß.    im    Inventar   von  "  Vgl.  auch    die  Inventare  von  Fontanelle 
St  Johann  im  Lateran  von  1455,  im  Inventar  und  St  Bavo  zu  Gent. 

des    Santo    zu    Padua  vom   Jahre    1396    und  7  Warren,    Leofric  Missal   p.  xxn.     Im 

dem  des  Domes    zu  Aquileja   von   1358    bis  Registrum  Roffense  heißt  das  Gewand  ähnlich 

1378.  tunica  epistolaria. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella.  289 

Die  Benennung  tunicella,  Diminutiv  von  tunica,  kam  allem  Anschein 
nach  erst  im  Verlauf  des  13.  Jahrhunderts  in  Gebrauch.  Allerdings  treffen  wir 
schon  in  einem  Inventar  von  Marchiennes  aus  dem  9.  Jahrhundert  den  ganz  ver- 
wandten Namen  tunichellus  an :  tunichelli  5 ;  jedoch  bleibt  dieser  bis  in  das  13.  Jahr- 
hundert eine  durchaus  vereinzelte  Erscheinung.  Die  Bezeichnung  tunicella 
findet  sich  bereits  in  dem  auf  Befehl  Gregors  X.  herausgegebenen  Caeremoniale 
romanum1  sowie  im  Rationale  und  Pontifikale  des  Durandus2,  doch  kann  sie 
noch  um  das  Ende  des  Jahrhunderts  nicht  sehr  verbreitet  gewesen  sein. 
Denn  das  Verzeichnis  der  Paramente,  welche  Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale 
von  Anagni  schenkte,  kennt  sie  noch  gar  nicht,  im  Inventar  des  päpstlichen 
Schatzes  vom  Jahre  1295  aber  begegnet  sie  uns  bloß  einmal.  Dagegen  ist 
im  Inventar  desselben  vom  Jahre  1327  3  und  im  Schatzverzeichnis  von  St  Peter 
aus  dem  Jahre  1361  tunicella  bereits  die  ständige  Bezeichnung  für  die  sub- 
diakonale  Tunika.  In  nordischen  Inventaren  kommt  der  Name  erst  wieder 
im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  vor,  so  1335  im  Schatzverzeichnis  der  Kathe- 
drale von  Tournai  und  bereits  1319  in  der  französischen  Umformung  tournikel 
im  Inventar  der  Kapelle  Roberts  von  Flandern i.  Übrigens  gelangte  er  bis 
zum  Ende  des  Mittelalters  im  Norden  nirgends  zu  größerer  Verbreitung. 
Besonders  zäh  hielt  man  in  Frankreich  nach  Ausweis  der  Inventare  an  der 
Benennung  tunica  fest.  Ähnlich  geschah  es  auch  in  England,  wo  indessen 
in  der  Volkssprache  sich  die  Diminutivform  tunacle  (von  tunicula)  herausbildete. 

Mittelalterliehe  deutsche  Bezeichnungen  für  Dalmatik  und  Tunicella 
waren  korerock,  lessrock,  1  eisrock  und  namentlich  dienrock, 
dienst  rock,    dienerock5. 

IX.    BESCHAFFENHEIT  DER  TUNIKA  IM  MITTELALTER  UND  IN  DER 

NEUZEIT. 

Über  die  Form  und  Beschaffenheit  der  subdiakonalen  Obertunika 
erfahren  wir  Näheres  erst  im  9.  Jahrhundert.  Wie  dieselbe  damals  zu  Rom 
aussah,  zeigt  die  Figur  des  Subdiakons  Juvenianus  auf  der  schon  erwähnten 
Miniatur  des  Codes  B  25  2  der  Vallicelliana.  Juvenianus ,  welcher  dem 
hl.  Laurentius  ein  Buch  überreicht,  trägt  eine  bis  auf  die  Füße  reichende, 
dem  Körper  sich  ziemlich  dicht  anschließende  Tunika  von  weißer  Farbe  (vgl. 
Bild  125,  S.  267).  Die  Ärmel  sind  eng;  Schlitze  an  den  Seiten  fehlen;  die 
Ausstattung  des  Gewandes  besteht  in  einem  schmalen,  die  Ärmelsäume  um- 
gebenden Zierstreifen.  Daß  es  sich  bei  ihm  nicht  um  die  gewöhnliche  untere 
Tunika  oder  Albe  handelt,  ergibt  sich  aus  dem  Umstand,  daß  es  der  Gürtung 
entbehrt. 

Ein  etwas  anderes  Bild  der  subdiakonalen  Tunika  gewährt  die  Dar- 
stellung des  Subdiakons  im  Sakramental'  von  Autun  (vgl.  Bild  24,  S.  62).  Wir 
haben  hier  das  Gewand  in  der  Umbildung,  wie  es  im  Frankenland  in  Gebrauch 
war,  vor  uns.  Es  reicht  nur  bis  zur  Mitte  des  Schienbeins,  dagegen  sind 
die  Ärmel  Aveiter,  als  es  auf  der  Miniatur  des  Codex  der  Vallicelliana  der 
Fall  ist.     Von  Zierstreifen  ist  an  ihm  nichts  zu  bemerken. 


1  N.  6  (M.  78,   1107).  4  Dehaisnes,    L'art    dans    la    Flandre, 

■  L.  5,  c.  2,  n.  6,  f.  '256;  Marl  1.  1,  c.  4,          Doeuments  225. 

art.  12,  ordo  23;  I  221.  5  Vgl.    z.   B.    die   Inventare   von    Breslau, 

3  Denifle-Ehrle,  Archiv  für  Literatur         St  Quintin  zu  Mainz,  Odesloe,  Schweidnitz, 

und    Kirchengeschichte    des    Mittelalters    I,  St   Stephan   zu  Wien   (St  Moranduskapelle), 

Berlin  1885,  319.  Zeitz  u.  a. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  19 


290  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Die  Entwicklung,  welche  die  subdiakonale  Obertunika  in  der  Folge  nimmt, 
vollzieht  sich  analog  der  Umbildung  der  Dalmatik ;  die  Länge  verringert  sich 
langsam,  aber  stetig;  an  den  Seiten  werden  Schlitze  angebracht,  die  immer  länger 
werden  und  zuletzt  die  ganze  Seite  bis  zum  Ansatz  der  Ärmel  einnehmen. 
Die  Ärmel,  welche  anfänglich  nur  eine  sehr  mäßige  Weite  hatten,  gewinnen 
im  Gegensatz  zu  den  Ärmeln  der  Dalmatik  an  Umfang,  bis  zuletzt  zwischen 
der  diakonalen  und  subdiakonalen  Obertunika  kaum  mehr  ein  Unterschied 
wahrnehmbar  ist.  Um  das  Ende  des  Mittelalters  sind  Dalmatik  und  Tunika 
vielfach  gar  nicht  mehr  voneinander  zu  unterscheiden.  Man  studiere  z.  B. 
nur  die  Dalmatiken  und  Tunicellen  im  Dom  zu  Halberstadt,  in  St  Marien 
zu  Danzig,  im  Dom  zu  Brandenburg,  im  Historischen  Museum  zu  Bern  und 
in  der  Alten  Kapelle  zu  Regensburg.  Es  ist  in  den  meisten  Fällen  schlechter- 
dings unmöglich,  zu  bestimmen,  welches  Gewand  die  Dalmatik  und  welches 
die  Tuniceila  darstellen  soll. 

Den  Entwicklungsgang  der  Tunicella  vom  9.  bis  zum  16.  Jahrhundert 
näher  ins  einzelne  zu  verfolgen,  ist  unmöglich,  weil  die  Liturgiker  zu  wenig 
Aufschluß  über  die  Form  des  Gewandes  geben,  und  auf  den  Monumenten  die 
subdiakonale  Tunika  verhältnismäßig  nur  selten  auftritt. 

In  Rom  und  überhaupt  in  Italien  kam  die  Verbildung  der  Tunicella 
wie  die  der  Dalmatik  im  16.  Jahrhundert  zum  Abschluß.  In  Frankreich, 
Deutschland,  Spanien,  kurz  außerhalb  Italiens  dauert  sie  gerade 
wie  bei  dieser  bis  in  das  18.  Jahrhundert  hinein  fort,  d.  i.  bis  aus  der  einstigen 
Talartunika  ein  bis  kaum  zu  den  Knieen  reichendes,  mit  Ärmellappen  statt 
Ärmeln  versehenes  Skapulier  geworden  war.  Der  Unterschied  zwischen  der 
Tunicella  und  Dalmatik  war  aber  auch  in  Italien  schon  im  16.  Jahrhundert 
verwischt.  Wohl  bestimmte  noch  die  dritte  Mailänder  Synode,  es  sollte  die 
Tunika  der  Subdiakone  engere  Ärmel  haben  als  die  Dalmatik 1.  Allein  einen 
nachhaltigen  praktischen  Erfolg  hatte  diese  Verordnung  ebensowenig  wie  die 
Anweisung  des  1600  auf  Befehl  Klemens'  VIII.  herausgegebenen  römischen 
Caeremoniale :  (Tunicella)  eiusdem  forma  est,  cuius  est  dalmatica  diaconi  nisi 
quod  strictiores  longioresque  aliquantulum  manicas  habere  debet2. 

Nur  bezüglich  der  pontifikalen  Tunicella  und  Dalmatik  erhielt  sich  ein 
Unterschied  hinsichtlich  der  Weite  der  Ärmel,  begreiflich,  da  ja  die  Dalmatik 
über  die  Tunicella  angezogen  werden  muß. 

Als  Stoff,  aus  dem  die  Tunika  hergestellt  wurde,  diente  anfänglich 
Leinwand 3.  Doch  gab  es  nach  dem  Ordo,  den  Duchesne  herausgegeben  hat, 
schon  im  9.  Jahrhundert  neben  leinenen  auch  seidene  Subdiakonaltuniken: 
Et  induunt  se  (subdiaconi)  tonicas  albas,  quales  habent,  sericas  aut  lineas. 
Das  Inventar  von  St-Riquier  aus  dem  Jahre  831  bestätigt  das,  da  es  neben 
31  Dalmatiken  im  ganzen  nicht  weniger  denn  18  seidene  Tuniken  vermerkt; 
bei  15  fehlt  eine  Angabe  der  Farbe,  eine  wird  als  weiß  bezeichnet,  zwei  als 
pflrsichblütenfarbig.  Im  späteren  Mittelalter  war  bei  der  Tunicella  gleichwie 
bei  der  Dalmatik  Seide  das  Gewöhnliche;  andere  Stoffe  waren  mehr  Ausnahme, 
und  zwar  nicht  bloß  bei  der  pontifikalen,  sondern  auch  bei  der  subdiakonalen 
Tunicella.  Die  Inventare  lassen  daran  keinen  Zweifel.  Das  Material,  aus 
dem  in  denselben  die  Tuniken  gemacht  erscheinen,  sind  immer  wieder  die- 
selben  prächtigen   Cendelzeuge,    Köper,   Damaste,    Brokate,    Samte  usw.,    aus 


1  A.  E.  Med.  627.  3  Ordo  1,  n.  6 ;  ordo  3,  n.  6  (M.  78,   940 

2  L.  1,  c.  10,  n.  1.  978):  linea  dalmatica. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella.  291 

denen  auch  die  in  ihnen  aufgeführten  Kasein  hergestellt  sind.  Bemerkens- 
wert und  auffällig  ist,  daß  es  nach  Ausweis  des  Inventars  von  St-Riquier 
schon  in  der  Frühe  des  9.  Jahrhunderts  farbige  Tuniken  gab.  Eine  pur- 
purne Tunika  wird  915  im  Testament  Riculfs  von  Eine  erwähnt.  Indessen 
mag  die  Verwendung  von  Tuniken  dieser  Art  eine  der  Neuerungen  sein, 
welche  das  Frankenreich  bei  der  liturgischen  Gewandung  hervorbrachte.  In 
Rom  dürfte  es  um  diese  Zeit  wohl  noch  kaum  farbige  Tuniken  gegeben  haben. 
Der  Grund,  weshalb  bei  der  Tunika  früher  als  bei  der  Dalmatik  sich  die 
Farbe  einbürgerte,  liegt  vielleicht  darin,  daß  es  bei  ihr  keine  alte  Tradition 
gab  wie  bei  der  Dalmatik;  sie  war  ja  ein  jüngeres  Gewand. 

Man  hat  behauptet,  die  bischöfliche  Tunicella  sei  bis  ins  13.  Jahrhundert  vor- 
herrschend hyazinthfarbig',  d.  i.  blaurot,  gewesen.  Allein  die  Liturgiker  sagen  nichts 
davon.  Amalar  redet,  wenn  er  von  einer  hyazinthfarbenen  Tunika  spricht,  von  dem 
alttestamentlichen  Meil.  Auch  die  Angaben  Ivos  von  Chartres  beziehen  sich  auf  dieses 
aaronitische  Kultgewand.  Auf  keinen  Fall  besagen  seine  Worte,  daß  die  Pontifikal- 
tunika  stets  oder  doch  der  Regel  nach  hyazinthfarbig  zu  sein  pflegte.  Was  Johannes 
von  Avranches  bei  Besprechung  der  Tunika  bezüglich  der  Farbe  bemerkt,  ist  nur  eine 
Exegese  der  Worte  des  Pentateuchs :  Facies  tibi  tunicam  hyacinthinam  (Ex  28,  31). 
Nach  dem  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  war  die  dritte  Tunika  des  Bischofs,  wie 
es  darin  heißt,  also  die  pontifikale  Dalmatik,  hyazinthfarbig.  Sicard  meint,  wenn  er 
die  Tunika  als  hyazinthfarben  bezeichnet,  das  eine  Mal  die  Obertunika  des  alttesta- 
mentlichen Hohenpriesters,  das  andere  Mal  folgt  aus  seinen  Worten  lediglich,  daß  die 
bischöfliche  Tunika  auch  wohl  hyazinthfarbig  war,  nicht  aber,  daß  sie  stets  diese 
Farbe  hatte.  Wie  es  um  die  Farbe  der  Pontih'kaltunika  im  frühen  12.  Jahrhundert 
in  Wirklichkeit  stand,  hören  wir  von  Bruno  von  Segni,  dessen  Worte  es  außer  Zweifel 
stellen,  daß  es  für  dieselbe  damals  im  Gegensatz  zum  hyazinthfarbigen  Meil  des  Alten 
Bundes  keine  bestimmte  Farbe  gegeben  hat '. 

In  den  Inventaren  ist  bis  zum  13.  Jahrhundert  von  der  Farbe  der  Tunika  kaum 
jemals  die  Rede.  Für  gewöhnlich  führen  sie  nur  die  Zahl  der  vorhandenen  Tuniken  an, 
höchstens,  daß  sie  noch  über  die  Ausstattung  eine  besondere  kurze  Notiz  anfügen. 
Wo  sie  aber  von  deren  Farbe  reden ,  bestätigen  sie ,  was  uns  Bruno  von  Segni  hin- 
sichtlich der  Farbe  des  Gewandes  sagt. 

Tunicae  coccineae  5  werden  in  einem  Inventar  des  Klosters  Abdinghof  zu  Pader- 
born aus  der  Zeit  des  Abtes  Gumbert  erwähnt.  Eine  grüne  Tunika  erwarb  für  das 
Kloster  Monte  Cassino  Abt  Desiderius,  der  spätere  Papst  Viktor  III.  (f  1087) '-,  eine 
pfirsichblütenfarbene  schenkte  ihm  Robert  Guiscard3.  Das  Register  von  Rochester 
führt  als  Gabe  des  Erzbischofs  Lanfrank  eine  tunica  epistolaris  aus  schwarzem  Purpur, 
als  Gabe  Bischof  Ernulfs  (1114 — 1123)  drei  violette  und  zwei  rote  Tuniken  und  als 
Geschenk  Bischof  Gilberts  (1185 — 1215)  eine  Tunika  aus  weißem  Damast  an  '.  Rote 
Tuniken  begegnen  uns  auch  schon  in  des  Beroldus  Caeremoniale  von  S.  Ambrogio. 

Als  sich  ein  liturgischer  Farbenkanon  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
bildete,  wurde  derselbe  natürlich  auch  für  die  Tunicella  maßgebend.  In  den 
Inventaren  kommt  das  seitdem  wie  bei  der  Dalmatik  gewöhnlich  in  der  Weise 
zum  Ausdruck,  daß  die  Tunicellen  nicht  mehr  gesondert  für  sich  aufgezählt, 
sondern  in  Verbindung  mit  Kasel  und  Dalmatik  unter  dem  Gesamtnamen 
ornatus  integer  verzeichnet  werden. 


1  Tract.  de   sacr.  eccl.,  c.    de   tunica    (M.  significat,    qiiod  candidi  esse  debent    et   im- 

165,    1104):    Tunica    in    veteri    testamento  maculati,    si    autem    alterius    coloris   tunica 

liyachithina  solummodö  erat  et  alterius  coloris  fuerit,  est  et  alterius  significationis. 

uon  erat  ...    Et  tali  quidem  tunica  apostolus  "  Chron.    Cassin.    1.   3 ,    n.    18    (M.   G.  SS. 

indutus  dicebat :  „Nostra  conversatio  in  coelis  VII  711). 

est'  (Phil  3,  20).     Ad   hanc   igitur  tunicam  3  Ebd.  1.  3,  n.  58  (ebd.  743). 

respiciat  episcopus.     Si  enim  Candida  fuerit,  4  Revue  1887,  335. 

19* 


292 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Oberajewänder. 


Was  die  Verzierung  der  Tunika  anlangt,  so  wurden,  soweit  wenigstens 
die  Monumente  ein  Urteil  darüber  zulassen,  nie  die  Purpurclavi,  das  für 
die  Dalmatik  charakteristische  Ornament,  dazu  verwendet.  Ebenso  finden  wir 
niemals  bei  dem  Gewand  die  eigenartigen  fimbriae,  Fransenflöckchen,  mit  der 
man,  wie  wir  sahen,  die  Dalmatik  bis  tief  ins  12.  Jahrhundert  hinein  gern 
zu  bedenken  pflegte.  Wohl  aber  scheint  man  im  11.  und  12.  Jahrhundert 
nicht  selten  die  Tunika  mit  kostbaren  Borten  oder  Goldstickereien  geschmückt 
zu  haben.  Wiederholt  begegnen  uns  derartige  Tuniken  in  den  Inventaren  aus 
jener  Zeit.  Es  werden  darin  sogar  eigentümlicherweise  häufiger  reich  ver- 
zierte Tuniken  als  reich  verzierte  Dalmatiken  aufgeführt.  In  manchen  Fällen 
dürfte  es  sich  freilich  bei  solchen  goldverzierten  Tuniken  um  bischöfliche  Tuniken 
handeln,  sicher  aber  nicht  immer.  Ihren  Grund  mag  diese  ungleiche  Be- 
handlung der  bei- 
den Gewänder 
darin  haben,  daß 
für  die  Dalmatik 
damals  noch  eine 
bestimmte  tra- 
ditionelle Verzie- 
rungsweise mit- 
tels der  Purpur- 
streifen bestand, 
nicht  aber  für 
die  Tunika,  und 
man  somit  in  der 
Ausstattung  der 
letzteren  weni- 
ger durch  alten 
Brauch  gebunden 
und  beschränkt 
war. 

Schon  das  Te- 
stament Eiculfs  von 
Eine  erwähnt  roc- 
cum  purpureum 
cum  auro,  und  nur 
wenig  später  das  dem  10.  Jahrhundert  angehörende  Inventar  von  Clermont-Ferrand 
tunicas  duas  cum  auro.  Abt  Desiderius  erwarb  für  Monte  Cassino  eine  grüne 
Tunika  (tunica  diapistinj  cum  urna  (Borte)  amplissima  a  pedibus  et  manibus  ac  sca- 
pulis ;  Kaiser  Heinrich  II.  schenkte  dem  Kloster  eine  Tunika  aus  Damast ,  aureis 
operibus  ornatam,  Viktor  III.  aber  hinterließ  ihm  außer  19  einfachen  fünf  tunicae 
paratae,  d.  h.  mit  Zierbesätzen  geschmückte  Tuniken  l.  .  Das  Inventar  von  St  Gallen 
verzeichnet  neben  18  andern  drei  aurata,  d.  i.  mit  Goldborten  oder  Goldstickereien 
versehene  subtilia.  Im  Domschatz  zu  Bamberg  befanden  sich  im  Anfang  des  12.  Jahr- 
hunderts unter  den  14  darin  vorhandenen  subtiliae  (sie)  nicht  weniger  denn  neun, 
welche  mit  kostbaren  Goldborten  ausgestattet  waren.  Die  Kathedrale  von  Ely  (Eng- 
land) besaß  1079  tunicae  tres  cum  aurifriso  (sie) ;  im  Schatzverzeichnis  des  Klosters 
Prüfening  bei  Eegensburg  aus  dem  12.  Jahrhundert  aber  werden  duo  subtilia  argento- 
fregiata  (=  frisiata) ,  zwei  mit  Silberborten  verzierte  Subtilien ,  notiert.  Ein  sehr 
kostbares  Gewand  muß  auch  das  subtile  pene  aureum  gewesen  sein,  welches  Hadawiga, 


Bild   138.     Tunicella.     Castel  S.  Elia. 


1  Chron.  Cassin.  1.  2,  n.  43; 


n.  74  (M.  G.  SS.  VII  656  753). 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella.  293 

Tochter  des  Herzogs  Heinrich  von  Schwaben,  mitsamt  einer  gleichen  Dalmatik  dem 
Kloster  St  Gallen  schenkte,  später  aber,  da  ihr  der  Abt  ein  von  ihr  gewünschtes  Anti- 
phonarium  verweigerte,  mit  echt  weibischer  Verschlagenheit  zurückzubekommen  wufäte  '. 

Als  das  Charakteristikum  der  Dalmatik,  die  roten  clavi,  gegen  Ausgang 
des  12.  Jahrhunderts  außer  Brauch  kam,  verschwindet  in  Bezug  auf  die  Ver- 
zierungsweise jeder  Unterschied  zwischen  beiden  Gewändern.  Es  ist  daher 
überflüssig,  auf  die  Ausstattung,  welche  die  Tunicella  im  späteren  Mittel- 
alter und  in  der  Neuzeit  fand,  näher  einzugehen.  Was  in  dieser  Beziehung 
des  weiteren  betreffs  der  Dalmatik  ausgeführt  wurde,  gilt  alles  auch  hin- 
sichtlich der  Tunicella. 

Von  den  noch  vorhandenen  mittelalterlichen  Tunicellen  geht  keine  über 
das  13.  Jahrhundert  hinaus;  sie  entstammen  alle  der  Zeit,  in  der  sowohl  be- 
züglich der  Form  als  namentlich  bezüglich  der  Verzierung  ein  Unterschied 
zwischen  Dalmatik  und  Tunicella  sich  kaum  mehr  bemerklich  machte.  Hin- 
sichtlich des  Stoffes  sind  am  bemerkenswertesten  die  Tunicellen  in  der 
Alten  Kapelle  zu  Regensburg,  durch  ihre  mit  vorzüglichen  Bildstickereien  ge- 
schmückten Besätze  eine  Tunicella  im  Historischen  Museum  zu  Bern  und  einige 
Tunicellen  im  Dom  zu  Xanten.  Ganz  in  Stickerei  hergestellt  sind  die  Tuni- 
cella zu  Goß,  doch  ohne  figürliche  Darstellungen,  und  die  großartige,  zum  Meß- 
ornat des  Ordens  vom  Goldenen  Vlies  gehörende  Tunicella  in  der  k.  k.  Schatz- 
kammer zu  Wien,  das  vollkommene  Gegenstück  der  früher  besprochenen  und 
abgebildeten  Dalmatik  (vgl.  Bild  130,  S.  273).  Die  Tunicellen  in  St  Marien  zu 
Danzig  weisen  keine  Besätze  auf,  sind  aber  wie  zum  Ersatz  dafür  aus  zwei  oder 
mehreren  verschiedenen  Seidenstoffen  hergestellt.  Zwei  leider  sehr  schadhafte 
Tunicellen  zu  Castel  S.  Elia  (Bild  138),  Arbeiten  aus  dem  14.  Jahrhundert, 
bestehen  aus  blauer  repsartiger  Seide  und  sind  unten  wie  die  damaligen 
italienischen  Dalmatiken  mit  einem  paruraartigen  Zierstück,  auf  den  Schultern 
aber  und  über  der  Ansatznaht  der  Ärmel  mit  einem  schmalen  Börtchen  ge- 
schmückt. Sie  gewähren  ein  gutes  Bild  der  charakteristischen  Verzierung, 
welche  man  damals  in  Italien  dem  Gewand  zu  geben  pflegte. 

X.    LITURGISCHE  VERWENDUNG  DER  DALMATIK  UND  TUNICELLA. 

Über  die  Verwendung,  welche  Dalmatik  und  Tunicella  im  Mittelalter  beim 
Gottesdienst  fanden,  erfahren  wir,  abgesehen  von  gelegentlichen  Äußerungen 
einzelner  noch  erhaltener  Ordinäre  und  Consuetudinare ,  im  ganzen  nur 
wenig.  Sie  bildeten  das  liturgische  Obergewand  der  Diakone  und  Subdiakone, 
vornehmlich  dann,  wenn  diese  als  Ministri  beim  feierlichen  Amt  tätig  waren, 
und  waren  sonach  vor  allem  das  Gegenstück  des  priesterlichen  Meßgewandes. 
Indessen  wurden  sie  auch  bei  sonstigen  gottesdienstlichen  Feierlichkeiten  ge- 
braucht, wie  z.  B.  bei  Reliquientranslationen,  bei  feierlichen  Empfängen,  bei 
Prozessionen  und  ähnlichem  und  entsprachen  dann  nach  Ingebrauchnahme  des 
Pluviale   dem   Pluviale   des   fungierenden   Priesters   (vgl.  Bild    122,    S.    262). 

Die  Bischöfe,  Äbte  und  sonstige  Prälaten,  welchen  der  Gebrauch  von 
Dalmatik  und  Tunicella  zugestanden  war,  bedienten  sich  derselben  nur  bei 
feierlichen  liturgischen  Funktionen.  Bei  der  Privatmesse  hatten  sie  wie  alle 
andern  Priester  die  Kasel  unmittelbar  über  der  Stola  und  Albe.  Der  Papst  trug 
dagegen  nach  dem  S.  G.  K.  bei  derselben  über  der  Albe  zwar  nicht  die  Dal- 


1  Ekkeh.  IV,  Casus  S.  Galli  c.  10  (M.  G.  SS.  II  123). 


294 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


matik,  aber  eine  seidene  Tunika 1.  Später  freilich  verwendete  auch  er  bei 
ihr  nur  noch  die  gewöhnliche  Priesterkleidung 2. 

Zum  Pluviale  scheint  man  sich  nach  römischem  Brauch  niemals 
der  Dalmatik  und  Tunicella  bedient  zu  haben.  Jedenfalls  war  es  so  schon 
im  späteren  Mittelalter  zu  Rom  Sitte.  Außerhalb  Roms  war  dagegen  die 
Praxis  bei  den  Bischöfen  eine  verschiedene.  Meistens  wird  man  freilich  auch 
hier  die  Gewänder  nur  in  Verbindung  mit  der  Kasel  getragen  haben3;  jedoch 
geschah  das  keineswegs  überall,  namentlich  nicht  in  der  Spätzeit  des  Mittel- 
alters. Die  spätmittelalterlichen  Monumente  mit  ihren  zahlreichen  Bischofs- 
figuren,  bei  denen  Dalmatik  und  Tunicella  zusammen  mit  dem  Pluviale  vor- 
kommen, lassen  daran  keinen  Zweifel4.  Es  sind  ihrer  zu  viele  und  zu  ver- 
schiedenartige, als  daß  man  für  das  gleichzeitige  Vorkommen  der  drei  Gewänder 
lediglich  die  Phantasie  des  Künstlers  verantwortlich  machen  dürfte.  Angesichts 
der  liturgischen  Eigenarten,  welche  um  jene  Zeit  allenthalben  eingerissen 
waren,  und  des  Mangels  an  klaren,  bestimmten  Vorschriften  kann  ja  auch 
ein  solches  Abweichen  vom  römischen  Ritus  nicht  im  geringsten  befremden. 
Wirklich  beweist  z.  B.  ein  Mainzer  Pontifikale  aus  dem  Beginn  des  14.  Jahr- 
hunderts, daß  man  sich  damals  zu  Mainz  der  Dalmatik  und  Tunicella  auch 
wohl  zum  Pluviale  bediente5. 

Die  Gepflogenheit,  wonach  zu  jenen  Zeiten  des  Kirchenjahres, 
welche  einen  Büß  Charakter  besitzen,  Diakon  und  Subdiakon  ohne 
Dalmatik  und  Tunicella  zu  amtieren  haben,  indem  sie  diese  entweder 
ganz  weglassen  oder  durch  die  planeta  plicata  ersetzen,  stammt  aus  Rom 
und  verbreitete  sich  von  dort  im  übrigen  Abendlande.  Die  lichte  Dalmatik 
entsprach,  Avie  früher  schon  gesagt  wurde,  nach  römischer  Anschauung  zu 
wenig  der  liturgischen  Eigenart  gewisser  Abschnitte  und  Tage  des  Kirchen- 
jahres. Für  die  Buße  und  Trauer,  welche  dieselben  beherrschten,  erschien 
ein  dunkles  Obergewand  anstatt  der  Freude  und  Festesstimmung'  kündenden 
Dalmatik  und  Tunicella  angemessener.  Daher  denn  die  Dalmatik  und  ent- 
sprechend später  auch  die  subdiakonale  Tunika  zu  diesen  Zeiten  durch  eine 
braune  oder  schwarze  Planeta  ersetzt  wurde  6.  Die  Anschauung,  welche  diesem 
Brauche  zu  Grunde  lag,  ist  dieselbe,  welche  den  Ordo  officiorum  vulgatus 
sagen  heißt:  Quam  litaniam  (die  litania  maior  am  St  Markustag)  observare 
debent  omnes  christiani  .  .  .  non  pretiosis  vestibus  induti,  und:  Nullus  autem 
his  diebus  (den  Rogationstagen)  vestimenta  pretiosa  induetnr,  quia  in  sacco 
et  cinere  lugere  debemus ". 


1  Cotidianis  diebus,  sagt  der  S.  G.  K.,  d.  i. 
bei  der  Privatmesse. 

2  So  wohl  schon  im  13.  Jahrhundert,  wie 
wir  aus  dem  im  13.  Ordo,  n.  6  (M.  78,  1108) 
mitgeteilten  Ritus  der  Priesterweihe  eines 
zum  Papst  erwählten  Diakons  mit  Fug  folgern 
zu  dürfen  glauben. 

3  Vgl.  z.  B.  Mart.  1.  1,  c.  6,  art,  7, 
ordo  13  19  (Auszüge  aus  Pontifikalien  von 
Besancon  und  Lyon) ;  I  289  294 ,  und  1.  4, 
c.  22  (Auszüge  aus  einem  Pontifikale  von 
Aix,  einem  Ordinarium  von  Rouen  und  einem 
Pontifikale  von  Arles) ;  III  84  85  116.  Eben- 
so Chevalier,  Ordinarium  Bayocense 
(13.  Jahrh.)  61  118  135. 


4  Bei  den  Darstellungen  aus  der  früheren 
Zeit  des  Jahrtausends  erscheint  das  Pluviale 
in  der  Regel  bei  den  Bischöfen  allein  ohne 
Dalmatik  und  Tunicella,  und  zwar  nicht  bloß 
zu  Rom,  sondern  selbst  im  Norden.  Beispiele 
bei  R  o  h.  VIII,  pl.  doxxi  ff.  Andere  im  Salz- 
btirger  Antiphonar,  im  Echternachter  Evan- 
geliar  der  kgl.  Bibliothek  zu  Brüssel ,  in 
einem  Liber  officialis  der  Einsiedler  Biblio- 
thek (Nr  112)  usw. 

■r'  Mart.  1.  4,  c.  22  (Auszug  aus  einem 
Mainzer  Pontifikale) ;  III  119:  Episcopus  in- 
dutus  dalmatica  et  subtili  vel  tantum  alba,  si 
volet,  et  desuper  pluviali. 

6  S.  oben  S.  165.  '  Hitt.  c.  89. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


295 


Die  Tage,  an  welchen  zu  Rom  von  den  Diakonen  und  Subdiakonen 
anstatt  der  Dalmatik  und  Tunika  die  Kasel  getragen  wurde,  waren,  wie 
früher  ebenfalls  schon  ausgeführt  wurde  \  die  Sonntage  und  Ferien  des  Ad- 
vents und  der  Zeit  von  Septuagesima  bis  Ostern,  sowie  die  Quatembertage. 
Auch  bei  der  Prozession  am  Lichtmeßtage  und  den  Bitttagen  trat  die  Kasel 
an  Stelle  des  gewöhnlichen  diakonalen  und  subdiakonalen  Obergewandes 2. 

Außerhalb  Roms  herrschte  in  Bezug  auf  die  Beiseitelassung  der  Dal- 
matik und  Tunicella  an  den  Bußtagen  im  Mittelalter  lange  eine  sehr  ver- 
schiedene Praxis.  Am  ehesten  wurde  die  Nichtverwendung  jener  Gewänder 
seitens  der  Diakone  und  Subdiakone  in  der  Zeit  von  Septuagesima  bis  Ostern 
allgemein ;  länger  dauerte  es  hiermit  dagegen  bezüglich  des  Advents  und  der 
Zeit  zwischen  Septuagesima  und  Aschermittwoch.  War  doch  selbst  im  12.  Jahr- 
hundert hinsichtlich  dieser  Zeiten  der  Brauch  noch  keineswegs  einheitlich 3. 
Dabei  beließ  man  es  häufig,  wie  es  scheint,  lediglich  bei  Nichtbenutzung  der 
Dalmatik  und  der  Tunicella,  ohne  an  deren  Stelle  die  planeta  plicata  treten 
zu  lassen.  Ganz  unklar  ist,  inwieweit  der  römische  Brauch,  an  den  Quatember- 
tagen,  an  den  Bitttagen  und  bei  der  Prozession  am  Lichtmeßtage  das  diakonale 
und  subdiakonale  Obergewand  durch  die  Kasel  zu  ersetzen,  außerhalb  Roms 
Verbreitung   fand.     Es    fehlen    darüber   so    gut    wie    ganz    alle    Nachrichten. 

Eine  Ausnahme  von  der  Regel,  welche  den  Diakonen  und  Subdiakonen 
in  der  Fastenzeit  den  Gebrauch  der  Dalmatik  und  Tunicella  verbot,  bildete 
der  Gründonnerstag,  und  zwar  war  der  Grund  hierfür  die  feierliche  01- 
weihe,  welche  an  diesem  Tage  statthatte:  Diaconi  (induunt)  dalmaticas  pro 
reverentia  chrismatis,  heißt  es  im  10.  Ordo  Mabillons4.  So  war  es  von 
alters  her  Brauch.  Hora  autem  tertia  ingressi  sacrarium  induantur  dalmaticis 
tarn  pontifex  quam  omnes  diaconi  vel  omni  ornamento,  sagt  schon  der  1.  rö- 
mische Ordo  Mabillons 5.  Ähnlich  lautet  die  Angabe  des  von  Duchesne  heraus- 
gegebenen Ordo:  Diaconi  cum  dalmaticis  et  subdiaconi  non  induunt  planitas 
(sie) 6.  Auffallend  ist,  daß  der  Ordo  die  subdiakonale  Tunika  nicht  erwähnt, 
da  diese  ihm  doch  keineswegs  mehr  etwas  Unbekanntes  war.  Indessen  galt 
auch  wohl  vom  Gründonnerstag  die  eingangs  des  Ordo  gemachte  Bemerkung: 
Quando  dalmaticas  induit  (seil,  pontifex),  et  diaconi  similiter  induunt  se  et 
subdiaconi  .  .  .  induunt  se  tonicas  albas  quas  habent,  sericas  aut  lineas 7.  Aus- 
drücklich nennt  die  Tunika  ein  von  de  Rossi  veröffentlichter  Ordo  der  Funk- 
tionen an  den  drei  Kartagen,  worin  es  zur  feria  V  heißt:  Posteaquam  de 
secretario  exeunt,  subdiaconi  cum  albis  vestibus  procedunt  et  diaconi  cum 
dalmaticis  8,  und  noch  deutlicher  der  etwas  jüngere  Ordo  officiorum  bei  Hittorp : 
Presbyteri  vero  et  ceteri  clerici  hora  tertia  induant  se  vestimentis  sollemnibus 
et  diaconi  dalmaticis  atque  subdiaconi  albis  sericis  induantur ,J. 


'  S.  oben  S.  163. 

2  Du  eh. ,  Orig.  474  479. 

3  Um  schon  Gesagtes  hier  nicht  noch  ein- 
mal zu  wiedei-holen ,  verweisen  wir  für 
Näheres  auf  unsere  diesbezüglichen  früheren 
Ausführungen  (S.  163 ff). 

4  N.  3  (M.  78,  1010).  Nach  Honorius  wäre 
auch  die  Rekonziliation  der  Büßer,  -welche 
an  diesem  Tag  statthatte,  Grund  für  den 
Gebrauch  der  Dalmatik  und  Tunika  gewesen : 
Vestes  sollemnes  i.  e.  dalmatica  et  subtile 
hodie  portantur,  quia  poenitentes  ad  missas 


sanetitatis  vestes  reparantur  et  chrisma  at- 
que oleum  baptizandis  quasi  coelestes  vestes 
hodie  praeparantur  (Gemma  1.  3,  c.  85  [M. 
i72,  665]). 

5  N.  30  (M.  78,  951).  Vgl.  auch  Pseudo- 
Alkuin,  De  offic.  div.  c.  16  (M.  101,  1206). 

6  Du  eh.,  Orig.  466.  7  Ebd.  456. 
8  Inscript.  christ.  II,  Romae  1888,  34. 

11  Hitt.  62.  Vgl.  auch  Mart.  1.  4,  c.  22 
(Auszüge  aus  Pontifikalien  von  Besancon, 
Beauvais  und  St-Germain-des-Pres) ;  III  109 
110  114  u.  a. 


296 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Bezüglich  der  Verwendung  der  Levitengewänder  bei  Totenmessen 
herrschte  im  Mittelalter  eine  verschiedene  Praxis.  In  der  ältesten  Zeit  mag 
es  am  gebräuchlichsten  gewesen  sein,  daß  die  Diakone  und  Subdiakone  bei 
denselben  entweder  ohne  jedes  liturgische  Obergewand  bloß  in  der  Albe  oder 
wie  in  der  Fasten-  und  Adventszeit  in  Albe  und  Ivasel  fungierten.  Kasein 
statt  Dalmatik  und  Tuniceila  schreiben  für  die  Exequien  z.  B.  die  Con- 
suetudines  von  Farfa  (10. — 11.  Jahrhundert)1  und  das  Ordinarium  des  Bischofs 
Johannes  von  Avranches  vor2,  während  ein  Ordinarium  von  Bayeux3  (13.  Jahr- 
hundert) will,  daß  die  Leviten  bei  Messen  für  Verstorbene  lediglich  in  Alben 
amtierten.  Als  sich  jedoch  ein  liturgischer  Farbenkanon  herausgebildet  hatte 
und  Schwarz  die  charakteristische  Farbe  für  den  Totengottesdienst  geworden 
war,  änderte  sich  die  Sache,  und  der  Gebrauch  von  Dalmatiken  und  Tunicellen 
wurde  bei  demselben  bald  sehr  gewöhnlich.  Die  Inventare  des  späteren  Mittel- 
alters mit  den  darin  immer  wieder  vorkommenden  schwarzen  Levitengewändern 
stellen  das  außer  Zweifel. 

Schon  die  Mainzer  Chronik  (ca  1250)  vermerkt  neben  zwei  roten,  grünen  usw. 
auch  zwei  schwarze  Kapellen  mit  je  einer  Dalmatik  und  einem  Subtile.  Seit  dem  Ende 
des  13.  Jahrhunderts  aber  entbehrt  wohl  kaum  ein  Inventar  schwarzer  Leviten- 
gewänder.  Hie  und  da  werden  sie  in  den  Verzeichnissen  mit  der  ausdrücklichen  Be- 
merkung aufgeführt,  daß  sie  pro  missis  defunctorum  bestimmt  seien4. 

Zu  Rom  müssen  schwarze  Dalmatiken  und  Tunicellen  schon  wenigstens  um  das 
Ende  des  13.  Jahrhunderts  bei  den  Exequien  in  Gebrauch  gewesen  sein.  Denn  wenn 
nach  römischem  Brauch  schwarze  Paramente  nur,  wie  Innozenz  III.  schreibt,  in  die 
abstinentiae  et  afflictionis ,  pro  peccatis  et  pro  defunctis  gebraucht  wurden,  an  Buß- 
tagen aber  die  Levitengewänder  nicht  zur  Verwendung  kamen,  so  können  die  schwarzen 
Dalmatiken  und  Tunicellen,  welche  im  Inventar  der  Schätze  des  Apostolischen  Stuhles 
vom  Jahre  1295  aufgeführt  werden,  nur  bei  den  Totenmessen  gebraucht  worden  sein. 
Um  1400  schreibt  der  15.  römische  Ordo  für  Allerseelen  ausdrücklich  schwarze  Leviten- 
gewänder für  die  Ministri  vor5. 

Ob  auch  der  Papst  bzw.  die  Bischöfe  an  Bußtagen  ursprünglich 
ohne  Dalmatik  fungierten,  ist  nicht  ganz  klar.  Nach  dem  Ordo  Duchesnes  galt 
im  9.  Jahrhundert  als  Regel,  daß  die  Diakone  die  Dalmatik  und  die  Subdiakone 
die  Tunika  trugen,  so  oft  der  Papst  sich  der  Dalmatik  bediente,  daß  sie 
aber,  falls  der  Papst  eine  solche  nicht  anzog,  in  Albe  und  Planeta  fungierten6. 
Es  entsprachen  somit  Dalmatik  und  Tunika  bei  den  Ministri  der  Dalmatik 
beim  Pontifex.  Wenn  daher  erstere  in  der  Fastenzeit,  an  den  Bitttagen  und 
bei  ähnlichen  Gelegenheiten  statt  ihres  sonstigen  liturgischen  Obergewandes  die 
Planeta  trugen,  so  benutzte  also  wohl  auch  der  Papst  dann  die  Dalmatik 
nicht.  Eine  Bestätigung  scheint  diese  Schlußfolgerung  in  der  Rubrik  des 
1.  Ordo  Mabillons  zu  finden7:  Hora  autem  tertia  (seil,  feriae  V  in  Coena 
Domini)  ingressi  sacrarium  induuntur  dalmaticis  tarn  pontifex  quam  omnes 
diaconi.     Wenn   hier  nämlich   hervorgehoben  wird,    daß   am  Gründonnerstag 


1  Consuet.  Parfens.  (ed.  Albers)  124 195  200. 

2  M.  147,  38. 

3  Chevalier,  Ordinaire  et  coutumier 
de  l'eglise  cath.  de  Bayeux  41.  Das 
etwa  aus  derselben  Zeit  entstammende  Ordi- 
narium von  St-Lo  zu  Rouen  schreibt  für 
die  Totenmessen  Dalmatik  und  Tuniceila 
vor  (M.  147,  191).  Das  gleiche  tut  ein  Rituale 
von  Corbie  bei  M  a  r  t.  ,  Mon.  1.  5 ,  c.  10, 
n.  45 ;  IV  261 ;    dasselbe  wurde  zufolge  der 


Praefatio  Martenes  im  Jahre  1411  zusammen- 
gestellt. 

4  Vgl.  z.  B.  die  Inventare  von  Angers  in 
Revue  1885,  172  ff. 

'-  C.  132  (M.  78,  1346).  6  Orig.  456. 

7  N.  30  (M.  78 ,  951).  Vgl.  auch  die  in- 
haltlich gleiche  Angabe  im  Ordo  Duchesnes: 
In  eadom  die  hora  V  procedunt  ad  ecclesiam 
et  mutant  se  vestimentis  suis  tarn  pontifex 
quam  et  diaconi  cum  dalmaticis  (a.  a.  O.  466). 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


297 


Pontifex  und  Diakone  die  Dalmatik  zu  gebrauchen  hätten,  so  werden  an 
den  andern  Tagen  der  Fastenzeit  wohl  entsprechend  Pontifex  und  Diakone 
sie  nicht  getragen  haben.  Wie  dem  indessen  gewesen  sein  mag,  später 
galt  die  Unterscheidung  zwischen  vestes  quadragesimales  und  non  quadra- 
gesimales  nur  für  die  liturgische  Tracht  der  Ministri.  Wenn  in  der  Folgezeit 
in  den  liturgischen  Büchern,  Sakramentaren,  Pontifikalien ,  Ordinären  u.  a. 
oder  bei  den  Liturgikern  davon  die  Rede  ist,  daß  in  der  Fastenzeit  Dalmatik 
und  Tunicella  nicht  angezogen  würden,  so  wird  das  immer  nur  bezüglich  der 
Diakone  und  Subdiakone,  nicht  aber  bezüglich  der  Bischöfe  oder  des  Papstes 
gesagt.  Als  daher  das  Caeremoniale  der  Bischöfe  in  Beschreibung  der  Kar- 
freitagszeremonien bestimmte,  es  solle  der  Bischof  bei  denselben  mit  allen 
pontifikalen  Gewändern,  ausgenommen  die  Handschuhe  und  die  Pontifikal- 
sandalen,  angetan  sein,  also  auch  mit  Dalmatik  und  Tunicella1,  verordnete 
es  nur,  was  schon  seit  Jahrhunderten  Brauch  gewesen  war. 

Der  Ritus,  wonach  der  Bischof  den  Diakonanden  bei  der  Weihe  die 
Dalmatik  anlegt,  ist  in  seinen  Anfängen  sehr  alt.  In  Spanien  war  es  schon 
zur  Zeit  der  vierten  Synode  von  Toledo  Brauch,  daß  die  Diakone  bei  ihrer 
Weihe  außer  mit  dem  Orarium  auch  mit  der  Alba,  der  in  den  spanischen 
Kirchen  üblichen  diakonalen  Tunika ,  bekleidet  wurden 2.  Es  lag  in  der 
Tat  zu  nahe,  den  eben  geweihten  Diakon  mit  seinem  Amtsgewande  auszu- 
statten, als  daß  solches  nicht  im  Weiheritus  einen  Platz  hätte  erhalten  sollen. 

Für  Rom  wird  uns  die  Zeremonie  zuerst  in  dem  8.  und  9.  römischen 
Ordo  Mabillons  bezeugt.  Nach  dem  8.  Ordo  trug  der  zum  Diakon  zu  Weihende, 
weil  noch  Subdiakon,  beim  Beginn  seiner  Weihe  eine  tunica  alba  und  darüber 
die  planeta,  also  Albe  und  Kasel.  Letztere  wurde  ihm  dann  im  Verlauf  der 
heiligen  Handlung  ausgezogen,  dafür  aber  ihm  am  Schluß  derselben  die  dia- 
konale  Obertunika,  die  Dalmatik,  angelegt3.  Etwas  genauer  beschreibt  den 
Hergang  der  9.  Ordo.  Hiernach  befand  sich  das  indumentum  der  Ordinanden, 
d.  i.  die  Dalmatik,  anfangs  in  der  Hut  eines  ihnen  beigegebenen  Klerikers. 
Beim  Beginn  der  Weihe  überreichte  derselbe  das  Gewand  dem  Archidiakon, 
der  es  alsbald  dem  zu  weihenden  Diakon  übergab.  Dann  folgte  der  Weihe- 
akt, worauf  der  Archidiakon  den  Neugeweihten  die  Stola  umlegte  und  zuletzt 
der  Bischof  ihnen  die  Dalmatik  anzog.  Und  nun  standen  sie  da  induti  dia- 
conilia  indumenta,  wie  der  Ordo  sagt 4. 

Von  Rom  aus  verbreitete  sich  der  Brauch  allmählich  auch  im  übrigen 
Abendlande,  doch  dauerte  es  bis  ins  späte  Mittelalter,  ehe  er  sich  allgemein 
eingebürgert  hatte.  Der  Grund  hierfür  mag  gewesen  sein,  daß  die  Ministri 
die  Dalmatik  und  Tunika  nicht  ausnahmslos  bei  allen  Funktionen  trugen,  und 
daß  deshalb  diese  Gewänder  nur  als  ornamentum,  wie  Bruno  von  Segni 
sagt,  nicht  aber  als  Insignien,  als  Abzeichen  des  Ordo  galten. 


1  L.  2,  c.  25,  n.  6. 

2  Can.  28  (Hard.  III  586).    S.  oben  S.  253. 

3  N.  3  (M.  78,  1001). 

*  N.  2  (ebd.  1005).  Im  Text  heifst  es  aller- 
dings, und  zwar  in  allen  mir  bisher  zu  Gesicht 
gekommenen  Handschriften  wie  Drucken, 
von  denen  derjenige  Migne-Mabillons  der  un- 
genaueste ist:  Et  pontifex  induit  eos  planetis, 
doch  ist  planetis  offenbar  ein  Schreibfehler 
anstatt  dalmaticis,  da  es  unmittelbar  darauf 
heil.it:    et  staut  induti  diaconilia   indumenta, 


d.  i.  mit  der  den  Diakonen  eigenen  Dalmatik. 
Aber  auch,  was  in  n.  8  (ebd.  1008)  bezüglich 
der  Gewänder  gesagt  wird ,  mit  denen  der 
Diakon  bei  der  Weihe  bekleidet  wurde ,  be- 
weist, daß  statt  planetis  dalmaticis  zu  lesen 
ist :  Et  revestit  eos ;  si  enim  diaconi  ordi- 
nandi  sunt,  orarios  et  dalmaticas,  si  veropres- 
byteri.  orarios  et  planetas.  Die  Zeremonie 
wird  übrigens  in  n.  8  etwas  anders  dargestellt 
wie  in  n.  2,  doch  sind  die  Angaben  hier  er- 
sichtlich durcheinander  geworfen. 


298  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Vor  dem  12.  Jahrhundert  ist  in  den  liturgischen  Büchern  im  Weihe- 
ritus  des  Diakonats  nur  äußerst  selten  von  der  Bekleidung  mit  der  Dalmatik 
die  Rede,  im  Ritus  der  Subdiakonatsweihe  aber  von  der  Anlegung  der  Tunika 
nie.  Selbst  im  12.  und  13.  Jahrhundert  werden  diese  Zeremonien  noch  keines- 
wegs häufig  erwähnt.  Erst  seit  dem  14.  Jahrhundert  finden  sie  allgemeinere 
Aufnahme  in  den  Ritus  der  Diakonats-  und  Subdiakonatsweihe.  Recht  be- 
zeichnend für  die  geringe  Wertschätzung,  die  man  ihnen  entgegenbrachte,  ist, 
was  ein  um  1214  für  Apamea  in  Syrien1  geschriebenes  lateinisches  Pontifikale 
und  ein  in  der  vatikanischen  Bibliothek  befindliches  Pontifikale  von  Cagliari 
aus  dem  14.  bis  15.  Jahrhundert  hinsichtlich  der  Überreichung  der  Tunicella 
sagen:  Tradat  eis  tunicam,  si  paratam  habuerit2.  Nach  einem  dem  12.  Jahr- 
hundert entstammenden  Pontifikale  von  Besaneon  sollen  bei  ihrer  Weihe  nur 
diejenigen  Diakone  und  Subdiakone  mit  Dalmatik  und  Tunika  bekleidet  Averden, 
qui  in  monasteriis  morantur3,  d.  i.  welche  Kathedral-,  Stifts-  oder  Kloster- 
kirchen angehörten;  denn  monasteria  ist  hier  wohl  in  diesem  weiteren  Sinne 
zu  fassen,  also  im  Gegensatz  zu  kleineren  Kirchen  und  gewöhnlichen  Pfarr- 
kirchen, nicht  aber  bloß  im  engeren  Sinne  von  Klosterkirchen4.  Sollte  in- 
dessen monasteria  wirklich  in  dieser  letzten  Bedeutung  zu  nehmen  sein,  so 
dürfte  die  Rubrik  etwa  dahin  sich  erklären,  daß  die  diaconi  und  subdiaconi 
saeculares  von  selbst  und  ohne  weiteres  das  Recht  hatten,  Dalmatik  und 
Tunicella  zu  tragen,  daß  aber  die  dem  Mönchsstand  angehörenden  Diakone 
und  Subdiakone  dasselbe  erst  erhielten  durch  die  besondere  Übergabe  der 
Gewänder  bei  der  Weihe.  Ein  Pontifikale  von  Magalone  in  der  vatikani- 
schen Bibliothek  will  eigentümlicherweise,  daß  die  Tunika  allen  Neosubdia- 
konen  überreicht,  von  den  Neodiakonen  jedoch  nur  einer  mit  der  Dalmatik 
bekleidet  werde5.  Der  Codex  gehört  dem  15.  Jahrhundert  an  und  beweist,  wie 
wenig  Bedeutung  man  selbst  damals  noch  der  Zeremonie  hie  und  da  beilegte. 

Der  erste  Liturgiker,  welcher  der  Überreichung  der  Dalmatik  gedenkt, 
ist  Sicard  von  Cremona;  doch  geht  aus  seinen  Worten  klar  hervor,  daß  die 
Zeremonie  damals  noch  keineswegs  allgemein  gebräuchlich  war:  Dalmatica, 
si  cui  datur,  sollemnitatis  est  et  non  substantiae  6.  Die  Übergabe  der  Tuni- 
cella an  den  neugeweihten  Subdiakon  erwähnt  zuerst  von  den  alten  Liturgikern 
der  Verfasser  des  Tractatus  de  sacramento  altaris  7. 

Seit  wann  es  üblich  wurde,  mit  der  Zeremonie  einen  Begleitspruch  zu  ver- 
binden, wie  es  jetzt  geschieht,  läßt  sich  nicht  feststellen.  Der  8.  und  9.  rö- 
mische Ordo  Mabillons  und  der  Ordo  Duchesnes  enthalten  keinerlei  Andeutung 
eines  solchen.  Auch  im  Weiheordo  bei  Hittorp  findet  sich  noch  kein  der- 
artiges Gebet,  wie  man  überhaupt  in  den  liturgischen  Büchern  bis  zum  12.  Jahr- 
hundert niemals  ein  solches  antrifft.  Selbst  in  den  Pontifikalien  des  12.  Jahr- 
hunderts ist  ein  die  Zeremonie  begleitendes  Gebet  noch  eine  durchaus  ver- 
einzelte Erscheinung. 

Am  frühesten  scheint  ein  Gebet  bei  Übergabe  der  Tunika  an  den  Neo- 
subdiakon  aufgekommen  zu  sein.    Es  läßt  sich  bis  ins  12.  Jahrhundert  nach- 


1  Mart.    1.    1,    c.    8,    art.    11,    ordo  14;          ins    spätere  Mittelalter   nur    die    Subdiakone 

II    70.  der  Kathedrale   und    die  Äbte ,    welche  Sub- 

-  Cod.  Vat.  Lat.  4747,  f.  13v.    Ebenso  5791  diakone  waren,    die    alba,    d.   i.  die  Tunika, 

(13— 14f)  f.  38  a.  tragen  durften  (s.  oben  S.  285). 

3  Mart.   1.    1,    c.    8,    art.  11,    ordo  10;             6  Cod.  Vat.  Ottob.  330,  f.  52". 

II   62.  B  Mitralis  1.  2,  c.  2  (M.  213,  04). 

*  Man  erinnere  sich,   daß  zu  Mailand  bis             7  C.  5  (M.  172,  1277). 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella.  299 

weisen;  denn  wir  begegnen  einem  solchen  schon  in  dem  vorhin  erwähnten 
Pontifikale  von  Besancon,  im  Tractatus  de  sacramento  altaris  und  bei  Sicard 
von  Cremona.  Im  Tractatus  lautet  es:  Induat  te  vestimento  salutis  et  in- 
dumento iustitiae  circumdet  te  semper.  Im  Pontifikale  von  Besancon  und  bei 
Sicard  lautet  es  etwas  abweichend:  Tunica  iucunditatis  et  indumento  laetitiae 
induat  te  Dominus.  Es  ist  dies  dasselbe  Gebet,  welches  später  ins  römische 
Pontifikale  Eingang  fand.  Bemerkenswert  ist,  daß  von  den  Pontifikalien, 
welche  bereits  die  Übergabe  der  Tunika  in  den  Ritus  der  Subdiakonatsweihe 
aufgenommen  haben,  manche  selbst  noch  im  14.  Jahrhundert  eines  die  Zere- 
monie begleitenden  Gebetes  entbehren.  Erst  im  15.  wird  ein  solches  in  den 
Weiheordines  allgemein. 

Im  Ritus  der  Diakonatsweihe  konnten  wir  ein  Gebet  für  die  Über- 
gabe der  Dalmatik  erst  im  14.  Jahrhundert  nachweisen.  Eines  der  frühesten 
Beispiele  bietet  der  14.  Ordo  Mabillons 1.  Die  Pontifikalien  begnügen  sich 
bis  dahin  regelmäßig  mit  der  kurzen  Rubrik:  Hie  traditur  dalmatica,  cum 
consecrati  fuerint,  induantur  dalmatica,  oder  ähnlichem.  Noch  im  15.  Jahrhundert 
fehlt  das  Gebet  mehrfach.  Die  Sache  ist  auffallend.  Ob  vielleicht  die  Er- 
klärung darin  zu  suchen  ist,  daß  es,  nachdem  sich  der  Unterschied  zwischen 
Dalmatik  und  Tunicella  bezüglich  der  Form  verwischt  hatte,  als  überflüssig 
betrachtet  wurde,  auch  noch  die  Anlegung  der  Dalmatik  mit  einem  besondern 
Gebet  zu  begleiten?  Das  Gebet,  welches  die  Pontifikalien  des  14.  und  15.  Jahr- 
hunderts für  die  Zeremonie  angeben,  hat  einen  verschiedenen  Wortlaut.  Am 
häufigsten  kommen  vor:  Induat  te  Dominus  novum  hominem ,  qui  seeundum 
Deum  creatus  est  in  iustitia  et  sanetitate  veritatis,  und :  Induat  te  Dominus 
vestimento  salutis  et  indumento  laetitiae  circumdet  te.  In  nomine  etc.  Aus 
dem  letzteren,  welches  sich  auch  im  14.  Ordo  Mabillons  findet  und  also  schon 
wenigstens  im  14.  Jahrhundert  zu  Rom  gebräuchlich  war,  hat  sich  das  Gebet 
entwickelt,  welches  das  römische  Pontifikale  jetzt  den  Bischof  sprechen  läßt, 
wenn  dieser  den  Neodiakon  mit  der  Dalmatik  bekleidet. 

XI.    URSPRUNG  DER  DALMATIK  UND  TUNICELLA. 

Ihren  Ursprung  hat  die  Dalmatik  von  einem  gleichnamigen  Gewände 
genommen,  das  zur  Zeit  der  Antonine,  also  etwa  im  Verlauf  des  2.  Jahr- 
hunderts, zu  Rom  in  Gebrauch  kam.  Diese  profane  Dalmatik  war  kein  ein- 
heimisches Kleidungsstück,  sondern  wurde  wie  so  manches  andere  zur  Kaiser- 
zeit von  außen  nach  Rom  importiert.  Schon  Kommodus  und  Heliogabal 
bedienten  sich  ihrer,  wenn  sie  in  der  Öffentlichkeit  auftraten,  wie  deren  Bio- 
graph berichtet,  ein  Vorgehen,  das  natürlich  der  weiteren  Verbreitung  des 
Gewandes  nur  förderlich  sein  konnte2. 

Die  Dalmatik  war  eine  Tunika,  und  zwar  im  Gegensatz  zu  der  bei  den 
Römern  von  alters  her  gebräuchlichen  Tunikaart,  die  zur  Vervollständigung 
einen  Um-  oder  Überwurf  erheischte,  eine  Obertunika,  etwa  im  Sinne  unseres 
Überrockes.  Natürlich  hindert  nichts,  auch  zu  ihr  einen  Mantel  zu  tragen, 
was  denn  auch  tatsächlich  oft  geschah.  So  berichten,  wie  wir  schon  hörten, 
die  Akten  der  Hinrichtung  des  hl.  Cyprian,  der  Heilige  sei,  da  er  auf  dem 
Richtplatz  erschien,  mit  der  Untertunika,  der  Dalmatik  und  der  Lacerna,  einer 
vorn   aufgeschlitzten  Mantelart,    bekleidet  gewesen3.     Eine  Toga   findet   sich 


1  N.  103  (M.  78,  1234).  2  Hist.  Aug.  Comm.  8,  8;  Heliog.  26,  2.    Vgl.  auch  Pert.  8,  2. 

3  S.  oben   S.  65. 


300 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Öbergewänder. 


über  der  unteren  Tunika  und  Dalmatik  bei  den  Statuen  zweier  Adile  im 
Kapitolinischen  Museum  zu  Rom  (Bild  139).  Ebenso  gewahren  wir  bei  Dar- 
stellungen der  Konsuln  auf  den  Konsulardiptychen  über  der  nicht  selten  reich 
gemusterten  Dalmatik  eine  Toga,  und  zwar  meist  eine  solche  von  der  Art 
der  zwar  prächtigen,  aber  in  Bezug  auf  die  Form  bereits  stark  verbildeten 
toga  picta  des  4.  und  5.  Jahrhunderts  (Bild  140) 1. 

Die  Dalmatik  wurde  sowohl  nach  Ausweis  der  Monumente  wie  des  Maximal- 
tarifs Diokletians  nicht  nur  von  Männern,  sondern  auch  von  Frauen  getragen. 
Die  Männerdalmatik  wrar  ursprünglich  etwas  kürzer  als  die  Frauendalmatik. 
Wo  auf  den   älteren  Malereien  der  Katakomben   bei  Männern   eine  Dalmatik 

vorkommt,  was  übrigens  nur  selten  der 
Fall  ist ,  geht  sie  nur  bis  etwa  zur 
Mitte  des  Schienbeins.  Allmählich  nahm 
jedoch  die  Männerdalmatik  an  Länge 
zu,  bis  sich  zuletzt  in  Bezug  auf  diese 
zwischen  der  Dalmatik  der  Männer  und 
Frauen  kaum  mehr  ein  Unterschied  be- 
merklich machte. 

Gegürtet  wurde  die  Dalmatik  nicht 
oder  doch  nur  ausnahmsweise.  Die 
Ärmel  waren  weit,  aber  anfänglich  nur 
mäßig  lang,  indem  sie  gewöhnlich  nur 
bis  zum  Ellenbogen  oder  bis  zur  Mitte 
des  Unterarms  reichten  und  so  den  von 
der  unteren  Tunika  bedeckten  Vorderarm 
zum  Vorschein  kommen  ließen.  Dann 
gewannen  die  Ärmel  an  Länge,  und 
zwar,  wie  es  scheint,  rascher  bei  der 
Frauen-  als  bei  der  Männerdalmatik, 
doch  müssen  sie  auch  bei  dieser  schon 
eine  gute  Weile  vor  Beginn  des  6.  Jahr- 
hunderts den  ganzen  Arm  bedeckt  haben ; 
denn  sonst  hätte  sich  wohl  schwerlich 
die  um  diese  Zeit  entstandene  Erzäh- 
lung der  Silvesterlegende,  von  der  früher 
die  Rede  war,  bilden  können. 

Als  Material  zur  Anfertigung  der 
Dalmatik  dienten  für  gewöhnlich  Lein- 
wand und  Wollzeug2,  doch  gab  es  auch  halbseidene  und  seidene  Dalmatiken. 
Daß  es  nicht  immer  feine  Stoffe  waren ,  die  zur  Herstellung  des  Gewandes 
gebraucht  wurden,  bekundet  der  Maximal tarif,  wenn  er  neben  andern  auch 
rauhhaarige  Männerdalmatiken  aufführt 3. 

Wollte  man  der  Dalmatik  eine  Verzierung  geben,  so  versah  man  sie 
auf  der  Vorder-  und  Rückseite  mit  je  einem  oder  gewöhnlicher  mit  je  zwei 
Vertikalstreifen.  Außerdem  pflegte  man  in  diesem  Fall  gern  um  den  Rand 
der  Ärmel  herum  einen  oder  zwei  Besätze  anzubringen.  Beliebt  waren  nament- 
lich purpurne  Zierstreifen.     Notwendig  waren  diese  Verzierungen,  clavi  ge- 


Bild  139.     Adil,  das  Zeichen  gebend. 
Rom,  Kapitol. 


1  Andere  Abbildungen    bei    Wilp.,    Gap. 
3  ff. 

2  Edict.  Dioclet.  ed.  Mommsen -BKimner 


XIX,   9    14  28  30;   XXVI,   39—43   49—53 
59-63,  p.  150  152  153  170. 
8  Ebd.  XIX,  30,  p.  153. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tunicella. 


301 


iiannt,  nicht ;  denn  der  Maximaltarif  verzeichnet  sowohl  Dalmatiken  mit  Streifen 
aus  Purpunvolle  wie  daÄ/iazixäQ  äor/tj.o>jq,  streifenlose  Dalmatiken.  Ebensowenig 
bildeten  sie  einen  der  Dalmatik  ausschließlich  zukommenden  Schmuck.  Nur 
das  Gewand,  nicht  dessen  Ornament,  war  aus  der  Fremde  nach  Rom  gekommen; 
die  clavi,  Streifen,  ein  altrömischer  Schmuck  der  Tunika,  waren  echt  römisch; 
man  denke  nur  an  den  latus  clavus  der  Senatoren  und  den  angustus  clavus 
der  Ritter.  Die  Streifen  waren,  wie  die  Monumente  bekunden,  durchweg 
schmal,  indessen  kamen  auch  wohl  breitere  clavi  vor. 

Ein  spezifisches  Gewand  bestimmter  Personen  von  Stand  scheint  die 
Dalmatik  nie  gewesen  zu  sein,  es  müßten  denn  die  Senatoren  sie  an  Stelle 
ihrer  ungegürteten ,  mit  breiten  Purpurstreifen  verzierten  Standestunika,  der 
sog.  tunica  laticlavia,  angenommen  haben.  Immerhin  wurde  sie  als  Überrock 
nur  von  Leuten  aus  besseren  Klassen  getragen, 
und  so  kann  es  natürlich  nicht  auffallen,  wenn 
wir  sie  auch  beim  Gottesdienst  in  Gebrauch  kommen 
und  zum  liturgischen  Gewände  werden  sehen. 

Bezüglich  der  Heimat  der  Dalmatik  sagt  Isidor 
von  Sevilla  in  seinen  Etymologien:  Dalmatica 
vestis  primum  in  Dalmatia,  provincia  Graeciae,  texta 
est.  In  der  Tat  weist  der  Name  des  Gewandes  auf 
Dalmatien  als  seinen  Herkunftsort  hin 1.  Woher 
Isidor  seine  Angabe  hat,  ob  er  sie,  wie  so  viele 
andere  Erklärungen,  einem  älteren  Schriftsteller 
oder  dem  Namen  dalmatica  entnahm,  ist  unbekannt. 
Sie  ist  eine  stereotype  Redensart  geworden,  mit 
der  später  die  Liturgiker  immer  wieder  ihre  Aus- 
führungen über  die  Dalmatik  einzuführen  pflegten. 

Neben  ihren  gewöhnliehen  Namen  soll  die  Dal- 
matik bisweilen  die  Benennung  colobium ,  colobus  ge- 
führt haben.  Auffallend  wäre  das  in  keiner  Weise; 
pflegt  man  ja  doch  auch  sonst  im  praktischen  Leben, 
dem  die  exakte  Sprache  der  Wissenschaft  fern  liegt, 
gern  die  Benennungen  verwandter  Gegenstände  miteinan- 
der zu  vertauschen.  Man  denke  nur  an  die  modernen 
Namen  mancher  Kleidungsstücke.  Auch  ist  aus  der  täg- 
lichen Erfahrung  bekannt,  wie  sehr  die  Ausdrücke  nicht 
bloß  nach  Zeiten,  sondern  auch  nach  Orten  wechseln. 
So  ist  es  jetzt,  so  war  es  früher.  Im  vorliegenden  Fall  aber  war  eine  Vertauschung 
der  Namen  um  so  leichter  möglich,  als  man  mit  colobium  (von  -/.oXoßo?,  verstümmelt, 
beschnitten,  zugestutzt)  an  sich  und  zunächst  zwar  eine  ärmellose  Tunika  bezeich- 
nete2, bisweilen  jedoch  auch  eine  kurzärmelige3.  Wirklich  scheint  im  Maximaltarif 
Diokletians  4  colobium  nur  ein  anderer  Name  für  die  Männerdalmatik  zu  sein.  Ebenso 
dürfte  im  Theodosianischen  Kleideredikt  vom  Jahre  382,  in  welchem  den  Senatoren 
gestattet  wird5,  sich  außeramtlich  des  Colobium  zu  bedienen,  dieses  Colobium  die 
Männerdalmatik  bedeuten.  Dagegen  sind,  wie  es  scheint,  im  angeblichen  Dekret  des 
Papstes  Eutychian,   wonach   die  Märtyrer   non   sine   dalmatica  aut  colobio   purpurato 


Bild  140. 

Diptychon  des  Konsuls  Felix. 

Paris,  Nationalbibliothek. 


1  Isid.,  Etymol.  1.  19,  c.  22  (M.  82,  684). 

2  Doroth.,  De  doctrina  c.  12  (Mg.  88, 
1632).  Rufin.,  Hist.  monach.  c.  3  (M.  21, 
407).  Nach  Dorotheus  war  das  Colobium 
der  Mönche  mit  Purpurstreifen  versehen.  Bei 


Rufmus  wird  es  mit  einem  linnenen  Sack 
verglichen. 

3Cassian,  De  coenob.  inst.  1.  1,  c.  5 
(M.  49,   69). 

J  Edict.  XXVI  39.  5  S.  oben  S.  245. 


3()2  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

bestattet  werden  sollten  '.  und  ebenso  bei  Eusebius  -  Colobinm  und  Dalmatik  zwei 
verschiedene ,  wenngleich  der  Art  nach,  verwandte  Kleidungsstücke.  Auf  keinen  Fall 
aber  bezeichnet  die  tunica  pectoralis  sine  manicis,  von  der  bei  Ammianus  Marcellinus 
die  Rede  ist 3,  eine  Dalmatik ,  wie  man  gesagt  hat.  Sowohl  der  Zusammenhang,  in 
dem  sie  als  regale  indumentum  erscheint ,  wie  die  nähere  Bestimmung  pectoralis 
schließen  durchaus  eine  solche  Bedeutung  aus. 

Der  Ursprung  der  Tunika  bedarf  keiner  Darlegung.  Das  Gewand  ist 
nichts  als  eine  Nachbildung  der  liturgischen  Dalmatik,  wobei  bloß  die  clavi 
weggelassen  wurden. 

XII.    DIE  TUNIKA   DER   DIAKONE  UND   SUBDIAKONE  IN  DEN   RITEN 
DES  OSTENS.     DER  SAKKOS. 

In  den  Riten  des  Ostens  ist  bei  den  Diakonen  und  Subdiakonen  nie  eine 
Obertunika  im  Sinne  der  Dalmatik  und  Tunicella  gebräuchlich  gewesen. 
Allerdings  hat  wenigstens  gegenwärtig  die  Tunika,  welche  dieselben  bei  der 
Liturgie  über  der  Alltagskleidung  tragen,  insofern  mit  der  Dalmatik  und  Tuni- 
ceila, wie  diese  im  Mittelalter  beschaffen  waren,  einige  Ähnlichkeit,  als  auch 
sie  nicht  gegürtet  wird,  Ärmel  von  mittlerer  Weite  besitzt  und  häufig  nicht 
mehr  weiß,  sondern  farbig  ist.  Nichtsdestoweniger  ist  die  diakonale  und  sub- 
diakonale  Tunika  in  den  Kirchen  des  Ostens  nach  ihrer  ganzen  geschichtlichen 
Erscheinung  im  wesentlichen  nicht  ein  Gegenstück  der  Dalmatik  und  Tunicella, 
sondern  der  lateinischen  Albe.  Nur  insofern,  als  sie  über  der  Alltagskleidung 
getragen  wurde  und  wird,  kann  man  sie  in  gewissem  Sinn  als  Obertunika 
bezeichnen ;  also  nicht  mit  Rücksicht  auf  eine  liturgische  untere  Tunika,  wie 
sie  im  Abendland  in  Gestalt  der  Albe  in  Gebrauch  war  und  ist,  sondern  mit 
Bezug  auf  die  Tunika  des  geAvöhnlichen  Lebens  •*. 

Eine  wirkliche  Obertunika  ist  aber  der  pontifikale  Sakkos,  der  freilich 
nur  im  griechischen  Ritus  gebräuchlich  ist.  Bei  den  Italo-Griechen,  den  Russen 
Ruthenen  und  Bulgaren  wird  dieses  Gewand  von  allen  Bischöfen  getragen, 
bei  den  Graeco-Melchiten  und  den  Griechen  bildet  es  dagegen  eine  Aus- 
zeichnung des  Patriarchen  und  der  Metropoliten. 

Der  Sakkos  ist  der  lateinischen  Dalmatik  durchaus  verwandt.  Wie  das 
Phelonion  folgt  er  jetzt  der  liturgischen  Tagesfarbe,  soweit  es  eine  solche  im 
griechischen  Ritus  gibt.  Seine  Ärmel  sind  weit  und  wie  bei  der  römischen 
Form  der  Dalmatik  gewöhnlich  geschlossen.  An  den  Seiten  des  Gewandes 
aber  pflegen  behufs  bequemeren  Anziehens  Schlitze  angebracht  zu  werden. 
Der  Sakkos  ist,  wie  es  scheint,  im  Laufe  des  11.  Jahrhunderts  in  Gebrauch 
gekommen.  Seine  früheste  Erwähnung  findet  er  bei  Balsamon  5.  Auf  Bild- 
werken kommt  das  Gewand  erst  im  14.  Jahrhundert  vor,  wenigstens  sind 
uns  bis  jetzt  ältere  nicht  bekannt  geworden.  Allerdings  hat  Rohault  de  Fleury 
zwei  Miniaturen  mit  Darstellungen  des  Sakkos  abgebildet,  welche  er  dem 
11.  Jahrhundert  zuschreibt6.    Eine  von  ihnen  gehört  einer  Homiliensammlung 


1  Du  eh.,  L.  P.  I  159.  II  208  und  Wilp.,    Gew.  37  sowie  Wilp., 

2  Haeres.  1.  1 ,  c.  15  (Mg.  41,  245):  o.XX  Kat.  88,  wo  das  Gewand  als  Dalmatik  auf- 
ixsedyj    axoXaq  el'r    oUv  ainzsyövaq  oi   rotoüroc  gefaßt  wird. 

äfsßäXXouro   y.ai   daXij.axvi.aq   eir    ouv   y.oXoßi-  *  Näheres   über   die   Tunika    der   Diakone 

uyjaq  ix   -XaTuirfjijMiv  diä   -nppupaq   AXoupyo-  und  Subdiakone    in   den  Riten  des  Ostens  s. 

6<püq  7.azeo?.eua.ij.ivo.q.     Die    Worte    ix   nXa-  oben  S.  92  ff. 

Tuarj/j.vif  xrX.  gehören   nach  dem  Zusammen-  6  Meditata    (Mg.  138,  1021   1025).     Resp. 

hang  auch  zu  crxoXij.q  sl'r'  oij'j  d/j.-e%övaq.  ad  Marc.  Alex.  n.  37  (ebd.  990). 

3  Rer.   gest.    14,    9.     Vgl.    dazu   Realenc.  ''■  Roh.  VII,  pl.  dxliii. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


303 


Gregors  von  Nazianz  in  der  Nationalbibliothek  zu  Paris,  die  zweite  einem 
Rotel  mit  der  Liturgie  des  hl.  Johannes  Chrysostomus  in  der  Bibliothek  zu 
Genf  an.  Allein  er  hat  das  Alter  beider  Miniaturen  um  ein  bedeutendes  zu 
hoch  angesetzt;  denn  anstatt  dem  11.  entstammt  die  Pariser  Handschrift  dem 
14.,  die  Genfer  aber  sogar  erst  dem  15.  Jahrhundert1. 

Anfangs  war  der  Sakkos,  wie  aus  den  Angaben  Balsamons  hervorgeht,  ein 
ausschließlich  patriarchales  Ornatstück ;  er  blieb  ein  solches  jedoch  nicht  lange ; 
denn  schon  im  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  hatten  einzelne  Metropoliten  das 
Recht,  ihn  zu  tragen.  Eine  Korrespondenz  zwischen  dem  Metropoliten  Caba- 
silas  von  Dyrrhachium  und  dem  Metropoliten  von  Bulgarien,  Demetrius  Choma- 
tenus,  bekundet  das 2.  Indessen 
war,  wie  sich  gleichfalls  aus 
diesem  Briefwechsel  ergibt,  den 
Metropoliten  der  Gebrauch  des 
Sakkos  nur  in  sehr  beschränk- 
tem Umfang,  weil  bloß  an  den 
drei  hohen  Pesten,  Weihnachten, 
Ostern  und  Pfingsten,  gestattet. 
Auf  die  Anfrage  des  Cabasilas,  ob 
das  Gewand  auch  purpurn  sein 
dürfe,  antwortet  nämlich  Choma- 
tenus  verneinend,  weil  die  Pur- 
purfarbe Ausdruck  und  Zeichen 
der  Trauer  sei,  der  Sakkos  aber 
bloß  an  den  angeführten  drei 
Festtagen  getragen  werden  dürfe. 
Übrigens  stand  das  Gewand  noch 
im  Beginn  des  15.  Jahrhunderts 
keineswegs  schlechthin  allen  Me- 
tropoliten zu.  Wie  Simeon  von 
Saloniki  sagt,  kam  es  damals 
vielmehr  lediglich  den  „exxpcrot 
tojv  äpyuzpimv" ,  den  hervor- 
ragendsten unter  den  Erzbischö- 
fen, den  „iiaipavoc  zcov  dpyi- 
stuoxükwv"  zu3.  Die  andern 
Metropoliten  bedienten  sich  statt 
seiner  des  nokuaraüpiov  4.  Bis 
gegen  Ende  des  Mittelalters  erscheint  der  Sakkos  nur  selten  auf  den  Monu- 
menten. Der  Grund  ist  in  dem  Gesagten  angedeutet.  Solange  er  noch  ein  Sonder- 
gewand weniger  Personen  war,  hatte  er  für  die  darstellende  Kunst  zu  wenig 
Bedeutung,  als  daß  man  eine  häufigere  Wiedergabe  desselben  für  diese  Zeit 
erwarten  könnte.  Zwei  Bildwerke  mit  Abbildungen  des  Gewandes  aus  dem 
14.  bzw.   15.  Jahrhundert  wurden  schon  erwähnt.     Bei  beiden  ist  der  Sakkos 


Bild  141.     St  Johannes  Chrysostomus.     Mosaik. 
Venedig,  S  Marco. 


1  Genauen  Aufschluß  über  die  Genfer 
Handschrift  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn 
Professor  E.  A.  Stiickelberg  zu  Basel.  Die 
Pariser  habe  ich  selbst  eingesehen ;  sie  wird 
übrigens  auch  in  dem  neuen,  von  Omont  an- 
gefertigten Katalog   der   griechischen  Manu- 


skripte der  Nationalbibliothek  als  dem  14.  Jahr- 
hundert angehörend  bezeichnet. 

2  Mg.  119,  949. 
. ' 3  De  div.  templo  c.  43  und  Resp.  ad  Gabr. 
Pentapol.  q.  19   (Mg.  155,  716  872). 

*  S.  oben  S.  237. 


304 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


mit  Kreuzen  geschmückt,  die  im  Unterschied  von  den  Kreuzen,  wie  sie  bei  den 
Polystaurien  vorkommen,  von  einem  Kreis  umrahmt  sind,  eine  Eigentümlichkeit, 
welche  wir  bei  ihm  übrigens  auch  sonst  nicht  selten  auf  den  Monumenten  an- 
treffen. Eine  andere,  auch  historisch  sehr  interessante  Darstellung  des  Gewandes 
aus  dem  15.  Jahrhundert  findet  sich  auf  einem  Fresko  in  S.  Maria  Novella  zu 
Florenz,  dem  Grabmonument  des  Patriarchen  Joseph  von  Konstantinopel,  der 
am  Unionskonzil  zu  Florenz  teilgenommen  hatte,  aber  vor  der  Rückkehr  in 
die  Heimat  am  10.  Juni  1439  starb  und  in  S.  Maria  bestattet  wurde.  Das 
Gemälde  gibt  den  Patriarchen  in  Lebensgröße  in  seiner  patriarchalen  Gewandung 
wieder.  Von  sonstigen  Monumenten  des  späten  Mittelalters  mit  Abbildungen 
des  Sakkos  seien  nur  noch  die  Mosaiken  in  der  Cappella  Zeno  von  S.  Marco 
mit  der  Darstellung  des  hl.  Johannes  Chrysostomus  erwähnt  (Bild  141,  S.  303). 
Bemerkenswert   ist,    daß   gerade   dieser  Heilige  vornehmlich  im    Sakkos   ab- 


Bild  142.     Griechische  Tafelmalerei.     Roin,  Vatikan  (Museo  cristiano). 


gebildet  wird.  Ein  griechisches  Tafelgemälde  im  Museo  cristiano  des  Vatikans, 
worauf  wir  ihn  ebenfalls  in  diesem  Gewand  erblicken ,  bringen  wir  zur 
Wiedergabe  (Bild  142),  weil  hier  die  Kreuze  des  Sakkos  gegen  die  Gewohn- 
heit der  kreisförmigen  Einfassung  entbehren.    Von  Bock  irrig  dem  13.  Jahr- 


hundert  zugeschrieben  1, 


gehört  es  in  Wirklichkeit  frühestens  dem  Ausgang 


des  Mittelalters,  richtiger  aber  wohl  erst  dem  16.  Jahrhundert  au. 

Ein  wirklicher  Sakkos  aus  dem  Mittelalter  hat  sich  in  St  Peter  zu 
Rom  erhalten.  Er  wurde  seinerzeit  von  Bock  unter  dem  falschen  Namen 
„Kaiserdalmatik"  in  dem  Prachtwerk  „Die  Kleinodien  des  heiligen  römischen 
Reiches  deutscher  Nation"  in  guten  Abbildungen  veröffentlicht2.    Das  Gewand 


1  Reichski.  109. 

2  Tfl  18  19,  dazu  im  Textband  S.  95  bis 
110.  Die  ganze,  für  ein  Stück  wie  dieses 
Gewand    schon    recht    bedeutende    Literatur 


ist  gut  zusammengestellt  bei  A.  Colasanti, 
Nuovi  riscontri  sulla  Dalmatica  Vaticana,  in 
Nuovo  Bollettino  di  archeologia  christiana 
VI II,  Roma  1902,  155. 


Zweites  Kapitel.     Dalmatik  und  Tuniceila. 


305 


kam  im  dritten  Viertel  des  15.  Jahrhunderts  in  den  Schatz  von  St  Peter  und 
entstammt  etwa  dem  Ende  des  14.  oder  dem  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  *. 
Aus  schwerem  blauen  Seidenstoff  gearbeitet,  ist  es  über  und  über  mit  vor- 
züglichen Bildstickereien  geschmückt.  Auf  den  Schulterstücken  ist  die  Aus- 
spendung des  heiligen  Sakramentes  durch  Christus  an  die  Apostel  unter  den 
Gestalten  von  Brot  und  Wein  dargestellt,  auf  der  Vorderseite  die  Verklärung 
auf  Tabor,  auf  der  Rückseite  Christus,  umgeben  von  Engeln  und  von  Heiligen 
aus  allen  Ständen  in  der  himmlischen  Glorie.  In  den  Zwickeln  unter  dem 
letzten  Bild  befinden  sich  links  Abraham  als  Seelenvater,  rechts  der  gute 
Schacher  mit  dem  Kreuz  auf  der  Schulter.  Bemerkenswert  ist,  daß  das 
Gewand,  ähnlich  wie  die  deutsche  Dalmatik,  nicht  nur  an  den  Seiten,  sondern 
auch  unter  den  Armen  offen  ist.  Wie  es  den  Anschein  hat,  war  dem  von 
Anfang  so,  und  sind  die  Ärmel  nicht  erst  in  späterer  Zeit  aufgeschlitzt  worden. 
Ferner  ist  die  blaue  Farbe  des  Sakkos  beachtenswert.  Zur  Zeit,  da  das 
Gewand  entstand,  war  der  Brauch  bezüglich  seiner  Farbe  ersichtlich  schon 
minder  streng  geworden. 

Ein  anderer  mittelalterlicher,  reich  bestickter  Sakkos  hat  sich  zu  Moskau 
erhalten;  er  stammt  aus  dem  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  (ca  1417) 2. 

Wie  es  zur  Einführung  des  Sakkos  gekommen  ist,  darüber  liegen  Nach- 
richten nicht  vor.  Sicher  ist  solches  jedoch  nicht  ohne  Mitwirkung  des  Kaisers 
geschehen.  Der  Sakkos,  der  Abkömmling  der  reich  bestickten  Dalmatik  der 
Konsuln,  von  der  uns  die  Konsulardiptychen  ein  Bild  hinterlassen  haben,  war 
ein  den  Kaisern  eigenes  Prachtgewand 3.  Wir  finden  diese  häufig  auf  den 
byzantinischen  Bildwerken  in  demselben  dargestellt i.  Es  liegt  darum  auf  der 
Hand,  daß  die  Patriarchen  ihn  nicht  ohne  Erlaubnis  der  Kaiser  in  Gebrauch 
nehmen  konnten,  am  wenigsten  aber  der  Hofpatriarch  zu  Konstantinopel. 
Wenn  wir  daher  den  Sakkos  im  12.  Jahrhundert  auch  bei  den  Patriarchen 
antreffen ,  so  läßt  sich  das  nur  unter  Annahme  der  Verleihung  eines  dies- 
bezüglichen Privilegs  seitens  des  Kaisers  erklären,  durch  welches  die  Patriarchen 
vor  allen  andern  besonders  ausgezeichnet  und  als  gewissermaßen  neben  den 
Kaisern  stehend  hingestellt  werden  sollten.  Es  verdient  hervorgehoben  zu 
werden,  daß  das  Gewand  zu  einer  Zeit  auf  dem  Plan  erscheint,  da  der  Ab- 
fall der  griechischen  Welt  von  Rom  vollkommen  geworden  war,  und  es  den 
Kaisern  darum  zu  tun  sein  mußte,  nunmehr  ihre  Patriarchen  auch  in  deren 
äußerer  Erscheinung  irgendwie  als  die  Päpste  des  Ostens  zu  charakterisieren. 


1  Näheres  über  das  Auftreten  des  Sakkos 
im  Schatz  von  St  Peter,  sein  Alter  und  seine 
ursprüngliche  Bestimmung  in  des  Verfassers 
Aufsätzen:  Das  Alter  der  sog.  Kaiserdalmatik 
im  Schatz  von  St  Peter,  in  „Stimmen  aus 
Maria-Laach"  LVII  (1899)  575  ff,  und  La 
dalmatique  du  tresor  de  St-Pierre,  in  Revue 
1901,  52  ff.  Colasanti  hat  in  jüngster  Zeit 
versucht,  nachzuweisen,  daß  der  Sakkos  im 
11.  Jahrhundert  entstanden  sei.  Sein  Ver- 
such kann  nicht  als  geglückt  bezeichnet 
werden.  Der  ganze  Beweis  Colasantis  gründet 
sich  auf  eine  Auswahl  von  Miniaturen,  einige 
völlig  ungenügende  Ausführungen  über  die 
byzantinischen  Seidenwebereien  und  ein  ein- 
ziges, hier  bedeutungsloses  palermitanisches 
Inventar.  Ungleich  belangreichere  sind 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


unberücksichtigt  geblieben  ,  die  späteren 
griechischen  Stickereien,  Tafelgemälde,  Wand- 
malereien und  Mosaiken  in  keiner  Weise 
herangezogen. 

2  Mitteilungen  der  Gesellschaft  für  alt- 
russische Kunst  1874,  45  und  Repertorium 
für  Kunstgeschichte  XV  376. 

3  Codin.,  De  offic.  palat.  constant.  c.  6  17 
(Mg.  157,  69  104). 

4  Vgl.  z.B.  G.  Schlumberger,  L'öpopee 
byzantine  ä  la  fln  du  Xe  siecle  I,  Paris  1896, 
45  81  141;  Wilp.,  Cap.  91  93;  N.  Konda- 
koff ,  Geschichte  des  byzantinischen  Emails, 
Frankfurt  1892,  146  245;  H.  V.  Sauerland 
und  A.  Haseloff,  Der  Psalter  Erzbischof 
Egberts  von  Trier  TU  45;  D.  C.  X,  Tfl  5  6; 
Gräven  I,  Nr  57  73. 

20 


306  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewiinder. 

DRITTES  KAPITEL. 

DAS   PLUVIALE. 

I.   DAS  PLUVIALE  NACH  GEGENWÄRTIGEM  BRAUCH. 

Das  Pluviale   (pluviale,  cappa)   ist   ein  bis  zu  den  Füßen  reichender, 

"vorn  geöffneter,  mit  Schließen  vor  der  Brust  befestigter  liturgischer  Mantel. 

Es     heißt     auch    wohl     Chor  kappe,    Vesper  mantel,     Rauchmantel, 

Benennungen ,    welche    sich    aus    den    Punktionen    erklären ,    bei    denen    es 

gebraucht  wird. 

Die  Länge  des  Gewandes  beträgt  etwa  1,40  m.  Ausgebreitet  stellt  es 
so  ziemlich  einen  Halbkreis  dar.  Die  Geradseite  entlang,  an  welcher  nach  der 
Mitte  hin  die  Schließen  zur  Befestigung  des  Gewandes  angenäht  werden, 
zieht  sich  ein  breiter  Besatzstreifen.  Im  Nacken  ist  das  Pluviale  mit  dem 
sog.  Schild ,  d.  i.  einem  schildförmigen ,  über  den  Bücken  herabhängenden 
Stoffstück,  versehen,  welcher  bald  an  dem  Rande  des  Gewandes  selbst,  bald 
unterhalb  des  die  Geradseite  begleitenden  Besatzes  beginnt,  mit  Börtchen 
sowie  häufig  auch  mit  Fransen  eingefaßt  und  am  unteren  Ende  nicht  selten 
mit  einer  Quaste  verziert  ist.  Am  Saum  wird  es  gern  mit  einem  schmalen 
Börtchen  oder  einer  kurzen  Franse  besetzt.  An  französischen  Pluvialen  ist 
häufig  in  der  Mitte  der  Geradseite  ein  Ausschnitt  für  den  Hals  angebracht, 
damit  sich  das  Gewand  nicht  allzusehr  im  Nacken  aufbausche. 

Die  Farbe  des  Pluviale  hat  dem  liturgischen  Farbenkanon  zu  entsprechen. 
Von  dem  Stoff  des  Gewandes  gilt,  was  in  dieser  Beziehung  hinsichtlich  der 
Dalmatik  und  Tunicella  gesagt  wurde.  Auch  für  den  Chormantel  ist  kein 
bestimmtes  Material  ausdrücklich  vorgeschrieben ,  indessen  ist  es  jedenfalls 
das  angemessenste,  ihn  aus  seidenem  oder  wenigstens  halbseidenem  Stoff 
herzustellen. 

Das  Pluviale  kommt  nicht  einem  bestimmten  Ordo  ausschließlich  zu. 
Denn  es  darf,  wie  aus  dem  römischen  Caeremoniale  erhellt,  auch  von  bloßen 
Klerikern  getragen  werden.  So  können  bzw.  sollen  die  clerici  ad  baculum  et 
mitram  im  Pontifikalamt  und  den  Pontifikalvespern  und  die  cantores  bei  Ab- 
singung des  Tedeum  in  der  feierlichen  Matutin  mit  dem  Pluviale  bekleidet 
sein1.  Immerhin  zählt  dieses  vornehmlich  zu  den  priesterlichen  Gewändern, 
und  zwar  ist  es  das  liturgische  Obergewand  des  Priesters  und  Bischofs  bei 
allen  jenen  feierlichen  Funktionen,  bei  welchen  die  Kasel  nicht  gebraucht 
werden  darf.  Akte  dieser  Art  sind  die  Prozessionen,  die  feierlichen  Segnungen, 
z.  B.  die  Einweihung  von  Kirchen,  die  Aschen-,  Kerzen-,  Palmen-  und  Tauf- 
wasserweihe u.  a.,  die  feierlichen  Vespern  und  Laudes,  die  Begräbnisse  und  die 
Absolutio  am  Katafalk  nach  der  Totenmesse,  der  Segen  mit  der  Monstranz, 
die  Austeilung  des  Weihwassers  vor  dem  Hochamt 2.  Auch  der  beim  Ponti- 
fikalamt assistierende  Priester  soll  mit  dem  Pluviale  bekleidet  sein.  Bei  Bitt- 
prozessionen darf  nur  der  Officiator  es  anziehen;  bei  feierlichen  theophorischen 
Prozessionen  können  dagegen  auch  die  Dignitare  es  tragen.  Bei  den  feier- 
lichen Vespern  und  Laudes  bedienen  sich  außer  dem  Celebrans  auch  die  vier 


1  Caerem.  1.  1 ,  c.   1 1 ,  n.  5  6;  1.  2,  c.  6,  gebraucht  wird,  sind   mit  Nachweis  der  be- 
n.  15.  treffenden    kirchlichen    Entscheidungen    gut 

2  Ruhricae  generales  tit.  19,  n.  3.    Die  ver-  zusammengestellt  bei  Victor  ab  Appeltern, 
schiedenen    Fälle,    in    denen    das    Pluviale  Manuale  Iiturgicum  I  79. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


307 


oder  sechs  Priester,  die  Assistenz  leisten,  des  Pluviale  K  Wie  man  sieht,  findet 
das  Gewand  eine  sehr  weitgehende  Verwendung  bei  den  liturgischen  Funktionen. 
Stehen  die  Akte,  bei  denen  es  gebraucht  wird,  in  Verbindung  mit  der 
Messe,  so  trägt  man  das  Pluviale  über  der  Albe,  andernfalls  über  dem 
Superpelliceum. 

II.    NAME  DES  GEWANDES. 

Während  heute  das  Gewand  im  kirchlichen  Sprachgebrauch  am  häufigsten 
Pluviale  genannt  wird,  war  im  Mittelalter  der  Name  Cappa  vorherrschend. 
Das  Wort  kommt  als  Bezeichnung  eines  Gewandstückes  erst  im  nachklassischen 
Latein  vor. 

Eine  Art  von  Kapuze  ist  mit  ihm  gemeint,  wenn  Gregor  von  Tours  in  der  Vita 
des  hl.  Nicetius  von  einer  capsa  (cappa)  spricht,  die  an  einer  von  diesem  Heiligen 
herrührenden  Kasel  angebracht  war  ~.  Ebenso  versteht  Isidor  von  Sevilla  unter  cappa 
eine  Kopfbedeckung3.  Auch  die  cappa  des  hl.  Martinus,  die  von  den  fränkischen 
Königen  als  Palladium  mit  in  den  Krieg  geführt  wurde  und  Anlaß  zu  mancherlei 
Legendenbildung  wurde,  mag  eine  Kapuze  gewesen  sein. 

Als  Name  eines  mantelartigen  Kleidungsstückes  kommt  das  Wort  cappa 
schon  in  den  gegen  das  Ende  des  7.  Jahrhunderts  geschriebenen  Virtutes  S.  Frusei 
abbatis  vor  *.  Häutiger  begegnet  es  uns  in  dieser  Bedeutung  jedoch  erst  zur  Karo- 
lingerzeit, so  in  der  Regel  Chrodegangs 5 ,  in  den  Briefen  Alkuins6,  in  c.  61  der 
Aachener  Synode  von  817  7 ,  im  Schreiben  Theodemars  von  Monte  Cassino  an  König- 
Karl8,  in  der  wohl  im  9.  Jahrhundert  entstandenen  Vita  S.  Goari9,  in  c.  6  der 
Synode  von  Metz  von  888 10,  den  Inventaren  von  St-Riquier  aus  der  Frühe  des 
9.  Jahrhunderts  u.  a. 

Zu  Monte  Cassino  bezeichnete  man  mit  cappa  jenes  Oberkleid  der  Mönche, 
welches  man  in  Gallien  cuculla  zu  nennen  pflegte ,  d.  i.  ein  sackartiges ,  ärmelloses, 
an  den  Seiten  bis  oben  aufgeschlitztes,  mit  einer  Kapuze  versehenes  Gewand,  das, 
übergeworfen ,  seitlich  an  einer  oder  zwei  Stellen  zugenestelt  wurde.  Bei  den 
Mönchen  in  Italien  war  es  schmaler  und  kürzer  als  bei  den  Mönchen  in  Gallien,  wie 
Theodemar  ausdrücklich  hervorhebt.  In  Gallien  verstand  man  unter  cappa  bald 
einen  klerikalen  Mantel,  bald  einen  Mönchsmantel,  denselben,  welchen 
man  zu  Monte  Cassino  casula  oder  mantus  nannte.  Der  Unterschied  zwischen  der 
klerikalen  und  mönchischen  cappa  scheint  darin  bestanden  zu  haben,  daß  die  erstere 
vorn  aufgeschlitzt,  die  letztere  aber  nach  Art  einer  Glockenkasel  ringsum  geschlossen 
war.  Die  Aachener  Synode  vom  Jahre  817  verbietet  nämlich  den  Mönchen,  cappas 
disconsutas  zu  tragen11;  nur  aus  zottigem,  schwerem  Stoff  gemachte  durften  offen  sein, 
begreiflich,  da  sie  sonst  kaum  zu  brauchen  gewesen  wären.  Zu  Rom  war  die  klerikale 
Cappa  ein  ringsum  geschlossenes  Gewand,  wie  die  cappa  more  romano  consuta 
beweist,  welche  Bischof  Arno  von  Salzburg  Alkuin  zum  Geschenk  sandte  1=. 


1  Caerem.  1.  2,  c.  3,  n.  1. 

2  M.  G.  SS.  M.  I  696. 

s  Etymol.  1.  19,  c.  31,  n.  3  (M.  82,  699). 

4  M.  G.  SS.  M.  IV  442. 

5  C.  29  (M.  89,  1113). 

6  Ep.  8  (M.  G.  Epp.  Carol.  aevi  II  33)  : 
Alkuin  beauftragt  den  Flaccus  Albinus,  ihm 
schwarze  und  rote  cappae  aus  Ziegenhaar 
nach  England  zu  schicken;  ep.  84  (ebd.  127) : 
er  dankt  seiner  Schwester  Gisla  für  die  ihm 
gesandte  cappa;  ep.  184  (ebd.  309):  er  teilt 
dem  Erzbischof  Arno  von  Salzburg  mit,  daß 
er  die  ihm  von  diesem  geschenkte  cappa  romano 
more  consuta  empfangen  habe. 


7  Hard.  IV  1232;  vgl.  c.  22  (ebd.  1230). 
5  M.  G.  Epp.  Carol.  aevi  II  512. 
9  M.  G.  SS.  M.  IV  416. 

10  Hard.  VI  411. 

11  C.  61  (Hard.  IV  1232);  disconsutus  hat 
denselben  Snm  wie  inconsutus  bei  Rupert 
von  Deutz,  De  div.  offic.  1.  2,  c.  24  (M. 
170,  54)  :  Cappae  ab  anteriore  parte  patulae 
sunt  et  omnino  praeter  solam  necessariam 
fibulam  inconsutae. 

12  Ep.  184  (M.  G.  Epp.  Carol.  aevi  II  309). 
Die  Kardinalscappa  blieb  zu  Rom  das  ganze 
Mittelalter   hindurch  an  der  Vorderseite  ge- 
schlossen; höchstens,  daß  sie  zum  leichteren 
20* 


308  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Als  Name  eines  liturgischen  Gewandes  ist  das  Wort  cappa  erst  seit  dem 
Ende  des  8.  Jahrhunderts  nachweisbar  '. 

Im  späteren  Mittelalter  bedeutete  cappa  erstens  den  gewöhnlichen  klerikalen 
oder  mönchischen  Mantel,  zweitens  die  sog.  Cappa  choralis,  ein  beim  Chor- 
gebet gebräuchliches ,  meist  bis  auf  einen  Schlitz  in  der  Mitte  der  Vorderseite  ganz 
geschlossenes,  also  kaselartiges  Gewand  aus  schwarzem  Stoff,  und  drittens  das  litur- 
gische Pluviale.  Die  gewöhnliche  klerikale  und  mönchische  Cappa  wurde  seit 
etwa  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  vielfach  mit  weiten  Ärmeln  versehen.  Sie  hiefs 
dann  cappa  manicata.  Ein  solches  Vorgehen,  bei  dem  das  Gewand  seines  Mantel- 
charakters verlustig  ging  und  sich  zu  einer  Art  von  Tunika  umbildete,  wurde  indessen 
von  verschiedenen  Synoden  mit  allein  Ernst  untersagt 2,  freilich  nur  mit  teilweisem  Erfolg. 

Als  Name  des  Pluviale  war  das  Wort  cappa  während  des  Mittelalters 
im  ganzen  Abendland  gebräuchlich,  am  verbreitetsten  war  er  in  dieser  Be- 
deutung jedoch  außerhalb  Italiens.  Nur  selten,  daß  uns  hier  in  den 
alten  Inventaren,  welche  ja  besonders  in  Betracht  kommen,  der  Name  pluviale 
begegnet.  Dementsprechend  ging  das  Wort  denn  auch  allenthalben  außerhalb 
Italiens  als  Benennung  des  Pluviale  in  die  Volkssprache  über:  Chorkappe, 
kap  (holländisch),   chape  (französisch),  cope   (englisch),  capa  (spanisch). 

In  Italien  herrschte  schon  im  Mittelalter  der  Name  jiluviale,  italienisch 
piviale,  vor.  Das  Wort  erscheint  bereits  in  dem  um  830 — 840  entstandenen 
Pontifikalbuch  des  Agnellus.  Es  werden  nämlich  hier  in  der  Vita  Mauri 
(f  ca  642)  unter  den  Gegenständen,  welche  das  der  Kirche  von  Ravenna  zu- 
gehörige Patrimonium  in  Sizilien  jährlich  als  Abgabe  zu  entrichten  hatte, 
neben  iacintae  casulae,  laenae  et  cetera  indumenta  auch  pluviales  syriae  ex- 
ornatae  aufgeführt 3.  Leider  erhalten  wir  weder  über  den  Zweck  dieser 
seidenen ,  verzierten  pluviales ,  noch  über  ihre  Form  von  Agnellus  nähere 
Auskunft.  Ein  Jahrhundert  später  wird  in  dem  Verzeichnis  der  durch  Hilde- 
brand von  Castello  Matenano  947  der  Abtei  Farfa  genommenen  Kostbarkeiten 
ein  pluviale  aufgeführt i.  Da  es  inmitten  anderer  gottesdienstlicher  Paramente 
erscheint,  war  es  ohne  Zweifel  selbst  gleichfalls  ein  solches.  Die  um  das 
Ende  des  10.  Jahrhunderts  aus  Cluny  übernommenen  Consuetudines  von  Farfa 
gebrauchen  statt  pluviale  die  Bezeichnung  cappa.  Liturgische  Gewandstücke 
waren  ferner  die  pluvialia  octo ,  welche  in  einem  Inventar  des  Klosters 
S.  Liberatore  zu  Chieti  aus  dem  Jahre  1019  zugleich  mit  planetae  sericae 
quattuor  et  castaneae  tres  cum  tunicis  et  amictis  et  stolis  et  mappulis  suis 
unter  den  indumenta  sacerdotalia  erwähnt  werden  5.  Auch  das  pluviale  de 
purpura  und  das  pluviale  de  pallio  valde  bonum,  von  welchen  der  Bericht 
des  Abtes  Bonus  über  die  Einrichtung  von  S.  Michele  zu  Pisa  um  das  Jahr 
1048  spricht,  hatten  nach  dem  Zusammenhang  unzweifelhaft  liturgischen 
Charakter  6. 

Im  Norden  kommt  das  Wort  pluviale  bereits  in  einer  Schenkung  des 
Chorbischofs  Madalwin  von  Passau  aus  dem  Jahre  903  vor,  und  zwar  be- 
zeichnet es  hier  ohne  Zweifel  ein  zu  liturgischen  Zwecken  dienendes,  von  der 


Gebrauch  der  Hände  in  der  Mitte  des  Körpers  a.  1215,  c.   3;   Conc.  Lat.  IV,    c.   16;  Conc. 

mit  einem  Schlitz  versehen  wurde.  Salisber.  a.  1217,  c.  10  (Hard.  VI  1931  1976 

1  Vgl.  die  Nachweise  im   folgenden  Para-  1991  2046;  VII  34  91);  sonstige  Belege  bei 
graphen.  D.  C.  sub  cappa. 

2  Vgl.  z.  B.  Syn.  Eborac.  a.  1195,    n.  6;  3  M.  G.  SS.  Langob.  350. 
Constit.   Gallon.   Card.    a.    1208,  c.  3;   Syn.             *  M.  G.  SS.  XI  536. 

Avenion.  a.  1209,    c.   18;    Conc.  Montispes.  '■  Mur.,  Ant.  IV  769.  6  Ebd.  789. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


309 


Kasel  verschiedenes  Gewandstück 1.  Von  einem  pallium  pluviale  ist  um  das 
dritte  Viertel  des  10.  Jahrhunderts  in  der  Biographie  des  hl.  Odo  von  Cluny 
die  Rede.  Es  wird  dort  erzählt,  es  sei  dem  Heiligen  in  einem  Traumgesicht 
St  Martin  erschienen  stola  splendida  indutus ,  super  quam  pallio  pluviali 
utebatur  et  episcoporum  more  ferulam  gerebat 2.  Eine  vestis  pluvialis  be- 
gegnet uns  in  der  um  1060  von  Wibert,  Archidiakon  zu  Toul,  geschriebenen 
Vita  Leos  IX. 3  Sie  wird  ausdrücklich  mit  der  cappa  identifiziert :  quae  cappa 
vocitatur,  und  scheint  den  päpstlichen  Mantel  zu  bedeuten.  In  den  römischen 
Ordines  heißt  das  Gewand  stets  pluviale.  Die  ersten,  welche  seiner  unter 
diesem  Namen  gedenken,  sind  der  10.  und  11.  Ordo;  beide  entstammen  der 
Frühe  des  12.  Jahrhunderts  4.  Die  Cappa,  welche  in  den  römischen  Ordines 
hie  und  da  erwähnt  wird,  bedeutet  bald,  wie  auch  sonst  im  Mittelalter  häutig, 
die  Cappa  choralis  oder  den  klerikalen  Mantel,  bald  das  mantum  des  Papstes, 
d.  i.  den  Papstmantel. 

Wie  sehr  in  Italien  schon  im  Mittelalter  die  Bezeichnung  pluviale  vor- 
herrschte, zeigen  am  besten  die  Inventare,  welche  das  Gewand  fast  nur  unter 
dem  Namen  pluviale,  piviale,  aufführen.  Durch  die  Aufnahme  in  das  römische 
Missale,  Caeremoniale  und  Pontifikale  erhielt   das  Wort   offizielle  Bedeutung. 

Was  die  Etymologie  des  Wortes  pluviale  anlangt,  so  muß  dasselbe  ursprüng- 
lich ein  Gewand  bezeichnet  haben ,  welches  zum  Schutze  gegen  den  Regen  diente, 
also  wohl  einen  Mantel ,  der  mit  einer  Kapuze  versehen  war.  Im  Laufe  der  Zeit 
stumpfte  sich  indessen,  wie  es  auch  in  andern  Fällen  nicht  selten  geschieht,  diese  Be- 
deutung dahin  ab,  daß  man  überhaupt  einen  mit  einer  Kapuze  ausgestatteten  Mantel 
pluviale  nannte ,  auch  wenn  er  nicht  gegen  den  Regen  getragen  wurde.  Zur  Zeit, 
als  das  Pluviale  unter  die  liturgischen  Gewänder  Aufnahme  fand ,  dürfte  der  anfäng- 
liche Sinn  des  Wortes  schon  ganz  verdunkelt  gewesen  sein ;  denn  die  Funktionen, 
bei  denen  der  Mantel  zur  Anwendung  kam ,  vollzogen  sich  ja  vornehmlich  in  der 
Kirche  oder  sonstigen  bedeckten  Räumen,  in  denen  ein  „Regenmantel"  offenbar  keinen 
Sinn  hatte. 

Der  Ursprung  des  Wortes  cappa,  statt  dessen  auch  wohl  capa  geschrieben  wird, 
ist  unsicher.  Isidor  von  Sevilla,  nach  welchem  es  eine  Kopfbedeckung  bedeutet,  meint, 
es  komme  entweder  von  dem  Buchstaben  Kappa  her,  mit  dem  die  Kopfbedeckung 
wegen  ihrer  beiden  Spitzen  Ähnlichkeit  habe,  oder  es  sei  auf  caput  zurückzuführen  ä. 
Es  bedarf  kaum  der  Bemerkung,  dafä  diese  rein  äußerlichen  Ableitungsversuche  wie 
so  manche  andere  in  den  „Etymologien"  unmöglich  ernst  genommen  werden  können. 
Eine  andere  Erklärung  bringt  cappa  mit  capere  in  Verbindung :  capa  sie  dieta ,  quia 
quasi  totum  capiat  hominem.     Sie  soll  sich  nach  Du  Cange  °  ebenfalls  in  den  Etymo- 


1  Monum.  Boica  XXVIII ,  pars  2,  p.  201  : 
Tradidit  namque  suum  apparatum  i.  e.  sicut 
ipse  paratus  ad  missam  solitus  fuerat  stare  : 
pluviale  purpureum  auro  paratum ,  casulam 
purpuream  siricam  de  sirico  precioso,  stolas 
2  cum  anfanone  auro  et  gemmis  paratum 
(sie).  Unter  dem  pluviale  mag  hier  vielleicht 
eine  mit  Kapuze  versehene  Kasel  zu  verstehen 
sein,  wenn  nicht  etwa,  was  wohl  das  richtige 
ist,  ad  missam  solitus  fuerat  stare  als  minder 
genaue  Angabe  zu  betrachten  ist. 

2  L.  2,  n.  2  (M.  133,  61):  vgl.  Nagoldi, 
Vita  S.  Odonis  n.  29  (ebd.  97). 

3  L.  2,  c.  8  (M.  143,  496). 

1  In  den  früheren  römischen  Ordines  ist 
weder  von  einer  Cappa,  noch  einem  Pluviale 


die  Rede,  mit  Ausnahme  des  6.,  welcher  die 
dem  Priester  assistierenden  Priester  mitCappae 
ausgestattet  sehen  will.  Dieser  aber  ist  nicht 
sowohl  ein  eigentlich  römischer  Ordo  als  viel- 
mehr eine  Darstellung  der  Pontifikalmesse, 
wie  sie  sich  auf  der  Grundlage  des  römischen 
Ritus  außerhalb  Roms  vollzog,  daher  denn 
auch  durchsetzt  mit  nichtrömischen  Elementen, 
wozu  unter  anderem  die  Cappa  der  Assistenten 
samt  deren  Namen  gehören  mag. 

5  Etymol.  I.  19,  c.  31  (M.  82,  699). 

s  A.  a.  O.  s.  v.  cappa  II,  110.  Aus  Du  Cange 
ist  die  Erklärung  vielfach  von  andern,  selbst 
von  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  V  188, 
unbesehen  und  ohne  weiteres  als  Äußerung 
Isidors  herübergenommen  worden. 


310 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


logien  finden,  in  Wirklichkeit  kommt  sie  jedoch  darin  nirgends  vor.  Ob  die  Ableitung 
an  sich  zutreffend  ist  oder  ob  nicht  cappa  vielleicht  hesser  mit  capsa  in  Verbindung 
gebracht  wird,  möge  dahingestellt  bleiben. 

In  älteren  spanischen  Inventuren  wird  das  Pluviale  auch  wohl  mantus 
genannt,  so  z.  B.  in  einem  Verzeichnis  der  Paramente,  welche  König  Ferdinand 
1063  der  Kathedrale  von  Leon  hei  der.  Translation  der  Reliquien  des  hl.  Isidor 
von  Sevilla  schenkte:  mantos  2  aurifrissos  (sie).  Ebenso  in  einem  Inventar  der 
Kathedrale  von  Leon  aus  dem  Jahre  1073:  tres  mantos,  unum  ciquilatonem 
et  duos  morgones.  Eine  Bedeutung  hat  dieser  Name  nie  gewonnen.  In  spät- 
mittelalterlichen deutschen  Inventaren  heißt  das  Pluviale  gewöhnlich  köre 
kappe  (korkappe),   doch  auch  wohl  rauchkasel 1. 


III.    ALTER  DES  GEWANDES. 

Die  früheste  Erwähnung  findet  das  Gewand  in  der  Stiftungsurkunde 
des  Klosters  Obona  in  Spanien  aus  dem  Ende  des  8.  Jahrhunderts,  in  dem 
Inventar  von  St-Riquier2  und  im  Verzeichnis  der  gottesdienstlichen  Gegen- 
stande ,  welche  der  hl.  Ansegisus  zufolge  seiner  von  einem  Zeitgenossen 
verfaßten  Biographie  dem  Kloster  Fontanelle  schenkte.  Wenn  nämlich  die 
Stiftungsurkunde  von  Obona  neben  drei  Kasein  unam  cappam  sericam,  das 
Inventar  von  St-Riquier  neben  40  Kasein  cappam  castaneam  (kastanienfarbig) 
auro  paratam  unam,  sericam  unam  und  die  Vita  S.  Ansegisi  neben  zwölf 
Kasein  cappas  romanas  duas,  unam  videlicet  ex  rubeo  cendato  (rotes,  un- 
gemustertes Seidenzeug)  et  fimbriis  viridibus  ornatam,  alteram  ex  cane  pontico, 
quem  vulgo  beuvrum  nuneupant,  similiter  fimbriis  sui  coloris  decoratam  ver- 
zeichnet, so  können  unter  diesen  von  den  Kasein  offenbar  irgendwie  ver- 
schiedenen cappae  nur  liturgische  Gewandstücke  verstanden  werden.  Das  beweist 
ebensowohl  ihre  Kostbarkeit  wie  der  Umstand,  daß  sie  mitten  unter  sonstigen 
gottesdienstlichen  Paramenten  aufgeführt  werden.  Insbesondere  gilt  solches 
von  den  cappae,  von  welchen  in  der  Vita  S.  Ansegisi  die  Rede  ist,  da  diese 
ausdrücklich  als  vestimenta  ecclesiastica  bezeichnet  werden.  De  vestimentis 
ecclesiasticis,  heißt  es  hier,  largitus  est  .  .  .  dalmaticas  .  .  .  roecum  sub- 
diaconalem  .  .  .  planetas  .  .  .  cappas  romanas.  Es  liegt  um  so  weniger  ein 
Grund  vor,  an  der  liturgischen  Bestimmung  der  fraglichen  cappae  zu  zweifeln, 
weil  bereits  in  Inventaren  aus  der  zweiten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  die  cappae 
in  einer  Anzahl  auftreten,  die  sich  nur  bei  Annahme  einer  gottesdienstlichen 
Verwendung   des  Gewandes   erklären   läßt 3.     So   gab  es  in  St  Bavo  zu  Gent 


'  So  z.  B.  im  Inventar  von  St  Michael  zu 
Zeitz  aus  dem  Jahr  1514. 

2  Chron.  Centul.  1.  3,  c.  3  (M.  174,  1258). 
Das  Inventar  erwähnt  auch  cappae  377,  wie 
schon  das  Schatzverzeichnis  aus  dem  Beginn 
des  Jahrhunderts  cappae  200  aufgeführt  hatte. 
Diese  cappae  waren  indessen  keine  litur- 
gischen Gewandstücke,  sondern  cappae,  welche 
von  den  München  an  den  höchsten  Feier- 
tagen beim  Gottesdienst  angezogen  wurden, 
also  Feiertagsrnäntel,  die  man  in  der  Sakristei 
aufbewahrte,  weil  sie  niemand  besonders  zu- 
gewiesen waren,  sondern  an  den  Festtagen  in 
der  Sakristei  zum  Gebrauch  in  der  Kirche 
unter  die  Mönche  verteilt  wurden. 


3  E.  Bishop  hat  in  seinem  vorzüglichen 
Aufsatz :  The  origin  of  the  cope  as  a  church 
vestement  (Dublin  Review  CXX  31)  Bedenken 
gegen  die  liturgische  Bestimmung  der  cappae 
der  Inventare  von  St-Riquier  und  Fontanelle. 
Dieselben  sind  indessen  um  so  weniger  be- 
gründet, als  der  Verfasser  selbst  die  nur 
zwei  Jahrzehnte  späteren  cappae  von  St  Bavo 
zu  Gent  als  kirchliche  Gewänder  ansieht. 
Daß  die  eine  Cappa,  welche  in  der  Vita  des 
hl.  Ansegisus  erwähnt  wird  ,  aus  Biberpelz 
bestand,  kann  nichts  verschlagen.  Biberpelz 
war  ein  kostbares  Material.  Auch  darf  wohl 
an  die  zahlreichen  Lederkasein  des  IS.  Jahr- 
hunderts erinnert  werden. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale.  311 

schon  851  nicht  weniger  als  24  kostbare  cappae  de  pallio,  die  etwas  später 
freilich  bei  dem  Einfall  der  Normannen  zum  größten  Teil  abhanden  kamen. 
Denn  ein  nach  dem  Abzug  der  Feinde  und  nach  Wiederherstellung  der  Ordnung 
aufgestelltes  Inventar  vermerkt  neben  casulae  7  nur  noch  cappae  3.  Zu  St  Trond 
besaß  man  um  870  neben  12  casulae  pretiosae  de  pallio  33  cappae  pretiosae 
de  pallio.  Im  Jahre  877  schenkte  Abt  Hilduin  der  Abtei  St-Bertin  cappam 
nivei  coloris,  rubeis  intersectam  volucrum  figuris  K  Ein  Inventar  von  Mar- 
chiennes  aus  dem  Ende  des  9.  Jahrhunderts  verzeichnet  18  cappae  gegenüber 
nur  8  Kasein,  ein  Inventar  von  Pfäffers  gleichfalls  aus  der  Wende  desselben 
6  Cappae  neben  6  casuculae. 

Die  erste  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  ist  ersichtlich  die  Zeit,  in  der 
die  cappa  Aufnahme  unter  den  liturgischen  Gewändern  fand  und  die  Ivasel 
aus  einer  Reihe  von  Funktionen,  bei  welchen  diese  bis  dahin  zur  Anwendung 
kam,  zu  verdrängen  begann.  Im  10.  Jahrhundert  war  ihr  Gebrauch  bereits 
weit  verbreitet.  Die  Inventare  und  Gabenverzeichnisse  aus  dieser  Zeit  lassen 
daran  keinen  Zweifel. 

Man  vergleiche  beispielsweise  die  Schenkung  Madalwins  von  Passau  von  903 
(pluviale  purpureum,  auro  paratum),  das  Testament  Kiculf's  von  Eine  von  915  (capas 
duas,  una  purpura  et  alia  bition  [blattion]),  die  Dotationsurkunde  des  Klosters  S.  Sal- 
vador von  Lerez  aus  dem  Jahre  916:  12  vestimenta  sacra  sacerdotalia  (Kasein)  et 
4  cappas  sericas,  ein  Inventar  von  Lamspringe  (?):  casulae  4,  cappae  5;  ferner  die 
Schenkung  des  Bischofs  Abraham  von  Ereising  (957 — 994):  cappae  cum  aureis  fibulis 
paratae  62,  aliae  cappae  de  probatissimis  palliis  16,  planetae  auro  paratae  6,  das 
Inventar  von  Clermont-Ferrand :  casulas  optimas  5,  cotidianas  2  .  .  .  capas  27,  die 
Schenkung  des  Bischofs  Ethelwold  für  Peterborough :  6  masse  hacelan  (Kasein)  and 
4  caeppan  ;  weiter  das  Inventar  von  Wörthsee  (Kärnten) :  cappae  2,  planetae  6,  das  Testa- 
ment Brunos  von  Köln :  Monasterio  Sosacio  fundando  .  .  .  cappa  et  casula  ex  nostris  '■', 
das  Verzeichnis  der  durch  Hildebrand  von  Castello  Matenano  abhanden  gekommenen 
Kostbarkeiten  des  Klosters  Parfa:  pluviale  unum;  dann  das  Inventar  der  von  Bischof 
Odalrich  erworbenen  und  der  Kathedrale  von  Cremona  geschenkten  Paramente  aus 
dem  Jahre  984 :  pluviales  dedimus  4  cum  frisis  aureis  et  1  iterum  sine  auro,  3  quoque 
alia  de  manibus  raptorum  eruimus ,  die  Schatzverzeichnisse  von  Pfäffers  aus  dem 
10.  Jahrhundert  u.  a.  Dazu  kommen  noch  gelegentlieh  vereinzelte  Nachrichten.  So 
erzählt  Helgaud ,  es  habe  Adelheid ,  die  Mutter  des  Königs  Robert ,  zu  Ehren  des 
hl.  Martin  cappam  unam  intextam  auro,  duas  vero  de  argento  gestiftet 4.  Abt  Immo 
von  St  Gallen  bereicherte  675  sein  Kloster  mit  stolas  deauratas,  cappas,  dalmaticas, 
subtilia5,  um  die  Mitte  des  10.  Jahrhunderts  aber  gab  es  zu  St  Gallen  eine  ca2)pa 
aquilifera,  eine  mit  Adlern  verzierte  cappa  G. 

Im  11.  Jahrhundert  muß  die  liturgische  Cappa  oder,  was  dasselbe  ist,  das  litur- 
gische Pluviale  sich  bereits  allgemein  Eingang  verschafft  haben.  Es  gibt  wohl  kaum 
ein  Inventar  größerer  Kirchen  aus  dieser  Zeit,  in  dem  sich  nicht  auch  eine  Anzahl 
mehr  oder  minder  kostbarer  Pluvialien  verzeichnet  fände.  Beispiele  bieten  die  Schatz- 
verzeichnisse von  Speier  (1051)  mit  cappae  12,  quarum  8  auro  texto  ornatae,  von 
Kremsmünster  (1014)  mit  cappae  coccineae  26,  von  Kloster  Abdinghof  zu  Paderborn 
(1031)  mit  cappae  25,  von  Prüm  (1003)  mit  cappae  29  neben  casulae  30,  von  Benedikt- 
beuren  (1032)  mit  casulae  9,  aber  cappae  12,  von  Enger  (ca  1000)  mit  6  cappae, 
2  auro  ornatae,  von  Ely  in  England  (1079)  mit  34  cappae,  4  earum  cum  aurifriso, 
von  St-Laurent   zu   Lüttich  (1034)   mit   cappae  9    ex   palliis    optimis,   von   St  Gallen 


1  Folcuini  Gesta  abb.  S.  Bertini  Sithiens.  5  Cas.  S.  Galli  cont.  II,    c.   1    (M.  G.  SS. 

n.  85  (M.  G.  SS.  XIII  622).  II  150). 

-  M.  G.  SS.  XXIV  321.        3  Ebd.  IV  275.  e  Ekkeliardi  IV  Casus  S.  Galli  c.  3  (ebd. 

4  M.  141,  917.  II  108). 


312 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


(11.  Jahrhundert)  mit  cappae  32,  davon  8  cappae  auro  paratae,  von  Pfäffers  unter 
Abt  Hartmann  (1012—1026)  mit  6  cappae  und  unter  Abt  Ulrich  (1067— 1080)  mit 
8  cappae. 

Die  ältesten  bildlichen  Wiedergaben  der  Cappa  entstammen  der 
Mitte  des  9.  Jahrhunderts;  sie  finden  sich  auf  zwei  Miniaturen,  den  Initialen 
0  und  D,  und  auf  einer  der  Deckelskulpturen  des  Drogosakramentars.  Das 
Relief  (Bild  143)  und  die  Initiale  O  stellen  die  Spendung  des  Sakramentes  der 
Firmung  dar,  während  die  Initiale  D  Begebenheiten  aus  dem  Leben  des 
hl.  Arnold,  Bischofs  von  Metz,  insbesondere  eine  Teufelaustreibung  und  eine 
durch  Salbung  mit  dem  heiligen  Ol  bewirkte  Totenerweckung  erzählt.  Die 
Cappa  erscheint  auf  allen  drei  Bildwerken  mit  einer  Kapuze  ausgestattet,  im 
übrigen  aber  sieht  sie  einer  Kasel  völlig  gleich.  Das  Belief  und  die  Initiale  O 
lassen  es  allerdings  ein  wenig  fraglich,  ob  wir  uns  das  Gewand  vorn  als  offen 
oder   als   geschlossen   zu    denken   haben.     Indessen  wird  jeder  diesbezügliche 

Zweifel  durch  die  Initiale  D  beseitigt,  bei 
welcher  die  Cappa  in  aller  wünschenswerten 
Deutlichkeit  als  vorn  geschlossen  darge- 
stellt ist. 

Ein  anderes  frühes  Beispiel  der  Cappa 
liefert  die  vielleicht  noch  dem  9.  Jahrhun- 
dert angehörende  Elfenbeintafel  der  Maclean- 
schen  Sammlung  (Bild  66,  S.  168).  Sie  stellt 
die  Erteilung  des  bischöflichen  Segens  dar. 
In  der  Mitte  steht  der  Bischof  neben  dem 
Lectorium,  die  Rechte  zum  Segen  erhoben; 
über  ihm  sind  fünf  Diakone  in  der  Dalmatik 
angebracht,  zu  seinen  Füßen  aber  gruppieren 
sich  um  ihn  sieben  Cantores  in  gegürteter 
Albe  und  Cappa.  Auch  hier  ist  das  Gewand 
vorn  geschlossen  1. 

Vor  der  Brust  aufgeschlitzte  Cappae, 
also  Cappae  nach  Art  unseres  heutigen 
Pluviale ,  kommen  auf  den  Monumenten 
vor  dem  11.  Jahrhundert  nicht  vor.  Die 
beiden  ältesten  Beispiele  dürften  eine  Miniatur  eines  aus  Minden  herrühren- 
den Codex  der  kgl.  Bibliothek  zu  Berlin 2  und  eine  Federzeichnung  in  dem 
Pontifikale  von  Aletis  (St-Malo)  in  der  Stadtbibliothek  zu  Rouen 3  bieten. 
Die  Berliner  Miniatur  stellt  den  Bischof  Sigibert  von  Minden  auf  seinem 
Thronsessel  dar,  zur  Linken  einen  Diakon,  zur  Rechten  einen  Priester.  Alle 
sind  in  ihre  liturgischen  Gewänder  gekleidet,  der  Bischof  in  Pontifikaltracht, 
um  die  Schultern  das  Rationale,  der  Diakon  in  Albe,  Stola  und  Dalmatik, 
der  Priester  in  Albe  und  vorn  offener,  auf  der  Brust  mit  einer  Schließe  be- 
festigter Cappa.  Eine  Kapuze  fehlt  bei  dem  Gewand.  Die  Miniatur  muß 
zwischen  1022  und  1036  entstanden  sein.  Die  Federzeichnung  im  Pontifikale 
von  Aletis  gibt  die  Einweihung  einer  Kirche  wieder.  Der  konsekrierende 
Bischof  ist  in  vollem  Ornat  abgebildet,  nur  trägt  er  statt  der  Kasel  ein 
Pluviale,  das  mit  großer  rechteckiger  Fibel  über  der  Brust  zusammengehalten 


Bild  143.     Relief  vom  Deckel  des 

Drogosakramentars. 

Paris,  Nationalbibliothek. 


1  Vgl.  wegen  des  Gewandes  auf  den  vier 
angeführten   Bildwerken    auch  oben   S.  177. 

2  Theol.  4°,  n.  3,  p.  1. 


3  Eine  allerdings  sehr  mangelhafteAbbildung 
bei  Müller  und  Mothes,  Archäologisches 
Wörterbuch  I  55. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale.  313 

wird.  Die  Federzeichnung  scheint  ebenfalls  noch  der  Frühe  des  11.  Jahr- 
hunderts anzugehören.  Eine  um  etwa  ein  halbes  Jahrhundert  jüngere  Dar- 
stellung einer  vorn  offenen  Cappa  findet  sich  auf  einer  früher  schon  er- 
wähnten Miniatur  eines  Evangeliars  der  kgl.  Bibliothek  zu  Brüssel.  Wir  er- 
blicken das  Gewand  hier  bei  einem  Bischof,  der  die  Reliquien  des  hl.  Stephanus 
überführt  (Bild  122,  S.  262). 

Nachrichten  über  die  Art  der  Verwendung  der  Cappa  beim  Gottesdienst 
erhalten  wir  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts.  Sie  finden  sich 
in  der  englischen  Concordia  regularis  1,  den  Consuetudines  Farfenses,  die,  weil 
aus  Cluny  herübergenommen ,  zugleich  die  Praxis  von  Cluny  enthalten 2, 
den  Consuetudines  von  St-Vanne  (Viton)  zu  Verdun  3  und  den  aus  Einsiedeln 
stammenden  Consuetudines  von  St  Emmeram  zu  Regensburg 4,  also  ausschließlich 
in  Dokumenten,  welche  den  Brauch  in  Benediktinerklöstern  wiedergeben.  Über 
die  Verwertung  einer  liturgischen  Cappa  in  andern  Kirchen  kommen  uns  die 
frühesten  Nachrichten  erst  im  11.  Jahrhundert  zu. 

Den  römischen  Ordines  der  Karolingerzeit,  d.  i.  dem  1.,  2.  und  3.  Ordo 
Mabillons  und  dem  Ordo  Duchesnes,  sowie  dem  St  Gallener  Kleiderverzeichnis 
ist  die  Verwendung  der  Cappa  noch  völlig  fremd.  Der  einzige  liturgische 
Mantel,  welchen  sie  kennen,  ist  die  Kasel5. 

Aber  auch  die  Liturgiker  des  9.  Jahrhunderts  wissen  noch  nichts  von 
ihrem  Gebrauch  beim  Gottesdienst.  Bei  Hraban  und  Walafried  ist  das  freilich 
von  keiner  Bedeutung,  da  sie  nur  von  der  pontifikalen  Meßkleidung  handeln. 
Auch  bei  Pseudo-Alkuin  kann  es  nicht  auffallen,  da  seine  Ausführungen  über 
die  liturgischen  Gewänder,  einige  fragmentarische  Bemerkungen  ausgenommen, 
lediglich  Auszüge  aus  Amalar  sind.  Bemerkenswert  ist  das  Schweigen  da- 
gegen bei  Amalar.  Er  behandelt  die  gesamte  liturgische  Gewandung.  Nichts- 
destoweniger tut  er  der  Cappa  und  ihres  Gebrauches  mit  keinem  Worte  Er- 
wähnung. Er  übergeht  sie  selbst  da,  wo  er,  seine  Erörterungen  über  die 
liturgischen  Gewänder  kurz  zusammenfassend ,  omnem  clericorum  ornatum 
aufzählt.  Mehr  noch,  er  versichert  uns  mit  aller  Bestimmtheit,  daß  die  Kasel 
das  allen  Geistlichen  gemeinsame  Gewand  sei,  gerade  wie  später  Honorius 
vom  Pluviale  sagt:  a  singulis  ordinibus  portatur,  und  zwar  bedienten  sich 
ihrer  nach  Amalar  insbesondere  auch  die  Cantores,  die  beim  Gottesdienst  be- 
teiligten offiziellen  Sänger 6. 

Unter  solchen  Umständen  liegt  es  auf  der  Hand,  daß  zur  Zeit,  da  Amalar 
zu  Metz  seine  Schrift  De  ofticiis  ecclesiasticis  verfaßte,  d.  i.  um  820,  die  litur- 
gische Verwendung  der  Cappa  statt  der  Kasel  noch  eine  ganz  vereinzelte 
Erscheinung  gewesen  sein  muß.  In  der  Tat  wird  vor  Abfassung  der  Schrift 
nur  einmal  der  liturgischen  Cappa  gedacht,  in  der  Schenkungsurkunde  Adel- 
gasters  für  Obona.  Denn  das  Inventar  von  St-Riquier  datiert  erst  von  831, 
die  Schenkung  der  beiden  cappae  an  das  Kloster  Fontanelle  aber,  von  welcher 
die  Vita  S.  Ansegisi  erzählt,  fällt  in  die  Zeit,  da  der  Heilige  Abt  dieses 
Klosters  war,  d.  i.  zwischen  823  und  833. 


1  M.  137,  475  ff.  5  S.  oben  S.  169.     Die  Bezeichnung  cappa 

2  Alb  er  s,  Consuetud.  Farfen.    Index  sub  romana   in   der  Vita  S.  Ansegisi    dürfte    da- 
cappa  xxxviii.            3  Mar  t. ,  Mon.  IV  297  ff.  her   nur    auf   die    Form    der   fraglichen    Ge- 

4  P.  0  dilo  Rin  gh  o  lz:  Des  Benediktiner-  wänder   gehen,    nicht   aber  zum  Schluß   be- 

stifts    Einsiedeln    Tätigkeit   für   die   Reform  rechtigen,    daß   damals    auch    zu  Rom  schon 

deutscher  Klöster,  in  Studien  und  Mitteilungen  die    Kappe    beim   Gottesdienst   in    Gebrauch 

aus  dem  Benediktiner-  und  Cistercienserorden  gewesen  sei. 

VII,  Würzburg  1886,  269  ff.  6  S.  oben  S.  161  f. 


314 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


IV.    GEBRAUCH  DES  GEWANDES. 

Wenn  im  vorhergehenden  der  Gebrauch  der  Cappa  bis  in  das  9.  Jahr- 
hundert hinaufgeführt  wurde,  so  soll  damit  nicht  gesagt  werden,  daß  er  da- 
mals bereits  der  gleiche  war  wie  gegenwärtig  und  im  späteren  Mittelalter. 
Es  dauerte  vielmehr  eine  gute  Weile,  bis  die  Kasel  ausschließlich  Meßgewand 
geworden 1  und  bei  den  übrigen  liturgischen  Funktionen  die  Cappa  an  ihre 
Stelle  getreten  war.  Noch  auf  den  Miniaturen  des  Göttinger  Sakramentars 
gewahren  wir  beim  Bischof  überall  die  Kasel,  selbst  bei  Spendung  der  heiligen 
Ölung  und  der  Entgegennahme  der  Beichte.  Ähnlich  schreibt  noch  das  Ponti- 
fikale  von  Aletis  für  die  Versehgänge  nicht  etwa  die  Cappa,  sondern  die 
Planeta  vor2.  Ja  es  konnte  sich  selbst  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des 
11.  Jahrhunderts  zwischen  Lanfrank  und  Erzbischof' Johannes  von  Kouen  eine 
Meinungsverschiedenheit  darüber  erheben,  ob  der  Bischof  bei  der  Konsekration 
der  Kirchen  die  Kasel,  wie  letzterer  wollte,  oder  die  Cappa,  wie  Lanfrank 
meinte,  zu  tragen  habe3.  Zu  Rom  war  es  damals,  wie  sich  aus  dem  Briefe 
Lanfranks  ergibt ,  bereits  Brauch  geworden ,  daß  sich  der  Konsekrator  bei 
dieser  Funktion  der  Cappa  bediente.  Wie  man  sieht ,  herrschte  noch  im 
11.  Jahrhundert  im  Gebrauch  von  Kasel  und  Cappa  Schwanken.  Leider  ist 
es  nicht  möglich,  dem  Prozeß,  bei  dem  die  Kasel  mehr  und  mehr  der  Cappa 
weichen  mußte,  in  seinen  einzelnen  Phasen  nachzugehen,  da  die  Angaben 
darüber  allzu  spärlich  sind. 

Über  die  Praxis,  welche  im  10.  Jahrhundert  hinsichtlich  der  Verwendung 
der  Cappa  herrschte,  geben  die  vorhin  erwähnten  monastischen  Consuetudines 
mancherlei  Aufschlüsse.  Für  das  11.  Jahrhundert  bieten  die  Consuetudines 
von  Eynsham4,  eine  Bearbeitung  der  Concordia  regularis  St  Dunstans,  die 
Consuetudines  von  Cluny 5  und  Hirsau  6 ,  die  Decreta  Lanfranks7  und  der 
Ordo  des  Erzbischofs  Johannes  von  Rouen  s  manche  Belehrung.  Der  Brauch 
war  weder  überall  noch  zu  den  verschiedenen  Zeiten  derselbe.  Im  einzelnen 
finden  sich  bezüglich  der  Verwertung  der  Cappa  beim  Gottesdienst  vielfache 
Abweichungen.  Das  Bild,  welches  wir  in  den  angeführten  Schriften  von  dem 
Gebrauch  des  Gewandes  erhalten,   ist  nur  in  seinen  Grundzügen  das  gleiche. 

Sieht  man  von  der  in  manchen  Klöstern  und  Stiftskirchen  herrschenden 
Sitte  ab,  wonach  an  bestimmten  Tagen  alle  Mönche,  die  Laienbrüder  und 
Oblaten  eingeschlossen  bzw.  alle  Stiftsgeistliche  in  der  Cappa  dem  Amt  und 
der  ihm  vorhergehenden  Prozession  beiwohnten 9 


eine  Sitte,  bei  der  es  sich 


1  S.  oben  S.  169. 

2  Mart.  1.  1,  c.  7,  art.  4,  ordo  1:  T  301: 
Induat  se  .  .  .  planeta,  si  affuerit;  sin  alias, 
casula  non  induatur.  Das  Pontifikale  wird 
bei  Martene  als  Pontifikale  von  Jumieges 
bezeichnet. 

3  Lanfranci  ep.  13  (M.  150,  520).  Wenn 
nach  dem  Liber  de  offic.  eccl.  des  Erzbischofs 
Johannes  von  Rouen  (M.  147,  42)  am  Feste 
des  hl.  Johannes  Ev.  die  bei  der  Messe 
ministrierenden  Priester  Kasein  tragen  soll- 
ten, so  geschah  das,  weil  dieses  Fest  das 
Fest  der  Priester  war,  wie  das  Fest  des 
hl.  Stephanus  das  der  Leviten  und  der  Tag 
der  unschuldigen  Kindi-r  das  dc-r  Chorknaben. 
Wie  darum    am  St  Stephanstag  Diakone    in 


Dalmatik  den  Chor  dirigierten,  so  waren  am 
St  Johannistag  die  assistierenden  Priester  in 
Kasein  gekleidet. 

1  Winchester  Obedientiaries'  Rolls  179  ff 
(Dublin  Review  CXX  27). 

5  Uldalrici  Cluniac.  monachi  Consuet.  Clu- 
niac.  1.3  (M.  149,  635  ff). 

6  S.  Gruilielmi  abb.  Hirsaug.  Constitut. 
Hirsaug.  1.2  (M.  150,  927  ff). 

7  Lanfranci  Decreta  pro  ordine  S.  Bene- 
dicti  (ebd.  443). 

8  Liber  de  offic.  eccl.  (M.  147,  27  ff). 

0  Die  Sitte  muß  schon  zu  St-Riquier  im 
Beginn  des  9.  Jahrhunderts  geherrscht  haben, 
wie  die  ungemein  große  Zahl  der  cappae 
(200  bzw.  377)  in  den  damaligen  luventaren 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale.  315 

offenbar  nicht  um  eine  eigentlich  liturgische  Verwendung  des  Gewandes 
handelte  — ,  so  sind  es  namentlich  fünf  Gelegenheiten,  bei  denen  dieses  ge- 
braucht zu  werden  pflegte. 

Vor  allem  bedienten  sich  dieCantores,  der  Chordirigent  und  die  Sänger, 
welche  im  Chor  am  Ambo  das  Invitatorium,  die  Responsorien,  das  Graduale, 
das  Alleluja  usw.  absangen,  der  Cappa,  und  zwar  galt  diese  im  besondern 
Sinn  als  das  den  Cantores  eigentümliche  liturgische  Gewand.  Cappa  vestis 
propria  cantorum  est,  sagt  Honorius,  obschon  er  zugleich  bemerkt:  a  singulis 
ordinibus  portatur1.  Doch  trugen  die  Cantores  nicht  an  allen  Tagen  das 
Gewand,  sondern  nur  an  durch  den  Ortsgebrauch  bestimmten  Festen.  Nach 
dem  Ordinarium  des  Erzbischofs  Johannes  von  Rouen  war  beispielsweise  an 
den  gewöhnlichen  Sonntagen  nur  der  Cantor,  welcher  das  Alleluja  sang,  mit 
der  Cappa  bekleidet;  an  Festen  schwankte  die  Zahl  der  im  Pluviale  amtierenden 
Sänger  je  nach  dem  Rang  des  Festtages  zwischen  zwei  und  sechs. 

Zu  Farfa  sangen  beim  Officium  das  Invitatorium  bald  zwei ,  bald  vier 
in  der  Cappa,  doch  nur  an  Festtagen ;  an  den  andern  Tagen  trugen  die  Sänger 
beim  Invitatorium  lediglich  die  Albe.  Bei  der  Messe  war  an  gewöhnlichen 
Tagen,  wie  z.  B.  der  Vigil  vor  Weihnachten,  an  den  Sonntagen  Septuagesima, 
Sexagesima ,  Quinquagesima,  den  Sonntagen  der  Fastenzeit  u.  ä. ,  nur  einer 
der  Cantores  mit  der  Cappa  bekleidet,  an  Festtagen  dagegen  je  nach  deren 
Qualität  drei,  vier,  sechs,  acht  oder  zwölf. 

Zweitens  bediente  sich  der  Cappa  der  Priester,  welcher  beim  Magnificat 
der  Vespern  und  bei  der  Matutin  die  Altäre  zu  inzensieren  hatte;  doch  nur 
an  Festtagen.  An  hohen  Festen  waren  es  in  einzelnen  Klöstern  zwei  Priester, 
welche  in  Cappa  die  Beräucherung  der  Altäre  vornahmen. 

Eine  dritte  Gelegenheit,  bei  welcher  das  Gewand  Verwendung  fand, 
bildeten  die  Prozessionen.  Sie  waren  entweder  mit  der  Abhaltung  des 
Officiums  innig  verbunden,  wie  z.  B.  Sonntags,  am  Lichtmeßtage,  am  Palm- 
sonntag usw.,  so  daß  sie  regelmäßig  im  Verlauf  des  Kirchenjahres  wieder- 
kehrten, oder  sie  hatten  nur  bei  besondern  Anlässen  statt,  wie  bei  Reliquien- 
translationen  und  Empfängen  hoher  geistlicher  oder  weltlicher  Würdenträger. 
Bald  trugen  bei  den  Prozessionen  nur  die  Offiziatoren,  Priester  und  Cantores, 
bald  der  ganze  Konvent  die  Cappa.  Es  hing  das  teils  vom  lokalen  Brauche, 
teils  von  dem  liturgischen  Rang  der  Prozession  und  der  Würde  der  Person 
ab,  welcher  der  Empfang  galt. 

Die  vierte  Gelegenheit,  bei  welcher  die  Cappa  getragen  wurde,  waren 
die  feierlichen  Segnungen.  Zu  Farfa  kam  diese  schon  im  10.  Jahrhundert 
bei  der  Einsegnung  des  Abtes  zur  Verwendung,  und  zwar  war  sowohl  der 
amtierende  Bischof  wie  der  Electus  mit  ihr  bekleidet2.  Bei  der  Vornahme  der 
Kirchweihe  mag  sie  sich  auch  bereits  im  10.  Jahrhundert  eingebürgert  haben; 
jedenfalls  war  sie  bei  ihr  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  schon  sehr  gebräuchlich. 
Bei  der  Kerzensegnung  wurde  es  verschieden  gehalten.  Während  z.  B.  die 
Concordia  regularis  Dunstans  will,  daß  der  Abt  in  Cappa  die  Zeremonie 
vornehme3,    schreiben    die    fast   hundert   Jahre   jüngeren   Decreta    Lanfranks 


des  Klosters  beweist    (s.  oben  S.  310).     Nur  (f    1072)    werden    unter    den    Paramenten, 

jene  Gewänder   sind    als   liturgische    zu   be-  welche    der   Bischof   seiner  Kathedrale    gab, 

trachten,  welche  von  den  beim  Gottesdienst  auch  8  cantercaeppa  genannt, 

amtlich    tätigen  Personen    als  Amtskleidung  -  Albers,    Consuet.     Farfen.     142;    vgl. 

getragen  werden.  auch  Üdalrici  monachi  Consuet.  Cluniac.  1.  3, 

1  In   der   Schenkung  Leofrics  von    Exeter  c.  1   (M.  149,  733).             3  M.  137,  488. 


316  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

vor ,  sie  solle  nur  in  Albe  und  Stola  vollzogen  werden  K  Bei  der  Weihe 
der  Asche  war  das  Gewand  nirgends  üblich,  nicht  einmal  zu  Farfa2,  wo  man 
doch  sonst  mit  seiner  Verwertung  keineswegs  sparsam  war. 

Den  ausgedehntesten  Gebrauch  scheint  man  von  der  Cappa  in  dem  pracht- 
liebenden Cluny  und  in  den  Klöstern  gemacht  zu  haben,  welche  die  Con- 
suetudines  von  Cluny  übernommen  hatten.  Anderswo,  wie  zu  Einsiedeln,  Canter- 
bury  und  Rouen,  war  er  weit  seltener.  Bei  Begräbnissen  dürfte  die  Cappa 
im  10.  und  11.  Jahrhundert  nirgends  benutzt  worden  sein;  der  amtierende 
Priester  erschien  bei  ihnen  bloß  in  Albe  und  Stola.  Wenn  wir  auf  zwei 
Miniaturen  eines  Antiphonars  zu  Salzburg,  von  denen  die  eine  das  Begräbnis  des 
hl.  Johannes  Ev.,  die  andere  das  des  hl.  Rupert  darstellt,  einen  Priester  im 
Pluviale  die  Einsegnung  der  Leiche  vornehmen  sehen,  so  ist  hier  das  Gewand 
wahrscheinlich  eine  Zutat  des  Miniators.  Das  Antiphonar  entstammt  nach 
Ausweis  der  Form,  welche  die  Mitra  auf  den  Miniaturen  hat,  etwa  der  Mitte 
des  12.  Jahrhunderts3.  Bei  Absingung  des  Evangeliums  am  Schluß  der  dritten 
Nokturn  des  Officiums  nach  dem  Tedeum  war  der  Hebdomadarpriester  mit 
Albe,  Manipel,  Stola  und  Kasel  bekleidet,  welche  er  während  des  Hymnus 
in  der  Sakristei  anlegte4. 

Die  fünfte  Gelegenheit  endlich  bildeten  die  Synoden.  Schon  um  das 
Ende  des  11.  Jahrhunderts  war  es  Brauch,  daß  die  Bischöfe  auf  ihnen  die 
Cappa  trugen5.  Im  12.  Jahrhundert  wird  uns  diese  Sitte  durch  das  Ordi- 
narium  von  Limoges 6  bezeugt. 

Wenn  also  auch  von  einer  Einheit  in  der  Verwendung  des  Gewandes 
bis  zum  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  keine  Bede  sein  kann,  so  war  immer- 
hin die  spätere  Praxis  damals  bereits  in  den  Hauptzügen  fertig,  und  es  be- 
durfte nur  eines  Ausbaues,  einer  Befestigung  und  einer  Verallgemeinerung 
des  bestehenden  Brauches.  Sie  erfolgten  im  Verlauf  des  12.  Jahrhunderts7. 
Im  Beginn  des  13.  hatte  die  Entwicklung  im  großen  und  ganzen  ihren  Ab- 
schluß erreicht,  und  das  Pluviale  unter  den  liturgischen  Gewändern  die  Stellung 
sich  erobert,  welche  es  seitdem  bis  auf  die  Gegenwart  ununterbrochen  be- 
hauptet hat.  Was  das  römische  Missale  und  etwas  später  das  Caeremoniale 
bezüglich  der  Verwendung  des  Gewandes  bestimmten,  war  nichts  anderes, 
als  was  schon  das  ganze  spätere  Mittelalter  hindurch  gang  und  gäbe  ge- 
wesen war.  Die  liturgischen  Bücher  aus  dieser  Zeit,  die  Missalien,  Ponti- 
fikalien,  Ordines,  Ritualien,  Konsuetudinare ,  Ordinäre  und  wie  sie  immer 
heißen  mögen,  beweisen  das  zur  Genüge.  Von  den  Liturgikern  des  12.  Jahr- 
hunderts ist  Honorius  der  erste,  welcher  von  der  Cappa  redet,  leider  ohne 
über  ihre  Verwendung  nähere  Angaben  zu  machen.  Er  begnügt  sich  mit 
der  schon  früher  angeführten  Bemerkung,  daß  die  Cappa  das  den  Cantores 
im  besondern  zustehende  Gewand  sei,  daß  sie  im  übrigen  aber  von  allen 
Geistlichen  getragen  werden  dürfe  3.  Die  Cappae,  deren  Rupert  von  Deutz  Er- 
wähnung tut,   wenn  er  in  der  Schrift  De  officiis  divinis  schreibt:    cappam  in 


1  Sect.  2  (M.  150,  452).  °  Mart.  1.  3,  c.  1,  ordo  3;  II.  311. 

-  Albers,  Consuet.  Farfen.  31.  7  Ein  Pontiflkale  von Besaneon  (12.  Jahrb.) 

3  Lind,  EinAntiphonar  mit  Bildersclinmck,  läßt  den  Bischof  in  purpurner  Cappa  am 
Wien  1870,  Tfi  4  und  34.  Aschermittwoch    die  Ausweisung    der  Büßer 

4  Lanfranc.  Beeret,  sect.  7  10  (M.  150,  vornehmen  (Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  7,  ordo  13; 
473  479).  S.  Guilielmi  abb.  Hirsaug.  Con-  I  289) ;  ein  Rituale  von  Narbonne  (12.  Jahrb.) 
stitut.  Hirsaug.  c.  82  ("ebd.  1007).  schreibt  für  die  Ascheuweihe  die  Cappa  plu- 

5  Eadmeri  Historia  novorum  in  Anglia  vialis  vor  (ebd.  1.  4,  c.  15,  ordo  1;  III  50.) 
1.  2  (M.  G.  SS.  XIII  143).  8  Gemma  1.  1,  c.  227  (M.  172,  612). 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


317 


maioribus  festis  superinduimus,  sind,  wie  es  scheint,  nicht  das  eigentlich  litur- 
gische Pluviale,  sondern  die  Festtagscappa,  welche  man  in  den  Benediktiner- 
klöstern an  hohen  Festen  im  Chor  beim  feierlichen  Gottesdienst  zu  tragen 
pflegte 1. 

Von  den  römischen  Ordines  Mabillons  ist  der  6.  Ordo  der  erste,  der 
von  der  Existenz  und  Verwendung  der  Cappa  Mitteilung  macht.  Er  gibt 
indessen  bloß  an,  daß  die  dem  Bischof  assistierenden  Priester  mit  ihr  aus- 
gestattet seien 2.  Aber  auch  die  dem  12.  Jahrhundert  entstammenden  Ordines 
erzählen  nur  wenig  von  dem  Pluviale,  wie  die  Cappa  in  ihnen  stets  genannt 
wird,  teils  weil  sie  überhaupt  von  der  liturgischen  Kleidung,  welche  sie 
offenbar  als  bekannt  voraussetzen,  kaum  etwas  Belangreiches  sagen,  teils 
weil  sie  bloß  eine  bestimmte  Summe  von  Funktionen  besprechen.  Es  sind 
nur  ganz  vereinzelte  Angaben,  welche  sie  über  den  Gebrauch  des  Gewandes 
machen.  So  lesen  wir  im  10.  Ordo  Mabillons,  daß  am  Gründonnerstag  bei 
der  Ölweihe  und  den  Karfreitagszeremonien  die  Bischöfe  dem  Papste  im 
Pluviale  zu  assistieren  und  beim  Begräbnis  eines  römischen  Klerikers  vier 
Bischöfe,  Kardinalpriester  oder  Erzpriester  im  Pluviale  die  Inzensation  des 
Altares  vorzunehmen  hatten3.  Im  11.  Ordo  wird  uns  berichtet,  daß  die 
iudices  und  praefecti  navales,  welche  den  Papst  bei  seiner  feierlichen  Heim- 
kehr von  der  Stationskirche  begleiteten,  und  die  notarii,  die  im  Chore  der 
Stationskirche  der  Stationsmesse  anwohnten,  das  Pluviale  trugen4.  Der 
12.  Ordo  endlich  läßt  das  Gewand  gebrauchen  den  Kardinaldiakon,  welcher 
beim  Mahl  am  Weihnachtstag  die  Tischlesung  hatte,  die  Kardinäle  bei  der 
Prozession  nach  S.  Croce  am  Karfreitag  und  den  Papst  beim  Zug  nach  S.  Lorenzo 
beim  Lateran  am  Osterfest6.  Eine  sehr  interessante  Notiz  findet  sich  in  n.  46 
des  12.  Ordo.  Wir  erfahren  dort,  daß  die  mappularii  und  cubicularii,  welche 
bei  der  Weihe  eines  Bischofs  beschäftigt  gewesen  waren,  das  Recht  auf  das 
Pluviale  des  Neukonsekrierten  hatten.  Wollte  letzterer  dieses  behalten ,  so 
mußte  er  es  mit  einer  nach  seinem  Rang  und  Vermögen  vom  camerarius  be- 
messenen Geldsumme  auslösen6. 


V.    FORM  UND  BESCHAFFENHEIT  DES  GEWANDES. 

Zur  Karolinger  zeit  war  die  liturgische  Cappa,  nach  den  Bildwerken 
zu  urteilen,  ein  nach  Weise  der  Kasel  vorn  von  unten  bis  oben  geschlossener, 
mit  einer  Kapuze  versehener  Mantel.  Ob  es  damals  auch  schon  an  der  Vorder- 
seite aufgeschlitzte  und  auf  der  Brust  mit  einer  Schließe  befestigte  gegeben 
hat,  muß  dahingestellt  bleiben.  Unwahrscheinlich  ist  das  allerdings  nicht, 
da  ja  in  jener  Zeit  nach  gallischer  Sitte  auch  die  klerikale  Cappa,  wie 
vorhin  gesagt  wurde ,  an  der  Vorderseite  offen  gewesen  sein  dürfte 7.  Die 
cappae  romanae,    von   welchen   in   der  Vita  S.  Ansegisi   die  Rede  ist,   waren 


1  L.  2,  c.  24  (M.  170,  54). 

2  N.  1  (M.  78, 989).  Vgl.  oben  S.309,  Anm.4. 

3  N.   3    13   37    (ebd.  1009   1013    1023). 

4  N.  19  21   (ebd.  1033). 

5  N.  5  28  32  (ebd.  1066  1075    1077). 

6  Ebd.  1088.  Die  mappularii  und  cubicularii 
waren  Bedienstete ,  deren  Aufgabe  es  war, 
bei  den  Stationen  die  Teppiche,  Behänge, 
den  Betschemel,  die  Kissen  u.  ä.  zu  tragen, 
auszubreiten  bzw.  aufzustellen  und  wieder 
mitzunehmen.     So  beschreibt  Ordo  12  n.  45 


ihr  Amt.  Auch  hatten  sie  für  heißes  Wasser 
zu  sorgen ,  so  oft  der  Papst  an  einer  Bitt- 
prozession teilnahm,  damit  derselbe,  der  in 
solchen  Fällen  stets  barfuß  zu  gehen  hatte, 
nach  Beendigung  der  Feier  seine  Füße  waschen 
könne.  Desgleichen  hatten  sie  die  mappula 
(eine  Art  von  Baldachin)  zu  tragen ,  unter 
welcher  der  Papst  von  der  Türe  der  Stations- 
kirche zum  Altar  derselben  schritt.  Von 
dieser  mappula  hatten  sie  ihren  Namen. 
7  S.  oben  S.  307. 


318 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


aller  Wahrscheinlichkeit  nach  rings  geschlossene  Gewänder.  Darauf  läßt  die 
cappa  more  romano  consuta,  welche  Bischof  Arno  von  Salzburg  Alkuin 
zum  Geschenk  machte,  schließen  1 ;  denn  wenn  diese  auch  wohl  nur  eine  ge- 
wöhnliehe klerikale  Cappa  war,  so  zeigt  sie  doch,  welche  Form  das  Gewand 
damals  nach  römischem  Brauch  zu  haben  pflegte. 

Im  11.  Jahrhundert  war  die  liturgische  Cappa  nach  Ausweis  der 
früher  erwähnten  Miniaturen  schon  vorn  aufgeschlitzt,  und  so  blieb  es  dann 
für  die  ganze  Folgezeit  Regel.  Die  früheste  Beschreibung  der  Cappa  geben 
Rupert  von  Deutz  und  Honorius.  Beide  bezeichnen  sie  im  Einklang  mit  den 
bildlichen  Darstellungen  als  ein  vorn  offenes  Gewand ,  das  nur  mittelst  einer 
Fibel  geschlossen  wurde. 

Ein  Schild,  wie  er  jetzt  am  Pluviale  angebracht  ist,  war  diesem  ur- 
sprünglich fremd.  Statt  seiner  war  ihm  oben  im  Nacken  eine  Kapuze  an- 
genäht. Sie  ist  uns  schon  auf  Bildwerken  der  Karolingerzeit  begegnet2.  Auf- 
fällig ist,  daß  auf  den  Darstellungen  des  Gewandes,  welche  dem  11.  Jahrhundert 
entstammen,  eine  Kapuze  nicht  vorgesehen  ist3.  Ob  diese  wirklich  häufig 
weggelassen  wurde,  seitdem  das  Pluviale  vorn  offen  war  und  sich  infolge- 
dessen auch  ohne  sie  von  der  Kasel  deutlich  unterschied?  Klar  kommt  sie 
auf  den  beiden  eben  angeführten  Miniaturen  des  Salzburger  Antiphonars 
zum  Vorschein  *.  Ein  wirkliches  mittelalterliches  Pluviale  mit  Kapuze  hat 
sich  zu  St  Paul  in  Kärnten  erhalten;  die  Kapuze  ist  jedoch  bei  ihm  bereits 
so  klein,  daß  sie  niemals  praktischen  Zwecken  gedient  haben  kann  (Bild  144). 
Beträgt  doch  ihre  Länge  nur  0,45  m  und  ihre  Höhe  nur  0,22  m.  Sie  beweist, 
daß  die  als  Kopfbedeckung  gebrauchte  Kapuze  nicht  unmittelbar  durch  den  Schild 
ersetzt  wurde,  sondern  daß  sich  zwischen  beide  als  Übergangsform  eine  Zier- 
kapuze einschob ,  indem  jene  zunächst  zur  Miniaturkapuze  und  als  solche 
zum  bloßen  ornamentalen  Anhängsel  wurde  und  erst  dann  zu  einem  einfachen 
Zeugstück  verkümmerte. 

Wann  die  eigentliche  Kapuze  in  Abgang  kam  und  durch  die  Zierkapuze 
ersetzt  wurde,  läßt  sich  nicht  näher  bestimmen.  Wie  so  manche  andere 
Änderung  in  Bezug  auf  die  Form  und  Beschaffenheit  der  liturgischen  Ge- 
wandung wird  auch  diese  an  den  verschiedenen  Orten  zu  verschiedenen  Zeiten 
vor  sich  gegangen  sein.  In  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  war  die 
Umbildung  schon  vollzogen,  wie  das  aus  dieser  Zeit  stammende  Pluviale 
von  St  Paul  mit  seiner  Miniaturkapuze  beweist. 

Der  Hauptgrund  der  Änderung  dürfte  in  der  stofflichen  Beschaffenheit 
des  Pluviale  zu  suchen  sein.  An  einem  Prachtgewande,  wie  es  die  liturgische 
Cappa  schon  im  10.  Jahrhundert  so  häufig  war,  hatte  eine  wirkliche  Kapuze 
nur  wenig  praktische  Bedeutung  mehr.  Oder  wie  hätte  man  eine  Kapuze 
länger  als  Kopfbedeckung  verwenden  sollen,  die  aus  so  kostbaren  Zeugen 
angefertigt  war,   wie   sie   damals  zur  Herstellung   des  Chormantels   gern  ge- 


1  S.  oben  8.  307.  Um  1020  kommt  die 
Bezeichnung  cappa  romana  in  der  Historia 
Ademars  von  Chavannes  gelegentlich  der 
Beschreibung  der  Weihe  und  Inthronisation 
des  Bischofs  Giraldus  von  Limoges  (1.  3, 
n.  49  [M.  G.  SS.  IV  138]),  im  12.  Jahrhundert 
aber  in  einem  Ordinarium  von  St-Martial  zu 
Limoges  vor  (M  a  r  t.  1.  3 ,  c.  1 ,  ordo  3  4 ; 
II  311).  Auch  in  einem  Tabularium  von 
St-Cybar   zu  AngoulSme    (D,    C.    sub    cappa 


II  112),  das  ebenfalls  wohl  noch  der  Frühe 
des  Jahrtausends  angehören  dürfte ,  findet 
sich  der  Ausdruck.  In  allen  drei  Fällen  ist 
ohne  Zweifel  das  Pluviale  gemeint,  d.  i.  die 
liturgische  Cappa  in  der  damals  allgemein 
gebräuchlichen  Form.  Hinzugefügt  sei,  daß 
Limoges  wie  Angouleme  im  Südwesten  Frank- 
reichs liegen. 

2  S.  oben  S.  312  s  Ebd. 

1  S.  oben  S.  316. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


319 


braucht  wurden?  Wäre  sie  doch  in  diesem  Falle  nur  zu  bald  schmutzig  ge- 
worden und  verdorben.  Um  so  eher  aber  konnte  die  Kapuze  zu  einem  bloßen 
Ornament  verkümmern,  weil  die  meisten  Gelegenheiten,  bei  denen  man  sich 
des  Gewandes  bediente,  wie  z.  B.  die  Inzensierung  des  Altares,  die  Vornahme 
der  feierlichen  Segnungen,  die  Prozessionen  in  der  Kirche  und  dem  Claustrum 
und  ähnliches,  eine  Bedeckung  des  Kopfes  als  überflüssig  erscheinen  ließen, 
für  die  Fälle  aber,  wo  der  Gebrauch  einer  solchen  zweckmäßig  war,  sich  all- 
mählich eine  besondere  Kopfbedeckung  eingebürgert  hatte. 

Am  frühesten  begegnet  uns  diese  bei-  den  Cantores.  Schon  Honorius  er- 
wähnt sie  bei  ihnen :  Cantores  caput  pileis  ornant.  Ja  es  reichen  die  ersten 
Spuren  dieser  Kopfbedeckung  der  Cantores  bis  in  das  Ende  des  ersten  Jahrtausends 
hinauf.  Eine  Urkunde  des  Erzbischofs  Willegis  von  Mainz  aus  dem  Jahre  976 
bringt   uns,   wie   es   scheint,   bereits   von   ihr  Kunde.     Der  Cantor   und  Prior 


Bild   144.      Pluviale.      St  Paul  (Kärnten). 


Gozmarus  des  Stifts  Aschaffenburg  hatte  durch  grobe  Unvorsichtigkeit  einen 
Schüler  mit  der  Schreibtafel  erschlagen.  Willegis  verurteilte  ihn  deshalb  zur 
Absetzung  von  Amt  und  Einkommen,  trennte  die  Kantorie  und  das  Priorat 
voneinander  und  entzog  dem  Inhaber  der  Kantorie  das  Recht,  die  Abzeichen 
des  Chorregenten,  Stab  und  Infula,  hier  wohl  der  pileus  cantorum  des  Ho- 
norius ,  die  Cantormütze ,  zu  tragen 1.  Der  Grund  für  die  Einführung  der 
Mütze  bei  den  Cantores  mag  die  Absicht  gewesen  sein,  ihnen  eine  Art  von 
Abzeichen  zu  geben.  Aber  auch  bei  den  andern  Geistlichen  gab  es  zur  Zeit, 
da  die  Kapuze  zum  Zierstück  wurde,  beim  Chorgebet  schon  eine  besondere 
Kopfbedeckung,  die  bald  mutzen-  bald  kapuzenartige  Almucia 2.    Es  ist  wohl 


1  Gudenus,  Codex  diplom.  I  354.  Bei 
der  vielfachen  Bedeutung,  welche  infula  im 
Mittelalter  hatte,  könnte  man  freilich  an  sich 
auch  an  die  Cappa  des  Cantors  denken ;    in- 


dessen wird    denn    doch  wegen    der   Bemer- 
kung des  Honorius  über  den  pileus  der  Sänger 
die  infula  am  besten  als  pileus  aufgefaßt. 
-  Näheres  am  Ende  dieses  Kapitels. 


320  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

kaum  zweifelhaft,  daß  ihr  Auftreten  mit  der  Umbildung  der  Kapuze  ebenfalls 
in  einem  inneren  Zusammenhang  steht. 

Bei  einer  Kapuze,  die  bloßer  Zierat  war,  blieb  es  nicht  lange.  Sie 
wurde  schon  im  Verlauf  des  13.  Jahrhunderts  zu  einem  bloßen  schildförmigen 
Zeugstück,  das  freilich  noch  lange  caputium  oder  capulum  hieß  und  auch 
noch  durch  seine  dreieckige  Form  an  die  ursprüngliche  Kapuze  erinnerte. 
Anfangs  war  das  capulum  klein,  nicht  größer  als  die  Miniaturkapuze,  an 
deren  Stelle  es  getreten  war,  eher  sogar  kleiner  als  diese  und  meist  ein  regel- 
rechtes, gleichseitiges  Dreieck.  Im  14.  Jahrhundert  wurde  es  jedoch  langsam, 
aber  stetig  größer,  während  seine  Seiten  zu  gleicher  Zeit  sich  bogenförmig 
zu  krümmen  begannen.  In  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  hatten  seine 
Maße  und  die  Krümmung  der  Seiten  bereits  so  sehr  zugenommen,  daß  es  wirk- 
lich war,  was   der  Name,  den   es   nun    erhielt,  besagte,   ein  clipeus,  Schild. 

Eine  weitere  Veränderung  hob  dann  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
an.  Der  Spitzbogen,  in  dem  der  Schild  unten  endigte,  erhielt  eine  stark  ge- 
drückte Form,  bei  der  vielfach  kaum  mehr  die  Spitze  wahrnehmbar  war. 
Auch  artete  er  wohl  in  einen  völligen  Eselsrücken  aus.  Im  16.  Jahrhundert 
verschwand  der  spitzbogige  Abschluß  ganz,  um  zunächst  von  einem  halbrunden 
und  hierauf  von  einem  halbovalen  abgelöst  zu  werden.  Damit  war  eine  Form 
des  Schildes  gefunden,  welche  für  lange  Zeit  nicht  mehr  vom  Plan  verschwinden 
sollte  und  sich  selbst  gegenüber  den  Reformversuchen  beim  Wiederaufblühen 
der  Paramentik  im  19.  Jahrhundert  im  großen  und  ganzen  als  sieghaft  er- 
wies (Bild  145). 

Die  einzige  Weiterentwicklung,  die  seitdem  mit  dem  Schilde  vor  sich 
ging,  bestand  in  der  Zunahme  seiner  Maßverhältnisse.  War  er  um  1500  noch 
immer  bloß  mäßig  groß,  so  war  er  bis  zum  18.  Jahrhundert  ein  den  Rücken 
in  seiner  ganzen  Breite  bedeckendes,  bis  über  die  Körpermitte  herabhangendes 
Zeugstück  geworden.  Das  bei  der  Wiederbelebung  des  Sinnes  für  edlere 
Formen  der  Paramente  sich  geltend  machende  Bestreben,  den  Schild  auf  ein 
bescheideneres  Maß  zurückzuführen,  hatte  nur  teilweisen  Erfolg. 

Man  kann  die  Frage  aufwerfen,  ob  das  Pluviale  oder  die  liturgische 
Cappa  im  Mittelalter  stets  mit  einer  Kapuze  bzw.  einem  Schild  ausgestattet 
worden  sei.  Eine  diesbezügliche  Vorschrift  hat  nie  bestanden,  wenigstens 
findet  sich  keine  Spur  einer  solchen.  Doch  war  es  jedenfalls  das  gewöhnliche, 
weshalb  denn  auch  Honorius  schlechthin  bemerkt:  In  supremo  caputium  habet. 
Auffällig  ist,  wie  schon  bemerkt  wurde,  daß  auf  den  Miniaturen,  zumal  den 
früheren,  das  caputium  oder  der  clipeus  häufig  fehlen.  Indessen  könnte  das 
zuletzt  auf  einer  dem  Künstler  zur  Last  fallenden  Vergeßlichkeit  oder  auf  der 
zeichnerischen  Unfähigkeit  des  Miniators  beruhen.  Wichtiger  ist,  daß  an  ver- 
schiedenen der  noch  vorhandenen  mittelalterlichen  Pluvialien  ein  Schild  nicht 
bloß  gegenwärtig  fehlt,  sondern  auch  nie  angebracht  gewesen  zu  sein  scheint. 
Immerhin  dürften  das  nur  Ausnahmen  gewesen  sein,  die  sich  zum  Teil  aus 
der  besondern  Beschaffenheit  der  betreffenden  Gewänder  —  meist  handelt  es 
sich  bei  ihnen  um  ganz  bestickte  Pluvialien  —  genügend  erklären.  In  der 
Tat  wird  beispielsweise  im  Inventar  des  apostolischen  Schatzes  von  1295  nur 
bei  einem  von  26  Pluvialien  das  Fehlen  des  caputium  vermerkt.  Im  Schatz- 
verzeichnis von  St  Peter  aus  dem  Jahre  1361  ist  bei  keinem  von  83  Pluvialien 
das  Nichtvorhandensein  eines  Schildes  notiert,  wohl  aber  wird  dieser  bei  66 
aus  irgend  einem  firund,  wie  der  Stickereien  oder  des  Stoffes  wegen,  aus- 
drücklich erwähnt. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


321 


Damit  die  Cappa  von  den  Schultern  nicht  hinabgleite,  mußte  sie,  seit- 
dem sie  vorn  aufgeschlitzt  war,  vor  der  Brust  mittels  Haken  und  Ösen  zu- 
sammengehalten werden.  Diese  waren  entweder  unmittelbar  am  Saum  des  Ge- 
wandes befestigt  oder  an  rechteckigen,  vorn  in  der  Brustgegend  angebrachten 
Laschen  angenäht.  Bei  reicheren  Pluvialien  wurden  diese  Laschen  gern 
mit  Stickereien  oder  aufgesetzten  Perlen  und  Edelsteinen  verziert.  Item  cappa 
una  quae  fuit  Warneri  de  Sandford  cum  morsu  de  aurifrisio  cum  lapillulis 
multis  in  morsu.  .  .  .  Item  cappa  una  quae  fuit  magistri  Ioannis  de  Brideport 
cum  morsu  de  aurifrisio  continente  lapides  18,  heißt  es  z.  B.  in  dem  Inventar 
von  Salisbury  aus  dem  Jahre  1212.  Item  pluviale  .  .  .  cum  firmali  cum  duobus 
buttonibus  (Zierknöpfchen)  de  perlis  et  tertio  de  auro,  in  quo  uno,  scilicet 
medius ,  est  unus  balassus  (Rubin)  in  castone  (Einfassung)  de  auro ,  merkt 
das  Inventar  des  päpstlichen  Schatzes  von  1295  an.  Man  nannte  die  Be- 
festigungsvorrichtung  allgemein  fibula,  morsus,  firmale,  firmarium.  Im  be- 
sondern aber  bezeichnete  man  mit  diesen  Worten  eine  Spange  oder  Agraffe, 
die  vielfach  an  dem  Pluviale  an  Stelle  bloßer  Haken  oder  Laschen  angebracht 


Bild  145.     Übersicht  über  die  Entwicklung  des  Pluvialsehildes. 


zu  werden  pflegte,  um  das  Gewand  über  der  Brust  zusammenzuhalten.  Sie 
führte  auch  die  Namen  monile  oder  pectorale. 

Schon  früh  wurden  solche  Agraffen  zum  Schließen  des  Pluviale  an- 
gewendet, wie  nicht  nur  die  vorhin  erwähnten  Miniaturen  des  11.  Jahr- 
hunderts beweisen,  sondern  auch  die  Inventare  von  Wörthsee  (ca  1000):  cappae 
cum  fibulis  aureis,  und  von  Ely  (1079):  4  tasselli  ad  usus  earum  capparum. 
Sie  waren  häufig  sehr  kostbar  und  kunstreich  mit  Filigrau,  Schmelzen,  Perlen 
und  Edelsteinen  ausgestattet.  So  verzeichnet  schon  ein  Inventar  von  Martins- 
berg in  Ungarn,  das  ins  12.  Jahrhundert  hinaufreichen  mag,  eine  cappa,  quae 
habet  super  se  pectorale  aureum  smaldo  paratum. 

Derartige  Agraffen  müssen  namentlich  in  England  sehr  beliebt  gewesen  sein, 
da  die  englischen  Inventare  sie  in  großer  Zahl  anführen.  Bereits  das  Schatzverzeichnis 
von  Salisbui'}7  aus  dem  Jahre  1212  erwähnt  ihrer  5 :  cappa  una  . . .  cum  morsu  argenteo, 
in  quo  continetur  lapis  unus  cameu  et  alii  13  et  lapilluli  9  a  latere;  item  cappa 
una  .  .  .  cum  morsu  argenteo  continente  lapides  35  et  a  latere  lapides  19  cum  magna 
multitudine  margaritarum  usw.  Ungemein  reich  an  solchen  Agraffen  war  dem  In- 
ventar von  1245  zufolge  St  Paul  zu  London.  Es  besaß  deren  17  aus  vergoldetem 
Silber,  4  aus  vergoldetem  Kupfer  und  7  aus  Holz,  das  mit  Silberblech  überzogen  war. 
Alle  waren  mit  Steinen ,  Perlen  oder  Schmelzen  mehr  oder  weniger  kostbar  verziert ; 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  21 


?22 


Zweiter  Abschnitt,     Die  liturgischen  Oberaewänder. 


12  wiesen  obendrein  bildliche  Darstellungen  auf,  wie  die  Maiestas  Domini,  Szenen  aus 
dem  Leben  Christi,  die  Krönung  Maria,  die  Apostel  Petrus  und  Paulus  und  andere 
Heilige.  Ein  Inventar  der  Kathedrale  von  York  aus  dem  Jahre  1548  vermerkt  im 
ganzen  11  morsus,  darunter  einen  von  2,  einen  andern  von  1  Pfund  8'/2  Unzen. 

Aber  auch  in  nichtenglischen  Schatzverzeichnissen  werden  die  Agraffen  oft  in 
großer  Zahl  erwähnt.  So  führt  das  Inventar  von  Cluny  aus  dem  Jahre  1S82  ihrer  volle 
19  unter  dem  Namen  pectorale  auf,  darunter  8  aus  massivem ,  vergoldetem  Silber. 
Eine  der  Agraffen  war  mit  einer  Kamee  geschmückt,  um  die  sich  je  6  von  Bubinen 
umgebene,  dicke  Perlen  und  große  Saphire  gruppierten,  eine  andere  mit  den  Bildern 
des  hl.  Petrus  und  zweier  Engel,  die  von  3  Saphiren,  2  Bubinen,  1  Kristall  und 
12  sonstigen  Edelsteinen  umrahmt  waren.  Die  übrigen  wiesen,  mit  Ausnahme  einer 
einzigen,  figürliche  Darstellungen  als  Verzierungen  auf.  Das  Inventar  der  Kathedrale 
zu  Cambrai  von  1359  kennt  32  tassiaux  (Sing,  tassiel),  wie  in  Flandern  die  Agraffen 
genannt  wurden,  das  von  1401  sogar  55,  große  und  kleinere,  die  einen  quadratisch, 
andere  rund,  wieder  andere  vierpaßförmig,  einige  in  Form  des  Buchstabens  (J).;  alle 
aber  mehr  oder  weniger  reich  ausgestattet  mit  Perlen,  Edelsteinen,  Heiligenstatuetten, 
Niellos,  Emailbildchen  usw.  In  St-Ame  zu  Douai  besaß  man  1377  und  1386  19  tas- 
siaux von  ähnlicher  Art  wie  die  in  den 
Schatzverzeichnissen  von  Cambrai  aufge- 
führten, ungerechnet  eine  Anzahl  kostbarer, 
mit  figürlichen  Darstellungen  bestickter  und 
mit  Perlen  und  Edelsteinen  besetzter 
Schließen  aus  Stoff. 

Wenn  in  den  Inventaren  die  Pluvial- 
schließen  nicht  immer  ausdrücklich  genannt 
werden,  so  kommt  das  wohl  daher,  daß 
sie  vielfach  als  selbstverständlicher  Teil 
des  Pluviale,  an  welchem  sie  befestigt 
waren,  betrachtet  wurden. 

Der  Pluvialfibel  erging  es  übrigens 
ähnlich  wie  der  Kapuze.  Auch  sie 
wurde  allmählich  ihrem  praktischen 
Zweck  entfremdet  und  zum  bloßen 
Schmuck,  nur  war  hier  der  Grund  für 
den  Wandel  ein  anderer.  War  es  dort 
der  Umstand,  daß  die  Kapuze  keine  praktische  Bedeutung  mehr  besaß,  dann 
hier  das  Bestreben,  die  Schließe  möglichst  prächtig  auszugestalten.  Zum  bloßen 
Zierstück  geworden,  war  die  Fibel  in  der  Regel  nicht  mehr  dauernd  am  Plu- 
viale angebracht,  sondern  so  eingerichtet,  daß.  man  sie  mittels  Haken  oder 
Ösen  beim  Gebrauch  an  den  Laschen,  welche  das  Gewand  über  der  Brust  zu- 
sammenhielten, aufhängen  und  nach  der  Benutzung  wieder  von  diesen  loslösen 
und  für  sich  aufbewahren  konnte.  So  hielt  man  es  namentlich  dann,  wenn 
das  Gewicht  der  Schließe  ein  bedeutenderes  war.  In  der  Tat  war  es  auch 
kaum  tunlich,  solche  Agraffen  an  ihrem  zugehörigen  Pluviale  aufzubewahren. 
Dementsprechend  werden  denn  auch  häufig  die  morsus,  oder  wie  die  Schließen 
immer  heißen,  in  den  Inventaren  getrennt  für  sich  als  ein  besonderes  Schmuck- 
stück aufgeführt.  So  beispielsweise  schon  in  den  Schatzverzeichnissen  der 
Kathedrale  von  Salisbury  (1212)  und  von  St  Paul  zu  London  (1245)  und  dem 
Inventar  der  Schätze  des  Apostolischen  Stuhles  vom  Jahre  1295.  Item,  heißt 
es  hier  z.  B.,  unum  Annale  pro  pluviali  de  auro  cum  V  zaffiris  grossis  et 
IV  perlis  et  VIII  granatellis  cum  acu  argentea;  pond.  I  m.  et  dimid.  unc.  .  .  .; 
item  quoddam  aliud  firmale  pro  pluviali  de  ligno  guarnitum  de  auro  et  XI  vitris 


Bild    146.      Pluvialscllließe.      Elten,  Pfarrkirche. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


:::>:; 


zaffirini  coloris;  pond.  I  m.  et  II  unc.  .  .  .;  item  quoddam  Annale  de  argento 
deaurato  cum  V  imaginibus  in  tabernaculis;  pond.  lim.  et  III  unc.  et  dimid.  * 
Noch  haben  sich  manche  mittelalterliche  Pluvialagraffen  erhalten,  zumal 
in  Deutschland,  wenngleich  was  davon  vorhanden  ist,  zuletzt  nur  einen  ver- 
schwindenden Teil  des  ehemaligen  Bestandes  ausmacht. 

Eine  schöne,  silbervergoldete  Fibel  im  Schatz  der  Münsterkirche  zu  Essen  (ca  1500) 
hat  die  Form  eines  Vierpasses,  den  ein  achtseitiger  Stern  durchquert.  Unter  spät- 
gotischen Baldachinen  thronen  in  der  Mitte  Maria  mit  dem  Kinde  und  derselben  zur 
Seite  die  beiden  Stiftspatrone  Kosmas  und  Damian  -.  Ein  morsus  von  ebenso  edeln 
Formen  als  guter  Ausführung  aus  dem  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  befindet  sich 
in  der  ehemaligen  Stiftskirche  zu  Elten  am  Niederrhein  (Bild  146).  Er  besteht  aus 
vergoldetem  Silber,  stellt  einen  Vierpaß  von  14  cm  Durchmesser  dar,  den  ein  Quadrat 
durchschneidet,  und  weist 
auf  dem  Bande  aufge- 
stiftete silberne  Kosetten, 
in  der  Mitte  aber  unter 
vorspringendem  Balda- 
chin die  Standfigur  des 
hl.  Vitus  auf,  rechts  und 
links  vom  Wappen  derStif- 
ter  begleitet.  Ein  zweiter 
morsus  im  Schatz  der- 
selben Kirche  ist  kreis- 
rund und  hat  15  cm  im 
Durchmesser.  Die  Mitte 
nimmt  Christus  ein,  der 
zwischen  Maria  und  Jo- 
hannes auf  grün  email- 
liertem Berge  steht.  Die 
auf  der  Agraffe  ange- 
brachten Wappen  bekun- 
den ,  daß  dieselbe  um 
das  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts entstand.  Von 
eigenartigem,  ganz  pro- 
fanem Charakter  ist  eine 
dritte  Pluvialschließe  in 
dem  Schatz  zu  Elten.  Sie 
stellt  einen  Vierpaß  mit 
stark  geschwungenem 
Rahmen  dar,  dessen  Inne- 
res durch  eine  in  mächtigem  Relief  gearbeitete  turmreiche  Burg  ausgefüllt  wird. 
Im  geöffneten  Tor  steht  ein  Knappe,  auf  den  von  der  Brüstung  des  Oberbaues  des 
Tores  ein  Mann  herabschaut.  Das  Stück  ist  sehr  interessant,  aber  ursprünglich 
schwerlich  für  gottesdienstliche  Zwecke  bestimmt  gewesen.  Der  Durchmesser  der 
Agraffe  (15.  Jahrhundert)  beträgt  ca  14  cm3. 


Bild    147.      Pluvialscllließe.      Aachen,  Münster. 


1  Biblioth.  de  l'Ecole  des  Chartes  XLIII 
(1882)  637.  Wenn  der  Herausgeber  meint, 
auch  die  XLV  (1884)  46  genannten  nuscae 
seien  wahrscheinlich  Agraffen  für  Pluvialien, 
so  ist  das  irrig.  Es  sind  sog.  Phylakterien, 
an  Bändern  oder  Kettchen  aufgehängte  Me- 
daillons, in  welchen  sich  Reliquien  befanden. 


-  Abbildung  bei  G.  Humann,  Die  Kunst- 
werke der  Münsterkirche  zu  Essen,  Düssel- 
dorf 1904,  Tfl  58. 

3  Abbildung  in  Kunstdenkmäler  des  Kreises 

Rees,  Düsseldorf  1892,  Tfl  4.  Eine  schöne  Fibel 

in  der  Pfarrkirche  zu  Kempen  (E.  16.  Jahrh.) 

s.  Kunstd.  des  Kr.  Kempen,  ebd.  1891,  76. 

2t* 


324 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Bild    148.      Pluvialschließe.      Aachen,  Münster. 


Eine  große  Zahl  mittelalter- 
licher Pluvialfibeln  enthält  der 
Aachener  Münsterschatz.  Eine 
derselben ,  eine  Arbeit  aus  dem 
Beginn  des  16.  Jahrhunderts,  ist 
in  späterer  Zeit  in  ein  Paxtäfel- 
chen  umgewandelt  worden.  Sie 
stellt  eine  sechsblätterige  Kose 
dar,  in  welche  ein  Dreipaß  gelegt 
ist.  Derselbe  enthält  in  der  Mitte 
unter  luftigem  Baldachin  den 
vor  der  Gottesmutter  mit  dem 
Jesuskind  knienden  Donator, 
rechts  und  links  dessen  Patrone. 
Zwei  andere,  in  ihrem  Entwurf 
ebenso  originelle  wie  in  der  Aus- 
führung reiche  Agraffen  sind  ein 
Geschenk  Ludwigs  von  Ungarn 
(Bild  147,  S.  323).  Sie  sind  22  cm 
hoch  bei  19  cm  Breite  und  wurden 
zwischen  1340  und  1367,  wie 
es  scheint,  zu  Klausenburg  an- 
gefertigt. Die  Abbildung  über- 
hebt uns  einer  näheren  Beschrei- 
bung. Viel  edler  als  die  beiden  letztgenannten  ist  eine  vierte  Fibel  des  Aachener 
Schatzes.  Ein  rechteckiger,  mit  Perlen  und  Rosettchen  dicht  besetzter  Rahmen 
ist  durch  einen  Querstab  in  eine  größere  obere  und  eine  kleinere  untere  Abteilung- 
geschieden.  Die  obere  enthält  unter  zierlichen  Baldachinen  in  vortrefflichster  Arbeit 
eine  Gruppe  der  Verkündigung :  Maria  auf  dem  Throne  zur  Linken ,  den  Engel 
mit  dem  Spruchband  zur  Rechten ,  eine  Blumenvase  in  der  Mitte.  Den  mit  Rauten 
gemusterten  Hintergrund  bedeckt  durchsichtiges  blaues  Email.  Die  untere  Abteilung 
ist  durch  Pilaster  in  drei  Kammern  geteilt,  von  denen  die  mittlere  die  Statuette  eines 
heiligen  Papstes ,  die  beiden  seitlichen  den  hl.  Christophorus  bzw.  den  knienden 
Donator  aufweisen.  Von  den  vier  Kreisabschnitten ,  welche  sich  an  die  Seiten  des 
Rechtecks  anlehnen ,  enthält  der  obere  einen  Engel ,  der  untere  das  Wappen  des 
Stifters;  die  seitlichen  füllt  Maßwerk.  Die  Umrahmung  der  Abschnitte  ist  in  Über- 
einstimmung mit  derjenigen  des  Rechtecks 
gleichfalls  mit  kleinen  Rosetten  und  Perlen 
besetzt.  Die  20  cm  hohe  und  18,5  cm  breite 
Agraffe  entstammt  der  zweiten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  und  ist  eine  der  schönsten 
ihrer  Art  (Bild  148). 

Ungemein  reich  an  alten  Pluvialschließen 
ist   der   Schatz    der   Stiftskirche   zu   Tongern 
(Belgien).    Zählt  er  deren  doch  nicht  weniger 
als  ein  volles  Dutzend,  von  denen  die  Mehrzahl 
SB'      entweder    ganz    oder    doch    in    ihren    Haupt- 
X^  ^r         bestandteilen    noch   dem  15.  Jahrhundert  an- 

gehören.   Zwei  derselben  stellen  einen  Vierpaß 
[    \  dar,  in  dessen  Mitte  unter  einem  reichen  Bal- 

dachin Maria  mit  dem  Kinde  angebracht  ist, 
während  auf  den  seitlichen  Pässen   in  durch- 
sichtigem Email  der  Geschenkgeber  und  sein 
Bild  149.    Pluvialsclüieße.  Wappen    dargestellt    erscheint.      Eine    dieser 

Tongern,  Pfarrkirche.  beiden  Schließen  ist  laut  Inschrift  eine  Stiftung 


Drittes  Kapitel.     Das   Pluviale. 


325 


Bild   150.     Pluvialschliefie.      Tongern.  Pfarrkirche. 


des  Kanonikus  Johannes  Cleinjas  (Bild  149). 
Zwei  andere  Agraffen  des  Schatzes,  durch- 
aus genaue  Gegenstücke,  haben  die  Form 
einer  sechsblätterigen  Eose  (Bild  150)  von 
0,15  m  Durchmesser.  In  ihrer  Mitte  ge- 
wahren wir  innerhalb  eines  Kreises  auf  ehe- 
mals blau  emailliertem  Fond  in  Belief  die 
allerseligste  Jungfrau  mit  dem  Kind,  um- 
geben und  getragen  von  Engeln,  während 
wir  in  den  acht  Bässen  die  in  durchsich- 
tigem Email  ausgeführten  Brustbilder  von 
Christus  und  sieben  Aposteln  bemerken. 
Zwei  weitere  Schließen,  ebenfalls  Gegen- 
stücke, weisen  als  Schmuck  in  getriebener 
Arbeit  den  Verrat  des  Judas  und  die  Kreuz- 
tragung  auf.  Nur  das  Mittelstück  ent- 
stammt jedoch  bei  ihnen  dem  Mittelalter ; 
die  sehr  unbedeutende  Umrahmung  ist  das 
Werk  einer  im  17.  Jahrhundert  erfolgten  Restauration  (Bild  151).  Von  den  übrigen 
Pluvialagraffen  des  Schatzes  verdient  noch  Erwähnung  ein  Paar,  das  sich  ebensowohl 
durch  seine  wirkungsvolle,  originelle  Umrahmung  wie  die  auffallende  Gröfäe  von  0,195  m 
Durchmesser  auszeichnet.  Das  Bildwerk  des  Mittelfeldes  ist  bei  ihnen  älter  als  der  Rahmen, 
indessen  durch  Restaurationen  in  späterem  Geschmack  verändert  (Bild  152,  S.  326). 
Eine  Fibel  aus  dem  1 6.  Jahrhundert  in  der  Kirche  zu  Hamont  (belgisch  Lim- 
burg) ist  im  Lauf  der  Zeit  wie  ihre  oben  besprochene  Aachener  Schwester  zum  Pax- 
täfelchen  umgestaltet  worden.  Sie  hat  im  Durchmesser  1 6  cm,  ist  vierpaßförmig  und 
enthält  in  der  Mitte  auf  einem  mit  zierlichen  Ranken  gemusterten  Untergrund  in  Relief 
eine  Kreuzigungsgruppe ,  flankiert  von  den  Aposteln  Petrus  und  Paulus.  Eine  gute 
Agraffe  aus  dem  17.  Jahrhundert  besitzt  die  Kirche  des  Beginenhofes  zu  Tongern.  Inner- 
halb eines  Kranzes  steht  unter  einem  Bogen  Maria  mit  dem  Kind.  Rechts  und  links  ist 
je  ein  Herold  mit  einem  Wappenschilde  angebracht.  Die  allerseligste  Jungfrau  wächst 
aus  einem  Lilienkelche  hervor.  Die  Inschrift  auf  der  14  cm  im  Durchmesser  haltenden 
Agraffe  lautet  im  flämischen  Dialekt:  HOOCHSTE  •  VE(R)HEVE  •  KEYSERINE  •  TER  • 
NOOT  •  MA(RIA)  •  WEEST  •  O(NS)  •  VRI(N)DINNE  •  REYN  •  LILYE  •  ONBESMET. 

Eine  im  Besitz  der  St  Ursulakirche 
zu  Köln  befindliche  Fibel  stellt  einen 
Vierpaß  dar,  aus  dessen  Ecken  Blattwerk 
hervorwächst.  Das  Bildwerk,  welches  sie 
schmückt,  besteht  in  Statuettchen  der 
Gottesmutter,  eines  heiligen  Apostels  und 
des  hl.  Franziskus.  Das  Schmuckstück 
mag  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
angehören   und   hat   0.165  cm   im   Durch- 


Eine  interessante  Agraffe  von  ausge- 
sprochenen Renaissanceformen,  die  bezüg- 
lich des  Grundschemas,  eines  Vierpasses, 
und  der  Anordnung  des  Bildwerkes  im 
Mittelfeld  aber  noch  ganz  auf  dem  Boden 
des  Mittelalters  steht,  besitzt  der  Dom  zu 
Paderborn2.  Sie  ist  16  cm  breit.  In  den 
Pässen  sind  beflügelte  Engelköpfchen  dar-     Bild  151. 


Pllivialschliefie.     Tongern,  Pfarrkirche. 


1  Abbildung  bei  Bock,  Das  heilige  Köln, 
Leipzig  1858,  Tfl  8. 


2  Abbildung  in  Bau-  und  Kunstdenkmäler 
des  Kreises  Paderborn,  Münster  1899,  Tfl  56. 


326  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

gestellt;    unter   den  Bogen   in   der  Mitte   der  Fibel   gewahren  wir  Maria,  St  Liborius 
und  St  Kilian. 

Von  sonstigen  Pluvialagraffen  seien  noch  kurz  erwähnt  eine  herrliehe  Fibel 
im  Kunstgewerbemuseum  zu  Berlin,  welche  1484  für  den  Dom  zu  Minden  von  Gold- 
schmied Beiuecke  vam  Dressche  verfertigt  wurde  (Bild  153),  eine  überaus  zarte  und 
edle  Arbeit,  eine  Fibel  im  ungarischen  Nationalmuseum  zu  Pest  aus  dem  Beginn  des 
16.  Jahrhunderts  ' ;  eine  einfache,  aber  schöne  Schliefse  mit  der  Darstellung  der  hl.  Anna 
„selbdritt"  in  der  Johanneskirche  zu  Herford;  eine  kupfervergoldete,  mit  einer  Statuette 
der  hl.  Agatha  verzierte  Agraffe  im  grofsherzoglichen  Museum  zu  Darmstadt  - ;  eine 
mit  Silberstatuetten  der  hll.  Bartholomäus ,  Johannes  Baptista  und  Margareta  ge- 
schmückte Agraffe  im  St  Bartholomäusdom  zu  Frankfurt  a.  M. ;  zwei  aus  der  letzten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  stammende  Fibeln  im  fürstlich  hohenzollernschen  Museum 
zu  Sigmaringen ;  zwei  Pluvialschließen  im  Kothschildmuseum  zu  Frankfurt,  von  denen 
eine  die  Verkündigung,  die  andere  eine  Bischofsfigur  aufweist3;  eine  prächtige,  mit 
Statuettchen  der  Mutter  Gottes ,  der  Apostel  Petrus  und  Paulus  und  der  hll.  Kosmas 
und  Damian  gefüllte  Agraffe  im  königlich  bayrischen  Nationalmuseuni  zu  München; 
drei  Pluvialschliefsen  der  ehemaligen  Sammlung  Felix  zu  Leipzig,    von  denen  eine  in 

Niello  Szenen  aus  dem  Leben  des  Erlösers 
(Verkündigung,  Geburt,  Kreuzigung,  Auf- 
erstehung und  Gericht)  enthält,  während 
auf  den  zwei  andern  eine  Anbetung  der 
heiligen  drei  Könige  in  Niello  bzw.  Belief 
die  Mitte  einnimmt ',  endlich  die  glänzende 
Agraffe  in  der  kaiserlichen  Zeichenschule 
zu  Petersburg  in  Form  einer  zehnblätterigen 
Rose  5. 

Von  dem  gewöhnlichen  Tyrjus  weicht 
ganz  ab  eine  Fibel  in  der  Pfarrkirche  zu 
Villingen  (Baden).  Sie  besteht  aus  einem 
größeren  mittleren  und  zwei  kleineren 
seitlichen  Schilden.  Diese  enthalten  je  einen 
knienden  Engel  mit  Kerze  in  der  Hand, 
jener  Maria  mit  dem  hl.  Johannes  dem 
Täufer  und  St  Katharina.  Die  seitlichen 
Bild  152.    Pluvialschliefie.    Tongern,  Pfarrkirche.  Schildchen  sind   bestimmt ,    an  den   beiden 

Säumen  des  Pluviale  angenäht  zu  werden. 
Das  eine  ist  an  dem  Mittelschild  durch  eine  Scharnier  befestigt,  das  andere  wird  mit 
ihm  durch  einen  Stachel  verbunden  (Bild  154,  S.  328). 

Was  den  Stoff  des  Gewandes  anlangt,  so  kommen  bereits  früh  Plu- 
vialien  aus  besseren  Zeugen  vor.  Schon  die  Stiftungsurkunde  von  Obona 
(Ende  des  8.  Jahrhunderts)  erwähnt  eine  cappa  serica.  Erinnert  sei  ferner  an 
die  aus  rotem  Cendel  (Seidentaft)  gemachte  Cappa,  welche  St  Ansegisus  Fon- 
tanelle schenkte,  an  die  cappa  serica  des  Inventars  von  St-Riquier,  die 
cappae  33  preciosae  de  pallio  und  24  de  pallio  der  Inventare  von  St  Trond 
und  Gent,  die  drei  reich  mit  Gold-  und  Silberverzierungen  geschmückten 
Cappae,  welche  Adelheid  zu  Ehren  des  hl.  Martin  stiftete,  die  kostbaren 
Cappae  des  Inventars  von  Clermont-Ferrand  usw.,  von  welchen  ebenfalls  be- 
reits die  Rede  war.    Mit  dem   11.  Jahrhundert  nimmt  die  Zahl  der  kostbaren 


1  Abbildung  in  Mitt.  XII  (1867)   110.  868  506.     Durch  die  Versteigerung  1886   in 

2  Abbildung   bei    Hefner-Alt.   Tfl   318.  verschiedene  Sammlungen  zerstreut. 

3  Abbildung    bei    Luthmer,    Gold    und  5  Sie  stammt  aus  der  Sammlung  Leven  zu 
Silber,  Leipzig  1888,  Tn  28,  5  7.  Köln;  Abbildung  bei  Hei  deloff,  Die  Orna- 

1  Katalog   der  Sammlung   Felix  Nr   867  mente  des  Mittelalters  IX,  Tfl  3. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


327 


Pluvialien  um  ein  namhaftes  zu.  Je  mehr  sich  der  liturgische  Charakter  der 
Cappa  und  die  Stellung,  welche  sie  unter  den  liturgischen  Gewändern  er- 
halten hatte,  befestigte,  und  je  mehr  die  Gelegenheiten  zunahmen,  bei  welchen 
sie  zur  Verwendung  kam,  um  so  mehr  mußte  in  der  Tat  das  Bestreben  dahin 
gehen ,  bessere  Gewebe  zu  ihr  zu  verwenden ;  war  doch  kein  anderes  Ge- 
wand wie  gerade  sie  geeignet,  an  Festtagen  dem  Gottesdienste  besondern 
Glanz  zu  verleihen.  Man  denke  nur  an  die  zwölf  Cantores,  welche  manchen- 
orts dann  mitten  im  Chor  mit  Prachtpluvialien  bekleidet  das  Alleluja  sangen. 
Es  ist  nicht  nötig,  aus  den  Inventaren  des  11.  Jahrhunderts  Einzelheiten  an- 
zuführen, es  mag  genügen,  auf  das  S.  311  Gesagte  hinzuweisen.  Sehr  be- 
zeichnend für  den  Stand  der  Dinge  in  damaliger  Zeit  ist  es,  wenn  das  Register 
von  Rochester  anmerkt,  Erzbischof  Lanfrank  von  Canterbury  (f  1080)  habe 
auf  einmal  25  seidene,  mit  reichem  Besatz  geschmückte  Cappae  nach  Rochester 
gesandt1;  noch  bezeichnender  aber  ist,  wenn  Leo  von  Ostia  in  der  Chronik  von 
Monte  Cassino  erzählt,  Abt  Desiderius  habe  auf  das  Gerücht  hin,  daß  der 
Kaiser  nach  Italien  komme,  20  Stück 
kostbaren  Seidenstoffes  gekauft,  um  die- 
sem damit,  wenn  nötig,  ein  Geschenk  zu 
machen,  dann  aber,  als  die  Rede  ging, 
der  Kaiser  habe  sein  Vorhaben  aufge- 
geben, sofort  aus  ihnen  Pluvialien  an- 
fertigen lassen 2.  Das  Inventar  des  Domes 
zu  Bamberg  aus  dem  Jahre  1127  führt 
84  Cappae  auf,  von  denen  26  mit  kost- 
baren Besätzen  versehen  waren.  Sie 
müssen  ebenfalls  noch  aus  dem  11.  Jahr- 
hundert  stammen,    da  nach  dem  großen 

1081 


Brandunglück    vom   Jahre 


wegen 


Bild  153.     Pluvialschließe. 
Berlin,  Kunstgewerbemuseum. 

Umstand    sehr    entgegen,    daß    im 


des  dadurch  notwendig  gewordenen  Neu- 
baues des  Domes  in  den  nächsten  Jahr- 
zehnten schwerlich  eine  Anschaffung  der- 
selben möglich  war. 

Dem  Bestreben,  das  Pluviale  aus 
besseren  Stoffen  herzustellen,  kam  der 
12.  Jahrhundert  infolge  des  gesteigerten  Verkehrs  mit  dem  Orient  die  sara- 
zenischen, persischen  und  byzantinischen  Stoffe  in  immer  wachsenden  Mengen 
ins  Abendland  importiert  wurden,  und  daß  bald  auch  in  diesem  selbst  die  Seiden- 
industrie zur  höchsten  Blüte  gelangte.  Schon  um  die  zweite  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts hatten  manche  Sakristeien  einen  wahren  Überfluß  an  Pluvialien  aus 
Goldbrokat  und  den  verschiedenartigsten  gemusterten  und  ungemusterten  Seiden- 
stoffen. Noch  mehr  war  das  aber  im  14.  und  15.  Jahrhundert  der  Fall.  Man 
durchgehe  nur  die  Schatzverzeichnisse  der  Kathedrale  von  Rouen  (ca  1200), 
der  Kathedrale  von  Salisbury  (1212),  des  Domes  zu  Monza  (1275),  die  Inven- 
tare  von  St  Paul  zu  London  (1245,  1295  und  1402),  das  Verzeichnis  des  Schatzes 


1  Das  Register  gibt  auch  über  die  Schen- 
kungen von  kostbaren  Cappae  während  des 
12.  und  13.  Jahrhunderts  manche  Auskunft. 
So  stiftete  Mönch  Clemens  (ca  1100)  eine  rote 
und  eine  schwarze,  Mönch  Hugo  von  Totes- 
clive  (ca  1115)    zwei   grüne  und  eine  weiße 


Cappa.  Bischof  Gilbert  (f  1215)  cappambonam 
de  rubeo  samit.  Eine  cappa  principalis  für 
die  höchsten  Festtage  ,  welche  Bischof  Ernulf 
(f  1124)  seiner  Kathedrale  verehrte,  war  mit 
silbernen  Schellchen  ausgestattet  usw. 
2  L.  3,  n.  18  (M.  G.  SS.  VII  711). 


328 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


des  Apostolischen  Stuhles  aus  dem  Jahre  1295  und  der  Paramente,  welche 
Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale  von  Anagni  schenkte,  das  Inventar  von  S.  An- 
tonio zu  Padua  (1396)  und  von  S.  Francesco  zu  Assisi  (1320),  die  Schatz- 
verzeichnisse von  St  Peter  zu  Rom  (1361,  1436,  1455,  1489),  der  Kathedrale 
von  Angers  (1297,  1418  und  1421),  der  Kathedrale  von  Cambrai  (1359  und 
1401),  der  Stiftskirche  St-Ame  zu  Douai  (1377  und  1386),  der  Stiftskirche 
St-Pierre  zu  Lille  (1397)  und  des  St  Veitsdomes  zu  Prag  (1354  und  1387), 
das  Inventar  des  Domes  zu  Olmütz  (1435),  der  Kathedralen  von  Peterborough 
(1539)  und  Lincoln  (1536)  u.  a.  Es  sind  Berge  von  brokatenen,  seidenen 
und  in  den  späteren  auch  samtenen  Pluvialien,  die  wir  in  manchen  dieser 
Listen  antreffen. 

So  vermerkt  das  Inventar  von  Salisbury  beispielsweise  58  Cappae,  nach  der 
Beschreibung,  die  von  ihnen  gegeben  wird,  größtenteils  von  der  kostbarsten  Art ;  das 
Inventar  von  St  Paul  aus  dem  Jahre  1245  führt  34  cappae  magis  preciosae  neben 
40  minus  preciosae  auf,  dasjenige  aus  dem  Jahre  1402  108  Cappae,  die  man  fast  alle  als 
sehr  wertvoll  bezeichnen  darf.  Unter  den  Paramenten,  welche  Bonifaz  VIII.  der  Kathedrale 
von  Anagni   schenkte,  waren  nicht  weniger   als   16   der  hervorragendsten  Pluvialien, 

von  denen  manche  Pracht- 
stücke ersten  Eanges  ge- 
wesen sein  müssen.  Das 
Inventar  von  St  Veit  zu 
Prag  aus  dem  Jahre  1387 
weiß  von  mehr  als  150Cappae 
zu  berichten,  ein  wahres 
Lager  der  interessantesten 
und  glänzenden  Seidenzeuge ; 
das  der  Kathedrale  zu  Peter- 
borough von  1539  verzeich- 
net ca  115,  das  der  Kathe- 
drale von  Lincoln  aus  dem 
Jahre  1536  gar  253  Cappae, 
davon  121  rote,  59  weiße, 
7  purpurfarbige,  37  blaue, 
20  grüne  und  9  schwarze.  Nicht  gerade  soviel  Pluvialien  besaß  der  Dom  zu  Olmütz, 
doch  zählt  das  Schatzverzeichnis  von  1435  deren  immerhin  ca  70  auf,  die  sich  stofflich 
auf  jeden  Fall  mit  den  Cappae  zu  Prag  und  Lincoln  messen  durften. 

Das  Inventar  der  Kathedrale  zu  Cambrai  von  1359  notiert  34,  das  von  1401 
114  Pluvialien;  das  Schatzverzeichnis  von  Cluny  aus  dem  Jahre  1382  verzeichnet 
ihrer  67.  In  St-Ame  zu  Douai  hatte  man,  um  auch  einige  minder  bedeutende  Kirchen 
anzuführen,  1377  und  1386  wenigstens  38  ',  in  St-Pierre  zu  Lille  1397  54,  in  der 
Pfarrkirche  U.  L.  Frau  zu  Hermannstadt  in  Siebenbürgen  1440  12  Pluvialien.  Noch 
jetzt  gibt  es  im  Dom  zu  Brandenburg  aus  vorreformatorischer  Zeit  16,  im  Dom 
zu  Halberstadt  28  und  in  St  Marien  zu  Danzig  26  fast  ausnahmslos  kostbare 
Chorkappen. 

Der  Grund,  warum  in  manchen  Kirchen  sich  eine  so  große  Zahl  von 
Pluvialien  aufspeicherte,  lag  zum  Teil  in  dem  Frommsinn  fürstlicher  und  nicht- 
fürstlicher Wohltäter,  zum  Teil,  und  wohl  nicht  zum  wenigsten,  in  der  vielen- 
orts  bestehenden  Gewohnheit,  wonach  jeder  neue  Canonikus  entweder  bei 
Antritt  seiner  Pfründe  oder  innerhall)  einer  bestimmten  Frist  nach  deren 
Besitzergreifung  ein  Pluviale   zu   beschaffen  hatte,    das   er,   solange   er  lebte 


Bild   154.     Pluvialschliese.     Villingen,  Münster. 


1  In  dem  Abdruck    des  Inventars  bei  De- 
haisnes,  L'art  dans  la  Flandre,  Documenta 


546  sind  nur  die  38  besseren  Pluvialien  auf- 
genommen worden. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale.  329 

oder  an  der  betreffenden  Kirche  als  Canonikus  tätig  war,  selbst  benutzte,  bei 
seinem  Tode  oder  seinem  Abgang  aber  der  Sakristei  als  Eigentum  hinterließ. 
Man  nannte  solche  Pluvialien  Cappae  professionis.  Die  Sitte  reicht  bis  ins 
12.  Jahrhundert  hinauf.  So  wurde  für  die  Stiftskirche  zu  Aschaffenburg  schon 
1193  die  Bestimmung  getroffen,  es  sollten  die  Stiftsherren  statt  sonstiger  un- 
nützer Ausgaben  bei  Besitznahme  ihrer  Pfründe  der  Kirche  zu  Ehren  Gottes 
und  des  hl.  Petrus  eine  pm'purne  Cappa  im  Wert  von  V/2  Mark  zum  Ge- 
schenk machen 1.  In  der  Kathedrale  von  Angers  führte  Bischof  Nikolaus 
(1260 — 1290)  den  Brauch  ein2.  Das  Pluviale,  das  hier  die  Domherren  inner- 
halb der  nächsten  drei  Jahre  nach  Antritt  ihrer  Präbende  zu  beschaffen  hatten, 
mußte  aus  Seide  bestehen  und  12  Livres  kosten.  In  St- Arne  zu  Douai  hatten 
die  Stiftsherren  nach  den  dortigen  Statuten  für  die  Chorkappe,  welche  sie  bei 
Besitzergreifung  ihres  Benefiziums  der  Kirche  zu  schenken  verpflichtet  waren, 
wenigstens  10  Florins  auszulegen3. 

Natürlich  mußten  unter  solchen  Umständen  sich  nach  und  nach  viele 
Pluvialien  in  den  Sakristeien  mancher  Stifts-  und  Domkirchen  ansammeln. 
Die  Praxis  hatte  unzweifelhaft  ihre  guten  Seiten;  sie  hatte  aber  auch  ihre 
Nachteile,  da  sie  notwendig  zu  Luxus  und  Rivalität  führen  mußte. 

VI.    VERZIERUNG  DES  PLUVIALE. 

Schon  früh  wurden  Fransen  als  Verzierung  am  Saum  des  Pluviale 
angebracht.  Fimbriae  quoque  subter  ornatae  sunt  (sc.  cappae),  sagt  Rupert 
von  Deutz;  sicut  illa  (sc.  tunica  hyacinthina  legis)  tintinnabulis,  ita  ista 
(sc.  cappa)  insignitur  fimbriis.  Auch  Honorius  gedenkt  der  fimbriae.  Später, 
als  die  Kapuze  zum  Schild  geworden  war,  wurde  es  sehr  gebräuchlich,  auch 
den  Rand  des  clipeus  mit  Fransen  zu  besetzen. 

Auch  in  den  Inventaren  kommen  bereits  früh  mit  Fransen  besetzte 
Cappae  vor.  Man  erinnere  sich  nur  an  die  Cappae,  von  denen  in  der  Vita 
Ansegisi  die  Rede  war.  Handelte  es  sich  bei  diesen  mit  grünen  bzw.  grau- 
braunen Fransen  verzierten  Cappae  auch  noch  nicht  um  liturgische  Pluvialien 
im  vollen  Sinne  der  späteren  Zeit,  so  haben  wir  in  ihnen  doch  jedenfalls  die 
Anfänge  der  nachmaligen  liturgischen  Cappa  zu  sehen  und  dürfen  darum 
immerhin  auf  sie  verweisen.  Ein  kostbares  Pluviale,  das  Abt  Desiderius  für 
Monte  Cassino  erwarb,  war  mit  Goldfransen  ausgestattet4.  Übrigens  ist  in 
den  mittelalterlichen  Inventaren  von  den  Fransen  nur  ausnahmsweise  die 
Rede.  Ob  man  die  fimbriae  für  einen  selbstverständlichen  Schmuck  der 
Cappa  hielt,  den  man  keiner  Erwähnung  für  wert  erachtete,  oder  ob  sie 
nicht  so  häufig  angewandt  wurden ,  wie  das  nach  den  Äußerungen  eines 
Rupert  und  Honorius  scheinen  könnte?  Das  letztere  dürfte  das  wahrschein- 
lichere sein;  denn  auch  auf  den  Monumenten  kommen  im  12.,  13.  und 
selbst  14.   Jahrhundert   Fransen   nicht    allzuoft   an   den   Pluvialien   vor.      Sie 


1  Gudenus,  Codex  diplom.  I  321.  3  Dehaisnes,    L'art    dans    la    Flandre, 

-  Revue  1884,  271.    Die  Sitte  bestand  auch  Documents   546,    note    4.     Auch    die    Chor- 

zu  Barcelona   (Mart.  ,  Thes.  IV  611).     Das  raäntel    in    den    Inventaren    von    Salisbury, 

Pluviale,  das  die  neu  aufgenommenen  Stifts-  St   Paul    zu    London,    Prag,    St  Peter   u.  a. 

Herren    zu    Neuchätel    binnen  Jahresfrist   zu  rührten  zum  großen  Teil  von  den  Canonici  her, 

geben  hatten,  mußte  einen  Wert  von  50  Pfund  wie  die  Inventare  bei  manchen  ausdrücklich 

haben    (Hurter,    Innozenz   III.,    Hamburg  angeben. 

1838,  III  376).    Andere  Beispiele  bei  D.  C.  i  Chron.    Casin.   1.   3,    n.   18    (M.    G.    SS. 

sub  cappam  solvere  II  112.  VII  711). 


330  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

werden  auf  den  bildlichen  Darstellungen  erst  im  15.  Jahrhundert  an  den- 
selben gewöhnlicher. 

Mit  den  Monumenten  stimmen  die  noch  vorhandenen,  im  ganzen  recht 
zahlreichen  mittelalterlichen  Pluvialien  überein.  Auch  hier  treten  fimbriae 
fast  nur  an  den  Cappae  aus  späterer  Zeit  auf.  Wo  sie  sich  bei  älteren  Plu- 
vialien finden,  sind  sie,  wie  sich  unschwer  erkennen  läßt,  in  den  meisten 
Fällen  eine  Zutat  der  Folgezeit. 

Anstatt  Fransen  gebrauchte  man  übrigens  auch  Quästchen,  Glocke hen, 
kurz,  was  immer  als  ein  mit  Fransen  verwandtes  Ornament  galt,  zur  Ver- 
zierung des  Saumes.  So  geschah  es  ja  auch  bei  der  Stola,  dem  Manipel  und 
den  Behängen  der  Mitra.  Eine  solche  mit  langen  Schellchen  am  unteren 
Saume  versehene  Cappa  aus  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  hat  sich 
im  Aachener  Münster  erhalten.  Dieselben  sind  an  einer  stark  gedrehten 
Seidenkordel  über  dem  reich  gestickten  Besatz  angebracht,  welcher  den  unteren 
Rand  des  Gewandes  umzieht.  Schon  in  der  Frühzeit  unseres  Jahrtausends 
waren  Pluvialien,  die  statt  mit  Fransen  mit  Glöckchen  geschmückt  waren, 
nichts  Unbekanntes.  Von  dieser  Art  war  z.  B.  die  Cappa,  welche  Bischof 
Ernulf  von  Rochester  (1114 — 1124)  seiner  Kathedralkirche  schenkte.  Ein 
Pluviale,  das  Abt  Konrad  von  Christ  Church  zu  Canterbury  1108  hinterließ, 
war  unten  mit  nicht  weniger  als  140  silbernen  Glöckchen  besetzt 1.  Auch  in 
späterer  Zeit  kommen  in  den  Inventaren  noch  mit  Schellchen  ausgestattete 
Chorkappen  vor.  So  heißt  es  z.  B.  in  einem  Inventar  von  St  Georg  zu  Köln 
aus  dem  14.  Jahrhundert:   Item  cappa  cum  tyntinabulis  (sie). 

Zur  Einfassung  und  Verzierung  des  unteren  Saumes  wurde  auch  wohl 
ein  Börtchen  gebraucht,  und  zwar  bald  anstatt  der  Fransen,  bald  zugleich 
mit  solchen.  Es  hatte  der  Regel  nach  nur  eine  geringe  Breite  und  erlangte 
nie  eine  größere  Bedeutung.  Mit  Stickereien  scheint  es  den  Inventaren  zufolge 
nur  sehr  selten  bedacht  worden  zu  sein. 

Im  Rücken  des  Pluviale  wurde  nur  ganz  vereinzelt  ein  Zierstreifen  an- 
gebracht. Ein  Beispiel  bietet  das  bestickte  Pluviale  zu  St  Paul  in  Kärnten. 
Um  so  beliebter  waren  Besätze  oder  Aurifrisien  an  den  Vor  der  säumen  des 
Gewandes.  Sie  finden  sich  schon  auf  der  früher  erwähnten  Miniatur  mit  der 
Darstellung  Sigeberts  von  Minden2.  Ebenso  sind  ohne  Zweifel  die  Besätze  an 
der  Vorderseite  des  Pluviale  gemeint,  wenn  in  den  Inventaren  des  10.  und 
11.  Jahrhunderts  von  cappae  auro  paratae  die  Rede  ist. 

Wie  die  Kaselbesätze  bestanden  auch  diese  Aurifrisien  bis  ins  13.  Jahr- 
hundert hinein  vornehmlich  aus  gewebten  Borten  von  geringer  Breite;  bei 
besseren  Pluvialien  wurden  mit  Vorliebe  Goldborten  verwendet.  Die  Ära  be- 
stickter Besätze  beginnt  auch  für  die  liturgische  Cappa  erst  im  13.  Jahr- 
hundert. Anfangs  waren  es ,  gerade  wie  bei  der  Kasel ,  vornehmlich  sta- 
tuarische Darstellungen  oder  Brustbilder  von  Heiligen,  mit  welchen  man  die 
Aurifrisien  schmückte.  Bald  aber  ging  man  dazu  über,  ihnen  ganze  Szenen 
mit  der  Nadel  aufzumalen.  Natürlich  setzte  das  voraus,  daß  die  Besätze  eine 
entsprechende  Breite  erhielten.  Schon  das  Anbringen  von  Einzelfiguren  hatte 
dabin  geführt,  sie  zum  Zweck  der  Aufnahme  solcher  zu  verbreitern.  Erst 
recht  wurde  das  aber  nötig,  seitdem  man  den  Aurifrisien  förmliche  Gruppen 
aufstickte.  Es  ist  dieselbe  Erscheinung,  welche  wir  bereits  bei  der  Kasel 
wahrzunehmen  Gelegenheit  hatten. 


1  Chambers  39.  "-  Vgl.  Bild  124,  S.  266. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale.  331 

Die  Darstellungen  trugen  auch  auf  den  Aurifrisien  der  Pluvialien  bis 
gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  den  Charakter  von  Flachornament  an  sich. 
Selbst  die  Baldachine  und  Lauben,  unter  denen  das  Bildwerk  seinen  Platz  hatte, 
waren  von  bloß  geometrischer  Bildung;  eine  Perspektive  gab  es  bei  ihnen  ent- 
weder noch  gar  nicht  oder  doch  nur  in  sehr  geringem  Maße.  Das  15.  Jahr- 
hundert sieht  die  Perspektive  unter  dem  Einfluß  der  Tafelmalerei,  wo  sie 
bereits  zur  Herrschaft  gelangt  war,  auch  auf  den  Aurifrisien  der  Pluvialien 
ihren  Einzug  halten.  Figuren  und  Szenen  werden  nun  mit  Vorliebe  unter 
perspektivisch  nach  innen  sich  vertiefenden  Baldachinen  dargestellt  und  dem- 
entsprechend dann  natürlich  auch  selbst  perspektivisch  behandelt. 

Technisch  betrachtet  hielten  sich  die  Stickereien  zunächst  noch  immer 
im  Bereich  des  Flachornaments.  Indessen  ging  man  auch  in  dieser  Beziehung 
allmählich  vom  alten  Brauche  ab.  Aus  der  Flachstickerei  wurde  die  Hoch- 
stickerei, die  dann  um  die  Wende  des  Jahrhunderts  auch  auf  den  Chorkappen 
manche  Probe  hohen  Könnens,  aber  auch  des  Verfalles  des  guten  Geschmackes 
liefern  sollte. 

Rein  ornamentale  Stickereien  scheinen  im  Mittelalter  auf  den  Aurifrisien 
weniger  zur  Anwendung  gekommen  zu  sein.  Wo  man  nicht  in  der  Lage  war, 
Bildwerke  auf  denselben  anzubringen,  pflegte  man  sich  mit  gewebten  Borden 
zu  behelfen. 

Seit  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  kommen  figürliche  Darstellungen 
auf  den  Besätzen  des  Pluviale  immer  mehr  in  Abgang.  Wie  auf  den  Kasel- 
stäben,  so  tritt  auch  auf  den  Aurifrisien  der  Cappa  an  deren  Stelle  bloßes 
Ornament.  Nur  daß  noch  bestenfalls  ein  verschämtes  Symbol,  der  Name 
Jesu,  das  Auge  Gottes,  ein  Pelikan,  das  Lamm  oder  ein  Kreuz  daran  er- 
innerte, daß  die  Stickerei  gottesdienstlichen  Zwecken  zu  dienen  bestimmt  war. 

Auf  der  Kapuze  dürften  Stickereien  erst  angebracht  worden  sein,  als 
sie  zum  bloßen  Zierat  geworden  war.  Das  caputium  des  prächtigen  Pluviale 
von  St  Paul  enthält  auf  der  Oberseite  zwei  Figuren,  den  hl.  Blasius  und 
einen  vor  diesem  knienden  Abt,  ohne  Zweifel  den  Donator,  auf  der  Unterseite 
zwei  Drachen  (Bild  144,  S.  319).  Häufiger  wurden  die  Stickereien  auf  dem  ca- 
putium, als  es  sich  zum  Schild  umgebildet  hatte.  Natürlich  bot  dieser,  solange 
er  (wie  es  im  13.  und  14.  Jahrhundert  der  Fall  war)  nur  eine  mäßige  Größe 
hatte,  keinen  Platz  für  Darstellungen  von  bedeutenderem  Umfang.  Es  waren 
darum  entweder  nur  Einzelfiguren,  wie  der  Heiland,  die  Gottesmutter  oder 
Heilige,  oder  doch  nur  kleinere  Gruppen,  was  man  auf  dem  Schild  anbrachte. 
Nicht  selten  begnügte  man  sich  sogar  mit  dem  Wappen  des  Besitzers  oder 
Stifters  oder  mit  irgend  welchen  symbolischen  Darstellungen.  Sehr  instruktiv 
sind  in  dieser  Beziehung  durch  ihre  eingehenden  Angaben  die  Inventare  von 
St  Peter  zu  Rom  vom  Jahre  1361  und  von  St  Veit  zu  Prag  aus  dem  Jahre 
1387.  Da  heißt  es  z.  B.  im  Schatzverzeichnis  von  St  Peter:  In  cuius  caputio 
est  ymago  Salvatoris  et  beate  Virginis  .  .  .,  in  cuius  caputio  est  figura  beate 
virginis  Marie  .  .  .,  in  cuius  caputio  est  imago  beati  Petri  .  .  .,  in  cuius  caputio 
est  ymago  cuiusdam  pontificis  cum  mitra  in  capite  .  .  .,  in  cuius  caputio  est 
ymago  cuiusdam  episcopi  benedicentis  etc.  Nur  ein  einziges  Mal  heißt  es: 
in  cuius  caputio  sunt  quatuor  ymagines  episcoporum,  vier  Bischofsbilder,  die 
wir  uns  indessen  wohl  als  Halbbilder  zu  denken  haben.  In  dem  Prager  In- 
ventar von  1387  aber  lesen  wir  z.  B. :  in  capulo  arma  Domini  archiepiscopi 
Pragensis  .  .  .,  in  capulo  clipeus  cum  flammis  argenteis  et  rubeis  sericis  .  .  ., 
in    capulo   habens   arma   ecclesiae    et   arma  Arnesti   (des  Prager  Erzbischofs) 


332 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


et  aquila  cum  duobus  eapitibus  ....  in  capulo  unius  est  imago  sancti  Wenceslai 
et  in  alterius  imago,  sancti  Sigismundi  ...  in  capulo  imago  duorum  ange- 
lorum  ....  in  capulo  habens  imaginem  (sancti  Sigismundi)  et  armis  ex  utra- 
que  parte  imaginis. 

Bestanden  die  Aurifrisien  an  der  Vorderseite  des  Gewandes  nur  aus 
gewebten  Borten  oder  wurden  sie  (was  nicht  selten  der  Fall  war)  bloß 
aus  irgend  einem  vom  Grundstoff  des  Pluviale  sich  abhebenden  Zeug  ge- 
macht, so  ließ  man  auch  am  Schild  die  Stickereien  meistens  fehlen.  Man 
gebrauchte  dann  zu   ihm  entweder  den  Stoff,    aus   dem   man  den  Besatz   an- 


Bild 155.     Pluvialschild   (Ende  des  15.  Jahrb.).     Paris,  Sammlung  M.  Hochon. 

(Phot.  de  Farcy.) 


gefertigt,  oder  gewöhnlicher  denjenigen,  welchen  man  zum  Pluviale  selbst 
verwendet  hatte.  Auch  in  dieser  Beziehung  ist  das  Inventar  von  St  Peter 
von  1361  ungemein  lehrreich.  Unter  den  vierzig  dort  aufgezählten  Pluvialien 
der  Benefiziaten  finden  sich  nur  einige  wenige,  auf  deren  caputium  Bildwerk 
angebracht  war.  Bei  den  übrigen  heißt  es :  cum  caputio  de  eodem  panno  (näm- 
lich wie  das  Pluviale  selbst)  .  .  ,  cum  caputio  de  eodem  panno  et  frisio  .  .  ., 
cum  caputio  de  dyaspero  giallo  cum  aliquali  frisio  .  .  .,  cum  caputio  de  eodem 
aurifrisio  und  ähnlich. 

Es  ist  zweckmäßig,  ausdrücklich  darauf  hinzuweisen,  daß  es  selbst  noch 
im  späten  Mittelalter  neben  sehr  reichen  auch  manches  einfache  Pluviale  ge- 
geben hat,  weil  die  Sache  hie  und  da  in  übertriebener  Weise  so  dargestellt 
wird,  daß  man  fast  auf  den  Glauben  kommen  sollte,  man  habe  damals  kaum 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale.  333 

andere  als  mit  Stickereien  auf  den  Stäben  und  dem  Schild  versehene  Plu- 
vialien  gekannt.  Gewiß  waren  reich  bestickte  Cappae  in  jener  Zeit  nicht 
selten,  zumal  in  den  bedeutenderen  Stifts-  und  Klosterkirchen  sowie  den  hervor- 
ragenderen Pfarrkirchen;  sie  waren  sogar  infolge  der  Verhältnisse  häufiger 
als  jetzt,  aber  derartige  Pluvialien  waren  zuletzt  nur  Gewänder  für  die  hohen 
Feste  und  dem  Vorrat  an  einfacheren  Pluvialien  gegenüber  durchweg  die 
Minderzahl.     Die  Inventare  beweisen  das  zur  Genüge. 

Je  mehr  der  Schild  der  Cappa  an  Ausdehnung  gewann,  um  so  mehr  bot 
er  natürlich  Raum  für  Bildwerk.  Man  kann  denn  auch  an  zahlreichen  Plu- 
vialien des  15.  Jahrhunderts  die  Beobachtung  machen,  mit  welchem  Eifer  die 
Sticker  diesen  Umstand  ausgenutzt  haben,  um  statt  bloßer  Einzelbilder  figuren- 
reiche Gruppen  auf  dem  clipeus  anzubringen;  indessen  ist  es  sicher  der  Wirklich- 
keit nicht  minder  entsprechend ,  wenn  man  annimmt,  daß  umgekehrt  gerade 
das  Verlangen,  Platz  für  reichen  bildnerischen  Schmuck  zu  erhalten,  nicht 
wenig   zur  Vergrößerung  des  Schildes  beigetragen  habe  (Bild  155). 

Es  würde  selbstredend  zu  weit  führen,  wollten  wir  auf  alle  oder  auch  nur  einen 
größeren  Teil  der  vielen  Pluvialien  näher  eingehen  ,  die  sieh  aus  dem  Mittelalter  er- 
halten haben,  ja  selbst  sie  auch  nur  einzeln  aufzählen.  Immerhin  dürfte  es  am  Platze 
sein,  auf  einige  durch  die  Stickereien  ihrer  Besätze  und  des  Schildes  hervorragende 
Beispiele  aufmerksam  zu  machen. 

Eines  der  vorzüglichsten  ist  unstreitig  eine  aus  dem  Domschatze  von  Lausanne 
stammende  Cappa  im  Historischen  Museum  zu  Bern.  Auf  Schild  und  Besätzen  sind 
die  sieben  Sakramente  dargestellt.  Der  Schild  weist  die  heilige  Eucharistie  als  Opfer 
(Messe)  und  Speise  (Kommunion)  auf,  das  linksseitige  Aurifrisium  die  Taufe,  die  letzte 
Ölung  und  die  Firmung,  das  rechtsseitige  die  Priesterweihe,  Ehe  und  Beichte.  Die  auf 
den  Besätzen  sich  findenden  Szenen  sind  unter  Nischen  angebracht,  welche  sich  in  flach 
geschweiftem  Bogen  dem  Beschauer  zu  öffnen.  Die  Darstellungen  sind  ebenso  trefflich 
komponiert  und  edel,  wie  die  technische  Ausführung  in  jeder  Beziehung  vorzüglich  ist. 

Aus  der  großen  Zahl  der  Halberstädter  Pluvialien ,  unter  denen  mehrere  auch 
hinsichtlich  der  Stickerei  Beachtung  verdienen ,  sei  die  Cappa  des  Dompropstes  von 
Gharwen  (1506)  hervorgehoben.  Ihre  Besätze  sind  Beispiele  später  Reliefstickereien. 
Auf  dem  Schild  ist  die  Krönung  Maria  dargestellt,  auf  den  Stäben  gewahren  wir 
unter  Baldachinen  die  hll.  Stephanus,  Laurentius,  Liborius,  Wolfgang,  Petrus,  Paulus, 
Johannes  Baptista  und  Andreas. 

Von  den  vielen  Pluvialien  der  Danziger  Marienkirche  sind  zwei  besonderer  Be- 
rücksichtigung wert.  Das  eine  ist  eine  italienische  Arbeit  aus  dem  Beginn  des 
15.  Jahrhunderts.  Auf  dem  Schild  erblicken  wir  in  der  Mitte  Maria  mit  dem  Jesus- 
kind in  offener  Landschaft,  in  den  Ecken  herniederschwebende  Engel,  in  der  Hand 
eine  Blume,  wie  um  sie  dem  Kind  zu  überreichen.  Die  Besätze  sind  mit  Heiligen- 
figuren und  charakteristischen  Baldachinen  gefüllt.  Die  Darstellungen  sind  ebensowohl 
stilistisch  bemerkenswert  wie  technisch  hervorragend  durch  die  meisterhafte  An- 
wendung des  sog.  Modellierstiches  '  (Bild  156,  S.  334). 

Noch  vorzüglicher  ist  ein  zweites  Pluviale,  auf  dessen  Aurifrisien  in  einer  Folge 
von  zehn  Szenen  das  Leben  der  hl.  Maria  Magdalena,  wie  es  durch  die  Legende 
gestaltet  wurde,  zur  Darstellung  gelangt  ist  (Bild  157.  S.  335).  Die  erste  zeigt  uns  die 
Heilige  als  Weltkind  inmitten  von  sechs  Tieren,  den  Symbolen  ihrer  Laster.  Es  folgt 
der  Besuch  am  Grabe  usw.  Den  Beschluß  macht  die  letzte  Kommunion  der  Heiligen. 
Die  einzelnen  Bilder  werden  überragt  von  einem  architektonischen  Überbau.  Eine 
lebendige,  edle  Darstellung  und  eine  vortreffliche  technische  Ausführung  lassen  die 
Stäbe  der  Cappa  als  wirkliche  Meisterwerke  der  Stickkunst  erscheinen.  Ein  Schild 
fehlt  dem  Gewände,  das  der  Frühe  des  15.  Jahrhunderts  angehören  dürfte. 


Über  den  sog.  Modellierstich  vgl.  Braun,  Winke  123. 


334 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


Gute,  teilweise  sogar  -vorzügliche  Bei- 
spiele von  Pluyialbesätzen  und  Pluvial- 
sehilden,  die  in  der  sog.  Lasurmanier  aus- 
geführt sind ,  finden  sich  in  dem  an  alten 
Paramenten  reichen  Dom  zu  Xanten.  Sie 
entstammen  dem  16.  Jahrhundert.  Die 
Stickereien  haben  leider  stark  gelitten.  Den 
ersten  Platz  unter  ihnen  dürfte  die  Chor- 
kappe einnehmen,  welche  samt  zugehöriger 
Kasel ,  Dalmatik  und  Tuniceila  dem  Dom 
von  dem  1540  verstorbenen  Canonikus 
Sibert  geschenkt  wurde.  Die  Stickereien 
dieser  Paramente  stellen,  wie  „Die  Kunst- 
denkmäler der  Rheinprovinz"  mit  Recht 
sagen,  „den  Höhepunkt  der  niederrheinischen 
Nadelmalerei  um  1540"  dar.  Die  Komposi- 
tionen sind  ebenso  meisterhaft  in  Ausdruck, 
Gewandung  und  Raumausfüllung,  wie  die 
technische  Durchführung  vollendet  und  von 
einer  fast  raffinierten  Virtuosität  zeugend. 
Der  Künstler  arbeitet  mit  wenig  Farben ; 
Blau ,  Grün  ,  Purpur ,  Orange  und  Braun 
durchziehen  in  vertikalen  feinen  Seidenfäden 
den  Grund  und  umspinnen  die  Goldfäden ; 
Köpfe  und  Hände  sind  in  feinem  Platt- 
stich ausgeführt.  Die  gleichzeitigen  nieder- 
rheinischen  Denkmale  des  Lasurstiches  in 
Kaikar,  Wissen,  im  erzbischöflichen  Museum 
zu  Utrecht  stehen  der  Xantener  Kapelle 
weit  nach"  '. 
Ins  14.  Jahrhundert  führt  uns  das  Pluviale  von  Harlebeke  im  Musee  Cinquan- 
tenaire  zu  Brüssel.  Die  Stickereien  der  Saumbesätze,  welche  bereits  die  ansehnliche 
Breite  von  20  cm  haben ,  stellen  das  Martyrium  der  zwölf  Apostel  dar.  An  den 
Pfeilern,  auf  denen  sich  der  die  einzelnen  Szenen  oben  abschließende  Giebel  aufbaut, 
sind  allerliebste  musizierende  Engel  angebracht.  Der  Schild  ist  in  seinem  jetzigen 
Zustand  ein  Konglomerat  verschiedener  Stücke ,  unter  denen  sich  indessen  auch  die 
mit  zwei  Vögeln  geschmückten  Reste  des  kleinen  ursprünglichen  clipeus  befinden. 
Der  Charakter  der  Stickereien  läßt  dieselben  deutlich  als  opus  anglieanum,  als  englische 
Arbeit  des  14.  Jahrhunderts  erkennen. 

Von  älteren  italienischen  Pluvialien  sei  hier  -  -  von  andern  wird  weiter  unten 
die  Rede  sein  —  nur  eines  Pluviale  gedacht,  das  sich  im  Besitze  der  Universität  zu 
Perugia  befindet.  Dasselbe  enthält  auf  seinen  Besätzen  und  dem  Schild  Darstellungen 
aus  dem  Leben  der  Gottesmutter,  welche  mit  vorzüglicher  technischer  Ausführung 
all  den  Reiz  der  umbrischen  Malereien  des  ausgehenden  15.  Jahrhunderts  verbinden. 
Die  Stickereien  gehören  zu  dem  Vortrefflichsten ,  was  die  um  jene  Zeit  vielgepflegte 
Lasurmanier   in  Italien  geschaffen  hat. 

Als  Kuriosa  seien  endlich  noch  zwei  Pluvialgarnituren  erwähnt,  auf  denen  uns  Toten- 
tanzszenen entgegentreten.  Die  eine  gehört  dem  Dom  zu  Osnabrück  (Bild  158,  S.  337), 
die  andere  der  Kirche  St-Nicolas-en-Havre  zu  Mons  an  -.  Ein  Totentanz  auf  Para- 
menten ist  nicht  gerade  geschmackvoll,  noch  auch  der  Idee  eines  liturgischen  Gewandes 
entsprechend.  Immerhin  ist  eine  solche  Verirrung  nicht  so  groß  wie  die,  welche  man 
im  18.  und  im  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  beging,  als  man  Totenköpfe,  Totengebeine, 


Bild  156.     Schild  und  Teile  des  Besatzes 
eines   Pluviale.      Danzig,  Marienkirche. 


1  C 1  e  m  e  n  ,     Die     Kunstdenkmäler 
Kreises  Mors,  Düsseldorf  1892,  139. 


des  "  Nähere    Beschreibung 

Maria-Laach"  LX  118  ff. 


in   „Stimmen    aus 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


33c 


Aschenkrüge,  Genien  mit  umgestürzter  Fackel  und  ähnliches  auf  die  Besätze  der  beim 
Totengottesdienst  gebrauchten  Gewänder  zauberte. 

Bisher  war  nur  von  Pluvialien  mit  bestickten  Aurifrisien  und  besticktem 
Schild  die  Rede.  Es  hat  deren  aber  auch  gegeben,  die  ganz  in  Stickerei  her- 
gestellt waren,  und  zwar  meinen  wir  nicht  bloß  solche,  die  man  nach  Art 
eines  Gewebes  mit  bestickten  Ornamenten,  Möndchen,  Rosetten,  Seraphim, 
Blumen,  Wappenbildern  und  ähnlichen  Dingen  überstreut  hatte  --  Pluvialien 
dieser  Art  kamen  noch  in  der  Zeit  des  Rokoko  vor  — ,  sondern  solche,  welche 
ganz  und  gar  mit  Bildwerk  überdeckt  waren.  Die  Neuzeit  hat  keine  Cappae 
dieser  Art  hervorgebracht,  das  Mittelalter  dagegen  manche.  Es  ist  nicht  zu 
viel  behauptet,  wenn  man  sagt,  daß  gerade  diese  Pluvialien  den  Höchststand 
der  mittelalterlichen  Paramentik  bezeichnen. 

Wohl  hat  es  auch  reich  bestickte  Kasein  gegeben.  An  keinem  der 
liturgischen  Gewänder  aber  haben  Sticker  und  Stickerinnen  so  ihren  Kunst- 
sinn und  ihre  Kunstfertigkeit  erprobt,  wie  an  dem  Pluviale.  Der  Grund, 
warum  sie  eben  dieses  vor  der  Kasel  bevorzugten,  lag  zum  Teil  in  dem  Um- 
stand, daß  es  durch  den  ganzen  Verlauf  seiner  geschichtlichen  Entwicklung 
den  Charakter  eines  Prachtgewandes  erhalten  hatte,  zum  Teil  in  der  ihm 
eigentümlichen  Beschaffenheit,  welche  es  ungleich  geeigneter  zur  Anbringung 
reichster  figürlicher  Stickereien  erscheinen  ließ  als  das  Meßgewand.  Denn 
während  dieses  in  dichtem  Gefältel  sich  dem  Körper  anlegte  -  -  eine  Folge 
der  Notwendigkeit,  das  Ge- 
wand auf  den  Armen  zu- 
sammenzuraffen — ,  floß 
das  Pluviale  in  wenigen 
langen  Falten  glatt  zum 
Boden  herab. 


Es  waren  durchaus  keine 
vereinzeltenErscheinungen,  die- 
se ganz  und  gar  mit  Heiligen- 
figuren oder  Szenen  aus  der 
heiligen  Geschichte  überstiekten 
Pluvialien ;  es  hat  ihrer  im  1 3., 
14.  und  15.  Jahrhundert  eine 
große  Zahl  gegeben.  Item  unum 
pluviale  laboratum  ad  acum  de 
auro  battuto  et  serico  de  di- 
versis  ystoriis  et  passionibus 
sanetorum ,  foderatum  de  pur- 
pura  rubea  ad  aves  croceas, 
lesen  wir  im  Verzeichnis  der 
Paramente,  welche  Bonifaz  VIII. 
der  Kathedrale  zu  Anagni 
schenkte.  Item  una  magna 
cappa  deaurata  ad  imagines, 
heifät  es  in  einem  Inventar  von 
Chartres  von  1327.  Item  cappa 
Godofredi  de  Wesenham  de  rubeo 
sameto,  brodata  cum  ymaginibus 
regum  et  episcoporum  2 . . . ;  item 
cappa,  quam  dedit  Edwardus 
filius   regis   Henrici,    breudata 


Bild  157.     Szenen  aus  dem  Leben  der  hl.  Magdalena 
Pluvialbesatz.      Danzig,  Marienkirche. 


336  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

cum  regibus ,  angelis ,  episcopis  et  rosis  .  .  . ;  item  cappa  pretiosa  quae  fuit  Thomae 
de  Cantilupe  de  rubeo  sameto  breudata  ymaginibus  episcoporum ,  regum  et  aposto- 
lorum,  schreibt  das  Inventar  von  St  Paul  zu  London  von  1295  bei  Aufzählung 
der  zahlreichen  Cappae. 

In  primis,  vermerkt  das  Inventar  von  St  Peter  aus  dem  Jahre  1861,  unum 
pluviale,  quod  dedit  Basilicae  bonae  memoriae  papa  Ioannes  XXII,  de  auro  cum  multis 
et  diversis  historiis  novi  et  veteris  testamenti  et  aliis  compassibus  ad  perlas  cum 
uno  pulchro  aurifrisio  de  auro ,  ornatas  ad  iiguras  diversorum  animalium  et  avium 
de  perlis  et  vitreolis  in  civilis  caputio  ornato  de  perlis  sunt  duo  angeli  incensantes  et 
in  pede  ipsius  est  unum  monile  rotundum  de  perlis  plenum ;  a  pede  vero  ipsius  plu- 
vialis  est  unum  aurifrisium  rubei  et  viridis  coloris  mirae  pulcliritudinis  .  .  . ;  item 
unum  pluviale  de  auro  cum  infinitis  imaginibus  diversarum  ystoriarum  sanctorum  de 
opere  anglicano  ,  scilicet  cum  ystoria  passionis  Christi  et  beati  Petri  cum  aurifrisio 
mirae  pulchritudinis  ad  figuras  diversorum  animalium  et  avium  de  perlis  et  vitriolis 
et  in  caputio  ornato  de  perlis  sunt  duo  angeli  incensantes  et  a  pede  (am  Saum) 
ipsius  est  una  vitis  de  perlis  cum  avibus  et  animalibus  infra  ipsam  vitem,  quod 
transivit  (sie)  Basilicae  sanetissimus  pater  Clemens  papa  VI  .  .  . ;  item  unum  pluviale  de 
auro  de  opere  anglicano  quod  fuit  Bonifatii  papae  VIII  cum  imagine  in  modum  ponti- 
ficis  cum  Corona,  amicto  pallio  pontificali,  et  libro  de  perlis  et  a  medietate  infra  in 
cireuitu  imagines  apostolorum  cum  frisio  ornato  de  perlis  minutis  et  crueibus  nigris 
de  serico  et  in  caputio  est  annuntiatio  dominae  nostrae  ,  a  pede  vero  est  aurifrisium 
ornatum  de  perlis  .  .  . ;  item  unum  aliud  pluviale  de  (opere)  anglicano ,  quod  fuit 
Nicolai  III  cum  diversis  figuris  et  in  campo  aureo  .  .  . ,  in  medio  eius  praeeipue  est 
imago  salvatoris  cum  luna  et  sole  ab  utraque  parte  et  duobus  angelis  uno  a  dextris 
et  alio  a  sinistris  .  .  . ;  item  unum  pluviale  de  cassamito  viridi  cum  diversis  compaxibus 
aureis  et  diversis  imaginibus  salvatoris  et  apostolorum  Petri  et  Pauli  ...  in  cuius 
caputio  est  imago  salvatoris  et  beatae  virginis  (wohl  die  Krönung  Maria) '.  Be- 
merkenswert ist,  daß  unter  den  zahlreichen  Kasein  des  Inventars  sich  keine  findet, 
die  wie  die  angeführten  Pluvialien  ganz  mit  Figuren  bestickt  war. 

Auch  das  Inventar  Bonifaz'  VIII.  vom  Jahre  1295  gedenkt  eines  mit  Bildern 
geschmückten  Chormantels :  Item  unum  pluviale  anglicanum  cum  campo  toto  de  auro 
filato  cum  multis  imaginibus  sanctorum  et  figuris  avium  et  bestiarum  cum  frisio  ad  perlas. 

Das  Inventar  Karls  V.  von  Frankreich  vom  Jahre  1379  schreibt:  Une  chappe 
ä  ymages  sur  champ  d'or  d'ouvraige  d'Angleterre,  l'orfroi  et  la  broderie  ä  perles  .  .  . ; 
une  autre  chappe  ä  prelat,  brodee  sur  or  ä  ymages  de  point;  im  Inventar  von  Poitiers 
von  1406  aber  lesen  wir:  Une  autre  fort  belle  chappe,  .  .  .  en  laquelle  est  comprise 
toute  la  Bible  en  ymages  et  enrichie  d'un  magnifique  orfroi  In  einem  Inventar  der 
Kathedrale  zu  Lyon  von  1448  sind  verzeichnet  eine  cappa  preciosa  .  .  .  contexta  cum 
acu  de  auro,  seminata  in  campo  de  virga  Jesse  .  .  .,  und  eine  cappa,  iam  antiqua, 
aurea  brodata  cum  acu  .  .  .  seminata  de  Passione.  Ungemein  reich  an  figurierten 
Pluvialien  war  ehedem  die  Kathedrale  von  Bourges,  so  reich,  daß  sie  in  dieser 
Beziehung  selbst  St  Peter  zu  Born  übertraf.  Verzeichnet  doch  das  Inventar 
von  1537  ihrer  nicht  weniger  denn  sechs.  Drei  wiesen  Bilder  aus  dem  Leben  des 
Heilandes  und  Maria,  eine  vierte  Marterszenen,  eine  fünfte  den  Jessebaum  auf.  Die 
sechste  hieß  La  chappe  du  Te  Deum  von  den  auf  ihr  dargestellten  Ordnungen  heiliger 
Männer  und  Frauen  2.  Andere  mit  Bildern  bestickte  Chorkappen  werden  in  dem  In- 
ventar von  Cluny  (1382)  und  den  Verzeichnissen  der  Schätze  Philipps  des  Kühnen 
(1404),  Philipps  des  Guten  (1420)  und  Karls  des  Kühnen  (1467)  aufgeführt.  In 
der  Kapelle  Philipps  des  Kühnen  gab  es  ihrer  ganze  fünf,  von  denen  zwei  Floren- 
tiner Herkunft  waren. 

In  der  Ste-Chapelle  zu  Bourges  besaß  man  noch  1757  zwei  mit  figürlichen  Dar- 
stellungen   bestickte    Pluvialien ,    von    denen    die    eine    Szenen    aus    dem    Leben    des 


1   Über   cassamitum   =   catexamitum    vgl.  bedeutet    ein   rundes,  viereckiges    oder  vier- 

oben  S.  225,  Anm.  1 ;  compaxus  (compassus)         paßformiges  Feld.  -  Kevue  1888,  176. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


337 


hl.  Ludwig  von  Marseille,  die 
andere  Begebenheiten  aus  dem 
des   heiligen   Königs  Ludwig 
aufwies  '.  Drei  fernere  fanden 
sich    bis    zur    Revolution    in 
der     Abtei     La- Chaise -Dieu 
(Auvergne).    Man  schrieb  sie 
irrtümlich    dem    Stifter     der 
Abtei,  dem  hl.  Robert,  zu ;  die 
Abbildung,  welche  wir  durch 
Montfaucon    von    einer    der- 
selben besitzen,   wie  die  Be- 
schreibung, die  wir  von  ihnen 
erhalten  ,     lassen     in     ihnen 
unschwer    Schöpfungen     des 
14.     Jahrhunderts    erkennen. 
Eines  der  Pluvialien  hieß  La 
caille  (Wachtel),  weil  zwischen 
den        Heiligendarstellungen 
außer   andern    Tieren  beson- 
ders häufig  eine  Wachtel  an- 
gebracht  war.     Die   Besätze 
an    der    Vorderseite    wiesen 
Heilige  unter  Baldachinen  auf, 
der  Schild  das  Lamm  Gottes, 
das  Gewand  selbst  die  Kreuzi- 
gung und  die   zwölf  Apostel. 
Von  den  beiden  andern  Chor- 
kappen nannte  man  die  eine 
La  Pentecöte,  die  andere  La 
Toussaint '-',   Namen,    die    zur 
Genüge    verraten,    was    auf 
denselben      dargestellt     war. 
Sehr  eigenartig  war  der  Bilder- 
schmuck  auf  einem  Pluviale 
in  der  Kathedrale  zu  Chartres. 
Über  das  ganze  Gewand  zogen 
sich  mit  Fischen  belebte  Flüsse 
hin,     die    einander    kreuzten 
und    so    Medaillons   bildeten. 
An     den     Kreuzungspunkten 
sah  man  große  Krebse.    Der 
Bilderschmuck    des    Pluviale 
bestand  in  einer  Kreuzigungs- 
gruppe ,    die     unterhalb    des 
Schildes  angebracht  war,  einer 
Darstellung    der    thronenden 
Gottesmutter ,    die  nach  dem 
Saum  der  Rückseite  zu  ihren 
Platz  gefunden  hatte,  und  den 


1  Girardot,  Tresor  de  la 
cathedrale  de  Bourges  26  46. 
Revue  1888,  176. 

-  Roh.  VIII  5  und  pl.  dcxxv.      Bild  158. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


Pluvialstäbe  mit  Totentanzszenen.   Osnabrück,  Dom. 

22 


338  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

von  Vogelgestalten  begleiteten  Figuren  der  Apostel,  welche  sich  rechts  uns  links  an 
Maria  anreihten.     Das  Pluviale  befand  sich  noch  1620  im  Besitz  der  Kathedrale '. 

Doch  wozu  die  Inventare  erzählen  lassen,  da  es  doch  noch  jetzt  eine 
verhältnismäßig  stattliche  Anzahl  dieser  Praclitpluvialien  des  13. ,  14.  und 
15.  Jahrhunderts  gibt. 

Wohl  das  älteste  derselben ,  es  mag  in  die  erste  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
hinaufreichen ,  ist  das  früher  bereits  erwähnte  Pluviale  von  St  Paul  in  Kärnten 
(Bild  144,  S.  319).  Der  ganze  Grund  des  Gewandes  ist  mit  Kreisen  von  nahezu  30  cm 
Durchmesser  ausgefüllt,  die  auf  der  einen  Hälfte  des  Pluviale  Szenen  aus  dem  Leben 
des  hl.  Blasius ,  auf  der  andern  Szenen  aus  dem  des  hl.  Vincentius  enthalten.  Die 
Bedeutung  der  jedesmaligen  Darstellung  erhellt  aus  der  in  der  Umrahmung  angebrachten 
Umschrift.  Die  Zwickel  zwischen  den  Kreisen  werden  durch  romanische  Ranken  und 
sonstiges  dem  Baum  entsprechendes  Ornament ,  namentlich  romanisch  stilisierte 
Kreuze,  belebt.  Über  die  Mitte  der  B-ückseite  zieht  sich  von  oben  nach  unten  ein 
11  cm  breiter  Zierstreifen,  der  das  Gewand  in  zwei  Hälften  teilt,  eine  Einrichtung, 
die,  wie  schon  gesagt  wurde,  bei  Chormänteln  eine  große  Seltenheit  ist.    Die  Stickerei 


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Bild  159.     Pluviale  Nikolaus'  IV.     Ascoli  Piceno.    (Phot.  Alinari.) 


ist  in  Seide  auf  derbem  Linnen  aufgeführt.  Die  Zeuglasche,  welche  vorn  am  Saume 
behufs  Sehließens  des  Gewandes  angebracht  ist,  weist  die  Brustbilder  Christi  und  der 
hll.  Blasius  und  Nikolaus  auf'-. 

Etwas  jünger  als  das  Pluviale  von  St  Paul  ist  die  Chorkappe  in  der  ehemaligen 
Klosterkirche  zu  Goß  in  Steiermark,  eine  Arbeit  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts3. Wie  die  zugehörige  Kasel,  Dalmatik  und  Tunicella  eine  Stiftung  der 
Äbtissin  Kunigundis  IL,  ist  sie  auch  in  Bezug  auf  den  Charakter  der  Darstellungen  und 
der  angewendeten  Technik  diesen  Gewändern  durchaus  gleichartig.  Ihre  Verzierung 
besteht  teils  aus  Hakenmustern  untermischt  und  wechselnd  mit  Flechtwerk,  geometrischem 
Bandornament  und  treppen  artigen  Gebilden,  teils  aus  quadratischen  Feldern,  in  denen 
phantastisches  Getier,  Adler,  Elefanten,  Löwen,  Greife  und  ähnliches  angebracht  sind. 


1  Gay  I  822.  Vergleiche  auch  das  In- 
ventar von  York  (1500) :  Item  3  capae  rubeae 
opere  acus  operatae  cum  historiis  Bibliae ; 
ferner  Durliam,  Wills  and  Inventories 
21  27,  das  Inventar  von  Fecamp  (1375),  das 
Schatzverzeichnis  von  Lincoln  (1536),  das 
Inventar  von  Amiens  (1419)  u.  a. 


2  H  e  i  d  e  r ,  Liturgische  Gewänder  aus  Stift 
St  Blasien  im  Schwarzwald,  in  Jahrbuch  der 
k.  k.  Zentralkommission  IV,  Wien  1860,  135ff 
und  Kraus,  Kunstdenkmäler  des  Großherzog- 
tums Baden,  Kreis  Waldshut  III  104,  wo 
auch  die  Literatur  über  das  Pluviale. 

3  Abbildung  bei  de  Farcy  773. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


339 


Figurales  Bildwerk  findet  sich  nur  auf  der  Rückseite  des  Pluviale.  Es  beschränkt 
sich  auf  das  Bild  der  Gottesmutter,  die  das  Jesuskind  an  ihrer  jungfräulichen  Brust 
nährt,  die  vier  Evangelistensymbole  und  eine  Darstellung  der  Don atrix  Kunigundis.  Maria 
und  die  Evangelistensymbole  sind  in  Scheiben  angebracht,  die  Stifterin  unter  einem 
Rundbogen.  Die  Kapuze  bzw.  der  Schild  fehlt  gegenwärtig,  vielleicht,  daß  solches 
von  Anfang  an  der  Fall  war.  Schön  ist  das  Gewand  nicht ,  noch  auch  technisch 
eine  Musterleistung,  jedoch   sehr  interessant. 

Ungleich  vorzüglicher,  ja  wirklich  vortrefflich  ist  ein  aus  derselben  Zeit  stam- 
mendes Pluviale  in  der  Kathedrale  zu  Ascoli  (Bild  159).  Es  wurde  dieser  von 
Nikolaus  IV.  (f  1292)  zum  Geschenk  gemacht  und  soll  auf  Bestellung  Nikolaus'  III. 
(f  1280)  durch  einen  französischen  Meister  angefertigt  worden  sein.  Das  Gewand 
ist  ein  Papstpluviale  im  vollsten  Sinne  des  Wortes.  Der  Fond  des  Bildwerks  ist 
in  Gold-  und  Silberstickerei  hergestellt.  Neunzehn  zum  Teil  allerdings  unvoll- 
ständige Rundmedaillons  mit  eingeschriebenem  Achtpaß  verteilen  sich  in  drei  Reihen 
über  die  ganze  Fläche.  Die  drei  mittleren  enthalten  ein  Brustbild  Christi,  Christi 
Kreuzigung  und  Maria  mit  dem  Kind  zwischen  zwei  Engeln  thronend,  die  16  übrigen 


Bild   160.      Pluviale   aus   Syon.      London,  Kensiugton-Museuni.     (Phot.  de  Farcy.) 


Darstellungen  von  Päpsten.  Sechs  derselben  schildern  das  Martyrium  der  hll.  Petrus, 
Marcellus,  Alexander,  Klemens,  Kornelius  und  Fabianus,  sechs  zeigen  uns  die  heiligen 
Bekennerpäpste  Silvester ,  Hilarius ,  Leo ,  Gregor  I. ,  Lucius  und  Anastasius  in- 
mitten von  je  zwei  heiligen  Bischöfen ,  die  übrigen  vier  weisen  die  Brustbilder 
Innocenz'  IV.  (1243—1254),  Alexanders  IV  (1254—1261),  Urbans  IV.  (1261  bis 
1264)  und  Klemens'  IV.  (1265 — 1268)  auf,  jedes  begleitet  von  dem  Brustbilde  eines 
Bischofs.  Der  winzige  Schild  enthält  zwei  inzensierende  Engel ,  ein  hier  beliebtes 
Motiv.  Aurifrisien  ziehen  sich  sowohl  am  Vordersaum  hinab  wie  rings  um  den 
unteren  Rand.  Sie  waren  einst  mit  Perlen  reich  besetzt.  Es  ging  diesen  indessen 
wie  so  vielen  andern  Kostbarkeiten :  man  mußte  sie  herabnehmen ,  um  sie  zur  Be- 
zahlung einer  von  Napoleon  I.  auferlegten  Kriegskontribution  zu  verwenden. 

Sonstige  Prachtpluvialien  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  sind  das 
Pluviale  des  hl.  Ludwig  von  Anjou  zu  St-Maximin  (Var),  der  unter  dem  Namen 
Syon  cope  bekannte  Ghormantel  im  Kensington-Museum,  ein  aus  Daroca  stammendes 
Pluviale  im  Museum  zu  Madrid  und  ein  dem  Bischof  Wedekind  von  Hildesheim  einst 
angehöriger,  nach  dessen  Tode  aber  vom  Kensington-Museum  erworbener  Chormantel. 
Reste  einer  Cappa  aus  dieser  Zeit  finden  sich  an  einer  Dalmatik  im  Schatz  der 
Kathedrale  von  Anagni. 

22* 


MO 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  öbergewänder. 


Das  Pluviale  von  St-Maximin  ist  leider  am  unteren  Rand  stark  beschnitten  '. 
Außerdem  fehlen  die  Aurifrisien,  der  clipeus  und  ein  breiter  Streifen  in  der  Mitte  des 
Gewandes,  den  man  vermutlich  herausgeschnitten  hat,  um  daraus  einen  Kaselbesatz 
oder  ähnliches  zu  machen.  Dreißig  auf  vier  Reihen  verteilte  Rundmedaillons  mit 
Szenen  aus  dem  Leben  des  Heilandes  und  seiner  heiligen  Mutter,  ein  völliges  Marien- 
leben bildend,  füllen,  besser  füllten  den  in  Goldstickerei  hergestellten  Grund.  In  den 
Zwickeln  zwischen  den  Scheiben  haben  vierflügelige  Engel  Platz  gefunden,  die  sich 
in  ausgezeichneter  Weise  dem  Raum  anpassen. 

Die  sog.  Syon-Cappa  im  Kensington-Museum  (Bild  160,  S.  339)  ist  mit  19  in  drei 
Reihen  angeordneten  Medaillons  bedeckt  -.  Sie  haben  die  Form  eines  Vierpasses 
durch  den  ein  Quadrat  geschoben  ist,  und  sind  nach  Art  eines  aus  Ringen  bestehenden 
Netzes  ineinander  gekettet.  Die  Darstellungen,  welche  sie  enthalten,  sind:  Christus  am 
Kreuze,  Christus  und  Magdalena,  Christus  und  Thomas,  Maria  Tod,  Maria  Begräbnis 
und  Krönung,  St  Michael  und  die  zwölf  Apostel,  von  welchen  letzteren  indessen  vier 
nur  noch  in  winzigen  Resten  vorhanden  sind.    Der  Raum  zwischen  den  Vierpässen  ist 


Bild   161.      Pluviale    aus   Hildesheim.     London,  Kensington-Museum.    (Phot.  de  Farcy.) 

mit  sechsflügeligen  Seraphim  ausgefüllt.  Der  Fond  des  Pluviale  ist  in  grüner,  der- 
jenige der  Medaillons  in  roter  Seide  ausgestickt;  die  Figuren  sind  in  Gold,  Silber  und 
farbiger  Seide  gearbeitet.  Die  Besätze  unten  und  am  vorderen  Saume  sind  um  etwa 
ein  Jahrhundert  jünger  als  das  Gewand  selbst. 

Das  Pluviale  von  Daroca  ist  gleichfalls  mit  drei  Reihen  von  Vierpässen  ge- 
schmückt, aus  deren  Ecken  rechte  Winkel  hervorwachsen;  doch  sind  die  Medaillons 
nicht  ineinandergeschlungen,  sondern  durch  eine  vierköpfige  Schlange  miteinander  ver- 
knüpft. Die  drei  übereinander  stehenden  Medaillons  in  der  Mitte  des  Gewandes  geben 
oben  den  Engeldienst  nach  der  Versuchung  Christi,  darunter  Christus  am  Kreuze  und 
unten  die  Verkündigung  wieder,  die  übrigen  Szenen  der  Schöpfung  und  des  Sündenfalls. 
In  den  Zwickeln  zwischen  den  Pässen  gewahren  wir  auch  hier  sechsflügelige  Engels- 
gestalten. Der  ursprüngliche  clipeus  ist  verloren  gegangen.  Die  Besätze  am  Vordersaum 
weisen  Bilder  von  Bischöfen  und  Königen  unter  steil  ansteigenden,  auf  Löwenköpfen 


1  Abbildung  bei  de  Farcy  402. 

2  Das  Pluviale  rührt  aus  dem  Kloster  Syon 
bei  Lsleworth  (England)  her.  Zur  Zeit  der 
sog.  Reformation  nach  Portugal  gabracht, 
kam  es  mit  den  Nonnen,  die  es  besaßen,  im 


Beginn  des  19.  Jahrhunderts  nach  England 
zurück.  Von  den  Eigentümerinnen  dem  Earl 
of  Shrewsbury  zum  Dank  für  die  ihnen  ge- 
währte Gastfreundschaft  geschenkt,  gelangte 
es  1864  durch  Kaufan  das  Kensington-Museum. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale 


341 


ruhenden  Baldachinen  auf.  Der  Grund  des  Pluviale  und  der  Medaillons  ist  ganz  in  Gold 
gestickt;  die  Figuren  sind  in  Seide  ausgeführt,  die  Umrahmung  der  Medaillons  in  Gold. 
Das  Gewand,  welches  leider  durch  die  Ungunst  der  Zeit  stark  gelitten  hat,  ist  eines 
der  interessantesten  seiner  Art '. 

Die  vorhin  erwähnten  Chormantelreste  an  einer  Dalmatik  im  Schatz  der  Ka- 
thedrale zu  Anagni  sind  die  letzten  Überbleibsel  eines  glanzvollen  Pluviale,  das 
Bonifaz  VIII.  dieser  seiner  Lieblingskirche  verehrte.  Seltener,  vielleicht  niemals,  sind 
Stickereien  in  so  brutaler  Weise  zerschnitten  und  in  so  widersinniger  Weise  zu  einem 
Gewände  verarbeitet  worden ,  wie  das  hier  in  der  Zeit  der  Renaissance  mit  einem 
Meisterwerk  der  Stickkunst  aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  geschehen  ist. 
Die  Ärmel  der  Dalmatik  sind  einer  gleichfalls  von  Bonifaz  VIII.  herrührenden ,  ganz 
mit  Bildern  aus  dem  Leben  des  hl.  Nikolaus  bestickten  Dalmatik  entnommen,  als  diese 
das  Geschick  ereilte ,  in  eine  Kasel  verunstaltet  zu  werden.  Das  Bilderpluviale, 
welches  der  Papst  der  Kathedrale  gab,  war  mit  Marterszenen  bestickt.  Wirklich  finden 
wir  solche  auf  der  Dalmatik  des  Schatzes  von  Anagni.  Die  Umrahmung  der  Dar- 
stellungen ist  von  ähnlicher  Art  wie  bei  den  Medaillons  auf  dem  Pluviale  im  Kensington- 


Bild  162.      .Pluviale.      Bologna,  Museo  civico.    (Phot.  Alinari.) 


Museum    und   der   Cappa   von    Daroca,    nur   dafä   die    einzelnen   Pässe   Dreiblattform 
haben.    Den  Baum  zwischen  den  Vierpässen  nehmen  Engel  ein.  die  auf  Thronen  sitzen  2. 
Bei  dem  Hildesheimer  Pluviale,  einem  auch  durch  seine  charakteristische  Stick- 
technik bedeutsamen  Stück,  das  leider  seinen  Weg  in  die  Fremde  genommen  hat,  bilden 


1  Abbildimg  des  ganzen  Gewandes  nebst 
Detail  bei  de  Farcy  pl.  21  22. 

2  Abbildung  ebd.  pl.  36.  De  Farcy  (126) 
irrt,  wenn  er  meint,  die  Ärmel  der  Dalmatik 
und  die  im  Text  erwähnte  Kasel  seien  Reste 
eines  Pluviale ;  sie  stammen  von  der  im  In- 
ventar der  Geschenke  Bonifaz'  VIII.  ver- 
zeichneten Dalmatik:  Item  una  dalmatica, 
contexta  de  auro,  argento  et  serico  cum  octo- 
ginta  duobus  plactis  (sie)  de  auro  et  pernis 
ad  historiam  beati  Nicolai.  Ebenso  ist  die 
Meinung  Barbiers  de  Montault  (Annales 
archeolog.  XVII  273),  die  Dalmatik  sei 
identisch  mit  der  im  Inventar  erwähnten 
una  dalmatica  de  samito  rubeo  cum  diversis 
passionibus  sanetorum  ad  imagines  salvatoris 
et   virginis    in    pectorali,    unzutreffend,    wie 


die  Angabe  de  samito  rubeo  beweist.  Im 
Schatz  der  Kathedrale  gibt  es  gegenwärtig 
auch  ein  mit  Bildern  ganz  besticktes  Pluviale, 
das  als  völliges  Gegenstück  des  Chormantels 
des  hl.  Ludwig  von  Anjou  gelten  könnte. 
Wenn  wir  das  prächtige  Stück  im  Text  nicht 
anführen,  so  hat  das  seinen  Grund  in  dem 
Umstand,  daß  selbiges  ursprünglich  eine  Kasel 
war  und  erst  später  seine  jetzige  Form  und 
Verwendung  erhielt:  Item  una  planeta  con- 
texta ad  aurum  et  de  serico  de  historia  sal- 
vatoris ab  anuntiatione  beatae  virginis  et 
nativitate  Christi  usque  ad  resurrectionem 
et  de  assumptione  beatae  virginis,  heißt  es 
im  Inventar  der  Gaben  Bonifaz'  VIII.  Die 
beste  Reproduktion  des  Gewandes  bei  d  e 
Farcy  53. 


542 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewiinder. 


die  Rundmedaillons  keine  horizontalen,  sondern  vertikale  Eeihen  (Bild  161,  S.  3-10). 
Außerdem  hat  man  dadurch,  daß  man  sie  ineinander  hat  übergreifen  lassen,  alle  Zwickel 
vermieden.  Bemerkenswert  ist  der  gewebte  Besatz,  der  sich  über  die  Mitte  des  Rückens 
von  oben  nach  unten  zieht.  Der  kleine,  geradseitige  clipeus  ist  mit  geometrischen 
Figuren  bestickt.  Die  Medaillons  sind  mit  Darstellungen  von  Marterszenen  (im 
ganzen  29),  die  Segmente  mit  Drachen  gefüllt.  Die  Behandlung  der  Gewandungen 
mit  ihren  geometrischen  Musterungen  erinnert  an  die  Stickereien  von  Goß,  nur  ist  die 
Arbeit  beim  Hildesheimer  Pluviale  ungleich  sauberer  und  zarter.  Gold  ist  nur  an 
den  Rosetten  zur  Verwendung  gekommen ,  welche  an  den  Verbindungspunkten  der 
Kreissegmente  angebracht  sind.  Was  die  Komposition  der  Szenen,  den  Ausdruck  und 
die  Haltung  der  dargestellten  Figuren,  die  Drappierung  und  ähnliches  anlangt,  kann 
sich  das  Gewand  mit  seinen  Genossen  in  Ascoli  usw.  unzweifelhaft  nicht  im  ent- 
ferntesten messen.  Dagegen  ist  es  als  Beispiel  deutscher  Stickerei  und  um  seiner 
Technik  willen  zum  mindesten  ebenso  interessant  wie  diese. 

Der  Wende  des  13.  Jahrhunderts  oder  dem  Beginn  des  14.  gehören  außer  einem 
großartigen  Pluviale  im  Museo  civico  zu  Bologna  zwei  im  ganzen  noch  ziemlich  gut 
erhaltene  Chormäntel   in  St-Bertrand  zu  Comminges    sowie  die  Reste    einer  Cappa  im 


Bild   163.     Pluviale.      (Rekonstruktion.)     Pleasington,  Lancashire.    (Phot.  de  Farcy.) 


Corpus  Christ  House  zu  London  an.  Etwas  späteren  Datums,  doch  immer  noch  aus 
der  Frühe  des  14.  Jahrhunderts  wird  ein  Pluviale  sein,  das  von  Papst  Gelasius  IL 
(t  1119)  dem  Dom  zu  Pisa  geschenkt  worden  sein  soll  und  gegenwärtig  im  Museo 
civico  daselbst  ausgestellt  ist.  Seit  etwa  dem  zweiten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts 
entstanden  das  Prachtpluviale  von  S.  Giovanni  im  Lateran  zu  Rom,  der  Chormantel 
im  Dom  zu  Pienza,  ein  Pluviale  in  der  Kathedrale  von  Toledo,  die  Reste  einer  im 
englischen  Privatbesitz  (Familie  Bowden  zu  Pleasington,  Lancashire)  befindlichen  Cappa 
sowie  die  Überbleibsel  eines  Chormantels  im  bischöflichen  Museum  zu  Vieh  (Spanien). 
Auch  die  bedeutenden  Fragmente  eines  mit  Bildern  bestickten  Pluviale  zu  Steeple 
Aston  (Oxfordshire)  in  England  werden  dieser  Zeit  zugeschrieben ;  wir  möchten  sie 
indessen  lieber  dem  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  zuweisen. 

Von  den  beiden  Pluvialien  in  St-Bertrand  zu  Comminges  schließt  sich  das  eine 
hinsichtlich  der  Ausstattung  im  wesentlichen  noch  an  den  Typus  an,  welcher  für  die 
Pluvialien  des  13.  Jahrhunderts  charakteristisch  ist1.  Immerhin  bietet  es  manches 
Neue.  Die  Kreise  sind  zu  beiden  Seiten  nach  Art  eines  Kranzes  mit  Blättern  besetzt 
und  durch  mittelgroße,  gleichfalls  kranzartige  Ovale  miteinander  verbunden.     Da,  wo 


Abbildung  ebd.  pl.  81. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


343 


Kreise  und  Ovale  sich  berühren,  sind  Vierfüßler  der  mannigfachsten  Art  angebracht.  Die 
Ovale  enthalten  allerlei  Vögel,  eine  wahre  Menagerie,  die  Rundmedaillons  Propheten- 
gestalten, der  Raum  zwischen  den  Medaillons  Szenen  aus  der  Leidensgeschichte  samt 
der  Darstellung  der  Himmelfahrt  des  Herrn,  der  Sendung  des  Heiligen  Geistes  und  der 
Krönung  Maria.  Man  könnte  das  Pluviale  in  Anbetracht  all  des  Getiers,  das  auf  dem- 
selben ,  und  zwar  zum  Teil  in  ungemeiner  Lebenstreue ,  seinen  Platz  gefunden, 
„Arche"  '  nennen. 

Auch  die  Chormantelfragmente  zu  Steeple  Aston  haben  die  Erinnerung  an  die  im 
13.  Jahrhundert  beliebte  Ausstattungsweise  des  Pluviale  noch  keineswegs  verloren  '.  Nur 
daß  die  Vierpässe,  die  in  drei  Reihen  übereinander  den  in  Gold  gestickten  Fond 
überziehen  und  außer  der  Kreuztragung,  der  Kreuzigung  und  Maria  Krönung  Marter- 
szenen wiedergeben,  bereits  eine  freiere  Form  bekommen  haben,  und  daß  sie,  ähnlich 
wie  die  Kreise  auf  dem  Chormantel  von  Comminges,  mit  Blättern  versehen  sind.  Die 
Zwickel  zwischen  den  Medaillons  beherbergen  den  englischen  Löwen ,  auf  denA  uri- 
frisien  am  Vordersaume  gewahrt  man  musizierende  Engel  —  hoch  zu  Roß,  eine  eigen- 


«sp 


Bild  104.     Pluviale  des  Kardinals  Albornoz.     Toledo,  Museum. 


artige  Darstellung.  Sie  werden  durch  Vierpässe  voneinander  geschieden,  welche  in 
der  Mitte  die  englische  Rose,  in  den  einzelnen  Pässen  aber  die  auf  englischen  Sticke- 
reien traditionellen  Vögel  und  Vierfüßler  aufweisen. 

Eine  sehr  bemerkenswerte  Arbeit  ist  das  leider  nur  unvollständig  vorhandene 
Pluviale  in  Corpus  Christ  House 2.  Es  ist  auf  seidenem  Fond  mit  dem  Jessebaum 
geschmückt,  hier  ein  Weinstock,  der  in  der  Mitte  des  unteren  Saumes  aus  der  Seite 
des  schlafenden  Jesse  ausgeht  und  sich  aufsteigend  nach  rechts  und  links  über  das 
ganze  Gewand  verzweigt.  Die  Stammväter  des  Herrn  und  Maria  mit  dem  Jesuskind 
befinden  sich  in  kreisförmigen  Feldern ,  in  welche  die  einzelnen  Reben  auslaufen. 
Außer  den  Ahnen  des  Erlösers  haben  auch  Propheten,  die  von  diesem  weissagten,  in 
Medaillons  solcher  Art  auf  dem  Gewand  einen  Platz  gefunden.  Der  übrige  Teil  des 
Fonds  wird  in  ungemein  gefälliger  und  harmonischer  Weise  durch  kleinere  Ranken, 
durch  Blattwerk  und  Trauben  belebt. 

Ein  Pluviale  ganz  verwandter  Art  begegnet  uns  schon  1245  im  Inventar  von 
St   Paul    zu   London 3.      Der   Jessebaum    scheint    bei    den    englischen   Pluvialstickern 


1  Abb.  ebd.  pl.  150.  -  Abb.  ebd.  pl.  42. 

3  Cappa  G.  de  Wesenham  de  rubeo  samito, 

bene   breudata  lesse  et  stirpe    per   totum  et 


apostolis  in  anteriore  parte  et  crncifixo.  Die 
Apostel  in  anteriore  parte  haben  wir  uns  wohl 
auf  dem  Aurifrisinm  zu  denken,  welches  den 


344 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 


recht  beliebt  gewesen  zu  sein.  Er  findet  sich  unter  anderem  auch  auf  einer  Stickerei, 
welche  von  de  Farcy  veröffentlicht  wurde  und  die  mittlere  Partie  eines  englischen 
Chormantels  oder  wohl  besser  den  Besatz  einer  Kasel  gebildet  haben  dürfte  '. 

Der  Chormantel  zu  Pisa  besteht  aus  rotem  Wollstoff2.  Seine  Musterung  setzt 
sich  aus  vier  Reihen  Medaillons  von  der  bekannten  Vierpaßforni  zusammen.  Die 
Zwickel  zwischen  den  Medaillons  sind  mit  einer  Eosette  angefüllt ,  von  der  vier 
Ranken  ausgehen,  die  Medaillons  aber  enthalten  Brustbilder  von  Heiligen.  Die  Stickerei 
ist  teils  in  farbiger  Seide,  teils  in  Gold  gearbeitet.  Den  Besatz  an  der  Vorderseite 
des  Gewandes  schmückt  in  der  Mitte  das  Brustbild  des  hl.  Petrus ;  seine  übrigen  Dar- 
stellungen geben  Szenen  aus  dem  Leben  Christi  wieder.  Den  unteren  Saum  umzieht 
eine  mit  einer  Ranke  bestickte  Borte.     Der  Schild  fehlt. 

Das  Pluviale  im  Museo  civico  zu  Bologna  nennt  de  Farcy  das  Nonplusultra 
aller  Pluvialien.  Das  Lob  ist  wohl  etwas  übertrieben.  Wer  indessen  Gelegenheit  hatte, 
dasselbe  an  Ort  und  Stelle  näher  zu  studieren ,  wird  immerhin  gestehen  müssen,  daß 
es  einer  der  vorzüglichsten  Chormäntel  ist,  die  wir  aus  dem  Mittelalter  noch  besitzen. 
Eine  Abbildung  überhebt  uns  der  Beschreibung  (Bild  162,  S.  341).  Kann  sie  auch  von 
der  allseitigen  Vorzüglichkeit  der  Nadelmalereien,  mit  denen  das  Gewand  ausgestattet 


Bild   165.      Pluviale.      Pienza,  Dom.     (Pliot.  Lombai-di.) 


ist,  keinen  Begriff  geben,  so  ermöglicht  sie  doch  wenigstens  eine  Idee  von  der  Weise, 
wie  der  Künstler  das  Bildwerk  angeordnet  hat. 

Im  13.  Jahrhundert  liebten  es  die  Sticker,  in  Nachahmung  der  mit  eingewebten 
Medaillons  gemusterten  Stoffe  den  Fond  des  Pluviale  mit  aneinandergereihten  Kreisen 
oder  Vierpässen  zu  besticken  und  in  diese  dann  das  Bildwerk  einzufügen.  Es 
hatte  dies  jedoch  einen  großen  Übelstand  im  Gefolge.  Da  die  Cappa  ausgebreitet 
nicht  ein  Rechteck,  sondern  ein  Halbrund  darstellt,  konnten  nämlich  verschiedene  der 
Medaillons  nur  unvollständig  auf  dem  Gewand  Platz  finden.  Die  zerschnittenen  Kreise 
und  verstümmelten  Figuren  sind  also  keineswegs  überall  das  häßliche  Ergebnis  einer 
unverständigen  Zustutzung  aus  späteren  Tagen.  Wir  finden  sie  auch  bei  Pluvialien, 
an  welche  sieh  eine  Schere  nie  nachträglich  herangemacht  hat. 

Das  Pluviale  im  Museo  civico  zeigt  nun  einen  neuen  Typus.  Der  Sticker  hat 
auf  dem   Gewand   in    der  Richtung   der  Radien   eine    doppelte   Reihe   von  Arkaturen 


vorderen  Saum  entlang  angebracht  war.  Wo 
die  Kreuzigungsgruppe  sich  befand,  ob  in  der 
Mitte  des  genannten  Saumbesatzes  oder  auf 
dem  clipeu8,  muß  dahingestellt  bleiben. 

1  Abbildung  ebd.  pl.  41.  Auch  de  Farcy 
möchte  sie  für  einen  Kaselbesatz  halten.  Sie 
ist   eine  äußerst  feine  Arbeit.     Die  Figuren 


und  der  Jessebaum  sind  in  Seide  gestickt. 
Der  Fond  wurde  mittels  Abheften  von  Gold- 
fäden gebildet,  und  zwar  wurde  er  dabei  in 
kunstreicher  Weise  durch  den  Wechsel  im 
Lauf  der  Fäden  mit  Vierpässen  gemustert, 
welche  mit  einem  Leoparden  gefüllt  sind. 
2  Abbildung  bei  Roli.  VIII,  pl.  dcxxv. 


P4 


oa 


346  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

angebracht,  von  denen  sich  die  untere  auf  der  Peripherie,  die  obere  auf  einem  zur 
Peripherie  parallelen,  die  beiden  Bogenzonen  trennenden  Fries  erhebt;  dann  hat  er  unter 
diesen  zwei  Folgen  von  Bogen  die  Szenen  aus  dem  Leben  des  Heilandes,  die  er  sich 
zum  Vorwurf  wählte,  angeordnet ;  unzweifelhaft  ein  ebenso  glücklicher  wie  geistreicher 
Gedanke.  Der  Typus  erscheint  übrigens  auf  dem  Bologneser  Chormantel  erst  in 
seinem  Anfang.  Die  beiden  Arkadenreihen  stehen  noch  zu  los  und  zu  unvermittelt 
übereinander.  Vollständiger  durchgebildet  ist  er  bei  dem  zweiten  Pluviale  von 
St-Bertrand  zu  Comminges  *.  Die  trennenden  Friese  sind  hier  fortgefallen  und  die 
Bogen  durch  Doppelranken  ersetzt,  die  einander  umwinden  und  eine  doppelte  Reihe 
von  Arkaturen,  eine  obere  kürzere  und  eine  untere  längere,  imitieren.  In  seiner  ganzen 
Vollendung  tritt  der  Typus  seit  etwa  dem  zweiten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  bei  den 
Prachtpluvialien  von  Toledo,  von  Pienza,  von  S.  Giovanni  im  Lateran,  den  im  Privat- 
besitz der  Familie  Bowden  zu  Pleasington  befindlichen  Chormantelresten  (Bild  163,  S.  342) 
und  den  Pluvialfragmenten  zu  Vieh  auf'2.  Wir  haben  hier  überall  drei  Bogenzonen.  Die 
Architektur  ist  bald  strenger  bald  freier,  immer  aber  als  Flachornament  behandelt. 
Die  in  der  Mitte  des  Gewandes  senkrecht  übereinander  sich  erhebenden  Bogen,  welche 
regelmäßig  Doppelbogen  sind,  enthalten  stets  Gruppen,  wozu  mit  Vorliebe  die  Ver- 
kündigung, die  Geburt  Christi,  die  Anbetung  durch  die  Weisen,  die  Kreuzigung  und 
die  Krönung  Maria  verwendet  werden.  Unter  den  übrigen  Bogen  sind  bald  Einzel- 
figuren bald  gleichfalls  Gruppen  angeordnet.  Nur  Gruppen  besitzen  unter  den  Bogen  das 
Pluviale  von  S.  Giovanni  im  Lateran  und  das  von  Pienza.  In  den  Zwickeln  zwischen  den 
einzelnen  Zonen  haben  meistens  musizierende  Engel  Platz  gefunden.  Bei  dem  Pluviale  von 
Toledo  (Bild  164,  S.  343),  welches  sich  durch  eine  sehr  strenge,  zugleich  aber  ungemein 
edle  Behandlung  der  Architektur  auszeichnet,  sind  die  Zwickel  ganz  weggefallen,  dafür 
aber  oberhalb  der  die  Bogen  bekrönenden  Wimperge  zur  Ausfüllung  des  Baumes  die  für 
die  englische  Stickerei  des  Mittelalters  charakteristischen  Vögel  dargestellt.  Bei  dem  Plu- 
viale von  Pienza  (Bild  165,  S.  344)  sind  statt  der  Engel  in  der  unteren  Zwickelreihe  die 
Apostel  in  sitzender  Stellung,  in  der  oberen  die  Brustbilder  von  acht  Ahnen  des  Heilandes 
angebracht.  Eine  eingehende  Beschreibung  der  angeführten  Pluvialien,  die  unstreitig 
einer  Monographie  würdig  wären,  gestattet  der  Baum  nicht.  Die  Abbildungen  der  Plu- 
vialien von  Bologna,  Pleasington  (Rekonstruktion),  Toledo  und  S.  Giovanni  im  Lateran 
mögen  einen  teilweisen,  allerdings  sehr  geringen  Ersatz  bieten.  Immerhin  werden  sie 
das  Gesagte  besser  verstehen  helfen  und  eine  allgemeine  Idee  dieser  Prachtpluvialien  geben. 

Aus  dem  15.  Jahrhundert  verzeichnen  wir  die  drei  zum  Ornat  des  Goldenen 
Vlieses  gehörigen  Cappae  (Bild  166,  S.  345)  in  der  k.  k.  Schatzkammer  zu  Wien.  Die 
Errungenschaft  des  14.  Jahrhunderts,  die  drei  konzentrischen  Zonen  sind  auch  hier 
zur  Anwendung  gekommen,  weggefallen  ist  dagegen  eine  zusammenhängende  Archi- 
tektur. Der  Meister,  der  die  Zeichnung  für  die  Pluvialien  entwarf,  ist  wieder  auf  die 
frühere  Musterungsweise  mittels  Medaillons  zurückgegangen.  Indessen  hat  er  sich  doch 
den  Fortsehritt  zu  nutze  gemacht,  den  das  14.  Jahrhundert  zu  verzeichnen  hatte. 
Er  hat  die  Medaillons,  die  er  als  langgezogene,  nach  oben  zu  sich  verjüngende  Sechs- 
ecke bildete,  parallel  zur  Peripherie  in  Form  eines  Halbkreises  nebeneinandergelagert 
und  überdies  die  obere  und  untere  Reihe  in  Weise  der  Bienenzellen  in  die  mittlere 
hineingreifen  lassen.  Die  Lösung  ist  genial,  doch  läßt  sich  nicht  verkennen,  daß  die 
Einrichtung  der  Frische,  des  Wechsels  und  des  Lebens  entbehrt,  welche  der  Dekoration 
der  Prachtpluvialien  des  14.  Jahrhunderts  in  so  hohem  Maße  eigen  ist.  Viel  trägt 
allerdings  dazu  bei,  daß  die  Umrahmung  der  Felder  zu  schwer  und  zu  breit  ist,  ein 
Fehler,  der  sich  um  so  fühlbarer  macht,  je  luftiger  und  lebendiger  innerhalb  der 
Medaillons  die  Architektur  behandelt  ist ,  unter  welcher  das  Bildwerk  seinen  Platz 
gefunden. 

Im  übrigen  dürfte  man  kaum  ein  Parament  finden ,  welches  sich  hinsichtlich 
der  Technik   und   der   künstlerischen  Ausführung   wie   des  Adels   und   des  Liebreizes 


Abbildung  bei  de  Farcy  pl.  31.  und  Vieh  ebd.  pl.  43  153;  vgl.  für  jenes  und 

Abbildungen   der  Pluv.   von  S.  Giovanni         die  C.  zu  Pienza  auch  Revue  1888,  179  440. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale.  347 

des  Bildwerkes  mit  den  Pluvialien  des  Ordens  vom  Goldenen  Vlies  messen  könnte.  Es 
sind  geradezu  herrliche  Figuren ,  diese  Engel  in  der  ersten  und  die  Heiligen  in  der 
zweiten  und  dritten  Felderreihe,  wahre  Meisterwerke,  korrekt  in  der  Zeichnung,  edel 
in  der  Haltung ,  voll  Andacht  und  Innigkeit.  Kaum  daß  sich  etwas  Vollendeteres 
mit  der  Nadel  schaffen  ließe. 

Die  Aurifrisien  der  drei  Pluvialien  enthalten  sitzende  Heiligengestalten  unter 
spätgotischer,  stark  gedrückter,  mit  Perlen  reich  besetzter  Architektur.  Die  Schilde, 
in  deren  Form  schon  die  eindringende  Renaissance  merkbar  zum  Worte  kommt,  weisen 
den  Heiland  als  Weltenrichter  bzw.  die  Gottesmutter  und  den  hl.  Johannes  den 
Täufer  auf. 

Die  Wiener  Pluvialien  sind  die  jüngsten  der  noch  vorhandenen  mittel- 
alterlichen Bilderpluvialien.  Sie  sind  das  Erzeugnis  flandrischen  Kunstfleißes, 
um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  entstanden  und  in  Lasurstickerei  aus- 
geführt. Die  Fleischteile  und  die  Haare  ausgenommen,  ist  alles  andere  über 
Goldfäden  mittels  feinster  Überfangstiche  hergestellt. 

Flandern  war  im  15.  Jahrhundert  ein  Hauptfabrikationsplatz  großartiger 
und  kunstvoller  Stickereien,  im  13.  und  14.  waren  es  Frankreich  und  nament- 
lich England.  Immer  und  immer  wieder  stößt  man  in  den  Inventaren  des 
13.  und  14.  Jahrhunderts  auf  das  opus  anglicanum,  d.  i.  auf  englische  Ar- 
beiten ,  englische  Stickereien.  So  bezeichnet  z.  B. ,  wie  wir  hörten ,  das 
Schatzverzeichnis  von  St  Peter  1361  drei  der  darin  erwähnten  Pracht- 
pluvialien  ausdrücklich  als  opus  anglicanum  1.  Es  ist  denn  auch  der  größte 
Teil  der  vorhin  beschriebenen  Chormäntel  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  in 
der  Tat  englischen  Ursprunges.  Drei  sind  deutscher  Provenienz,  die  Cappae 
von  St  Paul,  Goß  und  Hildesheim ;  italienischer  Herkunft  dürfte  das  Pluviale 
im  Museo  civico  zu  Pisa  sein.  Bei  einigen,  wie  dem  Chormantel  von  St-Maximin, 
mag  es  zweifelhaft  sein,  ob  sie  in  Frankreich  oder  England  entstanden  sind. 
Dagegen  sind  englisches  Fabrikat  die  Pluvialien  von  Toledo,  S.  Giovanni  im 
Lateran,  Pienza,  Steeple  Aston,  Vieh,  Comminges,  das  im  Privatbesitz  be- 
findliche Pluviale  zu  Pleasington  und  die  Chormantelreste  in  Corpus  Christ 
House  zu  London,  die  Syon-Cappa  und  wohl  auch  die  Cappa  von  Daroca. 
Der  Stil,  die  Behandlung  der  Architektur  und  der  Charakter  der  ornamen- 
talen Motive  lassen  darüber  keinen  begründeten  Zweifel.  Wahrlich,  ein  glän- 
zenderes Monument  hätten  sich  die  englischen  Sticker  nicht  setzen  können, 
als  sie  es  in  Gestalt  all  dieser  Prachtpluvialien  getan  haben.  Aber  auch  in 
Italien  entstanden  herrliche,  mit  Figurenwerk  bestickte  Pluvialien.  In  den 
Inventaren  Philipps  des  Kühnen  und  Philipps  des  Guten  wird  ein  derartiger 
Chormantel  ausdrücklich  „ouvraige  de  Fleurence"  genannt.  Er  muß  eine 
Arbeit  des  ausgehenden  13.  oder  beginnenden  14.  Jahrhunderts  gewesen  sein, 
denn  die  Darstellungen  befanden  sich  in  Feldern  „de  quatre  demi  compas", 
d.  h.  in  Vierpässen.  Ein  solches  opus  Florentinum  mögen  die  Pluvialreste 
an  der  Dalmatik  zu  Anagni  sein.  Ebenso  ist  wohl  die  Chorkappe  im  Museo 
civico  zu  Bologna  italienische  und  zwar  Florentiner  Arbeit. 

Die  Neuzeit  hat  keine  mit  Bildwerk  verzierten  Pluvialien  mehr  geschaffen. 
Verschwanden  doch  seit  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  selbst  von  den  Be- 
sätzen und  dem  Schilde  rasch  die  figürlichen  Darstellungen.  Wohl  entstanden 
kostbare  Chormäntel,  allein  bestenfalls  überzog  man  dieselben  in  Gold-  oder 
Seidenstickerei  mit  allerhand  Ranken,  Blumen  und  Schnörkeln,  oder  sogar, 
wie  im  18.  Jahrhundert,  mit  chinesischen  Landschaften.    Was  man  aber  auch 


1  Vgl.  auch  die  Iaventare  Karls  V.  von  Frankreich,  Philipps  des  Guten  u.  a. 


348  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

so  schuf,  mit  den  Prachtpluvialien  des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts  kann 
es  nicht  in  Vergleich  kommen,  am  wenigsten  aber,  was  den  geistigen  Gehalt 
der  Stickereien  betrifft. 

VII.    URSPRUNG  DES  GEWANDES.     DAS  PÄPSTLICHE  MANTUM. 
DIE  CAPPA  MAGNA  UND  ALMUTIA. 

Man  hat  die  liturgische  Cappa  auf  die  römische  lacerna  zurückgeführt. 
In  der  Tat  war  diese  ein  dem  Pluviale  gleichartiges  Gewand,  weil  auch  sie  ein 
vorn  ganz  geöffneter  Mantel  war,  der  über  der  Brust  mit  einer  Bindvorrichtung 
oder  einer  Spange  geschlossen  wurde.  Auch  darin  ähnelt  die  lacerna  der 
Cappa,  daß  sie  gern  mit  einer  Kapuze  versehen  wurde.  Abbildungen  eines 
Mantels  von  der  Art  der  lacerna  finden  sich  mehrfach  auf  den  römischen  und 
ravennatischen  Mosaiken.  Auffallenderweise  erscheint  er  hier  stets  als  das 
die  alttestamentlichen  Priester  charakterisierende  Obergewand.  So  tragen 
ihn  auf  den  Mosaiken  in  S.  Maria  Maggiore  zu  Rom  z.  B.  Melchisedech,  Jethro, 
die  Priester,  welche  die  Bundeslade  begleiten  usw. 1 ;  auf  den  Mosaiken  in 
S.  Vitale  zu  Ravenna  und  S.  Apollinare  in  Classe  Melchisedech 2 ;  auf  dem 
musivischen  Wandschmuck  in  S.  Apollinare  nuovo  zu  Ravenna  die  Hohen- 
priester und  Priester  in  den  Szenen:  Jesus  vor  dem  Hohen  Rat,  Judas  vor 
den  Hohenpriestern,  Jesus  vor  Pilatus  und  Jesus  zum  Tode  geführt 3. 

Nichtsdestoweniger  liegt  kein  Grund  vor,  das  Pluviale  auf  die  lacerna 
der  Kaiserzeit  zurückzuführen.  Abgesehen  davon,  daß  es  liturgisches  Gewand 
erst  wird,  als  der  Name  lacerna  schon  längst  außer  Gebrauch  gekommen  war, 
ist  ja  die  liturgische  Cappa  in  ihrem  Ursprung  nachweislich  eins  mit  dem 
gleichnamigen  Mantel,  den  die  Geistlichen,  die  Mönche  und  auch  die  Laien 
im  Frankenland  zu  tragen  pflegten.  Von  einer  unmittelbaren  Ableitung  aus 
der  lacerna  kann  also  auf  keinen  Fall  die  Rede  sein. 

Aber  auch  eine  mittelbare  scheint  fraglich.  Denn  unter  der  zur  Alltags- 
tracht der  Geistlichen  und  Mönche  gehörenden  Cappa  verstand  man  zur  Zeit, 
da  sich  aus  ihr  das  liturgische  Pluviale  entwickelte  -  -  und  so  blieb  es  das 
ganze  übrige  Mittelalter  — ,  nicht  bloß  einen  vorn  geöffneten,  sondern  auch 
einen  vorn  ganz  oder  teilweise  geschlossenen  Mantel  von  der  Art  der  alten 
paenula,  welche  auf  den  Monumenten  vorn  bald  ganz  vernäht,  bald  bis  zur 
Brust,  vereinzelt  sogar  bis  oben  aufgeschlitzt  erscheint 4.  Was  hindert  also, 
die  Cappa  statt  auf  die  lacerna  auf  die  paenula  oder  casula  zurückzuführen, 
zumal  sie  auf  den  ältesten  Darstellungen  wirklich  als  vorn  geschlossenes  Ge- 
wand erscheint? 

Übrigens  kommt  es  zuletzt  wenig  darauf  an,  ob  man  in  letzter  Linie 
die  liturgische  Cappa  von  der  lacerna  oder  der  paenula  (casula)  herleitet, 
zumal  diese  durchaus  verwandte  Mäntel  waren.  Die  Hauptsache  ist  —  und 
das  steht  außer  Frage  — ,  daß  sie  keine  künstliche  Schöpfung  ist,  daß  sie 
sich  vielmehr  gerade  wie  die  übrigen  gottesdienstlichen  Gewänder  allmählich 


1  Garr.  tav.  215'  2182  2203.  nicht  im  Okzident,  sondern  in  der  Kunst  des 

2  Ebd.  262 '  2665.  Ostens  erhalten  hat. 

3  Ebd.  250°  2513i5.  In  der  griechischen  '  Ein  treffliebes  Beispiel  einer  vorn  ganz 
Kunst  erhielt  sich  das  Gewand  als  Charak-  aufgeschlitzten  paenula,  die  mit  einer  Schnur 
teristikum  der  jüdischen  Priester  die  ganze  über  der  Brust  zusammengebunden  ist,  bildet 
Folgezeit,  in  der  abendländischen  verlor  es  die  Stele  eines  römischen  Soldaten  Largennius 
schon  früh  diese  Eigenschaft.  Es  kann  wohl  im  Museum  zu  Straßburg  (Abbildung  im 
kein   Zweifel   sein,    daß   es  jene  Bedeutung  Bonner  Jahrbuch  LXVI,  Tfl  8). 


Drittes  Eapitel.     Das  Pluviale.  349 

aus  der  Alltagstracht  herausgestaltet  hat.  Wir  haben  aber,  wie  es  scheint, 
die  Entstehung  der  liturgischen  Cappa  in  den  spanischen  und  fränkischen 
Klöstern  zu  suchen.  Von  liier  verbreitete  sich  dann  ihre  liturgische  Ver- 
wendung allmählich  im  übrigen  Abendland.  Von  großem  Einfluß  hierauf  war 
ohne  Zweifel  der  Umstand,  daß  die  Gebräuche  hervorragender  Abteien  gern 
von  andern  Klöstern  derselben  Ordensfamilie,  zumal  Tochterklöstern,  adoptiert 
wurden.  Insbesondere  mögen  die  manchenorts  herübergenommenen  Gewohn- 
heiten von  Cluny,  in  denen  der  Gebrauch  der  Cappa  bei  gottesdienstlichen 
Verrichtungen  bereits  sehr  entwickelt  erscheint,  nicht  wenig  zur  Befestigung 
des  liturgischen  Charakters  des  Gewandes  und  zur  weiteren  Ausbildung  der 
Verwendungsweise  beigetragen  haben.  Wann  die  liturgische  Cappa  zu  Rom 
in  Brauch  kam,  läßt  sich  leider  nicht  näher  bestimmen.  Eine  klerikale  Cappa 
gab  es  dort  schon  wenigstens  um  den  Beginn  des  9.  Jahrhunderts,  wie  die 
cappa  more  romano  consuta  beweist,  welche  Arno  von  Salzburg  Alkuin  schickte. 

Der  Prozeß,  durch  den  die  klerikale  Cappa  zum  liturgischen  Gewand 
wurde,  vollzog  sich  allem  Anschein  nach  in  drei  Phasen.  In  der  ersten  ist  sie 
lediglich  festtägliches  Obergewand  der  Mönche  bei  der  Teilnahme  am  Gottes- 
dienst und  den  Prozessionen  anstatt  der  gewöhnlichen  schwarzen  Cappa.  In 
der  zweiten  erscheint  sie  als  das  eigentümliche  gottesdienstliche  Obergewand 
der  bei  der  Messe  und  dem  Offizium  tätigen  Cantores;  in  der  dritten  wird 
sie  bei  einer  Reihe  von  Funktionen  das  liturgische  Obergewand  des  Priesters 
an  Stelle  der  bis  dahin  bei  diesen  üblichen  Kasel. 

In  dem  ersten  Entwicklungsstadium  war  die  Cappa  noch  kein  liturgisches 
Gewand ,  sondern  nur  ein  besserer  Festtagsmantel ,  der  in  der  Sakristei 
aufbewahrt  und  durch  den  Prior,  den  Sakristan  oder  wer  sonst  immer  da- 
mit beauftragt  war,  den  Mönchen  beim  jedesmaligen  Gebrauch  übergeben 
wurde.  In  dieser  Bildungsphase  finden  wir  sie  in  dem  um  das  Jahr  800  ent- 
standenen Inventar  von  St-Riquier.  Denn  die  darin  erwähnten  200  cappae 
bedeuten  offenbar  nichts  anderes  als  feiertägliche  Mönchscappae.  An  die 
Alltagscappae  kann  bei  ihnen  nicht  gedacht  werden,  da  diese  nicht  zum  Be- 
stand der  Sakristei  gehörten ;  für  liturgische  Cappae  im  späteren  Sinne  ist 
ihre  Zahl  zu  groß. 

Nicht  überall  mochten  aber  genug  Festtagscappae  vorhanden  sein,  noch 
auch  die  Mittel  ausreichen,  solche  in  hinreichender  Zahl  zu  beschaffen.  In 
diesem  Falle  konnte  es  angebracht  erscheinen,  zum  wenigsten  die  Cantores  an 
Festtagen  mit  einer  besondern  Cappa  zu  versehen.  Wo  jedoch  die  andern  Mönche 
eine  solche  an  bestimmten  vorzüglichen  Festen  allesamt  trugen,  mochte  es  als 
passend  gelten,  daß  die  Sänger  in  Anbetracht  ihrer  hervortretenden  Stellung 
beim  Gottesdienst  sich  auch  an  minderen  Festen  der  Cappa  bedienten.  Nach 
römischem  Brauch  sollten  sie  freilich  die  Kasel  tragen.  Allein  es  ist  mehr 
als  fraglich,  ob  das  auch  außerhalb  Roms  bei  Aufnahme  des  römischen  Ritus 
überall  Brauch  geworden  sei.  Jedenfalls  verschwand  die  Kasel  bei  den  Cantores 
hier  schon  bald  und  trat  die  Cappa  an  deren  Stelle.  Diese  hatte  vor  der 
Kasel  den  Vorzug,  daß  die  Sänger  sie  nicht  abzulegen  brauchten,  wenn  sie 
zum  Ambo  gingen,  um  dort  das  Invitatorium  usw.  zu  singen.  Denn  die  Cappa 
wich  in  ihrer  Erscheinung  genügend  von  der  Kasel  ab,  um  die  Cantores  von  dem 
am  Altar  fungierenden  Priester  äußerlich  zu  unterscheiden.  Der  Grund,  wes- 
halb die  Sänger  nach  römischem  Brauch  die  Kasel  für  ihre  Funktionen  aus- 
zuziehen hatten,  fiel  also  weg.  Namentlich  war  das  der  Fall,  wenn  die  Can- 
tores  sich    einer   vorn    aufgeschlitzten  Cappa   bedienten,    welche   zudem    den 


350  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Vorteil  mit  sich  brachte,  daß  die  Sänger  freier  und  ungehinderter  ihre  Arme 
gebrauchen  konnten. 

Dem  ersten  Schritt  folgten  bald  fernere.  Der  nächste  mag  darin  be- 
standen haben,  daß  man  die  Cappa  bei  der  Inzensation  des  Altars  während 
der  Matutin  und  den  Vespern  zu  gebrauchen  begann.  Weitere  Funktionen 
waren  die  feierlichen  Segnungen,  an  welche  sich  Prozessionen  anschlössen, 
wie  die  Kerzen-  und  Pahnenweihe. 

Damit  war  die  Cappa  im  Prinzip  ein  liturgisches  Gewand  geworden,  und 
es  konnte  sich  nur  noch  darum  handeln,  daß  sie  als  solches  allgemein  an- 
erkannt wurde,  und  daß  die  Gelegenheiten  sich  endgültig  fixierten,  bei  denen 
sie  anstatt  der  Kasel  zur  Verwendung  zu  kommen  hatte. 

Die  einzelnen  Stadien  in  der  Entwicklung  der  liturgischen  Cappa  lassen 
sich  zeitlich  nicht  genau  bestimmen.  Sie  ging  nicht  überall  in  gleichem  Schritt 
voran.  Hier  blieb  man  länger  beim  alten,  dort  war  man  fortschrittlicher. 
In  manchen  Klöstern  und  Kirchen  scheint  man  noch  eine  gute  Weile  seit  dem 
ersten  Auftauchen  des  Gewandes  selbst  an  Festtagen  keine  Cappa  gebraucht 
zu  haben,  indem  die  Cantores  an  ihnen  lediglich  in  der  Albe  fungierten.  Zu 
Rom,  wo  man  von  jeher  sehr  konservativ  war,  kann  die  Cappa  kaum  lange 
vor  der  Wende  des  Jahrtausends  unter  die  liturgische  Kleidung  Aufnahme  er- 
halten haben.  Im  9.  Jahrhundert  war  sie  nach  Ausweis  des  S.  G.  K.  dort 
wohl  noch  nicht  in  Gebrauch. 

Man  hat  dem  Pluviale  ein  sehr  ehrwürdiges  Alter  zugeschrieben l. 
Seinen  Grund  hat  das  zum  Teil  darin,  daß  man  den  Fragepunkt  ver- 
kannte. Um  nicht  in  die  Irre  zu  gehen,  muß  man  die  Frage  so  formulieren: 
Seit  wann  hat  es  neben  und  anstatt,  d.  i.  als  Ersatz  der  Kasel  für  be- 
stimmte Funktionen  ein  besonderes  liturgisches  Obergewand  im  Sinne  eines 
Mantels  gegeben?  Aber  auch  eine  sehr  ungenügende  Ausnützung  der  monu- 
mentalen und  schriftlichen  Quellen  hat  nicht  wenig  zu  den  Schiefheiten  bei- 
getragen, welche  betreffs  des  Alters  und  der  Entstehung  unseres  Pluviale 
geäußert  wurden. 

In  den  orientalischen  Riten  kennt  man  kein  dem  Pluviale  analoges 
liturgisches  Gewand.  Hier  gibt  es  für  alle  feierlichen  Funktionen  nur  eine 
Mantelart2,  welche  allerdings  bei  den  Armeniern,  Syrern,  Nestorianern  und 
Kopten  der  Form  nach  mit  unserem  Chormantel  verwandt  ist.  Der  Mandyas 
(t/.avd'jag)  der  griechischen  Bischöfe ,  ein  vorn  offener  Mantel ,  hat  keinen 
sakralen  Charakter,  sondern  ist  nur  ein  außerliturgisches  Ehrenkleid,  ähnlich 
wie  die  lateinische  Cappa  magna.  Er  ist  gegenwärtig  gewöhnlich  von  violetter 
Farbe  und  mit  schrägen,  meist  weiß  und  roten  Zierstreifen  versehen,  den  sog. 
Strömen  (noxap.o'i).  Außerdem  ist  vorn  unten  an  jeder  Ecke  dem  Mantel  ein 
viereckiges  Zierstück  aufgesetzt,  die  sog.  Gesetzestafeln,  welche  die  heiligen 
Schriften  des  Alten  und  Neuen  Testamentes  versinnbilden  sollen.  Die  Streifen 
gelten  als  Symbole  der  Ströme  der  göttlichen  Wahrheiten,  welche  gleichsam 
vom  Bischof  aus  sich  unter  das  gläubige  Volk  ergießen  sollen.  Die  vier- 
eckigen Besätze  unten  am  Gewand  sind  mit  den  rüßha  eins,  mit  denen  man 
nach  Ausweis  der  Monumente  schon  im  4.  Jahrhundert  die  chlamys  zu  ver- 
zieren  pflegte.     Sie  waren  bald   unten  an  den  Ecken,  bald  höher  hinauf  in 


1  Nach  Gay  (Annal.  arch.  II  154)  würde  angebliche  Testament  Leodebods  von  Aniane 

z.  B.  die  Cappa   nicht   bloß  bis  ins  6.  Jahr-  aus   dem  Jahr   667   (M.  88,  1188),   in    dem 

hundert  hinaufreichen,  sondern  selbst  seit  Be-  schon  Cappae    erwähnt  werden  ,    ist   unecht, 

ginn  desselben  obligatorisch  gewesen  sein.  Das  -  Vgl.  oben  S.  234  ff. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


351 


der  Gegend  der  Brust  angebracht.  Das  älteste  bekannte  Beispiel  bietet  der 
zu  Almendralejo  (Estremadura)  gefundene  Silberdiskus  mit  der  Darstellung 
des  Kaisers  Theodosius  und  seiner  Söhne 1.  Um  ein  und  ein  halbes  Jahrhundert 
jüngere  liefern  die  Mosaiken  in  S.  Vitale  zu  Ravenna  (Bild  63,  S.  159). 

Im  Anschluß  an  das  liturgische  Pluviale  sei  kurz  einiger  mit  demselben 
verwandten  Gewandstücke  gedacht ,  die  zwar  keinen  eigentlichen  sakralen 
Charakter  haben  bzw.  hatten,  jedoch  immer  noch  im  weiteren  Sinne  den  litur- 
gischen Gewändern  beigezählt  werden  können.  Es  sind  das  päpstliche  Mantum, 
die  Cappa  magna,  die  Cappa  choralis  und  die  Almucia. 

Das  Mantum,  welches  seit  dem  11.  Jahrhundert  bis  in  die  Spätzeit 
des  Mittelalters  eine  so  hervorragende  Bedeutung  hatte,  wird  auch  wohl 
cappa,  ehlamys  und  pluviale  genannt.  Den  Namen  pluviale  führt  es  nament- 
lich in  den  römischen  Ordines,  welche  das  Gewand  bald  mit  mantum,  bald  mit 
pluviale,  bald  mit  beiden  Namen  zugleich  bezeichnen :  mantum  sive  pluviale 2. 

Das  Mantum  war  von  roter  Farbe  und  galt  wie  die  Tiara  als  Abzeichen 
der  päpstlichen  Würde.  Habes  nunc  forsitan,  schreibt  Petrus  Damiani  an 
Cadalous  von  Parma,  der  sich  unter  dem  Namen  Honorius  IL  als  Gegenpapst 
gegen  Alexander  IL  aufgeworfen  hatte,  mitram  (=  Tiara),  habes  iuxta  morem 
romani  pontificis  rubeam  cappam  3.  Die  Immantatio,  d.  i.  die  Bekleidung  mit 
der  cappa  rubea  nach  erfolgter  Papstwahl,  war  der  äußere  Ausdruck  der 
Übergabe  der  päpstlichen  Regierungsgewalt,  also  eine  Art  symbolischer,  von 
den  dazu  befugten  Wählern  nach  der  Wahl  vorgenommener  Investitur.  Sie 
bildete  gleichsam  die  tatsächliche  Einweisung  in  die  durch  den  Wahlakt  dem 
Gewählten  zugefallenen  Rechte,  wie  sie  seitens  des  letzteren  die  wirkliche 
Übernahme  dieser  Rechte  samt  allen  damit  verbundenen  Vollmachten  bedeutete. 

Von  den  römischen  Ordines  erwähnt  zuerst  der  12.  Ordo  Mabillons  die 
Zeremonie*.  Ausführlicher  beschrieben  wird  sie  im  Ordo  Gregors  X.  (1272 
bis  1276).  Danach  ging  sie  in  der  Weise  vor  sich,  daß  der  Kardinalarchidiakon 
dem  Electus  zunächst  seine  gewöhnliche  Cappa  auszog,  dann  ihm  Röchet  (alba 
romana),  Albe  (camisia)  und  Stola  (orarium)  anlegte  und  nun  ihm  unter  den 
Worten:  Investio  te  de  papatu  romano,  ut  praesis  urbi  et  orbi,  das  Mantum 
urnhing5.  Wie  man  sieht,  kommt  die  Bedeutung  der  Zeremonie  in  diesen 
Begleitworten  klar  und  bestimmt  zum  Ausdruck. 

Eine  eigenartige  Rolle  spielte  das  Mantum  infolge  dieser  mit  der  Im- 
mantatio verbundenen  Symbolik  bei  der  Papstwahl  des  Jahres  1159.  Während 
Kardinal  Roland  (Alexander  III.)  aus  löblicher  Bescheidenheit,  wie  Arnulf 
von  Luxeuil   sagt,   das  Pluviale,    das   ihm   fast   aller  Hände   nach   getätigter 


1  Jetzt  zu  Madrid.  Abbildung  bei  Ca  hier, 
Curiosites  pl.  VII. 

2  Ordo  18,  n.  2  3;  ordo  15,  c.  24  (M.  78, 
1105  1106  1287). 

3  Epp.  1.  1,  n.  20  (M.  144,  242).  Andere 
Stellen,  in  denen  die  Bedeutung  des  Mantum 
zum  Ausdruck  kommt,  bei  Zopf  fei,  Papst- 
wahlen 168  und  Grauert,  Das  Dekret 
Nikolaus'  II.  von  1059,  in  Historisches  Jahr- 
buch 1880,  556. 

4  C.  48  (M.  78,  1097) :  De  pluviali  rubeo 
ipsum  ammantat. 

5  N.  2  (ebd.  1105).  Die  Angabe  des  Ordo 
hinsichtlich      der    Immantatio     stammt     un- 


zweifelhaft aus  früherer  Zeit  und  nicht  erst 
aus  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts.  Das 
beweisen  die  Namen  der  liturgischen  Ge- 
wänder: camisia  und  orarium.  Zu  Gregors  X. 
Zeit  gebrauchte  man  dafür,  wie  die  übrigen 
Abschnitte  des  Ordo  beweisen,  alba  und  stola. 
Wenn  Petrus  Diakonus  in  der  Chronik  von 
Monte  Cassino  1.  4,  c.  2  (M.  G.  SS.  VII  761) 
bezüglich  der  Immantatio  Urbans  II.  erzählt: 
Mox  eum  cappam  laneam  exuentes  purpuream 
induunt  et  in  pontificali  solio  ponunt,  so  ist 
das  ersichtlich  ganz  dasselbe  wie  das,  was 
wir  aus  der  Angabe  des  Ordo  Gregors  X.  über 
den  Akt  erfahren. 


352  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Wahl  anboten,  zurückwies,  warf  sich  sein  Mitbewerber,  der  Kardinal  Octavian 
und  Gegenpapst  Viktor  IV.,  ein  Pluviale,  das  ihm  einige  wenige  darreichten, 
mit  solcher  Hast  um  die  Schultern,  daß  er  es  völlig  verkehrt  anzog  und  die 
Fransen  den  Hals  umgaben,  während  das  obere  Ende  des  Gewandes  den 
Boden  berührte  1.  Wirklich  entschied  das  Afterkonzil  von  Pavia  auf  Grund 
der  früheren  Immantatio  zu  Gunsten  Viktors  IV.  gegen  den  rechtmäßig  er- 
wählten Alexander  III. :  A  saeculo  non  est  exauditum,  quod  post  unius  im- 
mantationem  die  transacta  alius  postea  fuerit  immantatus  2.  Demgemäß  schrieb 
denn  auch  Bischof  Eberhard  von  Bamberg  an  Erzbischof  Eberhard  von  Salz- 
burg: Praevaluit  tandem  pars  domni  Victoris  .  .  .  quia  domni  Victoris  im- 
mantatio prior,  illa  posterior,  quo  solo  Innocentius  Anacleto  (nämlich  bei  der 
Doppelwahl  im  Jahre  1130)  praevaluit3. 

Die  Bedeutung  des  Mantum  verlor  sich  infolge  des  Aufenthaltes  der 
Päpste  zu  Avignon  und  des  daran  sich  anschließenden  großen  Schismas.  Der 
Ordo  des  Petrus  Amelii  scheint  die  Immantatio  nicht  mehr  zu  kennen.  Er 
begnügt  sich  mit  der  Bemerkung,  der  Electus  wechsele  die  Kleider. 

Die  älteste  Nachricht  über  das  Mantum  findet  sich  in  dem  sog.  Con- 
stitutum Konstantins 4.  Denn  wenn  darin  dem  Papst  unter  andern  Gnaden- 
erweisen auch  das  Vorrecht  gewährt  wird,  eine  chlamys  purpurea  nach  Weise 
der  Kaiser  zu  tragen,  so  dürfen  wir  wohl  mit  Grund  annehmen,  daß  zur  Zeit, 
da  das  Dokument  entstand,  beim  Papst  eine  solche  schon  gebräuchlich  ge- 
wesen sei. 

Was  die  Form  des  Mantum  anlangt,  so  war  es  im  12.  Jahrhundert 
jedenfalls  ein  vorn  ganz  offener  Mantel.  Das  beweist  die  vorhin  erwähnte 
Erzählung  Arnulfs  von  Luxeuil.  Ein  Gewand  von  der  Art  der  Kasel  hätte 
sich  unmöglich  so  anziehen  lassen,  wie  es  durch  Kardinal  Octavian  mit  dem 
ihm  in  Eile  dargereichten  Pluviale  geschah.  Auch  der  Name  pluviale ,  den 
der  päpstliche  Mantel  bereits  im  12.  Jahrhundert  neben  mantum  führte5, 
bekundet,  daß  dieser  schon  damals  ein  dem  liturgischen  Pluviale  gleichartiges 
Gewandstück  war.  Welche  Gestalt  es  vor  dem  12.  Jahrhundert  besaß,  ob 
es  damals  vorn  offen  oder  geschlossen  war,  läßt  sich  nicht  sagen. 

Von  dem  päpstlichen  Mantum  ist  die  päpstliche  Cappa  rubea  zu  unter- 
scheiden, von  der  in  den  späteren  römischen  Ordines  hie  und  da  die  Kede  ist. 
Sie  war  aus  Wollstoff  oder  Samt  gemacht,  vorn  bis  zur  Brust  offen  und 
hatte  eine  mit  Hermelin  gefütterte  Kapuze.  Der  Papst  bediente  sich 
ihrer  bei  der  Totenvesper  an  Allerheiligen .  in  den  Weihnachtsmetten  und 
bei  ähnlichen  Gelegenheiten,  doch  nur  in  der  Zeit  zwischen  Allerheiligen  und 
Ostern  6.  Sie  blieb  bis  zum  Pontifikat  Pius'  VI.  in  Gebrauch,  seit  dessen  Tode 
sie  nach  Moroni  nicht  mehr  zur  Anwendung  kam  7.  Einen  eigentlichen  litur- 
gischen Charakter  hatte  die  Cappa  rubea  nicht,  sie  war  vielmehr  ein  Gewand 
von  der  Art  der  heutigen  Cappa  magna. 

Diese  Cappa  magna  ist  das  Vorrecht  der  Kardinäle,  Patriarchen,  Erz- 
bischofe,  Bischöfe  und  bestimmter  sonstiger  Prälaten.  Die  Cappa  der  Kar- 
dinäle ist  in  der  Regel  rot  und  nur  zu  gewissen  Zeiten,  wie  in  der  Fastenzeit, 


1  Arnulfi  Lexov.  ep.  23  24  (M.  201,  37  42) ;  <  Hinschius,  Decret.  Pseudo-Isidor.  253. 
Gerhch  Reichersb.,  De  investigat.  antichristi  5  Auch  in  Rom,  wie  aus  dem  ordo  12, 
1.   1  (Watterich,  Vitae  Pontif.  II  505)  ;  c.  48  (M.  78,  1097)  hervorgeht. 

Duch. ,  L.  P.  II  397  f.  c  Vgl  z.  B.  ordo  15,  n.  7  75  131  138  (ebd. 

2  M.  G.  LL.  (ed.  Pertz)  II  126.  1276  1315  1345  1347). 

3  M.  G.  SS.  XX  487.  '  Mor.  8,  83. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


353 


und  bei  sonstigen  bestimmten  Gelegenheiten  von  violetter  Farbe;  bei  den 
übrigen  Prälaten  ist  sie  stets  violett.  Kardinäle  und  Prälaten ,  die  einem 
Orden  angehören,  welcher  eine  eigene  Tracht  hat,  bedienen  sich  einer  Cappa 
von  der  Farbe  der  Ordensgewandung  1. 

Durch  besonderes  Privileg  wird  auch  Kapiteln  als  Auszeichnung  das  Recht 
verliehen,  die  violette  Cappa  magna  zu  tragen,  wenngleich  mit  gewissen 
Einschränkungen.  Sie  darf  nur  in  der  betreffenden  Kirche  benutzt  werden, 
außerhalb  derselben  aber  bloß  dann,  wenn  das  Kapitel  kollegialiter.  d.  i.  als 
Korporation,  auftritt.  Außerdem  müssen  die  Canonici  die  Cappa  zusammen- 
gefaltet über  den  linken  Arm  legen  oder  zusammengebunden  unter  dem  linken 
Arm  befestigen.  Sie  zu  entfalten  ist  nur  gestattet,  wenn  eine  diesbezügliche 
besondere  Erlaubnis  vorliegt. 

Die  Cappa  magna  ist  mit  großer  Kapuze  versehen,  die  im  Winter  je 
nach  dem  Rang  des  Trägers  mit  Hermelin  oder  grauem  Pelzwerk,  im  Sommer 
aber  mit  roter  Seide  gefüttert  ist.  Bei  den  Kardinälen,  Bischöfen  und  Prälaten 
ist  sie  obendrein  mit  langer 
Schleppe  (eauda)  versehen, 
welche  von  einem  Kleriker, 
dem  sog.  caudatarius,  nach- 
getragen wird. 

Die  rote  Kardinalscappa 
(Bild  167)  wird  schon  im 
Ordo  des  Petrus  Amelii  er- 
wähnt, doch  ist  dort  auch 
die  Rede  von  grünen  Cappae 
der  Kardinäle 2.  Zur  Zeit,  da 
c.  118  des  14.  Ordo  entstand, 
war  die  Cappa  rubea  bei  die- 
sen noch  nicht  in  Gebrauch. 
Nur  den  päpstlichen  Legaten 
war  es,  solange  sie  als  Le- 
gaten fungierten ,  gestattet, 
eine  cappa  rubei  coloris  an- 
zulegen3. Wenn  die  Kardinäle  auf  Giottos  Fresko  „St  Franziskus  von  Assisi" 
(Bild  168,  S.  354)  zum  Teil  eine  rote  Cappa  tragen,  so  wird  man  das  wohl  auf 


Bild   167.     Kanonisation  der  hl.  Katharina. 
Fresko  Pinturicchios.     Siena,  DomlnMiotliek. 


Rechnung  des  Künstlers   zu   setzen   haben.     Auch   der   cauda 
der 


gedenkt  schon 


Ordo  des  Petrus  Amelii i. 

Entstanden  ist  die  Cappa  magna  aus  der  mittelalterlichen  Cappa  choralis, 
weshalb  sie  noch  immer  in  den  Entscheidungen  der  Ritenkongregation  diesen 
Namen  führt. 

Die  Cappa  choralis  war  ein  mit  einer  Kapuze  versehener,  bis  zu 
den  Füßen  reichender,  bald  ganz  geschlossener,  bald  halb  offener,  bald  vorn  mit 
einem  Schlitz  zum  Durchstecken  der  Hände  versehener  Mantel  aus  schwarzem 
Wollstoff.  In  den  mittelalterlichen  Ordinären,  Consuetudinaren  und  Statuten  ist 
oft  von  ihr  die  Rede.  Sie  wurde  beim  Chorgebet,  bei  Bittprozessionen  sowie 
den  gewöhnlichen  Prozessionen  benutzt,  welche  in  der  Fastenzeit  und  an  Buß- 
tagen mit  dem  Offizium  verbunden  waren.   Im  einzelnen  war  indessen  der  Brauch 


1  Ausführlicheres   über   die  Cappa   magna 
der  Kardinäle  und  Prälaten  ebd.  85  ff. 

2  Ordo  15,  n.  145  (M.  78,  1353). 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


3  Ordo  14,  n.  118  (ebd.  1273). 

4  Ordo  15,   n.  145  (ebd.  1353):  Tunc  (ca- 
merario)  cauda  (cappae)  non  portatur. 

23 


354 


Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Oberaewänder. 


in  den  verschiedenen  Kathedral-  und  Stiftskirchen  nicht  der  gleiche.  Übrigens 
bediente  man  sich  beim  Chorgebet  der  Cappa  nicht  das  ganze  Jahr  hindurch, 
sondern  nur  im  Winter;  im  Sommer  begnügte  man  sich  mit  dem  Superpelliceum 
oder  Rochett  und  der  Almucia.  Als  Winter  galt  nach  römischem  Brauch  die 
Zeit  von  Allerheiligen  bis  Ostern,  genauer  von  der  Totenvesper  am  Aller- 
heiligentage bis  zum  Karsamstag1.  Zu  Bayeux  begann  man  die  Winter- 
ordnung' mit  den  Metten  am  Fest  des  hl.  Hieronymus  (30.  September)2;  in  der 
Kathedrale  zu  Paris  nach  Beendigung  der  Oktav  des  hl.  Dionysius 3,  also  am 
17.  Oktober;  zu  Vienne  mit  dem  Feste  des  hl.  Martin  von  Tours  (11.  November) 4. 


Bild  168.     Der  hl.   Franziskus  vor  Honorius  III.     Fresko  Giottos. 
Assisi,  Oberkirche  von  S.  Francesco.     (Phot.  Älinari.) 


Wann  sich  aus  der  Cappa  choralis  die  im  Grunde  nichts  anderes  ist  als 
die  gewöhnliche  Cappa  clericalis,  der  Alltagsmantel  der  Geistlichen,  die  Cappa 
magna  entwickelt  hat,  läßt  sich  nicht  mit  Bestimmtheit  angeben.  Da  der 
Ordo  des  Petrus  Amelii  bereits  das  Gewand,  wenn  auch  nicht  dem  Namen, 
so  doch  der  Sache  nach  kennt,  muß  solches  spätestens  im  Lauf  des  14.  Jahr- 
hunderts geschehen  sein.  Im  15.  begegnet  uns  die  Cappa  magna  auch  schon 
bei  französischen  Bischöfen;  denn  die  Domherren  von  Notre-Dame  beklagen 
sich,  daß  sich  der  Bischof  von  Meaux  unter  Verletzung  des  Vorrechtes 
des  Bischofs  und  der  Kirche  von  Paris  hier  in  einer  Cappa  cum  cauda  ge- 
zeigt  und    die   cauda  hinter   sich   habe  nachtragen  lassen 5.     Als  die  Heimat 


1  Constitut.    Lateran.    Gregor.    XI.    n.    14 
(M.  78,  1396). 

-  Chevalier,  Ordinaire  de  Bayeux  252. 


3  Mar t.  1.  1,  c.  5,  ordo  1;  II  182. 
1  D.  C.  sub  cappa  II  191. 
■''  De  Vert  II  278,  note  a. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


355 


der  Cappa  magna  wird  man  die  päpstliche  Kurie,   als  ihr  Vorbild  die  Cappa 
rubea  des  Papstes  anzusehen  haben. 

Die  Almucia  (almutia,  almucium,  armucia,  armucium),  deren  vorhin 
Erwähnung  geschah,  war  ursprünglich  eine  bloße  Kopfbedeckung.  Die  Statuta 
Massiliensia  identifizieren  sie  mit  der  Kapuze  1,  dagegen  erscheint  sie  in  den 
Statuten  von  St  Viktor  zu  Paris  (12.  Jahrhundert)  im  Gegensatz  zur  Kapuze 
als  eine  Art  von  Mütze 2.  Auch  in  den  Statuta  Viennensis  ecclesiae 3,  den 
Synodaldekreten  der  Synoden  von  Ravenna  aus  den  Jahren  1314  und  1317 4, 
den  Konstitutionen  Benedikts  XII.  für  den  Augustinerorden  vom  Jahre  1339  5 
und  den  Bestimmungen  des  Konzils  von  Sens  des  Jahres  1485 6  ist  unter 
almucia  eine  mützenartige  Kopfbedeckung  verstanden. 


Bild  169.     Bischof  Albert  von  Hohenfels  (t  1355)  und  seine  Canonici. 
Miniatur  des  Gundekarpontifikale.     Eichstätt,  Ordinariat. 


Radulfs  Statuten  von  Bayeux  (ca  1270)  unterscheiden  zwei  Formen  der 
Almucia7.  Die  eine  stellte  eine  förmliche,  etwas  über  die  Ohren  reichende 
Mütze  dar;  die  zweite  lief  im  Nacken  nach  Art  einer  Kapuze  in  eine  Spitze 
aus  und  verlängerte  sich  nach  unten  in  dem  Maße,  daß  sie  über  Brust  und 
Kücken  kragenartig  herabhing  (Bild  169).  Sie  wird  an  einer  andern  Stelle 
geradezu  caputium  genannt.  Die  erste  Art  der  Almucia  sollten  jene  Canonici 
der  zweiten  Stallumreihe  tragen,  welche  Priester  oder  bei  Jahren  waren;  die 
übrigen  dieser  Reihe  mußten  unbedeckten  Hauptes  am  Chorgebet  teilnehmen. 
Die  einer  Kapuze  ähnliche  Almucia  war  dagegen  den  Canonici  der  oberen 
Stalla  vorbehalten.    So  war  es  wenigstens  früher,  wie  Radulf  sagt,  gewesen. 


'  D.  C.  sab  almucia  II  191. 

■  N.  16  (Mari  1.  4  app.;  III  292). 

3  D.  C.  a.  a.  0. 

1  Rubr.  10  (Hard.  VII  1387):  capita  co- 
operiant  pileo  vel  bireto  vel  armutia  ob- 
longa  ad  au  res. 


5  N.  40  (Bull.  rom.  IV  446) :  Infra  ec- 
clesias,  claustrum,  capitulum,  refectorium  .  .  . 
non  caputiis,  sed    almuciis  honestis  utantur. 

6  C.  1  (Hard.  IX  1522):  non  caputia,  sed 
almucia  vel  bireta  tenentes  in  capite. 

7  Chevalier,  Ordinaire  de  Bayeux  353. 

23* 


356  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Dekan  Heribert  (1238 — 1258)  hatte  seinerzeit  solchen  Canonici  der  unteren 
Stalla,  welche  sich  zu  langer  Almucien  bedienten,  erbarmungslos  den  Befehl 
gegeben,  diese  auf  das  gehörige  Maß  zurückzuschneiden.  Zur  Zeit,  da  die 
Statuten  abgefaßt  wurden,  hatte  sich  aber,  wie  ihr  Verfasser  klagt,  der 
Unterschied  in  dem  Maße  wieder  verwischt,  daß  selbst  die  jüngeren  Canonici 
der  unteren  Stalla  im  Chor,  ja  sogar  draußen  almucias  cornutas  ante  et  retro 
super  humeros  pendentes  trugen. 

Im  15.  Jahrhundert  erscheint  die  Almucia  zwar  auch  wohl  noch  in  Form 
einer  Kopfbedeckung,  meist  aber  ist  sie  zu  einem  förmlichen  Kragen  ge- 
worden, bei  dem  ihre  ursprüngliche  Bestimmung  ganz  oder  fast  ganz  in  den 
Hintergrund  getreten  war.  Dieser  Kragen  hatte  am  häufigsten  die  Form  eines 
Schultermäntelchens,  das  gegen  Ausgang  des  15.  Jahrhunderts  gewöhnlich 
bis  über  die  Ellbogen  reichte,  also  den  Oberarm  völlig  verhüllte  (Bild  170). 
Bei  einer  zweiten  Form  stieg  er  hinten  zwar  bis  zur  Mitte  des  Rückens  hinab, 
dagegen  bedeckte  er  die  Schultern  nur  bis  zu  den  Armen,  während  er  vorn 
in  zwei  lange,  schmale  Streifen  auslief,  die  nach  Art  einer  Stola  über  die 
Brust  hinabhingen  (vgl.  Bild  59,  S.  145)  1.  Zwar  war  an  dem  Kragen  vor 
wie  nach  gewöhnlich  noch  eine  kleine  Kapuze  angebracht,  doch  war  sie  ihm 
mehr  als  bloße  Reminiszenz  an  die  frühere  Bestimmung  der  Almucia,  denn 
zu  praktischem  Gebrauch  angefügt.  Als  Kopfbedeckung  diente  vielmehr  das 
Birett,  dessen  Verwendung  seit  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  in  er- 
höhtem Maße  zugenommen  hatte.  Die  Bildwerke  des  15.  und  beginnenden 
16.  Jahrhunderts  bieten  zahlreiche  Beispiele  beider  Formen  der  Almucia,  deren 
Umwandlung  in  ein  kragenartiges  Gewandstück  zum  nicht  geringen  Teil  eben 
die  Folge  der  immer  größeren  Verbreitung  war,  welche  das  Birett  damals  als 
Kopfbedeckung  beim  Chorgebet  fand. 

Was  das  Material  anlangt,  aus  dem  die  Almucia  bestand,  so  wurde  sie 
schon  im  13.  Jahrhundert,  wie  die  Statuten  von  Bayeux  beweisen,  gern  aus 
Pelzwerk  angefertigt.  Zu  gewöhnlichen  Almucien  bediente  man  sich  der 
Lamm-  oder  Kalbfelle,  zu  besseren  nahm  man  die  Pelze  von  Eichhörnchen, 
Mardern  u.  ä.  Im  Innern  fütterte  man  sie  entweder  mit  Pelz  oder  mit 
Wollzeug  oder  Seide.  Indessen  gab  es  auch  Almucien,  die  ganz  aus  Seide 
oder  Wollstoff2  gemacht  waren.  Es  waren  das  besonders  jene,  welche  die 
Form  eines  schmalen  Schulterkragens  hatten. 

Bei  den  Almucien,  die  aus  Pelz  hergestellt  waren,  brachte  man  gern 
am  Saum  Pelztroddeln  an  (Bild  170). 

Auch  die  Almucia  war  nie  ein  eigentliches  liturgisches  Gewand,  sondern 
nur  ein  Bestandteil  der  Chorkleidung.  Wann  sie  Aufnahme  unter  diese  er- 
hielt, ist  nicht  festzustellen 3.  Zu  Bayeux  gehörte  sie  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  zu  ihr.  Die  Almucia  wurde  auch  im  Sommer 
beim  Chorgebet  getragen.  Diese  ausgiebige  Verwendung  wurde  Anlaß,  daß 
sie  zuletzt  so  eine  Art  von  Insignie  der  Canonici  wurde.  Daher  kommt  es, 
daß  man  bei  den  Grabfiguren  von  Stiftsherren  aus  dem  Ausgang  des  15. 
und  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  regelmäßig  die  Almucia  antrifft,  es  sei 
denn,  daß  der  Verstorbene  in  der  Meßgewandung  dargestellt  wird.    Zahlreiche 


1  Vgl.  auch  die  diesbezüglichen  Angaben  illius  coloris  ,  cuius  eappae  esse  debent, 
bei  D.  C.  sub  almucia  I  191.  existant. 

2  Constit.  Benedicti  XIV.  Ordinis  canoni-  3  Wegen  des  noch  nicht  genügend  er- 
corum  S.  Augustini  n.  40  (Bull.  rom.  IV  446) :  klärten  Namens  almucia  vgl.  W  i  e  g  a  n  d, 
Almutiae  autem ,    si   de   panno  fuerint,  Deutsches  Wörterbuch  II  224. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pluviale. 


357 


Belege  hierfür  liefern  z.  B.  die  Grabplatten  im  Dom  zu  Würzburg,  im  Kreuz- 
gang des  Domes  zu  Regensburg,  in  der  Heiligen  Nagel-Kapelle  des  Bamberger 
Domes,  zu  Freising,  Halberstadt  u.  a.  Das  5.  Mailänder  Provinzialkonzil  vom 
Jahre  1579  bezeichnet  das  Gewandstück  ausdrücklich  als  msigiie  canonicorum  \ 

Wenn  das  Provinzialkonzil  dabei  vorschreibt,  die  Canonici  sollten,  je 
nachdem  es  Brauch  sei,  die  Almucia  entweder  auf  den  Schultern  oder  auf  den 
Armen  tragen,  so  bekunden  diese  Worte,  daß  das  Gewand  nicht  nur  nicht  auf- 
gehört hatte,  Kopfbedeckung  zu  sein,  sondern  daß  es  überhaupt  schon  vielfach 
jede  praktische  Bedeutung  verloren  hatte.  In  der  Folge  geschah  das  in  noch 
höherem  Grade.  Wo  es  sich  überhaupt  in  Gebrauch  erhielt,  war  es  zuletzt 
lediglich  Abzeichen,  Distinktivum  der  Canonici  oder  der  sonst  zum  Tragen  der 
Almucia  Berechtigten.  Es  wurde  deshalb  auch  fast  nur  mehr  auf  dem  linken 
Arm  getragen  und  während  des  Chorgebetes  auf  das 
Pult  des  Chorstuhles  gelegt 2.  Gegenwärtig  ist  die 
Almucia  nicht  viel  mehr  im  Gebrauch,  so  zu  Amiens, 
Arras,  Bayeux,  Chartres;  an  ihre  Stelle  trat  manchen- 
orts durch  päpstliches  Privileg  die  sog.  Mozzetta. 

Die  Mozzetta  (Mozetta)  ist  ein  mit  einer 
Miniaturkapuze  versehener  Schulterkragen,  welcher 
vorn  mittelst  einer  Reihe  von  Knöpfchen  geschlossen 
wird.  Sie  ist  ein  Privileg  der  Kardinäle  und  Bischöfe, 
doch  wird  auch  den  Canonici  hervorragender  Kathedral- 
und  Stiftskirchen  vom  Papst  das  Vorrecht  erteilt,  sich 
der  Mozzetta  zu  bedienen.  Die  Mozzetta  besteht  aus 
Seide  oder  feinem  Wollzeug  und  ist  bei  den  Kardi- 
nälen bald  rot,  bald  violett,  bei  den  übrigen  Prälaten 
aber  violett,  sofern  die  Kardinäle  und  Prälaten  nicht 
einem  Orden  mit  eigener  Ordenskleidung  angehören. 
Denn  dann  hat  sie,  wie  die  Cappa  magna,  die  Farbe 
der  Ordenstracht 3. 

Über  das  Alter  der  Mozzetta  sind  die  fabel- 
haftesten Ansichten  ausgesprochen  worden ;  hat  man 
sie  doch  bis  in  die  altchristliche  Zeit  hinaufführen 
wollen 4.  Es  ist  das  um  so  auffälliger,  als  sie  in 
Wirklichkeit  ein  verhältnismäßig  sehr  junges  Gewand- 
stück ist.  Unwahrscheinlich  ist,  daß  bereits  das  man- 
tellum,  welches  im  Ordo  Gregors  X.  bei  Beschreibung  des  Festmahls  nach  der 
Papstweihe  erwähnt  wird:  cardinales  omnes  habebunt  superpelliceum  cum 
camisia  et  mantello,  mit  der  späteren  Mozzetta  identisch  ist ä.  Immerhin  war 
diese  jedoch  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  in  Gebrauch. 
Das  beweist  das  Fresko  Melozzos  da  Forli  „Die  Übergabe  der  vatikanischen 
Bibliothek  an  den  Bibliothekar  Piatina",  auf  dem  Papst  Sixtus  IV.  in  Rochett 
und  Mozzetta  dargestellt  ist  (Bild  58,  S.  144).    Das  Bild  wurde  1477  gemalt. 


Bild  170.     Grabplatte  des 
Georg  von  Scbaumburg 
(t    1514).      Bamberg,  Dom. 


1  Conc.  V.  Mediol.  c.  de  div.  offic.  (A.  E.  Med. 
271).  Vgl.  0.  R.  20.  Juli  1765  (Decret.  autb. 
2478). 

2  Bei  den  Pfarrern  der  Stadt  Köln  hat  sieb 
die  Almucia  in  Gestalt  eines  weißen  Pelz- 
kragens erbalten.  In  einer  Entscheidung 
der  Ritenkongregatiou  vom    29.    März    1851 


(Decret.  autb.  2986)  heißt  die  almucia  zan- 
f'arda.  Die  Anfrage  kam  aus  der  Diözese  Adria. 

3  Näheres  in  Kirchenlexikon  VIII  1968. 
Genaue  Angaben  über  die  Verwendung  im 
Caerem.  episc.  1.  1,  c.  3. 

i  Mor.  XLVII  27. 

5  N.  9  (M.  78,  1111). 


358  Zweiter  Abschnitt.     Die  liturgischen  Obergewänder. 

Unsicher  ist,  seit  wann  die  Mozzetta  als  spezifisch  bischöfliches  Gewand  gilt. 
Im  16.  Jahrhundert  hatte  sie  schon  diesen  Charakter  \  Vielleicht,  oder  wohl 
besser  wahrscheinlich,  daß  es  von  Anfang  an  so  war. 

Was  den  Ursprung  der  Mozzetta  anlangt,  so  wird  sie  meist  von  der 
Cappa  abgeleitet;  sie  wird  nämlich  als  verkürzte  Cappa  ausgegeben  und 
demgemäß  ihr  Name  mozzetta  auf  das  italienische  mozzo,  verstümmelt  (von 
mozzare,  abschneiden),  zurückgeführt.  So  bereits  von  Pallavicino  in  seiner 
Geschichte  des  Konzils  zu  Trient,  auf  dem  es  bekanntlich  wegen  der  Mozzetta 
zu  vielen  Erörterungen  kam,  weil  die  spanischen  Bischöfe  durchaus  bei 
den  Sitzungen  in  ihr  erscheinen  Avollten  -.  Andere  möchten  es  vorziehen, 
das  Gewandstück  auf  die  Almucia  zurückzuführen.  In  der  Tat  besteht 
zwischen  der  zum  Schulterkragen  gewordenen  Almucia  und  der  Mozzetta  in 
der  Form  eine  sehr  große  Ähnlichkeit.  Auch  bietet  zuletzt  die  Ableitung 
des  Namens  mozzetta  von  almucia  nicht  mehr  Schwierigkeiten  wie  die  des 
Wortes  „Mütze",  das  sich  im  ausgehenden  Mittelalter  aus  almucia  entwickelte3. 
Wir  müssen  es  dahingestellt  sein  lassen ,  welche  Ableitung  die  richtige  ist. 
Es  ist  interessant,  zu  sehen,  wie  wenig  klar  der  Ursprung  eines  Gewandes  ist, 
dessen  erstes  Auftreten  doch  gar  nicht  einmal  so  fern  liegt.  Da  kann  man 
sich  wirklich  nicht  wundern,  wenn  Meinungsverschiedenheiten  und  Unsicher- 
heit hinsichtlich  der  Ableitung  solcher  liturgischer  Gewänder  bestehen,  deren 
Gebrauch  in  die  altchristliche  Kirche  zurückreicht. 


1  Conc.  IV.   Medio].,  Const.  pars  III,  c.  de  mozza,    che    perciö    volgarmente   e  chiamata 
Episc.  (A.  E.  Med.  168).  mozzetta. 

2  Storia  del  Concilio  di  Trento  1.  15,  c.  13,  3  Wiegand,  DeutschesWörterbuchI1224; 
n.  5  (Roma    1833);   II  859:    cappa   breve   o  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  VI  2839. 


DRITTER  ABSCHNITT. 


DIE  LITURGISCHEN  BEKLEIDUNGSSTÜCKE 
DER   HÄNDE,    DER   FÜSSE    UND    DES   KOPFES. 


ERSTES  KAPITEL. 

DIE  PONTIFIKALHANDSCHUHE. 

I.    NAME  DER  LITURGISCHEN  HANDSCHUHE.     DIE  PONTIFIKAL- 
HANDSCHUHE IN   DER  GEGENWART. 

Die  Pontifikalliandschuhe  können  gleich  der  Kasel  als  ein  liturgisches 
Ornatstück  in  besonderem  Sinne  bezeichnet  werden.  Der  Bischof,  oder  wer 
immer  die  Erlaubnis  hat,  sie  zu  tragen,  bedient  sich  ihrer  nämlich  bloß  bei 
der  Feier  des  heiligen  Opfers.  Es  ist  durch  Dekret  der  Ritenkongregation  vom 
21.  Juli  1855  selbst  als  unstatthaft  bezeichnet  worden,  bei  Erteilung  des  sakra- 
mentalen Segens  die  Handschuhe  zu  gebrauchen,  sei  es  mit,  sei  es  ohne 
Schultervelum  1. 

Die  offizielle  Benennung  der  Pontifikalliandschuhe  ist  chirothecae.  Ehe- 
dem wurde  das  Ornatstück  in  den  liturgischen  Büchern  auch  wohl  manicae 
und  wanti  (vuanti,  wanta,  guanti  und  ähnlich)  genannt.  Manicae  heißen  die 
Handschuhe  beispielsweise  im  Sakramentar  von  Corbie2,  in  einem  um  1100 
entstandenen  Pontifikale  von  Salzburg3  und  in  dem  Weiheordo  bei  Hittorp  4. 
Mit  dem  zumeist  in  Frankreich,  Deutschland  und  dem  Norden  überhaupt  ge- 
bräuchlichen wantus,  woraus  später  das  französische  gant,  das  spanische  und 
portugiesische  guante  und  das  italienische  guanto  sich  gebildet  hat,  bezeichnete 
man  vornehmlich  den  Handschuh  des  gewöhnlichen  Lebens ;  als  Name  des 
pontifikalen  Ornatstückes  kommt  das  Wort  weniger  häufig  vor5.  Schon  im 
12.  Jahrhundert  war  chirotheca  die  vorherrschende  Bezeichnung  des  Pontifikal- 
handschuhs.  Insbesondere  heißt  dieser  ausschließlich  so  in  den  päpstlichen 
Bullen  und  bei  den  Liturgikern  des  12.  und  13.  Jahrhunderts. 

Nach  dem  gegenwärtigen  Brauch  werden  die  Pontifikalliandschuhe  aus 
Seide   angefertigt.     Dort,    wo  sie  den  Rücken    der  Hand  bedecken,    sind   sie 


1  Decret.  auth.  3031. 

2  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12.  ordo  11 ;  I  203. 

3  Ebd.  1.1,  c.  8,  art.  11,  ordo  8;  II  53. 

4  De  div.  offic.  109.  Manica  hat  als  Be- 
zeichnung eines  liturgischen  Ornatstückes 
einen  mehrfachen  Sinn.  Bald  bedeutet  das 
Wort  den  Pontifikalhandschuh  ,  bald  den 
Manipel,  bald  endlich  liturgische  Stauchen, 
diese  jedoch  nur  im  altgallikanischen  Ritus. 
In  den  einzelnen  Fällen  muß  der  Zusammen- 
hang über  den  jeweiligen  Sinn  von  manica 
entscheiden. 


5  So  in  einem  Pontifikale  von  Besancon 
(ca  1100)  bei  Mart.  1.  2,  c.  1,  ordo  3 ;  II  153 
und  in  einem  Pontifikale  von  St  Remigius 
zu  Reims,  ebd.  ordo  6;  II  156.  Auch  in  In- 
ventaren  und  Gabenverzeichnissen  findet  sich 
die  Bezeichnung  wantus ,  so  im  Testament 
Riculfs  von  Eine  (915),  den  Inventaren  von 
Clermont-Ferrand  (10.  Jahrhundert)  ,  dem 
von  Cremona  (984)  und  noch  im  Schatzver- 
zeichnis von  Oberaltaich  (ca  1150).  Über 
wantus  vgl.  D.  C.  sub  wantus  VIII  401  und 
Barraud  in  Bullet,  mon.  1867,  249  ff. 


360     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

mit  einem  Kreuze  verziert;  auch  pflegt  das  untere  Ende,  wo  der  Einschlupf 
sich  befindet,  mit  einem  Zierstreifen  oder  sonst  einem  Ornament  versehen  zu 
sein.  Wie  für  Kasel,  Stola  und  Manipel,  so  gelten  auch  für  die  Handschuhe 
die  Bestimmungen  über  die  liturgischen  Farben ;  nur  gibt  es  keine  schwarzen, 
weil  bei  Totenmessen  und  bei  der  Karfreitagsfeier,  bei  welchen  allein  schwarze 
Paramente  zur  Verwendung  gelangen,  das  Ornatstück  nicht  benutzt  wer- 
den darf. 

Der  usus  chirothecarum  steht  von  Rechts  wegen  nur  dem  Papst,  den 
Kardinälen  und  Bischöfen  zu.  Wie  indessen  der  Gebrauch  der  Mitra,  der 
bischöflichen  Fußbekleidung,  der  Dalmatik  und  Tunicella  kraft  eines  Privilegs 
Äbten,  Dignitaren  von  Kathedral-  und  Stiftskirchen  und  sonstigen  Prälaten 
gestattet  wird,  so  auch  derjenige  der  Pontifikalhandschuhe,  natürlich  mit  den- 
selben größeren  oder  geringeren  Beschränkungen,  welche  für  das  Tragen  der 
andern  Pontifikalien,  sei  es  nach  den  allgemeinen  kirchlichen  Bestimmungen 1, 
sei  es  nach  dem  jeweiligen  Indult,  gelten. 

Nach  dem  römischen  Caeremoniale  soll  der  Bischof,  wenn  er  sich  zur 
Messe  rüstet,  mit  den  chirothecae  ausgestattet  werden,  sobald  er  mit  der 
Dalmatik  bekleidet  worden  ist.  Das  Anziehen  des  rechten  Handschuhs  hat 
der  Diakon,  das  des  linken  der  Subdiakon  zu  besorgen.  Der  Bischof  behält 
das  Ornatstück  nur  bis  zur  Händewaschung  vor  der  Opferung2.  Von  da  an 
amtiert  er  bis  zum  Schluß  der  Messe  ohne  die  Handschuhe.  Für  die  Dauer 
des  Kanons  ist  das  leicht  begreiflich;  daß  der  Bischof  sie  aber  auch  nach 
der  Kommunion  nicht  wieder  anlegen  dürfe,  besagt  eine  ausdrückliche  Ent- 
scheidung der  Ritenkon gregation  vom  5.  März  1870 3.  Die  Verwendung,  welche 
die  chirothecae  bei  der  Liturgie  finden,  ist  demnach  von  sehr  beschränktem 
Umfang. 

Bei  der  Bischofs  weihe  werden  die  Handschuhe  dem  Neukonsekrierten 
von  dem  Konsekrator  selbst  unter  Beihilfe  der  assistierenden  Bischöfe  an- 
gezogen. Die  Zeremonie  vollzieht  sich  am  Schluß  der  Messe  nach  dem  Segen, 
sobald  das  Haupt  des  Neugeweihten  mit  der  Mitra  geschmückt  worden  ist. 
Das  Gebet  , unter  welchem  die  Bekleidung  der  Hände  stattfindet,  lautet:  „Umgib, 
o  Herr,  dieses  deines  Dieners  Hände  mit  der  Reinheit  des  neuen  Menschen, 
der  vom  Himmel  herabstieg,  auf  daß  er  durch  die  heilsame  Gabe,  welche  er 
mit  seinen  Händen  dir  aufopfert,  so  sich  deinen  Gnadensegen  verdienen  möge, 
wie  einst  Jakob,  dein  Liebling,  sich  den  väterlichen  Segen  erwarb,  weil  er, 
an  den  Händen  mit  der  Böcklein  Fellchen  bedeckt,  dem  Vater  gar  willkommene 
Speise  samt  Trank  darbrachte,  durch  Christus,  unsern  Herrn,  der  sich  dir  für 
uns  in  der  Weise  des  sündigen  Menschen  selbst  hingab.  Amen."  Christus 
belud  sich  mit  unsern  Sünden.  Mit  ihm,  der  für  unsere  Sünden  genugtat,  d.  i. 
mit  der  durch  ihn  den  Menschen  zuteil  gewordenen  Gerechtigkeit,  müssen 
die  Hände  des  Bischofs  bekleidet  sein,  wenn  er  Gottes  Gnadensegen  durch 
das  heilige  Opfer  herabfleht,  so  wie  einst  Jakobs  Hände  mit  den  Fellchen 
der  Böcklein  verhüllt  waren,  als  er  dem  Vater  das  gewünschte  Mahl  dar- 
reichte und  sich  den  Erstgeburtssegen  erbat.  Daran  sollen  die  Handschuhe 
den  Bischof  allzeit  erinnern. 


1  Allgemeine   Norm    für    den   usus    ponti-  stitution   Pius'  VII.    „Decet  Romanos  Ponti- 

ficalium   seitens    der  Nichtbischöfe    sind    die  fices"   vom  4.  Juli  1S23   (ebd.  2624). 

Dekrete  Alexanders  Vil.  vom  27.  September  -  Caerem.  episc.  1.  2,  c.  8,  n.  19  57. 

1659    (Decret.    autb.    1131)    und    die    Kon-  3  Decret.  autb.  3213. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontiflkalhandscliulie. 


361 


II.   ALTER  DES  GEBRAUCHES  DER  PONTIFIKALHANDSCHUHE. 


In  den  frühesten  römischen  Ordines  herrscht  betreffs  der  liturgischen 
Handschuhe  völliges  Schweigen.  Wir  hören  im  1.  und  3.  Ordo  Mabillons, 
mit  welchen  Gewändern  die  Regionarsubdiakone  den  Papst  bekleiden  sollen, 
sehen  gleichsam,  wie  diese  den  Pontifex  mit  Albe,  Cingulum  und  Schulter- 
tuch, mit  der  Tunicella,  der  Dalmatik  und  Planeta,  mit  Pallium  und  Mappula 
ausstatten;  von  chirothecae  erfahren  wir  nichts.  Es  wird  hier  und  im  Ordo 
Duchesnes  beschrieben,  wie  der  Papst  die  Oblationen  entgegenzunehmen  und 
dann  die  Hände  zu  waschen  habe,  ohne  daß  der  Handschuhe  auch  nur  im 
geringsten  Erwähnung  geschieht 1.  Ebensowenig  ist  endlich  von  dem  Ornat- 
stück im  S.  G.  K.  die  Rede,  das  uns  doch  mit  der  gesamten  liturgischen  Fest- 
und  AlltagsgeAvandung  des  Papstes  sowie  der  Sakralkleidung  der  sonstigen 
römischen  Geistlichen  bis  zu  den  Akolythen  herab  bekannt  macht. 

Dieses  völlige  Schweigen  der  ältesten  römischen  Ordines  unter  Um- 
ständen, unter  denen  Reden  sozusagen  Pflicht  gewesen  wäre,  kann  unbedenklich 
als  Beweis  betrachtet  werden,  daß  es  zur  Zeit  ihrer  Entstehung,  also  im 
8.  und  9.  Jahrhundert,  zu  Rom  noch  keine  Sakralhandschuhe  gab.  Wären 
dort  solche  schon  damals  in  Gebrauch  gewesen,  so  hätten  sie  doch  zweifellos 
an  irgend  einer  Stelle  der  Ordines  Erwähnung  finden  müssen,  zumal  aber  in 
dem  S.  G.  K.  und  in  der  Angabe  des  1.  oder  3.  Ordo,  mit  welchen  Gewändern 
der  Papst  für  die  Messe  versehen  werden  mußte.  Nach  Barraud  und  Rohault 
de  Fleury  wären  im  römischen  Ritus  freilich  schon  im  6.  oder  7.  Jahrhundert 
die  liturgischen  Handschuhe  zur  Verwendung  gelangt 2.  Allein  beide  über- 
sehen, daß  der  Weiheordo  bei  Hittorp,  auf  welchen  sie  sich  stützen,  nicht 
den  Tagen  Pipins,  wie  sie  annehmen,  sondern  erst  dem  11.  Jahrhundert  an- 
gehört. Es  ist  allerdings  richtig,  daß  im  Ordo  vulgatus  sich  Stücke  befinden, 
welche  in  das  8.  Jahrhundert  hinaufreichen,  ja  noch  älter  sind;  allein  das 
gilt  bei  weitem  nicht  von  allen  seinen  Teilen  und  am  wenigsten  von  dem 
fraglichen  Weiheordo. 

Sehr  früh  sollen  schon  in  Gallien  liturgische  Handschuhe  gebräuchlich 
gewesen  sein.  Wenn  man  indessen  die  Beweise  hierfür  etwas  näher  anschaut, 
erkennt  man  bald,  daß  es  um  dieselben  herzlich  schlecht  steht.  Was  in  der 
Vita  der  hll.  Maria  Magdalena  und  Martha  von  den  Pontifikalhandschuhen 
des  hl.  Fronto 3  und  in  den  Acta  S.  Hildeverti  von  denjenigen  des  hl.  Hildevert 


1  Ordo  1,  n.  14;  ordo  2,  n.  9 ;  ordo  3,  n.  12 
(M.  78,  944  973  980).  Vgl.  desgleichen  den 
von  Duchesne  herausgegebenen  römischen 
Ordo  (Orig.  459). 

2  Bullet,  mon.  1867,  207:  L'Ordre  ro- 
main ,  que  le  pape  Etienne  envoya  aux 
eglises  de  France  a  la  demande  de  Pepin  et 
qu'Hittorp  a  publie  dans  son  recueil,  con- 
tient  les  rites ,  que  Ton  doit  suivre  pour 
l'ordination  des  eveques.  II  est  prescrit  de 
mettre  apres  l'Evangile  les  sandales  aux 
pieds  du  nouveau  prölat  et  de  lui  donner 
aussitöt  les  gants.  Cet  ordre,  fait  on  re- 
marquer,  n'a  pas  ete  compose  expres  pour 
etre  envoye'  aux  eglises  des  Gaules.  Celle 
de  Rome  s'en  servait  auparavant  et  peut-etre 
depuis  assez   longtemps.     On   peut   donc  en 


conclure  que  l'usage  des  gants  remonte  au 
moins  au  VI°  ou  au  VIIe  siecle.  So  auch 
Roh.  VlII  192.  Hittorp  gibt  zwei  Ordines 
für  die  Bischofsweihe,  einen  älteren  (De  div. 
offic.  106)  und  einen  jüngeren  (ebd.  109). 
Nur  der  letzte  erwähnt  die  Handschuhe ;  ihn 
kann  darum  Barraud  bloß  im  Auge  gehabt 
haben. 

3  C.  49  (M.  112,  1506).  Es  wird  dort 
berichtet  ,  an  dem  Sonntagmorgen ,  an 
welchem  die  hl.  Martha  zu  Tarascon  habe 
begraben  werden  sollen,  habe  sich  St  Fronto 
in  der  Kirche  zu  Perigueux  befunden,  um  das 
heilige  Opfer  zu  feiern.  Indem  er  aber  auf 
das  herbeikommende  Volk  gewartet,  sei  er 
auf  dem  Bischofsstuhl  eingeschlafen.  Da  sei 
nun  plötzlich   der  Heiland    dem  Bischof   er- 


362     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


von  Meaux  (f  ca  680) 1  erzählt  wird,  sind  späte,  kaum  vor  1000  ent- 
standene Legenden.  Die  Handschuhe,  von  denen  in  den  Biographien  des 
hl.  Betharius,  Bischofs  von  Chartres  (f  ca  600) 2,  und  des  hl.  Philibert,  Abtes 
von  Jumieges  (f  684) 3,  die  Rede  ist,  bedeuten  nach  dem  Zusammenhange 
lediglich  Handschuhe  des  gewöhnlichen  Lebens,  wie  sie  im  Norden  allgemein 
gebräuchlich  waren.  Ein  in  St-Sernin  zu  Toulouse  aufbewahrtes  Handschuh- 
paar, welches  der  hl.  Remigius  dem  hl.  Germerius  von  Toulouse  (f  ca  560) 
zum  Geschenk  gemacht  haben  soll,  entstammt  statt  dem  6.  erst  dem  13.  Jahr- 
hundert. Selbst  Rohault  de  Fleury,  welcher  doch  die  liturgischen  Hand- 
schuhe bereits  im  6.  Jahrhundert  in  Gebrauch  sein  läßt,  bemerkt  bezüglich 
desselben:  Le  caractere  romain  de  cet  objet  ne  semble  pas  le  reporter  au 
delä  du  XIIe  siecle  4. 

Die  manualia  oder  manicae  endlich,  welche  in  der  dem  hl.  Germanus 
von  Paris  (f  576)  zugeschriebenen  Meßerklärung  unter  den  übrigen  dort  an- 
geführten liturgischen  Gewändern  genannt  werden 5,  sind  nicht  Handschuhe, 
sondern  eine  Art  von  Stauchen. 

„Bei  den  sacerdotes  (Bischöfe  oder  wohl  besser  Bischöfe  und  Priester)", 
so  heißt  es  dort,  „ist  es  Sitte,  manualia,  d.  i.  manicae,  nach  Art  der  Arm- 
bänder (armillae)  anzuziehen,  welche  der  Könige  oder  (heidnischen?)  Priester 
Arme  umgeben.  Sie  bestehen  aber  aus  irgend  einem  kostbaren  Wollzeuge 
(vellere) 6,    nicht   aus   hartem  Metall,   wohl    damit   alle   sacerdotes  insgemein, 


schienen  und  habe  ihn  mit  hinüber  nach 
Tarascon  genommen,  damit  er,  wie  er  es  der 
hl.  Martha  versprochen,  an  deren  Begräbnis 
teilnehme.  Inzwischen  habe  zu  Perigueux 
das  Volk  sich  in  der  Kirche  versammelt  und 
eine  Weile  auf  den  Beginn  des  Gottesdienstes 
gewartet.  Da  es  dann  jedoch  über  die  Ver- 
zögerung ungeduldig  geworden,  sei  man  zu 
StFronto,  der  scheinbar  noch  immer  geschlafen 
habe,  hingetreten,  um  ihn  zu  wecken.  Erwacht, 
habe  dieser  erzählt,  was  geschehen  sei,  und 
hinzugefügt  ,  man  möge  nach  Tarascon 
schicken  und  den  Ring  und  die  grauen 
Handschuhe  (chirothecas  criseas)  holen,  die 
er  allda  der  Hand  des  Sakristans  übergeben, 
während  er  den  Leib  der  Heiligen  im  Grab 
beigesetzt.  Solches  habe  man  dann  auch 
getan  und  es  hätten  die  Boten  richtig  die 
bezeichneten  Gegenstände  zu  Tarascon  vor- 
gefunden. Den  Ring  und  einen  der  Hand- 
schuhe habe  man  nach  Perigueux  mitgebracht, 
der  andere  sei  zu  Tarascon  als  Beweis  des 
stattgefundenen  Wunders  verblieben.  — 
Die  Vita  B.  Mariae  Magdalenae  et  sororis 
eius  Marthae  wurde  von  Faillon  (Monuments 
inedits  sur  l'apostolat  de  Sainte  Marie-Made- 
leine en  Provence)  fälschlich  Hraban  zuge- 
schrieben (A.  SS.  17.  Oct.,  VIII  29  ff  "et 
25.  Oct.  XI  394).  Sie  ist  nur  die  Erweiterung 
einer  älteren  Legende,  über  deren  Alter  und 
Wert  Näheres  bei  Duchesnes,  Fastes  epis- 
copaux  I  326  ff.  Dieselbe  findetsich  unter  ande- 
rem in  der  Legenda  aurea  Jakobs  de  Voragine, 
wo  der  Vorfall,  der  sich  beim  Begräbnis  der 


hl.    Martha   ereignete ,  wörtlich   wie   iu    der 
Vita  des  Pseudo-Hraban  erzählt  wird. 

1  A.  SS.  27.  Maii,  VI  705.  Es  wird  daselbst 
berichtet  ,  die  Handschuhe  des  Bischofs, 
welche  dieser  vor  der  Konsekration  aus- 
gezogen habe ,  hätten  drei  Stunden  lang  an 
einem  Sonnenstrahl  in  der  Luft  geschwebt. 
Ähnliche  Legenden  wiederholen  sich  auch 
in  den  Leben  anderer  Heiligen. 

2  A.  SS.  2.  Aug.,  I  170.  In  der  Rezension 
der  M.  G.  (SS.  M.  III  617)  steht  statt  chiro- 
thecae  richtig  manicae.  Manicae  ist  un- 
zweifelhaft das  Ursprüngliche ,  da  zur  Zeit 
der  Abfassung  der  Vita  S.  Betharii  chiro- 
theca  noch  nicht  gebräuchlich  war.  Chiro- 
theca  ist  erst  im  10.  Jahrhundert  nach- 
weisbar. 

3  C.  2  A.  SS.  20.  Aug.,  IV  77. 

J  Ebd.  VIII  194.  Im  Schatz  des  Aachener 
Münsters  wird  ein  Handschuhpaar  aufbe- 
wahrt, das  irrtümlich  dem  hl.  Germanus  von 
Paris  zugeschrieben  wird.  Seine  riesenhaften 
Maßverhältnisse  beweisen ,  daß  es  sich  bei 
ihm  entweder  nur  um  Hüllen  für  Armreli- 
quiare  oder  um  Handschuhe,  die  über  Eisen- 
handschuhe angezogen  wurden,  handeln  kann. 

5  M.  72,  97. 

0  Daß  vellus  hier  nicht ,  wie  es  wohl  ge- 
schehen ist  (Barraud  in  Bullet,  mon. 
1867,  229),  als  Leder  zu  nehmen  ist,  ergibt 
sich  aus  der  Angabe  der  Meßerklärung,  daß  die 
Diakonalalbe  sirico  aut  vellere  gemachtwerde; 
da  diese  offenbar  nicht  aus  Leder  angefertigt 
wurde,  muß  vellus  Wollstoff  bezeichnen. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandscliuhe. 


563 


auch  die,  welche  in  der  Welt  eine  mindere  Stellung  einnehmen,  sie  leichter 
haben  können.  Das  kleine  Gewandstück,  welches  lediglich  bei  der  Feier  des 
heiligen  Opfers  gebraucht  wird,  bezeichnet  etwa,  daß  unsere  Hände  nicht  mit 
weltlichen  Ehren  belastet,  sondern  mit  der  erhabenen  Ausübung  der  Gebote 
Gottes  umgeben  werden  sollen.  Prohibet  autem  manica  tonica,  ne  appareat 
vile  vestimentum  aut  quocumque  indignum  tactum  sordium  super  divina  sacri- 
ficia,  quo  manus  immolantis  discurrunt."  1 

Man  hat  unter  den  manualia  bzw.  manicae  Handschuhe  verstanden, 
wohl,  weil  manica  anderswo  wiederholt  in  dieser  Bedeutung  vorkommt 2;  doch 
dürfte  eine  solche  Auffassung  kaum  zur  Beschreibung  passen,  welche  die 
Meßerklärung  von  ihnen  gibt.  Sie  erscheinen  vielmehr  als  ein  armbandartiges, 
bis  zu  den  Händen  reichendes  und  zur  Tunika  (manica  tonica  [=  tonicae, 
tunicae])  gehörendes  Schmuckstück,  das  nicht  wie  sonst  aus  Metall,  sondern 
aus  Zeug  gemacht  war,  also  als  Gegenstück  der  Stauchen  oder  Manchetten, 
welche  in  den  Riten  des  Ostens  wenigstens  schon  im  10. — 11.  Jahrhundert  bei 
der  Feier  der  Liturgie  gebraucht  wurden  und  unter  dem  Namen  sTiifiavixia  be- 
kannt sind 3.  Es  ist  um  so  weniger  zweifelhaft,  daß  dies  der  Sinn  des  Wortes 
ist,  weil  unmittelbar  vorher  bei  Besprechung  der  Kasel  manica  den  Sinn  von 
Ärmel  hat. 

Es  kann  selbst  in  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  in  Gallien 
noch  keine  liturgischen  Handschuhe  gegeben  haben.  Bei  den  Liturgikern 
der  Karolingerzeit,  bei  Hraban,  Amalar  und  Walafried  Strabo,  findet  sich 
ebensowenig  eine  Bemerkung  bezüglich  einer  sakralen  Handbekleidung  wie 
bezüglich  der  Mitra,  obschon  es  nach  der  Weise,  wie  sie  die  liturgischen  Ge- 
wänder besprechen,  offenbar  ist,  daß  sie  den  ganzen  zu  ihrer  Zeit  gebräuch- 
lichen pontifikalen  Ornat  behandeln  wollen.  Besonders  klar  tritt  dieses  Fehlen 
der  chirothecae  an  zwei  bezeichnenden  Stellen  bei  Amalar  zu  Tage. 

An  der  ersten  zählt  dieser  den  liturgischen  Ornat  des  summus  pontifex  (hier 
wohl  im  Sinne  von  Erzbischof)  auf.  Danach  hatte  derselbe,  im  Einklänge  mit  der 
Anzahl  der  Gewänder,  welche  dem  levitischen  Hohenpriester  eigneten,  vom  Kopf  bis 
zu  den  Füßen  acht  Ornatstücke :    den  Amikt,    die  Albe,  das  Cingulum.   die  Stola,  die 


1  Das  barbarische  Latein  und  vielleicht 
auch  Schreibfehler  bieten  für  Verständnis 
und  Übersetzung  des  letzten  Satzes  große 
Schwierigkeiten.  Der  Siun  desselben  scheint 
zu  sein  :  Die  manica  der  Tunika  hindert,  daß 
das  vile  vestimentum,  wohl  die  Alltagstunika, 
zum  Vorschein  kommt;  zugleich  sorgt  sie 
dafür,  daß  selbiges  bei  den  Handbewegungen 
des  Opfernden  die  Opfergaben  nicht  in  un- 
passender Weise  berührt.  So  unseres  Er- 
achtens  salva  meliore  interpretatione. 

2  So  in  den  Aachener  Kapitularien  vom 
Jahre  817  c.  22  (M.  G.  LL.  Capit.  I,  345): 
Manicas,  quas  vulgo  wantos  appellamus,  und 
in  der  ca  730  geschriebenen  Vita  S.  Guthlaci 
(t  714)  n.26"(A.  SS.  11.  April.,  II  44).  Im 
ersten  Fall  handelt  es  sich  um  Mönchshand- 
schuhe,  im  zweiten  um  die  eines  vornehmen 
Laien.  Auch  in  c.  12  der  Mönchsregeln  des 
hl.  Isidor  (M.  83, 882)  hat  manica  den  Sinn  von 
Handschuh.    Andere  Beispiele  s.  oben  S.  359. 

3  S."  oben  S.  9!).    Auch  in  der  Schenkungs- 


urkunde der  Äbtissin  Emhilda  des  Klosters 
Milz  aus  dem  Jahr  800  werden  manicae  er- 
wähnt: manicae  6  .  .  .  manicae  purpureae  10. 
Sie  sind  nach  dem  Zusammenhang  liturgische 
Ornatstücke  und  allem  Anschein  nach  mit 
den  manicae  der  gallikanischen  Meßerklärung 
eins.  Handschuhe  sind  sie  auf  keinen  Fall. 
Aber  auch  Manipel  können  nicbt  unter  ihnen 
verstanden  werden,  da  diese  in  der  Urkunde 
fanones  beißen:  oraria  purpurea  4.  fanones 
auro  argentoque  parati  7 ,  cetera  purpurata 
(mit  Purpurbesatz  versehen)  3.  Die  manicae, 
welche  in  einem  Inventar  von  Staffelsee 
(Bayern)  aus  dem  ersten  Dezennium  des 
9.  Jahrhunderts  erwähnt  werden :  manicas 
sericas  auro  et  argento  paratas  et  alias  sericas 4, 
sind  gemäß  dem  Zusammenhang  allem  An- 
schein nach  Manipel.  An  Pontifikalhand- 
scliuhe zu  denken,  verbietet  auch  hier  durch- 
aus der  Umstand,  daß  es  sich  um  ein  In- 
ventar einer  gewöhnlichen  Klosterkirche 
handelt. 


364     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


beiden  Tuniken  (Tuniceila  und  Dalmatik)  und  das  Pallium.  Über  die  Zahl  der  jüdischen 
Pontifikalkleider  hinaus  kam  ihm  außerdem  noch  ein  vestimentum  pedum,  die  bischöf- 
liche Fußbekleidung,  und  das  sudarium  in  manu,  die  Mappula  oder  der  Manipel  zu. 
Von  einem  vestimentum  manuum,  d.  i.  von  liturgischen  Handschuhen,  schweigt  Ama- 
larius  vollständig :  eine  Sache,  die  um  so  auffälliger  ist,  als  derselbe  das  Schweißtuch 
in  manu  der  Erwähnung  für  wert  hält  '.  An  der  zweiten  Stelle  wiederholt  der  Litur- 
giker  kurz  den  ganzen  Ornat  (omnem  ornatum)  der  Geistlichen,  d.  i.,  wie  aus  der 
Aufzählung  erhellt,  der  Bischöfe,  Priester  und  Ministri.  Aber  auch  hier  spricht  er 
mit  keiner  Silbe  von  der  liturgischen  Handbekleidung 2.  Ob  Amalar  wohl,  so  darf 
man  mit  allem  Recht  fragen,  an  beiden  Stellen  die  chirothecae  übergangen  hätte, 
wenn  sie  zu  seiner  Zeit  im  römischen  Ritus  des  Frankenreiches  zum  liturgischen  Ornat 
des  Bischofs  gehört  hätten?  Will  man  dagegen  geltend  machen,  daß  er  doch  auch 
Stab  und  Ring  nicht  erwähne,  obschon  diese  bereits  seit  langem  Insignien  der  Bischöfe 
waren,  so  ist  zu  bemerken,  daß  er  nicht  von  den  bischöflichen  Insignien,  sondern 
von  der  liturgischen  Gewandung  handeln  will  und  tatsächlich  handelt.  Er  hatte  daher 
keine  Veranlassung,  von  Ring  und  Stab  zu  sprechen,  die  ja  auch  niemand  als  „vesti- 
menta"  betrachten  wird3. 

Erst  das  10.  Jahrhundert  bringt  uns  von  der  Verwendung  liturgischer 
Handschuhe  Kunde.  Schon  um  900  werden  in  zwei  Inventaren  der  Basilika 
zu  Monza  manicae,  wie  es  scheint,  im  Sinne  von  Pontifikalhandschuhen 
aufgeführt i.  915  vermacht  Riculf  von  Eine  seiner  Kathedrale  außer  andern 
liturgischen  Gewändern  wie  caligae,  sandalia,  amictus,  albae,  stolae,  zonae, 
manipuli  und  casulae  episcopales  auch  vuanti  paria  unum  (sie).    Etwas  später 


1  De  offic.  eccl.  1.  2,  c.  22  (M.  105,  1098). 

2  Ebd.  c.  26  (ebd.  1102). 

3  Es  können  daher  die  zwei  kastanien- 
farbigen, mit  Gold  verzierten  wanti  des  831 
aufgestellten  Inventars  von  St  Riquier  samt 
den  beiden  dort  erwähnten  linnenen  wanti 
keine  liturgischen  Handschuhe  im  späteren 
Sinne  sein.  Die  Äbte  hatten  ja  auch  im 
Beginn  des  9.  Jahrhunderts  noch  nicht  das 
Recht,  sich  der  Pontifikalhandschuhe  zu  be- 
dienen. Die  wanti  castanei  auro  parati  2, 
linei  2  mögen  angelegt  und  getragen  worden 
sein ,  wenn  man  mit  heiligen  Gegenständen, 
z.  B.  mit  Reliquien,  umzugehen  hatte.  Wenn 
man  aber  nach  dem  Bericht  des  von  Johannes 
Longus  (f  1383)  verfaßten  Chron.  monast. 
S.  Bertini  c.  13  (Mart.,  Thes.  III  516)  im 
14.  Jahrhundert  zu  St-Bertin  bei  St-Omer 
außer  andern  Gewändern  des  hl.  Folcuin, 
Bischofs  von  Terouanne  (f  855),  auch  dessen 
Mitra  und  Handschuhe  zu  besitzen  sich 
rühmte,  so  dürfen  wir  heute  ohne  Bedenken, 
wie  die  zweifellos  falsche  Mitra,  ebenso  diese 
Handschuhe  als  unecht  bezeichnen.  Wahr- 
scheinlich übrigens,  daß  es  sich  bei  diesen 
Handschuhen ,  der  Mitra  und  den  andern 
Gewandstucken  um  Gegenstände  handelte, 
mit  denen  in  späterer  Zeit  bei  einer  Re- 
kognition  der  Leichnam  des  Heiligen  neu 
bekleidet  worden  war,  und  die  man  dann  bei 
einer  neuen  Erhebung  irrtümlich  für  ur- 
sprünglich ansah,  ein  Vorgang,  der  sich  im 
Mittelalter  wiederholt  abspielte. 


*  Manicas  1  paratas  heißt  es  im  ersten, 
manicas  2  im  zweiten  der  beiden  Inventare. 
Manipel  können  nicht  gemeint  sein,  da  sie 
unter  dem  Namen  mappula  besonders  auf- 
geführt werden  :  zudem  weist  die  Ausdrucks- 
weise des  ersten  Inventars  auf  einen  als  Paar 
vorhandenen  Gegenstand  hin.  Handschuhe  bloß 
zum  Anfassen  von  Reliquiaren  u.  ä.  scheinen 
durch  den  Zusammenhang  ausgeschlossen. 
Es  kann  also  bloß  an  liturgische  Stauchen 
oder  an  liturgische  Handschuhe  gedacht 
werden.  Die  meiste  Wahrscheinlichkeit  hat 
die  letzte  Auffassung  für  sich,  da  um  den 
Beginn  des  10.  Jahrhunderts  wohl  kaum  mehr 
liturgische  Stauchen  zur  Verwendung  kamen, 
und  es  obendrein  fraglich  ist,  ob  man  je  in 
der  Mailänder  Kirchenprovinz  solche  gebraucht 
habe.  Auffallen  könnte  nur,  daß  in  dem  In- 
ventar einer  nichthischöflicheu  Kirche  Ponti- 
fikalhandschuhe erwähnt  werden.  Jedoch  läßt 
sich  das  hier  genügend  erklären.  Das  zweite 
Inventar  ist  überschrieben :  De  capella  domni 
Perengarii  (sie)  regis,  quando  ego  Adalbertus 
magistro  meo  Egilolfo  praesentavi.  Dieser 
Egilolf,  dem  der  Kustos  der  Schätze,  der 
Subdiakon  Adalbert,  bei  einer  Visitation  die 
ihm  anvertrauten  Geräte  und  Paramente  vor- 
wies ,  ist  aber  kein  anderer  als  Bischof 
Egilolf  von  Mantua,  der  in  einem  Dokument 
Berengars  von  902  zugleich  als  sacri  palacii 
nostri  archicapellanus  erscheint.  Es  ist  also 
leicht  zu  verstehen,  wenn  im  Inventar  Ponti- 
fikalhandschuhe erwähnt  werden. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalliandschuhe.  365 

verzeichnet  ein  Inventar  von  Clermont-Ferrand  neben  galeas  (caligas)  paria 
tria  gantos  paria  quattuor.  Im  letzten  Viertel  des  10.  Jahrhunderts  begegnen 
uns  liturgische  Handschuhe  im  Sinne  der  nachherigen  Pontifikalliandschuhe 
im  Inventar  von  Cremona  und  im  Sakramentar  Ratolds  von  Corbie,  hier  unter 
dem  Namen  manicae1.  Das  letztere  weist  den  Bischof,  der  sich  zur  Feier  des 
heiligen  Opfers  rüsten  will,  an,  zunächst  sich  mit  den  pontifikalen  Strümpfen, 
den  Sandalen,  dem  Amikt,  Cingulum  und  Balteus,  der  Stola  und  Tunika  zu 
bekleiden,  dann  die  Hände  zu  waschen  und  sich  das  Haar  ordnen  zu  lassen. 
Hierauf  soll  der  Minister  ihm  die  manicae  anziehen  und  an  die  rechte  Hand 
über  die  manica,  die  hier  offenbar  einen  Handschuh,  und  zwar  einen  sog. 
Fingerhandschuh,  bedeutet,  den  bischöflichen  Ring  legen.  Der  Bischof  hat  die 
manicae  zu  behalten,  bis  er  nach  Entgegennahme  der  Opfergaben  die  Hände 
wäscht.  Dann  soll  er  sich  ihrer  entledigen  und  des  weiteren  ohne  Hand- 
schuhe fungieren.  Auch  der  um  1030  zusammengestellte,  unter  dem  Namen 
Missa  Illyrica  bekannte  Ordo  kennt  die  Pontifikalliandschuhe  bereits,  wie  aus 
der  Rubrik  ad  induendas  manus  erhellt 2. 

Welche  Verbreitung  die  liturgischen  Handschuhe  während  des  10.  Jahr- 
hunderts hatten,  läßt  sich  nicht  feststellen.  Groß  wird  dieselbe  aber  damals 
noch  nicht  gewesen  sein,  da  des  Ornatstückes  nur  in  dem  Sakramentar  von 
Corbie  Erwähnung  geschieht.  Alle  übrigen  schweigen  von  demselben.  Freilich 
ist  nicht  zu  übersehen,  daß  die  Pontifikalien  und  Sakramentare  damaliger  Zeit 
überhaupt  über  die  Pontifikalkleidung  nur  wenig  Angaben  machen,  wie  sie 
selbst  mit  Rubriken  erst  spärlich  versehen  erscheinen.  Indessen  sind  ja  auch 
sonstige  Nachrichten  über  die  Existenz  der  Pontifikalliandschuhe  im  10.  Jahr- 
hundert noch  selten.  Denn  es  sind  im  ganzen  doch  nur  vier  Inventare,  welche 
solche  erwähnen. 

Zu  Rom  muß  die  Verwendung  liturgischer  Handschuhe  sicher  schon  in 
der  ersten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  heimisch  gewesen  sein,  da  seit  1075 
der  Apostolische  Stuhl  wiederholt  einzelnen  Äbten  das  Privileg  erteilt,  wie 
die  bischöfliche  Dalmatik,  die  Sandalen  und  Mitra,  so  auch  die  chirothecae 
zu  gebrauchen. 

Allerdings  folgt  aus  einer  solchen  Gewährung  der  Befugnis,  die  Handschuhe  zu 
tragen,  an  sich  noch  nicht,  daß  man  sich  auch  zu  Eom  ihrer  beim  Gottesdienst  be- 
dient habe.  So  gestattete  der  Papst  im  11.  und  12.  Jahrhundert  mehrfach  Bischöfen 
den  Gebrauch  des  Bationale  3,  ohne  daß  dieses  jemals  ein  Bestandteil  der  römischen 
Pontifikalkleidung  gewesen  wäre.  In  unserem  Falle  liegt  die  Sache  indessen  anders, 
da  ja  die  Pontifikalhandschuhe  nicht  lange  nachher  tatsächlich  auch  als  Ornatstück 
des  römischen  Ritus  sich  nachweisen  lassen  \ 

Ob  aber  die  römische  Kirche  auch  schon  im  10.  Jahrhundert  die  sakrale 
Handbekleidung  gekannt  habe,  ist  unsicher.  Wohl  gibt  es  zwei  Bullen  Io- 
hannes'  XV.  aus  den  Jahren  986  und  993 5,  in  welchen  der  Papst  den  Äbten 
der  Klöster  Cielo  d'Oro  zu  Pavia  und  Braunau  die  Erlaubnis  erteilt,  sich  der 
Pontifikalhandschuhe    zu    bedienen.     Doch    gestatten   dieselben    nicht    einmal 


1  M  art.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  11 ;  I  203.  die  Hände  der  Leiche  mit  den  Pontifikalhand- 

2  Ebd.  ordo  4;  I  177.  schuhen  bekleidet  (Grimaldi,  Instrum.  au- 

3  Über    das   Rationale,    einen   liturgischen  thent.  translat.  ss.  corporum  et   ss.   reliqua- 
Sclmlterschmuck,  s.  unten  Abschnitt  4.  rum  e  veteri  in  moram  principis  apostolorum 

4  Als     im     Jahr    1606     gelegentlich     des  basilicam     (Bibl.     Vatic,     Barber.     XXXIV, 
Neubaues    der   Peterskirche   das    Grab    Ha-  n.  49,  f.  184v). 

drians  IV.  (f  1159)  eröffnet  wurde,  fand  man  5  J.  n.  3826  3849. 


366     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

einen  sichern  Schluß  auf  die  Verwendung  liturgischer  Handschuhe  außerhalb 
Koms,  weil  beide  Schriftstücke  nicht  zuverlässig  sind. 

Interessant  ist  es,  daß  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts 
Honorius  in  seiner  fiemma  animae  den  Gebrauch  der  Pontifikalhandschuhe 
auf  die  Apostel  zurückführt l,  freilich  ohne  auch  nur  im  geringsten  einen 
Beweis  dafür  zu  versuchen.  Und  doch  waren  erst  200  Jahre  verflossen,  seit- 
dem die  Handschuhe  unter  den  liturgischen  Gewändern  einen  Platz  erhalten 
hatten.     So  rasch  geraten  Dinge  oft  in  Vergessenheit. 


III.  DIE  PONTIFIKALHANDSCHUHE  IM  XII.  UND  XIII.  JAHRHUNDERT. 

Von  den  Liturgikern,  welche  um  die  Wende  des  11.  und  in  der  ersten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  schrieben,  schweigen  Ivo  von  Chartres  und  Rupert 
von  Deutz  bezüglich  der  Pontifikalhandschuhe.  Bei  Ivo  mag 
das  einigermaßen  auffallen,  bei  Rupert  kaum,  da  dessen 
Behandlung  der  Sakralkleidung  auch  sonst  lückenhaft  ist. 
Von  Belang  ist  aber  nicht  einmal  das  Schweigen  des  Bischofs 
von  Chartres,  da  ja  seine  Zeitgenossen  Bruno  von  Segni, 
Honorius  und  Gilbert  von  Limerick  die  .Handschuhe  aus- 
drücklich zu  dem  bischöflichen  Sakralornat  rechnen. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  zählen  der 
Verfasser  des  Speculum  mysteriorum  ecclesiae  sowie  Robert 
Paululus  die  chirothecae  zu  den  specifisch  bischöflichen  Ge- 
wändern, um  1200  tun  solches  Sieard  und  Innozenz  III. 
Novem  autem  sunt  ornamenta  pontificum  specialia,  videlicet 
caligae,  sandalia,  succinctorium,  tunica,  dalmatica,  mitra  et 
chirothecae,  anulus  et  baculus,  sagt  letzterer. 

Unter   den    römischen    Ordines    Mabillons    spricht    erst 
der  13.  von   den   chirothecae2.     Sie  erscheinen   in   ihm   als 
Bestandteil  der  Pontifikalkleidung  des  Papstes.    Der  14.  Ordo 
erwähnt  außer  den  Sakralhandschuhen  des  Papstes  auch  die- 
jenigen der  Kardinalbischöfe3.    Daß  im  10.,  11.  und  12.  Ordo 
Mabillons,  welche  allesamt  dem  12.  Jahrhundert  entstammen, 
die  Pontifikalhandschuhe  nicht  vorkommen,  erklärt  sich  durch 
den  Umstand,  daß  dieselben  überhaupt  von  der  liturgischen 
Kleidung  nirgends  eingehender  handeln  und  nur  das  eine  oder 
andere  Gewand  gelegentlich  und  fast  wie  durch  Zufall  nennen. 
In  den  Weihe-Ordines  begegnen   uns  die  Handschuhe   schon   gegen  das 
12.  Jahrhundert,    wenngleich   erst   sehr   vereinzelt4.      Doch   werden   sie   bald 
auch  schon  in  dem  Ritus  der  Benedictio  abbatum  erwähnt6. 

Auf  den  Monumenten  treten  die  Pontifikalhandschuhe  auffälligerweise 
in  ziemlich  später  Stunde  auf.  Im  12.  Jahrhundert  sind  die  Bildwerke,  auf 
welchen   sie   uns  begegnen,    noch  äußerst  selten.     Genannt  sei  das  prächtige 


Bild  171. 

Armreliquiar. 

Essen,  Münstei-scnatz. 

(Nach  Humann.) 


1  L.  1,  c.215  (M.  172,  609).  Chirothecarum 
usus  ab  apostolis  —  nicht  epistolis,  wie  bei 
Hittorp  und  Migne  steht  —  traditus  est. 
Honorius  folgen  oder  besser  schreiben  ab : 
Robert  Paululus,  De  caerimoniis,  sacramentis 
et  offic.  eccl.  1.  1,  c.  56  (M.  177,  406),  Sicard, 
Mitralis  1.  2,  c.  5  (M.  213,  79)  und  Durandus, 
Rationale   1.  3,  c.  12    (a.  a.  O.  f.  75).     Bei 


Durandus    heißt    es:    Pontifex    iuxta    ritum 
apostolorum  manus  operit  chirothecis. 

2  N.  6    (M.  78,  1108). 

3  C.  48  53  (ebd.  1153  1157). 

4  Mart.  1.   1,  c.  8,  art.  11,  ordo  8  (Ponti- 
fikale  von  Salzburg);  II  53.     Hitt.  109. 

6  Ebd.  157.  Mart.  1.  2,  c.  1,  ordo  3  (Ponti- 
n'kale  von  Besancon) ;  II   153. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandsehuhe. 


367 


Armreliquiar  mit  Reliquien  des  hl.  Basilius  im  Schatz  der  Münsterkirche  zu 
Essen  (Bild  171).  Horizontale  Reihen  kleiner  schräger  Linien,  die  sich  in 
der  einen  nach  rechts  und  in  der  folgenden  nach  links  neigen,  deuten  die 
Technik  an,  in  welcher  sich  der  Künstler  den  Handschuh  hergestellt  dachte1. 
Zahlreicher  werden  bildliche  Darstellungen  mit  Wiedergabe  der  Pontifikal- 
handsehulie erst  nach  1200,  besonders  seit  1250 2.  Um  diese  Zeit  finden 
sie  sich  auch  zuerst  auf  den  Siegeln,  so  z.  B.  auf  dem  Siegel  Roberts  von 
Beauvais  (1237—1248),  Thomas'" von  Reims  (1251—1263),  Wilhelms  von 
Sens  (1258—1267),  Erhards  von  Auxerre  (1271—1279),  Guidos  von  Bourges 
(1276 — 1281) 3,  Johannes'  von  Langres  (1295 — 1305),  Siegfrieds  von  Augsburg 
(1208—1227),  Hermanns  von  Halberstadt  (1296—1304),  Siegfrieds  von  Köln 
(1275—1297),  Heinrichs  II.  von  Mainz  (1286—1288)*  u.  a.  Auch  auf  den 
Bischofsbildern  des  Gundekar-Pontifikale  zu  Eichstätt  zeigen  sich  die  Handschuhe 
erst  bei  Reimboto  von  Meilenhard  (f  1297),  also  erst  um  das  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts 5.  Der  Grund,  warum  die  Handschuhe  bis  ins  13.  Jahrhundert 
hinein  nur  selten  auf  den  Bildwerken  auftreten,  mag  teils  in  der  Schwierig- 
keit liegen,  welche  ihre  bildliche  Wiedergabe  den  Künstlern  bot,  teils  vielleicht 
in  dem  Umstand,  daß  sie  bis  dahin  als  ein  wenig  bedeutsames  Ornatstück 
galten.  In  der  Tat  konnte  die  geringe  Verwendung,  die  sie  in  der  Liturgie 
fanden,  ihnen  nur  einen  sehr  untergeordneten  Wert  verleihen.  Es  mag  selbst 
einigermaßen  fraglich  sein,  ob  die  Handschuhe  schon  vor  der  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts allgemein  bei  den  Bischöfen  in  Gebrauch  gewesen  sind.  Wenigstens 
ist  es  auffallend,  daß  in  den  Inventaren  bis  dahin  fast  nur  ausnahmsweise 
von  Pontifikalhandschuhen  die  Rede  ist.  Auf  den  Siegeln  kommen  die  Hand- 
schuhe erst  vor,  oder  vielleicht  besser,  sind  sie  erst  erkennbar,  als  sich  ihr 
unteres  Ende  zu  einer  Art  von  weiten  Stulpen  entwickelt  hatte. 

IV.  VERLEIHUNG  DES  USUS  CHIROTHECARUM  AN  NICHTBISCHÖFE. 

Die  Sakralhandschuhe  erscheinen  niemals  als  ein  spezifisch  römisches 
Ornatstück  wie  die  Dalmatik,  die  Sandalen,  die  Caligae  und  die  Mitra.  Nirgends 
findet  sich  insbesondere  eine  Andeutung,  daß  jemals  der  Apostolische  Stuhl 
einen  Bischof  mit  dem  Recht,  sich  ihrer  zu  bedienen,  begabt  hätte.  Da- 
gegen hatten  die  liturgischen  Handschuhe  nach  römischem  Brauch  und  Recht 
stets  den  Charakter  eines  bischöflichen  Sondergewandstückes,  welches  Nicht- 
bischöfen  nur  kraft  einer  päpstlichen  Ermächtigung  zustand.  Die  ersten  Bei- 
spiele einer  solchen  bringt  das  Pontifikat  Johannes'  XV.,  welcher,  wie  schon 
erwähnt  wurde,  die  chirothecae  dem  Abte  der  Klöster  S.  Pietro  in  Cielo  d'Oro  6 


'G. Humann, Die  Kunstwerke  der  Münster- 
kirche  zu  Essen,  Düsseldorf  1904,  Tfi  39, 
S.  291.  Der  Verfasser  hat  nicht  beachtet, 
daß  die  Hand  des  Armreliquiars  einen  Hand- 
schuh aufweist. 

2  Hervorragende  Beispiele  liefert  das  Bild- 
werk der  Portale  französischer  Kathedralen, 
wie  Chartres,  Amiens  und  Reims. 

3  Roh.  VIII  195. 

4  Würdtwein,  Nova  subsidia  IV,  tab.  21. 

5  Sonstige  Beispiele  aus  derselben  Zeit 
siehe  bei  Roh.  VIII  196,  pl.  dclxxix,  sowie 
bei  Barraud,  Des  gants  dans  les  ceremonies 
religieuses  (Bullet,  mon.  1867,  22  f).    Wegen 


der  französischen  Bischofssiegel  vgl.  auch 
G.  Demay,  Le  costume  au  moyen  äge  d'apres 
les  sceaux,  Paris  1880,  293  :  IIs  ne  paraissent 
sur  les  sceaux  d'un  facon  distinete ,  mais 
saus  details  que  vers  le  milieu  du  13e  siecle. 
6  J.  n.  3826.  Die  Bulle  scheint  zum  mindesten 
interpoliert  zu  sein.  Es  existiert  eine  ganze 
Reihe  von  Bullen,  in  welchen  dem  Abte  von 
S.  Pietro  in  Cielo  d'Oro  neben  andern  be- 
deutsamen Privilegien  das  Vorrecht  verliehen 
wird,  sich  bischöflicher  Ornatstücke,  wie  der 
Dalmatik,  der  Sandalen,  der  Handschuhe  und 
später  auch  der  Mitra,  zu  bedienen.  Eines 
dieser    Dokumente,    eine    Bulle    Kalixts    IL 


368     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


und  Braunau  verlieh1,  wofern  es  mit  den  betreffenden  Bullen  seine  Richtig- 
keit hat.  Jedoch  ist  das  sehr  fraglich,  da  die  darin  gewährten  Privilegien 
im  Vergleich  mit  denjenigen,  welche  in  unzweifelhaft  echten  Bullen  noch 
in  der  ersten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  verliehen  werden,  ungewöhnlich 
weit  gehen.  Namentlich  gilt  das  von  dem  Braunauer  Dokument.  Überhaupt 
lassen  sich  sichere  Verleihungen  des  Privilegs  erst  um  das  letzte  Viertel 
des  U.  Jahrhunderts  nachweisen.  Wohl  liegen  zwei  Bullen  vor,  in  denen 
Leos  IX.  dem  Abt  Balduin  von  S.  Pietro  in  Cielo  d'Oro2  und  dem  Abt  Jo- 
hannes von  S.  Giustina  zu  Padua 3  den  usus  chirothecarum  gewährt.  Allein 
das  erste  dieser  Dokumente  ist  nicht  über  alle  Zweifel  erhaben,  das  zweite 
sicher  eine  Fälschung.  Wenn  aber  die  Chronik  von  Monte  Cassino  berichtet, 
Leo  habe  dem  Abt  Richerius  daselbst  gestattet,  sich  der  Pontifikalhandschuhe 
zu  bedienen4,  so  beruht  diese  Angabe  auf  einem  Irrtum  des  Chronisten. 

Allerdings  mag  Leo  dem  Abte  die  Erlaubnis  erteilt  haben,  sich  gewisser  Ponti- 
fikalien  zu  bedienen ;  doch  muß  diese  sich,  auf  die  Sandalen  und  die  Dalmatik  be- 
schränkt haben.  Das  beweisen  die  noch  vorhandenen  Bullen  Viktors  IL  (1057) 5 
und  Nikolaus'  II.  (1059) 6,  welche  des  Eicherius  Nachfolgern,  den  Äbten  Friedrich 
und  Desiderius,  nur  das  Privileg  zu  teil  werden  lassen,  Sandalen  und  Dalmatik  zu 
tragen.  Hätte  Leo  IX.  ihrem  Vorgänger  schon  den  usus  chirothecarum  gestattet,  so 
wäre  die  Nichterwähnung  der  Handschuhe  in  den  Bullen  Viktors  und  Nikolaus'  kaum 
erklärlich. 

Die  erste  Urkunde,  an  deren  Zuverlässigkeit  ein  ernster  Zweifel  wohl 
nicht  mehr  erhoben  werden  kann,  ist  die  Bulle,  in  welcher  Alexander  IV. 
1070  dem  Abt  von  S.  Pietro  in  Cielo  d'Oro  den  usus  chirothecae  zugesteht7. 

Urban  IL  verleiht  dann  die  chirothecae  1088  dem  Abte  Hugo  von  Cluny8, 
Paschalis  IL  1105  Anselm  von  S.  Pietro  in  Cielo  d'Oro9,  dann  1109  Pontius  von 
Cluny  lu  und  1113  Johannes  von  Nonantula  u.  Der  Afterpapst  Anaklet  IL  erfreut 
1130  mit  ihnen  Simon  von  Eastede  in  Oldenburg12  und  zwischen  1131  und  1136  Franco 
von  S.  Sophia  zu  Benevent 13.  Honorius  IL  gewährt  den  Gebrauch  der  Pontifikal- 
handschuhe 1125  dem  Abt  Tribunus  von  S.  Giorgio  Maggiore  zu  Venedig  '*,  Alexander  III. 
aber  1159  Eainald  von  Monte  Cassino15,  1169  Marin  von  La  Cava16  und  1176  dem 
Abte  des  von  Wilhelm  IL  gegründeten  Klosters  Monreale  auf  Sizilien  n.  Die  Echtheit 
aller  dieser  Privilegien  steht  außer  Frage;  es  kamen  somit  die  Handschuhe  schon 
sicher  seit  etwa  dem  letzten  Viertel  des  11.  Jahrhunderts  bei  einzelnen  Äbten  kraft 
einer  besondern  päpstlichen  Ermächtigung  zur  Verwendung. 

Es  muß  übrigens  auffallen ,  daß  der  usus  chirothecarum  verhältnismäßig  nicht 
gerade  häufig  den  Äbten  zu  teil  wird.     Selbst  das  Eecht,   die  Mitra  zu  tragen,  wird 


vom  11.  April  1120  für  Abt  Balduin,  ist 
sicher  unecht  (J.  n.  6841).  Folgt  daraus  zwar 
nicht,  daß  auch  die  übrigen  Fälschungen 
sind ,  so  ist  doch  die  Unechtheit  der  Bulle 
Kalixts  dem  Vertrauen  auf  die  Zuverlässig- 
keit der  andern  nicht  gerade  förderlich 
(Pflugk-Harttung  II  74).  Die  Ponti- 
fikalstrümpfe,  welche  in  den  späteren  Bullen 
nicht  mehr  genannt  werden ,  heißen  in  der 
Bulle  Johannes'  XV.  auffälliger-  und  un- 
gewöhnlicherweise pedules. 

1  J.  n.  3849.  Die  Bulle  ist  unzweifelhaft 
interpoliert.  Fraglich  ist  nur,  was  Einschiebsel 
ist.  Die  mitra  gehört  jedenfalls  nicht  dem 
ursprünglichen  Text  an;  sie  findet  sich  in 
der  Tat  nicht  in  der  Rezension  bei  Ludewig, 
Reliquiae  manuscr.  dipl.  VI  54.    Unverständ- 


lich ist,  was  die  mapilla  (M.  137,  847) 
bzw.  die  manipularii  bei  Ludewig  bedeuten 
sollen.  Ob  Baldachin  bzw.  Baldachinträger'? 
2  J.  n.  4233.  Hier  heißen  die  Pontifikal 
strumpfe  richtig  nach  römischem  Brauch 
udones,  sie  werden  jedoch  merkwürdigerweise 
doppelt  erläutert:  i.  e.  licinis  sive  pedulibus. 

3  Ebd.  n.  4300. 

4  Chron.    Cassin.   1.  2,    c.  79  (M.  G.  SS. 
VII  683). 

6  J.  n.  4368. 

7  Ebd.  n.  4679. 
9  Ebd.  n.  6011. 

11  Ebd.  n.  6354. 
13  Ebd.  n.  8428. 
15  Ebd.  n.  10594. 
17  Ebd.  n.  12683. 


6  Ebd.  n.  4397. 
8  Ebd.  n.  5372. 

10  Ebd.  n.  6242. 
12  Ebd.  n.  8372. 

11  Ebd.  n.  7211. 
16  Ebd.  n.  11591. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandschuhe.  .  369 

ihnen  weit  öfter  gewährt  als  der  Gebrauch  der  Pontifikalhandschuhe.  So  wurde  schon 
1063  Egelsinus,  Abt  vom  Augustinuskloster  zu  Canterbury,  und  1078  Manasses,  Abt 
von  Bergues,  mit  der  pontilikalen  Kopfbedeckung,  nicht  aber  mit  den  Handschuhen  aus- 
gezeichnet. Noch  zur  Zeit  des  hl.  Bernhard  kann  der  usus  chirothecarum  bei  den  Äbten 
nur  wenig  verbreitet  gewesen  sein.  Wenn  der  Heilige  nämlich  in  seinem  Brief  an  Bischof 
Heinrich  von  Soissons  einige  Äbte  wegen  ihrer  übermäßigen  Sucht  nach  pontifikalen 
Ornatstücken  bitter  tadelt,  so  versteht  er  darunter  bloß  Dalmatik,  Mitra  und  Sandalen. 
Immerhin  ist  es  beachtenswert,  daß  schon  im  12.  Jahrhundert  die  chirothecae,  wenn- 
gleich nur  vereinzelt,  im  Ritus  der  Abtsbenediktion  erwähnt  werden  ',  und  noch  mehr, 
daß  sich  1100  die  Synode  von  Poitiers  veranlaßt  sah,  den  Äbten  das  Tragen  der 
Pontifikalhandschuhe  ausdrücklich  zu  verbieten ,  falls  ihnen  solches  nicht  durch  ein 
Privileg  von  dem  Apostolischen  Stuhle  gestattet  worden  sei t. 

V.    FORM  UND  HERSTELLUNGSWEISE  DER  PONTIFIKAL- 
HANDSCHUHE. 

Die  pontifikalen  Handschuhe  des  10.  und  11.  Jahrhunderts  waren,  wie 
sich  aus  dem  Sakramentar  von  Corbie  ergibt,  sog.  Fingerhandschuhe.  Das 
ist  aber  auch  das  einzige,  was  wir  über  dieselben  wissen,  da  über  ihre  sonstige 
Beschaffenheit  keinerlei  Nachrichten  vorliegen.  Die  Inventare,  welche  Hand- 
schuhe erwähnen,  begnügen  sich  damit,  die  Zahl  der  Paare  zu  nennen.  Über 
Stoff,  Farbe  und  Ausstattung  schweigen  sie. 

Im  12.  und  13.  Jahrhundert  werden  die  bischöflichen  Handschuhe  mehr- 
fach als  inconsutiles  bezeichnet,  so  in  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts 
von  Honorius  und  einem  Pontifikale  von  Besancon 3,  um  1200  von  Sicard 
und  einem  Pontifikale  von  Reims4  und  im  letzten  Viertel  des  13.  Jahrhunderts 
von  Durandus.  Da  aus  Stoffstücken  (Seide,  Wollzeug,  Leinen)  zusammen- 
genähte Gewänder  offenbar  nicht  inconsutiles,  ungenäht,  heißen  können, 
müssen  also  die  Pontifikalhandschuhe  im  11.  und  12.  Jahrhundert  vielfach 
aus  einem  nahtlosen  Gewebe  bestanden  haben.  In  der  Tat  stellen  die  bischöf- 
lichen Handschuhe,  welche  in  St-Sernin  zu  Toulouse  aufbewahrt  und  dem 
13.  Jahrhundert  zugeschrieben  werden,  sowie  diejenigen  des  hl.  Ludwig  von 
Anjou  (f  1297)  zu  Brignoles  eine  Art  von  Trikot  dar.  Auch  die  Handschuhe  in 
S.  Trinitä  zu  Florenz,  welche  dem  hl.  Bernardo  degli  Uberti  zugeeignet  werden 
(Bild  172,  S.  370),  jedenfalls  aber  dem  12.  oder  doch  dem  frühen  13.  Jahrhundert 
angehören,  sind  mit  der  Nadel  gearbeitet.  Sie  sind  nicht  gestrickt,  sondern 
stellen  eine  eigenartige  Maschenarbeit  dar,  wie  sie  uns  auch  bei  einem  Paar 
Pontifikalstrümpfen  in  der  Kirche  zu  Delsberg  (Schweizer  Jura)  begegnet.  In 
derselben  Technik  waren  auch  die  Handschuhreste  gearbeitet,  die  man  in 
einem  Bischofsgrab  im  Speierer  Dom  fand,  als  man  die  Gräber  im  Königs- 
chor daselbst  öffnete.  Sie  ist  ferner  angedeutet  auf  dem  Handschuh  des  schon 
erwähnten  Armreliquiars  der  Münsterkirche  zu  Essen  aus  dem  12.  Jahrhundert. 
Ebenso  machen  die  Handschuhe  bei  einzelnen  der  Bischofsstatuen,  welche  den 
südlichen  und  nördlichen  Portalbau  der  Kathedrale  von  Chartres  schmücken, 
den  bestimmten  Eindruck,    als  sollten  sie  ein  durch  Nadelarbeit  hergestelltes 


1  DasBenediktionsformular  wird  irrig  Theo-  dors  (H.  J.  Schmitz,  Die  Bußbücher,  Mainz 
dor  von    Canterbury  (f   690)    zugeschrieben,  1883,  540;  über  Theodors  Autorschaft  510  ff). 
so  von  B  o  n  a  (Rerum  liturg.  1.  1,  c.  24,  §  12  ;  2  C.  5  M.  S  d  r  a  1  e  k  ,  Wolfenbüttler  Frag- 
il 247)  und  noch  von  de  Linas  (Revue  1861,  mente,  Münster  1891,  137. 
639).    Nur   der  kurze  einleitende  Kanon    ist  3  Mart.  1.  2,  c.  1,  ordo  3;  II  153. 
aus  c.  3  des  fälschlich  sog.  Pönitentiale  Theo-  *  Ebd.  ordo  6;  II  156. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  24 


370     Drittel- Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Gewebe  wiedergeben1.     Auch  im  14.  und  15.  Jahrhundert  waren  chirothecae 
inconsutiles  in  Gebrauch. 

So  waren  die  Handschuhe,  welche  man  .1605  an  den  Händen  der  Leiche  Boni- 
fatius'  VIII.  fand  -,  gemäß  dem  über  die  Eröffnung  des  Grabes  aufgenommenen  Protokoll 
ex  serico  albo  ad  acum,  also  durch  Nadelarbeit  und  nicht  aus  zusammengenähten  Seiden- 
stücken hergestellt.  Auf  der  Nadel  angefertigt  sind  auch  die  Handschuhe  Peters  von  Cour- 
palay  im  Cluny-Museum  zu  Paris  (Bild  173)  und  in  der  Stadtbibliothek  zu  Amiens3; 
ferner  ein  aus  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  stammender  Handschuh  in  St  Veit  zu  Prag 
(Bild  174),  zwei  aus  dem  15.  datierende  Handschuhpaare  im  Dom  zu  Brixen  (Bild  175 — 177, 
S.  372),  vier  um  den  Ausgang  des  15.  und  den  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  entstandene 
Handschuhe  im  Dom  zu  Halberstadt  (Bild  1 78 — 79,  S.  373)  und  ein  der  Frühe  des  1 6.  Jahr- 
hunderts, wie  es  scheint,  angehörendes  Handschuhpaar  in  St-Bertrand  zu  Comminges 4. 

Der  Handschuh   im  Cluny-Museum   ist  mittels   eines  un- 
gemein   feinen    Seidenfadens     im 
Schlingenstich     hergestellt;      alle 
andern     stellen     ein    trikotartiges 
oder  gestricktes  Gewebe  dar. 

Neben  den  auf  der  Nadel 

entstandenen      Pontifikalhand- 

schuhen  gab  es  aber  vom  12. 

bis  16.  Jahrhundert  auch  solche, 

die    aus    Stoffstücken    zu- 
sammengenäht    waren.      Von 

dieser  Art  sind   beispielsweise 

die    Handschuhe,    welche     in 

Conrlens  (Savoyen)  aufbewahrt 

werden  und  vielleicht  noch  ins 

13.  Jahrhundert   hineinreichen 

(Bild  180,  S.  373).  Sie  bestehen 

aus    einem    weißen,    auf    der 

Oberfläche  wolligen  Stoff  und 

wurden  hergestellt,  indem  man 

ein  Stück  Zeug  von  der  doppel- 
ten Breite  der  Handschuhe  und 

einer  Länge  von  27  cm  nahm, 

es  in  der  Mitte  faltete,  die 
Langseiten  zusammennähte,  oben  drei  Finger  hineinschnitt,  dieselben  ver- 
nähte und  dann  an  den  Seiten  in  schräger  Richtung  Daumen  und  kleinen 
Finger  ansetzte5. 


Bild  172. 

Pontifikalkandschuh. 

Florenz,  S.  Trinitä. 


Bild  173.   Pontifikalhandschuh 

Peters  von  Courpalay. 

Paris,  Musee  Cluny. 


1  Abbildung  bei  Bock  II,  Tfl  14  und  in 
Monographie  de  la  Cathedrale  de  Cbartres, 
Paris  1867,  pl.  xx. 

2  Bzovius,  Annal.  ad   1303,  XIV  52. 

3  Die  Handschuhe  stammen  aus  einem  Grab 
der  Kirche  Sfc-Germain-des-Pr6s  zu  Paris. 
Der  Pariser  Handschuh  (rechte  Hand)  wird 
in  seiner  Aufschrift  und  von  Rohault  de 
Fleury  (La  messe  VIII  193)  dem  Abt  Morard 
von  St-Germain-des-Pr6s  (990 — 1014) ,  von 
de  Linas  aber  (Revue  1861,  634)  dessen 
Nachfolger  Ingon  (1014  bis  ca  1025)  zu- 
geschrieben.   In  Wirklichkeit  barg  das  Grab 


den  Leichnam  des  1334  gestorbenen  Abtes 
Peter  von  Courpalay.  Vgl.  Näheres  Bullet, 
mon.  1867,  226.  Der  Handschuh  der  linken 
Hand  in  der  Stadtbibliothek  zu  Amiens 
scheint  Rohault  de  Fleury  und  de  Linas  nicht 
bekannt  gewesen  zu  sein.  Über  die  Technik, 
in  welcher  die  Handschuhe  hergestellt  sind, 
vgl.  Braun,  Winke  111  und  Bild  44. 

'  Abbildung  und  Beschreibung  in  Revue 
1861,  617  636.    Vgl.  auch  Bo  ck  II,  Tfl  19  4. 

5  Barbier  de  Montault,  Les  gants 
pontißcaux,  in  Bullet,  mon.  1876,  673.  Die 
Handschuhe    sollen    dem     hl.    Thomas    von 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalliandschuhe. 


371 


In  der  Neuzeit 
kamen  die  aus  Stoff- 
stücken verfertig- 
ten Pontifikalliand- 
schuhe außer  Ge- 
brauch. Der  hl.  Karl 

Borromäus       be- 
stimmte   ausdrück- 
lich :       Chirothecae 
episcopales  contex- 
tae  esse  debent1. 

Von  der  Größe 
der  Pontifikalliand- 
schuhe schweigen 
die  Liturgiker  des 
12.  und  13.  Jahr- 
hunderts. Die  Hand- 
schuhe, welche  sich 
zu  Conflens  erhal- 
ten haben,  besitzen 
eine      Länge      von 

27  cm,  reichen  also 
überdasHandgelenk 
hinaus.  Noch  etwas 
länger  sind  diejeni- 
gen, Avelche  sich  in 
St-Sernin  zu  Tou- 
louse befinden ;  sie 
kommen     bis     auf 

28  cm.     Bei  beiden 
Handschuhpaaren 

sind  die  Finger  im 
Verhältnis  zu  ihrer 
Länge  unverhältnis- 
mäßig   breit.      Die 

Brixener  Hand- 
schuhe sind  25  cm, 
die  Handschuhe  von 
St-Bertrand  zu  Com- 
minges  29  cm  lang. 
Auf  den  Bildwerken 
des  12.  und  13.  ' 
Jahrhunderts  gehen 

die      Handschuhe 
regelmäßig  über  das 
Handgelenk. 

Bis    ca    1250 
scheint    der   untere 


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V 


Bild  174.     Pontifikalhandschuh  im  Domschatz  zu  Prag. 
(Aus  Podlaha  und  Sittler,  Der  Domschatz  zu  Prag.) 


Canterbury   angehört   haben.     Doch   stimmt 
damit  nicht  die  Beschaffenheit  des  Börtchens, 


■welches  den  Einschlupf  umrandet  und  auf  eine 
spätere  Zeit  hinweist.  '  A.  E.  Med.  627. 

24* 


372     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Teil  der  chirothecae  kaum  breiter  gewesen  zu  sein  als  der  obere.  Seit  etwa 
der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  trifft  man  dagegen  auf  den  Monu- 
menten häufig  Handschuhe,  welche  sich  nach  dem  Einschlupfe  zu  stauchenartig 
erweitern  oder  besser,  mit  einem  stauchen-  oder  stulpenartigen  An- 
satz versehen  sind,  der  gern  mit  Stickereien  oder  sonstigem  Schmuck  verziert 
wurde.  Diese  Stulpen  hieß  man  manicalia  oder  pugnalia.  Sie  waren  vielfach 
so  eingerichtet,  daß  sie  leicht  vom  Handschuh  losgetrennt  werden  konnten, 
und  sie  werden  demgemäß  in  den  Inventaren  auch  wohl  für  sich  aufgeführt. 
Ein  vorzügliches  Beispiel  solcher  Handschuhstulpen  wurde  in  einem  Bischofs- 
grabe  im  Dom  zu  Spalato  gefunden  1.  Sie  zeichnen  sich,  wie  Bild  181,  S.  374 
bekundet,  durch  reiche  figürliche  Stickereien  aus. 

Nicht  selten  erweiterten  sich  die  Handschuhe  am  Einschlupf  so  sehr,  daß 
sie  zipfelartig  vom  Handgelenk  herunterhingen  (Bild  182,  S.  375).  An  dem  Ende 


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Bild  175 — 177.     Pontifikalhandschuhe.     Brixen,  Dom. 

des  Zipfels  wurde  als  Abschluß  gern  ein  Glöckchen  oder  Quästchen  angebracht. 
Solche  Handschuhe  müssen  im  14.  und  15.  Jahrhundert,  wenn  anders  wir  den 
zahlreichen  bildlichen  Darstellungen  (Gemälden  wie  Skulpturen)  Glauben  schenken 
dürfen,  namentlich  in  Deutschland,  England  und  Frankreich  beliebt  gewesen 
sein.  Allgemein,  wie  man  wohl  gesagt  hat,  waren  sie  jedoch  damals  nicht 
im  Gebrauch.  Das  beweisen  zur  Genüge  die  aus  dem  14.  und  15.  Jahrhundert 
noch  erhaltenen  Beispiele  von  Pontifikalliandschuhen,  welche  fast  alle  der 
stauchenartigen  Erweiterung  am  Einschlupf  entbehren. 

Auch  in  der  Neuzeit  wurden  die  Pontifikalhandschuhe  trotz  allem  Wechsel  in  Mode 
und  Geschmack  vor  wie  nach  gern  mit  stauchenartigen  Ansätzen  versehen.  So  blieb  es 
selbst  noch  im  18.  Jahrhundert,  wie  unter  andern  eine  Anzahl  aus  dieser  Zeit  stammender 
Beispiele  im  Dom  zu  Würzburg,  im  Münster  zu  Freiburg  im  Breisgau  (Bild  183,  S.  375), 
zu  Kamp  am  Niederrhein  (Bild  181,  S.  376)   und   im   bayrischen  Nationalmuseum  zu 


Mitt.  1887,  LXXXVIII. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontiflkalhandschuhe. 


373 


München  bekunden.  Wenn  Bock  klagt ':  „Im  18.  und  vollends  in  den  ersten  Jahrzehnten 
des  19.  Jahrhunderts  erlitten  die  bischöflichen  Handschuhe  eine  solche  verflachende  und 
modernisierende  Umformung,  daß  sie  in  neuester  Zeit 
hinsichtlich  des  Schnittes  und  der  stofflichen  Ausdehnung 
in  manchen  Diözesen  so  ziemlich  mit  fein  gewirkten 
Salonhandschuhen  über- 
einstimmen ;  die  alte 
Dauerhaftigkeit  und  Ge- 
diegenheit, desgleichen 
die  althergebrachte  Ver- 
zierungsweise, die  Erwei- 
terung des  untern  orna- 
mentalen Saum  es  mW  eise 
von  breiten  Stulpen,  die 
den  bischöflichen  Hand- 
schuhen ein  kirchliches 
Äufäere  geben,  sind  heute 
gänzlich  verschwunden", 
so  ist  das  ihm  zwar  wie- 
derholt nachgeschrieben 
worden,  aber  nichtsdesto- 
weniger zum  mindesten 
stark  übertrieben.  Pon- 
tiflkalhandschuhe ohne 
Stulpen  und  ohne  jede 
Erweiterung  hat  es  selbst 
in  den  besten  Zeiten  des 
Mittelalters  übergenug 
gegeben 

hinein  nicht  an  Handschuhen  gefehlt  hat,  welche  mit  Ansätzen 
versehen  waren.  So  namentlich  zu  Rom,  wo  mit  solchen 
stauchenartigen  Endstücken  ausgestattete  Pontiflkal- 
handschuhe bis  jetzt  in  Gebrauch  blieben.  Die  litur- 
gischen Handschuhe  haben  überhaupt  bis  in  die  Gegen- 
wart durchweg  eine  durchaus  würdige  Form  bewahrt, 
falls  man  nicht  mit  Bock  ganz  unzutreffenderweise 
meint,  weite,  lang  herabhangende  Stulpen  seien  das, 
was  den  Pontifikalhandschuhen  ein  kirchliches  Aussehen 
gebe.  Denn  in  diesem  Falle  müßte  man  ja  nicht  nur 
allen  Handschuhen  des  11.  und  12.  Jahrhunderts,  son- 
dern auch  sehr  vielen  des  13.,  14.  und  15.  wie  der 
Folgezeit  den  Charakter  der  Unkirchlichkeit  zuerkennen. 
Außerdem  erfreute  sich  zur  selben  Zeit,  als  die  trichter- 
förmigen, unten  in  eine  Spitze  endigenden  Stauchen  an 
den  pontifikalen  chirothecae  üblich  waren,  nicht  minder 
die  profane  Handbekleidung  dieser  Ansätze;  ja  es  dürfte 
wohl  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  daß  sie  bei  den 
Pontifikalhandschuhen  aufkamen,  weil  sie  bei  den  pro- 
fanen Mode  geworden  waren.  Immerhin  kann  durchaus 
empfohlen  werden ,  bei  Herstellung  von  Pontifikal- 
handschuhen denselben  unten  eine  entsprechende 
stauchenartige  Erweiterung  zu  teil  werden  zu  lassen,  Bild  180  pontifikalhandschuh. 
da  ihnen  eine  solche  nur  zur  Zier  gereicht.  Conflens,  Savoyen. 


Bild   178 — 179.      Pontifikalhandschuhe.      Halberstadt,  Dom. 


während  es  umgekehrt  die  ganze  Neuzeit  hindurch  bis  ins  19.  Jahrhundert 


die  sich  erbreiterten, 


1  Geschichte  II  148. 


374     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

VI.   AUSSTATTUNG  DER  LITURGISCHEN   HANDSCHUHE. 

Bezüglich  der  Ausstattung  unseres  Ornatstückes  sagt  Innozenz  III. : 
Chirotheca  circulum  aureum  desuper  habet.  Er  versteht  unter  dem  circulus 
ein  auf  dem  Handschuh  in  der  Mitte  des  Handrückens  angebrachtes  goldenes 
oder  vergoldetes,  mehr  oder  wenig  verziertes  Plättchen  (Bild  185,  S.  376).  Es 
hieß  auch  wohl  tassellus,  fibula,  monile,  paratura  und  ähnlich  und  war  meist 
von  runder  Gestalt;  doch  gab  es  auch  vierpaß-  und  rosettenförmige,  rauten- 
förmige u.  a.  Zu  seiner  Verzierung  dienten  Edelsteine,  Perlen  und  namentlich 
figürliche  oder  symbolische  Darstellungen,  die  bald  bloß  graviert,  bald  reich  in 
Email  ausgeführt  waren.  So  waren  von  den  Zierplättchen  der  Handschuhe  im 
Schatz  des  Apostolischen  Stuhles,  worin  sie  esmalti  genannt  werden,  nach  dem 


Bild  181.     Stulpen  eines  Handschuhpaares  aus  einem  Bischofsgrab.     Spalato,  Dom. 

Inventar  von  1295  zwei  aus  Gold  gemacht  und  in  Email  mit  Bildchen  der 
Auferstehung  und  Darstellung  im  Tempel  geschmückt.  Zwei  andere  be- 
standen aus  Silber;  das  Emailbildchen,  mit  dem  sie  versehen  waren,  um- 
gaben kleine  Granaten,  Saphire  und  Rubine.  Ein  drittes  Paar  trug  einen 
orientalischen  Saphir,  den  ein  Kranz  kleinerer  Edelsteine  umstand.  Von  losen 
esmalti,  die  sich  gerade  nicht  auf  Handschuhen  befanden,  wies  ein  Paar  Maria 
bzw.  das  Lamm  Gottes  auf;  auf  einem  zweiten  sah  man  die  sog.  Majestas 
und  Maria,  auf  einem  dritten  den  Erlöser  und  Maria,  auf  einem  vierten  (es 
wird  als  aus  Paris  stammend  bezeichnet)  die  Verkündigung  und  Maria  mit 
dem  Jesuskind.  Als  Darstellungen,  welche  auf  den  circuli  angebracht  zu 
werden  pflegten,  waren  neben  dem  Bilde  des  Heilands  und  der  Gottesmutter 
besonders  beliebt  das  Lamm  Gottes,  die  segnende  Rechte  Gottes  und  das 
Kreuz.  Man  bevorzugte  sie  vor  andern  ohne  Zweifel  im  Hinblick  auf  das 
heilige  Meßopfer,   bei   dem   sich  der  Bischof  der   chirothecae   bediente.     Das 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandschuhe. 


375 


Kreuz  wies  darauf  hin,  daß  sich  unter  den  Händen  des 
Pontifex  das  Kreuzopfer  von  Golgatha  zwar  unblutig,  aber 
wirklich  erneuere;  das  Lamm  Gottes  erinnerte  an  die  Opfer- 
gabe, welche  der  Bischof  mystisch  auf  dem  Altare  schlachtet ; 
die  segnende  Hand  Gottes  aber  symbolisierte  die  Allmacht 
Gottes,  in  deren  Kraft  der  Stellvertreter  Christi  Brot  und 
Wein  in  den  Leib  und  das  Blut  des  Heilandes  wandelt. 

Zierplättchen  finden  sich  noch  an  den  Pontifikalhandschuhen 
in  St-Sernin  zu  Toulouse,  einem  Handschuhpaar  im  Dom  zu  Brixen 
(Bild  175,  S.  372)  und  dem  Handschuh  in  St  Veit  zu  Prag  (Bild 
174,  S.  371).  Die  Plättchen  der  Toulouser  Handschuhe  sind  aus 
vergoldetem  Kupfer  gemacht  und  mögen  etwa  dem  13.  Jahrhundert 

p    r-fii-  iii     a    Ti  1    angehören ,    während    die    aus    kräftigem   weißem    Seidengarn    ge- 

niitZinfeln  strickten  Handschuhe  selbst  wohl  einer  späteren  Zeit  entstammen. 

Die  Darstellungen ,   mit   denen   sie   geschmückt  sind,   bestehen   in 

dem  Lamm  Gottes   mit   dem  Siegeskreuz,   begleitet  von  Sonne   und  Mond   und  einem 

einfachen  Kreuz   mit   ausladenden  Balkenenden.     Ursprünglich   müssen    die  Plättchen 

emailliert  gewesen  sein  '.    Die  Fibeln  des  Brixener  Paars  sind  eine  schöne  Arbeit  des 

12.  bis  13.  Jahrhunderts.     Eine  von   ihnen   ist  mit  dem  Brustbilde  der  Gottesmutter, 

die  andere  mit  dem  des  hl.  Paulus  versehen. 

Ausgeführt   sind  diese  Bildchen  in  byzantini- 

sierendem,    durchsichtigem  Zellenschmelz  von 

vortrefflicher  Technik.  Die  Art  der  Befesti- 
gung  läßt   vermuten,    daß    sie    ursprünglich 

nicht  für  Handschuhe  bestimmt  waren,  sondern 

einem  Beliquiar  oder  einem  ähnlichen  Gegen- 
stand   entnommen  wurden.     Die    Handschuhe 

selbst    rühren    mitsamt    der    stauchenartigen 

Verzierung  des  Einschlupfs  erst  aus  dem  späten 

Mittelalter  her.    Auf  dem  Medaillon  des  Prager 

Handschuhs     ist     in     durchsichtigem     Email 

St  Benedikt  in  Priestertracht  dargestellt.  Zwei 

interessante    Zierplättchen,    welche    1872    in 

einem  Bischofsgrab  der  Kathedrale  von  Cahors 

gefunden   wurden    und    in    der   ersten   Hälfte 

des  13.  Jahrhunderts  entstanden  sein  werden, 

sind    in     Limoger    Schmelz    mit    dem    Lamm 

und    der   Rechten   Gottes    geschmückt2.     An 

ihrem  Band  hat  man  eine  Anzahl  kleiner  Löch- 
lein  angebracht,   um   sie  mittels    dieser   den 

Handschuhen  aufnähen  zu  können  (Bild  186  bis 

187,  S.  377).   Die  in  den  Gräbern  der  Trierer 

Erzbischöfe  Hillin  (t  H69)  und  Arnold(t  1183) 

seinerzeit  entdeckten    circuli  waren  statt  aus 

Metall  in  Goldstickerei  hergestellt 3. 


Statt  mit  metallenen  circuli  versah 
man  nämlich  die  Pontifikalhandschuhe 
häutig  mit  Medaillons,  die  aus  Zeug  ge- 


1  Abbildung  in  Bullet,  mon.  1876,  784. 
Der  Text  zu  ihnen  S.  800  ff.  Die  Abbildung 
bei  Bock  II ,  Tfl  19  2  3  ist  durchaus 
fehlerhaft.  Dasselbe  gilt  von  der  Wiedergabe 
durch  de  Linas  (Revue  1861,  617). 


Bild  183.     Pontifikalhandschuh. 

Freiburg,  Münster. 

2  Abbildung  in  Bullet,  mon.  a.  a.  0. ;  Text 
S.  785  ff. 

3  v.  Wilmowsky,  Die  historisch-denk- 
würdigen Grabstätten  im  Dom  zu  Trier  6  18 
u.  Tfl  5. 


376     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füf3e  u.  des  Kopfes. 


macht  waren.  Sie  wurden  entweder  mit  Stickereien 
geschmückt  oder  mit  Perlen  und  Edelsteinen  besetzt 
und   scheinen  meist  scheibenförmig   gewesen  zu  sein. 

Ein  gutes  Beispiel  bietet  der  Handschuh  in  S.  Trinitä 

zu  Florenz  (Bild  172,  S.  370).     Zwei  andere  traf  man  vor 

einigen  Jahren  bei  Aufdeckung  der  Kaisergräber  in  einem 

etwa  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  angehörenden  Bischofs- 

grabe    des    Speierer  Domes    an.     Sie   waren    in    kostbarer 

Goldstickerei   hergestellt  und  enthielten  das  Lamm  Gottes 

und   die   Rechte    Gottes.     Auch   in    dem    Grabe   des    1223 

gestorbenen  Bischofs  Herväus  von  Troyes    entdeckte   man 

auf   den    Handschuhen  goldgestickte  Zierscheibchen  dieser 

Art  *.  Das  eine  trug  das  Lamm  Gottes  mit  der  Um- 
schrift Agnus  Dei,  das  andere  die  segnende  Rechte  Gottes 

nebst  Sonne  und  Mond  mit  der  Legende  In  nomine  Patri(s) 
et  Filii  et  Spiritu(s)  (Bild  138).  Hand 
und  Lamm  waren  in  weißlicher  Seide, 
die  Inschriften  samt  den  sie  ein- 
fassenden Kreisen   in   Gold    gestickt. 

Drei  ähnliche  Medaillons  finden  sich  im  Dommuseum  zu  Trier. 
Sie  stammen  aus  Gräbern  Trierer  Erzbischöfe.  Zwei  weisen 
die  Dextera  Dei,  eines  das  Agnus  Dei  auf.  Ihres  Schmuckes 
beraubt  sind  die  Zierscheibchen  auf  den  Handschuhen  zu  Con- 
flens  -.  Von  welcher  Beschaffenheit  die  Medaillons  waren,  denen 
man  bei  den  Handschuhen  der  Leiche  Hadrians  IV.  (f  1159) 
gelegentlich  des  Umbaues  von  St  Peter  begegnete,  ist  aus  dem 
Bericht,  der  darüber  vorliegt,  nicht  ganz  klar  ersichtlich 3. 

Im  späten  Mittelalter  kam  die  Sitte  auf,  den  Rücken 
der  Handschuhe  vollständig  mit  Ornamenten  zu  über- 
sticken,  statt   ihn   nur  mit  einem  metallenen    oder   stoff- 


Bild  184. 

Pontifikalhandschuh. 

Kamp  (Niederrhein). 


liehen  circulus  zu  versehen. 


Ja  man  ging  so  weit,  auch 


Bild    185.     Grabfigur 

des  Bischofs  Johannes 

von  Lübeck  (f  1350). 

Lübeck,  Dom. 


die  Finger  und  die  Innenseite  in  ähnlicher  Weise  zu  ver- 
zieren. Gute  Beispiele  derartiger  Pontinkalhandschuhe 
sind  die  Handschuhe  im  Dom  zu  Halberstadt  (Bild  178, 
179,  S.  373)  und  von  St-Bertrand  zu  Comminges,  sowie 
eines  der  Handschuhpaare  zu  Brixen. 

Von  einer  Saum  Verzierung  spricht  Innozenz  III. 
nicht.  Sie  kam  in  der  Tat  nicht  immer  zur  Anwendung, 
wiewohl  sie  für  gewöhnlich  nicht  leicht  gefehlt  haben 
wird.  Wie  die  Bildwerke  und  die  noch  vorhandenen 
mittelalterlichen  Handschuhe  bekunden,  bestand  sie  ent- 
weder in  einer  förmlichen  Bordüre  oder  in  einem  den  Rand 
des  Einschlupfes  entlang  laufenden  gestickten  Ornament. 

Die  Ausstattung,  welche  das  12.  und  13.  Jahrhundert 
den  Pontifikalhandschuhen  zu  teil  werden  ließ,  wurde  für 
dieselben  bis  auf  unsere  Tage  typisch.  Wie  im  12.  und 
13.,  so  wurden  sie  im  wesentlichen  auch  im  14.  und  15., 


1  Bullet,  mon.  1876,  781  ff. 

2  Vgl.  oben  Bild  180,  S.  373. 

3  Ph.  Laur.  Dionysius,  Sacr.  Vat.  Bas. 
cryptae  monumenta,  Roma  1773,  124:  Agni 
formam    cum    cruce    et    litteris   Agnus    Dei, 


quae  chirotheeis  intexta  apparebant.  Vgl.  auch 
den  handschriftlichen  Bericht  über  den  Be- 
fund in  der  Barberinisclien  Bibliothek  (s.  oben 
S.  365);  am  ehesten  wird  man  an  bestickte 
Scheibchen  zu  denken  haben. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandschuhe. 


377 


16.  und  17.,  18.  und  19.  Jahrhundert  verziert.  Etwaige  Unterschiede  sind 
nur  nebensächlicher  Art  und  betreffen  kaum  etwas  anderes  als  den  jeweiligen 
Stil  des  Ornamentes.  Nur  in  den  Motiven,  welche  bei  dem  Medaillon  auf 
dem  Handrücken  verwendet  wurden,  ging  seit  dem  Ausgang  des  Mittelalters 
insofern  ein  Wechsel  vor  sich,  als  sich  dieselben  vereinfachten  und  auf  den 
Namen  Jesus  oder  ein  Kreuz  beschränkten.  Es  ist  ein  ähnlicher  Vorgang,  wie  er 
sich  seit  derselben  Zeit  auch  in  der  Verzierung  der  übrigen  Paramente  vollzog. 

Die  Zahl  der  Pontifikalhandschuhe  aus  mittelalterlicher  Zeit,  die  auf  uns  ge- 
kommen sind,  ist  nicht  groß.  Die  Pontifikalhandschuhe  waren  ein  Ornatstück,  das 
nicht  bloß  wenigen  zustand,  sondern  obendrein  nur  bei  sehr  wenigen  Gelegenheiten 
Verwendung  fand.  Es  war  daher  nie  eine  namhaftere  Menge  derselben  vorhanden.  Auch 
hatte  man  kaum  je  Veranlassung,  alte,  schadhaft  gewordene  Handschuhe  aufzubewahren, 
da,  was  an  ihnen  Wert  besaß,  leicht  abgetrennt  werden  konnte.  Es  ist  deshalb  leicht 
erklärlich,  daß  wir  nur  noch  eine  sehr  beschränkte  Zahl  mittelalterlicher  Pontifikalhand- 
schuhe besitzen.  In  Italien  finden  sich  noch  liturgische  Handschuhe  aus  dem  Mittel- 
alter in  S.  Trinitä  zu  Florenz  und  in  der  Kathedrale  zu  Narni ,  welch  letztere 
irrtümlich   dem   hl.   Cassius   zugeschrieben   werden.     In   Deutschland    und   Österreich 


Bild  186 — 187.     Handschuhfibeln  aus  einem  Bischofsgrabe. 
Limoger  Emailplättchen. 

Cahors,  Kathedrale. 


Bild  188.     Zierscheibchen 

in  Stickerei. 

Troyes,  Kathedrale. 


gibt  es  solche  in  den  Domen  zu  Brixen,  Prag  und  Halberstadt,  in  England  zu  Oxford 
(New  College),  in  Prankreich  zu  Conflens  (Pfarrkirche),  Toulouse  (St-Sernin),  Paris 
(Cluny -Museum)  und  Amiens  (Stadtbibliothek).  Kur  die  Pontifikalhandschuhe  in 
S.  Trinitä  zu  Florenz  mögen  noch  dem  12.  Jahrhundert  angehören,  dagegen  können 
die  angeblichen  Handschuhe  des  hl  Thomas  von  Canterbury  zu  Conflens  diesem  wohl 
nicht  mehr  zugewiesen  werden.  Alle  übrigen,  die  Handschuhe  in  St-Sernin  zu  Tou- 
louse nicht  ausgeschlossen,  datieren  aus  dem  14.,  15.  oder  dem  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts '.  Keiner  der  angeführten  Handschuhe  kann  besonders  kostbar  genannt 
werden.  Um  Handschuhe  mit  kostbarer  Ausstattung  kennen  zu  lernen,  muß  man  zu 
den  Inventaren  greifen.  Besonders  zahlreich  sind  Pontifikalhandschuhe  dieser  Art 
im  Inventar  des  Apostolisehen  Stuhles  vom  Jahre  1295  vertreten. 

Im  ganzen  werden   in   ihm   außer  sechs  einfachen  22  mehr  oder  weniger  reich 
ausgestattete  Handschuhpaare  samt  drei  Paaren  prächtiger,  in  Gold-  und  Perlen-  bzw. 


1  Ein  Handschuhpaar  in  der  Kathedrale 
zu  Moutiers  (Savoyen)  ,  das  vom  hl.  Petrus 
von  Tarantaise  (f  1171)  herrühren  soll,  wird 
von  Barbier  de  Montault  (Bullet,  mon. 
1877,  lOff)  dem  15.  Jahrhundert  zugeschrieben. 
In  Wirklichkeit  aber  reicht  es  wohl  kaum 
weit  über  das  Ende  des  16.  hinaus.  Darin 
aber   hat   Barbier   ohne    Zweifel    recht,    daß 


die  Handschuhe  früher  die  Reliquien  des 
Heiligen  schmückten  und  infolgedessen  nach- 
her schlechthin  als  Handschuhe  augesehen 
wurden,  die  dieser  im  Leben  getragen  habe. 
Übrigens  beweisen  außer  der  Beschaffenheit 
auch  die  geringen  Maße  der  Handschuhe, 
daß  sie  vom  hl.  Petrus  bei  seinen  Lebzeiten 
nicht  haben  gebraucht  werden  können. 


378     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Bildstickerei  hergestellter  und  mit  Schmelzplättchen  und  Edelsteinen  reich  besetzter 
pugnalia  verzeichnet.  Aber  auch  in  andern  Inventaren  finden  sich  kostbare  Hand- 
schuhe. Duo  paria  cirothecarum  ornata  laminis  argenteis  deauratis  et  lapidibus  in- 
sertis ;  item  duo  cirothecae  similis  operis  --  nämlich  wie  eine  vorherbeschriebene, 
mit  Perlen  und  Edelsteinen  besetzte  Mitra  — ,  in  quibus  deficiunt  multi  lapilli,  heißt 
es  beispielsweise  in  einem  Schatzverzeichnis  von  St  Paul  zu  London  aus  dem  Jahre 
1295.  Das  Inventar  von  St  Paul  von  1402  erwähnt  tria  paria  chirothecarum  epi- 
scopalium  aurifrisiata  cum  margaritis  et  monilibus  argenteis  deauratis.  Das  Schatz- 
verzeichnis von  Prag  aus  dem  Jahre  1387  vermerkt:  Cyrotecae  argenteae  cum  limbo 
(Bordüre),  videlicet  circa  manicam  argentum  deauratum  habentes  et  in  parte  superiori 
agnus  in  fibula  et  in  secunda  episcopus  in  cathedra.  Aliae  cyrothecae  cum  fibulis, 
quarum  in  una  est  Christus  et  in  alia  Virgo  gloriosa.  Das  Inventar  von  1397  fügt 
diesen  Handschuhen  noch  bei:  Item  duo  manicalia  pulcra  cum  crucibus  de  perlis 
albis  in  examito  rubeo ;  quaelibet  habet  unum  monile  aureum  ;  in  uno  deficit  unus  lapis 
et  habet  in  circuitu  zapfryros.  Von  den  Pontifikalhandschuhen,  welche  in  einem  In- 
ventar der  Kathedrale  von  Canterbury  aus  dem  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  auf- 
geführt werden,  war  ein  Paar  mit  einem  rautenförmigen  Zierplättchen,  das  mit  Perlen 
und  Edelsteinen  besetzt  war,  geschmückt;  ein  zweites  war  mit  silbernen  Plättchen 
und  kleinen  Edelsteinen  verziert;  bei  vier  Handschuhpaaren  werden  nur  tasselli  argentei 
notiert.  Ein  Paar,  das  aus  Linnen  gemacht  war,  wies  aufäer  den  tasselli  auch  Perl- 
stickereien auf1.  Das  Inventar  von  Cluny  (1382)  verzeichnet  22  Paar  verzierter 
Handschuhe,  leider  ohne  diese  im  einzelnen  näher  zu  beschreiben. 

Handschuhe,  welche  Erzbischof  Dietrich  von  Köln  (1414 — 1463)  dem  Herzog  von 
Cleve  verpfändete,  werden  folgendermafäen  geschildert2:  „Zum  irsten  ein  Paar  Henschen 
mjt  Perlen,  der  ejne  mjt  den  drjn  Konyncgen,  der  andere  mjt  ejne  Crucefix.  Item 
ein  ander  Paar  Henschen  yechlichen  mit  ejnre  Broidschen  (das  Medaillon)  up  der 
Handt  mjt  Gestejntz.  Item  in  dem  Myddel  ejn  Sofir  wigende  II.  Mr.  XIIII.  Loit 
Goultz  geacht  vur  .  .  .  CXXXI  Guld." 


VII.    STOFF  UND  FARBE  DER  PONTIFIKALHANDSCHUHE. 

Als  Stoff  gebrauchte  man  im  Mittelalter  für  die  liturgischen  Hand- 
schuhe gewöhnlich  Linnen  (Baumwolle)  oder  Seide,  doch  werden  auch 
Pontifikalhandschulie  aus  Wolle  erwähnt.  So  verzeichnet  z.  B.  ein  Inventar 
der  Kathedrale  von  Angers  zum  Jahre  1467:  unum  par  cyrothecarum  de  lana 
alba.  Ein  Handschuh  dieser  Art  ist  der  aus  derber  Wolle  gestrickte  Pontifikal- 
handschuh  in  St  Veit  zu  Prag  (Bild  174,  S.  371) 3.  In  der  Frühzeit  des  Jahr- 
tausends scheint  vornehmlich  Linnen  bei  Anfertigung  liturgischer  Handschuhe 
zur  Verwendung  gekommen  zu  sein 4,  im  späteren  Mittelalter  wurde  indessen 
wohl  vorwiegend  Seide  gebraucht.  Es  ist  bezeichnend,  daß  das  Schatz- 
verzeichnis der  Kathedrale  von  Canterbury  vom  Jahre  1321  bei  einem  Hand- 
schuhpaare  besonders  anmerkt,  daß  es  aus  Linnen  bestehe:  item  unum  par 
de  lino  cum  tasselis  et  perlis.  Immerhin  bekunden  die  Handschuhe  im  Dom 
zu  Halberstadt,  daß  noch  um  die  Wende  des  Mittelalters  linnene  Handschuhe 
vorkamen. 


1  Schon  Erzbischof  Hubert  (f  1205)  schenkte 
der  Kathedrale  chirothefcarum  paria  tria  omnia 
gemmis  et  auro  parata  (Revue  1861,  636). 
Er  gab  der  Kathedrale  auch  chirothecas  sine 
auro.  Manche  andere  gute  Beispiele  sind 
zusammengestellt  bei  Gay  760. 

2  Bock  II  145. 

3  Nach  gütiger  Mitteilung  des  hocliw. 
Herrn  Kanonikus  Dr  A.  Podlaha. 


4  Bock  (II  135)  läßt  Bruno  von  Segni 
sagen,  es  sollten  die  Pontifikalhandschulie  aus 
Linnen  angefertigt  sein.  Ähnlich  de  Linas 
(Revue  1861,  633)  und  Moroni  (Dizionario 
XXXIII  95).  Allein  der  Heilige  redet  mit 
keinem  Worte  an  der  fraglichen  Stelle  des 
Tractatus  de  sacramentis  ecclesiae  vom  Stoff 
derselben  (M.  165,  1108).  Moroni  scheint 
die  Quelle  des  Irrtums  zu  sein. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandschuhe.  379 

In  der  Neuzeit  verloren  sich  linnene  Pontiflkalhandscliuhe  ganz  aus  dem 
Gebrauch  und  wurde  es  Regel,  die  liturgischen  Handschuhe  nur  noch  aus 
Seide  anzufertigen,  ohne  daß  jedoch  solches  je  ausdrücklich  vorgeschrieben 
worden  wäre.  Selbst  die  Mailänder  Synodalstatuten  des  hl.  Karl  enthalten 
sich  hinsichtlich  des  Stoffes  der  Handschuhe  jeglicher  Bestimmung. 

Von  der  Farbe  der  liturgischen  Handschuhe  redet  unter  den  Liturgikern 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts  nur  Durandus.  Es  scheint,  daß  der  Verfasser 
des  Rationale  bloß  weiße  gekannt  hat.  Wirklich  sind  die  Pontifikalhand- 
schuhe  zu  Florenz,  Conflens,  Toulouse  und  Prag,  um  von  den  dem  späteren 
Mittelalter  angehörenden  abzusehen,  alle  von  weißer  Farbe.  Ebenso  waren 
die  Handschuhe,  welche  man  1606  bei  der  Leiche  Bonifaz'  VIII.  fand,  aus 
weißer  Seide  gemacht.  Es  mag  sogar  fraglich  sein,  ob  schon  im  14.  und 
15.  Jahrhundert  der  liturgische  Farbenkanon  für  die  Pontifikalhandschuhe  ge- 
golten habe. 

Man  hat  freilich  gemeint,  der  auf  Befehl  Gregors  X.  herausgegebene  römische 
Ordo  deute  an,  daß  es  bereits  damals  zu  Rom  Handschuhe  in  der  Tagesfarbe  gegeben 
habe.  Mit  Unrecht.  Wenn  es  darin  heißt:  (electus  in  papam)  lotis  manibus  induetur 
omni  ornamento  suo,  scilicet  primo  alba,  cingulo  cum  subcinctorio,  postea  pectorali, 
demum  fanone  (das  päpstliche  Schultertuch),  postea  stola,  deinde  tunicella  et  postea 
dalmatica;  subsequenter  recipit  chirothecas  et  demum  casulam  et  mitram  in  capite 
suo  sine  pallio  et  annulo  pastorali,  quae  postea  recipiet  in  suo  loco  et  vestimenta 
erunt  coloris  tempori  convenientis1,  so  will  die  letzte  Bemerkung  offenbar 
nur  im  allgemeinen  sagen,  es  habe  die  Pontifikalkleidung  des  Papstes  der  jeweiligen 
Tagesfarbe  zu  entsprechen.  Wollte  man  aus  derselben  schließen,  auch  die  Handschuhe 
seien  damals  schon  den  Vorschriften  über  die  liturgischen  Farben'  unterworfen  ge- 
wesen, so  müßte  man,  was  jedoch  durchaus  unzulässig  ist,  ein  gleiches  für  die  Mitra 
und  das  Schultertuch  annehmen. 

Als  ferneren  Beweis,  daß  schon  im  13.  Jahrhundert  für  die  Handschuhe  die 
liturgische  Tagesfarbe  maßgebend  gewesen  sei,  hat  man  eine  Vergabung  Gottfrieds  von 
Loudon  (1234 — 1255)  angeführt,  durch  welche  dieser  der  Kathedrale  von  Le  Mans 
quinque  paria  cirothecarum  et  duas  paraturas  argenteas  deauratas  ad  opus  earumdem 
eirotheearum  übermachte'2.  Ces  plaques,  meint  de  Linas3,  s'adaptaient  donc 
tour  ä  tour  aux  cinq  paires  de  gants,  transport  inutile,  si  ces  der- 
nieres  avaient  toutes  äffe  et e  la  meme  couleur.  Indessen  heißt  das  doch 
zu  viel  aus  den  Worten  der  Schenkung  herauslesen.  Oder  wo  sagt  diese,  daß  die 
paraturae  abwechselnd  bald  bei  dem  einen,  bald  bei  dem  andern  Paar  zu  ge- 
brauchen seien?  Man  kann  die  Sache  doch  auch  dahin  verstehen,  daß  die  Besätze 
bestimmt  waren,  nacheinander  zur  Ausschmückung  der  fünf  Paare  zu  dienen,  so 
daß  sie  also,  ähnlich  wie  die  Parura  am  Amikt,  so  lange  an  den  einzelnen  Hand- 
schuhen blieben,  bis  letztere  durch  Verschleiß  oder  Schmutz  zum  ferneren  Gebrauch 
ungeeignet  geworden  waren.  Es  dürfte  das  sogar  die  einzig  richtige  Auffassung  sein. 
Oder  ist  es  wahrscheinlich,  dafä  man  jedesmal  nach  der  Verwendung  der  Handschuhe 
die  paraturae  wieder  lostrennte  und  Handschuhe  und  Zierbesätze  bis  zur  demnächstigen 
Verwertung  gesondert  aufbewahrte  ? 

Es  bleibt  also  noch  der  Beweis  zu  führen,  daß  schon  das  13.  Jahrhundert 
Pontifikalhandschuhe  in  der  jedesmaligen  Tagesfarbe  gekannt  habe.  Wohl  mögen 
damals  schon  farbige  Handschuhe  vorgekommen  sein.  So  sollen  die  Handschuhreste, 
welche  man  im  Grabe  des  Bischofs  Herväus  von  Troyes  (f  1223)  fand,  einen  violett- 
bräunlichen Ton  aufgewiesen  haben ;  doch  kann  dieser  freilich  auch  die  Wirkung  der 
Zersetzung   und  Vermoderung   gewesen   sein.     Sicher   gab   es   im    14.   und    15.   Jalir- 


1  Ordo  13,  n.  6  (M.  78,  1108).  3  Revue  1861,  637,  note  4.     Vgl.  Bock 

-  Mabillon,  Vet.  analecta  III  390.  II  143. 


3S0      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

hundert  neben  weißen  auch  wohl  farbige  Handschuhe,  wie  die  rotseidenen  Handschuhe 
Wilhelms  von  Wykeham"  (f  1404)  in  New  College  zu  Oxford  beweisen.  Aus  Hand- 
schuhen dieser  Art  indessen  folgern,  daß  bereits  im  13.,  14.  und  15.  Jahrhundert  für 
die  pontifikale  Handbekleidung  die  liturgische  Tagesfarbe  maßgebend  gewesen  sei,  ist 
ebensowenig  zulässig,  wie  aus  roten  und  blauen  Mitren  des  15.  Jahrhunderts  den 
völlig  falschen  Schluß  ziehen,  daß  damals  für  die  Mitra  der  kirchliche  Farbenkanon 
gegolten  habe. 

Es  dürfte  kaum  möglich  sein,  den  Zeitpunkt  auch  nur  annähernd  zu  be- 
stimmen, zu  dem  die  liturgische  Farbenregel  auch  auf  die  Pontifikalhandschuhe 
ausgedehnt  wurde.  In  Rom  bestand  im  14.  Jahrhundert  ein  Unterschied 
zwischen  chirothecae  piretiosae  und  chirothecae  sine  perlis,  von  denen  die 
ersten  der  mitra  pretiosa,  die  letzten  der  mitra  alba  simplex  entsprachen  1. 
Von  der  Farbe  der  Handschuhe  ist  dagegen  in  keinem  römischen  Ordo  die 
Rede.  Die  Unterscheidung  zwischen  chirotheca  pretiosa  und  chirotheca  sine 
perlis  sowie  ihre  Zusammenstellung  mit  mitra  pretiosa  und  mitra  simplex 
scheint  sogar  bestimmt  darauf  hinzudeuten,  daß  der  liturgische  Farbenkanon 
damals  auf  die  Handschuhe  noch  keine  Anwendung  fand. 

Auch  das  römische  Pontifikale  und  das  Caeremoniale  der  Bischöfe  ent- 
halten keine  Bestimmung  über  die  Farbe  der  Pontifikalhandschuhe.  Dagegen 
schrieb  der  hl.  Karl  Borromäus  ausdrücklich  vor,  daß  die  liturgischen  Farben, 
mit  Ausnahme  von  Schwarz,  auch  für  die  sakrale  Handbekleidung  Geltung 
haben  sollten  und  demnach  weiße,  rote,  grüne  und  violette  Handschuhe  vor- 
rätig zu  halten  seien  2.  Es  ist  die  erste  ausdrückliche  Bestimmung  über  die 
Farbe  der  Pontifikalhandschuhe,  welche  uns  begegnet  ist. 

VIII.    DIE  LITURGISCHE  VERWENDUNG  DER  HANDSCHUHE. 

Ihre  Hauptverwendung  fanden  die  liturgischen  Handschuhe  von 
Anfang  an  beim  Pontifikalamte.  Sehr  bezeichnend  für  ihren  Charakter  als 
Bestandteil  des  bischöflichen  Meßornates  ist  namentlich  eine  Rubrik  des  Ritus 
der  Benedictio  abbatum  in  einem  Pontifikale  von  Besancon  (12.  Jahrhundert)  und 
von  Reims  (ca  1200):  De  manu  episcopi  accipiat  baltheum  et  wantos  inconsutiles 
ad  cantandam  missam3.  Allein  ihr  Gebrauch  beschränkte  sich  im  Mittel- 
alter noch  keineswegs  überall  lediglich  auf  die  Meßfeier,  wie  in  der  Gegenwart. 
So  bediente  sich  beispielsweise  im  13.  Jahrhundert  zu  Bayeux  der  Bischof  der 
Pontifikalhandschuhe  auch,  wenn  er  an  bestimmten  hohen  Festtagen  das  Of- 
fizium abhielt  oder  an  den  Prozessionen  teilnahm  i,  und  schon  Alexander  III. 
hatte  den  Äbten  von  Monte  Cassino  und  La  Cava  den  Gebrauch  der  Hand- 
schuhe bei  Konzilien  gestattet5.  Eine  derartige  ausgedehntere  Verwendung 
der  liturgischen  Handschuhe   mag   namentlich   im   späteren  Mittelalter   nicht 


1  Ordo  14,  c.  82;  ordo  15,  c.  65  (M.  78, 
1204  1301).  Eine  Angabe  in  c.  144  des 
ordo  15,  wo  von  der  Weise  die  Rede  ist,  wie 
der  Papst  zum  Begräbnis  zu  bekleiden  sei, 
lautet  zu  unbestimmt,  um  daraus  einen  Schluß 
ziehen  zu  können  (ebd.  1351). 

-  A.  E.  Med.  627. 

3  Mar  t.  1.   2,  c.  1,  ordo  3  6;  II  153  156. 

4  Chevalier,  Ordinaire  et  coutumier 
de  l'6glise  cath.  de  Bayeux  (XI1IC  s.)  61  166 
et  passim.  Zu  Bayeux  trug  auch  der  Cantor 
nach  altem  Brauch  an  höheren  Feston  Hand- 


schuhe (ebd.  4  316:  cantor  ob  honorem  digui- 
tatis  .  .  .  cyrothecis  adornatur). 

5  Bullar.  Roman,  (ed.  Taur.)  II  663 :  Usum 
chirothecae  ...  ad  missas  seu  in  consessu  con- 
cilii  habendun]  concedimus;  Pflugk-Hart- 
tung,  Acta  III  221:  In  conciliis  Romanorum 
Pontificum  seu  exequiis  magnarum  ecclesiasti- 
carum  personarum  et  nobilium  defunctorum. 
In  der  letztgenannten  Bulle  wird  dem  Abt 
von  La  Cava  also  auch  der  usus  chirothe- 
carum  für  Exequien  hoher  geistlicher  und 
weltlicher  Standespersonen  gewährt. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandschuhe. 


381 


selten  gewesen  sein.  Wenigstens  lassen  darauf  die  zahlreichen  Bildwerke 
schließen,  auf  denen  sich  die  Pontifikalhandschuhe  in  Verbindung  mit  dem 
Pluviale  finden.  Was  die  ältere  römische  Praxis  hinsichtlich  des  Gebrauches 
der  Pontifikalhandschuhe  betrifft,  so  fehlt  es  darüber  leider  an  ausreichenden 
Nachrichten ;  indessen  spricht  der  konservative  Sinn,  der  zu  Rom  hinsichtlich 
des  liturgischen  Brauches  herrschte,  für  die  Annahme,  es  seien  die  Hand- 
schuhe dort  stets  nur  bei  der  Messe  verwendet  worden.  So  geschah  es 
daselbst  sicher  im  späteren  Mittelalter.  Wenn  nach  dem  13.  und  14.  Orclo 
der  Papst  die  Handschuhe  auch  bei  dem  feierlichen  Zuge  trug ],  der  nach 
seiner  Krönung  und  am  Gründonnerstag  statthatte,  so  war  das  lediglich 
eine  Ausnahme;  vielleicht  die  einzige,  wenn  man  überhaupt  hier  von  einer 
Ausnahme  reden  kann.  Trat  doch  der  Papst  dann  nicht  bloß  in  Pontifikal- 
handschuhen,  sondern  in  voller  Meßkleidung  auf,  nur  daß  die  Tiara  an  Stelle 
der  Mitra  getreten  war ;  denn  er  sollte  bei  dieser  Gelegenheit  als  der  Priester- 
könig erscheinen.  Wie  die  übrigen  Gewänder,  hatten  auch  die  Handschuhe 
bei  jener  Feier  lediglich  symbolische  Bedeutung.  Nur  insofern  wich  im 
späten  Mittelalter  zu  Rom  der  Brauch  vom  jetzigen  ab,  als  noch  bis  ins 
15.  Jahrhundert  hinein  die  Pontifikalhandschuhe  auch  bei  der  Liturgie  des 
Karfreitags  zur  Verwendung  kamen 2.  Bei  Totenmessen  war  aber  ihr  Ge- 
brauch daselbst  bereits  gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  unzulässig3. 

Nach  dem  Sakramentar  von  Corbie  trug  der  Bischof  die  Handschuhe 
nur  von  Beginn  der  Messe  bis  zur  Händewaschung,  welche  nach  Entgegen- 
nahme der  Opfergaben  vor  der  Opferung  stattfand.  Damit  stimmt  überein, 
was  im  14.  Ordo  Mabillons  und  im  Pontifikale  des  Durandus 4  betreffs  der  Ver- 
wendung der  chirothecae  vermerkt  ist.  Denn  auch  nach  diesen  bediente  sich 
der  Pontifex  der  Handschuhe  nur  bis  zur  Händewaschung  vor  der  Opferung. 
Daß  es  jedoch  nicht  gerade  überall  so  gehalten  wurde,  zeigen  ein  Mainzer 
Pontifikale  des  ausgehenden  13.  Jahrhunderts5  und  ein  um  1400  entstandenes 
Missale  eines  Klosters  der  Diözese  Basel 6.  Nach  letzterem  behielt  der  Abt 
die  chirothecae  bis  nach  der  Opferung  und  der  Inzensierung  der  Oblata,  nach 
ersterem  sogar  bis  zum  Beginne  des  Kanons;  außerdem  trug  er  sie  beiden 
zufolge  wieder  nach  der  Kommunion.  Auch  zu  Evesham  zog  der  Abt  nach 
der  Kommunion  die  Handschuhe  wieder  an.  Außerdem  war  es  dort  Brauch, 
daß  derselbe  sich  ihrer  bei  feierlichen  Prozessionen  sowie  bei  den  Karfreitags- 
zeremonien bediente 7. 


1  Ordo  13,  n.  8;  ordo  14,  c.  19  (M.  78,  1110 
1130).  Wenn  es  an  der  ersten  der  beiden 
Stellen  heißt,  der  Papst  sei  im  Pluviale  auf- 
gezogen ,  so  beruht  das  auf  einer  Verderbt- 
heit des  Textes,  der,  wie  er  bei  Migne  sich 
findet ,  überhaupt  keinen  Sinn  gibt.  Den 
richtigen  Text  gibt  ordo  14,  c.  19.  Aber 
auch  aus  ordo  13,  n.  9  erhellt  klar,  daß  der 
Papst  bei  dem  Zug  nicht  das  Pluviale,  sondern 
die  Kasel  trug.  Deponit  (nämlich  am  Schluß 
desselben)  pallium  et  casulam  tantum  ac 
chirotbecas  et  resumit  pluviale  (ebd.  1111). 
Die  Sitte ,  wonach  der  neu  konsekrierte 
Bischof  nach  seiner  Weihe  in  seinen  litur- 
gischen Gewändern  feierlich  heimzog,  wird 
auch  in  andern  Pontifikalien  erwähnt,   doch 


war  er  dabei  statt  mit  der  Kasel  mit  dem 
Pluviale  bekleidet.  Vgl.  z.  B.  Mart.  1.  1, 
c.  8,  art.  11,  ordo  17;  II  88;  Vat.  Cod.  lat. 
4748,  f.  17  u.  a.  Der  Brauch  war  offenbar 
eine  Nachahmung  der  römischen  Praxis. 

2  Ordo  14,  c.  93;  ordo  15,  c.  76  77  (M.  78, 
1216  1217  1318  1319).  Der  Pontifex  behielt 
die  Handschuhe  nur  bis  zur  missa  praesancti- 
flcatorum. 

3  Ordo  15,  c.  132  (ebd.  1347). 

4  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  23; 
I  221. 

6  Ebd.  ordo  18;  I  217. 
B  Ebd.  ordo  32;  1  235. 

7  Offic.  eccl.  abbat,  in  Evesham  monast. 
(Bradshaw  Society),  London  1893,  c.  12  15  88. 


382     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Hinsichtlich  des  Zeitpunktes,  da  der  Bischof  die  Handschuhe  anlegte, 
herrschte  im  Mittelalter  keine  einheitliche  Praxis.  An  dem  einen  Ort  zog  er 
sie  an,  sobald  er  sich  mit  der  Dalmatik,  anderswo  erst,  wenn  er  sich  mit 
der  Kasel  versehen  hatte.  In  Rom  war  es  schon  um  die  Wende  des  12.  Jahr- 
hunderts Sitte,  sie  unmittelbar  nach  der  Dalmatik  anzulegen,  und  so  blieb  es 
daselbst  durch  das  ganze  Mittelalter  bis  in  die  Neuzeit l. 

Über  die  Rolle,  welche  den  chirothecae  im  Weiheritus  während  des 
Mittelalters  zukam ,  liegen  nur  vereinzelte  Nachrichten  vor.  Nach  einem 
Mainzer  Pontifikale  aus  dem  Ausgange  des  13.  Jahrhunderts  hatte  die  Zere- 
monie, mit  den  Handschuhen  die  Hände  des  Electus  zu  bekleiden,  gleich  nach 
der  Salbung  derselben  innerhalb  der  Messe  statt 2,  nach  einem  Lyoner  Ponti- 
fikale von  ca  1400  aber  gerade  wie  jetzt  am  Schlüsse  des  heiligen  Opfers3. 
Dagegen  werden  nach  einigen  Weiheordines  aus  dem  Beginne  des  12.  Jahr- 
hunderts dem  Konsekranden  schon  gleich  bei  Beginn  der  Feier  manicae  an- 
gezogen 4.  Natürlich  mußten  in  diesem  Falle  die  Handschuhe  vor  der  Salbung 
der  Hände  wieder  ausgezogen  werden.  Angelegt  wurde  dem  Electus  das 
Ornatstück  bald  durch  den  Konsekrator  selbst,  bald  durch  die  demselben 
assistierenden  Bischöfe,  bald  durch  den  Archidiakon.  Es  herrschte  auch  hierin 
im  Mittelalter  keine  Übereinstimmung. 

Im  Eitus  der  Beneclictio  abbatum  wird,  wie  schon  gelegentlich  bemerkt  wurde, 
die  Überreichung  des  Ornatstückes  bereits  im  12.  Jahrhundert  erwähnt.  Doch  konnte 
hier  natürlich  die  Zeremonie  nur  dann  statthaben,  wenn  der  Abt  sich  kraft  eines 
Privilegs  des  usus  chirothecarum  erfreute. 

Das  Gebet,  welches  gemäß  den  älteren  Pontifikalien  gesprochen  wurde, 
während  der  Archidiakon  unter  Beihilfe  von  Subdiakonen  in  Gegenwart  zweier 
Bischöfe  dem  Konsekranden  die  Handschuhe  anzog,  lautete:  „Allmächtiger, 
mildreichster  Gott,  wir  bitten  deine  unermeßliche  Güte,  du  wollest  die  Hände 
dieses  deines  Dieners,  unseres  Mitbruders,  sowie  sie  äußerlich  mit  diesen  Hand- 
schuhen umhüllt  werden,  auch  innerlich  mit  deines  Segens  Tau  besprengen,  daß, 
was  immer  sie  zu  segnen  oder  zu  weihen  haben,  durch  dich  gesegnet  und 
geweiht  werde."  Nach  den  Pontifikalien  des  späten  Mittelalters  verrichtete 
der  Konsekrator  selbst  bei  Anlegung  der  Pontifikalhandsehuhe  das  Gebet.  Das 
heutzutage  bei  dieser  Zeremonie  gebräuchliche  findet  sich  schon  im  Pontifikale 
des  Durandus 5. 

IX.    URSPRUNG  DER  PONTIFIKALEN  HANDBEKLEIDUNG. 

Über  den  Ursprung  der  liturgischen  Handschuhe  läßt  sich  nur  weniges 
sagen.  Dieselben  sind  ein  dem  Abendlande  durchaus  eigentümliches  Ornat- 
stück. In  der  Kirche  des  Ostens  haben  chirothecae  niemals  bei  der  Liturgie 
Verwendung  gefunden.  Es  können  darum  die  Pontifikalhandsehuhe  nicht  aus 
der  griechischen  Kirche  entlehnt  worden  sein;  sie  sind  vielmehr  zweifellos  im 
Abendlande  selbst  aufgekommen. 


1  Innocent.  III. ,  De  sacrif.  missae  1.  1,  3  Ebd.  ordo  18;  II  94.  Vgl.  auch  Vat.  Cod. 
c.  10  41  57  (M.  217,  780  789  795).  Ordo  Borgh.  72  (s.  XIV)  und  Vat.  Cod.  lat.  1152 
13,  n.  6;  ordo  14,  c.  48  53  (ebd.  78,  1108  (s.  XIV). 

1153    1157).     Vgl.    auch   Sicard.,   Mitralis  '  So   der  Ordo  vulg.  bei   Hitt.  109   und 

1.2,  c.  8   (M.  213,  88j.  ein   Salzburger  Pontifikale    (Mart.  a.  a.  O. 

2  Marl    1.    1,    c.   8,    art.    11,    ordo    16;  ordo  8;  II  53). 

II  82.  6  Vat.  Cod.  lat.  1145,  f.  35. 


Erstes  Kapitel.     Die  Pontifikalhandschuhe.  383 

In  der  römischen  Kirche  müssen  die  Handschuhe  sich  im  Verlaufe  des 
10.  Jahrhunderts  eingebürgert  haben.  Sie  treten  also  dort  etwa  gleichzeitig 
mit  der  Mitra  auf.  Zwischen  der  pontifikalen  Kopfbedeckung  und  den  Pontifikal- 
handschuhen  ist  jedoch  insofern  ein  großer  Unterschied,  als  jene  sich  bei 
ihrem  ersten  Auftreten  als  spezifisch  römisches  Ornatstück  kundgibt,  während 
bei  diesen  ein  solch  ausschließlicher  Charakter  niemals  wahrzunehmen  ist.  Da 
nun  die  frühesten  Pontifikalhandschuhe  im  Frankenreiche  auftauchen,  so  scheint 
die  Annahme  nicht  unbegründet,  daß  sie  eben  hier  zuerst  unter  die  liturgischen 
Gewänder  Aufnahme  erhielten,  daß  sie  von  dort  sich  dann  allmählich  über 
das  Abendland  verbreiteten  und  dabei  gegen  die  Wende  des  Jahrtausends 
auch  zu  Rom  Eingang  fanden. 

Wie  ist  es  aber  zur  Entstehung  der  liturgischen  Handschuhe  gekommen? 
Daß  dieselben  zuletzt  auf  die  Handschuhe  des  Alltagslebens  zurückzuführen 
sind,  welche  namentlich  im  Norden  weitverbreitet  und  bei  allen  Ständen 1, 
zumal  aber  den  vornehmen,  gebräuchlich  waren,  liegt  zu  Tage.  Fraglich  ist 
nur,  was  ihre  Aufnahme  unter  die  Sakralkleider  veranlaßt  hat. 

Es  ist  gesagt  worden,  die  Handschuhe  seien  eingeführt  worden,  um  die 
Hände  des  Bischofs  gegen  die  zur  Winterszeit  gewiß  oft  sehr  empfindliche 
Kälte  zu  schützen.  Ebenso  hat  man  gemeint,  es  sei  geschehen,  um  den  häufig 
sehr  kostbaren  Hirtenstab  gegen  die  Ausdünstungen  der  Hände  und  damit 
zugleich  gegen  Verderben  zu  sichern.  Beides  ist  jedoch  mehr  als  unwahr- 
scheinlich. Dagegen  spricht  sowohl  die  beschränkte  Verwendung,  welche  die 
Handschuhe  bei  den  pontifikalen  Funktionen  fanden,  als  im  besondern  der 
Umstand,  daß  sie  nicht  bloß  im  Winter,  sondern  auch  im  Sommer  getragen 
wurden,  und  nicht  bloß  zugleich  mit  dem  Stab,  sondern,  wie  schon  aus  dem 
Sakramentar  von  Corbie  erhellt,  auch  ohne  denselben. 

Der  Hauptgrund  dürfte  vielmehr  die  Absicht  gewesen  sein,  nach  Art 
der  bereits  lange  üblichen  liturgischen  Fußbekleidung  auch  die  geweihten 
Hände  des  Bischofs  mit  einem  entsprechenden  Schmuck  zu  versehen.  Wer 
die  Entwicklung  der  Pontifikalgewandung  verfolgt,  dem  kann  nicht  entgehen, 
daß  die  hervorragende  Stellung,  welche  die  Bischöfe  seit  der  .Karolingerzeit 
einnahmen,  ihren  Einfluß  auch  auf  die  Ausgestaltung  der  bischöflichen  litur- 
gischen Tracht  ausübte.  Mehr  denn  je  gingen  diese  darauf  aus,  sich  beim 
Gottesdienst  mit  möglichster  Pracht  zu  umgeben.  Was  immer  der  Osten  an 
kostbaren  Zeugen  und  Borten  schuf,  wurde  ohne  Bücksicht  auf  Kosten  und 
Mühen  ins  Abendland  gebracht,  um  hier  den  Bischof  bei  seinen  heiligen  Funk- 
tionen zu  zieren.  Unter  solchen  Umständen  mußte  man  es  begreiflicherweise 
nachgerade  vermissen,  daß  es  zwar  für  die  Füße  des  Bischofs  eine  eigentliche 
liturgische  Kleidung  gab,  nicht  aber  für  die  Hände,  die  doch  weit  unmittel- 
barer am  heiligen  Dienst  beteiligt  waren.  Und  so  erklärt  es  sich  leicht, 
wenn  die  Bischöfe  seit  dem  Ende  des  9.  Jahrhunderts  dazu  übergingen,  ihre 
Hände  mit  einem  entsprechenden  Schmuck  auszustatten,  und  wie  im  gewöhn- 
lichen Leben,  so  auch  beim  Gottesdienst  mit  Handschuhen  zu  bekleiden. 


1  Auch  in  den  Klöstern  waren  Handschuhe,  von  Corhie  aus  dem  Jahre  822  gewähren  den 

und  zwar  .sowohl  Finger-  wie  Fausthandschuhe,  Klosterinsassen    wantos    duos    (1.    1  ,     c.     3 

keineswegs  unbekannt.   Das  22.  der  Aachener  [M.  105,  538]).  Die  Constitutio  Ansegisi  abbat. 

Kapitel  „de  monachis"  vom    Jahre    817    be-  Fontanellensis     wirft     für    Anschaffung    der 

stimmt,    es    solle  jeder   Mönch   im  Sommer  Handschuhe    ein    Pfund    jährlich    aus:     ad 

wantos   und   im  Winter  muffulas  vervecinas  wantos  1.  1  (ebd.  750);  vgl.  auch  die  manicae 

(Fausthandschuhe  aus  Schöpsenfell)  erhalten  (=  wanti)  des  c.  12  der  Regeln  des  hl.  Isidor 

(M.  G.  LL.  c.  1,  345).  Die  Statuten  Adalhards  (M.  83,  882). 


384     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füfse  u.  des  Kopfes. 

Wir  sagten,  der  Hauptgrund:  denn  es  mag  auf  die  Einführung  der 
Pontifikalhandschuhe  auch  das  praktische  Bestreben  von  Einfluß  gewesen  sein, 
die  Hände  des  Bischofs  bis  zur  Vornahme  der  Opferung  möglichst  gegen  Ver- 
unreinigung zu  sichern.  Dafür  spricht  zunächst  die  eigenartige,  auf  den 
Beginn  der  Messe  beschränkte  Verwendung,  welche  die  Pontifikalhandschuhe, 
wie  das  Sakramentar  von  Corbie  beweist,  schon  im  10.  Jahrhundert  fanden. 
Dann  ist  es  wohl  nicht  ohne  Grund,  wenn  bereits  die  älteste  bekannte  mystische 
Deutung  in  den  bischöflichen  chirothecae  das  Symbol  der  Reinheit  sieht  K 
Endlich  ist  auch  die  Antwort  bemerkenswert,  welche  Bruno  von  Segrii  auf 
die  Frage  gibt,  warum  die  Hände  des  Bischofs  mit  Handschuhen  bekleidet 
würden.  „Ich  antworte",  sagt  er,  „kurz  und  bündig:  damit  sie  rein,  sauber, 
von  allem  Schmutze  frei  und  lauter  seien." 

ZWEITES  KAPITEL. 

DIE  PONTIFIKALE  FUSSBEKLEIDUNG. 

I.    DIE  PONTIFIKALE  FUSSBEKLEIDUNG  IN  DER  GEGENWART. 
IHRE  BESTANDTEILE:  SANDALEN  UND  CALIGAE. 

Im  Gegensatze  zu  dem  Hohenpriester  des  Alten  Bundes,  der  barfuß 
seinen  Dienst  verrichtete,  trägt  der  Bischof  bei  Darbringung  des  heiligen 
Opfers  eine  besondere  Fußbekleidung,  die  Sandalen  und  die  Caligae, 
d.  i.  liturgische  Schuhe  und  Strümpfe.  Sie  bilden  wie  die  Pontifikalhandschuhe 
einen  spezifischen  Meßornat,  da  sie  nur  bei  der  Meßfeier,  nicht  aber  auch  bei 
andern  pontifikalen  Amtshandlungen  zur  Verwendung  kommen.  Sie  werden 
dem  Bischof  angezogen,  während  er  die  Vorbereitungsgebete  zur  Messe  ver- 
richtet2. Das  Anlegen  der  Sandalen  und  der  Caligae,  welches  beim  rechten 
Fuß  beginnt,  hat  der  Subdiakon,  welcher  die  Epistel  singt,  unter  Beihilfe  der 
Akolythen  und  der  bischöflichen  Diener  zu  besorgen.  Sache  des  Subdiakons 
ist  es  auch,  die  durch  ein  Velum  verhüllten  Sandalen  und  Caligae  mit  ver- 
deckten Händen  vom  Kredenztisch  herbeizuholen  und  nach  Schluß  der  Messe 
dem  Bischof  die  pontifikalen  Schuhe  und  Strümpfe  auszuziehen  3. 

Die  Sandalen  und  Caligae  tragen  zu  dürfen  ist  ein  bischöfliches 
Vorrecht4.  Äbten  und  sonstigen  Prälaten  steht  ihr  Gebrauch  nur  kraft 
eines  besondern  Privilegiums  zu.  In  dieser  Beziehung  gilt  bezüglich  der 
liturgischen  Fußbekleidung  dasselbe,  was  hinsichtlich  der  Pontifikalhandschuhe 
bemerkt  wurde.  Sandalen  und  Caligae  folgen  nach  gegenwärtigem  Gebrauch 
der  Tages  färbe.  Schwarze  gibt  es  nicht,  da  der  Bischof  sich  weder  in 
Totenmessen  noch  am  Karfreitag  der  pontifikalen  Schuhe  und  Strümpfe  be- 
dient5. Über  ihre  Beschaffenheit  und  Form  bestehen  keine  ausdrück- 
lichen Vorschriften.  Die  Gewohnheit  will  jedoch,  daß  der  Oberteil  der  Schuhe 
und  die  Strümpfe,  welch  letztere  sowohl  durch  Wirkerei  als  auch  durch  Zu- 
sammennähen von  Stoffstücken  hergestellt  werden  können,  aus  Seide  gemacht 
seien.  Behufs  Befestigung  werden  die  Caligae  am  oberen  Ende  zweckmäßig 
mit  Bändern  versehen.  Die  Schuhe,  die  von  den  alten  Sandalen  nur  mehr  den 
Namen  haben,   hinsichtlich   der  Form  aber  von  ihnen  vollständig  verschieden 


'  Sie  findet  sich  im  Sakramentar  von  Corbie.  *  Von    den  Kardinälen    bedienen  sich    nur 

2  Caerem.  episc.  1.  2,  c.  8,-  n.  7.  die  Kardinalbischöfe  und  die  Kardinalpriester 

3  C.    K.    vom     27.    März    1824     (Decret.  der  liturgischen  Fußbekleidung. 

auth.  2G34J.  5  Caerem.  episc.  1.  2,  c  11,  n.  2  et  c.  25,  n.fi. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


385 


sind,  haben  meist  Pantoffel  form  und  können  oben  und  an  den  Seiten  mit 
Stickereien  verziert  werden.  Ein  Kreuz  auf  der  Mitte  des  Oberteiles  an- 
zubringen, ist  nicht  notwendig  und  zu  Rom  sogar  nur  bei  den  Sandalen  des 
Papstes,  nicht  aber  bei  denen  der  Kardinäle  oder  Bischöfe  gebräuchlich  1. 

Bei  der  Bischofsweihe  sind  Sandalen  und  Caligae  nicht  der  Gegenstand 
einer  besondern  Zeremonie.  Das  Gebet,  welches  der  Bischof  nach  dem  römischen 
Missale  bei  Anlegung  der  liturgischen  Fußbekleidung  spricht,  lautet:  „Be- 
schuhe, o  Herr,  meine  Füße  zur  Verkündigung  des  Evangeliums  des  Friedens 
und  beschütze  mich  unter  dem  Schirme  deiner  Fittiche."  Der  Bischof  ist 
vor  allen  der  Herold  des  Friedensevangeliums.  Er  hat  daher  stets  gerüstet 
zu  sein,  dahin  zu  eilen,  wo  das  Brot  der  göttlichen  Lehre  dem  christlichen 
Volke  gebrochen  werden  muß.  Das  Sinnbild  dieses  Bereitseins  ist  die  ponti- 
fikale  Fußbekleidung,  bei  deren  Anlegung  deshalb  der  Bischof  um  die  Gnade 
einer  rechten  Bereitwilligkeit  zur  Predigt  des  Evangeliums  fleht.  Der  zweite 
Teil  des  Gebetes  bezieht  sich  auf  die  Caligae,  das  Symbol  des  göttlichen 
Schutzes,  dessen  der  Verkündiger  der  Heilsbotschaft  bei  der  Ausübung  seines 
hohen  Amtes  bedarf. 


II.    DIE  LITURGISCHE  FUSSBEKLEIDUNG  IN  DER  ROMISCHEN 
KIRCHE  BIS  ZUR  WENDE  DES  ERSTEN  JAHRTAUSENDS. 

Eine  liturgische  Fußbekleidung  ist,  anders  wie  die  pontifikale  Mitra  und 
die  sakrale  Handbekleidung,  nicht  erst  die  Schöpfung  des  ausgehenden  ersten 
Jahrtausends.  Sie  tritt  uns  vielmehr  im  römischen  Ritus  schon  recht  früh 
entgegen.  Indessen  wurde  die  Zeit,  welche  die  Mitra  und  die  Handschuhe 
in  den  Kultus  einführte,  doch  auch  für  die  liturgische  Fußbekleidung  insofern 
sehr  bedeutungsvoll,  als  sie  aus  dieser  ein  ausschließlich  pontifikales  Ornat- 
stück machte. 

Die  sakrale  Beschuhung  kam  vor  allem  stets  dem  Papste  zu.  Als 
Stephan  III.  (752 — 757)  dem  Abte  Fulrad  von  St-Denis  757  das  Recht  ver- 
lieh, sich  des  udonis  ac  subtalaris  calciamentum  zu  bedienen,  bezeichnete  er 
diese  Fußbekleidung  als  ornatum  apostolici  vestimenti,  als  Bestandteil  der 
päpstlichen  Gewandung2.  Dieselbe  war  dem  Papste  sogar  in  einem  solchen 
Maße  eigen,  daß  sie  als  eine  Art  von  Abzeichen  desselben  galt. 

Als  darum  Kaiser  Konstans  den  Papst  Martin  I.  (649 — 655)  zu  Kon- 
stantinopel widerrechtlich  seiner  Würde  beraubte,  ließ  er  ihm  nicht  nur,  wie 
ein  Zeitgenosse  des  Heiligen  und  Augenzeuge  der  von  diesem  erlittenen  Miß- 
handlungen berichtet,  das  psachnion  (Pallium)  abreißen,  sondern  auch  die 
Riemen  seiner  campagi  zerschneiden  3.  Ahnlich  berichtet  der  Liber  Pontificalis 
in   der  Vita   Stephani  IV.    (768 — 772),   es   habe   der   Diakon   Maurianus   dem 


'  Die  Pontifikalstrttmpfe  sind  nicht  mehr 
überall  in  Brauch ,  so  nicht  in  vielen  Diö- 
zesen Deutschlands.  Man  begnügt  sich  mit 
den  gewöhnlichen  violetten  bischöflichen 
Strümpfen. 

-  J.  n.  2330.  Wegen  der  Echtheit  des  Doku- 
mentes ,  welche  Pflugk-Harttung  leugnet, 
vgl.  Hist.  Jahrb.  1883 ,  587 ,  worin  Grauert 
für  dieselbe  eintritt.  Dafür  auch  0 eisner, 
Jahrbücher  des  fränkischen  Reiches,  Leipzig 
1871,  287.  Aus  dem  Inhalt  der  Bulle  dürfte 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


sich  schwerlich  ein  Grund  für  die  Unecht- 
heit  hernehmen  lassen;  aber  auch  sonst  liegt 
unseres  Erachtens  kein  genügender  Anlaß 
vor,  ihre  Echtheit  in  Frage  zu  ziehen.  Fulrad 
war  nur  Priester,  weshalb  der  liturgische 
Schuh,  dessen  Gebrauch  ihm  gestattet  wird, 
in  der  Bulle  ganz  richtig  subtalaris  genannt 
wird  (vgl.  die  Angaben  des  S.  G.  K.). 

3  Commemoratio  eoium,  quae  saeviter  acta 
sunt  in  sanctum  .  .  .  martyrem  Martinum 
papam  (M.  129,  595). 

25 


386     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füf3e  u.  des  Kopfes. 

Afterpapst  und  Eindringling  Konstantin  zum  Zeichen  seiner  Absetzung  das 
Orarium  (hier  Pallium)  vom  Halse  genommen  und  die  campagi  von  den  Füßen 
geschnitten  1. 

Nichtsdestoweniger  ist  es  unzutreffend  und  eine  Übertreibung,  wenn  die  beiden 
Mönche  Theodosius  und  Theodorus  in  ihrem  um  670  geschriebenen  Hypomnestikon 
die  Bemerkung  machen,  es  trage  diese  Beschuhung  kein  anderer  unter  deu  Menschen 
als  der  römische  Papst  -.  Denn  wir  treffen  genau  dieselbe  Puläbekleidung,  wie  sie  die 
Päpste  Honorius  I.  (625—638)  und  Symmachus  (498 — 514)  auf  dem  um  630  ent- 
standenen Mosaik  der  Apsis  von  St  Agnese  fuori  le  Mura  haben  (Bild  64,  S.  160), 
bereits  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  auf  den  musivischen  Darstellungen  in  S.  Vi- 
tale zu  Eavenna  (Bild  63,  S.  159)  bei  Erzbischof  Maximian  von  Ravenna  und  seinen 
Ministri,  ja  sogar  schon  gegen  das  Ende  des  5.  Jahrhunderts  bei  den  hll.  Ambrosius 
und  Maternus  auf  dem  Mosaik  der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  bei  S.  Ambrogio  zu  Mai- 
land (Bild  62,  S.  158)  an.  Ebenso  finden  wir  sie  beim  Presbyter  Vincentius  auf 
einem  dem  6. — 7.  Jahrhundert  entstammenden  Fresko  in  S.  Callisto  zu  Rom3.  Dafs 
ferner  die  Diakone  von  Messina  bereits  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  die  campagi 
trugen,  erhellt  aus  dem  Schreiben  Gregors  d.  Gr.  an  den  Bischof  Johannes  von  Sy- 
rakus.  „Wir  haben  gehört",  so  schreibt  der  Papst,  „es  hätten  sich  die  Diakone  von 
Catania  unterfangen,  mit  campagi  beschuht  (zur  Messe)  aufzuziehen.  Bisher  ist  so  etwas 
in  ganz  Sizilien  nur  den  Diakonen  von  Messina  erlaubt  gewesen,  welche  dazu  von 
unsern  Vorgängern  unzweifelhaft  ermächtigt  wurden.  Da  man  nun  ein  so  verwegenes 
Beginnen  nicht  leicht  nehmen  darf,  so  wolle  Eure  Fraternität  mit  aller  Gründlichkeit 
den  Sachverhalt  untersuchen.  Sollte  die  Nachricht,  die  wir  erhielten,  der  Wirklichkeit 
entsprechen,  so  möge  Eure  Fraternität  uns  auch  genau  mitteilen,  ob  die  Diakone.  von 
Catania  aus  sieh  oder  auf  Anstiften  von  irgend  einem  andern  hin  der  Sache  sich 
unterfangen  haben,  damit  wir  das  Nötige  anordnen."  3  Es  war  also  schon  unter  den 
Vorgängern  Gregors  d.  Gr.  den  Diakonen  von  Messina  gestattet  worden,  sich  des 
campagus  bei  ihren  Amtsverrichtungen  zu  bedienen. 

Daß  auch  die  römischen  Diakone  zu  Gregors  Zeit  den  campagus 
trugen,  wird  in  dem  Schreiben  an  Johannes  nicht  ausdrücklich  ausgesprochen. 
Indessen  kann  das  Vorrecht,  welches  des  Papstes  Amtsvorgänger  den  Diakonen 
von  Messina  verliehen  hatte,  wohl  nur  als  Zuwendung  einer  den  Diakonen 
von  Rom  zustehenden  Fußbekleidung  aufgefaßt  werden.  So  war  ja  auch  vor 
Gregor  in  Sizilien  nach  dem  Vorbild  der  römischen  Kirche  eine  Amtstunika 
für  die  Subdiakone  eingeführt  worden.  Es  ist  sogar  nicht  unwahrscheinlich, 
daß  zu  Gregors  d.  Gr.  Lebzeit  zu  Iiom  eine  liturgische  Beschuhung  nicht  bloß 
bei  den  Diakonen,  sondern  auch  bei  den  Subdiakonen  und  Akolythen 
im  Gebrauche  war.  Jedenfalls  verhielt  es  sich  so  um  den  Beginn  des  8.  Jahr- 
hunderts. 


1  Duch.,  L.  P.  I  472;  vgl.  dazu  nota  21, 
p.  482.  Was  hier  und  in  der  Commemoratio 
berichtet  wird ,  wirft  ein  helles  Licht  auf 
eine  bisher  ungedeutete  Stelle  in  des  A  g- 
nellus  Liber  pontificalis  (M.  G.  SS.  Langob. 
352),  von  der  noch  der  Herausgeber  desselben 
in  den  M.  G. ,  Holder-Egger ,  gestand  (ebd. 
nota  4) :  Hoc  quid  sibi  velit ,  non  intelligo. 
Es  wird  dort  erzählt,  Papst  Vitalian  habe 
den  scbismatischen  Erzbischof  Maurus  von 
Ravenna  exkommuniziert,  worauf  dieser  das 
gleiche  mit  Bezug  auf  den  Papst  getan. 
Darüber  seien  beide  gestorben.  Wie  nun 
berichtet  werde,  sei  die  Sache  nach  längerer 


Zeit  zu  Rom  auf  einem  Konzil  beraten  worden 
und  hätten  dann  die  Bischöfe  zum  Zeichen  der 
Absetzung  beider  summitatem  cunpadis  pedis 
dexteri  zerschnitten.  Liest  man  statt  des 
verderbten  cunpadis  das  richtige  campagi,  so 
erklärt  sich  die  —  freilich  fabelhafte  —  An- 
gabe des  romfeindlichen  Agnellus  auf  die  ein- 
fachste Weise.  Der  campagus  galt  damals  als 
Symbol  des  Amtes,  sein  feierliches  Zerschnei- 
den war  also  Ausdruck  der  Amtsentsetzung. 

-  M.  129,  685.  Sie  tun  das  mit  Bezug 
auf  einen  als  Reliquie  des  hl.  Martin  I.  auf- 
bewahrten campagus. 

s  Ep.  1.  8,  n.  27  (M.  G.  Epp.  II  28). 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


387 


Unter  den  Vorrechten  nämlich,  welche  der  Verfasser  des  Constitutum 
Constantini  den  Kaiser  Konstantin  clericis  diversis  ordinibus  eidem 
romanae  ecclesiae  servientibus  verleihen  läßt,  befindet  sich  auch 
dieses,  daß  sie  sich  der  Auszeichnung  erfreuen  sollten,  sicut  noster  senatus 
calceamenta  uti  cum  udonibus,  i.  e.  candido  linteamine  1.  Es  wurde  demnach 
zur  Zeit,  da  die  pseudo-konstantinische  Schenkung  entstand,  sonder  Zweifel 
schon  lange  das  auszeichnende  Schuhwerk  von  den  verschiedenen  Ordines 
des  römischen  Klerus  getragen. 

Selbst  im  9.  Jahrhundert  fand  eine  liturgische  Fußbekleidung  in  Rom 
noch  bei  Geistlichen  aller  Ordines  Verwendung.  Denn  Amalar  berichtet  in 
seiner  Erklärung  des  römischen  Meßritus  und  der  römischen  Sakral- 
kleidimg ausdrücklich  von  den  sandalia  des  Bischofs,  des  Priesters,  des  Dia- 
kons und  des  Subdiakons.  Ebenso  weist  noch  das  St  Gallener  Kleider- 
verzeichnis den  Presbytern,  Diakonen  und  Subdiakonen,  ja  selbst  den  Akolythen 
eine  liturgische  Beschuhung  zu 2. 

Der  1.  und  der  3.  römische  Ordo  reden  weder  von  den  campagi  noch 
von  den  udones,  obschon  sie  doch  genau  angeben,  mit  welchen  Gewändern 
der  Papst  vor  dem  Amte  zu  bekleiden  war.  Dem  oberflächlichen  Blick  mag 
das  auffällig  erscheinen.  Die  Sache  erklärt  sich  indessen  sehr  leicht.  Mit 
der  Fußbekleidung  versahen  sich  Papst  und  Ministri  bereits  vor  dem  feier- 
lichen Aufritt  zur  Kirche,  in  welcher  Station  zu  halten  war.  Ein  Wechsel 
der  Beschuhung  in  der  Sakristei  war  infolgedessen  natürlich  nicht  notwendig. 
Wenn  jemand  die  Bischofsweihe  empfangen  sollte,  wurde  er  nach  dem  8.  Ordo 
Mabillons,  welcher  noch  ins  8.  Jahrhundert  hinaufreichen  wird,  im  Sekre- 
tarium  während  der  Absingung  des  Graduale  mit  den  campobi  (verderbte 
Lesart  für  campagi)  versehen 3. 

Ob  campagi  und  udones  von  Anfang  an  ein  ausschließlicher  M  e  ß- 
ornat  wie  die  jetzigen  Sandalen  und  Caligae  waren,  muß  dahingestellt 
bleiben.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  noch  auf  den  Bildwerken  des  6.  und 
7.  Jahrhunderts  selbst  Laien  mit  derselben  Fußbekleidung  versehen  sind, 
welche  wir  auf  ihnen  bei  den  Päpsten,  bei  Bischöfen  und  sonstigen  Geist- 
lichen gewahren.  Beispiele  liefern  die  Mosaiken  in  S.  Cosma  e  Damiano  (die 
Titelheiligen)1  und  S.  Teodoro  (der  hl.  Theodor  und  ein  zweiter  ungenannter 
Heiliger)5  zu  Rom  und  der  musivische  Wandschmuck  in  S.  Vitale  (das  Gefolge 
Justinians  und  Theodoras)  zu  Ravenna. 


1  Hinscliius,  Decret.  Pseudoisidor.  253. 
Ob  man  unter  den  römischen  Klerikern  der 
Schenkung  nur  die  Kardinalkleriker  versteht, 
wie  Grauert  (Histor.  Jahrbuch  IV  [1883]  48) 
will  (vgl.  auch  S  che  f  f  er-  Boich  o  r  st  in 
Mitteilungen  des  Institutes  für  österreichische 
Geschichtsforschung  X  [1889]  305  f  und 
Sägmüller,  Tätigkeit  und  Stellung  der 
Kardinäle,  Freiburg  1896,  159,  Anm.  3),  oder 
den  ganzen  Weltklerus  Roms,  ist  hier  von 
keinem  Belang. 

2  Die  Interpunktion,  wie  sie  in  dem  Ab- 
druck des  S.  G.  K.  bei  Mabillon  (M.  78,  985) 
im  Anfang  von  n.  3  sich  findet,  ist  sinnlos. 
Statt  presbyter  romanus  similiter,  praeter  tan- 
tum  subtalares,  quos  mittit  presbyter  et  dia- 
conus.    In  primis  cam.  etc.  ist  zu  lesen :  quos 


mittit  presbyter,  et  diaconus  in  primis  cam. 
Nach  der  jetzigen  Interpunktion  werden  auch 
dem  Diakon  die  subtalares  zugeschrieben,  ob- 
schon sich  aus  dem  Folgenden  ergibt,  daß 
er  wie  der  Bischof  die  campagus  genannte 
Schuhart  trug. 

3  N.  8  (ebd.  1004). 

4  Entstanden  unter  Felix  IV.  (526—530). 
Garr.  tav  253. 

5  6. — 7.  Jahrhundert.  Garr.  tav.  252. 
Auch  auf  dem  Mosaik  in  S.  Venanzo  zu 
Rom  tragen  die  Laien  Paulinianus,  Telius, 
Antiochianus  und  Gajanus  jetzt  dieselbe 
Fußbekleidung  wie  die  Bischöfe  Domnio  usw. 
Es  ist  wahrscheinlich ,  daß  solches  schon 
im  wesentlichen  vor  der  in  diesem  Jahr- 
hundert erfolgten  Erneuerung  der  Fall  war. 

25* 


388      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Die  offiziellen  Namen  für  den  liturgischen  Schuh  waren  bis  ins  10.  Jahr- 
hundert hinein  zu  Korn  campagus  und  subtalaris.  Gegen  die  Wende  des  Jahr- 
tausends kommen  dann  beide  allmählich  außer  Gebrauch,  indem  sie  der  Bezeichnung 
sandalia  Platz  machen.  Im  12.  Jahrhundert  ist  die  neue  Benennung  fast  ausschließlich 
üblich.  Schon  die  Bullen  des  11.  Jahrhunderts,  in  welchen  Äbten  das  Recht  ver- 
liehen wird,  die  liturgischen  Schuhe  zu  tragen,  reden  mit  verschwindenden  Ausnahmen 
nur  noch  von  sandalia.  Dieses  Wort  begegnet  uns  als  Name  der  sakralen  Fußbekleidung 
zuerst  im  Norden.  Sandalia  heißt  dieselbe  z.  B.  schon  bei  Hraban,  bei  Amalar,  bei 
Walafried  Strabo  u.  a.,  während  der  S.  G.  K.  den  liturgischen  Schuh  noch  campagus 
bzw.  subtalaris  nennt.  Der  Name  Sandalia  dürfte  sich,  wie  sich  aus  den  Aus- 
führungen Hrabans  ergibt,  an  Mk  6,  9  anlehnen.  Immerhin  mag  auch  die  sandalen- 
artige  Form  des  Schuhes,  von  der  später  die  Rede  sein  wird,  zum  Aufkommen  der 
Bezeichnung  beigetragen  haben. 

Der  älteste  Name  für  den  sakralen  Strumpf  bzw.  die  unmittelbar  über  den 
Füßen  getragene,  bis  zu  den  Knieen  reichende  innere  Fußbekleidung  ist  u  d  o  (o  d  h  o, 
odo).  Das  Wort  kommt  im  klassischen  Latein  nur  selten  vor.  Bei  Martial  (Epigr. 
14,  140)  bedeutet  es  wohl  einen  Filzschuh.  Diokletians  Maximaltarif  zählt  die  udones 
zu  den  Gewandstücken,  welche  der  braecarius,  der  Hosenmacher,  Schneider,  anfertigte  *. 
Ulpian  rechnet  sie  nicht  zu  den  vestes,  sondern  zu  den  calceamenta  -.  Als  terminus 
technicus  der  inneren  Fußbekleidung  erhielt  sich  das  Wort  bis  gegen  das  zweite  Jahr- 
tausend; dann  verschwindet  es,  um  der  Bezeichnung  caliga  Platz  zu  machen.  Caliga 
bezeichnete  bei  den  Römern  den  Soldatenschuh  und  noch  in  den  Regeln  des  hl.  Benedikt 
und  des  Magisters  einen  schweren  Winterschuh 3.  Später  verknüpfte  man  aber  mit 
ihm  die  Bedeutung  Strumpf,  und  es  wurde  dann  caliga  der  Sondername  für  den  ponti- 
fikalen  Strumpf.  Wie  es  seheint,  geschah  letzteres  gleichfalls  zuerst  im  Norden. 
So  wiederholt  sich  auch  bei  der  liturgischen  Fußbekleidung,  was  sich  schon  bei  andern 
zum  Kultus  gehörenden  Gewandstücken  wahrnehmen  ließ,  daß  eine  dem  Ursprung 
nach  außerrömische  Benennung  zu  Rom  Eingang  findet  und  die  dort  gebräuchliche 
Bezeichnung  allmählich  ganz  verdrängt.  Die  Caligae  hießen  übrigens  im  späteren  Mittel- 
alter auch  wohl  sotulares  (soculares),  verderbt  aus  subtalares ;  so  in  einem  Inventar 
von  Angers:  Duo  paria  sandaliorum  cum  socularibus;  ferner  in  einem  Schatzverzeichnis 
von  Amiens  (1347):  sandalia  pontificalia  de  dyaspreto  rubeo  cum  sotularibus  —  et 
sunt  sotulares  ipsi  operati  de  auro  cum  nodulis  et  armis  Franciae  et  Navarrae  und 
in  den  Gesta  der  Bischöfe  von  Le  Mans  4,  wo  berichtet  wird,  Gottfried  von  London 
habe  der  Kathedrale  sandalia  et  sotulares  rubei  serici,  auri  preciosorumque  lapidum 
varietate  distincta  geschenkt. 

III.  DIE  LITURGISCHE  FUSSBEKLEIDUNG  AUSSERHALB  ROMS 
BIS  ZUM  XL  JAHRHUNDERT. 

Am  frühesten  begegnen  uns  campagi  und  udones  in  der  Mailänder 
Kirche,  früher  noch  als  selbst  in  Rom.  Denn  es  ist  gewiß  nicht  Zufall,  wenn 
auf  dem  Mosaik  in  der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  (5.  Jahrhundert)  nur  Am- 
brosius  und  Maternus,  nicht  aber  die  neben  ihnen  stehenden  hll.  Gervasius, 
Protasius,  Nabor  und  Felix  mit  solchen  ausgestattet  sind,  letztere  vielmehr 
bloße  Füße  und  die  gewöhnlichen  Sandalen  aufweisen.  Die  Fußbekleidung 
soll  ersichtlich  den  Stand  der  beiden  heiligen  Bischöfe  andeuten. 

In  Sizilien  bedienten  sich  die  Diakone  von  Messina  des  campagus 
seit  etwa  der  Mitte  des  6.  Jahrhunderts;    zu  Gregors  d.  Gr.  Zeit  aber  hatten 


Ebenso    weist    Rufinianus    auf   dem    Fresko  '  Mommsen-Blümner  ,    Der    Maximal- 

in  dem  Cümeterium  der  Generosa,  das  nach  tarif  des  Diokletian   113. 

de  Rossi  vor  682  entstanden  sein  muß,    die  ■  Dig.  34,  2,  25,  §  4. 

gleiche  Beschuhung   auf    ( Abbildung  bei    de  3  Benedict.  Anian.  Concordia  regul.  c.  62, 

Rossi,   Roma  sott.  III,    tav.  Li,   besser  bei  §  1   28  (M.  103,  1229  f  1252). 

Wilp.,  Kat.  Tri  262).  *  C.  44  (Mabillon,  Vet.  Anal.  III  390). 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


389 


auch  die  Cantanenser  Diakone  angefangen,  ihn  zu  tragen.  Daß  auch  sizili- 
anische  Bischöfe  damals  von  ihm  Gebrauch  machten,  wird  zwar  nicht  be- 
richtet, ist  aber  sehr  wahrscheinlich.  Denn  wenn  sich  Diakone  auf  Sizilien  des 
campagus  rühmen  konnten,  so  werden  sich  seiner  erst  recht  die  Bischöfe  erfreut 
haben.  Wir  hören  überhaupt  niemals  davon,  daß  Rom  Bischöfen  die  Erlaubnis 
verlieh,  sich  seiner  zu  bedienen.  Es  scheint,  daß  diese  dazu  nie  einer  Er- 
mächtigung bedurften. 

Zu  Bavenna  müssen  campagi  und  udones  schon  vor  der  Mitte  des 
6.  Jahrhunderts  sowohl  beim  Bischof  wie  auch  bei  den  Diakonen  in  Be- 
nutzung gewesen  sein.  Auf  den  Mosaiken  in  S.  Vitale  zu  Ravenna  und  S.  Apol- 
linare  in  Classe,  welche  ca  547  und  567  entstanden,  finden  sie  sich  nämlich 
nicht  bloß  bei  den  Bischöfen  Maximian,  Ecclesius,  Ursicinus,  es  sind  vielmehr 
ebenso  die  Diakone  Maximians  in  8.  Vitale  mit  ihnen  ausgestattet. 

Wie  weit  sie  sonst  noch  in  Italien  im  6.  und  7.  Jahrhundert  ver- 
breitet waren,  läßt  sich  nicht  sagen1.  Nach  England  mögen  sie  zugleich  mit 
dem  römischen  Ritus  durch  den  hl.  Augustinus  gekommen  sein2;  doch  fehlt 
es  an  Nachrichten  über  ihre  Verwendung  daselbst. 

Freilich  soll  im  3.  Kapitel  des  Pönitentiale  Theodors  von  Canterbury  (f  690), 
das  seit  dem  12.  Jahrhundert  in  den  Pontifikalien  mehrfach  dem  Ritus  der  Abtsweihe 
vorausgeschickt  wurde,  von  der  liturgischen  Fußbekleidung  die  Eede  sein 3.  Es  heißt 
darin :  In  ordinatione  abbatis  episcopus  debet  missam  cantare  et  eum  benedicere  .  .  . 
et  dat  ei  baculum  et  pedules.  Indessen  ist  erstens  die  Autorschaft  Theodors  mehr 
als  fraglich.  Dann  aber  scheint  pedules  ein  Schreibfehler  für  regulas  zu  sein  '.  Ein 
um  1200  entstandenes  Pontifikale  von  Sens  schreibt  richtig :  dat  ei  baculum  et  re- 
gulam 5.  Tatsächlich  wird  auch  in  keinem  Formular  für  die  Einsegnung  der  Äbte 
der  Übergabe  einer  besondern  Fußbekleidung  weiter  gedacht ;  wohl  aber  werden  nach 
allen  dem  Abte  außer  dem  Stab,  wie  das  auch  sehr  bezeichnend  ist,  die  Ordensregeln 
übergeben  e.  Drittens  endlich,  was  sollen  überhaupt  die  pedules  im  Kapitel  Theodors 
bedeuten?  Unter  den  pedules  wurde  keine  Schuhart,  sondern  die  innere  Fußbekleidung, 
also  eine  Art  von  Strumpf  verstanden.  In  diesem  Sinne  begegnet  uns  das  Wort 
wiederholt  in  den  Mönchsregeln.  Auch  waren  die  pedules  kein  dem  Abte  ausschließlich 
zustehendes  Gewandstück.  Vielmehr  trugen  alle  Mönche  dieselben,  zumal  zur  Winters- 
zeit 7.     Allerdings  kommen  in  späterer  Zeit  pedules  hie  und  da,    wenngleich  nur  sehr 


1  In  der  Vita  S.  Fulgentii  (t  ca  529),  die 
von  einem  Schüler  des  Heiligen  verfaßt 
wurde ,  werden  calceamenta  clericorum  er- 
wähnt. Es  ist  darunter  aber  allem  Anschein 
nach  keine  sakrale ,  sondern  eine  außer- 
liturgische Beschuhung  der  Geistlichen  zu 
verstehen.  Es  folgt  das  aus  dem  Gegensatz, 
in  welchem  dieselben  zur  mönchischen  winter- 
lichen caliga  und  sommerlichen  caligula 
gesetzt  werden.  Der  Biograph  will  nur  sagen, 
der  hl.  Fulgentius  habe  sich,  seitdem  er 
aus  einem  Mönch  Bischof  geworden,  aus 
Demut  weiterhin  der  den  Mönchen  eigenen 
Fußbekleidung  bedient.  Sic  studio  humilitatis 
ambitionem  vestium  fugit,  ut  nee  ipsa  calcea- 
menta suseipiens  clericorum  aut  ultimis 
(vilissimis)  caligis  in  tempore  hiemis ,  aut 
caligulis  in  tempore  aestatis  uteretur.  Intra 
monasterium  sane  interdum  soleas  aeeipiebat, 
frequenter  nudis  pedibus  ambulabat  (c.  18 
[M.  65,   136]). 


2  Nach  B  e  d  a  sandte  Gregor  d.  Gr.  dem 
hl.  Augustinus  durch  Mellitus,  Justus,  Pau- 
linus  und  Rufinianus ,  die  er  dem  Apostel 
Englands  zu  Hilfe  schickte,  quae  ad  eultum 
erant  ac  ministerium  necessaria,  darunter 
auch  sacerdotalia  vel  clericalia  indumenta. 
Auch  übersandte  er  ihm  das  erzbischöfliche 
Pallium,  indem  er  gleichzeitig  selbiges  für 
die  demnächst  zu  kreierenden  Metropoliten 
von  York  und  London  (Canterbury)  in  Aus- 
sicht stellte  (Hist.  eccl.  1.  1,  c.  29  [M.  95,  69]). 

3  Roh.   VIII  179  u.  a. 

4  Vielleicht  veranlaßt  durch  ein  Mißver- 
ständnis der  angelsächsischen  p,  g  und  e. 

5  Mart.  1.  2,  c.  1,  ordo  5;  II  155.  Vgl. 
auch   ebd.  ordo  1 ;    II  147 :    dat  ei   regulam. 

6  Hitt.  155.     Mart.  1.  2,  c.  1;  II  146. 

7  Cf.  Benedict.  Anian.,  Concordia  regul. 
c.  62  (M.  103,  1229  ff).  Vgl.  auch  D.  C.  sub 
pedules  VI  246.  Bei  Ulpian  (Dig.  34,  2, 
25 ,    §    4)    werden    die    pedules    gleich    den 


390     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

vereinzelt,  im  Sinne  der  Pontifikalstrümpfe  vor '.  Indessen  welchen  Sinn  hat  eine 
Übergabe  der  Pontifikalstrümpfe  ohne  die  der  Sandalen?  Und  dann  kamen  ja  die 
Pontifikalstrümpfe  erst  in  weit  späterer  Zeit  bei  den  Äbten  in  Gebrauch. 

Ein  imbegreifliches  Mißverständnis  ist  es,  wenn  de  Linas  den  ehrwürdigen  Beda 
von  der  liturgischen  Fußbekleidung  sprechen  läßt.  Bede  (De  fabernaculo),  sagt  der- 
selbe 2,  enumerant  les  habits  de  lin,  qui  doivent  envelopper  le  corps  du  pretre,  dit 
au  sujet  des  f'asciae  crurales  et  pedules:  Genua,  ne  ab  orationis  instantia 
torpeant,  tibias  et  pedes,  ne  ad  malum  currant.  Beda  redet  an  der  fraglichen  Stelle 3 
von  der  Tunika,  nicht  von  fasciae  crurales  et  pedules.  Auch  spricht  er  nicht  von 
der  Gewandung  der  christlichen,  sondern  der  jüdischen  Priester,  bei  denen  es  be- 
kanntlich eine  derartige  Fußbekleidung  nicht  gab. 

Die  früheste  Nachricht,  die  wir  aus  Gallien  über  eine  liturgische  Fuß- 
bekleidung erhalten,  findet  sich  in  dem  bereits  erwähnten  Dokument  Stephans  III. 
vom  Jahre  757,  in  welchem  der  Papst  dem  Abt  Fulrad  von  St-Denis  den 
Gebrauch  der  udones  und  der  subtalares  gestattet. 

Allerdings  geschieht  der  subtalares  schon  in  Urkunden  der  Bischöfe 
Innocentius  (f  541),  Domnolus  (f  552),  Hadoindus  (f  652)  und  Berarius 
(f  678)  von  Le  Mans  Erwähnung4.  Allein  diese  Schriftstücke  sind  nichts 
als  spätere  Fälschungen  zum  Zwecke  der  Wahrung  vermeintlicher  Rechte0. 
Unecht  ist  auch  die  von  667  datierte  Schenkung  Leodebods  von  Aniane 
mit  ihren  sandalia  duo  ad  missam6. 

Im  gallikanischen  Ritus  scheint  es  eine  besondere  Beschuhung  nicht 
gegeben  zu  haben,  wenngleich  es  den  Klerikern  durch  den  20.  Kanon  des 
Konzils  von  Agde  aus  dem  Jahre  506 7  und  durch  den  5.  Kanon  des  Konzils 
von  Mäcon  vom  Jahre  583 8  untersagt  worden  war ,  calciamenta  saecularia, 
nisi  quae  religionem  decent,  anzuziehen. 

Für  die  Aufnahme  der  liturgischen  Fußbekleidung  im  Franken- 
reich war  die  Reformtätigkeit  Karls  d.  Gr.  von  höchster  Bedeutung.  Ein 
Kapitular  des  Kaisers  aus  dem  Jahre  789  beschäftigte  sich  unter  anderem 
auch  mit  den  calciamentis  secundum  usum  romanum  9.  Leider  ist  von  dem 
betreffenden  Kapitel  nur  mehr  der  Titel  vorhanden,  so  daß  es  nicht  hin- 
länglich klar  ist,  ob  es  sich  darin  um  eine  sakrale  oder  eine  profane  Fuß- 
bekleidung handelte;  doch  ist  nach  der  Überschrift  wie  dem  Zusammenhang- 
kaum  daran  zu  zweifeln,  daß  an  die  erstere  gedacht  ist. 


fasciae  crurales  und  den  impilia  (Filzsocken) 
zu  den  vestes  gerechnet,  quia  partem  cor- 
poris vestiunt. 

1  So  in  zwei,  allerdings  wenig  zuverlässigen 
Bullen  für  S.  Piefcro  in  Cielo  d'Oro  zu  Pavia 
(J.  n.  3826  4233)  und  in  einer  Handschrift  des 
12.  (nicht  11.)  Jahrhunderts  bei  Gerbert, 
Monum.  liturg.  alem.  II  52. 

2  Revue  1863,  241.  So  auch  aus  de  Linas 
Roh.  VIII  179. 

3  De  tabernac.  L.  3,  c.  8  (M.  91,  480). 

*  Es  heißt  darin,  das  Kloster  des  hl.  Carilef 
zu  Anisola  (St-Calais-du-Desert,  Mayenne) 
solle  jährlich  an  die  Mutterkirche  von  Le 
Mans  außer  andern  Abgaben  ad  opus  epi- 
scopi  .  .  .  subtalares  2  entrichten  (Mabillon, 
Vet.  Analect.  III  85  105  163  181  233).  Nicht 
die  Bischöfe  hinterließen  die  subtalares  den 


Äbten  des  Klosters  des  hl.  Carilef,  wie 
de  Linas  (Revue  1862.  620)  sagt.  Es  hatten 
diese  vielmehr  die  subtalares  zum  Gebrauch 
des  Bischofs  von  Le.  Mans  jährlich  zu  liefern. 
In  der  Bestätigungsurkunde  Chilperichs, 
welche  derjenigen  des  Bischofs  Domnolus 
beigefügt  ist,  wird  sogar  ausdrücklich  be- 
merkt: et  2  subtalares  ad  missam  cantandam 
optimos  (ebd.  107;  cf.  184:  duo  subtalares 
ad  officium  suum  peragendum). 

5  Paul  Roth,  Beneflzialwesen,  Erlangen 
1850,  451.  Havet,  Les  chartes  de  St-Calais, 
in  Bibliotb.  de  l'Ecole  des  Chartes  SLV1II 
(1887)  5  f. 

6  M.  88,  1188. 

7  Hard.  II  1000. 

8  M.  G.  LL.  sect.  III,  Conc.  I  156. 

9  Ebd.  sect.  II,  Cap.  I  64. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung.  391 

Seit  dem  Ende  des  8.  Jahrhunderts  ist  in  der  Tat  wiederholt  von  einer 
liturgischen  Beschuhung  die  Rede,  zuerst  bei  Theodulf  von  Orleans1,  dann 
bei  Hraban,  Amalar,  Walafried  Strabo,  Pseudo-Alkuin  u.  a.  Von  keinem  wird 
sie  als  spezifisch  bischöflicher  Ornat  bezeichnet.  Amalar  redet  sogar  aus- 
drücklich von  den  Sandalen  des  Bischofs,  des  Priesters,  des  Diakons  und  des 
Subdiakons  2.  Ein  gleiches  tut  Pseudo-Alkuin,  dessen  Ausführungen  indessen 
zum  größten  Teil  fast  wörtlich  von  Amalar  entlehnt  sind. 

Daß  sich  wirklich  im  9.  Jahrhundert  im  Frankenreiche  nicht  die  Bischöfe 
allein  einer  besondern  Beschuhung  beim  heiligen  Opfer  bedienten,  erhellt  aus 
Kapitel  371  des  ersten  Buches  der  Kapitularensammlung  des  Benedikt  Levita: 
„Ein  jeder  Priester  soll  das  Meßopfer  nach  dem  römischen  Ordo  in  Sandalen 
darbringen."3  Ein  gleiches  ergibt  sich  aus  c.  105  der  Kapitel  Herards  von 
Tours  aus  dem  Jahre  858,  welches  bestimmt,  es  sollten  die  Priester  in  San- 
dalen die  Messe  feiern 4.  Unklar  ist,  wohin  die  Tendenz  dieser  Bestimmungen 
wie  auch  des  Kapitulars  Karls  d.  Gr.  aus  dem  Jahre  789  ging.  Wollte  man 
durch  Einführung  der  römischen  Fußbekleidung  eine  minder  passende  in 
Gallien  gebräuchliche  beseitigen,  oder  hat  man  ihre  Aufnahme  vorgeschrieben, 
weil  man  sie  als  Bestandteil  des  römischen  Ritus  ansah,  oder  sollte  endlich 
die  Herübernahme  der  auszeichnenden  römischen  Beschuhung  eine  Ehrung  für 
den  gallischen  Klerus  darstellen? 

Übrigens  kann  die  Verwendung  einer  sakralen  Fußbekleidung  seitens 
der  Priester  und  des  übrigen  Klerus  im  Frankenlande  während  des  9.  Jahr- 
hunderts nicht  allgemein  gewesen  sein;  denn  die  sandalia  werden  weder  in 
der  sog.  Admonitio  synodalis  noch  in  den  Capitula  Riculfs  von  Soissons  unter 
die  Ornatstücke  gerechnet,  deren  sich  der  Priester  bei  der  Messe  zu  bedienen 
und  die  er  darum  für  die  Feier  des  heiligen  Opfers  vorrätig  zu  halten  hatte. 
Zudem  muß  die  sakrale  Beschuhung  spätestens  im  Verlauf  des  10.  Jahr- 
hunderts bei  dem  niedern  Klerus  dort  wieder  außer  Gebrauch  gekommen  sein, 
wo  sie  etwa  im  9.  von  ihm  getragen  zu  werden  pflegte.  Denn  die  Sandalen 
waren  bereits  um  die  Wende  des  Jahrtausends  im  Norden  allgemein  ein  durch- 
aus pontifikales  Ornatstück  geworden. 

IV.    DIE  BESTANDTEILE  DER  LITURGISCHEN  FUSSBEKLEIDUNG. 

Wie  die  sakrale  Fußbekleidung  gegenwärtig  aus  zwei  Stücken  besteht, 
so  setzte  sie  sich  auch  schon  im  ersten  Jahrtausend  aus  zwei  Bestandteilen 
zusammen,  dem  Schuh  und  der  inneren  Umhüllung  des  Fußes. 

Man  hat  freilich  gesagt,  von  den  Pontifikalstrümpfen  sei  erst  bei  Ivo 
von  Chartres  (f  ca  1117)  die  Rede,  und  es  habe  die  liturgische  Fußbekleidung 
im  9.  Jahrhundert  nur  in  Sandalen  bestanden3.  Beides  ist  jedoch  durchaus 
unzutreffend. 

Von  den  Caligae  redet  nicht  erst  Ivo,  sondern  schon  1046  Klemens  II. 
in  seinem  Schreiben  an  den  Abt  von  Fulda  und  das  Sakramental-  von  Corbie 
gegen  das  Ende  des  10.  Jahrhunderts.  Usum  sandaliorum ,  caligarum  ac 
dalmaticarum  .  .  .  cunctis  .  .  .  abbatibus  .  .  .  abradentum  omnino  iubemus,  sagt 


1  Carm.    1.  5 ,    n.  3   (M.  105,  355):    Linea  3  Baluzius,    Capit.    reg.   Franc.  I    903; 
crusque  pedesque  tegaut  talaria  nt  apte,  qui  M.  97,  750. 

super,  addatur  campagus  ipse  decens.  4  Ebd.  I  1293;  M.  121,  771. 

2  De    eccles.    off.    1.    2,    c.    26    (M.    105,  5  ßealenc.  II  215.    Vgl.  auch  Hef.,  Beitr. 
110).  II  221  und  Thalliofer  893. 


392     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füf3e  u.  des  Kopfes. 

Klemens1;  das  Sakramental-  aber  bemerkt:  Prius  quidem  minister  deferat 
caligas  usque  ad  genua  tendentes  .  .  .  deinde  minister  det  sandalia2.  Es 
werden  die  Caligae  sogar  bereits  im  Testament  Riculfs  von  Eine  (f  915) 
(caligae  et  sandalia  paria  duo)  und  dreiviertel  Jahrhundert  früher  in  einem 
Inventar  von  St-Riquier  erwähnt  (sandalia  cum  caltionibus  [=  caligis]). 

Ebenso  rechnet  schon  Amalarius  mit  ausdrücklichen  Worten  ein  Linnen 
(linum  calceamenti),  womit  die  Füße  bekleidet  würden  (quo  pedes  vestiuntur) 3, 
zur  sakralen  Beschuhung.  Noch  etwas  früher  unterscheidet  Theodulf  von  Orleans 
in  seiner  Ermahnungsrede  an  die  Bischöfe  klar  und  bestimmt  zwischen  dem 
eigentlichen  Schuh  und  der  inneren  Umhüllung  des  Fußes  und  des  Schienbeins 
(linea  crusque  pedesque  tegant  talaria)  und  dem  darüber  befindlichen  campagus 
(ut  apte,  qui  super,  addatur  campagus  ipse  decens).  Beide  Bestandteile  der 
sakralen  Fußbekleidung  werden  ferner  bereits  in  Konstantins  Constitutum,  im 
Privileg  Stephans  für  den  Abt  Fulrad  und  im  St  Gallener  Kleiderkatalog  erwähnt. 

Auch  auf  den  Mosaiken  zu  Rom,  Ravenna  und  Mailand  sind  beide  auf  das 
deutlichste  erkennbar.  Man  betrachte  nur  Papst  Paschalis  I.  auf  den  musivischen 
Darstellungen  in  S.  Cecilia,  S.  Maria  in  Domnica  und  S.  Prassede,  und  die 
Päpste  Gregor  IV.  und  Markus  samt  den  Diakonen  Felicissimus  und  Agapitus 
auf  denjenigen  in  S.  Marco  zu  Rom;  dann  die  Bilder  Honorius'  I.  und  Symma- 
chus'  in  S.  Agnese  fuori  le  Mura,  des  Erzbischofs  Maximian  und  seiner  Ministri 
in  S.  Vitale  zu  Ravenna  und  der  hll.  Ambrosius  und  Maternus  in  S.  Satiro  zu 
Mailand.  Das  gleiche  gilt  von  den  Cömeterialfresken,  wie  z.  B.  der  Darstellung 
des  hl.  Vincentius  in  der  Katakombe  des  Pontian  und  des  hl.  Kornelius  in 
S.  Callisto.  Nirgends  ist  der  Fuß  bloß  und  lediglich  mit  einer  Sandale  ver- 
sehen, wie  das  bei  den  Darstellungen  Christi  und  der  Apostel  die  Regel  ist. 
Überall  besteht  die  Fußbekleidung  vielmehr  aus  einer  weißen  Bedeckung,  die 
sich  fest  um  den  Fuß,  das  Gelenk  und  das  Schienbein  legt  --  den  udones  — , 
und  dem  Schuh  -  -  dem  eigentlichen  calceamentum  oder  campagus. 

Unter  diesen  Umständen  hat  es  offenbar  nichts  zu  bedeuten,  wenn  Gregor  der 
Große  im  Schreiben  an  Johannes  von  Syrakus  nur  vom  campagus,  oder  Hraban, 
Pseudo-Alkuin,  Walafried  und  Pseudo-Beda  nur  von  den  sandalia  reden.  Die 
udones  waren  ein  selbstverständliches  und  zugleich  minder  bedeutsames  Zu- 
behör des  Schuhes.  Daher  gehen  Hraban,  Pseudo-Alkuin  und  Walafried  in 
ihren  sehr  kurzen  Ausführungen  über  die  liturgische  Beschuhung  nur  auf  die 
Sandalen  ein.  Gregor  aber  wird  unter  dem  campagus  als  dem  vorzüglicheren 
Teile  die  ganze  Fußbekleidung  verstehen.  Wie  wenig  sein  und  der  andern 
Schweigen  ein  Beweis  gegen  den  Gebrauch  der  udones  ist,  folgt  aus  dem 
Umstände,  daß  noch  in  den  päpstlichen  Bullen  des  11.,  12.  und  13.  Jahr- 
hunderts fast  niemals  die  caligae,  sondern  nur  die  sandalia  erwähnt  werden. 

Allein  sagt  man  nicht,  daß  „Hraban  und  Pseudo-Alkuin  die  Existenz  der  bischöf- 
lichen Strümpfe  geradezu  in  Abrede  stellen"1?     Allerdings,  doch  mit  Unrecht. 

Denn  wenn  Pseudo-Alkuin  schreibt:  Est  autem  genus  calceamenti,  quo  induuntur 
ministri  ecclesiae,  subterius  quidem  solea  muniens  pedes  a  terra,  superius  vero  nil 
operimenti  habens  patet '',    so   ist  damit  nur  gesagt,    daß   die  Sandalen    eine  Art  von 


1  M.  142,  580.  praedicandum;  c.  26:  Calceamenti  linea  pro- 

2  Mart.    1.    1,    c.   4,    art.    12,    ordo   11;  hibitio   pedum    ad   malum   i'estinandos,   san- 
I  203.  dalia    ornatus    iter    praedicatoris    (M.    105, 

3  De  eccles.  off.  1.  2,  c.  18:  Sicut  per  linum,  1095  1102). 

quo     pedes    vestiuntur,     castigatio     pedum  *  Hef. ,  Beitr.  II  221. 

significatur,    ita   per   sandalia   profectus   ad  5  De  divin.  offic.  c.  89  (M.  101,  1242). 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


393 


Beschuhung  seien,  welcher  das  Oberleder  fehle  (nil  operimenti  habens).  Wenn  aber 
Hraban  bemerkt:  Sicut  ergo  sandalia  partem  pedis  tegunt,  partem  inopertam  relinqunnt, 
so  bedeutet  das  ersichtlich  bloß,  die  Sandalen  bedeckten  den  Fuß  nur  zum  Teil  (näm- 
lich unten),  nicht  aber,  sie  würden  über  den  nackten  Fuß  angezogen  und  ließen  diesen 
demgemäß  oben  entblößt  zum  Vorschein  kommen.  Aber  heißt  es  nicht  bei  Hraban 
mit  klaren  Worten  unmittelbar  vorher :  Hoc  calceamentum  mysticam  significationem 
habet,  ut  neque  pes  sit  tectus,  neque  nudus  ad  terram,  i.  e.  ut  nee  oecultetur 
evangelium,  nee  terrenis  commodis  innitatur  l  ?  Gewiß ;  allein  auch  Amalarius  be- 
merkt: Sandalia  subtus  cooperiunt  pedem,  desuper  nudum  relinquunt,  während  er 
doch  zu  gleicher  Zeit  und  fast  in  demselben  Atemzuge  von  einem  Linnen  redet,  wo- 
mit die  Füße  bekleidet  würden  (linum,  quo  pedes  vestiuntur).  Hraban  und  Amalar 
wollen  nur  sagen,  daß  der  sakrale  Schuh  so  beschaffen  sei,  daß  er  nicht  den  ganzen 
Fuß,  sondern  die  Fußsohle  allein  vollständig  bedecke. 


V.    BESCHAFFENHEIT  DER  BEIDEN  BESTANDTEILE  DER  LITUR- 
GISCHEN FUSSBEKLEIDUNG  BIS  ZUM  XI.  JAHRHUNDERT. 

Die  u  d  o  n  e  s  haben  auf  den  Monumenten  stets  eine  weiße  Farbe 2. 
Wie  das  Constitutum,  Theodulf  von  Orle'ans  und  Amalar  angeben,  be- 
standen sie  aus  Linnen.  Wie  lange  sie  ein  bloßes  Tuch 
blieben,  das  um  das  Bein  geschlagen  wurde,  und  wann 
sie  die  Gestalt  eines  Strumpfes  erhielten,  läßt  sich  nicht 
bestimmen.  Im  10.  Jahrhundert,  d.  i.  zur  Zeit,  in  wel- 
cher die  Bezeichnung  caliga  in  Gebrauch  kommt,  hatten 
sie  jedenfalls  Strumpfform ,  aber  auch  im  8.  und  9. 
war  das,  dem  Namen  udo  nach  zu  urteilen,  wohl  schon 
der  Fall. 

Der  Schuh,  welcher  bis  ins  10.  Jahrhundert  im 
wesentlichen  auf  den  Bildwerken  dieselbe  Form  aufweist, 
ist  weder  eine  Sandale,  wie  sie  auf  den  altchristlichen 
Monumenten  auftritt,  noch  allseitig  geschlossen  (Bild  189). 
Er  besteht,  aus  einer  Sohle,  aus  niedrigen,  vielfach  kaum 
bemerkbaren  Seitenstücken,  einer  Kappe,  welche  die  Ferse 
umschließt,  und  einem  Oberleder,  das  nur  eben  die  Spitze 
des  Fußes  bedeckt.  Behufs  Befestigung  sind  an  dem  Schuh 
verschiedene  Riemen  angebracht.  Kreuze  sind  auf  den 
Vorderstücken  nicht  vorhanden3,  doch  findet  sich  auf  ihnen 
wohl  ein  T-,  ein  lanzett-  oder  ein  lilienförmiges  Ornament, 
in  welches  entweder  das  Oberleder  ausläuft  oder  welches 
wie  in  dieses  hineingeschnitten  ist.  Die  Farbe  der  Schuhe 
ist  auf  den  Monumenten  überall  die  schwai'ze,  selbst  bei  „  ' 
den  Bildern   der  Päpste.     Rote  Sakralschuhe  sind  also  im  Mosaik, 

ersten  Jahrtausend  noch  nicht  in  Gebrauch  gewesen.  Eom,  s.  Marco. 


1  Die  Worte  Hrabans  sind  der  Erklärung 
des  ehrw.  Beda  zu  Mk  6,  9  entnommen  (M.  92, 
187).  Es  ist  dort  von  den  Sandalen  der  Apostel 
die  Rede.  Aus  Beda  haben  überhaupt  die 
mittelalterlichen  Liturgiker  manches  geholt ; 
doch  haben  sie  nicht  immer  darauf  geachtet, 
ob  das,  was  sie  ihm  entnahmen,  genau  passe. 

2  Vgl.  außer  den  S.  392  angeführten  Bild- 
werken   auch    die    früher    wiedergegebenen 


Miniaturen  einer  Handschrift  der  Vallicelliana 
zu  Rom  und  des  Codex  Reg.  124,  f.  3b 
der  Vaticana  (Bild  125,  S.  267  imd  Bild  96, 
S.  214). 

3  Die  Kreuze,  welche  jetzt  die  Schuhe  der 
Päpste  Honorius  und  Symmachus  auf  dem 
Mosaik  in  S.  Agnese  schmücken  ,  sind  ganz 
neuen  Datums  (de  R  o  s  s  i ,  Mus.  fasc 
III  IV. 


394     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Hraban  sagt  von  der  Beschaffenheit  der  liturgischen  Schuhe  nur  sehr 
wenig.  Wir  entnehmen  ihm  bloß,  daß  diese  oben  offen  Avaren  und  infolge- 
dessen den  Kücken  des  Fußes  unbedeckt  ließen.  Walafried  schweigt  ganz 
von  ihr.  Ausführlich  beschäftigt  sich  dagegen  Amalar  mit  den  Einzelheiten 
der  Sandalen,  so  daß  wir  durch  ihn  ein  ziemlich  vollständiges  Bild  der  sakralen 
Beschuhung  des  9.  Jahrhunderts  erhalten1. 

Hiernach  waren  damals  die  liturgischen  Sandalen  im  Äußern  schwarz,  im  Innern 
aber  mit  weißem  Leder  gefüttert.  Oben,  wo  der  Fuß  in  den  Schuh  eintrat,  war  das 
schwarze  äußere  und  das  innere  weiße  Leder  mit  vielen  Fäden  vernäht,  damit  sie  sich 
beide  beim  Gebrauch  nicht  voneinander  lostrennen  könnten.  Im  einzelnen  unterscheidet 
Amalar  bei  der  sakralen  Beschuhung  drei  Hauptteile:  die  Sohle,  die  von  der  Sohle  rück- 
wärts aufsteigende  Kappe  und  das  den  Fuß  vorn  deckende  Oberleder.  Dazu  kamen 
ein  Stück  weißen  Leders,  das  zwischen  Sohle  und  Fuß  lag,  und  das  weißlederne  Futter. 
Auf  dem  Oberleder  befanden  sich  drei  vom  Schuster  angebrachte  Streifen,  von  denen 
einer  über  die  Mitte  des  vorderen  Teiles  des  Fußes  bis  zu  dessen  Spitze  lief,  die  andern 
beiden  aber  an  den  Seiten  aufstiegen  und  sich  bis  zum  Besatz  in  der  Mitte  erstreckten. 

Die  Zeichnung,  welche  Amalar  von  der  sakralen  Beschuhung  entwirft,  entspricht 
im  wesentlichen  dem  Bild,  welches  die  Mosaiken  und  Fresken  zu  Bom,  Ravenna  und 
Mailand  gewähren  (Bild  62,  S.  158;  63,  S.  159;  64,  S.  160;  189,  S.  393).  Es  ist  fast, 
als  ob  der  Metzer  Chorbischof  diese  bei  seiner  Beschreibung  vor  Augen  gehabt  hätte. 
Die  Sandalen  Amalars  sind  offenbar  nichts  anderes  als  die  zu  Bom  übliche  liturgische 
Fußbekleidung  der  Geistlichen,  die  mit  dem  römischen  Ritus  auch  ins  Frankenreich  kam. 

Auffallend  ist,  daß  auf  den  allerdings  nicht  zahlreichen  fränkischen  Bild- 
werken des  9.  Jahrhunderts  bei  den  Geistlichen  eine  Fußbekleidung,  wie  sie  von 
Amalar  beschrieben  wird,  kaum  je  vorkommt,  selbst  da  nicht,  wo  dieselben  mit  litur- 
gischen Handlungen  beschäftigt  sind.  Sollten  damals  Sakralschuhe  von  der  Form 
der  römischen  campagi  diesseits  der  Alpen  nur  erst  wenig  verbreitet  gewesen  sein, 
oder  haben  wir  den  Mangel  auf  Rechnung  der  Schöpfer  der  fraglichen  Darstellungen 
zu  setzen?  Daß  dieselben  sich  Freiheiten  gestattet,  ist  unverkennbar,  da  die  Schuhe 
nicht  einmal  immer  oben  offen  sind,  was  doch  nicht  bloß  nach  Amalar,  sondern  auch 
nach  Hraban  und  Pseudo-Alkuin  der  Fall  gewesen  sein  muß. 

Amalar  unterscheidet  zwischen  den  sandalia  des  Bischofs  und  Diakons 
einerseits  und  denen  des  Priesters  und  Subdiakons  anderseits.  Wirklich 
machte  man  im  9.  Jahrhundert  zu  Rom  einen  derartigen  Unterschied.  Denn 
nach  den  Angaben  des  St  Gallener  Kleiderverzeichnisses  trugen  der  Papst,  die 
Bischöfe  und  die  Diakone  campagi,  die  Priester  und  Subdiakone  subtalares. 
Die  odhones,  die  innere  Fußbekleidung,  war  bei  allen  gleich. 

Worin  die  Verschiedenheit  der  campagi  und  subtalares  bestanden,  sagt 
uns  Amalar  in  seiner  Beschreibung  der  liturgischen  Fußbekleidung.    Hiernach 


1  De  eccles.  off.  1.  2,  c.  25  (M.  105,  1100)  : 
Solea  .  .  .  subtus  est.  .  .  .  Lingua  de  corio 
albo,  quae  subtus  calcaneum  est.  .  .  .  Lingua, 
quae  inde  surgit  et  est  separata  a  corio  san- 
daliorum.  .  .  .  Lingua  superior.  .  .  .  Intrin- 
secus  de  corio  albo  circumdata  sunt  san- 
dalia .  .  .  extrinsecus  nigrum  apparet.  .  .  . 
Superior  pars  sandaliorum,  per  quam  pes  in- 
trat, multis  filis  consuta  est,  ut  non  sepa- 
rentur  duo  coria.  .  .  .  Linea  opere  sutoris 
facta  procedens  a  lingua  sandalii  (nämlich 
der  lingua  sandaliorum  quae  super  pedem 
est)  usque  ad  finem  eius.  .  .  .  Lineae  pro- 
cedentes  ex  utraque  parte  .  .  .  ipsae  recapitu- 


latae  sunt  ad  medianam  lineam,  quae  usque 
ad  finem  currit.  .  .  .  Corrigias  supererogatas 
sandaliis,  quae  manibus  huc  illucque  ducuntur, 
ut  ligentur.  Zum  Verständnis  der  an  sich 
nicht  gerade  klaren  Ausführungen  Amalars 
trägt  viel  die  mystische  Deutung  bei,  welche 
dieser  mit  den  einzelnen  Angaben  verbindet. 
Bock  (a.  a.  0.  II  5)  versteht  unter  der  linea 
opere  sutoris  facta  die  innere  linnene  Fuß- 
bekleidung. Dem  widerspricht  indessen  die 
Beschreibung,  welche  Amalar  von  den  lineae 
gibt.  Dieselben  bedeuten  an  der  fraglichen 
Stelle  wohl  einen  vom  Schuster  vorn  auf 
dem  Oberleder  angebrachten  Streifen. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


39c 


unterschied  sich  der  Schuh  des  Bischofs  und  des  Diakons  von  demjenigen 
des  Priesters  und  des  Subdiakons  durch  das  Vorhandensein  bzw.  den  Mangel 
einer  ligatura,  also  eines  besondern  Bund-  oder  Riemenwerkes  K  Wir  haben 
uns  demnach  die  subtalares  wohl  als  mehr  niedrige  Schuhart  nach  Weise 
unserer  Pantoffel  zu  denken.  Dazu  paßt  auch,  was  wir  sonst  von  den  sub- 
talares hören 2.  In  der  Tat  trägt  der  Subdiakon  Juvenianus  auf  der  schon 
erwähnten  Miniatur  einer  Handschrift  der  Vallicelliana  eine  pantoffelartige 
Beschuhung,  während  der  hl.  Laurentius  als  Diakon  Schuhe  mit  Riemen  von 
der  Art  der  campagi  an  den  Füßen  hat  (Bild  125,  S.  267). 

Pontifikale  Fußbekleidungen,  die  auch  nur  mit  einiger  Sicherheit  dem  ersten 
Jahrtausend  zugeschrieben  werden  könnten,  fehlen. 

Die  Sandale  des  hl.  Silvester  I.,  welche  in  S.  Martino  ai  Monti  zu  Rom  auf- 
bewahrt wird,  dürfte  erst  dem  13.  Jahrhundert  entstammen.  Älter  mag  der  Rest 
eines  Pontifikalschuh.es  des  heiligen  Papstes  Martin  sein,  welcher  ebendort  gezeigt 
wird 3.  Doch  wird  auch  er  seiner  Beschaffenheit  zufolge  schwerlich  dem  ersten 
Jahrtausend  angehören.  Die  Überbleibsel  eines  Schuhes,  welche  als  Reliquie  des 
hl.  Amon,  zweiten  Touler  Bischofs  (Ende  des  4.  Jahrhunderts),  in  St-Gengoul  zu 
Toul  aufbewahrt  werden,  bieten  wenig  Anhaltspunkte  für  eine  Datierung.  Die  Durch- 
brüche des  Oberleders  scheinen  auf  das  11.  und  12.  Jahrhundert  hinzuweisen J. 

Drei  Sandalen  und  zwei  Paar  Caligae,  welche  sich  zu  Delsberg  bei  Basel  finden, 
sollen  von  dem  heiligen  Abt  Germanus  von  Moutier-Granval  (f  ca  677)  herrühren; 
sie  würden  demnach  ins  7.  Jahrhundert  hinaufreichen 5.  Die  Zueignung  ist  jedoch 
ein  Anachronismus,  da  zu  Lebzeiten  des  Heiligen  die  Abte  sich  noch  nicht  der  Pon- 
tificalia  erfreuten.  Die  Strümpfe  sind  nach  Ausweis  ihrer  Beschaffenheit  frühestens 
im  12.,  ein  Paar  vielleicht  erst  im  13.  Jahrhundert  entstanden.  Von  den  Sandalen  mag 
eine  noch  dem  11.  Jahrhundert  entstammen;  die  beiden  andern  aber,  welche  ein  Paar 
bilden  und  in  der  Form  durchaus  verwandt  mit  den  Pontifikalschuhen  sind,  die  man 
im  Grabe  des  Bischofs  Konrad  IL  von  Worms  (f  1192)  antraf,  werden  etwa  in  die 
zweite  Hälfte  des  12.  zu  setzen  sein.  Daß  die  Sandalen  und  Caligae  dem  hl.  Germanus 
zugeschrieben  werden,  mag  vielleicht  daher  kommen,  daß  die  Reliquien  des  Heiligen 
ehedem  mit  ihnen  bekleidet  waren. 

Zu  Mederzell  auf  der  Reichenau  endlich  gab  es  vordem  ein  Paar  Sandalen, 
welche  Abt  Gerbert  von  St  Blasien  (f  1798)  seinerzeit  als  Pontifikalschuhe  des  heiligen 
Bischofs  Egino  von  Verona  (f  802),  des  Gründers  von  Niederzeil,  bezeichnen  zu 
dürfen  glaubte.  Er  fand  sie  durch  Zufall  im  Pfarrhause  daselbst6;  eine  Tradition 
kann  es  also  zu  seiner  Zeit  in  Betreff  des  Sandalenpaares  nicht  gegeben  haben. 
Gerbert  meint,  es  sei  unzweifelhaft  dem  Grabe  des  hl.  Egino  in  der  Mitte  der  Apsis 
der  Kirche  entnommen  worden,  wie  solches  ja  auch  in  andern  Fällen  geschehen  sei. 
Allein  irrtümlicherweise ;  denn  die  campagi  (sandalia)  waren  im  9.  Jahrhundert  von 
schwarzer  Farbe,  wie  sowohl  die  Monumente  als  die  ausdrücklichen  Angaben  Amalars 
bezeugen,  während  die  Sandalen  zu  Niederzell  aus  rotem  Leder  bestanden.    Was  ihre 


1  De  eccles.  off.  c.  25  (M.  105,  1100) :  Epi- 
scopus  habet  ligaturam  in  suis  sandaliis, 
quam  non  habet  presbyter  .  .  .  diaconus 
ipse  ligaturam  habet  (sc.  in  sandaliis)  .  .  . 
subdiaconus  .  .  .  necesse  est,  ut  habeat  dis- 
similia  sandalia,  ne  forte  aestimetur  dia- 
conus. 

2  D.  C.  sub  subtalares  VII  639.  Isidor 
von  Sevilla  sagt  in  seinen  Etymologien 
(1.  20,  c.  34  [M.  82,  705]):  subtulares  (sc. 
vocantur)  quod  sub  talo  sunt,  quasi  sub- 
talares. 


3  Skizzen  der  beiden  Sandalen  bei  Roh. 
VIII,   pl.   DCLXXVII. 

4  Ebd.   pl.  dclxxvi  und  182. 

5  Skizzen  der  Schuhe  ebd.  pl.  dclxxvi  und 

DCLXXVII. 

6  Gerbert,  Vetus  Liturg.  alemann.  I  252 
(mit  Abbildung) :  Casu  in  aedibus  parochiali- 
bus  cellae  inferioris  in  insula  Augiae  divitis  re- 
perimus.  .  . .  Sandalia  a  nobis  reperta  aerique 
incidi  curata,  componuntur  uno  ex  corio  abs- 
que  elevatiori  solea  .  .  .  coriumque  molle  est, 
ubique  sibi  simili  colore,  uti  videtur,  puniceo. 


396      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Form  anlangt,  so  waren  sie  mit  dem  Sandalenpaar  von  Delsberg  sehr  nahe  verwandt. 
Sie  werden  deshalb  wohl  derselben  Zeit  wie  dieses ,  d.  i.  der  Spätzeit  des  1 2.  Jahr- 
hunderts, zuzuweisen  sein  '. 

VI.    DIE  TRÄGER  DER  SANDALEN  UND  CALIGAE  SEIT  DEM  ENDE 
DES  ERSTEN  JAHRTAUSENDS. 

Bei  den  Liturgikem  des  12.  Jahrhunderts  hat  die  liturgische  Fußbekleidung 
durchaus  den  Charakter  eines  bischöflichen  Gewandstückes;  so  um  den  Beginn 
des  Jahrhunderts  bei  Ivo  von  Chartres,  Bruno  von  Segni,  Rupert  von  Deutz 
und  Honorius,  im  weiteren  Verlaufe  desselben  bei  Robert  Paululus,  sowie  den 
Verfassern  des  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  und  des  Tractatus  de  sacra- 
mento  altaris,  gegen  1200  endlich  bei  Sicard  von  Cremona  und  Innozenz  III. 

Die  sakrale  Beschuhung  war  allzeit  vornehmlich  ein  bischöfliches 
Ornatstück;  zu  einem  den  Bischöfen  vorbehaltenen  wurde  sie  indessen  erst, 
wie  es  scheint,  im  Verlauf  des  10.  Jahrhunderts.  Die  Bullen,  in  welchen 
seit  etwa  der  zweiten  Hälfte  desselben  Äbten  und  andern  hervorragenden 
Geistlichen  die  Ermächtigung  zu  teil  wird,  sich  der  Sandalen  zu  bedienen, 
beweisen  mit  aller  Bestimmtheit,  daß  die  liturgische  Fußbekleidung  damals 
bereits  den  Charakter  eines  privilegierten  bischöflichen  Ornatstückes  erlangt 
hatte.  Auch  ein  ebenso  interessantes  wie  lehrreiches  Vorkommnis,  von  welchem 
Hermannus  Contractus  berichtet 2,  bezeugt  das. 

Berno,  Abt  von  Reichenau,  so  erzählt  dieser,  habe  1032  von  Johannes  XIX. 
die  Bestätigung  der  Privilegien  seines  Klosters  erhalten.  Dabei  sei  ihm  denn  auch 
insbesondere  wieder  gestattet  worden,  sich  bei  der  Meßfeier  der  Sandalen  zu  bedienen. 
Darüber  sei  aber  Warmann,  Bischof  von  Konstanz,  in  dessen  Sprengel  Reichenau  lag, 
sehr  zornig  geworden  und  habe  den  Abt  bei  Kaiser  Konrad  als  sui  pervasor  officii 
et  honoris  verklagt.  Zuletzt  sei  Berno  wirklich  gezwungen  worden,  Privileg  und 
Sandalen  an  Warmann  auszuliefern,  damit  sie  auf  der  nächstfolgenden  Gründonnerstags- 
synode öffentlich,  verbrannt  würden. 

In  Rom  waren  um  dieselbe  Zeit  die  Sandalen  und  Caligae  nur  mehr 
bei  den  Kardinalbischöfen,  Kardinalpriestern  und  Kardinal- 
diakonen im  Gebrauch.  Wir  erfahren  das  aus  einem  Schreiben  Riemens1  IL 
an  den  Abt  von  Fulda 3. 

Der  Abt  von  Fulda  hatte  sich  an  Papst  Klemens  IL  mit  der  Bitte  um  Be- 
stätigung der  Privilegien  seines  Klosters  gewandt.  Auf  dieses  Ansuchen  antwortet 
nun  der  Papst  1046  mit  den  bezeichnenden  Worten:  „Den  Gebrauch  der  Sandalen, 
der  Caligae  und  der  Dalmatik ,  welcher  durch  die  heiligen  Kanones  Deinem  Ordo 
untersagt  ist,  wollen  Wir  kraft  apostolischer  Autorität  nicht  bloß  bei  Dir  und  Deinen 
Kachfolgern,  sondern  überhaupt  bei  allen  lebenden  und  zukünftigen  Äbten  der  Klöster 
auf  dem  ganzen  Erdenrund  durchaus  abgeschafft  wissen,  wenngleich  es  einige  Päpste 
auf  diesem  Stuhle  gegeben  hat,  welche,  durch  die  Tyrannei  der  Schlechten  ge- 
zwungen, unziemlicherweise  das  Eurer  und  verschiedenen  andern  Kirchen  gewährt 
haben,  was  der  heiligen  Väter  Satzungen  ersichtlich  zuwider  ist.  .  .  .  Fast  die  ganze 
Welt    weiß,    daß   unsere   Bischöfe,   Kardinalpriester   und   Kardinaldiakone   besonderer 


1  F.  X.  Kraus  bezeichnet  in  seinen  Kunst-  nach  St  Blasien  gebracht,  um  dort  abgezeichnet 
denkmälern  des  Großherzogtunis  Baden,  Kreis  und  dann  in  der  Liturgia  alemannica  wieder- 
Konstanz I  300,  denen  man  allerdings  größere  gegeben  zu  werden.  Wie  dem  Verfasser 
Genauigkeit  zutrauen  sollte,  mit  ausdrück-  auf  der  Reichenau  mitgeteilt  wurde,  sind  sie 
lieben  Worten  die  Sandalen  als  noch  vorhanden,  seitdem  nicht  mehr  nach  Niederzell  zurück- 
tatsächlich aber  sind  diese  bereits  seit  ca  140  gekommen. 

Jahren  nicht  mehr  auf   der  Reichenau.     Sie  :  Chron.  ad  ann.  1032  (M.  143,  235). 

wurden   nämlich  seinerzeit  von  Abt  Gerbert  s  M.  142,  580. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


397 


Auszeichnungen  sich  erfreuen,  welche  derartigen  Rangstufen  anderer  Kirchen  nicht 
zustehen.  .  .  .  Wenn  es  Unsere  Vorgänger  für  angebracht  erachtet  hätten,  so  würde 
gewiß  die  Abtei  St  Paul,  welche  dem  römischen  Stuhle  weit  näher  steht  und  be- 
freundeter ist  als  alle  andern,  das  Vorrecht  der  Dalmatik  und  Sandalen  genießen. 
Was  also  St  Paulus  nicht  von  St  Petrus  erbittet,  sollen  erst  recht  die  übrigen  jüngeren 
Heiligen  von  Uns  nicht  zu  erlangen  trachten." 

Fragt  man,  wie  es  geschehen  sei,  daß  die  liturgische  Fußbekleidung  zu 
Rom  ein  Vorrecht  der  Kardinäle  wurde  und  bei  den  andern  Klerikern  außer 
Gebrauch  geriet,  so  wird  man  wohl  den  Grund  für  diesen  Wandel  in  da- 
gegen die  Neige  des  Jahrtausends  mächtig  steigenden  Bedeutung  der  römischen 
Kardinäle  zu  sehen  haben.  In  der  Tat,  je  mehr  diese  aus  der  Schar  der 
Geistlichen  hervortraten,  je  mehr  sie  an  Einfluß  und  Ansehen  vor  dem  übrigen 
Klerus  zunahmen,  um  so  mehr  mußte  es  für  sie  zu  Auszeichnungen  und 
Privilegien  kommen.  Die  hervorragende  Stellung,  welche  die  Kardinäle  all- 
mählich gewonnen  hatten,  konnte  unmöglich  ohne  mancherlei  Ehrenrechte 
bleiben,  und  das  nicht  bloß  im  gewöhnlichen  Leben,  sondern  mehr  noch  bei 
den  kirchlichen  Funktionen,  bei  welchen  ja  die  Kardinäle  als  die  eigentlichen 
Gehilfen  des  Papstes  erschienen. 

Außerhalb  Roms  kann,  wie  schon  bemerkt  wurde,  eine  besondere  litur- 
gische Beschuhung  bei  der  niedern  Geistlichkeit  nicht  allgemein,  ja  kaum 
weit  verbreitet  gewesen  sein  K  Hier  hatte  es  somit  keine  Schwierigkeit,  daß 
sie  nach  und  nach  ein  Vorrecht  der  Bischöfe  wurde.  Daß  solches  aber  tat- 
sächlich geschah,  darauf  mag  neben  andern  Ursachen  insbesondere  der  Wandel 
von  Einfluß  gewesen  sein,  der  sich  zu  Rom  hinsichtlich  der  Träger  der 
liturgischen  Fußbekleidung  vollzog. 

Übrigens  verblieb  nicht  einmal  den  Kardinaldiakonen  auf  die  Dauer 
der  usus  sandaliorum  et  caligarum.  Sie  scheinen  diesen  sogar  schon  im  Be- 
ginne des  12.  Jahrhunderts  nicht  mehr  besessen  zu  haben,  da  Ivo  von  Chartres 
die  Sandalen  nur  den  Bischöfen  und  den  Kardinalpriestern  zuweist 2.  Sicher  war 
das  bereits  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  der  Fall.  Denn  nach 
dem  auf  Befehl  Gregors  X.  herausgegebenen  Ordo  durfte  selbst  ein  zum  Papst 
erwählter  Diakon  beim  Empfang  der  Priesterweihe  noch  nicht  die  liturgischen 
Schuhe  und  Strümpfe  tragen  °.  Es  hat  sich  also  die  jetzige  Praxis,  wonach 
von  den  Kardinälen  nur  die  Kardinalbischöfe  und  Kardinalpriester  sich  der 
Sandalen  und  Caligae  bedienen  dürfen,  nicht  erst  beim  Ausgange  des  Mittel- 
alters oder  gar  in  der  Neuzeit  gebildet. 


1  Eine  interessante  Notiz  über  die  bei  der 
Messe  zu  tragenden  gewöhnlichen  klerikalen 
Kleidungsstücke  findet  sich  bei  Gilbert 
von  Limerick,  De  statu  ecclesiae  (M.  159, 
1001)  :  Quotidiana  ad  missam  ut  paucissima 
quattuor,  camisia,  tunica,  femoralia,  calcea- 
menta.  Adduat  tarnen  Romani  caligas.  In 
Irland  bestand  also  die  klerikale  Tracht,  die 
der  Priester  bei  der  Messe  unter  und  außer 
der  liturgischen  Gewandung  zu  tragen  hatte, 
aus  einer  klerikalen  Albe,  dem  Bock,  Bein- 
kleidern und  Schuhen.  Nach  römischem  Brauch 
kamen  Strümpfe  hinzu. 

2  Sermo  3  (M.  162,  525):  Utuntur  episcopi 
et  cardinales  presbyteri  sandaliis. 

3  N.  6  (M.  78,  1107);  vgl.  auch  ordo  14, 


c.  103:  De  ordinatione  diaconi  cardinalis,  wo 
zwar  der  Mitra,  nicht  aber  der  Sandalen  ge- 
dacht wird  (ebd.  1233).  Auffallen  könnte 
allerdings,  daß  noch  Eugen  III.  dem  Erz- 
bischof  Arnold  von  Köln  1151  das  Privileg 
erteilt,  ut  Septem  presbyteri  cardinales  in 
praedicta  ecclesia  (sc.  Coloniensi)  ordinentur, 
qui  induti  dalmaticis  et  mitra  ornati  ad 
principalia  duo  altaria  eiusdem  ecclesiae  cum 
totidem  diaconis,  quibus  sandaliorum  usuni 
concedimus ,  missarum  sollemnia  in  festivis 
diebus  tantummodo  administrent  (J.  n.  9515). 
Indessen  handelt  es  sich  hier  nur  um  Be- 
stätigung eines  bereits  durch  Leo  IX.  1052 
verliehenen  Privilegs.  (Wegen  der  Echtheit 
der  Bulle  Leos  IX.  s.  oben  S.  257  Anm.  5.) 


398      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


VII.   VERLEIHUNG  DER  PONTIFIKALEN  FUSSBEKLEIDUNG  AN 

NICHTBISCHÖFE. 

Wenn  Stephan  III.  757  dem  Presbyter  Fulrad,  Abt  von  St-Denis,  die 
udones  und  subtalares  gewährte,  so  bedeutete  das  für  diesen  nur  eine  durch- 
aus persönliche  Auszeichnung.  Der  Papst  hebt  ausdrücklich  hervor,  es  solle 
das  Vorrecht  in  keiner  Weise  auch  für  die  Nachfolger  Fulrads  gelten,  viel- 
mehr solle  die  ihm  zu  teil  gewordene  Beschuhung  nach  seinem  Ableben  zu- 
gleich mit  seiner  Leiche  dem  Grabe  übergeben  werden.  Das  Privileg  blieb 
auch,  wie  es  scheint,  für  die  nächsten  zweihundert  Jahre  eine  ganz  ver- 
einzelte Erscheinung,  vielleicht  weil  seit  Karls  Reformtätigkeit  im  Franken- 
reiche  die  Priester  glaubten,  sich  ohne  besondere  Ermächtigung  der  liturgischen 
Fußbekleidung  bedienen  zu  können. 

Erst  um  das  dritte  Viertel  des  10.  Jahrhunderts  begegnet  uns  eine  neue 
Verleihung  des  usus  sandaliorum  an  Äbte,  also  um  die  Zeit,  da  die  liturgische 
Beschuhung  einen  ausschließlich  pontifikalen  Charakter  erhalten  hatte.  Eben 
damals  stoßen  wir  auch  wieder  nach  langem  Zwischenraum  auf  einen  Fall,  in 
dem  Diakone  das  Recht  erhalten,  sich  der  sakralen  Fußbekleidung  zu  bedienen. 

Die  Verleihungen  sind  vor  dem  Beginn  des  neuen  Jahrtausends  nicht 
zahlreich.  Johannes  XIII.  gestattet  970  dem  Abte  des  St  Vinzenzklosters 
zu  Metz1,  Benedikt  VII.  975  den  Kardinalpriestern  und  Kardinaldiakonen 
von  Trier2,  Johannes  XV.  990  dem  Abt  Folcuin  von  Lobbes3  und  994  Hatto 
von  Fulda4,  Gregor  V.  998  Alavicus  von  Reichenau  und  dessen  Nach- 
folgern5,   Silvester  IL  999   Erkanbald   von  Fulda6   den   usus   sandaliorum. 

Häufiger  werden  die  Privilegien  im  11.  Jahrhundert.  1012  erlaubt 
Benedikt  VIII.  das  Tragen  der  Sandalen  zwölf  Kardinalpriestern  und  sieben 
Kardinaldiakonen  der  Kirche  von  Magdeburg7.  Johannes  XIX.  gewährt 
dann  1031  Berno  von  Reichenau8  das  Vorrecht,  während  Leo  IX.  es  1049 
den  Kardinalpriestern  und  Kardinaldiakonen  von  Trier 9, 1050  Fulco  von  Corbie  10, 
1052  den  Kardinalpriestern,  Kardinaldiakonen  und  Kardinalsubdiakonen  der 
Kölner  Metropolitankirche n,  1054  Albuvinus  von  Nienburg  an  der  Saale 12 
zugesteht.  Viktor  IL  erlaubt  den  usus  sandaliorum  1057  Friedrich  von 
Monte  Cassino 1S,  Alexander  IL  1063  Egelsinus  vom  St  Augustinuskloster 
zu  Canterbury  u,  1069  Reinbert  von  Echternach  15,  1070  Benediktes  von  S.  Pietro 
in  Cielo  d'  Uro  zu  Pavia  16,  Gregor  VII.  1078  Manasses  von  Bergues  17  und 
Urban  IL  1088  Hugo  von  Cluny  1S.  Sehr  zahlreich  sind  die  Zuwendungen 
im  12.  Jahrhundert 19. 

Wenn  die  Bullen  des  11.  und  12.  Jahrhunderts,  in  welchen  Nichtbischöfen  der 
usus  sandaliorum  gewährt  wird,    der  Caligae  fast  gar  nicht   gedenken 20,   so  wird  das 


1  J.  n.  3741.  2  EW.  n.  3783. 

3  Ebd.  n.  3837.  *  Ebd.  n.  3853. 

5  Ebd.  n.  3880.  «  Ebd.  n.  3907. 

'  Ebd.  n.  3989.  Vgl.  wegen  der  Echtheit 
der  Bulle  oben  S.  257. 

8  Ebd.  n.  4093.  9  Ebd.  n.  4161. 

10  Ebd.  n.  4212. 

11  Ebd.  n.  4271  (doch  nur  die  Sandalen,  nicht 
auch  schon  die  Mitra). 

12  Ebd.  n.  4335.  Nach  dem  Chron.  Cass.  1.  2, 
c.  79  (M.  G.  SS.  VII  683)  verlieh  Leo  IX. 
die  Sandalen  auch  Abt  Richerius  von  Monte 
Cassino.     S.  oben  S.  368. 


13  J.  n.  4368.  "  Ebd.  n.  4541. 

15  Ebd.  n.  4667.  IS  Ebd.  n.  4679. 

17  Ebd.  n.  5090.  Die  Verleihung  wird  hier 
indessen  als  zweifelhaft  bezeichnet. 

18  Ebd.  n.  5372. 

19  Vgl.  z.  B.  ebd.  n.  5891  6385  7211  9280 
9439  9515  9749  10594  12861  14469  14492 
14503  17418. 

20  Sie  werden  nur  in  den  Bullen  Johannes'  XV. 
und  Leos  IX.  für  S.  Pietro  in  Cielo  d'Oro 
zu  Pavia  unter  der  auffälligen  Bezeichnung 
pedules  bzw.  udones  i.  e.  licini  sive  pedules 
erwähnt,  während  sie  in  den  späteren  Bullen 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung.  399 

seinen  Grund  in  dem  Umstand  haben,  daß  sie  unter  den  sandalia  als  dem  vornehmsten 
und  hauptsächlichsten  Bestandteil  die  ganze  pontifikale  Fußbekleidung  verstehen.  Die 
Caligae  bildeten  ja  nach  römischem  Gebrauch  kein  für  sich  bestehendes  Ornatstück. 
sondern  nur  eine  Ergänzung  des  pontih'kalen  Schuhes.  Wer  von  den  sandalia  redete, 
dachte  ohne  weiteres  auch  an  die  innere  Bedeckung  des  Fußes,  und  wer  die  Ermäch- 
tigung erhielt,  sich  der  Sandalia  zu  bedienen,  hatte  damit  zugleich  das  Recht  auf  deren 
Zubehör,  die  Caligae,  bekommen.  In  den  Verleihungsurkunden  diese  ausdrücklich  zu  er- 
wähnen, mochte  daher,  weil  es  sich  bei  ihnen  um  etwas  Selbstverständliches  handelte, 
überflüssig  erscheinen.  Daß  unter  den  sandalia  der  päpstlichen  Bullen  aber  wirklich  beides, 
die  Pontifikalschuhe  wie  die  Pontifikalstrümpfe,  zu  verstehen  sind,  ergibt  sich  beispiels- 
weise aus  einer  Bulle  Innozenz'  III.  für  Abt  Hamelin  von  Vendöme  aus  dem  Jahre  1205  l. 
Denn  wenn  es  darin  heißt:  Sandaliorum  usum ,  tunicae  et  dalmaticae,  mitrae  et 
annuli,  sicut  eis  presbyteri  cardinales  utuntur,  vobis  in  perpetuum  auctori- 
tate  apostolica  confirmamus,  so  ist  hier  mit  den  Sandalen  offenbar  die  ganze  aus- 
zeichnende Fußbekleidnug  der  römischen  Kardinalpriester  einschließlich  der  Caligae 
gemeint.  Es  wäre  auch  höchst  sonderbar,  wenn  Innozenz  III.  Hamelin  die  Schuhe, 
die  Tunika,  die  Dalmatik,  den  Ring  und  selbst  die  Mitra,  nicht  aber  die  liturgischen 
Strümpfe  der  Kardinalpresbyter  gewährt  hätte.  Übrigens  spricht  schon  vor  der  Mitte 
des  11.  Jahrhunderts  das  Schreiben  Klemens'  IL  an  den  Abt  von  Fulda  nicht  nur  von 
Sandalen,  sondern  auch  von  Caliga. ,  welche  durch  seine  Vorgänger  Abten  zugestanden 
worden  seien. 

Den  nicht  von  Rechts  wegen  zum  Gebrauch  der  pontifikalen  Fußbekleidung 
befugten  Prälaten  wurde  der  usus  sandaliorum  gerade  wie  der  der  andern  Pontifikalien 
bisweilen  nur  unter  bestimmten  Einschränkungen  verliehen.  So  durfte  der  Abt  von 
S.  Michele  della  Chiusa  (Diözese  Turin)  sich  der  liturgischen  Beschuhung  nur  an 
Ostern,  Christi  Himmelfahrt,  Pfingsten,  Weihnachten,  Epiphanie  und  den  Festen  der 
Mutter  Gottes,  des  hl.  Michael  und  des  hl.  Benedikt  bedienen  ~. 

Gegenüber  der  im  11.  Jahrhundert  stark  zunehmenden  Sucht  mancher  Abte, 
wie  die  Bischöfe  die  liturgische  Beschuhung  zu  gebrauchen,  und  der  damit  im  Zu- 
sammenhang stehenden  eigenmächtigen  Anmaßung  dieses  Rechtes  sah  sich  eine  Synode 
von  Poitiers  aus  dem  Jahre  1100  zu  dem  ausdrücklichen  Verbot  veranlaßt:  Ut  nullus 
abbatum  utatur  cirotecis,  sandaliis,  anulo,  nisi  quibus  fuerit  per  Privilegium  a  ro- 
mana  ecclesia  concessum  3. 

VIII.    BESCHAFFENHEIT  DER  SANDALEN   UND  CALIGAE  VOM  XL  BIS 

XIV.  JAHRHUNDERT. 

Was  wir  über  die  Beschaffenheit  der  pontifikalen  Fußbekleidung  bei  den 
Liturgikern  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  vernehmen,  gewährt  nur  ein  frag- 
mentarisches Bild  derselben.  Selbst  die  weitläufigen  Ausführungen  des  Bischofs 
von  Mende  deuten  mehr  die  Veränderungen  an,  welche  im  Laufe  der  Zeit  mit 
derselben  vorgegangen  waren,  als  daß  sie  darüber  klaren  Aufschluß  gewähren. 
Zudem  offenbart  sich  bei  kaum  einem  andern  Ornatstück  in  den  Ausführungen 
eines  Honorius,  Sicard,  Durandus  und  Genossen  so  sehr  der  Einfluß  Amalars, 
als  gerade  bei  den  Sandalen.  Was  sie  uns  über  diese  erzählen,  ist  zum  großen 
Teil  fast  nur  eine  wörtliche  Wiedergabe  dessen,  was  der  Metzer  Diakon 
geschrieben  hatte.    Das  Bild,  welches  sie  von  der  pontifikalen  Fußbekleidung 


für    S.    Pietro    nach    gewöhnlichem    Brauch  damit    das  Recht,    sich   der  Gewandung   der 

nicht   genannt  werden,    ein  Punkt ,  welcher  Kardinalpresbyter    zu    bedienen.     Vgl.    auch 

nicht  gerade  zu  Gunsten  der  Zuverlässigkeit  Sägmüller,    Tätigkeit    und    Stellung    der 

jener  beiden  Bullen  spricht.  Kardinäle  163,  Anm.  2. 

1  M.  225,    749.     Innozenz  III.  übergibt  in  2  Pf  lu  gk-Hartt  un  g,  Acta  II  207. 

der  Bulle  dem  Abt  Hamelin   die  Titelkirche  3  C.   5  (S  d  r  a  1  e  k  ,   Wolfenbüttler   Frag- 

von  S.  Prisca  zu  Rom  und  in  Zusammenhang  mente  137). 


400     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


zeichnen,  ist  daher  hie  und  da  eher  dasjenige  der  sakralen  Beschuhung  des 
9.  als  derjenigen  des  12.  und   13.  Jahrhunderts. 

Fassen  wir  es  kurz  zusammen,  was  die  Liturgiker  über  die  pontifikale 
Fußbekleidung  sagen. 

Die  Caligae  reichten  nach  Ivo  1,  Innozenz  III.  und  Durandus  bis  in  die 
Gegend  des  Knies,  woselbst  sie  sorglich  festgebunden  wurden.  Zu  Ivos  Zeit 
bestanden  sie  noch  aus  Byssus  oder  Linnen;  Sicard  berichtet  dagegen  schon, 
sie  seien  aus  Seide  angefertigt2.  Da  die  Pontifikalstrümpfe  im  „Mitralis" 
als  Sinnbild  der  Reinheit  der  Füße  hingestellt  werden,  so  mögen  sie  noch 
um  die  Wende  des  12.  Jahrhunderts  von  weißer  Farbe  gewesen  sein.  Zu 
Durandus'  Zeit  war  das  aber  jedenfalls  schon  anders  geworden,  da  er  die 
Caligae  ausdrücklich  als  hyacinthinae  i.  e.  aerei  seu  coelestis  coloris,  also  als 
blauviolett  bezeichnet 3. 

Die  Sandalen  waren  nach  Ivo  oben  an  verschiedenen  Stellen  durch- 
brochen, nach  Robert  Paululus  hatten  sie  oben  Offnungen ;  nach  Sicard  und 
nach  dem  Speculum  war  das  Oberleder  teilweise  mit  Schlitzen  ausgestattet; 
Innozenz  III.  und  Durandus  nennen  dasselbe  fenestratum,  mit  Fenstern  ver- 
sehen. Einer  Bindevorrichtung  gedenken  Rupert  von  Deutz,  Honorius,  Sicard, 
Innozenz  und  Durandus,  ohne  indessen  zu  vermelden,  wie  sie  beschaffen  gewesen 
sei.  Nach  Sicard  sollen  die  Sandalen  vier  oder  doch  wenigstens  zwei  lingulas 
Ugandas  (Laschen),  unum  super  pedem,  aliain  a  calcaneo  surgentem,  haben4. 

Von  Zierstreifen  auf  dem  Oberleder  der  Sandalen  sprechen  Honorius, 
Sicard  und  Durandus ;  der  Verfasser  des  Mitralis  gibt  außerdem  an,  es  würden 
die  Pontifikalschuhe  auch  wohl  mit  Gemmen  geschmückt.  Von  der  Farbe 
reden  Sicard  und  Durandus ;  wir  erfahren  von  ihnen ,  daß  schwarze  und 
rote  Sandalen  in  Gebrauch  waren. 

Als  Stoff,  aus  dem  die  pontifikalen  Schuhe  hergestellt  wurden,  nennen 
die  Liturgiker,  soweit  sie  seiner  Erwähnung  tun,  lediglich  Leder.  Diese  An- 
gabe schließt  indessen  nicht  aus,  daß  der  lederne  Oberstoff,  wie  es  tatsächlich 
häufig  geschehen  sein  mag,  einen  Überzug  von  Seide  erhielt.  Es  war  ja  in 
diesem  Falle  nicht  eigentlich  die  Seide,  aus  der  die  Sandalen  gemacht  waren ; 
vielmehr  diente  diese  bloß  zur  Ausstattung  der  aus  Leder  angefertigten  Schuhe. 
Später  verhielt  sich  die  Sache  freilich  umgekehrt,  als  Seide  und  Samt  den 
eigentlichen  Oberstoff  bildeten,    dünnes,   weiches  Leder   aber  nur   das  Futter. 

Die  bildlichen  Darstellungen  aus  dem  11.,  12.  und  teilweise  selbst  noch 
dem  13.  Jahrhundert  gewähren  sehr  wenig  Aufschluß  über  die  pontifikale  Fuß- 
bekleidung der  damaligen  Zeit.  Von  den  Caligae  ist  auf  ihnen  kaum  etwas 
wahrzunehmen;  die  Schuhe  aber  treten,  wo  immer  sie  hinreichend  zum  Vor- 
schein kommen,  in  so  mannigfaltiger  Gestaltung  und  Ausstattung  auf,  daß 
es  unmöglich  ist,  aus  ihnen  einen  sichern  Schluß  auf  die  tatsächliche  Form 
und  Beschaffenheit  der  damaligen  bischöflichen  Sandalen  zu  machen. 


1  Sermo  3  (M.  162,  525). 

-  L.  2,  c.  5  (M.  213,  72) :  Igitur  holosericae 
caligae  illara  pedum  signiflcat  munditiem, 
de  qua  Dominus  ait:  Qui  lotus  est  totus,  non 
indiget,  nisi  ut  pedes  lavet. 

3  In  ordo  13,  n.  3  (M.  78,  1106)  wird  von 
caligae  de  rubeo  panno  des  Papstes  gesprochen. 
Es  handelt  sich  dort  allerdings  nur  um  außer- 
liturgische Strümpfe,  doch  dürfte  die  An- 
nahme nahe  liegen,  er  habe  sich  roter  Caligae 


auch  bei  der  Messfeier  bedient,  gerade  wie  die 
Bischöfe  nach  Durandus  dabei  hyazinthfarbige 
(violette)  trugen. 

4  Unter  den  lingulae  werden  bei  Sicard  die 
Laschen  zu  verstehen  sein,  die  an  den  Ponti- 
fikalschuhen  des  11.  und  12.  Jahrhunderts 
angebracht  zu  werden  pflegten  und  mit  einer 
Schnur  oben  am  Fuße  angebunden  wurden. 
Näheres  siehe  unten  in  der  Beschreibung  der 
noch  vorhandenen    Sandalen   aus   jener  Zeit. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fufäbekleiduna 


401 


Bald  sind  sie,  wenngleich  nicht  allzu  häufig,  noch  ganz  niedrig  und  den- 
jenigen des  9.  Jahrhunderts  ähnlich,  bald  gleichen  sie  Pantoffeln,  bald  förm- 
lichen Schuhen,  wie  sie  uns  auch  bei  Laien  begegnen.  Die  einen  Darstellungen 
weisen  im  Oberleder  der  Schuhe  Schlitze  oder  sonstige  Öffnungen  auf,  bei  andern 
fehlen  solche.  Hier  endet  das  Oberleder  auf  der  Mitte  des  Spanns  in  einem 
lanzettförmigen  Ausläufer,  dort  schließt  es  mit  einer  Spitze  oder  mit  einer 
Rundung  ab.  Bald  finden  sich  an  den  Schuhen  Riemen,  bald  mangeln  diese. 
In  manchen  Fällen  entbehren  die  Sandalen  jeden  Schmuckes,  in  andern  zieht 
sich  ein  Streifen  vom  Fußgelenk  oben  über  den  Schuh  bis  zur  Fußspitze; 
wieder  in  andern  zieren  außer  dem  Besatz  in  der  Mitte  noch  zwei  von  der 
Seite  zum  mittleren  Streifen  schräg  verlaufende  und  mit  demselben  eine  Art 
von  Gabel  bildende  Börtchen  das  Oberleder.  Auch  erscheint  dieses  wohl  mit 
Ranken  und  Blumen  gemustert  oder  mit  Steinen  geschmückt.  Hinsichtlich 
der  Farbe  der  Schuhe  herrscht  auf  den  bildlichen  Darstellungen  ebenfalls  der 
größte  Wechsel;  hier  sind  die  Schuhe  golden,  da  grün,  dort  rot,  blau, 
schwarz  usw. 

Offenbar  hat  die  Phantasie  der  Künstler  bei  der  Wiedergabe  der  Fuß- 
bekleidung keine  geringe  Rolle  gespielt.  Die  Sache  ändert  sich  erst  im 
Verlauf  des  13.  Jahrhunderts.  Seit  dieser  Zeit  nehmen  die  Sandalen  auf  den 
Bildwerken  eine  gleichmäßigere 
Form  an.  Insbesondere  erscheint 
nun  auf  den  Monumenten  häufig 
eine  vorn  ziemlich  spitz  aus- 
laufende und  den  ganzen  Fuß 
deckende  Schuhart,  welche  auf 
dem  Vorderstück  eine  gabelartige 
Verzierung  trägt1  (Bild  190). 


Angesichts  des  Wirrwarrs, 


Bild  190.     Pontifikalschuhe  der  Grabfigur 
des  Bischofs  Otto  von  Braunschweig  (f  1279). 
Hildesheini,  Dom. 

welcher  auf  den  Monumenten  aus 

dem  11.,  12.  und  13.  Jahrhundert  hinsichtlich  der  Form  und  Beschaffenheit  der 
liturgischen  Beschuhung  herrscht,  sind  natürlich  von  besonderer  Wichtigkeit 
die  Sandalen  und  Caligae,  welche  sich  aus  dieser  Zeit  erhalten  haben.  Sie  bilden 
zu  der  Beschreibung,  welche  die  Liturgiker  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  von 
der  pontifikalen  Fußbekleidung  geben,  eine  ungleich  bedeutungsvollere  Ergän- 
zung als  die  Bildwerke.  Dasselbe  gilt  von  den  Pontifikalstrümpfen  und  Pon- 
tifikalschuhen,  die  man  gelegentlich  der  Eröffnung  von  Bischofsgräbern  zu  be- 
obachten in  der  Lage  war. 

Pontifikaler  Caligae  gibt  es  aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert  zwei  Paar  zu 
Delsberg  (Schweiz) ;  es  sind  die  früher  erwähnten,  dem  hl.  Germanus  von  Moutier- 
Granval  irrig  zugeschriebenen  Pontifikalstrümpfe.  Als  weiteres  Beispiel  kann  das 
zum  ehemaligen  Krönungsornat  der  deutschen  Könige  gehörende  Caligapaar  im  kaiser- 
lichen Schatze  zu  Wien  angeführt  werden.  Denn  wenn  dieser  Ornat  auch  nie  einen 
eigentlich  liturgischen  Charakter  besessen  hat,  so  waren  doch  die  zu  ihm  gehörenden 
Gewandstücke  Nachbildungen  der  entsprechenden  Teile  der  Pontifikaltracht ". 

Von  den  beiden  Paar  Caligae  zu  Delsberg  ist  das  eine  (Bild  191,  S.  403)  mittels 
eines  halbstarken  Linnenfadens  in  einer  Art  von  Masehenarbeit,  welche  einigermaßen 
an  Schlingenwerk  erinnert,   hergestellt.     Es  ist  die  gleiche  Technik,  welche  auch  der 


1  Eine   gabelförmige  Verzierung    ist  wohl 

gemeint,   wenn    Grimaldi    die    Schuhe    Boni- 

faz'  VIII.  mit  den  Worten  beschreibt:    San- 

dalia   nigri    coloris  acuta  et    cuspidata  more 

Braun,   Die  liturgische  Gewandung. 


gothico  sine  cruce  ex  serico  nigro  ad   flores 
parvos  auro  intextos  longitudinis    l'/2  palm. 
(Bzovius,  Annales  ad  1303,  XIV  51). 
2  Vgl.  unten  Kap.  3  (Mitra),  V. 
26 


402     Drittel'  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Pontifikalhandschuli  in  S.  Trinitä  zu  Florenz  aufweist.  Die  Caligae  dürften  nach 
Ausweis  des  Börtchens,  welches  den  Einschlupf  umsäumt,  dem  12.  Jahrhundert  ent- 
stammen. Sie  sind  70  cm  lang  und  mit  Bändern  zum  Anbinden  versehen.  Von  den 
beiden  andern  Pontifikalstrümpfen  (Bild  192)  ist  nur  einer  vollständig  erhalten.  Er 
ist  ca  67  cm  lang  und  besteht  aus  einem  weißen  Seidendamast  arabischen  oder  sizi- 
lianischen  Ursprungs ;  oben  ist  er  mit  einem  Bandbesatz,  zwischen  Saum  und  Ferse 
aber  mit  zwei  Querstreifen  geschmückt.  Die  Sohle  ist  aus  Linnen  gemacht.  Auch 
hier  sind  am  Einschlupf  zum  Zweck  der  Befestigung  des  Strumpfes  Bänder  an- 
gebracht. Von  dem  zweiten  Strumpf  sind  nur  noch  Bruchstücke  vorhanden.  Nach 
dem  Muster  des  Damastes  zu  urteilen,  dürfte  das  Caligapaar  dem  Ende  des  12.  oder 
besser  dem  beginnenden  13.  Jahrhundert  zuzuweisen  sein. 

Die  zum  einstigen  Krönungsornat  der  deutschen  Könige  gehörenden  Caligae  sind 
sizilianische  Arbeit  und  gemäß  der  Inschrift  des  Randbesatzes  ursprünglich  für  Wil- 
helm IL  von  Sizilien  angefertigt.  Sie  bestehen  aus  schwerem  hochroten  Seidendamast 
und  sind  aus  zwei  Teilen ,  dem  Fuß-  und  dem  Schienbeinstück ,  zusammengenäht. 
Ersteres  ist  völlig  schmucklos ;  letzteres  ist  mit  Goldstickereien  verziert,  ineinander- 
greifenden Vierpässen,  in  deren  Mitte  sich  ein  vierblätteriges  Bosettchen  befindet. 
Die  jetzigen  der  Befestigung  der  Strümpfe  dienenden  Bänder  gehören  erst  einem  der 
letzten  Jahrhunderte  an.  Den  oberen  Band  umgibt  eine  gewirkte  Bordüre  mit  ara- 
bischer Inschrift  in  kufischen  Schriftzeichen.  Die  Caligae  haben  von  der  Ferse  bis 
zum  oberen  Bande  eine  Höhe  von  60  cm  und  reichen  somit  über  das  Knie  '. 

Es  sind  nur  einige  wenige  Beispiele  von  Pontifikalstrümpfen  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts,  von  denen  wir  berichten  können.  Immerhin  geben  sie  ein 
genügendes  Bild  des  inneren  Bestandteiles  der  damaligen  bischöflichen  Fuß- 
bekleidung.  Von  besonderem  Interesse  ist  dabei,  daß  aus  ihnen  unwiderleglich 
das  Vorhandensein  und  die  Verwendung  von  Caligae,  die  auf  der  Nadel 
gearbeitet  waren,  hervorgeht.  Es  ist  nämlich  gesagt  worden,  die  Pontifikal- 
strümpfe  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  seien  stets  aus  Stoffstücken  her- 
gestellt worden.     Die  Delsberger  Caligae  beweisen  das  Gegenteil. 

Von  den  Entdeckungen  bei  Gelegenheit  der  Eröffnung  von  Bischofsgräbern  inter- 
essieren hier  am  meisten  die  Caligae,  welche  man  in  den  achtziger  Jahren  des  vorigen 
Jahrhunderts  im  Dom  zu  Worms  bei  der  Leiche  des  Bischofs  Konrad  von  Sternberg 
(f  1192)  antraf.  Der  Tote  war  nach  Brauch  in  pontifikaler  Tracht.  Unterschenkel  und 
Füße  waren  in  offenen,  unvernähten  Seidenstoff  eingeschlagen  und  darüber  mit  Strümpfen 
von  feiner  Maschenarbeit  bedeckt,  welche  mit  ganz  schmalen,  linear  gemusterten 
Borten  rings  umschnürt  waren 2.  Leider  hat  man  von  den  Strümpfen  damals  keine 
Skizze  aufgenommen.  Es  kann  indessen  wohl  kaum  zweifelhaft  sein,  daß  sie  in  der- 
selben Technik  hergestellt  waren  wie  das  erstbeschriebene  Delsberger  Caligapaar. 
Jedenfalls  beweist  auch  die  Wahrnehmung,  die  man  bei  der  Leiche  Konrads  von 
Sternberg  machte,  das  Unrichtige  der  Behauptung,  es  habe  im  12.  Jahrhundert  keine 
auf  der  Nadel  gearbeiteten  Pontifikalstrümpfe  gegeben. 

Die  Strümpfe,  welche  man  im  Grabe  Bonifaz'  VIII.  fand,  bestanden  nach  Grimaldi 
aus  Taftseide  und  waren,  wenn  der  Berichterstatter  nicht  etwa  irrig  Dunkelviolett  für 
Schwarz  gehalten  hat,  von  schwarzer  Farbe 3. 

Von  bischöflichen  Sandalen  hat  sich  aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert 
noch  eine  gute  Anzahl  erhalten.  Es  gibt  deren,  außer  den  bereits  erwähnten 
zu  Delsberg  und  Rom ,  weitere  zu  Hildesheim  (Dom) ,  Trier  (Domschatz), 
Niederaltaich    (Bayern),    Castel    S.  Elia    bei   Nepi,    Worms    (Paulusmuseum), 


1  Bock,  Reichski.  56  und  Tfl  12.  „Westdeutsche   Zeitschrift",    Korrespondenz- 

2  Schneider,     Ein    Bischofsgrab     des         Blatt  VI  (1887),  Nr  1,  Sp.  8. 
12.   Jahrhunderts   9.     A.    Schnütgen    in  3  Bzo vius  a.  a.  0. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


403 


Chälons-sur-Marne  (Kathedrale)1,  Pontigny2,  Chelles  (Diözese  Meauxs)  und 
Rivadeo  in  Spanien 4.  Dazu  kommen  Fragmente  von  Sandalen  zu  Toul 
(St-Gengoul) 5,  im  Museum  von  Lausanne 6,  im  Musee  Cinquantenaire  zu  Brüssel "' 
und  im  Cluny-Museum  zu  Paris.  Zu  Castel  S.  Elia  finden  sich  drei  Paare; 
Chelles  besitzt  wie  Delsberg  eineinhalb  Paar.  Auch  die  aus  der  Altarmensa 
der  Kapuzinerkirche  zu  Stavelot  stammenden  Fragmente  im  Brüsseler  Museum 
lassen  deutlich  eineinhalb  Paar  unterscheiden. 

Nicht  mehr  vorhanden,  aber  durch  Beschreibung  und  Abbildung  genügend 
bekannt  sind  außer  dem  schon  genannten  Niederzeller  Sandalenpaar  einige 
Pontifikalschuhe,  die  jetzt  wieder  mit  den  Leichen,  bei  welchen  man  sie  an- 
traf, in  der  Erde  ruhen.  Es 
sind  die  Schuhe  der  Trierer 
Erzbischöfe  Bruno  (f  1124), 
Albero  (f  1152)  und  Hillin 
(t  1169)8. 

Ein  Teil  dieser  Pontifikal- 
schuhe ist  "bestimmt  datiert.  Die 
Hildesheimer  Sandalen  stammen 
aus  dem  Grabe  Bernhards  IL 
(t  1153),  die  Trierer  aus  dem  des 
Erzbischofs  Arnold  I.  (f  1183),  die 
Sandalen  zu  Pontigny  aus  dem 
Schrein  des  hl.  Edmund  von  Can- 
terbury  (f  1240).  Die  bischöf- 
lichen Schuhe  zu  Rivadeo  rühren 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von 
Bischof  Pelagius  IL  (f  1218)  her, 
dem  einzigen  Bischof  von  Riva- 
deo, das  nur  kurze  Zeit  als  Bistum 
bestand.  Der  Pontifikalschuh  im 
Paulusmuseum  zu  Worms  wurde 
dem  Grabe  des  Bischofs  Konrad 
von  Sternberg  (f  1192)  entnom- 
men9, die  Reste  der  Pontifikal- 
sandalen,  welche  im  Museum  von 
Lausanne  aufbewahrt  werden, 
fanden  sich  im  Grabe  des  Bischofs 
Roger  (f  1212).  Das  genaue 
Datum     macht    diese     Pontifikal-  Bild  191—192.     Pontifikalstrümpfe.     Delsberg 


1  Abbildung  bei  de  Farcy  122  und  pl.  10. 
Die  Schuhe  des  hl.  Malacbias  kamen  durch 
den  letzten  Abt  Louis-Maria  Rocourt  nach 
Chälons.  Einer  von  ihnen  wurde  1838  durch 
Bischof  de  Prilly  dem  Prior  von  Valbonne 
geschenkt.  Ob  er  noch  existiert ,  ist  un- 
gewiß. (Nach  den  gütigen  Mitteilungen  des 
P.  L.  Carrez  S.  J.)  Übrigens  scheinen  die 
Schuhe  erst  aus  der  Zeit  zu  stammen,  da 
die  Erhebung  des  Leibes  des  Heiligen 
statthatte,  d.  i.  aus  dem  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts. Eine  Mitra  des  hl.  Malachias, 
die  auf  dem  gleichen  Wege  von  Citeaux 
in  die  Kathedrale  zu  Chälons  gelangte, 
entstammt  nach  Ausweis  ihrer  Form ,  Maße 


und   Beschaffenheit    erst    dem    15.  Jahrhun- 
dert. 

2  Abbildung  ebd.  pl.  14. 

3  Abbildung  bei  de  Linas,  Anciens  vete- 
ments  sacerdotaux  III,  Paris  1863,  3. 

4  Abbildung  in  Museo  Espafiol  de  Anti- 
güedades  II  399. 

5  Abbildung   bei  Roh.  VIII,    pl.  dclxxvj. 
G  Abbildung  ebd.  pl.  dclxxviii. 

7  Abbildung  in  Bullet,  mon.  1872,  397. 

s  Abbildung  und  Beschreibung  bei  v.  Wil- 
rn  o  w  s  k  y  ,  Die  Grabstätten  der  Erzbischöfe 
im  Dom  zu  Trier  6  9  15  und  Tfl  4  5. 

0  Abbildung  und  Bericht  bei  Schneider 
a.  a.  0. 

26* 


404      Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


schuhe  natürlich  sehr  bedeutungsvoll  für  die  Geschichte  der  Entwicklung  der  pon- 
tifikalen  Beschuhung  im  11.,  12.  und  13.  Jahrhundert.  Sie  sind  aber  auch  darum  von 
großem  "Wert,  weil  sie  eine  sichere  Norm  zur  Datierung  anderer  Sandalen  bieten,  über 
deren  Alter  entweder  keine  oder  nur  legendenhafte  Angaben  vorliegen. 

Alle  diese  Schuhe  haben  eine  von  derjenigen  der  Pontifikalsandalen 
vorkarolingischer  und  karolingischer  Zeit  merklich  abweichende  Form.  Sie 
ähneln  wenig  oder  gar  nicht  mehr  Sandalen  im  eigentlichen  Sinne,  sondern 
sind  entweder  schon  vollständige  Schuhe  geworden  oder  stehen  doch  der 
Schuhform  nicht  mehr  fern. 

Im  einzelnen  lassen  sich  drei  Typen  unterscheiden.  Beim  ersten  läuft 
das  Oberleder  vorn  und  an  den  Seiten  in  zusammen  fünf  oder  drei  lange, 
zungenförmige  Laschen  aus,  welche  bis  zum  Fußgelenk  reichen.  Die  mittlere 
derselben  befindet  sich  auf  dem  Rücken  des  Fußes,  die  andern  steigen  seit- 
wärts auf.  Alle  sind  am  Ende  mit  einem  Haken  oder  einer  Ose  versehen, 
durch  welche  man  eine  von  den  Ecken  der  Kappe  ausgehende  Schnur  hin- 
durchzog, um  mit  ihr  die  Laschen  rings  um  den  Fuß  festzubinden.  Die  Kappe 
war  durchweg  ebenso  biegsam  wie  der  übrige  Oberteil.  Über  der  mittleren 
Zunge  pflegte  vom  oberen  Ende  bis  zur  Fußspitze  eine  schmälere  oder  breitere 
Borte  oder  ein  dieselbe  ersetzendes  Ornament,  z.  B.  sich  umeinander  windende 
Schlangen  (Brüssel),  angebracht  zu  werden. 

Zu  diesem  Typus  gehören  die  Pontifikalsandalen  zu  Hildesheim,  Trier, 
Lausanne,  Niederaltaich,  Brüssel,  dann  einer  der  Delsberger  Schuhe  und  zwei 
Paare  der  Sandalen  zu  Castel  S.  Elia.  Auch  die  Schuhe,  die  man  in  den 
Gräbern  der  Trierer  Erzbischöfe  Bruno  und  Albero  fand,  wiesen  ihn  auf. 
Ob  auch  diejenigen  Hillins,  ist  aus  der  Skizze,  welche  v.  Wilmowsky  davon 
anfertigte,  nicht  genügend  ersichtlich,  doch  wahrscheinlich,  da  ihn  noch  die 
Sandalen  seines  Nachfolgers  Arnold  I.  zeigen  1. 

Beim  zweiten  Typus,  der  etwas  jünger  ist,  sind  die  Laschen  in  der 
Verkümmerung  begriffen.  Die  mittlere  hat  sich  zu  einem  lanzett-  oder  herz- 
förmigen Zierstück  umgebildet.  Die  andern  dienen  noch  zum  Zweck  der  Be- 
festigung; sie  sind  aber  kürzer  und  schmäler  geworden,  während  gleichzeitig 
das  Oberleder  an  den  Seiten  an  Höhe  gewonnen  hat. 

Klar  tritt  dieser  zweite  Typus  bei  den  Pontifikalsandalen  auf,  die  man 
bei  der  Leiche  Konrads  II.  von  Worms  antraf 2.  Außerdem  gehören  ihm  die 
früher  zu  Niederzeil  befindlichen  Schuhe,  ein  Paar  Sandalen  zu  Delsberg  und 
die  drei  Pontifikalschuhe  zu  Chelles  3  an. 

Beim  dritten  Typus  endlich,  dem  jüngsten,  haben  wir  einen  förmlichen, 
bis  zu  den  Knöcheln  reichenden  und  den  Fuß  völlig  einschließenden  Schuh 
vor  uns.  Laschen  und  Riemen  sind  verschwunden,  dagegen  sind  die  Sandalen 
vorn  am  oberen  Ende  mit  einem  kurzen  Schlitz,  einem  kleinen  Ausschnitt  oder 
einer  Ausbauchung  versehen,  die  das  Anziehen  erleichtern  sollten. 


1  Auch  bei  den  zum  Krönungsornat  der 
deutschen  Könige  gehörenden  Schuhen  findet 
sich  der  Typus ,  doch  erscheinen  hier  die 
Laschen  schon  merklich  verkürzt.  Ebenso 
war  er  einem  zweiten  Sandalenpaar  der  Reichs- 
kleinodien  eigen ,  das  aber  seit  1794  ver- 
schwunden und  nur  mehr  aus  der  Beschrei- 
bung v.  Murrs  und  der  Abbildung  bei  Delsen- 
bach  bekannt  ist  (vgl.  Bock,  Reichski. 
21   nebst  Tfl   4  sowie  Anhang  Nr  3,  S.  4). 


2  Auch  die  Sandalen,  die  man  1606  bei  der 
Leiche  Hadrians  IV.  (f  1159)  sah,  gehörten 
nach  einer  freilich  mangelhaften  Skizze  Gri- 
maldis,  Instrum.  auth.  translat.  ss.  corporum 
et  ss.  reliquiarum  e  veteri  in  novam  Principis 
apostolorum  basilicam  pars  2,  f.  184''  (Vat. 
Barb.  XXXIV),  wohl  dem  zweiten  Typus  an. 

3  Nach  de  Linas  (Revue  1862,  347)  viel- 
leicht Frauenschuhe;  mit  Unrecht  (etwas  anders 
ders.  übrigens    in  Anciens  vetem.  III  201). 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung.  405 

Zu  diesem  Typus,  der  den  Übergang  zu  den  Pontifikalschuhen  des  späteren 
Mittelalters  bildet,  zählen  die  Sandalen  zu  Pontigny,  Rivadeo,  eines  der  drei 
Schuhpaare  zu  Castel  S.  Elia,  sowie  auch  wohl  die  angebliche  Pontifikalsandale 
Silvesters  I.  in  S.  Martino  ai  Monti  zu  Rom.  Bei  den  Pontifikalschuhen  zu 
Chälons  wird  der  Schlitz  durch  einen  Überschlag  verdeckt,  der  an  der  Seite 
mittelst  eines  Knopfes  geschlossen  wird. 

Verschiedenen  der  noch  vorhandenen  Pontifikalschuhe  aus  dem  12.  und 
13.  Jahrhundert  fehlt  eine  Sohle  im  gewöhnlichen  Sinne,  so  den  Sandalen 
im  Dom  zu  Hildesheim  und  zu  Chelles.  Auch  bei  den  Pontifikalschuhen  zu 
Niederzell  mangelte  sie.  Andere  besitzen  eine  dicke,  mit  Leder  überzogene 
Kork-  bzw.  Holzsohle,  wie  die  Sandalen  zu  Chälons,  Castel  S.  Elia  und  Rivadeo. 

Was  das  Material  anlangt,  aus  dem  der  Oberteil  der  Sandalen  an- 
gefertigt ist,  so  besteht  dieser  bei  fast  allen  aus  Leder.  Bei  einigen,  z.  B.  einem 
Paar  Sandalen  in  Castel  S.  Elia  und  den  Pontifikalschuhen  Arnolds  I.  von 
Trier,  ist  das  Oberleder  mit  dünner  Seide  überzogen;  die  andern  haben  es 
beim  bloßen  Leder  belassen.  Aus  Zeug  ist  bloß  bei  zweien  der  angeführten 
Sandalen  der  Oberteil  angefertigt,  bei  den  Pontifikalschuhen  zu  Pontigny  und 
der  sog.  Silvestersandale  zu  Rom,  beide  Schöpfungen  des  13.  Jahrhunderts. 
Den  Oberteil  der  Pontifikalschuhe  aus  Zeug,  Seide  oder  Samt  zu  machen, 
dürfte  kaum  vor  dem  13.  Jahrhundert,  der  Zeit,  da  die  Sandalen  sich  zum 
förmlichen  Schuh  ausbildeten,  aufgekommen  sein.  Jedenfalls  wurde  solches  erst 
damals  gewöhnlicher.  Wiederholt  hören  wir  darum  auch  seit  dieser  Zeit  von 
Sandalen  aus  Seidenstoffen.  So  berichten  die  Gesta  der  Bischöfe  von  Le  Mans, 
Gottfried  von  Loudon  (f  1255)  habe  der  Kathedrale  von  Le  Mans  Pontifikal- 
schuhe aus  roter  Seide  geschenkt,  während  uns  das  Inventar  von  Salisbury 
aus  dem  Jahre  1212  von  duo  paria  sandaliorum,  unum  de  serico  indico,  .  .  . 
et  aliud  de  viridi  cendali  brusdato,  und  das  Schatzverzeichnis  von  St  Paul  zu 
London  aus  dem  Jahre  1245  von  Sandalen  aus  rotem  und  blauem  samitum 
(Seidenköper,  nicht  Samt  in  unserem  Sinne)  zu  erzählen  weiß.  Gegen  Ende 
des  13.  Jahrhunderts  muß  es  schon  sehr  gebräuchlich  gewesen  sein ,  die 
Pontifikalschuhe  aus  Seide  herzustellen.  Von  den  zehn  Sandalenpaaren  z.  B., 
die  1295  im  Schatzverzeichnis  Bonifaz'  VIII.  vorkommen,  werden  nicht  weniger 
denn  vier  ausdrücklich  als  aus  roter  oder  violetter  Seide  gemacht  notiert; 
eines  bestand  aus  weißem  sarazenischem  Seidenstoff,  bei  den  andern  fünf  aber 
schließt  der  Wortlaut   eine  Anfertigung   aus  Zeug   zum  mindesten  nicht  aus. 

Die  meisten  der  aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert  noch  vorhandenen 
Sandalen  sind  reich  ornamentiert.  Die  Verzierungen,  welche  vornehmlich 
in  Rankenwerk  bestehen,  sind  teils  in  Stickerei,  teils  in  Aufnäharbeit  ge- 
arbeitet. Im  letzten  Falle  ist  das  aufgesetzte  Ornament  mit  Vorzug  aus  ver- 
goldetem Leder  gemacht.  Beispiele  einer  solchen  Verzierungsweise  liefern  unter 
andern  die  Sandalen  zu  Brüssel,  Delsberg  und  Castel  S.  Elia  (Bild  198,  S.  409). 
Ganz  vergoldet  ist  der  Pontifikalschuh  Konrads  von  Sternberg  im  Paulus- 
museum zu  Worms ;  ferner  war  ursprünglich  vergoldet  eines  der  drei  Sandalen- 
paare zu  Castel  S.  Elia.  Die  Pontifikalsandale  des  hl.  Malachias  in  der  Kathedrale 
zu  Chälons-sur-Marne  und  die  Sandalen  von  Pontigny  sind  von  roter  Farbe; 
rot  waren  auch  die  nunmehr  verschwundenen  Niederzeller  Pontifikalschuhe. 
Von  blau  grüner  bzw.  blauer  Färbung  sind  die  angeblichen  Schuhe  des 
hl.  Silvester  in  S.  Martino  ai  Monti,  die  St  Godehardssandalen  zu  Niederalt- 
aich  und  die  beiden  andern  Sandalenpaare  zu  Castel  S.  Elia.  Die  übrigen 
vorhin    erwähnten   Pontifikalschuhe    sind    entweder   schwarz   (z.  B.  Delsberg, 


406     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Brüssel,    Chelles)  oder  lassen   infolge  des  Alters   oder  der  Grabesfeuchtigkeit 
die  Farbe  nicht  mehr  hinreichend  erkennen. 

Eine.  Eigentümlichkeit  von  verschiedenen  der  auf  uns  gekommenen  Ponti- 
fikalschuhe  (Chälons,  Trier,  Castel  S.  Elia  u.  a.)  bilden  die  zahlreichen  kleinen 
Löchlein,    die   allenthalben   im    Oberleder,    im  Vorderstück,    an   den  Seiten 

und  an  der  Kappe 
angebracht  sind.  Von 
diesen  Löchlein  redet 
auch  Reginald  von 
Durbam,  wenn  er  in 
der  Beschreibung  der 
bischöflichen  Schuhe, 
mit  denen  nach  seiner 
Angabe  der  Leichnam 
des  hl.  Cuthbert  aus- 
gestattet war,  sagt: 
In  pedibus  calcea- 
menta  pontiücalia  gerit,  quae  vulgus  sandalia  vocare  consuevit.  Quae  ex 
regione  superiori  multis  foraminibus  minimis  patere  videntur,  quorum  opera- 
mina  artificiosa  es  industria  taliter  confecta  comprobantur  1. 

Die  Löchlein  haben  manche  Erörterungen  veranlaßt.  Man  hat  geglaubt,  ihr 
Zweck  sei  gewesen,  die  Ausdünstungen  des  Fußes  austreten  zulassen.  Doch  ist  das  sicher 
unzutreffend;  denn  die  zahlreichen  kleinen  Durchbrechungen  des  Stoffes  befinden  sich 
nicht  nur  an  Schuhen,  die  oben  völlig  geschlossen  sind,  sondern  auch,  und  zwar  vor- 
nehmlich, an  denjenigen  Sandalen,  welche  mit  Zungen  bzw.  mit  tief  herabgehenden 
Ausschnitten  versehen  sind  und  darum  etwaigen  Ausdünstungen  des  Fußes  mehr  als 
hinreichenden  Austritt  gewährten.    Andere  haben  den  Grund  für  die  Anbringung  der 


Bild  193.     Pontifikalschuh  St  Godeliards.     luederaitaich. 


Bild  194.     Pontifikalschuh  des  Bischofs  Bernhard  von  Hildesheim  (t  1153). 

HildesTieim,  Dom. 

zahlreichen  Löchlein  darin  gesucht,  daß  nach  einer  mystischen  Anschauung  die  San- 
dalen unten  geschlossen,  oben  aber  offen  sein  soften.     Sie  beachten  aber  nicht,    daß 


1  De  admir.  B.  Cuthb.  virt.  c.  42  (ed. 
Snrtees  Society,  Newcastle  1*35,  88).  Die 
Pontifikalsandalen,  welche  Reginald  mit  diesen 
Worten  beschreibt,  sind  nicht  diejenigen  des 
8.  Jahrhunderts,  sondern  die  seiner  eigenen 
Zeit ,    d.    i.    des    12.    Jahrhunderts.      Damals 


trug  der  Leichnam  die  ursprünglichen  San- 
dalen nicht  mehr,  da  diese  nach  der  von  einem 
Zeitgenossen  des  Heiligen  verfaßten  Vita 
S.  Cuthberti  n.  14  bei  der  ersten  Eröffnung 
aus  dem  Sarge  genommen  worden  waren 
(A.  SS.  20.  Mart.,  III  123). 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


407 


die  Löchlein  fast  winzig  klein  sind,  und  daß  sie  nicht  nur  auf  dem  Fuß,  sondern  auch 
an  dessen  Seiten  bis  zu  den  Sohlen  und  selbst  an  der  Kappe  sich  finden.  Freilich 
wissen  die  alten  Liturgiker  allerlei  mystische  Erklärungen,  warum  die  Sandalen  oben 
aperturas  hätten,  warum  sie  daselbst  pertusa,  forata,  perforata,  quibusdam  loeis  aperta, 
qmbusdam  clausa  seien  und  warum  ihr  Oberleder  fenestratum  sei.  Indessen  ist  es 
erstens  am  wahrscheinlichsten,  daß  sie  dabei  nicht  an  die  kleinen  Öffnungen,  sondern 
an  die  großen  und  tief  hinabsteigenden  Einschnitte  des  Oberstoffes  denken.  Dann 
aber  dürften  ihre  Ausführungen  kaum  etwas  mehr  als  eine  symbolische  Deutung  sein, 
welche  sie  nachträglich  mit  einer  vorhandenen  Gepflogenheit  verknüpften.  Man  darf 
nicht  vergessen,  daß  die  alten  Liturgiker  bei  all  ihren  langen  Erörterungen  kaum  je 
über  den  wirklichen  Grund  einer  Sache  Aufschluß  geben,  sondern  sich  damit  begnügen, 
allerlei  mystische  Beziehungen  in  die  sich  ihnen  darbietenden  Erscheinungen  hinein- 
zulegen bzw.  aus  denselben  herauszulesen.  Der  wahre  Zweck  der  Löchlein  war  rein 
ornamentaler  Art.  Sie  sollten  die  Einförmigkeit  des  Grundes  in  einfacher,  aber  ge- 
fälliger "Weise  brechen,  in  Verbindung  mit  Eankenwerk  aber  angebracht,  die  Banken 
wirkungsvoller  hervortreten  lassen.     Dann    aber  dienten  sie,   wie   aus   zwei   der  San- 


Bild  195.     Pontifikalschuh  des  Bischofs  Konrad  II.  von  Worms. 
"Worms,  Piuilusmuseum.     (Nach  Schneider.) 

dalenpaare  von  Castel  S.  Elia  hervorgeht,  auch  zur  Aufnahme  kleiner  Silbernieten. 
Bei  einem  dieser  Paare  hat  sich  noch  der  größere  Teil  dieser  Meten  erhalten,  bei 
dem  andern  finden  sich  wenigstens  noch  so  viele  vor,  daß  sich  der  Zweck  der  Löch- 
lein, die  hier  eine  netzförmige  Musterung  bilden,  mit  aller  Bestimmtheit  feststellen  läßt. 

Zum  besseren  Verständnis  und  zur  Vervollständigung  der  vorstehenden 
Ausführungen  über  die  Pontifikalschuhe  des  11.  bis  13.  Jahrhunderts  dürfte 
es  sich  empfehlen,  ihnen  eine  etwas  ausführlichere  Beschreibung  einiger  be- 
sonders typischer  Sandalen  anzureihen.  Es  sind:  der  Pontifikalschuh  des 
hl.  Godehard  zu  Niederaltaich,  die  Schuhe  des  Bischofs  Bernhard  von  Hilcles- 
heim  und  des  Bischofs  Konrad  von  Worms,  die  drei  Sandalenpaare  zu  Castel 
S.  Elia  und  die  Pontifikalschuhe  zu  Rivadeo. 

Über  die  Form  der  St  Godehardssandale  gibt  die  nebenstehende  Skizze  (Bild  193) 
Aufschluß '.     Von  den  Laschen,    die   auf  der  Abbildung  vollständig   erscheinen,    sind 


1  Leider  war  es  nicht  möglich ,  von  dem 
Schuh  eine  photographische  Aufnahme  her- 
zustellen ,  da  er  hoch  oben  im  Altar  hinter 
festem  Glasverschluß  aufbewahrt  wird.  Es 
war  selbst  nicht  wenig  schwierig,  auch  nur 


eine  Skizze  von  ihm  zu  machen.  Ob  der 
Schuh  wirklich  vom  hl.  Godehard  herrührt, 
muß  dahingestellt  bleiben.  Zur  Zeit,  da  der 
Heilige  Abt  des  eben  nach  hundertjähriger 
Auflösung   neu  wieder    eingerichteten  Bene- 


408     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

zum  Teil  nur  noch  Eeste  vorhanden.  Der  Oberstoff  des  Schuhes  besteht  aus  dunkel- 
farbigem, blaugrünem  Leder,  das  Futter  aus  weißem  Leder.  Zwischen  Oberstoff  und 
Futter  scheint  eine  Einlage  von  Linnen  eingeschaltet  zu  sein.  Über  den  Spann  zieht 
sich  ein  schmaler  Zierbesatz,  der  sich  nahe  an  der  Spitze  des  Fußes  gabelförmig  teilt. 
Auch  den  Band  und  die  Ausschnitte  des  Oberleders  umzieht  eine  schmale  Borte.  Die 
Ranken  und  Vögel,  mit  denen  dieses  verziert  ist,  sind  mittels  Seide  in  Konturstickerei 
ausgeführt.  Die  Sohle  ist  eigens  eingesetzt,  aber  weich.  Fast  eine  Kopie  des  Schuhes 
ist  eine  der  Delsberger  Sandalen.  Auch  der  Pontifikalschuh,  den  man  im  Grab  Alberos 
von  Trier  fand,  weist  den  gleichen  Typus  auf. 

Die  Pontifikalschuhe  Bernhards  von  Hildesheim  (Bild  194,  S.  406)  haben  eine  Länge 
von  28  cm  und  eine  Höhe  von  12  cm.  Sie  sind  aus  einem  weichen  braunen  Leder 
gemacht  und  innen  mit  feinem  weißen  Leder  gefüttert.  Ob  das  jetzige  Braun  der 
Außenseite  den  Schuhen  immer  eigen  war  oder  ob  es  sich  erst  durch  Zersetzung  der 
Farbe  im  Grabe  bildete,  läßt  sich  nicht  erkennen.  Da  das  Futterleder  indessen  sein 
Weiß  beibehielt,  dürfte  auch  mit  der  Farbe  des  Außenleders  keine  Veränderung  vor 
sich  gegangen  sein.  Sohlen  und  Oberleder  bestehen  aus  demselben  weichen  Stoff.  Im 
Gegensatze  zu  andern  Sandalen  haben  die  Pontifikalschuhe  Bernhards  am  Einschlupf 
nur  vier  Ausschnitte  und  darum  nur  drei  Laschen.  Zwei  weitere  Ausschnitte  sind 
zu  eiförmigen ,  mit  der  Spitze  aufwärts  gerichteten  Durchbrechungen  der  Kappe 
verkümmert.  Die  drei  Laschen  sind  oben  durch  Umschlagen  des  Leders  mit  Ösen 
zur  Aufnahme  des  Bandes  versehen,  mit  welchem  der  Schuh  oberhalb  des  Fußgelenkes 
befestigt  wurde.  Vorn  befinden  sich  im  Oberleder  vier  große,  fast  kreisrunde  Öffnungen. 
Sowohl  die  vier  Ausschnitte  als  die  sechs  Löcher  in  dem  Vorderleder  und  der  Kajnpe 
waren  ehedem  mit  zwei  ca  5 — 6  mm  voneinander  entfernten  Metallgoldfäden  umsäumt. 
Hie  und  da  haben  sich  noch  Spuren  dieser  Fäden  erhalten.  Im  übrigen  war  die  Ver- 
zierung der  Schuhe  einfach ;  sie  beschränkte  sich  auf  einen  Pfeil  über  der  mittlem  Lasche, 
auf  ein  rhombenförmiges  Gebilde,  welches  die  vier  Kreise  auf  dem  Vorderstück  einschloß, 
und  drei  senkrechte  Linien  zu  beiden  Seiten  der  Sandalen.  Alle  diese  Ornamente 
sind  leicht  in  das  Leder  eingeritzt.  Ehedem  waren  diese  Ritzen  mit  einem  Goldfaden 
ausgelegt.  Leider  haben  die  Sandalen  eine  üble  Restauration  durchmachen  müssen ; 
derselben  gehören  nicht  nur  die  mit  Bronzepulver  hergestellten  Goldtupfen  und  Striche, 
sondern  auch  die  aufgesetzten  Goldkördeichen  an.  Die  Schuhe  Bernhards  sind  ein 
vorzügliches  Beispiel  des  älteren  Sandalentypus. 

Bei  dem  Schuh  Konrads  von  Worms  (Bild  195,  S.  407)  besteht  der  Oberteil  aus 
prächtig  vergoldetem  Leder  mit  einem  Unterstoff  aus  starkem  Gewebe.  Die  Laschen  sind 
ersichtlich  in  der  Rückbildung  begriffen,  immerhin  jedoch  gut  zu  erkennen.  Auch 
dienten  sie  noch  zur  Aufnahme  der  Schnur,  mit  dem  der  Schuh  am  Fuß  angebunden 
wurde.  Eigenartig  ist  die  Verzierung  des  Oberstoffes.  Sie  besteht  in  sehr  sorgsam  und 
geschickt  aufgenähten  Seidenkordeln,  die,  größere  und  kleinere  Kreise  bildend,  ein  geo- 
metrisches Zeugmuster  nachahmen.  Ein  einfaches  Kreuz  füllt  die  kleineren,  ein  vier- 
paßartiges  die  größeren  Kreise.  Die  Verzierung  verbreitet  sich  über  die  ganze  Ober- 
fläche. Die  Abheftstiche  sind  durch  die  Unterlage  des  Leders  durchgeführt.  Die  Länge 
der  Sandale  beträgt  ca  28  cm,  ihre  Höhe  ca  10  cm.  Die  Sohle  ist  dünn  und  weich, 
umgewandt  angenäht  und  absatzlos.  Die  Pontifikalschuhe  Bischof  Konrads  stellen  ein 
instruktives  Specimen  des  mittleren  Sandalentypus  dar. 

Von  den  drei  Paaren  Pontifikalsandalen  zu  Castel  S.  Elia  ist  dasjenige  am 
ältesten,  von  welchem  in  Bild  196  ein  Schuh  wiedergegeben  ist.  Die  Sohle  besteht  bei 
ihm  aus  einer  kräftigen  Korkplatte,  welche  unten  mit  schwarzem,  seitlich  aber  mit 
weißem  Leder   überzogen  ist.     Auch  im  Innern  sind  die  Sandalen  mit  weißem  Leder 


diktinerklosters  Niederaltaich  war,  hatten  Gregor  IX.  (Mon.  Boica  XI  211).  Wenn  der 
dessen  Abte,  wie  kaum  zu  bezweifeln  ist,  Schuh  vom  hl.  Godehard  stammt,  wird  er 
noch  nicht  das  Recht,  Pontifikalsandalen  zu  also  wohl  als  Reliquie  des  Heiligen  von 
tragen.  Den  Gebrauch  der  Mitra  und  des  Hildesheim  nach  dem  früheren  Wirkungs- 
Ringes  erhielten   sie   sogar  erst  1240    durch  kreis  desselben  gekommen  sein. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


409 


Bild  196.     Pontifikalschuh. 
Castel  S.  Elia. 


ausgestattet.  Das  Oberleder  ist 
mit  blauer  Seide  bekleidet.  Das 
Schiingenornament  auf  dem  Vor- 
derstück besteht  aus  nebeneinander 
gelegten,  mit  Seidenfäden  aufgehef- 
teten vergoldeten  Lederriemchen, 
denen  man  im  12.  Jahrhundert 
auch  sonst  mehrfach  begegnet,  so 
z.  B.  bei  einem  der  Delsberger 
Pontifikalschuhe.  Dort,  wo  die 
durch  die  Goldriemchen  hergestell- 
ten Bänder  einander  schneiden,  sind  sie  mit  silbernen  Nieten  am  Oberleder  befestigt, 
zu  beiden  Seiten  aber  werden  sie  von  Kettenstichen  in  gelber  Seide  begleitet.  Auf 
der  Kappe  und  den  Seitenteilen  der  Schuhe  steht  eine  arabische  Inschrift  in  großen 
Kufen,  welche  durch  ein  vergoldetes  Lederstreifchen  gebildet  und  gleichfalls  von  Ketten- 
stichen eingefaßt  werden.  Der  Grund,  welchen  Inschriften  und  Ornament  übrig  lassen, 
ist  teils  mit  kleinen  Bosettchen  aus  vergoldetem  Leder  verziert,  in  deren  Mitte  sich 
eine  silberne  Niete  befindet,  teils  von  feinen  Lochlein  durchbrochen,  in  welche  ebenfalls 

ein  Silberknöpfchen  von  der  Größe 
eines  kräftigen  Stecknadelkopfes 
befestigt  ist. 

Die  Länge  der  Sandalen  be- 
trägt SO  cm,  die  Sohlenhöhe  1  '/a  cm, 
die  Kappenhöhe  10  cm.  Schade,  daß 
ihr  Oberteil  nicht  mehr  intakt  ist. 
Es  sind  nämlich  die  Laschen  im 
Laufe  der  Zeit  abgerissen  worden; 
nur  ihre  Ansätze  sind  noch  vor- 
handen, jedoch  als  solche  deutlich 
erkennbar.  Die  ganze  Technik 
der  Sandalen,  ihre  Form  und  ihre  Ausstattungsweise  lassen  sie  als  eine  Arbeit 
aus  dem  12.  Jahrhundert  erscheinen. 

Das  zweite  Sandalenpaar  (Bild  197)  gehört  ebenfalls  noch  dem  12.  Jahrhundert 
an.  30  cm  lang,  hat  es  eine  Kappenhöhe  von  13  cm.  Die  Korksohlen,  welche  eine 
Dicke  von  2  cm  besitzen,  sind 
an  den  Seiten  und  unten  mit 
rotem  Leder  überzogen.  Das 
Oberleder  besteht  aus  ursprüng- 
lich weißem,  aber  rot  gefärbtem 
und  dann  vergoldetem  Eselsleder. 
Im  Innern  sind  die  Schuhe  mit 
rotem  Leder  gefüttert. 

Eine  besondere  Verzierung 
haben  die  Sandalen  weder  auf 
dem  Vorderteil,  noch  an  der 
Kappe,  doch  ist  das  ganze  Ober- 
leder mit  zahllosen  Löchlein 
versehen ,  welche  eine  regel- 
mäßige, netzartige  Quadrierung  Bild  198.  Pontifikalschuh.  Castol  S.  Elia. 
bilden  und  einst  mit  Silberstift- 

chen  gefüllt  waren.     Noch  jetzt  finden  sich  solche,  wie  schon  vorhin  bemerkt  wurde, 
in  einzelnen  Löchlein  eingenietet  vor. 

Die  Laschen  zum  Anbinden  des  Schuhes  sind  noch  ziemlich  gut  erhalten,  doch 
schon  verhältnismäßig  klein.  Die  Form  bezeichnet  das  Übergangsstadium  vom  ersten 
zum  zweiten  Typus. 


Bild  19V.     Pontifikalsclm 


Castel  S.  Eli: 


410     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Das  dritte  Paar  (Bild  198,  S.  409),  welches  wir  unter  den  mittelalterlichen  Para- 
menten  in  Castel  S.  Elia  antreffen,  vertritt  den  dritten,  jüngsten  Typus.  Die  Länge  des 
Schuhes  beträgt  SO  cm,  die  Kappenhöhe  16  cm.  Die  Korksohlen  sind  hier  21/i  cm 
dick.  Inwendig  sind  die  Sandalen  mit  rotem  Leder  ausgefüttert,  während  die  Sohlen 
unten  mit  dunkelbraunem,  seitlich  mit  vergoldetem  Leder  bedeckt  sind.  Das  Ober- 
leder hat  gegenwärtig  eine  tiefbraune  Färbung,  ursprünglich  war  es  jedoch  mit  grüner 
Farbe  bemalt,  von  der  sich  noch  verschiedene  Eeste  erhalten  haben.  Über  den  Spann 
zog  sich  einst  der  Länge  nach  ein  vergoldeter  Lederstreifen.  Ein  ähnlicher  Streifen 
an  den  Seiten  ist  noch  vorhanden.  Die  übrigen  Teile  des  Oberleders  sind  mit  Banken 
romanischer  Bildung,  wie  sie  auch  an  den  Pontifikalschuhen  Arnolds  I.  von  Trier, 
des  hl.  Edmund  von  Canterbury  zu  Pontigny  und  andern  vorkommen,  gänzlich 
übersponnen. 

Die  Pontifikalsandalen  zu  Bivadeo  bestehen  aus  Leder.  Die  Sohle  ist  aus  Fichten- 
holz gemacht  und  unten  sowie  an  den  Seiten  mit  Kalbleder  überzogen.  Über  das 
Vorderleder  laufen  in  der  Längsrichtung  der  Schuhe  abwechselnd  vergoldete  und  ver- 
silberte Streifen,  die  durch  ein  rotes  Bändchen  voneinander  getrennt  sind.  Die  drei 
vergoldeten  sind  mit  einer  Prägung  versehen,  die  bei  dem  mittleren  ein  netzförmiges 
Muster,  bei  den  beiden  andern  bloße  Querlinien  darstellt.  Die  beiden  versilberten 
weisen  eine  grüne  Zickzacklinie  auf.  Die  Streifen  enden  an  einem  versilberten  Band, 
das  sich  etwas  hinter  der  Mitte  des  Fufäes  quer  über  den  Spann  zieht.  An  der  Ferse 
und  den  beiden  Knöcheln  steigt  je  ein  versilberter,  von  einer  roten  Linie  eingefaßter 
und  mit  eingeprägten  Querlinien  belebter  Streifen  senkrecht  von  der  Sohle  zum  Fuß- 
gelenk herauf,  wo  er  durch  ein  versilbertes  Band  begrenzt  wird,  das  horizontal 
den  Fuß  umgibt.  Die  Seiten  der  breiten  Sohle  sind  mit  einer  Bänke  geschmückt, 
welche  sich  aus  zwei  roten  und  einer  mittleren  grünen  Linie  zusammensetzt.  An  der 
Spitze  ragt  das  Oberleder  schnabelförmig  ein  wenig  hervor.  In  der  Form  zeigen 
die  Schuhe  das  gewöhnliche  Bild  der  Sandalen  des  dritten  Typus.  Die  Verzierung 
ist  dagegen  sehr  eigenartig  l. 

IX.    BESCHAFFENHEIT  DER    SANDALEN    UND    CALIGAE    IM    SPÄTEN 
MITTELALTER  UND  DER  NEUZEIT. 

Es  bleibt  noch  übrig,  auf  die  Beschaffenheit  der  pontifikalen  Fußbeklei- 
dung im  späten  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit  etwas  näher  ein- 
zugehen. 

Von  den  Caligae  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  geben  uns  einige  noch 
vorhandene  Pontifikalstrümpfe  des  ausgehenden  Mittelalters  ein  gutes  Bild. 
Es  scheinen  auf  der  Nadel  gearbeitete  Caligae  allmählich  außer  Mode  ge- 
kommen und  die  pontifikalen  Strümpfe  nur  oder  doch  fast  nur  noch  aus  den 
kostbaren  sarazenischen,  maurischen  und  italienischen  Seidenstoffen  gemacht 
worden  zu  sein,  mit  denen  Europa  vom  Orient,  von  Italien  und  Spanien  in 
damaliger  Zeit  wie  überschwemmt  Avurde. 


1  Museo  Espafiol  de  Antigüedades  II  899. 
Wir  fügen  noch  ein  paar  Worte  über  zwei 
an  sich  zwar  unwichtige,  immerhin  aber  der 
Erwähnung  würdige  Reste  bischöflicher  Ponti- 
fikalsandalen des  13.  Jahrhunderts  an.  Frag- 
mente von  Sandalen ,  die  dem  hl.  Ludwig 
von  Anjou  zugeschrieben  werden  und  dem- 
gemäß dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  ent- 
stammen würden,  befinden  sich  zu  St-Maximin 
(Var).  Soweit  sich  aus  den  noch  vorhandenen 
Teilen  die  ehemalige  Form  erkennen  läßt, 
scheinen  sie  die  Form  eines  niederen  Schuhes 


gehabt  zu  haben.  (Näheres  Revue  1862,  352.) 
Der  Oberstoff  war  aus  einem  reichen  Brokat 
gemacht  und  mit  einer  Einlage  von  Linnen 
und  gelbseidenem  Futter  versehen.  Andere 
Reste  von  Sandalen ,  deren  Oberstoff  an- 
scheinend aus  Seide  bestand  und  mit  einem 
aus  Goldborten  hergestellten  Gabelkreuz  ver- 
ziert war ,  entdeckte  man  in  einem  ins 
13.  Jahrhundert  hinaufreichenden  Biscbofs- 
grab  der  Kathedrale  von  Chälons-sur-Marne 
(Abbildung  in  Bullet,  de  la  Soc.  Nat.  des 
Antiq.  de  France  1895,  193). 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fufsbekleidung 


411 


Die  Caligae,  welche  man  bei  der  Leiche  Peters  von  Courpalay,  Abtes  von 
St-Germain-des-Pres  (f  1334),  gelegentlich  der  1799  vorgenommenen  Eröffnung  seines 
Sarges  antraf,  waren  aus  einem  dunkelvioletten  Seidendamast  angefertigt,  der  mit 
goldenen  Vögeln  in  Sechsecken,  goldenen  Lilien  und  ähnlichem  gemustert  war1. 

Aus  grünem  sarazenischen  Seidendamast  besteht  ein  Pontifikalstrumpf  des 
Kardinals  Arnold  de  la  Vie  (f  1335),  welcher  im  Cluny-Museum  zu  Paris  (Bild  199) 
aufbewahrt  wird.  Er  ist  63  cm  lang.  Die  Köpfe,  Füße,  Krallen  und  Hufe  der  dem 
Stoff  eingewebten  Adler  und  Antilopen  sind  in  G-old  broschiert. 

Die  Caligae  Wilhelms  von  Wainfleet,  Bischofs  von  Winchester  (f  1486),  welche 
sich  im  Besitze  des  Maria  Magdalena-Kollegs  zu  Oxford,  der  Stiftung  Wilhelms,  be- 
finden, sind  aus  einem  mit 
Vögeln,  Blumen,  Strahlen  ver- 
zierten Brokat  gemacht.  Sie 
sind  50  cm  lang  und  zum 
Zweck  des  Anbindens  oben  in 
einer  Entfernung  von  14  cm 
vom  Eand  seitlich  mit  einem 
Knopf  versehen,  dem  auf  der 
andern  Seite  eine  Schnur  ent- 
spricht. Inwendig  sind  sie 
mit  Linnen  gefüttert. 

Ein  Pontifikalstrumpf  des 
späten  Mittelalters  im  Dom  zu 
Halberstadt  (Bild  200)  ist  aus 
einem  leichten  Seidentaft  von 
bräunlichvioletter  Farbe  her- 
gestellt, welcher  von  gelblichen, 
in  schräger  Richtung  das  Bein 
umziehenden  Streifen  durch- 
quert ist.  Die  Länge  des 
Strumpfes  beträgt  vom  oberen 
Rande  bis  zur  Zehe  78  cm. 

Die    Gepflogenheit,    die 

pontifikalen    Strümpfe    aus 

Seidenstücken      zusammen- 
zunähen,   erhielt    sich,    wo 

überhaupt  Caligae  in  Brauch 

blieben,  wie  z.  B.  in  Italien, 

bis   in  die  Gegenwart.     Es 

kann    das     angesichts    des 

Aufschwunges,  den  die 
Strumpfwirkerei  seit  dem  16.  Jahrhundert  nahm,  auffällig  erscheinen.  Allein 
es  erklärt  sich  ohne  Schwierigkeit,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  Caligae 
nach  der  seit  Jahrhunderten  herrschenden  Praxis  nicht  eigentlich  Bekleidung 
der  bloßen  Füße  sind,  sondern  einen  Alltagsstrumpf  voraussetzen,  und  daß 
sie  darum  im  Grunde  nur  eine  Art  von  Überzug  über  letzteren  darstellen. 
Als  Beispiel  der  Caligae  der  Neuzeit  können  die  Pontifikalstrumpf e  des  hl.  Pius  V. 
dienen,  welche  in  der  Kathedrale  zu  Mondovi  aufbewahrt  werden  und  1898 
zu  Turin  ausgestellt  waren.  Sie  sind,  ihrem  Zwecke  entsprechend,  sehr  weit 
und  in  ihrem  oberen  Teile  aus  einem  reich  gemusterten  Brokat  gemacht.    Der 


Bild   199.     Pontifikalstrumpf 

des  Arnold  de  la  Vie. 

Paria,  Musee  Cluny. 


Bild  200. 

Pontifikalstrumpf. 

Halberstadt,  Dom. 


1  Revue  1863,  245.     Reste  der  Caligae  finden  sich  im  Cluny-Museum  zu  Paris. 


412     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Bild  201.     Pontifikalsclmh.     Kopen 


,  ^ationalmusenm. 


Fußteil  besteht  aus  einem  ein- 
facher gemusterten  Brokat. 
Den  Einschlupf  umsäumt  eine 
dreifache  Goldkordel. 

Von  Pontifikalschuhen 
haben  sich  aus  dem  späteren 
Mittelalter  nur  wenige  Exem- 
plare erhalten. 

Zu  ihnen  gehören  die  leider 
stark  restaurierten  Pontifikalsan- 
dalen  in  der  Kathedrale  von  Comminges.  Sie  werden  dem  hl.  Bertrand  (f  1123)  zu- 
geschrieben. Form  und  Beschaffenheit  lassen  jedoch  keinen  Zweifel,  daß  diese  Zuweisung 
irrig  ist.  Die  Schuhe  stammen  aus  dem  späten  Mittelalter,  frühestens  aber  aus  dem 
Ende  des  13.  Jahrhunderts.  Als  Oberstoff  ist  eine  auf  grobem  Linnen  im  Kreuzstich  aus- 
geführte Seidenstickerei  benutzt,  welche  sich  schachbrettartig  aus  Quadraten  zusammen- 
setzt. Die  Quadrate  selbst  sind  abwechselnd  mit  einem  Löwen,  einem  Stern  oder  einem 
Kreuz  gefüllt.  An  der  Innenseite  der  Schuhe  ist  ein  langer  Schlitz  angebracht,  der 
mittels  Knopfe  geschlossen  .wurde  '. 

Ein  zweites  Beispiel  spätmittelalterlicher  Pontifikalschuhe  liefern  die  im  Maria 
Magdalena-Kolleg  aufbewahrten  Sandalen  des  Bischofs  Wilhelm  von  Wainfleet.  Der 
Oberteil  wird  durch  einen  roten  Samt  gebildet,  welcher  mit  Blumen  in  Gold  und 
Blättern  in  gelber  und  grüner  Seide  gemustert  ist.  Der  Schlitz  befindet  sich  bei  ihnen 
statt  seitlich  auf  dem  Fuße. 

Ein  weiteres  Paar  zeigt  man  zu  Strengnäs  in  Schweden  (Södermanland).  Die 
Schuhe  sollen  dem  Bischof  Konrad  Kogge  (f  1501)  zugehört  haben.  Ihr  Oberstück 
besteht  aus  gelber  Seide  und  ist  mit  einem  gabelförmigen  Besatz  ausgestattet.  Der 
Schlitz  liegt  wie  bei  den  ersterwähnten  Sandalen  an  der  Innenseite  des  Schuhes;  die 
Sohlen  sind  0,015  m  dick2. 

Ein  viertes  Paar  sahen  wir  im  Schatz  des  Domes  von  Halberstadt.  Es  ist  in 
seinem  oberen  Teil  aus  rotem  Samt  gemacht  und  ohne  alle  Verzierung.  Der  Schlitz 
ist  auch  hier  an  der  Seite  angebracht.  Die  Schuhe  mögen  aus  dem  15.  Jahrhundert 
herrühren  und  sind  0,29  m  lang,  0,15  m  hoch  3. 

Ein  fünftes  Sandalenpaar  besitzt  der  Dom  zu  Brixen.  Der  Oberstoff  ist  hier 
ein  Brokatell,  der  auf  violettem  Grund  Greife,  Blattwerk  und  die  Inschrift  grifone  auf- 
weist. Den  Schlitz  gewahrt  man  wiederum  an  der  Innenseite.  Je  fünf  Löcher,  die 
rechts  und  links  von  ihm  vorgesehen  sind,  dienten  zur  Aufnahme  einer  Schnur,  mittels 
deren  der  Schuh  festgebunden 
wurde.  Die  Länge  der  San- 
dalen beträgt  0,27  m,  die  Höhe 
ca  0,10  m. 

Auch  das  Nationalmu- 
seum zu  Kopenhagen  hat  noch 
ein  Paar  interessanter  Ponti- 
fikalsandalen ,  welche  einer 
freilich  wenig  verbürgten  Über- 
lieferung zufolge  aus  Kloster 
Sorö  (Dänemark)  stammen  sollen  und  etwa  der  Zeit  um  1500  angehören  (Bild  201). 
Ihre  Länge  beträgt  0,25  m,  ihre  Höhe  0,08  m;  sie  nähern  sich  also  schon  wieder  ein 
wenig  der  Pantoffelform.  Im  übrigen  weisen  sie  noch  den  bei  den  Pontifikalschuhen 
im   späteren  Mittelalter   herrschend   gewordenen  Typus    auf.     Der  Schlitz,    an  dessen 


Bild  202.      Pontifikalscliull.      Halberstadt,   Dom. 


1  Revue  1862,  349.     Abbildung  336. 

2  Revue    1867,    218.     De  Linas   hält    die 
Schuhe   für  Arbeiten    des    13.  Jahrhunderts, 


besser    wird    man    sie    indessen    wohl    dem 
14.  Jahrhundert  zuschreiben. 

3  Eine  Kopie  im  Kestner-Mus.  zu  Hannover. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


413 


Bild   203.      Pontifikalsandale.      Hildesheim,  St  Godehard. 


Seiten  oben  Löclilein  zum  Durch- 
ziehen eines  Eiemens  angebracht 
sind,  befindet  sich  oben  auf  dem 
Fuß  und  ist  0.09  m  lang.  Die 
Sohlen  der  Schuhe  sind  dünn  und 
weich ;  den  Oberstoff  bildet  ein 
dunkelroter  Brokat '. 

Alle  angeführten  Pontifi- 
kalschuhe  stellen  einen  förm- 
lichen Schuh  dar,  wie  wir  ihn 
im  13.  Jahrhundert  gebräuchlich  werden  sahen.  Der  Umstand,  daß  die  fünf 
Schuhe  sich  auf  Frankreich,  Deutschland,  England  und  Schweden  verteilen, 
dürfte  beweisen,  daß  diese  Sandalenform  im  14.  und  15.  Jahrhundert,  wenn 
nicht  allgemein  gebräuchlich,  so  doch  sehr  weit  verbreitet  war.  Auch  zu 
Rom  wird  sie,  soweit  die  Monumente  einen  Schluß  erlauben,  damals  in  Ge- 
brauch gewesen  sein. 

Wie  die  Pontifikalschuhe  im  16.  Jahrhundert  gemäß  römischer  Ge- 
pflogenheit beschaffen  waren,  lehrt  eine  Sandale  Pius'  V.  in  der  Kathedrale 
von  Mondovi.  Sie  ist  aus  rotem  Samt  angefertigt,  mit  dicker  Sohle  versehen 
und  auf  dem  Vorderblatt  mit  zwei  Goldbörtchen  besetzt,  von  denen  sich  eines 
von  der  Schuhspitze  bis  zum  Gelenk,  das  andere  von  der  Sohle  bis  zur  Sohle 
quer  über  die  Mitte  des  Spanns  hinzieht.  Der  Form  nach  stellt  die  Sandale 
einen  wirklichen  Schuh  dar.  Ein  Schlitz  fehlt  sowohl  an  der  Seite  wie 
oben  auf  dem  Spann,  statt  dessen  läuft  die  Kappe  in  zwei  zungenförmige 
Laschen  aus,  die  sich  vor  dem  Fuße  treffen  und  durch  eine  Schnur  zusammen- 
gebunden wurden. 

In  Deutschland  treffen  wir  im  16.  Jahrhundert  eine  ganz  eigenartige 
bischöfliche  Fußbekleidung.  Sie  ist  mehr  pantoffel-  als  schuhartig,  ohne 
Bindevorrichtung'  und  an  der  Spitze  von  außerordentlicher,  geradezu  häßlicher 
Breite.  Ein  Sandalenpaar,  das  sich  im  Schatz  des  Halberstädter  Domes  be- 
findet (Bild  202),  ist  ein  Beispiel  dieser  Art  von  Pontifikalschuhen.  Es  ist 
aus  rotem,  mit  dem  sog.  Granatapfelmuster  versehenem  Samt  angefertigt,  auf 
dem  Spann  mit  einem  Einschnitt  versehen  und  bei  einer  Kappenhöhe  von 
nur  7  cm  30  cm  lang.     Man  sollte  fast  meinen,  es  handle  sich  hier  eher  um 

einen  Überschuh,  als  einen 
eigentlichen  Schuh.  Wie  der 
schon  ziemlich  entartete  Gra- 
natapfel beweist,  stammen  die 
Sandalen  aus  der  Frühe  des 
16.  Jahrhunderts. 

Schuhe    dieser    Art    finden 
sich    im    16.    Jahrhundert    sehr 
häufig   auf   deutschen   Bischofs- 
monumenten.    So  gewahren  wir 
sie    z.  B.   bei    den    Grabstatuen 
der  Mainzer  Erzbischöfe  Albrecht 
von  Brandenburg  (f  1545),  Sebastian  von  Heusenstamm  (f  1555)  und  Wolfgang  von 
Dalberg  (f  1601).    Selbst  im  fernen  Osten  treffen  wir  sie  an,  so  auf  dem  Grabdenkmal 
des  Bischofs  Petrus  Kostka  (f  1595)  in  der  ehemaligen  Domkirche  zu  Kulmsee.    Sie 


Bild   204.      Pontifikalsohuh.      Berlin,  Kunst; 


ewerbemuseum. 


1  Auskunft  über  die  Schuhe  verdanke  ich 
der  Liebenswürdigkeit  des  Herrn  Museums- 


direktors Mollerup,  diePhotographie  derselben 
der  Güte  des  Herrn  Inspektors  Dr  Mackeprang. 


414     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


scheinen  sich  vereinzelt  bis  tief  ins  17.  Jahrhundert  in  C4ebrauch  erhalten  zu  haben, 
da  sie  uns  noch  auf  dem  Monument  des  Bischofs  Adolf  von  der  Eecke  (f  1661)  im 
Dom  zu  Paderborn  begegnen. 

Diese  Schuhform  war  dem  profanen  Leben  entnommen.  Zahlreiche  Bild- 
werke des  16.  Jahrhunderts  weisen  sie  auf.  Als  sie  hier  aus  der  Mode 
kam,  verschwand  sie  auch  wieder  aus  dem  Kultus.  Die  Sandale,  welche  dann 
an  ihre  Stelle  trat,  war  der  römischen  nachgebildet.  Beispiele  von  Pontifikal- 
schuhen  dieser  letzten  Art  sind  nicht  selten.  Ein  treffliches  Exemplar  besitzt 
z.  B.  die  St  Godehardskirche  zu  Hildesheim  (Bild  203,  S.  413).  Es  stammt 
aus  dem  17.  Jahrhundert,  vielleicht  sogar  aus  der  Frühzeit  desselben,  und 
besteht  aus  rotem  Samt.  Auf  dem  Vorderblatt  sind  die  Schuhe  nach  Weise 
der  Sandalen  Pius'  V.  mit  zwei  gelbseidenen  Besatzstreifen  in  Kreuzesform 
verziert,  dagegen  fehlt  ihnen  die  jenen  eigene  dicke  Sohle.  Sie  haben  eine 
solche  von  nur  mäßiger  Stärke,  jedoch  mit  hohem  Absatz.  Auch  ist  die 
Kappe  des  Schuhes,  im  Unterschied  von  den  Sandalen  Pius'  V.,  vom  Vorder- 
teil durch  einen  tiefen  Einschnitt  getrennt 
und  selbständig  behandelt ;  indessen  endet 
sie  auch  hier  in  zAvei  auf  dem  Spann 
zusammenstoßende  Laschen,  welche  die 
Verwandtschaft  mit  der  römischen  Schuh- 
form deutlich  erkennen  lassen. 

Ein  anderes  Paar  von  Sandalen  dieser 
Art  begegnet  uns  im  Schatz  des  Freiburger 
Münsters.  Es  ist  kostbarer  als  die  Hildes- 
heimer  Sandalen  ausgestattet,  da  bei  ihm  auf 
dem  Spann  statt  einfacher  Besätze,  wie  bei 
diesen,  schwere  Goldstickereien ,  in  deren 
Mitte  sich  ein  Kreuz  befindet,  angebracht 
sind.  Allein  es  dürfte  auch  etwas  jünger  sein 
und  wohl  erst  dem  18.  Jahrhundert  angehören. 
Das  Schuhpaar  mag  aus  Konstanz  herrühren. 
Ein  drittes  Paar  von  Pontifikalschuhen  von 
der  Form,  wie  sie  den  Sandalen  Pius'  V.  eigen 
ist,  besitzt  das  königliche  Kunstgewerbemuseum 
zu  Berlin  (Bild  204,  S.  413).  Den  Oberstoff  bildet  ein  weißer  Reps,  welcher  mit  barocken, 
in  Gold  und  Seide  ausgeführten  Ranken  und  Blumen  bestickt  ist.  Die  Schuhe  gehören 
etwa  dem  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  an.  Auch  sonst  haben  sich  noch  manche 
Pontifikalschuhe  dieser  Art  erhalten.  So  gibt  es  ihrer  im  historischen  Museum  zu 
Frankfurt  zwei  Paare,  in  der  Sammlung  des  historischen  Vereins  für  Unterfranken  zu 
Würzburg  ein  Paar,  im  Dom  daselbst  fünf  Paare,  im  Cluny-Museum  zu  Paris  sieben 
Paare  usw.  Es  sind  das  alles  Schöpfungen  des  17.,  meist  aber  des  18.  Jahrhunderts. 
Ein  in  neuerer  Zeit  unternommener  Versuch,  die  Pontifikalstrümpfe  und 
die  Pontifikalschuhe  miteinander  zu  verbinden,  hatte  als  Ergebnis  eine  Art 
von  Stiefel.  Das  bischöfliche  Museum  zu  Münster  besitzt  einige  Exemplare 
dieses  ebenso  unschönen  wie  aller  kirchlichen  Überlieferung  widerstreitenden 
Surrogates  (Bild  205). 

Ein  recht  anschauliches  Bild  von  der  Entwicklung,  welche  die  bischöf- 
lichen Sandalen  vom  12.  bis  ins  18.  Jahrhundert  hinein  genommen  haben, 
bieten  die  Beobachtungen,  welche  bei  der  Eröffnung  der  Trierer  Bischofs- 
gräber gemacht  wurden.  Leider  sind  die  Mitteilungen,  welche  v.  Wilmowsky 
über  den  Befund  der  pontifikalen  Fußbekleidung  gibt,  bei  weitem  nicht  so 
vollständig,    wie   man   wünschen   möchte;    doch   finden  sie  eine  teilweise  Er- 


Bild 205.     .Stiefelartiger  Pontifikalsclmh. 
Münster,  Bischöfl.  Museum. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


415 


gänzung  in  den  Abbildungen,    welche   derselbe  nach  den  von  ihm  gemachten 
Aufnahmen  seinen  Ausführungen  beigefügt  hat1  (Bild  206 — 208). 

v.  Wilmowsky  bespricht  die  Pontifikalschuhe  von  acht  Trierer  Erzbisehöfen. 
Die  Sandalen  Brunos  (f  1124)  bestanden  nach  seinen  Wahrnehmungen  aus  einfachem 
Leder  (Bild  206).  Der  Oberteil  war  durchbrochen.  Bezüglich  der  Mafäverhiiltnisse 
sagt  v.  Wilmowsky:  „Die  Sandale  ist  41/»  Zoll  (=  12  cm)  am  Ballen  breit,  von  der 
Fußspitze  bis  zum  Ballen  3s/i  Zoll  (=  10  cm)  lang;  der  dreieckige  Ausschnitt  ist 
l'/4  Zoll  (=  3,4  cm)  groß  und  von  der  Spitze  des  Fußes  bis  zu  seinem  Gelenke 
53/i  Zoll  (=  15  cm)  erhalten.'  Die  Beschuhung  des  Erzbischofs  Albero  (f  1152) 
war  gleichfalls  aus  Leder  gemacht,  doch  war  sie  mit  Seide  überzogen  und  auf  dem 
Spann  mit  einer  breiten,  an  den  Rändern  der  Laschen  und  der  Ausschnitte  des  Vorder- 
stückes aber  mit  einer  schmalen  Goldborte  verziert  (Bild  207).  Bei  den  Sandalen 
Hillins  (f  1169)  bestand  die  Sohle  aus  Korkholz;  das  Leder  des  Oberteils  und  der 
Kappe  war  auch  hier  mt  Seide  bekleidet.  Die  Sandalen  waren  reich  mit  Gold  bestickt 
und  mit  farbigen  Edelsteinen  geschmückt.  Der  Grund  zwischen  den  Mustern  war  mit 
den  feinen  Löchlein  belebt,  von  denen  vorher  die  Bede  war  (Bild  208).   Reicher  noch 


Bild  206 — 208.     Pontifikalselmke  aus  den  Trierer  Bischofsgräbern. 
(Nach  v.  Wilmowsky.) 


als  die  Pontifikalschuhe  Hillins  waren  diejenigen  Arnolds  I.  (t  1183),  wahre  Pracht- 
stücke ihrer  Art  (Bild  209,  S.  416).  Ihre  Sohle  war  von  dichtem,  festem  Leder;  das  obere 
Stück  wurde  durch  ein  feines,  rot  gefärbtes  Leder  gebildet,  das  mit  Seide  von  gleicher 
Farbe  bedeckt  und  mit  kunstreich  verschlungenem  romanischem  Rankenwerk  in  Gold 
bestickt  war.  Die  Stickereien  waren  im  Stepp-,  Kreuz-  und  Kettenstich  ausgeführt. 
Die  kleinen  Löchlein,  die  sich  auch  hier  über  den  Fond  ausgestreut  fanden,  waren 
mit  einem  Goldfaden  zierlich  eingefaßt.  Außerdem  waren  die  Schuhe  mit  wasser- 
hellen Bergkristallen ,  leichtgelben  Topasen ,  violetten  Amethysten  und  bläulichen 
Saphiren  besetzt.  Von  dem  oberen  Ende  der  mittleren  Lasche  lief  ein  Zierstreifen 
bis  zur  Fußspitze.  Haken,  in  welche  die  Laschen  ausliefen ,  dienten  zur  Aufnahme 
der  goldenen  Litze,  mittels  deren  der  Schuh  am  Fersengelenk  festgebunden  war. 
Die  Sandalen  Boemunds  IL  (f  1367)  hatten  die  Gestalt  eines  hoch  ansteigenden  Schuhes ; 
sie  bestanden  aus  gemustertem  Goldstoff  und  waren  oben  auf  dem  Fuße  mit  einem 
Einschnitt  versehen  (Bild  210,  S.  417).  Bei  den  Pontifikalschuhen  Ottos  von  Ziegenhain 
(t  1430)  (Bild  211,  S.  417)  diente  als  Oberstoff  ein  schachbrettartig  gemustertes  Zeug. 
Die  Vierecke  wechselten  in  Gold  und  Schwarz  und  waren  von  kleinen  weißen  und 
großen   grünen  Perlen   besetzt.     Auch   diese  Sandalen   hatten    die  Form   eines  hohen 


'  v.  Wilmowsky,  Der  Dom  zu  Trier  57  und  Tfl  8;  Die  Grabstätten  der  Erzbischöfe  im 
Dom  zu  Trier  6  9  15  und  Tfl  4  5. 


416      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Schuhes ;  sie  waren  mit  einem  goldenen  Schnällchen  geschlossen  '.  Die  Beschuhung 
der  Erzbischöfe  Jakob  von  Elz  (f  1581)  und  Johann  Philipp  von  Walderdorf  (f  1768) 
bot  wenig  Bemerkenswertes  mehr.  Sie  war  nach  v.  AYilmowsky  nicht  mehr  schuh- 
artig, also  wohl,  wie  auch  die  Abbildung  anzudeuten  scheint,  pantoffelartig  und  ent- 
behrte jeder  Verzierung  (Bild  212).  Bei  der  Beschuhung  Jakobs  von  Elz  war  das 
Oberstück  aus  Wollstoff  hergestellt,  bei  derjenigen  Philipps  von  Walderdorf  aus 
Goldtuch.  Ein  Kreuz  fand  sich  auf  keinem  der  Pontifikalschuhe  der  Trierer  Bischofsgräber. 

Die  Entdeckungen  in  den  Grabstätten  der  Erzbischöfe  von  Trier  geben  an  sich 
und  zunächst  nur  ein  Bild  der  Entwicklung,  welche  die  bischöflichen  Sandalen  in 
der  Trierer  Kirche  im  Verlaufe  unseres  Jahrtausends  genommen  haben.  Doch  dürfen 
wir  sie  nach  allem,  was  wir  sonst  von  der  Geschichte  der  Pontifikalschuhe  gehört 
haben,  im  wesentlichen  als  Spiegelbild  des  Wechsels  überhaupt  betrachten,  welcher  mit 
der  sakralen  Beschuhung  seit  dem  12.  Jahrhundert  vor  sich  ging.  Wie  sollte  es 
auch  anders  sein  können  ?  Hat  doch  auch  die  Umbildung  der  sonstigen  liturgischen 
Paramente  in  dieser  Zeit  allenthalben  im  Abendlande  in  der  Hauptsache  denselben 
Gang  eingehalten. 

Passen  wir  das  über  die  Entwicklung  des  Pontifikalschuhes  Gesagte  kurz  zu- 
sammen, so  ergibt  sich  folgendes  Bild.  Ursprünglich  als  campagus  weder  eine  eigent- 
liche Sandale  noch  ein  wirklicher  Schuh,  stellte  er  ein  Mittelding  zwischen  beiden  dar, 


Bild  209.     Pontifikalschuh  des  Erzbischofs  Arnold  I.  von  Trier. 
Trier,  Dom.     (Nach  v.  Wihuowsky.) 


bei  welchem  Ferse  und  Fußspitze  durch  eine  Kappe  bedeckt  waren,  während  er  im 
übrigen  durch  Riemen  am  Fuß  festgehalten  wurde.  Um  die  Wende  des  Jahrtausends 
wurden  die  Riemen  sowie  die  Vorderkappe  zu  langen  zungenförmigen  Laschen, 
welche  oben  durch  eine  von  der  hintern  Kappe  ausgehende  Schnur  vor  dem  Fuß- 
gelenk zusammengebunden  wurden.  Im  12.  Jahrhundert  begannen  diese  Laschen 
langsam,  aber  stetig  zu  verkümmern,  bis  sich  schliefälich  die  Sandale  im  13.  Jahr- 
hundert zum  völligen  Schuh  umgebildet  hatte.  Diese  Form  behauptete  sich  von  da 
an  im  wesentlichen  unverändert  das  ganze  späte  Mittelalter  hindurch.  In  der  Neuzeit 
fing  dann  eine  Art  von  rückläufiger  Bewegung  an,  bei  welcher  der  Pontifikalschuh  zu 
einem  Pantoffel  wurde,  der  gern,  namentlich  aber  nach  römischem  Brauch  mit  Hilfe 
von  zwei  von  der  Kappe  ausgehenden  Laschen  am  Fuß  festgehalten  wurde. 

Die  Frage,  seit  wann  ein  Kreuz  auf  dem  Vorderstück  der  Pontifikal- 
schuhe angebracht  worden  sei,  ist  sehr  verschieden  beantwortet  worden.  Hat 
man  es  doch  schon  auf  den  alten  Mosaiken  entdecken  wollen.  Die  Sucht, 
alles  in  möglichst  ferne  Zeiten  hinaufzuführen,  mag  dabei  nicht  wenig  im 
Spiel  gewesen  sein. 


1  Man  beachte,  wie  die  Schuhe  Boemunds 
und  Ottos,  was  die  Form  betrifft,  genau  dem 
Bild  entsprechen,  welches  uns  die  noch  vor- 
handenen   Pontifikalschuhe     des      14.     und 


15.  Jahrhunderts  (s.  oben  S.  412)  vermitteln. 
Bei  v.  Wilmowsky  ist  das  Grab  Ottos  von 
Ziegenhain  irrtümlich  als  das  Theodorichs 
(t  1242J  bezeichnet. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


417 


Wenn  wir  ins  Auge  fassen,  was  wir  von  den  Liturgikern  des  Mittel- 
alters von  Hraban  bis  auf  Durandus,  zumal  aber  von  Amalar  über  die  Pon- 
tifikalschuhe  hören,  und  was  die  Bildwerke  und  besser  noch  die  erhaltenen 
Sandalen  früherer  Tage  uns  erzählen,  dann  kann  es  uns  nicht  zweifelhaft 
sein ,  daß  das  Kreuz  auf  den  bischöflichen  Schuhen  erst  sehr  spät  einen 
Platz  erhielt. 

Allerdings  tritt  schon  auf  dem  leider  nicht  mehr  vorhandenen  Sandalenpaar  von 
Niederzeil  ein  gabelartiger  Besatz  auf.  Im  13.  Jahrhundert  war  ein  solcher  auf  den 
Pontifikalschuhen  sogar  recht  häufig.  Es  wäre  indessen  verkehrt,  wollte  man  annehmen, 
es  hätten  diese  als  Dreizack  aufgenähten  Börtchen  ein  Kreuz  darstellen  sollen.  Sie 
waren  nur  als  Zierbesatz  gedacht.  Immerhin  werden  sie  als  Keim  anzusehen  sein, 
aus  dem  sich  später  das  Kreuz  entwickelte ;  doch  dauerte  es  damit  noch  bis  etwa 
zum  Ende  des  14.  Jahrhunderts. 

Selbst  auf  den  Sandalen  der  Päpste  kommt  ein  Kreuz  erst  im  14.  Jahrhundert  auf  l. 
Bei  den  zehn  Sandalenpaaren  Bonifaz'  VIII. ,  die  im  Inventar  von  1295  eine  so  ein- 
gehende Beschreibung  erfahren,  ist  von  einem  solchen  noch  mit  keinem  Worte  die  Rede. 


- 


x^L  ~  .  ~ 


Bild  210 — 212.     Fontifikalschuhe  aus  den  Trierer  Bischofsgräbern. 
(Nach  v.  Wilmowsky.) 

Eines  der  frühesten  Beispiele  eines  geradbalkigen  Kreuzes  auf  Pontifikalsandalen 
findet  sich  bei  der  Grabfigur  Bonifaz'  IX.  (1389 — 1404)-.  Dabei  läuft  aber  hier,  wie  auch 
auf  den  Grabmälern  Martins  V.  (Bild  213,  S.  418),  Nikolaus'  V.,  Pauls  IL,  Sixtus'  IV., 
Alexanders  VI.,  Julius'  IL,  Pius'  V.  und  selbst  Benedikts  XIV.,  der  Querstreifen 
noch  von  der  Sohle  auf  der  einen  Seite  des  Schuhes  über  die  ganze  Breite  des  Ober- 
stoffes bis  zur  Sohle  auf  der  andern  Seite,  während  sich  gleichzeitig  der  Längsstreifen 
von  der  Fußspitze  bis  zum  oberen  Ende  des  Vorderstückes  erstreckt. 

In  Deutschland  treffen  wir  derartige  Besätze  schon  bei  den  Pontifikalschuhen 
der  Grabfigur  des  Kölner  Erzbischofs  Friedrich  von  Saarwerden  (f  1414)  im  Dom  zu 
Köln  an3.  Im  16.  Jahrhundert  begegnen  wir  ihnen  auf  der  Grabplatte  des  Bischofs 
Johannes  von  Hoya  (f  1574)  im  Dom  zu  Münster  und  ihrem  Pendant,  der  Grabplatte 
des  Bischofs  Bembert  von  Kerssenbroich  (f  1568)  im  Dom  zu  Paderborn,  ferner  bei 
mehreren  Statuen  heiliger  Bischöfe  im  Chorumgang  des  Münsterischen  Domes.  Auch  die 
Sandalen,  die  man  an  den  Füfsen  der  Leiche  des  Mainzer  Erzbischofs  Adam  von  Bicken 


1  Wegen  der  Kreuze,  welche  sich  jetzt 
auf  den  Schuhen  der  Päpste  Honorius  I.  und 
Symmachus  auf  dem  Apsismosaik  in  S.  Agnese 
fuori  le  Mura  finden,  vgl.  oben  S.  393,  Anm.  3. 

2  Abbildung  des  beim  Neubau  der  Peters- 
Br.iun,  Die  liturgische  Gewandung. 


kirche  zerstörten  Grabmals  in  Ciaconii-Oldoini 
Vitae  et  res  gestae  Pontif.  Rom.  II,  Romae 
1677,  695. 

3  Vgl.  auch  die  Sandalen  der  Grabstatue  Ru- 
perts von  der  Pfalz  (f  1480)  im  Bonner  Münster. 

27 


418      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


(f  1604)  fand,  waren  vorn  oben  mit  sich  kreuzenden  Bändern  besetzt1.    Der  Hildes- 
heimer  Sandalen  aus  St  Godehard  (Bild  203,  S.  413)  ist  schon  früher  gedacht  worden. 

Immerhin  war  ein  solches  Kreuz  keineswegs  allgemein  oder  auch  nur 
das  Gewöhnliche.  Häufig  fehlen  alle  Besätze,  in  andern  Fällen  zieht  sich 
nur  ein  Längsstreifen  vom  Rist  zur  Fußspitze  hin,  noch  in  andern  ist  der 
Schuh  über  und  über  mit  Stickereien  bedeckt.  Das  kleine  quadratische  Kreuz 
findet  sich  als  Verzierung  der  Pontifikalschuhe  auf  den  Papstdenkmälern  erst 
bei  Klemens  XIV.  (f  1774).  Es  ist  also  sehr  späten  Ursprungs.  Auf  deutschen 
Grabmonumenten  erscheint  es ,  wenngleich  ganz  vereinzelt ,  schon  außer- 
gewöhnlich früh,  so  z.  B.  bei  der  Grabfigur  Konrads  von  Hochstaden  (f  1261) 
im  Dom  zu  Köln.  Im  16.  Jahrhundert  ist  es  auf  der  Grabplatte  des  Bischofs 
Johannes  Nasus  (f  1590)  in  der  Franziskanerkirche  zu  Innsbruck  zur  Dar- 
stellung gekommen.  Doch  dürfte  es  allem  Anschein  nach  in  diesen  und  den 
ähnlichen  seltenen  Fällen  lediglich  eine  Zutat  des  Künstlers  sein,  der  die 
fraglichen  Bildwerke  schuf. 

Zu  Eom  galt  der  kreuzförmige  Besatz  der  Pontifikalschuhe  schon  im  15.  Jahr- 
hundert als  Vorrecht  des  Papstes.  Daher  verbot  Nikolaus  V.  dem  Gegenpapst  Felix  V. 
bei  dessen  Abdankung,  einen  solchen  auf  den  Sandalen  zu  tragen,  trotzdem  er  ihm 
manche  andere  Privilegien  und  die  bischöflichen  Abzeichen  beließ.   Noch  jetzt  sind  in 

Eom  nur  die  Pontifikalschuhe  des  Papstes  mit  dem 
Zeichen  der  Erlösung  geschmückt.  Es  dürfte  das 
wohl  mit  der  Sitte  des  Fufskusses  zusammenhängen, 
wenngleich  diese  schon  lang  bestand,  ehe  man  noch 
daran  dachte,  die  päpstlichen  Sandalen  mit  einem 
Kreuz  zu  zieren2. 


Bild  213. 
Pontifikalschuhe  der  Grabfigur 

Martins   V.      Eom,  Lateran. 


Seit  welcher  Zeit  Caligae  und  Sandalen 
dem  liturgischen  Farbenkanon  unter- 
liegen, ist  nicht  näher  zu  bestimmen.  Schon  im 
12.  Jahrhundert  gab  es,  wie  wir  bereits  hörten, 
neben  schwarzen  auch  farbige  Pontifikalschuhe,  im  13.  aber  treffen  wir  nicht 
selten  in  den  Inventaren  rote,  blaue,  violette  oder  grüne  Strümpfe  und  Schuhe 
an.  Noch  häufiger  werden  solche  dann  im  14.  Jahrhundert.  Indessen  folgt 
daraus  noch  nicht,  daß  auch  für  die  pontifikale  Fußbekleidung  schon  damals 
die  liturgische  Farbenregel  gegolten  habe.  In  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts bestand  der  Farbenkanon  für  sie  jedenfalls  noch  nicht,  wie  sich  zur 
Genüge  aus  des  Durandus  Äußerungen  hinsichtlich  der  Farbe  der  Sandalen  und 
Caligae  ergeben  dürfte.  Dagegen  scheint  er  um  1400  bereits  für  sie  Geltung- 
besessen  zu  haben;  denn  der  15.  Ordo  schreibt  für  Karsamstag  ausdrücklich 
weiße  Pontifikalschuhe  vor 3. 

Um  eine  Idee  zu  geben,  wie  kostbar  man  im  Mittelalter  die  Pontifikalschuhe 
auszustatten  pflegte,  lassen  wir  die  auf  sie  bezüglichen  Angaben  des  Inventars  von 
St  Paul  von  1295  folgen.  Sandalia,  heißt  es  dort,  de  indico  sameto  cum  caligis 
breudatis  cum  scalopis  (Jakobsmuscheln)  et  leonibus,  item  duo  sandalia  de  nigro 
serico,  breudata  vineis  et  lunulis  sine  scaligine  (caligis)  parvi  pretii,  item  sandalia  de 
nibeo  sameto  cum  caligis  breudatis  aquilis,  leonibus  et  rosis  et  in  summitate  vinea 
breudata,  sotulares  sunt  breudatae  ad  modum  crucis,  item  sandalia  bona  et  nova  breu- 


1  Schneider,  Fr.,  Die  Gräberfunde  im 
Ostchor  des  Domes  zu  Mainz  17.  Joh.  Schwei- 
kards  Leiche  trug  eine  Art  Stiefel  (ebd.  10). 

2  Über  den  Fußkuß ,  der  schon  in  den 
ältesten    römischen    Ordines    erwähnt    wird, 


z.  B.  ordo  1  ,  n.  11:  ordo  2 ,  n.  8 ;  ordo  3, 
n.  10  (M.  78,  942  971  979),  vgl.  „Stimmen 
aus  Maria-Laach"  XLVII  486  f  und  Kirchen- 
lex.  IV  2143. 

3  C.  83  (M.  78,  1328). 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fufäbekleidung. 


419 


data  cum  aquilis  et  griffonibus  .  .  .,  item  sandalia  Fulconis  episcopi  cum  caligis  breu- 
datis opere  pectineo,  item  sandalia  cum  caligis  de  rubeo  sameto  diasperato  (Damast), 
breudata  cum  imagimbus  regum  in  rotellis  simplicibus.  .  .  .  Item  sandalia  Henrici  de 
Wengham  episcopi  cum  flosculis  de  perlis  indici  coloris  et  leopardis  de  perlis  albis 
cum  caligis  breudatis  et  frectatis  de  armis  palatis  et  undatis ,  item  sandalia  cum 
caligis  de  rubeo  sameto  breudatis  cum  ymaginibus  regum  in  vineis  circulatis,  item 
sandalia  cum  caligis  breudatis  cum  circulis  cerici  (coloris)  purpurei,  rubei  et  albi  cum 
rosulis  et  crucibus  quae  fuerunt  Ioannis  de  Chisliulle  Episc.  Londin.  Sehr  lehrreich 
ist  auch,  was  die  Ausstattung  der  Pontifikalschuhe  anlangt,  das  Inventar  des  apo- 
stolischen Schatzes  von  1295  wegen  seiner  diesbezüglichen  eingehenden  Mitteilungen. 

X.    VERWENDUNG    DER    SAKRALEN    FUSSBEKLEIDUNG    IM    LITUR- 
GISCHEN  DIENST. 

Über  den  Umfang,  in  welchem  die  pontifikale  Fußbekleidung  beim  Gottes- 
dienst Verwendung  fand,  fehlen  genauere  Nachrichten.  Sie  war  unzweifelhaft 
von  Anfang  an  ein  Bestandteil  des  Meßornates.  In  dieser  Eigenschaft 
begegnet  sie  uns  schon  bei  Gregor  d.  Gr.  in  seinem  Brief  an  Bischof  Johannes 
von  Syrakus;  denn  das  procedere,  von  welchem  darin  die  Rede  ist,  besagt: 
zur  Meßfeier  aufziehen.  Fraglich  ist,  ob  sie  auch  bei  andern  Funktionen 
gebraucht  worden  sei  oder  ob  sie  ausschließlich  im  Dienst  des  heiligen  Opfers 
gestanden  habe.  Für  das  erste  dürfte  die  Bulle  Alexanders  III.  sprechen,  in 
welcher  Heinrich  von  Fecamp  die  Ermächtigung  erteilt  wird,  sich  wie  anderer 
Pontifikalien,  so  auch  der  Sandalen  bei  Prozessionen,  auf  Konzilien  der  rö- 
mischen Päpste  und  auf  Synoden,  denen  päpstliche  Legaten  präsidierten,  zu 
bedienen1.  Die  Gewohnheit,  am  Karfreitag  bei  den  liturgischen  Zere- 
monien die  sakrale  Fußbekleidung  nicht  zu  tragen,  muß  zu  Rom  schon  früh 
in  Kraft  gewesen  sein,  da  bereits  der  zwischen  1192  und  1198  von  dem 
Kardinal  Cencius  de  Sabellis  verfaßte  römische  Ordo  unter  der  Rubrik:  Quid 
dominus  papa  facere  debeat  feria  VI.  in  Parasceve,  unter  anderem  sagt,  es 
sollten  die  Ministri  dem  Papst  nicht  die  Sandalen,  sondern  die  Alltagsschuhe 
anziehen 2.  Daß  nach  römischem  Ritus  die  liturgische  Fußbekleidung  auch  bei 
Totenmessen  schon  im  Mittelalter  keine  Verwendung  fand,  erfahren  wir  sowohl 
aus  dem  Pontifikale  des  Durandus 3  als  aus  dem  15.  Ordo4.  Im  Ritus  der 
Bischofsweihe  kamen  die  Sandalen  und  Strümpfe  nur  in  untergeordneter 
AVeise  zur  Geltung.  Der  Electus  wurde  mit  ihnen  bald  erst  nach  dem  Graduale, 
bald  bereits  nach  dem  Examen,  bald  schon  bei  Beginn  der  Feier  ausgestattet5. 
Die  Anlegung  der  liturgischen  Fußbekleidung  vollzogen  gewöhnlich  die  zwei 
assistierenden  Bischöfe  und  der  Archidiakon  unter  Beihilfe  von  Subdiakonen 
und  Akolythen.    Dabei  beteten  die  Bischöfe  nach  dem  Ordo  vulgatus:    „All- 


1  P  f  1  u  g  k  -  H  a  r  1 1  u  n  g ,  Acta  1 ,  263 ; 
vgl.  auch  I,  336. 

-  C.  13  (M.  78,  1075)  :  vgl.  auch  ordo  10, 
u.  13;  ordo  14,  c.  93;  ordo  15.  c.  75  (ebd. 
1013  1214  1315). 

»  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  23;  I  225: 
Sandaliis  uti  non  debet,  quia  tunc  (in  missa 
pro  defunctis)  omnis  sollemnitas  cessare 
debet. 

«  C.  133  (M.  78,  1847). 

5  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  8  10  12 
14  16;  II  53  57  66  72  81  und  der  ordo  vulg. 


bei  Hitt.  109.  In  mehreren  der  angeführten 
Weiheordines  führen  die  caligae  auffallender- 
weise den  Namen  cambagi.  Vermutlich  stand 
in  dem  ursprünglichen  Text  nur  cambagi 
(=  campagi) ;  als  Glosse  scheint  dann  san- 
dalia eingeschaltet,  cambagi  aber  infolge- 
dessen nachgerade  als  ein  von  den  Sandalen 
verschiedenes  Ornatstück  und  als  Bezeichnung 
der  caligae  angesehen  worden  zu  sein ;  daher 
denn  nun  auch  wohl  zwischen  cambagi  und 
sandalia  ein  et  trat,  z.  B.  (Hitt.  a.  a.  O.): 
Quando  induitur  cambagis  et  sandaliis. 
27* 


420     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

mächtiger,  ewiger  Gott,  der  du  Anfang  und  Ende  bist,  laß  diesen  deinen 
Diener,  unsern  Bruder,  durch  deinen  Segen  mit  dieser  Fußbekleidung  zur  Ver- 
kündigung des  Friedensevangeliums  ausgerüstet  werden." 

Die  jetzige  römische  Praxis,  wonach  die  Ministri  den  Bischof  vor  dem 
Pontifikalamt  mit  den  Caligae  und  Sandalen  ausrüsten,  während  die  fünf  Vor- 
bereitungspsalmen rezitiert  werden,  reicht  wenigstens  bis  ins  12.  Jahrhundert 
hinauf.  Denn  sie  begegnet  uns  nicht  bloß  im  14.  Ordo  Mabillons  1,  sondern 
auch  schon  bei  Innozenz  III. 2  Auch  das  Pontifikale  des  Durandus  kennt  sie3. 
Die  Praxis  war  jedoch  im  Mittelalter  keineswegs  allgemein,  wie  denn  über- 
haupt in  Bezug  auf  den  Ritus  der  Vorbereitung  auf  die  Feier  des  heiligen 
Opfers  damals  eine  große  Verschiedenheit  und  eine  bunte  Mannigfaltigkeit 
herrschte. 

Die  Anlegung  der  pontifikalen  Fußbekleidung  fand  nach  mittelalterlichem 
Brauch  gerade  wie  heute  stets  vor  Annahme  der  übrigen  liturgischen  Ge- 
wänder, nicht  aber  auch  überall  vor  der  Händewaschung  statt.  Meistens 
freilich  scheint  der  Bischof  diese  erst  vorgenommen  zu  haben,  nachdem  er 
Caligae  und  Sandalen  angezogen  hatte.  So  wollte  es,  wie  aus  den  Angaben 
Innozenz'  III.  sowie  des  13. 4  und  14.  Ordo  erhellt,  namentlich  die  römische 
Praxis,  das  Pontifikale  des  Durandus  und  schon  um  das  Ende  des  ersten  Jahr- 
tausends das  Sakramentar  von  Corbie5;  ja  schon  Theodulf  von  Orleans6 
läßt  um  800  den  Diakon  zunächst  den  Bischof  mit  der  liturgischen  Fuß- 
bekleidung versehen  und  erst  dann  ihm  das  Wasser  zur  Waschung  reichen. 
Indessen  stoßen  wir  doch  auch  auf  die  entgegengesetzte  Sitte:  so  in  einem 
Pontifikale  von  Cambrai 7  aus  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts,  bei  Sicard 
von  Cremona8  und  in  einem  im  12.  Jahrhundert  geschriebenen  Salzburger 
Pontifikale 9. 

Bei  Anlegung  der  Caligae  ein  Gebet  zu  sprechen,  scheint  nur  sehr  ver- 
einzelt üblich  gewesen  zu  sein.  Es  sind  uns  nur  äußerst  wenige  Pontifikalien 
oder  Missalien  bekannt  geworden,  welche  ein  solches  enthalten.  Nach  dem 
Sakramentar  von  Corbie  soll  der  Bischof  flehen:  „Allmächtiger  Gott,  Urheber 
aller  Ziemlichkeit,  mach  des  alten  Feindes  Ränke  zu  Schanden,  indem  du  voll 
Gnaden  diese  Caligae  durch  unseres  Dienstes  Geheimnis  segnest,  auf  daß  so- 
wohl im  Wandel  des  Evangeliums  Wahrheit  hervorleuchte,  als  auch  im  Sinn 
unversehrter  Glaube  sich  betätige."  Ein  Pontifikale  der  Vaticana  heißt  ihn 
beten :  „Bekleide  mich,  Herr,  mit  den  Caligae  der  Geradheit,  auf  daß  ich  voll 
Treue  den  Weg  deiner  Gebote  wandle."  In  zwei  andern,  ebenfalls  der  vati- 
kanischen Bibliothek  angehörenden  Codices  lautet  das  Gebet:  „Beschuhe  mich, 
Herr,  mit  den  Caligae  der  Freude  und  kräftige  meine  schwachen  Kniee,  daß 
ich  ohne  zu  ermüden  auf  dem  Wege  deiner  Gebote  zu  dir  gelangen  kann."  10 
Der  Grund,  warum  bei  Anlegung  der  Pontifikalstrümpfe  nur  sehr  selten  ein 
besonderes  Gebet  üblich  war,  ist  unschwer  zu  erkennen.    Caligae  und  Sandalen 


1  C.  53  (M.  78,  1156).  6  So  auch  Vat.  Ottob.  27,  f.  8»;  547,  f.  138»; 

2  De  sacro  altaris  mysterio  1.  1,  c.  47  48  576,  f.  217''.     Vat.  lat.  4730,  f.  14»;   4743, 
(M.  217,  791  f).  f.  61';  9340,  f.  4b. 

3  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  23;  I  221.  6  Carm.  1.  5,  n.  3  (M.  105,  355). 
Cf.  Durandus,  Rationale  1.  3,  c.  8;  f.  71  :  '  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  1;  I  127. 
Celebraturi    pontifices    pedes    interea ,    dum  "  Mitralis  II,  c.  8  (M.  213,  87). 
dicuntur    quinque    Psalmi    in    praeparatione  s  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  13;  I  207. 
evangelii    pacis  ,     caligis    et    sandaliis    cal-  10  Vat.  lat.  1145,  f.  1511, ;  4730,  f.  14"  und 
ciantur.                  '  N.  6  (M.  78,  1108).  Ottob.  27,  f.  8". 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung.  421 

galten  und  gelten  als  ein  Ganzes,  daher  denn  auch  jetzt  noch  beim  Anziehen 
der  ersteren  kein  Gebet  gesprochen  wird. 

Übrigens  war  es  im  Mittelalter  nicht  einmal  allgemein  gebräuchlich, 
beim  Anschuhen  der  Sandalen  ein  Gebet  zu  verrichten.  Wo  aber  diese 
Sitte  bestand,  finden  wir  meistens  dasselbe,  welches  der  Bischof  noch  heute 
nach  der  Anweisung  des  römischen  Missale  zu  verrichten  hat 1. 

Ein  Pontifikale  der  Vaticana  läßt  den  Bischof  flehen:  „Allmächtiger, 
barmherziger  Gott,  beschuhe  meine  Neigungen  und  Wünsche,  damit  ich  nicht 
durch  den  Erdenstaub  befleckt  werde  und  würdig  sei,  im  Verein  mit  den 
Jüngern  Christi,  die  mit  Sandalen  bekleidet  waren,  zur  Verkündigung  des 
Evangeliums  vom  Frieden  auszuziehen." 

Ein  anderes  heißt  ihn  sprechen:  „Mit  den  Sandalen  deines  Schutzes  be- 
schirme, o  Herr,  meine  Füße,  damit  ich  nach  dem  Beispiel  der  Heiligen  würdig 
deine  Geheimnisse  feiere. "  2 

XL    ABLEITUNG  DER  LITURGISCHEN  FUSSBEKLEIDUNG. 

Bei  der  liturgischen  Fußbekleidung  ist  an  eine  Ableitung  von  einem 
entsprechenden  Ornatstück  des  Alten  Bundes  nicht  zu  denken,  wie  auch  schon 
Pseudo-Alkuin  bemerkt  hat 3,  weil  sie  unter  den  Sakralkleidern  der  Synagoge 
kein  Gegenstück  findet.  Dagegen  führen  mehrere  der  alten  Liturgiker  die 
bischöflichen  Sandalen  auf  die  Beschuhung  zurück ,  mit  welcher  der  Herr 
nach  Markus  die  Apostel  sich  versehen  hieß,  als  er  sie  zum  Predigen  aus- 
sandte. Bildeten  einerseits  die  Sandalen  einen  Teil  der  Ausrüstung  der  Apostel, 
als  sie  auszogen,  um  die  Botschaft  des  Heiles  zu  verkündigen,  und  gab  es 
anderseits  auch  für  den  Bischof,  dessen  heilige  Amtspflicht  es  ist,  den  Gläubigen 
das  Brot  des  Lebens  in  Gestalt  des  Wortes  Gottes  zu  brechen,  eine  besondere 
liturgische  Fußbekleidung,  so  lag  es  in  der  Tat  nahe,  diese  zu  jenen  in  Be- 
ziehung zu  setzen.  Von  einer  wirklichen  Ableitung  der  Pontifikalschuhe 
von  den  Apostelsandalen  kann  aber  keine  Rede  sein;  denn  die  Reisesandalen 
der  Apostel  waren  weder  ein  auszeichnender  Schmuck,  noch  hatten  sie  litur- 
gischen Charakter1.  Ebensowenig  können  endlich  Sandalen  und  Caligae  aus 
den  Riten  des  Ostens  herübergenommen  sein;  denn  diese  kennen  weder  jetzt 
eine  sakrale  Fußbekleidung,  noch  haben  sie  je  eine  solche  gekannt. 

Wir  werden  daher  das  Abendland  als  die  Heimat  unserer  liturgischen 
Beschuhung  zu  betrachten  haben,  und  zwar  kann  diese  angesichts  des  Um- 
standes,  daß  sie  sich  in  der  Geschichte  stets  als  spezifisch  römischer  Ornat 
gibt,  nur  in  Rom  aufgekommen  sein.  Darauf  weist  denn  auch  das  Constitutum 
Konstantins  hin,  wenn  es  den  römischen  Klerikern  das  Vorrecht  erteilt,  sich 
des  calceamentum  und  der  udones  der  Senatoren  zu  bedienen.  Welches  war 
aber  die  Beschuhung,  auf  welche  die  liturgische  Fußbekleidung  zurückgeführt 
werden  muß?    War  es  etwa  der  altrömische  Senatorenschuh? 


1  Mart.  LI,  c.  4,  art.  12,  ordo  12  13;  (De  insignibus  episcoporum  commentaria, 
I  204  207,  und  die  Messe  eines  Sakramen-  Ratisb.  1891,  2)  schreiben  kann  :  Sandaliorum 
tars  des  1 1 .  Jahrhunderts  im  Appendix  zu  itaque  origo  ab  apostolicis  temporibus  esse 
Menards  Gregor  M.  Liber  sacrament.  (M.  repetenda  scriptores  oranes  rerum  ec- 
78,  245).  Vgl.  auch  Vat.  Ottob.  547,  clesiast  i  carum  unanimiter  affirmant, 
f.  133"  und  576.  f.  217 b.  eo   quod   ipsis  Apostolis    I.  Ch.  D.  N.   prae- 

2  Vat.  lat.  4743,  f.  41';   1145,  f.  151b.  cepit,  ut   sandalia   gestarent.     Und  wo  sind 

3  De  div.  offlc.  c.  38   (M.  101,   1240).  denn  alle  Archäologen,  die  das  einhellig 

4  Es  ist  merkwürdig,  wie  Rinaldi-Bucci  sagen? 


422      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Es  ist  bekannt,  daß  in  Korn  die  patrizischen  Senatoren  von  alters  her  eine 
besondere  Schuhart  trugen.  Von  den  plebejischen  Senatoren  bedienten  sich  ihrer 
ursprünglich  nur  die  curules;  später  stand  sie  allen  ohne  Ausnahme  zu.  Inder  ersten 
Zeit  scheint  zwischen  dem  patrizischen  und  dem  plebejischen  Senatorenschuh  eine 
Verschiedenheit  in  der  Form  oder  Ausstattung  geherrscht  zu  haben ;  doch  ist  es  nicht 
hinlänglich  sicher,  worin  dieselbe  bestand.  In  der  Kaiserzeit  dürften  die  Unterschiede 
sich  aber  ausgeglichen  und  alle  Senatoren  ein  und  denselben  Schuh  getragen  haben. 
Diesen  calceus  senatorius  will  man  bei  einer  Anzahl  von  Monumenten,  und  zwar 
sowohl  bei  Togastatuen  wie  bei  Bildwerken  in  militärischer  Gewandung,  vorgefunden 
haben.  Der  Schuh  deckt  hier  den  Fuß  vollständig  und  steigt  bis  zur  Wade  hinauf. 
Von  dort,  wo  die  Zehen  beginnen,  ziehen  sich  zwei  Riemen  im  Kreuz  über  den  Fuß, 
welche  das  Fußgelenk  umschnüren  und  vorn  zusammengebunden  sind.  Etwas  höher 
hinauf  umgibt  den  oberen  Teil  des  Schuhes  ein  zweites,  gleichfalls  vorn  in  einen 
Knoten  geschlungenes  Riemenwerk  '. 

Ob  die  Annahme,  welche  in  dieser  Schuhform  den  calceus  senatorius  sieht, 
richtig  ist,  bleibe  dahingestellt.  Jedenfalls  kann  die  fragliche  Beschuhung  nicht  die 
unmittelbare  Ahnherrin  der  campagi  und  udones  gewesen  sein,  die  wir  im  6.  Jahr- 
hundert im  Gebrauche  der  Kleriker  antreffen.  Dafür  ist  die  Verschiedenheit  beider 
zu  groß.  Hier  ein  der  Sandale  nahestehender  Schuh  und  eine  innere  weiße  Umhüllung 
des  Fußes,  dort  ein  hoher,  den  Fuß  völlig  einschließender  Schuh  ohne  eine  darunter 
sichtbare  Bekleidung  des  Fußes. 

Das  Constitutum  Konstantins  muß  also  eine  andere  Beschuhung  im  Sinne 
haben.  In  der  Tat  gab  es  in  nachkonstantinischer  Zeit  eine  auszeichnende 
Fußbekleidung,  welche  mit  den  liturgischen  campagi  und  udones  unzweifelhaft 
innigst  verwandt  ist.  Wir  kennen  sie  sowohl  aus  der  Beschreibung,  die  Jo- 
hannes Lydus  im  6.  Jahrhundert  von  ihr  gibt,  als  aus  ihrer  Wiedergabe  auf 
einer  Reihe  von  Monumenten. 

Nach  Johannes  Lydus  bestand  sie  aus  zwei  Stücken,  den  TispiaxsAidsQ 
und  dem  ürrudr^ua  oder  xäpTiayog. 

Die  TTspiffzsttdsg  waren  weiß  und  bedeckten  den  Unterschenkel  samt  dem 
Fuße;  die  xäpnayot  waren  von  schwarzer  Farbe  und  unten  mit  einer  Sohle 
versehen,  aber  ohne  ein  den  Fuß  einhüllendes  Oberleder.  Ferse  und  Zehen 
umschloß  ein  kleiner  Aufsatz.  An  den  Fuß  wurde  der  Schuh  mit  Riemen 
befestigt,  die  von  Streifen  unter  dem  Fuß  ausgingen  und  sich  oben  auf  dem- 
selben trafen.  Infolge  dieser  Beschaffenheit  der  Y.ö.fj.Tio.yoi  war  von  ihnen  bloß 
ein  wenig  vorn  an  den  Zehen  und  hinten  an  der  Ferse  sichtbar,  während 
der  von  den  ■nzpioxtliotc,  umgebene  Fuß  fast  so  gut  wie  ganz  zum  Vorschein 
kam  2.  Das  Bild,  welches  Johannes  Lydus  in  dieser  Weise  von  der  Patrizier- 
beschuhung  entwirft,  entspricht,  wie  man  sieht,  in  der  Hauptsache  durchaus 
demjenigen,  welches  man  aus  den  Bildwerken  des  6.  Jahrhunderts  von  der  da- 
maligen   liturgischen   Fußbekleidung    gewinnt.      Nicht    minder    stimmt    seine 


'Pauly,  Real-Encyklopädie  III2  1342. 
Marquardt,  Römische  Altertümer  VII 
591  ff.     Wilp.,  Cap.  13. 

2  De  mag.  I  17  (Bonnae  1837,  134):  \h- 
piaxeXiSeg  Xeuxat,  SXov  tu  axiXog  truv  rotg  ~oai 
(TxzTzoüaru  xai  ünudrjpa  piXav ,  bnoadvdaXov, 
ät  riXou  ytißvöv ,  ßpayzi  ti'ji  ävavrr/ij.ari  ttjv 
xript-r/H,  i—'  u.xpou  8s  robq  daxrüXoug  tou 
—oobg  arjiT<pi'/'/'ujv,  ipAvttov  exazipeo&sv  hzi  Tobg 
d.rrTpayd.Xoug  bnb  TÖ  tpdp.o.  zob  ~o3bg  r}tsX.xo~ 
p,£vcov  i-l  tu  rrrrp'log,  d.WJuTto.'>Tuivru>v  äXXrjXocg 
xai  5iadztJ[J.0Ö¥TU)v  tov  Tzööa,  wirre   ßpayb  X.iay 


ex  ts  daxriJXuiv  ip—poai'ivj  xai  i&'mio&ev  dia- 
pacveadac  tu  u-ödrjp.a ,  üXov  <Ji  tuv  —öäa  rrj 
7!spt(TxeXi')t  dcaXdp.Ttetv.  kdp.-ayov  abrb  xa- 
Xoüat'j.  Lydus  redet  allerdings  an  dieser 
Stelle  von  der  Fußbekleidung  der  alten  Pa- 
trizier, doch  hat  er  hier,  wie  vielfach  anderswo, 
Gegenwärtiges  auf  die  Vergangenheit  über- 
tragen. Sein  Mangel  an  historischem  Sinn 
ist  bekannt.  Was  Lydus  beschreibt,  ist  die 
Standesbeschuhung  nicht  des  alten  Rom, 
sondern  seiner  eigenen  Zeit.  Für  diese  aber 
sind  seine  Angaben  zutreffend. 


Zweites  Kapitel.     Die  pontifikale  Fußbekleidung. 


423 


Beschreibung  mit  der  Schilderung  überein ,  die  zwei  Jahrhunderte  später 
Amalar  von  den  sakralen  campobi  (=  campagi,  sandalia)  und  dem  linum,  quo 
pedes  vestiuntur,  gibt. 

Abbildungen  der  fraglichen  Standesbeschuhung  begegnen  uns  beim  Gefolge 
Justinians  und  Theodoras  in  S.  Vitale  zu  Ravenna,  bei  den  Titelheiligen  auf  den  Apsis- 
mosaiken  in  S.  Cosma  e  Damiano  und  S.  Teodoro  zu  Eom ,  beim  hl.  Rufinianus 
auf  dem  Fresko  im  Cömeterium  der  Generosa ',  auf  den  Mosaiken  in  S.  Venanzo  bei 
der  lateranensischen  Taufkapelle,  auf  einem  Elfenbeindiptychon  zu  Monza2,  auf  dem 
Schild  von  Almendralejo  (Estremadura)  im  Museum  zu  Madrid3  und  einem  Privat- 
diptychon in  der  Kathedrale  zu  Novara  *,  einer  Arbeit  des  5.  bis  6.  Jahrhunderts.  Auf 
dem  Mailänder  Elfenbein  und  dem  Madrider  Schild  macht  sich  die  innere  Umhüllung 
des  Fußes  kaum  bemerklich.  Auf  dem  Diptychon  zu  Novara  ist  sie  dagegen  durch 
ihre  Faltenbildung  deutlich  zu  erkennen.  Klar  und  bestimmt  treten  beide  Bestand- 
teile der  Fußbekleidung  auf  den  angeführten  Mosaiken  und  dem  Fresko  des  Cöme- 
teriums  der  Generosa  hervor,  die  schwarzen,  noch  an  Sandalen  erinnernden  campagi, 
welche  nur  Fersen  und  Zehen  bedecken,  und  die  weißen  udones.  Es  ist  eine  Fuß- 
bekleidung wesentlich  derselben  Art,  wie  wir  sie  bei  den  hll.  Ambrosius  und  Maternus 
in  der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  zu  Mailand,  bei  Maximian  und  seinen  Ministri  in 
S.  Vitale,  bei  Papst  Pelagius  II.  in  S.  Lorenzo  fuori  le  Mura  und  einer  Reihe  ähn- 
licher Bildwerke  gewahren. 

Die  Übereinstimmung  ist  unverkennbar  und  unleugbar,  welche  zwischen  der 
Beschreibung  der  v.d\x-a-(oi  und  -spur/ceXioss  bei  Lydus  und  deren  Darstellung  auf  den 
Monumenten r'  einerseits  und  dem  Namen,  den  die  liturgische  Fußbekleidung  hatte. 
der  Schilderung,  den  die  Liturgiker  des  9.  Jahrhunderts  von  ihr  machen,  und  der 
Art  ihrer  Wiedergabe  auf  zahlreichen  Bildwerken  anderseits  herrscht.  Es  kann  darum 
nicht  zweifelhaft  sein ,  daß  die  liturgischen  campagi  und  udones  in  der  Tat  auf  den 
auszeichnenden  profanen  Standesschuh  nachkonstantinischer  Zeit  zurückzuführen  sind, 
von  dem  wir  eben  durch  Lydus  und  die  angeführten  Monumente  Kunde  haben. 

Da  campagus  und  udo  uns  schon  im  6.  Jahrhundert  zu  Rom  und  Ra- 
venna,  im  5.  bereits  zu  Mailand  auf  den  Bischofsdarstellungen  begegnen,  und 
Gregor  d.  Gr.  von  dem  campagus  als  einer  schon  seit  geraumer  Zeit  in 
Gebrauch  stehenden  klerikalen  Ehrenbeschuhung  spricht,  so  muß  die  den 
Senatoren  und  sonstigen  hochstehenden  Personen,  wie  den  Palastbeamten  u.  a., 
eigentümliche  Fußbekleidung  spätestens  im  Verlauf  des  5.  Jahrhunderts  in 
kirchliche  Dienste  übergegangen  sein.  Von  großem  Einfluß  hierauf  ist  un- 
zweifelhaft die  bedeutsame  Stellung  gewesen,  welche  der  Klerus  im  öffent- 
lichen Leben  erlangt  hatte,  seitdem  der  Kirche  durch  Konstantin  die  Freiheit 
geworden  war.  Im  übrigen  ist  über  den  Vorgang  nichts  bekannt.  Was  sich 
über  die  Veranlassung  zur  Herübernahme  des  weltlichen  Standesschuhes  und 
die  näheren  Umstände  dieses  Ereignisses  sagen  ließe,  geht  daher  über  bloße 
Möglichkeiten   nicht   heraus.    Wenn    die  Konstantinische  Schenkung   den  Ge- 


1  Siehe  oben  S.  387,  Anm.  5. 

2  Abbildung  in  Ann.  XXI  222  225. 

3  Cahier,  Curiosites  pl.  vn. 

4  Abbildung  bei  Gori,  Thesaur.  vet.  dip- 
tych.  II,  Tfi  4  und  Westwood,  A  descrip- 
tive  catalogue  of  the  fictile  ivories  in  the 
South  Kensington  Museum  Nr  74  75. 

5  Selbstverständlich  kann  es  sich  bei  der 
Übereinstimmung  zwischen  den  Angaben  des 
Lydus  und  den  Wiedergaben  der  fraglichen 
Beschuhung  auf  den  Monumenten  nur  um 
eine    solche    in    den    wesentlichen    Punkten 


handeln.  Daß  in  Nebensächlichem,  wie  Zahl 
der  Riemen,  Anordnung  derselben,  Größe 
des  die  Zehen  bedeckenden  Vorderstückes, 
kleinere  Abweichungen  sich  geltend  machen, 
ist  offenbar  von  keiner  Bedeutung.  Sie  liegen 
teilweise  daran,  daß  auch  die  Beschuhung 
selbst  nach  Zeit,  Ort  und  Mode  darin  von 
Wechsel  sich  keineswegs  frei  erhielt;  teil- 
weise aber  werden  sie  den  Künstlern  zur 
Last  fallen,  die  ja  weit  davon  entfernt  waren, 
ein  photographisch  genaues  Bild  der  Fuß- 
bekleidung geben  zu  wollen. 


424-     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

brauch  der  Senatorenschuhe  seitens  der  römischen  Kleriker  auf  Kaiser  Kon- 
stantin zurückführt,  so  heißt  das  nur,  das  Ergebnis  einer  geschichtlichen 
Entwicklung  an  eine  bestimmte  Persönlichkeit  knüpfen  1. 

Den  Ursprung  der  profanen  campagi  und  udones  können  wir  auf  sich 
beruhen  lassen,  da  es  sich  hier  ja  nicht  um  eine  Geschichte  der  profanen 
Tracht  handelt.  Es  muß  genügen,  die  Ableitung  der  liturgischen  Fußbekleidung 
von  einer  auszeichnenden  profanen  Beschuhung  nachgewiesen  zu  haben. 


DRITTES  KAPITEL. 

DIE    MITRA. 

I.    NAME  DES  ORNATSTÜCKES. 

Nach  den  Anordnungen,  welche  Moses  auf  Befehl  Gottes  bezüglich  der 
Kultkleidung  des  hebräischen  Opferdienstes  getroffen  hatte,  mußten  bei  ihren 
Amtsverrichtungen  der  Hohepriester  wie  die  Priester  in  gloriam  et  decorem 
einen  besondern  Kopfschmuck  tragen 2.  Bei  diesen  bestand  derselbe  in  der 
Migba'ah ,  bei  jenem  in  der  Miznephet  und  dem  Ziz.  Welche  Gestalt  die 
Migba'ah  und  die  Miznephet  gehabt,  ob  sie  eine  Art  Mütze  oder  Turban  ge- 
wesen und  wie  sie  sich  voneinander  unterschieden,  erhellt  aus  der  Heiligen 
Schrift  nicht.  Nach  Josephus  Flavius,  dem  Hieronymus  im  wesentlichen  bei 
seiner  Beschreibung  der  priesterlichen  Kopfbedeckung  folgt,  bestand  die 
Priestermütze  aus  einer  linnenen  Binde,  die  turbanartig  zusammengenäht  und 
von  einem  an  ihr  befestigten  feinen  Linnentuch  verhüllt  wurde.  Sie  hatte 
die  Form  eines  stumpfen  Hutes  oder,  wie  Hieronymus  sagt,  einer  Halbkugel 
und  bedeckte  nur  zwei  Drittel  des  Kopfes,  also  etwa  den  Scheitel.  Die  Kopf- 
bedeckung des  Hohenpriesters  setzte  sich  nach  Josephus  zusammen  aus  einer 
Mütze,  wie  die  Priester  sie  trugen,  einer  zweiten  Mütze  von  blauem  Zeug 
und  einem  dreireihigen  Goldreifen,  an  welchem  über  der  Stirn  der  Ziz,  die 
goldene  Platte  mit  dem  Namen  Gottes,  hinten  aber  von  Schläfe  zu  Schläfe 
nach  Art  der  Zacken  einer  Krone  kelchförmige  Blumen  angebracht  waren. 
Die  Beschreibung,  welche  uns  Josephus  Flavius  und  Hieronymus  von  der 
Migba'ah  und  Miznephet  geben,  paßt  für  die  letzte  Zeit  des  Tempeldienstes. 
Ob  und  inwieweit  sie  für  eine  frühere  Epoche  des  jüdischen  Kultus  zutrifft, 
läßt  sich  nicht  bestimmen.  Mit  den  Vorschriften ,  welche  Moses  über  die 
Herstellung  des  hohenpriesterlichen  Kopfschmuckes  erließ,  stimmen  die  An- 
gaben des  Josephus  jedenfalls  nicht  ganz  überein.  Nach  des  Moses  Anordnung 
sollte  nämlich  der  Ziz  mit  der  Inschrift  „Heilig  dem  Herrn"  versehen  und 
mit  hyazinthfarbigem  (blaupurpurnem)  Band  vorn  über  der  Miznephet  an- 
gebunden sein.  Von  einer  zweiten  blauen  Mütze  und  einem  Goldreifen,  die 
Josephus  erwähnt,  ist  bei  ihm  keine  Rede. 


1  De  Linas  glaubt  (Revue  1862,  617)  mit  aber,  wie  die  Praxis  unseres  ganzen  Jahr- 
aller Wahrscheinlichkeit  den  Ursprung  einer  tausends  beweist,  eine  besondere  Beschuhung 
ausschließlich  dem  Kultus  vorbehaltenen  Fuß-  nicht  notwendig  zur  liturgischen  Tracht, 
bekleidnng  auf  das  Dekret  Stephans  I.  zurück-  Sollte  daher  auch  das  Dekret  wirklich  von 
führen  zu  können ,  wodurch  den  Geistlichen  Papst  Stephan  stammen  ,  so  läßt  sich  doch 
der  Gebrauch  der  vestes  sacratae  außerhalb  keineswegs  aus  ihm  folgern,  daß  dieser  Papst 
der  Kirche  untersagt  wird.  Allein  es  ist  schon  eine  sakrale  Fußbekleidung  vorge- 
erstens  unsicher,  ob  die  Verordnung  wirklich  schrieben  habe. 
von   Stephan    I.   herrührt.     Zweitens    gehört  2  Ex  28,  4;  29,  9. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  325 

Auch  der  christliche  Kultus  kennt  eine  liturgische  Kopfbedeckung.  Sie 
findet  sich  nicht  nur  im  römischen,  sondern  auch  in  den  meisten  Riten  des 
Orients,  und  zwar  kommt  sie,  abgesehen  von  den  Armeniern,  bei  denen  auch 
die  Priester  sich  ihrer  bedienen,  überall  an  sich  nur  dem  Bischof  zu.  Der 
verbreitetste  Name  dieser  Kopfbedeckung  ist  Mitra,  lat.  mitra,  griech.  fiivpa, 
slav.  mitra.  Bei  den  Armeniern  heißt  sie  saghavart,  bei  den  Nestorianern 
biruna,  bei  den  schismatischen  Kopten  ballin. 

Mitra  ist  das  latinisierte  fiirpa,  welches  bei  den  griechischen  Schrift- 
stellern bald  in  der  Bedeutung  von  Leibgurt,  Brustbinde  und  überhaupt  Binde, 
bald  in  dem  besondern  Sinne  von  Kopfbinde,  Kopfschleier  und  Mütze  ge- 
braucht wird 1.  Als  Name  einer  bischöflichen  liturgischen  Kopfbedeckung 
kommt  fiizpo.  gerade  wie  das  Ornatstück  selbst  erst  in  sehr  später  Zeit  vor. 

Die  römischen  Profanschriftsteller  verstehen  unter  dem  Worte  mitra 
ebenfalls  entweder  eine  Binde  oder  gewöhnlicher  eine  orientalische,  binden-, 
schleier-  oder  haubenartige  Kopfbedeckung,  welche  bei  den  Lydern,  Phrygiern, 
Syrern,  Arabern,  Ägyptern  und  Persern  allgemein  von  Personen  beiderlei 
Geschlechts,  in  Rom  aber  fast  nur  von  Dirnen  und  Weichlingen  getragen 
wurde.     Doch  nennen  sie  auch  die  Kopfhülle  alter  Frauen  mitra 2. 

In  der  Vulgata  besagt  mitra  bald  den  priesterlichen  bzw.  hohenpriesterlichen 
Kopfschmuck,  bald  eine  Frauenkopfbedeckung 3.  Bei  Optatus  von  Mileve  be- 
deutet das  Wort  (in  Diminutivform  auch  mitella)  den  Kopfschleier  der  gott- 
geweihten Jungfrauen *.  Hieronymus  redet  von  gekräuselten  Mitren  (crispantes 
mitrae)  als  einem  Putzstück  üppiger  Frauen  5.  Isidor  von  Sevilla  6  beschreibt 
mitra  als  pileum  phrygium  caput  protegens,  quäle  est  ornamentum  devotarum ; 
sed  pileum  virorum  est,  mitra  feminarum,  also  als  eine  Hauptbedeckung 
weiblicher  Personen ,  namentlich  solcher ,  die  sich  dem  Dienste  Gottes  ge- 
widmet hatten. 

In  der  späteren  Zeit  verstand  man  unter  mitra  nur  noch  eine  mützen- 
artige Kopfbedeckung.  Bei  Honorius  7,  bei  Johannes  Beleth  8  und  Sicard 9  und 
im  Manuale  von  Roeskilde  10  bezeichnet  das  Wort  beispielsweise  das  Mützchen 
der  Täuflinge,  in  den  Statuten  des  Pariser  St  Viktorstiftes n  den  Hut  der 
Laienbrüder  bzw.  einen  Reisehut.  Eine  Schlafmütze  bedeutet  mitra  in  der 
Regel  des  Klosters  Melk  vom  Jahre  1451 12,  eine  Kopfbedeckung  der  Geist- 
lichen in  den  Statuten  der  Tournaier  Synode  des  Jahres  1366  13  und  der  Halber- 
städter vom  Jahre  1408  u,  eine  laikale  Männermütze  in  denjenigen  der  Trierer 
Synode  des  Jahres  1310  15  und  in  der  Chronik  des  Löbener  Anonymus16  und 
sonst 17.  Mitra  hieß  auch  die  der  liturgischen  Mitra  nachgebildete  Mütze, 
welche  der  Kaiser  und  die  Kaiserin  unter  der  Krone  trugen18;  vor  allem  aber 
bezeichnete  man  mit  dem  Worte  die  bischöfliche  sakrale  Kopfbedeckung. 


1  Stephani,  Thesaurus   graecae  linguae  ,0  Manuale  Curat,  sec.  usum  eccl.  Rosckild. 
V,  Paris.  1835,  1101.  (ed.  Preisen),  Paderborn  1898,  14. 

2  Forcell.  sub  mitra  II  88  89.  "  C.  20  (Mart.  III  261). 

3  Ex  89,  26  30.    Lv  8,  13.    Eccli  45,  14.  I2  D.  C.  sub  mitra  V  427. 
Jdt  10,  3.     Is  3,  19.     Bar  5,  2.  "  D.  C.  a.  a.  O. 

4  De  schisrn.  Donat.  1.  2,  c.  19:  1.  6,  c.  4  »  0.4  (Hartzh.  V  14). 
(M.  11,  973  1072).  "  C_  14  (flartzh.  IV  131). 

5  Ep.  54  ad  Furiam  n.  7  (M.  22,  553).  16  Boehmer,  Fontes  I,  Stuttgart  1843,  425. 

6  Etymol.  1.  19,  c.  31  (M.  82,  699).  "  D.  C.  a.   a.  O. 

7  Gemma  1.3,  c.  111  (M.  172,  673).  ls  Ordo  14,  c.  105  (M.  78,  1241).  D.  C. 
s  Rationale  c.  110  (M.  202,  114).  V  427  f.  Vat.  lat.  4747,  f.  60'  70v.  Näheres 
,J  Mitralis  1.  6,  c.  14  (M.  213,  335).  unten   am  Schluß  von  Nr  V  dieses  Kapitels. 


426      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Außer  dem  Namen  Mitra  trägt  der  pontifikale  Kopfschmuck  des  rö- 
mischen Ritus  auch  die  Bezeichnung  infula,  Inful.  Wir  treffen  sie  schon 
im  12.  Jahrhundert  bei  Honorius  *,  Robert  Paululus  2  und  Sicard  von  Cremona  3 
an,  doch  hat  diese  Benennung  nie  eine  allgemeine  Verbreitung  gefunden.  Die 
liturgischen  Bücher  wie  überhaupt  der  offizielle  kirchliche  Sprachgebrauch 
keimen  das  Wort  nicht,  sondern  reden  nur  von  der  Mitra. 

Weil  heute  die  bischöfliche  Mitra  auch  wohl  Inful  genannt  wird,  hat 
man  irrigerweise  bis  in  die  neueste  Zeit  hinein  vielfach  unter  dem  im  Mittel- 
alter nicht  selten  vorkommenden  Wort  infula  überall  den  pontifikalen  Kopf- 
schmuck verstanden.  Die  Folge  war,  daß  man  der  Mitra  ein  Alter  zuschrieb, 
welches  sie  keineswegs  besitzt,  indem  man  sie  zu  einer  Zeit  in  Gebrauch  zu 
finden  glaubte,  zu  der  es  in  Wirklichkeit  eine  solche  noch  nicht  gegeben  hat. 

Allerdings  ist  es  richtig,  daß  infula  bei  den  Klassikern  und  spätlateinischen 
Schriftstellern  wiederholt  eine  Kopfbinde  heidnischer  Priester  bezeichnet.  Als  solche 
erscheint  sie  z.  B.  bei  Virgil ,  wenn  der  Dichter  vom  Priester  Hämonides  singt : 
Infula  cui  sacra,  redimibat  tempora  vitta  (Aen.  X,  538),  und  es  bemerkt  zutreffend 
Servius  Honoratus  (Ende  des  4.  Jahrhunderts)  zu  dieser  Stelle:  Infula  fascia  in 
modum  diadematis,  a  qua  vittae  ab  utraque  parte  dependent,  quae  plerumque  lata 
est,  plerumque  tortilis  de  albo  et  cocco.  Eine  solche  infula  trugen  insbesondere  auch 
die  Vestalinnen  4.  Allein  es  wäre  verkehrt,  unter  infula  ausschließlich  einen  priester- 
lichen Kopfschmuck  zu  verstehen,  oder  zu  glauben,  daß  alle  Priester  die  Kopfbinde 
getragen  hätten.  Auf  der  Trajanssäule  sind  z.  B.  eine  Keihe  von  Opfern  dargestellt, 
ohne  daß  einer  der  Priester  mit  einer  solchen  ausgestattet  wäre.  Alle  tragen  viel- 
mehr Kränze  5,  und  nur  der  opfernde  Feldherr  hat  den  über  den  Rücken  sich  sonst 
hinziehenden  Teil  der  Toga  leicht  über  den  Kopf  hinaufgezogen.  Festus  aber  erklärt 
infula  ganz  allgemein  als  filamenta  lanea,  quibus  sacerdotes  et  hostiae  templaque  vela- 
bantur.  Es  wurden  also  auch  die  Bänder,  mit  denen  die  Tempel  und  Opfertiere  ge- 
schmückt wurden,  infulae  genannt.  Bezüglich  der  ersten  bestätigt  das  Lukan  2,  355: 
Infula  in  geminos  discurrit  Candida  postes,  bezüglich  der  letzten  Virgils  Georg.  III,  487 : 
Saepe  in  honore  deum  medio  stans  hostia  ad  aram ,  lanea  dum  nivea  circumdatur 
infula  vitta.  Gute  Beispiele  von  Opfertieren ,  die  mit  der  Infula  geschmückt  zum 
Opfer  geführt  werden,  bieten  die  Reliefs  der  Trajanssäule  und  die  Skulpturen  der 
Rednerbühne  auf  dem  römischen  Forum.  Als  Abzeichen  von  Bittflehenden  erscheint 
die  infula  in  Cäsars  B.  0.  2,  12:  Inermes  cum  infulis  sese  porta  foras  universi  pro- 
ripiunt,  ad  exercitum  supplices  manus  tendunt,  bei  Livius  30,  36  aber  begegnet  uns 
ein  karthagisches  Schiff  zum  Ausdruck  friedfertiger  Absichten  velata  infulis  ramisque 
oleae.  Von  duumviratus  aliorumque  honorum  infulis  spricht  ein  Dekret  Konstantins  G. 
Sie  sind  in  diesem  wohl  bildlich  von  der  Amtswürde  zu  verstehen  gerade  wie  bei  Am- 
brosius  in  der  Schrift  De  officio  ministrorum  7,  wo  der  Heilige  sagt,  man  habe  ihn  weg- 
gerissen de  tribunalibus  atque  administrationis  infulis.  Auf  keinen  Fall  können  sie 
einen  Kopfschmuck ,  den  es  bei  den  Duumvirn  nicht  gab ,  bedeuten.  In  Ciceros 
Agr.  1,  2  werden  die  Provinzen  die  Insignien  und  Infulae  des  Reiches  genannt,  sofern 
dieselben  gleichsam  die  Ehrenzeichen  des  römischen  Staates  und  der  römischen  Tapfer- 
keit waren.     Rein  metaphorisch  im  Sinne  eines  Abzeichens,    das    andere  mit  heiliger 


1  Gemma  1.  1,  c.  214  (M.  172,  609).    Vgl.  i  Ambrosius,    Ep.    18,    n.   11    (M.  16, 
auch  Rupert.  Tuit.  Vita  S.  Heriberti  c.  2,  975). 

n.  8   (A.  SS.  16.  Mart.  II  473).  5  Vgl.  auch  TertulL,  De  Corona  militis 

2  De  off.  eccl.  1.  1,  c.  55  (M.  177,  405).  (M.  2,  93),  wo  von  den  Kränzen,  mit  denen 

3  Mitralis  1.  2,  c  5    (M.  213,  78).     Auch  sich    die    Opfernden    schmückten,    weitläufig 
in  der  im  12.  Jahrhundert  entstandenen  Vita  gesprochen  wird. 

B.  Petri  Cavens.  fc.  3,  n.  25)  ist  unter  der  6  Corp.  Tur.  Civ.  1.  7,  tit.  68,  n.  1 ;  (ed.  Herr- 

inf'ula   pontificalis    die  Mitra  verstanden  (A.  mann,  Lipsiae  1844)  II  502. 

SS.  4.  Mart.,  I  332).  '  L.  1,  c.  1   (M.  16,  25). 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  427 

Scheu  erfüllt,  und  vor  dem  selbst  noch  die  mittelmäßig  Schlechten  Achtung  haben, 
nennt  Seneca  in  Ep.  14  die  Philosophie  eine  Art  von  infulae:  Hae  litterae  infülarum 
loco  sunt,  während  er  in  ähnlicher  Weise  in  der  Schrift  De  consol.  ad  Helv.  13  sagt, 
derjenige,  der  gegen  die  schlimmsten  Unglücksfälle  sich  erhebe,  und  über  die  Übel, 
von  denen  andere  bedrückt  würden,  triumphiere,  habe  das  Leiden  selbst  loco  infülarum, 

d.  h.  dessen  Leiden  flöße  Achtung  ein.  In  Ciceros  Or.  3,  21 '  scheint  infula  ein  Tuch 
oder  sonst  einen  Gegenstand  zu  bedeuten,  auf  den  man  zu  malen  pflegte. 

Unter  den  infulae  in  dem  Rundschreiben  des  Papstes  Gelasius  (492 — 496)  an 
die  Bischöfe  Lukaniens,  in  welchem  dieser  gewisse  Personen  als  clericalibus  infulis 
unwürdig  hinstellt 2,  ist  die  klerikale  Kleidung  oder  wohl  besser  die  geistliche  Würde 
zu  verstehen.  Einen  ähnlichen  Sinn  hat  die  Bemerkung  Gregors  von  Tours,  wenn 
dieser  den  Märtyrer  Eugenius  als  saeerdotalis  infulae  maximum  decus  bezeichnet 3.  Inno- 
zenz I.  redet  in  seinem  Schreiben  an  die  Bischöfe  von  Makedonien  von  den  infulae 
summi  sacerdotii:  eos,  qui  viduas  accepisse  suggeruntur,  non  solum  clericos  effectos 
cognovi,  verum  etiam  usque  ad  summi  sacerdotii  infulas  pervenisse  4.  Hier  bezeichnen 
die  infulae  die  Bischofswürde. 

Prudentius  Klemens  rühmt  in  seinem  Hymnus  auf  die  achtzehn  Märtyrer  von 
Saragossa  die  Stadt  wegen  der  domus  infulata  sacerdotum  Valeriorum  5,  wo  die  domus 
infulata  metaphorisch  besagen  will ,  daß  in  der  Familie  der  Valerier  Priester  oder 
Bischöfe  waren.  Anderswo  erscheint  bei  ihm  die  infula  als  Abzeichen  heidnischen 
Opferdienstes  6.  Im  Cathemerinon  7  heißt  es  vom  König  David :  rex  sacerdos  infulatus, 
wozu  Mönch  Iso  um  860  die  Glosse  macht:  infulatus  —  veste  sacerdotali  indutus, 
während  der  Cod.  Vat.  5821  (10.  Jahrhundert)  anmerkt:  Sacerdos  David,  qui  fuit 
sacerdos,  qui  ephod  vestitus  saltavit  coram  arca. 

Für  die  Bedeutung,  welche  man  im  8.  Jahrhundert  mit  dem  Wort  infula  verband, 
sind  bezeichnend  ein  Schreiben  Johannes'  VII.  (705 — 707)  an  den  englischen  Klerus, 
in  dem  er  die  klerikale  Kleidung,  zumal  aber  die  römische  Talartunika,  infulae  clericales 
nennt8,  und  der  Brief  des  hl.  Bonifatius  an  den  Erzbischof  Cuthbert  von  Canterbury, 
worin  das  erzbischöfliche  Pallium  infula  archiepiscopatus  heißt  'J. 

Interessante  Belegstellen  für  die  Bedeutung  von  infula  im  9.  und  den  nächst- 
folgenden Jahrhunderten  bieten :  Vita  Hadriani  II. '"  apostolicis  infulis  missas  celebrare ; 
Flodoard.  (f  966)  Hist.  eccl.  Ehem.  1.  4,  c.  48  u:  conspiciensque  videt  corpus  integrum 
sacerdotalibus  infulis  redimitum;  Vita  Ludov.  Pii12:  Ludwig  der  Fromme  ließ  dem  zu 
ihm  kommenden  Papst  Stephan  seinen  Erzkaplan  Hildebald,  die  Bischöfe  Theodulf 
von  Orleans  und  Johannes  von  Arles  aliorumque  ministrorum  ecclesiae  copiam  infulis 
indutos    sacerdotalibus    entgegengehen ;    0  d  i  1  o  n  i  s  De  translat.  S.  Sebast.  et  Gregor. 

e.  23  13:  religiosa  monachorum  concio,  ecclesiasticis  infulis  redimita  .  .  .;  Vita  S.  Fridolini 
abb.  (aus  dem  Ende  des  9.  Jahrhunderts)  1.  2,  c.  2,  n.  1014:  Sanctus  Fridolinus  .  .  . 
cum  sacerdotali  infula  venisse  visus  est;  Hist.  translat.  S.  Cuthberti  c.  1 15:  Cuthbertus 
pontificaliter  infulatus,  verglichen  mit  c.  6  1G:  Cuthbertus  episcopalibus  vestimentis  sollem- 
niter  indutus;  Vita  B.  Wolphelmi  abb.  Brunwiller.  n.  18  17:  episcopalibus  infulis  decenter 
ornatum;  Petri  Dam.  Epist.  1.  1,  n.  8  ad  Nico!  IL18:  Si  ergo  summi  illi  pontifices, 
Aaron  videlicet  et  Cyrillus,  post  amissionem  vestium  perdiderunt  etiam  consequenter 
sacerdotalium  infulas  dignitatum,  quid  mihi  parvulo  et  indigno  datur  intellegi,  nisi 
quia  dum  ornamentis  sacerdotalibus  exuor,  sacerdotali  procul  dubio  dignitate  deponor. 


1  Bezüglich  dieses  und  der  voraufgehenden  7  Cathem.  9,  5  (M.  59.  862). 
Zitate  vgl.  Force  11.  sub  Infula  I  522.  s  M.  89,  63. 

2  Ep.  14,  c.  9  (Thiel,  Epp.  B.  P,  Bruns-  9  Ep.  78  (M.  G.  Epp.  III  350). 
bergae  1868,  368).  >°  Duch.,  L.  P.  II  174. 

3  De   gloria  martyr.  c.  57    (M.  G.  SS.  M.  "  M.  135,  322.  12  M.  104,  944. 
I  527).  13  M.  132,  598. 

4  Ep.  17,  c.  1  (M.  20,  528).  »  A.  SS.  6.  Mart,  I  439. 

5  Peristeph.  h.  4,  v.  79  (M.  60,  366).  '5  Ebd.  20.  Mart.,  III  127. 

6  Contra  Symmach.  1.  2,   v.  1085   (M.  60,  1G  Ebd.  134.  17  M.  154,  419. 
269).  's  M.  144,  212. 


428     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Sehr  beachtenswert  ist  auch  das  Benediktionsgebet :  Et  qui  me  infula  pontificali  dignatus 
est  sublimare  .  .  .,  aus  der  bischöflichen  Konsekrationsmesse  eines  Salzburger  Pontifikale 
(e.  1100)  *,  weil  der  vorhergehende  Weiheordo  wohl  Sandalen,  Dalmatik,  Stab,  Ring 
und  die  sonstigen  pontifikalen  Ornatstücke,  selbst  die  Handschuhe  erwähnt,  aber  von 
einer  Mitra  oder  sonst  einem  Kopfschmuck  nicht  das  geringste  weiß.  Bezeichnend 
ist  ferner  eine  Stelle  in  der  ca  900  geschriebenen  Vita  S.  Eucharii  -,  wo  erzählt  wird, 
wie  Eucharius  und  Valerius  dem  Maternus  erschienen  sacerdotalibus  infulis  coru- 
scantes ,  Coronas  singulas  rosis  et  liliis  ac  ceteris  odoriferis  floribus  mirabili  arte 
intextas  in  capite  gestalltes,  in  der  Hand  für  Maternus  consimile  sertum. 

In  allen  diesen  Stellen,  welche  sich  leicht  um  manche  weitere  Beispiele 
vermehren  lassen 3,  bezeichnet  infula  entweder  metaphorisch  die  bischöfliche 
Würde  oder  die  liturgische  Gewandung  im  allgemeinen.  Für  den  Gebrauch 
des  Wortes  im  Sinne  eines  liturgischen  Kopfschmuckes  läßt  sich  vor  dem 
12.  Jahrhundert  kein  Beleg  beibringen. 

Einmal,  nämlich  in  einer  Urkunde  des  Erzbischofs  Willegis  von  Mainz  aus  dem 
Jahre  976,  erscheint  infula  in  der  Bedeutung  des  pileus  cantoris,  des  Hutes,  welchen  der 
Cantor  zu  tragen  pflegte  4.  Daß  hier  unter  infula  nicht  eine  Kopfbedeckung  im  Sinne 
der  pontifikalen  Mitra  verstanden  werden  kann,  ergibt  sich  aus  dem  Umstand,  daß 
selbst  die  Mainzer  Erzbischöfe  erst  1052  von  Leo  IX.  das  Eecht  erhielten,  die  Mitra 
zu  tragen. 

In  einem  Inventar  der  Kapelle  Berengars  zu  Monza  aus  dem  Beginn  des  10.  Jahr- 
hunderts bedeutet  infula,  wie  ein  Vergleich  mit  einem  kurz  nachher  entstandenen 
zweiten  Schatzverzeichnis  zeigt ,  entweder  das  Humerale  oder  die  Albe 5.  Daß  mit 
dem  Worte  seit  dem  11.  Jahrhundert  sehr  häufig  die  Kasel,  das  priesterliche  Meß- 
kleid im  besondern  Sinne,  bezeichnet  zu  werden  pflegte,  wurde  früher,  als  von  den 
Namen  des  Meßgewandes  die  Rede  war,  des  weiteren  ausgeführt  und  nachgewiesen ". 
Es  ist  interessant ,  wahrzunehmen ,  wie  ein  und  derselbe  Terminus  zu  zwei  so  ganz 
verschiedenen  Bedeutungen  kommt  wie  Mitra  und  Kasel,  ein  Beweis,  wie  wenig  man 
mit  infula  den  überlieferten  Begriff  einer  sakralen  Kopfbinde  verknüpfte.  Bei  der 
Annahme  des  Gegenteils  wäre  der  Vorgang  schwer  zu  erklären.  Bloß  weil  das  Wort 
infula  nach  dem  Sprachgebrauch  der  kirchlichen  Schriftsteller  nur  noch  entweder  die 
liturgische  Kleidung  überhaupt  oder  metaphorisch  das  geistliche  Amt ,  sei  es  die 
Bischofs-  oder  Priesterwürde,  bedeutete,  konnte  es  zur  Benennung  zweier  äußerlich 
so  ungleicher  Dinge  werden,  wie  es  die  pontifikale  Kopfbedeckung  und  der  priester- 
liche Mantel  sind,  von  denen  allerdings  die  eine  den  Bischof,  der  andere  den  Priester 
in  seiner  Würde  kennzeichnete. 

Bloß  mittelalterliche  Namen  des  pontifikalen  Kopfputzes  sind  cuphia, 
cidaris,  tiara  und  pileum  (pileus).  Cidaris  und  tiara  hieß  er  wohl  im  Hinblick 
auf  die  Kopfbedeckung  des  alttestamentlichen  Kultus,  welche  in  der  Vulgata 
nicht  nur  mit  mitra,  sondern  auch  mit  cidaris  und  tiara  bezeichnet  wird7. 
Alle  vier  Ausdrücke  waren  übrigens  wenig  gebräuchlich;  im  späten  Mittel- 
alter kommen  sie  gar  nicht  mehr  vor. 

Unter  dem  Namen  cuphia,  welcher  häufig  bei  mittelalterlichen  Schrift- 
stellern als  Benennung  einer  laikalen  Kopfbedeckung,  besonders  des  Helmes, 
gebraucht  wird8,  erscheint  die  Mitra  z.  B.  in  einer  an  Liuthbald  von  Mainz 
gerichteten  Bulle  Leos  IX.9    Die  Bezeichnungen  cidaris  und  tiara  finden  sich 


1  Mar t.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  8;  II  54.  *  Gudenus,  Cod.  diplom.  I  354.    S.  oben 

2  C.  6,  n.  23  (A.  SS.  29.  Ian.,  III  537).  S.  319. 

3  Vgl.    z.    B.  Aldhelmi   De   laud.    virg.  ä  Bullet,  mon.  1880,  314;    das  zweite  In- 
c.  26    (M.  89,    124);    Petri    Dam.  Op.  31  ventar  ebd.  465. 

contra   philarguriam    c.    6    (M.    145 ,    538) ;  e  S.  oben  S.  153.             '  Ex  28,  4  40. 

Leon is  IX   ep.   100,    n.  12    ad   Micbaelem  8  D.  C.  sub  cuphia  II  658. 

patriarch.  (M.  143,  752j.  ;'  M.  143,  695. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


429 


bei  Honorius  und  Sicard,  das  Wort  pileum  bei  Honorius,  Sicard  und  Robert 
Paululus.  Der  außerliturgische  päpstliche  Kopfschmuck,  ein  kegelartig  an- 
steigender, ursprünglich  kronenloser,  dann  mit  einer,  zuletzt  mit  drei  Kronen 
ausgestatteter  Hut,  welcher  nunmehr  den  Namen  Tiara  führt,  hieß  im  Mittel- 
alter regnum  oder  corona1,  später  triregnum. 


II.    DIE  MITRA  IN  DER  GEGENWART. 

Die  gegenwärtig  üblichen  Mitren  stellen  im  wesentlichen  eine  Art  von 
Klappmütze  dar,  deren  zwei  durch  eine  Einlage  gesteiften  Hälften  vorn  über 
der  Stirn  und  auf  dem  Hinterkopf  nach  Weise  von  Hörnern  -  -  daher  cornua 
(Hörner)  mitrae  —  ansteigen  und  oben  in  eine  Spitze  endigen.  Das  Caere- 
moniale  der  Bischöfe 2  unterscheidet  dreierlei  Mitren,  die  pretiosa,  die  auri- 
phrygiata  und  die  simplex. 

Unter  der  ersten  versteht  es  eine  Mitra,  welche  mit  Juwelen,  mit  Plätt- 
chen von  Gold  oder  mit  Silberblechen  verziert  ist.  An  der  mitra  auriphrygiata 
sollen  nach  dem  Caeremoniale  Edelsteine  und  Perlen  nicht  angebracht  werden, 
wohl  aber  darf  der  weißseidene  Grund  mit  etlichen  kleineren  Perlen  oder  mit 
einem  (durch  Weberei  oder  Stickerei  hergestellten)  Goldmuster  verziert  sein. 
Auch  kann  die  auriphrygiata  aus  ungemustertem  Gokistoff  angefertigt  werden, 
jedoch  ohne  Zierplättchen  und  Perlen.  Der  Unterschied  zwischen  der  mitra 
pretiosa  und  der  mitra  auriphrygiata  liegt  also  lediglich  in  der  größeren  bzw. 
geringeren  Kostbarkeit.  Die  mitra  simplex  soll  unter  Beiseitelassung  aller 
Goldverzierung  aus  einfachem  weißen  Seidendamast  oder  sonstiger -weißer  Seide 
oder  aus  weißem  Linnenstoff  bestehen;  die  an  ihrer  Rückseite  herabhangenden 
Streifen  müssen  an  den  Enden  mit  roten  Fransen  versehen  sein.  Bei  der 
pretiosa  werden  keine  Besatzstreifen  erwähnt;  bei  der  auriphrygiata  scheint 
der  Name  auf  solche  hinzuweisen;  doch  mag  mit  demselben  auch  nur  eine 
etwaige  Ausstattung  mittels  Stickerei  angedeutet  werden  sollen. 

Über  die  Verwendung  der  drei  Mitraarten  gibt  das  Caeremoniale  ein- 
gehende Anweisungen  3. 

Hiernach  hat  der  Bischof  an  höheren  Pesten  und  überhaupt,  so  oft  im  Offizium 
der  Hymnus  Te  Deum  und  in  der  Messe  das  Gloria  gebetet  wird,  die  „kostbare"  Mitra 
zu  tragen ;  doch  kann  er  sich  auch  an  diesen  Tagen  aus  Bequemlichkeitsrücksichten  - 
ne  scilicet  nimis  gravetur  —  bei  den  Vespern  wie  der  Messe  abwechselnd  der  pretiosa 
und  der  auriphrygiata  bedienen.  In  diesem  Falle  gebraucht  er  die  pretiosa  bei  Be- 
ginn und  am  Ende  der  Vesper  bzw.  des  Amtes,  beim  Hingang  zur  Kirche  und  bei 
der  Rückkehr  von  derselben,  bei  Annahme  und  Ablegung'  der  Paramente,  beim  Hande- 
waschen  und  bei  dem  feierlichen  Schlußsegen ;  die  auriphrygiata  dagegen  in  den  Vespern 
von  Beginn  des  ersten  Psalmes  bis  zum  Magnificat '  und  in  der  Messe  nach  Ab- 
betung  des  Kyrie  bis  zur  Opferung 5. 


1  Bruno  Sign.,  De  sacr.  eccl.  (M.  165, 
1107).  Durandus,  Rationale  1.  8,  c.  13, 
f.  76 ;  ordo  9,  n.  6  :  ordo  11,  n.  16  46 ;  ordo  12, 
n.  6  (M.  78,  1007  1032  1043  1067).  D.  C. 
sub  regnum  VII  96. 

2  L.  1,  c.  17.  3  Ebd.  n.  2  3  4. 

4  Caerem.  episc.  1.  2,  c.  1,  n.  7  12. 

5  Ebd.  1.  2,  c.  8,  n.  36  57.  „Wo  man 
keine  mitra  pretiosa  im  Sinne  des  Caere- 
moniale, d.  h.  keine  mit  Edelsteinen,  Gold 
und    Silber     bedeckte .     sondern     nur     eine 


mit  schön  gestickten  Aurifrisien  in  circulo 
und  titulo  besitzt ,  wird  füglich  diese  als 
pi'etiosa  gelten  und  bei  feierlichen  Gottes- 
diensten abwechselnd  mit  einer  minder  reich 
ausgestatteten  oder  auch  mit  der  mitra  sim- 
plex gebraucht  werden  können ;  wo  über- 
haupt nur  zweierlei  Mitren  vorhanden  sind, 
wird  man  sich  an  allen  Tagen .  für  welche 
das  Caeremoniale  die  mitra  auriphrygiata  vor- 
schreibt, der  einfachen  Mitra  zu  bedienen 
haben"    (Thalhof er   I    903).     Nach    dem 


430     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Die  auriphrygiata  hat  der  Pontifex  während  des  Advents  sowie  in  der  Zeit  von 
Septuagesima  bis  Gründonnerstag  mit  Ausnahme  des  dritten  Adventssonntags  G-audete, 
des  vierten  Fastensonntags  Laetare  und  der  einfallenden  Feste  zu  benutzen.  Außer- 
dem soll  sie  an  allen  Vigilien,  die  mit  Fasten  verbunden  sind,  an  den  Quatember-  und 
Bitttagen,  bei  den  Litaneien  und  sonstigen  Bußprozessionen,  am  Feste  der  unschuldigen 
Kinder,  wofern  es  auf  einen  Wochentag  fällt,  und  bei  nicht  feierlichen  Benediktionen 
und  Konsekrationen  zur  Verwendung  kommen.  Bei  der  Messe  und  den  Vespern  kann  der 
Bischof  an  allen  diesen  Tagen  nach  der  Regel,  welche  oben  für  die  pretiosa  angegeben 
wurde,  die  auriphrygiata  durch  die  simplex  ersetzen.  Die  mitra  simplex  trägt  der 
Pontifex  am  Karfreitag,  beim  Totenoffizium  und  bei  den  Seelenmessen.  Außerdem 
muß  sie  nach  dem  Caeremoniale  bei  der  Kerzenweihe  am  Lichtmeßtage  ',  der  feierlichen 
Übergabe  des  Palliums  -  und  der  Absolutio  am  Katafalk 3  benutzt  werden. 

Bei  den  Feierlichkeiten  der  Provinzialkonzilien  bedienen  sich  nach  dem  römi- 
schen Caeremoniale  der  Erzbischof  der  mitra  pretiosa,  die  Bischöfe  der  auriphrygiata 
und  etwa  teilnehmende  infulierte  Äbte  der  simplex 4.  Auf  einem  allgemeinen  Konzil 
haben  die  Bischöfe  eine  weiße,  linnene,  die  Kardinäle  eine  weiße,  damastseidene  Mitra. 
Dasselbe  ist  der  Fall,  wenn  Bischöfe  oder  Kardinäle  in  Pontifikalkleidung  feierlichen 
Pontifikalhandlungen  des  Papstes  beiwohnen. 

Träger  der  Mitra  sind  von  Rechts  wegen  die  Bischöfe,  die  Kardinäle 
und  vor  allem  natürlich  der  Papst.  Andere  dürfen  sich  des  Ornatstückes 
nur  kraft  eines  vom  Apostolischen  Stuhle  ihnen  besonders  erteilten  Privilegs 
bedienen.  Ein  solches  Vorrecht  besitzen  häufig  die  Äbte,  dann  die  Dignitare 
der  Domkapitel  und  vorzüglicherer  Stiftskirchen,  sowie  auch  wohl  ganze 
Kapitel;  doch  bestehen  für  solche  privilegierte  Geistliche  zum  Unterschied 
von  den  Bischöfen  bezüglich  des  Gebrauches  der  Mitra  größere  oder  geringere 
Einschränkungen,  welche  teils  die  Beschaffenheit  des  Ornatstückes,  teils  den 
Ort  und  die  Gelegenheit  seiner  Benutzung  betreffen. 

Nach  der  allgemeinen  Regel  sollen  sie  sich  keiner  mitra  pretiosa,  sondern 
nur  einer  mitra  simplex  ex  tela  alba  cum  sericis  laciniis  rubri  coloris  be- 
dienen. Als  Ort,  an  welchen  den  infulierten  Prälaten  das  Tragen  der  Mitra 
zusteht,  gilt  nur  der  Bereich  ihrer  Kirche,  als  Gelegenheiten  gelten  lediglich 
höhere  Feste5.  Im  einzelnen  Falle  kommt  es  aber  auf  den  Wortlaut  und 
die  Bestimmungen  des  jeweiligen  Privilegs  an,  durch  welches  dessen  Empfängern 
nicht  selten  weitergehende  Vollmachten  erteilt  werden,  als  die  gewöhnliche 
Norm   enthält. 

Die  Mitra  ist  ein  liturgisches  Ornatstück.  Denn  ihre  Träger  bedienen 
sich  ihrer  nicht  nur  vor  oder  nach  liturgischen  Akten,  sondern  vollziehen 
solche  auch  mit  der  Mitra  auf  dem  Haupte.  Ganz  besonders  gilt  das  vom 
Bischof,  der  sie  nicht  nur  bei  verschiedenen  Segnungen,  Salbungen  und  In- 
zensationen,  sondern  auch  bei  sakramentalen  Handlungen  trägt,  z.  B.  beim 
Taufakt,  bei  Spendung  der  Firmung  und  bei  der  Handauflegung,  durch  welche 
die  Weihe  des  Diakons,  Priesters  und  Bischofs  geschieht.  Nichtsdestoweniger 
unterscheidet  sich  die  Mitra  bezüglich  des  sakralen  Charakters  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  von  den  übrigen  Kultgewändern.  So  oft  nämlich  ihr  Träger 
in  vorzüglichem  Sinne  als  Mann  des  Gebetes  auftritt,  wie  z.  B.  bei  den  Ora- 


bischöflichen  Caeremoniale  (1.  2,  c.  8,  n.  39  3  L.  2,  c.  12,  n.  6. 

53)     darf    der    Bischof    bei    der    Messe    an  4  L.  1,  c.  31,  n.  11. 

Stelle   der   auriphrygiata   auch    die   simplex  5  Decret.  Alexandri  VII.  circa  usum  ponti- 

irn  Wechsel  mit  der  pretiosa  verwenden.  ficalium  27.  Sept.  1659  und  die  Konstitution 

1  L.  2,  c.  16,  n.  4.  Pius'  VII.  „Decet  Romanos  Pontifices"  4.  Iul. 

2  L.  1,  c.  16,  n.  1.  1823  (Decret.  auth.  1311  2624). 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  431 

tionen  der  Messe  und  des  Offiziums,  dem  Kanon  der  Messe  und  den  Orationen 
im  Ritus  der  heiligen  Weihen  und  der  andern  Sakramente,  hat  er  sich  der 
Kopfbedeckung  zu  entledigen.  Der  Grund  hierfür  liegt  wohl  in  der  Vorschrift 
des  Apostels,  es  solle  der  Mann  mit  entblößtem  Haupte  beten  1. 

Bildet  die  Mitra  ein  hervorragendes  pontifikales  Ornatstück,  so  kann  es 
nicht  wundernehmen,  daß  sie  Gegenstand  einer  besondern  Zeremonie  bei  der 
Bischofsweihe  ist 2. 

Hat  der  Konsekrator  nämlich  nach  der  Messe,  in  welcher  die  Bischofs- 
weihe vollzogen  wurde,  den  feierlichen  Schlußsegen  erteilt,  so  läßt  er  sich  die 
Mitra  des  Neugeweihten  reichen  und  segnet  sie  mit  den  Worten :  „Herr,  Gott, 
allmächtiger  Vater,  von  dessen  hell  leuchtender  Güte  und  unermeßlicher  Kraft 
alle  gute  Gabe,  alles  vollkommene  Geschenk  und  alle  schmückende  Zier 
kommt,  segne  und  heilige  gnädigst  die  Mitra,  welche  dem  Haupte  dieses 
deines  bischöflichen  Dieners  aufgesetzt  werden  soll.  Durch  Christum,  unsern 
Herrn.'1  Hierauf  besprengt  er  sie  mit  Weihwasser  und  schmückt  dann  unter 
Beihilfe  seiner  Mitkonsekratoren  mit  ihr  den  neuen  Bischof  unter  dem  Gebet : 
„Wir  setzen,  o  Herr,  auf  das  Haupt  dieses  deines  Bischofs  und  Kämpen  den 
Helm  des  Schutzes  und  des  Heiles,  auf  daß  er  den  Feinden  der  Wahrheit 
durch  des  Angesichtes  Schmuck  und  die  Rüstung  des  Hauptes,  die  Hörner 
beider  Testamente,  schrecklich  erscheine  und  unter  deinem  Gnadenbeistande 
machtvoll  gegen  sie  streite,  der  du  deines  Dieners  Moses  Angesicht  dadurch, 
daß  du  zu  ihm  geredet,  mit  Zier  übergössen  und  durch  die  licht  strahlenden 
Hörner  deiner  Klarheit  und  Wahrheit  ausgezeichnet,  sowie  auch  das  Haupt 
deines  Hohenpriesters  Aaron  mit  der  Tiara  auszustatten  geboten  hast.  Durch 
Christum,  unsern  Herrn."  Die  Worte,  mit  denen  der  Konsekrator  die  Über- 
gabe der  Mitra  begleitet,  nehmen,  wie  man  sieht,  auf  die  Gestalt  derselben, 
nämlich  die  über  Stirn  und  Hinterkopf  sich  erhebenden  Hörner3,  Bezug. 

Wie  im  Ritus  der  Bischofsweihe,  so  findet  sich  die  Zeremonie  auch  in 
dem  der  Abtsweihe ;  doch  kommt  sie  hier  natürlich  nur  dann  zur  Anwendung, 
wenn   der   zu   benedizierende  Abt   das  Vorrecht  genießt,    die  Inful  zu  tragen. 

Das  Gesagte  mag  bezüglich  der  Mitra  nach  heutigem  römischen  Brauch 
genügen.  Das  Bild  ist  zwar  nicht  völlig  erschöpfend,  doch  nach  Maßgabe  des 
Raumes  und  als  Grundlage  für  die  nachfolgende  geschichtliche  Untersuchung 
ausreichend.  Wenden  wir  uns  daher  der  Geschichte  des  bischöflichen  Kopf- 
schmuckes zu. 

Die  Frage,  welche  uns  zunächst  zu  beschäftigen  hat,  ist:  Seit  wann 
gab  es  in  der  abendländischen  Kirche  eine  Mitra,  oder,  da  es  nicht  sowohl 
auf  den  Namen  als  vielmehr  auf  die  Sache  ankommt,  seit  wann  ist  im  Abend- 
land bei  den  Bischöfen  ein  liturgischer  Kopfschmuck  in  Gebrauch? 

III.    ERSTES  AUFTRETEN   DER  PONTIFIKALEN  MITRA. 

Über  das  Alter  der  Mitra  ist  seit  dem  17.  Jahrhundert  bis  in  die  Gegen- 
wart sehr  viel  geschrieben  und  gestritten  worden.  Nach  den  einen  soll  sie 
in  die  Zeit  der  Apostel  zurückreichen,  andere  wollen,  daß  man  wenigstens 
im  8.  und  9.  Jahrhundert  einen  liturgischen  Kopfschmuck  gekannt  habe.  Eine 
dritte  Meinung  läßt  die  Mitra  erst  um  den  Beginn  des  zweiten  Jahrtausends 


1   1   Kor    11,    4.     Dazu    can.    Nullus    epi-  2  Pontif.  rom.,  De  consecrat.  electi  in  episc. 

scopus .    De    consecrat.    dist.  1 ,    n.  57     (ed.  circa  fin. 

Richter  I,  Lipsiae  1879,  1310).  3  Ebd.,  De  benedict.  abb.  circa  fin. 


432     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

in  Gebrauch  kommen,  eine  vierte  unterscheidet  zwischen  Form  und  Form. 
Ihr  zufolge  gehört  nämlich  der  pontifikale  Hauptschmuck,  wie  ihn  die 
jetzige  Mitra  darstellt,  zwar  erst  der  Wende  des  10.  Jahrhunderts  an, 
doch  soll  es  schon  vorher  eine  mehr  band-,  kränz-  oder  kronen- 
artige bischöfliche  Kopfzier  gegeben  haben.  Einen  andern  Mittelweg  schlägt 
eine  fünfte  Ansicht  ein,  indem  sie  behauptet,  es  sei  die  Mitra  erst  um  den 
Anfang  des  zweiten  Jahrtausends  zu  allgemeiner  Verwendung  gekommen, 
vordem  aber  nur  von  einzelnen  oder  doch  nur  auf  Grund  einer  besondern 
Erlaubnis  des  Papstes  getragen  worden.  Indessen  ist  die  Sache  denn  doch 
nicht  so  dunkel,  wie  es  nach  diesem  Wirrwarr  von  Ansichten  scheinen  könnte. 
Hätte  man  sich  nicht  vom  Bestreben  leiten  lassen,  der  Mitra  ein  möglichst 
hohes  Alter  zu  sichern,  und  hätte  man  die  Quellen  etwas  vorurteilsloser  durch- 
forscht, würde  man  unschwer  zur  Überzeugung  gekommen  sein,  daß  in  Rom 
erst  um  die  Mitte  des  10.  Jahrhunderts,  außerhalb  Roms  aber, 
im  übrigen  Abendland,  erst  um  1000  von  einem  pontifikalen 
Kopfschmuck   die   Rede   sein   kann. 

Keiner  der  dem  8.  und  9.  Jahrhundert  entstammenden  römischen  Ordines 
erwähnt  auch  nur  mit  einem  Wort  eine  pontifikale  Kopfbedeckung,  obwohl 
die  weitläufigen  und  bis  ins  einzelne  gehenden  Angaben  über  den  Meßritus 
dazu  mehr  als  einmal  hätten  führen  müssen,  falls  eine  solche  bereits  in  Ge- 
brauch gewesen  wäre.  Es  ist  nicht  einmal  von  ihr  die  Rede,  wo  die  Ge- 
wänder aufgezählt  werden,  mit  welchen  die  Regionarsubdiakone  den  Papst 
vor  der  Messe  zu  bekleiden  hatten 1.  Wir  hören,  wie  die  Ministri  ihm  die 
Albe,  das  Cingulum  usw.,  das  Pallium  nicht  ausgenommen,  anlegen,  betreffs 
eines  sakralen  Kopfschmuckes  herrscht  dagegen  tiefes  Schweigen.  Ebenso- 
wenig findet  sich  im  S.  G.  K.  irgend  eine  Spur  der  Mitra,  obwohl  darin  mit 
aller  Ausführlichkeit  die  festtäglichen  und  alltäglichen  Sakralkleider  des  Papstes 
nebst  den  liturgischen  Gewändern  der  Hebdomadarbischöfe,  der  Presbyter,  der 
Diakone,  Subdiakone  und  Akolythen  aufgezählt  werden. 

Es  ist  wahr,  ein  aus  dem  Schweigen  hergenommener  Beweis  ist  nur 
dann  von  Kraft  und  Wert,  wenn  er  durch  die  Umstände  einer  bestimmten 
Verneinung  gleichkommt.  Indessen  trifft  das  ohne  Zweifel  in  unserem  Falle 
zu.  Hätte  es  zur  Zeit  der  Entstehung  des  1.,  2.  und  3.  Ordo  Mabillons,  des 
von  Duchesne  herausgegebenen  Ordo  und  des  St  Gallener  Kleiderverzeichnisses 
im  römischen  Ritus  eine  liturgische  Kopfbedeckung  gegeben,  so  hätte  ein 
solch  bedeutungsvolles  Ornatstück  doch  irgendwo,  zumal  aber  im  St  Gallener 
Verzeichnis  der  zu  Rom  gebräuchlichen  Pontifikalkleider  erwähnt  werden 
müssen.  Oder  soll  man  in  allen  diesen  Fällen  seine  Nichtnennung  auf  ein 
Versehen  und  Vergessen  des  Schreibers  oder  auf  etwas  ähnliches  zurückführen? 

Einen  ferneren  Beweis  liefern  Hraban,  Theodulf  von  Orleans,  Amalar, 
Walafried  Strabo  und  Pseuclo-Alkuin.  Hraban,  welcher  die  liturgische  Kleidung 
seiner  Zeit,  d.  i.  die  römische,  unter  Vergleichung  mit  der  Kultkleidung  des 
Alten  Bundes  behandeln  will,  schweigt  vollständig  von  einer  liturgischen  Kopf- 
bedeckung, obwohl  er  die  Sandalen  und  selbst  das  erzbischöfliche  Pallium 
eingehend  behandelt.  Ebenso  fehlt  bei  Theodulf  von  Orleans 2,  der  doch  in 
seiner  „Ermahnung  an  die  Bischöfe"  eingehend  schildert,  wie  der  Diakon  den 
Pontifex  mit  seinen  bischöflichen  Gewändern  bekleidet,  jede  Erwähnung  eines 


1  Ordo  1,  n.  6  7;    ordo  3,  n.  6  7  (M.  78,  -  Carm.  1.  3,  n.  S,  Paraen.  ad  episc.  (M. 

940  978).  105,  355). 


Drittes  Kapitel.     Die  Mite 


433 


pontifikalen  Kopfschmuckes.  Wohl  ist  bei  ihm  von  einer  goldenen  lamina 
(Stirnplatte)  und  einer  mitra  die  Rede.  Allein  es  ist  auffallend,  daß  in 
denselben  nicht  bloß  ältere  Gelehrte,  wie  du  Saussay,  Mabillon,  Martene  und 
Sala  in  seinem  Kommentar  zu  Bonas  Liturgik,  sondern  selbst  solche  aus 
neuester  Zeit  einen  liturgischen  Kopfschmuck  des  Bischofs  haben  sehen  können  \ 
Ein  auch  nur  oberflächlicher  Blick  auf  die  betreffende  Stelle  der  „Paränese" 
beweist  klar,  daß  Theodulf  unter  der  lamina  und  mitra  nicht  eine  Kopfzier 
des  christlichen  Pontifex,  sondern  den  Ziz  und  die  Miznephet  des  aaronitischen 
Hohenpriesters  versteht.     Man  lese  nur2: 

Anrea  pontificis  cingebat  lamina  frontem, 
Qua  bis  binus  apex  nomen  berile  dabat. 
At  tibi  frons  mentis  cingatur  sensibus  almis 
Christum  evangelico  vox  et   ab    ore  sonet.  .  .  . 
Ulius  ergo  caput  splendescens  mitra  tegebat, 
Contegat  et  meutern  ius  pietasque  tuam. 

Wie  wenig  Theodulf  von  einer  bischöflichen  Mitra  weiß,  erhellt  klar 
aus  dem  Umstand,  daß  er  der  lamina  und  der  mitra  nicht  ein  entsprechendes 
Ornatstück  des  christlichen  Kultus  gegenüberstellt,  sondern  bemerkt,  wie  des 
alttestamentlichen  Pontifex  Haupt  jene  Schmuckstücke  geziert,  so  müsse  beim 
Bischof  erhabenes  Sinnen  des  Geistes  Stirn  umgeben  und  Recht  und  Frömmig- 
keit die  Seele  bedecken. 

Auch  Amalar  ist  eine  sakrale  Kopfbedeckung  des  Bischofs  noch  völlig 
unbekannt.  Zweimal  zählt  er  in  seinen  weitläufigen  Erörterungen  über  die 
liturgische  Gewandung  im  einzelnen  alle  Gewänder  des  Bischofs  auf.  Das  eine 
Mal  im  Kapitel  über  die  Tunika 3,  das  andere  Mal  am  Schlüsse  seiner  Aus- 
führungen über  die  liturgischen  Gewänder i.  Dort  nennt  er  uns  die  Ornat- 
stücke, welche,  wie  er  sagt,  den  Bischof  vom  Kopf  bis  zu  den  Füßen  be- 
decken, hier  will  er  noch  einmal  kurz  den  ganzen  geistlichen  Ornat  wieder- 
holen (breviter  desideramus  recapitulare  omnem  ornatum  clericorum).  Über 
eine  sakrale  Hauptbedeckung  läßt  aber  Amalar  nirgends  das  geringste  Wort 
fallen,  obschon  er  doch  an  der  letztgenannten  Stelle  zum  geistlichen  Ornat 
neben  Amikt,  Albe,  der  liturgischen  Fußbekleidung,  Tunika,  Stola,  Dalmatik, 
Sudarium  und  Pallium  sogar  die  Tonsur  rechnet.  Nicht  minder  bezeich- 
nend für  den  Stand  der  Dinge  ist,  daß  Amalar  beim  christlichen  Pontifex  als 
Ersatz  für  die  goldene  Stirnplatte  des  jüdischen  Hohenpriesters  das  Pallium5 
betrachtet. 

Walafried  Strabo  hat  ein  Bild  der  Entwicklung  der  liturgischen 
Kleidung,  soweit  es  ihm  möglich  war,  zu  zeichnen  versucht  und  stellt  nun 
die  einzelnen  Teile  der  heiligen  Gewandung  des  Alten  Bundes  denjenigen  des 
christlichen  Kultus  gegenüber:  die  jüdische  Obertunika  der  Dalmatik,  die 
linnene   Untertunika    der  Albe    usw.     Als   Gegenstück    der   lamina   führt    er 


1  So  Hefele  (Beitr.  II  2S3) ,  de  Linas 
(Revue  1861,  294),  Barraud  (Bullet, 
mon.  1866,  140),  Bock  (Gesch.  II  152) 
und  mit  einigem  Zweifel  Roh.  (VIII  115) 
Selbst  Kraus  sagt  noch  (Geschichte  der 
christl.  Kunst  II  498):  „Die  Mitra  (infula) 
ist  mit  Sicherheit  erst  im  9.  Jahrhundert 
nachzuweisen ,  wo  sie  von  Theodulf  von 
Orleans  .  .  .  genannt  wird. "  und  doch  hatte 
bereits  Marriott  (Vestiarium  christ.  191)  auf 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


den  rechten  Sinn  der  Worte  der  Paränese 
aufmerksam  gemacht  und  Krieg  in  der  von 
Kraus  herausgegebenen  Realencyklopädie 
(II  213)  schon  bemerkt:  „Selbst  Theo- 
dulf .  .  .  redet  nur  bildlich,  wenn  er  sagt, 
illius  ergo  caput  mitra  resplendens  tegebat." 

2  M.  105,  357  360. 

3  De  eccl.  offic.  1.  2,  c.  22  (ebd.  1098). 

4  Ebd.  c.  26  (ebd.  1102). 

5  Ebd.  c.  23  (ebd.  1098). 

28 


434     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

hierbei,  ähnlich  wie  der  Metzer  Diakon,  das  Pallium,  als  das  der  Tiara 
aber  sonderbarerweise  -  -  die  Kasel  an.  Ob  wohl  Walafried  je  zu  einer 
solchen  Gegenüberstellung  gekommen  wäre,  wenn  es  zu  seiner  Zeit  eine  Mitra 
oder  überhaupt  einen  pontifikalen  Kopfschmuck  gegeben  hätte?  1 

Pseudo-Alkuin  hat  den  Kopfschmuck  des  aaronitischen  Priestertums 
beschrieben  und  sowohl  ein  Bild  der  Tiara  der  jüdischen  Priester  als  der  mit 
einer  Krone  versehenen  Hauptbedeckung  des  Hohenpriesters  entworfen.  Dann 
fährt  er  fort:  „Ein  Gewandstück  dieser  Art  gibt  es  in  der  römischen 
Kirche  und  überhaupt  in  unsern  Gegenden  nicht.  Denn  es  ist  nicht 
Brauch,  daß  man  mit  einer  Kopfbedeckung  versehen  (pileati)  die  göttlichen 
Geheimnisse  feiere.  Bei  den  Griechen  soll  das  aber  geschehen  und  sollen 
dieselben  pilei  (Mützen),  d.  i.  cuphiae,  auf  dem  Kopfe  tragen,  wenn  sie  am 
Altare  stehen."  Außerdem  bemerkt  Pseudo-Alkuin,  nachdem  er  die  goldene 
Stirnplatte  des  mosaischen  Kultus  besprochen,  mit  kurzen  aber  bestimmten 
Worten:  „Auch  diese  Art  von  Ornament  nahm  die  Kirche  Christi 
nicht  herüber."  2  Der  Verfasser  der  Schrift  De  divinis  officiis  sagt  es 
somit  klar  und  ausdrücklich,  daß  zu  seiner  Zeit,  d.  i.  also  etwa  um  900, 
keinerlei  liturgische  Kopfbedeckung  in  der  römischen  Kirche  wie  überhaupt 
im  Abendlande  Verwendung  fand. 

Auch  in  den  Sakramentaren  und  Pontifikalien  des  9.  und  10.  Jahr- 
hunderts wird  einer  Mitra  und  überhaupt  einer  liturgischen  Hauptbedeckung 
nirgends  gedacht.  In  manchen  dieser  liturgischen  Bücher  kann  das  freilich 
nicht  auffallen,  da  sie  überhaupt  der  Sakralkleider  keine  Erwähnung  tun. 
Anders  verhält  es  sich  dagegen  z.  B.  mit  dem  der  zweiten  Hälfte  des  10.  Jahr- 
hunderts angehörigen  Sakramentar  von  Corbie 3,  welches  aufs  eingehendste 
beschreibt,  wie  der  Bischof  sich  auf  die  Messe  vorzubereiten  und  welche 
liturgische  Gewandstücke  er  anzuziehen  habe,  dabei  aber  von  der  Mitra  oder 
sonst  einem  pontifikalen  Kopfschmuck  völlig  schweigt.  Es  ist  das  um  so 
bemerkenswerter,  als  es  das  stets  nur  vereinzelt  gebräuchliche  Rationale  keines- 
wegs vergessen  hat  und  auch  schon  die  Pontifikalhandschuhe  kennt. 

Auch  auf  den  Monumenten  findet  sich  trotz  zahlreicher  Darstellungen 
von  Bischöfen  vor  dem  zweiten  Jahrtausend  keine  Spur  einer  pontifikalen 
Hauptbedeckung,  gleichviel  in  welcher  Weise  uns  die  Bischöfe  auf  ihnen  ent- 
gegentreten. Nirgends  eine  Mitra,  nirgends  ein  Ornatstück,  was  man  als 
sakralen  Kopfschmuck  des  christlichen  Pontifex  aufzufassen  hätte. 

Man  vergleiche  z.  B.  die  Bischofsgestalten  auf  den  römischen,  mailändischen 
und  ravennatischen  Mosaiken  und  die  Bilder  der  hll.  Cornelius,   Sixtus  II.,   Cyprianus 


1  Vgl.  auch  Walafrieds  Zeitgenossen  R  a  t- 
ramnus  (Contra  Graec.  oppos.  1.  4,  c.  5  [M. 
121 ,  323])  :  Si  radant  barbam  (sc.  Romani 
vel  Latini),  comam  tarnen  nee  nutriunt,  nee 
caput  vel  prophetantes  vel  orantes  velant.  .  .  . 

2  De  div.  offic.  c.  38  (M.  101,  1239).  Ob 
es  mit  dem ,  was  Pseudo-Alkuin  über  eine 
liturgische  Kopfbedeckung  der  griechischen 
Kirche  berichtet,  seine  Richtigkeit  hat,  ist 
in  unserer  Frage  ohne  Bedeutung.  Er  sagt 
ja  auch  nur:  „es  soll".  Jedenfalls  kannte 
der  Verfasser  der  Schrift  De  div.  offic.  den 
Gebrauch  der  römischen  Kirche  wie  des 
Abendlandes  überhaupt. 


3  Wenn  das  Sakramentar,  nachdem  es  be- 
schrieben, mit  welchen  Gewändern  und  wie 
der  Bischof  zu  bekleiden  sei,  bemerkt:  Cum 
omni  quoque  diligentia  episcopus  veneretur 
a  suis.  Eo  autem  rationabiliter  flamineato, 
accedat  ordinatim  omnis  processio ,  so  will 
das  flamineari  nach  dem  ganzen  Zusammen- 
hang und  nach  den  später  folgenden  Rubriken 
nur  sagen :  mit  den  pontifikalen  Gewändern 
bekleidet,  nicht  aber,  mit  einer  sakralen 
Kopfbedeckung  geschmückt  werden.  Ganz 
denselben  Sinn  hat  in  der  Missa  Illyrica 
(Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  4;  I  177)  die 
Notiz:  postquam  infulatus  fuerit. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


435 


und  Optatus  in  S.  Callisto ;  dann  die  Elfenbeinschnitzereien,  welche  den  Deckel  des 
Sakramentars  Drogos  von  Metz  schmücken  —  sie  stellen  die  Meßfeier  und  sonstige 
liturgische  Funktionen  dar  — ,  die  Miniaturen  desselben  Sakramentars,  die  Elfenbein- 
tafel in  der  Stadtbibliothek  zu  Prankfurt  und  das  ehemalig  Spitzersche,  jetzt  in  eng- 
lischem Besitz  befindliche  Gegenstück  der  Frankfurter  Tafel ' ;  weiterhin  die  Dar- 
stellungen auf  dem  Palliotto  (der  Hochaltarbekleidung)  in  S.  Ambrogio  zu  Mailand, 
die  Abbildung  einer  Kirchweihe  in  dem  der  Stadtbibliothek  von  Rouen  zugehörigen 
Pontifikale  von  Aletis,  die  Elfenbeinplatte  des  Museums  von  Amiens  mit  Szenen  aus 
dem  Leben  des  hl.  Remigius  2,  die  Miniaturen  des  Benediktionale  Äthelwolds  3,  sowie 
die  Darstellungen  auf  dem  im  Grabe  des  hl.  Cuthbert  gefundenen,  aus  dem  Beginn 
des  10.  Jahrhunderts  stammenden  Manipel J ;  ferner  die  mit  Bisehofsfiguren  bestickten, 
ursprünglich  von  einem  Altarbehang  stammenden  Besatzstreifen  im  Museum  zu  Ra- 
venna,  die  Miniaturen  des  Sakramentars  Warmunds  von  Ivrea 5  und  des  Göttinger 
Sakramentars  c,  beide  reich  an  liturgischen  Darstellungen,  die  Miniaturen  des  Vigilanus- 
kodex  in  der  Bibliothek  des  Escorial 7  und  zahlreiche  andere. 

Indessen  werden  ja  doch  eine  Anzahl  von  Monumenten  aus  dem  ersten  Jahr- 
tausend genannt,  auf  welchen  sich  schon  die  Mitra  oder  doch  sonst  ein  pontifikaler 
Kopfschmuck  vorfinden  soll. 

So  weist  Rohault  de  Fleury  auf  Abbildungen  von  Mitren  hin,  welche  sich 
auf  zwei  silbernen,  dem  Schatze  des  Cav.  Giancarlo  Rossi  zu  Rom  angehörenden  und 
angeblich  dem  8.  Jahrhundert  entstammenden  Buchdeckelplatten  befinden.  Dann  führt 
er  ein  Siegel  Roricos  von  Laon  aus  dem  Jahre  968  an,  auf  welchem  dieser  Bischof 
eine  Mitra  trägt.  Ebenso  glaubt  er  auf  dem  Mosaik  der  Kapelle  der  hl.  Fausta  (des 
hl.  Satyrus)  in  S.  Ambrogio  zu  Mailand,  auf  welchem  der  hl.  Viktor  im  Brustbild 
dargestellt  ist,  ein  Beispiel  für  den  sakralen  Kopfschmuck  entdeckt  zu  haben:  Saint 
Victor  est  en  costume  ecclesiastique  et  pourvu  d'un  diademe  gemme  sur  le  front.  Er 
nennt  die  Darstellung  sogar  monument  important  des  anciennes  coiffures  sacerdotales  8. 

Barraud9  beruft  sich  auf  die  Papstbilder  Chacons  und  die  Miniatur  eines 
Manuskripts  der  Bibliothek  von  Valenciennes,  den  hl.  Amandus  und  den  hl.  Vindicianus 
darstellend,  welche  er  um  des  viereckigen  Nimbus  willen,  mit  welchem  der  erste  der 
beiden  versehen  ist,   dem  7.  Jahrhundert  zuweisen  möchte. 

De  Linas  will  die  Mitra  auf  drei  englischen  Miniaturen  gefunden  haben,  von 
denen  er  zwei  dem  8.  und  die  dritte  dem  10.  Jahrhundert  zuschreibt10.  Die  erste  soll 
sich  in  dem  Manuskript  des  Britischen  Museums,  Cotton.  Claud.  B.  IV,  dem  angel- 
sächsischen Heptateuch  Älfriks,  befinden  und  einen  König  in  der  Mitte  von  Prälaten 
wiedergeben,  welche  auf  ihrem  Haupte  einen  kegelförmigen  Hut  tragen :  maintenu  par 
un  bandeau  frontal  et  recouvrant  un  voile,  qui  descend  sur  la  nuque.  Die  zweite 
soll  einer  Paraphrase  der  Genesis  des  Pseudo-Caedmon  in  der  Bodleian  Library  zu 
Oxford  (Iunius  n.  11)  angehören;  sie  stellt  eine  Kirchweihe  dar.  Der  amtierende 
Bischof  trägt  angeblich  ein  head-ünen,  eine  linnene  Kopfhülle,  auf  dem  Haupte.  In 
einer  Anzahl  von  Personen,  welche  im  Hintergrund  stehen  und  mit  einer  Spitzmütze 
versehen  sind,  möchte  de  Linas,  wie  es  scheint,  Bischöfe  vermuten,  die  nicht  un- 
mittelbar bei  der  Weihe  beteiligt  sind  und  darum  ihren  pileus  auf  dem  Kopfe  haben. 
Die  dritte  Miniatur  soll  den  hl.  Dunstan  darstellen.  Der  Kodex,  der  sie  enthält,  ein 
englisches  Pontifikale,    befindet   sich  im  Britischen  Museum,    Cotton.  Claudius  A.  III. 


1  Vgl.  oben  Bild  62-68,   S.  158   159  160 
167  168  170  171. 

2  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  dlxviii. 

3  Abbildung     bei     Gage,     Archaeologia 
XXIV,  pl.  xxxn. 

4  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  dxxxi. 

5  Carta-Cipolla-Frat  i ,  Atlante  paleo- 
grafico-artistico,  Torino  1899,  Tfl  23. 

G  Abbildungen  in  Zeitschrift  VII  (1894)  74f. 
1  Museo  Espanol  de  Antigüedades  III  51011. 


3  Roh.  VIII  114  115  et  pl.  dclih»"9 
dcliv.  Vgl.  auch  Barraud  in  Bullet,  mon. 
1866,  318.  Das  Siegel  Roricos  ist  nur  mehr 
in  einer  Abbildung  bei  Mabillon  (De  re 
diplomat.,  Paris.  1709,  451)  erhalten.  Der 
Wiedergabe  desselben  bei  Rohault  de  Fleury 
und  bei  Barraud  liegt  diejenige  bei  Mabillon 
zu  Grunde. 

9  Bullet,  mon.  121   134  313. 

10  Revue  1861,  297  453.     Bock  II  156. 

28* 


436     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Rock  glaubte  eine  bischöfliche  Krone  im  Benediktionale  Athelwolds  (f  984) 
entdeckt  zu  haben  '.  Wüscher-Becchi  endlich  beruft  sich  auf  die  bekannte  Tafel  mit 
den  Bildern  der  Apostelfürsten  in  St  Peter,  die  aus  dem  9.  Jahrhundert  stammen  und 
in  ihrem  unteren  Teil  außer  einem  Papst  mit  einem  Camelaucum  auf  dem  Haupte 
die  lall.  Cyrillus  und  Methodius  in  pontifikaler  Kleidung,  auf  dem  Kopfe  die  Mitra,  auf- 
weisen soll 2. 

Allein  die  Buchdeckelplatten  Rossis  sind  bekanntlich  berüchtigte  moderne  Fäl- 
schungen 3.  Ebenso  ist  das  Siegel  Roricos  unecht;  es  ist  eines  der  nicht  gerade  seltenen 
gefälschten  mittelalterlichen  Siegel.  Es  hat  noch  mehrere  Jahrhunderte  gedauert,  bis  eine 
Mitra,  wie  sie  der  Bischof  auf  dem  Siegel  trägt,  in  Gebrauch  kam  ',  eine  Sache,  die 
dem  Fälscher  offenbar  nicht  bekannt  war.  Was  aber  die  Kopfbedeckung  des  hl.  Viktor 
auf  dem  Mosaik  in  der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  anlangt,  so  läßt  ein  einziger  Blick 
auf  die  Abbildung  bei  Garrucci5  zur  Genüge  erkennen,  daß  die  angebliche  ancienne 
coiffure  sacerdotale  mit  einem  liturgischen  Kopfschmuck  ebensowenig  zu  tun  hat  wie 
die  Gewandung  des  heiligen  Märtyrers  Viktor  mit  einem  costume  ecclesiastique. 
Sonderbarerweise  weist  Rohault  de  Fleury  gleichzeitig  auf  das  Mosaik  von  S.  Prisco 
zu  Capua  hin  *,  wo  ähnliche  Kronen  zu  finden  seien,  obschon  er  doch  aus  ihm  erst 
recht  hätte  ersehen  müssen,  daß  seine  Auffassung  von  der  Krone  des  hl.  Viktor 
irrig  sei. 

Die  Papstbilder  in  Chacons  „Geschichte  der  Päpste"  sind  Phantasien  kühnster 
Art.  Sind  doch  selbst  Päpste  des  6.  Jahrhunderts  auf  denselben  mit  den  zugestutzten 
Kasein  der  Renaissance  bekleidet.  Es  ist  wirklich  wunderlich,  daß  man  ihnen  einen 
Beweis  entnehmen  zu  können  geglaubt  hat.  Die  Miracula  S.  Amandi  der  Bibliothek 
von  Valenciennes  gehören  frühestens  dem  letzten  Viertel  des  11.  Jahrhunderts  an  7. 
Rohault  de  Fleury  schreibt  sie,  und  zwar  wohl  mit  Recht,  sogar  dem  12.  Jahr- 
hundert zu. 

Die  beiden  angelsächsischen  Darstellungen,  welche  de  Linas  dem  8.  Jahr- 
hundert zuweist,  sind  um  ca  250  Jahre  zu  früh  datiert.  Die  zweite  derselben 
befindet  sich  obendrein  nicht  in  der  Genesis-Paraphrase  des  Pseudo-Caedmon,  sondern 
im  Pontifikale  von  Aletis  der  Stadtbibliothek  zu  Rouen,  wo  wir  sie  selbst  eingesehen 
und  kopiert  haben.  Auch  ist  es  unrichtig,  daß  der  auf  ihr  abgebildete  Bischof,  welcher 
die  Kirchweihe  vornimmt,  eine  Inful  trage ;  er  ist  vielmehr  ohne  Kopfbedeckung  oder 
sonst  irgend  einen  Kopfschmuck.  Vielleicht  hat  die  kräftig  ausgebildete  Haarkrone  des 
Bischofs  oder  eine  ungenaue  Wiedergabe  des  Originals  den  Irrtum  veranlaßt.  Die 
im  Hintergrunde  stehenden  Personen  mit  der  spitz  ansteigenden  Kopfbedeckung  sind 
Mönche  in  ihren  Kapuzen.  Auf  der  ersten  der  von  de  Linas  angezogenen  Dar- 
stellungen sehen  wir  nicht  einen  Konig  inmitten  von  Prälaten,  sondern  Pharao,  der 
eben  den  Bäcker  hat  hängen  lassen  (Gn  40,  20),  umgeben  von  seinem 
Gefolge8.  Die  Spitzmützen  der  vermeintlichen  Prälaten  kehren  auch  noch  auf 
mehreren  andern  Miniaturen  des  Kodex  wieder,  so  fol.  80  a  bei  zwei  Ägyptern,  die 
einen  Israeliten  (Ex  5,  14)  prügeln.    Die  dritte  Miniatur ,J  entstammt  nicht  dem  10., 


1  The  Churck  of  our  Fathers  II  93.  Bock 
II  154. 

2  Ursprung  der  päpstlichen  Tiara  und  der 
bischöflichen  Mitra,  in  „Rom.  Quartalschrift" 
XIII  104. 

3  Vgl.  über  den  Schatz  Grrisar  in  der 
Zeitschrift  für  kath.  Theologie ,  Innsbruck 
1895,  306  ff  und  Grisar,  Ancora  del  preteso 
Tesoro,  Roma  1896. 

*  Bischof  Walter  von  Laon  (1152—1174) 
trägt  auf  Siegel  und  Münze  noch  die  seitlich 
gehörnte  Mitra  (Abbildung  bei  Roh.  VII, 
pl.  dxci  et  VIII,   pl.  dclx). 

5  Storia  tav.  235. 

0  Ebd.  tav.  254. 


7  Vgl.  auch  M.  G.  SS.  XI  413. 

6  Richtig  sagt  West  wo  od,  Facsimiles  of 
Miniatures,  London  1868,  in  der  Note  (p.  126) 
zu  dem  sog  Pontifikale  St  Dunstans  (Claud. 
A.  3) :  In  earlier  drawings  bishops  are  re- 
presented  without  any  head-covering. 

9  Abbildung  ebd.  pl.  l.  Andere  bei  Mar- 
riott, Vestiar.  christ.  pl.  xliv  und  Goyau- 
P<5rat6,  Der  Vatikan  37,  sowie  Fäh,  Ge- 
schichte der  bildenden  Künste  Tfl  19.  Die 
Datierungen  sind  hier  teils  ungenau  teils 
geradezu  unrichtig.  Die  Miniatur  stellt  auch 
nicht  St  Dunstan,  sondern  Gregor  d.  Gr.  in 
der  beliebten  typischen  Weise  mit  der  Taube 
am  Ohr    dar.     Zur  Meinung,    das  Bild   gebe 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  437 

sondern  gemäß  der  Form  des  Palliums  und  der  Dalmatik  sowie  den  Ornamenten  der 
Umrahmung  frühestens  dem  Ende  des  11.  Jahrhunderts. 

Das  Diadem,  welches  sich  auf  einer  Miniatur  im  Benediktionale  Äthelwolds 
findet ',  hat  mit  einem  bischöflichen  Kopfschmucke  durchaus  nichts  gemein.  Auf  der- 
selben ist  St  Benedikt  abgebildet,  welcher  in  seiner  Hand  eine  Zackenkrone  und  um 
sein  Haupt  einen  goldenen  Reifen  trägt.  Der  Miniator,  ein  geistlicher  Sohn  des  Hei- 
ligen, hat  offenbar  den  großen  Ordensstifter  auszeichnen  wollen  und  ihm  darum  eine 
Krone  in  die  Hand  und  das  Diadem  um  die  Stirne  gelegt.  Daß  der  Maler  dies  Be- 
streben hatte,  erhellt  aufs  deutlichste  aus  einer  andern  Darstellung  des  Benediktionale, 
dem  chorus  confessorum ".  St  Benedikt  steht  hier  in  der  Mitte  des  Bildes  zwischen 
Gregor  d.  Gr.  und  St  Cuthbert,  angetan  mit  bischöflichen  Gewändern,  ja  selbst 
mit  dem  Pallium.  Er  hat  eine  Zackenkrone  wie  die  andern  ihn  umringenden  Be- 
kenner;  doch  ist  sie  bei  ihm  ungleich  reicher  wie  bei  Gregor  d.  Gr.,  St  Cuthbert  und 
den  übrigen.  Wie  wenig  der  eben  erwähnte  Stirnreifen  des  Patriarchen  des  abend- 
ländischen Mönchtums  als  sakraler  Kopfschmuck  aufgefaßt  werden  kann,  ergibt  sich 
klar  aus  dem  Bilde  des  heiligen  Bischofs  Swithun  und  einer  Miniatur,  welche  einen 
Bischof  (Athelwold  selbst?)  den  Segen  erteilend  darstellt3.  In  beiden  Fällen  fehlt  jede 
Axt  von  Hauptzier.  Aber  auch  die  Zackenkronen,  welche  wir  bei  Papst  Gregor, 
St  Benedikt,  St  Cuthbert  und  den  andern  Bekennern  auf  dem  Bilde  des  chorus  con- 
fessorum gewahren,  bedeuten  kein  bischöfliches  Ornatstück,  sondern  die  Himmels- 
krone. Denn  genau  derselbe  Kopfschmuck  erscheint  auch  bei  den  Jungfrauen  auf 
den  beiden  prächtigen  Darstellungen  des  chorus  virginum. 

Was  endlich  die  Tafel  in  St  Peter  anlangt,  so  ist  es  durchaus  unzutreffend, 
wenn  sie  von  Wüscher-Becchi  dem  9.  Jahrhundert  zugeschrieben  wird.  Derselbe  beruft 
sich  zwar  auf  einen  Aufsatz  L.  Jelics :  L'icone  vaticana  di  S.  Pietro  e  Paolo  4,  allein 
trotz  der  „absoluten  Sicherheit",  mit  welcher  dieser  das  Bild  nicht  bloß  ins  9.  Jahr- 
hundert versetzt,  sondern  sogar  für  eine  Arbeit  der  hll.  Cyrillus  und  Methodius  selbst 
ausgibt,  kann  es  frühestens  erst  um  den  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  entstanden  sein. 
Die  Form  des  Palliums,  welches  der  Papst  trägt,  stellt  das  außer  Zweifel.  Sie  ist 
nicht  die  des  9.  Jahrhunderts,  sondern  die,  welche  erst  gegen  das  12.  auf  den  Monu- 
menten auftritt.  Obendrein  ist  es  keineswegs  so  sicher,  daß  die  beiden  als  Cyrillus 
und  Methodius  gedeuteten  Personen  wirklich  Bischöfe  und  nicht  vielmehr  fürstliche 
Persönlichkeiten  darstellen.  Denn  der  griechische  Ritus  kannte  selbst  noch  um  den 
Ausgang  des  Mittelalters  keine  liturgische  Kopfbedeckung. 

Wir  wiederholen,  man  wird  auf  den  Bildwerken,  die  dem  ersten  Jahr- 
tausend entstammen,  vergebens  nach  einer  Mitra  oder  überhaupt  einem  litur- 
gischen pontifikalen  Kopfschmuck  fahnden. 

Man  hat  dieses  vollständige  Fehlen  auf  den  Monumenten  des  ersten  Jahr- 
tausends mit  der  Annahme  begründen  wollen,  es  sei  damals  bei  den  Künstlern 
nicht  Sitte  gewesen,  die  Bischöfe  mit  ihrer  sakralen  Kopfzier  darzustellen. 
Allein  eine  solche  Erklärung  kann  keineswegs  befriedigen.  Sie  ist  mehr 
eine  bloße  Umschreibung,  als  eine  wirkliche  Erklärung  des  so  eigentümlichen 
Tatbestandes.  Ebenso  wie  nach  1000  wurden  doch  die  Bischöfe  auch  schon 
vor  1000  regelmäßig  in  ihren  liturgischen  Gewändern  dargestellt.  Warum  also 
nicht  auch  in  dem  liturgischen  Kopfschmuck,  worin  dieser  immer  bestanden 
haben  mag,  wenn  es  einen  solchen  damals  bereits  gegeben  haben  sollte?  Muß 
man  nicht  erwarten,  daß  die  Künstler  ein  so  bedeutungsvolles  Ornatstück, 
wie   es   die   pontifikale  Kopfbedeckung   ist,   irgendwo  einmal   zur  Darstellung 


St  Dunstan   wieder,    scheint   die    ersichtlich  2  Ebd.  pl.  in. 

von    späterer    Hand    herrührende   Aufschrift  3  Ebd.  pl.   xxix  xxxn.     Auf  pl.  xxiv  hat 

Dunstani  Arcliiepiscopi  Veranlassung  gegeben  auch    Christus    einen    Stirnreifen ,    wie    ihn 

zu  haben.  St  Benedikt  (pl.  xxx)  trägt. 

1  Archaeologia  XXIV  (1832),  pl.  xxx.  *  Rom.  Quartalschrift  VI  83  ff. 


438     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

gebracht  hätten,  wenn  es  tatsächlich  schon  im  Gebrauch  war?  Es  ist  sicher 
nicht  ohne  Grund,  daß  die  Mitra  um  die  Zeit,  da  die  ersten  schrift- 
lichen Nachrichten  über  sie  auftauchen,  auch  auf  den  Bildwerken 
aufzutreten  beginnt,  und  daß  sie,  als  sie  in  den  schriftlichen  Quellen  als 
allgemein  eingebürgert  erscheint,  uns  regelmäßig  auch  auf  den  Kunst- 
denkmälern begegnet.  Wenn  vor  1000  nirgends,  und  zwar  auch  nicht 
bei  Darstellung  kirchlicher  Funktionen,  eine  sakrale  Hauptbedeckung  bei  den 
Bischöfen  zur  Abbildung  kommt,  dann  darf  das  unbedingt  als  Beweis  gelten, 
daß  damals  eine  solche  in  der  Westkirche  noch  nicht  gebräuchlich  war,  zumal 
die  schriftlichen  Denkmale  gleichfalls  schweigen. 

Allein  gibt  es  nicht  verschiedene  Mitren,  die  noch  dem  ersten  Jahrtausend  an- 
gehören sollen  ?  Zeigt  man  nicht  zu  Eom  in  S.  Martino  ai  Monti  eine  Mitra  Silvesters  I. 
(genauer  die  vordere  Hälfte  einer  solchen),  zu  Capua  die  Mitra  des  hl.  Paulinus 
(f  843),  zu  Cividale  diejenige  des  hl.  Paulinus  von  Aquileja  (f  802),  eine  Mitra  des 
hl.  Exsuperius  (f  ca  414)  in  St-Sernin  zu  Toulouse,  die  pontifikale  Kopfbedeckung  des 
hl.  Zeno  (t  380)  in  St  Zeno  zu  Verona,  zu  Prag  die  Mitra  des  hl.  Eligius  (t  659), 
zu  Eegensburg  die  des  hl.  Wolfgang  (f  994)  und  zu  St-Gildas-de-Euis  die  des  hl.  Gildas? 
Und  befand  sich  nicht  zu  Valencia  zur  Ze}t  Salas,  des  Kommentators  von  Bonas 
Liturgik,  eine  Mitra  des  hl.  Augustinus,  und  zu  Bologna  die  des  hl.  Isidor,  eines 
sizilianischen  Bischofs  aus  den  Tagen  Gregors  d.  Gr.?  1  Und  hören  wir  nicht  von 
Johannes  Longus  von  Ypem  (t  1383),  daß  man  damals  im  Kloster  Sithiu  bei  St-Omer 
eine  Mitra  des  hl.  Folcuin  von  Terouanne  (t  855)  besaß?  ■  Birgt  endlich  nicht  noch 
jetzt,  wie  Bock  angibt 3,  das  Grab  des  hl.  Augustinus  zu  Pavia  unter  andern  Reliquien 
auch  eine  Mitra  des  Heiligen?  Allerdings,  schade  nur,  daß  keine  dieser  Mitren 
authentisch  ist. 

Die  Mitra  Silvesters  entstammt  ihrer  Beschaffenheit  nach  dem  14.  Jahrhundert. 
Obendrein  geht  aus  ihren  Maßen  —  sie  würde  vollständig  erhalten  nur  eine  Weite 
von  40  —  42  cm  haben  —  hervor,  daß  sie  überhaupt  niemals  von  einem  erwachsenen 
Manne  hat  getragen  werden  können  4.  Die  Mitren  zu  Capua,  Verona,  Toulouse  und 
Regensburg  datieren  aus  dem  13.,  die  Infuln  von  Cividale  und  St-Gildas-de-Ruis  aus 
dem  14.  bzw.  15.  Jahrhundert.  Der  pontifikalen  Kopfbedeckung  des  hl.  Isidor  haben 
wir  in  Bologna  vergeblich  nachgeforscht.  Nach  der  Schilderung  Salas  zu  urteilen, 
dürfte  sie  eine  der  zwei  in  der  Kathedrale  aufbewahrten  Mitren  des  15.  Jahrhunderts 
sein,  die  jetzt  beide  dem  seligen  Nikolaus  Albergati  (f  1443)  zugeschrieben  werden. 
Die  Mitra  des  hl.  Augustinus  zu  Valencia  kann  nach  der  Beschreibung,  welche  der 
Kommentator  Bonas  von  ihr  gibt,  wohl  nicht  vor  dem  14.  Jahrhundert  entstanden 
sein.  Bemerkenswert  ist,  daß  selbst  Sala,  der  doch  das  hohe  Alter  des  pontifikalen 
Kopfschmuckes  so  warm  verteidigt,  den  Ursprung  der  beiden  Mitren  als  fragwürdig 
betrachtet.  Die  Mitra  des  hl.  Folcuin ,  die  leider  verloren  gegangen  ist ,  kann 
darum  nicht  als  echt  gelten,  weil  es  nach  den  klaren  Zeugnissen  der  Liturgiker 
des  9.  Jahrhunderts  in  Gallien  eine  liturgische  Kopfbedeckung  der  Bischöfe  noch 
nicht  gegeben  hat.  Selbst  Rohault  de  Fleury  nimmt  keinen  Anstand,  seine  Zweifel 
an  der  Echtheit  der  angeblichen  Mitra  Folcuins  auszusprechen.  Was  endlich  die 
Mitra  des  hl.  Augustinus  zu  Pavia  anlangt,  so  ist  zu  bemerken,  daß  der  Schrein  des 
Heiligen  nicht  dessen  Mitra,  sondern  nur  die  Reste  eines  seidenen  Velums  enthält, 
mit   dem   ehedem   die   bleierne   Lade    bedeckt   war,    welche   die   Gebeine   des   großen 


1  Bona  1.  1,  c  24,  §  14,  nota  5;  II  254;  unbegreiflich,    daß   bisher  keiner  von  allen, 

vgl.  Moroni  XLV  262.  welche   die  Mitra   gesehen   und   beschrieben 

■  C.  13  (Mart.,  Thes.  111  516).  haben,  auf  ihre  äußerst  geringe  Weite  auf- 

3  Gesch.  II  158.  merksam  geworden  ist,  und  noch  unbegreif- 

'  Die  Mitra  hat  ohne  Zweifel  ehedem  eine  lieber,  wie  sie  überhaupt  als  wirkliche  Mitra 

Statue  des  hl.  Silvester  geschmückt.    Es  ist  Silvesters  hat  angesehen  werden  können. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


439 


Bischofs  barg.  Es  ergibt  sich  das  mit  aller  Klarheit  aus  den  Berichten  über  die 
Auffindung  der  Eeliquien  im  Jahre  1695  und  über  die  späteren  Rekognitionen  1. 

Mit  den  angeblichen  Mitren  aus  dem  ersten  Jahrtausend  ist  es  also 
nichts.  Aber  auch  in  den  Schatz  verzeichnissen  geschieht  vor  1000  nirgends 
des  pontifikalen  Kopfschmuckes  Erwähnung.  Besonders  auffallend  ist  das  im 
Testament  des  Bischofs  Riculf  von  Eine  (f  915).  Es  finden  sich  darin  caligae 
und  sandalia,  amictus,  albae,  zonae,  stolae,  manipuli,  casulae  episcopales,  vanti, 
dalmaticae,  ein  anulus,  kurz  alle  Bestandteile  des  Pontifikalornates  vertreten, 
aber  keine  Mitra.  Hinsichtlich  einer  liturgischen  Kopfbedeckung  herrscht  im 
Testament  tiefes  Schweigen.  Ahnlich  verhält  es  sich  mit  den  höchst  inter- 
essanten Inventaren  von  Cremona  und  von  Clermont-Ferrand  aus  dem  10.  Jahr- 
hundert. Wenn  das  Inventar  von  St-Riquier  aus  dem  Jahre  831  von  einem 
capellum  auro  paratum  und  einem  capellum  de  pallio  redet,  so  ist  darunter 
eine  Kapuze  zu  verstehen,  welche  auch  capellum  genannt  wurde2;  die  Mitra, 
d.  i.  eine  bischöfliche  liturgische  Kopfbedeckung,  ist  sicher  nicht  gemeint,  da 
ja  St-Riquier  nur  eine  Klosterkirche  war.  Zudem  wurde  die  Mitra  nie  capellum 
(capellus)  genannt. 

Wir  könnten  hier  mit  unsern  Erörterungen  über  das  erste  Auftreten 
der  bischöflichen  Mitra  abschließen.  Allein  man  bringt  zahlreiche  schriftliche 
Zeugnisse  vor,  welche  dartun  sollen,  daß  eine  Mitra  oder  eine  sonstige  sakrale 
Kopfbedeckung  schon  lange  vor  dem  2.  Jahrhundert  in  Gebrauch  gestanden 
habe.  Wir  dürfen  an  denselben  nicht  vorbeigehen,  ohne  sie  auf  ihren  Wert 
geprüft  zu  haben. 

Ammianus  Marcellinus  erzählt,  so  sagt  man,  es  habe  der  Häuptling  Firmus, 
um  mit  dem  römischen  General  Theodosius  zum  Frieden  zu  kommen,  so  wie  ihm  be- 
fohlen worden,  die  Stadt  Icosium,  die  militärischen  Zeichen  und  eine  Corona  sacer- 
dotalis  samt  allem  andern,  was  er  erbeutet  hatte,  ohne  Zögern  zurückgegeben 3.  Unter 
dieser  Corona  sacerdotalis  hat  man  den  pontifikalen  Kopfschmuck  verstehen  wollen ; 
Hefele  bemerkt  sogar:  „Unter  dieser  Priesterkrone  ist  offenbar  die  Inful  jenes  Bischofs 
gemeint,  welchen  die  heidnischen  Afrikaner  (nach  Ammian.  lib.  28,  6)  in  der  Gegend 
von  Leptis  und  Ona  vor  kurzem  getötet  hatten."  Allein  daß  die  Corona  sacerdotalis 
hier  einen  bischöflichen  Kopfschmuck  und  erst  gar  ein  liturgisches  Ornatstück  be- 
deutet, ist  gar  nicht  sicher.  Es  ist  zwar  nicht  sonderlich  wahrscheinlich,  daß  sie  als 
Schmuckgegenstand  eines  heidnischen  Priesters  aufzufassen  sei 4 ;  weshalb  soll  man 
sie  aber  nicht  für  eine  der  kostbaren  Kronen  halten,  welche  man  als  Zierat  oder  als 
Kronleuchter  in  der  Kirche  bei  dem  Altar  aufzuhängen  pflegte?  Man  darf  nicht 
außer  acht  lassen,  daß  Ammianus  ein  Heide  und  darum  in  christlichen  Dingen  wenig 
bewandert  war.  Daß  aber  jene  Corona  sacerdotalis  dem  Bischof  ßusticianus  angehört 
habe,  ist  nicht  nur  nicht  offenbar,  sondern  eine  bloße  Vermutung.   Es  ist  sogar  höchst 


1  A.  SS.  28.  Aug.,  VI  372  et  374.  In 
Notre-Dame  zu  Puy-en-Velay  wurde  ehedem 
nach  Barraud  (Bullet,  mon.  1866,  130) 
eine  Mitra  aufbewahrt,  die  man  als  diejenige 
Aarons  bezeichnete.  Angesichts  solcher  Re- 
liquien begreift  man  leicht,  daß  man  bei 
aller  Ehrfurcht  gegen  etwaige  Überlieferungen 
einer  sachgemäßen  Kritik  Raum  gewähren 
muß,  wenn  man  Gewandstücke,  die  von  Hei- 
ligen aus  früherer  Zeit  herstammen  sollen, 
als  Material  in  einer  Geschichte  der  litur- 
gischen Gewandung  zu  verwerten  hat. 

2  D.  C.  sub  capellum  II  123.  Vgl.  auch 
Constit.  Ansegisi  (M.  G.  SS.  II  299)  :  capellos 


c.  29 


'est. 


nigros  8,  alios  4,  unumquemque  solidis  3.  Auch 
in  den  Consuet.  Farfen.  (ed.  Albers)  142 
hat  capellum  den  Sinn  von  Kapuze.  Vgl. 
ferner  Udalrici  Consuet.  Cluniac.  1.  3, 
(M.  149,  773). 

3  Ammisni    M  a  r  c  e  1 1  i  n  i  Rerum 
1.  29,  c.  5. 

4  So  Marriott  190;  Minard  in  Note  947 
zum  Gregorianischen  Sakramentar  (M.  78, 
544)  u.  a.  Da  Firmus  die  antistites  ritus 
christiani  als  Unterhändler  zu  Theodosius 
schickt,  scheint  es  näher  zu  liegen,  unter 
der  Corona  sacerdotalis  einen  den  Christen 
geraubten  Gegenstand  zu  verstehen. 


440     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


unsicher,  ob  der  Eusticianus  sacerdotalis ,  der  zu  den  Dekurionen  zählte,  überhaupt 
Bischof  oder  auch  nur  christlicher  Priester  gewesen  ist. 

Ennodius  besingt  Mailänder  Bischöfe.  Dabei  sagt  er  von  dem  hl.  Ambrosius: 
Serta  redimitus  gestahat  lucida  fronte. 

Also,  schliefst  man,  trug  der  Heilige  schon  einen  bischöflichen  Kopfschmuck. 
Gewiß,  wenn  nur  die  Worte  im  buchstäblichen  Sinne  aufzufassen  wären.  Allein  ein 
Blick  auf  den  Zusammenhang  zeigt  alsbald,  daß  der  Vers  wie  alle  übrigen  "bildlich 
zu  nehmen,  und  unter  den  serta  der  Ruhmeskranz  zu  verstehen  ist,  welchen  die 
Beredsamkeit  dem  großen  Bischof  um  die  Stirn  gewunden  hat l. 

Vincentius  von  Lerin  soll  aber  doch  in  seinem  Kommonitorium  bestimmt  von 
wirklichen  Kronen  der  Priester  reden  -.  Allerdings,  antworten  wir,  spricht  er  von 
sacerdotum  coronae ;  doch  beweist  die  ganze  Fassung  der  Stelle,  daß  auch  die  Worte 
des  Leriner  Mönches  nur  als  Metapher  gelten  können,  und  daß  sie  bloß  „priester- 
liches Ansehen,  priesterliehe  Würde"  bedeuten  sollen. 

Hieronymus,  Augustinus,  Sidonius,  Paulinus,  Ennodius  3  u.  a.  bedienen  sich,  so 
heißt  es  ferner,  bei  der  Anrede  an  die  Bischöfe  wiederholt  des  Ausdruckes  corona 
vestra.  Mithin  müssen,  so  folgert  man,  die  Bischöfe  in  jener  Zeit  wirkliche  Kronen 
getragen  haben  und  „haben  diese  meistens  goldenen  Kronen,  wie  Bock  meint,  schon 
damals  als  hervorragendes  und  wesentliches  Abzeichen  der  bischöf  liehen  Würde  gegolten"  4. 

Darauf  ist  jedoch  erstens  zu  bemerken,  daß  es,  wenn  die  Sache  sich  wirklich 
so  verhalten  haben  sollte,  schlechterdings  unbegreiflich  ist,  warum  sich  auf  den  zahl- 
reichen Bildwerken  aus  dem  ersten  Jahrtausend  nirgends  eine  Spur  der  angeblichen,  und 
zwar  sogar  meist  „goldenen  Krone"  zeigt.  Dann  aber  beweist  eine  nähere  Betrachtung 
der  einschlägigen  Stellen,  daß  Corona  eine  bloße  Titulatur  ist  im  Sinne  von  „Eure 
Erhabenheit,  Eure  Hochwürden,  Eure  Herrlichkeit".  Vestra  Corona  steht  auf  einer 
Stufe  mit  vestra  beatitudo,  sanetitas,  veneratio,  reverentia,  vester  apostolatus  und  ähn- 
lichen Anreden,  die  in  dem  schwulstigen  Briefstil  des  5..  und  6.  Jahrhunderts  immer 
wiederkehren.  Ein  treffliches  Beispiel  bietet  das  Schreiben  der  Bischöfe  Galliens  an 
Papst  Leo  I.,  in  dessen  Unterschriften  sich  in  buntem  Wechsel  folgen:  Ego  N.  N. 
beatitudinem  vestram,  sanetitatem  vestram,  coronam  vestram  oder  apostolatum  vestrum 
venerans  saluto  5.  Recht  deutlich  erhellt  jene  Bedeutung  von  Corona  vestra  auch  aus 
den  Ausdrücken  humilitas,  exiguitas,  medioeritas,  parvitas  nostra,  mit  welchen  die  Brief- 


1  Carm.  1.  2,  n.  77  (M.  63,  348): 

Roseida  regifleo  cui  (Ambrosio)  fulsit  murice 

lingua 
Vere  suo  pingens  germina  quae  voluit. 
Serta  redimitus  gestabat  lucida  fronte 
Disthictnm  gemmis  ore  parabat  opus.  .  .  . 
Succinctus   gladiis,  clypei    de   pondere  tutus 
Pectore  claudebat  textilibus  clralybis. 
Ensis   habet  vires  vitiorum  sector  et   hostis 
Vipera  non  tangit  squamea  terga  viri. 

Will  man  die  serta  wörtlich  fassen,  wird 
man  auch  wohl  das  übrige  so  verstehen  und 
den  Heiligen  in  Schwert,  Schild  und  Panzer 
aufziehen  lassen  müssen. 

2  Commonit.  I,  n.  5  (M.  50,  644) :  Nam  quis 
ille  tarn  demens  est,  qui  eos  non  adsequi 
evaleat  .  .  .  quos  a  defensione  fidei  maiorum 
nulla  vis  depulit,  .  .  .  quos  Dominus  tanto 
munere  dignos  iudieavit,  ut  per  eos  pro- 
stratas  restauraret  ecclesias ,  exstinetos  spi- 
ritales  populos  vivificaret,  deieetas  sacerdotum 
Coronas  reponeret  et  nefarias  illas  novellas 
impietatis    non    litteras,    sed    lituras    infuso 


coelitus  episcopis  fideliuni  lacrymarum  fönte 
deleret. 

3  Hieron.  ep.  142  ad  Aug.  (M.  22,  1180). 
Aug.  ep.  33,  n.  5  ad  Proculeian.  (M.  33,  131). 
Episc.  Gall.  ep.  ad  Leon.  1.  c.  1  4  (M.  54, 
880  883).  Eorundem  ep.  altera  (ebd.  968). 
Sidonius  Apoll,  Ep.  1.  6,  ep.  3;  1.  7,  ep.  8 
(M.  58,  554  574).  Ennodius,  Ep.  1.  4, 
ep.  22  29;  1.  5,  ep.  10;  1.  8,  ep.  32  38;  1.  9, 
ep.  27  (M.  63,  80  83  92  144  147  161).  Mar- 
culfi  form.  1.  1,  n.  26;  1.  2,  n.  46  (M.  87,  715 
754).  Relatio  Andreae  Praevalitani  (Skutari) 
episc.  ad  Hormisdam  P.  (M.  63,  443).  Pau- 
lini Nol.  ep.  3  ad  Alyp.  (M.  61,  163) ;  Flori- 
ani  ep.  ad  S.  Nicetium  ep.  Trevir.  (M.  72, 
918);  Paschasii  episc.  Lilybet.  (Marsala)  ep. 
ad  Leon.  I.  (M.  54 ,  606) ;  Portunat.  episc. 
praef.  ad  vitam  S.  Martini  (M.  88 ,  363) : 
Bedae  presb.  praef.  ad  vitam  S.  Cuthberti 
episc.  prosaic.  (M.  94,  734)  ;  Braulionis  episc. 
ep.  3  ad  Isidor.  Hispal.  (M.  80,  651). 

1  Bock,  Gesch.  II  151  f. 

5  Episc.  Gall.  altera  epist.  ad  Leon.  I. 
(M.  54,  968). 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


441 


Schreiber  im  Gegensatz  zu  der  dem  Adressaten  beigelegten  Titulatur  Corona  vestra 
sich  selber  zu  bezeichnen  pflegen '.  Die  Anrede  Corona  vestra  schließt  sich  unzweifel- 
haft an  den  Sprachgebrauch  der  Heiligen  Schrift  an,  in  welcher  das  Wort  Corona 
häufig  metaphorisch  den  Sinn  von  Zier,  Ehre,  Schmuck  hat2.  In  der  Tat,  ist  die 
Bischofswürde  die  Fülle  und  Krone  des  Priestertums,  wird  ferner  der  Bischof  bei  der 
Weihe  durch  die  Handauflegung  mit  der  Bischofswürde  gleichsam  gekrönt,  ist  die 
Bischofswürde  für  ihn  eine  Art  dauernder  geistiger  Krone  und  ist  er  durch  die  Bischofs- 
würde die  Spitze  und  Krone  des  Klerus,  so  erklärt  es  sich  ohne  Schwierigkeit,  wie 
man  dazu  kam,  in  einer  die  Titulaturen  liebenden  Zeit  die  Bischöfe  mit  Corona  vestra 
anzureden3.  Es  ist  darum  nicht  nötig,  zur  Erklärung  des  Terminus  auf  die  kranz- 
förmige Tonsur  und  noch  weniger  auf  eine  fabelhafte  Krone  hinzuweisen,  welche 
die  Bischöfe  getragen  haben  sollen. 

Im  übertragenen  Sinne  von  „bischöflicher  Würde"  wird  Corona  sacerdotalis  auch 
von  dem  Zeitgenossen  Amalars  und  Walafrieds,  Jonas  von  Orleans  (f  843),  gebraucht, 
wenn  er  Claudius  von  Turin  mit  dem  betrunkenen  Silen  vergleicht4,  dessen  Krug  in 
Scherben  ging  und  dessen  Kranz  zu  Boden  fiel.  Der  Bischof  von  Orleans  will  mit 
seinem  Vergleich  nicht  sagen,  daß  Claudius  durch  seine  unkirchlichen  Predigten  und 
Schriften  eine  wirkliche  Krone  vom  Haupte  geworfen  —  eine  solche  gab  es  nach  den 
früher  gegebenen  Belegen  im  9.  Jahrhundert  in  Gallien  nicht  — ,  sondern  nur,  daß  er 
sich  seines  bischöflichen  Banges  und  seiner  hohen  Stellung  unwürdig  betragen  und 
gehandelt  habe,  als  ob  er  seine  bischöfliche  Würde  weit  von  sich  geworfen  hätte. 

Von  einer  wirklichen  bischöflichen  Sakralkrone  ist  aber,  so  sagt  man  weiter, 
zweifellos  wenigstens  im  2.  römischen  Ordo  Mabillons  5  und  in  den  Eklogen  die  Rede  s. 
„Wenn  der  Diakon",  so  führen  ja  beide  aus,  „Sequentia  sancti  Evangelii  secundum 
Lueam  (Marcum  etc.)  gesungen,  so  macht  er  das  Kreuzzeichen  auf  Stirne  und  Brust. 
Dasselbe  tut  der  Bischof  und  das  ganze  Volk;  dann  wendet  man  sich  zum  Evangelium 
hin.  Es  legen  aber  auch  alle  die  Stöcke  aus  den  Händen ;  desgleichen  haben  sie 
zur  selben  Zeit  weder  eine  Krone  noch  eine  andere  Bedeckung  auf  ihrem  Kopfe." 
In  der  Tat  handelt  es  sich  hier  um  eine  wirkliche  Krone.  Nur  ist  es  ein  Irrtum, 
wenn  man  glaubt,  der  2.  Ordo  und  Amalar  sprächen  von  einem  heiligen  Kopfschmuck, 
den  der  Bischof  beim  Gottesdienst  getragen  habe.  Es  gilt  die  Bemerkung  bezüglich 
der  Corona  und  dem  operimentum  capitis  vielmehr  von  den  dem  heiligen  Opfer  bei- 
wohnenden Gläubigen.  Dieselben  sollen  beim  Evangelium  aus  Ehrfurcht  gegen  das 
Wort  Gottes  nicht  bloß  die  Stäbe,  auf  die  man  sich,  um  weniger  zu  ermüden,  zu 
stützen  pflegte 7,  aus  den  Händen  legen,  d.  i.  eine  aufrechte  Stellung  einnehmen,  sondern 
auch  ihr  Haupt  entblößen,  selbst  wenn  die  Kopfbedeckung  in  einer  Krone  bestände. 
Das  und  nichts  anderes  meinen  der  zweite  Ordo  und  die  Eklogen. 

Daß  in  England  im  6.,  7.  und  8.  Jahrhundert  ein  pontifikaler  Kopfschmuck 
gebräuchlich  gewesen,  dafür  werden  die  Vita  S.  Samsonis,  der  Bericht  Reginalds  von 
Durham  über  den  Befund  bei  Eröffnung  des  Grabes  des  hl.  Cuthbert,  die  Vita  S.  Birini 
und  Bedas  des  Ehrwürdigen  Schrift  De  tabernaculo  als  Beweis  herangezogen.  Allein 
mit  Unrecht. 


1  Vgl.  z.  B.  die  vorhin  angeführten  Schrei- 
ben des  Sidonius  Apolliuaris,  den  Brief  der 
Bischöfe  der  Kirchenprovinz  Tarragona  an 
Papst  Hilarius,  des  Bischofs  Paschasius  von 
Lilybäum  an  Leo  I. ,  des  hl.  Paulinus  von 
Nola  an  Bischof  Victricius  von  Ronen  (ep.  18 
[M.  61  ,  237])  und  aus  späterer  Zeit  das 
Schreiben  des  Bischofs  Ebroin  von  Bourges 
(Beginn  des  9.  Jahrhunderts)  an  Bischof 
Magnus  von  Sens  (M.  87,  763).  Die  Anrede 
Corona  vestra  wird  nach  dem  6.  Jahrhundert 
immer  seltener.  Im  Brief  Ebroins  steht  statt 
ihrer   in    gleichem    Sinne   magnitudo  vestra. 


2  Spr  12,  4;  14,  24;  16,  31;  17,  6.    Eccli 

1,  11;  1,  22;  25,  8.    Is  28,  5;  62,  3.     1  Thess 

2,  19.     2  Tim  4,  8.     Phil  4,    1.     Jak  1,  12. 
1  Petr  5,  4.     Offb  3,  11.     Hebr  2,  7  9. 

3  Braulio  schreibt  in  ep.  5  ad  Isid.  (M. 
80,  651):  peto  a  culmine  vestri  apostolatus. 

4  De  cultu  imag.  1.  2  in  fine  (M.  106,  364). 

5  Ordo  2,  n.  8  (M.  78,  972). 

6  M.  105,  1322. 

7  Amalar.,  De  offic.  eccl.  1.  3,  c.  18 
(ebd.  1126).  Hildeberti  Genom.  De 
myst.  missae  (M.  171,  1178).  Vgl.  Realenc. 
I  106. 


442     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Fuße  u.  des  Kopfes. 


In  der  Schrift  De  tabernaculo '  spricht  Beda  nur  von  der  Hauptbedeckung 
der  jüdischen  Priester,  nicht  aber  von  einem  bischöflichen  Kopfschmuck.  Es  kann  sogar 
nach  der  ganzen  Art  und  Weise,  wie  der  Heilige  sich  über  die  Mitra  des  aaronitischen 
Kultus  ausläßt,  keinem  vernünftigen  Zweifel  unterliegen,  daß  ihm  eine  pontifikale  Mitra 
oder  ein  sonstiger  liturgischer  Kopfschmuck  im  christlichen  Kultus  noch  etwas  durch- 
aus Unbekanntes  war. 

Die  Krone,  welche  die  Apostel  Petrus,  Johannes  und  Jakobus  auf  dem  Haupte 
trugen,  als  sie  der  legendenhaften  Biographie  des  hl.  Samson  zufolge  dem  Heiligen 
im  Traume  erschienen  2,  kann  nur  als  Zeichen  der  Heiligkeit  und  als  Himmelskrone 
gedeutet  werden 3.  Es  liegt  durchaus  kein  Anhalt  vor,  in  ihr  eine  liturgische  Kopfzier 
zu  sehen.  Nicht  einmal,  daß  die  Apostel  in  Gestalt  von  Bischöfen  erschienen,  bietet 
für  eine  solche  Auffassung  eine  genügende  Unterlage.  Obendrein  darf  man  nicht 
vergessen,  daß  es  sich  an  der  fraglichen  Stelle  der  Vita  um  keinen  realen  Vorgang, 
sondern  um  ein  bloßes  Traumgesicht  handelt. 

Die  Angabe  Beginalds  von  Durham  (ca  1170),  es  habe  sich  bei  der  1104  vor- 
genommenen Erhebung  des  Leibes  des  hl.  Cuthbert  auf  dem  Haupte  des  Heiligen 
unter  einem  purpurnen  Schweißtuch  eine  Mitra  von  unbekanntem,  damals  nicht  mehr 
vorkommendem  Stoff  und  über  der  Stirn  eine  mit  kleinen  Edelsteinen  allenthalben 
wie  besäte  vergoldete  Platte  gefunden,  ist  durchaus  unzuverlässig,  um  nicht  zu  sagen, 
eine  fromme  Fabel. 

Die  von  einem  Lindisfarner  Mönch,  einem  Zeitgenossen  St  Cuthberts,  herrührende 
Vita  spricht  wohl  von  einem  Schweißtuch,  mit  dem  man  des  heiligen  Bischofs  Haupt 
bei  der  elf  Jahre  nach  seinem  Tode  erfolgten  ersten  Öffnung  des  Grabes  verhüllt 
angetroffen  habe,  sagt  jedoch  von  dem  Stirnschmuck  und  der  Mitra  nicht  das  geringste  *. 
Ebensowenig  weiß  der  gegen  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  entstandene  Bericht  über 
die  1104  vorgenommene  Translation  etwas  von  der  goldenen  Platte  oder  der  Mitra, 
obgleich  er  einlässig  die  Wahrnehmungen  erzählt,  welche  man  bei  Eröffnung  des 
Sarges  machte  5.  Die  Pontifikalkleidung  des  hl.  Cuthbert ,  von  welcher  Eeginald  ein 
anschauliches  Bild  entwirft,  ist  die  bischöfliche  Sakralkleidung  des  12.  Jahrhunderts. 
Das  zeigt  sich  insbesondere  bei  der  Beschreibung,  die  er  von  der  Dalmatik  und  den 
Pontifikalschuhen  gibt.  Es  sind  die  Sandalen  und  die  Dalmatik  seiner  Zeit,  nicht 
die  des  7.  Jahrhunderts,  was  Eeginald  zeichnet.  Wie  wenig  zuverlässig  die  Schil- 
derung des  Durhamer  Mönchs  ist,  geht  unter  anderem  namentlich  auch  daraus 
hervor,  daß  sie  den  Heiligen  mit  den  Pontifikalsandalen  bekleidet  sein  läßt,  während 
doch  die  zeitgenössische  Vita  desselben  ausdrücklich  mitteilt,  man  habe  die  Schuhe 
bei  der  ersten  Erhebung  des  Leibes  aus  dem  Sarge  genommen  c. 


1  L.  3,  c.  8  (M.  91,  482):  Verum  sive  bys- 
sinae,  seu  fuerint  aureae  coronulae,  cum  con- 
stet,  eas  factas  esse  cum  mitris,  dicamus 
breviter  de  figuris  (die  mystische  Bedeutung). 
Mitras  cum  coronulis  habent  sacerdotes  ex 
bysso,  qui  sie  visum  ...  in  venustate  casti- 
moniae  custodiunt,  ut  pro  eadem  custodia  se 
coronam  vitae  .  .  .  aeeipere  sperent.  .  .  .  Nani 
qui  sie  continentiae  vel  bonis  operibus  studet, 
ut  pro  his  aeterna  praemia  retributionis 
quaerere  negligit,  rnitram  quidem  byssinam 
habere  videtur  in  capite ,  sed  coronam  non 
habet. 

2  C.  5  (A.  SS.  28.  IuL,  VI  583).  Es  gibt  eine 
Reihe  von  Lebensbeschreibungen  des  hl.  Sam- 
son, in  denen  sich  viel  Legendenhaftes  findet. 
Die  Bollandisten  halten  diejenige ,  welche 
sie  in  ihren  Acta  zum  Ausdruck  bringen, 
für  die  beste  von  allen ,    bemerken  aber  zu- 


gleich (a.  a.  0.  572  D)  :  Fateor  dolendum 
maxime,  in  tarn  foeeunda  et  abundanti  rerum 
praeclarissimarum  messe  aptam  falcem  non 
suppetiisse,  quae  omnia  aecurate  demessa 
colligeret,  disponeret  et  ordinaret.  Bezüglich 
der  Weihe  sagen  sie  (ebd.  569  A) :  Quam 
miranda  stupendaque  in  ea  ordinatione  ac- 
eiderint  .  .  .  exaetis  hoc  loco  praeter  modum 
prodigiosis  facile  intelleges. 

3  Vgl.  die  oben  S.  428  angeführte  Stelle 
aus  der  Vita  S.  Encharii ;  der  hier  geschil- 
derte Vorgang  ist  ein  vorzügliches  Gegen- 
stück   zur  Erzählung    der  Vita  S.  Samsonis. 

4  L.  4,  n.  13  14  (A.  SS.  20.  Mart.,  III  123). 
6  C.  1,  n.  8  (ebd.  139).    Auch  in  sonstigen 

Punkten  weicht  der  Bericht  von  den  Angaben 
Reginalds    ab ,   wobei    die    letzteren    als   Er- 
weiterungen erscheinen. 
0  A.  SS.  a.  a.  0.  123. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


443 


Reginald  war  kein  Augenzeuge  der  1104  erfolgten  Rekognition  des  heiligen 
Leibes;  was  er  berichtet,  bezeichnet  er  als  aus  zweiter  Hand  kommend.  Er  erzählt 
in  bestem  Glauben  und  voll  heiliger  Begeisterung  für  St  Cuthbert,  was  er  gehört 
hat.  Seine  Schilderung  gibt  indessen  nicht  den  einfachen  Leichenbefund  wieder,  son- 
dern stellt  eine  legendenhafte  Erweiterung  und  Ausschmückung  desselben  dar,  deren 
natürliche  Erklärung  die  im  Verlaufe  der  drei  ersten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts 
mächtig   gestiegene   Verehrung  des  großen  Heiligen  bildet '. 

Übrigens  auch  einmal  angenommen,  der  Bericht  Reginalds  entspreche  im  wesent- 
lichen dem  tatsächlichen  Befunde,  und  es  habe  der  hl.  Cuthbert  wirklich  getragen, 
was  der  Erzähler  als  Mitra  bezeichnet,  so  folgt  selbst  dann  nicht,  daß  es  wirklich 
schon  in  England  im  7.  Jahrhundert  eine  liturgische  Kopfbedeckung  gegeben  habe. 
Denn  es  müßte  zuvor  nachgewiesen  werden,  daß  die  angebliche  Mitra  ursprünglich 
war  und  nicht  nachträglich  in  den  Schrein  hinein  kam;  das  um  so  mehr,  als  die  Be- 
schreibung Beginalds,  wenn  zutreffend,  keinen  Zweifel  läßt,  daß  der  Leib  des  Heiligen 
in  späteren  Tagen  mit  neuen  Gewandstücken  bekleidet  wurde  -. 

Wie  wenig  ängstlich  man  noch  im  Beginn  des  11.  Jahrhunderts  in  der  Be- 
handlung des  heiligen  Leibes  war,  ergibt  sich  aus  dem,  was  Reginald  von  dem  Mönch 
Elfredus  berichtet,  der  1022  in  den  Rollen  von  Durham  als  feretrarius  genannt  wird 
und  als  solcher  die  Sorge  um  den  Schrein  des  hl.  Cuthbert  hatte.  Elfred,  so  lesen 
wir  in  c.  26,  habe  den  Verschluß  des  Grabes  öffnen  und  ungestraft,  so  oft  er  gewollt, 
circa  eum,  quae  voluit,  componere  dürfen.  Eines  Tages  habe  er  sogar  Haare  vom 
Haupt  des  Heiligen  abgeschnitten. 

Daß  aber  wirklich  in  späterer  Zeit  Gewandstücke  in  den  Schrein  des  Heiligen 
gebracht  worden  sind,  beweist  der  Umstand,  daß  man  1827  bei  der  jüngsten  Eröffnung 
des  aus  Anlaß  der  Protestantisierung  Durhams  in  den  Fußboden  versenkten  Schreines 
den  heiligen  Leib  mit  einer  Stola  und  einem  Manipel  geschmückt  fand,  welche  laut 
eingestickter  Inschrift  aus  dem  Beginn  des  9.  Jahrhunderts  stammten  3. 

Trug  St  Cuthbert  wirklich  1104  eine  Mitra,  so  wird  diese  in  ähnlicher  Weise 
in  den  Sarg  gekommen  sein  wie  jener  Manipel  und  jene  Stola,  und  zwar  dürfte  sie 
dann  identisch  mit  dem  pileus  regius  auro  textus ,  dem  aus  kostbarem  Goldgewebe 
angefertigten  Königshut  sein ,  welchen  König  Athelstan  934  außer  zwei  Kasein, 
einer  Albe,  einem  Manipel,  einer  Stola,  einem  Cingulum  und  zahlreichen  sonstigen 
Kostbarkeiten  dem  hl.  Cuthbert  als  Weihegabe  stiftete 4.  Da  dieser  pileus  damals 
wohl  kaum  zu  einem  andern  Zwecke  verwendet  werden  konnte,  lag  es  nahe,  ihn  dem 
Haupt  des  Heiligen  im  Schreine  aufzusetzen  —  und  das  mag  auch  die  Absicht  des 
Gebers  gewesen  sein. 


1  De  admir.  B.  Cuthb  virt.  c.  40  (p.  84). 
Er  will  die  Erhebung  des  heiligen  Leibes  er- 
zählen, wie  er  sie  a  maturioribus  ecclesiae 
in  Erfahrung  gebracht.  Hi  (seine  Gewährs- 
männer) illos  ...  viderant,  audierant,  qui 
Beati  Cuthberti  corpus  manibus  contrecta- 
bant.  .  .  .  Qui  suis  auditoribus  magnalia  re- 
tulere  et  quaedam  etiam  eis  secreta  planius 
detexere,  quae  omnia  tarnen  noluere  scriptis 
inserere.  Nos  vero  ea  describere  duximus  dulce 
habentes,  nosse  perfectius  ea,  quae  non  vidi- 
mus,  ac  posteris  nota  facere  ea,  quae  quibus- 
dam  incerta  fore  cognoscimus. 

2  Der  Leib  des  Heiligen  hat  mancherlei 
Irrfahrten  machen  müssen.  Zu  Lindisfarne 
begraben  und  elf  Jahre  nach  seinem  Tode 
zum  erstenmal  erhoben,  wobei  Kasel  und 
Schuhe  aus  dem  Sarge  herausgenommen 
wurden,  blieb  er  noch  etwa  ein  Jahrhundert 
im   Erieden    auf   der   Insel.     Als    aber    dann 


Lindisfarne  zerstört  wurde  und  die  Mönche 
flüchten  mußten,  nahmen  sie  den  Sarg  an  die 
verschiedenen  Orte  mit,  wo  sie  eine  Zufluchts- 
stätte suchten ,  bis  er  zuletzt  bleibend  in 
Durham  ein  Heim  fand.  Daß  der  Schrein 
auf  den  Wanderungen  geöffnet  worden  sei, 
geht  aus  den  Reliquien  hervor,  die  man  bei 
seiner  Eröffnung  1104  in  ihm  fand  (Historica 
narrat.  c.  1,  n.  6  [A.  SS.  a.  a.  0. 138]).  Es  ist  aber 
auch  ausdrücklich  bezeugt ,  daß  man  jene 
heiligen  Gebeine  zum  Leibe  des  hl  Cuth- 
bert gelegt  hat  und  also  den  Sarg  geöffnet 
haben  muß  (Hist.  transl.  c.  4,  n.  23  [A.  SS. 
a.  a.  O.  132]). 

3  Raine,  St  Cuthbert,  Durham  1828,  202  ff. 
Vgl.  oben  S.  110. 

4  Monasticon  anglic.  I  (ed.  1635)  40:  Ego 
Atheistanus  rex  do  S.  Cuthberto  ...  2  casulas 
et  1  albam  et  1  stolam  cum  manipulo  et 
1  cingulum  et  1  regium  pilleutn  auro  textum. 


444      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Fuße  u.  des  Kopfes. 


Die  Vita  des  hl.  Birinus  (f  650)  erzählt ,  bei  der  Erhebung  des  Leibes  des 
Heiligen,  welche  gegen  das  Ende  des  12.  oder  im  Beginne  des  13.  Jahrhunderts  zu 
Dorchester  statthatte,  habe  man  im  Sarge  den  vollständigen  Leichnam  des  Bischofs 
cum  duplici  stola  et  infula  rubra  e  panno  serico  atque  cum  cruce  e  metallo  confecta, 
pectori  eius  imposita  gesehen '.  Demnach  muß  es  also ,  so  hat  man  geschlossen, 
in  England  bereits  im  7.  Jahrhundert  eine  bischöfliche  Mitra  (Inful)  gegeben  haben. 
Allerdings,  wenn  nur,  um  von  anderem  abzusehen,  unter  der  infula  der  Vita  wirklich 
eine  Mitra  zu  verstehen  und  überhaupt  der  fragliche  Leichnam  in  der  Tat  derjenige  des 
hl.  Birinus  gewesen  wäre  Allein  infula  bedeutet  hier  dem  englischen  Sprachgebrauch 
des  13.  Jahrhunderts  entsprechend  wohl  die  Kasel,  falls  nicht  etwa  die  Tasche  gemeint 
sein  sollte,  von  der  im  Bericht  über  die  zweite  Eröffnung  des  Sarges  im  Jahre  1224 
die  Rede  ist.  Man  habe,  so  heißt  es  darin,  im  Sarge  außer  den  Gebeinen  einen 
Bing,  ein  bleiernes  Kreuz  auf  der  Brust,  einen  kleinen  Kelch,  particulae  vestimentorum 
eius  und  duae  stolae,  sed  non  integrae,  angetroffen.  Inventa  est,  sagt  der  Bericht 
dann  weiter,  etiam  erumena  quaedam  serica  super  pectus  eius  itemque  pera  ex  una 
parte  auro  contexta.  Was  aber  den  Leichnam  anlangt,  den  man  in  Dorchester 
erhoben  hatte,  so  kann  derselbe  unmöglich  der  des  hl.  Birinus  gewesen  sein,  da 
dieser  bereits  gegen  das  Ende  des  7.  Jahrhunderts  nach  Winchester  übertragen 
worden  war  -. 

Ein  weiterer  Beweis  für  den  Gebrauch  eines  bischöflichen  Kopfschmuckes  im 
ersten  Jahrtausend  soll  in  verschiedenen  Stellen  gegeben  sein ,  welche  von  einer 
infula  pontificalis  oder  sacerdotalis  sprechen.  So  heißt  es  im  Hodoeporicum  des 
hl..  Willibald  von  dem  Heiligen :  summae  sacerdotalisque  infulae  praelatus ,  und 
vom  hl.  Wunibald :  sacerdotali  praelatus  infula 3.  In  der  Vita  des  hl.  Burehard  wird 
Papst  Zacharias  als  summus  pontifex ,  summi  pontificatus  infulae  non  incongruus 
genannt  und  erzählt,  wie  der  hl.  Bonifatius  erklärt  habe,  er  halte  Burehard  pontificali 
infula  dignum  '.  Das  Papstbuch  verzeichnet  in  der  Vita  Valentini  den  Ausruf  des 
Volkes :  Valentinum  saneti  pontificatus  infula  decorandum ä ;  im  Weihezeugnis  aber, 
welches  Herard  von  Tours  866  über  die  Konsekration  Elektrans  von  Reimes  aus- 
stellte, wird  gesagt:  Haec  ergo  aliaque  ad  institutionem  et  informationem  fidelis  viri. . .  . 
Electranni  die  praefixo  verbo  pariter  et  stylo  promulgantes ,  pontificali  eum  infula 
adornantes,  sacra  quoque  benedictione  more  sanetae  ecclesiae  ditantes,  anulo  quoque 
et  baculo  decorantes ,  sanetae  Redonensis  (Rennes)  ecclesiae  pontificali  eum  ordine 
praefeeimus6. 


1  Surius,  Vitae   prob.   3.  Dec.  XII   122. 

-  Nach  B  edas  Kirchengeschichte  1.  3,  c.  7 
(M.  95,  126)  wurde  der  hl.  Birinus  allerdings 
zu  Dorchester  begraben,  doch  übertrug  dessen 
Nachfolger  Hedda  (Headda)  später  den  Leib 
nach  Winchester ,  wo  er  ihn  in  der  Kirche 
der  Apostel  Petrus  und  Paulus  beisetzte. 
Die  Übertragung  erfolgte  ca  678 — 683 
(Garns,  Series  episcop.  198),  als  Hedda 
seinen  Sitz  von  Dorchester  nach  Wintonia 
(Winchester)  verlegte,  d.  i.  also  ca  25  Jahre 
nach  Birinus'  Tode  und  ca  50  Jahre  vor  dem 
Hinscheiden  ßedas.  Auch  Wilhelm  von 
Malmesbury  erwähnt  die  Translation  des 
Leichnams  des  Bischofs  Birinus  durch  Hedda 
und  fügt  hinzu :  patronus  civitatis  post  Deum 
habetur  (Gest.  Pont.  angl.  1.  1  ;  de  episc.  oc- 
cid.  [M.  179,  1523]).  Um  den  Beginn  des 
13.  Jahrhunderts  entspann  sich  zwischen  den 
Kanonikern  von  Dorchester  und  den  Mönchen 
von  Winchester  über  den  Leib  des  Heiligen 
ein  erregter  Streit,  der  seine  Wellen  bis  nach 


Rom  schlug.  Die  ersteren  behaupteten,  nicht 
die  Reliquien  des  hl.  Birinus,  sondern  eines 
Bischofs  namens  Bertinus,  des  Heiligen  zehn- 
ten Nachfolgers,  seien  nach  Winchester  ge- 
bracht worden.  Allein  Hedda  wußte  ohne 
Zweifel,  wo  der  Leichnam  seines  vor  25  Jah- 
ren verstorbenen  Vorgängers  ruhte,  als  er 
denselben  mit  sich  nach  seinem  neuen 
Bischofssitz  nahm.  Außerdem  ist  unter  den 
Nachfolgern  des  hl.  Birinus  ein  zehnter 
mit  Namen  Bertinus  nicht  bekannt.  Auch 
hätte  Hedda ,  der  vierte  Bischof  nach 
Birinus  (Garns  a.  a.  0.),  schwerlich  den 
Leib  des  zehnten  Amtsnachfolgers  des- 
selben nach  Winchester  übertragen   können. 

3  N.  3  (A.  SS.  7.  Iulii,  II  501). 

4  N.  3  4  (ebd.  14.  Oct.,  VI  574).  Die  Vita  ist 
vor  984  geschrieben ,  während  das  Hodo- 
eporicum ca  800  verfaßt  wurde. 

5  Duck,  L.  P.  H  72. 

6  Baluzius,  Capit.  reg.  Franc.  II,  Paris. 
1677,  621. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  445 

Allein  ist  denn  wirklich  in  diesen  Stellen  unter  infula  ein  pontifikaler  Kopf- 
schmuck zu  verstehen?  Wird  das  Wort  nicht,  wie  früher  des  weiteren  ausgeführt 
wurde,  bei  den  christlichen  Schriftstellern  in  mannigfacher  Bedeutung  gebraucht? 
Bezeichnet  es  bei  ihnen  nicht  bald  metaphorisch  das  pontifikale  Amt ,  die  Würde 
des  Bischofs  oder  des  Priesters,  bald  die  pontifikale  oder  priesterliche  Gewandung  im 
allgemeinen,  ja  selbst  das  klerikale  Kleid,  bald  endlich  einzelne  bestimmte  Gewand- 
stücke, wie  das  Pallium  und,  namentlich  in  späterer  Zeit,  die  Kasel?  l  Welchen  Anhalt 
hat  man,  in  den  oben  angeführten  Stellen  infula  im  andern  Sinn  zu  nehmen?  In  der 
Tat  ist  infula  in  den  vier  ersten  Stellen  nur  metaphorisch  für  , Papst-  oder  Bischofs- 
würde" gebraucht,  während  das  Wort  im  Weihezeugnis  Herards  allgemein  „Pontifikal- 
gewandung"  besagt.  Die  Zeremonie,  dem  Bischof  bei  der  Weihe  die  Mitra  aufzusetzen, 
fand  erst  im  12.  Jahrhundert  in  den  Weiheritus  Aufnahme;  den  alten  Weiheordines 
war  sie  durchaus  fremd.  Der  richtige  Sinn  von  infula  im  Weihezeugnis  Herards 
ergibt  sich  aus  einem  Vergleich  dieses  Schriftstückes  mit  der  Beschreibung,  welche 
Hinkmar  von  Reims  (f  882),  der  Zeitgenosse  des  Bischofs  von  Tours,  von  der  Bischofs- 
weihe gibt.  Was  dieser  jiontificali  infula  adornare  nennt,  heißt  bei  Hinkmar  ponti- 
ficalibus  vestibus  induere2. 

Im  Sinne  eines  liturgischen  bischöflichen  Kopfschmuckes  läßt  sich  überhaupt 
infula,  wie  früher  gesagt  wurde,  vor  1100  nicht  belegen,  weder  mit  Zeugnissen  aus 
älterer  noch  solchen  aus  karolingiseher  Zeit 3.  Wenn  Tertullian  in  der  Schrift  De 
monogamia  schreibt:  „Wenn  wir  uns  gegen  den  Klerus  erheben  und  aufblähen,  so 
sind  wir  alle  dasselbe,  sind  wir  alle  Priester;  wenn  es  sich  aber  darum  handelt,  uns 
derselben  Disziplin  (nämlich  nur  einmaliger  Heirat)  wie  jener  zu  unterwerfen,  dann 
legen  wir  die  infula  ab,  und  alle  Gleichheit,  hat  aufgehört  (infulas  deponimus  et  im- 
pares  sumus")4,  so  ist  die  Wendung  infulas  deponere  offenbar  bloße  Metapher. 
Höchstens  könnten  die  infulae  hier  von  einem  liturgischen  Abzeichen  von  der  Art 
der  späteren  Stola  verstanden  werden.  Auf  keinen  Fall  bezeichnen  sie  eine  sakrale 
Kopfbinde,  wie  sie  von  bestimmten  heidnischen  Priesterklassen  getragen  wurde.  Mag 
auch  die  Kirche  den  einen  oder  andern  Brauch  aus  dem  Heidentum  herübergenommen 
und  christlich  umgebildet  haben,  so  ist  es  doch  völlig  unwahrscheinlich,  daß  die  christ- 
lichen Priester  als  Charakteristikum  ihres  Standes  und  ihrer  Würde  eine  Insignie  heid- 
nischer Priester  adoptierten ;  dafür  war  denn  doch  der  innerste  Gegensatz  zwischen 
dem  christlichen  und  heidnischen  Priestertum ,  dem  lautern  christlichen  und  dem 
orgienvollen  heidnischen  Kultus  allzu  groß.  Wie  wenig  in  der  Tat  bei  den  infulae 
Tertullians  an  Kopfbinden  zu  denken  ist,  beweist  des  Afrikaners  Schrift  De  Corona, 
in  welcher  dieser  jeden  kranzartigen  Kopfschmuck,  bestehe  er  aus  Laub,  Gold  oder 
Binden,  als  heidnischen  Greuel  brandmarkt  und  bei  Christen  ganz  allgemein  mit  aller 
Entschiedenheit  verwirft 5. 

Auch  in  den  beim  ersten  Anblick  so  frappierenden  Worten  des  hl.  Paulin  von 
Nola  im  vierten  Natalitium  auf  den  hl.  Felix: 

Quod    quia   perspicua  meriti  virtute  gerebat 
Iure  sacerdotis  veneranda  insignia  nanctus 
Mente   loco    digna  meritum    decorat   honore. 
Sed  ne  sola  sacrum  caput  infula  comeret  illi, 
Exstitit  et  potior  geminandae  causa  coronae  6. 


1  S.  oben  S.  426  ff.  "  C.  12  (M.  2,  997). 

2  Ep.29adAdvent.ep.Metens.(M.126,187).  5  C.  9  10  12  13  14  15  (ebd.  108  110  114 

3  Wenn  Bock  (II 155)  angibt,  in  Älfriks,  115  118  121).  Vgl.  namentlich  c.  9:  Quis 
Erzbischpfs  von  Canterbury  (t  1005),  Glossar  .  .  .  episcopus  videtur  coronatus.  Unter  co- 
werde  infula  als  bischöfliches  Kopftuch ,  in-  rona  verstellt  aber  Tertullian  nicht  bloß  die 
fula  =  biscop  heafod  lin,  erklärt,  so  ist  das  aus  Blumen  oder  Laub  gemachten  Kränze, 
unzutreffend.  Älfriks  angelsächsisches  Glos-  sondern  Kopfbinden  aller  Art  (c.  7  15  [ebd. 
sar  (ed.  Zupitza,  Berlin  1880)    kennt  das  104  121]). 

Wort  infula  nicht.  G  Poema  15,  v.  111  ff  (M.  61,  471). 


446     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

sind  insignia  wie  infulae  lediglich  metaphorisch  von  der  Würde  und  der  Auszeichnung, 
welche  das  Priestertum  verleiht,  zu  verstehen.  Deutlicher  tritt  der  bildliche  Charakter 
der  Ausdrucksweise  im  13.  Natalitium  auf  den  hl.  Felix  zu  Tage,  wenn  es  darin  heißt: 

Non  defraudatus  a  Corona  martyris, 
Quia  passionis  mente  votum  gesserat  .  .  . 
Sed  praeparata  mente  contentus  Deus 
Servavit  illum,  non  coronam  martyris 
Negans,  sed  addens  et  coronam  antistitis  .  .  . 
Ut  incruento  palmam  adeptus  proelio 
Et  proeliati  possideret  praemium 
Confessionis  purpurante  laurea 
Vittaque  pacis   in  sacerdotis  stola 
Redimitus  idem  bis  coronatus  foret 
Confessor  atque  presbyter  Felix  '. 

Felix  erscheint  hier  mit  doppelter  Krone  ausgezeichnet,  mit  der  Friedensbinde  in 
Gestalt  der  Priestergewandung  und  dem  purpurstrahlenden  Lorbeerkranz  des  Martyriums. 

Um  die  Sprech-  und  Darstellungsweise  Paulins  richtig  würdigen  und  verstehen 
zu  können,  muß  man  die  Zeit,  in  welcher  er  schrieb,  und  die  literarischen  Gepflogen- 
heiten derselben  vor  Augen  halten. 

In  beiden  Natalitien  handelt  es  sich  nicht  um  eine  bloß  dichterisch  gehohene 
Darstellung,  sondern  geradezu  um  Wendungen,  welche  dem  klassisch-heidnischen  Sprach- 
schatz  entnommen  sind.  Paulin  hat  christliche  Gedanken  in  klassische  Formen  ge- 
gossen, christliche  Ideen  in  die  landläufige,  auf  heidnischer  Grundlage  aufgebaute 
Bildersprache  der  absterbenden  Latinität  seiner  Zeit  eingekleidet.  Das  Gegenstück 
zu  den  angeführten  Stellen  aus  den  Hymnen  auf  den  hl.  Felix  bildet  der  Schluß  eines 
Briefes,  den  Paulin  an  den  Bischof  Victricius  von  Kouen  schrieb  -.  Jeder  vielleicht 
noch  bestehende  Zweifel  an  dem  metaphorischen  Charakter  der  Ausdrucksweise  in  den 
Hymnen  muß  sofort  verschwinden,  wenn  man  den  Schlußpassus  dieses  Schreibens 
durchliest.  Wie  die  Worte  der  Hymnen  in  schlichte  Prosa  wiedergegeben  lauten, 
zeigt  die  von  Marcellus  von  Nola  angefertigte  und  dem  Bischof  Leo  von  Nola  ge- 
widmete Prosaübertragung  derselben :  Et  ut  sacratissimum  caput  eius  duplex  gratiae 
coronae  praecingeret 3. 

Wie  kann  man  übrigens  auch  unter  der  infula  im  Hymnus  auf  den  hl.  Felix 
eine  die  priesterliche  Würde  des  Heiligen  kundtuende  sakrale  Kopfbinde  —  Felix  war 
nur  Presbyter  —  verstehen,  da  doch  auf  den  Monumenten  des  ganzen  ersten  Jahr- 
tausends keine  Spur  von  einer  solchen  wahrzunehmen  ist,  trotzdem  uns  auf  ihnen 
genug  Priester,  Bischöfe  und  Päpste  in  ihrer  gottesdienstlichen  Tracht  begegnen?  Wie 
kommt  das,  wenn  ein  infula  wirklich  Verwendung  fand '?  Oder  war  vielleicht  zur 
Zeit,  da  die  fragliehen  Bildwerke  entstanden,  die  fragliche  Kopfbinde  schon  wieder 
außer  Gebrauch  gekommen  ?  Allein  auf  welche  Gründe  stützt  sich  eine  solche  An- 
nahme? Ist  es  überhaupt  denkbar,  daß  ein  so  hochbedeutsames  Ornatstück  wie  die 
infula,  das  angebliche  Symbol  und  Abzeichen  der  bischöflichen  und  priesterlichen 
Würde,  in  so  kurzer  Frist  —  denn  die  hier  in  Betracht  kommenden  Monumente  reichen 
bis  ins  6.,  ja  5.  Jahrhundert  zurück  —  und  in  so  gründlicher  Weise  aus  dem  Kult  aus- 
zuscheiden vermochte?  Was  konnte  Ursache  und  Veranlassung  sein,  ein  so  bezeich- 
nendes Ornatstück  wieder  abzuschaffen?  Heißt  eine  solche  Annahme  zudem  nicht  voll- 
ständig die  Entwicklung  verkennen,  welche  die  liturgische  Gewandung  bis  zur  Wende  des 


1  Poema  21,  v.  152  ff  (ebd.  578).  3  C.  1,  n.  4  (A.  SS.  Ian.  14;  II  229).    Wel- 

2  Ep.  18,  n.  10  (M.  61,  242):  Memineris  cliem  Bischof  Leo  Marcellus  die  Schrift 
quaeso  te  nostri  in  illa  die,  qua  ad  te  innumera  widmete,  ist  unklar,  da  es  mehrere  No- 
meritorum  tuorum  cohorte  comitatum  orna-  laner  Bischöfe  dieses  Namens  gegeben  hat. 
mentisque  felicibus  comtum  et  infulis  pariter  Gregor  von  Tours  übersetzt  in  seiner  Vita 
et  adoreis  coronatum  et  niveas  sacratorum  an-  des  hl.  Felix  n.  1  (ebd.  223)  die  Worte 
tistitum  vittas  et  floridas  confessorum  purpu-  Paulins  mit :  presbyteri  honore  praedi- 
ras  occurrentium  manus  afferrent  angelorum.  tus. 


Drittes  Kapitel     Die  Mitra. 


447 


Jahrtausends  nahm?  Wo  und  wann  findet  sich  in  dieser  Periode  eine  Spur  von  der 
völligen  Darangäbe  irgend  eines  Bestandteiles  der  sakralen  Tracht?  Geht  nicht  viel- 
mehr in  ihr  alle  Tendenz  nachhaltig  auf  weitere  Ausbildung  und  Vermehrung  der 
liturgischen  Gewandung  hinaus? 

Als  letzten  Beweis  hat  man  verschiedene  Bullen  aus  dem  ersten  Jahrtausend 
angeführt,  in  welchen  gewissen  Prälaten  das  Becht  verliehen  wird,  sich  der  Mitra 
zu  bedienen.  In  einer  gewährt  Johannes  XV.  (993)  dem  Abt  von  Braunau  \  in  einer 
zweiten  Johannes  XIII.  (966)  dem  Abt  von  S.  Bartolomeo  (Diözese  Perrara)  -,  in  einer 
dritten  Sergrus  II.  (846)  dem  Erzbischof  Ansgar  von  Hamburg3,  in  zwei  andern 
Gregor  IL  (729)  dem  Abt  Basinus  von  St  Maximin  zu  Trier  *  und  Theodor  I.  (643) 
dem  Abt  von  Bobbio  dieses  Privileg  5.  Wir  können  über  alle  diese  Dokumente  kurzer- 
hand hinweggehen.  Die  Bulle  Johannes'  XV.  ist  interpoliert ,  alle  andern  sind 
zweifellos  Fälschungen  G. 

Wir  haben  uns  mit  Absicht  auf  die  Frage  nach  dem  Alter  der  bischöflichen 
Kopfbedeckung  aufs  eingehendste  eingelassen.  Wir  glaubten  zur  Klarstellung  der 
Sache  keiner  Schwierigkeit  aus  dem  Wege  gehen,  keinen  irgendwie  belangreicheren 
Einwand  unbeach- 
tet und  unbeleuch- 
tet lassen  zu  sollen. 
Es  kann  ja  unmög- 
lich die  einfache 
Versicherung  be- 
friedigen ,  daß  es 
in  älterer  Zeit  noch 
keinerlei  liturgi- 
schenKopfschmuck 
gegeben  habe.  Es 
muß ,  wenn  eine 
solche  Behauptung 
wissenschaftlichen 
Wert  haben  soll, 
auch  der  Nachweis 
für  sie  geliefert 
werden.  Einegründ- 
liche Untersuchung 
schien  aber  um  so 

mehr  angebracht,  als  die  Fabel  von  einer  altchristlichen  liturgischen  Kopfbinde  hie 
und  da  noch  immer  ihre  Vertreter  findet7. 


Bild  214.     Segnung  des  Taufwassers.     Miniatur  eines  Taufrotels. 

Bari,  Dom. 


Die   erste   zuverlässige  Nachri 
Leos  IX.  (1049—1054).     Eberhard 
gleitet.     Dort  bestätigte  der  Papst 
kirche   den  Primat   der  Trierischen 
von  Toul   gewesen   war.     Zugleich 
primatus  die  mitra  romana  mit  der 
Nachfolger  sollten  sich  ihrer  bei  den 


cht  über  die  Mitra  bringt  das  Pontitikat 
von  Trier  hatte  letzteren  nach  Eom  be- 
am  Passionssonntag  1049  in  der  Peters- 
Kirche,  deren  Suffragan  Leo  als  Bischof 
setzte  er  Eberhard  pro  investitura  ipsius 
Bemerkung  auf  das  Haupt,  er  und  seine 
kirchlichen  Verrichtungen  (in  ecclesiastico 


Ebd.  n.  3711. 
4  Ebd.  n.  2179. 


1  J.  n.  3849. 

3  Ebd.  n.  2588. 

5  Ebd.  n.  2053. 

c  Über  die  Bulle  Johannes'  XV.  s.  oben 
S.  368.  Bezüglich  der  übrigen  Urkunden 
vgl.  Pflugk-Harttung,  Acta  II,  n.  83; 
J.  n.  2053  2179  und  Bullar.  rora.  I  186. 

7  Vgl.  Rom.  Quartalschrift  XIV  46  ff 
(H.   Swoboda,    Zwei  Infula    aus   altchrist- 


licher Zeit).  Wir  ziehen  es  vor,  statt  den 
Weg  luftiger  Hypothesen  zu  ziehen,  uns  an  die 
Straße  der  nüchternen  Tatsachen  zu  halten; 
denn  nur  auf  ihr  ist  für  die  archäologische 
Wissenschaft  wirklich  Förderung  zu  erhoffen. 
Vgl.  ferner  ebd.  XIII  77  ff  (Wusch  er- 
B  e  c  ch  i ,  Ursprung  der  päpstl.  Tiara  und  der 
bischöfl.  Mitra,  und  noch  J.  Küsters,  Studien 
zu  Mabillous  Ordines,  Münster  1905,  35). 


448      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

officio)  nach  römischer  Sitte  bedienen  und  sich  dabei  allzeit  erinnern,  daß 
sie  Schüler  des  Apostolischen  Stuhles  seien.  Eine  auf  der  Ostersynode  des- 
selben Jahres  ausgestellte  Bulle  bekräftigte  das  Geschehene1. 

Die  Bulle  ist  nach  einer  dreifachen  Richtung  von  großer  Bedeutung. 
Sie  beweist  zunächst,  daß  es  zu  Leos  IX.  Zeit  bereits  eine  liturgische  Mitra 
gab,  dann,  daß  die  Verleihung  derselben  noch  eine  durchaus  außerordentliche 
Auszeichnung  bildete,  und  drittens,  daß  das  Ornatstück  um  die  Mitte  des 
11.  Jahrhunderts  schon  eine  Weile  zu  Rom  in  Gebrauch  gewesen  sein  muß, 
da  sonst  Leo  IX.  schwerlich  Erzbischof  Eberhard  mit  der  Mitra  begnadet 
hätte.  Die  älteste  bildliche  Darstellung  der  Mitra  findet  sich  auf  einem  im 
Beginn  des  13.  Jahrhunderts  entstandenen  Exultetrotel  und  einem  gleich- 
zeitigen Taufrotel  der  Kathedrale  von  Bari2  (Bild  214,  S.  447).  Auf  den  Monu- 
menten kommt  sonach  das  Ornatstück  einige  Jahrzehnte  eher  vor  als  in  den 
schriftlichen  Quellen.  Die  Miniatur,  welche  übrigens  für  längere  Zeit  durchaus 
vereinzelt  bleibt,  bekundet,  daß  in  Süditalien  die  Mitra  bei  einzelnen  Bi- 
schöfen schon  in  der  Frühe  des  11.  Jahrhunderts  Verwendung  fand.  Daß  sie 
hier  indessen  damals  noch  nicht  allgemein  getragen  wurde,  darauf  läßt  der 
Umstand  schließen,  daß  sie  nur  auf  dem  Rotel  von  Bari  auftritt,  nicht  aber 
auf  andern  Rotein  des  11.  Jahrhunderts. 


IV.    WEITERE   VERLEIHUNGEN    UNTER    LEO    IX.     DIE   MITRA   WIRD 

BISCHÖFLICHER  ORNAT. 

Der  Verleihung  der  pontifikalen  Kopfbedeckung  an  Eberhard  von  Trier 
folgen  noch  unter  Leo  IX.  einige  weitere.  Im  Jahre  1051  gestattet  der  Papst 
in  einem  Schreiben  an  den  Erzbischof  Hugo  von  Besancon  den  sieben  Kar- 
dinälen der  dortigen  Kathedrale,  die  Mitra  zu  tragen,  wenn  sie  an  den  Festen 
des  Herrn,  der  Mutter  Gottes,  des  Erzengels  Michael,  der  Apostel,  des  Erz- 
märtyrers Stephanus  und  einiger  sonstigen  Heiligen  sowie  am  Allerheiligen- 
und  Kirchweihtag  an  dem  von  ihm  selbst  am  3.  Oktober  1050  geweihten 
Hochaltar  als  Celebrans,  Diakon  und  Subdiakon  amtierten3.  Im  folgenden 
Jahre  gewährt  er  den  Gebrauch  der  pontifikalen  Kopfbedeckung,  die  hier 
cuphia  genannt  wird,  dem  Erzbischof  Liuthbald  von  Mainz4.  Um  dieselbe 
Zeit  verlieh  er  dem  Bischof  Hartwig  von  Bamberg  für  dessen  Domkirche, 
in  welcher  der  Leichnam  seines  Vorgängers  Klemens  III.  (1046 — 1047)  seine 
letzte  Ruhestätte  gefunden,  ein  ähnliches  Privileg,  wie  es  Hugo  von  Besancon 
von  ihm  für  seine  Kathedrale  erhalten  hatte5.  Im  Jahre  1053  endlich  gestand 
Leo  dem  Erzbischof  Adalbert  von  Hamburg  das  Recht  zu,  sein  Haupt  mit  der 
mitra,  quod  est  insigne  Romanorum,  zu  schmücken6. 

Auch  in  der  Folge  ist  noch  häufig  von  einer  Erteilung  des  Privilegs,  sich 
der  Mitra  bedienen  zu  dürfen,  die  Rede.    Der  Fälle,  in  welchen  es  Bischöfen 


1  J.  n.  4158.  Alexander  II.  verlieh  (ebd. 
n.  4667)  1069  dem  Abt  Reinbert  von  Echter- 
nach  auf  die  Fürbitte  des  Trierer  Erzbischofs 
Udo  außer  andern  Pontifikalien  auch  die 
Mitra.  Hätte  letzterer  selbst  noch  nicht  den 
usus  mitrae  besessen,  so  würde  er  sich  für 
Pteinbert  wohl  nicht  wegen  desselben  beim 
Papst  verwendet  haben.  Es  muß  also  wirk- 
lich damals  schon  der  Erzbischof  von  Trier 
das  Recht  erhalten  haben,  sich  der  Mitra  zu 
bedienen. 


2  Abbildung  der  Miniatur  des  Exultetrotels 
bei  Berteaux,  L'art  dans  l'Italie  meridio- 
nale  I,  Paris  1904.  Ebendort  auch  Wieder- 
gabe der  Miniatur  der  Taufrotels,  beide  als 
Einschalttafeln. 

3  J.  n.  4249.  *  Ebd.  n.  4281. 

5  Ebd.  n.  4283. 

6  Ebd.  n.  4290.  Die  Bulle,  welche  früher 
als  echt  galt,  wird  übrigens  neuerdings  an- 
gezweifelt. Vgl.  ebd.  und  D  i  e  k  a  m  p  in 
Historisches  Jahrbuch  IV  364,  Anm.  1. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  449 

gegeben  wurde,  sind  allerdings  nur  einige  wenige  bekannt.  So  gewährte 
Viktor  IL  1055  dem  Erzbischof  Adalbert  von  Hamburg1,  Alexander  II. 
1063  dem  Bischof  Burchard  von  Halberstadt2  und  1064  dem  Bischof  Helisäus 
von  Mantua3,  Kalixtus  II.  1119  den  Bischöfen  Godebald  von  Utrecht4  und 
Dietrich  von  Naumburg5  den  usus  mitrae.  Indessen  kann  wohl  nicht  bezweifelt 
werden,  daß  auch  noch  andere  Fälle  von  Verleihungen  des  Ornatstückes  an 
Bischöfe  vorgekommen  sind.  Denn  wenn  Erzbischof  Anno  von  Köln  bei 
Alexander  II.  als  Fürsprecher  für  Bischof  Helisäus  von  Mantua  in  Sachen 
der  Mitra  auftritt,  muß  er  doch  selbst  bereits  im  Besitz  des  Privilegs 
gewesen  sein.  Und  wenn  Alexander  II.  1063  dem  Abt  Egelsinus  vom  Kloster 
des  hl.  Augustinus  zu  Canterbury  den  Gebrauch  der  pontifikalen  Kopfbedeckung 
gestattet6,  so  hatte  der  dortige  Erzbischof  sicher  schon  früher  dazu  die  Be- 
rechtigung erhalten.  Übrigens  kann  die  große  Verbreitung,  welche  die  Mitra 
bereits  in  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  bei  den  Bischöfen  gefunden 
hatte,  nicht  lediglich  in  Gnadenerweisen  des  Apostolischen  Stuhles  ihren  Grund 
haben.  Als  eine  Anzahl  von  Privilegien,  die  Mitra  zu  tragen,  an  Bischöfe 
erfolgt  waren,  scheint  das  Ornatstück  bald  schlechthin  den  Charakter  eines 
bischöflichen  Schmuckes  erhalten  zu  haben  und  von  den  Bischöfen  weiterhin 
ohne  besondere  Ermächtigung  seitens  des  Papstes,  wenngleich  nicht  ohne 
dessen  stillschweigende  Billigung,  angenommen  worden  zu  sein. 

Daß  Eom  jemals  gegen  ein  solches  Vorgehen  der  Bischöfe  eingeschritten  sei 
oder  selbiges  auch  nur  getadelt  habe,  davon  hören  wir  nie  etwas.  Die  Päpste  hatten 
ja  auch  um  so  weniger  Ursache  dazu,  weil  sie  nicht  bloß  durch  ihre  Verleihungen 
selbst  die  Veranlassung  gegeben  hatten,  daß  die  Mitra  bischofliche  Auszeichnung  ge- 
worden war,  sondern  auch  fortfuhren,  selbst  zahlreichen  Nichtbischöfen,  wenngleich 
mit  bestimmten  Beschränkungen,  den  usus  mitrae  zu  gewähren.  Den  Päpsten  konnte 
sogar  die  Annäherung  der  Bischöfe  an  den  römischen  Brauch  nur  willkommen  sein, 
da  die  schweren  Kämpfe,  welche  sie  in  jenen  Tagen  für  die  Freiheit  der  Kirche,  die 
Hebung  der  Kirchenzucht  sowie  die  Besserung  des  sittlichen  und  religiösen  Verhaltens 
der  Kirchendiener  wie  der  Gläubigen  führten,  eine  möglichst  innige  Verbindung  der 
Oberhirten  der  einzelnen  Diözesen  mit  Rom  sehr  wünschenswert,  ja  notwendig  machte. 
Von  einer  Erteilung  des  Vorrechts,  die  Mitra  zu  tragen,  an  die  Bischöfe  im  allgemeinen 
ist  nichts  bekannt. 

Bis  zur  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  hatte  die  Mitra  als  sakrale  Kopf- 
bedeckung bei  den  Bischöfen  bereits  allgemeine  Aufnahme  gefunden. 

In  Italien  rechnet  Bruno  von  Segni  (f  1123) 7,  in  Irland  Gilbert  von 
Limerick  (f  1139)  sie  zu  den  bischöflichen  Kultgewändern;  in  Frankreich 
tun  das  gleiche  die  Verfasser  des  Tractatus  de  sacramento  altaris  und  des 
Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  sowie  Ivo  von  Chartres,  in  Deutschland  Honorius 
(f  ca  1150).  Ebenso  zählt  der  hl.  Bernhard  die  Mitra  schlechthin  zur  bischöf- 
lichen Tracht,  wenn  er  in  seinem  Schreiben  an  den  Erzbischof  Heinrich  von 
Sens  ca  1126  diejenigen  Äbte  ernst  tadelt,  welche  sich  unter  vieler  Mühe 
und   hohem  Preis   das  Privilegium   verschafften,    die    insignia    pontificalia   zu 


1  J.  n.4339.  Auch  die  Echtheit  dieser  Bulle  5  Ebd.  n.  6766.    L  e  p  s  i  u  s ,  Geschichte  der 
wurde   jüngst  in  Zweifel  gezogen,  wohl  mit  Bischöfe  des  Hochstiftes  Naumburg  I  241. 
Unrecht.  G  J.  n.  4541. 

2  Ebd.  n.  4498.  '  Daß  zu  Mailand  die  Mitra  im  Beginn  des 

3  Ebd.  n.  4553.  12.  Jahrhunderts  zur  Pontiflkalkleidung   ge- 

4  Ebd.  n.  6762.  Godebald  war  Bischof,  hörte,  erfahren  wir  von  Beroldus  (Muratori, 
nicht  bloß  Priester,  wie  es  Realenc.  II  214  Antiq.  ital.  IV,  Mediol.  1741,  864 ;  vgl.  M  agi- 
heißt.  stretti  69,  nota  6). 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  29 


450     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


tragen,  und  more  pontificum  Mitra,  Ring  und  Sandalen  gebrauchten1. 
Daß  aber  auch  zu  Rom  schon  die  Mitra  als  allgemein  bischöfliches  Ornatstück 
galt,  beweist  beispielsweise  die  Bulle,  in  welcher  Innozenz  II.  (ca  1139)  dem 
Propst  von  Masio  verbietet,  sich  in  Zukunft  der  Mitra,  des  Ringes  und 
anderer  bischöflicher  Abzeichen,  welche  sich  derselbe  angemaßt 
hatte,  zu  bedienen 2. 

Wenn  Rupert  von  Deutz  in  seinem  um  1100  zu  Lüttich  verfaßten  Werke 
De  divinis  officiis  der  bischöflichen  Kopfbedeckung  noch  keine  Erwähnung  tut, 
so  mag  das  daran  liegen,  daß  diese  damals  bei  dem  Bischof  von  Lüttich  noch 
nicht  in  Gebrauch  war.  Erhielt  doch  erst  1119  der  Bischof  von  Utrecht  das 
Recht,  die  Mitra  zu  tragen.  Zu  Köln  finden  wir  die  Mitra  auf  einer  Miniatur 
mit  dem  Bilde  des  Kölner  Erzbischofs  Friedrich  (1100 — 1131)  in  der  für 
diesen  im  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  angefertigten  Abschrift  der  Briefe 
des  hl.  Hieronymus  (Bild  215) 3. 

Die  Bildwerke  aus  dem 
11.  Jahrhundert,  aufweichen  die 
Mitra  auftritt,  sind  sehr  gering 
an  Zahl.  Es  sind  außer  den  schon 
erwähnten  Miniaturen  des  Ex- 
sultet-  und  des  Taufrotels  von 
Bari  die  Fresken  in  der  Unter- 
kirche von  S.  demente  zu  Rom  i, 
eine  Miniatur  einer  süditalischen 
Kanonessammlung  der  Vaticana5 
(Bild  216) ,  sowie  die  Dar- 
stellung des  hl.  Gregor  in  dem 
Pontifikale  Cotton.  Claudius  A.  III 
der  Bibliothek  des  Britischen 
Museums  6. 

Echte  Siegel  aus  der  zwei- 
ten Hälfte  des  11.  Jahrhunderts, 
auf  denen  uns  bereits  die  Mitra 
begegnet,  sind  uns  bislang  nicht 
zu  Gesicht  gekommen7.  Bis  1100  sind  die  Bischöfe  auf  ihren  Siegeln  regel- 
mäßig entblößten  Hauptes  dargestellt,  begreiflich,  weil  die  Mitra  erst  im  Be- 
griff stand,  sich  als  Bestandteil  der  Pontifikalkleidung  einzubürgern. 


Bild  215.     Erzbischof  Friedrich  von  Köln. 
Miniatur  einer  Sammlung  der  Hieronymusbriefe. 

Köln,  Dombibliotliek. 


1  C.  9,  n.  36  (M.  182,  832).  2  J.  n.  8068. 

3  Bibliothek  des  Domkapitels  L1X. 

4  Die  Fresken  sind  entstanden  vor  1084,  da 
in  diesem  Jahr  die  jetzige  Unterkirche,  da- 
mals Oberkirche,  bei  der  Verwüstung  Roms 
durch  die  Normannen  zerstört  wurde. 

5  Cod.  lat.  1339. 

6  Ob  im  Gundekarpontifikale  die  Kopfbe- 
deckung Gebhards  I.  von  Eichstätt,  des  späteren 
Papstes  Viktor  II.  (f  1057),  dasregnum  (Tiara) 
oder  die  Mitra  darstellen   soll,   ist   unsicher. 

'  Rohaalt  deFleury  gibt  ein  Siegel 
Herimanns  von  Metz  (1073—1090)  wieder, 
auf  welchem  schon  eine  Mitra  auftritt.  Die 
Abbildung  ist  nach  einem  alten  Abdruck  an- 
gefertigt, welchen  die  Mönche  von  St  Felix, 


verstehen  wir  Rohault  de  Fleury  recht,  nach 
dem  Original  für  eine  Abschrift  der  Original- 
urkunde hergestellt  haben  sollen  (VIII, 
pl.  dcliv  und  p.  117).  Das  Siegel  ist  unecht. 
Schon  die  Form ,  welche  die  Mitra  auf  dem 
angeblichen  Siegel  Herimanns  besitzt ,  be- 
weist das.  Es  ist  die  Form,  welche  erst 
gegen  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  in  Ge- 
brauch kommt.  Auch  die  Angabe  Rohaults 
(p.  118),  das  Siegel  Lamberts  von  Arras  vom 
Jahr  1097  und  dessen  Nachfolgers  Robert 
weise  bereits  die  Mitra  auf,  ist  irrig.  Vgl. 
Demay,  Inventaire  de  sceaux  de  laFlandre, 
Paris  1873,  II  108.  Auf  den  älteren  Siegeln 
täuscht  leicht  die  ungeschickte  Darstellung 
der  Tonsur  und  der  Haarkroue. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


451 


Seit  Beginn  des  12.  Jahrhunderts,  zumal  aber  seit  der  Mitte  desselben, 
ist  die  Mitra  auf  den  Bildwerken  nicht  mehr  selten.  Insbesondere  erscheinen 
nunmehr  auch  die  Bischöfe  auf  ihren  Siegeln  immer  häufiger  mit  der  Mitra; 
um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  sind  sie  auf  diesen  schon  sehr  gewöhnlich 
mit  dem  pontifikalen  Kopfschmuck  ausgestattet  dargestellt. 

Auf  den  französischen  Bischofssiegeln  kommt  die  Mitra  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  des  öfteren  vor1.  Auch  die  englischen  Siegel  jener  Zeit 
kennen  sie  bereits  2.  In  Deutschland  tritt  sie  auf  den  Bischofssiegeln  im  allgemeinen 
etwas  später  auf,  als  es  in  Frankreich  und  England  der  Fall  ist.  Von  den  Mainzer 
Erzbischöfen  hat  auf  seinem  Siegel  zuerst  Arnold  (1153 — 1160)  das  Ornatstück3. 
Auf  Münsterischen  Bischofssiegeln  finden  wir  die  Mitra  bereits  bei  Ludwig  (1169  bis 
1173) ',  auf  den  Paderborner  dagegen  erst  bei  Bernhard  II.  (1186 — 1203);  auf  den 
Osnabrücker  scheint  zuerst  Gerhard  (1192 — 1216)  sie  zu  tragen.  In  Hildesheim  weist 
schon  das  Siegel  des  Abtes  Friedrich  von  St  Godehard,  welcher  1136  sein  Amt  antrat, 
den  bischöflichen  Kopfschmuck  bei  St  Godehard,  der  Friedrich  den  Stab  überreicht, 
auf.  Auf  den  Kölner  Siegeln  begegnet  uns  die  Mitra  zuerst  bei  Erzbischof  Arnold  II. 
(1151 — 1156),  auf  Hildesheimer  Bischofssiegeln  schon  wenigstens  bei  Bruno  (1153 
bis  1162).     Auf  den  Salzburger  Bischofssiegeln  ist  Eberhard  (1147 — 1164)  der  erste, 


Bild  216.     Die  Bischüfe  Felicias,  Faustmus  und  Johannes. 
Miniatur  einer  Kanonessammlung.     Rom,  Vatikan. 


bei  welchem  sie  vorkommt,  auf  den  Würzburger  Siegfried  von  Quernfurt  (1146 — 1151), 
auf  den  Bamberger  Egilbert  (1139—1146).  Auf  den  Begensburger  Siegeln  scheint 
sie  erst  bei  Hartwich  (1155 — 1164)  oder  doch  frühestens  bei  dessen  Vorgänger  auf- 
zutreten 5. 

In    der    zweiten   Hälfte    des    12.  Jahrhunderts   war   die   Mitra   bei   den 
Bischöfen   allgemein   in  Gebrauch   und   ein   fester  Bestandteil   der  Pontifikal- 


1  Vgl.  die  Siegel  bei  R  o  h.  auf  den  Tafeln 
des  VII.  und  VIII.  Bandes ,  besonders  VIII, 
pl  dcliv  ff  und  die  freilich  nicht  ganz  korrekte 
Tabelle  p.  123;  ferner  Louis  Blancard, 
Iconographie  des  sceaux  et  bulles  conserv^es 
dans  la  partie  anterieure  ä  1790  des  Archives 
Departementales  des  Bouches-du-Rh6ne,  Mar- 
seille 1860,  122  ff  und  pl.  38  ff  und  Demay 
a.  a.  0.  II  108  ff. 

s  Roh.   VII,   pl.  DXCVIIl  DXCIX. 

3  Würdtwein,  Nova  subsid.  dipl.  II, 
tab.  13. 

4  Ob  auch  schon  das  Siegel  Werners  (1132 
bis  1151)  und  Friedrichs  I.  (1152—1168)  die 
Mitra  aufweist,  ist  nicht  klar.  Die  Angaben 
bezüglich  der  Münsterischen,  Paderbornischen 
usw.    Siegel   beruhen    teils    auf  Abbildungen 


in  „Die  Westfäl.  Siegel  des  Mittelalters" 
Hft  1,  Abt.  1,  Münster  1882,  Tfl  2  ff  17: 
Hft  2,  Abt.  1,  Münster  1885,  Tfl  42  ff,  teils 
auf  Abdrücken  in  der  dem  Scriptorenhaus 
der  deutschen  Ordensprovinz  S.  J.  gehörigen 
Siegelsammlung. 

5  Für  die  Salzburger ,  Bamberger  und 
Regensburger  Siegel  sind  vornehmlich  die 
Siegelsammlungen  des  historischen  Vereins 
für  Niederbayern  zu  Regensburg  und  des 
kgl.  bayrischen  Reichsarchivs  zu  vergleichen, 
für  die  Würzburger  die  vorzügliche  Samm- 
lung des  historischen  Vereins  für  Unter- 
franken  zu  Würzburg  und  Heffner,  Würz- 
burgisch-Fränkische  Siegel  in  „Archiv  des 
historischen  Vereins  von  Unterfranken "  XXI, 
Hft  3,  S.  73  ff. 

29* 


452     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

kleidung.  Sie  erscheint  darum  auch  in  dieser  Zeit  bei  den  Liturgikern 
schlechthin  als  bischöfliches  Ornatstück.  Im  13.  Jahrhundert  wird  sie  sogar 
in  dem  Maße  als  ein  den  Bischöfen  von  Rechts  wegen  zustehender  Kopfschmuck 
angesehen,  daß  Siegfried,  Erzbischof  von  Mainz  (1230 — 1249),  kein  Bedenken 
trägt,  aus  eigener  Macht  verschiedenen  Äbten  den  usus  mitrae  zu  gestatten. 
Er  erteilte  dies  Privileg  1238  dem  Abt  von  Oldisleben,  1240  dem  Abt  von 
St  Johannes  zu  Bischofsberg  (jetzt  Johannisberg)  und  1241  dem  Abt  von 
Marienmünster1.  Schon  Erzbischof  Konrad  hatte  1194  dem  Abt  Dietmar  von 
St  Peter  zu  Erfurt  den  Gebrauch  der  Mitra  für  den  Gottesdienst  an  den  Haupt- 
festtagen und  für  den  Empfang  des  Kaisers  und  sonstiger  hohen  Persönlich- 
keiten gewährt,  jedoch,  wie  es  in  dem  betreffenden  Dokument  ausdrücklich 
heißt,  ex  auctoritate  Domni  apostolici,  cuius  legatione  fungimur2. 

V.    DIE  MITRA  BEI   KANONIKERN,  BEI  ÄBTEN   UND  BEI  DEN 

KARDINÄLEN. 

Es  wurde  schon  erwähnt,  daß  Leo  IX.  bestimmten  Kanonikern  der 
Kathedralen  von  Bamberg  und  Besancon  die  Erlaubnis  erteilt  habe,  an  ge- 
wissen Tagen  beim  Gottesdienst  die  Mitra  zu  tragen.  In  der  Folge  wird 
dieses  Vorrecht  noch  für  manch  andere  Dom-  und  Stiftskirchen  gewährt. 
Hier  genüge  es,  auf  einige  Verleihungen  hinzuweisen,  welche  noch  dem  IL, 
12.  und  13.  Jahrhundert  angehören. 

Im  Jahre  1063  gestand  Alexander  IL  die  Mitra  den  hervorragenderen  Ca- 
nonici von  Halberstadt,  Priestern,  Diakonen  und  Subdiakonen  zu.  Doch  war  der 
Gebrauch  des  Ornatstückes  örtlich  auf  die  Kathedrale  und  zeitlich  auf  die  Festtage 
des  Herrn,  der  allerseligsten  Jungfrau,  des  hl.  Johannes  des  Täufers,  der  hll.  Johannes 
und  Paulus,  des  heiligen  Erzengels  Michael,  des  hl.  Stophanus,  der  heiligen  Apostel 
Petrus,  Paulus  und  Andreas,  den  Gründonnerstag,  Karsamstag,  Allerheiligen  und  das 
Kirchweihfest  beschränkt.  Außerdem  durften  die  Subdiakone  den  liturgischen  Kopf- 
schmuck nur  dann  tragen,  wenn  sie  in  dem  feierlichen  Amt  ministrierten  3.  Im  folgenden 
Jahre  erhielten  von  Alexander  IL  den  usus  mitrae  der  Archidiakon  und  der  Sub- 
archidiakon  von  Mantua 4.  Den  Dignitaren  des  Domkapitels  zu  Compostella  erlaubte 
1105  Paschalis  IL  den  Gebrauch  der  pontifikalen  Kopfbedeckung  5.  Dem  Kölner  Dom- 
kapitel wurde  das  Privileg  1152  unter  Erzbischof  Arnold  durch  Eugen  III.  zu  teil, 
jedoch  wurde  hier  die  Vergünstigung  auf  die  sieben  Kardinalpriester  beschränkt,  welche 
obendrein  die  Mitra  nur  an  Festtagen  beim  Hochamte  an  einem  der  beiden  Haupt- 
altäre des  alten  Domes  tragen  durften0.  Alexander  III.  (1159 — 1181)  soll  den 
liturgischen  Kopfschmuck  dem  Primicerius  der  St  Markusbasilika  in  Venedig  verliehen 
haben7.  Honorius  III.  erlaubte  1217  den  usus  mitrae  dem  Dechanten,  dem  Archi- 
diakon und  andern  Dignitaren  des  Kapitels  von  Toledo,  im  Falle  der  Erzbischof 
feierlich  mit  dem  Pallium  zelebrierte8,  Innozenz  IV.  (1244)  dem  Dekan  des  Domes 
zu  Mainz  und  seinen  Kachfolgern 9. 

Wie  sich  aus  den  angeführten  Beispielen  ergibt,  pflegte,  gerade  wie 
später,    so    schon    gleich    von  Anfang   an   die  Erteilung   des   usus   mitrae  an 


1  Würdtwein,    Nova   subsid.    dipl.   III,  ist    die    fragliche    Bulle    eine    Fälschung    (J. 
pl.  xxxix.  n.  4753). 

2  Gudenus,  Codex  diplomat.  I  324.  <  J.  n.  4553.  5  Ebd.  n.  6042. 
8  J.  n.  4498.     Ein   ähnliches   Privileg  wie              e  Ebd.  n.  9515. 

den    Canonici    von   Halberstadt   soll  Alexan-  '  Bullet,  mon.  1866,   166. 

der    II.     (1062-1073)     auch     den     sieben  •  Mor.  XLV  279. 

Kardinälen   und    andern  Würdenträgern   des  9  G.  Chr.   Ioannis,    Rerum    Moguntiac. 

Prager    Domkapitels    gewährt    haben,    doch  1.5  de  Sigefrido  III.,  Frankfurt  1722,  p.  600. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


453 


Canonici  unter  verschiedenen  größeren  oder  geringeren  Einschränkungen  zu 
erfolgen.  Sie  sollten  diejenigen ,  welchen  jenes  Vorrecht  gegeben  wurde, 
daran  erinnern,  daß  sie  das  Ornatstück  nicht  trügen  kraft  eines  Rechtes, 
sondern  kraft  eines  bloßen  aus  Gnade  ihnen  gewährten  Privilegs. 

Äbten  soll  die  Mitra  schon  vor  dem  zweiten  Jahrtausend  verliehen 
worden  sein ;  doch  wurde  bereits  bemerkt,  daß  die  diesbezüglichen  Bullen  un- 
echt oder  interpoliert  sind.  Die  ersten  zuverlässigen  Nachrichten  über  die 
Erteilung  des  usus  mitrae  an  Abte  datieren  erst  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
11.  Jahrhunderts.  Den  Reigen  eröffnete  die  Bulle,  wodurch  Alexander  II. 
1063  dem  Abt  Egelsinus  vom  Kloster  des  hl.  Augustinus  zu  Canterbury  die 
Mitra  zu  teil  werden  läßt.  Sechs  Jahre  später  gewährt  derselbe  Papst  sie 
dem  Abt  Reinbert  von  Echternach1.  Dann  reiht  sich  unter  den  folgenden 
Päpsten  eine  Mitraverleihung  für  Äbte  an  die  andere. 

Von  Gregor  VII.  empfängt  das  Privileg,  sich  der  bischöflichen  Hauptbedeckung 
zu  bedienen,  1078  Manasses,  Abt  von  Bergues2;  von  Urban  II.  1088  Hugo  von 
Cluny3  und  1097  Oderisius  von  Monte  Cassino4;  von  Paschalis  IL  1105  Anselm 
von  S.  Pietro  in  Cielo  d'Oro  zu  Pavia 5,  1109  Pontius  von  Cluny  B,  1114  der  Abt 
von  Chiusa  S.  Michele  (Diözese  Turin)7,  1113  Johannes  von  Nonantola  (bei  Mo- 
dena)8;  von  Honorius  II.  1125  Tribunus  von  S.  Giorgio  Maggiore  zu  Venedig9; 
von  dem  Gegenpapste  Anakletus  II.  1130  Simon  von  Rastede  (Oldenburg)10  und 
ca  1133  Pranco  von  S.  Sophia  zu  Benevent11;  von  Eugen  III.  1151  Marcuardus 
von  Fulda  1J;  von  Anastasius  IV.  1153  der  Abt  von  S.  Salvatore  zu  Montamiata 
(Diözese  Chiusi)u;  von  Alexander  III.  1159  Reinald  von  Monte  Cassino14,  1176 
der  Abt  des  von  Wilhelm  IL  gegründeten  Klosters  Monreale  auf  Sizilien15,  1160  bis 
1178  der  Abt  von  St-Gilles  (Departement  Gard)1G;  1168—1170  der  Prior  Vivianus 
von  S.  Salvatore  zu  Venedig  ",  1171 — 1181  Peter  von  S.  Severino  e  Sosio  (Neapel) ls; 
von  Klemens  III.  1188  der  Abt  Herold  von  St  Stephan  zu  Würzburg19  und  1189 
Abt  Joel  von  S.  demente  zu  Pescara  (Diözese  Penne)2";  von  Cölestin  III.  1192  der 
Abt  von  S.  Siro  (Genua)21,  1193  Abt  Dietrich  von  St  Michael  zu  Hildesheim22,  1194 
Abt  Johannes  von  S.  Pietro  zu  Casamagna  (Diözese  Anagni)23,  1196  Rudolf  von 
Fecamp  -*,  1197  Burchard  von  Ebersberg  (Diözese  Freising,  auf  Bitten  des  Erzbischofs 
Konrad  von  Mainz)25  und  Heinrich  von  Kempten  (Diözese  Konstanz)26. 

Die  Zahl  der  Mitra  Verleihungen,  welche  von  der  Mitte  des  11.  bis  gegen 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  an  Äbte  erfolgten,  ist,  wie  man  sieht,  nicht  gering, 
und  doch  werden  die  angeführten  Beispiele  nur  einen  Bruchteil  aller  in  jener 
Zeit  wirklich  erfolgten  derartigen  Zuwendungen  darstellen. 

Vielfach  hatte  das  Privileg  seinen  Grund  in  den  Verdiensten,  welche 
sich  ein  Abt  oder  ein  Kloster  durch  seine  Ergebenheit,  seinen  Eifer  und  seine 
Treue  um  die  Kirche  und  den  Apostolischen  Stuhl  erworben  hatte 27.  Doch 
entsprang  es  auch  wohl  dem  Verlangen  der  Päpste,  die  vielfach  sehr  einfluß- 


1  J.  n.  4667.  -  Ebd.  n.  5090. 

3  Ebd.  n.  5372. 

4  Ebd.  n.  5681.  Von  Urban  II.  erhielt  auch 
Petrus,  Abt  von  La  Cava,  die  Mitra.  Vgl.  Vita 
S.  Petri  Cavens.  c.  3,  n. 25  (A. SS. 4. Mark,  1 332). 

6  J.  n.  6011.  "  Ebd.  n.  6242. 

7  Ebd.  n.  6385.  8  Ebd.  n.  6354. 
9  Ebd.  n.  7211.           10  Ebd.  n.  8372. 

11  Ebd.  n.  8428.  12  Ebd.  n.  9439. 

13  Ebd.  n.  9748.  ,4  Ebd.  n.  10  594. 

15  Ebd.  n.  12683.         16  Ebd.  n.  12  969. 
17  Ebd.     n.     11     693.       Zur     selben     Zeit 
verlieh     Alexander      auch     Marin     von     La 


Cava     (Diözese    Salerno)     die    Mitra     (ebd. 
n.  11591). 

18  Ebd.  n.  14  292.  19  Ebd.  n.  16  323. 

20  Ebd.  n.  16417.  21  Ebd.  n.  16  839. 

22  Ebd.  n.  16  948.  23  Ebd.  n.  17  073. 

24  Ebd.  n.  17  418.  25  Ebd.  n.  17  487. 

26  Ebd.  n.  17  536.  Cölestin  gewährt  1194 
die  Mitra  dem  Abt  Walter  von  S.  Bar- 
tolomeo  zu  Carpineto ,  Diözese  Penne  (ebd. 
17  147). 

27  Vgl.  besonders  die  Bulle  Paschalis'  IL 
für  Chiusa  S.  Michele  (Pflugk-Harttung, 
Acta  II  207). 


454     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


reichen  Abte  im  Interesse  der  kirchlichen  Wohlfahrt  sich  enger  zu  verbinden. 
Eximierten,  d.  i.  unmittelbar  unter  dem  Apostolischen  Stuhl  stehenden  und 
der  Gewalt  der  Bischöfe  entzogenen  Äbten,  welche  für  den  Bereich  des 
Klosters  quasi-bischöflichen  Charakter  hatten,  wurde  die  Mitra  auch  wohl 
mit  Rücksicht  auf  diese  Exemtion  zu  teil.  Das  ist  in  einzelnen  Bullen  aus- 
drücklich ausgesprochen.  So  sagt  z.  B.  Cölestin  III.,  als  er  1194  dem  Abt 
Walter  von  S.  Bartolomeo  zu  Carpineto  das  Recht  zugestand,  wie  seine  Vor- 
gänger Krummstab,  Ring  und  Mitra  bei  der  Messe  und  den  Prozessionen  zu 
tragen,  die  römische  Kirche  sei  gewohnt,  die  Prälaten  derjenigen  Orte,  welche  un- 
mittelbar dem  Apostolischen  Stuhle  unterständen,  mit  vorzüglicheren  Insignien 
zu  ehren,  und  darum  wolle  er  nach  Weise  früherer  Päpste  Walter  die  ge- 
nannten bischöflichen  Abzeichen  gewähren  *. 

Indessen  hätten  die  Mitraverleihungen  an  Äbte  schwerlich  einen  so  großen 
Umfang  gewonnen,  wenn  letztere  weniger  darauf  ausgegangen  wären,  sich  mit  bischöf- 
lichem Glänze  zu  umgeben.  Die  Initiative  zur  Erteilung  des  Privilegs  dürfte  weit 
mehr  von  den  Äbten,  als  von  dem  Apostolischen  Stuhle  ausgegangen  sein.  Im  Hinblick 
auf  die  macht-  und  bedeutungsvolle  Stellung,  welche  viele  Klöster  einnahmen,  und 
namentlich  im  Hinblick  auf  die  Exemtion  von  der  bischöflichen  Gewalt,  wodurch 
manche  Äbte  zu  Quasibischöfen  wurden,  ist  solches  allerdings  sehr  begreiflieh,  doch 
fand  jenes  Streben  darum  nicht  auch  schon  den  ungeteilten  Beifall  der  Zeitgenossen. 
Zu  seinen  Gegnern  gehörte  namentlich  der  hl.  Bernhard,  mit  dessen  idealen  An- 
schauungen vom  Ordensleben  es  freilich  wenig  im  Einklang  stand.  Der  Heilige  scheut 
sich  nicht,  in  seinem  Schreiben  an  Bischof  Heinrich  von  Sens  über  die  Äbte,  deren 
Trachten  auf  die  Erlangung  der  Mitra  und  sonstiger  bischöflicher  Insignien  hinaus- 
ging, in  heiligem  Eifer  den  herbsten  Tadel  auszusprechen  2.  Daß  auch  andere  ähnlich 
dachten,  beweist  z.  B.  der  Brief  Peters  von  Blois  an  Abt  Wilhelm  von  Blois,  der  vom 
Papst  eximiert  und  mit  der  Mitra  begabt  worden  war 3.  Petrus  Cantor  versteigt  sich 
sogar  zur  Bemerkung :  Mitra  abbatis  inanis  est  et  superflua  et  puerilis  sicut  mitra 
pueri  in  recitatione  miraculi  facta  ex  schedula '.  Die  von  Innozenz  III.  1198  be- 
stätigte Konstitution  der  Prämonstratenser  untersagte,  um  dem  Ehrgeiz  ein  für  allemal 
Tür  und  Tor  zu  sehließen,  den  Prämonstratenseräbten  einfachhin  den  Gebrauch  der 
Mitra  und  der  Pontifikalhandschuhe  5.  Gegen  die  Übergriffe  eines  Propstes,  der  sich 
Mitra,  Eing  und  andere  Insignien  angemaßt,  hatte  sich  schon  Innozenz  IL  einzuschreiten 
veranlaßt  gesehen.  Gegen  Mißbräuche  bezüglich  des  usus  mitrae  seitens  infulierter  Äbte 
wandte  sich  auch  die  Konstitution  Klemens'  IV.  vom  Jahre  1266,  welche  noch  jetzt  maß- 
gebend ist 6,  und  eine  Verordnung  der  Provinzialsynode  von  Salzburg  aus  dem  Jahre  1274  7. 

Ein  von  Rechts  wegen  den  Äbten  zustehendes  Gewand  ist  die  Mitra 
niemals  gewesen.    Sie  erscheint  in  den  Bullen  vielmehr  stets  als  ein  besonderer 


1  Vgl.  auch  die  Bulle  Cölestins  III.  für 
Rudolf  von  Fecamp  :  Cum  monasterium  tibi 
commissum  eo  privilegio  gaudeat  libertatis, 
ut  non  nisi  rornano  pontifici  sit  subiectum, 
dignum  est  et  conveniens,  ut  te  speciali 
curemus  gratia  decorare.  .  .  .  Eapropter  .  .  . 
tibi  et  successoribus  tuis  usum  mitrae  .  .  . 
duximus  indulgendum. 

2  Ep.  ad  Henr.  Archiep.  Senon.  c.  9,  n.  36 
(M.  182,  832):  Ite  resistite  nunc  Christi  vi- 
cario  (sc.  episcopo).  .  .  .  Verum  aperte  in- 
dicant  quidam  horum ,  quid  cogitent,  dum 
multo  labore  ac  pretio  apostolicis  adeptis 
privilegiis  per  ipsa  sibi  vindicant  insignia 
pontificalia,  utentes  et  ipsi  more  pontificum 
mitra,    anulo    atque   sandaliis.  .  .  .     Profecto 


esse  desiderant,  quod  videri  gestiunt  (sc.  epi- 
scopi)  ;  rneritoque  nequeunt  esse  subiecti, 
quibus  iam  ipso  se  comparant  desiderio. 
Quid  si  et  nomen  eis  conferre  privilegiorum 
posset  auctoritas  ?  Quanto  putas  auro  re- 
dimerent,  ut  appellarentur  pontifices?  Quo 
ista,  o  monachi?  Tibi  timor  nientis,  ubi  ru- 
bor  frontis?     Vgl.  n.  37   (ebd.  833). 

3  Petri  Bless.  Bp.  90  (M.  207,  283  284). 
Vgl.  auch  Thom.  Cantiprat.  De  apibus 
mysticis  1.  1,  c.  6,  n.  2  (Mart.  1.  2,  c.  1,  n.  4; 
II  146). 

4  Verbum  abbreviatum  c.  44  (M.  205,  159). 

5  Regest.  1.  1,  n.  197  (M.  214,  173). 
15  Bull.  Rom.  III  764. 

1  C.  4  (Hard.  VII  723). 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  455 

Gnadenerweis  des  Apostolischen  Stuhles  an  dieselben.  Zum  Ausdruck  dessen 
wird  denn  auch  den  Äbten  meist  keine  unbeschränkte  Benutzung  der  Mitra 
zugestanden.  In  der  Regel  wird  ihnen  nur  gestattet,  sie  an  den  vorzüglicheren 
Festen,  die  auch  wohl  genau  angegeben  werden,  bei  dem  Hochamt  und  allen- 
falls noch  bei  den  Prozessionen  zu  tragen.  Von  der  Erlaubnis,  sich  ihrer 
auch  bei  Synoden  zu  bedienen,  ist  seltener  in  den  Bullen  die  Rede.  Sie  bei 
Exequien  zu  verwenden,  wird  in  den  Verleihungen  des  12.  Jahrhunderts  nur 
sehr  vereinzelt  zugestanden,  und  zwar  wiederum  gewöhnlich  mit  der  aus- 
drücklichen Beschränkung  auf  die  Leichenfeiern  hochstehender  geistlicher  oder 
weltlicher  Personen.  Eine  örtliche  Beschränkung  der  Befugnis,  die  Mitra  zu 
gebrauchen,  findet  sich  in  den  älteren  Bullen  nur  vereinzelt ;  von  einer  Unter- 
scheidung in  Bezug  auf  die  Beschaffenheit  der  Mitra  haben  wir  in  den  uns 
zur  Kenntnis  gekommenen  Verleihungsurkunden  des  11.  und  12.  Jahrhunderts 
nichts  gefunden.  Eine  solche  macht  unseres  Wissens  erst  Klemens  IV.  in 
seiner  schon  erwähnten  Konstitution ;  doch  bezieht  sich  auch  diese  nur  auf 
den  Fall,  daß  Abte  auf  Provinzial-  oder  Diözesansynoden  erscheinen. 

Damit  nämlich  die  einzelnen  nach  ihrer  Würde  kenntlich  seien,  sollen  die 
exemten  Abte  auf  denselben  lediglich  Mitren  mit  Besätzen  (mitrae  auriphrygiatae), 
nicht  aber  mit  C4old- und  Silberblechen  oder  Edelsteinen  geschmückte,  die  nicht  exemten 
Äbte  dagegen  bloß  einfache  weiße  Mitren  tragen.  Des  übrigen  sollen  sich  die  einen 
wie  die  andern  nach  dem  Wortlaute  der  Bulle  richten  können,  durch  welche  ihnen 
der  usus  mitrae  gestattet  wird. 

Daß  die  Mitra  der  Abte  von  jeher  den  Charakter  eines  liturgischen  Gewand- 
stückes hatte,  daran  kann  kein  Zweifel  sein.  Nicht  nur,  daß  sie  in  den  Bullen  sehr 
häufig  mit  Dalmatik,  Sandalen  und  Handschuhen  auf  eine  Stufe  gesetzt  wird,  ihre 
Verwendung  wird  auch  gewöhnlich  ausdrücklich  auf  Gelegenheiten  beschränkt ,  die 
entweder  wie  die  feierliche  Messe  und  die  Prozessionen  im  besondern  Sinne  oder  doch 
wie  Synoden  im  weiteren  Sinne  einen  liturgischen  Charakter  an  sich  haben.  Selbst 
in  dem  weitgehenden  Privileg,  durch  welches  die  Afterpäpste  Viktor  IV.  1162  und 
Kalixtus  III.  1172  Erlebold  von  Stablo  die  Befugnis  gewährten,  die  Mitra  nicht 
nur  an  vorzüglichen  Festen  in  seiner  Kirche,  sondern  auch  congruis  temporibus  am 
Königshofe  zu  benutzen  *,  dürften  unter  diesen  passenden  Gelegenheiten  nur  kirchliche 
Feiern  zu  verstehen  sein. 

Die  römischen  Kardinäle  hatten  schon  früh  das  Recht,  die  Mitra  zu 
gehrauchen.  Bereits  in  der  Bulle,  durch  welche  Paschalis  II.  1 105  den  Dignitaren 
von  Compostella  auf  Grund  der  Bitten  des  Bischofs  Didakus  die  Erlaubnis 
erteilte,  an  hohen  Festen  innerhalb  der  Kirche  mit  Gemmen  verzierte  Mitren 
zu  tragen,  heißt  es  ausdrücklich:  ut  in  sollemnibus  diebus  .  .  .  mitris  gem- 
matis  capita  contegant  in  speciem  videlicet  presbyterorum  seu  dia- 
conorum  sedis  apostolicae  cardinalium  2.  Die  Kardinäle  müssen  sich 
ihrer  sogar  schon  zur  Zeit  Gregors  VII.  bedient  haben.  Wie  nämlich  Bonizo 
von  Sutri  (f  ca  1090)  berichtet,  befanden  sich  damals  an  der  P.eterskirche 
60  und  mehr  mansionarü,  denen  die  Bewachung  des  Gotteshauses  oblag.  Alle 
waren  Laien  und  entweder  verheiratet  oder  Konkubinarier.  Statt  ihrer  Pflicht 
nachzukommen ,  trieben  sie  in  der  Kirche  mancherlei  schändlichen  Unfug. 
Unter  anderem  gaben  sie  sich,  indem  sie  zu  diesem  Behuf  den  Bart  schoren 
und  Mitren  aufsetzten,  bei  den  frommen  Betern  als  Priester  und  Kardinäle 


1  J.  n.  14  469  14  503.  Kloster  inkorporiert:  Sandaliorum  usum,  tuni- 

2  Ebd.  6042.  Vgl.  auch  das  Schreiben  cae  et  dalmaticae,  mitrae  et  anuli,  sicut  eis 
Innozenz' III.  an  Abt  Hamelin  von  Vendöme,  presbyteri  cardinales  utuntur, 
worin  er  S.  Prisca  zu  Rom  von  neuem  dem  vobis  .  .  .  confinnamus  (M.  225,  749). 


456     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg,  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

aus.  Gregor  machte  wie  so  manchem  andern  Unwesen  auch  dem  gottlosen 
Vorgehen  dieser  Bande  ein  Ende.  Offenbar  war  es  nach  dieser  Erzählung  im 
dritten  Viertel  des  11.  Jahrhunderts  zu  Rom  Brauch,  daß  die  Kardinäle  sich 
mit  der  Mitra  schmückten.  Denn  die  mansionarii  setzten  ja  eine  solche  auf, 
um  vor  den  Leuten  als  die  zu  erscheinen,  für  welche  sie  sich  ausgaben  l. 

Es  hatten  sogar  sonder  Zweifel  bereits  zu  den  Zeiten  Leos  IX.  die 
römischen  Kardinäle  das  Recht,  die  Mitra  zu  tragen.  Denn  wenn  der  Papst 
den  Kardinälen  von  Besancon  sowie  bestimmten  Priestern  und  Diakonen  der 
Bamberger  Kathedrale  erlaubt,  sich  ihrer  zu  bedienen,  so  wird  man  mit  der 
Annahme  nicht  fehlgehen,  daß  damals  erst  recht  die  cardinales  presbyteri 
et  diaconi  zu  Rom  sich  der  gleichen  Befugnis  erfreut  haben.  Was  Leo  IX. 
für  Bamberg  und  Besancon  gestattete,  war  sicher  nur  eine  Kopie  des  rö- 
mischen Brauches. 

Von  den  hier  in  Betracht  kommenden  römischen  Ordines  Mabillons  gedenkt 
der,  wie  es  scheint,  erst  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  abgefaßte  kurze  10.  Ordo, 
in  welchem  sich  bezüglich  der  liturgischen  Kleidung  überhaupt  nur  kärgliche  Angaben 
finden,  weder  der  Mitra  des  Papstes  noch  derjenigen  der  Kardinäle.  Der  11.,  zwischen 
1110  und  1113  entstandene  Ordo,  welcher  ebenfalls  die  Sakralgewandung  nur  gelegentlich 
streift,  spricht  außer  von  der  Mitra  des  Papstes  nur  noch  von  der  des  Primicerius 
der  Sänger,  des  Chordirigenten,  welcher  im  Range  den  Kardinaldiakonen  folgte 2. 
Der  12.,  zu  Lebzeiten  Cölestins  III.  (1191 — 1198)  entstandene  Ordo  erwähnt  die  Mitra 
der  Kardinäle  einigemal,  ohne  jedoch  anzugeben,  wie  sie  beschaffen  sein  mußte 3. 
Aus  dem  auf  Befehl  Gregors  X.  (1271 — 127G)  herausgegebenen  (13.)  Ordo  erfahren 
wir,  daß  die  Kardinäle  beim  Krönungsmahle  eine  einfache  weiße  Mitra  trugen1. 
Ausdrücklich  unterscheidet  zwischen  der  mitra  pretiosa  und  simplex  alba  der  Kar- 
dinäle der  14.  Ordo.  Vom  Kardinalbischof  von  Ostia,  dem  Konsekrator  des  Papstes, 
heißt  es  z.  B.  darin,  er  habe  sich  bei  der  Papstweihe  je  nach  Erfordernis  der  Zeit 
der  kostbaren  oder  der  einfachen  Mitra  zu  bedienen 5.  Eine  allgemeine  Kegel  für 
den  Gebrauch  der  beiden  Mitren  bei  den  Kardinälen  findet  sich  weder  im  14.  noch 
im  15.  Ordo.  Wie  es  aber  scheint,  war  die  diesbezügliche  Praxis  schon  im  späten 
Mittelalter  wesentlich  dieselbe  wie  gegenwärtig.  In  Gegenwart  des  Papstes  mußten  die 
Kardinäle  die  einfache  Mitra  aufsetzen.  Selbst  der  Kardinalbischof,  welcher  ihm  bei 
der  Messe  diente,  durfte  sich  nur  mit  der  mitra  simplex  schmücken ß. 

Außer  Bischöfen,  Äbten  und  sonstigen  Prälaten  wurde  seit  der  Mitte 
des  11.  Jahrhunderts  die  Mitra  vom  Papste  auch  wohl  weltlichen  Fürsten 
verliehen.  Das  früheste  bekannte  Beispiel  eines  solchen  Privilegs  fällt  in 
die  Zeit  Nikolaus'  IL  (1058 — 1061),  welcher  dasselbe  dem  Herzog  Specioc- 
neus  (Spitineus)  von  Böhmen  gewährte7.  Etwas  später  schmückte  Alexander  IL 
Wratislaus    von   Böhmen    mit    der  Mitra,    eine  Vergünstigung,    welche    dann 

Roger    von    Sizilien    soll   von 


Gregor    VII.    1073    dem    Herzog    bestätigte* 


1  Liber  ad  amicum  1.  7  (M.  150,  838). 
Vgl.  für  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts  die 
Vita  desH.  Albert  von  Lüttich  n.  10  (M.  G.  SS. 
XXV  146) ;  sie  meldet :  Albert ,  der  zum 
Bischof  von  Lüttich  erwählt  worden,  sei  nach 
Puom  gegangen,  um  gegenüber  dem  Eindring- 
ling Lothar  von  Hochstaden,  dem  Schützling 
des  Kaisers,  Bestätigung  der  Wahl  von 
Cölestin  III.  zu  erlangen.  Der  Papst  habe 
nach  Untersuchung  der  Sachlage  nicht  bloß 
dem  Verlangen  Alberts  entsprochen,  sondern 
ihn  auch   unter  Überreichung   der  Mitra  ins 


Kardinalskollegium  aufgenommen.  Der  Be- 
richt der  Vita  ist  darum  besonders  inter- 
essant ,  weil  aus  ihm  hervorgeht ,  daß  wie 
jetzt  die  Übergabe  des  roten  Hutes,  so  am 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  die  der  Mitra  eine 
Zeremonie  bei  der  Kardinalskreierung  war. 

2  N.  45  47  (M.  78,  1043  1044). 

3  N.  23  27  32  (ebd.  1072  1074  1077). 

4  N.  9  (ebd.  1111). 

5  Ordo  14,  c.  45  (ebd.  1140). 
0  Ordo  14,  c.  18  (ebd.  1130). 

7  J.  n.  4452.      8  Ebd.  n.  4812. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


457 


ilill^ 


Lucius  II.  (1144 — 1145)  wie  Stab,  Ring,  Dalmatik  und  Sandalen  so  auch 
die  Mitra  erhalten  haben1.  Innozenz  III.  begabte  mit  ihr  1204  Peter 
von  Aragonien2. 

Daß  auch  dem  Kaiser  die  Mitra  zugestanden  habe,  erhellt  aus  dem 
Ritus  der  Salbung  und  Krönung  der  deutschen  Kaiser.  Es  heißt  darin,  wenn 
Epistel  und  Graduale  gesungen  worden  seien,  ziehe  der  Kaiser  in  Prozession 
zum    Altare,    woselbst    der  Ki    n 

Papst  ihm  zuerst  die  mitra  \Jjv 

clericalis  aufs  Haupt 
setze  und  dann  auf  die 
Mitra  das  kaiserliche  Dia- 
dem 3.  Auch  auf  den  späte- 
ren Kaisersiegeln  kommt  die 
Mitra  vor  (Bild  217).  Der 
erste  Kaiser,  von  dem  wir 
bestimmt  wissen,  daß  er  bei 
der  Krönung  die  Mitra  trug, 
ist  Heinrich  VI. 4  Wie  es 
sich  bei  seinen  Vorgängern 
bezüglich  des  Ornatstückes 
verhielt,  läßt  sich  nicht 
sagen. 

Die  Verleihung  des 
pontifikalen  Kopfschmuckes 
und  sonstiger  geistlichen 
Gewandstücke  und  Vor- 
rechte an  weltliche  Fürsten, 
wie  das  im  Verlaufe  des 
Mittelalters  mehrfach  vor- 
kam ,  war  der  plastische 
Ausdruck  der  innigen  Beziehung,  in  welcher  nach  damaliger  Anschauung- 
Staat  und  Kirche,  weltliche  und  geistliche  Gewalt,  der  Kaiser  und  die  Fürsten 
als  Träger  der  zeitlichen,  und  der  Papst,  der  Stellvertreter  Christi,  als  Ver- 
körperung aller  geistlichen  Macht  zueinander  standen. 


Bild  217.     Majestätssiegel  Kaiser  Karls  IV. 
Luxemburg,  Sammlung  des  Skriptorenhauses. 


1  Otto  Frising.,  De  gest.  Friderici  1.  1, 
c.  28  (M.  G.  SS.  XX  367). 

2  Innocent.  III.  Epist.  1.  7,  n.  229  (M.  215, 
550).     Vgl.  Bullar.  rom.  III  197. 

3  Ordo  14,  c.  15  (M.  78,  1241). 

4  Vgl.  den  wohl  für  die  Krönung  Hein- 
richs VI.  am  15.  April  1191  verfaßten  Ordo 
in  M.  G.  Leg.  II  (ed.  Pertz)  187  ff  und 
neuestens  bei  Paul  Fahre,  Le  Liber  cen- 
suum  ,  Paris.  1905  ,  1*  ff.  Die  Annahme 
Schwarzers  (Forschungen  zur  deutschen 
Geschichte  XXII  172)  und  einiger  anderer, 
wonach  der  Ordo  für  die  Krönung  Hein- 
richs III.  am  25.  Dezember  1046  zusammen- 
gestellt worden  sei,  eine  Vermutung,  welche 
auch  Duchesne  in  der  Vorrede  zu  Fabres 
Ausgabe  des  Liber  censuum  wahrscheinlich 
erscheint,  ist.  von  anderem  abgesehen,  unseres 


Erachtens  schon  wegen  Erwähnung  der  Mitra 
unhaltbar.  Über  Otto  IV.  siehe  die  Annales 
Ceccan.  ad  1209  (M.  G.  SS.  XIX  298) :  Oddo 
.  .  .  vestitus  vestimentis  imperialibus  sacratis, 
mitratus  et  coronatus.  Vgl.  auchDiemand, 
Das  Zeremoniell  der  Kaiserkrönungen  84  f. 
Über  die  Mitra  der  Kaiserin  s.  ordo  14, 
c.  106  (M.  78,  1244).  Sie  wird  in  dem  bei 
der  Krönung  Heinrichs  VI.  gebrauchten  Ordo 
noch  nicht  erwähnt.  Die  Mitra  wurde 
übrigens  der  Kaiserin  so  aufgesetzt,  daß  die 
cornua  nach  den  Seiten  gerichtet  waren:  Cor- 
nua  mitrae  sint  a  dextris  et  a  sinistris.  Auf 
den  Kaisersiegeln  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts  trägt  auch  der  Kaiser  sie  in 
dieser  Weise,  während  er  sie  auf  den  früheren 
Siegeln  so  auf  dem  Kopf  hat,  daß  die  Hürner 
sich  über  Stirn  und  Hinterhaupt  erheben. 


458     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

VI.  ÄLTESTE  FORM  DER  fflITRA. 

Die  Mitra  hat  nach  Gestalt  und  Beschaffenheit  eine  wechselvolle  Ge- 
schichte. Zwischen  dem  pontifikalen  Kopfschmuck  des  11.  und  dem  des 
19.  Jahrhunderts  ist  ein  so  großer  Unterschied,  daß  fast  kaum  eine  Ver- 
wandtschaft zwischen  beiden  erkennbar  ist. 

Bei  den  Wandlungen,  welche  die  Mitra  durchgemacht  hat,  lassen  sich 
bestimmt  abgegrenzte  Stadien  nicht  unterscheiden.  Während  man  hier  an 
einer  älteren  Form  mit  Zähigkeit  festhielt,  war  man  anderswo  bereits  zu  einer 
weiteren  Bildungsstufe  vorgeschritten.  Die  interessanteste  Periode  der  Aus- 
gestaltung der  Mitra  umfaßt  das  11.,  12.  und  teilweise  noch  das  13.  Jahrhundert. 
Leider  geben  die  Liturgiker  dieser  Zeit  über  die  Beschaffenheit,  Gestalt  und 
Entwicklung  des  pontifikalen  Kopfschmuckes  nur  sehr  spärlichen  Aufschluß. 

Bruno  von  Segni  sagt,  die  Mitra  sei  aus  Linnen  gemacht;  das  Specialem  mysterio- 
rum  ecclesiae  nennt  sie  corniculata.  Honorius  bemerkt,  sie  bestehe  aus  weißem  Byssus. 
Sicard  von  Cremona  gibt  an,  sie  werde  mit  Gold  und  Edelsteinen  verziert  und  rückwärts 

mit  zwei  Bandstreifen  (linguae)  ausgestattet,  an 
denen  sich  unten  Fransen  befänden.  Innozenz  III. 
redet  von  den  beiden  Hörnern,  den  von  der 
Hinterseite  der  Mitra  herabhangenden  Bändern 
(fimbriae)  und  einem  circulus  aureus,  qui  anterio- 
rem et  posteriorem  partem  complectitur,  d.  i.  von 
einer  Goldborte,  die  rings  das  Ornatstück  umzog. 
Da  er  von  einem  vorderen  und  hinteren  Teil  der 
Mitra  sjn'icht,  so  muß  sieh  eines  der  beiden 
Hörner,  deren  er  Erwähnung  tut,  über  der  Stirne, 
das  andere  auf  dem  Hinterkopfe  erhoben  haben. 
Durandus  endlich  fügt  den  Angaben  seiner  Vor- 
gänger nur  noch  hinzu,  daß  die  Fransen  an  den 
über  die  Schultern  herabhangenden  Bändern  von 
roter  Farbe  seien,  und  daß  man  bald  eine  einfache, 
Bild  218.     Miniatur  in  der  Vita  aus    weißem    Linnenstoff   verfertigte,    bald    eine 

S.  Willibrordi.     Gotha,  Herzogt.  Bibliothek,    aurifrisiata,   d.  i.   eine  mit  Besätzen  aus  Goldstoff 

bzw.  mit  Stickereien  versehene  Mitra  trage. 
Hervorgehoben  zu  werden  verdient,  daß  erst  Robert  Paululus,  das 
Speculum  und  der  Tractatus  de  sacramento  altaris  der  cornua  der  Mitra  ge- 
denken. In  der  Tat  konnte  von  Hörnern  noch  keine  Rede  sein,  solange  jene 
kegel-  oder  kalottenförmig  war  oder  solange  sie  nur  niedrige  Bausche  an 
den  Seiten  aufwies.  Anders  lag  die  Sache,  als  die  Bausche  sich  zu  spitz 
ansteigenden,  über  den  Schläfen  sich  erhebenden  Schilden  umgebildet  hatten. 
Nun  durfte  man  mit  einigem  Recht  von  cornua  sprechen ;  denn  jetzt  lag 
wirklich  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  Hörnern  vor.  So  dürftig  also  auch 
die  Angaben  der  Liturgiker  des  12.  Jahrhunderts  sind,  so  spiegelt  sich 
doch  immerhin  in  ihnen,  wenngleich  nur  schwach,  die  Entwicklung  wieder, 
welche  sich  damals  in  Bezug  auf  die  Form  der  Mitra  vollzog.  Ungleich 
klarer  offenbart  sich  allerdings  der  Wechsel  in  der  Gestalt  des  pontifikalen 
Kopfschmuckes  auf  den  Bildwerken  des  11.  und  12.  Jahrhunderts.  Aus 
ihnen  lernen  wir  den  bei  den  Liturgikern  nur  eben  angedeuteten  Gang  der 
Dinge  mit  aller  Deutlichkeit  in  seinen  einzelnen  Hauptphasen  kennen. 

Die  Mitra  war  hiernach  in  ihrer  ältesten  Form  eine  einfache,  oben  spitz 
zulaufende,  also  kegelartige  Mütze  aus  weichem  Stoff.  Um  den  unteren  Rand 
zog  sich,  wenngleich  keineswegs  allzeit  und  regelmäßig,  nach  Art  eines  Diadems 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


459 


ein  ringförmiger  Besatz,  der  circulus.  Beispiele  bieten  die  schon  erwähnten 
Darstellungen  in  dem  Exultetrotel  und  dem  Taufrotel  von  Bari  (Bild  214, 
S.  447),  dem  Kodex  1339  der  Vaticana  (Bild  216,  S.  451)  und  der  Unter- 
kirche von  S.  demente.  Andere,  auf  denen  das  Ornatstück  zwar  noch  kegel- 
förmig ist,  aber  doch  schon  an  Höhe  abgenommen  hat,  finden  sich  in  Thiofrids 
Willibrordileben  aus  der  Zeit  zwischen  1102  und  1106  (herzogl.  Bibliothek 
zu  Gotha)  und  auf  einem  dem  Kloster  Abdinghof  entstammenden  Tragaltar 
aus  der  Frühe  des  12.  Jahrhunderts  (jetzt  im  Besitz  der  Franziskaner  zu 
Paderborn).  Dort  ist  Bischof  Bruno  von  Trier  (Bild  218),  hier  der  hl.  Blasius 
dargestellt l. 

Gegen  1100  beginnt  die  Mitra  ihre  Kegelgestalt  zu  verlieren;  sie  wölbt 
sich  oben  ab  und  wird  zur  Rundmütze.  Ein  gutes  Beispiel  dieser  Form  begegnet 
uns  auf  der  früher  besprochenen  Darstellung  des  hl.  Gregor  im  sog.  Dunstan- 
pontifikale,  auf  welcher  sowohl  Gregor  wie  der  vor  diesem  knieende  Bischof 
sie  aufweist 2.  Der  obere  Teil  der  Mitra  erhielt  dann,  seitdem  man  an- 
gefangen hatte,  ihm  eine  abgerundete  Gestalt  zu  geben,  im  weiteren  Ver- 
lauf der  Entwicklung  bald  sehr  gewöhnlich  eine  von  der  Stirn  zum  Hinterhaupt 
verlaufende  Vertiefung,  ähnlich,  wie  sie  entsteht,  wenn  man  mit  der  Schmal- 
seite der  Hand  einen  weichen  Filzhut  oben  in  die  Länge 
eindrückt.  Durch  diese  Einsenkung  bildete  sich  zu  beiden 
Seiten  ein  stumpf  abschließender  Bausch  (Bild  2 15,  S.  450). 
Bei  reicheren  Mitren  zog  sich  zugleich  mitten  über  den 
Kopf,  vom  Bandbesatz  über  der  Stirn  bis  zu  dem  der 
Bückseite  ein  Zierstreifen,  welcher  die  Einbuchtung 
schärfer  betonte  und  die  Bausche  rechts  und  links  klarer 
und  ausgeprägter  hervortreten  ließ ,  aber  auch  den 
Zweck  gehabt  haben  mag,  eine  unschöne  Naht  zu  ver- 
decken (Bild  219).  Wie  der  circulus  muß  er,  den  Bild- 
werken nach  zu  urteilen ,  häufig  aus  kostbarem  Stoff 
bestanden  haben  und  selbst  mit  Edelsteinen  geschmückt 
worden  sein.  Die  Miniatoren  malen  beide  Besätze  fast 
durchweg  in  Gold. 

Von  dem  unteren  Rand  der  Hinterseite  der  Mitra  fielen  zwei  Bänder 
(fasciae,  fimbriae,  vittae,  penduli,  fanones,  linguae,  ligulae, 
später  auch  infulae)  auf  die  Schultern  herab.  Bei  den  frühesten  Abbildungen 
kommen  sie  noch  keineswegs  regelmäßig  vor.  In  der  zweiten  Hälfte  des 
12.  Jahrhunderts  ist  die  Mitra  jedoch  fast  immer  mit  ihnen  versehen.  Sie 
erscheinen  bald  in  der  Mitte,  bald  nach  den  Seiten  zu  angebracht.  Auf  man- 
chen Bildwerken  befinden  sie  sich  sogar  fast  geradezu  an  den  Schläfen. 
Insbesondere  treten  sie  uns  in  dieser  Weise  ungemein  oft  auf  den  Bischofs- 
siegeln entgegen.  Daß  solche  Darstellungen  nicht  das  bloße  Produkt  einer 
Künstlerphantasie  sind,  sondern  der  Wirklichkeit  entsprachen,  beweist  der 
höchst  interessante  Bericht,  den  v.  Wilmowsky  über  den  Befund  der  Leiche 
des  Erzbischofs  Albero  von  Trier  (f  1152)  gibt,  sowie  die  Skizze,  die  er 
von  der  Mitra  des  Toten  aufnahm  (Bild  220,  S.  460) 3.  Ihrer  Form  nach  sind 
die  fasciae  meist  ein  überall  gleich  breites  Band.    An  den  Enden  pflegen  sie 


Bild  219.     Hl.  Heribert. 

Ausschnitt  einer  Miniatur. 

Sigmaringen,  Fürsfcl.  Hohen- 
zollernsclio  Bibliothek. 


1  Abbildung  bei  v.  Falke  und  Frau- 
berger,  Deutsche  Schmelzarbeiten  des  Mittel- 
alters, Frankfurt  1904,  TU  14. 


2  Vgl.  oben  S.  486,  Anm.  9. 

3  v.  Wilmowsky,   Die  Grabstätten  der 
Erzbischöfe  im  Dom  zu  Trier  5  und  Tfl  2  8. 


460     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


nach  Weise   der  Stola   oder   des  Manipels  mit  Fransen  oder  mit  sonst  einem 
Abschluß  verziert  zu  sein. 

Was  die  Entstehung  der  fasciae  anlangt,  so  sagt  man  gewöhnlich,  sie  seien 
ursprünglich  die  rückwärts  herabfallenden  Enden  des  Bandes  gewesen,  das  man 
unten  um  den  Rand  der  Mitra  herumgeschlungen  und  hinten  zusammengebunden  habe. 
Für  diese  Ansicht  könnte  sprechen,  daß  sich  auf  einigen  Miniaturen  der  Randbesatz 
an  der  Rückseite  des  Ornatstückes  wirklich  zu  einem  Knoten  zusammenzuschürzen 
scheint '.  Es  bleibt  bei  ihr  indessen  zu  erklären,  warum  die  fasciae  auch  bei  solchen 
Mitren  vorkommen,  die  des  circulus  entbehren ;  dann,  warum  Streifen  und  Bordüre  sehr 
häufig  aus  verschiedenen  Stoffen  bestehen  oder  verschieden  gemustert  sind;  endlich, 
warum  die  Bänder  so  häufig  nach  den  Seiten  des  Kopfes  zu  oder  gar  fast  bei  den 
Schläfen  an  der  Mitra  angesetzt  sind.  Ob  es  daher  nicht  zutreffender  ist,  an- 
zunehmen, es  seien  die  fasciae  von  Anfang  an  lediglich  als  Zierbehänge  gedacht  ge- 
wesen, wie  man  deren  auch  wohl  im  profanen 
Leben  an  vorzüglicheren  Kopfbedeckungen  an- 
zubringen pflegte  ?  - 

Irrig  ist  jedenfalls  die  Auffassung,  welche 
in  neuester  Zeit  Wüscher-Becchi  von  der  Bedeu- 
tung des  um  den  Rand  der  Mitra  angebrachten 
Besatzes  vorgetragen  hat 3.  „Was  diese  halb- 
kugelförmige Kopfbedeckung,  die  vom  Papst  und 
den  Bischöfen  zugleich  getragen  wird,  besonders 
auszeichnet',  meint  dieser,  „das  ist  bei  beiden 
die  Mitra,  jenes  Band,  das  im  ganzen  Altertum 
den  , Geweihten,  Geheiligten'  bezeichnet.  Der 
bischöflichen  Mütze  gab  sie  geradezu  den  Namen.1' 
Er  übersieht,  daß.  es,  wie  noch  jetzt  und  im 
späteren  Mittelalter,  so  von  Anfang  an  Mitren 
gegeben  hat,  welche  des  Randbesatzes  gänzlich 
entbehrten.  Darum  sagt  auch  Ernold  (f  1156)  in 
seiner  Abhandlung  De  Septem  verbis  Domini  in 
cruce  nur:  Tiara  (des  jüdischen  Kultus)  erat 
byssina,  circumdata  coronula  aurea,  opere  textili 
facta,  sicut  hodie  phrygium  mitris  nostrorum 
pontificum  plerumque  (nicht  semper)  con- 
suitur '.  Dann  beachtet  er  nicht,  daß  der  frag- 
liche Besatz  niemals  als  etwas  anderes  denn  als  bloße  Verzierung  galt.  Keiner  der 
Liturgiker  redet  vor  Innozenz  III.  von  dem  angeblich  heiligen  Band ,  aber  auch 
Innozenz  III. ,  welcher  zuerst  des  circulus  Erwähnung  tut ,  weiß  nichts  von  der 
Bedeutung,  welche  Wüscher-Becchi  mit  ihm  verbinden  möchte.  So  wenig  hatte 
der  Randbesatz  einen  sakralen  oder  auch  nur  auszeichnenden  Charakter,  daß  wir 
ihn  nicht  bloß  an  der  Mitra,  sondern  ebensogut  an  profanen  Mützen  antreffen.  Welchen 
Anhalt  hat  man  überhaupt,  irgend  einen  Zusammenhang  zwischen  dem  circulus 
der  Mitra  und  der  Koptbinde  persischer  Könige,  dem  angeblichen  Abzeichen  aller 
Priesterkönige  des  Altertums,  zu  behaupten?  Was  hat  man  denn  im  10.  und  11.  Jahr- 
hundert  noch   von   dieser    ehemaligen   heiligen    Binde   gewußt?     Es   ist   darum    auch 


Bild  220.     Mitra  aus  dem  Grab  des 

Trierer  Erzbischofs  Albero  (f  1152). 

(Nach  v.  Wilmowsky.) 


1  Roh.  VII,  pl.  dlvi:  VIII,  pl.  dclv.  Die 
Miniaturen ,  denen  die  Abbildungen  entnom- 
men sind ,  stammen  fast  alle  aus  demselben 
Stuttgarter  Kodex ;  der  Knoten  wird  wohl 
auf  Rechnung  des  Malers  zu  setzen  sein. 

-  Vgl.  z.  B.  die  Behänge  der  Kronen  auf 
den  Siegeln  der  deutschen  Kaiser  aus  dem 
11.  und  12.  Jahrhundert. 


3  Ursprung  der  päpstlichen  Tiara  und  der 
bischöflichen  Mitra  (Römische  Quartalschrift 
XIII  105).  Der  Wert  der  Arbeit  liegt 
in  den  lesenswerten  Erörterungen  über  die 
Kopfbedeckung  der  Orientalen ;  was  über  die 
Entstehung  der  Mitra  gesagt  wird,  entbehrt 
der  Kritik. 

*  M.  189,  1723. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


461 


ganz  unzutreffend,  daß  das  Band  am  Rand  der  Mitra,  wie  Wüscher-Beechi  glaubt, 
dieser  geradezu  den  Namen  gegeben  habe.  Er  belehrt  uns  doch  selbst  in  aus- 
führlicher Weise  über  die  verschiedenen  Bedeutungen,  welche  mitra  im  klassischen 
und  nachklassischen  Latein  und  Griechisch  besafs.  Wenn  man  im  10.  bzw.  11.  Jahr- 
hundert die  neu  aufgekommene  pontifikale  Kopfbedeckung  mitra  nannte,  so  geschah 
es  entweder,  weil  das  Wort  im  Laufe  der  Zeit  den  Sinn  von  Haube,  Mütze  bekommen 
hatte  oder  —  und  das  ist  wohl  das  wahrscheinlichste  —  weil  in  der  Vulgata  die 
sakrale  Kopfbedeckung  der  jüdischen  Priester  mitra  genannt  wird ;  nicht  aber  mit 
Bücksicht  auf  den  Randbesatz  als  auf  eine  Reminiszenz  heiliger  Kopfbänder  vor- 
christlicher orientalischer  Priesterkönige,  von  der  man  damals  nicht  die  geringste 
Ahnung  hatte. 

Die  kegel-,  kalotten-  oder  haubenartige  Mitra  blieb  teilweise 
bis  weit  ins  12.  Jahrhundert  hinein  im  Gebrauch.  Monumente  des  11.  Jahr- 
hunderts, auf  denen  sie  auftritt,  wurden  schon  früher  erwähnt.  Im  Anfang 
des  12.  Jahrhunderts  begegnet  sie  uns  auf  dem  Bild  des  Erzbischofs  Bruno 
von  Trier  in  der  Gothaer  Vita  S.  Willibrordi,  auf  dem  Bilderschmuck  der 
Chronik  von  Volturno 1,  der  Darstellung  des  Erzbischofs  Friedlich  von  Köln 
in  der  Sammlung  der  Hier onym usbriefe  der  Kölner  Dombibliothek  und  auf 
manchen  sonstigen  Bildwerken.  Gegen  die  Mitte  desselben  treffen  wir  sie  unter 
anderem  noch  auf  den  Miniaturen  eines  Salzburger  Antiphonars2  sowie  auf  den 
Siegeln  des  Abtes  Friedrich  von  St  Godehard  zu  Hildesheim  (nach  1136)  und 
des  Bischofs  Alexander  von  Lincoln  in  England  (1123 — 1148)  an.  Sie  kommt 
selbst  noch  nach  1150  auf  den  Monumenten  vor.  Zum  Belege  dafür  sei  hier 
nur  hingewiesen  auf  die  Siegel  Roberts  von  Lincoln  (1148 — 1168),  Arnulfs 
von  Lisieux  (1141 — 1181),  Hugos  von  Rouen  (1130 — 1164)3,  Rotrocus'  von 
Rouen  (1165—1183)*,  Alberts  von  S.  Malo  (1163—1184)  u.  a.,  sowie  auf 
die  Darstellung  des  hl.  Heribert  in  der  ca  1164  abgefaßten  Deutzer  Chronik 
(Bild  219,  S.  459) 5. 

Die  Wahrnehmungen,  welche  v.  Wilmowsky  hei  Öffnung  der  Gräber 
der  Trierer  Erzbischöfe  machte,  beweisen  sogar,  daß  die  mützenartige  Mitra, 
wenigstens  hie  und  da,  noch  bis  in  das  letzte  Viertel  des  12.  Jahrhunderts 
hinein  Verwendung  gefunden  haben  muß.  Es  waren  nämlich  nicht  nur  Albero 
(f  1152)  und  Hillin  (f  1169)  mit  einer  solchen  ausgestattet,  es  deckte  noch 
selbst  das  Haupt  Arnolds  I.  (f  1183)  eine  „zylinderförmige,  fast  halbkugel- 
runde Mitra  von  Seide"  6. 

Vielleicht  stellte  auch  die  unter  dem  Namen  eines  Biretts  des  hl.  Pro- 
culus  gehende  Kalotte,  welche  bis  wenigstens  1861  in  S.  Zeno  zu  Verona 
aufbewahrt  wurde,  eine  Mitra  des  11.  oder  des  frühen  12.  Jahrhunderts  dar7. 


1  Ag.  Malerei  Tfl  69.  Vgl.  ebd.  Tfl  66, 
Nr  4  (aus  Donizos  Vita  Mathildas  corai- 
tissae) ;  Tfl  67,  Nr  1  (aus  einer  Bullensamm- 
lung);  Tfl  68,  Nr  142  145  147  153. 

2  Lind,  Ein  Antipkonar  mit  Bilderschmuck, 
Wien  1870,  Tfl  18  20  21  34  43  45. 

3  Vgl.  die  Tafeln  bei  Roh.  VII  VIII,  be- 
sonders VIII,   pl.  DCLV  DCLVI  DCLXIV. 

*  Ebd.  VII,  pl.  DLIII  dli;  VIII,  pl.  DCLIV 
dclxiv.  In  einzelnen  Fällen  ist  es  auf  den 
Siegeln  unklar ,  ob  noch  die  älteste  Mitren- 
forro  gemeint  ist.  Es  liegt  das  teils  an  dem 
unvollkommenen  Schnitt  des  Stempels,  teils 
an  mangelhafter  Ausprägung  oder  nachträg- 
licher Abstumpfung  des  Siegels. 


5  Fürstl.  Hohenzoll.  Biblioth.  zu  Sigmarin- 
gen. Vgl.  auch  A  u  s  m  We  r  t  h ,  Kunstdenkmäler 
Tfl  17  (Tragaltar  aus  Xanten)  und  48  (Tragaltar 
aus  Siegburg) ,  und  D  e  s  t  r  C  e,  Les  Musöes  Ro- 
yaux  li vr.  4,  pl.  in  (Reliquiarvon  Stablo  ca  1 145) . 

6  v.  Wilmowsky,  Die  Grabstätten  etc.  6. 

7  In  Zeitschrift  XV  (1902),  6  machte  der 
Verfasser  auf  eine  Mitra  zu  Vallombrosa  auf- 
merksam ,  die ,  ihm  zugekommenen  Mit- 
teilungen gemäß,  noch  die  primitive  Mützen- 
form  haben  sollte.  Nähere  Auskunft,  die 
P.  Tacchi  Venturi  S.  J.  mir  zu  verschaffen 
die  Güte  hatte,  bewies  jedoch,  daß  es  sich 
bei  ihr  um  eine  Mitra  von  gewöhnlicher 
Form  aus  dem  13.  Jahrhundert  handelt. 


462     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


De  Linas  sagt  darüber:  J*ai  vu  dans  la  sacristie  de  l'eglise  de  St-Zenon  ä 
Verone  une  espece  de  calotte  en  grosse  toile  damassee  (grand  oeil-de-perdrix) 
avec  cette  legende  inscrite  sur  parchemin  en  caracteres  italiens  du  XIVe  siecle: 
Birretum  sancti  Proculi  epi.  quarti  Veronensis.  Cette  calotte  a-t-elle  reellement 
appartenu  a  Saint-Procule,  qui  vivait  sous  Diocletien  ?  Je  n'ose  me  prononcer, 
mais  je  la  crois  de  la  meine  famille  qne  la  coiffure  de  Saint-Dunstan  K  Das 
Birett  des  hl.  Proculus  ist  gegenwärtig  leider  spurlos  verschwunden. 

Man  hat  die  Ansicht  ausgesprochen,  es  sei  die  Mitra  anfänglich  bloß  ein  Tuch 
gewesen,  das  man  um  den  Kopf  des  Bischofs  gelegt  und  dann  mittels  einer  Binde 
befestigt  habe.  Dabei  habe  man  die  Zipfel  hinten  auf  den  Nacken  herabfallen  lassen. 
Diese  Annahme  ist  indessen  unseres  Erachtens  ganz  unzutreffend.  Die  Mitra  erscheint 
bereits  auf  den  frühesten  Abbildungen  als  eine  Art  Mütze.  Eine  Mützenform  war 
auch  bei  ihr  durch  die  Verwendung,  welche  sie  beim  Gottesdienste  fand,  geboten. 
Dieselbe  brachte  es  ja  mit  sich,  daß  der  Bischof  die  Mitra  bald  aufzusetzen  bald 
wieder  abzunehmen  hatte.  Schriftliche  Zeugnisse  fehlen  zudem  für  die  Hypothese  voll- 
ständig. Die  wenigen  Bildwerke  aber,  auf  die  man  sich  beruft,  Skulpturen  eines  nun- 
mehr verschwundenen  Grabmals  in  St-Eemi  zu  Reims 2,  die  früher  schon  erwähnten 
Miniaturen  der  Miracula  S.  Amandi  zu  Valenciennes  mit  den  Bildern  der  hll.  Amandus 
und  Vindicianus 3  und  eine  segnende  Bischofsfigur  in  St-Bertrand  zu  Comminges  * 
beweisen  nichts.  Sie  gehören  alle  einer  Zeit  an,  in  welcher  die  Mitra  allgemein  eine 
förmliche  Mütze  war.  Sollten  sie  also  wirklieh  etwas  anderes  als  eine  solche  dar- 
gestellt haben  bzw.  darstellen,  so  kann  das,  wie  so  manches  bei  den  mittelalterlichen 
Darstellungen,  nur  als  künstlerische  Freiheit  aufgefaßt  werden.  Allein  tatsächlich 
hatten  oder  haben  die  pontifikalen  Kopfbedeckungen  auf  den  fraglichen  Monumenten  die 
Gestalt  einer  Mütze 5.  Eigentümlich  ist  bloß,  daß  bei  ihnen  die  fasciae  nach  Art 
eines  gefältelten  Tuches  gebildet  sind.  Dabei  ist  es,  was  die  beiden  Skulpturen  an- 
langt, durchaus  zweifelhaft,  ob  die  Abbildungen,  die  davon  vorliegen,  das  Original 
korrekt  wiedergeben  6. 


1  Revue  1861,  297.  Unter  der  coiffure  de 
Saint-Dunstan  versteht  er  die  Kopfbedeckung, 
welche  St  Gregor  auf  der  Miniatur  des  Kodex 
C  o  1 1  o  n ,  Claudius  A,  III  trägt.  Vgl.  S.  459. 
Über  das  „birretum  S.  Proculi"  siehe  auch 
Bock  II  347. 

2  De  V  e  r  t  II,  pl.  viii,  9  ;  daraus  auch  bei 
Bock  II,  TA  22,  4.  Eine  kleine  Skizze 
des  ganzen  Monumentes  in  Mart.  und 
Durand,  Voyage   litteraire  II  81. 

3  Oben  S.  436.  Abbildungen  bei  Roh. 
VIII,  pl.  dcxxxviii  dclxiv;  Bock  a.  a.  0.  II, 
Tfl  22,  2  3. 

4  Cahier,  Decorations  d'eglises  4. 

5  Da  das  Grabmal  in  St-Remi  nicht  mehr 
vorhanden  ist,  lassen  sich  die  Skizzen  bei 
de  Vert  und  Martene  nicht  mehr  am  Original 
kontrollieren.  Und  doch  weifs  jeder,  der  die 
damalige  Reproduktionsweise  kennt,  wie  not- 
wendig das  wäre.  Übrigens  sagt  de  Vert 
selbst  bezüglich  der  fraglichen  Kopfbedeckung 
mit  aller  Klarheit:  On  voit  ä  Rheims  dans 
l'eglise  de  Saint-B,emy  un  tombeau,  oü  sont 
representes  des  moines  d'un  cöte  et  de  l'autre 
des  pretres  et  des  eveques  avec  des  mitres 
en  forme  de  vrais  bonnets,  d'oü  pendentpar 
derriere  des  bandes  de  meme  etoffe,  ce  sem- 
ble,  que  le  bonnet  (II  341  note  c). 


G  Der  Vollständigkeit  halber  sei  hier  noch 
auf  zwei  Beispiele  von  Bischofsdarstellungen 
mit  ungewöhnlichem  Kopfschmuck  aufmerk- 
sam gemacht.  Die  erste,  ein  Steinrelief,  be- 
findet sich  zu  Moissac  (Tarn-et-Garonne). 
Sie  gibt  den  hl.  Durandus  vou  Toulouse 
(t  1072)  wieder  und  ist  sonach  keinenfalls 
vor  dem  12.  Jahrhundert  entstanden.  Der 
Kopfschmuck  besteht  hier  in  einem  schmalen 
Band ,  das  sich  um  die  breite  Haarkrone 
schlingt,  hinter  dem  Kopf  gebunden  zu  sein 
scheint  und  mit  seinen  Enden  auf  die  Schul- 
tern herabfällt  (Abbildung  bei  C  a  h  i  e  r, 
Caracteristique  des  Saints  1 296,  doch  ungenau, 
und  Revue  1892,  456).  Der  Heilige  ist  oben- 
drein mit  dem  Nimbus  geziert.  Ein  ponti- 
fikaler  Kopfschmuck  ist  hier  angesichts  der 
Entstehungszeit  des  Reliefs  offenbar  nicht 
gemeint,  sondern,  ähnlich  wie  auf  Miniaturen 
im  Benedictionale  Aethelwolds,  die  Himmels- 
krone. Die  andere ,  noch  eigentümlichere 
Art  von  Kopfzier  begegnet  uns  auf  einer 
Miniatur  des  Evangeliars  von  Niedermünster, 
des  sog.  Utakodex  (München,  Kgl.  Bibl. 
Cim.  54).  Sie  stellt  St  Erhard,  Bischof  von 
Regensburg  (ca  700) ,  dar.  Um  das  Haupt 
des  Heiligen  ist  turbanartig  ein  Tuch  ge- 
wunden ,    auf    der    Stirn    aber    ein    kleines 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


463 


VII.    ÄNDERUNGEN  IN  DER  FORM  DER  MITRA. 

Ein  etwas  anderes  Aussehen  als  die  bisher  besprochene  Mitraform  hat 
eine  zweite,  der  wir  seit  etwa  1125  häutig  begegnen.  Bei  ihr  haben  sich 
die  beiden  seitlichen,  mehr  oder  weniger  stark  ausgeprägten  Bausche  zu 
senkrecht  aufsteigenden  und  in  eine  Spitze  endenden  Hörnern  entwickelt, 
welche  durch  eine  feste  Einlage  von  Pergament 
oder  steifem  Linnenzeug  ihre  Form    erhielten. 

Daß  diese  Form  auch  in  Italien  bekannt 
gewesen  ist,  ergibt  sich  z.  B.  aus  einem  Ge- 
mälde der  Platonia  bei  S.  Sebastiano  zu  Rom ', 
aus  Darstellungen  des  Regestum  von  S.  Angelo 
in  Formis 2,  der  seitlichen  Erztüre  der  Kathedrale 
zu  Troja  von  1127,  der  Chronik  von  S.  Sophia 
zu  Benevent3,  des.Exultetrotels  von  Fondi11 
und  andern  Bildwerken. 

Sehr  häufig  trifft  man  die  an  beiden  Seiten 
zu  Spitzen  sich  ausgestaltende  Mitra  bis  zum 
letzten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  auf  fran- 
zösischen Bischofssiegeln  an5  (Bild  221).  Sie 
findet  sich  auf  verschiedenen  Siegeln  sogar 
bis    in    das    13.    Jahrhundert    hinein,    so    auf  Bil(1  221. 

Bischofssiegeln     von     Beziers,     Arles,     Agde,  Sie§el  Gottfrieds  vonNevers  fl-1159). 

,,  ,  r<i    t»       -i     i         m      ■      iii   .  ,  Luxemburg, Sammlung  des  Skriptorenhauses. 

Maguelone,    St-Paul-des-Trois-Chateaux    u.    a. 

Auf  den  Arier  Bischofssiegeln  sehen  wir  sie  noch  1222,  auf  den  Siegeln  der 
Bischöfe  von  St-Paul-des-Trois-Chäteaux  noch  bei  Bischof  Godefredus  (f  1230). 
In  Deutschland  begegnet  sie  uns  noch  auf  dem  Siegel  des  Erzbischofs  Arnold 
von  Mainz  (1153 — 1160)°   und   einem  Siegel  Hartwichs  von  Regensburg  von 


goldenes  Plättchen  von  dreieckiger  Form  an- 
gebracht (Abbildung  bei  Cahier  pl.  m  und 
Swarzenski,  Regensburger  Buchmalerei, 
Leipzig  1901,  TA  13).  Auch  hier  handelt  es 
sich  nicht  um  eine  pontifikale  Kopfbedeckung. 
Wie  das  Stirnplättcken  beweist ,  haben  dem 
Miniator  vielmehr  der  Kopfbund  und  die 
lamina,  das  goldene  Stirnblech  des  jüdischen 
Hohenpriesters  vorgeschwebt,  wie  denn  auch 
im  übrigen  sich  in  der  Gewandung  An- 
klänge an  die  Tracht  des  letzteren  bemerklich 
machen.  Das  Evangeliar  wird  jetzt  meist  der 
Uta  von  Kirchberg  (1002 — 1025)  zuge- 
schrieben. Eine  dritte  bemerkenswerte  Art 
von  Kopfschmuck  erscheint  auf  einer  Miniatur 
des  Prümer  Kartulars  im  k.  Staatsarchiv  zu 
Koblenz  bei  Abt  Friedrich.  In  Albe,  Dal- 
matik  und  Pluviale  gekleidet,  trägt  dieser 
um  den  Scheitel  einen  goldenen  Reifen.  Der- 
selbe Schmuck  findet  sich  auf  der  gleichen 
Miniatur  beim  hl.  Benedikt  und  soll  offenbar 
die  Abtswürde  symbolisieren.  Das  Kartular 
entstand  unter  Abt  Friedrich,  also  in  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  (Abbildung  der 
Miniatur  in  Zeitschrift  XIX  [1906]  47). 
1  Bock  II  157  und  Tfl  22,  7. 


2  Le  miniature  dei  Cod.  Cassin.  (Monte 
Cassino  1887)  saec.  XII,  tav.  1. 

3  Vat.  lat.  4939. 

4  Les  miniatures  des  rouleaux  d'Exultet, 
Monte  Cassino  1899,  pl.  614. 

■•Roh.     VIII,     pl.     DCLVII     DCLXI     DCLXIV; 

ferner  Blancard,  Iconographie  des  sceaux 
et  bulles  des  Archives  des  Bouches-du-Rhöne 
pl.  38  ff  und  Demay,  Inventaire  des  sceaux 
II  108  ff. 

6  Würdtwein,  Nova  subsidia  dipl.  II  13. 
Wenn  die  zweite  Mitraform  noch  auf  einzelnen 
Münzen  des  Erzbischofs  Konrad  von  Köln  (1237 
bis  1261)  auftritt  (Kappe,  Kölnische  Münzen 
Tfl  11,  176  179  180  181),  so  ist  sie  hier  un- 
zweifelhaft auf  die  Rechnung  des  Stempel- 
schueiders  zu  setzen ,  da  in  Köln  die  dritte 
Mitraart  schon  lange  vor  dem  13.  Jahrhundert 
in  Gebrauch  war.  Eine  zu  beiden  Seiten 
spitz  ansteigende  Mitra  erscheint  schon  auf 
Münzen  Hildebolds  von  Köln  (1076—1079). 
Vgl.  Kappe  a.  a.  O.  Tfl  7,  HO  113  114  115. 
Dieselben  sind  jedoch  spätere  Fälschungen 
(ebd.  S.  65).  Auf  den  echten  Münzen  der 
Kölner  Erzbischöfe  kommt  die  Mitra  über- 
haupt erst   unter  Philipp    (1167 — 1191)  vor. 


464     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


1161,  in  England,  wo  sie  ebenfalls  sehr  gebräuchlich  gewesen  sein  muß,  auf 
einem  Siegel  des  hl.  Thomas  von  Canterbury  (1162 — 1170)1. 

Es  ist  die  Meinung  geäußert  worden,  es  habe  eine  seitlich  in  spitzen  Hörnern 
aufsteigende  Mitra  in  Wirklichkeit  nicht  gegeben.  Es  handle  sich  auf  den  Darstellungen, 
welche  eine  solche  aufweisen,  nur  um  eine  ungenaue  Wiedergabe  der  über  der  Stirn 
und  dem  Hinterhaupt  mit  Hörnern  versehenen  Mitra.  Darauf  ist  zu  erwidern,  daß 
die  Bildwerke  es  allerdings  hie  und  da,  wenngleich  im  allgemeinen  sehr  selten,  un- 
entschieden lassen,  welche  Mitrenart  gemeint  ist.  Im  übrigen  tritt  die  an  den  Seiten 
gehörnte  Mitra  auf  den  Monumenten  so  oft  und  in  solcher  Deutlichkeit  auf,  und  zwar 
auch  auf  Bildwerken  von  vortrefflichster  Arbeit,  daß  es  durchaus  unbegründet  ist, 
lediglich  an  eine  unrichtige  Zeichnung  zu  denken.  Man  wird  angesichts  der  überaus 
zahlreichen  Beispiele  dieser  Mitraform  nur  dann  den  Monumenten  gerecht,  wenn  man 

festhält,  daß  die  seitlich  mit  spitzen  Hörnern  versehene 
Mitra,  welche  uns  so  häufig  auf  denselben  entgegentritt, 
die  Wirklichkeit  wiedergebe. 

Übrigens  bildete  diese  Mitraform  nur  den  Über- 
gang zu  einer  dritten  Art  der  Mitra,  die  sich 
jedoch  von  ihrer  Vorläuferin  im  Grunde  nicht  sowohl 
durch  die  ihr  eigene  Gestalt  und  Machweise,  als  viel- 
mehr bloß  durch  die  Stellung  unterschied,  welche  sie 
auf  dem  Haupte  einnahm.  Statt  nämlich  die  Mitra  so 
aufzusetzen,  daß  die  cornua  sich  über  den  Schläfen  er- 
hoben, wendete  man  sie  so,  daß  eines  der  Hörner  über 
der  Stirn,  das  andere  über  dem  Hinterkopf  aufstieg. 
Die  einzige  Veränderung,  die  hierbei  an  der  Mitra  vor- 
genommen werden  mußte,  bestand  darin,  daß  die 
fasciae  statt  am  hinteren  Ende  der  Einbuch- 
tung nunmehr  am  unteren  Rande  des  hinteren 
Hörn  es  befestigt  wurden. 

Sie  ist  im  wesentlichen  die  noch  jetzt  gebräuch- 
liche Mitraform.  Wo  sie  zuerst  aufkam,  ist  nicht  zu 
sagen,  da  sie  sich  fast  zur  selben  Zeit  in  Frankreich, 
Italien  und  Deutschland  zeigt.    Die  ersten  zuverlässi- 


Bild  222.     Mitra. 

Florenz,  S.  Trinita. 


gen   Beispiele   treten   gegen  die  Mitte   des  12.  Jahr- 
hunderts auf. 


Für  die  Feststellung  der  Zeit,  da  es  zu  dieser  dritten  Mitraart  kam,  sind  na- 
mentlich die  Siegel  von  größter  Bedeutung.  St  Godehard  trägt  auf  dem  Siegel  des 
Abtes  Friedrich  (1136)  noch  eine  Mitra  mit  stumpfen  seitlichen  Hörnern,  dagegen 
weist  das  Siegel  des  Bischofs  Bruno  von  Hildesheim  (1153 — 1162)  schon  die  neue 
Form  der  pontifikalen  Kopfbedeckung  auf.  Die  Kölner  Bischofssiegel  bringen  die 
Änderung  unter  Rainald  von  Dassel  (1159—1167).  Wie  Arnold  IL  (1151—1156), 
so  trägt  auch  noch  Friedrich  von  Altena  (f  1158)  auf  seinem  Siegel  eine  Mitra  in 
Form  einer  Spitzmütze.  Dagegen  schmückt  Kainalds  Haupt  eine  Mitra,  deren  Hörner 
ausgesprochenermaßen  sich  über  der  Stirn  und  dem  Hinterkopf  erheben.  Die  Form, 
bei  welcher  die  cornua  über  den  Schläfen  aufsteigen,  ist  auf  den  Kölner  Siegeln  nicht 
vertreten.  Auf  den  Regensburger  Bischofssiegeln  erscheint  die  dritte  Form  unter 
Bischof  Kuno  (1167 — 1185),  auf  den  Würzburger  tritt  sie  unter  Herold  von  Hoch- 
heim (1165 — 1171)  auf.  Auf  einem  Siegel  von  1165  hat  die  Mitra  bei  ihm  noch  die 
Kalottenform,  auf  einem  Siegel  von  1170  ist  sie  dagegen  schon  vorn  und  hinten  mit 
Hörnern  versehen.     Auch  hier  fehlt  die  Mittelform2. 


1  Thurston 

1892,  17. 


The     Pallium ,     London 


2  Von  den  bei  Lepsius,   Geschichte  der 
Bischöfe    des    Hochstifts    Naumburg,    abge- 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


465 


In  Deutschland  kann  die  jüngste  Art  des  bischöflichen  Kopfschmuckes  schon 
im  dritten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  nicht  mehr  selten  gewesen  sein.  Sie  begegnet 
uns  um  diese  Zeit  beispielsweise  auf 
der  Grabplatte  des  Erzbischofs  Friedrich 
(f  1152)  im  Dom  zu  Magdeburg1,  auf 
einer  Miniatur  des  Missale  Rattmanns 
im  Dome  zu  Hildesheim  und  der  Vita 
S.  Bernwardi  in  der  königlichen  Staats- 
bibliothek zu  Hannover 2,  bei  den  Fi- 
guren des  hl.  Godehard  und  des  Bischofs 
Bernhard  (f  1154)  am  St  Godehards- 
schrein  im  Dome  zu  Hildesheim  und 
auf  dem  Bilderschmuck  des  1175  voll- 
endeten Hortus  deliciarum  der  Herrad 
von  Landsberg 2. 

Zur  selben  Zeit  wie  Rainald  von 
Dassel  trägt  auch  schon  Radulf  von 
Ripen  (1156 — 1170)  in  Dänemark  auf 
seinem  Siegel  die  Mitra,  deren  cornua 
über  Stirn  und  Hinterhaupt  ansteigen. 
Auf  den  Lincolner  Bischofssiegeln  findet 
der  Wechsel  um  1170  statt,  auf  den 
französischen  Siegeln  vollzieht  er  sich 
meist  im  letzten  Viertel  des  12.,  teil- 
weise sogar  erst  im  Beginn  des  13.  Jahr- 
hunderts J.  So  hat  Godofredus  von 
Angers  (1162 — 1177)  auf  seinem  Siegel 
noch  die  Mitra  mit  seitlichen  cornua  5, 
während  dasjenige  seines  Nachfolgers 
Raoul  (1178 — 1197)  die  vorn  und  rück- 
wärts ansteigende  Kopfbedeckung  auf- 
weist 6.  Auf  den  Pariser  Siegeln  besitzt  das  Ornatstüek  bei  Petrus  Lombardus 
(1158—1160)  und  Moritz  von  Sully  (1160 — 1196)  die  Gestalt,  welche  ihm  im  zweiten 
Bildungsstadium   eignete7,    bei  Odo   von   Sully  (1196  —  1208)    erscheint    dagegen    die 


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Bild  223.      Mitra.      Aaagni,  Kathedrale. 


bildeten  Naumburger  Bischofssiegeln  sind 
nach  Ausweis  des  Details  Nr  1 — 3  4  5  Fäl- 
schungen. Echt  ist  das  Siegel  Utos  I.  (1140) 
Nr  2,  Utos  IL  (1166)  Nr  6  und  Bertholds  IL 
(1195)  Nr  7.  Uto  I.  erscheint  ohne  Mitra, 
Uto  IL  in  seitlich,  Berthold  IL  in  vorn 
gehörnter  Mitra. 

1  Förster,  Denkmale  deutscher  Bild- 
nerei  und  Malerei  HL  Die  Grabplatte  wird 
dort  S.  17  des  Textes  als  diejenige  des  Erz- 
bischofs Gisler  bezeichnet  und  unter  Hinweis 
auf  die  Türen  in  Hiklesheim  als  Entstehungs- 
zeit derselben  die  Frühzeit  des  1 1.  Jahrhunderts 
angenommen.  Aus  ihrer  Inschrift:  Octava  de- 
cima  februi  redeunte  calenda ,  quem  deus 
ascivit,  presul  venerandus  obivit,  geht  jedoch 
klar  hervor,  daß  die  Grabfigur  nicht  Gisler, 
sondern  den  am  15.  Januar  1152  gestorbenen 
Erzbischof  Friedrich  wiedergibt. 

=  Beide  Miniaturen  stellen  St  Bernward 
dar.  Das  Manuskript  der  Vita  S.  Bernwardi 
wird  M.  G.  SS.  IV  755  und  Archiv  VII  428 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


ins  11.  Jahrhundert  versetzt.  Mit  Unrecht. 
Der  Hannoversche  Codex ,  eine  Kopie  von 
Thankmars  Leben  Bernwards,  entstand  erst 
nach  der  1150  erfolgten  Kanonisation  des 
großen  Hildesheimer  Bischofs ,  und  zwar 
frühestens  im  dritten  Viertel  des  12.  Jahr- 
hunderts. Das  beweist  nicht  nur  der  Heiligen- 
schein, der  St  Bernwards  Haupt  umgibt,  son- 
dern ebensosehr  und  mit  aller  Bestimmtheit 
die  Mitra,  welche  dasselbe  schmückt. 

3  Herrade  de  Landsberg,  Hortus  deli- 
ciarum, Straßburg  1901,  pl.  lxviii. 

4  Die  Mitra,  welche  die  Bischofsfigur  an 
dem  angeblichen  Stab  des  hl.  Ivo  —  jetzt  im 
Bargello  zu  Florenz  —  trägt  (Abbildung  bei 
Martin  et  Cahier  IV,  pl.  xvn),  beweist, 
daß  derselbe  nicht  im  Anfang,  sondern  erst 
in  der  Spätzeit  des  12.  Jahrhunderts  ent- 
standen ist. 

5  Roh.  VIII,  pl.  ncix. 

6  Ebd.  pl.  dcxxxix. 

'   Ebd.   pl.  DCLX  DCLVII. 

30 


466      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


dritte  Entwicklungsstufe  l.  Auf  den  Siegeln  von  Avranehes  bildet  dasjenige  Achards 
(1161—1171)  die  Grenzmarke  der  zweiten  Mitraform 2 ;  mit  Bischof  Richard  (1171 — 1182) 
beginnt  auf  den  Siegeln  die  dritte 3.  Auf  den  Arier  Siegeln  ändert  sich  die  Mitra 
unter  Hugo  IL  Ein  Siegel  von  1222  hat  noch  die  seitlich,  das  von  1230  aber  die 
vorn  und  hinten  gehörnte  Mitra.  Zu  Arras  tritt  der  Wechsel  auf  den  Bischofssiegeln 
um  1175,  zu  Cambrai  um  1190,  zu  Avignon  zwischen  1190  und  1200,  zu  Marseille  um 
1220,  zu  Toulon  um  1200,  zu  Aix  um  1180  4,  zu  Beauvais  um  1175  auf.  Zu  Mende 
hält  sich  die  zweite  Mitraform  bis  nach  1215  auf  den  Siegeln. 

Nach  Bohault  de  Fleury  soll  der  dritte  Mitratypus  in  Chälons-sur-Marne  schon 
1142,  in  Senlis  1151,  in  Beauvais  1140  und  Arras  1143  vorkommen.  Die  beiden 
ersten  Angaben  haben  wir  nicht  kontrollieren  können 5.  Die  beiden  letzten  dürften 
auf  einem  Irrtum  beruhen.  Wie  es  scheint,  hat  Rohault  oder  sein  Gewährsmann 
die  kegelförmige  Mitra  des  ersten  Typus  für  die  dritte  Mitraform  angesehen.  Denn 
zu  Arras  weist  noch  das  Siegel  des  Bischofs  Andreas  (1170),  zu  Beauvais  aber  das- 
jenige des  Bischofs  Heinrich  1160  die  seitlich  gehörnte  Mitra  auf6. 

Daß  auch  in  Italien  bereits  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  die 
vorn  und  hinten  gehörnte  pontifikale  Kopfbedeckung  in  Gebrauch  war,  be- 
weisen beispielsweise  eine  Bischofsbüste  an  einem  Weihwasserbecken  in  Borgo 


Bild   224.      Mitra.      Brixen,  Dom. 


Bild  225.      Mitra.      Brixen,  Dom. 


S.  Donnino  (bei  Parma),  Reliefs  der  Erztüren  und  Skulpturen  am  Portalbau 
von  S.  Zeno  zu  Verona,  die  Darstellung  des  Erzbischofs  Bonifatius  in  der 
ca  1189  entstandenen  zweiten  Fortsetzung  der  Annalen  von  Genua  (ad  1188) 7, 
Reliefs  der  Erztüren  des  Domes  zu  Benevent  u.  a. 

Das  Auftreten   der  Mitra  und  die  Form,    welche  sie  im  einzelnen  Falle 
bei  Bischofsdarstellungen   hat,    sind   für   die  Datierung  von  Monumenten  und 


1  Roh.  VIII,  pl.  dclvii. 

2  Ebd.  VII,  pl.  dxx. 

3  Ebd.  VIII,  pl.  dcxxxviii. 

4  Vgl.  wegen  der  Siegel  Demay,  Inven- 
taire  de  sceaux  de  la  Flandre  108  ff,  und 
Blancard,  Iconographie  des  sceaux  pl.  38 ff. 

5  Roh.  VIII  123.  Wir  geben  darum 
diese  Angaben  nur  mit  Vorbehalt  wieder. 
Die  Tatsache,  daß  die  vorn  sich  erliebende 
Mitra  durchweg  erst  spät  in  Frankreich  auf- 
tritt, und  mehr  noch  die  so  häufige  fehler- 
hafte Datierung  bei  Rohault  de  Fleury  bieten 
dazu  hinlänglich  Grund.  Von  den  VII, 
pl.  dxcvi  abgebildeten  drei  Grabfiguren  aus 
Sens,    Chartres   und  Poitiers    (Bischöfe   mit 


über  der  Stirn  aufsteigender  Mitra),  welche, 
wie  es  scheint ,  dort  und  p.  158  den  Jahren 
1144,  1122  und  1115  zugeschrieben  werden, 
sind  die  beiden  letzten  kaum  vor  dem 
13.  Jahrhundert  entstanden.  Aber  auch  die 
erste,  welche  Bischof  Heinrich  den  Eber  (le 
Sanglier)  darstellen  soll  (f  1142),  dürfte  nicht 
viel  früher  angefertigt  sein. 

c  Über  das  Siegel  des  Bischofs  Andreas 
von  Arras  vgl.  Demay  a.  a.  O.  II  109,  des 
Bischofs  Heinrich  von  Beauvais  Roh.  VIII  122. 
7  M.  G.  SS.  XVIII,  tab.  3.  Erzbischof  Hugo 
(ad  1169)  trägt  in  der  ca  1172  vollendeten 
ersten  Fortsetzung  der  Annalen  eine  Mitra 
mit  seitlichen  Hörnern. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


467 


illustrierten   Codices   von    großer  Wichtigkeit.     Bildwerke,   auf  denen   irgend 


eine  der  verschiedenen  Formen  der  pontifikalen  Kopfbedeckung  auftritt,  sind 
auf  alle  Fälle  nach  1000,  meist  aber  erst  in  den  Ausgang  des  11.  oder  den 
Beginn  des  12.  Jahrhunderts  zu  setzen.  Hat 
die  Mitra  Kegel-  oder  Kalottenform,  so  sind 
die  Darstellungen  in  der  Regel  der  Zeit  vor 
1050  zuzuweisen;  ist  sie  dagegen  mit  seitlichen, 
spitz  ansteigenden  Hörnern  versehen,  so  werden 
die  betreffenden  Monumente  nicht  vor  1100, 
für  gewöhnlich  aber  auch  nicht  nach  1175  ent- 
standen sein ,  es  sei  denn ,  daß  es  sich  um 
französische  Bildwerke  handelt,  auf  denen  sich 
diese  Mitraform  länger  erhielt.  Darstellungen 
mit  Mitren,  deren  Hörner  sich  über  Stirn  und 
Hinterhaupt  erheben,  können  im  allgemeinen 
frühestens  dem  dritten  Viertel  des  12.  Jahr- 
hunderts zugeschrieben  werden ;  jedenfalls  gehen 
sie  nicht  über  das  zweite  Viertel  zurück. 

Es  gibt  nicht  viele  Mitren  des  dritten  Typus 
mehr,  welche  noch   in  das  12.  Jahrhundert   gesetzt     Bild  226.   Mitra.   Bamberg,  st  Michael, 
werden  können.   Eine  davon  befindet  sich  in  S.  Tri- 

nitä  zu  Florenz,  eine  andere  im  Domschatz  von  Anagni.  Beide  sind  aus  weißem  Linnen 
gemacht,  ohne  alle  Besätze  und  mit  schlichten  weißlinnenen  Behängen  versehen.  Die 
Mitra  zu  Florenz  ist  nur  19  cm  (Bild  222,  S.  464),  die  zu  Anagni  21  cm  (Bild  223, 
S.  465)  hoch.  Auch  die  beiden  Mitren  im  Schatz  von  St  Johann  zu  Monza  mögen 
vielleicht  noch  dem  12.  Jahrhundert  angehören.  Sie  sind  in  titulo  und  circulo  mit 
breiten  Goldborten  verziert  und  haben  eine  Höhe  von  21  bzw.  22  cm  l. 

Aus    dem   13.  Jahrhundert    hat    sich    noch    eine    verhältnismäßig    beträchtliche 
Anzahl   von   Mitren    erhalten.     In   Frankreich    gibt   es    deren    aus    dieser    Zeit   noch 


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Bild  227.     Herstellungsweise  der  Mitra  im  12.  und  13.  Jahrhundert. 


zwei  zu  Sens  (Kathedrale),  sowie  je  eine  zu  Comminges  (St-Bertrand),  Beauvais  (Mu- 
seum), Pontigny,  Toulouse  (St-Sernin)  und  St-Lizier-de-Conserans  2,  in  Italien  außer 
den  beiden  bereits  erwähnten  Mitren  in  St  Johann  zu  Monza,  die  vielleicht  noch  dem 


1  Eine  genauere  Untersuchung  der  Mitren, 
welche  deutliche  Zeichen  späterer  Restau- 
rationen aufweisen ,  hinderte  leider  der  Um- 
stand, daß  sie  sich  hinter  Glas  und  Rahmen 
befanden. 

2  Von  zwei  Mitren  in  der  Kathedrale  zu 
Lyon  gehört  eine  trotz  ihrer  geringen  Höhe 


nach  Ausweis  ihrer  Beschaffenheit  erst  dem 
15.  Jahrhundert  an;  sie  besteht  aus  rotem 
Samt.  Die  andere,  welche  auf  den  Schilden 
mit  Stickereien  verziert  ist,  dürfte  zwar  noch 
dem  13.  Jahrhundert  entstammen,  sie  muß 
aber  später  eine  Restauration  erfahren  haben. 
(Abbildungen  der  Mitren  bei  de  Farcy  pl.  10). 
30* 


46S     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


12.  Jahrhundert  entstammen,  drei  zu  Anagni  (Kathedrale),  zwei  zu  Castel  S.  Elia 
und  je  eine  zu  Capua  (Kathedrale),  Verona  (S.  Zeno)  und  Perentino  (Kathedrale). 
Die  letztgenannte  rührt  von  dem  heiligen  Papst  Cölestin  V.  her.  Auch  eine  aus  der 
Spätzeit  des  13.  Jahrhunderts  stammende  Mitra  im  Germanisehen  Museum  zu  Nürn- 
berg ist  nach  dem  Stil  der  aufgestickten  figürlichen  Darstellungen  italienischen  Ursprungs; 
sie  scheint  im  Venetianischen  entstanden  zu  sein  (Bild  232,  S.  472). 

Belgien  besitzt  noch  zwei  Mitren  aus  dem  13.  Jahrhundert,  welche  sich  beide 
im  Besitz  der  Schwestern  Unserer  Lieben  Frau  zu  Namur  befinden.  Eine  derselben, 
welche  auf  den  Schilden  mit  Darstellungen  des  Martyriums  der  hll.  Laurentius  und 
Stephanus  bedeckt  ist,  soll  dem  Kardinal  Jakob  von  Vitry  (j-  1244)  angehört  haben. 
In  Spanien  bewahrt  man  gleichfalls  noch  zwei  Mitren  des  13.  Jahrhunderts  auf;  die 
eine  zeigt  man  im  erzbischöflichen  Museum  zu  Vieh,  die  andere,  welche  irrig  dem 
hl.  Oldegarius  zugeschrieben  wird,  in  der  Kathedrale  zu  Barcelona. 

Am  zahlreichsten  sind  die  Mitren  aus  dem  13.  Jahrhundert  in  Deutschland, 
Österreich  eingeschlossen.  Man  hat  deren  noch  vier  zu  Salzburg  (Dom  und  St  Peter),  je 
zwei  zu  Bamberg  (Dom  und  St  Michael),  Brixen  (Dom)  (Bild  224  und  225,  S.  466),  München 
(Frauenkirche  und  Nationalmuseum)  und  Halberstadt  (Dom),  sowie  eine  zuBegensburg 

(St  Emmeram)1.  Die  Mitra  in  St  Mi- 
chael zu  Bamberg  soll  dem  hl.  Otto 
(tH39)(Bild226,S.  467), diejenige  in  der 
Frauenkirche  zu  München  dem  hl.  Benno 
von  Meißen  (f  1106)  zugehört  haben, 
in  Wirklichkeit  entstammen  jedoch 
beide  erst  dem  13.  Jahrhundert.  Wahr- 
scheinlich handelt  es  sich  bei  ihnen 
um  Mitren,  mit  denen  man  zu  dieser 
Zeit  bei  einer  Erhebung  oder  einer 
ähnlichen  Gelegenheit  die  Reliquien 
jener  Heiligen  schmückte  -. 

Alle  diese  Mitren  aus  dem 
12.  und  13.  Jahrhundert  weisen 
drei  Eigentümlichkeiten  auf.  Ihre 
erste  besteht  in  der  geringen  Höhe. 
Im  12.  Jahrhundert  betrug  diese 
nur  etwa  19 — 22  cm,  also  nur  etwa 
zwei  Drittel  der  Breite.  Im  13.  nahm  sie  dann  zwar  allmählich  zu,  jedoch 
blieb  sie  bis  zum  Ende  desselben  immer  noch  merklich  unter  der  Breite.  Bei 
keiner  der  vorhin  genannten  Mitren  aus  dein  13.  Jahrhundert  übersteigt  die 
Höhe  26  cm,  bei  den  meisten  beträgt  sie  ca  24  cm;  bei  der  Mitra  des  Bischofs 


Bild  228.      Mitra.      Anagni,  Kathedrale. 


1  Abbildungen  eines  Teiles  der  angeführten 
Mitren  bei  Roh.  VIII,  pl.  dclviii  (Florenz), 
dcxix  (Rom,  Monza),  dclx  (Lyon,  Commin- 
ges),  dclxi  (Beauvais,  Sens),  dclxii  (Namur), 
dclxiii  (Pontigny) ,  dclxv  (Anagni) ;  bei 
Bock  II,  Tfl  16  (Salzburg,  St  Peter),  23 
(Sens,  Bamberg),  24  (Verona);  in  Revue 
1861 ,  225  (Toulouse) ;  in  Mitt.  12.  Jahrg., 
Tfl  2,  2  (Salzburg,  St  Peter),  3  und  4  (Salz- 
burg, Dom),  S.  73  (Brixen)  —  die  hier  Tfl  2, 
1  wiedergegebene  Mitra  aus  dem  Dom  zu 
Krakau  dürfte  frühestens  in  das  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  zu  setzen  sein  — ;  bei  Ca- 
hier,  Decorations  d'eglises  9  (Bamberg), 
10  (St-Lizier-de-Cons6rans),   16   17    (Namur) 


—  die  allda  14  mitgeteilte  Mitra  von  St-Gildas- 
de-Buis  (Bretagne)  wird  wohl  ehestens  dem 
14.  Jahrhundert  angehören  —  ;  bei  d  e  F  a r  c  j 
pl.  10  (Lyon),  11  (Sens),  Suppl.  pl.  154  (Vieh) 
und  Zeitschrift  1890,  130  (Nürnberg)  und 
1902,  11  f  (Anagni,  Capua).  Über  die  Mitren 
von  Anagni  vgl.  auch  D  i  d  r  o  n  ,  Annales 
archiSolog.  XVII  231;  daselbst  auch  p.  227 
die  Mitra  von  Beauvais. 

2  Die  Kasel,  welche  man  als  einst  dem 
hl.  Otto  zugehörig  in  St  Michael  zugleich 
mit  der  Mitra  aufbewahrt,  entstammt  erst 
dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts.  Ihr  Stoff, 
ein  gemusterter  Samtbrokat,  und  ihre  Form 
lassen  keinen  Zweifel  daran. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


469 


Herstellungsart 


Bruno  (1250—1288)  im  Dom  zu  Brixen  (Bild  224,  S.  466)  beläuft  sie  sich 
sogar  noch  wie  bei  den  Mitren  des  12.  Jahrhunderts  auf  nur  ca  21  cm.  Erst  im 
14.  Jahrhundert  beginnt  die  Mitra  stärker  zu  wachsen.  Die  zweite  Eigen- 
tümlichkeit liegt  darin,  daß  die  Mitra  von  unten  bis  zum  Anfang  der  Schrä- 
gungen dieselbe  Weite  beibehält.  Daher  stehen,  wenn  man  eine  der  vorhin 
genannten  Mitren  zusammenklappt,  die  Seiten  allemal  senkrecht  zum  Rand.  Erst 
eine  spätere  Zeit  schafft  Mitren,  die  sich  von  unten  nach  oben  zu  erweitern. 

Drittens  stoßen  die  Schrägseiten  derHörner,  die  stets  eine  gerade  Linie  dar- 
stellen, an  der  Spitze  der  Mitra  regelmäßig  unter  einem  rechten  Winkel  zusammen. 

Ihren  Grund  haben  diese  drei  Eigentümlichkeiten  in  der  von  der  späteren 
anz  abweichenden  Machweise,  welche  bei  den  Mitren  des 
12.  und  13.  Jahrhunderts  zur  An- 
wendung kam.  Man  nahm  zwei  recht- 
eckige Stoffstücke  von  der  für  das 
Ornatstück  gewünschten  Höhe  und 
entsprechender  Breite  (ab  cd  und 
a'  b'  c'  d'),  versah  sie  mit  Futterstoff, 
schlug  die  Ecken  a,  b,  a',  b'  so  nach 
innen  um,  daß  bei  e  und  e'  ein 
rechter  Winkel  entstand,  nähte  ea 
und  e  b,  e'  a'  mit  e'  b',  x  y  mit  x'  y', 
x  c  mit  x'  c'  und  y  d  mit  y'  d'  zu- 
sammen, fügte  dem  Ganzen  die  fa- 
sciae  und  den  Besatz  hinzu,  wenn  ein 
solcher  angebracht  werden  sollte,  und 
die  Mitra  war  fertig  (Bild  227,  S.  467). 
Damit  die  Mitra  größere  Steifheit 
erhielt,  wurde  zwischen  Ober-  und 
Unterstoff  ein  kräftiges  Zeug-  oder 
ein  Pergamentstück  von  der  Form 
der  Hörner  eingeschoben.  Einlache 
Mitren  fertigte  man  auch  wohl  in 
der  Weise  an,  daß  man  aus  zwei 
kleineren  oder  einem  größeren  ge- 
fütterten Stoffstück  eine  taschen- 
ähnliche, im  zusammengelegten  Zu- 
stande viereckige  Mütze  herstellte, 
welche  man  mit  dem  nötigen  Besatz 
versah  und  dann  auf  dem  Kopf  so  eindrückte,  daß  über  Stirn  und  Hinter- 
kopf sich  eine  Spitze  bildete. 

Kostbar  ist  kaum  eine  der  eben  genannten  Mitren.  Die  meisten  sind  aus 
weißer  Seide  gemacht.  Drei  bestehen  aus  rautenförmig  gemustertem  Linnen- 
köper und  entbehren,  von  den  Behängen  abgesehen,  aller  Verzierung.  Es 
sind  die  vorhin  erwähnten  Mitren  zu  Florenz  und  Anagni  und  eine  der  beiden 
Mitren  zu  Castel  S.  Elia.  Aber  auch  die  übrigen  weisen  im  Vergleich  mit  so 
manchen  Prachtmitren  aus  dem  späten  Mittelalter  durchweg  nur  mäßigen 
Schmuck  auf.  Bei  keiner  fehlt  der  circulus,  d.  i.  der  ringförmige  Band- 
besatz. Bei  den  meisten  kommt  zu  ihm  ein  Vertikalbesatz  in  titulo, 
der  Zierstreifen ,  der  in  der  Mitte  der  Hörner  vom  circulus  zur  Spitze  auf- 
steigt.   Er  hatte  nicht  bloß  den  Zweck,  den  Schilden  der  cornua  eine  gefällige 


Bild   229.      Mitra.      Anagni,  Kathedrale. 


470     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Teilung  zu  geben  und  die  aufstrebende  Richtung  der  letzteren  sinnfälliger  und 
ausdrucksvoller  zur  Geltung  zu  bringen,  sondern  diente  auch  dazu,  und  zwar 
ganz  besonders,  die  Naht  zu  verdecken,  welche  sich  über  die  Mitte  eines  der 
tituli  oder  auch  beider  zu  ziehen  pflegte.  Man  konnte  diese  freilich  an  die 
Seiten  legen.  Es  war  jedoch  praktischer,  sie  über  den  Schilden  anzubringen 
und  hier  durch  einen  Vertikalbesatz  zu  verdecken,  da  sich  in  diesem  Falle 
nirgends  ringsum  eine  Naht  bemerklich  machte.  An  den  Seiten  findet  sich 
nur  bei  einzelnen  Mitren  (Regensburg,  St  Michael  zu  Bamberg)  ein  Besatz; 
an  den  Schrägungen  kommt  ein  solcher  häufiger  vor.  Auch  zieht  sich  wohl 
ein  Börtchen  oben  über  die  Mitra  von  Hornspitze  zu  Hornspitze. 

Diese  Besätze,  gewöhnlich  Aurifrisien  genannt,  bestehen  bei  den  meisten 
der  oben  erwähnten  Mitren  aus  Goldborten ;  in  Stickerei  hergestellte  Zierstreifen 
finden  sich,  zum  Teil  neben  gewebten,  auf  zwei  Mitren  zu  Anagni  (Bild  228  und 
229,  S.  468  und  469),  auf  den  Mitren  im  Dom  zu  Bamberg,  in  S.  Zeno  zu  Verona 
(Bild  230),  im  Dom  zu  Capua,  in  der  Kathedrale  zu  Barcelona  und  im  ei'zbischöf- 
lichen  Museum  zu  Vieh  sowie  auf  einer  der  Mitren  zu  Castel  S.  Elia  und  im 

Dom  zu  Halberstadt  (Bild  231).  Figür- 
liche Stickereien,  vornehmlich  Brust- 
bilder in  Medaillons,  weisen  bloß  die 
Mitren  zu  Verona,  Capua,  Barcelona, 
Nürnberg  und  eine  der  Mitren  zu 
Anagni  auf  (Bild  228,  S.  468);  bei 
den  übrigen  sind  den  Besätzen  nur 
ornamentale  Motive  aufgestickt.  Steine 
sind  nur  bei  wenigen  der  Mitren  zur 
Verzierung  der  Aurifrisien  zur  Ver- 
wendung gekommen  (Monza,  Regens- 
burg). Durch  ihren  kostbaren  Perlen- 
schmuck zeichnen  sich  die  Besätze  der 
Mitra  im  Dom  zu  Bamberg  aus.  Auf 
einer  der  Halberstädter  Mitren  be- 
stehen die  Zierstreifen  aus  Schmelz- 
perlen und  Korallen  (Bild  231). 
Die  dreieckigen  neben  dem  Vertikalbesatz  liegenden  Zwickel  der  tituli 
sind  bei  der  Mehrzahl  der  genannten  Mitren  entweder  ganz  schmucklos  oder 
doch  bloß  mit  einem  leichten  Ornament  versehen.  Dasselbe  besteht  meistens 
nur  in  einem  Rundmedaillon  oder  einem  Stern,  welche  den  Zwickeln  in  der 
Mitte  aufgesetzt  sind,  bei  der  dem  hl.  Thomas  Becket  irrig  zugeeigneten  Mitra 
im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Sens  in  Goldranken,  bei  einer  der  Mitren  zu 
Anagni  und  der  Mitra  zu  Verona  (Bild  230),  in  Möndchen,  kleinen  Sternen 
oder  Lilien,  die  über  den  Grund  verstreut  sind. 

Figürliche  Darstellungen  sind  nur  bei  wenigen  der  angeführten 
Mitren  den  Schilden  aufgestickt;  es  sind  die  Mitren  im  Dom  zu  Anagni,  die 
Mitra  im  kgl.  bayrischen  Nationalmuseum  zu  München,  eine  der  beiden  Mitren 
zu  Namur,  eine  der  Mitren  zu  Sens  und  die  Mitra  im  Germanischen  Museum 
zu  Nürnberg  (Bild  232,  S.  472).  Bemerkenswert  ist,  daß  bei  dreien  dieser 
Mitren  (Namur,  München,  Sens)  auf  einem  der  Schilde  dieselbe  Szene,  und  zwar  in 
gleicher  Technik  —  Goldstickerei  mit  tief  eingezogenen  Abheftfäden  — ,  wieder- 
kehrt, während  uns  auf  dem  andern,  ebenfalls  in  der  gleichen  Technik,  bei 
zweien  das  Martyrium  des  hl.  Stephanus  (Sens,  München),  bei  der  dritten  aber 


Bild   2S0.      Mitra.      Verona,  S.  Zeno. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


471 


das   des   hl.  Laurentius  begegnet.     Die   drei  Mitren   stammen   zweifellos   aus 
einer  und  derselben  Werkstatt. 

Mit  Malereien  geschmückt  sind  die  Besätze  und  tituli  der  zweiten 
der  beiden  Mitren  zu  Namur  (Bild  233,  S  473).  Auf  dem  circulus  sind  auf 
Goldgrund  unter  Arkaden  die  Apostel  dargestellt,  auf  den  Vertikalbesätzen  in 
Medaillons  vorn  Christus,  Maria  und  ein  heiliger  Bischof,  rückwärts  phan- 
tastische Tiergestalten.  Die  Zwickel  der  Schilde  enthalten  Engel  und  Evan- 
gelistensymbole bzw.  Sonne  und  Mond.  Die  Mitra  beweist,  daß  man  schon  früh 
auch  die  Malerei  zur  Verzierung  des  pontifikalen  Kopfschmuckes  zu  Hilfe  nahm. 
Die  fasciae,  Behänge,  sind  bei  vielen  der  erwähnten  Mitren  nicht  mehr 
vorhanden.  Bei  den  unverzierten,  weißlinnenen  Mitren  zu  Florenz,  Anagni 
und  Castel  S.  Elia  sind  sie  ebenfalls  aus  weißem,  geköpertem  Linnen  gemacht. 
Bei  andern  bestehen  sie  entweder  aus  gewebten  Borten  von  ähnlicher  Art, 
wie  sie  zum  circulus  und  den  Vertikalbesätzen  gebraucht  zu  werden  pflegten, 
oder  aus  dem  Stoff  der  Mitra;  letzteres  namentlich  da,  wo  die  Aurifrisien 
Stickerei  hergestellt  sind. 


B.  eine  mit  gestick- 


m 

So  hat  z 

ten  Besätzen  verzierte  linnene 
Mitra  in  der  Kathedrale  zu 
Anagni  Behänge  aus  Linnen, 
während  eine  weißseidene  da- 
selbst fasciae  aus  weißer  Seide 
besitzt.  Immer  bestehen  sie 
aus  dem  Stoff  der  Mitra,  wenn 
auch  sie,  wie  z.  B.  bei  der 
Mitra  Jakobs  von  Vitry  zu 
Namur,  der  Mitra  im  Dom  zu 
Salzburg  und  der  sog.  Mitra 
des  hl.  Thomas  Becket  zu 
Sens,  mit  Stickereien  verziert 
sind.  Den  Behängen  der 
beiden  letztgenannten  Mitren 
sind  Goldranken  aufgestickt, 
denjenigen  der  Mitra  Jakobs 
von  Vitry  figürliche  Darstellungen. 


Bild  231.      Mitra.     Halberstadt,  Dom. 


Museum  zu  Nürnberg  sind 


Die  fasciae  der  Mitra  im  Germanischen 
ungewöhnlicherweise  auf  beiden  Seiten  mit  reichen 
Figurenstickereien  geschmückt,  Heiligen  unter  Baldachinen  im  Wechsel  mit 
Kreisen,  die  mit  phantastischem  Getier  gefüllt  sind  (Bild  232,  S.  472).  Es 
verdient  hervorgehoben  zu  werden,  daß  die  fasciae  ebenso  oft  aus  dem  Stoff 
der  Mitra  gemacht  sind  wie  aus  Borten  von  dem  Charakter  des  circulus.  Es 
zeigt  das,  wie  wenig  sie,  wie  man  wohl  gewollt  hat,  als  bloße  Verlängerung 
des  Randbesatzes  zu  betrachten  sind. 

Behänge  aus  Goldborten  besitzen  zwei  der  Mitren  in  St  Peter  zu 
Salzburg,  die  beiden  Mitren  zu  Monza,  eine  der  beiden  Mitren  zu  Brixen, 
die  Mitra  in  St  Michael  zu  Bamberg  und  die  Mitra  in  St  Emmeram  zu 
Regensburg. 

Die  Behänge  sind  bei  allen  Mitren  entweder  ganz  in  der  Mitte  der 
Rückseite  oder  doch  nahe  der  Mitte  zu  angebracht.  Bei  keiner  finden  sie  sich 
nach  den  Seiten  hin.  Ihrer  Form  nach  stellen  sie  in  den  meisten  Fällen  einen 
überall  gleichbreiten  Streifen  dar ;  Behänge,  die  sich  nach  unten  zu  erweitern, 


472     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Fiifäe  u.  des  Kopfes. 


finden  sich  an  der  Mitra  Jakobs  von  Vitry ,  der  sog.  Mitra  des  hl.  Thomas 
Becket  zu  Sens,  einer  der  Mitren  zu  Anagni  und  der  Mitra  zu  Pontigny. 
An  den  Enden  sind  die  fasciae  bei  einzelnen  Mitren  mit  Fransen  ge- 
schmückt ;  bei  andern ,  bei  welchen  solche  gegenwärtig  an  den  Behängen 
fehlen,  mögen  sie  im  Lauf  der  Zeit  abhanden  gekommen  sein. 

Das  Futter  besteht  bei  den  Mitren  bald 
aus  kräftigem  weißen  Linnen,  bald  aus  roter 
oder  grüner  Seide. 

Der  13.  Ordo  unterscheidet  drei  Mitren 
des  Papstes;  die  erste  war  ganz  weiß,  die 
zweite  nur  mit  einem  Besatz  versehen, 
welcher  in  der  Mitte  der  cornua  sich  von 
oben  nach  unten  zog  (cum  aurifrisio  in 
titulo  —  titulus  ist  die  über  Stirn  und 
Hinterkopf  aufsteigende  Fläche  —  sine  cir- 
culo),  bei  der  dritten  endlich  zog  sich  außer- 
dem ein  Streifen  um  den  unteren  Rand  hin 
(aurifrisiata  in  circulo  et  titulo) 1.  Die  sim- 
plex  alba  trug  der  Papst  bei  Totenmessen 
sowie  an  den  Sonn-  und  Ferial-(Werk-)tagen 
der  Zeit  von  Septuagesima  bis  Ostern  und 
des  Advents  mit  Ausnahme  der  Sonntage 
Lätare  und  Gaudete.  An  diesen  wie  an 
den  sonstigen  Tagen  des  Jahres  bediente 
er  sich  der  aurifrisiata  in  circulo  et  titulo. 
Die  zweite  Mitrenart  setzte  der  Papst  nur 
im  Konsistorium  auf2.  Daß  auch  schon  zu 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  irgend  ein  Unter- 
schied zwischen  Mitra  und  Mitra  in  Rom 
bestanden,  ergibt  sich  aus  dem  12.  Ordo 
Mabillons,  wonach  der  Papst  am  Ostertag 
eine  mitra  sollemnis  gebrauchen  soll3.  Du- 
randus  unterscheidet  nur  zwei  Sorten  von 
Mitren,  die  simplex  alba  und  die  auri- 
frisiata4. Unter  der  letzteren  wird  er  die 
aurifrisiata  in  circulo  et  titulo  oder  die  auri- 
frisiata in  circulo  verstehen,  da  die  auri- 
frisiata in  titulo  sine  circulo  außerhalb 
Roms  nicht  gebräuchlich  gewesen  sein  dürfte. 
Seit  welcher  Zeit  die  Unterscheidung 
zwischen  der  mitra  simplex,  der  mitra  cum 
aurifrisio  in  titulo  sine  circulo  und  der 
mitra  cum  aurifrisio  in  circulo  et  titulo  datiert,  ist  nicht  festzustellen.  Sie 
mag  aber  in  ihren  Anfängen  recht  hoch  hinaufgehen.  Denn  wenn  Paschalis  II. 
den  Dignitaren  von  Compostella  gestattet,  ut  mitris  gemmatis  capita  con- 
tegant,   in  speciem  videlicet  presbyterorum  seu  diaconorum  sedis  apostolicae, 


Bild  232.     Mitra.     Nürnberg,  Germ.  Museum. 


'  Circulus  heißt  bald  der  untere  Teil  der 
Mitra,  bald  der  um  diesen  sich  herumziehende 
Besatz. 

2  Ordo  13,  n.  12  (M.  78,  1114). 


3  Ordo  12,  n.  33  (ebd.  1078). 

1  Rationale  1.  3,  c.  13;  f.  76.  Durandi 
Bp.  Mimat.  Pontificale  (Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12, 
ordo  23;  I  225). 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  473 

so  scheint  in  diesen  Worten  der  Bulle  eine  Andeutung  zu  liegen,  daß  man 
bereits  zwischen  Mitra  und  Mitra  zu  unterscheiden  angefangen  hatte.  Die 
genauere  Fixierung  des  Unterschiedes  und  die  Bestimmungen  über  den  Ge- 
brauch der  verschiedenen  Mitraklassen  mögen  freilich  erst  im  13.  Jahrhundert 
erfolgt  sein,  da  sich  vorher  davon  keine  Spur  findet. 

Beispiele  von  mitrae  simplices  bilden  die  schmucklosen  weißlinnenen 
Mitren  zu  Florenz,  Anagni,  Castel  S.  Elia.  Eine  Illustration  der  mitra  cum 
aurifrisio  in  titulo  et  circulo  bieten  die  übrigen  noch  vorhandenen  Mitren  aus 
dem  12.  und  13.  Jahrhundert.  Eine  mitra  aurifrisiata  in  titulo  sine  circulo 
hat  sich  nicht  erhalten. 

Es  fehlt  der  Raum,  aus  Inventaren  des  13.  Jahrhunderts  längere  Auszüge  zu 
bringen,  um  das  Bild,  das  uns  die  aus  dieser  Zeit  stammenden  Mitren  gewähren,  zu 
ergänzen.  Immerhin  können  wir  es  uns  nicht  versagen,  wenigstens  dem  Schatz- 
verzeichnis des  Apostolischen  Stuhles  aus  dem  Jahre  1295  und  dem  gleichzeitigen  In- 
ventar von  St  Paul  zu  London  einige  die  Mitren  betreffende  Angaben  zu  entnehmen.  Sie 
zeigen,  welche  Pracht  schon  um  den  Ausgang  des  13.  Jahrhunderts  bei  der  Mitra 
entfaltet  wurde.  Ganz  besonders  gilt  das  von  den  zahlreichen  Mitren  des  päpstlichen 
Schatzes.  Es  sind  unter  ihnen  namentlich 
neun,  die  unsere  besondere  Aufmerksam- 
keit erregen.  Nehmen  wir  nur  eine  der 
einfachsten.  Sie  war  ganz  mit  Perlen 
bestickt  und  wies  auf  der  Vorderseite 
7  Emails  in  Rosettenform,  6  durchsichtige 
grüne  Emails,  wie  wir  sie  so  oft  bei  den 
alten  Schmelzen  zu  bewundern  haben, 
24  Smaragde  und  35  kleine  Rubine,  an 
der  Rückseite  außer  Emails  derselben 
Zahl  und  Art  wie  auf  der  Stirnseite 
35  kleine  Smaragde  und  25  kleine  Rubine 
auf.  Die  Behänge,  caudae  genannt,  waren 
gleichfalls   ganz  mit  Perlen   besetzt   und  p.,,  oor>     ,.., 

mit  Schmelzen,    Smaragden  und  Rubinen  Nanml.  K]ostel.  der'  s;hweatern  v,  L.  Frau. 

verziert.  Der  Schmelze  gab  es  auf  ihnen  20, 

der  Smaragde  25  und  der  Rubine  26.  Die  Mitra  wog  5  mc  4  unc,  also  23/t  Pfund. 
Eine  andere  Mitra,  es  ist  der  Kostbarkeit  nach  erst  die  sechste,  war  auf  jedem  der 
beiden  Schilde  mit  7  in  Schmelz  ausgeführten  Medaillons,  die  mit  Brustbildern  von 
Heiligen  gefüllt  waren,  geschmückt.  Dazu  kamen  auf  der  Vorderseite  16  Saphire, 
4  Smaragde,  12  große  Türkise,  5  Karfunkel  und  17  Granate,  auf  der  Rückseite 
24  kleine  Saphire,  17  kleine  Granate,  12  Türkise  und  eine  Anzahl  anderer  kleiner  Edel- 
steine. Die  Spitze  des  vorderen  Schildes  krönte  ein  großer  dunkler  Rubin,  die  des 
hinteren  Schildes  ein  großer  Chrysopras.  Die  caudae  waren  besetzt  mit  Schmelzen 
von  verschiedener  Form,  mit  vielen  kleinen  Saphiren,  mit  Granaten,  Perlen  und  Glöck- 
chen.     Das  Gesamtgewicht  der  Mitra  betrug  6  mc  1  unc  =  3'/u  Pfund. 

Der  Aufwand  an  Email,  Edelsteinen  und  Perlen  bei  den  im  Inventar  unter  n.  5, 
4,  3  und  2  aufgeführten  Mitren  läßt  sich  zur  Genüge  aus  dem  Gewicht  erraten, 
welches  diese  hatten.    Nr  5  wog  6  mc  =  3  Pfund,  Nr  4  8  mc  =  4  Pfund,  Nr  3  7  mc 

1  unc  =  3a/iG  Pfund,  Nr  2  9  mc  =  4'/2  Pfund. 

Am  kostbarsten  war  die  im  Inventar  an  erster  Stelle  genannte  Mitra.  Hier 
zählen  wir  auf  der  Vorderseite  außer  drei  antiken  Kameen  auf  dem  circulus  und  zwei 
Kameen    auf  den   Schildzwickeln    20    große   und   5   ldeine   Karfunkel,    11  Smaragde, 

2  große  und  6  kleinere  Saphire,  6  Granate,  31  große  und  10  kleinere  Perlen.  Die 
Rückseite  war  kaum  minder  reich  behandelt.  Da  gab  es  außer  5  Kameen  auf  dem 
circulus  und  den  Schildflächen  26  Saphire,  18  Karfunkel,  einen  großen  Smaragd  und 
10   kleinere,    6    Granate    und   27  Perlen.     Von   den    Behängen    aber    war   einer   mit 


474     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

6  Karfunkeln,  6  großen  Saphiren,  9  kleinen  Granaten,  9  kleinen  Saphiren,  27  Perlen, 
der  andere  mit  6  Saphiren,  6  großen  Karfunkeln,  10  kleineren  Saphiren,  9  kleinen 
Granaten  und  37  Perlen  geschmückt.  Dazu  endeten  beide  caudae  in  je  5  Glöckchen. 
Das  Gesamtgewicht  des  Ornatstückes  entsprach  der  Ausstattung;  es  belief  sich  auf 
12  me  1  unc  =  6 '/ig  Pfund. 

Natürlich  handelt  es  sich  bei  den  Mitren,  die  uns  im  Inventar  Bonifaz'  VIII. 
geschildert  werden,  um  päpstliche  Mitren.  Indessen  würde  man  fehlgehen,  wollte 
man  annehmen,  es  habe  außerhalb  Eoms  bei  den  Bischöfen  nicht  wenigstens  ähnliche 
gegeben.  Man  durchgehe  nur  die  Angaben  des  Inventars  von  St  Paul.  Da  heißt  es 
z.  B. :  Una  mitra  breudata  cum  stellis  anterius  et  posterius,  insertis  lapidibus  in  laminis 
argenteis  deauratis  et  deficit  1  lapis  in  altero  pendulorum  et  in  parte  anteriori  7  lapides 
et  multae  perlae  et  in  parte  posteriori  4  lapides  et  multae  perlae ;  .  .  .  item  mitra 
de  Sandvico  episcopo  (Heinrich  von  Sandwich,  1263 — 1273),  breudata  2  stellis  an- 
terius et  2  stellis  posterius  et  ornata  2  rotellis  argenteis  insertis  lapidibus  et  perlis 
niultis,  et  deficiunt  in  anteriori  parte  1  lapis  et  2  in  pendulis  ' ;  item  una  mitra  alba 
breudata  cum  stellis  et  frecturis  (=  aurifrisiis)  et  8  limbis  (Rundmedaillons)  in  circulo 
de  purpura  ornata  lapidibus  et  flosculis ;  item  una  mitra  de  dono  Ricardi  episcopi 
(Richard  von  Gravesend,  1280 — 1303)  ornata  perlis  albis  per  campum  (gemeint  sind 
die  Schildflächen)  et  flosculis  argenteis  deauratis  lapidibus  insertis  ordine  spisso  (in 
dichten  Reihen)  et  deficit  1  campanula  in  1  pendulorum.  Schon  fast  ein  Jahrhundert 
früher  erzählt  das  Register  von  Rochester  von  einer  Mitra,  welche  mit  175  Edel- 
steinen und  4  Schmelzen  geschmückt  war.  Sie  war  ein  Geschenk  des  Erzbischofs 
Hubert  von  Canterbury  (f  1205) 2. 

Die  interessanteste  Zeit  in  der  Entwicklungsgeschichte  der  Mitra  ist 
das  12.  und  13.  Jahrhundert.  Um  die  Mitte  des  letzteren  steht  das  Ornat- 
stück unzweifelhaft  auf  seinem  Höhepunkte.  Reich,  ohne  übermäßigen  Prunk, 
nach  Umständen  prächtig  und  kostbar,  aber  keineswegs  protzenhaft,  von 
mäßiger  Höhe  und  dabei  allerwegen  von  den  besten  Verhältnissen,  nach  keiner 
Richtung  hin  vordringlich  und  doch  voll  Würde,  darf  die  Mitra  jener  Zeit  als 
das  Ideal  einer  pontifikalen  Kopfbedeckung  bezeichnet  werden. 

VIII.   DIE  MITRA  IM   SPÄTEN  MITTELALTER  UND   IN  DER  NEUZEIT. 

Die  Verbildung  des  Ornatstückes  begann  etwa  im  Verlauf  des  14.  Jahr- 
hunderts. Sie  vollzog  sich,  wenngleich  nur  allmählich,  doch  unaufhaltsam  so 
lange,  bis  die  Mitra  im  17.  Jahrhundert  zu  einem  himmelanstrebenden,  trotz  aller 
Pracht  der  Ausstattung  wenig  geschmackvollen  Turmbau  geworden  war.  Es 
ist  eigentümlich,  daß  man  um  dieselbe  Zeit,  da  man  begann,  das  liturgische 
Obergewand,  die  Kasel,  zu  beschneiden  und  zu  verkürzen,  anfing,  die  Mitra 
in  die  Höhe  und  Breite  wachsen  zu  lassen,  gerade  als  ob  beim  Bischof 
das  eine  ein  Ersatz  für  das  andere  hätte  sein  sollen. 

Schon  die  Mitren  des  14.  Jahrhunderts  nahmen  an  Höhe  merklich  zu. 
Noch  zu  Ende  des  13.  übertraf  die  Breite  des  zusammengeklappten  Ornat- 
stückes die  Höhe  um  mehrere  Zentimeter,  im  14.  aber  wurden  Höhe  und 
Breite  bald  einander  gleich.  Im  15.  Jahrhundert  änderte  sich  dann  das  Ver- 
hältnis  noch   mehr  zu  Gunsten    der   Höhe.     Nicht   lange   und    sie   überragte 


1  Zu  den  hier  geschilderten  Mitren  mit  auf-  gaben  des  Inventars  von  St  Paul  sind  daher 

gesticktem  Stern  auf  den  Schilden  bilden  die  sehr  wichtig  für  die  Datierung  der  genannten 

Mitren  von  St-Bertrand   zu  Comminges   und  Mitren.    Vgl.  auch  die  nach  einer  noch  vor- 

Pontigny    sowie    eine    der    vier    Mitren    in  handenen  Skizze  Montfaucons  bei  Roh.  VIII, 

St   Peter    zu    Salzburg   (Mitt.  XVIII   [1873]  pl.  dclxui  abgebildete  Mitra. 

201)    vortreffliche    Illustrationen.      Die    An-  2  Revue  1887,  335. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


475 


die  Breite  fast  ebenso,  wie  sie  derselben  ursprünglich  nachstand.  Verhielten 
sich  beide  anfänglich  wie  etwa  1  :  2/3,  wobei  1  als  Breite  angenommen  ist,  so 
jetzt  beinahe  wie  1  :  i/s.  Wie  sich  dann  die  Sache  im  weiteren  Verlauf  der 
Dinge  gestaltete,  erhellt  aus  den  zahlreichen  Bildwerken,  welche  sich  aus  der 
Zeit  der  absterbenden  Gotik  und  der  aufblühenden  Renaissance  allenthalben 
erhalten  haben.  Barock  und  Zopf  konnten  der  Höhe  der  Mitra  kaum  noch 
etwas  hinzufügen,  so  hoch  war  das  Ornatstück  schon  im  Beginne  des  17.  Jahr- 
hunderts geworden. 

Eine  andere  Umwandlung,  welche  mit  der  Mitra  vor  sich  ging,  bestand 
darin,  daß  man  diese  sich  vom  unteren  Rande  an  bis  zu  den  Schrägungen 
allmählich  erweitern  ließ,  indem  man  den  Seiten  eine  Neigung  nach  außen 
gab.  Vereinzelt  mag  solches  schon  im  14.  Jahrhundert  vorgekommen  sein, 
doch  hatte  eine  derartige  Praxis  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts sehr  wenig  Verbreitung  erlangt.  Erst  gegen  Ausgang  desselben 
wurde  sie,  wie  es  scheint,  häufiger,  um  dann  freilich  rasch  sehr  gewöhnlich 
und  im   17.  Jahrhundert  sogar  zur  Regel  zu  werden. 


" 

"- 

Ulli 

i 

Ulli 

iipifii 

Bild  234.     Entwicklung  der  Mitra  vom  11.  Jahrhundert  bis  heute. 


Den  Veränderungen  hinsichtlich  der  Höhe  und  Weite  gesellten  sich  um 
den  Ausgang  des  Mittelalters,  namentlich  aber  seit  dem  16.  Jahrhundert  noch 
zwei  weitere  hinzu.  Die  erste  war,  daß  man  nicht  nur  die  Mitra  überhaupt, 
sondern  auch,  und  zwar  ganz  besonders,  die  cornua  selbst  mehr  als  vordem 
aufsteigen  ließ,  so  daß  an  die  Stelle  des  rechten  Winkels,  mit  dem  dieselben 
früher  abschlössen,  ein  spitzer  trat;  die  zweite  darin,  daß  man  die  ehemals 
eine  gerade  Linie  darstellenden  Schrägungen  der  Hörner  bald  mehr  bald  weniger 
bogenförmig  gestaltete  und  sie  außerdem  auch  wohl  ohne  jeden  Winkel  durch 
eine   bloße  Krümmung  in  den  unteren  Teil  der  Mitra   überleitete  (Bild  234). 

WTas  seit  dem  1 3.  Jahrhundert  die  verschiedenen  Veränderungen  an  der 
pontifikalen  Kopfbedeckung  veranlaßte,  war  die  steigende  Prunkliebe  und  im 
Zusammenhang  damit  die  immer  mehr  zunehmende  Lust,  die  Mitra  möglichst 
reich  zu  dekorieren.  Man  bedurfte  dazu  natürlich  größerer  Flächen  und  er- 
zielte diese  durch  Erhöhung  und  Erweiterung  des  Ornatstückes.  So  hatte 
man  den  nötigen  Platz,  auf  dem  Sticker  und  Goldarbeiter  um  die  Wette  ihre 
Tätigkeit  entfalten  konnten. 

Was  den  Reichtum  und  den  Glanz  der  Ausstattung  anlangt ,  können 
denn  auch  die  Mitren  aus  dem  13.  Jahrhundert,  so  kostbar  sie  auch  in  ein- 


476     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

zelnen  Fällen  sein  mochten,  mit  denen  der  Folgezeit  durchweg  keinen  Ver- 
gleich aushalten.  Alles  geht  nun  im  Ornament  auf.  Perlen,  Steine  in  kost- 
baren Fassungen,  Gold-  und  Silberbleche,  Emailplättchen,  aufgestickte  geo- 
metrische Gebilde,  Blumen,  Ranken  und  figürliche  Darstellungen  (bald  Einzel- 
bilder, bald  Gruppen)  u.  a.  schmücken  oder  imitieren  die  Besätze  und  füllen 
die  tituli  sowie  die  Behänge.  Man  holt  zur  Ornamentierung'  der  Mitra  selbst 
aus  der  Architektur  Motive  herbei,  indem  man  nicht  nur  die  Flächen  der 
Schilde  mit  Bogenstellungen ,  Ziergiebeln,  Fialen,  Konsolen  und  Baldachinen 
bestickt,  sondern  auch  auf  den  Schrägseiten  nach  Art  der  Ziergiebel  Krabben 
aufpflanzt  und  die  Spitze  der  Hörner  in  eine  Kreuzblume  endigen  läßt.  Man 
betrachte  nur  die  Gemälde,  auf  welchen  die  Meister  des  ausgehenden  Mittel- 
alters mit  kunstgeübter  Hand  und  in  aller  Sorgfalt  gar  manche  damalige  Mitra 
in  der  ganzen  Pracht  ihrer  Ausstattung  wiedergegeben  haben ;  lese  die  Schatz- 
verzeichnisse,  die  uns  von  dem  Reichtum  an  kostbaren  Mitren  Kunde  tun, 
welchen  in  jener  Zeit  die  Truhen  der  Dom-,  Kloster-  und  Stiftskirchen  bargen ; 
beschaue  die  Mitren,  welche  sich  aus  jenen  Tagen  in  unsere  hineingerettet  und 
nun  in  irgend  einem  Museum  oder  dem  Schatze  einer  Kirche  ein  schützendes 
Plätzchen  gefunden  haben,  oder  werfe  auf  die  prächtigen  Grabfiguren  des  14. 
und  15.  Jahrhunderts  einen  Blick,  und  man  wird  das  Gesagte  hundertmal 
bestätigt  finden.  Es  kann  nicht  geleugnet  werden,  daß  jene  Zeit  gar  manche 
überaus  glanzvolle  Mitra  hervorgebracht  hat,  und  daß  nicht  wenige  dieser  Mitren 
wahrhafte  Meisterwerke  der  Kleinkunst  gewesen  sind ;  indessen  läßt  sich  ebenso- 
wenig  verkennen,  daß  das  Übermaß  von  Prunk,  welches  man  schon  damals  auf 
dem  Ornatstücke  zu  entfalten  liebte,  nicht  nur  die  Abkehr  von  würdevoller, 
einfacher  Größe  und  schlichter  Hoheit  bedeutete,  sondern,  was  noch  schlimmer 
war,  auch  den  Weg  zu  immer  größerer  Entartung  des  pontifikalen  Kopf- 
schmuckes bildete.  Wie  kostbar  die  Mitren  im  15.  Jahrhundert  bisweilen  waren, 
ergibt  sich  aus  einer  Mitteilung  Vasaris  im  Leben  Lorenzo  Ghibertis.  Danach 
ließ  Eugen  IV.  1439  durch  diesen  Florentiner  Künstler  eine  Mitra  anfertigen, 
welche  15  Pfund  wog  und  einen  Wert  von  30  000  Golddukaten  hatte.  Von 
dem  Gesamtgewicht  entfielen  allein  auf  die  Perlen,  mit  welchen  das  Ornatstück 
geschmückt  war,  5ya  Pfund  l.  Eine  Mitra,  welche  Heinrich  VIII.  von  Eng- 
land bei  Aufhebung  der  Abtei  Fountain  beschlagnehmen  ließ,  wog  vor  lauter 
Perlen  und  Edelsteinen  70  Unzen  =  4J/4  Pfund2. 

Es  kann  nicht  unsere  Absicht  sein,  alle  aus  dem  14.  und  15.  Jahrhundert  noch 
vorhandenen  Mitren  einer  Besprechung  zu  unterziehen.  Die  Zahl  derselben  ist  dafür 
zu  groß.  Immerhin  dürfte  es  sich  empfehlen ,  wenigstens  auf  einzelne  derselben, 
die  eines  besondern  Interesses  wert  sind,  etwas  näher  einzugehen.  Wir  werden 
aber  gut  tun ,  dabei  wieder  den  verschiedenen  Ländern  zu  folgen.  Aus  Italien  ver- 
zeichnen wir  die  Mitra  Johannes'  XXII.  im  Museo  cristiano  des  Vatikans,  eine  dem 
hl.  Ubaldus  von  Gubbio  zugeschriebene,  nach  Ausweis  ihrer  Form  und  des  Stiles  ihrer 
Stickereien  aber  dem  15.  Jahrhundert  angehörende,  teils  in  S.  Pietro  in  Vincoli  teils 
in  S.  Maria  della  Pace  zu  Eom  befindliche  Mitra,  dann  zwei  als  Eeliquien  des  seligen 
Nikolaus  Albergato  (f  1443)  geltende  Mitren  im  Dom  zu  Bologna,  eine  irrigerweise 
als  Mitra  des  hl.  Bonaventura  bezeichnete  Mitra  im  Collegio  delle  Missioni  zu  Bagnorea, 
eine  Mitra  im  Dom  zu  Cividale,  welche  fälschlich  dem  hl.  Paulinus  von  Aquileja 
(f  802)  zugeeignet  wird,  und  endlich  eine  Mitra  im  Museum  zu  Kavenna. 


1  Vasari,  Le  vite  II,  Firenze  1878,  236.  ist,  da  auch  diese  wohl  Mitra  genannt  wurde, 

Möglich  übrigens,  daß   unter  der  Mitra,  von  obschon  nicht  gerade  häufig, 

der  hier  Vasari  erzählt,  eine  Tiara  zu  verstehen  2  Dugdale,  Monast.  anglican.  V  290. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  477 

Abgesehen  von  der  Mitra  Johannes'  XXII.  gehören  alle  dem  15.  Jahrhundert 
an.  Die  Mitra  von  Bagnorea,  die  jüngste  von  ihnen,  erscheint  schon  zum  förmlichen 
Turm  entwickelt,  ist  aber  im  übrigen  ein  schönes  Stück.  Ausgezeichnete  Arbeiten 
sind  die  mit  Halbfiguren  gefüllten  Vierpässe  auf  den  Zwickeln  der  Schilde.  Die  beiden 
Mitren  im  Dom  zu  Bologna  sind  nicht  nur  die  kostbarsten  mittelalterlichen  Mitren, 
wrelche  Italien  aufzuweisen  hat,  sie  gehören  unzweifelhaft  zu  den  prächtigsten,  welche 
überhaupt  sich  aus  dem  Mittelalter  erhalten  haben.  Beide  sind  charakteristisch  für 
ihre  Zeit.  Hat  doch  die  eine  eine  Höhe  von  0,38  m  bei  einer  Breite  von  0,32  m, 
während  die  andere  0,38  m  hoch  und  0,31  m  breit  ist1. 

Bei  der  ersten  ist  der  Fond  durch  im  Korbstich  applizierte  Silberfäden  ge- 
bildet. Die  Zierstreifen  weisen  Goldgrund  auf  und  sind  mit  Banken  in  Perlstickerei 
und  Medaillons  prächtig  verziert.  Auch  auf  den  Schilden  ist  zu  beiden  Seiten  des 
Vertikalbesatzes  ein  Medaillon  angebracht.  Die  Figuren  in  den  Medaillons  —  Christus, 
Maria  und  Heilige  — ,  vortreffliche  Arbeiten,  sind  vornehmlich  im  sog.  gespaltenen 
Stich  hergestellt.  Die  Umrahmung  der  Schrägseiten  bildet  eine  mit  Banken  verzierte 
Goldborte.  Die  Hörner  sind  durch  eine  Klappe  von  rotem  Samt  miteinander  ver- 
bunden und  enden  an  der  Spitze  mit  einem  dunkelblauen  Stein.  Von  den  Edelsteinen, 
mit  denen  einst  die  Zierstreifen  in  titulo  und  circulo  besetzt  waren,  sind  nur  noch 
einzelne  vorhanden. 

Die  Behänge,  welche  an  ihrem  unteren  Ende  eine  Breite  von  0,08  m  haben  - 
ihre   Länge   ließ    sich   nicht   genau   feststellen ,    weil   sie    im   Keliquiar   teilweise    zu- 
sammengefaltet sind  — ,  sind  in  derselben  Weise  wie   der  Fond  der  Mitra   gearbeitet 
und  unten  mit  zwei  vorzüglich  gestickten,  unter  einem  Baldachin  angebrachten  Heiligen- 
figuren geschmückt.     Im  Inneren  ist  die  Mitra  mit  weißlinnenem  Futter  ausgestattet. 

Die  zweite  Mitra  entbehrt  der  figürlichen  Stickerei  vollständig.  Dafür  ist  sie 
aber  in  anderer  Beziehung  um  so  kostbarer.  Die  Stelle  der  in  Bildstickerei  her- 
gestellten Medaillons  vertreten  bei  ihr  sowohl  auf  den  Besätzen  als  auch  auf  den 
beiden  Zwickeln  der  Schilde  schwere  silbervergoldete,  mit  je  fünf  Edelsteinen  besetzte 
Plättchen.  Außerdem  ist  die  Mitra  samt  ihren  Besätzen  und  Behängen  noch  mit  einer 
Anzahl  alleinstehender  Edelsteine  verziert. 

Der  Grund  der  Besätze  besteht  aus  abgehefteten  Goldfäden ,  derjenige  der 
Mitra  und  der  Behänge,  welcher  von  Goldfäden  in  Form  von  Ranken  durchzogen 
ist ,  aus  dicht  aneinander  gefügten  kleinen  Perlen.  Der  Vertikalstreifen  des  titulus 
schließt  oben  mit  einem  dreieckigen  Emailplättchen  ab ,  auf  dem  das  Lamm  Gottes 
dargestellt  ist.  Die  Behänge  endigen  gleichfalls  mit  einem  Emailplättchen.  Dasselbe 
hat  die  ganze  Breite  der  Behänge,  ist  mit  zwei  Büsten,  wie  es  scheint,  der  Apostel 
Petrus  und  Paulus,  geschmückt  und  oben  mit  einem  Kamm,  unten  aber  mit  drei 
langen,  silbervergoldeten  Glöckchen  versehen.  Hart  oberhalb  der  Plättchen  sieht  man 
zwei  in  Email  ausgeführte  Wappen,  welche  ein  rotes  Kreuz  in  weißem  Felde  enthalten. 

Die  Schrägseiten  der  Mitra  sind  mit  den  in  der  Spätgotik  bei  den  Mitren  nicht 
seltenen,  den  Giebelkrabben  nachgebildeten  Blättern  geschmückt. 

Beide  Mitren  sind  in  vorzüglichem  Zustande.  Die  Mitra  Johannes'  XXII. 
(t  1334)  wurde  1759  zu  Avignon  in  dessen  Grab  gefunden.  Aus  weißem  Damast 
gearbeitet,  entbehrt  sie  jeden  Besatzes.  Ihre  mit  roter  Seide  gefütterten  caudae  haben 
an  den  Enden  rote  Fransen 2.  Ihre  sichere  Datierung  ist  für  die  Geschichte  der  Ent- 
wicklung der  Mitra  von  Wichtigkeit. 

In  Spanien  gibt  es  nur  sehr  wenige  Mitren  aus  dem  späten  Mittelalter.  Die  vor- 
züglichste von  allen  befindet  sich  in  dem  auch  in  sonstiger  Beziehung  reichhaltigen 
bischöflichen  Museum  zu  Vieh 3.     Sie  entstammt  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts,  ist 


1  Abbildung  der  Mitren  zu  Bagnorea  und  Italien.  Mitren  ans  dem  Mittelalter,  ebd.  5  ff. 
Bologna  in  Zeitschrift  XV  (1902)  13,  der  Wenn  wir  oben  die  Mitra  in  S.  Martino  ai 
Mitra  zu  Cividale  in  J.  P.  K  i  r  s  c  h  und  Monti  (vgl.  S.  438)  nicht  erwähnten,  so  ge- 
V.  Luksch,   Gesch.  der  kath.  Kirche  231.  schab  das,  weil  sie  ohne  Bedeutung  ist. 

2  "Wegen  der  übrigen  Mitren  vgl.  Braun,  3  Abbildung  bei  de  Farcy  pl.  154. 


478     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


aus  weißer  Seide  angefertigt,  mit  reichen,  in  Gold-  und  Seidenstickerei  hergestellten 
Borten  besetzt  und  weist  in  Vierpässen,  die  von  einem  Quadrat  durchschnitten  sind, 
auf  der  Vorderseite  die  Verkündigung,  auf  der  Hinterseite  die  Krönung  Maria  auf. 
Andere  Mitren  haben  sich  zu  Saragossa  und  Toledo  erhalten.  Beide  sind  auf  dem 
vorderen  Schilde  mit  einer  Darstellung  der  Kreuzigung  versehen.  Die  Mitra  zu  Sara- 
gossa mag  noch  dem  14.  Jahrhundert  angehören;  dagegen  stammt  die  zu  Toledo  un- 
zweifelhaft erst  aus  dem  15.  Jahrhundert1. 

Auch  in  Frankreich  äst  die  Zahl  spätmittelalterlicher  Mitren  nicht  groß.  Sie 
gehören  der  Mehrzahl  nach  dem  15.  Jahrhundert  an. 

Eine  Mitra  in  der  Kathedrale  zu  Lyon,  die  sich  durch  ihre  auffallend  geringe 
Höhe  auszeichnet,  besteht  aus  rotem  Samt.  Ihre  Besätze,  breite  Goldborten,  sind 
mit  ornamentierten,  silbervergoldeten  Zierplättchen,  die  zum  Teil  mit  kleinen,  losen 
Behängseln  versehen  sind,  geschmückt2. 

Eine  Mitra  in  der  Kathedrale  zu  Besancon  kommt  von  Bischof  Karl  von  Neuf- 
ehätel,  der  sie  1481  zu  Caen  anfertigen  ließ.  Sie  ist  ein  ebenso  kostbares  wie  prunk- 
volles Stück.     Die  aus  abgehefteten  Goldfäden  gebildeten  Besätze   und  Behänge  sind 

reich  mit  Edelsteinen  und  perlen- 
gestickten Bosetten  besetzt.  Von  den 
Schilden,  deren  Fond  aus  Silberfäden 
gebildet  wird,  weist  der  vordere  in 
Beliefstickerei  die  Verkündigung,  der 
hintere  die  Geburt  Christi  auf.  Über 
die  Schrägseiten  ziehen  sich  silber- 
vergoldete Krabben  hinauf  zur  Spitze, 
die  von  einem  zierlich  gearbeiteten 
Kreuz  bekrönt  wird  3. 

Eine  dem  Cluny-Museum  zu  Baris 
angehörige,  um  1400  entstandene  Mi- 
tra, welche  ehedem  gleichfalls  eine  vor- 
zügliche Arbeit  gewesen  sein  muß,  jetzt 
aber  in  sehr  schlechtem  Zustand  ist, 
hat  auf  den  goldgestickten  Zwickeln 
der  Schilde  die  Verkündigung  bzw.  die 
Krönung  Maria  und  auf  den  goldgestick- 
ten Besätzen  Halbbilder  von  Heiligen 
unter  gedrückten  Arkaturen  4. 
Eine  Mitra  im  Museum  zu  Evreux  stammt  nachweislich  aus  der  ersten  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts  (Bild  235).  Die  Höhe  ist  bei  ihr  der  Breite  nahezu  gleich.  Aus- 
gezeichnet sind  die  Stickereien  der  beiden  Schilde,  von  denen  einer  St  Petrus  zwischen 
Cornelius  und  Dorkas,  der  andere  aber  St  Eligius  zwischen  den  Stiftern,  Enguerrand 
von  Marigny  und  seiner  Gemahlin,  enthält.     Besätze  fehlen  der  Mitra  gänzlich. 

Drei  Mitren  des  Nationalarchivs  zu  Paris ,  jetzt  ebenfalls  im  Cluny-Museum, 
stammen  aus  dem  Temple.  Sie  sind  schon  zu  bedeutender  Höhe  herangewachsen. 
Zwei  von  ihnen  sind  besonders  bemerkenswert.  Die  eine  ist  mit  Stickereien  geziert. 
Über  einer  den  Bandbesatz  vertretenden  Folge  von  Arkaden  mit  Heiligen,  die  in  Halb- 
figur dargestellt  sind,  erhebt  sich  eine  förmliche  Architektur,  ähnlich  dem  Querschnitt 
einer  gotischen  dreischiffigen  Kirche  mit  überhöhtem  Mittelschiff.  Heilige  stehen 
in  den  Seitenteilen,  während  der  mittlere  Teil  unten  die  Geburt  bzw.  die  Anbetung 
des  Jesuskindes  und  oben  die  Kreuzigung  bzw.  die  Verkündigung  aufweist.  Die 
Behänge  sind  mit  dem  Bilde  der  Gottesmutter,  die  das  Jesuskind  im  Arm  hält,  und 
dem  eines   betenden  Bischofs   bestickt5.     Die  Mitra  mag   um    1450    angefertigt   sein. 


Bild  235.     Mitra  des  Jean  de  Marigny. 
Evreux,  Museum.     (Phot.  de  Farcy.) 


1  Abbildung     bei     Cahier,     Decorations 
d'eglises  14  41. 

-  Abbildung  bei  de  Farcy  pl.  10. 


3  Abbildung  ebd.  pl.  59. 
•'  Abbildung  ebd.  pl.  49. 
'-  Abbildung  ebd.  pl.  51. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


479 


Die  zweite  Mitra  (Bild  236)  besteht  aus  weißer  Seide  und  ist  in  Schwarz  auf  dem 
cireulus  mit  den  Halbbildern  der  Apostel  unter  gotischen  Bogen,  auf  den  tituli  aber  mit  den 
Darstellungen  des  Begräbnisses  und  der  Auferstehung  Jesu  bemalt.  Ihrem  ganzen  Cha- 
rakter nach  scheint  sie  gemacht  worden  zu  sein,  um  bei  Trauerfeiern  gebraucht  zu  werden. 
Sie  entstammt  dem  Ende  des  14.  oder  Anfang  des  15.  Jahrhunderts.  Ein  Gegenstück 
zu  ihr  bildet  eine  aus  der  St-Chapelle  zu  Paris  herrührende,  jetzt  in  der  Stadtbibliothek 
zu  Amiens  befindliche  Trauermitra,  wie  wir  sie  wohl  nennen  dürfen.  Sie  ist  einfacher 
und  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  entstanden.  Die  Schilde  enthalten  eine 
Kreuzigungsgruppe  bzw.  das  jüngste  Gericht,  der  cireulus  ist  mit  Bosetten  geschmückt 1. 

Eine  Mitra  zu  Brignoles  (Var) ,  welche  dem  hl.  Ludwig  von  Toulouse  zu- 
geschrieben wird,  bildet  ein  Gegenstück  zur  sog.  Mitra  des  hl.  Silvester  zu  Rom. 
Wir  haben  es  auch  bei  ihr  zweifelsohne  mit  einer  Mitra  zu  tun ,  die  für  eine 
Statue  oder  eine  Reliquienbüste  des  Heiligen  gemacht  wurde.  Das  beweist  mit  aller 
Bestimmtheit  ihre  minimale  Breite  von 
nur  0,218  m.  Die  Mitra  stammt,  wie 
Form  und  Höhe  beweisen  —  sie  ist  bei 
ihrer  geringen  Breite  0,28  m  hoch  — 
aus  dem  15.  Jahrhundert2. 

Eine  Mitra  in  der  Kathedrale  zu 
Chälons-sur-Marne  besteht  aus  grauer, 
gestreifter  Seide.  Sie  hat  bei  einer  Breite 
von  0,27  m  die  bedeutende  Höhe  von 
0,37  m,  während  sie  an  den  Seiten  nicht 
weniger  denn  0,20  m  hoch  ist.  Die  rot- 
seidenen, 0,05  m  breiten  Besätze  ziehen 
sich  auch  die  Schrägungen  entlang  und 
sind  mit  Kreisen  geschmückt,  in  denen 
doppelköpfige  Adler  und  Leoparden  an- 
gebracht sind.  Die  Dessins  sind  in 
Gold  ausgeführt3. 

Was  Schweden  anlangt,  so  wäre 
neben  einer  Mitra  in  der  Kathedrale  zu 
Westeräs,  Provinz  Westmanland,  welche 
dem  15.  Jahrhundert  angehört  und  auf 
den  Schilden  mit  einem  Weinstock  als 
Kreuzesbaum ,  einem  Pelikan  darüber 
und  je  einem  Einhorn  zu  beiden  Seiten 
geschmückt  ist,  vor  allem  der  Mitra  im 
Nationalmuseum  zu  Stockholm  zu  ge- 
denken. Auch  sie  entstammt  dem 
15.  Jahrhundert,  doch  sind  die  Emails, 
sind,  jedenfalls  älteren  Datums.  Neben  einer  Anzahl  trapezförmiger  Plättchen  gibt  es 
auf  denselben  achtzehn  Rundmedaillons  von  0,05  m  und  zehn  von  0,03  m  im  Durch- 
messer.   Dazu  kamen  ehedem  auf  den  Zierstreifen  und  den  caudae  noch  eine  größere 


Bild  236. 

Paris,  Musee  Cluny. 


Mitra. 
(Phot.  de  Farcy.) 


mit  denen  die  Besätze  und  Behänge  versehen 


1  Abbildung  ebd.  pl.  158. 

2  Es  ist  unverständlich,  wie  selbst  ein  so 
gewiegter  Forscher  wie  de  Linas  (Revue 
1861,  225  ff  mit  Abbildung)  die  Mitra  als 
authentisch  hat  ansehen  können.  Der  Stoff 
der  Mitra  ist  allerdings  aus  früherer  Zeit 
als  die  Mitra  selbst,  da  diese  aus  einem 
älteren  Stoff  hergestellt  wurde. 

3  Nach  gütiger  Mitteilung  des  P.  L.  Carrez 
S.  J.  Die  Mitra  soll  vom  hl.  Malachias  her- 
rühren. Eigentümlich  ist,  daß  einer  der  Kreise 


auf  den  Besätzen  mit  einem  Kreuz  gefüllt 
ist,  und  daß  die  Löwen  und  Adler  in  den 
übrigen  zu  beiden  Seiten  so  gestellt  sind,  daß 
sie  dem  Kreise  mit  dem  Kreuz  den  Kopf  zu- 
wenden. Es  läßt  sich  das  kaum  anders  als 
durch  die  Annahme  erklären,  als  daß  der 
Besatz  ursprünglich  eine  Stola  war.  Vielleicht, 
daß  diese  aus  dem  Schrein  des  hl.  Malachias 
herrührt.  In  diesem  Fall  würde  es  sich  leicht 
begreifen,  wie  die  Mitra  dazu  kam,  als  die- 
jenige des  hl.  Malachias  zu  gelten. 


480     Dritter  Abschnitt.    Die  Iiturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Zahl  nunmehr  Ms  auf  die  Fassung  verschwundener  Edelsteine.  Die  Schildzwickel  sind 
mit  figürlichen  Peiistickereien,  die  Verkündigung  usw.  darstellend,  gefüllt  '. 

Drei  Mitren  im  Nationalmuseum  zu 
Kopenhagen  gehören  dem  Beginn  des 
16.  Jahrhunderts  an;  eine  stammt  von 
Skalholt  in  Island,  eine  zweite  von  Sorö, 
die  dritte  aus  Eipen.  Am  bemerkens- 
wertesten ist  bei  ihnen  die  Höhe,  die  sich 
bei  den  beiden  ersten  auf  ca  0,38  m  be- 
läuft;   im   übrigen   sind  sie  unbedeutend. 

In  Irland  findet  sich  zu  Limerick 
eine  ungemein  kostbare,  mit  Edelsteinen 
und  Perlen  aufs  reichste  geschmückte 
Mitra  2 ;  in  England  besitzt  man  zu  Oxford 
im  New  College  noch  eine  leider  sehr  schad- 
hafte Mitra  des  Bischofs  von  Winchester 
Wilhelm  von  Wykeham  (f  1404)3. 

Die  meisten  spätmittelalterlichen  Mi- 
tren haben  sich  in  Deutschland  und  Oster- 
reich erhalten.  Im  Dom  zu  Halberstadt 
allein  gibt  es  deren  sechs,  vier  andere 
besitzt  das  historische  Museum  zu  Dresden, 
zwei  das  königliche  Gewerbemuseum  zu 
Berlin,  je  eine  der  Dom  zu  Prag,  die 
Benediktinerabtei  Admont  in  Steiermark, 
der  Dom  zu  Brixen,  das  St  Peterstift  zu 
Salzburg ,  der  Dom  zu  Krakau  und  das 
Museum  für  Kunst  und  Industrie  zu  Wien. 

Von  den  Mitren  des  Halberstädter 
Domes  sind  besonders  erwähnenswert  die 
beiden  reich  mit  Perlen  und  silbervergol- 
deten Plättchen  besetzten  rotsamtnen 
Mitren  (Bild  237,  238).  Eigenartig  ist 
eine  Mitra,  welche  auf  dem  Vorderschild 
mit  einer  Kampfesszene  geschmückt  ist. 
Bock  hat,  weil  er  einen  der  beiden  Kämpfer 
irrtümlich  für  einen  Juden  hielt,  die  Dar- 
stellung auf  den  Kampf  zwischen  Christen- 
tum und  Judentum  gedeutet J.  Indessen 
gibt  dieselbe  lediglich  einen  Kampf  zwi- 
schen zwei  Rittern  wieder.  Die  Mitra  ist 
ein  Beispiel ,  wie  unbefangen  man  im 
Mittelalter  bei  Anfertigung  kirchlicher 
Gewänder  zu  Werke  ging.  Wie  man  in 
aller  Naivität  für  die  Kasein  Stoffe  mit 
arabischen  Inschriften  brauchte  und  nicht 
im  mindesten  danach  fragte,  ob  auf  den 
Zeugen,  aus  denen  man  die  Paramente 
anfertigte,  Hunde,  Löwen,  Hasen  und 
Bild  237.    Mitra.    Halberstadt,  Dom.  sonstiges  Getier,   Ritter,  Frauengestalten 


1  Abbildungbei  Kondakoff,  Geschichte  des 
byzantinischen  Emails,  Frankfurt  1892,  257. 

2  Abbildung   bei  Macalister,    Ecclesia- 
stical  vestments  120. 


3  Dieselbe    ist    ebenfalls   mit    zahlreichen 
Edelsteinen  besetzt. 

4  Abbildung   bei  Bock   II,  Tfl   24,    dazu 
S.  178;  in  Farben:  Mitt.  XII  (1867)  xlv. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


481 


und  Ungeheuer,  Jagdszenen,  Fischfang,  Brunnenszenen  und  ähnliche  Dinge  dargestellt 
waren,  so  hat  man  hier  eine  Stickerei  mit  einem  Ritterkampf,  die  man  gerade  besaß, 
benutzt,  um  daraus  mit  Hilfe  eines  andern  Zeugrestes,  der  für  die  Rückseite  verwendet 
wurde,  eine  Mitra  zu  machen.  Nichts  ist 
verkehrter,  als  im  Mittelalter  überall  Sym- 
bolik zu  wittern.  Von  den  beiden  Mitren 
im  Berliner  Gewerbemuseum  besteht  die 
eine  aus  blauem  Samt ;  ihre  Besätze  weisen 
in  farbiger  Seide  gestickte  Ranken  auf. 
Die  andere  ist  auf  den  Schilden,  den  Be- 
sätzen und  Behängen  mit  Perlen  reich  ge- 
schmückt. Eine  Abbildung  dieser  aus  dem 
Dom  zu  Minden  stammenden  Mitra ,  die 
noch  jetzt  trotz  ihres  defekten  Zustandes 
sehr  bemerkenswert  ist,  überhebt  uns  einer 
näheren   Beschreibung   (Bild  239,  S.  482). 

Durch  vortreffliche  Figurenstickereien 
zeichnen  sich  aus  die  Mitra  des  Stiftes 
Admont,  die  aus  Arnoldstein  herrührende 
Mitra  des  Wiener  Museums  für  Kunst  und 
Industrie  sowie  zwei  der  Dresdener  Mitren. 
Bei  einer  der  letzteren  sind  die  Darstellungen 
(Verkündigung  usw.)  in  Perlstickerei  aus- 
geführt '.  Die  Arnoldsteiner  Inful  stammt 
aus  dem  14.  Jahrhundert  -.  Bemerkenswert 
ist,  daiä  zur  Einfassung  der  Medaillons,  mit 
denen  ihre  Aurifrisien  und  Behänge  verziert 
sind,  wie  auch  zu  den  Börtchen  der  Auri- 
frisien statt  wirklicher  Perlen  Silberperlen 
zur  Verwendung  gekommen  sind.  Die  Mitra 
des  Stiftes  Admont  ist  eine  Arbeit  aus  dem 
Beginn  des  15.  Jahrhunderts  3.  Sie  ist  von 
sehr  gefälliger  Form.  Die  Zwickel  der 
Schilde  enthalten  auf  Goldgrund  die  Ganz- 
figuren der  Gottesmutter  mit  dem  Kind  und 
dreier  Bischöfe.  Auf  den  Behängen  gewahrt 
man  die  Brustbilder  der  Apostel  in  perlen- 
umrahmten  Medaillons.  Von  glücklichster 
Wirkung  ist,  daß  die  Aurifrisien  nur  mit 
eleganten  spätgotischen  Ranken  und  Blu- 
men, nicht  aber  mit  Heiligendarstellungen 
gefüllt  sind.  Wo  alles,  auch  die  Besätze 
mit  Heiligendarstellungen  geschmückt  sind, 
müssen,  was  in  der  Tat  durch  manche  der 
spätmittelalterlichen  Mitren  bestätigt  wird, 
die  Besätze  mehr  oder  weniger  im  Ganzen 
aufgehen  und  ihre  Bedeutung  verlieren. 

Die  Mitra  im  Dom  zu  Krakau  be- 
kundet, obwohl  unter  Bischof  Thomas  Strze- 
mpinski  (1455—1460)   angefertigt,   bereits  Bild  238.    Mitra.    Halberstadt,  Dom. 

der  freundlichen  Auskunft,  welche  die  Direk- 
tion mir  bereitwilligst  erteilte. 

2  Abbildung  Mitt.  N.  F.  VIII  (1882)  27. 

3  Abbildung  Mitt.  XII  (1867),  75. 
31 


1  Zwei  der  Mitren  im  Dresdener  Historischen 
Museum  weisen  nur  ornamentale  Stickereien 
auf,   die  bei  einer  gleichfalls  in  Perlen  aus- 
geführt  sind.     Ich  verdanke    diese  Angaben 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


482     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


deutlieh  den  Einfluß  der  Renaissance.  Die  Form  ist  freilich  noch  die  im  15.  Jahrhundert 
gewöhnliche:  hoch  ansteigende  Schilder  mit  geraden  Schrägseiten,  auf  denen  sich  Metall- 
krabben hinziehen ;  auch  sind  noch  die  Aurifrisien  gebührend  betont.  Dagegen  hat  das 
Ornament  der  Schildzwickel  und  Behänge  einen  ausgesprochenen  Renaissancecharakter. 

Ungemein  kostbar  ist  die  Mitra 
des  Salzburger  St  Peterstiftes;  sie  ist 
die  prunkvollste  Inful,  die  wir  überhaupt 
aus  dem  Mittelalter  noch  besitzen.  Es 
genüge  zu  bemerken,  daß  auf  ihr  außer 
manchen  Hunderten  von  großen  und 
kleinen  Perlen  über  500  mehr  oder 
weniger  kostbare  Steine  angebracht  sind, 
und  daß  sie  etwas  über  fünf  Pfund 
wiegt.  Die  Schrägseiten  sind  mit  den 
so  beliebten  Giebelblumen  versehen.  Die 
Spitze  der  Hörner  endet  in  einer  Kreuz- 
blume, deren  Abschluß  ein  großer  blauer 
Stein  bildet.  Wie  der  Mitra  selbst, 
sind  auch  den  Behängen  Perlen  und 
Edelsteine  in  überreichstem  Maße  auf- 
gesetzt. Die  Salzburger  Mitra  kann  als 
Illustration  jener  Mitra  dienen,  welche 
Eugen  IV.  durch  Ghiberti  anfertigen  ließ1. 

Mit  dem  16.  Jahrhundert  be- 
ginnen allgemach  die  figürlichen 
Darstellungen  von  dem  pontifikalen 
Kopfschmuck  zu  verschwinden,  doch 
kamen  noch  bis  zum  Ende  des- 
selben Mitren  vor,  die  mit  Heiligen- 
figuren geschmückt  waren.  Zwei  in- 
teressante Beispiele  sind  die  Mitra 
Friedrichs  von  Wirsberg  (f  1573) 
im  Dom  zu  Würzhurg  und  eine  jetzt 
im  Kensington-Museum  zu  London 
befindliche  Mitra  aus  dem  Jahre  1592. 
Die  gotische  Architektur,  welche  bei 
der  letzteren  die  Schilde  in  zwei 
Felder  teilt,  verrät  wenig  Verständ- 
nis der  gotischen  Formen  und  Stil- 
gesetze mehr. 


Eine  um  so  vorzüg- 
lichere Leistung  sind  dafür  die 
Heiligenfiguren  in  den  Schildzwickeln 
und  auf  den  Behängen,  zumal  die 
ersteren.  Die  Würzburger  Mitra 
trägt  (Bild  240)  schon  ganz  Re- 
naissancecharakter. Nur  die  plastisch  ausgeführten  Halbfiguren  der  vier  latei- 
nischen Kirchenväter  verraten  noch  etwas  die  spätmittelalterliche  Formen- 
sprache.    Ungemein    reizend   ist    das    in    Sprengarbeit   und    Bouillonstickerei 


Bild  239.     Mitra. 


Berlin,  Kunstgewerbemuseum. 


1  Abbildungen   der   Mitren   von   Krakau   Mitt.  XII  (1867)  77;    der   Salzburger   Mitra   ebd. 
XVIII  (1873)  201  311. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


483 


Doch  war  selbst   das   keineswegs  allgemein  gebräuchlich. 


hergestellte  Ornament,  welches  die  schon  stark  gerundeten  Schrägseiten  ein- 
faßt und  den  circulus  samt  den  Vertikalbesätzen  imitiert  K 

Das  17.  Jahrhundert  gibt  den  mit  Bildwerk  versehenen  Mitren  end- 
gültig den  Abschied.  Die  Mode  ist  eine  andere  geworden.  Beladet  man  die 
Mitra  nicht  mit  Steinen  und  Perlen,  so  überzieht  man  sie  in  Goldstickerei 
mit  Arabesken,  Grotesken  und  sonstigen  Ornamenten,  wie  dieselben  gerade  der 
zur  Zeit  herrschenden  Kunst-  und  Geschmacksrichtung  entsprechen  (Bild  241, 
S.  484).  Von  religiösen  Symbolen  brachte  man  allenfalls  noch  ein  Kreuz, 
den  Pelikan,  die  Taube,  Ähren  und  Trauben,  das  Auge  Gottes  und  ähnliches 
auf  der  Mitra  an 
Eine  Reihe  der  kostbarsten 
Mitren  des  17.  und  18.  Jahr- 
hunderts entbehren  jedes 
religiösen  Abzeichens.  Es 
läßt  sich  nicht  leugnen,  daß 
das  16.,  17.  und  18.  Jahr- 
hundert manche  dem  Ma- 
terial nach  kostbare,  der 
technischen  Ausführung 
nach  vorzügliche  und  der 
ganzen  Ausstattung  nach 
prachtvolle  Mitren  ge- 
schaffen haben.  Es  sei  zum 
Belege  dafür  nur  auf  eine 
Mitra  des  Graner  Domes 
vom  Jahre  1549  und  die  des 
Bischofs  Paul  Bornemsiza 
im  Raaber  Domschatz  vom 
Jahre  1550  hingewiesen, 
von  welchen  jede  wegen 
des  Übermaßes  der  zur  Ver- 
wendung gekommenen  Per- 

00  .  Bild   240.      Mitra.      Würzburg,  Dom. 

len  und  Edelsteine  auf  etwa 

30  000  Gulden   gewertet  wurde 2,   sowie   namentlich   auch   auf  die   aus   Trier 

stammende  Mitra  im  Dom  zu  Limburg.     Eine  andere  Frage  ist  indessen,  ob 


1  AbbikkiDg  der  Mitra  im  Kensington- 
Museum  bei  de  Farcy  pl.  lxxx. 

2  Mitt.  XII  (1867)  78  80.  Von  der 
Mitra  des  Raaber  Domschatzes  heißt  es  dort : 
„Der  Grund  der  ganzen  Mitra  besteht,  den 
Stoff  völlig  deckend,  aus  aneinandergereihten 
Zahlperlen.  Linien  von  größeren  Perlen  be- 
zeichnen den  Rand  der  damit  nur  ange- 
deuteten Aurifrisia;  in  ähnlicher  Weise  wurden 
die  Einfassungen  der  Dependenzen  sowie  die 
auf  den  Schilden  deutlich  hervortretenden 
Ornamente  gebildet.  Reicher  Edelsteinbesatz 
schmückt  die  einzelnen  Teile.  Die  äußersten 
Ränder,  aus  stark  vergoldeten  Silberbeschlägen 
bestehend,  sind  mit  einer  Reihe  von  zierlichen 
Knorren  und  einer  Kreuzblume  an  der  Spitze 
geziert;  aus  jedem  dieser  Knorren  sproßt  ab- 


wechselnd eine  Blüte  von  blauem  und  grünem 
Email.  Ein  Medaillon  ,  in  dem  sich  ein 
goldener  Schwan  mit  einem  Sträußchen  im 
Schnabel  auf  rotem  Emailgrund  befindet, 
schmückt  die  Mitte.  .  .  .  Bemerkenswert  ist 
auch,  daß  jede  der  Dependenzen,  die  gleich- 
falls mit  reichem  Perlenornament  und  ziem- 
lich großen  Edelsteinen  besetzt  sind,  in  drei 
Zwischenräumen  mit  je  zwei  kleinen  goldenen 
Glöckchen,  zusammen  zwölf,  geziert  ist"  (ebd. 
78).  Angesichts  des  Gewichtes,  welches  die 
mitra  pretiosa  seit  dem  ausgehenden  Mittelalter 
häufig  hatte,  begreift  man,  warum  das  Caere- 
moniale  den  Bischöfen  gestattet,  im  Ponti- 
fikalamt  die  „kostbare"  Mitra  mit  der  leich- 
teren Auriphrygiata  zu  vertauschen ,  „ne 
nimis  gravetur". 

31* 


484     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füüie  u.  des  Kopfes. 


man  die  Mitren,  wie  sie  seit  dem  16.  Jahrhundert  in  Gebrauch  waren,  als 
Ideal  einer  pontifikalen  Kopfbedeckung  betrachten  kann,  und  ob  man  die  Ent- 
wicklung, welche   die   pontifikale   Kopfbedeckung   seit  jener   Zeit   genommen 

hat,  für  einen  Fortschritt  oder 
für  eine  Abkehr  vom  guten 
Geschmack  zu  halten  hat.  Es 
ist  eine  Frage  ähnlicher  Art, 
wie  man  sie  bezüglich  der 
modernen  Kasel  und  ihrer  Aus- 
stattung stellen  kann. 

Ob  es  nicht  besser  ge- 
wesen wäre,  wenn  man  sich 
in  Bezug  auf  die  Mitra  etwas 
konservativer  verhalten  hätte? 
Denn  es  läßt  sich  weder  in 
Abrede  stellen,  daß  man  zuletzt 
denn  doch  nach  Höhe  und 
Breite  das  rechte  Maß  ent- 
schieden überschritt,  noch  auch, 
daß  die  Ausstattung,  welche 
man  der  Mitra  zu  geben  be- 
liebte, nur  allzuoft  auf  leeren 
Prunk  hinauslief.  So  wenig 
konnten  die  Edelsteine,  Perlen 
oder  Goldstickereien,  mit  denen 
man  den  pontifikalen  Kopf- 
schmuck seit  dem  16.  Jahrhun- 
dert in  überschwenglichster 
Weise  zu  bedecken  pflegte,  ihm 
sein  anspruchsvolles  Wesen 
nehmen  und  das  Übermaß  an 
Höhe  und  Weite  ausgleichen, 
daß  sie  ihm  vielmehr  erst  recht 
ein  weltliches  und  vordring- 
liches Aussehen  gaben.  Es 
wäre  besser  gewesen,  wenn 
man  in  Beziehung  auf  die  Ab- 
messungen wie  auch  bezüglich 


der    Ausschmückung 
goldenen     Mitte 
hätte. 


an    der 
festgehalten 


Am  wenigsten  gelang  es 
den  letzten  Ausläufern  der  Re- 
naissance, dem  Rokoko  mit 
seinen  willkürlichen,  sinnlosen 
Schnörkeleien  (Bild  241)  und 
dem  Zopf  mit  seinem  nüchternen 
Ornament  eine  pontifikale  Kopfbedeckung  zu  schaffen,  die  auch  nur  halbwegs 
befriedigen  kann.  Man  betrachte  nur  einmal  die  noch  in  großer  Zahl  vorhan- 
denen Mitren  aus  der  Rokoko-  und  der  Zopfperiode,  beispielsweise  die  Mitren 


Bild  241.      Mitra.      Kamp  a.  Niederrhein. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


485 


des  Kölner  Domschatzes,  welche  Erzbischof  Klemens  August  (f  1761)  zur  Feier 
der  Krönung  seines  Bruders,  des  Kaisers  Karl  VII,  um  vieles  Geld  zu  Lyon 
anfertigen  ließ,  die  zahlreichen  Mitren  im  St  Veitsdom  zu  Prag,  die  Mitren 
im  Münster  zu  Freiburg  (Bild  242)  u.  a.  Gewiß,  reich  und  prunkhaft  mochten 
solche  Mitren  oft  genug  sein ;  allein  es  gehörte  denn  doch  ein  ganz  eigenartiger 
Geschmack  dazu,  sie  auch  schön  und  würdevoll  zu  finden. 

Als  in  neuester  Zeit  der  Sinn  für  angemessenere  Formen  der  heiligen 
Gewänder  wieder  erwachte  und  die  christliche  Paramentik  sich  vom  Schlafe 
erhob,  in  dem  sie  nur  allzulang  befangen  gewesen,  knüpfte  man  in  Frank- 
reich, England,  Holland,  Belgien  und  Deutschland  wie  bei  Anfertigung  der 
andern  kirchlichen  Gewänder,  so  auch  bei  derjenigen  der  Mitra  mit  Glück  an 
mittelalterliche  Vorbilder  an.  Freilich 
stieß  ein  solches  Unternehmen  anfangs 
auf  erhebliche  Schwierigkeiten.  Wie  es 
eine  Zeitlang  nahe  daran  war,  daß  eine 
Rückkehr  zur  mittelalterlichen  Kaselform 
ausdrücklich  untersagt  wurde,  so  ging 
es  ähnlich  hinsichtlich  der  Mitra.  Doch 
ist  es  auch  hier  am  Ende  zu  einem  wirk- 
lichen Verbot  nicht  gekommen.  Ob  in- 
dessen je  wieder  für  die  Mitra  allgemein 
die  mittelalterliche  Form ,  Machweise 
und  Ausstattung  aufgenommen  werden, 
scheint  uns  mehr  als  fraglich.  Wenig- 
stens ist  zur 
sieht  vorhanden. 


Zeit    dafür   wenig   Aus- 


Bild 242.     Mitra. 

Freiburg  i.  Br.,  Münster. 


IX.    LITURGISCHE  VERWENDUNG 
DER  MITRA. 

In  welchem  Maß  die  Mitra  wäh- 
rend des  Mittelalters  zu  Rom  beim 
Gottesdienste  Verwendung  gefunden,  läßt 
sich  im  einzelnen  nicht  mit  Bestimmt- 
heit feststellen.  Nach  den  römischen 
Ordmes  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  zu 
urteilen,  dürfte  der  Unterschied  zwischen 
damals  und  jetzt  nicht  bedeutend  gewesen  sein.  Immerhin  fehlt  es  an  ein- 
zelnen Abweichungen  nicht.  So  trugen  Papst  und  Kardinäle  die  Mitra  nach  dem 
13.,  14.  und  15.  Ordo  auch  bei  verschiedenen  Gelegenheiten,  die  an  sich  keinen 
liturgischen  Charakter  hatten,  aber  sich  an  Kulthandlungen  gleichsam  als  Vor- 
oder Nachspiel  anschlössen,  z.  B.  bei  dem  feierlichen  Mahle  am  Krönungstage 
und  dem  Gründonnerstage,  bei  der  Entgegennahme  des  Presbyterium  (Geld- 
spende) u.  ä.  Bei  der  sich  an  die  Papstweihe  anschließenden  Prozession  zum 
Lateran,  dem  sog.  possesso,  und  der  Heimkehr  von  der  lateranensischen  Ba- 
silika, Aufzügen,  die  zu  Pferde  abgehalten  wurden,  bedienten  sich  nur  die 
Kardinäle,  Bischöfe  und  sonstigen  dazu  berechtigten  Prälaten  der  Mitra;  der 
Papst  selbst  war  bei  ihnen  mit  der  Tiara  (corona,  regnum,  triregnum),  dem 
Sinnbild  seiner  königlichen  Würde,  geschmückt. 

Außerhalb    Roms  war   im   Mittelalter   in   Bezug   auf  den  Gebrauch 
der  Mitra  im  großen  und  ganzen  die  römische  Sitte  maßgebend.     Angesichts 


486      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füßie  u.  des  Kopfes. 

des  Umstandes,  daß  diese  von  Rom  gekommen  war,  konnte  es  auch  kaum 
anders  sein.  Im  allgemeinen  galt  liier  wie  dort  der  Grundsatz:  der  Bischof 
legt  die  Mitra  ab,  wenn  er  zum  Altare  tritt,  um  daselbst  zu  beten ;  er  trägt 
sie,  so  oft  er  sich  zum  Volke  wendet.  Verschiedenheit  herrschte  namentlich 
hinsichtlich  der  Verwendung  des  Ornatstückes  bei  der  Erteilung  des  feierlichen 
Segens  und  der  Inzensierung  des  Altars.  Zu  Rom  wurden  diese  Akte  ohne 
Mitra  vorgenommen,  anderswo  dagegen,  wie  aus  den  Angaben  des  Durandus 
hervorgeht,  bald  mit  ihr,  bald  ohne  sie  \  Umgekehrt  verhielt  es  sich  mit 
den  Exequien.  Während  sich  nämlich  nach  römischem  Brauch  bei  diesen  der 
Bischof  der  Mitra  bediente,  fungierte  er  außerhalb  Roms  bei  ihnen  hie  und 
da  ohne  eine  solche. 

Die  Zeremonie  der  Übergabe  der  Mitra  an  den  neu  konsekrierten  Bischof 
muß  sich  spätestens  im  Verlauf  des  12.  Jahrhunderts  ausgebildet  haben. 
Jedenfalls  war  sie  schon  im  dritten  Viertel  desselben,  wie  aus  des  Nikolaus 
von  Clairvaux  (f  1175),  des  Notars  des  hl.  Bernhard,  Predigt  über  die 
zwölf  Sakramente  erhellt,  nichts  Unbekanntes  mehr.  Ungitur  caput,  liniuntur 
et  manus,  ponitur  et  evangelica  pagina  super  caput  .  .  .  imponitur  cidaris  capiti 
consecrato  et  aurea  lamina  frontis  gloria  praesignitur,  in  qua  contexitur  nomen 
divinitatis  (gemeint  ist  wohl  der  aus  Goldstoff  gewebte  circulus  der  Mitra),  tra- 
ditur  anulus2.  Seit  etwa  1200  wird  der  Ritus  auch  in  den  Pontifikalien  wiederholt 
erwähnt3.  Die  Überreichung  des  Ornatstückes  fand  stets  erst  nach  voraus- 
gegangener Salbung  des  Hauptes  statt.  Bald  erfolgte  sie  bei  der  Weihe  selbst 
während  der  Messe,  bald,  wie  noch  jetzt,  am  Schluß  der  letzteren,  je  nach- 
dem das  heilige  Salböl  auf  dem  Haupt  des  Geweihten  sogleich  oder  erst  am 
Ende  der  ganzen  Feier  abgetrocknet  wurde.  Das  Gewöhnlichere  scheint 
gewesen  zu  sein,  daß  die  Mitra  dem  neugeweihten  Bischof  erst  am  Schlüsse 
der  ganzen  heiligen  Handlung  unmittelbar  vor  der  Heimkehr  aufgesetzt  wurde. 

Ein  Gebet  pflegte  die  Zeremonie  nicht  allzeit  zu  begleiten.  Ein  Mainzer  Ponti- 
fikale  aus  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  läßt  den  Konsekrator  bei  der  Übergabe 
der  Mitra  die  zwar  kurzen,  aber  bedeutungsvollen  Worte  sprechen:  „Ein  Zeichen 
setze  ich  auf  dein  Haupt,  auf  daß  du  außer  deinem  Schöpfer  selbst  keinen  andern 
Liebhaber  zulassest  im  Namen  des  Herrn.  Amen."  In  einem  um  1400  geschriebenen 
Lyoner  Pontifikale  lautet  das  Gebet  gerade  wie  jetzt  im  Pontificale  Eomanum J. 

Daß  auch  bei  der  Segnung  der  Abte  schon  um  das  ausgehende  13.  Jahr- 
hundert die  Zeremonie  der  Überreichung  der  Mitra  vorkam,  beweist  ein  hand- 
schriftliches Mainzer  Pontifikale  jener  Zeit5. 

Dasselbe  enthält  nämlich  im  Ordo  ad  benedicendum  abbatem  die  Eubrik,  es 
solle  der  Bischof,  wenn  er  die  Einsegnung  eines  Abtes  vornehme,  der  die  Mitra  zu 
tragen  gewohnt  sei,  selbigem  das  Ornatstück  unter  den  Worten  überreichen:   „Nimm 


1  Rationale  1.  3,  c.  8;  f.  77.  Pontificale 
Durandi  Mimat.  bei  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12, 
ordo  23 ;  1  225.  Über  die  Mitra  bei  Toten- 
messen vgl.  ebenfalls  das  Pontifikale  des 
Durandus  a.  a.  0. 

2  M.  144,  899.  Der  Sermo  über  die  zwölf 
Sakramente  —  das  Wort  ist  hier  im  weiteren 
Sinne  einer  heiligen  und  heiligenden  Einrich- 
tung zu  nehmen  —  wird  mehrfach  (so  auch 
von  de  Linas  [Revue  1861 ,  455]  und 
Hefele  [Beitr.  II  552])  irrtümlich  dem 
hl.  Petrus  Damiani  zugeschrieben.    Es  konnte 


jedoch  zu  dessen  Lebzeiten  im  Ritus  der 
Weihe  noch  nicht  wohl  von  der  Zeremonie 
der  Überreichung  der  Mitra  die  Rede  sein. 
Anders  lag  natürlich  die  Sache,  als  diese  im 
12.  Jahrhundert  allgemein  zum  bischöflichen 
Kopfschmuck  geworden  war. 

3  Vgl.  z.  B.  außer  den  Auszügen  bei  Mart. 
1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  14  16  17  18;  II  73 
82  88  94  den  Ritus  der  Bischofsweihe  in 
Vat.  lat.  1152  1159  5791  7114. 

4  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  18;  II  94. 

5  Ebd.  1.  2,  c.  1,  ordo  9 ;  II  160. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


487 


hin,  liebster  Bruder,  des  Alten  und  des  Neuen  Bundes  sinnbildliches  Zeichen.  Mögest 
du  kraft  der  Wissenschaft  beider  Testamente  die  dir  anvertraute  Herde  unbefleckt 
bewahren ,  auf  daß  du  mit  ihr  froh  zu  den  Pforten  des  Paradieses  einziehest  im 
Namen  usw." 


X.    DIE  LITURGISCHE  KOPFBEDECKUNG  IN  DEN  ORIENTALISCHEN 

RITEN. 

Nicht   bloß   im   römischen,    auch   in   den  orientalischen  Riten  gibt 
es  eine  liturgische  Kopfbedeckung.    Sie  findet  sich  bei  allen  Riten  des  Ostens. 

Im  verbreitetsten  dieser  Riten,  dem 
griechischen,  steht  sie  wie  im  Abend- 
land nur  den  Bischöfen  zu.  Sie  wird  auch 
hier  Mitra,  griech.  fiirpa,  slav.  mitra,  ge- 
nannt, ist  aber  von  dem  gleichnamigen  la- 
teinischen Ornatstück  der  Form  nach  durch- 
aus verschieden.  Etwas  mehr  Ähnlichkeit 
hat  sie  mit  der  päpstlichen  Tiara.  Sie 
besteht  aus  einem  Reifen,  welcher  von 
zwei  unter  einem  rechten  Winkel  in  ihrem 
Scheitelpunkt  sich  kreuzenden  Bügeln  über- 
spannt ist  (Bilcl  243).  Reifen  und  Bügel, 
welche  mit  getriebenen  Ornamenten,  Stei- 
nen, Perlen  und  ähnlichem  reich  verziert 
zu  sein  pflegen,  bergen  im  Innern  eine 
Mütze  aus  gesteiftem  Stoff,  vielfach  rotem 
Samt,  welche  in  den  zwischen  den  Reifen 
liegenden  Zwischenräumen  wulstartig  her- 
vorquillt. Die  Wulste  sind  mit  Stickereien 
oder  Zierstücken  aus  Metall  besetzt.  Auf  dem  Schnittpunkt  der  Bügel  be- 
findet sich  ein  Kreuz,  welches  nach  russischem  Brauch  eine  horizontale  Lage 
haben  muß.  Ein  aufrecht  stehendes  Kreuz  auf  der  Mitra  tragen  zu  dürfen, 
ist  in  Rußland  eine  besondere  Auszeichnung,  welche  nur  einzelnen  Metro- 
politen zu  teil  wird.  Kraft  eines  alten  Privilegs  erfreuen  sich 
dieses  Vorrechtes  die  Bischöfe  und  der  Metropolit  der  Kiew- 
schen  Eparchie. 

Bei  den  Armeniern  tragen  außer  den  Bischöfen  auch 
die  Priester  und  selbst  die  Archidiakone  eine  liturgische  Kopf- 
bedeckung. Die  Bischöfe  bedienen  sich  der  zweigehörnten  latei- 
nischen Mitra,  die  Priester  und  Archidiakone  dagegen  eines 
Saghavart   genannten  Hutes  (Bild  244).     Derselbe  erinnert  an 


Bild  243.     Griechische  Mitra. 


Bild  244. 
Liturgische 
die  Mitra  der  griechischen  Bischöfe,   entbehrt  jedoch  der  vier    Kopfbedeckung 


Wulste,  welche   dieser   eigentümlich   sind.     Außerdem  wird  er 


der  armenischen 
Priester. 


statt  nur  von  zwei  von  vier  Bügeln  überspannt,  ohne  daß 
dieselben  jedoch  seine  Form  beeinflußten  und  etwas  mehr  als  bloße  Zierreifen 
wären.  Charakteristisch  für  ihn  ist  die  Zackenkrone,  welche  unten  den  Rand 
umgibt.  Eine  liturgische  Kopfbedeckung  bei  Diakonen  begegnet  uns  einzig 
im  armenischen  Ritus  (vgl.  Bild  40,  S.  93). 

Von  den  Syrern  haben  sich  die  Maroniten  und  die  unierten  Jakobiten, 
die  sog.  reinen  Syrer,  hinsichtlich  der  liturgischen  Kopfbedeckung  ganz  dem 
römischen  Brauch  angeschlossen.     Es  erscheinen  daher  die  Bischöfe  bei  den- 


488      Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

selben  in  einer  modernen  abendländischen  Mitra,  und  zwar  von  möglichst  be- 
deutenden Abmessungen.  Auch  die  unierten  Chaldäer  und  Kopten  haben 
die  römische  Mitra  herübergenommen.  Bei  den  schismatischen  Syrern  erfreut 
sich  nur  der  Patriarch  einer  liturgischen  Kopfbedeckung,  bei  den  nestorianischen 
Chaldäern  tragen  dagegen  eine  solche  auch  die  Bischöfe,  und  zwar  behalten 
sie  dieselbe  während  der  ganzen  Messe  auf  dem  Kopfe.  Sie  heißt  biruna  und 
ist  ein  kapuzenartig  über  das  Haupt  gelegtes  Tuch,  während  der  Kopfschmuck 
des  syrischen  Patriarchen  mit  der  griechischen  Mitra  Ähnlichkeit  hat.  Im 
Ritus  der  nichtunierten  Kopten  endlich  gibt  es  eine  sakrale  Kopfbedeckung 
sowohl  bei  dem  Patriarchen  und  den  Bischöfen,  wie  bei  den  Priestern,  aller- 
dings mit  einem  Unterschied  in  der  Beschaffenheit. 

Bei  den  Priestern  und  Bischöfen  besteht  sie  aus  einem  ca  40  cm  breiten 
und  5,50  m  langen,  mit  Kreuzen  oder  auch  wohl  Inschriften  gezierten  Bande, 
ballin  genannt,  das  nach  Art  eines  Turbans  um  den  Kopf  geschlungen  wird 
und  bei  den  Priestern  aus  Linnen,  bei  den  Bischöfen  aber  aus  farbiger  Seide 
angefertigt  ist.     Der  Patriarch  hat  einen  mehr  helmförmigen  Kopfschmuck. 

Für  die  Geschichte  der  liturgischen  Kopfbedeckung  in  den  orientalischen 
Kiten  liegt  nur  sehr  wenig  Material  vor,  zumal  bezüglich  des  sakralen  Kopf- 
schmucks im  armenischen,  syrischen,  chaldäischen  und  koptischen  Ritus. 

Am  meisten  interessiert  die  Frage,  seit  wann  es  in  den  Riten  des 
Orients  eine  liturgische  Kopfbedeckung  gegeben  hat. 

Man  hat  gemeint,  es  sei  im  Orient  schon  in  frühester  Zeit  eine  solche  in  Ge- 
brauch gewesen,  und  sich  hierfür  auf  die  lamina,  die  goldene  Stirnplatte  (Ziz),  berufen, 
deren  sich  nach  des  Epiphanius  und  Polykrates  Angaben  die  Apostel  Jakobus  und 
Johannes  bedient  haben  sollen  l.  Ebenso  hat  man  auf  das  Schreiben  des  Patriarchen 
Theodosius  von  Jerusalem  hingewiesen,  worin  derselbe  dem  Patriarchen  Ignatius  von 
Konstantinopel  mitteilt,  er  habe  ihm  außer  der  Talartunika  und  dem  Schulterkleid  des 
hl.  Jakobus  (I-<u|j.i?,  der  Ephod  des  jüdischen  Hohenpriesters)  auch  dessen  pu-rpa  zum 
Geschenk  gesandt,  und  die  Bemerkung  anfügt,  es  hätten  sowohl  seine  Amtsvorgänger 
im  Patriarchat  wie  er  selbst  sich  dieser  Gewänder  bedient,  so  oft  sie  zur  Ausübung 
ihres  Priesteramtes  ins  Allerheiligste  eingetreten  seien2.  Jedenfalls  sollen  schon  im 
4.  Jahrhundert  die  Bischöfe  im  Orient  eine  liturgische  Koj)fbedeckung  getragen  haben. 
Als  Beweis  führt  man  eine  Rede  Gregors  von  Nazianz 3  und  die  Ansprache  an, 
welche  Eusebius  bei  der  Einweihung  der  Basilika  von  Tyrus  an  die  anwesenden 
Bischöfe  hielt l. 

Allein  die  Worte  des  Polykrates  lassen  sich  sehr  wohl  bildlich  von  der  Bischofs- 
würde des  hl.  Johannes  verstehen.  Sollten  sie  aber  wörtlich  aufzufassen  sein,  so  haben 
sie  zweifellos,  gerade  wie  die  Angabe  des  Epiphanius  betreffs  des  Stirnschmuckes  des 
hl.  Jakobus,  nur  legendenhaften  Charakter.  Bei  der  Erzählung  des  Epiphanius  liegt 
das  klar  zu  Tage,  da  die  Hohenpriester  es  sicher  nicht  geduldet  haben  würden,  wenn 
der  hl.  Jakobus  sich  mit  dem  spezifisch  hohenpriesterlichen  Ziz  geschmückt  hätte. 
Übrigens  würde  auch  aus  den  Worten  des  Polykrates  und  Epiphanius  —  deren  Bericht 
einmal  als  der  Wirklichkeit  entsprechend  angenommen  —  offenbar  zuletzt  nur  das 
eine  folgen,  daß  die  hll.  Johannes  und  Jakobus  sich  der  goldenen  Stirnplatte  des 
aaronitischen  Hohenpriesters  zu  bedienen  pflegten,  keineswegs  aber,  daß  zu  deren 
Lebzeiten  überhaupt  ein  liturgischer  Kopfschmuck  beim  Gottesdienst  in  Gebrauch  war. 
Beim  hl.  Jakobus  wird  das  Tragen  der  lamina  von  Epiphanius  sogar  ausdrücklich  als 
dessen  besonderes  Vorrecht  hingestellt. 


1  Epiph.,  Adv.  haer.  1.  3,  t.  2  78  14  (Mg.  2  Hard.  V  1029. 

42,  721);  ebd.  1.  1 ,  t.  2  29  4  (Mg.  41,  396).  3  Orat.  10,  n.  4  (Mg.  35,  829). 

Euseb.,    Hist.    eccl.    1.   3,    c.   31    (Mg.  20,  i  Euseb.,  Hist.  eccl.  1.10,  c.  4  (Mg.  20, 

280).  849). 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


489 


Was  die  pi-pa  des  hl.  Jakobus  anlangt,  welche  Theodosius  von  Jerusalem  dem 
Patriarchen  Ignatius  von  Konstantinopel  mitsamt  dem  poderes  und  der  epomis  des 
Apostels  sandte,  so  tragen  wir  kein  Bedenken,  alle  drei  Gewandstücke  als  unecht 
zu  bezeichnen,  da,  wie  schon  vorhin  bemerkt  wurde,  die  über  ihre  Stellung  und  Würde 
so  eifersüchtig  wachenden  Hohenpriester  es  ohne  Zweifel  nicht  zugelassen  haben  würden, 
daß  ein  anderer  als  sie  selbst  diese  hohenpriesterlichen  Ornatstücke  trug.  Sehr  auf- 
fallend ist  zudem  die  geringe  Wertschätzung,  welche  Theodosius  den  drei  Gewand- 
stücken gegenüber  an  den  Tag  legt.  Sie  waren  ihm  zufolge  Reliquien  des  hl.  Jakobus, 
des  ersten  Bischofs  von  Jerusalem ,  Reliquien ,  die  nach  des  Patriarchen  eigener 
Aussage  alle  Nachfolger  des  Apostels  und  auch  er  selbst  bei  den  liturgischen  Funk- 
tionen anzulegen  pflegten,  und  trotzdem  verschenkt  Theodosius  alle  drei,  ohne 
dazu  einen  Grund  von  irgend  einer  erkennbaren  Bedeutung  zu  haben.  Es  wäre 
doch  wahrlich  übergenug  gewesen ,  wenn  Theodosius  nur  ein  einziges  jener  Ornat- 
stücke dem  Patriarehen  Ignatius  zum  Geschenk  gemacht  hätte.  Er  hat  ersichtlich 
von  der  Mitra ,  der  Talartunika  und  dem  Schultergewand  des  hl.  Jakobus  nicht 
viel  gehalten,  daß  er  sich  ihrer  so  leicht  entäußern  konnte.  Aber  auch  die  Be- 
merkung des  Patriarchen,  er  wie  seine  Amtsvorgänger  hätten  sich  bei  ihren  hei- 
ligen Punktionen  stets  der  fraglichen  Gewänder  bedient,  dürfte  mit  einem  Frage- 
zeichen zu  versehen  sein.  Gewiß  gibt  es  auch  heutzutage  noch  liturgische  Kleider, 
welche  ihre  800  Jahre  zählen,  allein  sie  sind  schon  seit  vielen  Jahrhunderten  ent- 
weder ganz  oder  doch  so  gut  wie  ganz  außer  Verwendung  gesetzt.  Daß  aber  Gewand- 
stücke, die  man  fortwährend  bei  der  Feier  der  Liturgie  zu  tragen  pflegte,  800  Jahre 
alt  werden  konnten,  ohne  durchaus  unbrauchbar  geworden  zu  sein,  ist,  die  Sache 
nüchtern  betrachtet ,  schlechthin  unglaubhaft ,  zumal  angesichts  der  entsetzlichen 
Stürme,  welche  in  dieser  langen  Zeit  über  Jerusalem  hinwegbrausten,  Stürme,  unter 
denen  doch  auch  der  ganze  Kultus  schwer  leiden  mußte.  Und  wie  hielt  es  Theodosius 
mit  einem  Kopfschmuck,  seit  er  die  Mitra  des  hl.  Jakobus  verschenkt  hatte? 

Eusebius  drückt  sich  in  der  Ansprache,  die  er  an  die  zu  Tyrus  versammelten 
Bischöfe  hielt,  nur  bildlich  aus,  wenn  er  sie  in  rhetorischem  Schwung  mit  den  Worten 
anredet:  „Ihr  Freunde  Gottes,  ihr  Bischöfe,  bekleidet  mit  dem  heiligen  poderes,  der 
himmlischen  Krone  der  Ehre,  der  von  Gott  kommenden  Salbung  und  dem  priester- 
lichen Gewand  des  Heiligen  Geistes!"  Es  ist  uns  geradezu  unverständlich,  wie  man 
die  Worte  töv  oüpaviov  xrj;  ooEt]?  GTEtpavov  als  einen  Beweis  für  den  damaligen  Gebrauch 
eines  pontifikalen  Kopfschmuckes  hat  ausgeben  können. 

Gregor  von  Nazianz  schildert  in  der  fraglichen  Rede  seine  eigene  Weihe  unter 
dem  Bilde  der  Weihe,  wie  sie  nach  Moses'  Anordnung  an  Aaron  und  den  jüdischen 
Priestern  vollzogen  wurde.  Mit  der  cidaris,  von  welcher  er  redet,  ist  darum  nicht 
eine  damals  etwa  im  Gebrauch  befindliche  liturgische  Kopfbedeckung,  sondern  die 
Mitra  des  jüdischen  Hohenpriesters  gemeint. 

Im  griechischen  Ritus  ist  erst  in  sehr  später  Zeit  eine  liturgische  Mitra 
in  Gebrauch  gekommen.  Allerdings  sagt  schon  Pseudo-Alkuin,  es  trügen  die  Griechen 
pilei,  i.  e.  cuphiae,  auf  dem  Kopfe,  wenn  sie  am  Altare  die  heiligen  Geheimnisse  feierten. 
Doch  fügt  er  dieser  Notiz,  was  wohl  zu  bemerken  ist,  ein  „soll"  hinzu:  apud  Graecos 
autem  hoc  dicitur.  Daß  sie  in  der  Tat  nur  ein  unbestimmtes  Gerücht  ohne  wirklichen 
Untergrund  darstellt,  ergibt  sich  alsbald,  wenn  wir  die  griechischen  Bildwerke  einem 
Studium  unterziehen  oder  bei  den  griechischen  Schriftstellern  uns  umsehen 2. 


1  Trug  der  Bischof  von  Jerusalem  wirk- 
lich im  9.  Jahrhundert  bei  der  Liturgie  die 
Mitra  des  hl.  Jakobus,  so  geschah  das  sicher 
nur  wegen  ihres  vermeintlichen  Reliquien- 
charakters, nicht  weil  es  dort  schon  einen 
pontifikalen  Kopfschmuck  gab.  War  doch 
ein  solcher  noch  nicht  einmal  im  12.  Jahrhun- 
dert daselbst  im  Gebrauch  (vgl.  S.  490). 
Oder  ist  es  glaubhaft,  daß  Theodosius  mit 
des   hl.    Jakobus    Mitra   überhaupt   auf   eine 


sakrale  Mitra  verzichtet  hätte,  wenn  es  da- 
mals zu  Jerusalem  eine  solche  gegeben? 

2  Vielleicht,  daß  sich  die  Angabe  Pseudo- 
Alkuins  an  eine.  Bemerkung  des  Ratramnus 
anlehnt  (Contra  Graec.  opposit.  1.  4,  c.  5  [M. 
121,  322  323]),  wo  es  sich  aber  bei  der  Kopf- 
hülle der  griechischen  Geistlichen,  von  der 
dort  die  Rede  ist,  offenbar  nur  um  die  ge- 
wöhnliche Bedeckung  des  Hauptes,  nicht  um 
einen  liturgischen  Kopfschmuck  handelt. 


490     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Keine  griechische  bildliche  Darstellung  weist  vor  Ende  des  Mittelalters 
eine  sakrale  Kopfbedeckung  auf,  und  zwar  bezeichnenderweise  auch  dann 
nicht,  wenn  liturgische  Funktionen  dargestellt  werden.  Klassisch  sind  in 
dieser  Beziehung  namentlich  eine  Reihe  von  Miniaturen  im  Menologium  Ba- 
silius'  II.  Mit  einer  Kopfbedeckung  treffen  wir  in  ihm  nur  an  den  hl.  Cyrillus 
von  Alexandrien,  den  hl.  Athanasius  und  den  heiligen  Bischof  Spiridion  von 
Cypem  (Bild  245  und  246).  Es  bleiben  das  aber  auch  die  einzigen,  welche 
bis  zur  Neuzeit  auf  den  Bildwerken  mit  einer  Kopfbedeckung  erscheinen  (vgl. 
Bild  142,  S.  304).  Von  der  Mitra  des  hl.  Cyrillus  wird  nachher  die  Rede 
sein.  Die  Mütze,  welche  St  Spiridion  auf  dem  Haupte  hat,  stellt  keinen 
liturgischen  Kopfschmuck  dar,  sondern  eine  Hirtenmütze.  Sie  soll  daran 
erinnern,  was  der  Heilige  war, 
ehe  er  Bischof  ward. 

Auch  die  griechischen  Schrift- 
steller wissen  ausnahmslos  vor 
dem  Ende  des  Mittelalters  nichts 

Kopf- 


von     einer 


liturgischen 


bedeckung  im  griechischen  Ritus. 
Insbesondere  findet  sie  weder  in  der 
Vffzopta  noch  den  unter  den  Namen 
der  hll.  Germanus  und  Sophro- 
Mefäerklärungen 


mus 


gehenden 


Erwähnung.  Ebenso  schweigt  Bal- 
samon,  Chartophylax  des  Patriar- 
chen von  Konstantinopel,  seit  1193 
Patriarch  von  Antiochien  (f  1214), 
von  einer  liturgischen  Kopfbe- 
deckung, wo  er  die  Privilegien 
der  Patriarchen  behandelt  und 
dabei  im  einzelnen  die  Bestand- 
teile ihrer  Sakralkleidung  auf- 
zählt1. Ja  er  versichert  sogar 
an  einer  andern  Stelle  ausdrück- 
lich, daß  nur  der  Patriarch  von 
Alexandrien  sich  einer  solchen 
bediene,  während  alle  übrigen  mit  unbedecktem  Haupte  die  heiligen  Geheim- 
nisse feierten:  Kai  ttüvtcov  u.TzzpixaXÖTtroic,  'ispoupjoi'jvrcuv  tcuq  xscpaX(/~i.q  /idvog 
o  nazpuipyrjQ  'AXe^OMÖpeiaQ  lepoupyBi  piETU  tol>  Scopol)  zvjv  xtfaX^qv  xuXurrTopsvos2. 
Es  gab  selbst  im  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  im  griechischen  Ritus 
noch  keine  liturgische  Kopfbedeckung.  Das  beweisen  die  diesbezüglichen 
bestimmten  Auslassungen  des  Erzbischofs  Simeon  von  Saloniki  (f  1429),  der 
gerade  wie  Balsamon  sowohl  in  seiner  Schrift  De  divino  templo  s  wie  in  seinen 
Antworten  auf  die  Anfragen  des  Bischofs  Gabriel   von  Pentapolis4   mit   aus- 


Bild 245.    Athanasius. 
Miniatur  im  Menologium 
ßasilius'  IL     Born,  Vatikan. 


Bild  246.     Spiridion. 
Miniatur  im  Menologium 
Basilius'  IL  Eom,  Vatikan. 


•  Meditata  c.  1   (Mg.  138,  1021). 

2  Ebd.  c.  2  (ebd.  1048). 

3  N.  45  (Mg.  155,  716)  :  'Ar.zpao.Umu>  5k 
iyj  xspaÄy  oi  Trjq  'AvaroÄrjg  hpap^al  näv-teg 
xal  ispzig  xXrjV  roü  r^s  AXazavopciag  Trfj  lepou- 
yiav  tzeXoüow.   'Avar.  hier  g  r  i  e  c  h.  Orient. 

*  Qu.  20  (ebd.  872).  Nach  Kondakoff 
(Histoire  de  l'arfc  byzantin,  Paris  1891,  64) 


wäre  eine  Cidaris  (bischöfliche  Mitra)  schon 
auf  einer  bald  nach  880  gemalten  Miniatur 
der  Homilien  Gregors  von  Nazianz  in  der 
Pariser  Nationalbibliothek  (f.  gr.  501,  fl.  64) 
zur  Darstellung  gekommen.  Es  ist  das  jedoch 
ein  grober  Irrtum.  Was  Kondakoff  für  eine 
Cidaris  angesehen  hat,  ist  ein  Evange- 
lien buch.    Die  Miniatur   stellt   die  Weihe 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


491 


drücklichen  Worten  erklärt,  nirgends  sei  bei  den  Bischöfen  und  Priestern  des 
Orients  mit  Ausnahme  des  Patriarchen  von  Alexandrien  eine  liturgische  Kopf- 
bedeckung bei  den  gottesdienstlichen  Funktionen  im  Gebrauch. 

Hierzu  stimmt,  daß  der  Patriarch  Joseph  von  Konstantinopel,  der  1439 
gelegentlich  des  Unionskonzils  zu  Florenz  starb  und  in  S.  Maria  Novella 
beerdigt  wurde,  auf  dem  ihm  daselbst  errichteten  Grabmal  zwar  in  seiner 
liturgischen  Kleidung,  jedoch  ohne  Mitra  dargestellt  ist.  Hätte  es  eine  solche 
damals  bereits  gegeben,  würde  sie  gewiß  auf  der  Abbildung  des  Verstorbenen 
nicht  fehlen.  Denn  man  vergesse  nicht,  als  man  zu  Florenz  das  Monument 
errichtete  und  den  Patriarchen  in  Fresko  auf  demselben  anbrachte,  war  es  in 
Italien  allenthalben  Sitte,  die  Bischöfe  auf  den  Grabdenkmälern  mit  der  Mitra 
geschmückt  darzustellen. 

Es  ist  nicht  möglich,  den  Zeitpunkt  zu  bestimmen,  da  die  Mitra  im 
griechischen  Ritus  in  Gebrauch  kam.  Vielleicht  geschah  es  unter  dem  Ein- 
fluß der  veränderten  Verhältnisse  schon  bald  nach  dem  Untergang  des  ost- 
römischen Reiches  und  der  Eroberung  Konstantinopels  durch  die  Türken, 
jedenfalls  aber  spätestens  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts.  Denn  im  Jahre  1589 
hatte  bereits  die  Einführung  der  Mitra  in  Rußland  statt.  Immerhin  fand  die 
Mitra,  wie  aus  den  Kommentaren  Gretsers  und  Goars  zu  des  Kodinus  Liber 
de  officialibus  hervorgeht1,  selbst  noch  in  dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts 
erst  bei  wenigen  griechischen  Bischöfen  Verwendung. 

Die  Einführung  der  Mitra  in  dem  russischen  Ritus  erfolgte  an- 
läßlich der  Errichtung  des  russischen  Patriarchats,  bei  welcher  Gelegenheit 
der  Zar  Theodor  dem  neugeschaffenen  Patriarchen  Job  unter  anderem  das 
Recht  verlieh,  den  Sakkos,  den  Mandyas  und  die  Mitra  zu  tragen2.  Offenbar 
waren  diese  bis  dahin  in  Rußland  nicht  verwendet  worden,  sonst  hätte  ja  der 
Zar  den  Patriarchen  nicht  mit  dem  Vorrecht,  sich  dieser  Ornatstücke  bedienen 
zu  dürfen,  zu  beglücken  brauchen. 

Woher  Zar  Theodor  die  Mitra  genommen,  sagt  der  Bericht,  den  ein 
Augenzeuge  des  Vorganges  hinterlassen  hat,  nicht;  doch  kann  es  wohl  kaum 
zweifelhaft  sein,  daß  er  sie  aus  dem  griechischen  Ritus  herüberholte.  Denn 
von  dort  stammten  ja  auch  der  Sakkos  und  die  magna  cappa,  d.  i.  der  tj.avd6ag, 
die  er  dem  neukreierten  Patriarchen  als  Auszeichnung  verlieh.  Zudem  war 
es  ja  das  Bestreben  des  Zaren,  diesen  in  allem  dem  Patriarchen  von  Kon- 
stantinopel gleichzustellen.  Daß  aber  bei  letzterem  bereits  eine  Mitra  in 
Gebrauch  war,  beweist  der  Umstand,  daß  sich  unter  den  Geschenken,  welche 
Patriarch  Jeremias  IL  für  seine  Gefügigkeit  bei  Errichtung  des  russischen 
Patriarchats  erhielt,  sich  auch  eine  kostbare,  mit  Perlen,  Steinen  und  Bild- 
werk reichgeschmückte  Mitra  befand.  Ja  es  bekamen  für  die  Feier  der 
Proklamation  des  Patriarchen  Job  selbst  die  Bischöfe,  welche  die  Begleitung 
des  Patriarchen  von  Konstantinopel  bildeten,  kostbare  Mitren3. 


Gregors  dar.     Eine  Abbildung  bei  Roh.  VI, 

pl.  CDLXVII. 

1  Gretseri  etGoariNotaeadCodinilibrum 
de  officialibus  c.  16:  Mitra  non  utuntur  epi- 
scopi  graeci  in  sacrificiis ,  sed  aperto  capite 
totam  liturgiam  perficiunt.  .  .  .  Diximus, 
Graecos  non  celebrare  operto  capite  excepto 
patriarcba  Alexandrino  et  pauculis  aliis 
(Mg.  157,  184  186). 

2  Arsenii  Elas.  episc.  descriptio  itineris  in 


Moscoviam  liabiti  a  Ieremia  II.  patr.  Constant. 
(Wiclimann,  Kleinere  Schriften  zur  Kennt- 
nis des  russischen  Reiches  I,  Berlin  1820, 
83) :  Primatum  super '  ceteros  episcopos  ad 
te  spectare  declarat  maiestas  mea  edicitque 
u t  in  posterum  admirandum  saccum 
gestes  mitramque  ac  magnam  cap- 
pa m  atque  per  omnia  imperii  regna  patriar- 
cba renuntieris. 
3  Ebd.  I  79  116. 


492     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Über  die  Form,  welche  die  Mitra  zur  Zeit  ihrer  Einführung  im  russischen 
Ritus  hatte,  gibt  eine  noch  erhaltene  Mitra  des  Patriarchen  Job  Aufschluß 1. 
Sie  stellt  eine  runde,  oben  abgeflachte  Mütze  dar,  die  am  Eand  ringsum  mit 
einem  weißen  Pelzbesatz,  darüber  mit  einer  Inschrift  in  Perlen  und  noch 
höher  mit  einem  aus  Halbfiguren  sich  zusammensetzenden  Fries  geschmückt 
ist.  Die  Mitte  nimmt  der  Heiland  ein ;  rechts  und  links  schließen  sich  Maria  . 
und  St  Johannes  der  Täufer  an;  dann  folgen  Heilige  (Apostel).  Die  Umrisse 
der  Bilder  sind  in  Perlen,  die  Gewänder  und  Fleischteile  in  Seidenstickerei 
hergestellt.  Auf  dem  Deckel  der  Mitra  ist  in  einem  von  Perlen  gebildeten 
Medaillon  Maria  mit  dem  Jesuskind  in  gleicher  Technik  wie  die  Halbfiguren 
an  den  Seiten  zur  Darstellung  gekommen.  Das  Medaillon  ist  von  einer  in 
Perlen  auf  blauem  Grund  gestickten  Inschrift  umrahmt.  Das  Ganze  ist  eine 
ebenso  interessante  wie  kostbare  Arbeit. 

Die  Mitra  des  Patriarchen  Job  hat  noch  nicht  ganz  die  Form,  welche 
der  griechischen  Mitra  gegenwärtig  eigen  ist.  Noch  fehlt  ihr  der  untere 
Reifen  samt  den  Bügeln  und  dem  Kreuz  auf  der  Spitze.  Dagegen  weisen 
eine  Anzahl  überaus  kostbarer  und  prunkvoller,  mit  Gold,  Edelsteinen,  Perlen 
und  Emails  förmlich  überladener  Mitren  des  Patriarchen  Nikon  (seit  1652), 
des  anfangs  so  mächtigen,  bald  aher  elend  gestürzten  Günstlings  des  Zaren 
Alexis,  zumeist  Geschenke  eben  dieses  Zaren,  bereits  in  allem  die  jetzt  ge- 
bräuchliche Form  auf2. 

Ursprünglich  im  russisch-griechischen  Ritus  nur  dem  Patriarchen  eigen, 
blieb  die  Mitra  nicht  lange  dessen  ausschließliches  Vorrecht.  Schon  eine  Ver- 
ordnung über  den  liturgischen  Ornat  vom  Jahre  1675 3  rechnet  sie  auch  zur 
Ausstattung  der  russischen  Erzbischöfe  und  Bischöfe.  Sie  muß  also  zwischen 
den  Jahren  1589  und  1675  bei  diesen  in  Gebrauch  gekommen,  spätestens 
aber  ihnen  1675  durch  den  angeführten  Erlaß  zuerkannt  worden  sein.  Weit 
früher  als  im  griechischen  tritt  in  einigen  andern  orientalischen  Riten  eine 
liturgische  Kopfbedeckung  auf. 

Daß  im  syrischen  Ritus  bereits  im  13.  Jahrhundert  eine  solche 
Verwendung  fand,  bekunden  die  Miniaturen  eines  aus  dem  Jahre  1239 
stammenden  syrischen  Pontifikale  der  Pariser  Nationalbibliothek  (Bild  216, 
S.  51;  112,  S.  238).  Sie  stellen  die  Vornahme  der  Weihen  dar  und  zeigen 
uns  die  Bischöfe  bei  ihren  Funktionen  mit  bedecktem  Haupte.  Die  Kopf- 
bedeckung besteht  indessen  nicht  in  einer  Mitra  oder  in  einer  der  Mitra  ähn- 
lichen Mütze.  Sie  hat  vielmehr  die  Form  einer  über  den  Kopf  gezogenen 
Kapuze  und  ist  über  der  Stirn  mit  einem  Kreuze  geschmückt.  Es  ist  dieselbe 
Kopfbedeckung,  die  uns  wiederholt  bei  abendländischen  Mönchen  auf  süd- 
italischen, der  Frühe  unseres  Jahrtausends  angehörigen  Miniaturen  begegnet. 
Der  Umstand,  daß  sie  auf  den  Darstellungen  des  Pontifikale  nur  bei  Bischöfen 
auftritt,  läßt  keinen  Zweifel,  daß  sie  nur  ihnen  zustand. 

Die  Kopfbedeckung,  von  der  uns  die  Miniaturen  des  syrischen  Pontifikale 
ein   so    anschauliches  Bild   gewähren,    besteht   noch  jetzt,    wenn   auch  ihrem 


1  Abbildung  in  Antiquites  de  l'empire  de  den,  so  ist  das  ganz  bestimmt  irrig.  Das  pl.  c  ab- 
Russie  pl.  lxxxv.  Eine  ähnliche  Mitra  ebd.  gebildete  Muster  des  Kaselstoffes  allein  schon 
pl.  cxvin.  Sie  wird  samt  einer  Stola,  einer  genügt,  um  daran  keinen  Zweifel  zu  lassen. 
Kasel,  einem  Omophorion  und  liturgischen  -  Abbildung  ebd.  pl.  lxxxvi  lxxxvii 
Stauchen  einem  Bischof  Nicetas  (12.  Jahrh  )  zu-  lxxxviii  lxxxix  xc  xci. 
geschrieben,  dürfte  aber  wie  diese  dem  Beginn  3  Philaret,  Geschichte  der  Kirche  Rufi- 
des 17.  Jahrhunderts  angehören.  Wenn  die  Ge-  lands  (deutsch  von  Blumenthal,  1872) 
wänder  in  das  12.  Jahrhundert  versetzt  wer-  II  109. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  493 

früheren  Zwecke  entfremdet.  Es  ist  die  Macnafta,  von  der  bei  Besprechung  des 
Amikts  die  Rede  war.  Es  ist  nicht  schwer,  in  ihr  die  ursprüngliche  kapuzen- 
artige  Kopfbedeckung  wiederzuerkennen.  Man  braucht  sie  nur  über  den  Kopf  zu 
ziehen,  statt  auf  dem  Nacken  ruhen  zu  lassen,  um  eine  Kopfhülle  zu  erhalten, 
wie  sie  uns  auf  den  Miniaturen  des  erwähnten  syrischen  Pontifikale  entgegentritt. 

Was  seinen  Ursprung  anlangt,  scheint  das  Ornatstück  von  der  Mönchs- 
kapuze herzukommen.  Die  Bischöfe  wurden  aus  dem  Kreise  der  Mönche 
genommen.  Es  mochte  sich  daher  der  Gedanke  nahe  legen,  denselben  als 
Bischöfen,  und  zwar  insbesondere  für  die  liturgischen  Funktionen,  ein  Gewand- 
stück zu  belassen,  durch  welches  sie  äußerlich  als  das  gekennzeichnet  wurden, 
was  sie  auch  noch  als  Bischöfe  waren,  als  Mönche. 

Noch  fast  ein  Jahrhundert  früher  als  für  den  syrischen  Ritus  läßt  sich 
für  den  armenischen  der  Gebrauch  einer  Kopfbedeckung  beim  Gottesdienst 
nachweisen.  Unter  den  Vorwürfen  nämlich,  welche  der  vom  Schisma  zur 
katholischen  Kirche  zurückgekehrte  armenische  Katholikos  Isaak  seinen  Lands- 
leuten macht,  befindet  sich  auch  der,  daß  die  Bischöfe  und  Hegumenen  (Kloster- 
vorsteher) nicht  nur  bedeckten  Hauptes,  sondern  selbst  mit  doppelter  Kopf- 
bedeckung die  heiligen  Geheimnisse  feierten1.  Sie  setzen,  sagt  Isaak,  über 
dem  gewöhnlichen  noch  ein  zweites  Kamelaukion  auf  oder  ziehen,  wie  es  in 
einer  kürzeren  Rezension  heißt,  über  ihre  Kopfbedeckung   noch  eine  Kapuze. 

Wie  aus  Isaaks  Schrift  ebenfalls  hervorgeht,  wurde  bei  den  Armeniern 
vielfach  eine  besondere  liturgische  Kleidung  ganz  vernachlässigt2.  Die  Bischöfe 
und  Klostervorsteher  hielten  die  Liturgie  sehr  gewöhnlich  in  ihrer  Alltags-, 
d.  i.  der  Mönchstracht.  Denn  auch  die  Bischöfe  pflegten  wie  die  Vartapeds 
(Lehrer),  aus  denen  sie  meist  genommen  wurden,  obwohl  nicht  eigentlich 
Mönche,  doch  häufig  in  den  Klöstern  zu  wohnen.  Die  beiden  Kopfbedeckungen, 
deren  man  sich  nach  Isaak  bei  der  Messe  bediente,  dürften  also  wohl  ein 
Stück  der  Mönchsgewandung  gewesen  sein. 

Es  ist  nicht  schwer,  in  der  jetzigen  liturgischen  Kleidung  des  armenischen 
Ritus  die  beiden  Kopfbedeckungen  wiederzufinden,  deren  Verwendung  Isaak 
tadelt.  Die  eine  ist  die  Saghavart  genannte  Mitra  der  Priester  und  Archi- 
diakone,  die  andere  das  Vakas  heißende  Schultertuch,  jetzt  eine  Art  Amikts, 
einst  aber  sonder  Zweifel  nichts  als  die  Kapuze  oder  der  Kopfschleier,  von 
welcher  der  armenische  Katholikos  spricht.  Die  moderne  römische  Form  der 
Mitra,  wie  sie  jetzt  bei  den  armenischen  Bischöfen  üblich  ist,  mag  sich  um 
das  Ende  des  16.  oder  den  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  infolge  des  lebhaften 
Verkehrs,  welcher  damals  zwischen  Rom  und  den  Armeniern  bestand,  ein- 
gebürgert haben.  Dagegen  ist  die  abendländische  Form  der  armenischen 
bischöflichen  Mitra  überhaupt  weit  älter.  Sie  kam  schon  im  Beginn  des 
13.  Jahrhunderts  bei  den  Armeniern  in  Gebrauch.  1203  schickte  nämlich 
Innozenz  III.  durch  seinen  Kardinallegaten  Petrus  von  Capua  dem  armenischen 
Katholikos  und  24  Bischöfen  Mitra  und  Hirtenstab,  wobei  er  von  ihnen  das 
Versprechen  der  Treue  gegen  den  römischen  Stuhl  entgegennahm  3.  Die  nächste 
Veranlassung  zur  Übersendung  der  Mitra  war  ein  Schreiben  des  Erzbischofs 
von  Sisum,  in  welchem  derselbe  den  Papst  um  Mitra,  Ring  und  Pallium  bat i. 


1  Oratio  II  adversus  Armenosc.  29  (Mg.  132,  stolicae  sedis  legatus  .  ..  Armeno    catholico 
1235).     Eine    kürzere  Rezension  ebd.  I  657.  et    XXIV    episcopis   mitras   et   baculum  .  .  . 

2  S.  oben  S.  98,  Anm.  4.  tribuit  pastoralem,  recipiens  ab  eo    debitam 
8  Sicardi  Crem,  episc.  chron.  (M.  213,  535):  ö.  Romae  ecclesiae  fldelitatem. 

Eodem  anno  magister  Petrus  cardinalis  apo-  '  Innocent. III. Epp.  1. 5.  n.  47  (M.214,1018). 


494     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Von  einer  sakralen  Kopfbedeckung  des  chaldäischen  (nestorianischen) 
Ritus  redet  schon  im  12.  Jahrhundert  das  „Buch  der  Väter"  und  bereits  im 
10.,  wie  es  scheint,  Georg  von  Arbela.  Dieselbe  wird  hier  wie  dort  maaphra 
genannt,  während  sie  bei  späteren  Schriftstellern  biruna  heißt  K  Über  ihre 
Verwendung  sagt  das  „Buch  der  Väter",  daß  sie  nicht  getragen  wurde 
während  des  Opferaktes  und  der  Verlesung  des  Evangeliums.  Wie  die 
syrische  Macnafta  und  der  armenische  Vakas  mag  auch  die  Maaphra  (Biruna) 
von  dem  Mönchsschleier  herzuleiten  sein. 

Sehr  früh  läßt  sich  eine  liturgische  Kopfbedeckung  beim  Patriarchen  von 
Alexandrien  nachweisen.  Die  älteste  schriftliche  Nachricht  über  dieselbe 
entstammt  allerdings  erst  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts.  Es  ist 
Balsamon,  der  uns  von  ihr  berichtet2.  Daß  sie  indessen  schon  eine  geraume 
Weile  früher  beim  Patriarchen  in  Gebrauch  war,  beweist  eine  Miniatur  des 
Menologiums  Basilius'  IL,  auf  welcher  die  hll.  Athanasius  und  Cyrillus  außer 
mit  der  gewöhnlichen  liturgischen  Gewandung  auch  mit  einer  mützenartigen 
Kopfbedeckung  ausgezeichnet  sind.  Sie  muß  also  schon  um  das  Ende  des 
10.  Jahrhunderts  eine  bekannte  und  anerkannte  Eigentümlichkeit  des  alexan- 
drinischen  Patriarchen  gewesen  sein. 

Nach  Balsamon  soll  Papst  Cölestin  dem  hl.  Cyrillus  von  Alexandrien  die 
Mitra  verliehen  haben,  als  er  ihn  an  seiner  Stelle  mit  der  Leitung  des  Konzils 
zu  Ephesus  betraute.  Das  ist  jedoch  nur  eine  Fabel.  Zu  Cölestins  Zeit  gab 
es  zu  Rom  noch  keine  Mitra,  und  darum  konnte  der  Papst  unmöglich  Cyrillus 
mit  dem  Vorrecht  auszeichnen,  als  sein  Vertreter  sich  ihrer  zu  bedienen. 
Balsamon  glaubt  freilich,  es  habe  der  Papst  damals  wirklich  schon  die  Mitra 
getragen.  Denn  die  falsche  Konstantinische  Schenkung,  kraft  deren  Konstantin 
Silvester  I.  auch  den  pileus  phrygius  gewährt,  ist  für  ihn  noch  eine  wirk- 
liche Tatsache. 

Die  Ansicht  Balsamons  scheint  vielfach  im  Orient  geteilt  worden  zu 
sein.  Es  erwähnen  dieselbe  z.  B.  auch  Nicephorus  Callistus3  und  Simeon 
von  Saloniki.  Andern  aber  mochte  es  bedenklich  vorkommen,  die  Mitra 
der  alexandrinischen  Patriarchen  auf  eine  Verleihung  durch  den  römischen  Papst 
zurückzuführen.  Sie  zogen  es  daher  vor,  das  Vorrecht  des  alexandrinischen 
Patriarchen  in  einer  andern,  freilich  recht  sonderbaren  Weise  zu  erklären. 
Sie  sagten,  es  habe  sich  Cyrillus  von  einer  Synode  wegen  Schwächlichkeit 
die  Erlaubnis  erteilen  lassen,  die  Mitra  zu  tragen.  Simeon  von  Saloniki,  der 
beider  Ansichten  gedenkt,  hält  es  seinerseits  für  wahrscheinlicher,  daß  der 
Hinblick  auf  den  jüdischen  Hohenpriester  für  die  Patriarchen  Alexandriens 
Anlaß  gewesen  sei,   die  Mitra  in  Gebrauch  zu  nehmen4. 

Wie  es  sich  aber  auch  mit  dem  Ursprung  der  Mitra  des  alexandrinischen 
Patriarchen  verhalten  mag,  jedenfalls  hat  sie  bei  diesem  bereits  eine  gute 
Zeit  vor  dem  Ende  des  1.  Jahrtausends  Verwendung  gefunden.  Es  ist  dem- 
nach eine  liturgische  Mitra  zu  Alexandrien  früher  als  zu  Rom  zur  Ver- 
wendung gekommen ;  ob  jedoch  auch  eher  als  die  schon  im  Beginn  des  8.  Jahr- 
hunderts nachweisbare  außerliturgische  Kopfbedeckung  des  Papstes,  aus  der 
um  die  Wende  des  Jahrtausends  die  liturgische  Mitra  des  Abendlandes  hervor- 


1  La  Science  catholique  1890,  450.  Vgl.  3  Hist.  eccl.  1.  14,  c.  34  (Mg.  146,  1169). 
ferner  oben  S.  50.  4  Resp.  ad  Gabr.  Pentapol.  qu.  20  (Mg.  155, 

2  Meditata  c.  2  (Mg.  138,  1048).  Vgl.  auch  871).  Wer  anders  denke,  möge  wenigstens, 
die  Scholien  Balsamons  zum  Nomokanon  des  sagt  er,  in  der  Mitra  das  Symbol  der  Dornen- 
Photius  (Mg.  104,  1083).  kröne  und  des  heiligen  Schweißtuches  sehen. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra.  495 

ging,  muß  dahingestellt  bleiben.  Es  fehlt  zur  Beantwortung  dieser  Frage 
alles  Material.  Die  Mitra  blieb  auch  in  der  Folge  im  koptischen  Ritus  stets  ein 
privilegiertes  Ornatstück  des  Patriarchen. 

XI.    URSPRUNG  DER  MITRA. 

Die  Zeit,  zu  der  in  Rom  die  Mitra  in  Gebrauch  kam,  läßt  sich  zwar 
nicht  genau,  doch  immerhin  annähernd  bestimmen.  Da  dieselbe  bis  ins 
10.  Jahrhundert  hinein  noch  nicht  zum  Sakralornat  der  römischen  Kirche 
gehörte  und  es  anderseits  bereits  vor  der  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  bei 
Papst  und  Kardinälen  Sitte  Avar,  sich  des  Ornatstücks  beim  Gottesdienst  zu 
bedienen,  wird  dessen  Einführung  wohl  zwischen  ca  900  und  1000  liegen. 
Daß  sich  von  dem  Ereignis  keine  Kunde  erhalten  hat,  kann  nicht  auffallen. 
Die  Zeit  war  damals  gar  stürmisch;  ein  folgenschweres  Ereignis  drängte 
das  andere;  Rom  selbst  war  der  Schauplatz  zahlreicher  Parteikämpfe  und 
blutiger  Fehden ;  die  Griechen  machten  Schwierigkeiten  über  Schwierigkeiten, 
die  Mißstände  im  Klerus  und  die  Ausschreitungen  der  weltlichen  Großen 
waren  schreiend:  Tage  wiederholten  sich,  wie  sie  kaum  schlimmer  eine  frühere 
Zeit  gesehen;  was  war  gegenüber  solchen  Verhältnissen  die  Ingebrauchnahme 
einer  liturgischen  Kopfbedeckung,  zumal  wenn  dieselbe  nicht  mit  einem  Schlag, 
sondern  allmählich  erfolgte?  Der  Ereignisse,  denen  gegenüber  ein  solches 
Vorkommnis  verschwinden  mußte,  waren  zu  viele  und  zu  wichtige. 

Wie  ist  es  aber  zur  Einführung  des  pontifikalen  Kopfschmuckes  ge- 
kommen? Hat  etwa  der  Hinblick  auf  die  sakrale  Kopfbedeckung  der  alt- 
testamentlichen  Priester  den  Anstoß  dazu  gegeben? 

Selbstverständlich  ist  diese  Frage  nicht  von  einer  unmittelbaren  Herüber- 
nahme der  Mitra  des  mosaischen  Kultus  zu  verstehen,  da  ja  die  pontifikale  Mitra 
erst  um  die  Wende  des  ersten  Jahrtausends  aufkam.  Sie  kann  nur  den  Sinn 
haben,  die  Erinnerung  an  den  hohenpriesterlichen  Kopfbund  des  aaronitischen 
Opferdienstes  habe  damals  die  Ingebrauchnahme  der  Mitra  veranlaßt.  Allein 
auch  so  dürfte  die  Frage  zu  verneinen  sein. 

Es  liegt  nichts  vor,  woraus  sich  eine  solche  späte  Ableitung  unseres 
Ornatstückes  von  dem  entsprechenden  Gewandstück  des  mosaischen  Kultus 
erschließen  ließe.  Insbesondere  findet  sich  in  den  Bullen,  in  denen  die  Päpste 
Bischöfen  oder  Äbten  das  Recht  verleihen,  die  Mitra  zu  tragen,  absolut  keine 
Spur,  welche  zu  Gunsten  einer  solchen  Auffassung  spräche.  Sehr  zu  be- 
achten ist  auch ,  daß  die  römische  Mitra  im  Gegensatz  zur  Sitte  des  Alten 
Bundes,  wonach  alle  Priester  eine  sakrale  Kopfbedeckung  trugen,  stets  mü- 
der hohen  und  höchsten  Geistlichkeit  zukam. 

Allerdings  behaupten  einige  Liturgiker  des  12.  Jahrhunderts,  Honorius 
von  Autun,  Robertus  Paululus  und  Sicardus,  es  sei  die  Mitra  dem  mosaischen 
Gesetze  entnommen.  Est  assumpta  a  lege,  so  Honorius  bzw.  Sicardus;  ex 
usu  legis,  so  Robertus.  Doch  erhellt  aus  ihren  Worten  weder,  wie  sie  sich 
deren  Ableitung  von  der  Miznephet  denken,  ob  mittelbar  oder  unmittelbar, 
noch  führen  sie  einen  Grund  für  ihre  Behauptung  an.  Bekannt  ist  auch,  wie 
es  um  die  historische  Kritik  der  Liturgiker  des  12.  und  13.  Jahrhunderts 
bestellt  gewesen  ist.  Was  sie  sagen,  ist  daher  ohne  allen  Belang.  Man  ist 
leicht  geneigt,  aus  aprioristischen  Gründen  an  eine  Beeinflussung  der  christ- 
lichen Sakralkleidung  durch  diejenige  des  Gesetzes  zu  denken.  Wer  sich  aber 
eingehender   mit   der   Geschichte   unserer   liturgischen   Gewänder  beschäftigt, 


496     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

dem  kann  es  nicht  entgehen,  daß  selbst  eine  bloß  mittelbare  Einwirkung  auf 
die  Entwicklung  der  neutestamentlicheu  Kultgewandung  nur  in  sehr  geringem 
Maße  und  fast  nur  in  Nebensächlichkeiten  stattfand. 

Aber  auch  aus  den  Riten  des  Ostens  kann  die  Mitra  nicht  herüber- 
genommen worden  sein.  Es  bedarf  das  nach  dem,  was  früher  über  das  Auf- 
treten der  Mitra  daselbst  gesagt  wurde,  keines  weiteren  Beweises.  Höchstens 
könnte  eine  Ableitung  der  römischen  Mitra  von  derjenigen  des  alexandrinischen 
Patriarchen  in  Frage  kommen,  allein  die  völlige  Bedeutungslosigkeit,  in  welche 
das  Patriarchat  von  Alexandria  gegen  Ende  des  ersten  Jahrtausends  versunken 
war,  und  der  Mangel  aller  näheren  Beziehung  zwischen  Rom  und  ihm  in 
jener  Zeit  schließen  den  Gedanken  an  solche  Herübernahme  völlig  aus.  Wie 
sollte  auch  die  römische  Kirche  noch  um  die  Wende  des  Jahrtausends  einem 
orientalischen  Ritus  die  Mitra  entlehnt  haben?  Für  ein  solches  Vorgehen  war 
es  nicht  mehr  die  Zeit.  Schon  gingen  der  Osten  und  der  Westen  in  litur- 
gischen Dingen  ganz  und  gar  getrennte  Wege. 

Die  richtige  Erklärung  des  Ursprunges  der  römischen  Mitra  wird  durch 
die  Erwägung  nahegelegt,  daß  nachweislich  alle  übrigen  Kultgewänder  auf 
die  außerliturgische  Tracht  zurückzuführen  sind1,  so  die  Albe,  das  Cingulum, 
der  Manipel,  die  Stola,  die  Kasel  usw.  Es  wird  sich  also  ohne  Zweifel  ebenso 
mit  der  Mitra  verhalten.  Wirklich  glauben  wir  unsere  Finger  auf  das  Ornat- 
stück legen  zu  können,  von  welchem  dieselbe  herstammen  dürfte.  Es  ist 
das  camelaucum,  auch  frigium  (phrygium)  und  regnum  genannt,  d.  i.  eine 
auszeichnende  Kopfbedeckung,  deren  sich  der  Papst  außerhalb  der  Kirche  bei 
feierlichen  Aufzügen  zu  bedienen  pflegte. 

Dieselbe  muß  wenigstens  schon  im  8.  Jahrhundert  bei  ihm  in  Gebrauch 
gewesen  sein.  Es  erhellt  das  klar  aus  dem  Constitutum  Constantini,  der 
sog.  Konstantinischen  Schenkung2. 

Der  Kaiser  habe,  so  lesen  wir  darin,  Silvester  I.  außer  andern  kaiser- 
lichen Insignien  und  Vorrechten  auch  die  Krone  und  das  frigium  verliehen. 
Die  erstere  habe  sich  der  Papst  Silvester  anzunehmen  geweigert,  da  er  über 
seiner  Tonsur,  die  er  zu  Ehren  des  hl.  Petrus  trage,  eine  goldene  Krone  nicht 
habe  tragen  mögen;  das  frigium  habe  Konstantin  jedoch  mit  eigenen  Händen  ihm 
auf  das  Haupt  gesetzt  und  dabei  bestimmt,  es  sollten  sich  sowohl  Silvester 
wie  alle  seine  Nachfolger  desselben  bei  den  Aufzügen  (in  processionibus) 
in  Nachahmung  der  kaiserlichen  Würde  bedienen. 

Hätte  der  Papst  zur  Zeit,  da  die  Fälschung  entstand,  das  frigium  ent- 
weder noch  gar  nicht  oder  doch  nur  erst  seit  kurzem  getragen,  so  hätte  ihr 
Verfasser  unmöglich  den  Kaiser  dasselbe  Silvester  I.  zum  Gebrauch  für  ihn 
selbst  wie  für  seine  Nachfolger  schenken  lassen  können. 

In  der  Tat  erzählt  das  Papstbuch  in  der  Vita  Konstantins  (708 — 715), 
es  habe  derselbe  bei  seinem  feierlichen  Einzüge  in  Konstantinopel  das  came- 
laucum getragen,  womit  er  in  Rom  aufzuziehen  gewohnt  sei  (cum  camelauco, 
ut   solitus   est  Roma   procedere)3,    d.  i.  eine  kegel-  oder  mützenartige  Kopf- 


1  Über  die  Beziehungen  der  alttestament-  Kopfbedeckung  bedeutet,  vgl.  D.  C.  sub  phry- 
lichen  Sakralkleidung  zu  der  liturgischen  Ge-  gium  VI  306.  Wenn  in  der  Rezension  des 
wandung  des  christlichen  Kultus  vgl.  die  Constitutum  bei  Hinschius  einmal  pallium 
diesbezüglichen  Ausführungen  in  Nr  I  des  frigium  statt  frigium  (phrygium)  steht,  so 
Sehlußkapitels.  ist    entweder     bloß    frigium    oder    richtiger 

2  Hinschius,    Decret.   Pseudoisid.   253.  pileum  frigium  zu  lesen. 
Über  das  frigium,  das  hier  eine  mützenartige  3  Du  eh. ,  L.  P.  1  390. 


Drittes  Kapitel.     Die  Mitra. 


497 


bedeckung ;  denn  das  verstand  man  unter  dem  camelaucum,  auch  camelaucium 
und  mit  Vertauschung  der  Konsonanten  calamaucum,  calamacum  und  ähnlich 
genannt.  Super  caput  gestat  pileum  (der  jüdische  Priester)  in  modum  parvuli 
calamaci  aut  cassidis,  sagt  ßufm  in  seiner  Übersetzung  der  Altertümer  des 
Josephus  Flavius  1. 

Der  9.  Ordo  Mabillons  bezeugt  den  Gebrauch  des  Ornatstückes,  hier 
regnum  genannt,  für  den  Zug,  der  nach  der  Papstweihe  stattfand.  Es  setze, 
so  gibt  er  an,  der  Marschall  dem  Papst  nach  seiner  Konsekration  das  regnum 
auf  das  Haupt,  bevor  dieser  das  Roß  besteige,  um  von  St  Peter  heimzuziehen 2. 

Auf  den  päpstlichen  Münzen  erscheint  das  camelaucum  (frigium,  regnum) 
zuerst  bei  Sergius  III.  (904  — 91 1)  und  dann  wieder  bei  Benedikt  VII.  (974—983) 3. 

Das  Ornatstück  war,  wie  der  Name  camelaucum  besagt4,  eine  Art  von 
Mütze.  Der  9.  Ordo  bemerkt  bezüglich  seiner  Form  und  Beschaffenheit,  das 
päpstliche  regnum  sehe  einem  Helme  ähnlich  und  werde  aus  weißem  Zeug 
angefertigt.  Auch  aus  der  sog.  Konstantinischen  Schenkung  vernehmen  wir, 
daß  es  von  weißer  Farbe  war.  Auf  den  Münzen  der  Päpste  Benedikt  und 
Sergius  hat  es  die  Gestalt  eines  kegelförmigen,  mit  Besatzstreifen  gezierten 
Hutes.  Alles  in  allem  gewährt  es  ein  Bild,  wie  es  uns  ähnlich  in  der  ältesten 
Form  der  Mitra  entgegentritt. 

Wie  wird  sich  aber  die  Mitra  aus  der  auszeichnenden  Kopfbedeckung, 
mit  welcher  der  Papst  bei  seinen  Aufzügen  geschmückt  war,  gebildet  haben? 
Nun,  dadurch,  daß  dieser  im  Verlauf  des  10.  Jahrtausends  dazu  überging, 
das  Ornatstück  nicht  mehr  bloß  in  processionibus ,  sondern  auch  bei  dem 
an  diese  sich  anschließenden  Gottesdienste  zu  tragen.  Ob  dabei  schon  sofort 
irgend  ein  äußerer  Unterschied  zwischen  der  liturgischen  und  außerliturgischen 
Kopfbedeckung  eingeführt  wurde,  ist  zweifelhaft.  Jedenfalls  kann  derselbe 
anfangs  nicht  bedeutend  gewesen  sein.  Die  ältesten  Abbildungen  der  Mitra, 
wie  sie  sich  z.  B.  auf  Miniaturen  des  Exultctrotels  von  Bari,  des  Taufrotels  da- 
selbst und  einer  Kanonessammlung  der  vatikanischen  Bibliothek  finden 5,  lassen 
noch  keine  formelle  Verschiedenheit  der  Mitra  und  des  päpstlichen  außer- 
liturgischen Kopfschmuckes  erkennen. 

Ein  entschieden  wahrnehmbarer  Unterschied  zwischen  beiden  Ornatstücken 
trat   auf,   als   die   Mitra   im   Laufe  des    12.   Jahrhunderts   ihre   ursprüngliche 


1  L.  3,  c.  11  (ed.  Colon.  1524)  ;  f.  29 ;  aus 
Rufinus  bei  Betla,  De  tabernaculo  1.  3,  c.  8 
(M.  91,  481).  Über  camelaucum  vgl.  auch 
D.  C.  sub  camelaucum  II  44  und  Dissert. 
sur  l'bistoire  de  St-Louis  (ebd.  IX  82).  Im 
sermo  Theodors  von  Trimithus  auf  den  hl.  Jo- 
hannes Chrysostomus  erscheint  xaßyXauxiov 
als  eine  Art  von  Bauernmütze  (n.  11  [Mg. 
47,  63]).  Vgl.  auch  Theophan.,  Chronogr. 
ad  472  544  "761  (ed.  Bonn.  1839)  I  198  354 
687.  Noch  jetzt  heißt  die  mützenartige 
klerikale  Kopfbedeckung  im  griechischen 
Ritus  xaßijXaüxtov.  In  der  Form  camaurum 
(ital.  camauro)  hat  sich  der  Name  camelau- 
cum erhalten  als  Bezeichnung  einer  rot- 
samtenen ,  mit  weißem  Pelz  umrandeten, 
außerliturgischen  Kopfbedeckung  des  Papstes, 
die  bis  ins  19.  Jahrhundert  gebräuchlich  blieb, 
dann  aber  dem  weißen  päpstlichen  Pileolus 
weichen  mußte. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


2  N.  6  (M.  78,  1007).  Küsters  (Studien 
zu  Mabillons  Ordines  36  ff)  schreibt  den 
Abschnitt  des  9.  Ordo,  worin  von  dem  Re- 
gnum die  Rede  ist,  dem  11.  Jahrhundert  zu. 
Unter  dem  Leo  nämlich,  welcher  in  den  in 
jenem  Passus  angeführten  Laudes  genannt 
wird :  Dominus  Leo  papa,  quem  S.  Petrus 
elegit,  in  sua  sede  multis  annis  sedere,  ver- 
steht er  Leo  IX.,  nicht  wie  andere  Leo  III. 
oder  Leo  IV.  Küsters'  Auffassung  ist  jedoch 
schon  darum  allein  unhaltbar,  weil  der  frag- 
liche Abschnitt  bereits  in  Handschriften  aus 
der  Zeit  vor  Leo  IX.  vorkommt.  Ob  über- 
haupt der  Name  Leo  in  jenen  Laudes  auf 
einen  bestimmten  Papst  zu  beziehen  und  ob 
er  nicht  vielmehr  bloß  typisch  ist? 

3  Promis,  Monete  dei  Rom.  Pont.,  Torino 
1858,  tav.  7,  1  2;  tav.  9,  12. 

4  Vgl.  vorhin  Anm.  1. 

5  S.  oben  S.  448  und  450. 

32 


498     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Kegelform  allmählich  verlor  und  zunächst  mit  Bauschen,  dann  aber  mit 
Hörnern  versehen  wurde,  während  das  regnum  seine  Kegelgestalt  beibehielt. 
Trefflich  tritt  die  formelle  Verschiedenheit  beider  auf  den  Miniaturen  des 
Hortus  deliciarum  der  Herrad  von  Landsberg  (f  1195)  zu  Tage.  Die  Mitra 
der  Bischöfe  hat  bereits  cornua  erhalten,  welche  über  Stirn  und  Hinterkopf 
aufsteigen,  dagegen  besteht  die  Kopfbedeckung  des  Papstes  aus  einem  hohen, 
kegelförmigen  Hut.  Nur  zu  Benevent  behielt  die  Mitra  die  ursprüngliche 
Form  bis  ins  16.  Jahrhundert  bei,  d.  i.  bis  Paul  II.  den  ferneren  Gebrauch 
den  Erzbischöfen  von  Benevent  untersagte  *. 


VIERTES  KAPITEL. 

TIARA,  PILEOLUS,  BIRETT. 

I.    DIE  TIARA. 

Im  Anschluß  an  die  Mitra  empfiehlt  es  sich,  die  Geschichte  von  noch 
drei  weiteren  Kopfbedeckungen  kurz  zu  behandeln,  der  Tiara,  des  Biretts 
und  des  Pileolus.  Die  Tiara  ist  kein  liturgischer  Ornat.  Sie  steht  indessen 
zur  Mitra  in  so  inniger  Beziehung,  daß  diese  es  zur  Genüge  rechtfertigt, 
wenn  wir  mit  einigen  Zügen  den  Entwicklungsgang  des  so  hochbedeutsamen 
Ornatstückes  zeichnen.  Dazu  kommt,  daß  ursprünglich,  wie  es  scheint,  in 
Bezug  auf  die  Form  von  Mitra  und  Tiara  entweder  gar  kein  oder  doch  kein 
erheblicher  Unterschied  bestand. 

Birett  und  Pileolus  können,  ja  müssen  zu  den  liturgischen  Gewändern 
im  weiteren  Sinne  gezählt  werden.  Denn  wenn  sie  auch  außerhalb  der 
liturgischen  Funktionen  zur  Verwendung  kommen,  so  wird  doch  anderseits, 
und  zwar  auf  Grund  kirchlicher  Bestimmungen,  nicht  minder  bei  gottesdienst- 
lichen Verrichtungen  von  ihnen  Gebrauch  gemacht2. 

Die  Tiara.  In  der  Entwicklung  der  Tiara  lassen  sich  drei  Haupt- 
phasen unterscheiden.  Die  erste  geht  bis  zu  dem  Zeitpunkte,  da  sie  mit 
einem  Kronreifen  verbunden  wird,  die  zweite  reicht  bis  zur  Einführung  dreier 
Kronen,  die  letzte  von  da  bis  zur  Gegenwart.  Über  die  erste  Periode  wurde 
schon  bei  der  Besprechung  des  Ursprungs  der  Mitra  das  Nötige  gesagt.  Es 
war  die  Tiara,  wie  aus  der  Konstantinischen  Schenkung  hervorgeht,  in  dieser 
Zeit  lediglich  eine  helmartige,  aus  weißem  Stoff  gemachte  Mütze. 

Wann  die  zweite  Periode  angehoben  hat,  d.  h.  wann  zu  dieser  Mütze  ein 
Kronreifen  hinzukam,  läßt  sich  nicht  genau  bestimmen.  Man  hat  behauptet, 
es  habe  der  Papst  bereits   zur  Zeit  des  Hormisdas    eine  Krone  getragen  und 


1  Sarneil i,  Memorie  cron.  dei  vescovi  ed 
arcivescovi  di  Benevento,  Napoli  1690,  141. 
Die  Mitra  hieß  zu  Benevent  camaurum.  So 
schreibt  Hugo,  Erzbischof  von  Benevent,  im 
Jahr  1374:  Nos  pro  nostra  ecclesia  Bene- 
ventana prae  ceteris  ecclesiis  metropolitanis 
maiori,  digniori  et  praecellenti  regno  sive 
thiara  ad  modum  summi  pontificis  utimur, 
quod  hie  camaurum  vocatur  (Barbier  de 
Montault,  Oeuvres  compl.  III  265). 

2  Die  ziemlich,  reichhaltige  altere  Literatur 
über  die  Tiara  ist  zum  großen  Teil  ohne 
Bedeutung.     Wir  verzeichnen  von   ihr   nur : 


Vettori,  II  fiorino  d'oro  antico  illustrato, 
Florenz  1738,  28 ff;  Marangoni,  Chrono- 
logia Romanorum  pontificum,  Rom  1751,  72 ff; 
Garampi,  lllustrazione  di  un  antico  sigillo 
della  Garfagnana,  Rom  1759,  89  ff.  Dazu  in 
neuerer  Zeit  M  o  r.  LXXXI  29  ff ;  Bock  11 
158  ff;  He  f.,  Beitr.  II  236  ff;  Roh.  VIII 
137  und  Müntz,  La  tiare  pontificale  du 
VI1IC  au  XVIC  siecle,  in  Mömoires  de  l'Aca- 
demie  des  Inscriptions  et  Belles-Letti-es 
XXXVI  (1898)  235  ff,  die  beste,  auf  ein- 
gehendem Studium  der  Monumente  und 
schriftlichen  Quellen  beruhende  Arbeit. 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  Birett.  499 

sich  dafür  auf  das  regnum  berufen,  das  Chlodwig  damals  dem  hl.  Petrus  als 
Weihegabe  sandte  *.  Alllein  es  handelt  sich  um  ein  Mißverständnis.  Das 
fragliche  regnum  war  nicht  eine  Papstkrone  oder  auch  nur,  wie  Hefele  meint, 
eine  Fürstenkrone,  sondern  eine  jener  Weihekronen,  die  man  in  den  Kirchen 
um  den  Altar  aufzuhängen  pflegte. 

Es  ist  selbst  unsicher,  ob  schon  im  9.  Jahrhundert  die  Papstmütze  mit 
einem  Kronreifen  versehen  war.  Eine  Stelle  in  der  Biographie  Nikolaus'  I. 
(856 — 861),  auf  die  man  sich  zum  Beweise  dafür  berufen  hat,  spricht  nicht 
von  einer  Krönung  des  Papstes,  sondern  von  einer  Bekränzung  der  Stadt2. 
Aber  auch  der  9.  Ordo,  der,  wie  es  scheint,  aus  der  Zeit  Leos  IV.,  jedenfalls 
aber  aus  dem  9.  Jahrhundert  stammt,  läßt  die  Sache  unentschieden,  trotzdem 
er  die  Kopfbedeckung,  welche  ihm  zufolge  dem  Papst  nach  seiner  Kon- 
sekration vor  dem  feierlichen  Heimritt  vom  Marschall  aufgesetzt  wurde,  regnum 
nennt3.  Denn  wenn  auch  die  Bezeichnung  regnum  an  sich  den  Gedanken  an 
einen  Kronreifen  nahe  legt,  so  ist  es  doch  merkwürdig,  daß  die  Beschreibung, 
welche  der  Ordo  von  dem  Kopfschmuck  gibt,  diesen  lediglich  als  eine  aus 
weißem  Zeug  gemachte  helmartige  Mütze  hinstellt.  Nicht  die  geringste  An- 
deutung eines  Kronreifens. 

Im  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  war  zur  Papstmütze  die  Krone  unzweifel- 
haft schon  hinzugekommen.  Denn  um  diese  Zeit  unterscheidet  nicht  nur  Bruno 
von  Segni  bestimmt  zwischen  der  Mitra  und  dem  Regnum  und  noch  klarer  der 
12.  römische  Ordo  zwischen  der  Mitra  und  der  Corona  des  Papstes4,  sondern  es 
beschreibt  auch  Suger  von  St-Denis  das  Phrygium,  welches  Innozenz  II.  1180  am 
Osterfest  beim  Zug  zur  Abteikirche  getragen  hatte,  als  phrygium  imperiale  instar 
galeae  circulo  aureo  circumdatum,  d.i.  als  eine  helmförmige,  von  einem  goldenen 
Reifen  umgebene  Kopfbedeckung 5.  Es  muß  also  der  Kronreifen  spätestens  im 
Verlauf  des  11.  Jahrhunderts  zum  päpstlichen  Camelaucum  hinzugekommen  sein. 

Die  Bildwerke  lassen  uns  in  Bezug  auf  die  Bestimmung  des  Zeitpunktes, 
zu  dem  sich  der  Kronreifen  einbürgerte,  vollständig  im  Stich.  Es  gibt  nicht 
nur  äußerst  wenige  Monumente  aus  dem  10.  und  11.  Jahrhundert,  auf  denen  die 
Tiara  zur  Abbildung  gekommen  ist,  es  bleibt  obendrein  auf  allen  diesen 
Darstellungen  unentschieden,  ob  der  Zierstreifen,  der  sich  um  den  unteren 
Rand  der  auf  ihnen  sich  findenden  Tiara  zieht,  ein  Band  oder  ein  Kronreifen 
sein  soll,  ja  ob  es  sich  bei  der  Kopfbedeckung,  die  uns  auf  einigen  von  ihnen 
begegnet,  überhaupt  um  eine  Tiara  und  nicht  vielmehr  um  die  Mitra  handelt. 

Die  Bildwerke,  welche  hier  in  Betracht  kommen,  wurden  schon  anderswo 
gelegentlich  erwähnt.  Es  sind  für  das  10.  Jahrhundert  Münzen  Sergius'  III. 
(904—911)  und  Benedikts  VII.  (974—983).  Auf  beiden  ist  es  der  hl.  Petrus, 
nicht  der  Papst,  welcher  mit  einer  Spitzmütze  dargestellt  erscheint.  Die 
Monumente  des  11.  Jahrhunderts  beschränken  sich  auf  eine  Miniatur  des 
Exultetrotels  von  Bari  (Bild  247,  S.  500)  und  eine  Federzeichnung  in  der  schon 
früher  erwähnten  Konziliensammlung'  der  Vaticana6. 


1  Duch  ,  L.  P.  I  271.  Papstkrone.  Daß  aber  diese  und  nicht  die  Mitra 

2  Ebd.  II  152.  3  N.  6  (M.  78,  1007).  gemeintist,  erhellt  aus  dem  coronatus  auf  S.  297. 
1  N.  45  46  (ebd.  1045).  6  Vat.  lat.  1389.  Die  Miniatur  stellt  einen 
5  Vita  Ludov.  Grossi  c.  21   (M.  186,  1331).  Papst  inmitten  von  Bischöfen  dar.   Vielleicht, 

Vgl.  auch  die  von  Zeitgenossen  geschriebene  daß  auch  auf  den  Fresken  in  der  Unterkirche 

Vita  Paschalis  II.  bei  Duch.,  L.   P.  II  296.  von  S.  demente   zu  Rom  (Abbildungen   bei 

Hier  wird  das  regnum  thyara  genannt,  viel-  Roh.  VII,  dlxxv  und  Wilp. ,  Cap.  p.  80)  die 

leicht  das  früheste  bekannte  Beispiel  für  den  Kopfbedeckung    des    Papstes    die  Tiara   und 

Gebrauch   des  Wortes    zur  Bezeichnung   der  nicht  die  Mitra  (s.  oben  S.  450)  darstellt. 

32* 


500     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Auf  keinen  Fall  kann  der  Kronreifen  vor  dem  9.  Jahrhundert  zum 
päpstlichen  Camelaucum  hinzugefügt  worden  sein.  Denn  so  hoch  auch  das 
Ansehen  sein  mochte,  in  dem  die  Päpste  damals  standen,  und  so  bedeutend 
auch  ihr  Einfluß  in  Rom  und  Italien,  ja  im  ganzen  Abendland  bereits  war, 
noch  waren  sie  keine  Fürsten,  noch  keine  eigentlichen  Landesherren.  Aber 
auch  nachdem  für  den  Kirchenstaat  durch  die  Krönung  Karls  und  die  Er- 
eignisse der  nachfolgenden  Jahre  die  Geburtsstunde  geschlagen  hatte,  war 
für  die  Päpste  noch  nicht  sofort  die  Zeit  gekommen,  sich  mit  allen  Zeichen 
der  Souveränität  zu  umgeben.  Erst  mußte  sich  der  neue  Stand  der  Dinge 
klären  und  befestigen.  Vielleicht,  daß  es  unter  den  Wirren,  welche  das  9.  und 
10.  Jahrhundert  Rom  brachten,  und  unter  den  damaligen  entsetzlichen  Partei- 
kämpfen, bei  welchen  die  weltliche  Herrschaft  des  Papstes  eine  Zeitlang 
wieder  zu  Grunde  ging,  noch  bis  gegen  das  11.  Jahrhundert  dauerte,  ehe  die 

Päpste  ihrem  Phrygium  die  Krone  hinzufügten.  Es  ist 
darum  auch  wohl  nicht  ohne  Grund,  wenn  der  9.  Ordo 
noch  nicht  von  einer  Krönung  des  Papstes  redet, 
wie  die  späteren  Ordines  es  tun.  Nur  insofern  kommt 
die  neue  Ordnung  der  Dinge  bei  ihm  zum  Ausdruck, 
als  er  der  landesherrlichen  Stellung  des  Papstes  ent- 
sprechend die  weiße,  helmartige  Mütze,  die  der  Mar- 
schall vor  den  Stufen  von  St  Peter  diesem  nach  dessen 
Konsekration  aufsetzte,  regnum  nennt.  Ob  übrigens 
das  Aufkommen  der  liturgischen  Mitra  so  ganz  ohne 
Einfluß  auf  die  Einführung  der  Kronreifens  geblieben 
sein  sollte?  Seitdem  das  Camelaucum  auch  als  liturgi- 
scher Kopfschmuck  des  Papstes  zu  dienen  begann  und 
dann  bald  in  gleicher  Eigenschaft  sich  bei  den  Kardi- 
nälen einbürgerte,  lag  es  doch  sicher  sehr  nahe,  dasselbe, 
soweit  es  als  Abzeichen  der  weltlichen  Machtstellung 
des  Papstes  gebraucht  wurde,  mit  dem  Symbol  zeit- 
licher Herrschaft,  einem  Kronreifen,  zu  versehen,  um 
so  das  Camelaucum  im  Sinne  des  Regnum  von  dem 
Camelaucum  im  Sinne  der  Mitra  äußerlich  zu  unter- 
scheiden. 
Die  Tiara  blieb  eine  hohe,  zuckerhutförmige ,  um  den  unteren  Rand 
herum  mit  einem  edelsteingeschmückten  Goldreifen  verzierte  Mütze  bis  zum 
Beginn  des  14.  Jahrhunderts.  Es  gibt  eine  namhafte  Anzahl  von  Bild- 
werken des  12.  und  13.  Jahrhunderts,  auf  denen  sie  zur  Darstellung  ge- 
kommen ist.  Auf  einzelnen  Monumenten  ist  an  Stelle  des  Reifens  eine  Zacken- 
krone angebracht,  so  z.  B.  bei  der  Grabfigur  Honorius'  IV.  in  S.  Maria  in 
Araceli  zu  Rom,  der  Grabstatue  Benedikts  XL  in  S.  Domenico  zu  Perugia, 
der  Figur  Nikolaus'  IV.  auf  dem  Apsismosaik  der  Laterankirche,  dem  Bilde 
Innozenz'  III.,  auf  dem  Fresko  Giottos  „St  Francisci  Predigt  vor  Innozenz  III." 
in  der  Oberkirche  von  S.  Francesco  zu  Assisi,  der  Figur  Bonifatius"  VIII., 
auf  dem  Giottoschen  Freskenfragment  „Die  Verkündigung  des  Jubiläums"  in 
der  Laterankirche  u.  a.  Diese  Zackenkrone  tritt  jedoch  erst  gegen  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  auf  den  Bildwerken  auf.  Die  Figur  Innozenz'  IV.  auf  dem 
Fresko  am  Grabmale  des  1256  gestorbenen  Kardinals  Wilhelm  Fieschi  in 
S.  Lorenzo  fuori  le  Mura  trägt  noch  eine  Tiara  mit  bloßem  Reifen.  Dasselbe 
ist  mit  den  Darstellungen  Silvesters  I.  auf  dem  um  dieselbe  Zeit  entstandenen 


Bild  247.    Papst.    Miniatur 
eines  Exultetrotels.    Bari. 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  Birett. 


501 


Zyklus  von  Bildern  aus  der  Silvesterlegende  in  der  Kapelle  des  Heiligen  bei 
der  Kirche  der  SS.  Quattro  Coronati  der  Fall. 

Auch  außerhalb  Italiens  wird  man  vor  Ende  des  13.  Jahrhunderts  keine 
Zackenkrone  an  der  päpstlichen  Tiara  finden.  Wie  im  Hortus  deliciarum  der 
Herrad  von  Landsberg,  so  erscheint  diese  z.  B.  auch  bei  den  Papstfiguren 
an  den  Portalen  der  Kathedralen  von  Reims  und  Chartres  lediglich  mit  einem 
schlichten  Reifen  ausgestattet. 

Beispiele  eines  früheren  Auftretens  der  Zackenkrone  an  der  Tiara  sind 
uns  weder  in  Italien  noch  außerhalb  Italiens  bekannt  geworden.  Die  Grab- 
platte Lucius'  III.  (1181 — 1185)  im  Dom  zu  Verona,  auf  der  sie  uns  be- 
gegnet, entstammt  der  Zeit  des  Neubaues  des  Domes,  d.  i.  dem  14.  Jahr- 
hundert. Ein  Relief  in  den  vatikanischen  Grotten ,  auf  dem  Nikolaus  III. 
(1277 — 1280)  mit  einer  Tiara  dargestellt  ist,  welche  unten  ein  mit  Blumen 
statt  bloßer  Zacken  versehener  Reifen  umgibt,  ist  eine  Schöpfung  des  14.  Jahr- 
hunderts, eine  Stiftung  des  Kardinals  Rai- 
nald Orsini  (f  1374).  Die  bei  Ciampini  sich 
findende  Abbildung  des  Apsismosaiks  der 
früheren  St  Peterskirche ,  auf  der  Inno- 
zenz III.  (1198 — 1216)  eine  Tiara  mit  Zacken- 
krone trägt,  ist,  wie  alles  Detail  bei  Ciam- 
pini, absolut  unzuverlässig.  Ein  Fresko  in 
Subiaco,  welches  ihn  mit  einer  derartigen 
Tiara  darstellt,  ist  erst  im  14.  Jahrhundert 
entstanden x. 

Merkwürdigerweise  erhielt  sich  die  ein- 
fache Zackenkrone  auf  den  Bildwerken  noch 
lange,  nachdem  die  dreikronige  Tiara  in  Ge- 
brauch gekommen  war,  und  zwar  nicht  bloß 
außerhalb  Italiens ,  sondern  auch  in  Italien, 
ja  nicht  allzufern  von  Rom.  So  findet  sie  sich 
z.  B.  noch  bei  Papst  Gregor  auf  einer  der 
Bronzetüren  im  Dom  zu  Florenz,  einer  Schöp- 
fung des  Luca  della  Robbia  aus  der  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts  (Bild  248),  von  Bildwerken  aus  dem  14.  Jahrhundert 
ganz  zu  schweigen. 

Wann  das  Regnum  mit  Behängen  (caudae,  lemnisci,  infulae)  versehen 
worden  ist,  ob  schon  in  der  ersten  Phase  seiner  Entwicklung  oder  erst  im 
zweiten  Stadium  derselben,  läßt  sich  nicht  feststellen.  Jedenfalls  war  es  im 
13.  Jahrhundert  Brauch,  solche  an  dem  Regnum  anzubringen.  Wir  gewahren 
sie  deutlich  auf  einem  Fresko  der  Silvesterkapelle  an  der  Tiara  Silvesters, 
auf  dem  Apsismosaik  in  der  Laterankirche  an  der  Tiara  Nikolaus'  IV.  (1288 


Bild  248.     St  Gregor  d.  Gr. 

Von  der  Bronzetiire  des  Luca 

della   Robbia.     Florenz,  Dom. 


1  Eine  Initiale  der  Register  Innozenz'  III. 
stellt  den  Papst  mit  einer  Tiara  dar ,  an 
deren  Reifen  in  der  Mitte  und  an  den  Seiten 
eine  Art  von  aufrecht  stehendem  Blatt  an- 
gebracht ist.  Das  Register  stammt  aus  dem 
Beginn  des  13.  Jahrhunderts.  Abbildung  der 
Miniatur  bei  Pitra,  Nova  analecta  I.  Es  ist 
bei  Miniaturen  nicht  immer  möglich,  sicher 
festzustellen,  was  der  Phantasie  des  Künst- 
lers  zuzuschreiben   ist   und   was   der  Wirk- 


lichkeit entspricht.  Im  vorliegenden  Fall 
kann  es  aber  nicht  zweifelhaft  sein ,  daß 
die  Verzierung  lediglich  auf  Rechnung  des 
Künstlers  zu  setzen  ist.  Wenn  Johannes  XXI. 
(1276 — 1277)  auf  seinem  Grabmal  im  Dom 
zu  Viterbo  eine  Tiara  mit  drei  Kronen  auf 
dem  Kopfe  hat,  so  ist  zu  bemerken ,  daß 
die  Figur  des  Papstes  nicht  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert ,  sondern  erst  aus  weit  späterer 
Zeit  stammt. 


502     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


bis  1292),  auf  dem  Passadenmosaik  von  S.  Maria  Maggiore  bei  Papst  Liberius 
und  dem  Apsismosaik  derselben  Kirche  bei  Papst  Nikolaus  IV.  Auf  den  drei 
letzten  Monumenten  sind  die  Behänge  auffallenderweise  von  schwarzer  Farbe. 
Daß  solches  jedoch  wirklichen  Brauch  wiedergibt,  beweist  das  Inventar 
Bonifaz'  VIII.  vom  Jahre  1295,  wo  sich  in  der  Tat  caudae  nigrae  cum  VIII 
esmaltis  pro  qualibet  verzeichnet  finden.  Die  Behänge  weisen  noch  selbst 
auf  dem  Fresko  Fra  Angelicos  in  der  Kapelle  Nikolaus'  IV.,  welches  die  Weihe 
des  hl.  Laurentius  darstellt,  eine  schwarze  Farbe  auf.  Wirklich  bekundet  die 
Beschreibung  einer  von  Pius  II.  stammenden  Tiara  in  einem  Inventar  des  Domes 
zu  Siena  von  1467,  daß  sie  noch  im  15.  Jahrhundert  schwarz  waren. 

Auffällig  ist,  daß  bei  einer  großen  Zahl  von  Bildwerken  die  Tiara  ein 
Flechtwerk  darstellt.  Es  ist  das  wohl  kaum  anders  als  durch  die  An- 
nahme zu  erklären,  daß  die  Tiara  in  der  Tat  im  13.  Jahrhundert  aus  Bändern 
geflochten  worden  sei.  Treffliche  Beispiele  liefern  ein  Fresko  in  der  St  Silvester- 
kapelle bei  der  Kirche  der  SS.  Quattro 
Coronati  zu  Rom,  die  Grabfiguren  Ho- 
norius'  IV.  (1285—1287)  in  der  Kirche 
Araceli,  Benedikts  XI.  in  S.  Domenico 
zu  Perugia,  Gregors  X.  im  Dom  zu 
Arezzo,  die  Statuette  Gregors  d.  Gr.  am 
Prachtsarkophag  des  hl.  Petrus  Martyr 
in  S.  Eustorgio  zu  Mailand,  einer  Arbeit 
des  Giovanni  Balduccio  aus  Pisa  (1339), 
der  hl.  Gregor  d.  Gr.  auf  einem  Gemälde 
Simone  Martinis  (f  1344)  im  Museo  Ci- 
vico  zu  Pisa  und  einem  Glasgemälde  in 
der  Unterkirche  von  S.  Francesco  zu 
Assisi,  Bonifaz  VIII.  auf  dem  Fresko 
Giottos  in  S.  Giovanni  im  Lateran  und 
manche  andere.  Das  Flechtwerk  stellt 
bald  eine  schachbrettartige  (Bild  249), 
bald  eine  ähren-  oder  grätenförmige 
Musterung  (Bild  250)  dar.  Selbst  im  15.  Jahrhundert  kommen  noch  Bild- 
werke vor,  auf  denen  die  Tiara  den  Anschein  hat,  als  bestehe  sie  aus  Flecht- 
werk. Es  sei  nur  auf  das  bereits  erwähnte  Relief  der  Bronzetür  Robbias 
im  Dom  zu  Florenz  (Bild  248,  S.  501)  sowie  auf  eine  ähnliche  Darstellung 
an  einer  der  Bronzetüren  des  Baptisteriums  daselbst  hingewiesen.  Auch  bei 
letzterer  ist  es  Gregor  d.  Gr.,  der  eine  Tiara  jener  Art  trägt.  Es  scheint  fast, 
als  seien  geflochtene  Tiaren  für  Abbildungen  dieses  Papstes  typisch  geworden. 
Eine  neue  Phase  in  der  Geschichte  der  Tiara  beginnt  unter  Bonifaz  VIII. 
(1294 — 1303).  Aus  einem  Inventar  des  päpstlichen  Schatzes  vom  Jahre  1295, 
der  bezeichnenderweise  nur  ein  Regnum  neben  einer  großen  Anzahl  der  kost- 
barsten Mitren  erwähnt ,  ergibt  sich ,  daß  damals  die  Tiara  nur  erst  mit 
einem  circulus  versehen  war.  Es  dauerte  aber  nicht  lange,  bis  es  anders 
wurde,  und  zwar  lassen  die  Statuen  Bonifaz'  VIII.  in  der  Laterankirche 
und  der  Krypta  von  St  Peter  keinen  Zweifel,  daß  schon  unter  ihm  die  Tiara 
mit  zwei  Kronen  versehen  wurde. 

Es  gibt  eine  auffallend  große  Zahl  von  Statuen  Bonifaz'  VIII.  Alle  sind  zu 
Lebzeiten  des  Papstes  angefertigt  worden.  Eine  Ausnahme  macht  nicht  einmal  die 
Grabfigur  desselben  auf  seinem  Sarkophag  in  den  Grotten  der  Peterskirche,  da  selbst 


Bild    249.     St  Silvester.     Fresko. 
Eom,  SS.  Quattro  Coronati  (Kapelle  des  lil.  Silvester). 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  Birett. 


503 


diese  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  noch  vor  dem  Tode  Bonifaz'  ausgeführt  worden  ist. 
Von  jenen  Statuen  befindet  sich  je  eine  im  Dom  zu  Florenz,  im  Museum  zu  Bologna, 
an  der  Seitenfront  der  Kathedrale  von  Anagni  und  in  der  Laterankirche  zu  Bom,  je 
zwei  zu  Orvieto  und  in  den  vatikanischen  Grotten.  Zu  diesen  plastischen  Darstellungen 
kommt  noch  das  von  Giotto  gemalte  Bild  des  Papstes  auf  dem  früher  erwähnten 
Fresko  in  S.  Giovanni  im  Lateran. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  drei  aus  den  letzten  Lebenstagen  des 
Papstes  stammenden  Statuen  in  der  Krypta  von  St  Peter  und  in  der  Laterankirche. 
Während  nämlich  das  Fresko  Giottos,  die  von  Manno  1301  aus  getriebenem  und  ver- 
goldetem Kupfer  angefertigte  Statue  zu  Bologna,  die  beiden  Statuen  zu  Orvieto  und 
die  imposante  sitzende  Figur  Bonifaz'  VIII.  im  Dom  zu  Florenz  uns  diesen  mit  ein- 
kroniger  Tiara  geschmückt  zeigen,  ist  seine  Tiara  bei  den  drei  Statuen  in  St  Peter 
und  St  Johann  mit  zwei  Kronen  ausgestattet '. 

Die  drei  Bilder  stammen  unzweifelhaft  aus  einer  Werkstätte,  wenn  nicht  von 
ein  und  derselben  Hand.  Die  beiden  Figuren  in  der  Krypta  von  St  Peter  hatten  ihren 
Platz  ehedem  an  dem  Altarbau,  den  Bonifaz  VIII.  kurz  vor  seinem  Tode  durch  Arnulf 
von  Cambio  2  zu  Ehren  seines  Vorgängers,  des  hl.  Bonifaz  IV.,  hatte  aufführen  lassen. 
Derselbe  bestand  aus  einem  auf  Säulen  ruhenden,  an  der 
Eingangswand  von  St  Peter  sich  erhebenden  Baldachin, 
unter  dem  ein  Altar  zu  Ehren  des  Titelheiligen  errichtet 
war.  Die  Grabfigur  Bonifaz'  VIII.  befand  sich  oberhalb 
der  Altarmensa  auf  einem  aus  der  Wand  hervortretenden 
Sarkophag.  Ein  darüber  angebrachtes  Mosaik,  das  leider 
verloren  gegangen  ist,  zeigte  den  Papst  kniend  vor  dem 
hl.  Petrus,  der  Mutter  Gottes  mit  dem  Kinde  vorgestellt 3. 
Ist  der  Abbildung  der  Darstellung  bei  Ciampini  zu  trauen, 
so  trug  Bonifaz  auch  auf  diesem  Mosaik  eine  zweikronige 
Tiara  nach  Art  derjenigen  der  Grabstatue.  Die  segnende 
Halbfigur  des  Papstes  muß  oberhalb  der  Verdachung  unter 
dem  dort  angebrachten  Baldachin  gestanden  haben.  Die 
Statue  im  Lateran  stellt  den  Papst  kniend  dar  (Bild  18,  S.  54). 

Man  hat  freilich  in  dem  oberen  Reifen,  mit  dem  bei 
den  drei  Statuen  die  Tiara  Bonifaz'  VIII.  geschmückt  ist, 
ein  bloßes  Ornament  sehen  wollen.  Indessen  darf  eine 
solche  Auffassung  ohne  Bedenken  als  nicht  zutreffend  be- 
zeichnet werden.  An  sich  könnte  der  zweite  Beifen  aller- 
dings vom  Künstler  lediglich  als  Dekoration  gedacht  sein, 
und  das  ist  doch  das  allein  Bichtige  —  die  Form  der  Tiara,  wie  sie  bei  den  frag- 
lichen Statuen  auftritt,  im  Zusammenhang  mit  der  zeitlich  unmittelbar  folgenden  Ent- 
wicklung des  päpstlichen  Regnum  und  insbesondere  mit  einer  zehn  Jahre  später 
datierenden  Notiz  des  Inventars  des  päpstlichen  Schatzes,  wonach  damals  die  Tiara 
bereits  drei  circuli  aufwies,  dann  läßt  sich  kaum  verkennen,  daß  jener  obere  gleich- 
falls mit  Blättern  geschmückte  Beifen  ebenfalls  eine  wirkliche  Krone  und  nicht  eine 
bloße,  von  der  Phantasie  des  Künstlers  eingegebene  Verzierung  darstellen  sollte. 


Bild  250.     Tiara  der  Grab- 
statue Benedikts  XI. 
Perugia,  S.  Domenico. 

Betrachtet  man  aber  - 


1  Man  gibt  die  Statue  Bonifaz'  VIII.  in  der 
Laterankirche  gewöhnlich  als  dieNikolaus'IV. 
aus,  und  so  bezeichnen  sie  denn  auch  Roh. 
(VIII  139),  M  üntz  (La  tiare  pontificale  du 
VIII0  au  XVI9  siecle,  in  Memoires  de  l'Aca- 
demie  des  Inscriptions  et  Belles-Lettres 
XXXVI  [1898]  264)  und  Goyau,  P6rate 
und  Fabre,  Der  Vatikan  (Einsiedeln  1898) 
450  u.  a.  Diese  Zuweisung  ist  indessen  un- 
zutreffend. Ein  Vergleich  der  Statue  mit 
derjenigen  Bonifaz'  VIII.  in  Florenz  und  den 


beiden  Statuen  in  den  vatikanischen  Grotten 
bekundet  deutlich,  daß  wir  in  ihr  gleichfalls 
Bonifaz  VIII.  vor  uns  haben.  Tatsächlich 
galt  auch  noch  im  17.  Jahrhundert  die  Figur 
als  die  Bonifaz'  VIII.  Vgl.  Ciacon.,  Vitae 
Pontif.  II,  Romae  1677,  315,  wo  sich  Ab- 
bildungen fast  aller  Statuen  des  Papstes  finden. 

2  Ciampini,  De  sacrisaedif.,  Romae  1747, 
c.  4,  sect.  5,  n.  47.  Vgl.  auch  Vasari  (Le 
vite  II,  Florenz  1878,  278). 

3  Ciampini  a.  a.  0.  und  tab.  19  20. 


504     Dritter  Abschnitt.   Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 


Die  drei  Statuen,  welche  —  was  wohl  zu  beachten  ist  —  unter  den  Augen 
des  Papstes  entstanden,  und  von  denen  wenigstens  zwei  in  dessen  Auftrage  '  angefertigt 
wurden,  lassen  demnach  keinen  vernünftigen  Zweifel  daran,  daß  die  1295  erst  mit 
einem  .circulus"  geschmückte  Tiara  des  päpstlichen  Schatzes  noch  unter  Bonifaz  VIII. 
um  einen  zweiten  Eeifen  bereichert  wurde  -. 

Was  hat  Bonifaz  VIII.  zu  dieser  Neuerung  veranlaßt?  War  es  der  Wechsel 
des  Stiles?  wie  Müntz  meint.  Wohl  nicht,  denn  was  hatte  der  Stilwechsel  in  der 
Kunst  mit  den  Keifen  der  Tiara  zu  tun?  War  es  vielleicht  Prunkliebe,  welche  den 
Papst  dazu  führte?  Möglich,  denn  Bonifaz  VIII.  war  ein  prachtliebender  Fürst. 
Man  sehe  nur  das  Inventar  seines  Schatzes  von  1295  ein  mit  der  darin  verzeichneten 
Unmenge  der  kostbarsten  Geräte  und  herrlichsten  Paramente 3.  Immerhin  mögen  aber 
auch  noch  Erwägungen  anderer  Art  ihn  zur  Einführung  der  doppelgekrönten  Tiara  ge- 
bracht haben.  Man  hat  in  der  Doppelkrone,  mit  welcher  Bonifaz  dieselbe  schmückte, 
einen  Ausdruck  der  Anschauungen  des  Papstes  über  die  Doppelgewalt  des  Papsttums 
erblicken  wollen.  Läßt  sich  auch  eine  solche  Annahme  nicht  mit  Sicherheit  beweisen, 
so  kann  man  ihr  doch  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  wohl  kaum  absprechen. 

Die  erste  Nachricht  von  drei  Kronreifen  bringt  ein  aus  dem  Jahre  1315 
oder  1316  datierendes  Inventar  des  päpstlichen  Schatzes.  Es  heißt  darin  von 
dem  Regnum,  das  Benedikt  XL  mit  sich  nach  Perugia  genommen  hatte  und 
das  von  hier  nach  Lyon  gebracht  und  dort  bei  der  Krönung  Klemens1  V.  ge- 
braucht worden  war:  Item  unam  coronam,  quae  vocatur  regnum,  cum  tribus 
circulis  aureis,  und :  Item  Corona,  quae  dicitur  regnum  sive  thyara,  cum  tribus 
circulis  aureis4.  Zu  den  beiden  Reifen,  mit  welchen  die  Tiara  am  Ende  des 
Pontiflkates  Bonifaz'  VIII.  versehen  war,  hatte  sich  also  entweder  schon  unter 
Benedikt  XL  oder  doch  wenigstens  unter  Klemens  V.  ein  dritter  gesellt.  Ob 
freilich  damals  bereits  alle  drei  circuli  wie  später  mit  Blättern  verziert  waren, 
muß  dahingestellt  bleiben;  denn  die  Angaben  des  Inventars  lassen  das  nicht 
erkennen.     Indessen  ist  solches  ja  auch  von  keinem  wesentlichen  Belang. 

Auf  den  Grabmonumenten  der  Päpste  scheint  die  dreikronige  Tiara  erst  bei 
Benedikt  XII.  (1334 — 1342)  zur  Darstellung  gekommen  zu  sein.  Benedikt  XI. 
(1303 — 1304)  trägt  auf  seinem  Grabmal  in  S.  Domenico  in  Perugia  ein  mit  nur  einer 
Zackenkrone  versehenes  Eegnum  alten  Stiles.  Die  Grabstatue  Klemens'  V.  zu  Uzeste 
(Gironde)  wurde  von  den  Calvinisten  zu  sehr  verstümmelt,  als  daß  sie  über  die  Form 
der  Tiara   des  Papstes  Aufschluß   geben  könnte 5.     Johannes  XXII.   war   auf  seinem 


1  Eine  der  Anschuldigungen  du  Plessis 
gegen  Bonifaz  VIII.  war:  Fecit  imagines 
suas  argenteas  erigi  in  ecclesia  per  hoc  ho- 
mines  adidolatriaminducens.  Bullaeus,  Hist. 
univers.  IV  42  ff;    H  e  f . ,  Concilien  VI    356. 

2  Man  hat  gemeint ,  es  habe  die  Tiara 
bereits  im  11.  Jahrhundert  zwei  Kronen 
besessen.  Man  bezog  sich  dabei  auf  die 
Notiz  bei  Benzo  von  Alba  (M.  G.  SS.  XI 
672)  :  Prandellus  (Hildebrand)  habe  Niko- 
laus III.  eine  Corona  regalis  aufgesetzt,  auf 
deren  unterem  Ring  man  die  Worte  gelesen  : 
Corona  regni  de  manu  Dei,  auf  dem  oberen 
aber :  Diadema  eiusdem  imperii  de  manu 
Petri.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  diese  An- 
gabe nichts  ist  als  eine  der  vielen  von 
Schmähsucht  und  Parteigeist  eingegebenen 
Lügen ,  von  denen  die  Schrift  selbst  nach 
dem  Urteil  sonst  dem  Papsttum  und  der 
Kirche    nicht    gerade    wohlgesinnter    Histo- 


riker wimmelt  (vgl.  z.  B.  Wattenbach, 
Geschichtsquellen  II  202).  Wie  unbegründet 
sie  ist,  ergibt  sich  klar  aus  dem  Zeugnis  der 
Monumente ,  nach  denen  erst  unter  Boni- 
faz VIII.  zwei  Kronen  an  der  Tiara  vor- 
kommen. Es  ist  auffallend,  daß  man  je  den 
Worten  Benzos  irgendwelchen  Wert  hat  bei- 
messen können. 

3  Es  ist  uns  kein  Inventar  aus  dem  Mittel- 
alter bekannt,  welches  sich  an  Menge  und 
Kostbarkeit  der  darin  verzeichneten  Gegen- 
stände mit  demjenigen  des  päpstlichen  Stuhles 
unter  Bonifaz  VIII.  im  entferntesten  messen 
könnte. 

J  E  h  r  1  e  ,  Der  konstantinische  Schatz,  in 
„Archiv  für  Literatur  und  Kirchengeschichte" 
IV  195,  Anm.  4. 

6  Eine  Statue  Klemens'  V.  am  Nordportal 
der  Kathedrale  zu  Bordeaux,  bei  welcher  die 
Tiara  drei  Kronen  hat,  ist  zwar  keine  Arbeit 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  Birett. 


50£ 


Grabmal  mit  einem  doppelkronigen  Eegnum  geschmückt.  Das  Monument  ist  leider 
nicht  mehr  erhalten,  doch  gibt  es  glücklicherweise  noch  eine  Abbildung  des  Kopfes 
der  Grabstatue  des  Papstes  aus  der  Zeit  vor  der  Zerstörung  '. 

Von  Benedikt  XII.  sind  zwei  Statuen  vorhanden.  Die  eine,  ein  Kniestück,  be- 
findet sich  in  der  Krypta  von  St  Peter.  Sie  war  ehedem  in  der  alten  Kirche  an  der 
Eingangswand  über  dem  Armenseelenaltar  angebracht  und  —  vielleicht  noch  zu  Leb- 
zeiten des  Papstes  —  von  den  Kanonikern  zum  Dank  für  die  vom  Papste  dem  Kapitel 
erwiesenen  Wohltaten  errichtet  worden  2.  Die  Tiara,  welche  hier  nur  zwei  Kronreifen 
aufweist,  hat  große  Ähnlichkeit  mit  der  Tiara  der  Grabstatuen  Bonifaz'  VIII.  Sie 
scheint  fast  deren  Nachbildung  zu  sein.  Die  zweite  Statue  befand  sich  auf  dem  Grabmal 
des  Papstes  in  der  Kathedrale  zu  Avignon.  Die  Beste 
derselben  birgt  jetzt  das  Museum  daselbst.  Die  Tiara 
ist  hier  in  aller  wünschenswerten  Klarheit  mit  drei 
Kronreifen  versehen  (Bild  251) 3. 

Von  Benedikt  XII.  an  tritt  das  Begnum  regelmäßig 
auf  den  Grabmonumenten  der  Päpste  in  der  Form  des 
Triregnum  auf,  so  bei  den  Grabfiguren  Klemens'  VI. 
(1342—1352)  zu  La  Chaise-Dieu  4,  Innozenz'  VI.  (1352  bis 
1362)  zu  Villeneuve-les-Avignon  5  usw.  Die  Bildung  der 
an  den  Beifen  angebrachten  Blätter,  die  bald  kreuzförmig, 
bald  lilienartig,  bald  weinblattähnlich  sind,  und  sonsti- 
ges nebensächliche  Detail  wechselt,  in  der  Hauptsache 
aber   herrscht  von  Benedikt  XII.   an  volle  Übereinstim- 


mung in  Bezug  auf  Gestalt  der  Tiara. 


Bild  251.  Fragment  der  Grab- 
statue Benedikts  XII.  Avignon, 
Museum.     (Nach  Rohault  de  Fleury.) 


Eine  Ausnahme  macht  nur  die  Grabfigur  Urbans  VI. 
in  den  vatikanischen  Grotten,  welche  eine  einkronige 
Tiara  trägt.  Es  scheint  indessen,  daß  die  Grabplatte 
einem  älteren  Papstsarkophage  entnommen  wurde.  Denn 
auf  den  Eeliefs  der  Vorderseite  ist  der  Papst  der  Zeit  durchaus  entsprechend  mit  dem 
Triregnum  ausgestattet.  Auch  die  Tiara,  welche  rechts  und  links  vom  Mittelrelief  über 
dem  Wappen  Urbans  VI.  angebracht  ist,  weist  die  gewöhnliche  Form  auf. 


aus  jüngerer  Zeit,  wie  man  gemeint  hat 
—  ihr  Stil  und  ihre  Beschaffenheit  gestatten 
eine  solche  Annahme  nicht  — ,  sie  stammt 
aber  ebensowenig  aus  der  Zeit  Klemens"  V. 
Vgl.  über  die  Statue  namentlich  Revue  1896, 
453  ff  und  Müntz,  La  tiare  pontificale  du 
VIII0  au  XVP  siecle,  in  Memoires  de  l'Aca- 
demie  des  Inscriptions  et  Belles-Lettres 
XXXVI  275  ff. 

1  Garampi,  Illustrazione  di  im  antico 
sigillo  della  Garfagnana,  Roma  1759,  tav.III,  1. 

2  Ciampini,  De  sacris  aedif.  c.  4,  sect.  5, 
n.  48  und  tav.  18  A. 

3  Abbildung  bei  Roh.  VIII,  pl.  dclxix, 
wonach  die  Abbildung  im  Text;  das  Frag- 
ment wird  von  Rohault  als  vom  Grabmal 
Urbans  V.  herrührend  bezeichnet;  so  auch 
Müntz,  La  tiare  pontificale  du  VHP  au 
XVI6  siecle  a.  a.  O.  XXXVI  282;  jedoch  mit 
Unrecht.  Der  Kopf  stammt  vom  Grabmal  Bene- 
dikts XII.  Urban  V.  wurde  nur  für  wenige 
Monate  provisorisch  in  der  Kathedrale  zu 
Avignon  beigesetzt ,  um  dann  nach  St- 
Victor  zu  Marseille  übergeführt  zu  werden, 
wo  ihm  ein  prächtiges  Grabmonument  er- 
richtet wurde.    Wie  aber  die  Abbildung  des- 


selben bei  den  Bollandisten  (A.  SS.  Propyl. 
Maii  93**)  beweist ,  war  der  Papst  darauf 
gegen  die  Gewohnheit  statt  mit  der  Tiara  mit 
der  Mitra  dargestellt.  Vgl.  auch  K  o  t  li  e  n, 
Notice  sur  la  crypte  de  l'abbaye  St-Victor- 
lez-Marseille ,  Marseille  1864,  pl.  v,  p.  80. 
Die  Papstfigur,  die  sich  bei  Rohault  de 
Fleury  findet,  kann  also  nicht  Urban  V.,  sondern 
nur  Benedikt  XII.  wiedergeben.  Eine  ältere 
Abbildung  bei  Garampi  a.  a.  0.  tav.  IV  2. 

4  Abbildung  unten  Bild  253,  S.  509.  Der 
größte  Teil  des  Kopfes  ist  zwar  eine  spätere 
Restauration ,  veranlaßt  durch  die  Schäden, 
welche  die  Figur  bei  der  Schändung  des 
Grabes  durch  die  Calvinisten  erlitt;  doch  ist 
von  dem  ursprünglichen  Triregnum  noch 
genug  erhalten,  um  deutlich  die  drei  Kronen 
erkennen  zu  können  (Roh.  VIIT  142). 

6  Abbildung  in  Revue  1892,  281  und 
Garampi  a.  a.  0.  tav.  IV,  3  (hier  unkorrekt 
ohne  Bart).  Urban  V.  trug,  wie  vorhin 
bemerkt  wurde,  auf  seinem  Grabmonument 
statt  der  Tiara  die  Mitra.  Die  silberne  Büste 
des  hl.  Petrus  in  S.  Giovanni  im  Lateran, 
welche  Urban  V.  1369  anfertigen  ließ,  ist 
mit  einem  dreikronigen  Regnum  ausgestattet. 


506     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Daß  die  Grabstatuen  der  Päpste  nicht  sofort,  nachdem  die  Inventare 
ausdrücklich  drei  circuli  verzeichnen,  ebenfalls  deren  drei  an  der  Tiara  auf- 
weisen, mag  von  verschiedenen  Ursachen  herkommen.  Der  Hauptgrund  aber 
war  wohl,  dafä  die  drei  Kronreifen,  welche  rasch,  wie  über  Nacht,  und 
dazu  ganz  geräuschlos  gekommen  waren,  noch  nicht  die  Bedeutung  hatten, 
welche  sie  später  besaßen,  und  in  den  Ideen  der  Zeit  und  der  Künstler  noch 
nicht  heimisch  geworden  waren.  Erst  mußte  sich  zeigen,  daß  sie  nicht  eine 
vorübergehende  Mode  waren,  erst  mußten  sie  für  die  Papstkrone  typisch 
werden,  ehe  sie  gleichsam  Anspruch  darauf  erheben  konnten,  bei  den  Papst- 
statuen dargestellt  zu  werden.  Es  hieße  den  Gang  der  Entwicklung  völlig 
verkennen,  Avollte  man  die  drei  Kronreifen  um  dieselbe  Zeit,  da  in  den  Inven- 
taren  von  ihnen  zum  erstenmal  die  Rede  ist,  auch  schon  auf  den  Grabmälern 
der  Päpste  erwarten. 

Von  dem  oberen  Abschlüsse  der  Tiara  läßt  sich  aus  den  Papststatuen 
kein  sicheres  Bild  gewinnen,  da  manche  derselben  an  ihren  oberen  Enden 
stark  verletzt  sind.  Nach  dem  Inventar  von  1295  war  das  damalige  Regnum 
an  der  Spitze  von  einem  mächtigen  Rubin  bekrönt.  Der  Stein  ging  bei  Gelegen- 
heit der  Krönung  Klemens"  V.  zu  Lyon  verloren.  Als  nämlich  nach  der  Feier  der 
Papst  in  prächtigem  Reiterzug  durch  die  Straßen  zog,  stürzte  eine  Mauer 
ein,  die  in  ihrem  Falle  das  Roß  des  Papstes  und  diesen  selbst  samt  seiner 
Tiara  mit  sich  zu  Boden  riß.  Dabei  brach  der  Rubin,  der  auf  6000  Gold- 
gulden geschätzt  wurde,  los  und  verschwand  auf  Nimmerwiedersehen  1.  Die 
Grabfigur  Bonifaz'  VIII.  trägt  einen  dicken,  büschelartigen  Abschluß.  Auf 
den  Grabstatuen  der  Päpste  des  15.  Jahrhunderts  endet  das  Triregnum  in 
einem  Knauf  von  recht  mäßigen  Verhältnissen 2.  Ein  Kreuz  als  Abschluß  der 
Tiara  findet  sich  niemals  auf  den  mittelalterlichen  Papstmonumenten. 

Die  Geschichte  der  Tiara  bietet  seit  dem  Mittelalter  nichts  Bemerkens- 
wertes. Die  hauptsächlichste  Veränderung,  welche  mit  ihr  seit  dieser  Zeit 
vor  sich  geht,  besteht  in  ihrer  immer  mehr  zunehmenden  Ausbauchung. 
Ein  Kreuzchen  finden  wir  schon  auf  dem  Triregnum  Julius'  IL 

Die  Bedeutung,  welche  das  Regnum  hatte,  mußte  naturgemäß  dazu 
führen,  demselben  eine  entsprechende  Ausstattung  zu  teil  werden  zu  lassen. 
Es  hat  damit  nicht  gedauert,  bis  die  Tiara  die  Form  des  Triregnum  er- 
halten hatte.  Man  lese  nur  die  Beschreibung,  welche  das  Inventar  des  päpst- 
lichen Schatzes  vom  Jahre  1295  von  der  Tiara  macht.     Befanden  sich   doch 


1  Duch.,  L.  P.  II  473;  Mur.,  SS.  III  673 
und  Regesta  Avenion.  Ioannis  XXII.  tav.  43, 
f.  258»,  bei  Ehrl  e,  Archiv  IV  195. 

2  Wir  haben  bei  unserer  Darstellung  der 
Entstehung  des  Triregnum  nur  auf  die  Grab- 
male* der  Päpste  Bezug  genommen,  nicht 
auf  Miniaturen  und  sonstige  Darstellungen. 
Wenn  hier  Monumente  von  Wert  sind,  so 
sind  es  unstreitig  die  Grabfiguren  der  Päpste. 
Geben  die  Tiaren  darauf  auch  keine  absoluten 
Kopien  der  Papsttiara  wieder,  so  darf  man 
sie  doch,  wo  nicht  die  Umstände  das  Gegen- 
teil beweisen,  als  im  wesentlichen  treue 
Wiedergaben  ansehen.  Es  herrscht  im  14. 
und  15.  Jahrhundert  auf  den  Monumenten 
(Miniaturen,  Fresken,  Skulpturen)  in  Be- 
zug  auf  die  Form   der  Tiara   ein   äußerster 


Wirrwarr,  wie  es  bei  keinem  andern  Ornat- 
stück der  Fall  ist.  Bald  ist  sie  hoch,  bald 
niedrig,  bald  ein  spitzer  Kegel  mit  geraden 
Seiten,  bald  ausgebaucht,  bald  fingerhutför- 
mig,  jetzt  mit  einer,  dann  mit  zwei,  ein 
anderes  Mal  mit  drei  Kronen  versehen. 
Nicht  die  Wirklichkeit,  sondern  die  Phan- 
tasie hat  ersichtlich  meistens  den  Pinsel 
und  den  Meißel  des  Künstlers  geleitet.  Aller- 
dings leicht  begreiflich,  da  es  im  ganzen 
unter  den  Künstlern  nur  sehr  wenige  gegeben 
haben  wird,  welche  je  eine  Tiara  persönlich 
in  Augenschein  zu  nehmen  Gelegenheit  hatten. 
Die  meisten  waren  auf  Beschreibungen  oder 
Abbildungen  angewiesen,  bei  denen  wiederum 
nur  zu  oft  die  Einbildungskraft  eine  Rolle 
gespielt  hatte. 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  Birett. 


507 


an  derselben  außer  einer  Anzahl  kleiner  Smaragde  und  Karfunkel  sowie  vielen 
Schmelzen  nicht  weniger  als  66  große  Perlen  und  165  große  Edelsteine, 
nämlich  48  Karfunkel  und  Rubine,  72  Saphire  sowie  45  Chrysoprase  und 
Smaragde.  So  kostbar  indessen  auch  dieses  Regnum  war,  gegen  manche 
Tiaren  der  Folgezeit  erscheint  es  nur  wie  ein  Schatten. 

Es  würde  zu  weit  führen,  auf  die  verschiedenen  prunkvollen  Triregna  näher 
einzugehen,  welche  das  15.  und  das  16.  Jahrhundert  hervorgebracht  hat.  Paul  II.  ließ, 
um  flüchtig  ein  paar  Beispiele  anzuführen,  zwei  Tiaren  anfertigen,  von  denen  die  eine 
180  000,  die  andere  200  000  Scudi  kostete1.  Ein  von  Sixtus  IV.  dem  venetianischen 
Goldschmied  Bartolomeo  di  Tommaso  in  Arbeit  gegebenes  Triregnum  wurde  auf 
110  000  Dukaten  geschätzt2.  Das  kostbarste  schuf  aber  der  Mailänder  Juwelier 
Caradossa  im  Auftrage  Julius'  IL  Es  hatte  einen  Wert  von  200  000  Dukaten  = 
ca  800000  Mk  (Bild  252) 3.  Die  Inschrift 
am  unteren  Eande,  welche  Julius  II.  als 
den  Schöpfer  und  das  7.  Jahr  seiner  Ee- 
gierung  als  die  Entstehungszeit  des  Ornat- 
stückes bezeichnete,  war  aus  lauter  Dia- 
manten hergestellt.  Unter  solchen  Um- 
ständen begreift  man ,  warum  die  Päpste 
wiederholt  gerade  die  Tiara  bei  Geld- 
anleihen als  Pfand  gaben.  Hatten  dieselben 
ja  nicht  bloß  einen  ideellen,  sondern  auch 
einen  enormen  materiellen  Wert. 

Von  allen  diesen  mehr  prunk- 
haften als  wahrhaft  schönen,  mehr 
kostbaren  als  eigentlich  kunstvollen 
Tiaren  ist  keine  mehr  vorhanden.  Die 
von  Paul  II.  und  Sixtus  IV.  geschaffe- 
nen Triregna  gingen  bei  dem  berüch- 
tigten Sacco  Roms  1527  zu  Grunde. 
Damit  sie  nicht  in  die  Gewalt  der  mit 
einer  Barbarei  sondergleichen  plündern- 
den Horden  gerieten,  ließ  Klemens  VII. 
die  Perlen  und  Edelsteine  derselben 
durch  Cellini  ausbrechen  und  das  Gold 
einschmelzen  *.  Die  Tiara  Julius'  IL  ent- 
ging damals  der  Zerstörung,  vielleicht,  weil  sie  gerade  in  Pfand  gegeben  war. 
Im  Jahre  1789  wurde  sie  auf  Befehl  Pius'  VI.  einer  kostspieligen,  durch- 
greifenden Restauration  unterzogen.  Allein  schon  nach  wenigen  Jahren  ver- 
fiel sie  einem  ähnlichen  Geschick  wie  einst  die  Tiaren  Pauls  IL  und  Sixtus'  IV. 
Um  die  gewaltigen  Kriegskosten  bezahlen  zu  können,  welche  im  Frieden  von 
Tolentino  Napoleon  im  Namen  der  Republik  dem  Papst  aufgezwungen,  sah 
sich  dieser  genötigt,  das  Triregnum  Julius'  IL  zerlegen  zu  lassen  und  die  Edel- 
steine, die  Perlen  und  das  Gold  zur  Bezahlung  der  Schuld  zu  verwenden,  ein 
tragisches  Ende  der  Tiara,  das  gewiß  Julius  IL  nicht  vorausgesehen  hatte. 
Übrigens  war  die  Tiara  des  Mediceers  es  nicht  allein,  die  damals  einem  so 
traurigen  Untergang    geweiht  wurde;    dieselbe   teilte    ihr  Los  mit  den  kaum 


Bild  252.    Tiara  Julius'  II.    Nach  dem  Stich 

von  Bartoli.     Paris,  Ecole  des  Beaux-Arts. 


1  Mor.  LXXXI  52.  Müntz,  Les  arts  ä 
la  cour  des  Papes  II  148;  Vita  Pauli  IL: 
Mur.,  SS.  III  2,  1009. 

-  Müntz,  La  tiare  pontificale  du  VHP  au 


XVIe  siecle,  a.  a.  O.  296,   und  Les  arts  a  la 
cour  des  Papes  III  30  243  259  260. 

3  Müntz,  La  tiare  pontif.,  a.  a.  O.  303  ff. 

i  Cellini,  Benv.,Vite  138:  Flor.  1866,84. 


508     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

weniger  kostbaren  Triregna,  welche  Paul  III.,  Klemens  VIII.  und  Urban  VIII. 
hatten  anfertigen  lassen  und  die  durch  Pius  VI.  gleichfalls  unter  gewaltigen 
Kosten  waren  erneuert  worden t.  Von  all  der  Herrlichkeit  ist  nur  ein  Smaragd 
von  440*4  Karat  übrig  geblieben,  den  Gregor  XIII.  der  Tiara  Julius'  II.  hinzu- 
gefügt hatte.  Derselbe  kam  1798  durch  die  Kommissionäre  der  französischen 
Regierung  nach  Paris,  wo  er  bis  1805  im  naturgeschichtlichen  Museum  blieb. 
Dann  nahm  ihn  Napoleon  aus  diesem  heraus  und  ließ  ihn  an  der  Tiara  an- 
bringen, die  er  Pius  VII.  schenkte.  1809  entriß  General  Rodet  dem  Papst 
Tiara  und  Smaragd  wieder,  doch  wurden  1814  beide  zurückgestellt. 

Über  den  Ursprung  der  Tiara  hat  man  mancherlei  Vermutungen  auf- 
gestellt. Die  einen  haben  sie  als  Nachbildung  der  Cidaris  des  alttestarn ent- 
liehen Hohenpriesters  ausgegeben,  nach  andern  soll  sie  ein  Gegenstück  des 
pileus  libertatis  der  römischen  Freigelassenen  darstellen  und  vom  Papste  als 
Zeichen,  daß  die  Kirche  durch  Konstantin  die  Freiheit  erlangt  habe,  in  Ge- 
brauch genommen  worden  sein.  Eine  dritte  Hypothese  bringt  sie  mit  dem 
Albogalerus  der  römischen  Flamines,  Pontifices  und  Salier  in  Verbindung, 
eine  vierte  möchte  in  der  Tiara  der  persischen  Könige  und  Vornehmen  das 
Vorbild  der  päpstlichen  Tiara  suchen  und  so  letztere  als  eine  Art  von  Import  - 
aus  dem  Orient  ansehen.  Und  damit  auch  die  Komik  zu  ihrem  Rechte  komme, 
hat  man  unter  die  Ahnen  des  päpstlichen  Kopfschmuckes  sogar  den  Pileolus  auf- 
genommen, welcher  dem  hl.  Hieronymus  zur  Erwärmung  seines  alten  Kopfes  von 
einem  Freunde  übersandt  wurde  und  dessen  Empfang  der  Heilige  diesem  im 
85.  seiner  Briefe  dankbarst  bescheinigt2:  Pileolum  textura  breve  caritate  latissi- 
mum  senili  capiti  confovendo  libenter  accepi  et  muneris  auctoris  laetatus. 

Es  hat  keinen  Zweck,  auf  diese  Hypothesen,  von  denen  die  eine  ebenso 
grundlos  ist  wie  die  andere,  sich  des  Näheren  einzulassen.  Sie  sind  Luft- 
gebilde, weiter  nichts.  Die  Einführung  des  Camelaucum,  des  Vorgängers  der 
späteren  Tiara,  erklärt  sich  zur  Genüge  und  ohne  Schwierigkeit  durch  die 
bedeutsame  Stellung,  welche  die  Päpste  im  7.  Jahrhundert  in  Italien  und  zu- 
mal in  Rom  einnahmen.  Waren  diese  rechtlich  und  formell  auch  noch  keine 
souveräne  Herrscher,  so  standen  sie  doch  tatsächlich  und  dem  Einflüsse  nach, 
zumal  im  römischen  Dukat,  kaum  anders,  denn  als  wirkliche  Fürsten  da.  Es  war 
daher  ganz  natürlich,  daß  sie  diese  ihre  Stellung  auch  äußerlich  in  ihrer  Tracht 
und  in  ihrem  Auftreten  zum  Ausdruck  brachten  und  darum  unter  andern 
Auszeichnungen  auch  eine  ihren  Rang  kündende  Kopfbedeckung  annahmen. 
Eine  Krone  oder  Diadem  konnte  das  natürlich  nicht  sein,  weil  sie  nicht  sou- 
verän waren;  sie  mußten  sich  vielmehr,  wie  andere  Leute  in  ähnlicher  hervor- 
ragender Stellung,  mit  einer  Mütze,  dem  weißen  Camelaucum,  begnügen. 

Das  Vorbild  der  Kopfbedeckung,  deren  frühester  Name  camelaucum 
deutlich  auf  den  byzantinischen  Orient  hinweist,  haben  wir  wohl  in  dem 
damals  tonangebenden  Byzanz  zu  suchen.  Müntz  hat  die  Vermutung  aus- 
gesprochen, daß  sich  die  Ingebrauchnahme  des  Camelaucum  unter  einem  der 
griechischen  und  syrischen  Päpste  aus  dem  Ende  des  7.  und  dem  Beginn  des 
8.  Jahrhunderts  vollzogen  habe.  Seine  Annahme  entbehrt  in  der  Tat  nicht 
aller  Wahrscheinlichkeit;  vielleicht  sogar,  daß  es  durch  denselben  Papst  zur 
Einführung  gelangte,  bei  dem  es  uns  zuerst  begegnet,  den  Syrer  Konstantin, 
von  dem  das  Papstbuch  berichtet,  er  sei  zu  Konstantinopel  mit  dem  Came- 
laucum  auf  dem  Haupt  aufgezogen,  wie   er   es  zu  Rom  zu  tun  gewohnt  sei. 


1  Mor.  LXXXI  55  ff.     Müntz,  La  tiare  pontif.,  a.  a.  0.  2  M.  22,  754. 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  Birett. 


509 


Vom  Grabmal  Klemens'  VI. 
La  Chaise-Dieu. 


II.    DER  PILEOLUS. 

Unter  dem  Pileolus  versteht  man  ein  klerikales  Scheitelkäppchen.  Es 
heißt  auch  wohl  Calotte,  Subbiretum,  Submitrale,  Soli-Deo  und  ist  bei  dem 
Papst  von  weißer,  den  Kardinälen  von  roter,  den  Bischöfen  von  violetter  und 
den  übrigen  Geistlichen,  falls  nicht  ein  besonderes  Privileg  besteht,  von 
schwarzer  Farbe.     Der  Pileolus  gehört  nicht  zur  liturgischen  Kleidung. 

Wenn  wir  ihn  nichtsdestoweniger 
hier  einer  kurzen  Erwähnung  würdi- 
gen, so  geschieht  das  deshalb,  weil 
er  bei  denen,  die  zum  Gebrauch  der 
Mitra  berechtigt  sind,  eine  Art  von 
Zubehör  der  Mitra  ist  und  in  dieser 
Eigenschaft  im  bischöflichen  Caere- 
moniale  Erwähnung  findet.  Indessen 
kann  er  natürlich  auch  nur  unter 
diesem  Gesichtspunkt  hier  in  Betracht 
kommen. 

Wann  der  Pileolus  als  Zubehör  Bild  25S- 
der  Mitra  (Tiara)  zur  Verwendung  ge- 
langte, läßt  sich  nicht  genau  angeben.  Im  13.  Jahrhundert  scheint  das,  soweit 
wenigstens  die  Monumente  entscheidend  sind,  noch  nicht  der  Fall  gewesen 
zu  sein.  Überall  bloß  die  Mitra,  nirgends  eine  Mitra  in  Verbindung  mit  dem 
Scheitelmützchen.  Zugleich  mit  der  Kapuze  der  Cappa  begegnet  dieses  uns 
schon  auf  dem  bekannten  Fresko  Giottos  „St  Franziskus  von  Honorius  III." 
(Bild  168,  S.  354). 

Eines  der  ersten  Monumente,  wenn  nicht  das  früheste,  auf  dem  der 
Pileolus  unter  der  Tiara  deutlich  erkennbar  ist,  bildet  die  Grabfigur  Klemens'  VI. 

(f  1352)  zu  La  Chaise-Dieu 
(Bild  253)  K  Im  15.  Jahrhundert 
weisen  schon  genug  Skulpturen 
und  Malereien  bei  Bischofsdar- 
stellungen unter  der  Mitra  die 
Scheitelkappe  auf,  namentlich 
solche,  die  der  zweiten  Hälfte 
desselben  entstammen.  Manche 
Beispiele  bieten  z.  B.  die  Bi- 
schofsmonumente aus  jener  Zeit, 
die  uns  in  den  römischen  Kir- 
chen begegnen  (Bild  254).  Aber 
auch  außerhalb  Roms  kommt  bereits  der  Pileolus  im  15.  Jahrhundert  auf 
Bischofsdarstellungen  vor. 

In  den  römischen  Ordines  hören  wir  zum  erstenmal  gegen  Ende  des 
14.  Jahrhunderts  von  dem  Scheitelmützchen  als  einem  Zubehör  der  Mitra. 
Der  Ordo  des  Kardinals  Jakobus  Cajetanus  kennt  es  in  dieser  Eigenschaft 
noch   nicht2.     Wir   treffen   es   darin   unter  dem  Namen  biretum  nur  in  Ver- 


Bild 254.  Vom  Grabmal  des  Kardinals  Alarms  (f  1474). 
Rom,  S.  Prasseile. 


1  Das  Scheitelkäppcheri  war  auch  bei  der 
Grabstatue  des  Gegenpapstes  Klemens'  VII. 
dargestellt.  Abbildung  bei  Garampi  a.  a.  0. 
tav.  IV  4,   nach    dem  Fragment   des  Kopfes 


im    Museum    zu    Avignon    in    Revue    1896, 
454. 

2  Vgl.  namentlich   c.  48   und   53    (M.  78, 
1153  1156  ff). 


510     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

binduDg  mit  dem  Hut  der  Kardinäle  an1.  Zusammen  mit  der  Mitra  gebraucht, 
erscheint  es  erst  in  dem  um   1400  entstandenen  Ordo  des  Petrus  Amelii2. 

Der  Pileolus  ist  auf  den  Monumenten  des  15.  und  16.  Jahrhunderts 
noch  nicht  das  kleine  Scheitelkäppchen  der  Jetztzeit.  Es  deckt  noch  den 
ganzen  Hinterkopf  und  zieht  sich  seitlich  in  Form  von  mehr  oder  weniger 
breiten  Laschen  über  die  Schläfen  hinab  (Bild  254,  S.  509). 

Was  seine  Einführung  veranlaßte,  ist  unbekannt.  Wie  es  scheint,  ge- 
schah sie,  um  zu  verhindern,  daß  die  Mitra  durch  etwaigen  Schweiß  leide. 
Man  darf  nämlich  nicht  vergessen,  daß  sich  die  pontifikale  Kopfbedeckung 
bereits  gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  zu  einem  recht  ungefügen  und 
schweren  Ding  entwickelt  hatte,  das,  zumal  im  warmen  Süden,  wohl  geeignet 
war,  dem  Kopfe  reichliche  Schweißtropfen  zu  entlocken.  Vielleicht  jedoch, 
daß  auch  noch  andere  Gründe  dahin  gewirkt  haben ;  so  etwa  die  Absicht, 
die  drückende  Last  der  Mitra  dem  Kopfe  weniger  fühlbar  zu  machen  oder 
ein  festeres  Sitzen  des  mittlerweile  mächtig  emporgestiegenen  und  dabei  gründ- 
lich versteiften  pontifikalen  Kopfschmuckes  zu  ermöglichen. 

Welche  Verbreitung  der  Gebrauch  des  Submitrale,  wie  der  Pileolus  in 
den  Mailänder  Statuten  heißt,  im  15.  Jahrhundert  hatte,  läßt  sich  nicht  be- 
stimmen. Allgemein  war  er  jedenfalls  noch  nicht,  er  wurde  das  erst  im 
Verlauf  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  Nach  den  Statuten  des  hl.  Karl 
Borromäus  sollten  in  der  Kathedrale  zum  Gebrauch  für  den  Bischof  vier 
subbireta  mitralia  vorrätig  gehalten  werden.  Dieselben  mußten  aus  Wolle 
gemacht  und  von  runder,  nicht  viereckiger  Form  sein  3. 


III.    DAS  BIRETT. 

Mit  mehr  Eecht  als  der  Pileolus  kann  das  Birett  der  liturgischen  Ge- 
wandung (diese  im  weiteren  Sinne  genommen)  zugezählt  werden.  Ist  dasselbe 
nämlich  an  sich  auch  ohne  jeden  sakralen  Charakter  und  nur  klerikale  Kopf- 
bedeckung, so  findet  es  doch  nach  der  gegenwärtigen  Praxis  bei  den  gottes- 
dienstlichen Funktionen  eine  so  ausgiebige  Verwendung4,  daß  man  es  füglich 
als  Appendix  zur  liturgischen  Kleidung  betrachten  kann. 

Das  Birett  läßt  sich  unter  dem  Namen  pileus  bis  in  die  Frühe  des 
12.  Jahrhunderts,  unter  der  Bezeichnung  infula  aber  bis  zum  Ende  des  10. 
zurückverfolgen5.  Im  Beginn  des  12.  ist  es  Honorius,  der  uns  von  ihm  Kunde 
gibt,  um  die  Wende  des  9.  eine  Urkunde  des  Erzbischofs  Willegis  von  Mainz 
für  Aschaffenburg 6.  Es  erscheint  bei  Honorius  als  Kopfbedeckung  der  Can- 
tores,  d.  i.  der  offiziellen  liturgischen  Sänger  beim  feierlichen  Amt  und  Offi- 


1  C.  118  (ebd.  1272). 

2  C.  144  (ebd.  1351/:  Et  ponent  in  capite 
eius  biretam  albam  cum  mitra  alba. 

3  A.  B.  Med.  627. 

4  Am  ausgiebigsten  erörtert  in  Linzer 
Quartalschrift  1885,  591  ff. 

5  Wenn  es  im  Kirchenlexikon  II  854  bezüg- 
lich des  Alters  des  Biretts  heißt :  „Die  erste  Er- 
wähnung des  Biretts  findet  sich  im  10.  Jahr- 
hundert bei  dem  Bericht  von  der  Degradation 
eines  Bischofs  von  Gabors  durch  Johannes  XII. 
im  Jahre  956 ,  wobei  demselben  auch  das 
Birett  abgenommen  wurde",  so  liegt  hier  eine 
Verwechslung    von    Johannes   SIL    und    Jo- 


hannes XXII.  vor.  Obendrein  handelte  es 
sich  bei  dem  fraglichen  Vorfall  nicht  um  das 
klerikale ,  sondern  ,  wie  der  Berichterstatter 
Amalrich  ausdrücklich  hervorhebt,  um  das 
Doktorenbirett:  biretosuodoctorali.quum  esset 
legum  doctor.  Wenn  ferner  bei  Bon  a-Sala 
1.  1,  c.  24,  §  20,  app. ;  II,  290  zum  Beweis,  daß 
das  Birett  schon  im  10.  Jahrhundert  in  Ge- 
brauch war,  auf  das  Chronicon  Leodiense  (ge- 
nauer St  Laurentii  Leodiensis)  verwiesen  wird, 
so  ist  zu  bemerken,  daß  an  der  betreffenden 
Stelle  von  einem  biretum  nicht  im  geringsten 
die  Rede  ist,  sondern  nur  von  der  Cappa. 
6  S.  oben  S.  319. 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  Birett. 


511 


zium,  in  der  Urkunde  für  Aschaffenburg  aber  als  eine  Art  von  Auszeichnung 
des  Präcentor.  Derartige  Cantorespilei  sind  auch  wohl  unter  den  6  pileoli 
officiariorum  zu  verstehen,  welche  ein  englisches  Inventar  aus  dem  Jahre  1218 
neben  acht  Mitren  aufführt '. 

Häufiger  wird  des  Biretts  erst  seit  dem  13.  Jahrhundert  gedacht.  Außer 
pileus  und  pileolus  führt  es  jetzt  auch  den  Namen  biretum.  Was  seinen 
Charakter  aber  anlangt,  so  erscheint  es  bald  bloß  als  ein  Hut  bzw.  eine  Mütze 
der  Geistlichen  im  Alltagsleben,  bald  als  eine  Kopfbedeckung,  deren  man  sich 
statt  der  Kapuze  beim  Chorgebet  bediente.  In  ersterer  Eigenschaft  erscheint 
das  Birett  z.  B.  in  Ruhr.  10  der  Synode  zu  Ravenna  von  1314:  Capita  co- 
operiunt  pileo  vel  bireto  vel  armutia  oblonga  ad  aures2.  Als  Kopfbedeckung 
beim  Chorgebet  begegnet  es  uns  in  den  Statuten  der  Stiftskirche  zu  Stoke 
(England):  Utantur  omnes  in  choro  nigris  pileis  ancehuris  et  nullo  modo 
capuciis  sive  capis  monstruosis 3 ;  in  den  Statuten  des  Bischofs  Grandisson  von 
Exeter  aus  dem  Jahre  1337  c.  21 :  Debent  omnes  indui  exterius  cappis  nigris  . . . 
et  in  capite  pileolis  nigris4;  in  den  Bestimmungen  der  Synode  von  Sens  von 
1485 :  Horas  canonicas  dicturi  cum  tunica  talari  et  superpelliceis  mundis  ultra 
medias  tibias  longis,  non  caputia  sed  almutia  vel  bireta  tenentes  in  capite5, 
und  in  einer  Verordnung  der  Synode  zu  Bergamo  von  1311:  Intersint  (sc. 
officiis  divinis)  aut  discooperto  capite  aut  cum  biretis  in  capite  ad  modum 
laicorum,  capucia  non  habentes0.  Den  Benediktinern  von  St  Augustin  zu 
Canterbury,  welche  ihren  Regeln  zufolge  unbedeckten  Kopfes  am  Gottesdienst 
teilnehmen  mußten,  gestattete  Innozenz  IV.  1243,  mit  Rücksicht  auf  die  Kälte 
und  die  dadurch  verursachte  Gefahr  für  die  Gesundheit,  sich  beim  Offizium 
und  der  Messe  einen  pileus  aufzusetzen ,  nur  sollten  sie  ihn  beim  Absingen 
des  Evangeliums,  bei  der  Elevation  und  ähnlichen  Gelegenheiten  mit  Rück- 
sicht auf  die  bei  diesen  Akten  an  den  Tag  zu  legende  Ehrfurcht  abnehmen. 
Die  gleiche  Erlaubnis  gab  der  Papst  noch  in  demselben  Jahre  den  Benedik- 
tinern von  Winchester7.  Mit  der  Sitte,  beim  Chorgebet  das  Birett  zu  ge- 
brauchen, mag  es  zusammenhängen,  daß  es  Brauch  wurde,  die  Übertragung 
eines  kirchlichen  Benefiziums  durch  Überreichung  des  Biretts  zu  symbolisieren. 
Schon  um  1300  war  diese  Art  der  Investitur  mit  einer  kirchlichen  Pfründe 
bekannt 8. 

Der  Unterschied,  der  zwischen  dem  Pileolus  und  dem  Birett  bestand, 
scheint    darin    gelegen    zu   haben,    daß   jener   lediglich    Nützlichkeitszwecken 


1  Bock  II  345. 

2  Hard.  VII  1387. 

3  Bock  II  345.  Ancehura  =  Scheitelmütze 
aus  dem  mitteil,  anca  =  occipitium,  Hinter- 
kopf (Graf,  Althochdeutscher  Sprachschatz, 
Berlin  1834,  I  345)  und  hura  =  Hut,  Mütze 
(vgl.  Gesta  Abb.  S.  Albani  ad  1156—1166: 
Episcopus  assurgens  in  manu  regis  per  ca- 
pitis sui  galerum ,  qui  hura  dicitur ,  re- 
signavit  id  iuris  quod  dicebat  se  habere 
[ed.  London  1867,  I  156]).  S.  344  meint 
Bock,  es  scheine  gegen  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts bei  gewissen  Teilen  der  heiligen 
Messe  in  einigen  englischen  Diözesen  wenig- 
stens von  den  Bischöfen  eine  kleine  Kopf- 
bedeckung in  Form  eines  Pileolus  getragen 
worden    zu    sein.     Er    verweist    zum    Beleg 


dafür  auf  zwei  Vitae  des  hl.  Johannes  Becket, 
wonach  dieser  bei  seiner  Ermordung  einen 
pileus  (pileolus)  auf  dem  Kopfe  getragen 
habe.  Bock  hat  übersehen ,  daß  die  Untat 
nicht  am  Morgen ,  sondern  nachmittags  zur 
Zeit  der  Vesper  geschah.  Die  betreffende 
Notiz  der  beiden  Vitae  bekundet  nur,  daß 
der  pileus  beim  Chorgebet  im  12.  Jahrhundert 
gebraucht   wurde. 

4  Ebd.  5  C.  1  (Hard    IX  1522). 

6  Magistretti  35. 

7  B  e  r  g  e  r ,  Les  Registres  d'Innocent  IV 
n.  80  135  (I  19  26).  Eine  gleiche  Erlaubnis 
gab  Innozenz  IV.  auch  dem  Abt  und  den 
München  des  Benediktinerklosters  zu  Com- 
piegne  (D.  C.  VI  322). 

8  D.  C.  I  663. 


512     Dritter  Abschnitt.    Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hiinde,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

diente  und  darum  auch  unter  der  Mitra  und  zur  Kapuze  getragen  wurde, 
während  dieses  außer  der  praktischen  Bedeutung  den  besondern  Charakter 
einer  klerikalen  Kopfbedeckung  hatte.  Übrigens  sind  Pileolus  und  Birett 
zwei  durchaus  verwandte  Dinge ;  kein  Wunder  also,  daß  man,  solange  letzteres 
noch  eine  weiche  Mütze  und  ersterer  etwas  mehr  als  ein  bloßes  Scheitel- 
käppchen  war,  zwischen  beiden  nicht  streng  schied  und  biretum  nannte, 
was  wir  heute  pileolus  nennen  würden,  und  umgekehrt  K 

Eine  sehr  frühe  Darstellung  des  Biretts  findet  sich  auf  der  Grabplatte 
Peters  von  Thure  im  Dom  zu  Brandenburg  (f  1281).  Es  stellt  hier  eine 
mittelhohe,  runde,  seitlich  sich  etwas  ausbauchende,  oben  aber  abgeflachte 
Mütze  dar,  die  in  der  Mitte  des  Deckels  mit  einem  Knöpfchen  versehen  ist 
(Bild  255).  Aus  dem  14.  Jahrhundert  gibt  es  manche  Ab- 
bildungen des  Biretts.  Treffliche  Beispiele  liefern  aus  dieser 
Zeit  das  Grabmal  des  Speierer  Dechanten  Hartmann  von 
Landisberg  (f  1339)  in  der  Stiftskirche  zu  Oberwesel,  dann 
die  Grabplatten  eines  Kanonikus  Jakob  (f  13  . .),  des  De- 
chanten Joh.  Lang  (f  1394)  und  des  Kanonikus  Leonardus 
Zinginger  (f  1380)  im  Kreuzgang  des  Domes  zu  Brixen, 
ferner  die  Grabfiguren  des  Protonotars  Bernard  Stenbringh 
(t  1383),  des  Propstes  John  Thoutendorp  (f  1380)  und  des 
Propstes  Nikolaus  Holsten  (f  1353)  in  Heiligkreuz  zu  Ro- 
stock 2  sowie  des  Propstes  Rutger  zu  Kloster  Rühn  (f  1367) 3. 
Bei  den  letztgenannten  Darstellungen  ist  auf  der  Mitte  des 
Deckels  statt  eines  kleinen  Knöpfchens  eine  kräftige  Quaste 
angebracht,  die  besonders  auf  dem  Grabstein  Bernard  Sten- 
bringhs  auffällt. 

Um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  beginnt  das  Birett, 
das  bis  dahin  ziemlich  niedrig  war,  in  die  Höhe  zu  wachsen, 
wobei  zugleich  die  oben  auf  ihm  angebrachte  Quaste  ent- 
weder verkümmert  oder  sich  sogar  ganz  verliert.  So  bleibt 
es  bis  gegen  Ende  des  Jahrhunderts.  Dann  hebt  jener  Um- 
bildungsprozeß an,  welcher  in  langsamer,  aber  steter  Ent- 
wicklung in  seinem  letzten  Stadium  zum  modernen  Birett 
führte.  Aus  der  weichen  Rundmütze  ist  am  Ende  desselben 
eine  steife,  vierkantige,  mit  drei  oder  vier  Aufsätzen,  die  an 
Hörner  erinnern,  versehene  Kopfbedeckung  geworden,  von 
der  man  eigentlich  nicht  weiß,  ob  man  sie  den  Mützen  oder  den  Hüten 
zuzählen  soll. 

Die  Hauptperiode  des  Prozesses  fällt  in  das  16.  Jahrhundert,  das  15. 
sieht  nur  seinen  Beginn,  das  17.  aber  braucht  bloß  der  um  den  Ausgang  des 
16.  im  wesentlichen  schon  fertigen  neuen  Form  ihre  letzte  Vollendung  zu 
geben.  Schon  in  der  Frühe  des  16.  Jahrhunderts  zeigen  sich  deutliche  Ansätze 
zu  vier  Kanten;   um    die  Mitte   desselben   scheinen  diese  schon  ziemlich  ent- 


.  iL 


Bild  255. 

Grabstein  Peters 

von  Thure  (f  1281). 

Brandenburg,  Dom. 

(Nach  Bergau.) 


1  Vgl.  z.  B.  das  Statut  Grandissons,  wo 
pileolus  im  Sinn  von  Birett,  und  ordo  14, 
c.  118;  ordo  15,  c.  7  (M.  78,  1272  1276), 
wo  biretum  im  Sinne  von  pileolus  gebraucht 
ist.  Auch  in  den  Statuten  von  Aix  von  1260 
(D.  C.  sub  biretum  I  664)  hat  biretum  die 
Bedeutung  einer  Untermütze. 


2  Abbildung  bei  Schlie,  Die  Kunst-  und 
Geschichtsdenkmiiler  des  Großherzogtums 
Mecklenburg-Schwerin  I,  Schwerin  1898,  194 
197  205.  Vgl.  auch  S.  215  die  Grabplatte 
des  Propstes  Ludolf  Nygendorp  (1406). 

3  Ebd.  IV  90.  Beisp.  von  1342, 1345,  1349, 
1362  im  Kreuzgang  des  Augsburger  Domes. 


Viertes  Kapitel.     Tiara,  Pileolus,  ßirett. 


513 


wickelt,  im  letzten  Viertel  aber  treten  sie  in  voller  Klarheit  und  Bestimmtheit 
zu  Tage. 

Um  diese  Zeit  begegnen  wir  denn  auch  verschiedenen  Synodalbeschlüssen, 
welche  darauf  dringen,  daß  die  Geistlichen  sich  des  quadratförmigen  Biretts 
als  Kopfbedeckung  innerhalb  wie  außerhalb  der  Kirche  bedienen  sollten. 
Biretum  semper  gerant  in  modum  crucis  consutum,  ut  ecclesiasticos  homines 
decet,  bestimmt  die  Synode  von  Aix  (1585) 1.  Pileum  quadratum  seu  biretum 
semper  gerant  in  ecclesia  et  extra  ecclesiam,  heißt  es  in  den  Synodal- 
beschlüssen der  Synode  von  Bourges  (1584) 2.  Clericale  biretum,  quod  est 
ecclesiasticorum  hominum  proprium ,  ad  crucis  formam  confectam  semper 
gerant,  schreibt  1607  die  Synode  von  Mecheln  vor3.  Was  die  Umgestaltung 
des  Biretts  veranlaßte,  ist  nicht  näher  anzugeben.  Wenn  man  in  den  an- 
geführten und  in  andern  ähnlichen  Verordnungen  die  Vierkantform  mit  der 
Kreuzesgestalt  in  Verbindung  gebracht  findet,  könnte  sich  leicht  der  Gedanke 
aufdrängen,  es  sei  eben  diese  Symbolik  es  gewesen,  welche  den  Wandel 
herbeigeführt  habe.  Allein  eine  solche  Vermutung  wird  durch  die  Wahr- 
nehmung widerlegt,  daß  die  Vierkantform  anfangs  nur  sehr  unmerklich  und 
wie   in   ihren   ersten  Keimen   auftritt,    und  daß  es  eine  fferaume  Zeit  dauert, 


10  II  12  13  14  15  16 

Bild  256.    Übersicht  über  die  Entwicklung  des  Biretts  an  Hand  der  Grabplatten  in  den  Domen 
zu  Augsburg  (A),  Bamberg  (B),  Regensburg  (R)    und  Würzburg  (W). 

1.  A1342;  2.  E  1426;  3.  E  1460;  4.  E  1471;  5.  E  1505;  6.  E  1550;  7.  E  1564;  8.  E  160(5?);  9.  W  144  (?);  10.  B.  1483; 
11.  W  1493;  12.  W  1521;  13.  W  . .  .:  14.  W  1565;  15.  W  1610;  16.  B  1626. 

bis  sich  aus  der  Rundmütze  ein  ausgesprochen  vierkantiges  Birett  heraus- 
gebildet hat.  Immerhin  mag  die  fragliche  Symbolik  auf  die  endgültige 
Fixierung  der  Vierkantform,  namentlich  aber  auf  ihre  Verbreitung  nicht  ohne 
Einfluß  geblieben  sein. 

Da  durch  die  Umgestaltung  des  Biretts  das  Aufsetzen  und  Abnehmen 
desselben  erschwert  worden  war,  begann  man,  um  dem  abzuhelfen,  oben  an 
den  Nahtstellen  drei  oder  vier  niedrige  Erhöhungen  anzubringen.  Ganz  ver- 
einzelt begegnen  uns  solche  schon  beim  Ausgang  der  16.  Jahrhunderts,  doch 
werden  sie  erst  seit  der  Frühe  des  17.  gewöhnlich.  Nur  in  Spanien  bleibt 
das  Birett  ohne  diese  Hörner.  Um  das  Ende  des  16.  oder  den  Beginn  des 
17.  Jahrhunderts  kommt  es  ferner  auf,  das  Birett  statt  mit  einer  Einlage  aus 
steifem  Stoff  mit  einer  solchen  aus  Pappdeckel  zu  versehen.  Das  moderne 
Birett  war  damit  fertig;  seitdem  ist  es  das  straff  mit  Zeug  überzogene 
Pappdeckelgestell,  aus  welchem  oben  drei  oder  vier  bretterartige,  schwibbogen- 
förmige  Aufsätze  hervorwachsen,  die  in  der  Mitte  bei  einer  Quaste  oder  einem 
kleinen  Zipfelchen  zusammentreffen.  Das  18.  Jahrhundert  brachte  dem  Birett 
keine  weitere  Veränderung,  als  daß  es  dieses  vielenorts  zu  einem  mächtigen 
Bau  aufwachsen  ließ,  der  an  Höhe  mit  den  turmartigen  Mitren  derselben 
Zeit  fast  die  Konkurrenz  aufnehmen  konnte. 


1  C.    De    vita    et    honest,    cleric.   (H  a  r  d. 
X  1542). 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


Tit.  25,  c.  5  (ebd.  1486). 
Tit.  8,  c.  4  (ebd.  1958). 


33 


514     Dritter  Abschnitt.  Die  liturg.  Bekleidungsstücke  der  Hände,  der  Füße  u.  des  Kopfes. 

Eine  Illustration  zu  der  ganzen  Entwicklung,  welche  die  klerikale  Kopf- 
bedeckung von  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  bis  zum  Ende  (ies  16.  durch- 
gemacht hat,  bieten  die  Grabplatten  im  Kreuzgang  des  Domes  von  Hildes- 
heim. Bei  Dompropst  Ekhard  von  Hanensee  (f  1460)  und  dem  gleichnamigen 
Kanonikus  (f  1494)  ist  das  Birett  noch  eine  hohe,  weiche  Mütze,  beim  Kanonikus 
Dietrich  von  Alten  (f  1502)  und  dem  Domvikar  Hermann  Berkenvelt  (f  1519) 
macht  sich  schon  die  Vierkantform  in  ihren  Anfängen  bemerkbar,  beim  Dom- 
kantor Kaspar  von  Dechau  (f  1588)  ist  dieselbe  klar  ausgeprägt. 

Noch  instruktiver  bezüglich  der  Umbildung  des  Biretts  sind  die  Grab- 
platten in  den  Domen  zu  Würzburg,  Augsburg  und  Bamberg,  sowie  im 
Dom  und  in  der  Alten  Kapelle  zu  Regensburg.  Hier  treten  uns  nicht  einzelne 
Erscheinungen  aus  dem  Verlauf  des  Prozesses  vor  die  Augen,  es  läßt  sich 
dieser  hier  vielmehr  gleichsam  Schritt  um  Schritt  verfolgen ;  je  mehr  die  Jahre 
vorrücken,  um  so  schärfer  tritt  auch  der  Umwandlungsprozeß  zu  Tage,  so  daß 
man  in  manchen  Fällen  lediglich  aus  der  Form  des  Biretts  bis  auf  das  Jahr- 
zehnt die  Entstehungszeit  der  Grabplatten  bestimmen  kann  (Bild  256,  S.  51B). 

Der  Umbildungsprozeß,  welcher  sich  mit  dem  Birett  im  16.  Jahrhundert 
vollzog,  hat  große  Ähnlichkeit  mit  dem  Wandel,  welcher  vier  Jahrhunderte 
zuvor  bei  der  Mitra  vor  sich  ging.  Hier  wie  dort  bildete  den  Ausgangspunkt 
eine  weiche  Rundmütze,  hier  wie  dort  ist  das  Resultat  eine  steife,  konventionelle 
Kopfbedeckung  von  eigenartiger  Formgestaltung.  Wenn  es  dem  Birett  nicht 
beschieden  war,  sich  so  glanzvoll  zu  entwickeln,  wie  es  die  Mitra  getan  hatte, 
so  lag  das  eben  daran,  daß  es  weder  einen  eigentlich  liturgischen  Charakter 
noch  die  Bedeutung  eines  auszeichnenden  Ornatstückes  besaß,  sondern  ledig- 
lich eine  gewöhnliche  klerikale  Kopfbedeckung  war. 


VIERTER   ABSCHNITT. 

DIE   INSIGNIEN. 

ERSTES  KAPITEL. 

DER  MANIPEL. 

I.    DER  MANIPEL  IN  DER  GEGENWART. 

Hat  der  Priester  die  Albe  gegürtet,  so  legt  er  den  Manipel  an.  Der 
Manipel  ist  ein  streifenförmiges  Ornatstück,  welches,  von  Ende  zu  Ende  ge- 
messen, ca  1  m  lang  ist  und  gedoppelt  so  auf  dem  linken  Arm  getragen  wird, 
daß  zu  beiden  Seiten  eines  der  Enden  herabhängt. 

Die  Breite  des  Manipels  schwankt  zwischen  5  und  10  cm.  Am  breitesten 
pflegt  er  in  Italien  zu  sein ,  während  außerhalb  Italiens  eine  Vorliebe  für 
schmale  Manipel  herrscht.  Es  ist  vielfach  üblich,  den  Manipel  nach  unten 
zu  breiter  werden  zu  lassen.  Solange  sich  die  Zunahme  an  Bi'eite  innerhalb 
gewisser  Grenzen  hält,  läßt  sich  gegen  einen  solchen  Brauch  nichts  einwenden, 
anders  jedoch,  wenn  die  Enden   zu   häßlichen  Schaufeln    ausgebildet  werden. 

Das  Ornatstück  wird  meist  auf  der  Mitte  des  Unterarmes  getragen, 
seltener  in  der  Armbeuge  oder  am  Oberarm.  Die  erste  Tragweise  ist  die 
richtigere  und  bessere.  Denn  sie  entspricht  nicht  nur  den  alten  Traditionen, 
wie  die  Bildwerke  des  Mittelalters  und  der  Renaissance  zu  hunderten  Malen 
beweisen,  sie  ist  auch  die  schönste.  Es  ist  kein  lieblicher  Anblick,  vom  Ellen- 
bogen oder  dem  Oberarm  des  Priesters  einen  Stoffstreifen  in  die  Luft  starren 
oder  krumm  herabhängen  zu  sehen.  Freilich  sagt  man  zur  Verteidigung  dieser 
Tragweise,  sie  sei  die  bequemste,  da  so  der  Manipel  am  wenigsten  dem  Priester 
bei  seinen  Funktionen  hinderlich  sei.  Namentlich  werde  aber  durch  sie  die  Ge- 
fahr vermieden,  daß  das  Ornatstück  mit  dem  hhl.  Sakrament  in  Berührung 
komme.  Allein,  ist  denn  wirklich  der  Manipel  auf  dem  Vorderarm  so  lästig, 
falls  er  gut  befestigt  ist  —  und  die  Befestigung  macht  doch  keine  Schwierigkeit? 
Was  aber  die  erwähnte  Gefahr  anlangt,  so  kann  man  derselben  sehr  leicht 
dadurch  begegnen,  daß  man  dem  Manipel  die  gehörige  Länge  gibt.  Ist  dieser 
nur  etwa  2  ", '  30  cm  lang,  so  ist  allerdings  bei  Mangel  an  Vorsicht  eine 
Berührung  der  heiligen  Spezies  nicht  ganz  ausgeschlossen;  allein  ein  solcher 
Manipel  ist  auch  entschieden  zu  kurz. 

Um  den  Manipel  am  Arm  zu  befestigen  und  sein  Herabfallen  zu  ver- 
hindern, bindet  man  ihn  entweder  mit  zwei  Bändern  fest,  die  an  der  Innenseite 
angenäht  sind,  oder  bildet  durch  Vernähen  des  gedoppelten  Streifens  im  oberen 
Teile  einen  Durchschlupf,  mittels  dessen  man  ihn  an  den  Arm  streift.  Das  An- 
binden des  Manipels  ist  in  Italien  sehr  gebräuchlich.  Man  wendet  es  sogar  auch 
dann  noch  gern  an,  wenn  man  den  Manipel  in  der  angegebenen  Weise  mit 
einem  Durchlaß  versehen  hat.  Eine  in  Frankreich  häufige  Befestigungsweise 
des  Manipels   besteht   darin,   daß   man   in   der  Mitte   desselben  ein  Bändchen 

33* 


516  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

annäht  und  dieses  mit  einer  Nadel  an  der  Albe  festheftet.  Sie  kann  nicht 
als  sehr  praktisch  bezeichnet  werden,  da  das  Einstecken  der  Nadel  der  Albe 
Schaden  bringt. 

Das  römische  Caeremoniale  läßt  den  Diakon  dem  Bischof  den  Manipel 
anbinden1.  Das  Missale  begnügt  sich  mit  der  Bemerkung:  imponit  brachio 
sinistro.  Bei  uns  in  Deutschland  ist  es  wohl  allgemein  Brauch,  den  Manipel 
nur  mittels  eines  Durchschlupfes  an  dem  Arme  zu  befestigen.  Es  ist  die 
einfachste  Weise,  nur  muß  dafür  gesorgt  werden,  daß  der  Durchlaß  nicht 
weiter  sei,  als  eben  nötig  ist,  um  das  Ornatstück  ohne  Mühe  über  den  Ärmel 
der  Albe  schieben  zu  können2. 

Zum  Manipel  sollten  stets  nur  seidene  oder  halbseidene  Stoffe  ver- 
wendet werden.  Was  die  Farbe  anlangt,  muß  er  sich  wie  Stola  und  Kasel 
nach  der  Tagesfarbe  richten,  da  auch  für  ihn  der  liturgische  Farbenkanon  gilt. 

Der  Manipel  ist  nach  dem  Brauch  der  letzten  Jahrhunderte  regelmäßig 
mit  drei  Kreuzen  versehen,  davon  eines  in  der  Mitte,  die  beiden  andern  an  den 
Enden.  Notwendig  sind  drei  Kreuze  nicht.  Eines,  das  Kreuz  in  der  Mitte, 
darf  aber  nicht  fehlen.  Denn  wenn  das  römische  Missale  den  Priester  an- 
weist: Sacerdos  accipit  manipulum,  osculetur  crucem  in  medio  et  imponit 
brachio  sinistro,  so  setzt  das  offenbar  voraus,  daß  wenigstens  ein  Kreuz,  und 
zwar  mitten  auf  dem  Manipel,  angebracht  sei.  Außer  mit  den  genannten 
Kreuzen  kann  das  Ornatstück  übrigens  auch  noch  mit  Stickereien  verziert 
werden,  nur  muß,  wie  übrigens  selbstverständlich,  dabei  sein  Farbencharakter 
und  darum  seine  Grundfarbe  genügend  gewahrt  bleiben.  An  den  Enden 
pflegt  der  Manipel  mit  Fransen  geschmückt  zu  werden. 

Der  Manipel  kommt  vom  Subdiakon  an  aufwärts  allen  Weihestufen 
zu.  Er  wird  dem  Subdiakon  vom  Bischof  bei  der  Subdiakonatsweihe  unter 
den  Worten:  „Nimm  hin  den  Manipel,  das  Sinnbild  der  Frucht  guter  Werke, 
im  Namen  des  Vaters"  usw.,  an  den  linken  Arm  gelegt  und  bildet  das  spe- 
zifische Amtsabzeichen  desselben.  Mag  es  daher  auch  dem  Minoristen,  welcher 
gelegentlich  bei  der  feierlichen  Messe  die  Dienste  eines  Subdiakons  zu  ver- 
sehen hat,  erlaubt  sein,  sich  dabei  der  subdiakonalen  Tunicella  zu  bedienen, 
den  Manipel  zu  tragen,  ist  ihm  durchaus  nicht  gestattet 3. 

Zum  Pluviale  darf  der  Manipel  nach  der  ausdrücklichen  Bestimmung 
des  römischen  Missale  nicht  gebraucht  werden  4.  Er  ist  wie  die  Kasel  Mefi- 
parament  im  eigentlichen  Sinne.  Der  Priester,  der  Diakon  und  Subdiakon 
bedienen  sich  seiner  fast  nie  anders  als  bei  der  Opferfeier.  Eine  nur  schein- 
bare Ausnahme  bilden  die  Karfreitagszeremonien.  Auch  kann  es  kaum  als 
wirkliche  Ausnahme  betrachtet  werden,  wenn  die  bei  der  Ölweihe  assistierenden 
zwölf  Priester,  sieben  Diakone  und  sieben  Subdiakone  den  Manipel  tragen  5 ; 
denn  das  geschieht  wohl  mit  Rücksicht  auf  die  Messe,  in  welcher  die  Weihe 
der  heiligen  Öle  statthat,  und  jene  Priester,  Diakone  und  Subdiakone  als 
Assistenten  des  Bischofs  auftreten.  Wenn  aber  der  Diakon  und  Subdiakon 
das  Ornatstück  auch  bei  einigen  Gelegenheiten  außerhalb  der  Messe  ge- 
brauchen, bei  denen  sie  die  Epistel  bzw.  das  Evangelium  zu  singen  haben  (wie 
z.  B.  bei  der  Palmenweihe  am  Palmsonntag),  so  hat  das  seinen  Grund  in  dem 
Umstand,    daß    die  Absingung   von   Epistel   und   Evangelium   eine   spezifisch 


1  L.  2,  c.  8,  n.  32.  3  C.  R.  17.  Juli  1894  (Decret.  auth.  3832) ; 

2  Näheres     über    die    Beschaffenheit     des  10.   März   1906    (Anal.    eccl.   1906,   IV  166). 
Manipels  und  die  Befestigungsvorrichtung  in  4  Rubricae  generales  tit.  19,  n.  4. 
Braun,  Winke  37  f.  6  Pontificale  rom.  p.  III,  De  off.  in  fer.  V  C.  D. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  517 

subdiakonale  bzw.  diakonale  Funktion  und  deshalb  die  Verwendung  der  vollen 
Amtstracht  bei  ihr  durchaus  am  Platze  ist.  Ähnlich  verhält  es  sich  am  Kar- 
samstag  mit  der  Absingung  des  Osterpräkonium  durch  den  Diakon.  Bei  Pro- 
zessionen, der  Spendung  der  heiligen  Sakramente  und  den  Benediktionen  wird 
der  Manipel  nie  getragen,  ausgenommen  die  Erteilung  der  heiligen  Weihen  und 
die  Ölsegnung,  weil  diese  vom  Bischof  in  Verbindung  mit  der  Messe  vollzogen 
werden.  Bei  der  Verehrung  des  heiligen  Kreuzes  am  Karfreitag  und  bei  der 
Vornahme  der  Absolutio  am  Katafalk  müssen  Priester  und  Ministri  ebenfalls 
ohne  Manipel  sein,  weshalb  sie  ihn  vor  diesen  Akten  abzulegen  haben  K 

Diakon  und  Sübdiakon  ziehen  den  Manipel  an  letzter  Stelle,  also  nach  der 
Dalmatik  bzw.  Tuniceila  an,  und  zwar  erst,  nachdem  sie  dem  Celebrans  beim 
Ankleiden  geholfen  haben.  Ausdrücklich  vorgeschrieben  ist  das,  wie  aus 
dem  Caeremoniale  für  die  Bischöfe  hervorgeht 2,  bei  der  Vorbereitung  für  das 
Pontifikalamt.  Nach  dem  Amt  entledigen  sich  die  Ministri  zunächst  des  Ma- 
nipels,  der  übrigen  Gewänder  aber  erst,  nachdem  sie  dem  Celebrans  beim 
Auskleiden  behilflich  waren. 

Dem  Bischof  legt  der  Sübdiakon  am  Altare  den  Manipel  an,  welchen  er 
im  Evangelienbuch  dorthin  gebracht  hat,  und  zwar  nach  dem  auf  das  Sünden- 
bekenntnis folgenden  Indulgentiam. 

II.    NAMEN  DES  ORNATSTÜCKES. 

Das  liturgische  Gewandstück,  welches  wir  jetzt  mit  dem  Namen  Manipel 
bezeichnen,  wurde  ehedem  auch  mappula,  sudarium,  mantile,  fano,  manuale 
und  sestace  genannt. 

Bis  zum  Beginn  des  zweiten  Jahrtausends  führte  es  vorherrschend  den 
Namen  mappula.  Mappula  ist  das  Diminutiv  von  mappa.  Mit  mappa  be- 
zeichnete man  im  klassischen  Latein  ein  Tuch,  dessen  man  sich  bei  Tisch 
zum  Abputzen  des  Mundes  und  der  Hände  bediente,  also,  wie  wir  sagen 
würden,  eine  Serviette.  Außerdem  verstand  man  unter  mappa  das  Tuch, 
womit  seitens  des  Kaisers,  des  Konsuls  oder  Prätors  bzw.  ihrer  Vertreter  das 
Zeichen  zum  Beginn  der  öffentlichen  Spiele  gegeben  wurde  (vgl.  Bild  139, 
S.  300) ;  namentlich  sehen  wir  die  Mappa  in  diesem  Sinne  fast  regelmäßig 
auf  den  Konsulardiptychen   in  der  Rechten  des  Konsuls  (Bild  257,  S.  518) 3. 

Mappula  kommt  nur  im  nachklassischen  Latein  vor.  Eine  ausschließ- 
liche Bedeutung  hat  darin  das  Wort  nicht.  Es  bezeichnet  bald  ein  Hals-  bzw- 
Schultertuch,  bald  ein  Schweißtuch,  bald  ein  Tuch,  das  zur  Umhüllung  eines 
Gegenstandes  dient,  bald  eine  Art  von  Baldachin,  bald  endlich  den  liturgischen 
Manipel.  Immer  liegt  ihm  der  generelle  Begriff  „Tuch"  zu  Grunde4.  Als 
Name  des  Manipels  erscheint  mappula  z.  B.  im  1.  und  3.  römischen  Crelo,  bei 
Hraban,  Walafried  Strabo,  Pseudo-Alkuin,  Riculf  von  Soissons  und  sonst.  Auch 
in  den  Sakramentaren,  Pontifikalien,  Missalien  und  Schatzverzeichnissen 3  kommt 
das  Wort  in  diesem  Sinne  häufig  vor.  Mappula  war  die  eigentlich  römische 
Bezeichnung  des  Ornatstückes.  Seit  der  Wende  des  ersten  Jahrtausends  ver- 
liert sich  der  Name  mappula  in  der  Bedeutung  von  Manipel  allmählich;  im 
späteren  Mittelalter  ist  er  in  diesem  Sinne  eine  seltene  Erscheinung. 


1  C.  R.  15.  Sept.  1736  (Decrefc.  autli.  2326).  4  D.  C.  sub  mappula  V  255  f. 

2  L.  2,  c.  8,  n.  32.  5  Vgl.    z.    B.    die    Inventare    von    Monza 

3  Vgl.  über  mappa  und  mappula  For cell,  (ca  900),  St  Gallen   (11.  Jahrh.),  Paderborn 
III  29  und  D.  C.  sub  mappa  V  255.  (1031),  Speier  (1051),  Trier  (1238)  u.  a. 


518 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Das  Wort  fano  (phanö,  fanon,  fanum,  favo,  wie  wir  es  auch  ge- 
schrieben finden),  zusammenhängend  mit  unserem  „Fahne",  dem  althoch- 
deutschen   fano,    dem    mittelhochdeutschen    van,    dem    angelsächsischen    und 

gotischen  fana,  dem  lateinischen  pannus  (Tuch, 
Gewebe)  und  dem  griechischen  rfrjvoQ  (Faden  des 
Einschlags,  Gewebe,  Gewand),  kommt  bei  den 
Liturgikern  und  in  liturgischen  Schriften  in 
mehrfachem  Sinne  vor.  Es  bezeichnet  das 
Oblationsvelum,  mittels  dessen  man  die  Opfer- 
gaben darbrachte,  das  Korporale,  den  päpst- 
lichen Amikt  (Orale)  und  besonders  den  Ma- 
nipel,  mittelhochdeutsch  hantfane,  hantfan, 
hantfano  1.  Als  Name  des  Manipels  begegnet 
uns  fano  zum  erstenmal  bei  Hraban.  Etwas 
später  finden  wir  das  Wort  in  gleichem  Sinne 
in  der  „Synodalermahnung":  Nemo  cantet 
missam  .  .  .  sine  fanone,  sowie  auch  bei  liegin o 
von  Prüm  2.  Im  12.  Jahrhundert  treffen  wir 
fano  in  der  Bedeutung  von  „Manipel"  bei 
Honorius,  bei  Robert  Paululus  und  Sicard  von 
Cremona  an.  In  den  Sakramentaren  und  Ponti- 
fikalien  kommt  der  Name  nur  selten  vor,  so 
z.  B.  in  Vat.  lat.  7231  und  einem  Missale  von 
Stablo 3 ;  um  so  häufiger  ist  er  bis  in  das 
späte  Mittelalter  in  den  Schatzverzeichnissen, 
besonders  in  Inventaren  aus  Deutschland.  Man 
vergleiche  z.  B.  die  Schenkung  Emhildas  von 
Milz  (800),  Madalwins  von  Passau  (903),  die 
Inventare  von  Lamspringe  (10.  Jahrh.),  Pfäffers 
(10.  Jahrh.),  Prüm  (1003),  St  Georg  zu  Köln 
(ca  1100),  Bamberg  (1127)  u.  a.  In  Spanien 
scheint  der  Name  wenig  verbreitet  gewesen 
zu  sein;  er  kommt  hier  in  den  Inventaren 
nur  sehr  selten  vor4.  In  England  finden  wir 
ihn  noch  im  Inventar  der  Kathedrale  von  York 
von  1500.  In  Frankreich  ging  fano  als  fanon 
in  die  Volkssprache  über.  Der  Manipel  führt 
diesen  Namen  in  den  französisch  abgefaßten 
Schatzverzeichnissen  schon  wenigstens  seit  der 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts,  wie  z.  B.  die  In- 
ventare von  Cambrai  (1359)  und  Fecamp 
(1362  —  1375)  bekunden,  und  behält  ihn  in  den- 
17.  Jahrhunderts.    Treffen  wir  ihn  beispielsweise 


iyfc._.|.jy^ii...j.uL 


Bild  257.     Anonymes  Konsular- 
diptychon.     Eom,  Museo  Barberim. 


selben  bis  um  die  Mitte  des 

doch  noch  im  Inventar  von  Angers  von  1643  an. 

Sudarium,  Schweißtuch,  heißt  der  Manipel  bei  Amalar,  Honorius  u.a. 
Mantile,  manuale  und  sestace  sind  nur  vereinzelt  vorkommende  Benennungen 
des  Manipels. 


«Grimm    III    1241;    IV  2    386.     Graf, 
Althochdeutscher  Sprachschatz  III  522. 
2  De  discipl.  eccl.  1.  1,  can.  80  (M.  132,  207). 


3  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  15;  I  210. 
1  Vgl.  z.  B.  das  Inventar  von  S.  Benito  zu 
Baga  (Diözese  Vieh)  von  972. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


519 


Mantile  bezeichnete  im  klassischen  Latein  ein  Tischtuch,  aber  auch,  wie 
mappa,  die  Serviette.  Als  Name  des  Manipels  treffen  wir  das  Wort  bei  Hraban 
und  im  Inventar  von  Enger  (11.  Jahrh.).  Die  Bezeichnung  manuale,  „etwas 
zur  Hand  Gehöriges",  begegnet  uns  in  Aelfrics  angelsächsischem  Glossar1,  den 
Gesta  der  Bischöfe  von  Auxerre 2  und  den  Schatzverzeichnissen  von  St  Peter 3. 

Eine  höchst  eigenartige  Benennung  des  Manipels  ist  s  e  s  t  a  c  e.  Sie 
findet  sich  nur  im  St  Gallener  Kleiderverzeichnis.  Daß  unter  der  in  ihm  ge- 
nannten sestace  bloß  der  Manipel  und  kein  anderes  Ornatstück  verstanden 
werden  kann,  bedarf  keines  Nachweises.  Es  ist  uns  gelungen,  den  Ursprung 
des  Wortes  nachzuweisen,  welches  bislang  eine  Deutung  nicht  hatte  finden 
können.  Sestace  ist  ein  ins  Vulgärarabische  eingedrungenes  persisches  Lehn- 
wort und  mit  dem  arabo-persischen  schuschtudsche,  schustadsche  eins.  Schusch- 
tudsche  bedeutet  nach  Wahrmunds  neuarabischem  Lexikon:  Handtuch,  schus- 
tadsche nach  Vullers  Lexicon  persico-latinum :  linteum  quo  abstergitur  (Ab- 
putztuch), mantile  (Serviette),  sudarium  (Schweißtuch) i.  Schwer  erklärlich 
ist,  wie  das  persische  sestace  im  10.  Jahrhundert  zum  Namen  des  Manipels 
hat  werden  können.  Ob  es  auf  dem  Wege  des  Kaufhandels  mit  persischen 
Stoffen  ins  Abendland  kam,  oder  ob  der  Schreiber  des  Ordo  ein  Orientale 
von  Geburt  war?  Für  das  letzte  dürfte  namentlich  der  Umstand  sprechen, 
daß  es  um  das  Ende  des  9.  Jahrhunderts  tatsächlich  zu  St  Gallen  Mönche 
gab,  die  aus  dem  Osten  stammten.  Es  ergibt  sich  das  aus  Notkers  (f  912) 
Brief  an  Lambert,  worin  er  diesem  einen  Gruß  von  den  Ellinici  fratres  über- 
mittelt: Salutant  te  Ellinici  fratres5.  Überhaupt  fehlte  es  zur  Karolingerzeit 
im  Westen  keineswegs  an  orientalischen  Mönchen.  Berichtet  doch  Thegan 
in  der  Vita  Ludwigs  d.  Fr.  ausdrücklich,  Karl  habe  die  Evangelien  mit  Hilfe 
von  Griechen  und  Syrern  verbessert 6. 

Das  älteste  Dokument,  in  dem  uns  der  Name  manipulus  begegnet,  ist 
die  Schenkungsurkunde,  in  welcher  Adelgaster,  Sohn  des  Königs  Silo  von 
Asturien,  um  790  außer  andern  Paramenten  auch  6  stolas  und  5  manipulos 
dem  Kloster  Obona  Übermacht7.  Im  10.  Jahrhundert  treffen  wir  ihn  in  der 
Dotation  des  Salvatorklosters  zu  Lerez  (ca  916),  im  Testament  Pticulfs  von 
Eine  (f  986),  einem  Sakramental-  von  Tours8,  dem  Sakramentar  Eatolds 
von  Corbie  (f  986),  dem  sog.  Pontifikale  Egberts  von  York  sowie  dem  Sakra- 
mentar von  Moyssac,  falls  die  beiden  letzteren  nicht  etwa  nach  1000  an- 
zusetzen sind  9,  dem  Inventar  von  Cremona  (984)  u.  a.     Dann  wird  der  Name 


1  Zupitza,  Aelfrics  Grammatik  und  Glos- 
sar, Berlin  1880,  314,  wo  manualis  handlin, 
Handlinnen,  Handtuch  bedeutet. 

2  Gesta  episc.  Autiss.  c.  49  (M.  138,  277). 

3  So  im  Inventar  von  St  Peter  (M  ü  n  t  z 
e  Frothingham,  II  tesoro  12  48).  Vgl. 
auch  D.  C.  sub  manuale  2 ;  V  237. 

4  Nach  gütigen  Mitteilungen  des  P.  Franz 
Zorell  S.  J. 

5  M.  131,  1172. 

6  C.  7  (M.  G.  SS.  II  592).  Vgl.  auch 
B  eissei ,  Gesch.  der  Evangelienbücher  163 f. 

■>  Ann.  O.  S.  B.  1.  25,  §  53,  ad  a.  785 ;  II  255. 

8  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  7;  I  193. 
Das  ebd.  unter  ordo  5  angeführte  Sakramen- 
tar von  St-Denis  gehört  nach  D  e  1  i  s  1  e, 
Mem.  289,  dem  11.  Jahrhundert  an. 


0  Die  drei  letztgenannten  Codices  befinden 
sich  in  der  Pariser  Nationalbibliothek  f.  lat. 
2293  12  052  10  575.  Der  unter  dem  Namen 
Egbert-Pontifikale  bekannte  Kodex  stammt 
nicht  aus  dem  8.  Jahrhundert,  sondern  ist 
die  erst  im  10. ,  wenn  nicht  noch  später 
entstandene  ,  teilweise  interpolierte  Kopie 
einer  älteren  Vorlage.  Die  Rubrik  :  et  tradat 
ei  .  .  .  manipulum,  ist  ein  Zusatz  des  Kopisten. 
Dasselbe  gilt  von  der  späteren ,  durch  ver- 
schiedene Benediktionsformulare,  die  nicht  an 
die  betreffende  Stelle  gehören,  von  den  Weihe- 
gebeten der  Subdiakonatsweihe  getrennte 
Notiz :  Deinde  donet  ei  manipulum.  Ein  Ab- 
druck des  Weiheordo  aus  dem  sog.  Egbert- 
Pontifikale  findet  sich  bei  Mart.  1.  1,  c.  8, 
art.  11,  ordo  2;  II  34. 


520  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

manipulus  rasch  allgemeiner.  Im  12.  Jahrhundert  herrscht  er  bereits  bei 
weitem  vor,  namentlich  aber  in  den  liturgischen  Büchern.  Insbesondere  adop- 
tierte man  ihn  statt  der  alten  Bezeichnung  mappula  auch  zu  Rom,  wie  z.  B. 
aus  Innozenz  III.  und  dem  13.  Ordo  erhellt.  Im  14.  Jahrhundert  kommen  die 
sonstigen  Benennungen  unseres  Gewandstückes  nur  noch  vereinzelt  vor. 
Namentlich  aber  wird  man  sie  um  diese  Zeit  in  den  Missalien  und  Ponti- 
fikalien  nur  mehr  selten  antreffen.  Im  15.  Jahrhundert  heißt  unser  Gewand 
fast  allgemein  manipulus,  selbst  —  nur  Frankreich  ausgenommen  —  in  der 
Volkssprache,  welche  doch  sonst  mit  aller  Zähigkeit  die  alteinheimischen 
Namen  festzuhalten  pflegt.  Die  Aufnahme  des  Wortes  ins  römische  Missale 
war  daher  nur  die  Besiegelung  des  offiziellen  Charakters,  den  es  sich  schon 
eine  geraume  Weile  vorher  errungen  hatte. 

Das  Wort  manipulus  bezeichnet  im  klassischen  Latein  ursprünglich  wohl 
eine  „Handvoll",  dann  einen  Bund  von  Heu,  Gras,  Getreide  und  weiterhin 
eine  Abteilung  von  Fußsoldaten,  eine  Kompanie  1.  Da  der  liturgische  Manipel 
anfänglich,  wie  aus  dem  Folgenden  hervorgeht,  ein  Tuch  war,  das  man  zu- 
sammengefaltet in  der  Hand  trug,  erklärt  es  sich  leicht,  wie  er  zu  seinem 
Namen  kam. 

Auch  die  Namen  der  liturgischen  Gewänder  haben  ihre  Geschichte,  wie 
man  auch  hier  wieder  sieht.  Es  ist  aber  nicht  bloß  interessant,  den  Um- 
wandlungsprozeß zu  verfolgen,  sondern  auch  nützlich,  da  die  Benennung  ja 
oft  auf  den  Charakter  und  die  Beschaffenheit  eines  Gewandstückes  einen  Licht- 
strahl wirft.  Außerdem  machen  wir  auch  beim  Manipel  die  bemerkenswerte 
Wahrnehmung,  daß  sich  Born  zwar  in  Bezug  auf  die  liturgische  Gewandung, 
nicht  aber  in  gleichem  Maße  hinsichtlich  deren  Benennung  gebend  verhielt. 
Die  römische  Bezeichnung  mappula  hat  sich  nicht  einbürgern  können.  Im 
Gegenteil  hat  der  außerrömische  Name  manipulus  zuletzt  selbst  in  Rom  Ein- 
gang gefunden  und  die  althergebrachte  Benennung  mappula  völlig  aus  dem 
Gebrauch  verdrängt. 

III.    DER  MANIPEL  SEIT  DER  KAROLINGERZEIT. 

Im  9.  Jahrhundert  erscheint  die  Mappula  in  aller  Klarheit  als  fester 
Bestandteil  der  priesterlichen  (pontifikalen),  der  diakonalen  und  subdiakonalen 
Sakralgewandung. 

Als  priesterliches  Ornatstück  begegnet  sie  uns  in  dem  1.  und  3.  Ordo, 
im  S.  G.  K.,  bei  Hraban,  Amalar,  Walafried  Strabo,  Pseudo-Alkuin  und  Regino 
von  Prüm,  in  der  Synodalermahnung  und  den  Statuten  Riculfs  von  Soissons. 
Nullus  cantet  missam  .  .  .  sine  fanone,  hörten  wir  z.  B.  bereits  die  „Synodal- 
ermahnung" sagen. 

Von  der  Mappula  der  Diakone  ist  seltener  die  Rede.  Ausdrücklich 
spricht  von  ihr  Amalar.  Hrabanus  erwähnt  sie,  wie  es  scheint,  nicht.  Zwar 
bemerkt  er:  Oportet  ergo  sacerdotes  et  ministros  altaris  mappulas  mani- 
bus  tenere,  quorum  officium  est,  divina  sacramenta  conficere,  ut  cum  devotione 
mentis  opus  spontaneum  concordet  (et)  digne  exerceatur  officium,  quod  pie 
divino  est  munere  collatum  2,  allein  er  scheint  nach  dem  Zusammenhang  unter 
jenen  ministros  altaris  die  Bischöfe  zu  verstehen,  die  ja  als  sacerdotes  auch 
die  ministri  altaris  sind.  Denn  seine  ganzen  übrigen  Ausführungen  über  die 
liturgischen  Gewänder  gelten  nur  der  bischöflichen  Kleidung.     In  dem  ].,  2. 


1  Forcell.  III  24.  '  De  instit.  cleric.  1.  1,  c.  18  (M.  107,  307). 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


521 


und  3.  römischen  Orclo  heißt  die  diakonale  Mappula  offertorium  l.  Der  Diakon 
benutzte  das  offertorium  nach  den  genannten  Ordines,  um  mittels  desselben 
den  Kelch  anzufassen,  wenn  er  ihn  zur  Konsekration  zubereitet  hatte  und  auf 
den  Altar  stellte ,  sowie  auch ,  wenn  er  ihn  nach  der  Wandlung  erhob  und 
dem  Volke  zeigte.  Diese  Angabe  ist  von  der  größten  Wichtigkeit,  da  sie 
bestimmt  beweist,  daß  das  offertorium  nichts  anderes  ist  als  die  diakonale 
Mappula.  Bei  Amalar,  der  in  Rom  eigene  Studien  über  den  römischen  Ritus 
gemacht  hatte  und,  wie  aus  der  zweiten  Vorrede  zu  seiner  Schrift  De  ec- 
clesiasticis  officiis  hervorgeht,  gerade  in  dem  uns  hier  beschäftigenden  Punkte 
den  römischen  Brauch  genau  wiedergibt,  hält  nämlich  der  Diakon  bei  jenen 
Gelegenheiten  den  Kelch  mit  seinem  Sudarium 2.  Unter  diesem  Sudarium 
versteht  der  Metzer  Diakon  aber  unsere  Mappula 3.  Wegen  der  Identität 
von  offertorium  und  sudarium  bzw.  mappula  sagt  darum  auch  der  2.  Ordo 
Mabillons  ganz  zutreffend ,  es  solle  der  Diakon  die  Henkel  des  Kelches  ein- 
hüllen offertorio  suo,  mit  seinem 
offertorium.  Im  St  Gallener  Kleider- 
verzeichnis scheint  der  Diakon  der 
Mappula  zu  entbehren.  Denn  wäh- 
rend nach  derselben  alle  andern 
Kleriker  mit  der  sestace  ausgerüstet 
sind,  fehlt  diese  dem  Diakon.  Statt 
dessen  wird  ihm  ein  brachiale  zu- 
gelegt: brachiale  in  manu  dexü'a. 
Es  liegt  jedoch  nahe,  unter  diesem 
brachiale  die  subdiakonale  Mappula 
zu  verstehen.  Daß  diese  Angabe 
in  der  Tat  richtig  ist,  ergibt  sich 
aus  dem  9.  Ordo  Mabillons,  wo 
auch  die  Mappula  des  Bischofs 
brachiale  heißt1.  Wir  müssen  im 
Auge     halten ,     daß    wir     uns    im 

9.  Jahrhundert    in    einer    Zeit    be- 
finden,  in   welcher   sich  noch   kein 
einheitlicher     terminus     technicus 
gestaltet  hatte. 

Bestätigt  wird  die  Tatsache,  daß  auch  den  Diakonen  die  Mappula  zu- 
stand, durch  Bildwerke  des  9.  Jahrhunderts.  Wir  weisen  hier  besonders  hin 
auf  die  Darstellungen  von  Diakonen  auf  einer  der  Schmalseiten  des  herrlichen 
Palliotto  in  S.  Ambrogio  zu  Mailand  (Bild  258).     Treffliche  Beispiele  aus  dem 

10.  Jahrhundert  liefert  der  1827  im  Grabe  des  hl.  Cuthbert  in  der  Kathe- 
drale zu  Durham  aufgefundene  Manipel,  welchen  Königin  Elflaed,  Gemahlin 
Eduards  d.  Ä.  (f  vor  916),  für  Bischof  Frithestan  von  Winchester  laut  der 
eingestickten  Inschrift  anfertigen  ließ 5,  sowie  eine  Miniatur  des  noch  dem 
10.  Jahrhundert  entstammenden  Tropars  von  Prüm  in  der  Pariser  National- 
bibliothek (vgl.  Bild  121,  S.  262). 


Bild  258.    Relief  vom  Palliotto.  Mailand,  S.  Ambrogio. 
(Phot.  Alinari.) 

für    den     liturgischen     Manipel     heraus- 


1  Ordo  1,  n.  15  16;  ordo  2,  n.  9  10;  ordo  3, 
n.  14  15  (M.  78,  944  945  973  974  981). 

2  Rraef.    altera    (M.   105,    992);   De    eccl. 
offic.  1.  3,  c.  19  26  (ebd.  1131  1144). 


»  De  eccl.  offic.  1.  2,  c.  24  (ebd.  1099). 
4  N.  4  (M.  78,  1006). 

6  Abbildung  bei  Roh.  pl.  dxxxi.  Vgl.  jedoch 
unten  S.  532,  Aura.   1. 


522  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Auffallend  ist,  daß  nicht  nur  Johannes  von  Avranches  1,  sondern  auch 
Gilbert  von  Limerick 2  bei  Aufzählung  der  liturgischen  Gewänder  der  Diakone 
die  Mappula  ganz  unerwähnt  läßt.  Von  einem  Versehen  kann  bei  beiden  wohl 
kaum  die  Rede  sein.  Es  scheint  demnach,  als  ob  der  Manipel  zu  ihrer  Zeit 
bei  den  Diakonen  nicht  überall  zur  Verwendung  gekommen  wäre. 

Die  erste  Nachricht  über  den  Manipel  der  Subdiakone  gibt  der 
St  Gallener  Katalog.  Um  dieselbe  Zeit,  d.  i.  im  9.  Jahrhundert,  kommt  das 
Ornatstück  aber  auch  schon  auf  einer  Miniatur  im  Cod.  B  25  2  der  Valli- 
celliana  zu  Rom  bei  dem  Subdiakon  Juvenianus  vor  (vgl.  Bild  125,  S.  267). 
Juvenianus  trägt  in  der  linken  Hand  einen  Manipel  in  Form  eines  ganz  kurzen, 
schmalen  Streifens. 

Wie  es  die  Subdiakone  im  9.  Jahrhundert  außerhalb  Roms  mit  dem 
Gebrauch  des  Manipels  hielten,  läßt  sich  nicht  feststellen.  Jedenfalls  muß 
sich  dieser  dort,  wenn  solches  nicht  schon  vorher  geschehen  war,  spätestens 
gegen  das  Ende  des  Jahrtausends  bei  denselben  eingebürgert  haben,  d.  i.  also 
um  die  Zeit,  da  man  anfing,  dem  Subdiakonat  eine  höhere  Bedeutung  bei- 
zumessen und  sich  dessen  Aufnahme  unter  die  höheren  Ordines  vorbereitete. 
Wenn  Johannes  von  Avranches  und  Gilbert  von  Limerick  den  Manipel  nicht 
zur  Gewandung  der  Diakone,  sondern  nur  zu  derjenigen  der  Subdiakone 
zählen,  so  mag  der  Grund  hierfür  darin  zu  suchen  sein,  daß  sie,  wie  sie  die 
Stola  als  diakonales  Abzeichen  betrachten,  so  den  Manipel  als  Charakteristikum 
des  subdiakonalen  Ordo  auffassen. 

Eigentümlicherweise  waren  um  den  Ausgang  des  9.  bzw.  den  Beginn 
des  10.  Jahrhunderts  zu  Rom  auch  die  Akolythen  mit  der  Mappula  aus- 
gestattet. Denn  das  St  Gallener  Kleiderverzeichnis  nennt  unter  ihren  litur- 
gischen Gewändern  ausdrücklich  die  sestace.  Im  Unterschied  von  den  Sub- 
diakonen  trugen  sie  indessen  das  Tuch  nicht  in  der  Hand,  sondern  am  Gürtel: 
sestace  in  sinistra  latera  (sie)  ad  cingulum.  Wie  lange  sich  der  Manipel  zu  Rom 
bei  den  Akolythen  erhielt,  läßt  sich  nicht  näher  nachweisen.  Desgleichen  ist 
unsicher,  ob  er  sich  hie  und  da  auch  außerhalb  Roms  bei  denselben  ein- 
bürgerte; doch  scheint  es  fast,  als  ob  dem  so  gewesen  sei.  Denn  im  11.  Jahr- 
hundert wurde  mehrfach  behauptet,  es  sei  der  Manipel  ein  Ornatstück,  das 
wie  Amikt  und  Albe  allen  gemeinsam  sei3. 

Diese  Ansicht  scheint  insbesondere  von  den  Mönchen  gepflegt  worden  zu  sein. 
„In  den  Klöstern  der  Mönche",  sagt  Lanfrank,  „tragen  sogar  die  laici  (Laienbrüder, 
nicht  Laien  im  gewöhnlichen  SinneJ,  wenn  sie  Alben  anziehen,  nach  alter  Einrichtung 
der  Väter  den  Manipel." 

In  der  Tat  hören  wir  von  Eupert  von  Dentz,  daß  bei  ihnen  an  Pesttagen  alle, 
die  im  Chor  psallierten,  alt  und  jung,  in  Alben  und  Manipeln  erschienen  ».  Auch 
ein  Ordinarium  des  12.  Jahrhunderts  bei  Gerbert 5  liefert  eine  Bestätigung  der  Worte 
Lanfranks.  Denn  wenn  darin  für  Maria  Lichtmeß  die  Weisung  erteilt  wird :  In  hac 
die  neque  fanones  neque  cappae  alicui  dantur,  exceptis  iis,  qui  in  presbyterio  (Altar- 
raum, im  Gegensatz  zum  Baum,  wo  der  Chor  gehalten  wurde)  famulantur,  qui  tantum 
inf'ra  missam  fanonibus  utuntur ,  und  betreffs  der  Messe  des  Palmsonntags  gesagt 
wird:  Infra  hane  missam  fratres  communiter  albis  induuntur,  sed  absque  fanonibus, 
so   setzt   das  voraus ,    daß   an    andern  Festtagen   alle  fratres  mit  einem  Manipel  aus- 


1  De  eccl.  offic.  (M.  147,  32).  3  Lanfranci   Ep.  13  ad  Ioan.  Rotomag. 

2  De  statu  eccl.  (M.  159,  999).  Vgl.  auch  den  (M.  150,  520). 

gegen  1000  entstandenen  6.  Ordo  Mabillons  »  De  offic.  div.  1.  2,  c.  23  (M.  170,  54). 

n.  1  (M.  78,  989)  und  Rupert.,  De  offic.  div.  D  Liturgia  atemannica  I  238.   Marl,  Mon. 

1.  1,  c.  33  (M.  170,  29).  1.  4,  c.  1,  n.  38;  II  199). 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  523 

gerüstet  am  Gottesdienste  teilnahmen.  Daß  zu  Cluny  diese  Sitte  herrsehte,  ergibt 
sich  aus  einem  Dialog  zwischen  einem  Climiacenser  und  einem  Cistercienser,  in 
welchem  letzterer  es  einen  Raub  an  den  Armen  nennt,  daß  die  Mönche  von  Cluny  für 
unnötige  und  überflüssige  Dinge  Ausgaben  machten,  sieut  sunt  albae  et  manipuli,  quibus  a 
minimo  usque  ad  supremum  tarn  conversi  quam  monachi  in  diebus  festis  induuntur  l. 
Aber  auch  sonst  blieb  der  Brauch  nicht  ohne  Widerspruch.  So  verordnete  das 
Konzil  von  Poitiers  vom  Jahre  1100  in  seinem  5.  Kanon:  Ut  nemo  monachorum 
deinceps  manipulis  utatur,  nisi  fuerit  subdiaconus  ordinatus  2.  Allein  noch  zu  de  Verts 
Zeiten  war  es  zu  Cluny  üblich,  dafs  die  Chorknaben  Albe  und  Manipel  trugen s,  kraft 
eines  Privilegiums,  wie  man  glaubte.  Ein  eigenartiger  Brauch  war  es,  wenn  den 
Kartäuserinnen  bei  ihrer  Benediktion  der  Manipel  an  den  linken  Arm  gelegt  wurde 4. 
Es  ist  das  bekanntlich  eine  Zeremonie,  welche  bei  der  Weihe  des  Subdiakons  statthat. 

Die  Liturgiker  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  besprechen  in  der  Regel 
nur  die  liturgische  Gewandung  der  Priester  und  Bischöfe;  höchstens  daß  sie 
gelegentlich  des  einen  oder  andern  Gewandstückes  der  übrigen  Ordines  ge- 
denken. Eingehender  handeln  von  deren  Sakraltracht  bloß  Honorius,  Sicard 
von  Cremona  und  Durandus.  Honorius  erwähnt  ausdrücklich  und  bestimmt 
nur  den  Manipel  der  Subdiakone;  über  die  Verwendung  desselben  seitens 
der  Diakone  spricht  er  sich  nicht  direkt  aus.  Dagegen  lassen  Sicard5  und 
Durandus6  keinen  Zweifel  daran,  daß  der  Manipel  zu  ihrer  Zeit  sowohl  sub- 
diakonales  wie  diakonales  Ornatstück  war. 

Wie  es  sich  zu  Rom  im  13.  Jahrhundert  verhielt,  ersehen  wir  aus  dem 
13.  Ordo7.  Der  Manipel  kam  dort  zu  jener  Zeit  allen  Geistlichen  der  höheren 
Ordines,  aber  freilich  auch  nur  diesen  zu,  also  den  Bischöfen,  Priestern, 
Diakonen  und  Subdiakonen ,  und  so  ist  es  im  römischen  Ritus  bis  jetzt 
geblieben. 

IV.    DIE  ÄLTESTEN    NACHRICHTEN    ÜBER    DIE   VERWENDUNG    DES 

MANIPELS. 

In  der  vorkonstantinischen  Zeit,  aus  der  wir  überhaupt  über  die  bei  der 
Liturgie  gebräuchliche  Gewandung  nichts  Näheres  hören,  herrscht  natürlich 
auch  hinsichtlich  der  Verwendung  der  Mappula  völliges  Schweigen.  Allein 
es  steht  auch  in  den  beiden  nächstfolgenden  Jahrhunderten  nicht  besser.  Erst 
das  6.  Jahrhundert  bringt  über  ihre  Existenz,  ihre  Beschaffenheit,  ihren 
Charakter  und  ihren  Gebrauch  einige  Nachrichten.  Es  sind  zwei  Stellen  im 
Papstbuch  und  ein  Briefwechsel  zwischen  Gregor  d.  Gr.  und  dem  Erzbischof 
Johannes  von  Ravenna,  worin  sich  diese  finden.  Sie  sind  allerdings  keines- 
wegs erschöpfend,  aber  das,  was  sie  uns  mitteilen,  ist  von  größter  Bedeutung 
für  die  Geschichte  des  Manipels.  Es  ist  darum  durchaus  notwendig,  daß  wir 
sie  einlässig  würdigen. 

Von  den  beiden  Stellen  des  Liber  Pontificalis  findet  sich  die  eine  in  der 
Vita  Silvestri.  Es  wird  hier  mitgeteilt,  Papst  Silvester  I.  (314 — 326)  habe 
die  Verordnung  erlassen,  es  sollten  die  Diakone  sich  in  der  Kirche  der  Dal- 


1  Mart.,  Thes.  V  1610.  Vgl.  auch  Sicard,  Brauch  besteht  uoch  jetzt,  und  zwar  handelt 
Mitralis  1.  2,  c.  5  (M.  213,  78) :  In  quibusdam  es  sich  bei  dem  fraglichen  Manipel  nicht 
monasteriis ,  quoties  in  festis  albis  utuntur,  um  eine  Art  von  Schweiß-  oder  Ziertuch 
manipulos  portant.  oder  ähnliches,  wie  vermutet  wurde,  sondern 

2  Hard.  VI  2,  1859.     Sdralek,  Wolfen-  um  einen  wirklichen  Manipel. 
büttler  Fragmente  137.  5  Mitralis  1.  2,  c.  8  (M.  213,  85). 

3  De  Vert  II  291.  6  Rationale  1.  2,  c.  8  ;  1.  3,  c.  6,  f.  56  70. 

4  Mart.  1.  2,  c.  6,  ordo  13;  II  197.     Der  '  N.  5  6  (M.  78,  1106  1107). 


524  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

matik  bedienen  und  mit  pallia  linostima  ihre  Linke  bedecken :  Et  pallia  (pallis, 
palleis,  pallia)  linostima  leva  eorum  tegerentur  (levam  eorum  tegerent,  leva 
eorum  tegeretur).  Die  andere  begegnet  uns  in  der  Vita  Zosimi.  Dort  heißt 
es  nach  dem  gegenwärtigen  Texte  des  Liber  Pontificalis :  Hie  fecit  constitutum, 
ut  diacones  leva  (leba,  levam)  teeta  (teetam)  haberent  de  palleis  linostimis. 
Nach  der  ersten  Redaktion  lautete  dagegen  die  fragliche  Stelle:  Ut  diacones 
leva  teeta  haberent  de  palleis  linostimis  per  parroecias 1.  In  dem  einen  Falle 
hätte  Zosimus  (417 — 418)  nur  die  Bestimmung  seines  Vorgängers  von  neuem 
eingeschärft,  in  dem  andern  aber  die  Verordnung  Silvesters  hinsichtlich  der 
pallia  linostima  auf  die  suburbikarischen  Bistümer  ausgedehnt.  Hier  kann 
natürlich  für  uns  nur  die  Form  maßgebend  sein,  in  welcher  die  Notiz  in  der 
ersten  Redaktion  auftritt. 

Ob  die  Verordnungen  wirklich  von  Silvester  und  Zosimus  herrühren  oder 
ob  es  sich  bei  den  fraglichen  Angaben  bloß  um  eine  mehr  oder  weniger  zu- 
verlässige lokale  Tradition  handelt,  läßt  sich  nicht  feststellen.  Wir  kennen 
sie  eben  nur  durch  das  Papstbuch,  welches  für  die  vier  ersten  Jahrhunderte 
eine  Quelle  von  recht  zweifelhaftem  Wert  ist.  Jedenfalls  spiegeln  sie  die 
Praxis  wider,  welche  zur  Zeit  der  Abfassung  des  L.  P.  bereits  geraume 
Zeit  zu  Rom  und  in  den  suburbikarischen  Diözesen  in  Kraft  war.  Außerdem 
dürften  sie  auch  insofern  den  tatsächlichen  Verhältnissen  entsprechen,  als  der 
Gebrauch  des  pallium  linostimum  ursprünglich  auf  Rom  beschränkt  gewesen 
sein  wird  und  erst  im  Lauf  der  Zeit  auf  die  suburbikarischen  Diözesen  aus- 
gedehnt wurde. 

Ihrer  Beschaffenheit  nach  bestanden  die  pallia  linostima,  wie  der  Name 
besagt,  aus  einem  Zeug,  dessen  Kette  durch  Linnen  und  dessen  Einschuß 
durch  Wolle  oder  Seide  gebildet  wurden.  Sie  waren  also  Tücher  von  besserer 
Qualität.  Die  Art,  wie  sie  von  den  Diakonen  getragen  wurden,  ist  bei  dem 
jetzigen  Stand  des  Textes  nicht  genau  festzustellen.  Sollten  sie  den  linken 
Arm  oder  nur  die  linke  Hand  bedecken?  Der  so  sehr  verderbte  Text  läßt 
das  unentschieden.  Nach  Hraban  und  Walafried  Strabo  hätten  sie  der  linken 
Hand  aufgelegen;  denn  diese  geben  die  Silvestrinische  Verordnung  in  der 
Fassung:  ut  pallio  linostimo  leva  eorum  tegeretur.  Wie  dem  jedoch  sein 
mag,  jedenfalls  befand  sich  das  pallium  an  der  linken  Seite,  und  zwar  — 
wenn  wir  den  Wortlaut  der  Verordnung  Silvesters  recht  verstehen  -  -  über 
der  Dalmatik,  ein  Punkt,  der  für  die  Bestimmung  seines  Charakters  nicht 
ohne  Wichtigkeit  ist. 

Was  diesen  Charakter  anlangt,  so  läßt  der  Liber  Pontificalis  keinen 
Zweifel,  daß  das  pallium  linostimum  ein  Tuch  war,  welches  bei  der  Liturgie 
verwendet  wurde,  und  zwar  kann  es,  wenn  wir  den  römischen  Brauch  zur 
Karolingerzeit,  das  Ergebnis  der  seit  Konstantin  datierenden  Entwicklung  der 
liturgischen  Gewandung  des  römischen  Ritus,  in  Betracht  ziehen,  nur  entweder 
die  diakonale  Stola  oder  die  Mappula  sein.  Leider  gibt  uns  der  Text  des 
Pontifikalbuches  keinen  direkten  Aufschluß,  mit  wem  von  beiden  wir  es  zu 
identifizieren  haben.  Hält  man  indessen  vor  Augen,  daß  das  pallium  linostimum 
der  linken  Hand  oder  dem  linken  Arm  auflag,  gerade  wie  die  Mappula  des 
8.  und  9.  Jahrhunderts,  und  daß  anderseits  die  Stola  nach  römischer  Sitte 
im  9.  Jahrhundert  unter  der  Dalmatik  getragen  wurde,  während  das  pallium 
linostimum   sich   nach   der  Notiz   der  Vita  Silvestri   über  derselben  befunden 


1  Duch.,  L.P. 187171225.  Die  eingeklammerten  Worte  bezeichnen  die  verschiedenen  Lesarten. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


525 


zu  haben  scheint,  so  kann  unter  diesem  wohl  nur  die  spätere  Mappula  ver- 
standen werden1. 

Als  Träger  des  pallium  linostimum  erscheinen  im  Liber  Pontificalis  die 
Diakone.  Haben  wir  das  im  ausschließlichen  Sinne  zu  verstehen,  so  daß 
nur  sie  sich  seiner  bedient  hätten,  kein  anderer,  oder  bedeutet  die  angebliche 
Verordnung  Silvesters  nur  die  Verleihung  eines  bis  dahin  päpstlichen  oder 
bischöflichen  Vorrechtes  an  die  römischen  Diakone?  Man  kann  darüber  ver- 
schiedener Meinung  sein;  wer  indessen  unbefangen  die  Verordnung  Silvesters 
betrachtet  und  dabei  vor  Augen  hält,  daß  im  6.  Jahrhundert  die  Dalmatik 
allerdings  eine  Auszeichnung  der  römischen  Diakone  war,  daß  diese  sich 
aber  ihrer  nicht  allein  erfreuten,  sondern  daß  das  Recht,  die  Dalmatik  zu 
tragen,  für  sie  nur  die  Teilnahme  an  einem  Vorrecht  des  Papstes  bedeutete, 
wird  kein  Bedenken  tragen,  etwas  Ahnliches  bezüglich  des  pallium  linostimum 
anzunehmen.  In  der  Folge  finden  wir  ja  auch  beim  Papst  die  Mappula.  Wie 
kam  dieser  zu  ihr,  wenn  sie  ihm  nicht  bereits  vor  den  Diakonen  eignete? 
Ist  es  denn  auch  nur  im  geringsten  wahrscheinlich,  daß  er  sie  von  den  Dia- 
konen übernommen  habe?  Welcher  Anhalt  liegt  dafür  vor,  und  welche  Parallele 
gibt  es  dazu?  Wenn  wir  im  9.  Jahrhundert  auch  die  römischen  Subdiakone 
und  selbst  die  Akolythen  im  Besitz  der  Mappula  finden,  so  erklärt  es  sich 
angesichts  der  hervorragenden  Stellung,  welche  diese  nach  und  nach  erlangt 
hatten,  ohne  Schwierigkeit,  wie  auch  sie  dazu  kamen,  die  Mappula  tragen 
zu  dürfen.  Daß  aber  der  Papst  diese  von  den  Diakonen  herübernahm,  können 
wir  nur   dann   annehmen,   wenn    dafür   triftige  Beweise  vorgebracht  werden. 

Über  den  Zweck  des  pallium  linostimum  läßt  das  Papstbuch  nichts  ver- 
lauten. Immerhin  scheint  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  es  sich  bei  ihm  um 
ein  zu  praktischen  Zwecken,  wie  sie  der  diakonale  Dienst  etwa  mit  sich 
brachte,  bestimmtes  Tuch  handelte.  Es  war  vielmehr,  seinem  Namen  nach 
zu  urteilen,  wohl  etwas  Besseres  als  ein  bloßes  Handtuch  oder  eine  Serviette. 
Dafür  spricht  auch  die  Verordnung  des  Papstes  Zosimus,  welche  den  Gebrauch 
des  pallium  linostimum  auf  die  Diakone  der  suburbikarischen  Diözesen  aus- 
dehnte. Wäre  dieses  ein  Tuch  gewesen,  welches  durch  den  Dienst  der  Diakone 
gefordert  wurde,  so  ist  nicht  einzusehen,  warum  es  nicht  von  Anfang  an 
wie  für  Rom  so  auch  für  die  um  Rom  liegenden  und  zu  Rom  gehörenden 
Diözesen  vorgeschrieben  wurde.  Der  Sinn  des  Dekretes  kann  daher  wohl  nur 
sein,  daß  durch  dasselbe  die  Diakone  dieser  Kirchen  nach  Art  der  römischen 
das  Vorrecht  erhielten,  das  pallium  linostimum  zu  tragen.  Das  unsere  Auf- 
fassung der  Sache  salvo  iudicio  meliore. 

Was  den  Briefwechsel  zwischen  Gregor  d.  Gr.  und  Johannes  von  Ravenna 
anlangt,  so  kommt  alles  bei  ihm  darauf  an,  was  unter  der  Mappula,  um  welche 
es  sich  darin  handelt,  zu  verstehen  ist. 


1  Wenn  irgendwo,  so  ist  es  gerade  für  das 
richtige  Verständnis  des  pallium  linostimum 
wichtig,  den  Stand  der  Dinge  in  der  Folge- 
zeit im  Auge  zu  halten.  Denn  dieser  ist  ja 
nichts  Willkürliches,  sondern  in  lebendigem 
Prozeß  aus  dem  Brauch  früherer  Tage  heraus- 
gewachsen. Eine  Betrachtungsweise,  die  von 
ihm  absieht,  kommt,  wie  die  Erfahrung  be- 
weist, leicht  in  Gefahr,  sich  in  bloße  Hypo- 
thesen über  die  Bedeutung  des  pallium  lino- 
stimum   zu    verlieren.     Jedenfalls  wirft    der 


liturgische  Brauch  zu  Beginn  des  9.  Jahr- 
hunderts ein  helleres  und  zuverlässigeres  Licht 
auf  das  pallium  linostimum  des  Papstbuches 
als  die  Darstellungen  von  sog.  camilli  und 
delicati ,  heidnischen  Opferdienern  und  Auf- 
wärtern bei  profanen  Mahlzeiten,  deren  man- 
tile,  wenn  man  die  Sache  genau  betrachtet, 
doch  nur  eine  scheinbare  Analogie  zu  dem 
pallium  linostimum  der  römischen  und  sub- 
urbikarischen Diakone  und  der  diakonalen 
Mappula  bildet  (vgl.  unten  Nr  XII). 


526  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Gregor  hatte  sieh  beklagt ,  daß  die  ravennatischen  Priester  und  Diakone  sich 
der  mappulae  bedienten ;  es  sei  das  eine  Anmaßung.  Darauf  antwortete  Johannes  ' : 
„Was  die  mappulae  anlangt,  welche  sich  dem  Schreiben  Eurer  apostolischen  Herrlich- 
keit zufolge  meine  Priester  und  Diakone  angemaßt  haben  sollen,  so  mag  ich  darüber 
nichts  anführen,  da  die  Wahrheit,  die  bei  meinem  Herrn  allein  etwas  gilt,  genügt. 
Denn  da  die  kleineren  Kirchen  in  der  Umgebung  der  Stadt  (Rom)  dazu  die  Erlaubnis 
haben,  so  wird  mein  apostolischer  Herr,  falls  er  den  ehrwürdigen  Klerus  des  ersten 
apostolischen  Sitzes  zu  fragen  geruht ,  allerwegen  finden ,  daß ,  so  oft  wegen  einer 
Bischofsweihe  oder  in  Botschaftsangelegenheiten  die  Priester  und  Leviten  der  raven- 
natischen Kirche  nach  Rom  kamen ,  alle  unter  den  Augen  Eurer  allerheiligsten  Vor- 
gänger cum  mappulis  procedebant,  ohne  irgend  einen  Tadel  zu  erfahren.  Daher  haben 
auch  damals,  als  ich  Sünder  dort  von  Eurem  Vorgänger  geweiht  wurde,  alle  meine 
Priester  und  Diakone,  in  obsequium  domni  papae  mecum  proceclentes,  sich  der- 
selben bedient." 

Gregor  aber  antwortet  auf  dieses  Schreiben2:  „Gegen  das,  was  Ihr  über  den 
Gebrauch  der  mappulae  seitens  Eures  Klerus  geschrieben,  hat  unser  Klerus  heftigen 
Widerspruch  erhoben ;  niemals,  sagten  sie,  sei  ein  solches  irgend  einer  andern  Kirche 
gestattet  worden.  Ebensowenig  hätten  die  Kleriker  von  Ravenna  dort  oder  in  Rom 
ihres  Wissens  sich  dessen  unterfangen.  Aber  wenn  selbige  das  auch' wirklich  versucht 
hätten,  so  folge  aus  einer  solchen  heimlichen  Anmaßung  nichts  für  sie.  Man  müsse, 
sagen  sie,  falls  man  sich  in  irgend  einer  Kirche  solches  angemaßt,  bessern,  wessen 
man  sich  nicht  kraft  Erlaubnis  des  römischen  Papstes ,  sondern  widerrechtlich  allein 
durch  Erschleichung  unterfange.  Wir  indessen  gestatten,  indem  wir  die  Ehre  Deiner 
Fraternität  wahren  (servantes  honorem  fraternitatis  tuae) ,  gegen  den  Willen  unseres 
vorgenannten  Klerus  den  ersten  Diakonen  Ravennas,  die  ja  den  Zeugen  gemäß  auch 
schon  vorher  sich  der  mappulae  bedient  haben,  den  Gebrauch  derselben,  doch  nur  in 
Deinem  Dienst  (in  obsequio  tuo).  Für  eine  andere  Gelegenheit  und  andere  Personen 
verbieten  wir  solches  aufs  entschiedenste." 

Man  hat  geglaubt,  unter  den  mappulae  tragbare  Baldachine  verstehen  zu  sollen  3, 
allein  mit  Unrecht.  Denn  diese  gehören  einer  viel  späteren  Zeit  an.  Den  älteren 
römischen  Ordines  sind  sie  völlig  unbekannt.  Obendrein  waren  sie  nie  bei  gewöhn- 
lichen Priestern  und  Diakonen,  von  denen  doch  im  Brief  Gregors  d.  Gr.  die  Rede  ist,  üblich. 

Auch  die  Stola  können  sie  nicht  bedeuten.  Denn  diese  wurde,  falls  sie  damals 
überhaupt  bei  den  römischen  Klerikern  in  Gebrauch  war,  wie  schon  gesagt,  auf  keinen 
Fall  sichtbar  über  der  Dalmatik  getragen.  Bei  den  Mappulis  handelt  es  sich  aber  offenbar 
um  ein  Ding,  das  in  die  Augen  fällt.  Zudem  findet  sich  das  Wort  mappula  nirgends 
als  Bezeichnung  der  Stola  gebraucht. 

Es  kann  sonach  nur  die  Frage  sein ,  ob  in  den  mappulae ,  die  den  Gegenstand 
des  Briefwechsels  Gregors  und  Johannes'  bilden,  die  liturgischen  Mappulae  oder  die 
gewöhnlich  mappuli  genannten  weißen  Schabracken  zu  erblicken  sind.  Diese  weißen  Scha- 
bracken lassen  sich  schon  zu  Beginn  des  8.  und  um  die  Wende  des  7.  Jahrhunderts 
zu  Rom  mit  aller  Bestimmtheit  nachweisen.  So  vermeldet  das  Papstbuch  in  der  Vita 
Constantini,  als  Papst  Konstantin  (707 — 708)  seinen  Einzug  in  Konstantinopel  gehalten 
habe,  seien  seine  und  der  Vornehmsten  aus  seinem  Gefolge  Rosse  mit  vergoldeten 
Sätteln ,  goldgeschmückten  Zügeln  und  mappulis  versehen  gewesen i.  In  der  Vita 
Cononis  (686 — 687)  aber  wird  berichtet,  daß  dieser  Papst  den  Syrakusaner  Diakon 
Konstantin  zum  Rektor  des  Patrimonium  von  Sizilien  gemacht  und  ihm  die  Erlaubnis 
gegeben  habe ,  sich  der  Schabracke  beim  Aufritt  zu  bedienen :  Sed  et  mappulum  ad 
caballieandum,  uti  licentiam  ei  concessit b.  Auch  die  sog.  Konstantinische  Schenkung 
kennt  bereits  die  Schabracke.  Denn  zu  den  Privilegien,  welche  in  ihr  dem  römischen 
Klerus    erteilt  werden,    gehört    auch    das  Recht:    Ut   mappulis  et  linteaminibus,   i.  e. 


1  Gregor.  M.,   Epist.   I.  3,  n.  66  (M.  G.  s  Hefele,  Beitr.  II,  180  im  Anschluß  an 
Epp.  I  229).                                                                A.J.Binterim,  Denkwürdigkeiten  VII 3,  359. 

2  Ebd.  1.  3,  n.  54  (ebd.  214).  *  Du  eh.,  L.  P.  I  390.  6  Ebd.  369. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


527 


candidissimo  oolore  decorari  equos  et  ita  equitari  '.  Es  müssen  also  die  römischen 
Geistlichen  schon  eine  gute  Weile  vor  der  Abfassung  des  Constitutum  im  Besitz  des 
Vorrechts  gewesen  sein,  beim  Reiten  sich  weißer  linnener  Pferdedecken  zu  bedienen; 
andernfalls  wäre  ja   die  Fälschung  allzu   plump   und   geradezu   offenkundig   gewesen. 

Die  römischen  Kleriker  erhielten  das  Recht,  sich  der  weißen  Schabracke  zu 
bedienen,  wie  aus  dem  9.  Ordo  Mabillons  erhellt,  beim  Empfang  der  Tonsur.  Ex  hac 
(d.  h.  wenn  die  cantores  cubicularii  geworden)  accipiunt  primam  benedictionem  ab 
archidiacono,  ut  liceat  eis  super  linteum  vellosum  sedere,  quod  mos  est  ponere  super 
sellam  equi2.  Aber  auch  auswärtigen  Geistlichen  wurde  zur  Auszeichnung  die  Er- 
laubnis zu  teil,  bei  feierlichen  Aufzügen  von  der  weißen  Pferdedecke  Gebrauch  zu  machen. 
Das  früheste  bekannte  Beispiel  wurde  bereits  angeführt.  Von  einem  andern,  nur  wenig 
späteren  wird  aus  dem  Pontitikat  Stephans  IL  (752 — 757)  berichtet;  es  war  Abt  Pulrad 
von  St-Denis,  welchem  dieser  das  Privileg  gewährte :  Praevidimus  tuam  nobis  dilectam 
adornare  religionem  ...  et  super  sellam  equitanti  mappulum  3.  Johannes  VIII.  ver- 
lieh 1877  das  Vorrecht  dem  Bischof  Johannes  von  Pavia',  Benedikt  VII.  975  dem 
Erzbischof  Theoderich  von  Trier  ä.  Klemens  IL  gibt  es  1047  dem  Erzbischof  Adalbert 
von  Hamburg6,  Leo  IX.  1052  den  Erzbischöfen  Hermann  von  Köln7  und  Liuth- 
bald  von  Mainz 8;  1049  bestätigt  Leo  das  Privileg  dem  Erzbischof  Eberhard  von 
Trier 9.  Die  Schabracke  führt  jetzt  den  Namen  naccus  (nattus)  statt  mappula  oder 
mappulus. 

Es  ist  leicht  begreiflich,  daß  man  unter  den  mappulae  im  Briefwechsel  zwischen 
Gregor  und  Johannes  von  Ravenna  die  weißen  Schabracken  verstanden  hat.  Ein  aus- 
zeichnender Schmuck  des  römischen  Klerus  und  dessen  ausschließliches  Vorrecht,  das 
andern  nur  kraft  eines  besondern  Privilegs  zustand,  passen  diese  in  der  Tat  trefflich 
auf  den  Gegenstand,  dessen  angebliche  Usurpation  seitens  der  ravennatischen  Priester 
und  Diakone  beim  römischen  Klerus  so  viel  böses  Blut  machte.  Allerdings  werden 
jene  Decken  erst  gegen  das  Ende  des  7.  Jahrhunderts  erwähnt,  jedoch  waren  sie  damals 
sicher  schon  eine  gute  Weile  im  Gebrauch,  und  so  hindert  nichts,  anzunehmen,  daß 
sie  auch  bereits  zu  Gregors  d.  Gr.  Lebzeiten  ein  Privileg  des  römischen  Klerus 
bildeten.  Demgemäß  glaubte  denn  auch  der  Verfasser  seinerzeit  sich  dahin  aussprechen 
zu  sollen ,  daß  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mit  den  fraglichen  mappulae  eben  die 
weißen  Schabracken  gemeint  seien  10.  Indessen  können  wir  diese  Auffassung  nicht 
länger  mehr  vertreten.  Es  scheint  uns  vielmehr  im  Gegenteil  nahezu  als  zweifellos, 
daß  es  sich  bei  ihnen  um  die  liturgische  Mappula  oder  das  pallium  linostimum  des 
Papstbuches  handelt. 


1  Hinschius,  Decret.  Pseudo-Isidor.  253. 

2  N.  1  (M.  78,  1003).  Wenn  Johannes 
Diakonus  im  9.  Jahrhundert  in  der  Vita 
S.  Gregorii  M.  1.  2 ,  n.  43  (M.  75,  104)  von 
planetatorum  mappulatorumque  processionibus 
erzählt,  die  im  Gefolge  des  Papstes  aufritten, 
so  sind  das  römische  Kleriker  in  der  Planeta 
auf  Pferden,  die  mit  der  mappula,  der  weißen 
Schabracke,  geschmückt  waren,  nicht  Kleriker 
in  der  Planeta  mit  der  liturgischen  Mappula 
in  der  Hand.  Nahm  doch  der  Papst  selbst 
diese  nach  dem  1.  Ordo  erst  im  Sekretarium, 
nachdem  er  alle  übrigen  Gewänder  angezogen 
hatte.  Bekanntlich  begab  sich  der  Papst  mit 
seinem  Gefolge  bis  ins  späte  Mittelalter  stets 
zu  Roß  zur  Kirche,  wo  er  feierlichen  Gottes- 
dienst halten  wollte. 

3  J.  n.  2330.  Über  die  Echtheit  des  Doku- 
ments s.  oben  S.  385,  Anm.  2. 

*  Ebd.  n.  3111,  wo  die  Bulle  aber  als  ver- 
dächtig   bezeichnet    wird.     Auch    unter    der 


mapilla  oder  den  manipularii  der  Bulle 
Johannes'  XV.  (ebd.  n.  3849),  worin  993  der 
Abt  von  Braunau  das  Privileg  erhält,  sich 
der  Mitra,  der  Handschuhe,  der  Sandalen, 
der  Mapilla  (manipularii)  und  des  Balteus  zu 
bedienen ,  ist  vielleicht  die  Schabracke  zu 
verstehen,  falls  nicht  etwa  eine  Art  Baldachin 
damit  gemeint  sein  sollte.  Obendrein  muß 
dahingestellt  bleiben,  ob  die  Mapilla  dem  ur- 
sprünglichen Text  angehört  oder  interpoliert 
ist.    Über  die  Bulle  s.  oben  S.  368,  Anm.  1. 

5  Ebd.  n.  3783. 

6  Ebd.  n.  4146. 

7  Ebd.  n.  4271 ;  über  die  Echtheit  der  Bulle 
s.  oben  S.  257,  Anm.  5. 

s  Ebd.  n.  4281. 

9  Ebd.  n.  4161.  Andere  Beispiele  ebd. 
n.  3566  (Lüttich),  n.  4074  (Salzburg),  n.  4498 
(Halberstadt),  n.  6013  (Pavia),  n.  7576  (Aqui- 
leja),  n.  7620  (Genua),  n.  7890  (Pisa). 

10  Priesterliche  Gewänder  S.  61. 


528  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Entscheidend  ist  hierbei  für  uns  der  Terminus  procedere.  Das  Wort  kommt 
in  den  Briefen  Gregors  d.  Gr.  häufig  vor,  immer  aber  ist  es  der  technische  Aus- 
druck für  „am  Altar  tätig  sein,  dem  Altardienst  obliegen,  zum  Altar  treten".  Bei- 
spiele bieten  die  Briefe  1.  3,  n.  66 :  Ingredientibus  diaconibus  (sc.  in  secretarium)  ut 
mox  procedatur1;  1.  5,  n.  61:  Procedens  a  salutatorio  ad  sacrarum  missarum  cele- 
branda2;  1.  8,  n.  27:  Diaconos  calciatos  campagis  procedere5;  1.  9,  n.  26:  Subdiaconos 
spoliatos  —  vestitos  (sc.  ohne  bzw.  mit  einer  besondern  Amtstunika  nach  Art  der  Dal- 
matik)  procedere  4;  1.  9,  n.  69 :  Petrus  clericus  . . .  si  insons  fuerit  declaratus  . . .  vobiscum 
proceclendi  habeat  licentiam  5.  Namentlich  aber  lassen  an  der  Bedeutung  des  procedere 
in  den  Briefen  Gregors  keinen  Zweifel  die  Briefe  1.  14,  n.  2,  1.  5,  n.  45  und  1.  9,  n.  156. 
Das  erste  dieser  drei  Schreiben  ist  an  den  Vitalis,  den  Densensor  (Vogt)  von  Sar- 
dinien, gerichtet.  Dieser  hat  Gregor  berichtet,  der  Bischof  Johannes  von  Cagliari 
habe  zur  Zeit,  quo  sacrificium  celebrat,  häufig  mit  so  großer  Beklemmung 
zu  tun,  daß  er  erst  nach  langer  Weile  den  unterbrochenen  Kanon  wieder  aufnehmen 
könne.  Infolgedessen  sei  bei  vielen  Unruhe  darüber  entstanden ,  ob  in  solchen 
Fällen  die  Konsekration  gültig  und  das  Kommunizieren  zulässig  sei.  Gregor  be- 
schwichtigt die  Bedenken,  fügt  aber  hinzu:  secretius  tarnen  omnino  isdem  frater  noster 
hortandus  est,  ut  quotiens  sibi  aliquam  molestiam  senserit,  non  procedat".  Das 
procedere  ist  hier  offenbar  identisch  mit  dem  vorhergehenden  sacrificium  celebrare. 
In  Brief  1.  5,  n.  45  verbietet  Gregor  dem  Diakon  Sabinian,  seinem  Vertreter  zu  Kon- 
stantinopel, sich  zu  unterfangen,  mit  Bischof  Johannes,  der  sich  den  Titel  „öku- 
menischer Patriarch"  beigelegt  hatte,  jemals  procedere7,  d.  i.,  wie  der  Papst  in 
seinem  Schreiben  an  Johannes  selbst  mit  ausdrücklichen  Worten  sagt ,  mit  diesem 
die  Messe  zu  feiern:  eum  (sc.  Sabinianum)  missarum  sollemnia  cum  fraterni- 
tate  vestra  celebrare  prohibui8.  Brief  1.  9,  n.  156  endlich  ist  ein  Rund- 
schreiben an  verschiedene  Bischöfe  Griechenlands,  in  welchem  Gregor  diese  ermahnt, 
Cyriakus,  dem  Nachfolger  Johannes',  den  Titel  „ökumenischer  Patriarch"  um  keinen 
Preis  zuzugestehen.  Schon  Pelagius  sei  gegen  Johannes,  den  Vorgänger  des  Cyriakus, 
wegen  der  gleichen  Anmaßung  mit  aller  Entschiedenheit  vorgegangen ;  er  habe  sogar 
seinem  Diakon,  der  ihn  zu  Konstantinopel  vertrat,  untersagt,  bis  der  Bischof  sich 
gebessert  habe,  illi  procedere9,  oder  wie  es  im  eben  erwähnten  Briefe  Gregors  an 
Johannes,  in  welchem  auf  diesen  Befehl  des  Papstes  Pelagius  gleichfalls  Bezug  ge- 
nommen wird,  heißt,  mit  ihm  missarum   sollemnia   celebrare. 

Unter  solchen  Umständen  müssen  wir  natürlich  auch  die  Ausdrücke 
cum  mappulis  procedebant  und  in  obsequio  domni  papae  (im  Dienst  des  Herrn 
Papstes)  mecum  procedentes  gleichfalls  vom  Hinzutreten  zum  Altar  und  den 
liturgischen  Funktionen  verstehen.  Allerdings  besagt  procedere  auch  wohl  außer- 
liturgisch aufziehen,  in  feierlichem  Zug  zu  Fuß  oder  zu  Roß  sich  bewegen. 
Allein  in  unserem  Falle  ist  für  die  Bedeutung  des  Wortes  offenbar  nicht  ent- 
scheidend, was  es  überhaupt  bedeuten  kann  oder  irgendwo  bedeutet,  sondern 
welcher  Sinn  ihm  in  den  Parallelstellen  in  Gregors  Briefen  zukommt.  Es  hieße 
offenbar  dem  Ausdruck  Gewalt  antun,  wollten  wir  ihn  hier  von  einem  feier- 
lichen Auf  ritt  zur  Kirche  verstehen,  statt  vom  Altardienst.  Ebendarum  aber 
können  auch  die  mappulae  keine  weißen  Schabracken,  sondern  nur  die  litur- 
gische Mappula  sein. 


1  M.  G.  Epp.  I  229.  Mauritius  schreibt:  Mecum  feci  eos  (die 

2  Ebd.  I  375.  Gesandten  des  Cyriakus  von  Konstantinopel) 

3  Ebd.  II  28.            4  Ebd.  59.  sacra  missarum  sol  emnia  celebrare, 
5  Ebd.  89.             6  Ebd.  421.  quia    sicut    meus    diaconus    ad    ex- 

7  Ebd.  I  344.  hibenda    sancta   mysteria    illi    non 

8  L.  5,  n.  44  (ebd.  I  339).  debet    ministrare,     ita     ministri 
'■'  Ebd.  II  157.    Was  das  Verbot  des  „pro-  illi us     in    celebratione    missarum 

cedere"  bedeutet,  erhellt  auch  aus  1.  7,  n.  30  mihi    adesse  debuerunt,   quia  custodiente 

(ebd.   I    477) ,    in   dem    Gregor   dem    Kaiser  Deo  in  superbiao  errorem  non  cecidi. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  529 

Die  einzige  Schwierigkeit,  welche  etwa  erhoben  werden  könnte,  ist,  dafs  nach 
dem  Papstbuch  nicht  bloß  zu  Rom,  sondern  auch  in  den  umliegenden  Kirchen  die 
mappula  im  Gebrauch  war,  während  die  römischen  Kleriker  nach  dem  Briefe  Gregors  es 
verneinen,  daß  diese  je  einer  andern  Kirche  bewilligt  worden  sei.  Allein  wirklich  er- 
heblich ist  dieser  Einwand  nicht.  Man  wird  die  Behauptung  der  römischen  Kleriker,  daß 
der  Gebrauch  der  mappula  nie  einer  sonstigen  Kirche  gestattet  worden  sei,  nicht  auf 
die  Goldwage  legen  dürfen.  Sie  sprechen  zu  sehr  im  Eifer  des  Streites,  im  Eifer 
aber  pflegt  man  nicht  gerade  die  Worte  abzuwägen.  Ihre  Behauptung  hinsichtlich  der 
ravennatischen  Kleriker  war  jedenfalls  irrig.  Denn  wenn  Gregor  trotz  des  heftigen 
Widerstrebens  der  römischen  Kleriker  den  ersten  Diakonen  Bavennas  gestattet,  sich 
der  mappula  zu  bedienen,  so  tut  er  das,  wie  er  sagt,  weil  durch  Zeugen  festgestellt 
worden  war,  daß  diese  solches  wirklich  schon  zu  tun  gewohnt  gewesen  waren.  Zudem 
betrifft  die  Differenz  zwischen  der  Angabe  des  Papstbuches  und  der  Behauptung  der 
römischen  Kleriker  nicht  sowohl  die  Tatsächlichkeit  des  Gebrauches  der  mappula  in 
den  kleineren  Kirchen  um  Bom,  als  vielmehr  die  Frage,  ob  diese  die  Erlaubnis  dazu 
erhalten  hatten  oder  nicht.  Die  römischen  Kleriker  leugnen,  wie  es  scheint,  jede  aus- 
drückliche Verleihung  dieses  Rechtes ,  das  Papstbuch  führt  sie  auf  Zosimus  zurück. 
Wer  von  beiden  recht  hat,  muß  dahingestellt  bleiben.  Das  von  Johannes  behauptete 
Paktuni  wird  von  den  römischen  Klerikern  nicht  in  Abrede  gestellt,  was  doch  das 
Allernächste  gewesen  wäre.  Sie  begnügen  sich  dem  Erzbischof  gegenüber  mit  der 
allgemeinen  Bemerkung,  daß  die  Verwendung  der  mappula  nie  einer  andern  Kirche 
gestattet  worden  sei.  Wäre  diese  in  den  Kirchen  um  Rom  wirklich  nicht  in  Gebrauch 
gewesen,  so  hätten  sie  es  hierbei  ohne  Zweifel  nicht  bewenden  lassen,  sondern  das  von 
Johannes  behauptete  Beispiel  sicher  schlechthin  in  Abrede  gestellt.  Denn  mit  Bezug 
auf  die  Angabe  des  Erzbischofs,  daß  die  Priester  und  Diakone  von  Ravenna  zu  Rom 
sich  der  mappula  bedient  hätten ,  bleiben  sie  bei  jener  Bemerkung  nicht  stehen, 
sondern  sagen  ausdrücklich,  daß  diese  ihres  Wissens  niemals,  nicht  zu  Rom,  nicht  zu 
Ravenna  die  mappula  gebraucht  hätten.  Der  Briefwechsel  bildet  also  hinsichtlich 
der  Verwendung  der  mappula  in  den  suburbikarischen  Kirchen  so  wenig  einen  Wider- 
spruch gegen  die  Angabe  des  Papstbuches ,  daß  er  diese  in  der  Hauptsache ,  d.  i. 
in  der  Tatsächlichkeit  ihrer  dortigen  Benutzung,  eher  bestätigt.  Es  liegt  aber  auch 
auf  der  Hand ,  daß  Johannes ,  bevor  er  in  seinem  Brief  darauf  aufmerksam  machte, 
daß  man  in  jenen  Kirchen  die  Erlaubnis  habe ,  die  mappula  zu  verwenden ,  sich 
genau  über  den  Stand  der  Dinge  unterrichtet  hatte.  Wie  hätte  er  es  sonst  wagen 
dürfen,  dem  Papst  gegenüber  sich  mit  solcher  Bestimmtheit  auf  die  um  Rom  liegenden 
Kirchen  als  Präzedenzfall  zu  beziehen  ?  Er  hätte  gewärtig  sein  müssen,  daß  man  ihn 
alsbald  der  Unwahrheit  überführe. 

Der  Briefwechsel  zwischen  Johannes  von  Ravenna  und  Gregor  d.  Gr. 
ist  eine  wichtige  Ergänzung  zu  der  Mitteilung  des  Papstbuches  über  das 
pallium  linostimum.  Erstens  beweist  er,  daß  das  pallium  linostimum  und 
die  Mappula  ein  und  dasselbe  sind.  Zweitens  bekundet  er,  daß  es  zu  Gregors 
Zeiten  zu  Rom  nicht  bloß  die  Diakone  waren,  welche  sich  der  Mappula  be- 
dienten, sondern  auch  die  Priester,  und  daß  die  Mappula  darum  nichts  spezifisch 
Diakonales  war,  wenngleich  die  Diakone  kraft  ihrer  hervorragenden  Stellung 
sich  ihrer  vor  allem  erfreut  haben  werden.  Drittens  geht  aus  dem  Briefwechsel 
hervor,  daß  die  Mappula  kein  für  dienstliche  Verrichtungen,  z.  B.  das  Hände- 
waschen  und  Ähnliches,  bestimmtes  Tuch  gewesen  sein  kann,  sondern  eine  Aus- 
zeichnung darstellte  und  der  Auszeichnung  halber  getragen  wurde.  Viertens 
belehrt  er  uns,  daß  trotz  dieses  Charakters  die  Mappula  noch  keine  Insignie, 
d.  h.  noch  kein  Abzeichen  eines  Ordo  war  wie  später.  Sie  erscheint  vielmehr 
nur  als  Eigentümlichkeit  des  römischen  Klerus,  welche  dieser  mit  Eifersucht 
sich  zu  reservieren  trachtete.  Es  läßt  darum  auch  fünftens  der  Briefwechsel 
keinen  Zweifel  übrig,  daß  die  Mappula  ihren  Ursprung  in  Rom  hat,  und  daß  sie 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  34 


530  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

sich  von  hier  aus  allmählich  in  andere  Kirchen  verbreitete,  wobei  sie  natürlich 
ihren  ausschließlich  römischen  Ckarakter  immer  mehr  einbüßte.  Ob  auch  der 
Erzbischof  Johannes  sich  ihrer  bediente,  ist  aus  dem  Briefwechsel  nicht  direkt 
ersichtlich.  Wenn  indessen  die  ravennatischen  Priester  und  Diakone  nach 
seiner  Angabe  die  Mappula  trugen,  als  sie  bei  Gelegenheit  seiner  Weihe  mit 
ihm  am  Pontifikalamt  des  Papstes  teilnahmen,  dann  dürfte  auch  er  wohl  kaum 
ohne  sie  geblieben  sein,  zumal  wir  ja  später  in  der  Tat  die  Bischöfe  gleich 
den  Priestern  und  Diakonen  von  derselben  Gebrauch  machen  sehen. 

Auf  den  Monumenten  der  vorkarolingischen  Zeit  begegnet  uns  die  Mappula 
nie.  Bei  den  Mosaiken  zu  Ravenna  mag  solches  daher  kommen,  daß  sie 
dort  noch  nicht  in  Gebrauch  war,  als  diese  geschaffen  wurden.  Auf  den  sehr 
wenigen  römischen  Bildwerken  dürfte  ihr  Fehlen  vielleicht  seinen  Grund  darin 
haben,  daß  sie  zu  deren  Entstehungszeit  keine  besondere  Bedeutung  mehr 
besaß;  denn  die  frühesten  der  hier  in  Betracht  kommenden  Monumente  ge- 
hören dem  zweiten  Viertel  des  7.  Jahrhunderts  an.  Überhaupt  hat  die  Mappula, 
so  sehr  sie  ein  auszeichnendes  Ornatstück  des  römischen  Klerus  war,  schwer- 
lich je  eine  derartige  Wichtigkeit  besessen,  wie  es  nach  dem  Briefwechsel 
zwischen  Gregor  und  Johannes  von  Ravenna  scheinen  könnte.  Wenn  die 
Kleriker  zu  Rom  damals  so  viel  Aufhebens  davon  machten,  daß  die  ravenna- 
tischen Priester  und  Diakone  ebenfalls  sich  der  Mappula  bedienten,  so  lag 
das,  wie  es  scheint,  weniger  an  der  Bedeutung  des  Ornatstückes,  als  weil  es 
galt,  den  ravennatischen  Klerus,  dessen  Gelüste,  es  dem  römischen  gleich  zu 
tun,  nur  zu  bekannt  waren,  in  den  gebührenden  Schranken  zu  halten.  Übrigens 
kann  das  Fehlen  der  Mappula  auf  den  römischen  Monumenten  auch  aus  rein 
zufälligen  Ursachen  herrühren;  mangelt  sie  doch  noch  fast  auf  allen  Bild- 
werken aus  dem  9.  Jahrhundert  zu  Rom,  namentlich  auf  allen  Mosaiken. 

Im  Kloster  vom  heiligen  Kreuz  zu  Poitiers  wurde  im  15.  Jahrhundert 
nach  einem  von  Barbier  de  Montault  veröffentlichten  Inventar  aus  dem  Jahre 
1476  außer  der  Stola  auch  der  Manipel  des  hl.  Medardus  (i  545)  aufbewahrt1. 
Im  12.  Jahrhundert  zeigte  man,  wie  der  Mönch  Thomas  von  Ely  erzählt,  zu 
Durham  einen  herrlichen,  mit  Gold  und  kostbaren  Steinen  geschmückten 
Manipel,  den  die  hl.  Etheldreda  von  Ely,  der  Goldweberei  kundig,  dem 
hl.  Cuthbert  (f  681)  mit  eigenen  Händen  angefertigt  haben  sollte2.  Einen  an- 
geblichen Manipel  des  hl.  Licinius  (f  605)  besaß  man  vor  der  französischen 
Revolution  in  St-Julien  zu  Angers3.  Wir  brauchen  kaum  zu  bemerken,  daß 
diesen  Manipeln,  deren  spätere  Entstehung  die  Beschreibung,  die  wir  von 
ihnen  haben,  mit  aller  Bestimmtheit  verbürgt  und  deren  Zahl  sich  leicht  noch 
um  andere  ähnliche  vermehren  ließe,  eine  Bedeutung  für  die  Geschichte  des 
Manipels  in  vorkarolingischer  Zeit  nicht  zukommt. 

V.    BESCHAFFENHEIT  DES  MANIPELS  ZUR   KAROLINGERZEIT. 
SEINE  UMWANDLUNG  IN  EINEN  ZIERSTREIFEN. 

Der  moderne  Manipel  ist  ein  Band  oder  Streifen.  Die  Mappula  des  8.  und 
des  beginnenden  9.  Jahrhunderts  war  das  noch  nicht;  sie  war  vielmehr  ein 
streifenförmig  zusammengefaltetes  Tuch.  Denn  wenn  im  1.  Ordo  das  Tuch, 
mit  dem  die  Akolythen  die  Ampulla,  worin  sich  das  Chrisma  befand,  zu  halten 
hatten,  mappula  genannt  wird*,  dann  haben  wir  die  im  nämlichen  Ordo  bald 


1  Roh.  VII  38.  2  Acta   S.    Etheldredae   Reg.    1.    1,   n.    31   (A.  SS.  23.  lim.,  V  430). 

a  Roh.  VII  52.  '  N.  2  (M.  78,  938). 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  531 

nachher  erwähnte  Mappula  des  Pontifex  ebenfalls  wohl  als  ein  größeres  Tuch 
anzusehen  und  nicht  als  einen  bloßen  Zierstreifen.  Auch  was  Hraban,  Amalar 
und  noch  Pseudo-Alkuin  über  die  Mappula,  das  Sudarium  oder  den  Fano  sagen, 
stellt,  wie  man  auch  immer  die  von  ihnen  gegebenen  Deutungen  beurteilen 
mag,  das  unseres  Erachtens  außer  Zweifel.  Namentlich  gilt  solches  von 
der  Bemerkung  Pseudo-Alkuins:  Im  Alten  Bunde  fehlten  (den  Priestern)  Stola, 
Sandalen  und  Sudarium,  quod  ad  tergendum  sudorem  in  manu  gestari 
mos  est,  quod  usitato  nomine  fanonem  vocamus 1,  und  den  Worten  Amalars: 
Sudarium  (sc.  diaconi)  est  habile  ad  hoc,  ut  quidquid  accesserit  sordidi,  illo 
tergatur  et  sacerdotis  mundissimum  maneat2.  Ebenso  beweist  das  goldverzierte 
Enchirion,  welches  vom  Patriarchen  Nicephorus  von  Konstantinopel  Papst 
Leo  III.  zum  Geschenk  gesandt  wurde3  und  nach  dem  Zusammenhang  nur  die 
Mappula  bedeuten  kann,  daß  diese  damals  noch  ein  förmliches  Tuch  war. 
War  doch  das  Enchirion  ein  solches  selbst  noch  im  11.  Jahrhundert. 

Wann  die  Mappula  aus  einem  streifenförmig  zusammengefalteten  Tuch 
zu  einem  bloßen  Zierstreifen  wurde,  läßt  sich  nicht  genau  bestimmen.  Die 
Umbildung  erfolgte  nicht  mit  einem  Schlag,  nicht  wie  über  Nacht.  Kein 
Dekret  hat  ihr  die  primitive  Form  genommen  und  eine  andere  gegeben.  Der 
Wandel  hat  sich  auf  dem  Wege  einer  allmählichen  Entwicklung  vollzogen,  bei 
der  man  hier  ein  schnelleres,  dort  ein  langsameres  Tempo  einhielt.  Jedenfalls 
war  der  Manipel  im  Beginn  des  2.  Jahrtausends  allenthalben  schon  zum  Zier- 
streifen geworden,  der  seitdem  höchstens  durch  die  mystische  Bedeutung, 
die  man  mit  ihm  verband,  an  die  frühere  Gestalt  erinnerte.  Ad  extremum 
sacerdos  fanonem  in  sinistrum  brachium  ponit,  quem  et  manipulum  veteres 
et  sudarium  appellaverunt,  per  quem  olim  sudor  et  narium  sorcles  exter- 
gebantur.  So  oder  ähnlich  reden  Honorius,  Robert  Paululus,  Sicard,  Innozenz  III. 
und  Durandus  *.  Eine  Ausnahme  machte  vielleicht  hie  und  da  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  der  subdiakonale  Manipel.  Denn  Honorius  schreibt  noch  um 
1120:  Subdiacono  .  .  .  subtile  et  sudarium  adduntur.  .  .  .  Sudarium,  quo  sordes 
a  vasis  deterguntur,  portat,  ut  transacta  mala  sordium  a  se  per  poenitentiam 
tergat.  Notandum  vero,  quod  subdiacono  maius  aliis  formatur,  quia  ubi  nunc 
fano,  olim  mappula  portabatur.  Es  scheinen  hiernach  die  Subdiakone  noch  im 
Beginn  des  12.  Jahrhunderts  hier  und  dort  im  Gegensatz  zu  den  Priestern 
und  Diakonen  einen  durch  seine  Maße  an  ein  Tuch  erinnernden  Manipel  ge- 
tragen zu  haben,  eine  Erscheinung,  die  Honorius  mit  dem  Hinweis  auf  die 
Tatsache  erklärt,  daß  früher  überhaupt  statt  des  Fano  (hier  Zierstreifen)  eine 
Mappula,  ein  Tuch,  gebraucht  worden  sei. 

Es  ist  allerdings  richtig,  daß  man  bei  Honorius  zusehen  muß,  ob  nicht 
etwa  irgend  eine  Angabe  über  die  liturgische  Gewandung  das  bloße  Echo 
der  Äußerung  eines  älteren  Schriftstellers  ist.  Allein  im  vorliegenden  Fall 
liegt,  wie  es  scheint,  zu  einer  solchen  Annahme  kein  Grund  vor;  namentlich 
gilt  das  bezüglich  des  letzten  Satzes,  der  sich  nicht  nur  in  früherer  Zeit 
kaum  nachweisen  lassen  dürfte,  sondern  auch  ersichtlich  das  Gepräge  einer 
persönlichen  Bemerkung  des  Honorius  an  sich  trägt.  Wenn  aber  um  1200 
Sicard  von  Cremona   und   um    1275  selbst    noch  Durandus   die  Ausführungen 


1  De  offlc.  div.  c.  38  (M.  101,  1240).  rale),  ein  Sticharion  (Tunika,  Dalmatik),  ein 

-  De  eccl.  offic.  1.  3,  c.  19  (M.  105,  1131).         goldverziertes  Epitrackelion  (Stola),  ein  kasta- 
3  M.  102, 1068.  Patr.  Nicephorus  übersendet         nienfarbiges  Phelonion  (Kasel),  alles  Gegen- 
den! Papst  außer  dem  Enchirion  ein  goldenes         stände  für  den   gottesdienstlichen  Gebrauch. 
Enkolpion  (Reliquiar  nach  Art  eines  Pekto-  *  Vgl.  auch  Bruno  von  Segni  (M.  165,  1108). 

34* 


532  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

der  Gemma  wortwörtlich  wiederholen,  obschon  damals  der  Manipel  der  Sub- 
diakone  sicher  überall  ein  Zierstreifen  war,  so  folgt  daraus  selbstverständlich 
nicht,  daß  Honorius  gleichfalls  nur  gedankenlos  geechoet  habe,  was  einmal  jemand 
vor  ihm  über  den  subdiakonalen  Manipel  schrieb.  Vielleicht  ist  es  auch  nicht 
ohne  Grund,  daß  in  den  Inventaren  des  11.  und  des  beginnenden  12.  Jahr- 
hunderts die  subdiakonalen  Manipel  verschiedentlich  gesondert  aufgeführt  und 
ausdrücklich  als  solche  bezeichnet  werden;  so  im  Gabenverzeichnis  Leofrics 
von  Exeter  (f  1072):  4  subdiakons  handlin  (Handlinnen,  Manipel),  und  im 
Bamberger  Inventar  von  1127 :  8  fanones  subdyaconorum,  ex  his  4  cum  aurifrigio. 

Der  älteste  noch  erhaltene  Manipel  in  der  jetzigen  Streifenform  stammt 
aus  dem  Beginn  des  10.  Jahrhunderts.  Er  wurde  schon  gelegentlich  erwähnt. 
Es  ist  der  Manipel,  welcher  1827  im  Grabe  des  hl.  Cuthbert  aufgefunden  wurde, 
und  welchen  laut  Inschrift  Königin  Elflead  für  Bischof  Frithestan  anfertigen 
ließ.  Er  ist  eine  ausgezeichnete  Arbeit,  die  den  Beschauer  unwillkürlich  zur 
Bewunderung  zwingt.  Der  Manipel  hat  eine  Länge  von  86  cm  bei  einer 
Breite  von  6  cm  und  ist  auf  beiden  Hälften  mit  Heiligenfiguren,  die  auf 
Wolken  stehen  und  zu  deren  Häupten  Blattwerk  angebracht  ist,  geschmückt. 
Die  dargestellten  Heiligen  sind  Gregor  d.  Gr.,  Petrus  Diakonus,  Sixtus  II. 
und  Laurentius.  Der  Fond  des  Figurenwerks  besteht  aus  äußerst  feinen, 
mit  tief  eingezogenen  Abheftstichen  befestigten  Goldfäden.  An  den-  Seiten 
ist  der  Manipel  mit  einem  schmalen,  goldgemusterten  Rändchen  eingefaßt, 
an  den  Enden  aber  mit  quadratischen  Abschlußstücken ,  die  Halbbilder  auf- 
weisen ,  versehen i.  In  der  Mitte  enthält  er  in  einem  Vierpaß  die  Rechte 
Gottes.  Der  Manipel  bildet  einen  unzweifelhaften  Beweis,  daß  es  bereits  im 
Beginn  des  10.  Jahrhunderts  Manipel  in  der  später  allgemein  üblichen  Streifen- 
form gegeben  hat. 

Er  bekundet  aber  auch,  daß  die  Umbildung  der  Mappula  zum  Zier- 
streifen nicht  erst  damals  ihren  Anfang  genommen  haben  kann;  denn  ein  so 
reich  verziertes  Stück,  bei  dem  sich  jede  Erinnerung  an  ein  Tuch  verloren  hat, 
ist  offenbar  nicht  die  erste  Phase,  sondern  das  Endresultat  eines  längeren 
Prozesses.  Wirklich  treffen  wir  bereits  im  9.  Jahrhundert  Bildwerke  an,  auf 
denen  der  Manipel  allem  Anschein  nach  Streifenform  besitzt.  Das  erste 
Beispiel  findet  sich  auf  einer  der  Kopfseiten  des  Palliotto  in  S.  Ambrogio  zu 
Mailand  (vgl.  Bild  258,  S.  521);  ein  zweites  bietet  eine  Miniatur  in  dem  Frag- 
ment eines  aus  der  zweiten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  stammenden  Sakra- 
mentars der  Pariser  Nationalbibliothek2,  ein  drittes  die  früher  schon  er- 
wähnte Miniatur  in  dem  Cod.  B.  25  2  der  Vallicelliana  zu  Rom  (vgl.  Bild  125, 
S.  267).  Auf  dem  Palliotto  gewahren  wir  den  streifenförmigen  Manipel  bei 
Diakonen,  auf  der  Pariser  Miniatur  bei  zwei  Bischöfen  und  auf  dem  Bild 
der  römischen  Handschrift  beim  Subdiakon  Juvenianus.  Was  uns  in  allen 
diesen  drei  Fällen  in  dem  abgebildeten  Manipel  nicht  ein  streifenförmig  zu- 
sammengefaltetes Tuch,  sondern  einen  bloßen  Streifen  sehen  heißt,  ist  nicht 
die  Verzierung  der  Enden  als  solche,  sondern  die  Art  der  Verzierung.  Freilich 
darf  man  nicht  außer  acht  lassen,  daß  den  alten  Künstlern,  namentlich  aber 
den  Miniatoren  wenig  zu  trauen  ist,  sobald  es  sich  um  das  Detail  handelt, 
bei  welchem  nur  zu  oft,  um  nicht  zu  sagen  in  der  Regel,  die  Phantasie  die 
Hand   geführt   hat.     Am  wenigsten   kann   die  Miniatur   im  Kodex  der  Valli- 

1  Abbildung    bei    Roh.    VII,    pl.    dxxxi,  Raine,  Life  of  St.  Cuthbert,  Durham  1828, 

wo  er  aber   im  Gegenteil   zum  Text  (p.  39)  209. 

irrig    als    Stola    bezeichnet    ist.      Vgl.    auch  -  Abbildung  in  Arts  sompt.  pl.  xxm. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


533 


celliana  als  zuverlässig  gelten.  Der  Manipel,  den  die  Mönche  des  Klosters 
vom  hl.  Martin  zu  Tours  auf  dem  Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen 
tragen,  scheint  eher  ein  zusammengefaltetes  Tuch  als  einen  bloßen  Streifen 
darzustellen.  Die  Verzierung  an  den  Enden  gibt  sich  hier  wie  ein  fortlaufender 
Besatz,  nicht  wie  das  Endstück  eines  Streifens.  Außerdem  sind  auf  dem 
Manipel  selbst  Falten  angedeutet  (vgl.  Titelbild). 

Auf  den  Bildwerken  des  10.  und  11.  Jahrhunderts  erscheint  der  Manipel 
regelmäßig  als  ausgesprochener  Zierstreifen.  Namentlich  gibt  er  sich  als 
solchen  durch  die  eigenartige  Bildung  der  beiden  Enden  kund.  Statt  von  oben 
bis  unten  die  gleiche  Breite  aufzuweisen,  wie  das  bei  einem  zu  einem  Streifen 
gefalteten  Tuche  zu  erwarten  wäre,  haben  diese  nämlich  sehr  häufig  Trapez- 
oder Schaufelform  (Bild  259).  Ihre  Verbreiterung 
ist  bisweilen  so  beträchtlich,  daß  sie  stark  an  die 
Schaufeln  der  Manipel  des  späten  Barock  und  des 
Rokoko  erinnern.  Hat  die  Endverzierung  aber  eine 
rechteckige  oder  quadratische  Gestalt,  so  ragt  sie  sehr 
gewöhnlich  in  auffälliger,  ja  oft  geradezu  häßlicher 
Weise  seitlich  über  den  Manipelstreifen  hinaus.  Es 
unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  eine  derartige  Bildung 
der  Endstücke  zum  Teil  auf  die  Rechnung  der  Künstler- 
pbantasie  und  künstlerischer  Lizenzen  zu  setzen  ist. 
Doch  ist  sie,  weil  allgemein  und  konstant,  wohl  nicht 
bloß  Ausgeburt  einer  Künstlerlaune.  Das  eine  zeigt 
sie  jedenfalls  klar,  daß  mit  dem  Ornatstück  ein 
Wechsel  vor  sich  gegangen  war,  bei  dem  die  Mappula 
ihren  Tuchcharakter  verloren  hatte  und  zu  einem 
Zierstreifen  geworden  war. 

In  den  Inventaren  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  spie- 
gelt sich  der  Umbildungsprozeß  nur  sehr  mangelhaft  wider. 
Zwar  werden  in  ihnen  nicht  selten  goldverzierte  Mappülae 
aufgeführt  —  Beispiele  finden  sich  in  der  Schenkung  Emhildas 
von  Milz  (ca  800J :  Panones  auro  argentoque  parati;  dem 
Inventar  von  St  Bavo  zu  Gent  (860) :  Manipulos  cum  auro  ; 
dem  Verzeichnis  der  Gaben  Madalwins  von  Passau  (903) : 
Cum  fanone  auro  et  gemmis  parato ;  dem  Testament  Riculfs 
von  Eine:  manipulos  sex  cum  auro,  unum  es  iis  cum 
tintinnabulis  ;  dem  Inventar  von  Clermont-Perrand :  Panones 
cum  auro ;  dem  Inventar  von  Cremona  (98-1) :  Stolas  aureas  egregio  opere  compertas 
(sie)  integras  cum  dependentiis  suis  aureis  et  manipulis  suis  u.  a.  — ,  allein  nirgends 
ein  sicherer  Anhalt,  ob  wir  es  bei  solchen  manipuli  oder  fanones  mit  einem  bloßen 
Zierstreifen  oder  mit  einem  Tuch  zu  tun  haben.  Am  ehesten  könnte  in  den  Angaben 
des  Testaments  Riculfs  von  Eine  und  dem  Inventar  von  Cremona  eine  Andeutung 
gefunden  werden,  daß  sie  von  einem  bloßen  Streifen  reden. 

Aber  auch  im  11.  Jahrhundert  lassen  die  Inventare  vielfach  noch  nicht  er- 
kennen, ob  der  Manipel  ein  Tuch  oder  einen  Streifen  darstellte;  so  das  Inventar  von 
Prüm  (1003):  Manipuli,  quos  nos  phanones  vocamus,  20,  quorum  12  auro  et  6  argento 
sunt  praeparata;  das  St  Gallener  Inventar:  mappülae  18  cum  auro,  u.  a.  Immerhin 
gibt  es  einige  Schatzverzeichnisse ,  in  denen  die  darin  angeführten  goldverzierten 
Manipel  kaum  anders  mehr  als  bloße  Zierstreifen  aufgefaßt  werden  können.  Als 
Beispiele  seien  genannt  das  Inventar  von  Speier  (1051):  mappülae  V  ex  pallio,  quarum 
una  auro  texta;  das  Inventar  des  Klosters  Abdinghof  zu  Paderborn  (1031):  stolae 
auro  textae   adiunetis   mappularum   pertinentiis  u.  a.     Auch  die  Manipel, 


Bild    259.     Ausschnitt   aus 

einer    Miniatur    des    Gero- 

evangeliars. 

Darmstadt.  Grofilierzogliche 

Bibliothek. 


534  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

welche  Heinrich  II.  (stola ,  manipulus  atque  cingulum ,  singula  intexta  auro)  und 
Benedikt  Till.  (1012 — 1024)  dem  Kloster  Monte  Cassino  schenkten:  stolam  unam 
optimam,  auro  brüst. am  (goldbestickt)  cum  manipulo  suo,  sowie  die  Ma- 
nipel.  welche  von  Viktor  II.  (1054 — 1057)  verpfändet,  von  Abt  Desiderius  aber  ein- 
gelöst worden  waren:  9  stolae  auro  textae  cum  manipulis  suis,  waren  ohne 
Zweifel  blofse  Streifen  '. 

Über  die  Verbreitung,  welche  der  streifenförmige  Manipel  im  9.  Jahr- 
hundert besaß,  Vermutungen  anzustellen,  wäre  eine  müßige  Sache.  Weder 
die  Bildwerke  noch  die  Inventare  bieten  für  solche  eine  genügende  Unterlage. 
Was  den  Weg  anlangt,  auf  dem  sich  die  Umbildung  des  Mappula  vollzog,  so 
konnte  solches  an  sich  auf  doppelte  Weise  geschehen.  Entweder  wurde  aus 
der  streifenartig  zusammengefalteten  Mappula  direkt  ein  einfacher  Streifen, 
oder  dieser  entstand,  indem  sich  ein  Zierbesatz,  der  die  zusammengelegte 
Mappula  oben  bedeckte,  ablöste  und  nun  als  Surrogat  der  letzteren  diente. 
Der  erste  Weg  ist  der  natürlichste  und  wahrscheinlichste ,  zumal  es  für  den 
zweiten  an  jedem  Analogon  in  der  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  fehlt. 

Auffallend  ist,  daß  in  einzelnen  Inventaren  des  9.  und  10.  Jahrhunderts 
die  Mappula  vollständig  mangelt.  Dürfen  wir  daraus  schließen,  daß  sie  sich 
noch  nicht  überall  eingebürgert  hatte?  Vielleicht;  doch  ist  es  wohl  richtiger, 
in  den  facitergia  (facitercula) ,  welche  in  solchen  Inventaren  aufgeführt  zu 
werden  pflegen,  Mappulae  oder  Sudarien  zu  sehen.  Namentlich  scheint  das 
in  dem  Inventar  von  Marchiennes  geboten,  wo  die  facitercula  in  einem  Atem 
mit  den  stolae,  casulae  und  dalmaticae  genannt  werden. 

Über  den  Stoff  der  Manipel  liegen  aus  dem  9.  und  10.,  ja  selbst  noch 
dem  11.  Jahrhundert  so  gut  wie  keine  Nachrichten  vor.  Was  wir  darüber 
hören,  beschränkt  sich  fast  ganz  auf  eine  Andeutung  Amalars,  wonach  zu 
seiner  Zeit  das  Sudarium  gewöhnlich  aus  Linnen  angefertigt  worden  zu  sein 
scheint,  sowie  auf  den  Vermerk  des  Inventars  von  St-Riquier  aus  dem  Beginn 
des  9.  Jahrhunderts:  fanones  de  pallio  10,  woraus  wir  ersehen,  daß  auch  kost- 
barere Stoffe  zu  den  Mappulae  verwendet  wurden 2  (vorausgesetzt,  daß  unter 
den  fraglichen  fanones  wirklich  Mappulae  zu  verstehen  sind).  Die  Verzierung, 
mit  der  man  bessere  Mappulae  bedachte,  bestand  in  Fransen  und  obendrein 
auch  wohl  noch  in  einem  schmalen,  an  den  Enden  angebrachten  Besatz;  so 
wenigstens  auf  den  Bildwerken,  die  in  diesem  Punkt  im  großen  und  ganzen 
die  Wirklichkeit  wiedergeben  dürften.  Einer  der  Manipel,  welche  Riculf  von 
Eine  seiner  Kathedrale  hinterließ,  war  an  Stelle  von  Fransen  mit  Glöckchen 
geschmückt.  Die  Besätze  scheinen,  wo  sie  als  Endverzierung  zur  Anwendung 
kamen,  mit  Vorzug  aus  einer  Goldborte  gemacht  worden  zu  sein. 

Als  die  Mappula  zum  bloßen  Streifen  geworden  Avar,  entstanden  bald 
Manipel,  die  ganz  in  kostbarster  Stickerei  hergestellt  waren.  Ein  glänzendes 
Beispiel  aus  dem  beginnenden  10.  Jahrhundert  ist  der  bereits  erwähnte 
Manipel  im  Museum  der  Kathedrale  zu  Durham.  Ein  gutes  Beispiel  der  gold- 
durchwirkten  Ziermanipel,    von    denen    die    Inventare    des    11.    Jahrhunderts 


1  Chron.  Cass.  1.  2,  c.  43;  I.  3,  c.  18  (M.  Paramenten  im  ersten  Inventar  von  St-Riquier 
G.  SS.  VII  656  657  711).  In  der  Hinter-  mögen  Mappulae  bedeuten.  Dagegen  sind  die 
lassenschaft  Viktors  III.  befand  sich  ein  fano  fanones  de  pallio  usw.  im  Inventar  von  Fon- 
imperalis  totus  aureus  (ebd.  1.  3,  c.  74  [ebd.  tanelle  keine  solche,  da  dieses  die  Mappulae 
751]).  eigens   aufführt.     Wie    es   mit   den   fanones 

2  Auch  die  10  fanones  de  pallio  auro  im  Inventar  von  St-Riquier  aus  dem  Jahr 
parati  unter  den  von  Angilbert  stammenden  831  sich  verhält,   ist  unklar. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


535 


sprechen,  ist  ein  Manipel,  der  im  Archiv  des  (jansenistischen)  bischöflichen 
Ordinariats  zu  Utrecht  aufbewahrt  und  wie  die  Albe  daselbst,  deren  früher 
Erwähnung  geschah,  dem  hl.  Bernulf  zugeschrieben  wird.  Er  hat  eine  Breite 
von  0,075  m  und  die  bedeutende  Gesamtlänge  —  die  0,11  m 
langen  Fransen  an  den  Enden  eingerechnet  —  von  1,37  m. 
Eine  sich  wiederholende  Folge  von  acht  verschiedenen 
Bildern  aus  dem  Leben  des  Erlösers  ziert  ihn  (Bild  260). 
Die  Szenen,  welche  zur  Darstellung  gebracht  wurden, 
sind  die  Verkündigung,  die  Geburt,  die  Anbetung  durch 
die  drei  Weisen,  Christus  am  Kreuz,  die  Frauen  am  Grabe, 
die  Auferstehung,  die  Himmelfahrt  und  Christus  in  der 
Glorie.  Jedes  der  naiven  und  kindlich  unbeholfenen  Bilder 
ist  durch  eine  Überschrift  gekennzeichnet,  durch  welche 
es  zugleich  von  dem  nächstfolgenden  geschieden  wird. 
Der  Grund  der  Szenen  ist  ein  prächtiger ,  leuchtend 
roter  Purpur;  das  Bildwerk  ist  durch  eingewebte  Gold- 
fäden hergestellt.  An  den  beiden  Langseiten  des  Ornat- 
stückes zieht  sich  nach  Art  eines  Börtchens  eine  Einfassung 
hin,  die  auf  Goldgrund  ein  doppeltes,  in  regelmäßigen 
Intervallen  gebrochenes  Zickzackmuster  von  grüner  Farbe 
stücke  sind  auf  Goldgrund  mit  einer  abwechselnd  weißen 
ranke  geschmückt,  die  in  einem  roten  Blatt  endigt. 


isk^cs. 


Bild  260.    Manipel  des 
hl.  Bernulf.     Utrecht. 

aufweist.    Die  End- 
und  grünen  Doppel- 


VI.    DER  MANIPEL  SEITDEM  XII.  JAHRHUNDERT  BIS  ZUR  NEUZEIT. 

Über  die  Beschaffenheit,  Gestalt,  Ausstattung  und  Größenverhältnisse  des 
Manipels  machen  die  Liturgiker  des  11.  und  12.  Jahrhunderts  leider  keine 
Angaben.  Nur  Rupert  von  Deutz  berichtet  uns,  daß  er  mit  Fransen  ge- 
schmückt werde.  Indessen  gibt  uns  bezüglich  des  Stoffes,  den  man  im  Be- 
ginn des  12.  Jahrhunderts  mit  Vorliebe  zur  Anfertigung  des  Manipels  gebrauchte, 
eine  sehr  interessante  Notiz  im  achten  Briefe  Abälards  an  Heloise  Aufschluß  *. 
Abälard  gibt  darin  Anweisung,  wie  das  Oratorium  im  Kloster  zum  Paraklet 
einzurichten  sei.  Es  soll  darin  die  äußerste  Einfachheit  herrschen.  Eine 
Ausnahme  dürfen  indessen  Stola  und  Fanon  machen.  Im  Gegensatz  zu  den 
übrigen  Paramenten  können  sie  aus  Seide  bestehen.  Es  muß  also  damals  offen- 
bar der  Manipel  mit  Vorzug  aus  Seide  gemacht  worden  sein.  Ihre  Bestätigung 
erhält  diese  Folgerung  durch  das  10.  Kapitel  der  Cistercienserstatuten  vom 
Jahre  1134,  wodurch  die  Verwendung  von  Seide  ebenfalls  nur  für  Stola  und 
Manipel  gestattet  wird 2. 

Auch  Durandus  weiß  uns  im  folgenden  Jahrhundert  von  der  Form  usw. 
des  Manipels  nichts  zu  erzählen.  Es  war  ihm  genug,  das  zusammenzuschreiben, 
was  man  je  über  die  mystische  Bedeutung  des  Ornatstückes  ausgeklügelt  hatte. 

Über  die  Größenverhältnisse  des  Manipels  in  der  Zeit  des  Durandus 
findet  sich  eine  bemerkenswerte  Angabe  in  den  Statuten  der  Lütticher  Synode 
vom  Jahre  1287.  Dieselbe  bestimmte,  es  solle  das  Ornatstück  so  lang  sein, 
daß  es  zwei  Fuß  unter  den  Arm  herunterhange3. 

Die  Bildwerke  lassen  den  Manipel  seit  dem  12.  Jahrhundert  stets  als 
einen   verhältnismäßig   langen,    aber   gewöhnlich   ziemlich   schmalen   Streifen 


M.  178,  281.  2  M.  181,  1727.  gleiche    Bestimmung    traf   noch    1550    eine 

C.  5,   n.  1    (Hartzh.   III    690).     Eine         Synode  von  Cambrai  tit.  8  (ebd.  VI  698). 


536 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


erscheinen,  welcher  meist  mit  geometrischen  Gebilden,  Ranken-  und  Laubwerk, 
seltener,    und   zwar  erst   in   späterer  Zeit,   mit   figuralen  Darstellungen   aus- 


gestattet ist. 


Bis  gegen  das  14.  Jahrhundert  ist  den  beiden  Streifen  vor  wie 


nach  sehr  häufig  ein  besonderes  Endstück  als  Abschluß  angefügt.  Es  hat 
bis  in  das  13.  Jahrhundert  hinein  noch  immer  sehr  gewöhnlich  die  Trapez- 
form, welche  uns  schon  um  die  Wende  des  Jahrtausends  bei  ihm  begegnete. 
Dann  aber  verliert  es  dieselbe  rasch  mehr  und  mehr,  bis  sie  zuletzt  so  gut  wie 
vollständig  verschwindet.  Auf  den  Bildwerken  des  14.  und  15.  Jahrhunderts 
gibt  sich  der  Manipel  in  der  Regel  als  einen  überall  gleich  breiten  Streifen. 
Weniger  oft,  daß  er  sich  auf  ihnen  von  unten  nach  oben  zu  verschmälert, 
aber  auch  in  diesem  Falle  mangelt  fast  immer  ein  besonderer  Abschluß. 
Bei  diesem  Wechsel,  den  wir  mit  der  Form  des  Manipels  vor  sich  gehen 
sehen,  blieb  es  nach  Ausweis  der  Bildwerke  jedoch  stets  Gewohnheit,  den 
unteren  Rand  mit  Fransen  und  Quasten  oder  gar  Glöckchen,  Äpfelchen, 
Eichelchen  und  ähnlichem  Zierat  aus  Silber,  vergoldetem  Kupfer  u.  dgl. 
zu  besetzen. 

Über  die  Befestigungsweise  des  Manipels  erhalten  wir  aus  dem  Bild- 
werk keinen  vollen  Aufschluß.  Daß  man  irgendwie  dafür  sorgen  mußte,  daß 
er  nicht  vom  Arm  heruntergleite,  ist  begreiflich.  Wie  verschie- 
dene Darstellungen  vermuten  lassen,  scheint  man  das  bald  dadurch 
erreicht  zu  haben,  daß  man  ihn  mittels  eines  an  der  Innenseite 
angebrachten  Bandes  am  Arm  festband,  bald  dadurch,  daß  man 
die  beiden  Streifen  unterhalb  des  Armes  teilweise  zusammennähte 
oder  mittels  eines  Knopfes  miteinander  verband. 

Eine  eigenartige  Befestigungsvorrichtung  erblickt  man  am 
Manipel  bei  der  Grabfigur  des  Domscholasters  Konrad  Barscher 
(f  1493)  im  Kreuzgang  des  Domes  zu  Augsburg.  Es  sind  in 
einem  Abstand  von  etwa  0,15  m  von  der  Mitte  an  der  Innenseite 
einer  der  beiden  Hälften  zwei  Schnüre  angenäht,  welche  durch 
zwei  in  der  andern  Hälfte  angebrachte  Löchlein  gezogen  und  dann 
zusammengebunden  erscheinen  (Bild  261).  Diese  Einrichtung  gewahrt  man 
auch  an  dem  Manipel  des  Erzbischofs  Johann  von  Metzenhausen  (f  1540)  auf 
dessen  Grabmonument  im  Dom  zu  Trier.  Ein  wirklicher  Manipel  dieser  Art 
findet  sich  im  Trierer  Dommuseum;  er  gehört  zu  der  sog.  Balduinskasel  und 
stammt  wie  diese  aus  der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts. 

Mit  Kreuzchen  sieht  man  auf  den  mittelalterlichen  Bildwerken  im  ganzen 
nur  selten  den  Manipel  ausgestattet.  Auf  Monumenten  des  10.  oder  gar 
9.  Jahrhunderts  sind  uns  mit  Kreuzen  versehene  Manipel  bisher  nicht  vor- 
gekommenJ.  Zu  den  ältesten  Darstellungen,  auf  denen  man  solche  auf  ihm 
antrifft,  gehört  ein  Fresko  der  Unterkirche  von  S.  demente  zu  Rom  und  die 
Miniatur  eines  Evangeliars  der  Kölner  Dombibliothek.  Dort  ist  ein  Kreuz 
in  der  Mitte  einer  jeden  Hälfte  des  Ornatstückes  angebracht,  hier  ist  dieses 


Bild  261. 
Ehemalige 
Bindevorrich- 
tung' am 
Manipel. 


1  Der  Weiherotnlus  der  Casanatense  zu 
Rom,  auf  dessen  Miniaturen  der  Bischof  hie 
und  da  einen  Manipel  tragen  soll ,  der  mit 
einem  Kreuz  versehen  ist,  stammt  nicht  aus 
dem  10.  Jahrhundert,  wie  Langlois,  Le  rou- 
leau  d'Exultet  de  laBibliotheque  Casanatense, 
in  MeJanges  d'arch<;ologie  et  d'histoire  VI, 
Jahrg.  1886  behauptet,  sondern  aus  dem  Be- 
ginn des  12.    Er  rührt  nicht  von  Landulf  I. 


von  Benevent  her,  wie  Langlois  will,  sondern, 
wie  aus  einer  Folge  von  Hexametern  in  dem 
Taufrotulus  der  Casanatense  sich  ergibt,  von 
Landulfus  alter,  Landulf  IL,  her.  Auch  handelt 
es  sich  bei  dem  angeblichen  Manipel  allem 
Anschein  nach  nur  um  das  Ende  des  Palliums, 
das  der  Bischof  hier  in  der  linken  Hand  hält. 
Denn  auf  den  Bildern,  wo  das  Pallium  fehlt, 
mangelt  auch  der  Manipel. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


537 


mit  einer  Reihe  von  Kreuzen  verziert.  Im  letzteren  Fall  sind  indessen  die 
Kreuze  sicher  nur  ein  Werk  der  Phantasie,  weshalb  ein  Schluß  von  ihnen 
auf  die  Praxis  nicht  zulässig  ist.  Freilich  soll  keineswegs  geleugnet  werden, 
daß  man  auf  dem  Manipel  auch  wohl  schon  im  Mittelalter  Kreuze  angebracht 
habe.  Einzelne  noch  erhaltene  mittelalterliche  Exemplare,  von  denen  noch 
die  Rede  sein  wird,  beweisen  das  mit  aller  Bestimmtheit.  Nur  läßt  sich  nicht 
jedes  Bildwerk,  auf  dem  ein  Manipel  mit  Kreuzen  dargestellt  ist,  zum  Beleg 
dafür  verwenden.  Bemerkenswert  ist,  daß  der  Ma- 
nipel selbst  auf  den  römischen  Grabmälern  gewöhnlich 
ohne  Kreuz  ist.  Wenigstens  fehlen  die  Kreuze  an 
den  unteren  Enden.  In  Mainz  erscheinen  Kreuze 
auf  dem  Manipel  der  Grabfiguren  der  Erzbischöfe 
im  Dom  erst  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts. 

Die  Schatzverzeichnisse  des  späteren  Mittel- 
alters pflegen  meistens  die  Manipel  nicht  näher  zu 
beschreiben.  Sie  führen  nicht  einmal  immer  die 
Manipel  ausdrücklich  an.  Sehr  gewöhnlich  begnügt 
man  sich  mit  der  Bemerkung:  „Eine  Kasel  (Dal- 
matik  usw.)  mit  ihrem  Zubehör. "  Nur  die  vereinzelt 
vorhandenen  oder  kostbaren  Manipel  werden  beson- 
ders genannt.  Wir  erfahren  darum  aus  manchen 
Inventaren  nur  äußerst  wenig  über  die  Beschaffen- 
heit des  Ornatstückes.  Immerhin  ist  jene  summa- 
rische Erwähnung  der  Manipel  in  den  Schatzverzeich- 
nissen insofern  von  Belang,  als  wir  daraus  ersehen, 
daß  sie  dem  Stoff  und  der  Farbe  nach  meist  von  der- 
selben Beschaffenheit  wie  die  Kasel  bzw.  Dalmatik 
oder  Tunicella  gewesen  sein  werden,  wozu  sie  ge- 
hörten. Unumstößliche  Regel  war  das  freilich  nicht, 
wie  man  überhaupt  die  mittelalterliche  Praxis  keines- 
wegs nach  dem  liturgischen  Brauch  der  Gegenwart 
bemessen  darf.  Wie  bemerkt,  sind  es  durchweg  nur  die 
wertvolleren  oder  ohne  eine  Kasel  bzw.  Dalmatik  und 
Tunicella  vorhandenen  Manipel,  die  einzeln  aufgeführt 
und  näher  beschrieben  werden.  Aus  solchen  Notizen 
erfahren  wir  dann  aber,  daß  es  wie  im  10.  und  11.  Jahr- 
hundert, so  auch  noch  in  der  Folge  manche  reich  ver- 
zierte Manipel  gegeben  hat,  bei  welchen  man  an  Per- 
len, Edelsteinen,  Gold  oder  vergoldetem  Silberbleche 
und  kunstvollen  Stickereien  keineswegs  gespart  hatte. 

So  vermerkt  das  Schatzverzeichnis  von  Salisbury  aus  dem  Jahre  1212  unter 
andern  einen  mit  Perlen  besetzten  und  vier  bestickte  Manipel.  Das  Inventar  des 
Schatzes  des  Apostolischen  Stuhles  führt  1295  im  ganzen  26  Manipel  auf,  die  zum  Teil 
ungemein  kostbar  gewesen  sein  müssen.  So  heißt  es  z.  B.  darin :  Item  stolam  et 
manipulum  de  opere  venetico  cum  imaginibus  habentibus  coronam  de  perlis  .  .  .;  item 
stolam  et  manipulum  de  opere  anglicano  cum  imaginibus  de  serico  diversorum  colo- 
rum  .  .  . ;  item  stolam  et  manipulum  de  serico  diversorum  colorum  ad  historiam 
Passionis  .  .  . ;  item  stolam  et  manipulum  laboratos  ad  aurum  et  sericum  rubrum  et 
nigrum  cum  perlis  grossis  et  minutis  et  23  campanulis  argenteis  deauratis  clausis  .  .  . ; 
item  unum  manipulum  laboratum  super  cendato  indico  cum  rosetis  ad  4  angulos  de 
argento  deaurato,  in  quibus  sunt  granatelli  et  turchisii  u.  a.   Einige  der  Manipel  waren, 


Bild  262.     Manipel. 
Naniur,  Convent  des  Relig.  de  N.-D. 


538 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insianien. 


wie  das  auch  sonst  im  Mittelalter  nicht  selten  geschah ,  aus  Borten  gemacht ;  so  lesen 
wir:  item  unum  manipulum  de  frixio  anglicano  cum  fimbriis  sericis  .  .  . ;  item  unum 
manipulum  de  frixio  albo  de  Alamania  ad  aurum  antiquum.  Im  Schatze  von  St  Peter  aber 
befand  sich  1361  neben  andern  Manipeln  mit  und  ohne  Figuren  in  englischer  und 
venetianischer  Arbeit  einer  cum  Salvatore  in  medio ,  cum  sancto  Petro  ab  una  parte 
et  cum  sancto  Paulo  ab  alio(a)  et  cum  uno  pistillione  de  argento  deaurato  (Knöpf- 
chen wohl  als  Befestigungsvorrichtung).  Unter  den  Paramenten,  welche  Gottfried 
von  Loudon,  Bischof  von  Le  Mans  (f  1255),  seiner  Kathedrale  schenkte,  begegnen  uns 
ein  manipulus  rubei  coloris  cum  imaginibus  deauratis,  ein  Manipel  aus  weißer  Seide 
von  wunderbarer  Arbeit,  ein  manipulus  auro  intextus  cum  imaginibus  bestiarum  et 
arborum  subtiliter  intextarum  '. 

Viele  andere  Beispiele  reich  verzierter  Manipel  bieten  auch  die  Inventare  von 
Angers  und  Cluny,  namentlich  aber  das  von  St  Paul  zu  London  aus  dem  Jahre  1245. 
Da  gab  es,  um  aus  der  grofsen  Zahl  der  in  ihm  aufgeführten  Manipel 
den  einen  oder  andern  herauszugreifen,  einen,  der  aus  blauem  Köper 
bestand  und  mit  den  Bildern  der  Apostel  und  der  lall.  Erkenwald  und 
Edmund  bestickt  war.  Ein  anderer  wies  auf  schwarzseidenem  Grund 
Apostel ,  Propheten  und  die  hll.  Nikolaus  und  Edmund  auf.  Ein 
weiterer  —  er  war  aus  rotem  Seidenköper  angefertigt  —  war  mit 
aufgestickten,  kreuzförmigen  vegetabilischen  Gebilden,  auf  den  End- 
stücken aber  mit  Engeln  geschmückt.  Ein  Manipel,  den  ein  verstorbener 
Pönitentiar  hinterlassen  hatte,  war  mit  Löwen  bestickt  und  mit  Edel- 
steinen besetzt  usw. 

Die  Zahl  der  Manipel,  die  sich  aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert 
erhalten  haben,  ist  nicht  grofs.  Dem  12.  Jahrhundert  gehört  vielleicht 
noch  ein  Manipel  im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Sens  und  ein  anderer 
in  der  Kartause  Valsainte  bei  Bulle  (Schweiz)  an.  Jedenfalls  stammen 
beide  erst  aus  dem  späten  12.  Jahrhundert.  Mehr  Manipel  sind  aus  dem 
13.  Jahrhundert  auf  uns  gekommen.  Zu  ihnen  gehören  namentlich  die 
Manipel  im  Besitz  der  Schwestern  U.  L.  Erau  zu  Namur,  in  St-Donat 
zu  Arlon,  zu  Provins,  zu  Pontigny,  in  den  Kathedralen  zu  Troyes  und 
Bayeux  und  in  dem  kgl.  Kunstgewerbemuseum  zu  Berlin.  Auch  ein 
Manipel  im  Schatz  der  Kathedrale  zu  Anagni  mag  noch  dem  13.  Jahr- 
hundert angehören.  Jedenfalls  gilt  solches  von  einem  der  ehemaligen 
Sammlung  Bocks  angehörigen  Exemplare,  das  dieser  in  seiner  „Ge- 
schichte der  liturgischen  Gewänder"  abgebildet  und  beschrieben  hat. 
Von  zwei  wertvollen  Manipeln  im  Schatz  des  Benediktinerpriorats 
Andechs  dürfte  einer,  als  manipulus  S.  Gregorii  bezeichnet,  dem 
13.  entstammen,  der  andere,  ein  manipulus  S.  Udalrici,  aber  zum 
wenigsten  ins  12.  hinaufreichen. 
Der  Manipel  in  der  Kathedrale  zu  Sens  ist  ein  schönes  Stück.  Er  hat  eine 
Gesamtlänge  von  1,60  m.  Seine  trapezartigen  Endstücke  sind  0,22  m  lang  und  bestehen 
aus  gemustertem  Goldstoff,  während  die  Streifen  selbst  mit  Goldmustern  auf  farbigem 
(grünem,  violettem  oder  braunem)  Grund  verziert  sind.  Unten  schliefsen  sie  mit  einem 
Eisenblechstreifen  ab ,  der  mit  einem  ornamentierten  Silberplättchen  bedeckt  und  mit 
einem  Behang  von  silbervergoldeten  Glöckchen  in  Birnenform  versehen  ist. 

Wohl  nicht  mehr  ganz  vollständig  ist  der  höchst  interessante  Manipel  im  Schatz 
der  Schwestern  U.  L.  Erau  zu  Namur.  Es  fehlen,  wie  es  scheint,  die  Endstücke.  Der 
Manipel  ist  aus  gelbbrauner,  einst  wohl  roter  Seide  gemacht  und  stammt  aus  der 
Frühe  des  13.  Jahrhunderts.  Bei  einer  Breite  von  0,08  m  ist  er  im  ganzen  1,19  m 
lang  und  auf  jeder  Hälfte  mit  vier  Heiligenfiguren  (Apostel  und  der  hl.  Dionysius), 
die  unter  Baldachinen  stehen,  ausgestattet.    Die  Heiligen  und  die  Arkaturen  sind  mittels 


Bild  263.  Manipel 

des  hl.  Edmund. 

Pontigny.    (Pliot. 

de  Farcy.J 


Acta  episc.  Cenom.  c.  44  (Mab  il  Ion,  Analecta  vet.  III,  Paris  1682,  389). 


Erstes  Kapitel.     Der  Mahipel. 


539 


Goldstickerei  hergestellt.  In  der  Mitte  des  Ornatstiickes,  da,  wo  es  dem  Arm  auflag, 
ist  ein  gleicharmiges  Kreuz  eingestickt  (Bild  262,  S.  537). 

Aus  nur  wenig  späterer  Zeit  stammt  der  Manipel  des  hl.  Edmund,  Erzbischofs 
von  Canterbury,  zu  Pontigny.  Selbiger  hat  eine  Länge  von  1,32  m  und  eine  Breite 
von  0,065  m,  erweitert  sich  aber  unten  bis  zu  0,11  m.  Der  rote  Grund  ist  mit 
Goldstickereien  geziert,  welche  Cherubim  und  Schlösser,  eingefaßt  von  Laubwerk  und 
geschieden  durch  Eosetten,  darstellen  '  (Bild  263). 

Auch  der  Manipel  zu  Provins  soll  vom  hl.  Edmund  herrühren.  Statt  mit  figür- 
lichen und  vegetabilischen  Gebilden  ist  er  nur  mit  geometrischen  Mustern  in  Gold, 
Gelb  und  Braun  bestickt.  Seine  Gesamtlänge  beträgt 
1,66  m.     Die  Enden  sind  mit  Fransen  besetzt1. 

Der  Manipel  in  der  Kathedrale  zu  Troyes  stammt 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  und  weist 
noch  immer  den  trapezförmigen  Abschluß  auf.  Was  die 
Ausstattung  und  die  stoffliche  Beschaffenheit  anlangt,  bietet 
er  nichts  Bemerkenswertes  -. 

Ein  kostbares  Stück  ist  der  Manipel,  den  die  Ka- 
thedrale zu  Bayeux  besitzt.  Er  geht  unter  dem  Namen 
des  hl.  Regnobert  (f  ca  668) ,  ist  aber  in  Wirklichkeit 
erst  im  13.  Jahrhundert  entstanden.  Die  Ornamentierung 
besteht  bei  ihm  in  geometrischen  Gebilden ,  Zickzack, 
Rauten,  verkümmerten  Mäandern  usw.  Auf  den  Streifen 
wechselt  Gold  mit  Violett,  die  Endstücke  weisen  nur  Gold- 
grund auf.  Das  Ornatstück  war  und  ist  zum  Teil  noch 
reich  mit  kleinen  Perlen  verziert 3. 

Der  Manipel  im  kgl.  Kunstgewerbemuseum  zu  Berlin 
zeichnet  sich  durch  die  vorzüglichen  figürlichen  Stickereien 
aus,  mit  denen  er  geschmückt  ist.  Auf  den  Endstücken, 
die  sich  trapezartig  erweitern,  sind  zwei  heilige  Diakone, 
auf  dem  Manipel  selbst  aber  vier  heilige  Bischöfe  dar- 
gestellt. Alle  befinden  sich  unter  Kleeblattbogen.  Ge- 
trennt werden  die  Figuren  voneinander  durch  romanisieren- 
des  Rankenwerk,  dem  ein  Kreis  mit  je  einem  Evangelisten- 
symbol eingeschaltet  ist.  Die  Mitte  nimmt  ein  Bild  des 
Gotteslammes  ein.  Der  Fond  des  Manipels  besteht  aus 
grüner  Taftseide;  die  ungemein  zarten  und  edeln  Sticke- 
reien, welche  eine  wirkliche  Künstlerhand  verraten,  sind 
mit  Ausnahme  von  Gesicht,  Händen,  Haar  und  Blumen  ( 
in  Gold  ausgeführt,  wobei  die  Abheftfäden  so  tief  in  den 
Stoff  eingezogen  sind,  daß  sie  für  das  Auge  verschwinden. 
An  den  Enden  waren  seidene  Kordonnetfransen  ange- 
bracht, die  sich  indessen  nur  mehr  an  einem  derselben 
erhalten  haben.    Der  Manipel  stammt  aus  Brauweiler  und 

ist,  wie  die  Art  der  Besätze  auf  der  Dalmatik  der  Diakone  beweist,  italienischen  Ur- 
sprunges. Er  ist  1,36  m  lang,  0,07  m  breit  und  erweitert  sich  an  den  Enden  auf  0,13  m. 
Künstlerisch  ist  er  unzweifelhaft  der  bedeutendste  Manipel,  der  sich  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert erhalten  hat  (Bild  264). 

Der  Manipel  in  St-Donat  zu  Arlon  ist  aus  einer  kräftigen,  aus  starkem  Linnen- 
garn in  Köperbindung  gewebten  Borte  gemacht,  die  auf  blau  und  braunrot  gestreiftem 
Grund  allerlei  weißlichgelbe  Tiergestalten  (zum  Teil  von  bizarrster  Bildung)  unter- 
mischt  mit  stilisierten  Lilien   und  geometrischen  Motiven  aufweist.     In  der  Mitte  ist 


Bild  264.     Manipel. 

Berlin,  Kunstgewerbemuseum. 


1  Roh.  VII  43. 

2  AbbildungbeiViollet-le-Duc,  Dictionn. 
raison,  du  mobilier  franc.  IV,  pl.  xiv. 


3  De  Farcy ,  La  chasuble  de  St  Regnobert, 
Caen  1881,  und  Roh.  VII  43.  Eine  Ab- 
bildung der  gleichartigen  Stola  pl.  dxxxv. 


540 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


das  Lamm  Gottes  angebracht.  Die  Endstücke  sind  ursprünglich ,  aber  später  neu 
mit  Seide  überzogen  worden  (Bild  265).  Der  Manipel  hat  bei  einer  Breite  von  nur 
0.04  m  eine  Gesamtlänge  von  1,28  m;  die  Enden  sind  0,125  m  lang  und  oben  0,04  m, 
unten  aber  0,09  m  breit. 

Der  Manipel  der  Bockschen  Sammlung,  jetzt  im  Kensington-Museum,  wird 
von  seinem  einstigen  Besitzer  folgendermaßen  beschrieben:  „Der  Manipel  hat  eine 
größte  Länge  von  1,68  m  bei  einer  Breite  von  nur  0,075  m.  Seine  Fußteile  sind 
0,105  m  lang   und   aus   reinem   roten  Seidenstoff  mit  einer  kleinen  Erweiterung    auf 

beiden  Seiten  so  angesetzt,  daß  auf  der 
Unterlage  von  gemustertem  Seidenstoff  eine 
quadratisch  in  Kreuzform  gehaltene  Perl- 
stickerei  einen  reichen  Abschluß  gewährt. 
Außerdem  sind  als  fimbriae  fünf  längere 
Seidenquasten  angenäht ,  welche  oben  eine 
zierliche  Knotenverschlingung  erkennen 
lassen.  ...  In  der  mittleren  Füllung  des 
Manipels  sind  kleine  Tierunholde  und  Pflan- 
zenornamente  mit  der  fleur  de  lis  einge- 
webt. ...  In  den  beiden  Bändern  des  in 
Gold  gewirkten  Manipels  sind  in  grüner 
und  violetter  Farbe  romanische  Versalien 
angebracht,  die  folgende  Lesung  ergeben : 
O  spes  divina,  via  tuta,  potens  medicina, 
porrige  subsidium  miseris,  o  sancta  Maria. 
Protege,  salva,  benedic,  sanctifica  famulum 
tuum  Alebertum  crucis  per  signaculum. 
Corr(ige)  consortem  sanctae  sortis  patrone  (?) 
ministrum,  effice  Corneli  meritis  prece  regna 
mereri.  Morbos  averte  corporis  et  animae, 
hoc  contra  signum  nulluni  stet  periculum. 
0  coeli  porta,  nova  spes  mor(talium).  O  Cle- 
mens domina,  spes  desperantibus  una."  ' 

Der  manipulus  S.  Udalrici  zu  Andechs 
ist  1,15  m  lang  und  fast  0.05  m  breit.  An 
den  Enden  ist  er  mit  0,05  m  langen  seidenen 
Fransen  versehen.  Die  in  weißer  Seide  auf 
gelblichem  Grund  hergestellte  Musterung  be- 
steht aus  paarweise  nebeneinandergestellten 
kleinen  Kreisen ,  welche  Tiergestalten  um- 
schließen. Die  Zwickel  zwischen  den  Kreisen 
werden  durch  vegetabilische  Motive  aus- 
gefüllt. Den  seitlichen  Abschluß  bildet  ein 
schmaler  Längsstreifen  von  grüner  Farbe. 
Der  andere  Manipel  ist  1,11  m  lang  und 
0,05  m  breit.  Auch  er  trägt  an  den  Enden  Fransen  von  0,05  m  Länge.  Das  ihm  ein- 
gewebte Dessin  setzt  sich  aus  über  Eck  gestellten  Quadraten  zusammen,  welche  Haken- 
muster enthalten  und  in  ihren  Farben  nach  Zonen  wechseln  2. 

Der  Manipel  im  Kartäuserkloster  Valsainte  stellt  eine  schwere  Seidenborte  von 
weißer  Farbe  dar  und  ist  an  den  Enden  mit  einem  rechteckigen,  aus  einer  Goldborte 
gemachten  Endstück  geschmückt,  das  mit  weißen  Fransen  abschließt.    Er  ist  0,054  m 


Bild  265.     Manipel  und  Stola. 
Arlon,  St-Donat. 


1  Bock  II  80  und  Tfl  xvm. 

2  Auch  die  stola  St  Nicolai  zu  Andechs 
dürfte  wohl  nur  einen  Manipel  darstellen,  da 
ihre  Gesamtlänge  bloß  1,31  m  beträgt.  Sie 
setzt  sich  aus  einem  älteren  Stück,  einer  mit 


kleinen  Quadraten  gemusterten  Borte  von 
0,805  m  Länge,  und  einem  isabellenbraunen, 
angemusterten  Seidenstreifen  von  0,505  m 
Lauge  zusammen  und  ist  an  den  Enden  mit 
5  cm  langen  Fransen  verziert. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


541 


breit  und  1,56  m  lang.    Als  Muster,  mit  dem  er  verziert  ist,  weist  er  kleine  Kauten 
auf,  deren  Umfassung  und  Kern  mit  periförmigen  Punkten  gefüllt  sind  '. 

Der  Manipel  im  Schatz  der  Kathedrale  von  Anagni  aus  dem  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts besteht  aus  einer  mit  geometrischen  Gebilden  (Rauten)  belebten  Goldtresse, 
welche  überall  die  gleiche  Breite  von  ca  0,06  m  hat. 

Von  Manipeln  aus  dem  14.  Jahrhundert  verzeichnen  wir  nur  zwei.  Der  eine 
befindet  sich  im  Dom  zu  Xanten,  der  andere  in  St  Andreas  zu  Köln.  Der  letzt- 
genannte ist  aus  blauem  Samt  hergestellt  und  ist  mit  einer  Folge  von  sechs  ca  0,10 
bis  0,11  m  hohen  freistehenden  Heiligenfigürchen  bestickt,  welche  die  hl.  Ursula,  die 
hl.  Katharina,  und  andere  weibliche  Heilige  wiedergeben.  Getrennt  sind  die  einzelnen 
Bildchen  durch  fünf  Kleeblätter.  Die  Länge  des  Manipels  beträgt  ca  1,00  m,  seine 
Breite  0,065  m.  Er  ist  überall  gleichbreit  und  an  den  Enden 
mit  rotseidenen  Fransen  besetzt  -. 

Der  Xantener  Manipel  ist  aus  roter  Seide  angefertigt  und 
in  Stickerei  mit  acht  miniaturartig  feinen  Passionsgrüppchen  von 
vorzüglicher  Ausführung  und  trefflicher  Zeichnung  geschmückt. 
Es  sind  der  Verrat,  die  Verspottung,  die  Geißelung,  die  Kreuz- 
tragung,  die  Kreuzigung,  die  Abnahme,  das  Begräbnis  und  die 
Auferstehung.  Jede  Szene  ist  von  einer  luftigen  Arkatur  über- 
dacht. Der  Manipel,  bei  dem  gegenwärtig  in  der  Mitte  ein  Stück- 
chen fehlt,  ist  1,02  m  lang  und  0,075  breit  und  stellt  ebenfalls 
ein  Band  von  gleichbleibender  Breite  dar. 

Aus  dem  15.  Jahrhundert  haben  sich  manche  Manipel  er- 
halten ,  doch  ist  uns  keiner  von  hervorragenderem  Wert  bekannt 
geworden.  Sie  sind  allesamt  sehr  einfach  und  haben  meist  keine 
andere  Verzierung  als  die  Fransen,  mit  denen  ihre  Enden  besetzt 
sind.  Einzelne  sind  aus  gewebten  Borten  gemacht,  gewöhnlich  aber 
bestehen  sie  aus  dem  Stoff  der  Kasel,  zu  der  sie  gehörten.  Ihre 
Breite  geht  selten  unter  0,06  bis  0,07  m  herab,  ihre  Länge  be- 
trägt durchweg  ca  1  m.  Dabei  haben  sie  regelmäßig  von  oben 
bis  unten  gleiche  Breite  3  (Bild  266).  Die  meisten  Manipel  aus  dem 
15.  Jahrhundert  finden  sich  in  dem  Dom  zu  Halberstadt  und  in 
St  Marien  zu  Danzig.  Zu  Halberstadt  gibt  es  ihrer  an  die  zwanzig 
Stück,  zu  Danzig  aber  wenigstens  doppelt  so  viel.  Wer  die  Ma- 
nipel des  ausgehenden  Mittelalters  studieren  will,  darf  darum 
nicht  unterlassen,  den  Dom  zu  Halberstadt  und  die  Marienkirche  zu  Danzig  auf- 
zusuchen. Daß  aber  Form  und  Beschaffenheit,  welche  die  Manipel  hier  aufweisen,  nicht 
etwas  rein  Nordisches  waren,  sondern  dem  allgemeinen  Brauch  der  Zeit  entsprachen, 
beweisen  nicht  nur  die  anderswo  vorkommenden  spätmittelalterlichen  Manipel,  von 
denen  einer  in  der  Opera  del  Duomo  zu  Siena  hier  ausdrücklich  erwähnt  werden  soll, 
weil  er  vom  hl.  Bernardin  von  Siena  gebraucht  wurde  *,  sondern  auch  ein  Vergleich 
mit  den  Darstellungen  des  Manipels  auf  den  Monumenten  des  15.  Jahrhunderts. 


Bild  266.     Manipel. 

Danzig,  Marienkirche. 


VII.    DER  MANIPEL  IN  DER  NEUZEIT. 

Um  das  Ende  des  Mittelalters  begann  in  gewissem  Sinne  eine  Rückwärts- 
bewegung   in    der  Entwicklung   des   Manipels.     Studiert   man   die   römischen 

aus  älteren,  von  Kasein  oder  Chorkappen  her- 
rührenden Zeugen  gemacht.  In  solchen  Fällen 
ist  dieForm  in  der  Regel  entscheidend.  Verbrei- 
tern sich  derartige  Manipel  am  Ende  schaufelar- 
tig,  so  darf  unbedenklich  trotz  des  älteren  Stof- 
fes auf  spätere  Entstehung  geschlossen  werden. 
4  Der  Manipel  ist  an  den  Enden  mit  einem 
Kreuzchen  bestickt  und  mit  Fransen  besetzt; 
eine  sonstige  Verzierung  fehlt. 


1  Eine  allerdings  mangelhafte  Abbildung 
in  Revue  1905,  409. 

2  Abbildung  bei  Bock  II,  Tfl  34. 

3  Es  muß  darauf  aufmerksam  gemacht  wer- 
den ,  daß  nicht  alle  Manipel,  die  aus  einem 
Stoff  des  14.  oder  des  15.  Jahrhunderts  bestehen, 
wie  man  deren  hie  und  da  gelegentlich  antrifft, 
auch  wirklich  dem  14.  oder  15.  Jahrhundert  ent- 
stammen.   Bisweilen  sind  sie  in  späterer  Zeit 


542 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Grabmäler  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  so  gewahrt  man,  wie  er  auf 
denselben  fast  ausnahmslos  die  Form  eines  überall  gieichweiten  Streifens  von 
mäßiger  Breite  hat.    Wo  man  auf  ihnen  beim  Manipel  eine  Erweiterung  des 

unteren  Endes  antrifft,  ist  diese  noch  so  gering- 
fügig, daß  sie  sich  kaum  bemerkbar  macht. 
Betrachtet  man  dagegen  die  Manipel,  welche 
zu  den  vom  hl.  Karl  Borromäus  und  vom 
hl.  Pius  V.  herrührenden  Ornaten  in  S.  Maria 
Maggiore  gehören,  so  fällt  alsbald  die  Änderung 
in  der  Form  auf,  die  seit  dem  Beginn  des 
16.  Jahrhunderts  mit  dem  Ornatstück  vor  sich 
gegangen  war.  Der  Manipel  ist  nicht  bloß 
breiter  geworden,  er  hat  sich  insbesondere  auch 
an  den  Enden  beträchtlich  erweitert. 

Dieser  Wechsel  in  der  Form  des  Manipel  s 
blieb  aber  nicht  einzig  auf  Rom  beschränkt ;  wir 
sehen  ihn  zur  gleichen  Zeit  sich  allenthalben 
vollziehen  (Bild  267).  Wer  sich  die  Mühe  gibt, 
die  Bildwerke  aus  dem  16.  Jahrhundert  auf  die 
Umbildung  des  Manipels  hin  zu  untersuchen, 
oder  einen  Vergleich  anstellt  zwischen  den  Ma- 
nipeln,  die  sich  aus  der  Wende  des  15.  erhal- 
ten haben,  und  jenen,  die  dem  späten  16.  ent- 
stammen, wird  sich  wundern,  wie  rasch  und  wie 
allgemein  der  Wandel  in  der  Form  des  Ornat- 
stückes damals  vor  sich  ging.  Schon  um  das 
letzte  Viertel  des  16.  Jahrhunderts  war  es 
nahezu  allgemeine  Sitte,  den  Manipel  an  den 
Enden  weiter  werden  zu  lassen.  Es  war  daher 
nur  der  Ausdruck  einer  bereits  bestehenden  Ge- 
pflogenheit, wenn  der  hl.  Karl  und  im  Anschluß 
an  ihn  1605  die  Synode  von  Prag 1  solches 
ausdrücklich  vorschrieben. 

Das  ausgehende  17.  und  das  im  Bann  des 
Rokoko  stehende  18.  Jahrhundert  schufen  die 
häßlichen  sog.  Schaufel-  oder  Taschenmanipel. 
Dieselben  entstanden  dadurch,  daß  man  die 
Enden  des  Ornatstückes  bis  auf  0,20  m  und 
selbst  mehr  erbreiterte,  seinen  mittleren  Teil  da- 
gegen, soweit  es  nur  eben  anging,  verkürzte 
und  verschmälerte.  Die  Taschenmanipel  waren 
die  äußerste  Entartung  der  alten  Mappula.  Von 
einem  eigentlichen  Streifen  konnte  bei  ihnen 
kaum  mehr  die  Rede  sein;  sie  stellten  vielmehr 
zwei  Lappen  dar,  welche  durch  ein  kurzes,  schma- 
les Zeugstück  miteinander  verbunden  waren. 
Was  die  Ausstattung  anlangt,  waren  diese  Manipel  allerdings  bisweilen  sehr 
reich  und  kostbar;    nur   war  ihre  in  breiten  Goldborten  und  schweren  Gold- 


Bild  267.    Manipel  in  Goldstickerei. 

(Slavische  Arbeit  des  16.— 17.  Jahrb. 

Aachen,  Münster. 


C.  13  (Hartzh.  VIII  601). 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  543 

Stickereien  bestehende  Verzierung  gewöhnlich  kaum  minder  geschmacklos  als 
ihre  Gestalt.  Es  muß  jedoch  betont  werden ,  daß  es  vor  allem  Frankreich 
und  im  Gefolge  Frankreichs  Deutschland  und  Spanien  waren,  wo  die  un- 
schönen Schaufelmanipel  zur  Herrschaft  kamen.  In  Italien  hat  das  Ornat- 
stück stets  eine  würdige  Form  bewahrt.  Wohl  wurden  auch  hier  die  Enden 
breit  genug,  allein  man  verbreiterte  den  Manipel  nicht  bloß  an  den  Enden, 
sondern  überhaupt,  so  daß  wenigstens  ein  erträgliches  Verhältnis  zwischen 
den  Endstücken  und  dem  mittleren  Teil  gewahrt  blieb  (vgl.  Bild  11,  S.  43). 
Die  neueste  Zeit  hat  wenigstens  in  Deutschland  die  Schaufelform  der  Manipel 
beseitigt,  indem  sie  zur  Form  des  13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts  zurückkehrte 
oder  doch  das  Endstück  auf  ein  besseres,  weil  geringeres  Maß  beschränkte. 
Im  übrigen  bietet  die  Geschichte  des  Manipels  in  der  Neuzeit  kaum 
etwas  Bemerkenswertes.  Das  einzige,  was  etwa  noch  angemerkt  zu  werden 
verdient,  ist,  daß  es  seit  dem  16.  Jahrhundert  Regel  wurde,  das  Ornatstück 
mit  den  gegenwärtig  allgemein  üblichen  drei  Kreuzen  zu  versehen.  Wie 
schon  früher  bemerkt  wurde,  genügt  ein  Kreuz  den  Rubriken  des  römischen 
Missale.  Daher  beschränkt  sich  z.  B.  auch  die  Synode  von  Brixen  vom  Jahre 
1603,  vorzuschreiben,  es  solle  ein  Kreuz  auf  dem  Manipel  angebracht  werden  1. 
Drei  Kreuze  fordert  dagegen  der  hl.  Karl  und  nach  seinem  Vorgang  die  eben 
erwähnte  Synode  von  Prag:  Habent  tres  cruces  annexas,  unam  scilicet  in 
medio  et  alias  duas  in  partibus  extremis.  Behufs  Befestigung  des  Manipels 
will  die  Prager  Synode  Bänder  mit  Quästchen  inwendig  an  demselben  an- 
gebracht sehen. 

VIII.    TRAGWEISE  DES  MANIPELS. 

Der  1.  Ordo  gibt  nicht  an,  wie  der  Papst  die  Mappula  zu  tragen  pflegte, 
sondern  begnügt  sich  bloß  mit  der  Bemerkung:  Subdiaconus  porrigit  ei  mappu- 
lam.  Der  etwas  spätere  3.  Ordo  weist  den  Subdiakon  an,  die  Mappula  auf  den 
linken  Arm  des  Papstes  über  die  Kasel  zu  legen;  dagegen  hatten  nach  dem 
St  Gallener  Kleiderverzeichnis  der  Papst,  die  Bischöfe,  die  Priester  und  Sub- 
diakone  die  sestace  in  manu  sinistra.  Ebenso  heißt  es  im  6.  Ordo,  der 
um  den  Ausgang  des  ersten  Jahrtausends  entstand,  aber  noch  im  11.  Jahr- 
hundert in  Gebrauch  war,  bezüglich  der  Mappula  der  Subdiakone  ausdrücklich : 
Mappulae  in  manu  ferendae.  Auch  nach  Hraban  und  Amalar  wurde  die 
Mappula  in  der  Hand  getragen.  Manibus  eorum  (sc.  sacerdotum)  mappula 
tenetur,  sagt  Hraban;  Amalar  aber  schreibt  genauer:  In  manu  sinistra  portatur. 

Die  Bildwerke  des  9.  Jahrhunderts  zeigen  uns  die  Mappula  meist  in  der 
Hand  ihres  Trägers.  Auf  dem  Arm  gewahren  wir  sie  bei  einem  der  Kanoniker 
von  St  Martin  zu  Tours  auf  dem  Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen 
(vgl.  Titelbild)  und  bei  den  Diakonen  auf  einer  der  Kopfseiten  des  Palliotto  in 
S.  Ambrogio  (vgl.  Bild  258,  S.  251).  Offenbar  gab  es  im  9.  Jahrhundert  noch 
keine  völlig  einheitliche  und  konstante  Praxis  in  der  Art,  wie  man  die  Mappula 
trug,  auch  wenn  man  den  Bildwerken  in  dieser  Sache  keine  besondere  Be- 
deutung beimessen  will.  Der  Regel  nach  scheint  man  sie  allerdings  in  der 
Hand  gehalten  zu  haben;  doch  ließ  man  sie  ohne  Zweifel,  wenn  das  durch 
die  Umstände  als  zweckmäßig  gefordert  wurde  oder  gerade  am  bequemsten 
war,  auch  auf  dem  Arm  ruhen. 


Cap.  de  Ecol.  n.  16  (ebd.  565). 


544  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Wie  lange  der  Brauch  in  Kraft  blieb,  die  Mappula  in  der  Hand  zu 
tragen,  läßt  sich  nicht  mit  Genauigkeit  feststellen.  Der  6.  Ordo  Mabillons 
kennt  ihn  noch,  wie  wir  eben  sahen;  er  wird  sich  also  verschiedenenorts  bis 
in  das  11.  Jahrhundert  erhalten  haben.  Aber  auch  auf  bildlichen  Darstellungen 
haben  noch  im  11.  Jahrhundert  wiederholt  Bischöfe  (Priester)  und  Diakone  den 
Manipel  in  der  Hand;  so  auf  zwei  Federzeichnungen  des  Pontifikale  von  Aletis 
in  der  Stadtbibliothek  von  Rouen,  von  denen  die  eine  eine  Kirchweihe,  die 
andere  einen  Bischof  mit  seinem  Diakon  wiedergibt,  auf  einer  Miniatur  der 
Enzyklopädie  des  Hraban  in  der  Bibliothek  von  Monte  Cassino  (Bischof  in- 
mitten seiner  Kleriker),  auf  dem  Bild  des  hl.  Willibald  im  Gundekar-Pon- 
tifikale  und  sonst.  Auf  andern  Bildwerken  findet  sich  der  Manipel  zugleich  das 
eine  Mal  in  der  Hand,  das  andere  Mal  auf  dem  Arm;  so  auf  einem  Fresko 
der  Unterkirche  von  S.  demente,  auf  dem  St  Klemens  den  Manipel  in  der 
Hand  hält,  während  die  Diakone  ihn  am  Arm  tragen.  Im  ganzen  sind  übrigens 
Darstellungen  aus  dem  11.  Jahrhundert,  auf  denen  wir  den  Manipel  noch  in 
der  Hand  der  Geistlichen  sehen,  schon  selten,  im  12.  kommen  solche  kaum 
mehr  vor.  Insbesondere  erscheint  auf  den  infolge  ihrer  sorgfältigen  Ausführung 
so  wichtigen  Bischofssiegeln  dieser  Zeit  der  Manipel  fast  ausnahmslos  auf  dem 
Arm  seines  Trägers,  und  zwar  bald  über  oder  doch  nahe  dem  Handgelenk,  bald 
mitten  auf  dem  Unterarm.  Unter  den  Liturgikern  des  12.  Jahrhunderts  sind  es 
nur  Bruno  von  Segni  (f  1123)  und  Ivo  von  Chartres  (f  1117)1,  welche  angeben, 
es  werde  das  Ornatstück  in  der  Hand  gehalten.  Bei  Ivo  ist  das  von  wenig 
Bedeutung,  da  seine  Worte  eine  bloße  Wiederholung  der  gleichartigen  Äußerung 
Amalars  zu  sein  scheinen.  Anders  verhält  es  sich  jedoch  mit  dem  nüchternen 
und  selbständigen  Bruno  von  Segni.  Wenn  dieser  zweimal  versichert,  der 
Manipel  werde  in  der  Hand  getragen,  so  darf  das  immerhin  als  Beweis  gelten, 
daß  sich  zu  seiner  Zeit,  d.  i.  im  Beginn  des  12.  Jahrhunderts,  wirklich  noch 
keine  allgemein  gültige  und  einheitliche  Praxis  herausgebildet  hatte.  Auf- 
fallend ist,  daß  auch  noch  Innozenz  III.  ausdrücklich  sagt,  es  werde  der 
Manipel  in  der  Hand  gehalten,  einmal  weil  von  Rupert  von  Deutz  an  alle 
andern  Liturgiker  des  12.  Jahrhunderts  uns  versichern,  der  Manipel  werde 
auf  den  linken  Arm  gelegt,  dann  weil  wir  auch  zu  Rom  den  Manipel  auf 
den  Bildwerken  bereits  in  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  auf  dem 
linken  Arm  erblicken.  Man  vergleiche  z.  B.  Papst  Julius  I.  auf  dem  Apsis- 
mosaik  in  S.  Maria  in  Trastevere,  einem  Werk  Innozenz'  II.  (1130 — 1143). 
Indessen  sind  die  Worte  Innozenz'  III.:  In  sinistra  manu  quaedam  apponitur 
mappula,  quae  manipulus  vel  sudarium  appellatur2,  unzweifelhaft  nichts  als  eine 
bloße  Anleihe  aus  Amalar  und  Ivo.  Auf  keinen  Fall  darf  man  aus  der 
Bemerkung  des  Durandus:  In  sinistra  manu  ponitur  quaedam  mappula,  quae 
fanon  vel  manipulus  vel  sudarium  appellatur,  schließen,  es  sei  der  Brauch, 
den  Manipel  in  der  Hand  zu  halten,  selbst  noch  in  der  letzten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts  in  Kraft  gewesen.  Des  Durandus  Erörterungen  über  den 
Manipel  geben  kein  Bild  von  der  damaligen  Gepflogenheit,  sie  sind  nur  system- 
und  gedankenlos  zusammengestellte  Exzerpte  aus  den  Schriften  früherer  Li- 
turgiker und  als  solche  von  hohem  Wert,  aber  kein  Spiegel  ihrer  Zeit.  Bald 
hören  wir  darum  auch  von  ihm,  man  habe  den  Manipel  in  der  linken  Hand, 
bald,  er  befinde  sich  auf  dem  linken  Arm. 


1  Es    ist   wohl    ein    Versehen,    wenn    im  Manipel  am  Arm  getragen  wurde.   Das  Gegen- 

„Katholik"    1900,    257    Bruno    und   Ivo    als         teil  ist  richtig. 
Zeugen    dafür    angeführt    werden,    daß    der  -  De  sacro  alt.  myst.  1.  1,  c.  59  (M.  217,  796). 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  545 

Nach  dem  St  Gallener  Katalog  wurde  der  Manipel  in  der  linken  Hand 
getragen.  Nur  der  Diakon  hielt  sein  Brachiale  in  der  rechten.  Auch  bei 
Amalar  heißt  es,  wie  wir  hörten:  In  sinistra  manu  portatur,  während  Pseudo- 
Alkuin  allgemeiner  sagt:  Mappula  sinistra  parte  gestatur.  Das  Gewöhnliche 
wird  also  gewesen  sein,  daß  man  die  Mappula,  wie  auch  am  bequemsten,  in 
der  linken  Hand  bzw.  auf  dem  linken  Arm  hatte.  Wirklich  erscheint 
sie  auf  den  Bildwerken  des  9.,  10.  und  11.  Jahrhunderts  fast  immer  ent- 
weder in  der  linken  Hand  oder  auf  dem  linken  Arm.  Auf  dem  rechten  Arm 
gewahren  wir  sie  z.  B.  bei  einem  der  Kanoniker  von  St  Martin  auf  dem 
Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen  und  den  Diakonen  auf  dem  eben 
erwähnten  Fresko  in  der  Unterkirche  von  S.  demente  zu  Rom,  in  der  rechten 
Hand  auf  einer  Miniatur  des  Tropars  von  Prüm  in  der  Pariser  National- 
bibliothek (vgl.  Bild  121,  S.  262).  Möglich,  daß  diese  und  ähnliche  Bildwerke, 
die  jedoch  keineswegs  häufig  sind ,  wirklich  die  bestehende  Praxis  wider- 
spiegeln; wahrscheinlicher  ist  indessen,  daß  es  sich  in  den  Fällen,  in  welchen 
wir  die  Mappula  in  der  rechten  Hand  bzw.  auf  dem  rechten  Arm  antreffen, 
nur  um  eine  auf  die  Rechnung  des  Künstlers  zu  setzende  Erscheinung  bandelt. 
Das  kann  z.  B.  kaum  einem  Zweifel  unterliegen  bei  dem  Widmungsbild  der 
Bibel  Karls  des  Kahlen,  auf  dem  in  bunter  Mannigfaltigkeit  der  Manipel  sich 
bei  drei  Kanonikern  in  der  rechten  Hand,  bei  vier  in  der  linken  Hand  und 
bei  einem  am  rechten  Arm  befindet.  Noch  klarer  aber  liegt  es  wo  möglich 
auf  einem  Elfenbeindiptychon  im  Schatz  der  Kathedrale  von  Tournai  zu  Tage, 
das  allem  Anschein  nach  aus  der  Frühe  des  11.  Jahrhunderts  herrührt1. 
Wenn  wir  hier  nämlich  von  zwei  einander  gegenüberstehenden  Diakonen  den 
einen  mit  dem  Manipel  in  der  Linken,  sein  Gegenüber  aber  mit  dem  Manipel 
in  der  Rechten  schauen ,  so  hat  das  offenbar  nur  in  der  symmetrischen  Be- 
handlungsweise  der  Darstellung  seinen  Grund. 

Die  römischen  Akolythen ,  welche  sich  der  sectace  bedienten ,  hatten 
dieselbe  nach  dem  St  Gallener  Katalog  am  Gürtel  befestigt. 

Die  Gewohnheit,  den  Manipel  am  Arm  zu  tragen,  wie  sie  im  12.  Jahr- 
hundert allgemein  geworden,  blieb  auch  für  alle  Folgezeit  in  Kraft.  Nur 
erhob  sich  in  der  Neuzeit  die  Streitfrage,  wo  derselbe  am  Arm  zu  tragen 
sei,  ob  am  Ober-  oder  am  Unterarm2.  Nach  dem  14.  Ordo  soll  der  Subdiakon 
ihn  in  ipsa  plicatura  sinistri  brachii  (pontificis)  legen  und  gleichsam  verbergen 3. 
Eine  maßgebende  Entscheidung  ist  in  dieser  Frage  nicht  erfolgt:  das  römi- 
sche Missale  und  Caeremoniale  der  Bischöfe  begnügen  sich  damit,  zu  sagen,  er 
solle  dem  linken  Arm  aufgelegt  werden. 

IX.    VERWENDUNG  DES  MANIPELS. 

Im  römischen  Brauch  erscheint  der  Manipel  als  ein  Ornatstück,  dessen 
man  sich  nur  bei  der  Feier  der  heiligen  Messe  bediente,  außerhalb  Roms  trug 
man  ihn  jedoch  hie  und  da,  zumal  in  älterer  Zeit,  auch  bei  sonstigen 
Funktionen.  So  schreiben  z.  B.  die  Statuten  von  Citeaux  den  Gebrauch  des 
Manipels   bei  Erteilung   der   heiligen   Ölung  vor4.     Übrigens   finden   sich   be- 


1  Eine    vorzügliche  Wiedergabe    des   Dip-  1.  1,  c.  7,  art.  4,  ordo  1 ;  I,  301   (Auszug  aus 
tychou  bei  M  o  1  i  n  i  e  r  ,   Les  ivoires  pl.  xiv.  dem  Poutifikale  von  Aletis) :  (Ad  iniungendum 

2  Gav.  zu  Ritus  celebr.  tit.  1,  n.  3;  I,  ed.  infirmum)    induat  se  superhumerali ,  alba  et 
Venet.  1823,  173.  stola  cum  pkanone  atque  planeta,  si  affuerit; 

3  C.  53  (M.  78,  1158).  ferner  L an f ran ci  Decreta  pro  ordine  S.  Bene- 

4  C.  94  (M.  166,  1471).    Vgl.  auch  Mart.  dicti  c.  23  (M.  150,  508). 

Braun,   Die  liturgische  GewanduDg.  35 


546  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

züglich  seiner  Verwendung  bei  andern  liturgischen  Handlungen  als  dem  heiligen 
Opfer,  abgesehen  von  dem,  was  Lanfrank,  Rupert  u.  a.  über  die  Benutzung 
des  Manipels  beim  Chordienste  der  Festtage  sagen ,  nur  wenige  Angaben. 
Auf  den  Monumenten  fehlt  er  noch  selbst  in  späterer  Zeit  nicht  selten  bei 
der  Darstellung  der  Messe,  also  da,  wo  man  ihn  vor  allem  erwarten  sollte ; 
dagegen  begegnet  er  uns  auf  ihnen  sehr  häufig  mit  den  übrigen  liturgischen 
Gewändern  lediglich  zum  Ausdruck  des  sakralen  Charakters  der  Person,  die 
ihn  trägt.  Auch  gewahrt  man  ihn  wohl  bei  der  bildlichen  Wiedergabe  von 
liturgischen  Handlungen,  bei  denen  man  ihn  jetzt  nicht  trägt,  z.  B.  bei  der 
einer  Kirch  weihe1.  Nach  der  heutigen  Praxis  wird,  wie  früher  ausgeführt 
wurde,  der  Manipel  nur  bei  der  heiligen  Messe  oder  bei  Funktionen,  die  mit 
dem  heiligen  Opfer  in  Verbindung  stehen ,  getragen.  Zum  Pluviale  bedient 
man  sich  nie  des  Manipels,  wie  gleichfalls  schon  gesagt  wurde.  Man  hat  diese 
seine  ausschließliche  Verwendung  beim  heiligen  Opfer  mit  mystischen  Gründen, 
namentlich  mit  einem  Hinweis  auf  die  symbolische  Bedeutung  des  Manipels, 
zu  erklären  gesucht.  Der  wahre  Grund  liegt  aber  wohl  darin,  daß  nach  dem 
ursprünglichen  römischen  Gebrauch  die  alte  Mappula  nur  da  gebraucht 
wurde,  wo  die  Geistlichen  in  ihrer  ganzen  liturgischen  Amtstracht  erschienen, 
d.  i.  bei  der  Mefafeier,  ähnlich  wie  die  Pontifikalschuhe  und  später  die  Pontifikal- 
handschuhe.  Die  Erinnerung  hieran  hat  sich  in  der  Folgezeit,  auch  als  das 
Ornatstück  zum  Zierstreifen  geworden  war,  dadurch  erhalten,  daß  seine  Ver- 
wendung vor  wie  nach  auf  die  Messe  beschränkt  blieb. 

Nach  der  jetzigen  Gewohnheit  legen  die  Priester  den  Manipel  an, 
nachdem  sie  die  Albe  mit  dem  Cingulum  gegürtet  haben.  Diakon  und 
Subdiakon  nehmen  ihn,  wenigstens  bei  Pontifikalämtern,  nachdem  sie  sich 
mit  der  Dalmatik  bzw.  der  Tunicella  bekleidet  haben.  Der  Bischof  versieht 
sich  mit  ihm  erst,  wenn  er  am  Altare  das  Confiteor  gebetet  hat;  nur  in 
Totenmessen  legt  auch  er,  wie  die  Priester,  den  Manipel  vor  der  Stola  an. 
Auch  diese  Praxis  hat  ihre  Geschichte. 

Nach  dem  1.,  2.  und  3.  Ordo  gab  der  Eegionarsubdiakon  dem  Pontifex  die 
Mappula,  wenn  dieser  die  übrigen  liturgischen  Kleider  bereits  angezogen  hatte  und 
die  für  die  Feier  des  G-ottesdienstes  nötigen  Anordnungen  und  Maßnahmen  ge- 
troffen waren.  Die  Überreichung  der  Mappula,  des  letzten  Gewandstückes,  wurde  so 
für  den  Celebrans  das  Zeichen,  daß  er  den  Wink  zum  Anfang  der  Liturgie  geben  könne. 

Die  in  den  genannten  Ordines  mitgeteilte  Gepflogenheit  erhielt  sich  in  Eom 
bis  zum  13.  Jahrhundert;  dann  aber  bildete  sich  dort  die  Sitte  aus,  den  Manipel 
nicht  in  der  Sakristei ,  sondern  erst  am  Altar  nach  dem  Confiteor  anzulegen.  Sicard 
und  Innozenz  III.  kennen  sie  noch  nicht;  aus  ihren  Erörterungen  geht  vielmehr  mit  Be- 
stimmtheit hervor,  daß  der  Bischof  das  Ornatstück  damals  noch  annahm,  ehe  er  in 
die  Kirche  zog  -.  Zu  den  Zeiten  des  Durandus  bestand  aber  schon  die  Sitte.  Wir 
werden  demnach  ihre  Entstehung  in  die  erste  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  zu  setzen 
haben.  Eingehend  beschreibt  den  Gebrauch  der  14.  Ordo ,  demzufolge  übrigens 
der  Manipel  nur  dann  erst  nach  dem  Confiteor  angelegt,  wurde,  wenn  der  Celebrans 
sich  nicht  in  der  Nähe  des  Altars  angekleidet  hatte.  Tat  dieser  das  beim  Altar,  so 
nahm  er  ihn  gleich  nach  der  Kasel  bzw.  dem  Pallium s. 

Auch  außerhalb  Koms  war  es  zu  Durandus' 4  Zeiten  schon  an  verschiedenen 
Orten  Gebrauch,  daß  der  Bischof  sich  mit  dem  Manipel  erst  nach  dem  Confiteor  ver- 


1  So  im  Pontifikale  von  Aletis  in  der  Stadt-  4  Rationale  1.  4,  c.  7,  f.  103.     Vgl.  auch 
bibliothek  zu  Rouen.  den  Auszug  aus  dem  Pontifikale  des  Bischofs 

2  Mitralis  1.  2,  c.  8  (M.  213,  89) ;  De  sacrif.  von   Mende   bei  Mart.  1.  1.    c.  4,   art.  12, 
missae  1.  2,  c.  1   (M.  217,  801).  ordo  23;  I  221:  Quidam  tarnen  cum  confessio 

3  Ordo  14,  c.  53  (M.  78,  1158  1159).  coram  altari  fit,  manipulum  imponunt. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  547 

sah.  Indessen  scheint,  manchen  handschriftlichen  Pontifikalien  nach  zu  urteilen,  die 
Sitte,  ihn  mit  den  übrigen  Gewändern  bereits  vor  dem  Hingang  zum  Altar  anzulegen, 
sich  vielenorts  noch  bis  gegen  das  Ende  des  Mittelalters  in  Kraft  erhalten  zu  haben. 
Einen  eigentümlichen  Mittelweg  fanden  wir  in  einem  Pontifikale  der  Vaticana 
aus  dem  15.  Jahrhundert  vermerkt1.  Es  soll  der  Bischof  den  Manipel  nach  dem 
Cingulum  annehmen,  vor  dem  Hintritt  zum  Altar  aber  wieder  ausziehen  und  dann 
nach  dem  Confiteor  von  neuem  anlegen.  Durch  das  römische  Missale  und  Caeremoniale 
der  Bischöfe  wurde  die  römische  Praxis  allmählich  allgemein  zur  Geltung  gebracht. 
Der  Grund  ihrer  Entstehung  ist  uns  unbekannt.  Wahrscheinlich  waren  es  mvstische 
Erwägungen,  welche  dazu  führten  - ;  wenigstens  ist  ein  praktischer  Grund  nicht  ersichtlich. 

Die  Priester  nahmen  bis  gegen  das  18.  Jahrhundert  den  Manipel  bald 
vor  bald  nach  der  Kasel  an.  Eine  einheitliche  Praxis  bestand  in  diesem 
Punkte  nicht.  Am  gewöhnlichsten  scheinen  sie  bis  ins  12.  Jahrhundert  hinein 
ihn  erst  angelegt  zu  haben,  wenn  sie  sich  mit  allen  andern  Gewandstücken 
bekleidet  hatten  und  sich  anschickten,  zum  Altare  zu  gehen.  Es  erhellt  das 
namentlich  aus  den  Sakramentaren  des  9.,  10.,  11.  und  12.  Jahrhunderts, 
welche  ihm  fast  immer  die  letzte  Stelle  anweisen ,  wenn  sie  die  liturgischen 
Gewänder  mit  ihren  Gebeten  in  der  Vorbereitung  zur  Messe  aufführen,  und 
zwar  auch  da,  wo  es  sich  ersichtlich  um  die  priesterliche  liturgische  Kleidung 
handelt.  Das  gleiche  geht  aber  auch  aus  dem  dritten  Kapitel  der  Synode 
von  Coyaca  (1050)  hervor.  Im  12.  Jahrhundert  bezeugen  den  Brauch  mit 
aller  Bestimmtheit  Ivo  von  Chartres,  Honorius,  Robert  Paululus  und  das 
Speculum  de  mysteriis  ecclesiae.  Solange  der  Manipel  in  der  Hand  getragen 
wurde,  war  es  in  der  Tat  das  zweckmäßigste,  mit  der  Annahme  desselben 
bis  nach  Anlegung  der  Kasel  zu  warten.  Denn  hierbei  war  es  ja  nötig,  die 
Hände  frei  zu  haben,  zumal  das  Gewand  auf  die  Arme  aufgerollt  und  dort 
zurechtgelegt  werden  mußte.  Als  man  dagegen  anfing,  ihn  am  Arm  zu  be- 
festigen ,  mochte  es  gleichgültig  sein ,  ob  man  ihn  vor  oder  nach  der 
Planeta  annahm. 

Aber  auch  da,  wo  die  Priester  den  Manipel  erst  nach  der  Kasel  an- 
legten, taten  sie  das,  ehe  sie  zum  Altar  gingen,  in  der  Sakristei  und  nicht 
erst  am  Altar  nach  dem  Confiteor.  Es  ist  durchaus  unzutreffend,  wenn  Thal- 
hofer  bemerkt:  „Bis  tief  ins  Mittelalter  herein  nahmen  (wenigstens  vielfach) 
auch  die  Priester  —  zu  Durandus'  Zeit  nur  noch  der  Papst  und  die  Bischöfe, 
wie  jetzt  —  den  Manipel  erst  am  Altar  nach  dem  Sündenbekenntnis  an." 
Es  war  das,  wie  vorhin  ausgeführt,  vor  dem  13.  Jahrhundert  nicht  einmal 
bei  den  Bischöfen  Brauch.  Keiner  der  Liturgiker  weiß  auch  etwas  davon, 
daß  die  Priester  sich  mit  dem  Manipel  erst  am  Altar  nach  dem  Confiteor  ver- 
sehen hätten,  wiewohl  sie  den  Eingang  des  Priesters  und  das  Sündenbekenntnis 
wiederholt  beschreiben.  Im  Gegenteil  sagt  Honorius  da,  wo  er  die  liturgische 
Kleidung  des  Priesters  bespricht,  unmittelbar,  nachdem  er  zuletzt  vom  Manipel 
gehandelt:  His  vestibus  sacerdos  ornatus  procedit,  confessionem  facit.  .  .  . 
Auch  die  Sakramentare  und  Missalien  kennen  den  fraglichen  Brauch  beim 
Priester  nicht,  gleichviel,  ob  sie  der  späteren  oder  früheren  Zeit  angehören. 
Nach  allen  nimmt  er  den  Manipel  mit  den  übrigen  Gewandstücken  in  der 
Sakristei  an.  Es  genüge,  auf  die  von  Martene  gegebenen  Auszüge  aus  alten 
handschriftlichen    Missalien    hinzuweisen a.      Die    Wahrnehmungen ,    die    wir 


1  Vatic.  Ottob.  lat.  27.  die    indessen   wenig    Bedeutung    haben    und 

2  Durandus  (Rationale  1.  4,  c.  7)  führt  drei         übergangen  werden  können. 

mystische    Gründe    für   jenen    Gebrauch    an,  3  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  4  fl:  I  176  ff. 

35* 


548 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insianien. 


hier  in  Bezug  auf  den  uns  beschäftigenden  Punkt  gemacht  haben ,  fanden 
wir  in  allen  Sakramentaren  und  Missalien  des  Mittelalters,  die  uns  bislang 
zu  Gesicht  kamen,  ausnahmslos  bestätigt.  Es  war  so  wenig  bei  den  Priestern 
vor  des  Durandus  Zeit  üblich,  erst  am  Altar  nach  dem  Confiteor  den  Manipel 
anzuziehen,  daß  eine  solche  Gepflogenheit  sich  selbst  bei  den  Bischöfen  erst 
seit  dem  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  einzubürgern  begonnen  hatte. 

Die  Sitte,  wonach  die  Priester  den  Manipel  eher  als  die  Kasel  an- 
legen, wurde  erst  im  12.  Jahrhundert  allgemeiner1,  dann  aber  allgemach 
die  Regel.  Demgemäß  nennen  denn  auch  die  späteren  Missalien  ihn  in  der 
„Vorbereitung  zur  Messe"  stets  vor  dem  Meßgewand  2.  Schon  Durandus  sagt 
ohne  Einschränkung :  Sacerdos  vero  econtra  ante  indutam  casulam  manipulum 
sumit 3. 

Wie  die  Diakone  und  Subdiakone  es  im  früheren  Mittelalter  zu  halten 
pflegten,  ist  nicht  ganz  klar.  Doch  scheint  es,  daß  sie  den  Manipel  erst  nach 
allen  andern  Gewandstücken  annahmen.  Solange  sie  noch  Dalmatiken  bzw. 
Tunicellen  mit  wirklichen  Armein  trugen,  war  das  übrigens  auch  von  selbst 
geboten.  Ganz  bestimmt  schreibt  der  14.  Ordo  vor,  es  sollten  Diakon  und 
Subdiakon  erst  dann  den  Manipel  anlegen,  wenn  sie  dem  Bischof  beim  An- 
kleiden behilflich  gewesen  seien i.  Ahnlich  sollten  sie  nach  dem  Amte  den 
Manipel  alsbald  vom  Arm  ziehen,  die  Dalmatik  und  Tuniceila  aber  behalten, 
bis  sie  den  Bischof  seiner  liturgischen  Gewänder  entkleidet  hätten.  Diese 
letzte  Rubrik  mag  ein  Überbleibsel  aus  der  Zeit  sein,  da  man  den  Manipel 
noch  in  der  Hand  hatte ;  doch  mag  sie  auch  mit  der  Auffassung  zusammen- 
hangen ,  wonach  der  Manipel  nur  innerhalb  der  Messe  getragen  werden 
sollte.  Die  Bestimmung  des  römischen  Caeremoniale  deckt  sich  mit  der- 
jenigen des  14.  Ordo. 


X.    DIE  ÜBERREICHUNG  DES  MANIPELS  IM  RITUS  DER 
SUBDIAKONATSWEIHE. 

Nach  der  Vorschrift  des  römischen  Pontifikale  zieht  der  Bischof  dem 
Ordinanden  den  Manipel  an  den  linken  Arm  an,  indem  er  dabei  spricht:  „Nimm 
hin  den  Manipel  (manipulus  =  Garbe),  durch  den  die  Frucht  der  guten 
Werke  bezeichnet  wird,  im  Namen  des  Vaters"   usw. 

Will  man  mittelalterlichen  Liturgikern  5  glauben,  so  gehörte  diese  Weihe- 
zeremonie samt  den  sie  begleitenden  Worten  zum  Wesen  der  Subdiakonats- 
weihe.  Allein  diese  Ansicht  ist  mit  Recht  schon  längst  allgemein  verlassen. 
Die  Überreichung  des  Manipels  erfolgte  weder  stets  unter  irgend  welchen 
Begleitworten,  noch  ist  sie  überhaupt  von  hohem  Alter e.  Nur  ein  einziges 
Pontifikale  des  ersten  Jahrtausends  kennt  unseres  Wissens  diesen  Ritus,    das 


1  Gilb.  Lunic  ,  De  statu  eccl.  (M.  159, 
1001);  Tract.  de  sacr.  alt.  c.  10  (M.  172, 
1282);  Sermo  14  (M.  177,  928).  Beleth., 
Rationale  c.  32  (M.  202,  43).  Innocen- 
tii  III.  De  sacro  altaris  myst.  1.  1,  c.  10 
(M.  217,  780). 

2  Vgl.  z.  B.  die  Auszüge  aus  späteren 
Missalien  bei  Mart.  a  a.  O. 

3  Rationale  1.  4,  c.  7 ;  f.  103. 

*  C.  53  (M.  78,  1156  1170). 

*  Sicardi  Mitralis  1.  2,  c.  2  (M.  213,  63). 
c  Schon  Hraban  soll  die  Überreichung  des 


Manipels  an  den  Diakon  kenneu.  Allein  es 
handelt  sich  an  der  Stelle,  auf  die  man  sich 
zum  Beweise  beruft,  iu  der  Ausgabe  Mignes 
(De  cleric.  instit.  1.  1 ,  c.  8  [M.  107,  304]) 
lediglich  um  einen  verderbten  Text.  Statt : 
Suscipiunt  (sc.  subdiaconi)  ab  archidiacono 
seyphum  aquae  cum  aqua,  mautile  et  manu- 
tergium,  muß  es  heißen :  cum  aquamauili  et 
manutergium.  Schon  Hittor p  (De  div.  off. 
570)  hat  den  richtigen  Wortlaut:  so  auch 
nach  den  Handschriften  Knöpflers  neueste 
Ausgabe  der  Schrift,  München  1901,  25. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


549 


sog.  Pontifikale  Egberts,  Erzbischofs  von  York,  in  der  Nationalbibliothek  zu 
Paris1,  wenn  dieses  überhaupt  noch  aus  dem  10.  und  nicht  erst  dem  11.  Jahr- 
hundert stammt.  Er  scheint  demgemäß  frühestens  im  10.  Jahrhundert  auf- 
gekommen zu  sein.  Diese  Annahme  wird  bestätigt  durch  ein  Schreiben  Lan- 
franks,  Erzbischofs  von  Canterbury  (1070 — 1089),  an  Johannes  von  Avranches. 
Aus  ihm  geht  hervor,  daß  in  der  zweiten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  aller- 
dings in  der  Normandie  jener  Gebrauch  sich  vorfand,  daß  er  aber  durchaus 
nicht  allgemein  und  insbesondere  in  England  noch  nicht  in  Übung  war.  Lan- 
frank,  nach  Avelchem  der  Manipel  in  der  Anschauung  mancher  ein  allen 
Klerikern  gemeinsames  Ornatstück  war,  weiß  keine  Autorität,  auf  die  man 
sich  für  den  fraglichen  Weiheritus  berufen  könne  2.  Es  ist  gewiß  nicht  Zufall, 
daß  die  Einführung  der  Zeremonie  in  die  Zeit  fällt,  in  welcher  sich  das  Sub- 
diakonat  im  letzten  Stadium  seiner  Entwicklung  zu  einem  ordo  maior  befand. 
Die  höhere  Bedeutung,  welche  die  Subdiakone  nachgerade  gewonnen  hatten, 
führte  dazu,  daß  ihr  Manipel  sich  für  sie  zu  einem  der  diakonalen  Stola  ent- 
sprechenden Amtsabzeichen  ausbildete.  Nachdem  aber  dieser  so  die  Eigenschaft 
einer  Insignie  des  Subdiakonats  erlangt  hatte,  lag  es  natürlich  nicht  allzufern, 
ihn  den  Subdiakonen  ebenso  bei  der  Weihe  zu  überreichen,  wie  man  den  Diako- 
nen die  Insignie  des  Diakonats,  die  Stola,  schon  seit  langer  Zeit  und  allgemein 
bei  der  Ordination  zu  übergeben  pflegte.  Als  sich  auf  diese  Weise  der  frag- 
liche Weiheritus  gebildet  hatte,  hat  man,  wie  es  nach  Andeutungen  Lanfranks 
scheint,  ihn  nachträglich  durch  eine  Korrektur  der  auf  dem  fünften  Kanon  des 
sog.  vierten  Konzils  von  Karthago  beruhenden  Weiherubrik:  Postea  accipiat 
ab  archidiacono  urceolum  cum  aquamanili  ac  manutergium,  zu  begründen 
versucht,  indem  man  las  cum  aqua,  mantile  ac  manutergium. 

Es  dauerte  übrigens  eine  geraume  Weile,  bis  der  Ritus  allgemein  wurde. 
Spät  entstanden,  konnte  er  sich  nur  langsam  einbürgern.  Von  den  litur- 
gischen Schriften  des  12.  Jahrhunderts  erwähnen  ihn  nur  der  Tractatus  de 
sacramento  altaris  und  der  Mitralis  des  Sicardus.  Auch  in  den  Pontifikalien 
findet  er  sich  im  12.  Jahrhundert  nur  erst  vereinzelt  verzeichnet. 

Es  hat  den  Ritus  z.  B.  der  Weiheordo  bei  Hittorp3,  der  in  der  Form, 
wie  ihn  dieser  gibt,  nicht  vor  dem  12.  Jahrhundert  entstanden  ist,  dann  ein 
Pontifikale  von  Soissons  und  ein  anderes  von  Besancon  4.  Dem  Ordo  Hittorps 
und  dem  Pontifikale  von  Soissons  zufolge  soll  der  Bischof  die  Übergabe  des 
Ornatstückes  mit  den  Worten  begleiten:  „Bei  der  Bekleidung  mit  diesen 
Manipeln  bitten  wir  dich,  o  Gott,  flehentlich,  es  mögen  diese  deine  Diener  so 
in  ihrem  Wandel  in  der  Zeit  wirken,  daß  sie  nach  dem  Beispiel  der  früheren 


1  Wir  glauben  nochmals  wiederholen  zu 
sollen ,  was  wir  schon  früher  gelegentlich 
sagten,  daß  das  sog.  Egbert-Pontifikale  nicht, 
wie  so  oft  angenommen  wird ,  das  Original 
des  8.  Jahrhunderts ,  sondern  eine  spätere, 
teilweise  interpolierte  Kopie  aus  dem  10.  oder 
besser  11.  Jahrhundert  ist  Zu  den  Inter- 
polationen gehört  insbesondere  die  Rubrik: 
et  tradat  ei  ...  .  manipulum.  Dasselbe  gilt 
von  der  durch  verschiedene ,  nicht  an  die 
betreffende  Stelle  gehörende  Benediktions- 
formulare von  den  Weihegebeten  der  Sub- 
diakonatsweihe  getrennten  Notiz :  Donet  ei 
manipulum.     In  den    durchaus    gleichartigen 


englischen  Weiheordines  bei  Marl  1.  1,  c.  8, 
art.  11,  ordo  3  11  ;  II  37  63  fehlt  die  Rubrik 
betreffs  des  Manipels. 

2  Ep.  13  (M.  150,  520).  Beachtenswert 
sind  die  Worte  Lanfranks :  In  nostris  episco- 
palis  ordinis  codicibus,  quos  ex  diversis  re- 
gionibus  multos  habemns,  et  de  ordiuando 
subdiacono  inter  cetera  sie  habetur:  Postea 
vero  etc.  ...  In  qua  Scriptlira  sive  saeculari 
sive  divina  sie  vocatum  manipulum  reperitis, 
posco  sanetam  paternitatem  vestram,  ut  in- 
dicare    mihi    competenti  diligentia  studeatis. 

3  Col.  100. 

4  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  7  10;  II 50  62. 


550 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insisnien. 


Väter  in  Zukunft  ewig  sich  zu  freuen  verdienen."  Nach  dem  Pontifikale 
von  Besancon  aber  hat  der  Bischof  bei  der  Vornahme  der  Zeremonie  zu 
sprechen:  „Nimm  hin  die  Mappula;  erfülle  deinen  Dienst;  Gott  ist  ja  mächtig 
genug,  die  Gnade  dir  zu  mehren."  Diese  Worte,  deren  auch  Sicardus  Er- 
wähnung tut,  nehmen  ersichtlich  auf  die  Bedeutung  des  Manipels  als  Insignie 
des  Ordo  Bezug.  In  andern  Pontifikalien  des  12.  Jahrhunderts  findet  sich  der 
Brauch  nicht  im  Text,  sondern  in  einer  Randglosse  aus  späterer  Zeit  vermerkt. 

Erst  die  liturgischen  Bücher  des  13.  und  namentlich  des  14.  Jahrhunderts 
gedenken  häufiger  der  Übergabe  des  Manipels  an  die  Subdiakone,  wenngleich 
auch  jetzt  noch  keineswegs  alle  ihrer  Erwähnung  tun. 

Interessant  ist  die  Mannigfaltigkeit  der  Gebete,  mit  denen  der  Bischof  nach  den 
späteren  Pontifikalien  die  Zeremonie  zu  begleiten  hat.  Wir  haben  deren  wenigstens  sechs 
verschiedene  gefunden.  Am  häufigsten  kommt  das  Gebet  vor,  welches  der  Bischof 
jetzt  nach  dem  römischen  Pontifikale  betet,  wenn  er  dem  Ordinanden  den  Manipel 
überreicht.  Das  eigentümlichste  begegnete  uns  in  zwei  der  Vaticana  angehörigen 
Pontifikalien  des  13.  Jahrhunderts1.  Es  lautet:  „Nimm  hin  den  Fano,  das  Zeichen 
der  Verkündigung  des  Wortes  Gottes,  im  Namen  unseres  Herrn  Jesu  Christi." 

Auf  die  Frage,  wo  es  zuerst  zur  Einführung  des  Ritus  gekommen  sei,  läßt 
sich  eine  sichere  Antwort  nicht  geben.  Der  Umstand  jedoch,  daß  dieser  zuerst  in 
nordfranzösischen  Pontifikalien  erwähnt  ist  und  uns  überhaupt  aus  dem  nördlichen 
Frankreich  die  erste  Kunde  über  denselben  wird ,  macht  es  nicht  so  ganz  unwahr- 
scheinlich, daß  wir  eben  hier  seine  Heimat  zu  suchen  haben,  und  daß  er  sich  von  hier 
aus  nach  und  nach  überallhin  verbreitete. 


XI.    DAS  GEGENSTÜCK  DES  MANIPELS  IN  DEN  RITEN  DES  OSTENS. 

In  den  Riten  des  Ostens  gibt  es  keinen  Manipel 2,  ausgenommen  den 
armenischen,  in  welchem  er  jedoch  nur  den  Subdiakonen  zukommt.  Er  wird 
diesen  bei  ihrer  Weihe  vom  Bischof  an  den  linken  Arm  gelegt 3.  Der  Manipel 
der  Armenier  stammt  nicht  aus  dem  römischen  Ritus,  sondern  ist  ein  alt- 
armenisches Stück ;  nur  war  er,  wie  aus  Nerses  von  Lampron  erhellt,  ehedem 
eine  Stola,  welche  die  Subdiakone  in  der  linken  Hand  trugen. 

Man  pflegt  gewöhnlich  als  Gegenstück  des  abendländischen  Manipels 
die  Epimanikien  der  orientalischen  Riten,  die  liturgischen  Stauchen,  hin- 
zustellen. Das  ist  indessen  irrig.  Nicht  sie,  sondern  das  sog.  Epigonation 
ist  das  Pendant  desselben.  Die  Epimanikien  sind,  wie  wir  hörten,  lediglich 
die  von  den  Ärmeln  losgelösten  und  zu  selbständigen  Ornatstücken  gewordenen 
Besätze  des  Sticharion. 

Das  Epigonation  hat  seinen  Namen  von  dem  Umstand,  daß  es  auf  das 
Knie  herabhängt.  Es  befindet  sich  an  der  rechten  Seite  und  darf  nur  von 
den  Bischöfen  und  der  höheren  Geistlichkeit  getragen  werden.  Außerdem  ist 
es  bloß  im  griechischen  und  armenischen  Ritus,  nicht  aber  in  den  sonstigen 
orientalischen    Riten    in    Gebrauch    und    in    seinem   Ursprung   ein   spezifisch 


1  Vat.  Barb.  lat.  1868;  Vat.  Borgh. 
lat.  49. 

2  Ein  in  den  Gräberfeldern  von  Achmim 
gefundener,  mit  Seidenappliquen  (Scheibchen, 
Kreuze,  Rechtecke)  besetzter  und  in  Fransen 
endigender  Linnenstreifen  von  ca  0,60  m 
Länge  und  0,075  m  Breite,  der  von  dem 
Strafiburger  Antiquar  Forr  er  als  altkoptischer 
Manipel    (bzw.  altkoptische  Stola)  veröffent- 


licht wurde  (Die  frühchristlichen  Altertümer 
aus  dem  Gräberfeld  von  Achmim-Panopolis 
Tfl  VIII  1),  einem  „Diakon  gedient  haben 
und  unsere  Kenntnis  des  Priesterornats  um 
ein  Wesentliches  ergänzen  soll",  hat  mit 
einem  Manipel  (bzw.  Stola)  nicht  das  ge- 
ringste zu  schaffen  (vgl.  auch  oben  S.  13). 
3  Denzinger,  Ritus  Orientaliuni II,  Würz- 
burg 1864,  284. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


551 


griechisches  Ornatstück.  Die  Armenier  entlehnten  es  zweifellos  den  Griechen; 
schon  des  Nerses  Kommentar   kennt  es   als  Ornat  der  armenischen  Bischöfe. 

Man  trägt  das  Ornatstück  unter  dem  liturgischen  Obergewande ;  nur 
die  Metropoliten  bzw.  Bischöfe,  welche  sich  des  Sakkos  statt  des  Phelonion 
bedienen,  haben  es  über  demselben.  Das  Epigonation  wird  mittels  Schnüren 
am  Gürtel  oder  der  Schulter  aufgehängt.  Wer  den  Sakkos  trägt,  befestigt 
es  an  einem  an  diesem  angebrachten  Knöpfchen. 

Seiner  Gestalt  nach  stellt  das  Ornatstück  ein  übereck  stehendes  Quadrat 
dar.  Es  besteht  aus  einem  mit  Seide  überzogenen  Karton  und  ist  ringsum  von 
einer  Borte  eingefaßt.  In  der  Mitte  ist  gewöhnlich  nur  ein  Kreuz  oder  ein 
Schwert  angebracht,  letzteres,  weil  das  Epigonation  als  Symbol  des  Geistes- 
schwertes gilt,  mit  dem  der  Bischof  ausgerüstet  sein  soll.    Doch  gibt  es  auch 


solche,    die   mit   Bildwerk   verziert 
Ecken    befinden     sich    die    zum 
die  drei  andern  sind   gewöhn- 

Etwas   anders    ist   im      Ä$ 
das    Epigonation     einge 
Zeichnung  den  niederen 
gen  verdienten  Geist 
wird.    Es  ist  zwar 
dratischerForm 
es,stattrhom 
nach       Art 
aufgehängt, 
halb  bei  ihm  an 
der    zum    Zweck 
gebracht   und    dem 
Ecken    mit    Quästchen 

Das  Epigonation  hieß 
(hf/zipLov).      Das    Schreiben 
Antiochien  an  Michael  Cärula 
nen  Zweifel.    Denn  wenn  es  hier 


Bild  268.     Epigonation. 

Düsseldorf,  Kunstgewerbemuseum. 


sind  (Bild  268).    An  einer  der  vier 
Aufhängen   dienenden    Schnüre, 
lieh   mit   Quästchen  verziert, 
russisch-griechischen  Ritus 
richtet,  welches  als  Aus- 
Prälaten und  sonsti- 
lichen       verliehen 
auch  von    qua- 
jedoch  wird 
benförmig, 
einer  Tasche 
Es    sind    des- 
zwei  Ecken  Bän- 
der Befestigung  an- 
gemäß auch  nur  zwei 
versehen, 
ursprünglich        Enchirion 
des    Patriarchen  Petrus   von 
rius  (ca  1054)  läßt  daran  kei- 
Xpucrowopoupsu  de  y.ai  u.\>to\ 
i  ~i  rp ayrt  ho.   Tzzp ißeßhjfi i- 
unter  diesen  ijyt'ipw.  offen- 
verstanden werden.     Ein 


zyyzipm  y.ai  S7itp.avty.ca  xai 

voi  yp'jao—daza  1,  so  kann 

bar  nur  das  Epigonation 

anderes   liturgisches  Ornatstück,  das  mit   ihnen  gemeint  sein  könnte,  gibt  es 

nicht2.    Der  Name  Epigonation  begegnet  uns  zuerst  in  einem  Schreiben  Bal- 

samons    an    den   Patriarchen   Markus   von   Alexandrien,    also    um    das    dritte 

Viertel  des  12.  Jahrhunderts3. 

Die  früheste  Nachricht  von  dem  Enchirion  erhalten  wir  bei  Pseudo- 
Germanus  und,  wie  es  scheint,  in  dem  Briefe  des  Patriarchen  Nicephorus  an 
Leo  III.  (795 — 816) 4.    Denn  wenn  auch  das  goldverzierte  Enchirion,  von  dem 


Mg.  120,  799. 


2  Mg.  98,  395:  Tu 
Ziiiv-qs  £oti  tu  ä—opd^au  zag  yzlpaq  a'jzou  tev- 
ziov  (sc.  Christi) ;  y.ai  -spuxs  ro  iyyzipwj 
zyzi'j  ^Kt  ■"??  f<oV);g  ävzizuTiov  zoü  anop.äk~avzoq 
zäq  ysTpaq  y.ai  zoü  ,,'AMoq  elpi  imtpui'^aav- 
zoq  (sc.  Pilati).  Es  handelt  sich  nicht,  wie 
es    beim    ersten   Blick    scheinen   könnte,    an 


dieser  Stelle  um  die  Diakone  —  denn  diese 
trugen  keinen  Gürtel  — ,  sondern  um  den 
Bischof.  Vgl.  auch  den  aus  Pseudo-Ger- 
m  a  n  u  s  kompilierten  Pseudosophronius  n.  7 
(Mg.  87,  3  3988) :  Tb  iyydptow  (sc.  zoü  iepiiuq) 
zb  livziov  i&ziv   (sc.   Xpiarou). 

3  Mg.  138,  988. 

4  M.  102,  1067. 


552 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


hier  die  Rede  ist,  wohl  die  Mappula  des  römischen  Ritus 
bedeutet,  so  dürfte  doch  der  Name  darauf  hinweisen, 
daß  damals  auch  schon  im  griechischen  Ritus  das 
Enchirion  in  Gebrauch  war. 

Auf  den  Bildwerken  treffen  wir  das  Enchirion 
erst  im  Beginne  des  zweiten  Jahrtausends  an.  Die 
älteste  uns  bekannte  Darstellung  desselben  findet  sich 
im  Menologium  Basilius'  II.  in  der  Vatikanischen  Bi- 
bliothek (Bild  269).  Von  da  an  kommt  das  Enchirion 
häufig  auf  den  Monumenten  vor. 

So  begegnet  es  uns  z.  B.  bei  den  hll.  Gregor  von 
Nyssa  und  Gregor  dem  Wundertäter  auf  den  Mosaiken  der 
Kathedrale  von  Kiew  (11.  Jahrhundert)1,  ferner  auf  einer 
Miniatur  einer  griechischen  Handschrift  der  Vaticana  aus 
dem  Ende  des  11.  Jahrhunderts  (vgl.  Bild  111,  S.  237)-,  auf 
den  Mosaiken  der  Apsis  des  rechten  Seitenschiffes  in  der  so 
interessanten  Basilika  von  Torcello  bei  Venedig,  dann  auf 
dem  großartigen  Mosaikenschmuck  des  Domes  von  Monreale 
aus  dem  Ende  des  1 2.  Jahrhunderts  3,  auf  den  Mosaiken  der 
Kuppel  des  südlichen  Querarmes  und  des  Chores  von  S.  Marco 
zu  Venedig,  auf  den  aus  dem  Beginn  des  12.  Jahrhunderts 
Bild  269.  St  Gregor  der  stammenden  Teilen  der  Pala  d'oro,  den  in  Silbertauschierung 
Wundertäter.  Miniatur  des  ausgeführten  Bronzetürflügeln  des  Hauptportals  von  S.  Marco 
Menologium  Basilius'  IL       u.   a.    (Bild  270). 

Eom,  Vatikan.  Auf  allen  diesen  Darstellungen  erscheint  das  Enchirion 

noch  keineswegs  als  steifes,  rautenförmiges  Ornatstück  von 
der  Art  des  jetzigen  Epigonation,  sondern  seinem  Namen  entsprechend  als  viereckiges 
Tuch ,  welches  an  der  rechten  Seite  mit  einem  seiner  vier  Zipfel  unter  dem  Gürtel 
durchgesteckt  ist,  während  der  übrige  Teil  mit  den  drei  andern  Zipfeln  rhomben- 
ähnlich  bis  zum  Knie  herabhängt.  Indessen  ist  auch  so  die  Verwandtschaft  mit  dem 
heutigen  Epigonation  unverkennbar.  Es  brauchte  das  Enchirion,  um  sich  zu  diesem 
umzubilden ,  nur  versteift  und  oben  mit  einer  Vorrichtung  zum 
Aufhängen  versehen  zu  werden. 

Wann  dieses  geschah,  läßt  sich  nicht  mit  Sicherheit 
feststellen,  doch  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  vermuten. 
Es  ist  nämlich  wohl  nicht  ohne  Grund,  daß  in  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  an  Stelle  des  Namens  „Enchirion" 
die  seitdem  ausschließlich  gebräuchliche  Bezeichnung  „Epigo- 
nation" auftaucht.  Dieser  Wechsel  in  der  Benennung  war, 
wie  es  scheint,  nur  die  Folge  eben  des  Wechsels  der  Form. 
Sobald  das  Ornatstück  seinen  Tuchcharakter  verloren  hatte, 
war  auch  die  Bezeichnung  „Enchirion"  bedeutungslos  ge- 
worden. Es  war  daher  ganz  natürlich ,  daß  man  diese 
nun  aufgab  und  eine  andere  einführte,  die  von  seiner  Form 
und  Beschaffenheit  absah  und  nur  noch  seine  ornamentale 
Bedeutung    betonte.      Wir    hätten    also    den    Umbildungs-  g;]d  270. 

prozeß,  wie   es   den  Anschein   hat,   in   das   12.  Jahrhundert         St  Nikolaus, 
zu  verlegen.    Allerdings   kommen   auch   noch   im    13.  Jahr-     (Tauschierarbeit.) 
hundert   hie   und   da   Bildwerke   vor,    auf   denen    das    Epi-         "(Brön'zetüre). 


1  L'Epop6e  byzantine  ä  la  fin  du  X°  siöcle, 
Paris  1896,  I  537.  "-  Cod.  gr.  1162. 


3  Don  Gravi  na,   II  duomo    di  Monreale, 
Palermo  1859,  tav.  10  A  14  D  17  D. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


553 


gonation 


die   alte  Tuchform  hat.     Indessen  erklärt  sich  das  ohne  Schwierig- 


keit durch  die  Schablone,  welche  in  die  griechische  Ikonographie  damals 
bereits  Eingang  gefunden.  Auch  mochte  im  13.  Jahrhundert  infolge  des 
großen  Konservativismus  des  Ostens  die  neue  Form  noch  nicht  allgemein  ge- 
worden sein.  Und  dann  ist  es  ja,  wie  in  der  Einleitung  hervorgehoben  wurde, 
eine  bekannte  Sache,  daß  die  Kunst  nicht  selten  eine  Strecke  hinter  der 
Wirklichkeit  herhinkt,  und  daß  Erscheinungen,  die  bereits  der  Vergangen- 
heit angehören,  in  den  künstlerischen  Gebilden  noch  lange  nachleben.  Sahen 
wir  z.  B.  doch,  wie  die  Tiara  noch  auf  Bildwerken  aus  der  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  mit  einem  Kronreifen  geschmückt  ist,  obwohl  doch  schon 
seit  hundert  Jahren  deren  drei 
an  ihr  gebräuchlich  waren. 
Wie  kann  man  in  der  Tat  er- 
warten, daß  die  Künstler  von 
jedem  Wechsel,  der  mit  der 
Beschaffenheit  der  ihnen  oft 
fernliegenden  pontifikalen  Ge- 
wänder vor  sich  ging,  alsbald 
Kenntnis  hatten? 

Die  ältesten  uns  bekannten 
Bildwerke,  auf  denen  das  Ornat- 
stück seine  jetzige  Form  hat, 
gehören  dem  14.  Jahrhundert 
an.  Es  sind  eine  Miniatur  einer 
Sammlung  der  Homilien  Gregors 
von  Nazianz  in  der  National- 
bibliothek zu  Paris 1  und  die 
Darstellungen  der  vier  griechi- 
schen Kirchenlehrer  in  der 
Zenokapelle  von  S.  Marco  zu 
Venedig  (Bild  271).  Das  Epi- 
gonation  hat  hier  schon  voll- 
ständig seine  gegenwärtige  Ge- 
stalt und  Beschaffenheit.  Im 
15.  Jahrhundert  sind  Bildwerke, 
auf    denen    es    dargestellt    ist, 


häufig. 


Bild  271.    St  Athanasius.    Mosaik.    Venedig,  s.  Marco. 


Das  Recht,  das  Epigonation  zu  tragen,  stand  im  12.  Jahrhundert  aus- 
schließlich den  Bischöfen  zu.  Nicht  einmal  die  Hegumenen  (Äbte)  und  Proto- 
papen  (Erzpriester)  durften  sich  seiner  bedienen.  Auf  eine  diesbezügliche 
Anfrage  des  Patriarchen  Markus  von  Alexandrien  antwortet  Balsamon  durch- 
aus verneinend.  Es  ist  dies  das  gleiche  Schreiben,  in  dem  uns  zum  erstenmal  der 
Name  Epigonation  begegnet.  Die  Anfrage  des  Patriarchen  deutet  darauf  hin, 
daß  sich  damals  im  alexandrinischen  Patriarchat  in  den  Kreisen  der  Hegumenen 
und  Erzpriester  das  Streben  geltend  machte,  das  Recht  zu  erhalten,  wie  die 
Bischöfe  das  Epigonation  zu  tragen. 


1  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  dxliii; 
hier  jedoch  irrig  dem  11.  Jahrhundert  zu- 
geschrieben (s.  oben  S.  303).     Auch  Nerses 


von  Lampron  kannte  anscheinend  schon  seine 
jetzige  Form.  Er  nennt  es  rationale  iudicii 
und  sagt,  es  trage  den  Namen  Christi. 


554  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Zweihundert  Jahre  später  hatte  sich  die  Sache  einigermaßen  geändert. 
Zwar  galt  noch  immer  das  Ornatstück  an  sich  als  dem  Bischof  vor- 
behalten, doch  hatten  inzwischen  auch  hervorragendere  Priester,  wie  Stauro- 
phore  und  Archimandrite,  das  Privileg  erlangt,  von  ihm  Gebrauch  machen 
zu  dürfen  1. 

Unklar  ist,  ob  das  Enchirion  schon  von  Anfang  an  ein  privilegiertes 
Gewandstück  war  oder  ob  es  das  erst  wurde,  seitdem  es  sich  zum  Epigo- 
nation  umbildete.  Den  Monumenten  zufolge  ist  jedoch  das  erste  das  wahr- 
scheinlichste; denn  in  allen  Fällen,  in  denen  es  uns  auf  ihnen  begegnet, 
handelt  es  sich  um  Darstellungen  von  Bischöfen. 

Eigentümlicherweise  schreibt  Pseudo-Sophronius  ijyipid'uj.  auch  den 
Diakonen  zu.  Es  ist  das  erste  und  einzige  Mal,  daß  wir  von  solchen  bei 
diesen  hören. 

XII.    ABLEITUNG  DES  MANIPELS. 

Von  einer  Beziehung  des  liturgischen  Manipels  zu  einem  Kultgewande 
des  Alten  Bundes  kann  in  keiner  Weise  die  Rede  sein.  Er  ist  weder  un- 
mittelbar aus  dem  jüdischen  Opferdienst  herübergenommen,  noch  in  späterer 
Zeit  im  Hinblick  auf  eines  der  aaronitischen  Priester  kl  eider  als  Ornatstück  der 
christlichen  Liturgen  eingeführt  worden. 

Unter  den  mosaischen  Opfergewändern  gibt  es  keines,  welches  das  Gegen- 
stück unseres  Manipels  sein  könnte.  Darum  haben  auch  nicht  einmal  die 
Liturgiker  des  Mittelalters  es  versucht,  denselben  von  einem  Kultgewande 
des  Gesetzes  abzuleiten.  Wenn  Walafried  ihn  dem  Schulterkleid  des  jüdischen 
Hohenpriesters  gegenüberstellt,  so  tut  er  das  lediglich,  weil  er  den  acht  Kult- 
gewändern des  Alten  Bundes  ebensoviele  des  Neuen  Bundes  entgegensetzen 
wollte.  Pseudo-Alkuin  erklärt  dagegen  ausdrücklich,  daß  bei  den  jüdischen 
Priestern  das  Sudarium  nicht  in  Brauch  gewesen  sei.  Die  Entstehung  des 
Manipels  muß  also  anders  erklärt  Averden. 

Das  ist  denn  auch  geschehen,  und  zwar  sind  in  Bezug  auf  den  Ursprung 
des  Manipels  drei  Theorien  geltend  gemacht  worden.  Die  eine  will  ihn  auf 
ein  Handvelum,  die  zweite  auf  ein  diakonales  Diensttuch,  die  dritte 
auf  ein  Schweißtuch  zurückführen. 

Die  Vertreter  der  ersten  Ansicht  meinen,  es  habe  im  christlichen  Alter- 
tum als  feststehende  Regel  gegolten,  alles  Heilige  nur  mit  bedeckten  und 
verhüllten  Händen  anzufassen,  wie  aus  einer  Reihe  von  Monumenten  seit  dem 
4.  Jahrhundert  hervorgehe.  Man  müsse  daraus  mit  Recht  schließen,  daß  auch 
der  Diakon  bei  Entgegennahme  der  Opfergaben ,  namentlich  aber  bei  Be- 
schäftigung mit  dem  Heiligen  selbst,  zumal  bei  Austeilung  der  heiligen  Kom- 
munion seine  Hände  bedeckt  hatte.  Es  sei  demnach  der  Manipel  ursprüng- 
lich nichts  anderes  als  jenes  Handvelum,  mit  dem  z.  B.  Petrus  auf  den  alt- 
christlichen Bildwerken  von  Christus  die  Schlüssel  oder  eine  Buchrolle  und 
Moses  vom  Herrn  das  Gesetz  entgegennimmt,  Elisäus  den  Mantel  des  Elias 
auffängt,  Päpste  und  Bischöfe  ein  Kirchenmodell  oder  das  Evangelienbuch, 
Heilige  eine  Krone  halten  usw. 


1   De  Sacra  liturgia  c.  83   (Mg.  155,  261).  halber    erlaubt  war,    eine   mit  Kreuzen  ver- 

Staurophore     hießen     gewisse     Priester     an  sehene  Kasel  sowie  ein  Kreuz  auf  der  Kapuze 

Uauptkirchen,    denen    es    der   Auszeichnung  zu  tragen. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  555 

Allein  ist  es  denn  wirklich  zutreffend,  daß  jenes  Prinzip,  das  Heilige  nur 
mit  bedeckten  Händen  zu  berühren,  so  ausnahmslos  und  konstant  zu  Recht 
bestand?  Es  ist  doch  bekannt,  daß  den  Männern  ehedem  bei  der  Kommunion 
das  allerheiligste  Sakrament  auf  die  bloße  Hand  gelegt  wurde.  Aber  auch  auf 
den  Bildwerken  ist  es  keineswegs  überall  durchgeführt.  Beispiele  bieten  die 
Mosaiken  in  S.  Vitale  zu  Ravenna,  S.  Lorenzo  fuori  le  mura  und  S.  Venanzo 
beim  Lateran  zu  Rom ,  und  zwar  sind  es  bezeichnenderweise  hier  immer 
Diakone,  welche  das  Evangelienbuch  in  bloßen  Händen  halten.  Dann  aber 
geht  es  auch  unmöglich  an,  aus  Bildwerken  wie  denjenigen,  auf  die  man 
sich  beruft,  einen  Schluß  auf  die  Praxis  bei  der  Feier  der  Liturgie  zu  machen. 
Es  wäre  geradezu  untunlich  gewesen,  wenn  der  Diakon  nur  mit  bedeckten 
Händen  die  Opfergaben,  heilige  Geräte  und  die  heiligen  Geheimnisse  hätte  an- 
fassen dürfen.  Man  denke  sich  nur  einmal  den  Diakon,  wie  er  den  Gläubigen 
mit  verhüllten  Händen  etwa  die  fistula,  das  Röhrchen,  reicht,  damit  sie  mit 
dessen  Hilfe  aus  dem  Kelch,  den  der  Subdiakon  trug,  das  heilige  Blut  genössen. 
Und  wie  war  es  praktisch  ausführbar,  die  Opfergaben  der  Gläubigen  nur  mit 
verhüllten  Händen  entgegenzunehmen  oder  nur  mit  verhüllten  Händen  den 
Kelch  zur  Opferung  zu  bereiten,  u.  ä.  ?  Außerdem  aber  sehen  wir  ja  auch 
Päpste  und  Bischöfe  auf  den  Bildwerken  mit  verdeckter  Hand  das  Evan- 
geliar  oder  eine  Kirche  tragen.  Bestand  also  auch  für  sie  bei  der  Liturgie 
das  fragliche  Prinzip?  Doch  wohl  nicht;  denn  wie  konnten  sie  mit  verhüllten 
Händen  z.  B.  die  konsekrierten  Spezies  brechen  und  die  Gläubigen  damit  kom- 
munizieren? Welche  Gefahr  der  Verunehrung  hätte  das  nicht  mit  sich 
gebracht  ? 

Gewiß  gab  es  bei  der  Feier  der  Liturgie  Velen  gerade  wie  noch  jetzt. 
So  hielt  z.  B.  der  Akolyth ,  der  vom  Beginn  des  Kanons  an  bis  nach 
dem  Paternoster  die  Patene  aufzubewahren  hatte,  diese  mit  einer  Art  von 
Schultervelum.  Allein  in  solchen  Fällen  handelte  es  sich  offenbar  in  erster 
Linie  um  Beobachtung  der  Reinlichkeit ;  darum  legte  denn  auch  der  Subdiakon, 
der  die  Patene  beim  Paternoster  vom  Akolyth  empfing,  diese  auf  seine  Kasel, 
bis  er  sie  dem  Regionarsubdiakon  zur  Übermittlung  an  den  Diakon  übergab,  der 
sie  seinerseits  aber  wie  der  Regionarsubdiakon  ohne  Benutzung  eines  Velum 
oder  der  Kasel  in  Empfang  nahm  1.  Jedenfalls  folgt  aus  solchen  Velen  nicht, 
daß  auch  die  Mappula  ursprünglich  ein  ähnliches  Velum  war.  Denn  es  ist  gar 
nicht  einzusehen,  warum  die  für  den  Dienst  des  Altars  geweihten  höheren 
Ordines,  die  Diakone,  Priester  und  Bischöfe,  noch  eines  Handvelum  bedurften, 
um  mittels  desselben  die  Opfergaben,  heiligen  Geräte  usw.  anzufassen.  Bei 
den  Akolythen  und  Subdiakonen  der  älteren  Zeit  ließe  sich  das  zuletzt  noch 
begreifen,  bei  den  Diakonen,  den  Priestern  und  Bischöfen  ist  es  jedoch  schlecht- 
hin unverständlich. 

Wie  konnte  überhaupt  die  Mappula,  falls  sie  ursprünglich  ein  durch  die 
Ehrfurcht  vor  dem  Heiligen  notwendig  gefordertes  Handvelum  war,  je  diesem 
Zweck  entfremdet  und ,  was  doch  schon  im  9.  Jahrhundert  mit  ihr  geschah, 
zu  einem  Zierstreifen  werden?  Was  hat  man  denn  bei  dieser  Umwandlung 
für  sie  substituiert?  Wie  will  man  ferner  bei  der  in  Frage  stehenden  Theorie 
vom  Ursprung  des  Manipels  es  erklären,  daß  die  Mappula  bei  ihrem  ersten 
Auftreten  als  spezifisch  römisches  Ornatstück  erscheint?  Galt  etwa  jenes  an- 
gebliche Prinzip,  wonach  das  Heilige  nur  mit  verdeckter  Hand  berührt  werden 


Amal. ,  De  eccl.  off.  1.  3,  c.  27   (M.  105,  1146)  ;  dazu  ordo  2,  n.  11   (M.  78,  975). 


556  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

durfte,  ausschließlich  zu  Rom?  Und  wie  konnte  Gregor  gegen  den  Gebrauch 
der  Mappula  gegenüber  den  ravennatischen  Diakonen  so  große  Schwierigkeiten 
erheben,  wenn  diese  nur  ein  liturgisches  Handvelum  war? 

Die  zweite  Meinung  hinsichtlich  des  Ursprungs  des  Manipels  geht  von 
der  Erwägung  aus,  daß  die  Diakone  als  nächste  Diener  des  Altars  für  die 
Opfergaben  zu  sorgen,  die  Spenden  der  Gläubigen  an  Brot  und  Wein  ent- 
gegenzunehmen, die  für  das  Opfer  notwendige  und  geeignete  Materie  aus- 
zuwählen, die  Opfergeräte  herbeizuschaffen  und  nach  dem  Gebrauch  zu  reinigen 
hatten  u.  ä.  und  deshalb  eines  Tuches  bedurften,  ohne  welches  sie  die  nötige 
Reinlichkeit  nicht  wahren  konnten.  Dasselbe  soll  eben  die  Mappula  sein. 
Anfangs  also  lediglich  ein  zu  praktischen  Zwecken,  wie  der  Dienst  sie  mit 
sich  brachte,  verwendetes  Tuch,  blieb  diese  ein  solches,  sagt  man,  bis  die  Dia- 
kone einen  Teil  ihrer  Dienste  an  die  Subdiakone  abgaben.  Dann  wurde  sie  Ab- 
zeichen des  diakonalen  Ordo,  indem  die  Diakone  ihre  Mappula,  die  sie  nun 
nicht  mehr  zu  Reinlichkeitszwecken  benutzten,  schön  und  reich  ausstatteten 
und  zu  einem  schmalen  Streifen  zusammenfalteten  oder  auch,  wohl  durch  ein 
einfaches  Band  ersetzten.  Auf  diese  Weise  Insignie  der  Diakone  geworden, 
wurde  sie  dann  auch  von  den  höheren  Gliedern  der  Hierarchie,  insbesondere 
auch  vom  Papst  angenommen. 

Analogien  des  diakonalen  Diensttuches  soll  aber  das  Tuch  bilden,  welches 
nach  den  antiken  Monumenten  die  Opferdiener,  die  sog.  camilli,  und  die  Auf- 
wärter bei  profanen  Gelagen,  die  sog.  delicati,  bald  schlicht  zusammengelegt, 
bald  in  einen  Streifen  zusammengefaltet  auf  dem  Arm,  der  linken  Schulter 
oder  auch  nach  Art  der  Priesterstola  um  den  Hals  zu  tragen  pflegten. 

Dieser  Versuch,  den  Ursprung  des  Manipels  zu  erklären,  hat  unzweifel- 
haft etwas  Bestechendes.  Alles  klingt  ungemein  natürlich,  ja  fast  selbst- 
verständlich; um  so  mehr  bedauern  wir,  ihm  nicht  zustimmen  zu  können. 

Vor  allem  kann  nämlich  doch  wohl  kaum  behauptet  werden,  daß  die 
Diakone  eines  Diensttuches  bedurft  hätten.  Durchgeben  wir  ihre  Tätigkeit 
bei  der  Liturgie,  so  ergibt  sich,  daß  die  Verrichtungen,  bei  denen  sie  über- 
haupt irgend  ein  Tuch  nötig  hatten,  sich  auf  einige  wenige  Fälle  beschränken, 
auf  die  Händewaschung  nach  dem  Einsammeln  der  Opfergaben ,  das  Auf- 
trocknen des  bei  Entgegennahme  der  Weinfläschchen  oder  der  Herrichtung 
des  Kelches  etwa  verschütteten  Weines  und  die  Reinigung  der  Opfergefäße 
am  Schluß  der  Liturgie.  Denn  zum  Herbeiholen  der  Opfergeräte,  das  zu 
Rom  schon  gegen  Ausgang  des  4.  Jahrhunderts  keine  Sache  der  Diakone 
mehr  war 1,  bedurfte  es  keines  Tuches ;  bei  der  Entgegennahme  der  Opfer- 
gabe aber  wäre  es  sogar  sehr  unpraktisch  gewesen,  die  Hände  mit  einem 
solchen  zu  bedecken.  Von  den  genannten  Funktionen  müssen  nun  aber  ab- 
gerechnet werden  die  Händewaschung,  für  die  manutergia  vorhanden  waren, 
das  Auswaschen  der  gebrauchten  Kelche,  das  übrigens  nicht  am  Altare, 
sondern  erst  nach  dem  Gottesdienst  in  der  Sakristei  statthatte  und  für 
welches  es  ohne  Zweifel  erst  recht  besondere  Tücher  gab,  und  das  Aufputzen 
des  etwa  beim  Einsammeln  der  Gaben  auf  den  Fußboden  geflossenen  Weines, 
wofür  jedes  gewöhnliche  Aufputztuch  gut  genug,  ein  feines  diakonales  Dienst- 
tuch aber  sicher  zu  schade  war.  Es  bleibt  sonach  lediglich  die  Herrichtung 
des  Kelches  übrig.  Ob  es  nun  aber  nötig,  ja  auch  nur  zweckmäßig  war, 
daß  die  Diakone  lediglich  dieser  Funktion  halber  die  ganze  Liturgie  hindurch 


1  Quaest.  utriusque  test.  n.  101   (M.  35,  2301). 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel.  557 

ein  Tuch  mit  sich  auf  dem  Arm  herumtrugen?  Ja  wenn  dieses  noch  Insignie 
des  diakonalen  Ordo  gewesen  wäre.  Aber  das  war  es  ja  noch  nicht.  Denn 
zum  Standesabzeichen  der  Diakone  soll  es  ja  erst  geworden  sein,  nachdem 
die  Subdiakone  einen  Teil  der  diakonalen  Obliegenheiten  übernommen  hatten. 

Zweitens  ist  es  schwer  begreiflich,  wie  die  Mappula  sich  bei  den  römi- 
schen Subdiakonen  und  Akolythen,  bei  denen  wir  sie  doch  im  9.  Jahrhundert 
antreffen,  noch  einbürgern  konnte,  nachdem  sie  einmal  zur  diakonalen  Insignie 
geworden  war1.  Und  erst  die  Mappula  des  Papstes,  welche  schon  im  1.  Ordo 
ausdrücklich  erwähnt  wird,  und  der  Bischöfe!  Ist  es  wirklich  glaubhaft,  daß  die 
höchsten  kirchlichen  Würdenträger  den  Diakonen  deren  Amtsinsignie  entliehen? 
Beweist  die  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  nicht  im  Gegenteil,  daß 
die  liturgische  Kleidung  der  unteren  Ordines  nur  eine  Vereinfachung  der- 
jenigen der  oberen  ist,  und  daß  alle  Gewandstücke  der  Priester,  Diakone  usw. 
der  bischöflichen  Tracht  entlehnt  sind.  Ganz  unverständlich  aber  ist,  daß 
sich  das  diakonale  Diensttuch  zur  Insignie  der  Diakone  umgebildet  haben  soll, 
weil  die  Subdiakone  einen  Teil  der  diakonalen  Funktion  übernahmen.  Denn 
entweder  blieben  den  Diakonen  noch  Verrichtungen,  bei  denen  sie  des  fraglichen 
Tuches  bedurften,  oder  es  gingen  diese  allesamt  an  die  Subdiakone  über. 
Im  ersten  Fall  ist  es  offenbar  unerklärlich,  wie  das  Tuch  seiner  praktischen 
Bedeutung  verlustig  gehen  und  zur  bloßen  Insignie  werden  konnte,  im  zweiten 
aber,  warum  nicht  auch  das  Tuch  zugleich  mit  den  diakonalen  Funktionen  von 
den  Subdiakonen  übernommen  wurde,  sondern  bei  den  Diakonen  blieb  und 
bei  diesen  sogar  den  Charakter  einer  Insignie  erhielt,  obschon  es  zu  den  ihnen 
noch  bleibenden  Amtshandlungen  durchaus  keine  Beziehung  mehr  hatte.  Was 
waren  das  überhaupt  für  Funktionen,  welche  auf  die  Subdiakone  übergingen, 
und  zu  welcher  Zeit  vollzog  sich  dieses  Ereignis?  —  zwei  Punkte,  die  für  die 
ganze  Frage  ersichtlich  von  größter  Bedeutung  sind  und  vor  allem  klar- 
gestellt werden  müßten. 

Drittens  darf  man  wohl  fragen ,  warum  die  Mappula  bei  ihrem  ersten 
Auftreten  in  der  Geschichte  als  spezifisch  römisches  und  nicht  viel  mehr  als 
allgemein  gebräuchliches  Ornatstück  erscheint.  Warum  finden  wir  sie,  wenn  sie 
ein  durch  die  Funktion  der  Diakone  gefordertes  Diensttuch  war,  nicht  im 
ganzen  Abendland?  Oder  war  z.  B.  in  Gallien  und  Spanien  im  6.  Jahrhundert 
die  Feier  der  Liturgie  vielleicht  der  Art,  daß  in  jener  Zeit  dort  bei  den 
diakonalen  Verrichtungen  kein  Bedürfnis  für  ein  solches  Tuch  vorlag? 

Viertens  muß  betont  werden,  daß  der  Erklärungsversuch  weder  zu  den 
Mitteilungen  paßt,  die  wir  im  9.  Jahrhundert  von  der  liturgischen  Mappula 
erhalten,  noch  zu  den  Angaben,  die  uns  das  Papstbuch  und  der  Briefwechsel 
zwischen  Gregor  d.  Gr.  und  Johannes  von  Ravenna  direkt  oder  indirekt  über 
die  Beschaffenheit,  die  Träger,  den  Charakter  usw.  des  pallium  linostimum 
bzw.  der  Mappula  machen2. 

Was  endlich  die  Darstellungen  der  camilli  und  delicati  anlangt,  so 
können  wir  ihnen   leider   eine  Bedeutung   nicht   beimessen.     Sollen   sie    bloß 


1  Nach    W  i  1  p  e  r  t    (Gew.    56)    wäre    das  stück    entliehen.     Außerdem    ist   völlig    un- 

Diensttuch  der  Diakone  allmählich  zu  einem  begreiflich,  daß  ein  Tuch,  welches,  wie  doch 

Taschen-    oder    Schweißtuch    geworden    und  Wilpert  selbst  sagt,  „für  den  liturgischen 

als    solches    dann    auch    von     den    übrigen  Dienst    der    Diakone    absolut     not- 

Ordines   angenommen   worden.     Allein   auch  wendig    war",    allmählich    zu    einer    Art 

so   bleibt   die  auffallende ,    durch  nichts   be-  von     Taschen-     oder     Schweißtuch     werden 

gründete    Erscheinung,    daß   der  Papst   und  konnte. 

die   Bischöfe  von    den    Diakonen    ein   Ornat-  2  S.  oben  S.  523  f. 


558  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

illustrieren,  wie  wir  uns  die  Diakone  mit  dem  pallium  linostimum  auf  dem 
Arm  zu  denken  haben ,  dann  sind  sie  offenbar  von  geringem  Wert ,  um 
nicht  zu  sagen,  ziemlich  überflüssig.  Denn  wie  man  das  Ornatstück  zu  tragen 
pflegte,  ersehen  wir  besser  aus  den  Darstellungen  des  9.  Jahrhunderts,  welche 
uns  liturgische  Personen  mit  der  Mappula  vorführen,  als  aus  antiken  Dar- 
stellungen heidnischer  camilli  und  delicati.  Einen  wirklichen  Aufschluß  über 
den  Charakter  und  Zweck  des  pallium  linostimum  aber  können  sie  nicht 
geben.  Das  wäre  nur  unter  der  Voraussetzung  möglich,  daß  man  die  volle 
Analogie  zwischen  dem  Dienst  der  Diakone  einerseits  und  dem  der  camilli 
und  delicati  anderseits  erwiesen  hätte.  Die  allgemeine  Bemerkung,  daß  die 
einen  Diener  am  Tisch  des  Herrn,  die  andern  Diener  am  Götzenaltar  oder 
beim  profanen  Tisch  waren,  reicht  dazu  offenbar  nicht  aus.  In  der  Tat  war 
das  mantile  der  camilli  lediglich  ein  Handtuch,  an  welchem  der  Opfernde 
nach  Auflegung  des  Weihrauchs  seine  Hände  abputzte,  kein  Diensttuch,  wie 
man  es  dem  Diakon  vindizieren  will.  Sein  Gegenstück  war  bestenfalls  das 
manutergium,  welches  einer  der  Subdiakone  dem  Bischof  oder  Priester 
zum  Abtrocknen  der  Hände  darreichte,  wenn  diese  nach  Empfang  der  Opfer- 
gaben und  nach  Austeilung  der  heiligen  Kommunion  ihre  Hände  wuschen 1.  Was 
aber  das  Abputztuch  der  Aufwärter  anlangt,  so  war  denn  doch  die  Aufgabe 
der  Diakone  eine  wesentlich  andere  als  die  eines  delicatus.  Oder  ging 
etwa  die  diakonale  Tätigkeit  im  Auftragen ,  Abräumen  und  dem ,  wenn 
irgendwo,  dann  namentlich  bei  antiken  Gelagen  unvermeidlichen  Aufwischen 
und  Händewaschen  auf?  Wie  viele  Funktionen  gab  es  überhaupt,  bei  welchen 
der  Diakon  irgend  eines  Tuches,  von  einem  Diensttuch  ganz  zu  schweigen, 
nötig  hatte? 

Die  dritte  Ansicht  führt  den  Manipel  auf  ein  Sudarium  (Schweißtuch) 
zurück.  Es  ist  die  gewöhnliche  Auffassung.  Sie  gründet  sich  darauf,  daß  bei 
Amalar  und  Pseudo-Alkuin  das  Ornatstück  mit  aller  Bestimmtheit  als  Schweiß- 
tuch bezeichnet  wird.     Wir  tragen  kein  Bedenken,  an  ihr  festzuhalten. 

Man  hat  freilich  Amalar  wie  Pseudo-Alkuin  als  durchaus  unglaubwürdig 
hinzustellen  versucht.  Was  Amalar  sagt,  soll  nur  die  Ausgeburt  einer  über- 
triebenen Vorliebe  für  allegorische  Erklärung  und  übel  angebrachte  Pietät 
gegen  einen  lieben  Heiligen ,  nämlich  den  Vater  Arsenius ,  sein  und  dem- 
gemäß ins  Gebiet  der  Fabel  gehören.  Pseudo-Alkuin  aber,  sagt  man,  habe 
lediglich  die  Phantasien  Amalars  nachgeschrieben.  Indessen  heißt  das  doch 
unseres  Eraehtens  weder  Amalar  noch  Pseudo-Alkuin  genügend  gerecht  werden. 
Es  klingt  allerdings  recht  drastisch,  wenn  Amalar  schreibt:  Sudario  solemus 
tergere  pituitam  oculorum  et  narium  atque  superfluam  salivam  decurrentem  per 
labia  .  .  .  sive  propter  effusionem  lacrimarum  sudarium  fertur ;  allein  wovon  redet 
derselbe  denn  eigentlich  in  diesen  Worten,  von  dem  liturgischen  Sudarium  oder 
vom  Sudarium  überhaupt?  Jedenfalls  ist  seine  Schilderung  kein  genügender 
Grund,  zu  behaupten,  lediglich  Amalars  Phantasie  habe  das  Ornatstück  zu  einem 
Sudarium  gemacht;  in  Wirklichkeit  habe  es  mit  einem  solchen  nichts  zu  tun. 
Wer  Amalar  näher  kennt,  weiß,  wie  er  ihn  zu  verstehen  hat.  Man  muß  bei 
ihm  Spreu  und  Weizen  sondern,  statt  mit  der  Spreu  zugleich  den  Weizen  weg- 
zuwerfen. Auch  in  seinen  Ausführungen  über  das  Sudarium  steckt  unzweifel- 
haft  ein    richtiger  Kern.     Amalar  war   ein   zu   tüchtiger  Kenner   und  ein  zu 


1  Schon  im  4.  Jahrhundert  lag  es  zu  Rom  (Priester)  beim  Händewaschen  zu  ministrieren. 

nachweislich  den  Subdiakonen  ob,  dem  Bischof         Vgl.Quaest.  exutroquetest.  n.  101  (M. 35,2301). 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


559 


aufrichtiger  Freund  des  römischen  Ritus,  um  das  Ornatstück  fälschlich  als 
sudarium  hinzustellen,  wenn  es  nach  römischer  Auffassung  mit  einem  solchen 
in  keiner  Weise  etwas  zu  schaffen  gehabt  hätte,  sondern  ein  zur  Insignie 
gewordenes  diakonales  Diensttuch  oder  sogar  nur  mehr  ein  bloßes  Band 
gewesen  wäre. 

Was  aber  Pseudo-Alkuin  anlangt,  so  ist  es  durchaus  unrichtig,  daß 
er  lediglich  Ausschreiber  Amalars  ist.  In  dem  Kapitel,  das  er  der  liturgischen 
Gewandung  des  Neuen  Bundes  gewidmet  hat,  hat  er  freilich  Hraban  und 
Amalar  kopiert.  Jedoch  gilt  das  keineswegs  von  einer  Anzahl  wichtiger 
Bemerkungen,  die  er  seinen  Eröterungen  über  die  alttestamentliche  Kult- 
kleidung eingestreut  hat.  Vielmehr  verraten  diese  ein  ebenso  selbständiges 
wie  nüchternes  Urteil.  Gerade  hier  nun  ist  es  aber,  wo  Pseudo-Alkuin 
sagt:  Sunt  tarnen  alia,  quae  apud  illos  non  habebantur,  ut  stola,  sandalia 
et  sudarium,  q u o d  a d  t e r g e n d u m  sudorem  in  manu  g e s t a r i  mos 
est,  quod  usitato  nomine  fanonem  vocamus l.  Die  Worte  sind  klar  und 
schließen  jeden  Zweifel  aus.  Pseudo-Alkuin  redet  von  einem  sudarium,  das 
zur  liturgischen  Tracht  des  Neuen  Bundes  gehörte.  Dieses  sudarium  ist,  wie  die 
von  ihm  gegebene  Beschreibung  beweist,  das  sudarium  des  Amalar  und,  wie 
der  Name  fano  bekundet,  der  fano  Hrabans  und  sonach  auch  die  mappula  der 
römischen  Ordines.  Als  Zweck  des  sudarium  aber  gibt  Pseudo-Alkuin  an,  es 
pflege  in  der  Hand  getragen  zu  werden  ad  tergendum  sudorem. 

Es  kann  demnach  nicht  wohl  zweifelhaft  sein,  daß  die  Mappula  wirklich 
den  Charakter  eines  Sudarium  hatte,  nur  darf  man  sich  unter  ihr  kein  ge- 
wöhnliches Taschen-  oder  Schweißtuch  vorstellen.  Sie  war  vielmehr  ein  von 
der  Etikette  gefordertes  feines  Tuch,  das  zur  Vervollständigung  der  liturgischen 
Tracht  gehörte  und  mehr  der  Zierde  als  des  praktischen  Gebrauches  wegen 
in  der  Hand  oder  auf  dem  Arm  getragen  wurde,  ähnlich  wie  das  bekannte, 
mit  Spitzen  besetzte  Battisttüchlein,  das  noch  jetzt  nicht  ganz  ausgestorben 
ist,  eine  mappa  da  etichetta,  wie  P.  Grisar  treffend  sagt2.  Solche  Etikette- 
oder Ziertücher  waren  auch  der  alten  Zeit  nicht  unbekannt 3. 


1  De  div.  off.  c.  38  (M.  101,  1240). 

2  Analecta  rom.  683;  vgl.  551. 

3  Beispiele  bieten  das  bekannte  Mosaik  in 
S.  Vitale  zu  Ravenna,  Theodora  im  Kreise 
ibrer  Hofdamen;  das  von  de  Rossi  veröffent- 
lichte Fresko  einer  syrakusanischen  Kata- 
kombe, eine  gewisse  Marcia  vor  Cliristns 
darstellend  (Bullet,  arclieol.  III  [1877], 
tav.  11);  ein  Fresko  im  Cömeterium  der 
Comodilla  zu  Rom  (Abbildung  in  Nuovo 
Bullet,  di  arcb.  christ.  X  [1905],  tav.  6);  ein 
Diptychon  im  Dom  zu  Monza  (Abbildung 
in  Ann.  XXI  222);  ein  ehedem  zur  Maximians- 
kathedra  im  Dom  zu  Ravenna  gehörendes 
Elfenbein  in  der  Sammlung  Stroganoff  zu  Rom 
(Abbildung  bei  Gräv.  II,  n.  62);  eine  Minia- 
tur in  dem  Kosmas  Indikopleustes  der  Vati- 
cana  (f.  134) ;  das  Apsismosaik  in  der  erz- 
bischöflichen Palastkapelle  zu  Ravenna  (Ab- 
bildung in  Revue  1896,  282) ;  die  Darstellung 
der  Verkündigung  in  dem  Etschmiadzin-Evan- 
geliar  (Abbildung  bei  Strzygowski,  Byzan- 
tinische Denkmäler   I,  Wien  1891,    Tfl   5); 


zwei  Miniaturen  des  Gregor  von  Nazianz  in 
der  Nationalbibliothek  zu  Paris  (Msc.  grecs 
510,  f.  247v,  wo  der  König  der  Philister,  und 
f.  226T,  wo  Moses  ein  Sudarium  in  der 
Linken  trägt;  Abbildung  bei  H.  0  m  o  n  t, 
Fac-similes  des  miniatures  des  plus  anciens 
manuscrits  grecs  de  la  Bibl.  nat.,  Paris  1902, 
pl.  xl  xlix)  ;  die  Panagia  auf  dem  Apsis- 
mosaik der  Kathedrale  zu  Kiew  (Abbildung 
bei  S  ch  1  u  m  b  e  r  g  er,  L'Epopee  byzantine 
I  197)  u.  a.  Auch  das  Tuch,  welches  die 
Konsuln  auf  den  Konsulardiptychen  in  der 
Hand  halten,  ist  unseres  Erachtens  ein  Eti- 
kette- oder  Staatstuch,  was  natürlich  nicht 
ausschließt,  daß  es  auch  gebraucht  wurde, 
um  das  Zeichen  zum  Anfang  der  Spiele  zu 
geben.  Es  ist  schwer  begreiflich ,  warum 
sie  so  oft,  um  nicht  zu  sagen  meist,  mit 
diesem  Tuch  dargestellt  werden ,  wenn  das- 
selbe nichts  anderes  war  als  die  Mappa,  mit 
der  sie  die  Spiele  eröffneten ,  zumal  dieser 
Akt  nicht  einzig  durch  die  Konsuln  voll- 
zogen wurde. 


560  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Bei  dieser  Auffassung  des  Sudarium  fällt  denn  auch  von  selbst  der 
Einwand,  unter  dem  sudarium  des  Amalar,  das  offenbar  ein  sakrales  Ornat- 
stück darstelle,  da  es  mit  der  Stola,  der  Kasel  usw.  auf  einer  Stufe 
stehe,  könne  unmöglich  ein  Schweißtuch  verstanden  werden,  weil  es  un- 
annehmbar erscheine,  daß  ein  durchaus  profanes  und  praktischen  Zwecken 
dienendes  Tuch  wie  ein  Taschen-  oder  Schweißtuch  jemals  irgend  wel- 
chen liturgischen  Charakter  gehabt  habe.  Das  Sudarium  war  eben  kein 
„gemeines  Schweiß-  oder  Schnupftuch",  wie  man  irrtümlich  voraussetzt, 
sondern  ein  Staatstuch,  ein  Etikettetuch,  ein  Anstandstuch,  ein  Ziertuch. 
Schweißtuch  war  es  nur  in  der  Theorie,  nicht  in  der  Praxis.  Als  wirk- 
licher Schweißtücher  bediente  man  sich  der  facistergia,  die  schon  in  Inven- 
taren  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  in  größerer  oder  geringerer  Anzahl  auf- 
geführt werden l. 

Weiterhin  begreift  man,  das  Sudarium  so  verstanden,  ohne  Schwierigkeit, 
wie  dasselbe  den  Diakonen  als  offertorium  dienen  konnte,  als  was  diese  es 
ja  nach  den  römischen  Ordines  verwendeten,  d.  i.  als  das  Tuch,  womit  sie 
ihre  Opfergabe  darbrachten;  ebenso  daß  die  Diakone  mit  ihrem  Sudarium  die 
Henkel  des  Kelches  umwickelten,  wenn  sie  diesen  hergerichtet  hatten  und 
zum  Altar  trugen  bzw.  nach  der  Konsekration  emporhielten  und  dem  Volke 
zeigten.  Ein  gewöhnliches  Taschentuch  hätten  sie  zu  solchen  Zwecken  natürlich 
nicht  verwenden  können ;  nichts  aber  hinderte,  daß  sie  dazu  ihr  Etikettetuch 
benutzten. 

Aber  auch  die  Geschichte  des  Ornatstücks  in  vorkarolingischer  Zeit  liegt 
klar  vor  uns,  sobald  wir  die  Mappula  als  Sudarium  im  Sinne  eines  Etikette- 
tuches auffassen,  und  es  bedarf  zu  ihrer  Aufhellung  und  ihrem  Verständnis 
weiterhin  weder  luftiger  Hypothesen  noch  der  Darstellungen  heidnischer 
Opferknaben  und  antiker  Aufwärter.  Die  Angaben  des  Papstbuches  und  der 
Briefwechsel  zwischen  Gregor  d.  Gr.  und  Johannes  von  Ravenna  reichen 
dann  vollständig  aus,  um  in  genügender  Bestimmtheit  die  Grundzüge  der  Ent- 
wicklung der  Mappula  in  vorkarolingischer  Zeit  festzustellen.  Namentlich 
aber  ist  es  bei  jener  Ansicht  von  der  Entstehung  des  Ornatstückes  nicht 
mehr  rätselhaft,  daß  dieses  ursprünglich  nur  zu  Rom  als  ein  dem  dortigen 
Klerus  eigentümlicher,  auszeichnender  Ornat  in  Gebrauch  war,  der  allem  An- 
schein nach  anfänglich  nur  dem  Papst  zustand,  dann  aber  mitsamt  der 
Dalmatik  den  als  papabili  so  hervorragenden  römischen  Diakonen  bewilligt 
wurde,  hierauf,  sei  es  durch  besondere  Verordnung  (Zosimus)  oder  durch  Ge- 
wohnheit, bei  den  Diakonen  der  suburbikarischen  Diözesen  Aufnahme  fand 
und  zuletzt  sich  bei  der  ganzen  römischen  Geistlichkeit  einbürgerte.  Das 
alles  sowie  auch  der  Streit  zwischen  dem  römischen  und  ravennatischen  Klerus 
wegen  der  Mappula,  die  diese  sich  angeblich  angemaßt  haben  sollten,  ist  als- 
bald verständlich,  sobald  man  das  Ornatstück  als  Sudarium  im  Sinne  eines  An- 
stands-,  Staats-,  Etikettetuchs  auffaßt. 

Dieser  Ursprung  des  Manipels  findet  ferner  seine  genaue  Parallele  in  dem 
Ursprung  des  griechischen  bischöflichen  Epigonation.  Denn  auch  dieses  war, 
wie  wir    früher   sahen 2,    ursprünglich    ein  Tuch ,    und    zwar ,    wie  der  Name 


1  Vgl.  z.  ß.  die  Inventare  von   St-Riquier  die    Consuetudines    S.    Vitonis     zu    Verdun 

(831),  Fontanelle  (ca  830),  St  Bavo  zu  Gent  (Mart.,  Mon.  IV  297):  Ponet   super  altare 

(860),    St  Trond    (870),    Pfäffers    (ca   900),  .  .  .  facistergium. 
Marchiennes    (9.  Jahrh.)    u.  a.  ;    desgleichen  -  Vgl.  oben  S.  551  f. 


Erstes  Kapitel.     Der  Manipel. 


561 


Encliirion,  den  letzteres  führte,  bekundet,  eine  Art  von  Schweißtuch,  aber 
kein  Schweißtuch  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes,  sondern  als  auszeichnen- 
des Ornatstück  der  Bischöfe  und  als  Bestandteil  des  Pontifikalornats  wie  die 
römische  Mappula  ein  Staats-  oder  Etikettetuch.  Es  braucht  kaum  bemerkt 
zu  werden,  daß  dieser  Ursprung  des  Epigonation  eine  nicht  unwichtige  Be- 
stätigung der  Ansicht  bildet,  welche  den  Manipel  auf  ein  Sudarium  im  Sinne 
eines  Anstands-  oder  Etikettetuches  zurückführt. 

Neben  der  Mappula  gab  es  natürlich  auch  zu  allen  Zeiten  wirkliche 
Schweißtücher,  und  zwar  müssen  solche  schon  im  9.  und  10.  Jahrhundert  zum 
förmlichen  Bestand  der  Sakristeien  gehört  haben.  Denn  es  finden  sich  bereits  in 
den  Inventaren  aus  dieser  Zeit  nicht  selten  neben  den  fanones  oder  mappulae 
auch  facistergia  (facistercula)  verzeichnet.  Ausdrückliche  Bestimmungen 
über  den  Gebrauch  derartiger  Schweißtücher  begegnen  uns  freilich  erst  um  das 
13.  Jahrhundert.  Eine  der  frühesten  treffen  wir  in  den  Synodalstatuten 
Odos  von  Paris  aus  dem  Jahre  1200  an.  Districte  praecipitur,  heißt  es 
darin,  ut  quilibet  sacerdos  habeat  in  celebratione  missae  propter  munditiam 
vestimentorum  servandam  circa  altare  (es  sind  wohl  die  Altarvelen  ge- 
meint) unum  manutergium  pendens  circa  missale  ad  tergendum  os  et  nares, 
si  fuerit  necesse1.  Ähnliche  Bestimmungen  trafen  die  Kölner 
Synode  des  Jahres  1 281 2,  die  Konstanzer  Synodalstatuten 
aus  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts3,  eine  Lütticher  Syn- 
ode von  1287*,  die  Synode  von  Bayeux  von  1300 5, 
Synodalstatuten  von  Meaux  u.  a. B  In  den  Synodalstatuten 
von  Lüttich  lesen  wir  beispielsweise:  Missale  semper  in- 
volutum  camisia  linea  et  munda  altari  imponatur  et  habeat 
sudariolum  seu  manutergium  dependens,  quo  presbyteri  nares, 
os  et  faciem  detergeant.  Bischof  Grandisson  von  Exeter 
(1327 — 1369)  traf  in  seinen  Statuten  die  eigenartige  Be- 
stimmung, daß  bei  der  Messe  sowohl  der  Priester  wie  der 
Diakon  und  Subdiakon  ein  kleines  Tuch  in  ihren  Händen  halten  sollten,  um 
die  Gewänder  vor  Schmutz  zu  bewahren  und  den  Schweiß  abtrocknen  zu 
können 7. 

In  eigentümlicher  Weise  trugen  die  Kanoniker  von  Reims  das  Sudarium  8. 
Nach  de  Vert  war  es  nämlich  am  kleinen  Finger  der  linken  Hand  befestigt 
und  führte  davon  den  Namen  doigtier  (Bild  272).  Man  legte  es  an,  wenn 
man  zum  Altar  ging,  und  behielt  es  bis  zur  Opferung  an  der  Hand.  Dann 
wurde  es  abgelegt,  aber  nach  der  Kommunion  wieder  genommen.  Der  doigtier 
war  auch  in  Antwerpen  gebräuchlich,  wie  ein  Bild  Pieter  Neffs  des  Älteren 
im  Rijks-Museum  zu  Amsterdam  beweist.  Es  stellt  das  Innere  der  Antwerpener 
Dominikanerkirche  dar.  Die  Staffage  bildet  ein  Umzug,  bei  dem  Diakon  und 
Subdiakon  den  doigtier  tragen. 


Bild  272.  Doigtier. 
(Nach  de  Vert.) 


1  Le  Brun,  Tratte'    prelim.  art.  4,    §  1, 
p.  44. 

2  C.  7  (Hartzh.  III  662). 

3  C.  35  (Mart,  Thes.  IV  811). 

4  C.  5,  n.  8  (Hartzh.  III  690). 

5  C.  21   (Hard.  VII  1229). 

6  C.  47  (Mart.  a.  a.  O.  900). 

1  Vgl.  über  das  Schweißtuch  auch  Braun, 
Die  priesterlichen  C4ewänder  69  f.    Nach  dem 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


12.  römischen  Ordo  (n.  7 ;  M.  78,  1067)  ritt 
vor  dem  Papst  beim  Zug  nach  S.  Stefano 
am  Feste  des  hl.  Stephanus  prior  subdiaconus 
regionarius  cum  toalea,  ut  cum  dominus  papa 
voluerit  spuere,  possit  illo  gausape  os  säum 
mundare. 

8  De  Vert  II  295,  note.  Der  doigtier 
war  nicht  der  Manipel,  wie  man  irrig  ge- 
glaubt hat. 

36 


562  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

ZWEITES  KAPITEL. 

DIE    STOLA. 

I.   DIE  STOLA  NACH  DER  GEGENWÄRTIGEN   PRAXIS. 

Dem  Manipel  ist  hinsichtlich  der  Beschaffenheit  durchaus  verwandt 
die  Stola.  Sie  ist  wie  er  ein  streifenförmiges  Ornatstück  und  unterscheidet 
sich  von  ihm  fast  nur  durch  ihre  größeren  Maßverhältnisse.  Während  nämlich 
der  Manipel  im  ganzen  bloß  etwa  1,00  m  lang  ist,  hat  die  Stola  eine  Gesamt- 
länge von  ca  2,50  m.  Hinsichtlich  des  Stoffes,  der  Farbe,  der  Form,  der 
Machweise  und  der  Verzierung  (namentlich  auch  der  drei  Kreuze  und  der 
Fransen  an  den  Enden)  besteht  zwischen  beiden  Paramenten  kein  Unterschied. 
Es  kann  daher  wegen  alles  dessen  auf  die  diesbezüglichen  Ausführungen  in 
der  Besprechung  des  modernen  Manipels  hingewiesen  werden. 

Die  Stola  kommt  nur  den  Diakonen,  Priestern  und  Bischöfen 
zu,  deren  charakteristisches  Abzeichen  sie  bildet.  Die  Erstgenannten  tragen 
sie  in  Form  einer  Schärpe,  welche  auf  der  linken  Schulter  ruht  und  von  dort 
schräg  über  Brust  und  Rücken  zur  rechten  Seite  läuft,  wo  ihre  Enden  unter 
dem  Arm  miteinander  verbunden  werden.  Bei  den  Priestern  und  Bischöfen 
liegt  die  Stola  dem  Nacken  auf  und  zieht  sich  von  da  über  die  Brust  bis 
etwa  zu  den  Knieen  hinab.  Während  indessen  die  bischöfliche  Stola  stets 
gerade  herabfällt,  mag  nun  der  Bischof  die  Albe  oder  das  Superpelliceum 
tragen,  muß  die  priesterliche  Stola,  so  oft  sie  in  Verbindung  mit  der  Albe 
gebraucht  wird,  allemal  über  der  Brust  gekreuzt  werden.  Nur  wenn  der 
Priester  sich  des  Superpelliceum  bedient,  läßt  auch  er  die  Stola  gerade  herab- 
steigen. Nach  römischem  Brauch  wird  die  priesterliche  und  bischöfliche  Stola 
in  der  Weise  über  den  Nacken  geworfen,  daß  sie  etwa  eine  Spanne  weit 
nach  hinten  herabhängt.  Allerdings  setzt  das  voraus,  daß  sie  entweder,  wie 
das  zu  Rom  wirklich  zutrifft,  sehr  weich  und  faltsam  ist  und  daß  sie 
sich  auf  dem  Rücken  zusammenlegen  läßt,  oder  daß  die  beiden  Stolahälften 
in  der  Mitte  unter  einem  Winkel  zusammenstoßen,  statt  einen  gerade  fort- 
laufenden Streifen  zu  bilden:  zwei  Eigenschaften,  welche  übrigens  auch  da 
dem  Ornatstück  nicht  fehlen  sollten,  wo  es  nicht  üblich  ist,  dasselbe  weit 
nach  rückwärts  herabhängen  zu  lassen. 

Wie  der  Subdiakon  den  Manipel,  so  erhält  der  Diakon  bei  seiner  Weihe 
aus  der  Hand  des  Bischofs  die  Stola.  „Nimm  hin",  sagt  dieser,  während 
er  das  Ornatstück  auf  die  linke  Schulter  des  Ordinanden  legt,  „aus  Gottes 
Hand  das  weiße  Gewand  und  erfülle  deinen  Dienst;  denn  Gott  ist  mächtig 
genug,  um  dir  seine  Gnade  in  reichem  Maße  zu  spenden,  er,  der  da  lebt  usw." 

Wird  der  Diakon  zum  Priester  geweiht,  so  führt  der  Bischof  denjenigen 
Teil  der  Stola,  welcher  sich  hinter  dem  Rücken  herzieht,  über  die  rechte 
Schulter  zur  Brust,  wo  er  die  beiden  Hälften  in  Form  eines  schrägen  Kreuzes 
übereinander  legt.  Als  priesterliche  Amtsinsignie  ist  die  Stola  das  Symbol 
des  Priesteramtes.  Darum  begleitet  der  Bischof  die  Änderung  in  der  Tragweise 
der  Stola  mit  den  Worten:  „Nimm  hin  des  Herrn  Joch;  denn  sein  Joch  ist 
süß  und  seine  Bürde  leicht." 

Bei  der  Bischofsweihe  ist  die  Stola  nicht  der  Gegenstand  einer  besondern 
Zeremonie.  Sie  wird  dem  Konsekranden  schon  gleich,  wenn  er  nach  dem 
sog.  Examen  mit  den  bischöflichen  Gewändern  (Mitra  und  Handschuhe   aus- 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  563 

genommen)  bekleidet  wird,  in  der  Weise  umgehängt,  wie  die  Bischöfe  sie  zu 
tragen  haben. 

Über  den  Gebrauch  der  Stola  gibt  es  eine  ungemein  große  Anzahl 
von  Entscheidungen  der  Ritenkongregation 1,  welche  freilich  zum  großen  Teil 
immer  wieder  dieselbe  Sache  betreffen.  Wie  schon  bemerkt,  ist  die  Stola 
Amtsabzeichen,  Insignie  des  empfangenen  Weiheordo.  Dieser  An- 
schauung gemäß  lassen  sich  die  Antworten  der  Kongregation  in  die  allgemeine 
Regel  zusammenfassen:  die  Stola  darf  „nur  beim  Vollzug  eines  spezifisch  im 
Ordo  gelegenen  Offizium  oder  Ministerium  getragen  werden".  Sie  kann 
bzw.  muß  also  gebraucht  werden  bei  der  Opferfeier,  bei  der  Spendung  der 
Sakramente  und  Sakramentalien  sowie  bei  jeder  mittelbaren  und  unmittelbaren 
Berührung  des  Allerheiligsten.  Bei  Verwaltung  des  Predigtamtes  darf  man 
sich  ihrer  bedienen,  wo  solches  Sitte  ist 2.  Nicht  als  Ausübung  des  Ordo  gilt 
das  kirchliche  Stundengebet,  weshalb  nicht  einmal  der  Offiziator  die  Stola 
tragen  darf,  selbst  dann  nicht,  wenn  das  Offizium  feierlich  gehalten  wird 3.  Nur 
beim  Totenoffizium  kann,  wenn  dasselbe  in  Verbindung  mit  den  Exsequien, 
d.i.  unmittelbar  vor  der  Messe,  statthat,  die  Stola  gebraucht  werden4.  Nicht 
als  exercitium  ordinis  im  engeren  Sinne  wird  ferner  die  Assistenz  bei  der  Messe  5 
oder  bei  Prozessionen  betrachtet,  die  theophorischen  nicht  ausgenommen.  Ein 
eigentliches  signum  iurisdictionis  ist  die  Stola  niemals  °.  Der  Fälle,  in  denen 
ihr  Gebrauch  nicht  zwar  zum  Zeichen  der  Jurisdiktion,  aber  doch  eines  ge- 
wissen Vorranges  auch  ohne  Ausübung  des  Ordo  ausnahmsweise  gestattet 
wurde,  sind  nur  sehr  wenige.  So  wurde  es  den  Pfarrern  wohl  erlaubt,  bei 
Prozessionen  die  Stola  zu  tragen,  falls  sie  collegialiter  an  denselben  teilnähmen. 
Nach  einer  neueren  Entscheidung  scheinen  sogar,  wo  das  Gewohnheit  ist, 
die  Pfarrer  auch  dann  bei  Prozessionen  sich  mit  ihr  versehen  zu  dürfen, 
wenn  sie  nicht  in  corpore  auftreten 7.  Der  Bischof  trägt  nach  dem  römischen 
Caeremoniale 8  die  Stola  auch  bei  der  feierlichen  Vesper,  weil  er,  Avie  Thalhofer 
meint9,  spezieller  Repräsentant  des  im  Himmel  nicht  bloß  opfernden,  sondern 
auch  betenden  Hohenpriesters  ist. 

II.   NAMEN  DES  ORNATSTÜCKES.- 

Unter  den  Gewandstücken,  welche  die  alten  Liturgiker  als  zum  heiligen 
Dienst  gehörend  bezeichnen,  befindet  sich  eines,  welches  den  Namen  orarium 
führt.  Es  ist  die  Stola.  Das  geht  nicht  nur  aus  der  Beschreibung  hervor, 
welche  sie  von  dem  Orarium  geben,  sondern  mehr  noch  daraus,  daß  manche 
ausdrücklich  Stola  und  Orarium  als  eine  Sache  hinstellen;  so  schon  Hraban, 
dann  Pseudo-Beda  und  Pseudo-Alkuin,  später  Ivo  von  Chartres,  der  Verfasser 
des  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae,  Robertus  Paululus  u.  a. 

Abzuleiten  ist  das  Wort  Orarium  von  os,  Mund,  Gesicht.  Demnach  war 
das  Orarium  ursprünglich  ein  Tuch,  das  zum  Abputzen  des  Mundes  oder  des 


1  Sie    sind    ausführlich    zusammengestellt  *  Caerem.  episc.  1.  2,  c.   10,  n.  10;  C.  R. 
bei  P.  Victor   ab  Appeltern,    Manuale  12.  Aug.  1854  (Decret.  auth.  3029). 
liturg.,   Mecbl.   1901,    76  f   553   und    in   der  ä  C.  R.  12.  März  1836;  4.  Sept.  1875  (ebd. 
neuesten    offiziellen   Sammlung    der  Dekrete  2741   3367). 

der  C.  R.,  Index  gen.  V  469  f.  6  C.  R.  11.  Sept.  1847  (ebd.  2956). 

2  C.   R.    26.   Sept.    1868;    11.  März    1871  '  C.  R.    30.  März    1824;    11.  März    1837; 
(Decret.  auth.  3185  3237).  22.  Juli  1848;  9.  Mai  1857  (ebd.  2635  2763 

3  C.   R.    4.   Aug.    1663;    7.   April    1832;  2973  3051).            8  L.  2,  c.  1,  n.  4. 
11.  Sept.  1847  (ebd.  1275  2689  2956).  9  Liturgik  879,  Anm.  3. 

36* 


564 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Gesichtes  bestimmt  war,  also  eine  Art  von  Schweißtuch.  So  definiert  es 
wirklich  Ammonius  von  Alexandrien  (ca  458)  in  seinem  fragmentarisch  er- 
haltenen Kommentar  zur  Apostelgeschichte.  „Oraria  nennt  man",  so  sagt  er, 
„die  Tücher,  welche  dazu  dienen,  Schweiß,  Speichel,  Tränen  und  ähnliches 
vom  Gesicht  wegzuputzen." 1  Indessen  hatte  schon  vor  der  Zeit  des  Ammonius 
das  Wort  eine  weitere  Bedeutung  erlangt. 

Bei  den  profanen  lateinischen  Schriftstellern  werden  Orarien  nur  selten  und  erst 
im  3.  nachchristlichen  Jahrhundert  erwähnt.  Nach  Trebellius  Pollio  2  schenkte  Kaiser 
Gallienus  (259 — 268)  dem  Claudius  (Kaiser  von  268  bis  270)  4  oraria  sarabdena  (?) ; 
Aurelianus  (270 — 275)  aber,  so  berichtet  Flavius  Vopiscus 3,  spendete  zuerst  dem 
römischen  Volke  oraria,  quibus  uteretur  ad  favorem,  d.  i.  oraria,  mittels  deren  es  (bei  den 
Zirkusspielen)  seinen  Beifall  äußern,  applaudieren  sollte.  Häutiger  ist  von  dem  Orarium  bei 
den  Kirchenschriftstellern  die  Rede.  Bei  Hieronymus  erscheint  es  als  eine  Art  von  linne- 
nem  Umwurf  oder  Halstuch,  wenn  er  an  Nepotian  schreibt:  Non  absque  amictu  lineo 
incedere  .  .  .  laudabile  est;  alioqui  ridiculum  est,  referto  marsupio  quod  sudarium 
orariumque  non  habeas  gloriari 4.  Ambj-osius  spricht  in  seiner  Schrift  über  das  Hin- 
scheiden seines  Bruders  Satyrus  von  einem  Orarium ,  welches  das'  Haupt  des  toten 
Lazarus  verhüllte 5.  Ebendort 6  erzählt  er,  bei  einem  Schiffbruch  habe  Satyrus  die 
heilige  Eucharistie  in  ein  Orarium  gebunden,  selbiges  dann  um  den  Hals  gewickelt 
und  sich  so  im  Vertrauen  auf  Gottes  Hilfe  ins  Meer  gestürzt.  Von  Orarien,  die  man 
auf  die  Reliquien  der  Heiligen  legte,  damit  sie  so  selbst  im  gewissen  Sinne  Reliquien 
würden,  redet  der  Heilige  im  Briefe  über  die  Wunder  der  lall.  Gervasius  und  Protasius '. 
Augustinus  s  berichtet,  man  habe  mit  einem  Orarium  das  Auge  eines  Jünglings  ver- 
bunden, das  aus  der  Höhlung  getreten,  aber  dann  in  dieselbe  zurückgelegt  worden 
war.  Prudentius  Clemens  9  und  nach  ihm  Gregorius  von  Tours  10  aber  erzählen  uns, 
als  Hesychius  und  Chelidonius  aus  Calahorra  in  Spanien  für  ihren  Glauben  nach 
mancherlei  Peinen  getötet  worden  seien ,  habe  sich  ein  großes  Wunder  ereignet ; 
denn  des  einen  Ring  und  des  andern  Orarium  seien  von  einer  Wolke  aufgenommen 
und  zum  Himmel  emporgetragen  worden,  während  die  Menge  bestürzten  Blickes  den 
Glanz  des  Goldes  und  die  Weiße  des  Linnentuches  verfolgt  habe.  Prudentius  nennt 
in  einem  Wortspiel  jenes  Orarium  das  pignus  oris,  d.  i.  das  Pfand  seines  treuen  Be- 
kenntnisses. Gregor  der  Große11  schickte  einem  gewissen  Marin us  und  Christodorus, 
wie  es  scheint,  Höflingen,  zwei  Tuniken  und  vier  Orarien  als  Geschenk  nach  Kon- 
stantinopel ;  offenbar  Orarien  besserer  Sorte.  Isidor  von  Sevilla  verbietet  den  Mönchen 
in  seiner  Regel,  ein  Orarium  zu  gebrauchen12.  Fügen  wir  noch  hinzu,  daß  nach 
Gregor  von  Tours  Sigiric ,  Sigismunds  Sohn ,  mit  einem  Orarium  erdrosselt  wurde, 
welches  er  im  Schlaf  um  den  Hals  trug  und  das  unter  dem  Kinn  gebunden  war  ' 3, 
daß  Chram ,  der  sich  gegen  seinen  Vater  empört  hatte ,  auf  dessen  Befehl  orario 
suggilatus  est14,  und  daß  nach  den  Akten  der  hll.  Marcion  und  Nikander  der  Henker 
mit  Orarien  deren  Augen  verband ,  ehe  er  zum  Todesstreich  ausholte ' 5. 


1  C.  9,  v.  12  (Mg.  85,  1576). 

2  In  Claudio  c.  14  17. 

3  In  Aureliano  c.  48.  Vgl.  dazu  Euseb., 
Hist.  eccl.  1.  7,  c.  30  (Mg.  20,  713),  wo  er- 
zählt wird,  Paulus  von  Samosata  habe  sich 
in  der  Kirche  riftövaig  (mit  linnenen  Tüchern) 
Beifall  zuwinken  lassen,  wie  es  in  den 
Theatern  geschehe. 

4  Ep.  52  ad  Nepot.  n.  9  (M.  22,  535). 

5  De  excessu  fratr.  Satyr.  1.  2,  n.  78  (M. 
16,  1337). 

6  L.  1,  n.  43  (ebd.  1304). 

7  Ep.  22  de  mir.  SS.  Gervasii  et  Protasii 
n.  9  (ebd.  1022). 

8  De  civ.  Dei  1.  22,  c.  8,  n.  7  (M.  41,  765). 


9  Peristephan.  1.  1,  v.  86  (M.  60,  289). 

10  De  gloria  mart.  c.  93  (M.  71,  787). 

11  Epist.  1.  7,  n.  27  (M.  G.  Epp.  I,  474). 

12  C.  12,  n.  2  (M.  83,  882). 

13  Hist.  franc.  1.  3,  c.  5  (M.  71,  245). 

14  Ebd.  1.  4,  c.  20  (ebd.  286).  Vielleicht  be- 
deutet orarium  1.  6 ,  c.  17  (ebd.  389)  den 
Talith,  den  jüdischen  Gebetsmantel.  Cum- 
que  die  Sabbati  Priscus  (ein  Jude ,  der  sich 
taufen  lassen  sollte,  aber  nicht  wollte),  prae- 
cinctus  orario  nulluni  in  manu  ferens  ferra- 
mentum,  Mosaicas  leges  quasi  impleturus 
secretiora  competeret,  subito  Phatir  (sein 
Feind)  adveniens  ipsum  gladio  iugulavit. 

15  A.  SS.  17.  Iun„  IV  219. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  565 

In  allen  diesen  Fällen  handelt  es  sich  bei  dem  Orarium  um  ein  profanes 
Tuch.  Hier  ist  es  ein  Schweißtuch,  da  ein  Kopftuch,  dort  ein  Halstuch, 
wieder  anderswo  ein  Tuch  ohne  bestimmten  Charakter.  Als  Name  eines  Be- 
standteiles der  liturgischen  Kleidung  begegnet  uns  orarium  im  Abendlande 
erst  im  6.  Jahrhundert. 

Im  Osten  kommt  das  Wort  in  diesem  Sinne  schon  im  22.  Kanon  des 
Konzils  von  Laodicea,  also  um  die  Mitte  des  4.  Jahrhunderts,  vor.  Wie  so 
manches  andere  lateinische  Wort  hatte  nämlich  auch  orarium  von  Rom  als 
(updpwv  aus  seinen  Weg  ins  Griechische  gefunden 1.  Später  schrieb  man  den 
Namen  des  liturgischen  Orarium  gewöhnlich  cbpapwu,  wobei  zugleich  der 
lateinische  Ursprung  des  Wortes  so  sehr  der  Vergessenheit  anheimfiel,  daß 
Balsamon 2  und  Blastares3  es  von  bpäv  (zusehen,  auf  etwas  achten)  und  Simeon 
von  Saloniki*  von  Spat^ecv  (schmücken)  ableiten  konnten.  Denn  der  Diakon 
habe,  so  belehren  uns  die  beiden  ersten,  obacht  zu  geben,  wie  weit  der  Priester 
in  der  heiligen  Handlung  sei,  um  dem  Diakon  auf  dem  Ambo  zur  rechten 
Zeit  mit  dem  Ornatstück  das  Zeichen  zum  Anfang  der  Fürbitten  für  die 
Katechumenen  und  Gläubigen  zu  geben.  Simeon  aber  meint,  dasselbe  werde 
tbpäpwv  genannt,  weil  es  die  Diakonen  mit  Anmut  ziere  und  mit  göttlicher 
Schönheit  schmücke. 

Ging  das  lateinische  orarium  in  das  Griechische  über,  so  entlehnte  diesem 
umgekehrt  der  abendländische  Sprachgebrauch  den  Namen  stola. 

Das  Wort  azok'q  hat  im  Griechischen  die  allgemeine  Bedeutung  „Kleid" 
und  diente  demgemäß  zur  Bezeichnung  aller  Arten  von  Bekleidung;  jedoch 
hat  es  auch  wohl  die  nähere  Bedeutung  eines  schmückenden,  auszeichnenden 
Gewandes.  Im  Lateinischen  entspricht  ihm  vestis,  das  indessen  nicht  bloß 
ein  Gewand  im  engeren  Sinne  bedeutete,  sondern  überhaupt  ein  Ausdruck 
für  alle  Arten  von  Überzügen  und  Bedeckungen  war.  Der  griechische  Text 
der  Heiligen  Schrift  schließt  sich  bezüglich  der  Bedeutung  von  arok/j  an  den 
griechischen  Sprachgebrauch  an.  Aus  ihm  ging  dann ,  wie  manche  andere 
Benennung,  otoäyj  als  stola  im  gleichen  Sinn  in  die  lateinische  Bibelübersetzung 
und  infolgedessen  auch  in  die  Kirchensprache  über.  Weit  früher  war  das 
Wort  schon  in  das  klassische  Latein  eingedrungen  und  hier  zum  technischen 
Ausdruck  eines  weiten,  bis  auf  die  Füße  herabwallenden  Frauenkleides,  der 
auszeichnenden  Tracht  ehrbarer  römischer  Matronen,  geworden.  Als  Benennung 
von  Mannskleidern  kommt  stola  bei  den  klassischen  Profanschriftstellern 
seltener  und  fast  nur  in  bestimmten  Fällen  vor5. 

Im  kirchlichen  Sprachgebrauch  gewann  das  Wort  neben  seiner  allgemeinen 
Bedeutung  im  Lauf  der  Zeit  noch  eine  besondere,  indem  es  Name  des  orarium 
genannten  liturgischen  Gewandstückes  wurde.  In  Gallien  war  stola  in  diesem 
Sinne  schon  zu  guter  Zeit  in  Brauch;  denn  die  gallikanische  Meßerklärung 
spricht  bereits  ausdrücklich  von  einer  stola  des  Diakons,  und  es  kann  nach 
der  Beschreibung,  welche  sie  von  dieser  gibt,  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  wir 
in  ihr  das  Orarium  zu  sehen  haben. 

Man  beruft  sich  für  den  frühen  Gebrauch  des  Wortes  stola  als  Benennung 
unseres  liturgischen  Gewandstückes  auch  auf  die  Vita  S.  Mauri,  die  von  seinem  Zeit- 


1  Sehr  lehrreich  für  die  Aufnahme  lateini-  -  In  can.  22.  Conc.  Laodic.  (Mg.  137,  1869). 

scher  Bezeichnungen  in  das  Griechische  ist  Dio-  3  Syntagma  litt.  E,  c.  9  (Mg.   144,   1276). 

kletians  Maximaltarif.  Die  Zusammenstellung  4  De    sacris    ordinationibus    c.    174    (Mg. 

solcher  Worte  bei  Blümner-Mommsen,  Der  155,  381). 

Maximaltarif  Diokletians,  Berlin  1893,  57  f.  5  Porcell.  sub  stola  IV  186. 


566  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

genossen  und  Schüler  Paustus  herrühren  soll.  Dort  wird  erzählt,  eines  Tages  hätten 
Eltern  ihr  stummes  und  lahmes  Kind  zum  Heiligen  gebracht ,  damit  selbiger  es 
durch  seine  Wunderkraft  heile.  Dieser  aber  habe  die  Stola,  mit  der  er  in  dem- 
selben Jahre  auf  Befehl  seines  heiligen  Lehrers  für  den  Dienst  eines  Leviten  (Diakons) 
geweiht  worden  sei ,  und  die  er  nach  Sitte  und  Brauch  im  ersten  Jahre  sanctitatis 
gratia  beständig  getragen  habe,  vom  Hals  genommen,  über  das  Haupt  des  kranken 
Kindes  gelegt  und  letzteres  so  wunderbarerweise  gesund  gemacht '.  Wirklich  kann 
kein  Zweifel  obwalten,  daß  die  Stola,  von  der  hier  die  Rede  ist,  mit  unserem  jetzigen 
gleichnamigen  Ornatstück  eins  ist.  Allein  es  ist  zu  beachten,  daß  die  Vita  S.  Mauri 
nicht  von  Faustus,  sondern  von  Odo  von  Glanfeuil  und  somit  erst  aus  dem  9.  Jahr- 
hundert herrührt  2. 

Gegen  Ende  des  8.  Jahrhunderts  begegnet  uns  das  Wort  stola  im  Sinne 
von  orarium  in  der  Schenkung  Adelgasters  von  Asturien.  Nicht  lange  nachher 
treffen  wir  es  in  der  gleichen  Bedeutung  bei  Hrabanus  Maurus,  dann  in 
den  Inventaren  von  St-Riquier,  bei  Amalar  und  in  der  Synodalermahnung  an. 
Gegen  Ende  des  Jahrhunderts  wird  das  Ornatstück  stola  genannt  im  26.  Ka- 
pitel des  Konzils  von  Tribur,  in  den  Statuten  Riculfs  von  Soissons  und  einer 
spanischen  Schenkungsurkunde  vom  Jahre  888 3.  Auch  führt  es  in  Sakramen- 
taren des  9.  Jahrhunderts  schon  diesen  Namen;  so  beispielsweise  in  einem 
Sakramental*  von  Tours  und  einem  Sakramental*  von  Amiens. 

Es  ist  bemerkenswert ,  daß  alle  diese  Dokumente  dem  Norden  angehören. 
Immerhin  war  daselbst  die  Bezeichnung  stola  im  9.  Jahrhundert  noch  keineswegs  die 
allein  gebräuchliche ;  denn  wir  finden  neben  stola  auch  den  Ausdruck  orarium. 
Orarium,  quod  quidam  stolam  vocant,  sagt  z.  B.  Hraban,  doch  mögen  diese  quidam 
gerade  die  Franken  gewesen  sein.  Wie  dem  indessen  auch  sei,  um  die  Mitte  des 
Jahrhunderts  überwog  der  Name  stola  im  Norden  jedenfalls.  Amalar  und  die  „Synodal- 
ermahnung"  führen  das  Ornatstück  nur  unter  der  Benennung  stola  an.  Im  26.  Kapitel 
der  Synode  von  Tribur  heißt  es:  stola  vel  orarium',  und  wenn  Riculf  von  Soissons 
vorschreibt,  es  sollten  die  Priester  für  die  Meßfeier  außer  den  andern  liturgischen 
Gewändern  auch  zwei  Orarien  vorrätig  halten,  so  erklärt  er  selbst,  ähnlich  wie  etwas 
später  Pseudo-Alkuin ,  diesen  offenbar  minder  gebräuchlichen  Ausdruck  durch  den 
bekannteren  stola :  cum  duobus  orariis ,  i.  e.  stolis.  Sehr  beachtenswert  ist ,  daß  in 
den  Inventaren  aus  dem  9.  Jahrhundert  das  Ornatstück  fast  immer  den  Namen  stola 
führt;  so  in  den  Schatzverzeichnissen  von  St-Riquier,  Fontanelle,  St-Bavo  zu  Gent, 
St-Bertin  zu  St-Omer,  Marchiennes,  Pfäffers ,  denen  wir  auch  wohl  noch  das  von 
Tankirchen  (903)  anfügen  dürfen.  Die  Bezeichnung  orarium  kommt  nur  in  den  Inven- 
taren von  Staffelsee  und  Milz  vor. 

Im  10.  und  11.  Jahrhundert  findet  der  Name  stola  sich  sehr  häufig  in 
den  Pontifikalien  und  Sakramentaren ;  so  in  dem  angelsächsischen  Pontifikale 
Egberts ,  dem  Pontifikale  des  hl.  Dunstan ,  den  Pontifikalien  von  Aletis  und 
Cahors,  den  Sakramentaren  von  Moyssac  und  Corbie.  Die  Synode  von  Coyaca 
redet  1050  von  der  Stola  des  Priesters  und  Diakons  in  einer  Weise,  daß 
man  annehmen  muß,  es  sei  das  Wort  stola  damals  schon  die  landläufige 
Benennung  unseres  Ornatstückes  gewesen.  Daß  es  sich  um  die  Mitte  des 
11.  Jahrhunderts  in  der  That  damit  so  verhielt,  sagt  Wipert  in  der  Bio- 
graphie Leos  IX.  ausdrücklich,  wenn  er  schreibt:  orarium,  quod  vulgo  stola 
dicitur5.  Selbst  in  Italien  war  der  Name  stola  inzwischen  bereits  recht  ge- 
bräuchlich geworden. 


1  N.  15  (A.  SS.  15.  Ian. ;  II  324).  3  Ami.  0.  S.  B.  III  251. 

2  Ebd.  15.  Febr.;  II  842  D.     Potthast,  4  Hartzli.  II  410. 

Bibl.  hist.  II  1470.  5  L.  1,  c.  1  (A.  SS.  11.  Apr.  ;  II  648). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  567 

Die  römischen  Ordines  des  8.  und  9.  Jahrhunderts  reden  nur  vom  Orarium  1, 
Auch  außerhalb  Roms  mag  damals  in  Italien  diese  Bezeichnung  noch  die 
vorherrschende  gewesen  sein;  allein  schon  im  10.  Jahrhundert  begegnet  uns 
im  mittleren  wie  namentlich  im  nördlichen  Italien  daneben  wiederholt  der  Name 
stola,  so  in  einem  Mailänder  Pontifikale 2,  in  der  Synodica  ad  presbyteros  des 
Bischofs  Ratherius  von  Verona  (f  974) 3,  dem  Consuetudinarium  von  Farfa, 
dem  Inventar  der  Kathedrale  von  Cremona,  ja  sogar  dem  Schatz  Verzeichnisse 
von  Monza,  wo  freilich  sich  der  Gebrauch  des  Wortes  aus  der  Nationalität 
des  Schreibers  Adalbertus,  wie  es  scheint,  eines  Deutschen,  erklären  läßt. 
Dieselbe  Bezeichnung  führt  das  Ornatstück  in  einem  im  Beginn  des  2.  Jahr- 
tausends geschriebenen  Benediktinermissale  der  Vaticana1  und  einem  nicht  gar 
lange  nachher  entstandenen  Sakramentar  von  Arezzo 5,  in  der  Chronik  von 
Monte  Cassino 6  u.  a.  Unter  den  Liturgikern  des  11.  und  12.  Jahrhunderts 
nennt  Bruno  von  Segni  das  uns  beschäftigende  Ornatstück  noch  immer  mit 
dem  alleinigen  Namen  orarium ;  alle  andern ,  Sicard  und  Innozenz  III.  nicht 
ausgenommen ,  brauchen  dagegen  entweder  gar  nicht  mehr  diesen  Ausdruck 
oder  behandeln  ihn  nur  als  eine  Nebenbezeichnung ,  die  sie  anführen ,  teils 
etwa,  weil  der  Name  sich  in  älteren  Akten  fand,  teils  weil  sie  sich  bei  ihren 
Ausführungen  über  die  Stola  an  die  früheren  Liturgiker  anlehnen,  teils,  und 
vielleicht  vornehmlich,  weil  ihnen  das  Wort  orarium  einen  Hinweis  auf  die 
Funktionen  zu  enthalten  schien,  bei  denen  die  Stola  angelegt  wurde. 

Schon  das  Konzil  von  Toledo  bezieht  im  40.  Kanon  das  Orarium  auf  das  Predigt- 
amt und  bringt  es  mit  orare  im  Sinne  von  praedicare  (predigen)  in  Verbindung.  „Der 
Levit",  heißt  es  dort,  „muß  ein  Orarium,  und  zwar  auf  der  linken  Schulter,  tragen, 
propter  quod  orat,  i.  e.  praedicat."  n  Die  Liturgiker  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  haben 
die  Erklärung  jenes  Konzils  aufgegriffen ,  weil  sie  ihnen  bei  der  Deutung  des  Ge- 
wandes gute  Dienste  leistete;  so  Hraban,  Walafried  und  Pseudo-Alkuin.  „Trefflich", 
sagt  der  erstere,  „paßt  es  sich  für  die  oratores  Christi,  ein  Orarium  zu  haben,  weil 
sie  dadurch,  daß  ihr  Gewand  mit  ihrem  Amt  übereinstimmt,  zum  Eifer  im  Dienste 
des  Wortes  ermahnt  werden,  und  zugleich  das  ihnen  anvertraute  Volk  durch  den 
Anblick  des  heilbringenden  Abzeichens  ermuntert  wird ,  feuriger  zur  Erwägung  des 
Gesetzes  hinzueilen.'  Walafried  aber  bemerkt:  „Die  ersten  Ordnungen  (der  Kleriker, 
d.  i.  Bischof,  Priester  und  Diakon)  in  der  Kirche  tragen  das  Orarium,  weil  ihnen  das 
Lehramt  zukommt."  8 

Spätere,  Bruno  von  Segni,  Sicardus,  Durandus,  bezogen  orarium  auf  orare  im 
Sinne  von  beten ;  unter  orare  aber  verstanden  sie  die  Verrichtung  der  liturgischen 
Gebetsfunktionen,  bei  denen  der  Priester  das  Orarium  zu  tragen  hatte.  Es  heiße 
Orarium,  so  belehrt  uns  Bruno,  weil  die  Priester .  zwar  ohne  die  sonstigen  Gewänder 
taufen,  firmen  und  manches  andere  betend  (orando)  tun  könnten,  ohne  Orarium  jedoch 
nichts  von  allem  dem  vornehmen  dürften,  es  sei  denn,  daß  große  Not  solches  erheische9. 


1  Ausgenommen  eine  von  Grisar  aus  einer  2  Magist retti,  Pontificale  in  usum  eccl. 

Handschrift    des  IL— 12.  Jahrhunderts   ver-  Mediol.,  Mediol.  1897,  43. 

öffentlichte  Rezension  des  1.  Ordo  (Analecta  3  N.  6  11    (M.  136,  559  562). 

Romana,  Rom  1899,  221),    in    der   aber   das  4  Vat.  lat.  4770. 

Wort  stola  vielleicht  nicht  ursprünglich,  son-  5  Ebd.  4772. 

dern  eine  spätere  Interpolation  ist.  Die  andern  8  L.    3,    n.    18    74    (M.    G.    SS.    VII    711 

Rezensionen  des  Ordo  haben  nämlich  weder  753). 

orarium  noch  stola.    Sollte  sich  indessen  stola  '  Hard.  III  588. 

schon  in  der  Vorlage  der  Handschrift  gefun-  8  De  exordiis  et  incrementis  c.  10.    Hitt. 

den   haben,    welcher   Grisar  jene   Rezension  670.     Bei  M.   114,  931  steht  fehlerhaft  ora- 

entnahm,    so  dürfte  es   sich   hei  dieser  Vor-  toriis  statt  orariis.    Der  Mignesche  Text  gibt 

läge   wohl    um    eine  von    einem   Nichtrömer  keinen  Sinn, 

herrührende  Kopie  des  1.  Ordo  handeln.  9  Tract.  de  sacr.  eccl.  (M.  165,  1104). 


568  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Seit  dem  13.  Jahrhundert  wird  die  Bezeichnung  orarium  nur  noch  ver- 
einzelt gebraucht.  Der  regelmäßige  Name  für  das  uns  beschäftigende  Ge- 
wandstück ist,  wie  namentlich  aus  den  Schatzverzeichnissen  und  den  litur- 
gischen Büchern  erhellt,  stola.  In  den  Inventaren  wird  man  seit  1200  kaum 
je  auf  die  Bezeichnung  orarium  stoßen;  selbst  römische  Verzeichnisse  reden 
nur  mehr  von  stolae.  Kaum  anders  verhält  es  sich  in  den  späteren  römischen 
Ordines,  den  Pontifikalien ,  Missalien  und  sonstigen  liturgischen  Büchern  des 
13.,  14.  und  15.  Jahrhunderts.  Wir  haben  eine  ungemein  große  Zahl  der- 
selben aus  Frankreich,  Deutschland  und  Italien  durchforscht.  Fast  überall 
heißt  das  Ornatstück  stola.  Zwar  kommt  in  ihnen  bis  zum  Ende  des  Mittel- 
alters noch  immer  hie  und  da  der  Name  orarium  vor.  Aber  solche  Fälle 
sind  nur  verschwindend  geringe  Ausnahmen  und  mehr  Folgen  gedankenlosen 
Kopierens  alter  Vorlagen  als  Zeugen  des  derzeitigen  Brauches  '. 

In  das  römische  Missale  und  das  Caeremoniale  der  Bischöfe  hat  bloß 
der  Name  stola  Aufnahme  erhalten.  Nur  im  römischen  Pontifikale  hat  sich 
die  Bezeichnung  orarium,  wenngleich  auch  hier  bloß  an  einer  einzigen  Stelle, 
in  die  Gegenwart  hineingerettet.  In  dem  Ritus  der  Priesterweihe  lesen  wir 
nämlich :  Pontifex  reflectit  orarium  sive  stolam  humero  cuiuslibet ,  d.  i.  der 
Ordinanden.     Im  Ritus  der  Diakonenweihe  heißt   das  Ornatstück  bloß    stola. 

Das  Kind  des  Hauses  hat  einer  Fremden,  der  Name  orarium  der  Be- 
zeichnung stola  Platz  und  Recht  abtreten  müssen.  Es  ist  derselbe  interessante 
Vorgang,  den  wir  auch  hinsichtlich  der  Bezeichnung  des  Manipels,  der  Albe 
und  des  Amikts  sich  vollziehen  sahen. 

Wie  aber  kam  es,  daß  gerade  das  Orarium  den  Namen  stola,  d.  i.  „Ge- 
wand im  engeren  Sinne",  erhielt?  Man  hat  noch  in  jüngerer  Zeit  gesagt,  „es 
sei  schwierig,  das  zu  erklären,  und  eine  nur  einigermaßen  stichhaltige  Er- 
klärung sei  noch  nicht  gefunden  worden".  Ausführlich  ist  die  Frage  in  der 
„Realenzyklopädie  für  christliche  Altertümer"  unter  „Kleidung"  behandelt,  wo- 
selbst auch  interessante  neue,  doch  ungenügende  Lösungsversuche  gemacht 
werden2.  Eine  bessere  Deutung  gibt  Thalhofer3.  Die  durch  die  Ordination 
empfangene  Predigtgewalt,  meint  er,  habe  im  Anschluß  an  Sir  15,  5  als  die 
stolae  gloriae  gegolten ;  als  das  sinnfällige  Zeichen  dieses  erhabenen  Ministerium 
sei  aber  das  Orarium  (orare  =  predigen)  angesehen  worden,  und  darum  sei 
denn  die  Bezeichnung  stola  vom  Amt  auf  das  Amtsabzeichen  übertragen  worden. 

Indessen,  so  ansprechend  diese  Lösung  ist,  sie  ist  unseres  Erachtens 
etwas  zu  gesucht.  Man  braucht  nicht  so  weit  in  die  mystischen  Tiefen  hinab- 
zusteigen, wie  das  Thalhofer  tut.  Die  Sache  erklärt  sich  einfacher.  Man 
beachte  drei  Punkte:  1.  daß  das  Orarium  schon  sehr  früh  als  Abzeichen  des 
Amtes  galt;  2.  daß  die  Bezeichnung  stola  nicht  da  aufkommt,  wo  das  Wort 
eine  enger  begrenzte  Bedeutung  hatte,  zu  Rom,  sondern  fern  vom  klassischen 
Boden  im  Norden,  wo  der  Sprachgebrauch  nicht  so  festgelegt  war  und  man 
darum  mit  einem  Ausdruck  leichter  eine  Sonderbedeutimg  verbinden  konnte; 
3.  daß  in  der  Heiligen  Schrift  das  Wort  stola  öfters  ein  ausgezeichnetes 
Gewand  bedeutet,  man  denke  z.  B.  an  die  stola  gloriae  bei  Sir  6,  32,  die 
stola  prima  bei  Lk  15,  22,  die  stola  alba  in  Offb  6,  11  und  7,  9.  Die  Er- 
klärung, wie  das  Orarium  den  Namen  stola  erhielt,  ist  hiernach  diese:  Man 
hat  da,  wo  das  Wort  stola  in  einem  minder  eingeengten  Sinn  gebraucht  wurde, 


1  Vgl.  z.  B.  die  Synode  von  Eichstätt  von  2  II  200  f. 

1447,  c.  De  custodia  Euch.  (Hartz h.  V  367).  3  Liturgik  I  877. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  569 

d.  i.  im  Norden ,  und  zwar  wohl  im  Anschluß  an  den  Sprachgebrauch  der 
Heiligen  Schrift,  in  welcher  stola  mehrfach  ein  hervorragendes  Kleid  bedeutet, 
eben  das  Stück  der  liturgischen  Gewandung  stola  genannt,  welches  als  Ab- 
zeichen des  Amtes  und  darum  als  das  liturgische  Gewand  im  besondern 
Sinne  galt.  Orales  (=  oraria)  10,  quod  Scripturas  (sie)  dieunt  stolas,  heißt 
es  sehr  bezeichnend  in  einem  Verzeichnis  der  Gaben  des  Bischofs  Ovico  von 
Leon   für  S.  Juan  de  Vaga  (ca  950)  \ 

III.  DIE  ÄLTESTEN  NACHRICHTEN  ÜBER  DIE  STOLA  IM  ABENDLAND. 

In  der  Ostkirche  treffen  wir,  wie  wir  später  sehen  werden,  schon  in 
der  zweiten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  den  Gebrauch  eines  liturgischen 
Orarium  an.  Im  Abendlande  erhalten  wir  erst  eine  geraume  Weile  später 
von  ihm  Kunde. 

Den  ausgiebigsten  Aufschluß  empfangen  wir  über  das  Orarium  und  seine 
Verwendung  im  Kultus  aus  Spanien,  und  zwar  ist  es  der  9.  Kanon  der 
Synode  von  Braga  aus  dem  Jahre  563,  dem  wir  die  erste  Nachricht  darüber 
verdanken  2. 

Während  nach  Kanon  22  und  23  des  Konzils  von  Laodicea  in  der  Ost- 
kirche die  niedern  Kleriker  danach  gestrebt  zu  haben  scheinen ,  gleich  dem 
höheren  Klerus  das  Orarium  zu  tragen,  oder  gar  selbiges  sich  widerrechtlich 
angemaßt  haben  mögen,  legten  die  spanischen  Diakone  an  verschiedenen 
Orten,  der  Bestimmung  des  Konzils  von  Braga  nach  zu  urteilen,  allzu  wenig 
Gewicht  auf  ihr  Amtsabzeichen.  Der  angezogene  Kanon  rügt  nämlich,  daß 
in  einzelnen  Kirchen  die  Diakone  das  Orarium  unter  der  Tunika  trügen 
und  infolgedessen  sich  ein  Unterschied  zwischen  ihnen  und  den  Subdiakonen 
nicht  bemerklich  mache,  und  dringt  auf  Abschaffung  einer  solchen  verkehrten 
Gewohnheit.  Es  erhellt  aus  ihm,  daß  in  der  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahr- 
hunderts in  Spanien  das  Orarium  über  der  Obertunika  getragen  wurde;  daß 
die  Obertunika  der  Diakone  und  Subdiakone  nicht  merklich  voneinander 
verschieden  war;  daß  das  Orarium,  das  der  Diakon  über  der  Tunika  hatte, 
ihn  als  solchen  zum  Unterschied  von  den  Subdiakonen  kennzeichnete  und 
somit  für  ihn  das  Amtsabzeichen  war,  und  daß  das  Orarium  entweder  ein 
bloßer  Streifen  oder  doch  ein  streifenartig  zusammengelegtes  Tuch  gewesen 
sein  muß,  da  die  Diakone  es  andernfalls  wohl  nicht  unter  der  Tunika  hätten 
anlegen  können.  Desgleichen  ergibt  sich  aus  dem  Kanon,  daß  das  Orarium  der 
spanischen  Diakone  weder  ein  liturgischen  Zwecken  dienendes  Tuch,  noch 
eine  Art  von  Sudarium  gewesen  sein  kann,  da  dieselben  es  weder  in  dem 
einen  noch  dem  andern  Falle  vernünftigerweise  unter  der  Tunika  hätten  ver- 
borgen tragen  können.  Auch  hätte  die  Synode  gewiß  darauf  hingewiesen, 
wenn  das  Orarium  eine  solche  praktische  Bestimmung  gehabt  hätte,  statt 
lediglich  auf  dessen  Charakter  als  den  eines  liturgischen  Distinktivum  auf- 
merksam zu  machen. 

Weitere  Nachrichten  über  das  Orarium  in  der  spanischen  Kirche  und 
seinen  Gebrauch  erhalten  wir  70  Jahre  später.  Es  liefern  uns  dieselben  der 
28.  und  40.  Kanon  des  unter  dem  Vorsitze  des  hl.  Isidor  von  Sevilla  ab- 
gehaltenen, schon  wiederholt  angeführten  4.  Konzils  von  Toledo  vom  Jahre  633. 
Aus  dem  ersten  der  beiden  ersehen  wir,  daß  nicht  bloß  der  Diakon  das  Orarium 
trug,   sondern    daß   dieses   auch  einen  Teil  der  Amtstracht  des  Priesters  und 


1  Plorez,  Espana  sagrada  XXXIV  454  f.  2  Hard.  III  351. 


.70 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


des  Bischofs  ausmachte.  Weiterhin  belehrt  uns  der  Kanon,  daß  schon  im  An- 
fang des  7.  Jahrhunderts  in  der  spanischen  Kirche  die  Sitte  bestand,  dasselbe 
dem  Diakon,  dem  Priester  und  dem  Bischof  bei  deren  Ordination  als  Symbol 
der  empfangenen  Weihe  zu  übergeben.  Endlich  erhellt  aus  ihm,  daß  die  Resti- 
tution eines  ungerechterweise  abgesetzten  Diakons,  Priesters  und  Bischofs 
unter  anderem  auch  durch  die  Wiederübergabe  des  Orarium  zu  erfolgen  hatte. 

Von  nicht  geringerem  Interesse  als  der  28.  ist  der  40.  Kanon  des  Toletaner 
Konzils.  Hatte  die  Synode  von  Braga  die  allzu  große  Bescheidenheit  und  einen 
gewissen  Mangel  an  Standesbewußtsein  bei  den  Diakonen  einzelner  spanischen 
Kirchen  getadelt,  so  sehen  sich  die  zu  Toledo  versammelten  Bischöfe  genötigt, 
wider  den  entgegengesetzten  Mißbrauch  einzuschreiten.  Es  war  nämlich  vor- 
gekommen, daß  Diakone  sich  statt  eines  zwei  Orarien  zugelegt  hatten,  für 
jede  Schulter  eines.  Außerdem  hatten  sie  statt  schlichter,  weißer,  unverzierter 
Orarien  buntfarbige  und  mit  Goldornamenten  ausgestattete  angenommen.  Darum 
bestimmt  die  Sjmode:  „Zwei  Orarien  dürfen  nicht  einmal  der  Bischof  und  der 
Priester  haben,  geschweige  also  der  Diakon,  welcher  deren  Diener  ist.  Der 
Levit  soll  daher  ein  einziges  Orarium  auf  seiner  linken  Schulter  tragen,  quia 
orat,  i.  e.  praedicat.  Die  rechte  Seite  aber  soll  er  frei  haben,  damit  er  un- 
behindert für  den  Altardienst  hin  und  her  eile.  Der  Levit  hüte  sich  also, 
ein  doppeltes  Orarium  zu  gebrauchen,  sondern  bediene  sich  nur  eines  einzigen, 
und  zwar  unverzierten  und  mit  keinen  Farben  und  mit  keinem  Gold  ge- 
schmückten." 1  Zu  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  war  mithin  das  liturgische 
Orarium  der  spanischen  Diakone  —  denn  daß  es  sich  bei  demselben  um  ein 
wirkliches  Kultkleid  handelt,  kann  nach  dem  ganzen  Wortlaut  der  beiden 
Kanones  nicht  zweifelhaft  sein  —  entweder  ein  förmlicher  Streifen  oder  doch 
ein  streifenförmig  umgelegtes  Tuch  aus  einfachem,  weißem  Stoff.  Wäre  es 
ein  breites,  nach  Art  eines  Umwurfes  über  den  Schultern  getragenes  Tuch 
gewesen,  so  hätte  es  den  Diakonen  wohl  nicht  einfallen  können,  auf  beiden 
Schultern  ein  solches  zu  tragen.  Ebenso  kann  es  nur  ein  Abzeichen, 
nicht  aber  ein  Halstuch,  ein  Schweißtuch  oder  ein  bei  den  litur- 
gischen Verrichtungen  zu  gebrauchendes  Tuch  gewesen  sein. 
Denn  so  allein  verstehen  wir,  wie  die  Diakone  dazu  kommen  konnten,  es  zu 
verdoppeln  und  auf  jeder  Schulter  ein  Orarium  zu  tragen.  Kanon  40  der 
4.  Synode  von  Toledo  bildet  sonach  eine  ebenso  interessante  und  lehrreiche 
wie  wichtige  Bestätigung  des  9.  Kanons  des  Braccarense. 

Etwa  40  Jahre  nach  Abhaltung  des  Konzils  von  Toledo  versammelte 
sich  eine  andere  Synode  zu  Braga  (675).     Auch  sie  ist  für  die  Kenntnis  des 


1  Hard.  III  586  588.  Es  kann  auffällig 
erscheinen,  daf3  die  Diakone  in  Spanien  dem 
Konzil  von  Braga  zufolge  angefangen  hatten, 
das  Orarium  unter  der  Albe  zu  tragen,  und 
daß  sie  wiederum  zwei  Menschenalter  später 
begannen ,  selbiges  zu  verdoppeln ,  d.  i.  auf 
beide  Schultern  ein  nach  vorn  und  nach 
rückwärts  herabfallendes  Orarium  zu  legen, 
und  noch  dazu  ein  farbiges  und  goldverziertes. 
Sollte  nicht  die  Lösung  des  Rätsels  in  dem 
Bestreben  der  spanischen  Diakone  zu  suchen 
sein,  die  Tracht  der  römischen  Diakone  nach- 
zuahmen? Trugen  diese  ein  Orarium,  so  be- 
fand dasselbe  sich  jedenfalls  unter  der  Dal- 
niatik ;   bei  den  Beziehungen  der  spanischen 


zur  römischen  Kirche  mochten  es  daher  den 
Diakonen  in  Spanien  sich  nahelegen,  ebenso 
wie  die  römischen  das  Orarium  verborgen  unter 
der  Tunika  zu  tragen.  Da  indessen  die  Be- 
stimmung der  Synode  von  Braga  ihnen  einen 
Strich  durch  die  Rechnung  machte ,  scheint 
es  später  den  spanischen  Diakonen  in  den 
Sinn  gekommen  zu  sein,  ihre  Tracht  der  der 
römischen  Diakonen  dadurch  ähnlich  zu  ge- 
stalten, daß  sie  statt  des  bisherigen  einen 
weißen  Orariums  zwei  farbige  anwandten. 
Sie  mochten  hoffen,  in  dieser  Weise  ein  Sur- 
rogat für  die  römische,  mit  roten  oder  pur- 
purfarbigen Streifen  geschmückte  Dalmatik 
zu  schaffen. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  571 

liturgischen  Orarium  in  der  spanischen  Kirche  jener  Zeit  von  Bedeutung 
geworden. 

Im  4.  Kanon1  bestimmt  sie  nämlich:  „Wenn  der  Priester  zur  Meßfeier 
sich  anschickt,  um  das  Opfer  darzubringen  und  das  Sakrament  des  Leibes 
und  Blutes  unseres  Herrn  Jesu  Christi  zu  empfangen,  so  soll  er  das  nicht 
tun,  ohne  das  Orarium  auf  beide  Schultern  gelegt  zu  haben,  wie  es  ja  auch 
bei  seiner  Weihe  geschah ,  und  zwar  in  der  Weise ,  daß  er ,  mit  einem  und 
demselben  Orarium  Xacken  und  Schultern  belastend,  auf  seiner  Brust  das 
Zeichen  des  Kreuzes  trägt."  Als  Grund  dieser  Verordnung  gibt  die  Synode 
an:  „Da  nach  alter  kirchlicher  Bestimmung  angeordnet  ist,  daß  jedem 
Priester  bei  seiner  Weihe  "das  Orarium  über  beide  Schultern  gelegt  werde.  .  ., 
wie  soll  er  da  nicht  zur  Zeit  des  Opfers  tragen,  was  er  im  Sakrament  (der 
Weihe)  empfangen  zu  haben  nicht  bezweifelt?" 

Aus  diesem  Kanon  folgt  wiederum  ein  Mehrfaches.  Vor  allem  beweist  er 
mit  aller  Klarheit,  daß  das  Orarium  in  der  zweiten  Hälfte  des  7.  Jahrhunderts 
in  Spanien  als  liturgisches  Gewand  angesehen  wurde.  Dann  bekundet  er  die 
hohe  Bedeutung,  die  man  diesem  Ornatstück  zuschrieb.  Dasselbe  war  offen- 
bar weder  ein  Hals-  noch  Schweiß-  noch  Opfertuch,  sondern  priesterliches 
Abzeichen.  Weiterhin  lernen  wir  aus  ihm,  daß  schon  zur  Zeit  des  Konzils 
von  Braga  für  den  Priester  die  Sitte  bestand,  das  Orarium  bei  der  heiligen 
Messe  vor  der  Brust  gekreuzt  zu  tragen ,  und  daß  darum  das  priesterliche 
Orarium,  wenn  nicht  schon  ein  förmlicher  Streifen,  so  doch  wenigstens  ein 
streifenartiges  Tuch  gewesen  sein  muß.  Endlich  erfahren  wir,  daß  damals 
bei  der  Weihe  des  Priesters,  ähnlich  wie  es  noch  jetzt  geschieht,  das  Orarium 
über  Nacken  und  Schultern  des  Ordinanden  gelegt  wurde  und  daß  dieser 
Weiheritus  schon  seit  alter  Zeit  in  Gebrauch  war. 

Die  ausführlichen  Nachrichten,  welche  wir  über  den  Gebrauch  des  litur- 
gischen Orarium  im  6.  und  7.  Jahrhundert  aus  der  spanischen  Kirche  be- 
sitzen, sind  für  uns  um  so  wichtiger  und  wertvoller,  als  wir  über  seine  damalige 
Verwendung  in  den  andern  Teilen  des  Abendlandes  nur  sehr  mangelhaft 
unterrichtet  sind.  Ebendarum  war  es  durchaus  notwendig,  die  hier  in  Betracht 
kommenden  Kanones  der  beiden  Synoden  von  Braga  und  des  4.  Konzils  von 
Toledo  eingehend  zu  würdigen. 

In  der  gallischen  Kirche  war,  wenn  wir  der  „Geschichte  der  Metzer 
Bischöfe"  glauben  wollen,  die  Stola  schon  in  apostolischer  Zeit  in  Gebrauch. 
Dieselbe  erzählt  nämlich 2 ,  Klemens ,  der  Oheim  des  Papstes  Klemens  I. ,  sei 
vom  Apostelfürsten  nach  Metz  geschickt  worden  und  habe  daselbst  eine  furcht- 
bare Schlange,  welche  die  Stadt  bedrohte,  mittels  seiner  Stola,  quam  sanc- 
tissimo  gerebat  in  collo,  gebunden,  unter  den  Augen  des  Volkes  zum  nahen 
Fluß  gebracht  und  ihr  dort  geboten,  zu  entweichen.  Die  Geschichte  ist  indessen, 
wie  kaum  gesagt  zu  werden  braucht,  nichts  als  eine  sehr  späte  Legende  und 
ohne  jede  Bedeutung  für  die  Geschichte  unseres  Ornatstückes. 

Die  einzigen  Angaben  über  den  Gebrauch  der  Stola  im  vorkarolingischen 
Gallien,    welche    überhaupt    von  Wert   sind3,    bieten   die   gallikanische   Meß- 


1  Ebd.  1034.  von  Laon ,    habe    sich  wiederholt  Uuenthalt- 

2  Gesta  episc.  Met.  (M.  95,  712).  samkeit  zu  Schulden  kommen  lassen,  zuletzt 

3  Ohne  Wert  ist  es  z.  B.,  wenn  in  der  von  sich  aber  voll  Reue  zum  hl.  Remigius  be- 
Flodoard  im  10.  Jahrhundert  geschriebenen  geben,  bei  diesem  als  Zeichen  seiner  Un- 
Historia  eccl.  Remensis  (1.  1,  c.  14  [M.  G.  SS.  Würdigkeit  alsbald  die  Stola  abgelegt  und 
XIII  425])  erzählt  wird,    Genebald,   Bischof  dann  dem  Heiligen  seine  Vergehen  bekannt. 


572 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


erklärung1  und  der  6.  Kanon  der  Synode  von  Mäcon  aus  dem  Jahre  581. 
In  der  Meßerklärung  wird  die  diakonale  Stola  ausdrücklich  mit  dem  Namen 
stola  bezeichnet.  Sie  wurde  über  der  aus  Seide  oder  Wolle  angefertigten 
Diakonenalba  getragen  und  bestand  allem  Anschein  nach  aus  weißem  Stoff.  In 
der  Fastenzeit  Avurde  sie,  weil  sie  den  Charakter  eines  Festgewandes  hatte, 
pro  humiliatione  nicht  gebraucht.  Das  priesterliche  Orarium  führt  in  der 
Meßerklärung  den  Namen  pallium.  Denn  unter  dem  pallium,  von  dem  diese 
spricht,  kann  wohl  nur  die  priesterliche  bzw.  bischöfliche  Stola  verstanden 
werden.  Als  diakonale  Amtskleider  verzeichnet  die  Meßerklärung  Alba  und 
Stola,  als  priesterliche  außer  den  manicae  (Stauchen)  Kasel  und  Pallium.  Die 
Alba  des  Diakons  entspricht  der  Kasel  des  Prieste'rs,  das  Pallium  muß  also 
demnach  wohl  das  Gegenstück  der  diakonalen  Stola  sein.  Eine  Bestätigung 
erhält  das  durch  den  28.  Kanon  der  Synode  von  Toledo  vom  Jahre  633 2, 
in  welchem  als  liturgische  Gewänder  der  Diakone  ebenfalls  alba  und  orarium, 
als  solche  der  Priester  aber  planeta  und  orarium  genannt  werden,  wobei  zu 
beachten  ist,  daß  die  Sakralkleidung  in  Spanien  auch  in  anderer  Beziehung 
der  gallikanischen  verwandt  erscheint.  Denn  wie  die  gallikänischen  Diakone 
trugen  auch  die  spanischen  die  Stola  über  der  Alba. 

Welches  Ornatstück  sollte  übrigens  jenes  pallium  auch  anders  sein,  als 
die  priesterliche  Stola?  Die  einzigen  Gewandstücke,  die  sonst  etwa  in  Frage 
kommen  könnten ,  sind  das  angebliche  gallikanische  Pallium ,  ein  spezitisch 
bischöfliches  Ornatstück,  und  das  gewöhnliche  Schultertuch.  Allein  ein  bischöf- 
liches Gewandstück  kann  nicht  gemeint  sein,  weil  die  Meßerklärung  nur  von 
Kleidern  handelt,  welche  Priestern  wie  Bischöfen  gemeinsam  waren.  Denn 
unter  den  sacerdotes,  deren  Gewänder  sie  beschreibt  und  mystisch  deutet, 
versteht  sie  offenbar  ebendieselben  Geistlichen,  welche  sie  an  den  andern 
Stellen  damit  meint,  die  pontifices  und  presbyteri3.  Aber  auch  das  Humerale 
kann  die  Meßerklärung  nicht   im  Sinne  haben.     Denn  abgesehen  davon,  daß 


Eine  Stola  des  hl.  Martin  von  Tours  zu 
Aschaffenburg  entstammt  erst  der  Frühe 
unseres  Jahrtausends.  Eine  dem  hl.  Cäsarius 
von  Arles  zugeschriebene ,  aus  Linnen  ge- 
machte und  mit  Kreuzen,  Rauten  und  ähn- 
lichem bestickte  Stola,  von  deren  Enden  eines 
mit  einer  Tasche  versehen  ist  (Roh.  VII 
51  ff),  dürfte  dem  11. — 13.  Jahrhundert  zu- 
zuweisen sein  und  die  Tasche  nur  das  da- 
mals vielfach  gebräuchliche,  schaufeiförmige 
Endstück  darstellen.  Bei  einer  Stola  des 
hl.  Licinius  (f  605),  die  vor  der  Revolution 
zu  Angers  aufbewahrt  wurde  (ebd.  52),  kann 
es  sich  zufolge  den  Stickereien  auf  den 
Enden  (Eva  mit  der  Beischrift:  Per  Evam 
perditio,  und  die  Verkündigung  mit  der  Bei- 
schrift:  Per  Mariam  reparatio)  nur  um  ein 
Stück  gehandelt  haben,  das  frühestens  aus 
dem  12. — 13.  Jahrhundert  herrührte. 

1  M.  72 ,  95.  Palleum ,  quod  circa  collo 
usque  ad  pectus  venit,  rationale  vocabitur  in 
vetere  testamento;  scilicet  Signum  sanctitatis 
super  memoriam  pectoris.  .  .  .  Quod  autem 
collo  cingit,  antiquae  consuetudinis  est,  quia 
reges  et   sacerdotes  circumdati  erant   palleo 


veste  fulgente ,  quod  gratia  praesignabat. 
Quod  autem  flmbriis  vestimenta  sacerdotalia 
adnectuntur ,  Dominus  Moysi  praecepit  in 
Numeris,  ut  per  quattuor  angulos  palleorum 
filii  Israel  fimbrias  facerent. 

2  S.  oben  S.  569. 

3  Das  erhellt  klar  aus  dem  Passus,  wo 
sie  von  der  Erteilung  der  benedictio  spricht 
(M.  72,  94).  Desgleichen  aus  dem  Abschnitt, 
der  von  den  manicae  handelt :  manicae  ex 
quolibet  pretioso  vellere  extant,  ut  omnes 
communiter  sacerdotes,  etiam  minoris  digni 
tatis  in  saeculo  facilius  inveniant.  Wenn  die 
Meßerklärung  sagt,  das  pallium  sei  im  Alten 
Bunde  rationale  genaDiit  worden,  so  erklärt 
sich  das  aus  dem  Umstand,  daß  die  Stola 
nicht  bloß  den  Priestern ,  sondern  auch 
den  Bischöfen  zukam.  Außerdem  muß  da- 
rauf hingewiesen  werden ,  daß  die  Ideen, 
welche  ihr  Verfasser  von  der  alttestament- 
lichen  Sakralkleidung  hat,  sehr  unklar  sind, 
da  er  die  Kasel  ausdrücklich  als  von  Moses 
angeordnet  bezeichnet,  und  daß  somit  auch 
aus  diesem  Grunde  die  fragliche  Bemerkung 
betreffs  des  pallium  ohne  Belang  ist. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  573 

die  Fransen,  mit  denen  das  pallium  anscheinend  am  Saum  besetzt  wurde, 
nicht  zum  gewöhnlichen  Schultertuch  passen ,  so  wäre  doch  vor  allem  erst 
darzutun,  daß  überhaupt  ein  Humeiale  im  gallikanischen  Ritus  zur  litur- 
gischen Kleidung  gehört  habe ;  wurde  ja  doch  nach  dem  von  Duchesne  heraus- 
gegebenen Ordo  noch  im  9.  Jahrhundert  nicht  einmal  zu  Rom  ein  solches 
regelmäßig  gebraucht.  Außerdem  aber  ist  ein  Schultertuch  ersichtlich  ein 
zu  unbedeutendes  Ding,  als  daß  die  Meßerklärung,  welche  selbst  der  priester- 
lichen Tunika  kein  einziges  Wort  widmet,  mit  ihm  sich  zu  beschäftigen  Ver- 
anlassung gehabt  hätte. 

Was  den  6.  Kanon  der  Synode  von  Macon  anlangt,  so  bestimmt  diese, 
es  dürften  die  Bischöfe  sich  nie  unterfangen,  ohne  pallium  die  Messe  zu  feiern  K 
Auch  hier  ist  das  pallium,  dessen  Gebrauch  den  Bischöfen  hier  so  ernst  ein- 
geschärft wird,  allem  Ansehein  nach  das  Orarium,  von  welchem  der  28.  Kanon 
des  vierten  Konzils  von  Toledo  spricht,  d.  i.  die  priesterlich-bischöfliche  Stola. 
An  ein  gewöhnliches  Schultertuch  bei  ihm  zu  denken,  verbietet  der  ganze 
Tenor  des  Kanons ;  ein  spezifisch  bischöflicher  Ornat  nach  Art  des  römischen 
Pallium  kann  aber  unter  ihm  nicht  verstanden  werden,  weil  es  unseres  Er- 
achtens  ganz  unglaubhaft  ist,  daß  die  Bischöfe  einen  solchen  beiseite  gelassen 
haben  würden2.  Zudem  muß  der  Kanon  der  Synode  von  Mäcon  doch  auch 
wohl  im  Einklang  mit  der  gallikanischen  Meßerklärung  gedeutet  werden. 

Für  England  liegen  in  Betreff  des  Orarium  der  vorkarolingischen 
Zeit  nur  zwei  Angaben  vor,  die  zudem  erst  aus  dem  12.  bzw.  11.  Jahrhundert 
herrühren.  Nach  der  ersten  hätte  Etheldreda,  Äbtissin  von  Ely,  für  den 
hl.  Cuthbert  außer  dem  Manipel,  dessen  wir  schon  früher  gedachten,  mit 
eigener  Hand  eine  mit  Gold  und  edeln  Steinen  verzierte  Stola  verfertigt 3. 
Das  andere  Zeugnis  findet  sich  in  der  Lebensbeschreibung  des  hl.  Livinus, 
welche  berichtet,  es  habe  der  hl.  Augustinus  denselben  während  mehrerer 
Jahre  erzogen  und  unterrichtet  und  ihm,  als  er  ihn  dann  zum  Priester  geweiht 
habe,  eine  purpurne,  mit  Gold  und  Edelsteinen  verzierte  Kasel  und  eine  stola 
mit  einem  von  kostbarsten  Gemmen  und  Gold  leuchtenden  orarium  geschenkt4. 
Beide  Angaben  sind  leider  durchaus  unzuverlässig,  so  daß  sie  keinen  Glauben 
verdienen.  Bei  der  Notiz  der  Vita  S.  Livini  kommt  obendrein  hinzu,  daß  ganz 
unklar  ist,  was  in  ihr  unter  stola  und  orarium  zu  verstehen  ist. 

Daß  in  Nordafrika  im  6.  Jahrhundert  das  Orarium  in  Gebrauch  war, 
hat  man  aus  der  Lebensbeschreibung  des  hl.  Fulgentius  schließen  wollen. 
Diese  berichtet  nämlich,  es  habe  sich  der  Heilige  niemals  wie  alle  sonstigen 
Bischöfe  eines  Orarium  bedient6.  Allein  nach  dem  Zusammenhang  kann  es 
nicht  zweifelhaft  sein,  daß  an  der  fraglichen  Stelle  nicht  von  einem  liturgischen 
Ornatstück,  sondern  einem  profanen  Orarium  die  Rede  ist.  Es  wird  dort 
nämlich  die  gewöhnliche  Tracht  des  Heiligen  beschrieben  und  ausgeführt,  wie 
er  auch  als  Bischof  die  Mönchskleidung'  in  ihrer  ganzen  Einfachheit  beibehalten 
habe.  Das  Orarium,  das  in  der  Vita  erwähnt  wird,  ist  also  nichts  anderes 
als  das  Orarium,  dessen  in  dem  20.  Kanon  des  Konzils  von  Orleans  vom 
Jahre  511 6  und  dem   12.  Kapitel    der  Regel   des  hl.  Isidor  von  Sevilla7   ge- 


1  M.  G.  Conc.  I    157:    Ut   episcopus   sine  '-  Vgl.  auch   unter   Pallium  Abschnitt   10. 

palleo    missas    dicere    non    praesumat.      Die  3  Acta    S.    Ethelclredae    Reg.   1.    1,    n.    31 

frühere  Leseweise    archiepiscopus   statt   epi-  (A.  SS.  23.  Iun.,  V  430). 

scopus    machte    den    Kanon    unverständlich.  *  N.  14  (M.  87,  335). 

Aber  auch   die   besten  Handschriften   haben  r>  C.  18  (M.  65,  136). 

richtig  episcopus.  G  Hard.  II  1011.            7  M.  83,  882. 


574 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


dacht  wird.  In  efsterem  wird  den  Mönchen  verboten,  im  Kloster  ein  Orarium 
und  eine  bestimmte  Schuhart,  zangae  genannt,  zu  tragen.  In  dem  angeführten 
Kapitel  der  Eegel  des  hl.  Isidor  aber  heißt  es  ähnlich,  es  dürften  die  Mönche 
sich  keines  Linnenzeuges,  noch  des  Orarium,  des  Birrus  (einer  Mantelart) 
und  der  Planeta   (Kasel)  bedienen. 

Überhaupt  haben  wir  kein  direktes  Zeugnis  für  den  Gebrauch  der 
Stola  in  der  altchristlichen  Kirche  Nordafrikas.  Ein  indirektes  dürfte  jedoch 
darin  liegen,  daß  der  Diakon  Ferrandus  im  6.  Jahrhundert  seiner  Kanones- 
sammlung1 den  22.  Kanon  des  Konzils  von  Loadicea  einverleibte,  worin  den 
Subdiakonen  untersagt  wird ,  das  Orarium  zu  tragen.  Denn  die  Aufnahme 
auch  dieses  Kanons  hatte  ja  doch  nur  dann  Sinn,  wenn  das  Orarium  damals 
in  der  Kirche  Nordafrikas  Verwendung  fand. 

Aus  Rom  hören  wir  vom  Gebrauch  des  liturgischen  Orarium  erst  seit 
der  Mitte  des  8.  Jahrhunderts.  Wohl  ist  im  Papstbuch  schon  in  der  Biographie 
Agathos  (678—681)  wie  in  der  Vita  Stephans  III.  (768— 772) 2  von  einem 
Orarium  die  Rede ;  jedoch  ist  damit  nach  dem  Zusammenhang,  in  unkorrekter 
Ausdrucks  weise  das  Omophorion  bzw.  Pallium  gemeint.  Man  hat  auch  die  An- 
gabe des  Liber  Pontificalis  in  der  Vita  Silvesters:  Hie  constituit,  ut  .  .  .  pallia 
linostima  levae  eorum  (der  Diakon)  tegerentur,  und  die  Verordnung  des 
Papstes  Zosimus:  ut  diacones  leva  teeta  haberent  de  palleis  linostimis,  vom 
Orarium  der  Diakone  verstanden.  Allein  es  ist,  wie  schon  früher  bemerkt 
wurde,  kaum  zweifelhaft,  daß  die  pallia  linostima  die  Mappula  bedeuten. 

Die  römischen  Bildwerke  der  vorkarolingischen  Zeit  lassen  keine  Spur 
des  Orarium  erkennen.  Daraus  indessen  schlechthin  zu  schließen,  die  Stola 
habe  damals  zu  Rom  noch  nicht  existiert,  scheint  verfehlt.  Denn  wenn  sie 
sich  nach  römischem  Brauch  unter  der  Dalmatik  befand,  konnte  sie  auf  jenen 
Bildern,  auf  Avelchen  Bischöfe  Avie  Diakone  bis  auf  die  Füße  gehende  Dalmatiken 
haben,  selbstverständlich  nicht  zum  Vorschein  kommen.  Die  Stola  des  Papstes 
und  der  Diakone  bleibt  sogar  noch  im  12.  und  13.  Jahrhundert  auf  den 
römischen  Monumenten  infolge  der  langen  Dalmatik,  in  der  jene  dargestellt  sind, 
unsichtbar,  obschon  doch  das  Ornatstück  damals  zu  Rom  nicht  nur  getragen 
wurde,  sondern  sogar  als  Insignie  des  diakonalen  und  priesterlichen  Ordo  galt. 
Zudem  konnte  es,  wie  Wilpert  mit  Recht  meint 3,  den  Künstlern  genug  er- 
scheinen, einen  Papst  bzw.  Erzbischof  bloß  durch  das  Pallium  zu  kennzeichnen. 

Die  frühesten  Nachrichten  über  ein  liturgisches  Orarium  zu  Rom  er- 
halten wir   durch   den   dritten   und   achten  Ordo i  sowie   durch  Hraban 5  und 


1  ßreviat.  canon.  c.  124 141  (M.  67, 956  957). 
"-  Duch.,  L.  P.  I  354  472. 

3  Cap.  80. 

4  Ordo  8,  n.  1 ;  ordo  3,  n.  6  (M.  78,  1000 
978) ;  vgl.  auch  den  St  GallenerKleiderkatalog. 

5  De  cleric.  instit.  1.  1,  e.  19  (M.  107,  307). 
Die  liturgische  Kleidung,  welche  Hraban  be- 
handelt, ist  die  römische  Sakralgewandung 
seiner  Zeit,  was  schon  aus  Zahl  und  Art  der 
Gewänder  klar  erhellt.  Vgl.  aber  auch  1.  1, 
c.  14  und  die  Worte  der  praefatio :  (Liber) 
primus  continetur  ...  de  officio  missae  se- 
eundum  morem  romanae  ecclesiae  (ebd. 
295  306).  Daß  der  Papst  um  800  die  Stola 
trug,  bekundet  auch  das  kostbare  Epitrachelion, 
welches  Patriarch  Nicephorus  mit  einem  En- 


chirion  und  andern  liturgischen  Gewändern 
Leo  III.  zum  Geschenk  machte.  Von  den 
drei  Texten  des  1.  Ordo  bei  Hittorp  (c.  lOff), 
Mabillon  (M.  78,  937  ff)  und  Grisar 
(Analecta  romana  217ff)  erwähnt  nur  letzterer 
die  Stola ;  doch  muß  es  hingestellt  bleiben, 
ob  auch  die  Vorlage  der  Handschrift,  welche 
diesen  Text  bietet,  derselben  bereits  gedachte 
(vgl.  oben  S.  567,  Anm.  1).  Wie  dem  aber 
auch  sein  mag,  einen  Beweis  gegen  die  Exi- 
stenz der  Stola  im  römischen  Ritus  bildet 
die  Nichtnennung  des  Orarium  im  1.  römi- 
schen Ordo  auf  keinen  Fall,  da  diese  ja  sehr 
wohl  auf  einer  Vergeßlichkeit  und  einem 
Übersehen  beruhen  kann,  und  außerdem  der 
nur  wenig  jüngere  3.  Ordo   das  Ornatstück 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


575 


Amalar J,  d.  i.  also  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  S.  und  im  Beginn  des 
9.  Jahrhunderts.  Es  fand  dort,  abweichend  vom  spanischen  und  gallikani- 
schen  Brauch,  um  diese  Zeit  nicht  bloß  bei  den  höheren  Ordines,  sondern 
auch  bei  den  Subdiakonen  und  den  übrigen  niederen  Klerikern  Verwendung. 
Den  Minoristen,  die  Subdiakone  eingeschlossen,  wurde  es  bei  der  Weihe  zu- 
gleich mit  der  Planeta  übergeben,  den  Diakonen  zugleich  mit  der  Dalmatik, 
den  Priestern  wiederum  zugleich  mit  der  Planeta. 

Seit  wann  das  Orarium  zu  Rom  in  Gebrauch  gewesen  ist,  läßt  sich 
nicht  bestimmen.  Schwerlich  dürfte  es  indessen  erst  um  den  Ausgang  des 
8.  Jahrhunderts  in  den  römischen  Ritus  aufgenommen  worden  sein.  Nirgends 
tritt  es  als  eine  neue  Erscheinung  auf.  Auch  liegt  sonst  kein  Anhalt  zur 
Annahme  vor,  als  habe  das  Orarium  erst  damals  zu  Rom  Eingang  gefunden. 
Eine  solche  Auffassung  der  Dinge  scheint  daher  unhaltbar.  Es  wäre  in  der 
Tat  mehr  als  auffallend,  wenn  man  sich  zu  Rom  inmitten  der  allgemeinen 
Verwendung,  welche  das  Ornatstück  schon  seit  Jahrhunderten  im  übrigen 
Abendland  wie  auch  in  der  mit  der  römischen  in  vielfache  Berührung  kom- 
menden griechischen  Kirche  fand,  bis  zur  Karolingerzeit  hermetisch  gegen 
ein  liturgisches  Orarium  abgesperrt  hätte,  um  dieses  dann  über  Nacht  nicht 
nur  bei  den  Diakonen  und  Priestern,  sondern  im  Gegensatz  zu  den  übrigen 
Riten  selbst  bei  allen  Klerikern  einzuführen. 

Eben  wurde  erwähnt,  daß  im  Papstbuch  in  der  Vita  Agathos  das  Omo- 
phorion  (Pallium)  unkorrekt  orarium  genannt  wurde.  Allein  gerade  dieser  un- 
genaue Gebrauch  des  Wortes  orai'ium  scheint  vorauszusetzen,  daß  es  zur  Zeit 
der  Abfassung  der  Vita,  d.  i.  im  7.  Jahrhundert,  wirklich  zu  Rom  schon  ein 
liturgisches  Orarium  gab,  da  die  Verwechslung  sich  sonst  nicht  wohl  erklären 
läßt.  Oder  würde  es  wohl  jemand  eingefallen  sein,  jenes  so  hochbedeutsame 
pontifikale  Ornatstück  orarium  zu  nennen,  wenn  man  zu  Rom  unter  diesem 
Worte  lediglich  ein  ganz  gewöhnliches,  profanes  Halstuch  verstanden  hätte?2 
Aber  auch  die  eben  erwähnte,  alle  Ordines  umfassende,  von  der  Weise  im 
übrigen  Abendland  und  im  Orient  abweichende,  ganz  eigenartige  Verwendung, 
deren  sich  das  Orarium  in  der  zweiten  Hälfte  des  8.  Jahrhunderts  im  römi- 
schen Ritus  erfreute,  dürfte  bekunden,  daß  das  Ornatstück  damals  zu  Rom 
keine  junge  Erscheinung  mehr  war.  Vielmehr  läßt  eine  solche  ausgiebige  Be- 
nutzung des  Orarium  nach  dem  gewöhnlichen  Gang  der  Dinge  mit  ziemlicher 
Sicherheit  darauf  schließen,  daß  es  dort  schon  längere  Zeit  in  Gebrauch  war. 

Auch  im  übrigen  Italien  ist  es  um  die  Bezeugung  des  Gebrauchs  eines 
liturgischen  Orarium  in  der  vorkarolingischen  Zeit  sehr  schlecht  bestellt. 

Allerdings  liefert  für  seine  Verwendung  zu  Ravenna  im  6.  Jahrhundert 
anscheinend  das  um  547  entstandene  Apsismosaik  in  S.  Vitale  ein  hochbedeut- 


ausdrüeklicli  aufführt.  Immerhin  ist  es  be- 
merkenswert ,  daß  wenigstens  einer  der 
Texte  des  1.  Ordo  die  Stola  erwähnt. 

1  De  offic.  eccl.  praef.  alt.  und  1.  2,  c.  20 
22  26  (M.  105,  992  1096  1098  1102).  Beson- 
ders wichtig  ist  der  Passus  der  praefatio, 
welcher  ausgesprochenermaßen  und  in  aller 
Klarheit  von  dem  römischen  Brauch  handelt. 

2  Duchesne  bemerkt  noch  zur  Notiz  der 
Vita  Steph.  III.  (L.  P.  I  481,  nota  20) :  Si  le 
clerge  romain  eut  alors  fait  usage  de  l'insigne 
liturgique   designe   maintenant   par   ce   nom 


et  qui  apparalt  de  bonne  heure  en  dehors 
de  Rome  sous  le  nom  orarium ,  on  n'aurait 
pu  employer  ce  dernier  terme  pour  designer 
le  pallium  pontificale.  Und  doch  kann  nach 
dem  8.  und  3.  Ordo  und  den  bestimmten  An- 
gaben Amalars  kein  Zweifel  sein,  daß  jeden- 
falls zu  Stephans  III.  Zeit  das  Orarium  zu 
Rom  schon  in  Gebrauch  war.  Die  Bemerkung 
Duchesnes  ist  demnach  verfehlt.  Trotzdem 
es  damals  bereits  zu  Rom  das  Orarium  gab, 
nennt  der  L.  P.  doch  das  päpstliche  Pallium 
ungenau  orarium. 


576 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insianien. 


sames  Zeugnis.  Dasselbe  stellt  den  Bischof  Ecclesius  bekleidet  mit  Tunika, 
Stola,  Dalmatik  und  Kasel  dar  (Bild  273).  Die  Dalmatik  ist  aus  reich 
gemustertem  Stoff  gemacht  und  mit  breiter  Bordüre  versehen.  Die  Albe  fällt 
in  dichten  Falten  bis  zum  Boden,  wo  ihr  Saum  sich  teilweise  über  den  Füßen 
umschlägt.  Die  Stola  befindet  sich  zwischen  beiden  Gewändern  und  schaut 
mit  ihren  reichgeschmückten  Enden  unter  dem  Besatz  der  Dalmatik  hervor. 
Bisher  hat  man  allgemein  das  Mosaik,  so  wie  es  vorliegt,  als  Original  betrachtet. 
Es  war  zuerst  Grisar  ',  der,  von  der  Anschauung  geleitet,  es  habe  im  6.  Jahrhundert 
in  Italien  keine  Stola  gegeben,  auf  die  Möglichkeit  einer  Umgestaltung  des  Bildes 
bei  einer  späteren  Kestauration  hinwies ;  doch  behandelt  noch  Wilpert  unter  ausdrück- 
licher Ablehnung  einer  solchen  das  Mosaik  schlecht- 
hin als  ursprünglich-.  Indessen  ist  dieses  wirklich  in 
seinem  jetzigen  Zustand  die  Frucht  einer  Restauration 
des  12.  Jahrhunderts.  Nur  der  obere  Teil  des  Kör- 
pers gehört  noch  dem  ursprünglichen  Werk  an.  Da- 
gegen   können,    wie    ein    Vergleich    der   Figur    des 


r£s^ 


Bischofs    Ecclesius 


mit    den    sonstigen   musivischen 


Darstellungen  zu  Ravenna,  zumal  den  andern  Bischofs- 
bildern in  S.  Vitale  und  S.  Apollinare  in  Classe,  außer 
Zweifel  stellt,  die  in  einer  Reihe  von  Punkten  so 
eigenartigen  unteren  Partien  unmöglich  Original  sein. 
Sie  entstammen  vielmehr  der  gleichen  Zeit,  welche  die 
Bischofsfiguren  in  der  Apsis  des  rechten  Seitenschiffes 
im  Dom  zu  Torcello  bei  Venedig,  sowie  in  der  Kuppel 
und  den  Zwickeln  des  Querbaues  von  S.  Marco  schuf, 
d.  i.  dem   12.  Jahrhundert. 

Dieselben  Eigentümlichkeiten,  welche  uns  beim 
Bilde  des  Ecclesius  entgegentreten  und  hier  inmitten 
der  andern  ravennatischen  Mosaiken  so  ganz  aus  dem 
Rahmen  fallen  und  wie  ein  fremdartiger  Anachronis- 
mus anmuten,  finden  wir  bei  den  Bischofsdarstellungen 
in  S.  Marco  und  auf  Torcello  wieder. 

In  der  Tat  wurden  im  Beginn  des  12.  Jahrhun- 
derts zu  Ravenna  größere  Mosaikarbeiten  ausgeführt; 
damals  wurde  nämlich  der  St  Ursusdom  mit  musivischen 
Bildwerken  geschmückt,  welche  leider  beim  Umbau 
von  S.  Urso  im  16.  Jahrhundert  bis  auf  einen  sehr 
geringen  Rest  —  jetzt  teils  in  der  erzbischöflichen 
Palastkapelle,  teils  im  Museum  —  zu  Grunde  gingen.  Bei  dieser  Gelegenheit  wird  man 
auch  das  Mosaik  in  S.  Vitale,  das  stark  beschädigt  gewesen  sein  mag,  im  Stil  und 
in  der  Auffassung  des  12.  Jahrhunderts  restauriert  haben. 

Es  ist  bemerkenswert,  wie  auch  auf  andern  ravennatischen  Mosaiken  die  unteren 
Partien  verschiedener  Figuren  sehr  gelitten  haben.  Besonders  auffallend  ist  das  in 
S.  Apollinare  in  Classe,  wo  St  Apollinaris  in  der  Koncha  und  die  vier  Bischöfe  an 
den  Wänden  der  Apsis  in  ähnlicher  Weise  verdorben  sind ,  wie  es  einst  die  Figur 
des  Ecclesius  gewesen  sein  muß.  In  unserer  „Geschichte  der  priesterlichen  Gewänder" 
haben  wir  seinerzeit,  wenngleich  mit  Vorbehalt,  das  Mosaik  in  S.  Vitale  als  ursprüng- 
lich behandelt.  Seitdem  wir  in  der  Lage  waren,  es  an  Ort  und  Stelle  zu  studieren 
und  mit  andern  zu  vergleichen,  müssen  wir  dem  Gesagten  zufolge  leider  darauf  ver- 
zichten, es  weiterhin  als  Beweis  zu  benutzen,  daß  man  zu  Ravenna  bereits  im  6.  Jahr- 
hundert die  Stola  gekannt  habe. 


Bild  27S. 
Mosaik. 


Bischof  Ecclesius. 
Ravenna,  S.  Vitale. 


1  Das   römische  Pallium    (Festschrift   zur    1100jährigen  Jubelfeier   des   Campo    Santo)    85. 

2  Cap.  p.  79. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


577 


Auch  eine  Notiz  in  des  Agnellus  Geschichte  der  Bischöfe  von  Ravenna ,  die 
von  dem  diakonalen  Orarium  handelt',  ist  ohne  Belang.  Sie  berichtet  von  einem 
Vorkommnis,  das  sich  dort  um  die  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  unter  Erzbischof 
Sergius  abspielte1.  Dieser  hatte,  weil  sich  sein  Klerus  von  ihm  getrennt  hatte, 
nach  vergeblichen  Vereinigungsversuchen  andere  Priester  und  Diakone  geweiht.  Als 
es  aber  dann  infolge  dieser  Weihen  nach  neuen  Unterhandlungen  zum  Frieden  zwischen 
dem  Erzbischof  und  den  alten  Klerikern  kam,  wurde  vereinbart,  es  sollten  die  neu 
ordinierten  Diakone  —  offenbar  zum  Unterschied  von  ihren  älteren  Amtsgenossen  - 
unter  Weglassung  der  Dalmatik  das  Superhumerale  nach  Weise  der  Griechen  an- 
legen -.  Das  Superhumerale  kann  hier  nur  das  Epitrachelion,  d.  i.  die  Stola  oder  das 
Orarium  bedeuten.  Ferner  ist  sicher,  daß  die  Diakone  erster  Weihe  nach  römisch- 
ravennatischem  Brauch  in  der  Dalmatik ,  diejenigen  zweiter  Weihe  in  der  Tracht 
der  griechischen  Diakone  dem  Gottesdienst  assistieren  sollten.  Dagegen  läfst  der 
Bericht  bedauerlicherweise  unklar,  ob  die  letzteren  das  fragliche  Superhumerale  erst 
neu  von   den  Griechen  herüberzunehmen   hatten,    oder  ob  sie  unter  der  Dalmatik  bis 


fc-at — TU-  ^'1,    %_,   II I    yjg-; 


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Bild   274.      Altar  des   Ratchis.     Cividale,  S.  Martine    (Nach  Garrueci.) 

dahin  schon  eine  Stola  anzulegen  pflegten,  so  daß  sie  jene  bloß  auszulassen  brauchten, 
um  gemäß  der  Übereinkunft  das  Orarium  nach  griechischer  Weise  zu  tragen. 

Ein  Monument  aus  dem  zweiten  Viertel  des  8.  Jahrhunderts,  auf  dem 
anscheinend  eine  Priesterstola  sich  dargestellt  findet,  ist  der  von  König  Ratchis 
(744—749)  gestiftete  Altar  in  St  Martin  zu  Cividale  (Bild  274).  Es  ist  freilich 
nicht  ein  Priester,  der  sie  trägt,  sondern  Christus.  Allein  Christus  ist  ja  der 
Priester  der  Priester,  und  das  Ornatstück,  welches  in  Form  eines  reichver- 
zierten, an  den  Enden  mit  Fransen  geschmückten  Streifens  vom  Nacken  her 
über  die  beiden  Schultern  nach  vorn  herabsteigt,  gleicht  so  sehr  einer  Stola, 
daß  man  schwerlich  den  Gedanken  abweisen  kann,  es  solle  hier  eine  solche 
dargestellt  werden.  Es  wäre  die  früheste  Abbildung  einer  Priesterstola,  die 
uns  bekannt  ist,  da  wir,  wie  schon  bemerkt,  die  Stola  des  Ecclesius  durchaus 
für  eine  Restauration  aus  späterer  Zeit  halten. 


1  Liber  Pontif.  Ravenn.  P.  II,  Vita  Sergii 
c.  1  (M.  106,  725).  Der  Text  ist  nicht 
genau.  Besser  findet  er  sich  in  den  M.  G. 
SS.  Langob.  378. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


2  Liber  Pontif.  eccl.  Ravenn.  n.  154  (M  G.SS. 
Langob.  378)  :  Statuerunt  de  novella  con- 
secratione,  ut  diaeones  relicta  dalmatica  super  - 
humeralem  imponerent  more  Graecorum. 

37 


578  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Das  Ergebnis  der  bisherigen  Untersuchungen  ist  im  ganzen  recht  be- 
scheiden. Klare,  unzweideutige  und  sichere  Zeugnisse  für  den  Gebrauch  eines 
liturgischen  Orarium  in  der  Westkirche  vorkarolingischer  Zeit  besitzen  wir 
nur  für  Spanien  und  Gallien,  und  selbst  diese  führen  uns  nicht  über  das 
6.  Jahrhundert  hinaus.  Als  ein  Ornatstück,  das  im  ganzen  Abendland  bei 
der  Liturgie  Verwendung  findet,  läßt  sich  die  Stola  erst  in  der  zweiten 
Hälfte  des  8.  Jahrhunderts  mit  Bestimmtheit  nachweisen.  Seitdem  erscheint 
sie  dann  freilich  ununterbrochen  durch  alle  fernere  Zeit  hindurch  bis  in  die 
Gegenwart  als  ein  Teil  der  liturgischen  Kleidung. 

IV.   DIE  STOLA  ALS  LITURGISCHES  ORNATSTÜCK  ZUR 
KAROLINGERZEIT. 

Im  9.  Jahrhundert  war  das  Orarium  zu  Rom  bei  allen  Klerikern  in 
Gebrauch.  Auch  der  Papst  bediente  sich  seiner.  Es  ist  das  freilich  be- 
zweifelt worden,  weil,  wie  man  sagt,  neben  dem  Pallium  eine  Stola  überflüssig 
war.  Allein  mit  Unrecht.  Denn  wenn  der  Patriarch  Nicephorus  von  Kon- 
stantinopel Leo  III.  außer  einer  liturgischen  Tunika,  Kasel  und  Mappula  auch 
ein  Epitrachelion,  eine  Stola,  zum  Geschenk  übersendet,  so  folgt  daraus 
offenbar,  daß  sich  der  Papst  damals  einer  Stola  bediente.  Wenn  ferner  nach 
Hraban,  der  in  seiner  Vorrede  zu  der  Institutio  clericorum  ausdrücklich  be- 
merkt, er  wolle  die  Messe  secundum  morem  Romanae  ecclesiae  behandeln 1, 
und  der  darum  unter  der  vestis  sacerdotalis  moderna2,  die  er  in  der  ge- 
nannten Schrift  beschreibt,  die  römische  Sakralgewandung  versteht,  die  Erz- 
bischöfe zugleich  Stola  und  Pallium  trugen3,  wird  dann  nicht  auch 
der  Papst  sich  beider  bedient  haben  ?  Ein  Nichtgebrauch  der  Stola  hätte  nur 
dann  einen  Sinn  gehabt,  wenn  dem  Pallium  und  der  Stola  ein  und  derselbe 
Charakter  eigen  gewesen  wäre.  Wenn  man  aber  meint,  darum  habe  das 
Pallium  die  Stola  ausgeschlossen,  weil  es  den  Inbegriff  aller  priesterlichen 
und  hohenpriesterlichen  Gewalt  bedeutet  habe,  dann  darf  man  wohl  fragen, 
wie  es  überhaupt  je  dazu  kommen  konnte,  daß  der  Papst  anfing,  zugleich 
sich  des  Pallium  und  der  Stola  zu  bedienen.  Allerdings  ist  es  richtig, 
daß  der  1.  Ordo  Mabillons  das  Orarium  unter  den  päpstlichen  Gewändern 
nicht  erwähnt 4.  Ob  das  indessen  nicht  ein  Versehen  des  Kopisten  ist  ? 
Denn  der  3.  Ordo  —  der  2.  spricht  nicht  von  der  liturgischen  Gewandung 
des  Papstes  —  rechnet  das  Orarium  ganz  bestimmt  und  ausdrücklich  zur 
Sakralkleidung  des  Papstes. 

Auch  der  Umstand,  daß  im  9.  Jahrhundert  auf  den  Darstellungen  von 
Päpsten  die  Stola  nicht  auftritt,  ist  von  keinem  Belang.  Denn  sie  erscheint 
auf  den  Monumenten  selbst  noch  im  11.  und  12.  Jahrhundert  bei  diesen  nur 
in  vereinzelten  Fällen,  obschon  die  Päpste  sich  damals  sowohl  der  Stola  wie 
des  Pallium  bedienten.  Nie  kommt  die  Stola  zum  Vorschein,  wenn  die  Päpste 
mit  der  Dalmatik  bekleidet  dargestellt  sind.  Es  war  den  Künstlern  ersichtlich 
nur  darum  zu  tun,  die  Päpste  als  solche  zu  charakterisieren,  und  das  erreich- 
ten sie  genügend  dadurch,  daß  sie  dieselben  mit  dem  Pallium  versahen. 


1  M.   107,  295.  vicem    pallii    honor    decernitur.      Vgl.    auch 

2  L.  ],  c.  14  (ebd.  306).  Amal.,  De   eccl.  offic.  1.  2,    c.  22  (M.  105, 

3  L.  1,  c.  23  (ebd.  309):  Super  haec  autem  1098). 

omnia  (sc.  superhumerale,  tunicam,  cingulum,  l  So  wenigstens  nach  dem  Text  Mabillons 

mappulam,  stolam  etc.)  summo  pontifici,  qui  und  Hittorps.  Wegen  der  von  Grisar  veröffent- 

archiepiscopus  vocatur,    propter  apostolicara  lichten  Rezension  vgl.  oben  S.  574,  Anrn.  5. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  579 

Daß  die  Bischöfe  sich  des  Orarium  bedienten,  erhellt  aus  Hraban, 
Amalar,  dem  St  Gallener  Katalog  sowie  dem  9.  Ordo.  Von  der  Stola  der 
Priester  reden  der  S.  G.  K.,  der  9.  Ordo  und  der  Ordo  Duchesnes.  Amalar 
spricht  nicht  ausdrücklich  von  der  Priesterstola,  doch  stellt  er  ebensowenig 
die  Stola  als  ausschließliches  Ornatstück  der  Diakone  und  Bischöfe  hin. 

Das  Orarium  der  Diakone  ist  im  St  Gallener  Kleiderverzeichnis  un- 
erwähnt geblieben.  Dagegen  gedenken  seiner  der  9.  Ordo  wie  auch  Amalar, 
der  sich  sogar  ganz  speziell  und  eingehend  mit  der  Diakonalstola  befaßt. 

Auffallend  ist  es,  daß  zu  Rom  auch  die  Subdiakone  und  Akolythen 
ein  Orarium  trugen.  Indessen  kann  an  diesem  Brauch  kein  Zweifel  bestehen, 
da  sowohl  der  8.  Ordo  wie  das  St  Gallener  Verzeichnis  des  Orarium  der  Sub- 
diakone und  Akolythen  gedenken  1.  Wir  dürfen  nicht  vergessen,  daß  wir  in 
einer  Zeit  stehen,  da  die  liturgische  Kleidung  noch  auf  dem  Wege  zur  end- 
gültigen Fixierung  war.  Ein  Gegenstück  zum  Gebrauch  des  Orarium  seitens 
der  Subdiakone  und  Akolythen  ist  es,  wenn  ebendieselben  auch  mit  der 
Planeta  (Kasel)  ausgestattet  erscheinen. 

Übrigens  ist  die  Notiz  des  St  Gallener  Katalogs  nicht  zu  übersehen :  Aco- 
lythus  .  .  .  quando  in  gradu  psallitur  .  .  .  orarium  portat  in  manu.  Wenn  also 
der  Akolyth  zum  Ambo  trat,  um  daselbst  das  Responsorium  zu  singen,  mußte  er 
das  Orarium,  das  er  sonst  am  Halse  hatte,  abnehmen  und  in  der  Hand  halten. 

Auch  die  Subdiakone  scheinen  das  Orarium  nur  mit  einer  ähnlichen 
Einschränkung  getragen  zu  haben.  Denn  wir  lesen  im  8.  Ordo:  Et  si  ad 
diaconatus  ordinem  voluerit  episcopus  eum  (sc.  subdiaconum)  provocare,  dum 
introitus  missae  inchoatur,  ipse  subdiaconus  indutus  tunicam  albam  et  tenens 
orarium  suum  in  manu  stat  ante  rugas  altaris2.  Wenn  sich  also  der 
Subdiakon  in  seiner  Amtstracht  zur  Diakonatsweihe  einstellte,  hatte  er  sein 
Orarium  in  der  Hand  zu  halten. 

Das  Orarium,  welches  wir  beim  Ausgang  des  8.  und  im  Beginn  des  9.  Jahr- 
hunderts zu  Rom  im  Gebrauch  antreffen ,  war  ein  wirkliches  liturgisches 
Ornatstück.  Was  immer  wir  in  den  römischen  Ordines,  bei  Hraban,  Wala- 
fried  und  Amalar  oder  sonst  über  dasselbe  hören,  bekundet  solches  auf  das 
bestimmteste.  Allenthalben  erscheint  das  Orarium  als  förmlicher  Bestandteil 
der  Sakraltracht.  Es  ist  verboten,  ohne  Stola  die  heilige  Messe  zu  feiern. 
Das  Orarium  steht  auf  gleicher  Linie  mit  dem  liturgischen  Schultertuch,  der 
liturgischen  Albe ,  dem  Cingulum  usw.  Es  war  demnach  ein  Irrtum ,  wenn 
man  sagte,  in  Rom  erscheine  die  Stola  oder  das  Orarium  in  liturgischem 
Sinne  erst  nach  dem  10.  Jahrhundert. 

Welches  war  aber  der  besondere  Charakter  des  römischen  Orarium? 
War  es  ein  Tuch,  das  Priester  und  Ministri  eines  praktischen  Zweckes  halber 
bei  den  liturgischen  Funktionen  bei  sich  haben  mußten,  also  etwa  ein  litur- 
gisches Diensttuch,  ein  Halstuch  oder  Schweiiatuch,  war  es  ein  bloßes  Orna- 
ment ohne  weitere  Bedeutung  und  ohne  einen  speziellen  Zweck,  oder  war  es 
etwa  eine  Art  von,  wir  sagen  nicht  förmlicher  Insignie,  sondern  liturgischem 
Unterscheidungszeichen  im  weiteren  Sinne,  etwa  wie  die  klerikale  Kleidung- 
Abzeichen  der  Geistlichen  gegenüber  den  Laien,  die  Dalmatik  Abzeichen  der 
Diakone,  die  Kasel  das  der  Priester  ist?  Es  handelt  sich  hier  wohlgemerkt 
um  den  Charakter,  den  das  Ornatstück  im  9.  Jahrhundert  hatte,  nicht  um  die 
Frage,  was  es  vielleicht  ursprünglich  war. 


Ordo  8,  n.  1  3  (M.  78,  1000  1001).  2  N.  3  (ebd.  1001). 

37* 


580 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Ein  Schweißtuch  oder  Halstuch  war  es  zweifellos  nicht.  Kein  Schweiß- 
tuch, da  es  unter  dem  Obergewand  getragen  wurde ;  man  hätte  ja  die  Planeta 
oder  Dalmatik  aufheben  müssen,  um  zum  Orarium  zu  gelangen,  falls  es  nötig 
wurde,  dasselbe  zum  Abputzen  des  Schweißes  zu  gebrauchen.  Aber  auch  als 
Halstuch  kann  das  Orarium  nicht  gedient  haben.  Denn  für  die  Zwecke  eines 
Halstuches  war  das  liturgische  Schultertuch,  das  anabolagium,  der  Amikt  da, 
dessen  sich  nach  dem  St  Gallener  Katalog  alle  Ordines,  die  Akolythen  allein 
ausgenommen,  zu  bedienen  pflegten.  Allein  auch  ein  bloßes  Ornament  kann 
das  Orarium  nicht  gewesen  sein.  Denn  welchen  Sinn  hatte  es  in  diesem  Falle 
bei  den  Diakonen  und  Bischöfen?  Weil  von  der  Dalmatik  völlig  bedeckt, 
war  es  als  bloßer   Schmuck  bei  diesen  offenbar  völlig  zwecklos. 

Es  bleibt  also  wohl  nichts  übrig,  als  in  dem  Orarium  eine  Art  von 
Distinktivum  des  römischen  Klerus  überhaupt  im  Gegensatze  zu  den  Laien 
und  weiterhin  der  höheren  Ordines  im  Unterschied  von  den  niedern  Klerikern 
in  dem  eben  angegebenen  Sinne  zu  sehen.  In  der  Tat  lassen  die  Angaben, 
welche  wir  über  das  Orarium  erhalten ,  wohl  kaum  einen  ernsten  Zweifel, 
daß  eine  solche  Auffassung  die  richtige  ist.  Oder  warum  der  Brauch,  alle 
Ordines,  auch  die  Akolythen,  bei  ihrer  Weihe  mit  dem  Orarium  zu  bekleiden?1 
Weshalb  ferner  die  vom  9.  Ordo  für  das  Orarium  der  Diakone  ausdrücklich 
bezeugte  Gepflogenheit,  das  Ornatstück  am  Abend  vor  der  Weihe  auf  die  Con- 
fessio  des  hl.  Petrus  zu  legen  und  hier  bis  zum  Weiheakt  am  folgenden  Tage 
zu  belassen?2  Warum  die  Rubrik  des  8.  Ordo,  daß  die  Subdiakonen  in  Tunika 
und  Planeta,  ihr  Orarium  aber  in  der  Hand,  zum  Empfang  der  Diako- 
natsweihe an  die  Altarscbranken  zu  treten  hatten?3  Warum  die  Anordnung, 
daß  die  Akolythen,  wenn  sie  am  Ambo  als  Cantores  oder  Lectores  fungierten, 
nicht  bloß  die  Planeta  auszuziehen,  sondern  auch  das  Orarium  abzulegen 
und  in  der  Hand  zu  halten  hatten?  Endlich  woher  die  römische  Sitte,  der 
zufolge  der  Diakon  an  den  Tagen,  an  welchen  er  sich  statt  der  Dalmatik  der 
Planeta  bediente,  vor  dem  Evangelium  nicht  nur  diese  letztere,  sondern  zugleich 
mit  der  Planeta  auch  die  Stola,  die  er  bis  dahin  nach  Weise  der  Priester  am 
Halse  getragen  hatte4,  sich  schärpenartig  umschlang,  um  nun  so  bis  zum  Ende 
der  Messe  zu  ministrieren?  5  War  das  Orarium  lediglich  ein  bloßes  Schweiß- 
tuch, Halstuch  oder  Ornament,  so  ist  alles  das  unverständlich.  Nur  wenn  man 
es  als  eine  Art  von  Unterscheidungszeichen  auffaßt,  dürften  diese  Gepflogen- 
heiten ihr  Licht  erhalten.  Ganz  besonders  gilt  das  von  den  beiden  an  letzter 
Stelle  genannten  Bräuchen.  Es  hätte  doch  zum  Zweck,  die  Akolythen  von  dem 
amtierenden  Priester  zu  unterscheiden,  völlig  ausgereicht,  wenn  sie  die  Planeta  ab- 
gelegt bzw.  schärpenartig  umgelegt  hätten.  Warum  also  solches  auch  noch  mit  dem 
Orarium  tun,  wenn  es  nur  ein  Ornament  oder  ein  Hals-  bzw.  Schweißtuch  war? 


1  Gegenwärtig  wird  freilich  auch  der  Sub- 
diakon  mit  dem  Humerale  bei  seiner  Weihe 
bekleidet;  allein  diese  Zeremonie  ist  sehr 
jungen  Datums.  Sie  kam  erst  im  Laufe  des 
14.  .Jahrhunderts  auf  und  war  noch  im  15. 
keineswegs  allgemein  (vgl.  oben  S.  30). 

2  N.  2  8  (ebd.   10o5  10(i8). 

3  N.  3  (ebd.  1001):  indutus  tunicam  albam 
et  tenens  orarium  suum  in  manu.  .  .  .  Ex- 
uitur  planeta  a  diacono. 

4  Siehe  unten  S.  586. 

5  Amal. ,  De  eccl.  offic.  praef.  altera  (M. 


105 ,  992)  :  Quando  versus  Alleluia  canitur, 
exuitse  planeta  diaconus  stolamque  posttergum 
ducit  subtus  dextram  alam  una  cum  planeta 
et  parat  se  ad  ministrandum  ac  in  eo  habitu 
perseverat  usque  dum  apostolicus  recesserit 
de  altari.  Die  Worte  una  cum  planeta  sind 
keine  Interpolation,  wie  Wilpert  für  wahr- 
scheinlich hält  (Cap.  83),  und  stehen  keines- 
wegs im  Widerspruch  mit  exuit  se  planeta. 
Der  Diakon  legte  die  Kasel,  nachdem  er  sie 
ausgezogen  hatte ,  mit  der  Stola  schärpen- 
artig um  (s.  oben  S.  166  f). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  581 

Der  Gründe,  um  derentwillen  Duchesne  dem  römischen  Orarium  den  Charakter 
eines  Distinktivum  absprechen  zu  sollen  glaubt,  sind  zwei1.  Erstens  meint  er,  sei 
das  Orarium  nicht  offen  über  dem  Obergewande  getragen  worden.  Das  ist  allerdings 
richtig.  Allein  wenn  dieser  Umstand  maßgebend  ist,  dann  hätte  ja  die  Stola  im 
römischen  Ritus  auch  später  noch  des  Charakters  eines  Distinktivum  entbehrt.  Und 
doch  war  die  Stola  zu  Eom  schon  eine  förmliche  Insignie  des  diakonalen  und  priester- 
lichen Ordo,  als  noch  die  Dalmatik  bis  zu  den  Füßen  reichte  und  die  glockenförmige 
Kasel  fast  den  ganzen  Körper  einhüllte.  Ferner  ist  dann  nicht  verständlich,  wie  über- 
haupt die  Stola  dort  jemals  das  diakonale  und  priesterliche  Abzeichen  hat  werden  können, 
da  der  Priester  diese   immer  unter  der  Kasel,    der  Diakon   unter  der  Dalmatik   trug. 

Zweitens  weist  Duchesne  darauf  hin,  daß  er  kein  römisches  Bildwerk  aus  der 
Zeit  vor  dem  12.  Jahrhundert  kenne,  auf  dem  die  Stola  dargestellt  sei.  Auch  dieser 
Einwand  ist  ohne  Belang.  Einmal  kommt  nämlich  bereits  auf  den  vor  10^4  ent- 
standenen Fresken  in  der  Unterkirche  von  S.  demente  die  priesterliche  und  bischöf- 
liche Stola  vor.  Dann  ist  überhaupt  die  Zahl  der  noch  vorhandenen  römischen  Bild- 
werke des  9.,  10.  und  11.  Jahrhunderts,  die  hier  in  Betracht  zu  ziehen  wären,  im 
ganzen  äußerst  gering.  Endlich  aber  sind  die  Päpste  und  Diakone  auf  den  Dar- 
stellungen aus  dieser  Zeit  stets  mit  der  bis  auf  die  Füße  reichenden  Dalmatik  versehen. 
Es  liegt  also  zu  Tage,  warum  die  Künstler  wenigstens  bei  den  Diakonen  die  Stola  nicht 
abgebildet  haben  -.  Aus  dem  gleichen  Grunde  gewahren  wir  ja  auch  selbst  noch  auf 
den  römischen  Monumenten  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  bei  den  Diakonen,  Päpsten  und 
Bischöfen,  wofern  nur  letztere  mit  der  Dalmatik  versehen  sind,  keine  Stola. 

Zutreffend  ist  allerdings,  daß  die  Stola  zu  Rom  im  9.  Jahrhundert  noch 
nicht  so  ausgesprochenermaßen  als  Insignie  des  Ordo  galt,  wie  das  etwa  um 
die  gleiche  Zeit  im  Frankenland  und  früher  noch  in  Spanien  und  wohl  eben- 
falls in  Gallien  unter  der  Herrschaft  des  gallikanischen  Ritus  der  Fall  war 3. 
Sie  konnte  im  römischen  Ritus  ja  auch  erst  dann  etwas  mehr  als  ein  bloßes 
Unterscheidungszeichen,  eine  wirkliche  Insignie  der  höheren  Ordines  werden, 
nachdem  sie  darin  bei  den  Subdiakonen  und  Akolythen  außer  Brauch  ge- 
kommen war.  Wie  lange  sie  bei  denselben  verblieb,  ist  nicht  festzustellen. 
Es  ist  darum  gleichfalls  nicht  möglich,  genau  zu  bestimmen,  wann  die  Stola 
zu  Rom  den  Charakter  einer  förmlichen  Insignie  erhielt,  den  sie  daselbst  in 
der  Folge  hatte  und  noch  jetzt  hat.  Wie  es  scheint,  fand  das  Orarium 
schon  um  die  Wende  des  Jahrtausends  bei  den  römischen  Subdiakonen  und 
Akolythen  keine  Verwendung  mehr.  Um  dieselbe  Zeit  wird  es  daher  zu  Rom 
auch  bereits  Amtsabzeichen  des  Diakonats  und  Presbyterats  gewesen  sein. 

Außerhalb  Roms  stand,  soweit  sich  darüber  ein  Urteil  fällen  läßt,  im 
9.  Jahrhundert  die  Stola  nur  im  Dienste  der  Priester  (Bischöfe)  und  Diakone. 
Bemerkenswert  ist  die  scharf  ausgeprägte  symbolische  Bedeutung,  welche  un- 
zweifelhaft in  Verbindung  damit  dem  Orarium  im  Frankenland  eignete.  Es  war 
daselbst  im  9.  Jahrhundert  in  einem  solchen  Grade  Abzeichen  des  Presbyterats, 
daß  es  den  Priestern  zur  Pflicht  gemacht  wurde,  die  Stola  beständig  zu  tragen. 
So  verordnet  das  20.  Kapitel  des  Konzils  von  Mainz  aus  dem  Jahre  813,  es 
sollten  die  Priester  sonder  Unterbrechung  das  Orarium  anlegen  propter  dif- 
ferentiam  sacerdotii  dignitatis,  d.  i.  also,  um  als  dem  Priesterstande  angehörig 
kenntlich  zu  sein4.  Ahnlich  sagt  ein  Kapitular  der  Sammlung  des  Benedikt 
Levita :  es  sollten  die  Priester  die  Stola  tragen  propter  signum  castitatis,  also 
als   Zeichen   ihrer  priesterlichen   Ehelosigkeit 5.     Das   Konzil   von  Tribur   er- 


1  Du  eh.,  Oi-ig.  391.  '  Conc.  Mogunt.  c.   28    (Hartzh.  I   411; 

2  Vgl.  auch  das  oben  S.  574  Gesagte.  M.  G.  LL.  Cap.  II  248). 

3  S.  obenS.  567  und  die  dort  angeführten  Stel-  5  L.  2,  c.  172  (Baluzii  Capit.  Reg.  Franc, 
len  aus  Hraban,  Walafried  und  Pseudo-Alkuin.  I  952;  M.  97,  768). 


582  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

neuert  895  die  Bestimmung  der  Mainzer  Synode  und  fügt  ergänzend  hinzu : 
wenn  Priester  auf  Reisen  beraubt,  verwundet  oder  getötet  würden,  ohne  mit 
der  Stola  bekleidet  zu  sein,  so  sollten  die  Täter  mit  einfacher,  andernfalls 
—  nämlich  falls  jene  die  Stola  getragen  hatten  und  darum  nach  ihrem  Stand 
hatten  erkannt  werden  können  —  mit  dreifacher  Strafe  ihr  Verbrechen  büßen  1. 
Entsprechend  heißt  es  in  einer  Rezension  der  Admonitio  synodalis  unter  n.  38: 
Nullus  presbyter  in  itinere  sine  stola  incedat,  während  nach  der  Anweisung 
Reginos  von  Prüm  der  Visitator  sich  zu  erkundigen  hat  (n.  62):  si  sine  stola 
vel  orario  in  itinere  incedat 2.  Als  Charakteristikum  der  Kanoniker  erscheint 
die  Stola  in  einem  Briefe  Alkuins  an  einen  kranken  Kanoniker,  der  ihm  seine 
Absicht  mitgeteilt  hatte,  in  ein  Kloster  einzutreten,  um  sich  dort  auf  das 
Gericht  vorzubereiten:  Si  sub  orario  plus  laborasti  quam  sub  cuculla  in 
servitio  Dei,  quid  causae  est  in  articulo  mortis  tui  laboris  insignia 
abicere  ? s 

Seit  etwa  1000  herrscht  allenthalben  im  Abendland  in  Bezug  auf  die 
liturgischen  Personen,  denen  der  Gebrauch  der  Stola  zusteht,  wie  auch  hin- 
sichtlich des  Charakters  des  Ornatstückes  volle  Übereinstimmung.  Es  erhellt 
das  in  gleicher  Weise  aus  den  zahlreichen  liturgischen  Büchern  wie  den 
Schriften  der  Liturgiker  des  11.,  12.  und  13.  Jahrhunderts.  Die  Stola  kommt  nur 
den  Diakonen,  Priestern  und  Bischöfen  zu,  letzteren  wegen  des  ihnen  eigenen 
Priestercharakters.  Sie  ist  das  Symbol  des  diakonalen  Ministerium  und  des 
priesterlichen  iugum  Domini.  Den  Subdiakonen  bleibt  das  Ornatstück  ver- 
sagt, auch  als  der  Subdiakonat  im  11.  Jahrhundert  förmlich  zum  höheren  Ordo 
wird.     Ihr  Amtsabzeichen  ward  der  Manipel. 

V.   GEBRAUCH  DER  STOLA. 

Hinsichtlich  der  liturgischen  Funktionen,  bei  denen  die  Stola  im  Mittel- 
alter Verwendung  fand,  erhalten  wir,  zumal  in  der  früheren  Zeit  desselben, 
nur  vereinzelte  Angaben.  Im  großen  und  ganzen  wird  sie  bei  denselben 
Akten  gebraucht  worden  sein  wie  heutzutage.  Vor  allem  war  sie  zu  Rom 
wie  außerhalb  Roms  Meßornatstück.  Sie  wurde  aber  auch  bei  der  Spendung 
der  heiligen  Sakramente,  bei  der  Predigt  und  bei  der  Vornahme  von  Segnungen 
verwendet,  und  zwar  bis  wenigstens  zum  Beginn  unseres  Jahrtausends  bald 
mit  bald  ohne  Kasel.  Die  Kasel  war  nicht  erforderlich ;  man  hatte  sie,  ähnlich 
wie  jetzt  das  Pluviale,  nur  bei  einer  feierlichen  Ausübung  der  genannten  Akte. 
Dagegen  wurde  die  Stola  stets  getragen.  Aus  Hraban  ersehen  wir,  daß  man 
sich  ihrer  bei  der  Predigt  bediente.  Auf  einer  Miniatur  der  Wessobrunner 
Handschrift  in  der  kgl.  Bibliothek  zu  München4  aus  dem  Jahre  814  bzw.  815 
(Bild  275)  finden  wir  sie  bei  einem  Priester,  welcher  die  Taufe  spendet. 
Auf  einer  Federzeichnung  des  Pontifikale  von  Aletis  in  der  Stadtbibliothek 
von  Rouen  ist  ein  Bischof,  welcher  eine  Kirchweihe  vornimmt,  mit  ihr  aus- 
gerüstet. Nach  demselben  Pontifikale  soll  der  Priester,  der  einem  Kranken  die 
letzten  Sakramente  spendet,  mit  Amikt,  Albe,  Fano  und  Stola  ausgestattet 
sein,  mit  einer  Kasel  nur,  wenn  gerade  eine  solche  zur  Hand  ist.  Ein  Missale 
von  Rennes   aus   dem  11.  Jahrhundert  schreibt  vor,    es  solle  der  Priester  die 


1  Coric.    Trib.    c.   26     (apud    Burcardum)  3  Ep.  55  (M.  G.  Bpp.  Carol.  Aevi  II  99). 
(Hartzh.  II  410).                                                     Der  Brief  ist  geschrieben  um  790. 

2  M.  132,  190.  l  Cod.  lat.  22053,  Cim.  20. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


583 


Brautleute  an  der  Kirchtüre  in  Albe  und  Stola  erwarten 1.  Auch  bei  Pro- 
zessionen wurde  das  Ornatstück  gebraucht  (vgl.  Bild  122,  S.  262). 

Daß  Bruno  von  Segni  und  Sicard  von  Cremona  im  12.  Jahrhundert  die 
Anschauung  ihrer  Zeit  hinsichtlich  des  Gebrauches  der  Stola  dahin  aussprechen, 
der  Priester  könne  zwar  ohne  sonstige  Gewänder  taufen,  firmen  und  manche 
andere  Gebetsakte  vornehmen,  ohne  das  Orarium  aber  dürfe  er  nichts  von 
allem  dem  tun,  es  sei  denn,  daß  große  Not  solches  erheische,  wurde  schon 
früher  bemerkt. 

Seit  dem  13.  Jahrhundert  wird  wiederholt  durch  die  Synoden  den  Priestern 
eingeschärft,  bei  den  Krankenversehgängen  die  Stola  zu  tragen.  Auch  bei  den 
Provinzial-  und  Diözesansynoden  hatten  die  Teilnehmer  sich  mit  ihr  zu  bekleiden. 

Der  im  9.  Jahrhundert  verschiedenerorts,  namentlich  aber  im  Franken- 
reiche,  für  die  Priester  geltenden  Vorschrift,  stets  das  Orarium  zu  tragen,  ist 


Ti%xun>  eum  IfWpÄ . 


|y^  ummoj\x-jWtrr  A^bucbe^l 


f 
YvtHät 


Bild  275.     Taufszene.     Miniatur  in  einer  Wessobrunner  Handschrift. 
München,  Kg).  Bibliothek. 


bereits  Erwähnung  geschehen.  Wie  lange  sie  in  Kraft  blieb,  ist  nicht  zu  be- 
stimmen. Noch  die  Synodica  ad  presbyteros  des  eifrigen  Bischofs  Katherius 
von  Verona  (f  974)  enthält  die  Bestimmung,  es  solle  kein  Priester  ohne  die 
Stola  umhergehen2.  Der  Zweck,  den  eine  solche  Verordnung  hatte,  ging 
ohne  Zweifel  dahin,  bei  den  Priestern  das  Bewußtsein  ihrer  hohen  Würde  zu 
heben  und  sie  von  sittlichen  Verirrungen  abzuhalten.  Seit  der  Synodica  des 
Ratherius  hören  wir  von  der  Sache  nichts  mehr. 

Eine  andere  eigenartige  Gepflogenheit  begegnete  uns  schon  in  der  Vita  S.  Mauri 
(f  584).  Danach  war  es  Brauch,  im  ersten  Jahre  nach  der  Weihe  als  Zeichen  der  er- 
langten Würde  beständig  die  Stola  zu  tragen  3.  Für  das  6.  Jarrrhundert,  wie  überhaupt  für 
Italien,  gilt  das  freilich  nicht.   Die  Sitte  entspricht  aber  ganz  der  Anschauung,  welche 


1  Mar t.  1.  1,  c.  9,  ordo  2;  II  127.  Manche 
Angaben  über  den  Gebrauch  der  Stola  ent- 
halten   namentlich    die    Consuetudines    von 


Farfa    (ed.    Albers,    35    51    52  -56    71    73 
122  142). 

2  N.  11  (M.  136,  562).  3  Siehe  S.  566 


584 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


im  9.  Jahrhundert  im  fränkischen  Norden  bestand,  und  stimmt  darum  vortrefflich  zu 
der  Zeit,  da  die  Vita,  wenigstens  in  ihrer  jetzigen  Redaktion,  aus  den  Händen  Odos 
von  Glanfeuil  hervorging. 

Der  Brauch  muß,  wie  wir  aus  der  Biographie  des  hl.  Odo  von  Cluny  (f  ca  970) 
ersehen,  noch  im  10.  Jahrhundert  in  Kraft  gewesen  sein  '.  Es  wird  uns  darin  nämlich 
erzählt,  es  sei  der  Heilige  in  der  Nacht,  die  seiner  Weihe  folgte,  aufgewacht  und  dann, 
als  er  um  seinen  Hals  nach  Sitte  und  Brauch  die  ihm  vom  Bischof  übergebene  Stola 
bemerkt  habe,  gleich  als  wenn  ihm  ein  großes  Übel  begegnet  wäre,  sofort  in  Tränen 
ausgebrochen,  und  er  habe  lange  Zeit  nicht  gewußt,  wie  er  es  wagen  dürfe,  aus  dem 
Kloster  zu  gehen.  Auch  vom  hl.  Thomas  von  Canterbury  wird  noch  berichtet,  er  habe 
die  Stola,  Christi  Joch,  alle  Tage  um  seine  Schultern  gehabt 2. 

AVas  die  Tragweise  der  Stola  anlangt,  so  haben  wir  zuzusehen  erstens, 
welche  Stelle  das  Ornatstück  in  der  Reihenfolge  der  liturgischen  Gewänder 
einnahm,  und  zweitens,  wie  man  sie  anzulegen  pflegte. 

Was  den  ersten  Punkt  anlangt,  so  ist  es  zweifellos,  daß  sich  das  Orarium, 
so  oft  es  in  Verbindung  mit  der  Planeta  gebraucht  wurde,  stets  gerade  wie 
noch  jetzt  unter  derselben,  nie  über  derselben  befand.  Es  erhellt  das  sowohl 
aus  den  Angaben  der  Liturgiker  und  der  liturgischen  Bücher,  als  auch  aus 
den  Monumenten.  Es  ist  uns  nur  eine  Miniatur  bekannt,  auf  welcher  die 
Stola  sich  über  der  Kasel  befindet.  Sie  gehört  dem  karolingischen  Psalterium 
der  St  Gallener  Stiftsbibliothek  an.  Es  ist  offenbar  nichts  als  Naivität  oder 
Willkür  des  Miniators,  wenn  er  auf  derselben  den  hl.  Gregor  oder  wer  immer 
der  Heilige  sein  soll,  mit  der  Stola  über  der  Planeta  dargestellt  hat3. 

Eine  auffallende  Verschiedenheit  herrscht  im  9.  und  10.  Jahrhundert 
hinsichtlich  der  Angaben  über  die  Weise,  wie  Papst  und  Bischöfe  die  Stola 
trugen.  Hier  hatte  sich  offenbar  eine  bestimmte,  dauernde  Praxis  noch 
nicht  gebildet.  Der  Papst  hatte  das  Orarium  dem  3.  Ordo  wie  dem  St  Gallener 
Katalog  zufolge  zwar  unter  der  Planeta,  aber  über  den  beiden  Dalmatiken, 
während  er  nach  späterem  Brauche  dasselbe  unmittelbar  nach  dem  päpstlichen 
Fano  anlegte,  also  ehe  er  sich  mit  Tuniceila  und  Dalmatik  bekleidete. 

Bei  den  Bischöfen  finden  wir  die  Stola  im  St  Gallener  Verzeichnis 
über  der  Obertunika,  im  9.  Ordo  zwischen  der  dalmatica  minor  (Tunicella) 
und  dalmatica  maior,  bei  Hraban,  der  nur  einer  Dalmatik  der  Bischöfe  ge- 
denkt, unter  dieser  Dalmatik,  bei  Amalar,  der  dieselben  mit  Tunicella  und 
Dalmatik  ausgestattet  sein  läßt,  unter  der  Tunicella. 

Auch  auf  den  bildlichen  Darstellungen  gewahren  wir  eine  ähnliche  Ver- 
schiedenheit. So  bemerken  wir  z.  B.  auf  dem  Widmungsbild  der  Bibel  Karls 
des  Kahlen  (vgl.  Titelbild)  und  auf  zwei  Miniaturen  des  Sakramentars  von 
Autun  (Gregor  d.  Gr.  und  die  „sieben  Weihegrade")  das  Orarium  unter  der 
Dalmatik,  während  wir  es  bei  den  hll.  Sixtus  und  Gregor  auf  dem  Manipel 
Frithestans  von  Winchester  im  Museum  zu  Durham,  bei  der  Abbildung  eines 
den  Segen  spendenden  Bischofs  im  Benediktionale  Ethelwolds  u.  a.  über  der 
Dalmatik  finden. 


1  Ioann.  Cluniac. ,  Vita  S.  Odonis  1.  1, 
n.  87  (M.  133,  60).  Nagold.,  Vita  eiusd. 
c.  26  (ebd.  96). 

2  Heribert.,  Vita  S.  Thomae  Cantuar. 
1.  3,  c.  6  (M.  190,  1095):  Thomas  quodam 
sacri  ordinis  insigni,  quod  stola  seu  orarium 
dicitur,  mox  ut  sacerdos  utrumque,  quod 
sacerdotum  est  humerum,  ambiebat  et  hoc 
quotidie  et  in  omnium  visu  gestabat.    Wenn 


man  auch  Johannes  von  Salisbury  erzählen 
läßt,  es  habe  der  Heilige  Tag  und  Nacht  das 
süße  Joch  Christi  um  seinen  Hals  gehabt, 
so  ist  zu  bemerken,  daß  sich  in  dessen  Vita 
S.  Thomae  kein  Wort  darüber  findet. 

3  Gute  Abbildung  bei  R.  Rahn,  Das  Psal- 
terium aureum  von  St  Gallen,  St  Gallen  1878, 
Tfi  VII.  Das  Pallium  ist  wohl  nicht  ge- 
meint. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


585 


Auch  Her  bringt  erst  das  zweite  Jahrtausend  eine  einheitliche  Praxis. 
Die  Ordnung  der  Pontifikalgewänder  ist  nun  regelmäßig:  Amikt,  Albe,  Cin- 
gulum,  Stola,  Tunicella,  Dalmatik,  Kasel,  Manipel  usw. 

DieDiakone  trugen,  wo  der  römische  Brauch  galt,  das  Orarium  unter 
der  Dalmatik ;  auch  im  Frankenlande,  wo  sie  unter  der  Herrschaft  des  galli- 
kanischen  Ritus  die  Stola  über  der  Alba,  ihrer  liturgischen  Tunika  gehabt 
hatten.  Über  der  Obertunika  finden  wir  bei  den  Diakonen  das  Orarium  nach 
dem  9.  Jahrhundert  nur  im  ambrosianischen  Ritus  und  in  Süditalien. 

Im  südlichen  Italien,  wo  die  Gewohnheit,  die  diakonale  Stola  sicht- 
bar über  dem  Obergewand  zu  tragen,  wohl  dem  dort  mächtigen  griechischen 
Einfluß  ihre  Entstehung  verdankte,  ging  man  in  späterer  Zeit  zum  römischen 
Brauch  über.  Doch  erhielt  sieh  die  alte  Sitte  wenigstens  bis  zum  13.  Jahrhundert. 
Es  ergibt  sich  das  aus  einer  großen 
Anzahl  beneventaniseher  und  capua- 
nischer  Miniaturen  des  11.  und 
12.  Jahrhunderts,  so  z.  B.  aus  einer 
Darstellung  in  der  Enzyklopädie  des 
Hrabanus  Maurus  zu  Monte  Cassino 
(11.  Jahrhundert)1,  dem  Weiheordo 
Landulfs  IL  von  Benevent  in  der 
Casanatense    zu    Rom    (Beginn    des 

12.  Jahrhunderts)2  und  den  teils  dem 
11.,  teils  dem  12.  Jahrhundert  an- 
gehörenden Exultetroteln  der  Vati- 
cana,  der  Casanatense  und  Barbe- 
riniana  zu  Rom,  des  Domes  zu  Bari, 
der  Klosterbibliothek  zu  Monte  Cas- 
sino, des  Domes  zu  Capua 3  u.  a. 
(Bild  276).  Überall  haben  hier  die 
Diakone  die  Stola  über  ihrem  Ober- 
gewande.  Auch  auf  der  Exultet- 
rolle  von  Salerno   aus    dem  frühen 

13.  Jahrhundert   ist    das    noch    der 
Fall.    Andere  bemerkenswerte  Bei- 
spiele liefern  die  herrlichen  Mosaiken 
des  Domes  von  Monreale   mit   den   heiligen  Diakonen  Laurentius,  Stephanus, 
Genesius,  Euplius  und  Vinzentius  i. 

In  Mailand  ist  es  bis  auf  die  Gegenwart  Sitte  geblieben,  daß  der 
Diakon  die  Stola  über  der  Dalmatik  trägt.  Wer  die  mittelalterlichen  Kunst- 
denkmäler in  Mailand  und  dem  Mailänder  Gebiet  durchforscht,  wird  häufig 
auf  Bildwerke  stoßen,  die  von  dem  Brauche  Zeugnis  ablegen;  allen  voran 
der  Palliotto  von  S.  Ambrogio5,  dieses  Meisterwerk  der  Goldschmiede-  und 
Emaillierkunst  aus  der  Mitte  des  9.  Jahrhunderts,  dann  das  Apsismosaik 
in  S.  Ambrogio,    das   ebenfalls   vielleicht   noch   dem   ersten   Jahrtausend   an- 


Bild 276.     Segnung  der  Osterkerze.     Miniatur 
eines  Exultetrotels.     Gaeta. 


1  Abbildung  in  Miniature  sacre  e  profane 
dell'  anno  1023,  Monte  Cassino  1896,  tav.  14. 

2  Vgl.  die  Abbildung  bei  Wilp.,  Cap.  67 
73  und  Gew.  Fig.  28  33. 

3  Vorzügliche    Abbildungen    einer   Anzahl 
dieser  Exultetroteln   in  Les   miniatures    des 


rouleaux  d'Exultet ,  Monte  Cassino  1899. 
Andere  bei  Wilp.,  Cap.  85  89.  Vgl.  auch 
Ag.  Malerei  Tfl  53  54. 

1  Gravina,  II  Duomo  di  Monreale,  Palermo 
1859,  tav.  14  D  17  E  24  A. 

5  Roh.  I,  pl.  viii. 


586  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

gehört.  Ein  Monument  aus  der  Frühe  des  13.  Jahrhunderts,  auf  das  zu  ver- 
weisen wäre,  ist  das  Basrelief  an  S.  Maria  Beltrada  zu  Mailand  1,  welches  eine 
Prozession  zu  Ehren  der  Gottesmutter  darstellt.  Aus  der  letzten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts  sei  ein  prächtiges  Marmorrelief  in  dem  Dom  zu  Monza 
(Bild  277)  genannt.  Ein  vortreffliches  Beispiel  aus  dem  Beginne  des  14.  Jahr- 
hunderts liefern  die  Reliefs  des  Sarkophags  des  Bischofs  Berardus  in  der 
Rotonda  zu  Brescia.  Seit  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts  häufen  sich  die 
Darstellungen,  auf  denen  Diakone  nach  ambrosianischem  Brauche  mit  der 
Stola  über  der  Dalmatik  erscheinen,  so  sehr,  daß  es  unnötig,  ja  unmöglich 
ist,  dieselben  im  einzelnen  namhaft  zu  machen. 

Die  Diakone  tragen  im  Mailändischen  die  Stola  unter  der  Dalmatik  bloß, 
wenn  sie  an  den  drei  ersten  Tagen  der  Karwoche  nach  der  Terz  die  Lektionen 
aus  dem  Buch  Job  singen.  Es  ist  das  unzweifelhaft  eine  sehr  alte  Sitte. 
Indessen  mag  füglich  bezweifelt  werden,  ob  das  ca  5,00  m  lange  und  0,08  m 
breite  weiße  Linnenband,  mit  dem  sie  dann  ausgestattet  sind  und  welches  sie 
kreuzweise  über  Brust  und  Rücken  geschlungen  haben,  wirklich  eine  Stola 
ist.     Alter  und  Ursprung  des  Brauches  ist  unbekannt 2. 

Bezüglich  der  Gewandung  der  Subdiakone  heißt  es  im  St  Gallener 
Katalog :  Subdiaconi  camisia ,  cingulum ,  deinde  anagolagium  et  tunica  alba, 
orarium  et  sestace  in  manu  sinistra.  Die  Subdiakone  hatten  sonach  das 
Orarium  über  der  Obertunika,  wahrscheinlich  um  es  gegebenen  Falles  leichter 
abnehmen  zu  können.  Hinsichtlich  der  Akolythen  lesen  wir  ebendort : 
Tunica  alba  et  orarium  ad  Collum  et  planeta.  Auch  sie  hatten  also  ihr  Ora- 
rium wie  die  Subdiakone  über  der  Tunika. 

Was  die  Anlegun  gs weise  des  Ornatstückes  anlangt,  so  erinnern 
wir  daran,  daß  nach  der  jetzigen  Praxis  der  Diakon  die  Stola  als  Schärpe 
so  auf  der  linken  Schulter  trägt,  daß  die  beiden  Streifen,  quer  über  Brust 
und  Rücken  verlaufend,  unter  dem  rechten  Arm  zusammenkommen;  der  Priester 
legt  sie  auf  Hals  und  Schultern  und  läßt  dann  die  beiden  Bänder  entweder 
vorn  herabhangen,  oder  er  kreuzt  dieselben  über  der  Brust,  je  nachdem  er 
mit  einem  Superpelliceum  oder  mit  Albe  und  Cingulum  versehen  ist.  Bei 
dem  Bischof  fallen  stets  die  beiden  Stolenstreifen  vorn  gerade  herab.  So 
war  es  indessen  in  allem  dem  nicht  immer.  Auch  in  Bezug  auf  die  Trag- 
weise der  Stola  hat  es  eine  Entwicklung  gegeben,  obwohl  wir  dieselbe  nur 
in  ihren  Hauptzügen  verfolgen  können. 

Daß  wenigstens  bereits  im  13.  Jahrhundert  der  Diakon  die  Stola  in  der 
jetzigen  Weise  trug,  erhellt  aus  Durandus,  welcher  bemerkt,  der  Levit  lege 
an  Fasttagen  beim  Amte  die  Kasel  zusammengefaltet  nach  Art  der  Stola  um, 
indem  er  sie  nämlich  auf  die  linke  Schulter  werfe,  dann  nach  der  rechten 
Seite  herüberziehe  und  dort  unter  dem  Arm  befestige.  Ja  es  kennt  schon 
mehr  als  100  Jahre  früher  Honorius  diese  Anlegungsweise  der  Diakonal- 
stola.  Zu  Amalars  Zeiten  war  selbige  aber  noch  nicht  Brauch,  denn  dieser 
bemerkt  ausdrücklich,  erstens  daß  die  Stola  des  Diakons,  von  welcher  er  an 
dem  betreffenden  Orte  allein  redet,  zu  den  Knieen  sich  herabziehe  (ad  genua 
tendit)3,  zweitens  daß  dieselbe  dem  Halse  aufgelegen  habe:  Sciat  diaconus 
in  stola  superposita  collo  se  ministrum  evangelii  esse,  non  praepositum. 
Auch  der  9.  Ordo  sagt  unterschiedslos  bezüglich  der  Priester  und  Diakone: 
A  pontiiice  (sc.  oraria)  super  eorum  colla  ponantur4.    Aus  dem  St  Gallener 

1  Abbildung  bei  Magistretti  5.  s  C.  20  (M.  105,  1096). 

2  Vgl.überdieSitteauchMagistretti63.  *  N.  8  (M.  78,  1008). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


587 


Verzeichnis  erhellt,  daß  selbst  die  Akolythen  ihr  Orarium  am  Halse  trugen: 
orarium  ad  Collum. 

Nur  wenn  der  Diakon,  wie  schon  früher  gelegentlich  bemerkt  wurde, 
sich  statt  der  Dalmatik  d-er  Planeta  bediente,  trug  er  vom  Evangelium  an 
das  Ornatstück  in  Form  einer  von  der  linken  Schulter  über  Brust  und  Rücken 
unter  den  rechten  Arm  sich  hinziehenden  Schärpe.  In  der  Folge  wurde  dann, 
was  im  9.  Jahrhundert  noch  Ausnahme  war  und  nur  gelegentlich  geschah, 
feststehende  allgemeine  Regel. 

Wie  lange  der  römische  Brauch  sich  erhielt,  wonach  auch  die  Diakone 
für  gewöhnlich  die  Stola  um  den  Hals  trugen,  ist  nicht  zu  bestimmen. 
Die  liturgischen  Bücher  wie  die  Liturgiker  bieten  zu  wenig  darüber.  Sollen 
wir  den  mittelalterlichen  Bildwerken  Glauben  schenken ,  so  wäre  er  hie  und 
da  sogar  noch  im  13.,  ja  14.  Jahrhundert  in  Kraft  gewesen.  Denn  bis  zu 
dieser  Zeit  treffen  wir  Darstellungen  von  Diakonen  an, 
bei  denen  die  beiden  Enden  der  Stola  vorn  unter  der 
Dalmatik  zum  Vorschein  kommen.  Beispiele  bieten  das 
Tropar  von  Prüm  in  der  Pariser  Nationalbibliothek  aus 
dem  Ende  des  10.  Jahrhunderts  (vgl.  Bild  121,  S.  262), 
eine  Miniatur  der  kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  mit  einer 
Darstellung  Sigeberts  von  Minden  aus  dem  Beginn  des 
11.  Jahrhunderts  (vgl.  Bild  124,  S.  266),  der  leider 
im  Original  bei  der  Belagerung  von  Straßburg  verbrannte 
Hortus  deliciarum  der  Herrad  von  Landsberg  (12.  Jahr- 
hundert) 1,  die  Statuen  des  hl.  Laurentius  am  Portal  von 
St-Germain-lAuxerrois  zu  Paris  und  des  hl.  Stephanus 
am  Portal  der  Kathedrale  von  Chartres  (13.  bzw.  14.  Jahr- 
hundert) u.  a. 2  Haben  wir  es  der  Phantasie  des  Künst- 
lers zuzuschreiben  und  es  als  eine  unkorrekte  Darstellungs- 
weise anzusehen,  wenn  auf  den  genannten  Bildwerken  die 
diakonale  Stola  nach  Weise  der  Priesterstola  abgebildet 
ist,  oder  entsprechen  dieselben  dem  tatsächlichen  Ver- 
hältnis? Man  wird  vielleicht  am  besten  zwischen  den 
Bildwerken  aus  dem  ersten  Jahrtausend  und  den  späteren 
Darstellungen  unterscheiden.  Die  ersten  mögen  wirklich 
einen  noch  bestehenden  Brauch  wiedergeben,  die  letzteren  jedoch  sicher  nicht 
mehr.  Wenigstens  darf  das  mit  Bestimmtheit  von  den  Monumenten  des  12., 
13.  und  14.  Jahrhunderts  behauptet  werden,  da  es  um  das  12.  Jahrhundert 
unzweifelhaft  schon  überall  Brauch  war,  daß  die  Diakone  die  Stola  auf  der 
linken  Schulter  hatten.  Es  erhellt  das  zur  Genüge  aus  den  Angaben  der 
Liturgiker  des  12.  Jahrhunderts  wie  auch  aus  den  damaligen  liturgischen 
Büchern.  Aus  dem  zweiten  Jahrtausend  ist  uns  kein  Pontifikale  bekannt, 
demzufolge  der  Bischof  bei  der  Diakonatsweihe  die  Stola  noch  auf  den  Nacken 
des  Ordinanden  zu  legen  hatte.  Es  mag  aber  eine  Reminiszenz  an  früheren 
Brauch  sein,  wenn  wir  noch  in  späterer  Zeit  auf  Bildwerken  gewisse  heilige 
Diakone  —  es  sind  namentlich  die  hll.  Stephanus  und  Laurentius  —  als  ikono- 
graphische  Eigenheit  die  Stola  nach  Art  der  Priester  tragen  sehen. 


Bild  277.     Diakon. 

Marmorrelief. 

Monza,  Dom.    (Phot.  Alinari.) 


1  Herrade  de  Landsberg,  Hortus  de- 
liciarum, Straßburg  1901,  TA  lxviii. 

2  Vgl.  z.B.  Macalister,  Eccl.  Test.  80 


(Bildwerke  der  Kath.  von  StDavid'sin  Wales), 
Lind,  Ein  Antiphonar  mit  Bilderschmuck, 
Wien  1870,  Tfl  43  und  Roh.  VII,  pl.  dxlii. 


588  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

In  Süditalien  und  in  Mailand  scheinen  die  Diakone  gerade  wie  in 
Spanien  und  in  der  Ostkirche  das  Orarium  stets  auf  die  linke  Schulter  ge- 
legt zu  haben.  Wie  die  Bildwerke  zeigen ,  fielen  die  beiden  Enden  des 
Ornatstückes  lose  von  der  Schulter  nach  vorn  und  rückwärts  herab.  So  ge- 
wahren wir  es  z.  B.  auf  den  Reliefs  des  Palliotto  in  S.  Ambrogio. 

Wie  weit  die  Bestimmung  des  Konzils  von  Braga,  wonach  der  Celebrans 
(Bischof  und  Priester)  bei  der  Messe  das  Orarium  über  der  Brust  gekreuzt 
tragen  sollte,  im  übrigen  Abendland  zur  Geltung  gelangte,  läßt  sich  nicht 
feststellen.  Jedenfalls  war  im  12.  Jahrhundert  diese  Anlegungsweise  nicht 
allgemein  üblich.  Denn  wenn  auch  Bruno  von  Segni  und  Honorius  bemerken, 
die  Stola  werde  kreuzweise  über  die  Brust  gelegt,  so  ersehen  wir  doch  aus 
den  Ausführungen  Ivos  von  Chartres  i,  daß  zu  seiner  Zeit  auch  die  Gewohnheit 
bestand,  die  Stolenstreifen  über  die  Brust  gerade  herabhangen  zu  lassen. 
Zu  Rom  war  um  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts  die  Vorschrift,  von  welcher 
der  4.  Kanon  des  Konzils  von  Braga  redet ,  nicht  in  Kraft 2.  Wenigstens 
gilt  das  bezüglich  der  Bischöfe.  Aber  auch  außerhalb  Roms  wurde  sie, 
wie  wir  von  Durandus  erfahren ,  nicht  überall  beobachtet.  Nam  non  ubique 
partes  stolae  reducuntur  ante  pectus  in  modum  crucis.  Und  zwar  gilt  diese 
Bemerkung  nicht  bloß  von  den  Bischöfen,  sondern  auch  von  den  Priestern. 
In  episcopo  vero  vel  sacerdote  ab  utraque  parte  aequaliter  dependent 3. 

In  England  trug  der  Priester  am  Ende  des  14.  Jahrhunderts  die  Stola 
kreuzweise  vorn  über  der  Albe  4.  Mit  einer  auf  der  Brust  gekreuzten  Stola 
ist  auf  einem  dem  13.  Jahrhundert  entstammenden  Wandgemälde  in  St  Cäcilien 
zu  Köln  ein  taufender  Papst  abgebildet.  Gute  Beispiele  der  über  der  Brust 
gekreuzten  priesterlichen  Stola  liefert  im  12.  Jahrhundert  namentlich  das 
Rituale  von  Lambach 5.  Im  14.  und  15.  Jahrhundert  sind  Darstellungen  dieser  Art 
häufig.  Auf  den  Bildwerken  aus  der  Spätzeit  des  ersten  und  dem  Beginn  des 
zweiten  Jahrtausends  hängt  die  Stola  in  der  Regel  gerade  herab  6.  Der  gegen- 
wärtigen Praxis,  welche  zwischen  Bischof  und  Priester  unterscheidet 
und  durch  die  Aufnahme  in  das  römische  Missale  und  in  das  Caeremoniale 
der  Bischöfe  ihre  allgemeine  Verbindlichkeit  erhielt,  begegnen  wir  bereits  im 
Pontifikale  des  Durandus  7.  „Die  gewöhnlichen  Priester",  heißt  es  dort,  „sollen 
das  Orarium  in  Kreuzesform  über  ihre  Brust  legen;  dagegen  ziemt  es  sich 
für  die  Bischöfe,  dessen  Enden  vorn  gerade  herabhangen  zu  lassen."  Indessen 
wurde  der  hier  gemachte  Unterschied  zu  des  Durandus  Zeit  noch  keineswegs 
allgemein  beobachtet,  wie  das  aus  den  vorhin  angeführten  Worten  des  Rationale 
hervorgeht.  Nach  den  Meßerklärungen  des  ausgehenden  Mittelalters  ordneten 
die  Priester  damals  regelmäßig  die  Stola  kreuzweise  über  der  Brust. 

Beim  umgegürteten  Superpelliceum,  welches  bereits  vor  1200  bei  ein- 
zelnen Funktionen  die  Albe  zu  ersetzen  begann,  ließ  man  natürlich  stets  die 
Stolastreifen  vorn  gerade  herabfallen. 

Des  Brauches,  die  Stola  vor  dem  Anlegen  derselben  zu  küssen,  wie 
solchen  das  römische  Missale  vorschreibt,  gedenkt  bereits  Durandus  in  seinem 


1  Sermo  3  (M.  162,  525).  5  Abbildungen  bei  Franz,  Das  Rituale  von 

2  Inno cent.  III.,  De  sacrif.  missae  1.  1,  St  Florian,  Freiburg  1904,  Tfl  2 ff. 

c.  5  t    (M.  217,    794).      Über    den   gleichen  6  Die  Stola  fällt  bei  dem  taufenden  Priester 

römischen  Gebrauch  in  späterer  Zeit  vgl.  ordo  gerade  herab  z.  B.  auf  der  Miniatur  der  Wesso- 

14,  c.  53  (M.  78,   1157).  brunner  Handschrift  (Bild  275,  S.  583),  ferner 

3  L.  3,  c.  5;  f.  69.  auf  einer  Taufdarstellung  in  einem  Sakramen- 

4  Bromyard.,  Summa  praedicantium,  bei  tar  der  Bamberger  Bibliothek  (A  II,  52)  u.  a. 
Chambers  49.  7  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  23;  1221. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  589 

Rationale  1.  Er  deutet  denselben  auf  die  Bereitwilligkeit  des  Priesters,  sich 
den  Geboten  des  Herrn  zu  unterwerfen.  Auch  der  14.  Ordo  Mabillons  kennt 
bereits  die  Sitte 2. 

VI.    DIE  ÜBERREICHUNG  DER  STOLA  IM  WEIHERITUS. 

Schon  im  7.  Jahrhundert  bestand,  wie  wir  sahen,  in  Spanien  die  Ge- 
wohnheit, dem  Diakon,  dem  Priester  und  selbst  dem  Bischof  bei  der  Weihe 
das  Orarium  zu  überreichen.  Ob  diese  Weihezeremonie  vor  dem  9.  Jahr- 
hundert im  Abendland  weit  verbreitet  war,  läßt  sich  nicht  feststellen.  Nach 
800  scheint  aber  dieselbe  in  den  meisten  Teilen  der  abendländischen  Kirche 
einheimisch  gewesen  zu  sein.  Daß  der  Diakon  zur  Zeit  Amalars  bei  der 
Weihe  die  Stola  empfing,  sagt  dieser  Liturgiker  mit  ausdrücklichen  Worten. 
Wenn  noch  nicht  in  allen  Sakramentaren  und  Pontifikalien  des  9.  und 
10.  Jahrhunderts  im  Weiheritus  von  der  Überreichung  und  Anlegung  der 
Stola  die  Rede  ist,  so  kann  das  nicht  befremden.  Dieselben  waren  damals 
ja  noch  erst  in  ihrer  Entwicklung  und  Ausgestaltung  begriffen,  und  es  dauerte 
noch  einige  Zeit,  bis  sie  Missalien  und  Pontifikalien  in  unserem  Sinne, 
d.  i.  Missalien  und  Pontifikalien  mit  allen  Gebeten  und  Rubriken,  wurden. 
Immerhin  findet  sich  die  Zeremonie  schon  in  manchen  Pontifikalien  und 
Sakramentaren  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  verzeichnet8;  außerdem  ge- 
denken auch  der  8.,  der  9.  Ordo  Mabillons  sowie  der  von  Duchesne  heraus- 
gegebene römische  Ordo  der  Übergabe  des  Orarium  an  den  zu  ordinierenden 
römischen  Kleriker  bzw.  Diakon  und  Priester.  Seit  dem  Beginn  des  zweiten 
Jahrtausends  begegnet  uns  die  Rubrik,  welche  von  der  Anlegung  der  Stola 
handelt,  im  Weiheritus  des  Diakons  und  des  Priesters  fast  regelmäßig.  Ältere 
Pontifikalien  und  Sakramentarien,  die  ursprünglich  diese  Zeremonie  nicht  er- 
wähnten, werden  nunmehr  wohl  mit  darauf  bezüglichen  Einschiebseln  ver- 
sehen,  so    das  Sakramental'  Leofrics  von  Exeter i. 

In  zahlreichen  Pontifikalien  des  11.  und  der  nächstfolgenden  Jahrhunderte 
findet  sich  im  Weiheritus  des  Diakons  die  Übergabe  der  Stola  unter  der  Rubrik : 
Ad  consummandum  diaconatus  officium.  Martene  glaubt  zwar  nicht,  daß  durch  diese 
Bemerkung  jene  Zeremonie  als  wesentlicher  und  zur  Gültigkeit  der  Weihe  erforder- 
licher Bestandteil  der  Weihe  bezeichnet  werde.  Wie  dem  jedoch  sein  mag,  tatsächlich 
herrschte  seit  Ende  des  12.  Jahrhunderts  mehrfach  die  Ansicht,  es  gehöre  die  An- 
legung der  Stola  zur  Substanz  der  Diakonatsweihe.  Vielleicht,  daß  gerade  die  an- 
geführte Rubrik  in  Verbindung  mit  dem  Umstand ,  daß  die  Stola  als  die  diakonale 
Insignie  betrachtet  wurde ,  diese  Meinung  veranlaßte.  Dieselbe  ist  indessen  schon 
lange  mit  Recht  aufgegeben. 

Nach  der  jetzigen  Vorschrift  des  römischen  Pontifikale  spricht,  wie 
früher  schon  bemerkt  wurde,  der  Bischof,  wenn  er  dem  Diakon  die  Stola 
auf  die  linke  Schulter  legt:  „Nimm  hin  die  weiße  Stola  (das  weiße  Gewand) 
aus  Gottes  Hand  und  vollziehe  deinen  Dienst;  denn  Gott  ist  mächtig  genug, 
dir  seine  Gnade  zu  vermehren."  Führt  er  hingegen  bei  der  Priesterweihe 
den  über  den  Rücken  des  Ordinanden  sich  hinziehenden  Streifen  des  Gewand- 
stückes über  dessen  rechte  Schulter  nach  vorn,  so  sagt  er:  „Nimm  hin  des 
Herrn  Joch,  denn  sein  Joch  ist  süß  und  seine  Bürde  leicht." 


1  L.  3.  c.  5  ;  I  68.  Pontifikale  von  Aletis,  den  Sakramentaren  von 

2  C   53  (M.  78,   1157).  Moyssac   und  Tours  u.  a.    Vgl.  die  Auszüge 

3  Beispielsweise  in  einem  Mailänder  Pon-  bei  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  2ff;  II  31  ff. 
tifikale  (M  agi  strett  i ,  Monumenta  43),  in  4  Warren,  The  Leofric  missal,  Oxford 
den  Pontifikalien  Egberts  und  Dunstaus,  dem  1883,  215. 


590  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Beide  Formeln  nehmen  ersichtlich  auf  das  Amt  des  Diakons  bzw.  Priesters 
Bezug.  Sie  treten,  allerdings  neben  andern,  bereits  seit  dem  12.  Jahrhundert  in 
den  Pontifikalien  des  Mittelalters  auf.  Doch  auch  in  den  übrigen  Weihegebeten 
erscheint  die  Stola  häufig  als  Sinnbild  des  Amtes.  Ganz  besonders  tritt  diese  ihre 
Bedeutung  in  den  höchst  interessanten  Worten  zu  Tage,  mit  denen  in  angelsächsischen 
und  verwandten  Pontifikalien  der  Bischof  die  Übergabe  der  Stola  an  den  Diakon 
begleitet.  Da  dieselben  für  die  Anschauungen  der  damaligen  Zeit  sehr  bedeutsam 
sind,  seien  sie  hier  nach  dem  sog.  P-ontifikale  Egberts  wiedergegeben :  Accipe  stolam, 
quam  tibi  Dominus  per  humilitatis  nostrae  famulatum  seu  per  manus  nostras  accipien- 
dam  praeparavit,  per  quam  scias  sarcinam  Domini  Dei  tui  cervicibus  tuis  impositam 
esse  et  ad  hivmilitatem  atque  ministrationem  te  esse  conexum  et  per  quam  te  cogno- 
scant  fratres  tui  ministrum  Dei  esse  ordinatum ,  ut  qui  in  diaconatus  ministerio  es 
constitutus,  leviticae  benedictionis  ordine  clarescas  et  spiritali  conversatione  prae- 
fulgens  gratia  sanctificationis  eluceas.  Sed  et  in  Christo  Iesu  firmus  et  stabilis 
perseveres ,  quatenus  hoc ,  quod  per  hanc  stolam  significatur ,  in  die  districti  iudicii 
ante  tribunal  Domini  sine  macula  repraesentare  valeas,  ipso  auxiliante,  cui  est 
honor  et  gloria  in  saecula  saeculorum.     Amen. 

In  dem  Ritus  der  Überreichung  der  Stola  herrschte  im  früheren  Mittel- 
alter eine  nicht  geringe  Mannigfaltigkeit.  Nach  einigen  Pontifikalien  legte 
der  Bischof  noch  vor  der  Handauf  legung  dem  Diakon  die  Stola  an;  nach 
andern  geschah  das  erst  am  Schluß  der  Weihe.  Im  9.  römischen  Ordo  übergibt 
nicht  der  Bischof,  sondern  der  Archidiakon  dem  Ordinanden  das  Orarium, 
während  in  andern  gleichzeitigen  Ordinationsriten  der  Bischof  selber  solches 
tut.  Nach  dem  Weiherotel  Landulfs  erhielt  der  Diakon  zuerst  die  Dalmatik 
und  dann  die  Stola,  weil  es  in  Süditalien  gebräuchlich  war,  die  Stola  über 
der  Dalmatik  zu  tragen;  nach  römischem  Ritus  wurden  dagegen  die  Diakone 
umgekehrt  erst  mit  dem  Orarium  und  dann  mit  der  Dalmatik  bekleidet.  Be- 
züglich des  Wechsels  der  Stola  bei  der  Priesterweihe  finden  sich  ähnliche 
Verschiedenheiten.  Wann  eine  größere  Einheit  in  diesen  Riten  eingetreten 
ist,  läßt  sich  kaum  annähernd  feststellen.  Doch  scheint  eine  solche  schon 
um  das  12.  Jahrhundert  sich  gebildet  zu  haben.  Freilich  eine  volle  Über- 
einstimmung herrscht  selbst  in  den  Pontifikalien  des  14.  und  15.  Jahrhunderts 
noch  nicht. 

Die  Sitte,  dem  Diakon  bei  der  Weihe  die  Stola  auf  die  linke  Schulter 
zu  legen ,  bei  der  Ordination  des  Priesters  aber  den  rückwärts  herab- 
fallenden Streifen  über  die  rechte  Schulter  nach  vorn  herüberzuziehen,  er- 
wähnen schon  Pontifikalien  des  10.  Jahrhunderts1.  Seit  dem  12.  ist  sie,  wie 
aus  den  Weiheformularen  erhellt,  allgemein  üblich. 

VII.    BESCHAFFENHEIT  DER  STOLA  IM  MITTELALTER. 

Über  die  Beschaffenheit  des  spanischen  Orarium  in  der  vorkarolingischen 
Zeit  wurde  schon  bei  Besprechung  der  Bestimmungen  der  Synoden  von  Braga 
und  Toledo  das  Nötige  gesagt.  Es  war  ein  streifenförmig  gefaltetes  Tuch, 
wenn  nicht  gar  ein  wirklicher  Streifen.  Das  Diakon alorarium  mußte  schlicht 
weiß  und  schmucklos  sein.  Das  Orarium  der  Priester  und  Bischöfe  werden 
wir  uns  aber  wohl  als  mit  farbigen  und  goldenen  Verzierungen  versehen  zu 
denken  haben.    Wenigstens  scheint  das  den  Diakonen  gegebene  Verbot,  andere 


1  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  10,  ordo  5;  II  46;  selbe:  Cir  cum  den  tur  hum  eri  eius  stola 
ordo 8;  II  39,  wo  statt  mittas  zu  lesen  ist  mu-  ab  episcopo;  bei  der  Diakonatsweihe  heißt  es 
tas;  ordo  2;  II  35  hat  dem  Sinne  nach  das-         nämlich:  Circumdetur  eius  numerus  sinister. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


591 


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als   einfach  weiße  Orarien  zu  tragen,  auf  eine   reichere  Aus- 
stattung des  priesterlichen  und  bischöflichen  Orarium  hinzudeuten. 

Über  die  Beschaffenheit  der  Stola  im  gallikanischen 
Ritus  wissen  wir  nichts  Näheres.  Die  gallikanische  Meßerklä- 
rung macht  uns  darüber  leider  keine  Angaben.  Wohl  werden 
illllllllllll  verschiedene  Stolen  aufbewahrt,  die  aus  einer  Zeit  stammen 
sollen,  ila  noch  der  uallikanische  Ritus  in  Krafl  war;  so  die 
schon  erwähnte  Stola  des  hl.  Cäsarius  von  Arles  zu  Arles,  die 
des  hl.  Martin  von  Tours  zu  Aschaffenburg,  die  des  hl.  Huber- 
tus (f  727)  zu  St-Hubert  u.  a.  (Bild  278).  Doch  müssen  wir 
darauf  verzichten,  uns  bei  ihnen  Aufschluß  über  die  Be- 
schaffenheit der  gallikanischen  Stola  zu  holen.  Dieselben 
stammen  alle  aus  späterer  Zeit.  Wie  es  mit  dem  Orarium  in 
Italien  in  vorkarolingischer  Zeit  aussah,  wissen  wir  gleich- 
falls nicht. 

Eine  bessere  Kenntnis  der  Stola  gewinnen  wir  erst  seit 
dem  9.  Jahrhundert.  Die  Liturgiker  lassen  uns  freilich  hin- 
sichtlich ihrer  Beschaffenheit  so  viel  wie  ganz  im  Stich,  und 
zwar  gilt  das  nicht  bloß  bezüglich  eines  Hraban  und  Amalar, 
sondern  auch  noch  bezüglich  eines  Honorius,  Sicard,  Innozenz 
und  selbst  Durandus.  Alle  schwei- 
gen einhellig  von  der  Farbe,  der 
Ausstattung  und  dem  Stoff  des 
Ornatstückes  und  geben  uns  höch- 
stens zu  verstehen,  daß  es  einen 
langen,  bis  fast  zum  Boden  rei- 
chenden Streifen  darstellte. 


Bild  278.    Stola. 

St-Hubert  (Ard.). 


Indessen  ersetzen  diesen  Mangel  zur  Genüge 
sonstige  gelegentliche  Notizen,  die  Angaben  der 
Schatzverzeichnisse,  die  Bildwerke  und  eine  Reihe 
von  noch  vorhandenen  Stolen. 

Über  den  Stoff,  aus  dem  die  Stola  ge- 
macht werden  mußte,  bestanden  keine  Bestim- 
mungen. Riculf  von  Soissons  will,  daß  jeder 
Priester  zur  Messe  eine  seidene  Kasel  habe; 
bezüglich  der  Stola  gibt  er  dagegen  keine  solche 
Vorschrift,  sondern  verlangt  nur  stolas  duas 
ndtidas,   „zwei  reine  Stolen". 

Noch  beim  Ausgang  des  Mittelalters  gab 
es  ebensowohl  Stolen  von  Linnen  und  Wollstoff 
wie  Stolen  von  Seide.  Zu  Fest-  oder  bischöf- 
lichen Stolen  verwendete  man  natürlich  besseres 
Material.  Doch  waren,  wie  aus  den  Inventaren 
hervorgeht,  schon  im  12.  Jahrhundert  auch  die 
Alltagsstolen  sehr  gewöhnlich  aus  Seide. 

Nicht  immer  wurden  übrigens  die  Stolen 
aus  streifenförmig  zugeschnittenen  Stoffen  an- 
gefertigt; man  stellte  sie  auch  unmittelbar  als 
Band  auf  dem  Webstuhl  her.  Solche  Stolen  sind 
z.  B.   die    sog.    Bernulfusstola    zu   Utrecht,    die 


Bild  279.    Stola  aus  dem  Grabe 

Theodorichs  II.  von  Trier. 

Trier,  Donmmseuni. 


592  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

St  Martinsstola  zu  Aschaffenburg  und  die  Stola  zu  St-Hubert.  Andere  lehr- 
reiche Beispiele  sind  eine  dem  hl.  Bernhard  zugeschriebene  Stola  in  St-Donat 
zu  Arlon ,  eine  von  demselben  Heiligen  der  Überlieferung  nach  herrührende 
Stola  in  der  Liebfrauenkirche  zu  Trier  und  die  im  Grabe  des  Trierer  Erz- 
bischofs Theodorich  IL  (f  1242)  aufgefundenen  Stolareste  im  Dommuseum  zu 
Trier  (Bild  279,  S.  591).  Alle  diese  Stolen  sind  nach  Art  breiter  Tressen  oder 
Borten  gewebt  und  teilweise  den  Besätzen  ähnlich,  mit  denen  man  die  Kasein 
und  die  sonstigen  Paramente  zu  verzieren  pflegte.  Übrigens  waren  bandartig 
gewirkte  Stolen  nicht  bloß  im  IL,  12.  und  13.,  sondern  auch  noch  im  14.  und 
15.  Jahrhundert  gebräuchlich.  Besondere  Erwähnung  verdienen  die  nach 
Weise  der  sog.  Kölner  Borten  gewebten  Stolen  mit  ihrer  kräftigen,  nach 
Farbe  und  Dessin  gleich  wirkungsvollen  Musterung.  Ein  gutes  Beispiel  der- 
selben findet  sich  im  Schatz  von  St  Marien  zu  Danzig,  ein  anderes  im  Schatz 
des  Domes  zu  Halberstadt. 

Schon  früh  werden  mit  Gold  verzierte  Stolen  genannt.  Sie  begegnen 
uns  schon  im  9.  Jahrhundert.  Eine  solche  Stola  sandte  z.  B.  Patriarch 
Nicephorus  dem  Papst  Leo  III.  zum  Geschenk.  Auch  in  den  Inventaren  des 
9.  Jahrhunderts  Averden  Stolen  dieser  Art  aufgeführt;  so  im  Verzeichnis  der 
Gaben  Ansegisus'  von  Fontanelle:  stolae  auro  paratae  5,  im  Inventar  von 
St  Bavo  zu  Gent:  stolam  1  auream  et  2  cum  auro,  im  Inventar  von  Mar- 
chiennes.  Bei  solchen  Stolen  bestand  entweder  bloß  das  Endstück  aus  einem 
Goldgewebe,  oder  es  war  das  ganze  Ornatstück  mit  Gold  durchwirkt  bzw. 
sein  Fond,  wie  bei  den  Resten  der  prächtigen  Stola  Frithestans  von  Winchester 
im  Museum  zu  Durham  (Anfang  des  10.  Jahrhunderts),  in  Gold  ausgestickt. 

Im  10.,  11.  und  12.  Jahrhundert  ist  häufig  von  kostbaren,  mit  Gold- 
verzierungen  versehenen  Stolen  in  den  Inventaren  die  Rede.  Man  vergleiche 
beispielsweise  das  Testament  Riculfs  von  Eine:  stolae  4  cum  auro,  die  In- 
ventare  von  Cremona:  3  stolae  aureae  egregio  opere  comptae,  und  Clermont- 
Ferrand:  stolae  ab  auro  3,  die  Schenkung  Madalwins  von  Passau:  stolae  2  .  .  . 
auro  et  gemmis  paratae,  die  Inventare  von  Lamspringe:  5  stolae  deauratae, 
Speier:  stolae  3  auro  textae,  Abdinghof  zu  Paderborn:  stolae  6  auro  textae, 
Ely:  15  stolae  cum  aurifriso  (sie),  Enger:  4  stolae  .  . .  auro  lapidibusque  ornatae, 
die  Schenkung  des  Bischofs  Pelagius  von  Leon  (1073):  2  stolae  argenteae  et 
alia  auro  fressa  (sie)  u.  a.  Zu  Prüfening  besaß  man  acht  mit  Gold  und  Silber 
geschmückte  Stolen;  zu  St  Gallen  hatte  man  ihrer  nach  einem  dem  11.  Jahr- 
hundert angehörenden  Inventar  sogar  achtzehn,  nicht  eingerechnet  die  acht 
goldverzierten  Stolen,  die  zu  ebensovielen  vollständigen  Meßornaten  gehörten. 
Das  Inventar  des  Domes  zu  Bamberg  aus  dem  Jahre  1128  erwähnt  17  Gold- 
stolen '.  Natürlich  war  man  nicht  überall  in  so  glücklicher  Lage  wie  zu 
St  Gallen  und  zu  Bamberg. 

Seit  dem  13.,  namentlich  aber  im  14.  und  15.  Jahrhundert  wurden  die 
Stolen  nicht  selten  mit  Gold  oder  vergoldeten  Blechen  in  der  Form  von 
Rosetten,  Vierpässen,  Rauten  usw.  besetzt.  Auch  verwandte  man  wohl  Email- 
plättchen,  Perlen  und  Edelsteine  zu  ihrer  Verzierung,  wenngleich  solche  Pracht- 
stolen, wie  leicht  begreiflich,  nicht  allzu  häufig  gewesen  sein  werden.  Mit 
besonderer  Vorliebe  aber  wurden  die  Stolen  mit  Stickereien  versehen,  und 
zwar  waren  es  nicht  bloß  geometrische  oder  vegetabilische  Muster,  mit  denen 
man  sie  bestickte,  sondern  auch  wohl  figürliche  Darstellungen. 


Vgl.  auch  Chron.  Cassin.  1.  3,  c.  18  74  (M.  G.  SS.  VII  711  753). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  593 

Schon  die  Stola  Frithestäns  im  Museum  zu  Durham,  die  vorzüglichste  und 
zugleich  eine  der  ältesten  unter  den  noch  erhaltenen  mittelalterlichen  Stolen, 
ist  mit  Heiligenfiguren  bestickt.  Auch  von  den  Stolen  aus  dem  späteren 
Mittelalter  sind  verschiedene  mit  Nadelmalereien  dieser  Art  versehen ;  so  z.  B. 
die  Stola  des  hl.  Edmund  zu  Pontigny,  die  zum  Meßgewand  des  sei.  Albertus 
Magnus  gehörende  Stola  in  St  Andreas  zu  Köln  und  die  interessante  in  der 
„Zeitschrift  für  christliche  Kunst"  von  A.  Schnütgen  veröffentlichte  Stola  in 
dem  Xantener  Dom.  Auch  die  Inventare  gedenken  solcher  mit  Bildwerk 
geschmückter  Stolen,  so  die  Inventare  von  St  Paul  zu  London,  von  Cluny 
und  St  Peter  zu  Rom  (1361),  das  Schatzverzeichnis  des  Apostolischen  Stuhles 
von  1295  u.  a. 

Fransen  und  Quasten  hat  man  schon  wenigstens  im  9.  Jahrhundert 
zur  Ausstattung  unseres  Ornatstückes  verwendet.  Auf  den  Miniaturen  der 
karolingischen  Zeit  ist  die  Stola  regelmäßig  unten  mit  Fransen  geschmückt. 
Auch  auf  den  Bildwerken  des  10.,  11.  und  der  folgenden  Jahrhunderte  fehlen 
die  fimbriae  selten,  und  so  bleibt  es  das  ganze  Mittelalter  hindurch.  Bei  reicheren 
Stolen  wurden  die  Fransen  oder  Quasten  gern  durch  Glöckchen  oder  birn- 
und  eicheiförmige  Behänge  aus  vergoldetem  Silber  ersetzt.  Bereits  in  der 
Nachlassenschaft  Riculfs  von  Eine  (f  915)  wird  unter  den  vier  mit  Gold 
verzierten  Stolen  una  cum  tintinnabulis  genannt.  Von  den  sieben  Stolen,  welche 
Meinwerk  der  von  ihm  gestifteten  Abtei  Abdinghof  zu  Paderborn  schenkte, 
war  eine  mit  27,  eine  andere  mit  21  Schellchen  geschmückt.  Ein  Beispiel 
solcher  mit  metallenen  Behängen  versehenen  Stolen  wird  noch  im  Schatz  der 
Kathedrale  zu  Sens  aufbewahrt.  Sie  wird  gewöhnlich  als  Stola  des  hl.  Thomas 
Becket  bezeichnet.  Wie  kostbar  diese  Behänge  bisweilen  waren,  erhellt  aus 
einer  Notiz  des  Inventars  der  Kathedrale  zu  Cremona  von  984,  wonach  die 
88  dependentiae  von  zwei  Stolen,  zwei  Manipeln  und  zwei  Cingula  zusammen 
nicht  weniger  denn  31/2  Pfund  reines  Gold  ausmachten.  Auch  auf  den  Minia- 
turen sind  die  Stolen  vielfach  mit  Glöckchen  und  ähnlichen  Zieraten  verziert 
(vgl.  Bild  259,  S.  533).  Ihren  Ursprung  verdankt  diese  Ausschmückung  unseres 
Ornatstückes  vielleicht  der  Erinnerung  an  die  Glöckchen,  mit  denen  die  hyazinth- 
farbige Obertunika  des  jüdischen  Hohenpriesters  am  unteren  Rand  besetzt 
sein  mußte. 

Kreuze  begegnen  uns,  wenngleich  nur  vereinzelt,  schon  im  11.  und 
12.  Jahrhundert  auf  den  Stolen.  Diejenige  des  hl.  Thomas  von  Canterbury 
zu  Sens  ist  schon  in  der  jetzt  üblichen  Weise  mit  solchen  ausgestattet;  denn 
es  findet  sich  von  den  drei  Kreuzen,  mit  denen  sie  versehen  ist,  eines  in  der 
Mitte  und  je  ein  anderes  an  den  beiden  Enden,  wo  die  Streifen  sich  zu  er- 
weitern beginnen.  Wie  indessen  die  Bildwerke,  die  Inventare  und  namentlich 
die  noch  vorhandenen  Exemplare  mittelalterlicher  Stolen  beweisen ,  sind 
Kreuze  auf  unserem  Gewandstück  erst  um  den  Ausgang  des  Mittelalters 
häufiger  geworden.  Zwar  sollte  der  Priester  schon  zu  Durandus'  Zeiten,  also 
in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  die  Stola  beim  An-  und  Ablegen 
küssen,  und  der  14.  Ordo  gibt  sogar  genauer  die  Stelle  an,  wo  dies  zu  ge- 
schehen habe ,  nämlich  etwa  um  die  Mitte 1 ;  allein  daß  zu  dem  Ende  ein 
Kreuz  daselbst  anzubringen  sei,  davon  vernehmen  wir  nichts;  ja  die  nicht 
sonderlich  bestimmte  Ausdrucksweise  des  14.  Ordo,  es  solle  der  Bischof  die 


1  C.  53  (M.  78,  1157):   Deinde   accipiat   stolam    et  deosculatam  circa  medium   ponat  circa 
Collum  suum. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  38 


594  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Stola  „um  die  Mitte"  küssen,  läßt  vermuten,  daß  es  damals  noch  nicht  Regel 
gewesen  sei,  jene  mit  einem  Kreuz  in  der  Mitte  auszustatten.  Für  den  Stand 
der  Dinge  im  14.  und  15.,  ja  noch  im  beginnenden  16.  Jahrhundert  ist  be- 
zeichnend, daß  von  den  zahlreichen  aus  jener  Zeit  stammenden  Stolen  in 
St  Marien  zu  Danzig  nur  eine  ein  Kreuz  aufweist. 

Allgemein  wurde  die  Sitte  erst  im  Lauf  des  16.  Jahrhunderts,  so  zwar, 
daß  es  sogar  bald  üblich  wurde,  nicht  bloß  ein  Kreuz  auf  der  Stola  anzu- 
bringen, sondern  drei.  Die  Veranlassung,  sie  in  der  Mitte  mit  einem  solchen 
zu  versehen,  bildete  wahrscheinlich  eben  die  Gewohnheit,  die  Stola  vor  dem 
Anlegen  zu  küssen.  Das  römische  Missale  spricht  nicht  ausdrücklich  von 
einem  Kreuz  auf  der  Stola;  wenn  es  aber  bemerkt:  accipiens  stolam  simili 
modo  deosculatur,  nämlich  wie  den  Manipel,  so  ist  darin  wohl  angedeutet, 
daß  es  auch  bei  der  Stola  in  der  Mitte  ein  solches  voraussetzt. 

Über  die  Farbe  der  Stolen  gab  es  natürlich  noch  keine  Bestimmung, 
solange  sich  überhaupt  keine  liturgische  Farbenregel  herausgebildet  hatte. 
Man  verwandte  sie  daher  in  jeglicher  Färbung  zu  der  jeweiligen  Kasel,  wie 
es  gerade  passend  erschien.  Doch  wurde  schon  im  11.  und  12.  Jahrhundert 
die  Stola  häufig  der  Farbe  und  dem  Stoff  nach  der  Kasel  angepaßt,  indem 
sie  als  Zubehör  zu  derselben  aufgefaßt  wurde.  Beispiele  hierfür  enthält  das  Re- 
gister von  Rochester.  So  schenkte  nach  demselben  Erzbischof  Lanfrank  (f  1089) 
eine  Kasel  samt  Stola  und  Manipel  aus  dunklem  Purpur,  Bischof  Walter 
(f  1182)  eine  Kasel  nebst  Stola  und  Manipel  aus  grünem  Seidenstoff,  Bischof 
Gwalerannus  (f  1184)  eine  Kasel,  Dalmatik,  Stola  und  einen  Fano  aus  rotem 
Zeug.  Von  Frau  Alicia  de  Lillingstune  heißt  es:  Dedit  casulam  et  albam 
paratam  et  stolam  et  phanum  unius  panni1.  Die  Regel  war  das  aber  noch 
nicht.  Denn  gerade  das  Register  von  Rochester  bietet  auch  zahlreiche  Bei- 
spiele für  das  Gegenteil.  Erst  als  sich  ein  liturgischer  Farbenkanon  heraus- 
gebildet hatte,  wurde  es  allmählich  ständiger  Brauch,  die  Stola  hinsichtlich 
der  Farbe  sich  nach  der  Kasel  richten  zu  lassen.  Da  jedoch  die  Farben- 
regeln im  Mittelalter  keineswegs  so  strikte  durchgeführt  wurden ,  wie  das 
heute  geschieht,  so  wurden  auch  noch  nach  Entstehung  bestimmter  Farben- 
vorschriften kostbarere  Stolen  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Farbe  zu  allen  Sorten 
von  Kasein  gebraucht. 

Größere  Übereinstimmung  hinsichtlich  der  Farbe  wie  überhaupt  bezüglich 
der  Ausstattung  und  sonstigen  Beschaffenheit  herrschte  wohl  schon  früh 
zwischen  Stola  und  Manipel.  Der  Manipel  galt  nicht  nur  als  ein  Seitenstück  zur 
Stola,  sondern  auch  als  Zubehör  zu  derselben.  In  den  Inventaren  werden  deshalb 
die  Manipel  nicht  nur  sehr  gewöhnlich  mit  den  Stolen  zusammengestellt,  sondern 
auch  geradezu  als  Zubehör  zu  derselben  bezeichnet:  stolae  cum  manipulis  suis 
oder  ähnlich.  So  heißt  es  z.  B.  im  Inventar  von  St  Georg  zu  Köln  (11.  Jahrh.): 
12  stolae  cum  totidem  fanonibus ,  in  einem  Schatzverzeichnis  der  Abtei 
Martinsberg  (12.  Jahrh.):  6  stolae  cum  earum  manipulis,  in  der  Chronik  von 
Monte  Cassino:  stola  optima  una  auro  brusta  (goldbestickt)  cum  manipulo 
suo.  Sonstige  lehrreiche  Beispiele  der  Übereinstimmung  zwischen  Stola  und 
Manipel  liefern  das  Register  von  Rochester:  stola  et  phanum  de  albo  filo 
lineo,  stola  et  phanum  de  alba  purpura,  die  Inventare  von  Cremona,  Speier, 
Muri,  Georgenberg  bei  Goslar,  Abdinghof  zu  Paderborn,  Ely  u.  a. 

Was  die  Gestalt  der  Stola  anlangt,  so  war  diese  unzweifelhaft  im 
9.  Jahrhundert  allenthalben  ein  bloßes  Band  wie  später.  Denn  die  Stola  er- 
scheint   selbst    auf    den  Darstellungen ,    auf   welchen  der    Manipel    sich    hin- 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


595 


reichend  klar  als  streifenförmig  gefaltetes  Tuch  zu  erkennen  gibt,  wie  auf  dem 
Widmungsbild  der  Bibel  Karls  des  Kahlen,  deutlich  als  ein  förmlicher  Streifen. 

Bemerkenswert  ist,  daß  die  Stolen  in  der  Frühe  unseres  Jahrtausends 
durchweg  die  bedeutende  Länge  von  2,50  m  und  mehr  hatten.  Ihre  Breite 
war  jedoch  sehr  gering.  So  gibt  es  jetzt  noch  Stolen  aus  dieser  Zeit  von  nur 
0,04 — 0,05  m  Breite.  Es  waren  die  Stolen  also  damals  nicht  selten  lediglich 
lange,  aber  schmale,  an  den  Enden  mit  Fransen  verzierte  Bänder.  Im  späteren 
Mittelalter  begannen  die  Stolen  an  Länge  zu  verlieren,  dagegen  an  Breite 
etwas  zu  gewinnen.  Noch  die  Statuten  von  Lüttich  aus  dem  Jahre  1287 
schreiben  vor,  es  solle  die  Stola  ad  minus  usque  ad  paramentum  oder  besser 
bis  zum  Saum  der  Albe  herabhangen  K  Die 
Synode  von  Cambrai  von  1300  begnügte  sich 
schon  damit,  zu  verordnen,  sie  solle  bis  zum 
Albenbesatz  reichen  2. 

Im  übrigen  entwickelt  sich  die  Stola  hin- 
sichtlich ihrer  Gestalt  ganz  analog  dem  Manipel, 
was  allerdings  angesichts  der  nahen  Bezie- 
hungen beider  Ornatstücke  zueinander  auch 
durchaus  natürlich  ist. 

Auch  bei  der  Stola  fehlen  bis  gegen  das 
1 1 .  Jahrhundert  vielfach  besondere  Endansätze ; 
wo  solche  aber  vorkommen,  sind  sie  in  der 
Regel  rechteckig  oder  quadratisch.  Dann  be- 
ginnt sich  bei  ihnen,  wie  die  Monumente  be- 
kunden, die  Trapezform  immer  mehr  einzu- 
bürgern (vgl.  Bild  259,  S.  533),  aus  welcher 
sich  im  Verlauf  des  12.  Jahrhunderts  durch  Zu- 


nahme an  Länge  und  Breite  die  noch  im  13.  sehr 
beliebte  Schaufelform  entwickelt.  Gerade  diese 
schaufeiförmigen  Enden  waren  es,  welche  man, 
wie  die  Inventare  dartun,  gern  mit  reicherem 


Schmuck 
bringung 


Bild  280.      Stola.     Danzig,  Marienkirche. 


versah  und  namentlich  zur  An- 
figürlicher Darstellungen  benutzte. 
Kann  man  diese  schaufelartigen  Ansätze  auch 
nicht  besonders  schön  nennen,  so  Avaren  sie 
doch  anderseits  noch  lange  nicht  jene  häß- 
lichen Schaufeln  und  Taschen,  welche  der  späte  Barock  und  das  Rokoko 
hervorbrachten ;  denn  ihre  Maßverhältnisse  blieben  stets  innerhalb  bescheidener 
Grenzen.  Um  den  Ausgang  des  13.  Jahrhunderts  verschwand  die  Schaufel- 
form wieder.  Die  Endstücke  kehrten  entweder  zur  Gestalt  eines  Rechtecks 
bzw.  Quadrates  zurück  oder  verschmolzen,  was  ebenso  häufig  war,  mit  der 
Stola  zu  einem  Ganzen,  so  daß  diese  dann  einen  einförmigen,  allenthalben 
gleichbreiten  Streifen  darstellte.  Gegen  Ende  des  Mittelalters  kam  aber  hie 
und  da  wiederum  die  Sitte  auf,  die  Stola  an  dem  unteren  Ende  etwas  zu 
verbreitern,  ohne  daß  dabei  jedoch  die  Endteile  nach  Weise  des  12.  Jahr- 
hunderts als  vom  Streifen  gesonderte  Stücke  behandelt  wurden.  Doch  herrschten 
noch  bis  in  den  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  Stolen  von  der  Form  eines  über- 
all aleichbreiten  Streifens  so  sehr  vor,    daß  man  auf  den  Bildwerken  dieser 


Hartzh.  III  690. 


2  Ebd.  IV  70. 


38 " 


596 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insianien. 


Zeit  nur  selten  solche  zu  Gesicht  bekommt,  die  an  den  Enden  breiter  werden. 

Auch   die   zahlreichen,    dem  Ausgang   des  Mittelalters  entstammenden  Stolen 

in  St  Marien  zu  Danzig  und  im  Dom  zu  Halberstadt  bekunden,  daß  das 
Ornatstück  damals  für  gewöhnlich  ein  Streifen  war,  der  von 
oben  bis  unten  die  gleiche  Breite  aufwies  (Bild  280,  S.  595). 

Zur  Vervollständigung  des  Bildes ,  das  wir  von  der  Stola  des 
Mittelalters  entworfen  haben,  fügen  wir  eine  kurze  Beschreibung  der 
bemerkenswertesten  unter  den  noch  vorhandenen  mittelalterlichen  Stolen  an. 
Eine  der  ältesten  und  zugleich  eine  der  vorzüglichsten  ist  ohne 
Zweifel  die  schon  gelegentlich  erwähnte  Stola  Frithestans  von  Winchester 
(t  933),  die  zugleich  mit  dessen  früher  besprochenem  Manipel  1827  im 
Grabe  des  hl.  Cuthbert  in  der  Abteikirche  zu  Durham  aufgefunden  wurde. 
Material  und  Kunst,  Gold,  Seide  und  Stickerei  haben  sich  auch  bei  ihr 
vereinigt,  um  ein  überaus  glänzendes  Ornatstück  zu  schaffen.  Die  Hei- 
ligen ,  die  auf  ihr  dargestellt  sind,  bestehen  aus  den  alttestamentlichen 
Propheten ,  Isaias ,  Jeremias ,  Daniel ,  Arnos ,  Abdias  usw.  Leider  sind 
nicht  mehr  alle  Figuren  erhalten.  In  der  Mitte  der-  Stola  ist  in  einem 
Vierpaß  das  Lamm  Gottes  angebracht,  auf  der  Vorderseite  des  einen  ihrer 
Endstücke  der  hl,  Jakobus,  auf  derjenigen  des  andern  der  hl.  Thomas. 
Auf  der  Kehrseite  tragen  die  Abschlufsansätze  die  Inschrift :  Alfflaed  fieri 
precepit  .  .  .  Pio  episcopo  Frithestano  '. 

Die  berühmteste  der  mittelalterlichen  Stolen  ist  ohne  Zweifel  die  dem 
hl.  Hubertus  (t  727)  zugeschriebene  Stola  zu  St-Hubert  in  den  Ardennen. 
Der  Eitus,  Partikel  derselben  der  Stirn  derjenigen  einzufügen,  welche  von 
einem  wütenden  Hunde  gebissen  waren,  ist  bereits  in  dem  gegen  Ende 
des  11.  Jahrhunderts  geschriebenen  Liber  miraculorum  bezeugt  und  war 
ohne  Zweifel  schon  um  die  Wende  des  Jahrtausends  im  Brauch 2.  Die 
Stola  muß  demnach  ebenfalls  bereits  um  diese  Zeit  vorhanden  gewesen 
sein,  da  kein  Grund  vorliegt,  anzunehmen,  sie  sei  später  durch  eine 
andere  ersetzt  worden.  Dagegen  ist  es  unseres  Erachtens  wenig  wahr- 
scheinlich, daß  sie  vom  hl.  Hubertus  selbst  herstammt.  Sie  mag  bei 
einer  der  zahlreichen  Translationen  des  heiligen  Leibes  —  wie  solches 
auch  sonst  geschah  —  in  den  Sarg  des  Heiligen  gelegt,  später  dort  ge- 
funden worden  und  so  in  den  Ruf  gekommen  sein,  einst  dem  hl.  Hu- 
bertus wirklich  angehört  zu  haben.  Natürlich  kann  sie  auch  so  nach  altem 
kirchlichem  Brauch  als  Reliquie  betrachtet  und  behandelt  werden. 

Die  Stola  besteht  jetzt  nur  mehr  aus  zwei  Stücken,  von  denen  eines 
0,684  m,  das  andere  0,264  m  lang  ist.  Sie  ist  merkwürdig  schmal; 
denn  ihre  Breite  beläuft  sich  nur  auf  0,042  m.  Die  Fransen  haben  sich 
bloß  an  einem  Ende  erhalten;  sie  haben  eine  Länge  von  0,093  m.  Die 
Stola  ist  mit  einer  geometrischen  Musterung  versehen,  wie  sie  uns  auf 
den  Borten  des  10.,  11.,  12.  und  13.  Jahrhunderts  immer  wieder  be- 
gegnet und  für  diese  Zeit  charakteristisch  ist.  Abschnittsweise  ist  das 
Muster  in  Gold  ausgeführt  (Bild  278,  S.  591). 

Eine  wertvolle  Arbeit  des  11.  Jahrhunderts  ist  die  dem  hl.  Bernulf 
zugeschriebene  Stola  zu  Utrecht.  Ohne  die  Fransen,  die  0,11  m  lang 
sind,  beträgt  ihre  Länge  2,74  m  bei  einer  Breite  von  ca  0,08  m.  Die 
in  Gold    auf  Purpurgrund    gewebten  Darstellungen   sind   ganz  dieselben 

wie  beim  Manipel  des  Heiligen.     Auch    im  übrigen  ist  die  Stola  diesem  völlig  gleich 

(vgl.  Bild  260,  S.  535). 


m 


Bild  281. 

Stola. 

(Mittelstück.) 

Halberstadt, 

Dom. 


1  Teilweise  Abbildung  bei  Roh.  VII,  dxxxi. 

2  A.  SS.  3.  Nov.,  I  873.     Ausführlicheres 
über  die  Stola,    ihre   heutige  Beschaffenheit 


und  den  erwähnten  Ritus  ebd.  1  868,  wo  zu- 
gleich eine  gute  farbige  Abbildung  des  Ornat- 
stückes  geboten  wird. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


597 


Dem  11.  bis  12.  Jahrhundert  mag  die  Stola  des  hl.  Martin  in  der  Stiftskirche 
zu  Aschaffenburg  angehören.  Sie  ist  aus  feinem  Linnengarn  gewebt,  3,08  m  lang 
und  0,07  m  breit  und  von  dunkelblauer  Farbe.  Das  Ornament,  womit  sie  versehen 
ist,  setzt  sich  aus  fortlaufenden  geometrischen  Gebilden  zusammen,  in  welchen  als 
Leitmotiv  der  Zickzack  erscheint.  In  bestimmten  Abschnitten  sind  Querstreifen  an- 
gebracht ,  welche  in  Kapitalen  die  doppelreihige  Inschrift  tragen :  In  nomine  Domini 
ora  pro  nie.  Die  Musterung  ist  von  roter,  die  Inschrift  von  weißer  Farbe.  An  den 
Enden   sind   die  Kettenfäden  zu   einer  Art  von  Quastenfransen   zusammengeflochten  '. 

Von  den  noch  vorhandenen  Stolen  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  nennen  wir  vor 
allem  die  Stola  des  hl.  Thomas  Becket  zu  Sens.  Ihre  Länge  beträgt  einschliefälich  der 
Endstücke  2,90  m,  ihre  Breite  0,095  m.  Die  Endstücke  erreichen  am  unteren  Band 
die  bedeutende  Breite  von  0,17  m.  Ihre 
Ausstattung  ist  derjenigen  des  früher 
beschriebenen  Manipels  gleich. 

Mit  figürlichen  Darstellungen  be- 
stickt ist  eine  kostbare  Stola  im  Dom 
zu  Halberstadt.  Sie  ist  2,86  m  lang 
und  0,075  m  breit.  In  der  Mitte  ist 
in  einem  Kreise  das  Lamm  Gottes  an- 
gebracht, rechts  davon  sehen  wir  unter 
rundbogigen  Arkaturen  eine  Folge 
männlicher,  links  eine  solche  weib- 
licher Heiligen.  Arkaturen  wie  Figuren 
—  die  Fleischteile  und  das  Haar  allein 
ausgenommen  —  sind  ganz  in  abge- 
hefteten Goldfäden  ausgeführt.  Der 
Fond  innerhalb  der  Bogenstellungen 
ist  abwechselnd  mit  grüner,  blauer  und 
roter  Seide  ausgestickt  (Bild  281). 

Eine  Stola  verwandter  Art  findet 
sich  zu  Marienberg  in  Tirol.  Sie  hat 
bei  einer  Breite  von  0,06  m  zur  Zeit 
nur  noch  eine  Länge  von  2  m.  Die 
Mitte  nimmt  hier  ein  aus  rankenartigen 
Motiven  sich  zusammensetzendes  ro- 
manisierendes  Ornament  ein,  an  wel- 
ches sich  rechts  unter  Rundbogen 
die  Standfigur  Christi,  links  diejenige 
Marias  anschliefst.  Dann  folgen  zu 
beiden  Seiten  weitere  Heilige.  Alle 
Darstellungen  sind  durch  Inschriften  gekennzeichnet,  der  Heiland  durch  Maiestas.  Die 
Stola  ist  wie  die  Halberstädter  auf  linnenem  Fond  ausgeführt,  Gold  ist  bei  ihr  jedoch 
nur  in  verschwindend  geringem  Umfang  zur  Verwendung  gekommen.  Der  Fond  ist 
gleichmäßig  in  dunkler  rotvioletter  Seide  ausgestickt,  die  Konturen  der  Darstellungen 
sind  in  blauer  Seide  hergestellt.  Die  Stola  mag  wie  die  Halberstädter  um  die  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  entstanden  sein  -. 

Dem  hl.  Edmund  von  Canterbury  (f  1240)  werden  drei  Stolen  zugeschrieben. 
Die  eine  wird  zu  Provins  aufbewahrt.  Sie  ist  2,66  m  lang  und  mit  geometrischen 
Mustern  in  Blau,  Gelb,  Gold,  Rot,  Grün  bestickt,  bietet  aber  sonst  nichts  Bemerkens- 
wertes 3.    Die  andere  befindet  sich  zu  Pontigny.    Sie  hat  bei  einer  Breite  von  0,066  m 


Bild  282.      Stola.     Sens,  Kathedrale. 


1  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  üxxxiii. 

2  Skizze  und  nähere  Beschreibung  der  Stola 
in  Mitt.  1895,  190  f,  wo  dieselbe  indessen  ohne 
hinreichenden    Grund    dem    12.    Jahrhundert 


zugewiesen    und   als    das   Werk   Utas, 
Gemahlin    des  Stifters  von  Marienberg 
zeichnet  wird. 
3  Roh.  VII  66. 


der. 
be- 


598 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


eine  Länge  von  2.96  m.  An  den  Enden  erweitert  sie  sich  in  der  Art  der  Stola 
des  hl.  Thomas.  Nach  einer  Skizze,  welche  Kohault  de  Pleury  von  ihr  gibt,  hat  sie 
als  Schmuck  figürliche  Darstellungen,  die  in  mandorlaförmigen,  durch  Ranken  gebildeten 
Medaillons  angebracht  sind  '.  Die  dritte  Stola  befindet  sich  im  Besitz  der  Kathedrale 
Ton  Sens.  Auch  sie  erweitert  sich  an  den  Enden  ein  wenig,  doch  bleibt  die  Er- 
weiterung in  sehr  mäßigen  Grenzen  (Bild  282,  S.  597).  Wie  die  Stola  von  Provins  ist  sie 
mit  geometrischen  Dessins  bestickt.  Aus  kleinen  Goldrauten  gebildete  Linien  teilen  die 
eigentliche  Stola  in  Reihen  von  je  zwei,  die  Enden  in  solche  von  je  drei  Quadraten, 
die  abwechselnd  mit  einer  blauen  und  grünen  Hakenfigur  ausgestickt  sind.  Dieselbe 
ist  gelb  konturiert  und  mit  goldenem  Kern  gefüllt. 

Eine  Stola  im  Domschatz  zu  Anagni  besteht  aus  einer  der  bekannten  geometrisch 
gemusterten  Goldborten  des  13.  Jahrhunderts.  Es  genüge,  hier  auf  sie  aufmerksam 
gemacht  zu  haben. 

Die  sog.  Stola  des  hl.  Regnobert  zu  Bayeux  scheint  nicht  mehr  ihre  ursprüng- 
lichen Maße  zu  besitzen.  Denn  sie  hat  bei  einer  Breite  von  0,04  m  eine  Gesamt- 
länge von  nur  1,57  m,  von  der  zudem  noch  auf  jedes  der  beiden  nach  unten  sich 
auf  0,09  ni  erweiternden  Endstücke  0,15  m  entfallen.  Sie  ist  in  Gold  und  Violett 
nach  Tressenart  gewebt  und  war  ehedem  mit  Perlen  aufs  reichste  besetzt.  Wie  die 
vorgenannten  entstammt  auch  sie  dem  13.  Jahrhundert2. 

Zu  Trier  werden  im  Dommuseum  die  Reste  einer  Stola  aufbewahrt,  welche  man 
1898  bei  Restauration  des  Lettners  im  Grabe  Theodorichs  IL  (f  1212)  entdeckte.  Sie 
stellen  ein  schweres  rotseidenes  Band  dar,  dem  in  Gold  Szenen  aus  dem  Leben  des 
Erlösers  eingewebt  sind.  An  den  Enden  schloß  die  Stola  mit  einem  kurzen ,  ein 
wenig  sich  verbreiterndem  Ansatzstück,  das  ebenfalls  in  Gold  mit  dem  im  13.  Jahrhundert 
so  häufigen  Plechtwerk  gemustert  war.  Von  den  verschiedenen  Szenen,  die  auf  ihr 
zur  Darstellung  gekommen  waren ,  sind  noch  gut  erkennbar  die  Kreuzigung,  der  Ab- 
stieg zur  Vorhölle ,  der  Besuch  der  Frauen  am  Grabe  und  die  Himmelfahrt  (vgl. 
Bild  279,  S.  591) 3. 

Eine  im  Besitz  der  Liebfrauenkirche  zu  Trier  befindliche  Stola  besteht  aus  einem 
0,047  m  breiten  Seidenbande,  das  mit  einer  romanischen  Rankenmusterung,  der  phan- 
tastische Vögel-  und  Vierfüßlergestalten  eingefügt  sind,  verziert  ist.  Der  Grund  der 
Stola  ist  von  violetter,  die  Zeichnung  von  weißer  Barbe.  Die  Stola  wird  von  der 
Überlieferung  mit  dem  hl.  Bernhard  in  Verbindung  gebracht.  Auch  eine  Stola  in 
St-Donat  zu  Arlon  soll  von  dem  hl.  Bernhard  herrühren  (vgl.  Bild  265 ,  S.  540). 
Sie  ist  0,045  m  breit  und  hat  einschließlich  der  beiden  0,13  m  langen  Abschlußstücke 
eine  Gesamtlänge  von  2,75  m.  Von  ihrer  Beschaffenheit  gilt ,  was  früher  über  den 
zur  Stola  gehörenden  Manipel  gesagt  wurde. 

Eine  Stola  zu  Valsainte  (Schweiz)  ist  genau  von  der  gleichen  Art  wie  der 
seines  Orts  beschriebene ,  ebendort  befindliche  Manipel  und  unterscheidet  sich  von 
diesem  nur  durch  die  größere  Länge,  3,22  m,  sowie  durch  die  Farbe  der  Fransen 
an  den  Enden,  die  hier  rot  sind. 


1  Roh.  VII  65.  Text  und  Abbildung  wider- 
sprechen einander;  wir  glauben  dieser  den 
Vorzug  geben  zu  sollen. 

2  Abbildung  bei  Roh.  VII,  pl.  dxxxv;  da- 
zu p.  66,  wo  auch  eine  Stola  des  hl.  Thomas 
von  Biville  erwähnt  wird  (Abbildung  ebd. 
VIII,  pl.  bcviJ.  Dieselbe  scheint  aus  einer 
mit  Hakenmustern  verzierten  Goldborte  zu 
bestehen. 

3  Vgl.  des  Verfassers  Aufsatz  „Die  Stola 
des  Erzbischofs  Theodorich  II.  von  Trier"  in 
Zeitschrift  1901,  27  f.  Die  Stola  wurde  schon 
von  Wilmo  wsky  in  „Die  historisch  denk- 
würdigen Grabstätten  der  Erzbischöfe  im 
Dom  zu  Trier"  Tu  6  auf  Grund  einer  früheren 


Eröffnung  des  Grabes  beschrieben  und  ver- 
öffentlicht. Sie  wird  hier  und  S.  17  irrig 
als  Stola  Boemunds  II.  (t  1367)  bezeichnet. 
Die  Abbildung,  welche  v.  Wilmowsky  von  der 
Stola  gibt,  ist  nicht  bloß  stilistisch,  sondern 
auch,  was  die  Darstellungen  selbst  anlangt, 
sehr  fehlerhaft.  Reste  einer  der  Trierer 
qualitativ  und  technisch  gleichartigen  Stola 
fand  man  bei  Aufdeckung  der  Kaisergräber 
in  einem  Bischofsgrabe  zu  Speier.  Die  Muste- 
rung besteht  hier  jedoch  nicht  aus  einer  Folge 
von  Szenen  aus  dem  Leben  Christi,  sondern 
aus  einer  sich  stets  wiederholenden  Einzel- 
figur, dem  thronenden  Christus.  Die  Reste 
befinden  sich  jetzt  im  Speierer  Dom. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


599 


>*!.*''»,■ 


i 


I 


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Eine  interessante  Stola  zu  Andechs  ist  leider  nicht  mehr  vollständig,  sondern 
in  späterer  Zeit  durch  andere  Stücke  ergänzt  worden.  Der  ursprüngliche  Teil  ist 
eine  mit  vegetabilischen  und  animalen  Motiven  gemusterte  Borte  von  0,63  m  Länge. 

Von  den  Stolen,  welche  sich  aus  dem  14.  Jahrhundert  erhalten  haben,  seien 
erwähnt  die  Stola  im  Dom  zu  Xanten  und  die  zur  sog.  Kasel  des  sei.  Albertus  Magnus 
gehörende  Stola  in  St  Andreas  zu  Köln.  Die  Xantener  hat  eine  Länge  von  2,97  m 
und  eine  Breite  von  0,085  m.  Sie  ist  aus  roter,  mit  Leinwand  unterlegter  Seide  an- 
gefertigt und  mit  figürlichen  Darstellungen  bestickt.  In  der 
Mitte  befindet  sich  eine  Krönung  Mariens  begleitet  von  zwei  in 
Wolken  schwebenden  inzensierenden  Engeln,  an  welche  sich 
dann  rechts  und  links  je  sechs  Apostel,  einer  der  Stiftspatrone 
und  einer  der  Stifter  anschließen.  Alle  diese  Figuren  sind 
unter  zierlichen ,  etwas  gedrückten  gotischen  Arkaturen  an- 
gebracht, die  knieenden  Stifter  nicht  ausgenommen.  Die  Enden 
sind  mit  Kauten  gemustert,  denen  der  Buchstabe  A  bzw. 
eine  Bosette  eingestickt  ist,  und  schließen  mit  einem  schmalen 
Goldbortchen  und  Kordonnetfransen  von  abwechselnd  blauer, 
weißer,  grüner  und  roter  Farbe  ab.  Die  Stola  besitzt  überall 
die  gleiche  Breite  und  scheint  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts anzugehören. 

Die  Stola  in  St  Andreas  zu  Köln  besteht  aus  blauem 
Samt,  ist  von  oben  bis  unten  gleichbreit  und  mit  zierlichen 
Heiligenfiguren  nach  Weise  des  früher  erwähnten,  ebendort 
befindlichen  Manipels  geschmückt.  Auch  bei  ihr  werden  die 
einzelnen  Heiligen,  welche  ohne  Baldachine  übereinander  an- 
geordnet sind,  durch  fünf,  zusammen  ein  Andreaskreuz  bil- 
dende, kleeblattartige  Blümchen  geschieden. 

Für  die  Kenntnis  der  Stolen  des  15.  Jahrhunderts  sind 
die  zahlreichen  Stolen  im  Dom  zu  Halberstadt  und  in  St  Marien 
zu  Danzig  (Bild  280,  S.  595)  sehr  wichtig.  Es  sind  einfache, 
meist  aus  dem  gleichen  Stoff  wie  die  zugehörige  Kasel  ge- 
machte, allenthalben  gleichbreite  Streifen,  welche  als  einzige 
Ausstattung  an  den  Enden  Fransen  aufweisen  und  bei  einer 
Breite  von'  ca  0,08 — 0,09  m  eine  Länge  von  ca  2,40  m  be- 
sitzen. Eine  aus  Goldstoff  gemachte  Stola  im  Historischen 
Museum  zu  Bern  ist  durch  ihre  eigenartige  Verzierung,  schwarz- 
samtene Kreuze,  bemerkenswert.  Sie  ist  2,70  m  lang,  0,06  m 
breit  und  stammt  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts1. 

Schon  der  neueren  Zeit  gehört  eine  Stola  im  Münster 
zu  Aachen  an,  welche  Bock  irrig  dem  12.  Jahrhundert  zu- 
schrieb -.  Sie  ist  ein  ebenso  interessantes  wie  kostbares  Stück. 
Der  Mitte  zunächst  sind  ihr  zwei  Engel  aufgestickt;  dann 
folgen  rechts  die  Brustbilder  der  Evangelisten  Markus  und 
Johannes,  getrennt  durch  die  Ganzfigur  der  Gottesmutter,  die 
Ganzfigur  des  hl.  Nikolaus  und  die  Brustbilder  der  Apostel 
Petrus  und  Bartholomäus,  links  die  Ganzfigur  der  Vorläufer  des  Herrn  zwischen  den 
Brustbildern  der  Evangelisten  Lukas  und  Matthäus,  die  Ganzfigur  des  hl.  Johannes 
Chrysostomus  und  die  Brustbilder  der  Apostel  Paulus  und  Simeon.  Mit  Ausnahme 
der  Gesichter,  Hände  und  Füße  ist  sonst  fast  alles  in  Goldstickerei  ausgeführt.     Die 


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Bild  283.  Stola 
(oberes  Stück). 
Aachen,  Münster. 


1  J.  Stammler,  Der  Domschatz  von 
Lausanne,  in  „Katholische  Schweizer  Blätter" 
X  (1894)  179.  Verschiedene  beachtenswerte 
Stolen  aus  dem  13.,  14.  und  15.  Jahrhundert 
besitzt  auch  das  Kensington-Museum  zu 
London.      Die     hervorragendsten     derselben 


stammen  aus  der  ehemaligen  Bockschen 
Sammlung,  darunter  die  bei  Bock  II,  Tfl  18, 
n.  1  4  abgebildeten  Stolen. 

2  Bock,  Gesch.  II  70.  Die  Stola  hat  bei 
einer  Breite  von  0,12  m  die  Länge  von  ca 
3,10  m,  die  Fransen  nicht  eingerechnet. 


600  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Darstellungen  sind  zeichnerisch  mangelhaft,  um  so  vollendeter  ist  die  zur  Anwendung 
gekommene  Technik.  Die  Stola,  zu  der  ein  ähnlicher  Manipel  gehört  (vgl.  Bild  267, 
S.  542),  ist  eine  südslavische  Arbeit  und  wohl  durch  ungarische  Pilger  nach  Aachen 
gelangt  (Bild  2S3,  S.  599). 

Seit  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  nimmt  die  Stola  an  den  Enden 
rasch  an  Breite  zu.  Auffallend  ist  dies  namentlich  zu  Rom  wie  in  Italien 
überhaupt.  Eine  vom  hl.  Karl  Borromäus  herrührende  Stola  in  S.  Maria 
Maggiore  zu  Rom  ladet  an  ihren  Enden  bereits  in  bemerkenswerter  Weise  aus. 

Nach  der  Verordnung,  welche  der  hl.  Karl  Borromäus  über  die  Form 
und  Beschaffenheit  der  liturgischen  Gewänder  erließ,  soll  die  Stola  bei  einer 
Länge  von  etwa  2,60  m  eine  Breite  von  11  cm  haben.  An  den  Enden  soll 
sich  das  Ornatstück  nach  und  nach  erweitern  und  am  unteren  Rand  mit 
ca  5^2  cm  langen  Fransen  oder  Quasten  versehen  sein.  In  der  Farbe  muß 
es  samt  seinem  Futter,  das  aus  dünnem  Seidenstoff  zu  bestehen  hat,  mit  dem 
Meßgewand  übereinstimmen.  Weiterhin  ist  es  mit  drei  Kreuzen  auszustatten, 
einem  in  der  Mitte  und  je  einem  an  den  Enden.  Die  Kreuze  sollen  klein  und 
quadratisch  und  ihre  Balken  etwa  3  unciae  (=  5'/2  cm)  lang  sein.  An  die 
Priesterstola  soll  nichts  angehängt  werden,  an  die  Episkopal-  und  Diakonal- 
stolen  mag  man  zum  Zweck  der  Befestigung  derselben  in  der  Mitte  gleich- 
farbige, seidene,  mit  Quästchen  geschmückte  Schnüre  anbringen  1. 

Ein  getreues  Echo  der  Verordnung  des  hl.  Karl  bildet  die  Bestimmung, 
welche  die  Prager  Synode  vom  Jahre  1605  hinsichtlich  der  Beschaffenheit 
der  Stola  traf.  Auch  diese  betont,  es  müsse  die  Stola  von  derselben  Farbe 
wie  die  Kasel  sein,  ein  dünnes  seidenes  Futter  von  der  gleichen  Farbe 
haben,  sich  an  den  Enden  etwas  erweitern,  mit  Fransen  geschmückt  sowie 
mit  drei  Kreuzen  versehen  werden  und  endlich  beiläufig  2,70  m  lang  und 
0,12  breit  sein  2. 

Im  allgemeinen  bewahrte  das  Ornatstück  bis  in  das  17.  Jahrhundert  hinein 
noch  eine  angemessene  Form,  obgleich  es  an  den  Enden  schon  in  erheblicherem 
Maße  an  Breite  zugenommen  hatte,  als  gerade  nötig,  wünschenswert  und  schön 
war.  So  steigt  eine  im  Besitze  des  Collegium  Canisianum  zu  Exaeten  be- 
findliche Meßstola,  deren  sich  der  sei.  Petrus  Canisius  in  seinen  letzten  Lebens- 
tagen bedient  hat,  bei  einer  Streifenbreite  von  9  cm  und  einer  Gesamtlänge 
von  2,50  m  an  den  Enden  auf  22  cm. 

Die  eigentliche  Entartung  der  Stola  begann  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts. Wie  man  den  Manipel  dadurch  zu  verschönern  glaubte,  daß  man 
seine  Streifen  verschmälerte,  seine  Enden  aber  ins  Ungemessene  verbreiterte, 
so  vermeinte  man  auch  den  Stolen  einen  Dienst  zu  erweisen,  wenn  man  sie 
oben  zu  einem  schmalen  Bande  werden,  unten  dagegen  zu  Taschen  oder 
Schaufeln  sich  auswachsen  ließ.  Daher  denn  die  Stolen  mit  den  sinnlos  breiten 
Endstücken,  welche  bis  ins  19.  Jahrhundert  in  Mode  waren  und  auch  jetzt 
noch  nicht  allerwegen  ausgestorben  sind. 

Mit  Recht  gingen  daher  die  Bemühungen  zur  Neubelebung  und  Hebung 
des  Paramentenwesens  auch  darauf  hinaus,  unter  Anknüpfung  an  die  bessere  Ge- 
pflogenheit einer  vergangenen  Zeit  jene  häßliche  Stolaform  zu  beseitigen  und 
durch  eine  würdigere  zu  ersetzen.  Es  ist  auch  manches  erreicht  worden, 
namentlich  in  Deutschland. 

Ein  neueres  Provinzialkonzil,  das  von  Prag  aus  dem  Jahre  1860,  welches 
auf  das  Wiedererwachen  des  rechten  Sinnes  für  edle  Formen  der  liturgischen 


1  A.  E.  Med.  626.  2  C.  13  (Hartzli.  VIII  691). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


601 


Gewänder  großen  Einfluß  ausgeübt  und  dadurch  sich  wahres  Verdienst  erworben 
hat,  bestimmt  betreffs  der  Stola:  „Die  Länge  der  Stola  betrage  wenigstens 
4  Ellen  (ca  21/2  m),  so  daß  sie  bis  unter  die  Kniee  reiche;  breit  sei  sie  etwa 
eine  halbe  Hand  (ca  8  cm),  an  den  Enden  aber  soll  sie  nach  und  nach  ein 
wenig  breiter  werden  und  mit  Fransen  verziert  sein."  l 


VIII.    DIE  STOLA  IN  DEN  RITEN  DES  OSTENS. 

Die  Stola  ist  in  allen  Riten  der  Ostkirche  in  Gebrauch,  und  zwar  kommt 
sie  in  den  meisten  Riten,  wie  im  Abendland,  bloß  den  Diakonen,  Priestern 
und  Bischöfen  zu.  Bei  den  Maroniten,  Syrern  (Bild  284)  und  Chaldäern  be- 
dienen sich  ihrer  auch  die  Subdiakone,  bei  den  Maroniten  außerdem  die 
Lektoren  2. 

Nur  im  griechischen  Ritus  führt  die  Stola  der  Diakone  einen  von  dem- 
jenigen der  priesterlichen  und  bischöflichen  Stola  verschiedenen  Namen.  Die 
Diakonalstola  heißt  hier  uipa- 
ptov  (slav.  orar),  die  Priester- 
stola sTtizpayjhov  (slav.  epi- 
trachil).  Die  armenische  Be- 
zeichnung urar,  die  syrische 
uroro,  die  koptische  ba- 
tras c  h  i  1  werden  ohne  Unter- 
schied für  beide  Stolaarten 
gebraucht,  wenngleich  diese 
ihrer  Gestalt  nach  voneinander 
verschieden  sind. 

Die  priesterliche  (bi- 
schöfliche) Stola  tritt 
vornehmlich  in  zwei  übrigens 
ganz  verwandten  Formen  auf. 
Nach  der  einen  ist  sie  ein 
ca  1,20  m  langes  und  ca  0,18 
bis  0,20  m  breites  seidenes 
Zeugstück,  welches  nahe  einer  der  beiden  Schmalseiten  mit  einem  Ausschnitt 
zum  Durchstecken  des  Kopfes  versehen  ist.  Dasselbe  ist  mit  Futterstoff  unter- 
legt, von  Borten  ringsum  eingefaßt  und  mit  Kreuzen  besetzt,  von  denen  eines 
sich  oberhalb  des  Kopfdurchschlupfes  befinden  muß.  Die  andere  nähert  sich 
mehr  der  abendländischen  Priesterstola.  Bei  ihr  ist  das  geschilderte  Zeugstück 
vom  Kopfdurchlaß  an  der  ganzen  Länge  nach,  also  bis  zum  andern  Ende, 
in  zwei  gleichbreite  Streifen  zerschnitten,  von  welchen  jeder  von  einer  Borte 
umrahmt  und  mit  den  obligaten  Kreuzen  verziert  ist.  Die  beiden  Streifen 
sind  aber  stets  an  mehreren  Stellen  aneinander  genäht,  so  daß  sie  zuletzt 
doch  als  ein  Ganzes  erscheinen  (Bild  285,  S.  602). 

Bei  den  Armeniern,  Syrern  und  Kopten  ist  bloß  die  erste  Art  der  Priester- 
stola im  Gebrauch.  Im  griechischen  Ritus  ist  die  zweite  bevorzugt,  doch 
kommt   darin   auch   die   andere   zur  Verwendung.     Eine  bestimmte  Farbe  ist 


Bild  284.  Weihe  der  Subdiakone.   Miniatur  eines  syrischen 
Pontifikale   (1239).    Paria,  Bibl.  Nat. 


1  Tit.  5,  c.  7,  n.  2  (Coli.  Lac.  V  539). 

2  Auch  der  chaldäische  Ritus  kennt  ein 
Orarium  der  Lektoren.  Es  wird  denselben 
bei   ihrer  Weihe    von    dem  Bischof   auf    die 


ausgestreckten  Arme  gelegt.  (Denzinger, 
Ritus  Orient.  II  228;  Asa,  Bibl.  III  2,  796.) 
In  der  Praxis  kommt  es  bei  ihnen  jedoch 
nie  zur  Verwendung. 


602 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insisnien. 


für  das  Ornatstück  in  keinem  der  verschiedenen  Riten  vorgeschrieben.  In  der 
Regel  folgt  es  indessen  in  Beziehung  auf  die  Farbe  dem  liturgischen  Mantel, 
dem  Phelonion. 

Die  Priesterstola  wird  gerade  wie  im  lateinischen  Ritus  unter  dem 
Obergewand  getragen.  Sie  wird  mittels  des  Gürtels  am  Körper  befestigt 
und  hängt  bei  den  Bischöfen  wie  bei  den  Priestern  vom  Hals  gerade  herab. 
Nur  bei  den  Chaldäern  machen  letztere  eine  Ausnahme,  da  sie  das  Ornat- 
stück, Avie  es  im  Abendlande  Vorschrift  ist,  über  der  Brust  kreuzen  müssen. 
Es  gleicht  daher  auch  die  Priesterstola  des  chaldäischen  Ritus  der  Form 
nach  abweichend  von  dem  sonstigen  Brauch  des  Ostens  der  lateinischen  Stola. 
Die  Stola  der  Diakone  ist  ein  ca  0,08 — 0,10  m  breites  und  2,50 — 4  m 
langer,  meist  seidener  Zeugstreifen,  der  bei  den  Griechen  in  der  Regel  von 
weißer  Farbe  ist.  Der  große  Unterschied  in  der  Länge  des  diakonalen  Orarium 
hängt  mit  der  Weise  zusammen,  in  welcher  es  angelegt  wird.  In  dieser  Be- 
^11 — I7N.  <H — IK  ziehung  herrscht  nämlich  in  den  einzelnen  Riten  der 
Ostkirche  eine  verschiedene  Praxis. 


V 


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* 


SS 


Im 


griechischen  Ritus   läßt  man  das  Orarium  ent- 


weder sofort  von  der  linken  Schulter  nach  vorn  und 
rückwärts  herabfallen  oder  schlingt  es  von  dort  zuvor 
schärpenartig  um  Rücken  und  Brust.  Die  erstere  Weise 
ist  die  gewöhnliche  und  verbreitetste,  die  letztere  ist  bei 
den  Ruthenen  und  Bulgaren  üblich.  Vor  der  Kommunion 
legen  übrigens  überall  im  griechischen  Ritus  die  Diakone 
das  Ornatstück  in  derselben  Form  um,  wie  die  griechi- 
schen Subdiakone  ihr  Cingulum  1. 

Bei   den  Armeniern  (Bild  286)  tragen  die  Diakone 

die  Stola  entweder  nach  Art   der  abendländischen  oder 

der  bulgarischen  Diakone  (vgl.  Bild  40,  S.  93).    Bei  den 

maronitischen    Lektoren    hängt    das    Orarium    von    der 

a  b         rechten    Schulter   herab;    die   maronitischen,    syrischen 

Bild  285.    Priesterstola    und  chaldäischen  Subdiakone  schlingen  es  um  den  Hals, 

des  griechischen  (a  b),    iüdem  sie  dabei  die  Enden  von  der  linken  Schulter  nach 

syrischen     armenischen    yom  und   nach   rückwärts   herabwerfen.      Die   Diakone 


und  koptischen  (b)  Ritus 


der  Maroniten,  Syrer  und  Chaldäer  lassen  das  Orarium 


von  der  linken  Schulter  über  Brust  und  Rücken  gerade  herunterfallen.  Bei 
den  Kopten  endlich  legen  die  Diakone  die  Stola  nach  bulgarischem  Brauch  um. 
Die  Verwendung,  welche  die  Stola  in  der  Ostkirche  findet,  ist  im 
ganzen  die  nämliche  wie  im  lateinischen  Ritus.  Sie  ist  auch  dort  das  litur- 
gische Universalgewand.  Desgleichen  gehört  die  Bekleidung  mit  der  Stola 
überall  in  der  Ostkirche  zum  Ritus  der  Ordination  der  Diakone  und  Prie- 
ster. Bei  den  Syrern  (vgl.  Bild  284,  S.  601),  Chaldäern  und  Maroniten  bildet  sie 
außerdem  einen  Bestandteil  der  Subdiakonen-  und  Lektorenweihe  (diese  jedoch 
bei  den  Syrern  ausgenommen).  Ein  besonderes  Gebet  während  der  Zeremonie 
zu  verrichten,  ist  nicht  in  allen  Riten  üblich.  Bei  den  Maroniten  spricht 
der  Bischof,  wenn  er  dem  Lektor  das  Ornatstück  anlegt:  „Bekleide,  o  Herr, 
diesen  deinen  Diener  mit  dem  Orarium  des  Lektorats  zum  Preise  Gottes 
und  zur  Erbauung  der  heiligen  Kirche  und  aller  ihrer  Kinder,  im  Namen 
des  Vaters"  usw.     Ähnlich  lautet  das  Gebet,   mit  dem  der  Bischof  die  Zere- 


1  S.  oben  S.  116  und  Bild  53,  S.  115. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


603 


monie  bei  der  Weihe  des  Subdiakons,  Diakons  und  Priesters  begleitet.  Bei 
den  Griechen  begnügt  er  sich  dagegen  während  der  Übergabe  der  Stola  an  die 
Diakone  und  Priester  mit  dem  Worte  ägwg,  „würdig".  Bei  den  Syrern 
betet  der  Bischof,  wenn  er  den  Ordinanden  mittels  der  Stola  bekleidet, 
ähnlich  wie  bei  den  Maroniten:  „Zum  Lob,  zur  Ehre,  zur  Zierde  und  zur 
Erhöhung  der  hochheiligen  und  wesenseinen  Dreifaltigkeit  und  zum  Frie- 
den wie  zur  Erbauung  der  heiligen  Kirche  Gottes."  Im  koptischen  Ritus 
spricht  er  bei  Vollziehung  der  Zeremonie:  „Ruhm  und  Ehre  sei  der 
heiligen,  wesenseinen  Dreifaltigkeit,  dem  Vater,  Sohne  und  Heiligen  Geiste; 
Friede  und  Wachstum  Gottes  heiliger  Kirche. 
Amen."  1 

Bei  der  Geschichte  der  Stola  in  der  Ost- 
kirche müssen  wir  uns  in  Anbetracht  der  Spär- 
lichkeit des  vorhandenen  Materials  auf  die 
Hauptpunkte  beschränken 2.  Die  Priesterstola 
wird  zuerst  in  der  Varopia  erwähnt,  also  immer- 
hin noch  vor  dem  9.  Jahrhundert.  Einen  andern 
frühen  Hinweis  auf  dieselbe  bildet  der  Brief  des 
Patriarchen  Nicephorus  an  Papst  Leo  III.  Denn 
obgleich  unter  dem  dort  erwähnten  iTzixpa'/rjhov 
die  abendländische  Stola  zu  verstehen  sein  wird, 
so  beweist  doch  die  dafür  gebrauchte  Bezeich- 
nung, daß  auch  im  griechischen  Ritus  schon 
damals  eine  Priesterstola  in  Gebrauch  gewesen 
sein  muß. 

Bei  Pseudo-Germanus  heißt  das  Ornatstück 
■Ktpirpay-qhov  und  znnpay'qhov.  Man  hat  gemeint, 
mit  den  beiden  Worten  würden  wegen  der  ver- 
schiedenen mystischen  Erklärungen,  welche  an  der 
fraglichen  Stelle  von  denselben  gegeben  werden, 
zwei  verschiedene  Gewandstücke  bezeichnet. 
Unter  dem  nspirpa'/rjAiov  sei  die  Priesterstola 
und  dem  emzpa^Xtov  die  bischöfliche  Stola  zu 
verstehen.  Das  ist  indessen  unrichtig.  Die 
Bischöfe  und  Priester  trugen  das  Gewand  stets 
auf  ein  und  dieselbe  Weise.  Zudem  wird  sonst 
nicht  bloß  die  Bischofsstola,  sondern  auch  die 
Priesterstola  kniTpay-fjhov  genannt 3.  Tatsächlich  gibt  aber  auch  Pseudo- 
Germanus  keine  Deutung  von  zwei  Gewändern,  er  erklärt  vielmehr  zunächst 


Bild  286.  Armenische  Diakonstola. 
Düsseldorf,  Kunstgewerbemuseum. 


1  Ass.,  C.  1.  1.  8,  pars  2,  28  47  80  143. 
Ebd.  pars  4,  208  214.  (In  den  älteren  grie- 
chischen Weiheordines  fehlt  das  begleitende 
äfrog.)  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  9,  ordo  19  22  23; 
II  96  f  115  119. 

2  In  der  Revue  de  l'Orient  chretien  (1905, 
309  f  350  f )  hat  S.  Putrides  die  von  Ana- 
stasius  Bibliothecarius  869 — 870  zu  Konstan- 
tinopel angefertigte  und  Karl  dem  Kahlen 
(p.  297)  gewidmete  lateinische  Übersetzung 
der  '  laropia  veröffentlicht.  In  dem  Schreiben 
an  Karl  heißt  es,  die  Schrift  werde  von  den 
Griechen    dem  hl.  Germanus  von  Konstanti- 


nopel zugeschrieben.  Ob  dieser  wirklich  der 
Verfasser  ist,  muß  dahingestellt  bleiben,  doch 
dürfte  die  Schrift  allem  Anschein  nach  immer- 
hin in  das  8.  Jahrhundert  hinaufreichen  (vgl. 
oben  S.  10). 

3  S  i  m  e  o  n.  T  h  e  s  s.  ,  De  sacra  liturgia 
c.  83  (M.  155,  262);  Philo  th.  Patr.,  In 
ordine  sacri  ministerü  (M.  154,  748).  Andere 
Stellen  bei  D.  C,  Gloss.  graec.  I,  Breslau  1891, 
348.  In  den  Handschriften  der'Iaropia,  welcher 
Pseudo-Germanus  den  ersten  Teil  seiner  Erklä- 
rung entlehnt  hat,  steht  bald  iTttrprjyrjhov  bald 
-zpnpay-^Xiov   für  ein  und  dasselbe  Gewand. 


604  Vierter  Abschnitt      Die  Insignien. 

die  Stola  als  Ganzes,  wobei  er  sie  nepirpa^rjkwv  nennt,  damit  die  Symbolik 
besser  passe.  Er  sieht  nämlich  in  der  Stola  ein  Abbild  der  Halsfesseln  des 
Heilandes.  Dann  gibt  er  an,  was  die  beiden  Streifen  sinnbilden.  Der  rechte 
ist  Abbild  des  Rohres,  das  die  Schergen  dem  Heiland  in  die  Rechte  gaben, 
der  linke  Sinnbild  des  Kreuzes,  das  der  Herr  auf  seinen  Schultern  trug  1. 

Aus  den  andern  Riten  liegen  Nachrichten  über  die  priesterliche  Stola 
aus  dem  ersten  Jahrtausend  unseres  Wissens  nicht  vor.  Denn  die  unter  dem 
Namen  des  Severus  von  Antiochien  von  Boderianus  herausgegebene  syrische 
Liturgie,  das  Rituale  des  koptischen  Patriarchen  Gabriel2,  das  „Buch  der  Väter", 
die  syrischen,  chaldäischen  und  armenischen  Weiheordines  u.  a.,  die  ihrer 
Erwähnung  tun,  gehören  erst   späterer  Zeit   an. 

Sehr  früh  vernehmen  wir  von  dem  diakonalen  Orarium.  Dasselbe  be- 
gegnet uns  schon  kurz  nach  der  Mitte  des  4.  Jahrhunderts,  und  zwar  als  ein 
in  der  ganzen  Ostkirche  gebräuchliches  Gewandstück.  Am  ersten  redet  die 
Synode  von  Laodicea  von  ihm.  Es  verbietet  can.  22  derselben  dem  unspizrjQ, 
dem  Subdiakon ,  sich  des  Orarium  zu  bedienen  und  von  der  Türe  sich  zu 
entfernen,  wo  er  Aufsicht  zu  führen  hatte.  In  gleicher  Weise  bestimmt  can.  23: 
„Die  Lektoren  und  Cantores  dürfen  das  Orarium  nicht  tragen  und  so  lesen 
oder  psallieren." 3 

Das  Orarium  ist  hier  offenbar  ein  liturgisches  Ornatstück  und  kein  pro- 
fanes Tuch.  Es  folgt  das  namentlich  aus  can.  23.  Es  wird  nicht  ausdrücklich 
als  spezifisches  Gewand  der  Diakone  bezeichnet;  allein  aus  der  Natur  des 
Verbotes  folgt,  daß  das  Orarium,  wenn  nicht  überhaupt  den  höheren  Ordines, 
so  doch  wenigstens  den  Diakonen  zustand. 

Was  seinen  Charakter  anlangt,  so  liegt  auf  der  Hand,  daß  es  kein 
Tuch  gewesen  sein  kann,  das  bestimmten  liturgischen  Verrichtungen  des 
diakonalen  Ministerium  diente;  denn  in  diesem  Fall  hätte  es  offenbar  keinen 
Sinn  gehabt,  daß  auch  die  Subdiakone  und  Lektoren  sich  vermaßen,  es  zu 
tragen.  Ebenso  kann  es  kein  Tuch  gewesen  sein,  das  lediglich  persönlicher 
Zwecke  halber  da  war,  etwa  zum  Abtrocknen  des  Schweißes,  zum  Schutz  des 
Halses  oder  der  Kleidung  usw.,  da  ja  auch  in  diesem  Falle  die  Synode  sicher 
nicht  das  Verbot  erlassen  haben  würde.  Das  Orarium,  von  dem  die  Kanones 
des  Laodicenum  sprechen,  kann  also  nur  als  ein  auszeichnendes  Gewand- 
stück der  Diakone  und  als  deren  Distinktivum  gegenüber  den  niederen 
Klerikern,  also  nur  als  eine  Art  von  Abzeichen  des  Ordo  verstanden  werden. 

Als  ein  solches  Amtsabzeichen  müssen  wir  auch  das  Orarium  auffassen, 
von  dem  wir  im  jüngst  entdeckten  Testamentum  Domini  N.  I.  Christi  hör-en. 
„Wer  unter  den  Diakonen",  so  lesen  wir  dort,  „durch  Fleiß  und  Verwaltungs- 
tüchtigkeit hervorragt,  soll  mit  der  Aufnahme  der  Fremden  beauftragt  werden 
und  in  dem  in  der  Kirche  befindlichen  Hospiz  weilen,  wobei  er  mit  weißem 
Gewände  bekleidet  zu  sein  und  auf  der  Schulter  nur  das  Orarium  zu  tragen 
hat."  i  Eines  Handtuches  bedurfte  der  Diakon,  dem  die  Sorge  für  die  Fremden 
anvertraut  war,  doch  nur  bei  gewissen  Gelegenheiten;  wozu  ihm  also  vor- 
schreiben, in  seinem  Dienst  ein  solches  beständig  bei  sich  auf  der  Schulter 
zu  haben?  Dagegen  war  es  durchaus  zweckmäßig,  daß  er  stets  in  seiner 
Amtstracht  war,  der  weißen  Tunika  und  dem  offen  (nicht  verdeckt  durch  ein 
Obergewand)   auf  der  Schulter  getragenen  Orarium,    damit  die  Fremden  ihn 


1  Mg.  98,  394.  3  Hard.  I   786.     Über   die  Zeit,    da   das 

2  Renaudot  Euseb.,  Liturgiarum  Orient.  Konzil  abgehalten  ward,  vgl.  Hef.,  Concilien- 
collectio  I,  Frankfurt  1847.  160.  geschichte  1  746  ff.  '  L.  1,  c.  24,  p.  83. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  605 

in  jedem  Augenblick  als  den  erkennen  konnten,  an  welchen  sie  sich  zu 
wenden  hatten. 

Bei  Isidor  von  Pelusium  (f  ca  440)  heißt  das  Orarium  d&ovq,  lintenm, 
Linnentuch.  „Das  Linnentuch",  so  schreibt  derselbe,  „mit  dem  ausgestattet 
die  Diakone  ihre  gottesdienstlichen  Verrichtungen  im  Gotteshause  vollziehen, 
erinnert  an  die  Verdemütigung,  welcher  der  Herr  sich  unterzog,  als  er  seiner 
Jünger  Füße  wusch  und  abtrocknete.  Das  nicht  aus  Linnen,  sondern  aus 
Wolle  gemachte  Omophorion  des  Bischofs  symbolisiert  hingegen  das  Schäflein, 
das  der  Herr  in  der  Irre  suchte  und  auf  seinen  Schultern  heimwärts  trug."  1 
Das  Linnentuch  der  Diakone,  das  hier  als  diakonales  Charakteristikum  er- 
scheint, wie  das  Omophorion,  dem  es  gegenübergestellt  wird,  bischöfliches 
Abzeichen  war,  ist  zweifelsohne  dasselbe  Gewandstück,  welches  das  Lao- 
dicenum  und  das  Testamentum  orarium  nennen.  Man  hat  aus  den  Worten 
des  Heiligen  schließen  wollen,  es  sei  die  dd-üvi)  eine  Art  von  Abputztuch 
oder  liturgischer  Serviette  gewesen.  Allein  das  geht  zu  weit  und  liegt 
nicht  in  dem  Vergleich,  den  Isidor  anwendet.  Isidor  will  bloß  sagen:  das 
Abzeichen  des  diakonalen  Dienstes  solle  den  Diakon  an  die  Demut  Christi  er- 
innern, die  dieser  an  den  Tag  legte,  als  er  sich  zum  Diener  seiner  Jünger 
machte,  und  ihn  zu  gleicher  Demut  ermuntern,  wie  ja  das  bischöfliche  Abzeichen, 
das  Omophorion,  dem  Bischof  den  Eifer  zur  Nachahmung  ins  Gedächtnis 
rufen  solle,  mit  dem  der  Heiland  dem  verlorenen  Schäflein  nachging.  Die 
oäovy  erscheint  also  lediglich  als  Abzeichen  des  diakonalen  Ministerium. 

Vielleicht  noch  etwas  früher  als  bei  Isidor  begegnet  uns  das  Orarium 
der  Diakone  unter  dem  Namen  ödövy  in  der  wohl  von  Severian  von  Gabala 
(f  nach  408)  verfaßten  Predigt  vom  „verlorenen  Sohne"  2.  Denn  wenn  darin 
die  Diakone  geschildert  werden  als  ausgerüstet  bei  Verrichtung  ihres  heiligen 
Amtes  in  Nachahmung  der  beschwingten  Engel  mit  feinem  Linnentuch  auf 
der  linken  Schulter,  so  ist  auch  hier  die  ddövr)  ersichtlich  das  sonst  Orarium 
genannte  diakonale  Ornatstück.  Wir  machen  auf  den  Vergleich  aufmerksam, 
den  Severian  anwendet,  da  er  wenig  zur  Annahme  paßt,  es  sei  die  dbovij  ein 
Tuch  gewesen,  das  der  Diakon  zu  dienstlichen  Zwecken  bei  sich  getragen. 
Später  vergleichen  auch  Pseudo-Germanus  und  Pseudo-Sophronius  im  An- 
schluß an  die  Predigt  vom  „verlorenen  Sohne"  die  Diakone  mit  Engeln  und 
ihr  Orarium  mit  den  Flügeln  der  Engel. 

Seit  wann  bei  den  Syrern,  Chaldäern  und  Maroniten  auch  die  S üb- 
el iakone  bzw.  die  Lektoren  des  Orarium  sich  bedienten,  ist  nicht  fest- 
zustellen. Jedenfalls  ist  der  Brauch  nicht  erst  jüngeren  Datums,  da  schon 
in  dem  „Buch  der  Väter" 3  und  im  arabischen  Kommentar  zum  Laodicenum 
seiner  gedacht  wird4.  Das  „Buch  der  Väter"  gibt  einen  sonderbaren,  nicht 
gerade  geschmackvollen  Grund  an,  warum  die  Diakone  und  Subdiakone  sich 
mit  dem  Orarium  schmückten.  Das  Ornatstück  soll  eine  Erinnerung  an  die 
Tiereingeweide  sein,  mit  denen  die  Juden  zum  Spotte  der  Apostel  Hals  umgeben 
hätten.  Da  es  sich  nämlich  nicht  zieme,  daß  auch  wir  dergleichen  um  den 
Hals  hingen,  so  trügen  die  Diakone  und  Subdiakone  das  Orarium,  um  so  den 
Aposteln  wenigstens  einigermaßen  zu  gleichen.  Daß  auch  bei  den  Armeniern  die 
Subdiakone  sich  früher  der  Stola  bedienten,  erhellt  aus  den  diesbezüglichen  aus- 


'  Epp.  1.  1,  n.  136  (Mg.  78,  272).  Saloniki  (De  sacr.  ordinat.  c.  174  [Mg.  155, 

2  Mg.    59,    520.      Die    Deutung,     welche  381])  wiederholt. 

Severian  vom    Orarium   gab,    hat    gefallen;  3  La  scienee  catholique  1890,  450. 

denn  sie  wurde  selbst  noch  von  Simeon  von  *  Ass.,  Bibl.  III  2,  805. 


606 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Bild  287.   Bittgottesdienst.   Miniatur  aus  einer 

Homiliensammlung  Gregors  v.  Nazianz. 

Paris,  Bibl.  Nat. 


drücklichen  Angaben  des  Nerses  von 
Lampron 1.  Sie  hatten  dieselbe  in  der 
linken  Hand.  Es  braucht  kaum  wieder- 
holt zu  Averden,  daß  die  subdiakonale 
Stola,  von  der  Nerses  erzählt,  mit  dem 
heutigen  Manipel  der  armenischen  Sub- 
diakone  eins  ist. 

Der  arabische  Kommentator  des 
Laodicenum  will  can.  22  desselben  mit 
der  bestehenden  syrischen  Praxis  aus- 
gleichen. Er  gibt  ihm  daher  den  Sinn, 
es  sei  in  ihm  den  Subdiakonen  nur 
verboten,  das  Orarium  wie  die  Diakone 
von  der  linken  Schulter  herabhangen 
zu  lassen,  nicht  aber,  es  um  den  Hals 
zu  schlingen ,  wie  das  die  Diener  der 
Könige  täten. 

Hinsichtlich  der  Beschaffen- 
heit der  Stola  in  der  Ostkirche  fehlen 
die  Nachrichten  fast  ganz.  Der  Name 
dtluvT)  und  der  Vergleich  mit  den  Engels- 
flügeln dürfte  darauf  hinweisen,  daß 
das  diakonale  Orarium  um  den  Beginn 
des  5.  Jahrhunderts  noch  ein  förmliches  (wenngleich  wohl  zu  einer  Art  von 
Streifen  zusammengelegtes),  aus  Linnen  angefertigtes  Tuch  war.  Von  dem 
Epitrachelion  hören  wir  bloß,  daß  man  es 
wohl  mit  reichen  Verzierungen  zu  versehen 
pflegte2.  Ob  es  je  ein  eigentliches  Tuch 
war,  wie  lange  es  das  blieb  und  wann  es 
zu  einem  Bande  wurde,  davon  wird  uns  nichts 
berichtet;  wir  erhalten  darüber  auch  nicht 
einmal  eine  Andeutung. 

Leider  geben  auch  die  Bildwerke  über 
die  Beschaffenheit  des  Orarium  und  des 
Epitrachelion  in  älterer  Zeit  keinen  Auf- 
schluß. Monumente,  auf  denen  das  diakonale 
Orarium  zum  Vorschein  kommt,  sind  uns  keine 
bekannt  geworden,  welche  über  die  letzte 
Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  hinausreichten. 
Das  Epitrachelion  begegnet  uns  aber  auf 
den  bildlichen  Darstellungen  erst  ein  ganzes 
Jahrhundert  später. 

Die  früheste  Abbildung  des  Ora- 
rium der  Diakone,  die  zu  unserer  Kenntnis 
gekommen  ist,  findet  sich  auf  einigen  Minia- 
turen der  für  Basilius  I.  (867 — 886)  geschrie- 
benen Sammlung  der  Homilien  Gregors  von 


Bild  288.     St  Abibus.     Miniatur  im 
Menologium  Basilius'  IL    Rom,  Vatikan. 


1  Kommentar  zur  beil.  u.  göttl.  Liturgie  c.  5 
(ed.  Venet.  80  f).    Vgl.  auch  oben  S.  550. 

2  Vgl.  das  Schreiben  des  Patriarchen  Nice- 


phorus  an  Leo  III.  (M.  102,  1068)  und  das 
des  Patriarchen  Petrus  von  Antiochien  an  den 
Patriarchen  Michael  Cärularius  (Mg.  120, 800). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


607 


Nazianz  in  der  Pariser  Nationalbibliothek  (Bild  287).  Gute  Beispiele  aus  der 
Wende  des  ersten  Jahrtausends  bieten  verschiedene  Darstellungen  (Bild  288) 
im  Menologium  Basilius'  IL  (976 — 1025).  Das  Ornatstück  ist  dort  und  hier, 
gerade  wie  in  der  ganzen  Folgezeit  auf  den  Bildwerken,  ein  langes,  schmales, 
von  der  linken  Schulter  über  Brust 
und  Rücken  herabfallendes  Band.  Das- 
selbe ist  nur  mit  kleinen  Kreuzen  ver- 
sehen, sonst  aber  noch  ohne  alle  Ver- 
zierung, während  es  später  auf  den 
Monumenten  auch  wohl  mit  Schluß- 
stücken  und  Fransen  an  den  Enden  und 
ähnlichem  ausgestattet  ist.  Das  drei- 
malige 'AyioQ,  das  doch  schon  zur  Zeit 
Simeons  von  Saloniki  auf  dem  diako- 
nalen  Orarium  angebracht  wurde  *, 
findet  sich  niemals  auf  den  Bildwer- 
ken. Es  scheint  demnach  erst  im 
späteren  Mittelalter  Brauch  geworden 
zu  sein,  das  Ornatstück  mit  ihm  zu 
schmücken. 

Es  verdient  angemerkt  zu  werden, 
daß  auf  einzelnen  Darstellungen  heilige 
Diakone  auf  der  linken  Schulter  einen 
Umwurf  tragen.  Eine  verwandte  Er- 
scheinung finden  wir  auf  abendländi- 
schen Monumenten  wiederholt  beim 
hl.  Laurentius  und  beim  hl.  Stephanus. 
Man  darf  das  Tuch  nicht  mit  dem 
Orarium  verwechseln.  Weil,  wie  übri- 
gens auch  natürlich,  ganz  durch  den 
Umwurf  verdeckt,  ist  letzteres  in  den 
meisten  Fällen  unsichtbar.  Es  wäre 
indessen  verkehrt,  daraus  zu  schließen, 
eben  jenes  Tuch  solle  das  Orarium 
sein.      Denn    es    gibt   Bildwerke,    auf 


w 


denen  der  Künstler  beide  zugleich  dar- 


\immi 


zustellen  verstanden  hat.  Der  Umwurf 
ist  bald  das  antike  Mantelpallium,  mit 
dem  in  der  altchristlichen  Kunst  die 
heiligen  Diakone  Stephanus  und  Lau- 
Bild  289.  Griechische  rentius  regelmäßig  ausgestattet  sind, 
Priesterstola.  bald,    wie    es    scheint,    eine   Art    von 

Düsseldo^Kun^gewprbe-     y^^     ^      dem      ^      Hei]jgen      einß 

Pyxis  halten. 

Das  Epitrachelion  tritt  auf  den  Monumenten  auffallenderweise 
erst  um  die  Wende  des  Jahrtausends  auf.  Wir  sehen  es  häufig  auf  den 
Miniaturen  im  Menologium  des  Basilius  IL  (Bild  245  und  246,  S.  490;  269, 
S.  552).    Es   hat  hier  die  Form  eines  schmalen,  an  seinen  Enden  reich  ver- 


*"™ilp!. 


Bild  290. 
Reichgestickte 
griechische  Priester- 
stola von  1617. 


1  De  sacris  ordinal  c.  173  (Mg.  155,  381). 


608 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


zierten  Streifens  und  ist  in  der  Regel  von  weißer  Farbe.  Die  Enden  hangen 
bald  mehr  oder  weniger  übereinander,  bald  nebeneinander,  ein  Beweis,  daß 
man  im  Beginn  dieses  Jahrtausends  die  jetzige  Form  des  Epitrachelion  noch 
nicht  kannte.  Kreuze  finden  sich  noch  nicht  regelmäßig  auf  dem  Ornatstück 
angebracht. 

Gegen  Ende  des  Mittelalters  hat  das  Epitrachelion  auf  den  Bildwerken 
schon  an  Breite  gewonnen  und  sich  insofern  der  modernen  griechischen  Stola 
genähert.  Doch  besteht  es  noch  immer  aus  zwei  frei  vom  Halse  herabfallenden 
Streifen.  Ob  es  auch  schon  im  Mittelalter  mit  ornamentalem  und  bildlichem 
Schmuck  versehen  wurde,  muß  dahingestellt  bleiben,  da  weder  die  Bildwerke 
darüber  Auskunft  geben,  noch  mittelalterliche  Stolen  dieser  Art  vorliegen. 
In  der  Neuzeit  war  solches  Brauch,  wie  verschiedene  aus  dem  16.  und  17.  Jahr- 
hundert stammende,  ungemein  kunstvoll  in  Gold,  Silber  und  Seide  bestickte 
Stolen  beweisen  (Bild  289  u.  290,  S.  607)  K 

Über  die  Verwendung  der  Stola  in  der  Vergangenheit  hören  wir  kaum 
etwas.  Im  späteren  Mittelalter  durfte  nach  griechischem  Brauch  der  Priester 
ohne  das  Epitrachelion  keine  Amtshandlung  vornehmen.  Wenn  derselbe  darum 
irgend  eine  Funktion  dieser  Art  zu  vollziehen,  etwa  die  Taufe  zu  spenden 
hatte,  eine  Stola  aber  nicht  zur  Hand  war,  so  mußte  er  den  Gürtel,  ein  Band 
oder   irgend   ein  Tuch   segnen  und   nach  Weise   des  Epitrachelion  umlegen  "2. 

Der  Diakon  benutzt  nach  gegenwärtigem  Brauch  sein  Orarium  beim 
Gottesdienst,  um  mittels  desselben  bei  bestimmten  Gelegenheiten  ein  Zeichen 
zu  geben.  Er  hält  zu  dem  Zwecke  in  den  meisten  Zweigen  des  griechischen 
Ritus  das  nach  vorn  herabfallende  Ende  des  Ornatstückes  beständig  in  der 
Hand.  Schon  Balsamon  kennt  den  Brauch  3.  Derselbe  muß  also  bereits  im 
12.  Jahrhundert  bestanden  haben.  Eingehendere  Mitteilung  erhalten  wir  über 
ihn  in  der  unter  dem  Namen  des  hl.  Johannes  Chrysostomus  gehenden 
Liturgie 4.  Die  Sitte ,  mit  dem  Orarium  bei  dem  heiligen  Opfer  Zeichen  zu 
geben,  ist  übrigens  unseres  Wissens  nur  dem  griechischen  Ritus  eigen. 


IX.    URSPRUNG  DER  STOLA. 

Es  bleibt  noch  die  Frage  nach  dem  Ursprünge  der  Stola  bzw.  des 
Orarium.  Von  einem  der  jüdischen  Kultgewänder  des  Alten  Bundes  kann 
dieses  Ornatstück  auf  keinen  Fall  herstammen.  Wie  für  den  Manipel,  so 
gibt  es  auch  für  die  Stola  so  wenig  ein  Vorbild  unter  den  aaronitischen  Priester- 
kleidern, daß  es  nicht  einmal  die  alten  Liturgiker  unternommen  haben,  die- 
selbe von  einem  der  Opfergewänder  des  mosaischen  Kultus  abzuleiten.  Pseudo- 
Alkuin  sagt  sogar,  wie  bezüglich  des  Manipels,  so  auch  hinsichtlich  der  Stola, 
ausdrücklich:    Sunt   tarnen    alia,    quae   apud   illos   non   habebantur,    ut   stola, 


1  Vgl.  auch  das  kostbare  Epitrachelion  vom 
Jahr  1651  in  „Die  katholische  Kirche"  II, 
München  1900,  374.  Die  Abbildungen  be- 
weisen, wie  falsch  es  ist,  wenn  man  die 
griechische  Kunst  des  späten  Mittelalters 
und  der  Neuzeit  als  schlechthin  dem  Stadium 
äußerster  Dekadenz  verfallen  hinstellt,  wie 
das  doch  sehr  gewöhnlich  geschieht.  Nament- 
lich ist  die  in  Bild  290,  S.  607  wiedergegebene 
Stola  mit  ihren  bis  ins  kleinste  fein  aus- 
geführten, zahlreichen,  nur  ca  0,10—0,12 
hohen  Figürchen  voll  Ausdruck  und  Adel  ein 


Meisterwerk  der  Nadelmalerei,  zu  dem  man 
im  Abendland  nicht  viele  Gegenstücke  aus 
gleicher  Zeit  finden  dürfte.  Die  Photographie 
zu  Bild  290  wie  zu  Bild  243,  S.  487  verdanke 
ich  der  Freundlichkeit  des  Direktors  des 
Kunstgewerbemuseums  zu  Düsseldorf,  Herrn 
H.  Frauberger. 

2  Simeon.  Thess. ,   Responsa  ad    Gabr. 
Pentap.  qu.  17  (Mg.  155,  868). 

3  In  can.  22  Syn.  Laodic.  (Mg.  137,  1369). 
1  Mg.    63,   901  ff.     Vgl.    auch   Philoth. 

Patr. ,Inordinesacriministerii(Mg.  154,  752). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  609 

sandalia  et  sudarium  *.  Der  Ursprung  der  Stola  muß  also  in  anderer  Weise 
erklärt  werden.  Sehen  wir  zu,  wie  man  solches  versucht  hat  und  was  von 
den  verschiedenen  Erklärungsversuchen  zu  halten  ist. 

Eine  ehedem  weit  verbreitete,  aber  auch  noch  in  jüngerer  Zeit  wieder- 
holt ausgesprochene  Ansicht  faßt  die  Stola  auf  als  den  allein  übrig  gebliebenen 
Besatz  eines  „Stola"  genannten  Gewandes.  Sie  gründet  sich  also  auf  den 
Namen  „Stola". 

Die  Ansicht  tritt  in  drei  verschiedenen  Schattierungen  auf.  Nach  der 
ersten  wäre  die  Stola  herzuleiten  von  den  Längsstreifen,  den  clavi,  der  Tunika 
der  römischen  Matronen,  die  „Stola"  genannt  wurde  und  in  kirchlichen  Gebrauch 
übergegangen  sein  soll.     Lassen  wir  uns  die  Sache  näher  erklären. 

Wie  die  paenula ,  sagt  man ,  in  den  ersten  christlichen  Jahrhunderten  zum 
gottesdienstliclien  Gebrauch  erhoben  und  der  Name  derselben  unverändert  beibehalten 
wurde,  so  sei  auch  ein  anderes  Ehrengewand,  die  Stola  der  römischen  Matronen,  als 
gottesdienstlicher  Ornat  bei  der  Feier  der  heiligen  Geheimnisse  der  Christen  in  Brauch 
genommen  worden,  ohne  daß  man  sich  veranlaßt  sah,  den  Namen  desselben  zu  ändern, 
indem  seine  bisher  gebräuchliche  Form  unverändert  belassen  wurde.  Das  einzige 
verzierende  Ornament,  womit  das  faltenreiche  Gewand  der  Stola  des  klassischen 
Altertums  gehoben  wurde ,  habe  in  einem ,  kaum  eine  Hand  breiten  Streifen  (fascia) 
bestanden,  der  als  Verzierung  in  Gold-  oder  Purpurstoffen  so  auf  die  Stola  aufgenäht 
war,  daß  er  als  fascia,  limbus  die  Stola  an  zwei  Stellen  parallel  laufend  verzierte 
und  auf  beiden  Seiten  über  die  Schulter  als  langer  Streifen  bis  zu  den  Füßen  herunter- 
stieg. Wie  Durandus  (Rat.  III,  5)  ganz  richtig  bemerke,  sei  dieser  schmale  ver- 
zierende Streifen,  ähnlich  einer  Schlinge,  als  auszeichnendes  Ornament  von  der  alten 
Stola  heute  nur  allein  übrig  geblieben  und  der  faltenreiche  Unterstoff,  das  eigentliche 
primitive  Stolagewand  des  Altertums,  fortgefallen,  so  daß  heute  auf  einen  kleineren 
ornamentalen  Teil  der  Name  des  ehemaligen  weiten  Gewandes  stola  übergegangen  sei. 
Die  Stola  soll  von  Konstantin  an  bis  zum  6.  Jahrhundert  noch  als  faltenreiches 
Gewand  mit  aufgenähten  Bandstreifen  ohne  Veränderung  bestanden  und  auf  den 
Mosaiken  in  S.  Vitale  zu  Eavenna  sich  in  der  Tunika  des  Erzbischofs  Maximianus 
und  seiner  Diakon e  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  erhalten  haben.  Daß  aber  die 
von  dem  Gewände  übrig  gebliebenen  Streifen  orarium  genannt  wurden,  soll  seinen 
Grund  in  der  Ähnlichkeit  dieser  fasciae  mit  dem  im  profanen  Leben  gebräuchlichen 
orarium  (Halstuch)  haben. 

Andere  lassen,  um  den  Namen  orarium  besser  erklären  zu  können,  die 
Stola  in  einem  im  übrigen  analogen  Prozeß  statt  aus  den  senkrechten  Parallel- 
streifen aus  dem  Besatz  entstehen,  welcher  den  unteren  Saum  (ora)  des 
alten  Matronen-  und  angeblich  späteren  Priestergewandes  verzierte  und  allein 
von  diesem  übrig  geblieben  sein  soll.  Die  dritte  Modifikation  endlich  geht 
dahin,  es  sei  die  „Stola"  ein  vorn  offenes  Kleid  und  die  jetzige  liturgische 
Stola  bzw.  das  Orarium  die  Einfassung  der  Halsöffnung  und  des  vorn  vom 
Halse  nach-  unten  verlaufenden  Schlitzes  gewesen.  Sie  glaubt,  durch  diese 
Annahme  am  leichtesten  die  Namen  Stola  und  Orarium  wie  auch  die  Trag- 
weise der  priesterlichen  Stola  erklären  zu  können. 

In  welcher  Form  indessen  auch  die  Hypothese  auftritt,  sie  ist  in  jeder  un- 
zutreffend und  unannehmbar. 

Es  ist  allerdings  richtig,  daß  schon  sehr  früh  im  christlichen  Kultus  eine  lange 
Tunika  in  Gebrauch  war ;  allein  es  ist  doch  wohl  nicht  zutreffend ,  daß  dieselbe  von 
der  römischen  Matronentunika  abstammt,  am  wenigsten  aber,  daß  sie  von  dieser  den 
Namen   angenommen   hat.      Verkehrt    ist    es    auch,   in    den   mit   Streifen   versehenen 


1  Psendo-Alkuin,  De  div.  offic.  c.  38  (M.  101,  1240). 

Braun,   Die  liturgische  Gewandung. 


610  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Tuniken  des  Erzbischofs  Maximianus  und  seiner  Diakone  die  Stola  wiedererkennen 
zu  wollen ;  das  fragliche  Gewand  ist  die  Dalmatik.  Weiterhin  ist  nirgends  eine  Spur 
von  der  Umwandlung  der  angeblichen  Stola  als  Gewand  in  die  Stola  als  Streifen 
zu  entdecken ,  und  doch  sollte  man  meinen ,  das  völlige  Verschwinden  eines  so 
faltenreichen  und  weiten  Kleides,  wie  die  Stola  es  war,  unter  bloßer  Erhaltung  ihrer 
Streifen  bzw.  der  Saumeinfassung,  habe  sich  nicht  vollziehen  können,  ohne  irgend 
eine  Erinnerung  daran  zurückzulassen,  zumal  noch  im  6.  Jahrhundert  dieses  Gewand 
in  Brauch  gewesen  sein  soll.  Im  Gegenteil  finden  wir,  daß  die  Besätze  der  stola 
genannten  Tunika  selbst,  nachdem  sie  angeblich  zur  jetzigen  Stola  geworden  waren, 
mitsamt  der  ganzen  Tunika  vor  wie  nach  auf  den  Bildwerken  erscheinen.  Dazu 
kommt,  daß  die  Zierstreifen,  die  zum  Orarium  geworden  sein  sollen,  aus  Purpur- 
stoffen angefertigt  waren,  während  doch  die  griechischen  und  spanischen  Orarien 
aus  weißem  Zeug  bestanden. 

Warum,  so  fragen  wir  ferner,  erscheint,  wenn  das  Orarium  von  der  alten  Ma- 
tronenstola abstammen  soll,  der  Name  stola  nicht  da  zuerst,  wo  jenes  Gewand  zu 
Hause  war,  und  wie  kommt  es,  daß  er  im  Norden  am  frühesten  auftritt,  ja  allem 
Anschein  nach  dort  zur  Benennung  des  Ornatstückes  wurde?  Und  wie  ging  es  zu, 
daß  aus  den  Doppelstreifen  bzw.  dem  Bandbesatz  der  stola  genannten  Talartunika 
die  Diakonal-  und  Priesterstola  hat  werden  können?  Wie  entstand  aus  den  zwei 
Streifen,  die  sich  vorn  und  rückwärts  von  der  Schulter  bis  zu  den  Füßen  hinzogen, 
das  nur  auf  der  linken  Schulter  aufliegende  Orarium  des  Diakons  und  die  um  den 
Hals  sich  hinziehende  und  in  zwei  Streifen  über  die  Brust  herabfallende  bischöfliche 
oder  die  vor  derselben  sich  kreuzende  priesterliche  Stola?  Wie  kam  es,  daß,  wenn 
man  das  Orarium  vom  unteren  Saumbesatz  ableitet,  dieser  auf  die  linke  Schulter  oder 
den  Hals  heraufstieg,  und  wie  geschah  es,  daß  dasselbe,  falls  man  es  als  die  ehe- 
malige Einfassung  der  vordem  Öffnung  betrachtet,  zur  Diakonalstola  wurde?  Und 
dann  gab  es  ja  doch  im  griechischen  Ritus  eine  Stola  bereits  um  die  Mitte  des  4., 
in  Spanien  aber  schon  wenigstens  in  der  ersten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts,  also  eine 
Weile  vor  der  angeblichen  Umbildung  der  „Gewand "-Stola  in  die  „Streifen "-Stola. 

Man  beruft  sich  auf  Durandus  '.  „Man  beachte",  so  führt  derselbe  aus4,  „daß 
vor  alters  die  Stola  ein  weißglänzendes  Kleid  war,  das  bis  zu  den  Füßen  reichte 
und  dessen  sich  die  Patriarchen  vor  dem  Gesetze  bedienten ,  das  die  Erstgebornen, 
wenn  sie  den  Segen  des  Vaters  erhielten ,  anzogen  und  in  dem  sie  dem  Herrn  als 
Priester  opferten ;  allein  nachdem  man  anfing,  die  Albe  zu  tragen,  wurde  sie  in  einen 
torques  (Kette,  Schmuekkette,  Halsjoch,  Ringel,  Guirlande,  hier  wohl  Streifen)  um- 
gewandelt." Allein  wo  ist  in  diesen  Worten  von  der  stola  matronafis,  die  zum 
christlichen  Kultkleide  geworden ,  und  überhaupt  von  einer  Stola  im  Sinne  eines 
langen  tunikaartigen  Sakralgewandes  des  Neuen  Bundes  die  Rede?  Wo  spricht 
Durandus  von  den  fasciae  und  den  andern  Besätzen,  und  wo  führt  unser  Liturgiker 
aus,  daß  von  der  alten  Matronenstola  nur  die  Verzierungen  in  Gestalt  der  jetzigen 
Stola  übrig  geblieben  seien  ?  Der  Verfasser  des  Rationale  will  nur  sagen :  Im  Alten 
Bunde  war  die  stola  ein  bis  zu  den  Füßen  herabwallendes  priesterliches  Kleid  der 
Erstgebornen  zur  Patriarchenzeit.  Nun  aber  hat,  da  man  im  christlichen  Kultus  die 
Albe  trägt ,  das  Gewand ,  welches  man  stola  nennt,  ein  anderes  Aussehen ,  als  jenes 
patriarchale  Priestergewand  es  besaß,  indem  es  jetzt  einen  torques  darstellt.  Auf 
eine  Entstehung  der  Stola  geht  Durandus  nicht  ein.  Es  ist  in  der  Tat  schwer  ver- 
ständlich, wie  man  den  Worten  des  Durandus,  dessen  Mangel  an  historischem  Sinn 
zudem  doch  männiglich   bekannt   ist,   je   irgend  eine  Bedeutung  hat  beilegen  können. 


1  Ebd.  1.3,  c.  5,  n.  6;  f.  69.     Ähnlich  wie  Albe    zu   tragen,    habe   man    die   Stola,    die 

Durandus  sprechen  auch  Honorius  (Gemma  vestis  Candida,  pertingens  ad  vestigia  er- 

1.1,    c.  205    [M.  172,    606])    und  Sicard  setzt  durch  die  „Streifenstola".    Daß  letztere 

(Mitralis  1.  2,  c.  5  [M.  213,  74]),  von  denen  der  allein  beibehaltene  Besatz  der  „Gewand- 

der  Verfasser  des  Rationale  seine  Äußerung  stola"  sei,  rindet  sich  in  ihren  Worten  nicht 

entlehnt  zu  haben  scheint.    Auch  sie  wollen  nur  nicht  ausgesprochen,  sondern  nicht  einmal 

nur  sagen,    als   man  angefangen   habe,    die  angedeutet. 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


611 


Eine  zweite  Meinung  möchte  das  Wort  orarium  mit  orare  (beten)  in 
Verbindung  bringen  und  den  Ursprung  unseres  Gewandstückes  in  einer  Art 
Gebetsmantel  suchen.  Die  Juden,  heißt  es  ihr  zufolge,  hätten  die  Gewohnheit 
gehabt,  beim  öffentlichen  Gebete  sich  eines  besondern  Umhangstuches,  einer 
Art  von  Ephod,  zu  bedienen,  das  von  dem  gleichnamigen  hohenpriesterlichen 
Gewände  zwar  verschieden,  aber  demjenigen  ähnlich  gewesen  sei,  mit  dem 
David  (2  Kg  6,  14)  vor  der  Arche  bekleidet  war.  Da  nun  das  Christentum 
zunächst  unter  den  Juden  seine  Anhänger  gefunden  habe,  und  zumal  in  den 
Städten  die  ersten  Gläubigen  zum  großen  Teil  Judenchristen  gewesen  seien, 
habe  sich  auch  bei  den  Christen  die  Gewohnheit  herausgebildet,  beim  Gottes- 
dienst sich  jenes  Gebetsmantels  zu  bedienen.  Auf  ein  solches  Gewand,  meint 
man,  spiele  wahrscheinlich  die  Apokalypse  an,  wenn  sie  die  Altesten  mit 
vestimentis  albis  vor  dem  Thron  des  Lammes  angetan  sein  läßt;  auch  glaubt 
man  in  den  weißen  Mänteln,  welche  die  24  Ältesten  auf  alten  Mosaiken  so 
umhüllen,  daß  sie  nicht  bloß  deren  Schulter,  sondern  auch  deren  Hände  be- 
decken1 —  wie  man  sagt,  im  Altertum  das  besondere  Zeichen  der  Flehenden  — , 
den  fraglichen  Gebetsschleier  zu  erkennen.  Derselbe  soll  überhaupt  auf  ver- 
schiedenen Monumenten  der  altchristlichen  Zeit  auftreten,  zumal  aber  auf  Gold- 
gläsern, auf  welchen  wir  z.  B.  die  Apostelfürsten,  die  hl.  Agnes  u.  a.,  darunter 
auch  Personen  in  der  Haltung  von  Oranten,  mit  einem  um  die  Schultern  ge- 
worfenen und  mittels  einer  Spange  auf  der  Brust  festgehaltenen  Umhangs- 
tuch dargestellt  sehen 2.  Dieser  Gebetsmantel,  so  erklärt  man  weiter,  sei 
anfangs  Klerikern  und  Laien  gemeinsam  gewesen,  später  aber  sei  er  bei  den 
letzteren  abgekommen,  wie  das  auch  mit  andern  liturgischen  Ornatstücken 
geschehen  sei ;  seitdem  habe  er  sich  bloß  im  Gebrauch  der  Kleriker  erhalten  3. 

Indessen  erheben  sich  auch  gegen  diese  Ansicht  ernste  Bedenken.  Die  Ab- 
leitung des  Wortes  orarium  von  orare  im  Sinne  von  beten  findet  sich  erst  im  12.  Jahr- 
hundert. Den  Gebetsmantel  der  Juden,  den  sog.  großen  Tallith ',  haben  zudem,  soweit 
darüber  ein  Urteil  möglich  ist,  die  Tage  Christi  und  der  Apostel  noch  nicht  gekannt. 


1  Garr.  IV,  tav.  253  (Cosma  e  Damiano), 
tav.  286  (S.  Prassede),  tav.  292  (S.  Cecilia). 

2  Ebd.  III,  tav.  179  181 182  (Petrus  und  Pau- 
lus), tav,  187  (Christus),  tav.  188  (Mavcellusund 
Callistus),  tav.  191  (Agnes),  tav.  193  (Xystus 
und  Timotheus),  tav.  185  (Ursus  und  Dion), 
tav.  194  (Simon,  Philippus,  Damas  und 
Thomas)  u.  a. 

3  Martigny,  Dictionnaire  des  antiquites 
chretiennes  unter  Orarium  545  und  unter  Vete- 
ments  783. 

4  Man  unterscheidet  zwei  Arten  des  Tallith 
(Talles)  ,  den  großen  und  den  kleinen. 
Letzterer,  ein  mäßig  breiter,  längerer  Tuch- 
streifen, der  in  der  Mitte  mit  einem  Loch 
zum  Durchstecken  des  Kopfes  und  an  den 
Enden  mit  den  sog.  Schaufäden  versehen  ist, 
wird  in  Form  eines  Skapuliers  unter  den 
oberen  Kleidern  getragen.  Der  erste,  ein  großes 
Tuch,  das  an  seinen  Ecken  —  es  sind  deren 
gewöhnlich  vier  —  ebenfalls  die  Schaufäden 
haben  muß,  wird  beim  Gebet,  besonders  in 
der  Synagoge,  über  den  Kopf  und  die  Schultern 
geworfen.  Wie  es  scheint,  ist  der  Tallith  nichts 
anderes  als  ein  Rest  des    altjüdischen  Ober- 


kleides,  welches  bekanntlich  mit  den  Zizith 
(Quasten)  ausgestattet  sein  mußte  (Nm  15, 
38.  Dt  22,  12).  Auch  der  Heiland  trug 
diesen  mantelartigen  Überwurf  (Mt  9,  20; 
14,  36.  Mk  6,  56).  Die  Quasten  sollten  den 
Juden  daran  erinnern ,  daß  er  gehalten  sei, 
das  Gesetz  zu  beobachten.  Eine  besondere 
liturgische  Bedeutung  hatte  dieser  Mantel 
zur  Zeit  Christi  nicht.  Den  Charakter  eines 
Gebetsmantels  scheint  dieses  Kleidungsstück 
infolge  der  Zerstreuung  des  auserwählten 
Volkes  erlangt  zu  haben.  Unter  den  Heiden 
konnten  nämlich  die  Juden  den  mit  Zizith 
versehenen  Überwurf  nicht  mehr  öffentlich 
wie  einstmals  tragen.  Darum  lag  es  nahe, 
seinen  Gebrauch  auf  die  Zeit  des  Gebetes 
und  namentlich  der  religiösen  Zusammen- 
künfte in  den  Synagogen  zu  beschränken, 
für  das  gewöhnliche  Leben  aber  in  dem  unter 
den  äußeren  Kleidern  verborgenen  kleinen 
Talles  einen  Ersatz  desselben  zu  schaffen. 
So  aber  dürfte  dann  unter  dem  Einfluß  der 
rabbinischen  Doktrinen  aus  jenem  Umwurf 
sich  allgemach  ein  Gebetsmantel,  der  große 
Talles,  herausgebildet  haben. 
39* 


612  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Mit  dem  Ephod,  einem  Schulterkleid,  hat  dieses  den  Kopf  und  die  Schultern  bedeckende 
Tucli  nichts  zu  tun.  Der  Tallith  ist,  wie  es  scheint,  rabbinischen  Ursprunges.  Zur 
Zeit  seiner  Einführung  war  das  jüdische  Element  in  den  christlichen  Gemeinden 
so  gering,  daß  die  Annahme,  es  hätten  die  Christen  überhaupt  um  ihrer  juden- 
christlichen Glaubensgenossen  willen  einem  talmudischen  Gebrauch  sich  anbequemt, 
durchaus  unwahrscheinlich  ist.  Wohl  haben  auf  den  alten  Monumenten  die  weib- 
lichen Oranten  eine  Kopfverhüllung ;  allein  dieser  Gebetsschleier  ist  nichts  als  das 
gewöhnliche  Frauenkopftuch  und  hat  mit  dem  jüdischen  Gebetsmantel,  den  die  männ- 
lichen Juden  tragen ,  nichts  zu  schaffen.  Ebenso  unbegründet  ist  es  in  den  weif3en 
Gewändern  der  vierundzwanzig  Altesten  der  Apokalypse  eine  Andeutung  des  Gebets- 
mantels sehen  zu  wollen.  Der  Überwurf  aber,  den  die  apokalyptischen  Greise  auf  den 
Mosaiken  tragen,  ist  dasselbe  Gewand,  mit  dem  auch  Christus,  die  Apostel,  die  Engel 
und  sonstige  Personen  angetan  erscheinen,  das  gewöhnliche  Mantelpallium.  Dasselbe 
verhüllt  allerdings  die  Hände  der  Ältesten ,  welche  Kronen  halten ;  jedoch  ist  es 
unrichtig,  diese  Verschleierung  der  Hände  als  ein  Zeichen  des  Betens  zu  betrachten. 
Wie  immer  es  die  Heiden  damit  gehalten  haben  mögen,  die  Oranten  bekunden,  daß 
die  Christen  beim  Gebet  die  Hände  nicht  zu  verdecken  pflegten.  Wenn  die  Ältesten  mit 
den  vom  Pallium  verhüllten  Händen  ihre  Kronen  dem  Lamm  darbringen,  dann  ist  das 
freilich  der  Ausdruck  der  Ehrfurcht  sowohl  vor  dem  Gegenstand  selbst,  den  sie  in 
denselben  halten,  als  auch  vor  demjenigen,  dem  sie  ihre  Weihegabe  darbieten.  Wie 
wenig  aber  deshalb  ihr  Pallium  als  Gebetsmantel  aufgefaßt  werden  kann,  bekunden 
jene  häufigen  Darstellungen,  auf  denen  in  ähnlichen  Fällen  die  Planeta,  ja  selbst  die 
Chlamys,  zur  Verschleierung  der  Hände  dient '. 

Das  Tuch,  mit  dem  die  hll.  Petrus  und  Paulus,  Agnes,  Calixtus  und  andere 
auf  den  Bildwerken  bekleidet  erscheinen,  ist  ein  gewöhnlicher,  auf  der  Brust  fibulierter 
Mantel  oder  Überwurf,  der  uns  auch  auf  sonstigen  Darstellungen  mehrfach  begegnet 
und  bald  auf  der  Brust,  bald  auf  der  rechten  Schulter  mit  einer  Spange  festgehalten 
erscheint,  also  die  lacerna.  Derselbe  könnte  eher  der  Ahnherr  unseres  Pluviale  als 
der  Stola  sein.  Ihn  als  eine  Art  von  Gebetsschleier  aufzufassen,  dazu  dürfte  nicht  einmal 
dann  ein  Anlaß  vorliegen,  wenn  die  Oranten  regelmäßig  mit  demselben  angetan  wären, 
was  jedoch  nicht  der  Fall  ist.  Der  fragliche  Mantel  findet  sich  fast  nur  auf  einer  Anzahl 
von  Goldgläsern,  die  dem  Stil  und  dem  Charakter  der  Bilder  nach  zu  urteilen  aus 
einer  Werkstätte  stammen  dürften.  Daß  der  Künstler  für  seine  Darstellungen  (Brust- 
bilder) die  lacerna  mit  der  Fibula  auf  der  Brust  wählte,  erklärt  sich  unschwer  aus 
dem  Umstände,  daß  gerade  dieses  Gewand  ihm  vom  künstlerischen  Standpunkt  aus 
für  seine  Darstellungen  (Medaillons)  am  zweckmäßigsten  erscheinen  mochte.  Auf 
Mosaiken  des  5.  und  6.  Jahrhunderts  tragen  allerdings,  wie  schon  früher  gelegentlich 
gesagt  wurde 2,  auch  die  jüdischen  Priester  sowie  Melchisedech  und  Jethro  einen  auf 
der  Brust  mit  einer  Spange  festgehaltenen  Umwurf.  So  in  Maria  Maggiore 3 ,  in 
S.  Vitale  zu  Ravenna ',  in  S.  Apollinare  in  Classe 5  und  in  S.  Apollinare  Nuovo 6. 
Allein  es  ist  wohl  zu  beachten ,  daß  sie  jenen  Mantel  nicht  nur  bei  den  wenigen 
liturgischen  Funktionen  (Melchisedech ,  Jethro) ,  sondern  auch  bei  Handlungen  des 
Alltagslebens  haben.  Ein  Gebetsmantel  ist  derselbe  nicht,  sondern  nur  ikonographische 
Eigentümlichkeit  der  alttestamentliehen  Priester  auf  den  altchristlichen  Bildwerken, 
zumal  auf  solchen,  die  unter  dem  Einfluß  der  Kunst  des  Ostens  entstanden. 

Eine  bloße  Behauptung  und  nichts  mehr  ist  es,  wenn  man  weiterhin  sagt,  es 
hätten  anfangs  alle  den  Gebetsmantel  getragen,  dann  aber  hätten  die  Laien  dem 
Klerus  denselben  überlassen.  Die  geschichtlichen  Quellen  bieten  weder  direkt  noch 
indirekt  für  eine  solche  Hypothese  einen  Anhaltspunkt.  Es  ist  freilich  wahr,  daß 
gewisse  nunmehr  liturgische  Gewandstücke  ehedem  auch  im  Gebrauch  der  Laien  sich 
befanden,  z.  B.  die  Tunika  und  die  Kasel ;  allein  hier  wissen  wir  auf  Grund  historischer 


1  Garr.  IV,  tav.  252  256  2641  267 '  272  a  Garr.  IV,  tav.  2122  214  215  >  2182  2203. 
u.  a.  '  Ebd.  tav.  262 '.  5  Ebd.  tav.  266. 

2  S.  oben  S.  384.  >  Ebd.  tav.  250°  251 3  i  K 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  613 

Zeugnisse,  daß  dieselben  sich  nach  und  nach  aus  der  gewöhnlichen  und  allgemeinen 
Tracht  ausschieden  und  zuletzt  nur  den  fungierenden  Klerikern  verblieben. 

Zu  sonderbaren  Kesultaten  aber  kommen  wir,  wenn  wir  der  Zeit  nachforschen, 
in  welcher  der  Gebetsschleier  zum  Orarium  wurde.  Die  Mosaiken  von  S.  Prassede, 
welche  unter  Papst  Paschalis  I.  (817 — 824)  entstanden,  zeigen  die  Ältesten  noch  mit 
dem  angeblichen  Gebetsmantel  bekleidet ;  derselbe  wäre  also  höchst  merkwürdigerweise 
noch  im  9.  Jahrhundert  in  Rom  in  Brauch  gewesen.  Will  man  aber  jene  Dar- 
stellungen als  unverstandene  Kopien  der  Mosaiken  in  S.  Cosma  e  Damiano  erklären, 
so  wird  man  wohl  annehmen  müssen,  daß  der  Gebetsmantel  zu  Rom  immerhin  noch 
im  zweiten  Viertel  des  6.  Jahrhunderts,  der  Zeit,  in  welcher  diese  letzteren  angefertigt 
wurden,  bekannt  war.  Oder  sind  vielleicht  auch  sie  nur  unbegriffene  Nachbildungen 
älterer  Bildwerke  ? 

Unerklärlich  bleibt  endlich  bei  der  Gebetsschleierhypothese,  wie  dieses  anfangs 
allgemein  gebräuchliche,  dann  spezifisch  liturgische  Gewand  sich  sowohl  zur  diakonalen 
als  zur  priesterlichen  Stola  ausbildete. 

Eine  dritte  Ansicht  führt  die  Stola  teils  auf  ein  Halstuch,  teils  auf 
ein  liturgisches  Handtuch  bzw.  eine  liturgische  Serviette  zurück.  Aus  einem 
Halstuch,  das  den  Zweck  hatte,  im  Winter  gegen  die  Kälte  zu  schützen,  im 
Sommer  aber  die  Kleider  vor  dem  Eindringen  des  Schweißes  zu  bewahren, 
soll  die  römische  Stola  sowie  die  priesterliche  und  bischöfliche  Stola  der  Kirchen 
des  Ostens,  Galliens  und  Spaniens  entstanden  sein,  aus  einer  liturgischen 
Serviette  das  diakonale  Orarium  der  orientalischen  Riten ,  des  altspanischen 
Brauches  und  des  gallikanischen  Ritus. 

Das  Halstuch  wurde  dadurch  zur  Insignie,  daß  man  zunächst  anfing,  es 
streifenartig  zu  falten,  und  dann  dazu  überging,  es  durch  einen  bloßen  Streifen 
zu  ersetzen,  der  natürlich  praktischen  Zwecken  zu  dienen  nicht  weiter  im 
stände  war.  Das  Handtuch  der  Diakone  aber  soll  sich  dadurch  zur  diakonalen 
Insignie  umgebildet  haben,  daß  die  Subdiakone  einen  Teil  der  diakonalen  Ob- 
liegenheiten übernahmen,  weshalb  sie  denn  auch  nunmehr  bei  ihrer  Weihe  als 
Symbol  ihres  Amtes  ein  Kännchen  mit  Wasser,  eine  Schüssel  und  ein  Hand- 
tuch erhielten.  Infolge  dieser  Verschiebung  der  diakonalen  und  subdiakonalen 
Funktionen  wurde  nämlich,  so  sagt  man,  die  diakonale  Serviette  ihrer  an- 
fänglichen praktischen  Bestimmung  entfremdet  und  zu  einem  bloßen  Band, 
das  nur  noch  als  Amtsabzeichen  der  Diakone  getragen  wurde. 

Die  Gründe,  auf  die  hin  man  das  römische  Orarium  und  die  priester- 
liche und  bischöfliche  Stola  im  Orient,  in  Spanien  und  Gallien  von  einem 
Halstuch  ableiten  zu  sollen  glaubt,  sind  der  Name  orarium  und  der  Umstand, 
daß  in  der  Vita  des  hl.  Fulgentius  (f  ca  530)  ein  orarium  im  Sinne  eines  von 
den  afrikanischen  Bischöfen  im  Alltagsleben  benutzten  Halstuches  erwähnt  wird. 
Als  Beweise  aber,  daß  das  diakonale  Orarium  in  der  orientalischen,  spanischen  und 
gallischen  Kirche  auf  eine   liturgische  Serviette  zurückgehe,  bringt  man  vor: 

1.  Der  Dienst  der  Diakone  machte  ein  Handtuch  oder  liturgische  Serviette 
notwendig. 

2.  Auf  antiken  und  altchristlichen  Monumenten  begegnen  wir  zwei  Klassen 
von  Dienern ,  welche  ein  Tuch  zusammengefaltet  auf  der  linken  Schulter 
tragen,  den  camilli  und  delicati,  den  Opferknaben  und  Tafeldienern.  Nun 
waren  aber  die  Diakone  die  ministri  des  Tisches  des  Herrn,  also  werden  auch 
sie  ein  Abputztuch,  ein  Handtuch  oder  eine  Serviette  bei  ihrem  Dienst  über  der 
linken  Schulter  getragen  haben. 

3.  Die  öd-üvT) ,  welche  den  Diakonen  bei  Ausübung  ihrer  Funktionen 
eignete,  sollte  nach  Isidor  von  Pelusium  denselben  die  Demut  ins  Gedächtnis 


(314  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

rufen,  die  Christus  dadurch  bewies,  daß  er  seiner  Jünger  Füße  wusch  und 
abtrocknete.  Sie  muß  also ,  schließt  man ,  ein  Abputztuch  bzw.  Handtuch 
gewesen  sein. 

Diese  dritte  Hypothese  steht  wissenschaftlich  ohne  Zweifel  ungleich 
höher  als  die  beiden  vorhin  besprochenen  und  verdient  sicher  alle  Beachtung. 
Indessen  lassen  sich  denn  doch  auch  gegen  sie  mancherlei  Bedenken  geltend 
machen,  namentlich  was  die  gewollte  Ableitung  der  diakonalen  Stola  außer- 
halb Roms  betrifft. 

Wenn  das  Orarium  der  griechischen,  spanischen  und  gallikanischen  Diakone, 
um  mit  diesem  Punkte  zu  beginnen,  ursprünglich  ein  von  den  diakonalen  Funktionen 
gefordertes  liturgisches  Handtuch  im  Sinne  einer  liturgischen  Serviette  war,  wie 
konnte  dieses  dann  schon  im  Orient  in  der  zweiten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  und 
in  Spanien  zum  wenigsten  bereits  im  Beginn  des  6.  Jahrhunderts  zum  bloßen  Ab- 
zeichen werden  ?  Hatte  sich  denn  der  Dienst  der  Diakone  bis  dahin  schon  so 
wesentlich  verändert,  daß  es  als  Handtuch  weiterhin  überflüssig  geworden  war  ?  Wenn 
nicht,  so  ist  nicht  einzusehen,  wie  es  zur  bloßen  Insignie  werden  konnte.  Aber  man 
sagt  uns,  daß  allerdings  ihr  Dienst  teilweise  ein  anderer  geworden  sei,  da  die  Sub- 
diakone  ihnen  gewisse  Funktionen  abgenommen  hätten,  darunter  namentlich  auch  die, 
dem  Priester  das  Wasser  zur  Händewaschung  samt  Handtuch  zu  reichen.  Für  das  6.  Jahr- 
hundert mag  das  zutreffen,  nicht  aber  für  das  ausgehende  4.  Jahrhundert.  Zwar  erfahren 
wir  schon  aus  dem  achten  Buch  der  Apostolischen  Konstitutionen,  daß  der  Subdiakon 
dem  Priester  das  Wasser  zum  Händewaschen  darreichte.  Allein  der  fragliche  Passus 
ist  unzweifelhaft  aus  späterer  Zeit.  Deun  daß  in  der  zweiten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts 
es  noch  die  Diakone  waren,  die  das  zu  besorgen  hatten,  und  daß  die  Subdiakone 
damals  noch  vom  Altare  fern  gehalten  wurden,  ergibt  sich  aus  Cyrills  von  Jerusalem 
23.  Katechese  l,  dem  22.  Kanon  des  Laodicenum,  dem  Testamentum  Domini  nostri  Iesu 
Christi,  worin  die  Subdiakone  ganz  und  gar  zurücktreten,  und  der  Schrift  Quaestiones 
ex  utroque  testamento  -.  Besonders  interessant  ist,  was  die  letztgenannte  Schrift  sagt. 
Sie  bezeichnet  es  als  einen  Gebrauch  aller  Kirchen,  daß  die  Diakone  den  Priestern 
das  Wasser  reichten,  und  tadelt  es,  daß  die  Diakone  es  zu  Eom  anders  hielten. 
Doch  einmal  angenommen,  es  hätten  bereits  die  Subdiakone  in  der  zweiten  Hälfte 
des  4.  Jahrhunderts  das  Amt  erhalten ,  dem  Priester  beim  Gottesdienst  das  Wasser 
zur  Händewaschung  darzubieten  :  was  folgt  daraus  für  die  Umbildung  der  Serviette 
zur  Insignie?  Unseres  Erachtens  nichts.  Oder  hatten  die  Diakone  die  oflov/j  während 
der  ganzen  Zeit  des  Gottesdienstes  bloß  getragen ,  um  sie  bei  höchstens  zwei  Ge- 
legenheiten dem  Priester  zum  Abtrocknen  der  Hände  darzureichen?  Wenn  ja,  warum 
hielten  sie  dann  überhaupt  ein  Tuch  bei,  das  für  sie  sowohl  praktisch  wie  als  Ab- 
zeichen keinen  Sinn  mehr  hatte,  nachdem  es  samt  dem  Dienst  des  Wasserreichens 
an  die  Subdiakone  übergegangen  war?  Wenn  nein,  wie  konnte  es  dann,  solange 
nicht  eine  wesentlichere  und  einschneidendere  Änderung  eintrat  als  die  angeführte, 
zu  einem  bloßen  Distinktivum  werden  ? 

Das  manutergium,  das  Handtuch,  das  doch  den  Subdiakonen  nach  den  Statuta 
ecclesiae  antiqua  oder  dem  sog.  vierten  Konzil  von  Karthago,  schon  im  5.  Jahrhundert, 
in  Gallien  bei  der  Weihe  übergeben  wurde,  hat  sich  nie  zur  Insignie  ausgebildet, 
trotzdem  die  erwähnte  Weihezeremonie  sich  allmählich  im  ganzen  Abendland  wie  im 
Orient  verbreitete.  Und  da  soll  das  die  Diakone  auszeichnende  Tuch,  welches  wir 
bereits  in  der  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  im  griechischen  Ritus  antreffen,  ein  Hand- 
tuch gewesen  sein?  Welchen  Zwecken  diente  überhaupt  das  Orarium  im  Sinne  der 
in  Frage  stehenden  Hypothese?  War  es  bloßes  Handtuch?  Aber  wozu  es  dann 
während  der  ganzen  Messe  auf  der  Schulter  bei  sich  tragen?  Haben  etwa  später 
auch  die  Subdiakone  es  so  mit  dem  manutergium  gehalten,  das  sie  gelegentlich  dem 
Priester  anzubieten  hatten  ?   Und  wenn  es  ein  Handtuch  zum  Abputzen  der  Hände  war, 


Cat.  23,  n.  2  (Mg.  33,  1109).  2  N.  101   (M.  35,  2301). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  615 

wie  konnte  es  dann  passenderweise  noch  zu  sonstigen  liturgischen  Verrichtungen 
gebraucht  werden? 

Man  weist  auf  die  camilli  hin.  Allein  stehen  dann  diese  mit  den  Diakonen 
wirklich  a  pari  ?  '  Beschränkte  sich  etwa  der  letzteren  Aufgabe  ebenfalls  darauf,  dem 
Bischof  das  Wasser  über  die  Hände  zu  gießen  und  ihm  dann  das  Handtuch  zum  Ab- 
trocknen der  Hände  darzureichen  ?  Doch  gewiß  nicht.  Es  war  das  sogar  der  kleinste 
und  geringfügigste  Teil  ihrer  dienstlichen  Verrichtungen. 

Aber  auch  die  delicati  beweisen  nichts.  Sie  könnten  doch  höchstens  dann  als 
eine  Art  wirkliches  Gegenstück  der  Diakone  bezeichnet  werden,  wenn  das  Orarium 
der  letzteren  in  der  Tat  ein  für  Abputzzwecke  bestimmtes  Tuch  gewesen  sein  sollte; 
allein  das  ist  ja  in  Frage.  Obendrein  darf  man,  wie  wir  ebenfalls  schon  früher  zu 
bemerken  uns  veranlaf3t  sahen,  nicht  außer  acht  lassen,  daß  der  Dienst  der  delicati 
nach  der  Natur  und  den  Gepflogenheiten  des  antiken  Gastmahles  ein  wesentlich  anderer 
war  als  der  Dienst  der  Diakone  am  Altare  Gottes.  Auch  dürfte  es  vielleicht  am 
Platze  sein,  darauf  hinzuweisen,  daß  nicht  alle  delicati  auf  den  Monumenten  mit 
einer  Serviette  versehen  sind.  Auf  der  Miniatur  des  vatikanischen  Virgil,  dem  Gast- 
mahl bei  Diclo  trägt  das  mantile  auffälligerweise  nicht  der  Diener,  welcher  mit  Wasser- 
krug und  Schüssel  ausgerüstet  ist,  sondern  der  Mundschenk. 

Über  die  Worte  Isidors  von  Pelusium  ist  schon  früher  gesprochen  worden  -. 
Sie  beweisen,  daß  die  o'Iovy)  Dienstabzeichen  der  Diakone  war,  aber  auch  nur  dieses. 
Wenn  Isidor  schreibt:  'II  oe  o&ow],  jj.sf)  r^  XEixoupYoüsiv  Iv  toi;  «-/tot;  01  Siaxovoi, 
so  heißt  das  bloß:  „Das  Linnentuch,  das  die  Diakone  bei  ihrem  heiligen  Dienst 
tragen."  Der  Umstand,  daß  das  Tuch  im  Gegensatz  zum  wollenen  Omophorion  des 
Bischofs  aus  Linnen  bestand,  erklärt  sich  leicht  durch  die  Tatsache,  daß  Linnen  im 
alten  Ägypten  das  Gewöhnliche,  "Wolle  das  Seltenere  und  Kostbarere  war.  Wer  sich 
etwas  näher  mit  den  altkoptischen  Grabfunden  beschäftigt  hat,  weiß,  daß  das  Linnen 
selbst  bei  den  Obergewändern  die  Hauptrolle  spielt.  Außerdem  wurden  ja  doch  auch 
nicht  bloß  die  Handtücher  und  Servietten,  sondern  auch  die  Orarien,  Sudarien  u.  dgl. 
aus  Linnen  gemacht.  Wenn  aber  Isidor  die  (38-ovv]  auf  den  Heiland  auslegt,  der  sich 
zum  Diener  seiner  Jünger  machte,  indem  er  ihre  Füße  wusch  und  abtrocknete,  so 
will  er  nur  sagen,  daß  das  Tuch,  welches  den  Diakon  als  solchen  bei  seinen  Funktionen 
kennzeichne,  ihn  zugleich  zur  Demut  mahne,  indem  es  ihn  an  die  Demut  des  Erlösers 
erinnere ,  der  es  ja  nicht  verschmäht  habe ,  Diener  zu  werden.  Man  darf  aus  den 
Deutungen,  welche  man  mit  den  liturgischen  Gewändern  verbunden  hat,  nicht  zu  viel 
herauslesen ;  andernfalls  wird  man  oft  zu  sonderbaren  Resultaten  kommen.  Im  vor- 
liegenden Fall  wird  man  sich  davor  um  so  mehr  hüten  müssen ,  als  das  Orarium 
schon  ein  halbes  Jahrhundert  vor  Isidors  Zeit  als  ein  die  Diakone  kennzeichnendes 
Gewandstück  erscheint. 

Es  lassen  sich  also  in  der  Tat  gegen  die  Theorie,  welche  das  diakonale  Ora- 
rium außerhalb  Roms  auf  eine  liturgische  Serviette  zurückführt ,  nicht  unerhebliche 
Bedenken  geltend  machen.  Und  doch  sind  die  bisher  vorgebrachten  noch  nicht  einmal 
die  einzigen.  Wie  erklärt  es  sich,  so  fragen  wir,  daß  das  Ornatstück  schon  gleich  bei 
seinem  ersten  Auftreten  den  Namen  (Lpapiov  führt?  Erscheint  denn  das  Wort  sonst 
jemals  im  Sinne  von  Handtuch  oder  Serviette?  Die  Stellen,  in  denen  uns  dieses 
begegnet,  sind  doch  recht  zahlreich.  Und  warum  das  cLpapiov  des  Laodicenum  und 
das  diakonale  Orarium  der  Synoden  von  Braga  und  Toledo  als  Handtuch  auffassen, 
während  man  das  Orarium  der  Priester  eben  wegen  seines  Namens  als  Halstuch 
nimmt  ?  Gibt  der  Umstand,  daß  die  Diakone  es  statt  um  den  Hals  auf  der  Schulter 
trugen,  dazu  genügenden  Grund?  Endlich  wie  konnten  die  Subdiakone,  Lektoren  und 
Cantores  auf  die  Idee  kommen,  bei  ihren  Verrichtungen  ebenfalls  das  tLpapiov  zu 
tragen ,  wenn  dieses  seinem  Charakter  nach  eine  liturgische  Serviette  war,  und  zwar 
selbst  dann ,  wenn  es  praktisch  als  solche  nicht  mehr  gebraucht  worden  sein  sollte  ? 


1  S.  oben  S.  557,  wo  der  Ursprung  der  Mappula  behandelt  wurde. 

2  S.  oben  S.  557. 


QXQ  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Was  hatten  denn  die  Lektoren  an  dem  Ambo  mit  einer  Serviette  zu  tun ,  was  die 
Subdiakone  an  der  Türe,  was  die  Cantores  beim  Absingen  der  liturgischen  Gesänge? 

Man  wird  es  dem  Gesagten  gemäß  begreiflich  finden,  daß  wir  uns  nicht 
entschließen  können,  die  Theorie,  welche  die  Stola  der  Diakone  auf  eine 
liturgische  Serviette  zurückführen  will,  zur  unsrigen  zu  machen.  Weniger 
Bedenken  hätten  wir  gegenüber  der  Hypothese ,  welche  die  bischöfliche 
und  priesterliche  Stola  von  einem  Halstuch  ableitet.  Wenn  wir  indessen 
auch  dieser  unsere  Zustimmung  nicht  zu  geben  vermögen,  so  liegt  das  vor- 
nehmlich daran,  daß  sie  uns  die  Sache  nicht  ausreichend  zu  erklären  scheint. 

Zunächst  verstehen  wir  nicht  recht,  wie  das  Orarium  der  spanischen  Priester 
und  Bischöfe  als  Halstuch  habe  dienen  können.  Ein  Halstuch  bietet  Schutz  gegen 
den  Frost  und  bewahrt  die  Kleider  vor  dem  Eindringen  des  Schweißes  denn  doch 
7iur  dann ,  wenn  es  rings  um  den  Hals  geschlungen  wird  nach  Art  unseres  Amikts. 
So  dem  Nacken  aufgelegt,  daß  die  Streifen  sich  über  der  Brust  kreuzen  oder  gerade 
herabfallen ,  kann  es  doch  wohl  kaum  nach  der  einen  wie  der  andern  Richtung  hin 
von  Wirkung  sein.  Und  wenn  es  den  angegebenen  Zweck  hatte,  wie  konnte  es  in 
diesem  Falle  zu  einem  bloßen  Streifen  werden  ?  Ist  denn  jemals  etwas  Ahnliches  mit 
dem  Humerale  vor  sich  gegangen?  Und  doch  wurde  dieses  im  Mittelalter  eine  Beihe 
von  Jahrhunderten  hindurch  mit  einem  kragenartigen  Besatz  versehen,  der  sich  sogar 
zuletzt  hie  und  da  von  ihm  ablöste  und  zum  selbständigen  Schmuck  wurde  (Spanien, 
Lyon ,  Mailand).  Aber  das  Humerale  ist  geblieben ,  was  es  war.  Selbst  der  päpst- 
liche Fano  erhielt  sich  bei  aller  Veränderung,  die  im  Lauf  der  Zeit  mit  ihm  vorging, 
als  wirkliches  Tuch,  das  zwar,  seitdem  der  Papst  außer  ihm  auch  noch  den  gewöhn- 
lichen Amikt  trägt,  nur  noch  Schmuck  ist,  aber  an  sich  noch  sehr  wohl  seinen  ur- 
sprünglichen praktischen  Zwecken  dienen  könnte.  Auch  hat  man  das  Halstuch,  als 
es  zum  bloßen  Abzeichen  wurde,  nicht  durch  ein  anderes  Tuch  ersetzt,  jedenfalls 
nicht  im  griechischen  Ritus.  Und  doch  hätte  man  das,  wie  es  scheinen  will,  sicher 
getan,  wenn  es  wirklich  der  eben  angegebenen  Zwecke  halber  eingeführt  worden 
wäre.  Weist  man  uns  aber  darauf  hin ,  daß  ja  die  römische  Mappula  im  Lauf  der 
Zeit  zu  einem  bloßen  Zierstreifen  geworden  sei,  so  vergißt  man,  daß  diese  von  Anfang 
an  nicht  sowohl  bestimmten  praktischen  Bedürfnissen  diente,  als  vielmehr  ein  Etikette- 
oder Ziertuch  war. 

Zweitens  ist  es  schwer  begreiflich,  daß  gerade  ein  so  gewöhnliches  Tuch  wie 
ein  bloßes  Halstuch,  das  doch  von  aller  Welt  getragen  wurde,  zum  auszeichnenden 
Ornat  und  liturgischen  Abzeichen  werden  konnte.  Und  doch  erscheint  es  schon  früh 
als  solches.  Denn  um  von  dem  Osten  abzusehen  —  wiewohl  kein  Grund  vorliegt, 
das  diakonale  cupapTov  hier  als  aus  einer  Serviette  entstanden  zu  betrachten  — ,  so 
war  ja  in  Spanien  das  Orarium  schon  im  6.  Jahrhundert  liturgisches  Distinktivuni 
aller  höheren  Ordines  vom  Diakon  angefangen  bis  zum  Bischof;  und  ähnlich  dürfte 
es  sich  damals  auch  bereits  im  gallikanischen  Ritus  verhalten  haben. 

Drittens  ist  es  beachtenswert,  daß  die  Stola  in  allen  Riten  liturgisches  Ab- 
zeichen ist,  und  zwar  selbst  bei  den  monophysitischen  Syrern  und  Kopten  und  den 
nestorianischen  Chaldäern.  Ob  das  sich  wohl  genügend  erklärt  bei  der  Annahme, 
daß  sie  ursprünglich  ein  gewöhnliches  Halstuch  gewesen  sei? 

Endlich  konnte ,  wie  es  scheint ,  die  Umwandlung  des  Halstuches  in  ein 
liturgisches  Distinktivum  wohl  kaum  geschehen  ohne  irgend  welche  positive  Bestim- 
mungen der  maßgebenden  kirchlichen  Autorität.  Warum  also  dann  noch  die  Stola 
von  einem  Halstuch  ableiten  und  nicht  vielmehr  annehmen ,  sie  sei  unmittelbar  als 
liturgisches  Distinktivum  eingeführt  worden  ?  ' 


1  Vielleicht  darf  auch  darauf  hingewiesen  Stückes  vorkommt.    Nur  eiumal  begegnen  wir 

werden,  daß  sich  die  gewöhnlichere  Bezeich-  beim  GrammatikerSuidas(H). — 11.  Jalirh.)  der 

nung    der    priesterlichen    Stola    imrpayrjkiov  Wendung  i-£ipay/j?.iog  y.ncrij.og  (St  e  p  h  an  us, 

nie  im  Sinne  von   Halstuch  gebraucht  findet  Thesaurus  Graecae  linguae  sub  im-pa^Xtov 

oder  sonst  als  Name  eines  profanen  Gewand-  llf,  Paris.  1835,  1855). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola.  617 

Am  ehesten  ließe  sich  noch  das  Orarium  der  römischen  Kleriker  als  Halstuch 
auffassen.  Allein  warum  in  diesem  Fall  der  Brauch,  daß  man  dasselbe  vor  der  Weihe 
auf  die  Confessio  legte,  wie  es  doch  für  die  Orarien  der  Diakone  und  Priester 
ausdrücklich  bezeugt  ist?  '  Und  warum  außer  dem  Orarium  zu  Eom  noch  ein 
besonderes  Schultertuch,  das  anabolagium,  der  Amikt?  Hat  man  denn  das  Halstuch 
zu  einem  Zierstück  gemacht,  um  es  alsbald  durch  ein  neues  Halstuch  zu  ersetzen? 
Wenn  das  Orarium  so  wenig  praktische  Bedeutung  hatte,  daß  es  zum  bloßen  Schmuck 
werden  konnte,  warum  dann,  nachdem  es  sich  zu  einem  solchen  umgebildet  hatte, 
von  neuem  ein  anderes  Halstuch  in  Gestalt  des  Amikts  einführen?  Wie  konnte 
sich  überhaupt  zu  Eom  das  Orarium  der  Diakone ,  falls  es  seinem  Charakter  nach 
lediglich  ein  Halstuch  war  und  keinerlei  andere  Bedeutung  hatte,  zum  Zierorarium  und 
zur  Insignie  des  Ordo  umbilden,  da  es  doch  vollständig  unter  der  bis  zu  den  Füßen  reichenden 
Dalmatik  verschwand?  Man  sagt  freilich,  es  sei  das  unter  dem  Einflüsse  des  Brauches 
im  übrigen  Abendland  geschehen.  In  der  Tat  mag  es  einer  Einwirkung  von  außen 
her  zuzuschreiben  sein,  daß  das  Orarium  zu  Born  zuletzt  aus  der  liturgischen  Tracht 
der  Subdiakone  und  der  übrigen  niederen  Kleriker  ausschied  und  nur  den  Diakonen 
und  Priestern  (Bischöfen)  als  Abzeichen  ihres  Ordo  verblieb.  Ob  indessen  ein  solcher 
Vorgang  praktisch  genommen  denkbar  ist,  wenn  das  Ornatstück  nach  römischem 
Brauch  lediglich  ein  Halstuch  war,  wie  es  alle  Welt  gebrauchte?  Ob  er  nicht  viel- 
mehr voraussetzt,  daß  das  römische  Orarium  schon  vorher  irgend  einen  über  ein  ge- 
wöhnliches Halstuch  hinausgehenden  Charakter  besaß?  Endlich  muß  betont  werden, 
daß  alle  Angaben,  welche  wir  seit  dem  Ende  des  8.  Jahrhunderts  über  das  Orarium 
der  römischen  Kleriker  erhalten,  dieses,  wie  früher  des  weiteren  ausgeführt  wurde, 
unzweifelhaft  als  etwas  mehr  denn  ein  bloßes  Halstuch  erscheinen  lassen ,  wie  es 
zuletzt  jedermann  tragen  konnte  und  zum  Schutz  gegen  Kälte  usw.  zu  tragen  pflegte. 
Warum  also  annehmen,  das  Ornatstück  sei  in  früherer  Zeit  Halstuch  gewesen?  Es 
ist  gewiß  richtig,  daß  die  liturgische  Tracht  sich  aus  der  profanen  Tracht  heraus- 
gebildet hat,  und  daß  ihre  einzelnen  Bestandteile  an  Bestandteile  der  letzteren  an- 
knüpfen. Allein  das  will  denn  doch  nicht  heißen,  daß  jedes  litur- 
gische Ornatstück  nun  auch  wirklich  einmal  ein  profanes  Gewand 
gewesen  sei  und  rein  praktischen  Bekleidungszwecken  gedient  habe. 
Auch  das  liturgische  Orarium  knüpft  nach  Name,  Beschaffenheit  und  Form  an  das 
profane  Orarium  an ;  folgt  aber  daraus ,  daß  es  je  ein  wirkliches  Halstuch  gewesen, 
das  man  zum  Schutz  gegen  den  Frost  und  gegen  die  Übeln  Wirkungen  des  Schweißes 
getragen?  Welcher  Grund  liegt  für  eine  solche  Annahme  vor?  Ist  es  der  Name 
orarium?  Allein  hatte  das  Wort  orarium  nicht  eine  Beihe  von  Bedeutungen?  Wurde 
mit  ihm  doch  sogar  das  Tuch  bezeichnet,  mit  dem  man  bei  den  Spielen  seinen  Beifall 
kundgab2.  Sind  es  Form  und  Tragweise  des  liturgischen  Orarium?  Doch  auch  wohl 
nicht.  Sie  beweisen  höchstens,  daß  das  Orarium  des  profanen  Lebens,  das  übrigens 
keineswegs  immer  um  den  Hals  getragen  wurde,  für  die  Form  und  Tragweise  des 
liturgischen  Orarium  Vorbild  gewesen  sei,  nicht  aber,  daß  dieses  ursprünglich 
demselben  Zwecke  wie  jenes  gedient  habe;  das  um  so  mehr,  als  das  profane  Ora- 
rium, wie  aus  dem  früher  Gesagten  erhellt3,  zu  sehr  verschiedenen  Zwecken  ge- 
braucht wurde. 

Sind  die  vorgebrachten  Bedenken  auch  nicht  derart,  daß  sie  die  Ableitung  der 
Stola  von  einem  zur  liturgischen  Tracht  gehörenden  Halstuch  als  schlechthin  un- 
denkbar und  unzulässig  erscheinen  lassen,  so  sind  sie  anderseits  doch  zu  gewichtig, 
als  daß  eine  solche  Theorie  auch  nur  als  wahrscheinlich,  geschweige  denn  als  sicher 
bezeichnet  werden  könnte. 

Eine  fünfte  Hypothese  unterscheidet  zwischen  dem  römischen  und  dem 
aufierrömischen  (abendländischen  wie  orientalischen)  Brauch.  Außerhalb  Roms 
war  ihr  zufolge  das  Orarium  von  Anfang  an  liturgisches  Abzeichen  der  höheren 


Ordo  9,  n.  8  (M.  78,  1008).         2  Flav.  Vopisc,  In  Aurel.  c.  48.         3  S.  oben  S.  564. 


618  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Ordines,  weshalb  es  auch  von  den  Diakonen  und  Priestern  in  verschiedener 
Weise  getragen  wurde,  zu  Rom  aber  bildete  es  ursprünglich,  wie  auch  die 
vorhin  besprochene  Theorie  will,  ein  Halstuch,  das  freilich  zuletzt  insofern 
eine  Art  von  heiligem  Charakter  erhielt,  als  es  im  Lauf  der  Zeit  Brauch  wurde, 
die  Orarien   vor   der  Weihe   auf  die  Confessio   des    hl.  Petrus  niederzulegen. 

Die  fundamentale  Unterscheidung,  welche  diese  Hypothese  gemacht 
wissen  will,  scheint  uns  durchaus  zutreffend.  Die  Entstehung  der  Stola  kann 
zu  Rom  und  außerhalb  Roms  unmöglich  ganz  die  gleiche  gewesen  sein.  Denn 
während  das  Orarium  im  Osten  schon  im  4.  Jahrhundert  als  ausgesprochenes 
Prärogativ  der  höheren  Ordines  gilt  und  auch  in  Spanien  bereits  bei  seinem 
ersten  Auftreten  im  6.  Jahrhundert  sich  als  liturgisches  Distinktivum  gibt, 
ist  es  zu  Rom  noch  im  9.  Jahrhundert  ein  Gewandstück,  das  allen  Klerikern 
eignete  und  bei  den  Diakonen,  weil  von  ihnen  unter  der  Dalmatik  getragen, 
auf  keinen  Fall  zum  Vorschein  kam. 

Aber  auch  die  Weise,  wie  die  Theorie  den  Ursprung  der  Stola  außer- 
halb Roms  erklärt,  hat  unseres  Erachtens  alle  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 
Es  ist  sehr  auffällig  und  für  die  Frage  nach  der  Entstehung  des  Ornatstücks 
sicher  von  hoher  Bedeutung,  daß  das  Orarium  hier  schon  so  früh  als  ein  die 
Diakone,  Priester  und  Bischöfe  als  solche  kennzeichnendes  Ornatstück  erscheint. 

Bereits  im  22.  und  23.  Kanon  des  Konzils  von  Laodicea  begegnete  uns,  wie 
man  sich  erinnern  wird ,  das  Orarium  als  Ornatstück ,  das  dem  niedern  Klerus  zu 
tragen  durchaus  verwehrt  war.  Isidor  von  Pelusium  stellt  das  linnene  Orarium  des 
Diakons,  das  Sinnbild  des  demütigen  Dienstes  Christi,  der  den  Jüngern  die  Füße 
wusch ,  neben  das  wollene  Omophorion ,  die  Insignie  des  Bischofs ,  welche  diesen  als 
Abbild  des  guten  Hirten  kennzeichnet,  der  das  verlorene  Schäflein  auf  seiner  Schulter 
heimbringt.  Als  Abzeichen  der  Diakone  fanden  wir  ferner  das  Orarium  im  Testamentum 
Domini  nostri  Iesu  Christi.  In  Spanien  kommt  in  einzelnen  Kirchen  bei  den  Diakonen 
der  Mißbrauch  auf,  das  Orarium  unter  der  Alba  zu  tragen ;  allein  alsbald  rügt  solches 
Gebaren  die  Synode  von  Braga  563  und  schärft  den  Diakonen  die  Pflicht  ein ,  das 
Ornatstück  sichtbar  über  der  Tunika  zu  haben,  damit  sie  sich  so  von  den  Subdiakonen 
unterschieden.  Im  27.  Kanon  des  4.  Toletanum  erscheint  die  Überreichung  des  Orarium 
beim  Diakonen,  Priester  und  Bischof  als  ein  Teil  des  Weihe-  bzw.  Restitutionsaktes. 
Bei  der  Priesterweihe  war  dieser  Ritus  schon  zur  Zeit  der  S}rnode  von  Braga  aus 
dem  Jahre  675    seit   alters  vorgeschrieben. 

Der  so  bemerkenswerte  Umstand,  daß  das  Orarium  schon  so  bald,  und  zwar 
bereits  sofort  bei  seinem  ersten  Auftreten  im  4.  Jahrhundert  als  fertiges  Ab- 
zeichen dasteht,  weist  unserer  Auffassung  nach  durchaus  darauf  hin,  daß  es 
nicht  das  Produkt  einer  allmählichen  Entwicklung  ist.  Wir  werden  vielmehr 
in  Anbetracht  jener  Erscheinung  schwerlich  mit  der  Annahme  fehlgehen,  daß 
es  seine  Einführung  in  der  Tat  einem  diesbezüglichen  direkten  Akt  der  maß- 
gebenden kirchlichen  Autorität  verdankt *. 

Diese  Theorie  ist  aber  unseres  Erachtens  um  so  wahrscheinlicher,  als 
es  wohl  kaum  ein  Zweifel  sein  kann,  daß  das  Pallium  und  das  Omophorion 
der  griechischen  Bischöfe  von  Anfang  an  den  Charakter  eines  Distinktivum 
hatten.     Zudem  waren  ja  auch  im  profanen  Leben  Abzeichen  keineswegs  un- 


1  Wir    freuen   uns ,    daß    auch   P.  Grisar,  ma   col   Braun   ad    una    ordinazione    precisa 

dessen  Auffassung  wir  wohl  mit  Recht  großen  dell' autoritä   ecclesiastica,    la    quäle    stabil] 

Wert  beilegen  dürfen,  der  von  uns  vertretenen  una  consi  fatta  sciarpa.    Essa  si  servi  nella 

Ansicht    ist:    Non    sara    dunque    un    errore  scelta    della  sua   forma  di    quol    antico    tipo 

ascrivere  la  sua  origine  (der  Stola)  come  una  proprio    degli   inservienti   (Analecta  Romana 

insegna,  non  ad  un  lento  e  spontaneo  sviluppo,  682). 


Zweites  Kapitel.     Die  Stola. 


619 


bekannt1.  Es  genüge,  an  das  zu  erinnern,  was  früher  bezüglich  der  Be- 
deutung des  Wortes  infula  gesagt  wurde,  sowie  auf  die  Theodosianische  Ver- 
ordnung hinzuweisen,  wonach  die  officiales  palliis  discoloribus  pectus  contegentes 
(über  der  paenula)  condicionis  suae  necessitatem  ex  huiusmodi  agnitione  testentur. 

Die  verschiedene  Tragweise  des  Orarium  erklärt  sich  bei  dieser  letzten 
Theorie  leicht  durch  den  Zweck,  den  es  hatte.  Möglich,  daß  bei  Festsetzung 
der  Art,  wie  der  Diakon  es  anlegen  sollte,  die  Weise,  auf  welche  im  profanen 
Leben  die  Aufwärter  ihre  Serviette  trugen  und  auf  antiken  Bildwerken  Diener 
mit  einem  streifenartig  zusammengefalteten  Tuch  ausgerüstet  erscheinen 
(Bild  291),  von  vorbildlichem  Einfluß  gewesen  ist;  doch  läßt  sich  darüber 
nichts  Sicheres  feststellen.  Die  einzige  Schwierigkeit  bietet  nur  der  Name 
orarium.  Indessen  ist  diese  nur  eine  scheinbare.  Hält  man  einerseits  vor 
Augen,  daß  sich  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  „Mundtuch  oder 
Gesichtstuch"  schon  früh  abgestumpft  hatte,  und  daß  außerdem  das  liturgische 
Distinktivum  nach  Form  und  Tragweise  an 
das  profane  Orarium  erinnerte,  so  erklärt 
sich  leicht,  daß  jenes  Distinktivum  den  Na- 
men orarium  erhielt.  Ja  es  konnte  in  An- 
betracht der  Weise,  wie  Benennungen  zu 
entstehen  pflegen,  kaum  anders  als  orarium 
genannt  werden. 

Was  den  zweiten  Teil  der  Theorie  an- 
langt, so  wurde  bereits  vorhin2  darüber  das 
Nötige  gesagt.  Es  liegt  unseres  Erachtens 
kein  Grund  vor,  das  Orarium  der  römischen 
Kleriker  auf  ein  gewöhnliches  Halstuch  zu- 
rückzuführen. Was  es  um  den  Ausgang  des 
8.  und  im  9.  Jahrhundert  war3,  kann  es 
sehr  wohl  von  Anfang  an  gewesen  sein. 
Warum  also  zur  Theorie  vom  Halstuch- 
orarium  seine  Zuflacht  nehmen? 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  man  zu 
Kom  das  Orarium  vor  der  Weihe  auf  die 
Confessio  des  hl.  Petrus  niederlegte.  Sollte  das  nicht  ein  Licht  auf  die 
Frage  nach  dem  anfänglichen  Charakter  des  römischen  Orarium  werfen? 
Duchesne  meint  allerdings:  „On  finit  par  lui  (dem  Orarium)  donner  une 
sorte  de  consecration  qui  le  transformait  en  relique."4  Allein  warum  soll  die 
fragliche  Sitte  das  Endresultat  einer  längeren  Entwicklung  sein?  Tücher  auf 
die  Confessio  zu  legen,  war  doch  ein  uralter  Brauch.  Warum  nicht  lieber 
annehmen,  daß  jene  Gepflogenheit  ursprünglich  war  und  daß  das  Orarium 
zu  Rom  ein  Weihetuch,  wenn  wir  so  sagen  sollen,  darstellte,  welches  durch 
Hinterlegung  auf  die  Confessio  geheiligt  wurde  und  dessen  Übergabe  bei  der 
Weihe  ein  Doppeltes  zum  Ausdruck  brachte,  einmal  daß  die  Erhebung  zu 
Klerikern  der  römischen  Kirche  komme  de  benedictione  S.  Petri,  dann,  daß 
die  Ordinanden  durch  ihre  Weihe  den  Dienst  des  hl.  Petrus,  d.  i.  den  Dienst 


Bild  291.     Koptische  Grabstele. 

(Nach   Strzygowski.) 
Kopenhagen,  Ny  Carlsberg-Glyptothek. 


1  Unter  den  Funden,  die  in  den  Gräbern 
zu  Antinoe  gemacht  wurden ,  befand  sich 
auch  die  kostbar  bekleidete  Leiche  eines 
„byzantinischen"  Edelmannes,  der  zahlreiche 
Schärpen,  eine    davon  mit   dem  Bilde    eines 


heiligen  Drachentöters ,  trug  (Kaufmann, 
Handbuch  der  christlichen  Archäologie,  Pader- 
born 1905,  548). 

2  S.  oben  S.  616  f.         3  Vgl.  oben  S.  579  f. 

4  Orig.  391,  note  1. 


620  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

in  eben  jener  römischen  Kirche,  auf  sich  nähmen?  Es  wäre  dann  das  römische 
Orarium  von  Beginn  an  ein  Gegenstück  des  griechischen  äpdpwv  und  hiirpa- 
yyj)dov,  des  gallikanischen  pallium,  der  gallikanischen  stola  und  des  spanischen 
orarium.  nur  daß  es  anfänglich  nicht  wie  diese  ein  Distinktivum  der  höheren 
Ordines  und  eigentliche  Insignie  war,  sondern  das  erst  später,  und  zwar  wohl 
nicht  ohne  Einwirkung  der  außerrömischen  Anschauung  und  Praxis  wurde. 
Wann  das  Orarium  zu  Born  in  Gebrauch  gekommen  ist,  muß  dahingestellt 
bleiben.  Zur  Zeit  des  Papstes  Cölestin  I.  (422 — 432)  soll  es  noch  auf  keinen 
Fall  Verwendung  gefunden  haben.  Man  schließt  das  aus  dem  Briefe  desselben 
an  die  Bischöfe  Galliens,  in  welchem  er  will,  daß  Kleriker  und  Laien  in  der 
Tracht  sich  nicht  unterschieden1.  Wirklich  mag  es  damals  zu  Bom  noch 
kein  liturgisches  Orarium  gegeben  haben ;  aus  dem  Briefe  Cölestins  folgt 
solches  jedoch  keineswegs.  Denn  1.  ist  in  dem  Schreiben,  wie  es  scheint, 
nicht  von  der  liturgischen,  sondern  von  der  außerliturgischen  Tracht  der 
Kleriker  die  Bede;  2.  will  der  Papst  in  demselben  nur  die  außergewöhnliche, 
fremdartige  und  sonderbare  Kleidung  abgeschafft  wissen,  welche  sich  einige 
Bischöfe  Galliens  zugelegt  hatten,  um  sich  dadurch  von  den  Laien  abzuheben; 
3.  war  selbst  im  profanen  Leben  ein  Amtsabzeichen  im  4.  Jahrhundert  nichts 
Unerhörtes  und  Auffälliges. 


DRITTES  KAPITEL. 

DAS  PALLIUM. 

I.    DAS  ABENDLÄNDISCHE  PALLIUM  IN  DER  GEGENWART. 

Das  Pallium  stellt  in  seiner  jetzigen  Gestalt  ein  ringförmiges,  Brust, 
Nacken  und  Schultern  umziehendes  Ornatstück  dar,  von  welchem  vorn  und 
rückwärts  je  ein  etwa  anderthalb  Spannen  langer  Streifen  herabhängt.  Ring 
und  Streifen  sind  etwa  drei  Finger  breit  und  aus  weißer  Wolle  verfertigt. 
Dem  Ring  sind  vier  schwarzseidene  Kreuze  aufgenäht ;  die  Streifen,  an  welchen 
der  Beschwerung  halber  am  untern  Ende  ein  mit  schwarzer  Seide  überzogenes, 
abgerundetes  Bleiplättchen  befestigt  ist,  sind  nur  mit  je  einem  versehen  (Bild  292). 

Die  Wolle,  aus  welcher  die  Pallien  verfertigt  werden,  stammt  zum  Teil  von 
den  zwei  weißen  Lämmern  her,  welche  von  den  lateranensischen  Regularkanonikern 
am  Feste  der  hl.  Agnes  in  Sant'  Agnese  fuori  le  Mura  dem  Kapitel  von  St  Johann 
im  Lateran  als  Abgabe  entrichtet,  nach  dem  Pontifikalamt  feierlich  auf  dem  Hoch- 
altar der  Kirche  gesegnet  und  dann  dem  Papste  dargebracht  werden 2.  Die  Schul- 
der Tierlein  findet  in  der  Karwoche  durch  die  Nonnen  statt,  deren  Obsorge  dieselben 
bis  dahin  anvertraut  waren.  Die  von  den  Nonnen  des  Klosters  am  Torre  dei  Speechi 
gewebten  neuen  Pallien  werden  am  Frühmorgen  der  Vigil  von  Peter  und  Paul  in  die 
Gruft  der  Peterskirche  getragen,  in  welcher  der  Leib  des  Apostelfürsten  ruht.  Ihre 
Weihe,  welche,  wenn  möglich,  vom  Papst  selber  vorgenommen  werden  soll,  findet 
nach  der  Vesper  desselben  Tages  statt.  Die  geweihten  Pallien  werden  nach  der  An- 
ordnung Benedikts  XIV.  vom  12.  August  1748  3,  welcher  die  Weihe  des  Ornatstückes 
neu  regelte,  alsbald  in  ein  besonderes,  aus  vergoldetem  Silber  angefertigtes  Kästchen 


1  C.  1  (M.  50,  430).    Wenn  die  Überschrift  Interpretation,    welche    im    Schreiben    kein 

des  Briefes  in  der  Sammlung  des  Dionysius  Fundament  hat. 

Exiguus  die  Worte  dahin  deutet,  es  habe  der  2  Ausführlicheres   über    die  Zeremonie  bei 

Papst  verboten,   in  der  Kirche  amicti  pallio  Mor.  XI  275. 
et   lumbos  Dienst  zu   tun,    so   ist   das   eine  3  Bullar.  Bened.XIV.  VI.Mechl.  1827,  233 f. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


621 


gelegt   und   in   demselben  in   der   nächsten   Nähe   des   Apostelgrabes  (Confessio)    auf- 
bewahrt, bis  sie  zur  Verwendung  kommen. 

Von  den  vier  Kreuzen,  welche  den  Ring  des  Palliums  schmücken,  ist 
je  eines  auf  der  Brust,  dem  Rücken  und  den  beiden  Schultern  angebracht. 
An  den  beiden  ersten  sowie  auch  an  dem  Kreuze,  welches  sich  auf  der  linken 
Schulter  befindet,  gewahrt  man  Ösen  aus  schwarzer  Seide.  Sie  dienen  zur 
Aufnahme  kostbarer  Nadeln. 

Der  Diakon,  welcher  letztere  am  Pallium  anzuheften  hat,  muß  nach  der 
ausdrücklichen  Angabe  des  römischen  Caeremoniale  darauf  achten,  daß  sie  weder 
das  Kreuz  noch  das  Pallium  durchbohren,  noch  auch  die  Kasel  berühren,  des- 
gleichen, daß  der  mit  Edelsteinen  verzierte  Nadelkopf  nach  rechts  liege.  Die 
Annahme  des  Palliums  hat  nach  Anlegung  der  Kasel  statt.  Sie  soll  durch 
den  Diakon  unter  Beihilfe  des  Subdiakons  geschehen  K 

Das  römische  Pallium  ist  ein  durchaus  sakrales  Gewandstück.  Denn 
nicht  einmal  der  Papst  trägt  es  bei  andern  als  bei  eigentlich  liturgischen 
Funktionen.  Die  Erzbischöfe  und  Bischöfe, 
welche  sich  des  usus  pallii  erfreuen,  dürfen 
sich  mit  dem  Ornatstück  bloß  bei  der  Feier 
des  Pontifikalamtes  schmücken.  Es  ist  ihnen 
nicht  nur  jede  Verwertung  des  Palliums 
außerhalb  des  Gotteshauses,  z.  B.  bei  Pro- 
zessionen, sondern  auch  jede  Verwendung 
bei  andern  Kultakten  als  der  Missa  sollem- 
nis,  z.  B.  den  feierlichen  Vespern,  untersagt2. 

Was  das  Gebiet  anlangt,  in  welchem 
der  Inhaber  des  Palliums  sich  des  Gewand- 
stückes bedienen  darf,  gibt  es  für  den  Papst 


natürlich  keine  Beschränkung.    Als  oberster 


■ 
■ 


Bild  292. 


Modernes  Pallium. 


Hirt  der  Kirche  kann  er  es  überall  tragen. 
Dagegen  dai-f  ohne  besondere  Ermächtigung 
seitens  des  Apostolischsn  Stuhles  der  Me- 
tropolit sich  des  Palliums  nur  in  seiner 
Provinz,  der  Bischof  aber,  welchem  der  usus  pallii  gewährt  wurde,  sich  seiner 
nur  innerhalb  seines  Sprengeis  bedienen3. 

Auch  hinsichtlich  der  Zeit  sind  die  zum  Gebrauch  des  Palliums  Be- 
rechtigten mit  Ausnahme  des  Papstes  bestimmten  Beschränkungen  unterworfen. 

Als  Tage,  an  welchen  es  gestattet  ist,  das  Ornatstück  zu  tragen,  nennt  das 
römische  Pontifikale  Weihnachten,  Beschneidung,  Epiphanie,  die  drei  Ostertage,  Christi 
Himmelfahrt,  Pfingstsonntag,  Fronleichnam,  die  Feste  der  Reinigung,  Verkündigung, 
Aufnahme,  Geburt  und  unbefleckten  Empfängnis  Marias,  das  Fest  der  Geburt  des 
hl.  Johannes  des  Täufers,  des  hl.  Joseph  (19.  März)  und  des  hl.  Erzmärtyrers  Ste- 
phanus,    die  Aposteltage   und  Allerheiligen,    den   Palmsonntag,    den   Gründonnerstag, 


den  Karsamstag, 
Kathedralkirche , 


den  Weißen  Sonnta 
das 


-i,  die  vornehmsten  Feste  der  Metropolitan-  bzw. 
Kirchweihfest    und    den    Jahrestag    der    Konsekration    des    be- 


1  Caerem.  episc.  1.  2,  c.  8,  n.  20. 

2  Vgl.  über  dieses  und  das  Folgende  die 
Angaben  des  Pontificale  Romanum  über  den 
Gebrauch  des  Palliums,  p.  I  de  pallio,  dann 
das  Caerem  episc.  1.  1  ,  c.  16  und  im  Corp. 
iur.  can.  Decret.  1.  1,  tit.  8,  c.  1  ff  uud  tit.  6, 
c.  4  28  (Lipsiae  1839,  II  96  ff  48  70J.    Eine 


vortreffliche  Zusammenstellung  aller  das  Pal- 
lium betreffenden  Bestimmungen  bei  Müh  Ib. 
II  594  ff  und  suppl.  III  15. 

3  Daher  wird  ein  Titularerzbischof ,  weil 
außerhalb  der  Diözese  befindlich,  auf  deren 
Titel  er  konsekriert  ist,  nicht  mit  dem  Pallium 
sjeschmückt. 


622  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

treffenden  Erzbischofs  (Bischofs).  Auch  erlaubt  es  den  Gebrauch  des  Palliums  bei 
Erteilung  der  heiligen  Weihen,  der  Konsekration  eines  Bischofs  und  der  Einsegnung 
von  Äbten  und  Nonnen.  Übrigens  sind  für  die  Verwendung  des  Ornatstückes  zunächst 
die  jeweiligen  Privilegien  maßgebend.  Sind  in  ihnen  bestimmte  Tage  nicht  genannt, 
so  gelten  die  gemeinrechtlichen  Anweisungen  des  römischen  Pontifikale. 

Zum  Tragen  des  Palliums  ist  an  sich  nur  der  Papst  berechtigt.  Denn 
das  Pallium  ist  das  Symbol  der  Oberhirtengewalt  des  Statthalters  Christi, 
dessen  Aufgabe  es  ist,  Lämmer  wie  Schafe,  Gläubige  wie  Hirten  zu  weiden. 
Es  ist  das  Sinnbild  der  Fülle  des  pontifikalen  Amtes,  welche  ohne  alle  Be- 
schränkung und  nach  ihrem  ganzen  Umfang  im  Nachfolger  Petri  ruht1. 

Gewöhnlichen  Bischöfen  wird  das  Pallium  nur  in  Ausnahmefällen  gewährt. 
Die  Verleihung  dieser  päpstlichen  Insignie  bedeutet  für  einen  Bischof  eine 
besondere  Auszeichnung;  Vorrechte  bringt  sie  ihm  nach  der  gegenwärtigen 
Praxis  nicht.  Sie  gewährt  ihm  nicht  einmal  den  andern  Bischöfen  seiner 
Kirchenprovinz  gegenüber  das  Recht  der  Präzedenz.  Am  wenigsten  entzieht 
sie  ihn  der  Obergewalt  seines  Metropoliten.  Auch  darf  der  Bischof,  welchem 
der  usus  pallii  zu  teil  wurde,  sich  des  Ornatstückes  in  Gegenwart  von  Kar- 
dinälen, Nuntien  sowie  seines  Erzbischofs  selbst  in  der  eigenen  Diözese  nur 
mit  deren  Genehmigung  bedienen2. 

Den  Erzbischöfen  wird  das  Pallium  nicht  als  Ausnahme,  sondern  regel- 
mäfsig,  nicht  kraft  eines  besondern  Privilegs,  sondern  allgemein  zu  teil.  Sie 
müssen  innerhalb  einer  Frist  von  drei  Monaten  nach  dem  Tage  ihrer  Kon- 
sekration bzw.  ihrer  Konfirmation  —  wenn  sie  nämlich  schon  Bischöfe  sind  — 
sich  in  Rom  persönlich  oder  durch  einen  Prokurator  das  Ornatstück  instanter, 
instantius,  instantissime,  wie  die  Formel  lautet,  erbitten  und  erhalten  erst 
durch  die  Gewährung  und  Übergabe  des  Palliums  wie  den  Titel  so  auch 
das  Recht,  die  Metropolitanfunktionen  auszuüben,  selbst  wenn  sie  schon 
vorher  von  ihrem  Stuhl  Besitz  ergriffen  oder  einen  andern  erzbischöflichen 
Thron  innegehabt  haben  sollten.  Vor  Empfang  des  Ornatstückes  darf  der 
Erwählte  sich  weder  Erzbischof  nennen  noch  sich  das  erzbischöfliche  Kreuz 
vorantragen  lassen.  Ebensowenig  kann  er  eine  Provinzialsynode  berufen, 
seine  Provinz  visitieren  oder  sonst  eine  seiner  Metropolitanbefugnisse  ausüben. 
Er  kann  selbst,  auch  wenn  er  bereits  Bischof  sein  sollte,  nicht  einmal  erlaubter- 
weise bischöfliche  Amtshandlungen  verrichten,  wie  das  Chrisma  weihen,  die 
Ordines  erteilen,  Kirchen  konsekrieren 3.  Werden  derartige  Funktionen  nötig, 
so  muß  er  einen  andern  damit  betrauen.  Das  Pallium  darf  daher  mit  allem 
Fug  auch  als  erzbischöfliche  Insignie  bezeichnet  werden. 

Immerhin  ist  das  Ornatstück  nicht  im  gleichen  Sinne  ein  Abzeichen  bei 
dem  Papste  und  den  Metropoliten.  Jenem  kommt  die  Insignie  von  Rechts 
wegen  und  unabhängig  von  irgend  eines  Menschen  Genehmigung  zu.  Diese 
dürfen  sie  nur  auf  Grund  der  Bevollmächtigung  tragen,  welche  sie  auf  ihr 
Ansuchen  hin  vom  Apostolischen  Stuhle  empfingen.  Beim  Papste  ist  ferner 
das  Pallium  der  Ausdruck  der  ihm  kraft  göttlicher  Anordnung  eigenen  höchsten 


1  Vgl.  das  herrliche  Gebet,  welches  bei  1875  den  Fürstbischof  Förster  von  Breslau, 
der  Weihe  der  Pallien  gesprochen  wird  Leo  XIII.  aber  die  Bischöfe  Faict  von  Brügge 
(Mühlb.  II  596).  und  Senestrey  von  Regensburg. 

2  Benedict.  XIV.  ad  episc.  Herbipol.  et  3  Über  den  Umfang  der  einem  Metropoliten 
Quinqueeccles.  (ebd.  603  ff).  Noch  in  neuerer  vor  Empfang  des  Palliums  untersagten 
Zeit  hatten  mehrere  Verleihungen  des  Palliums  Funktionen  vgl.  auch  Phillips,  Kirchen- 
an  Suffragane  statt.  So  schmückte  z.B.  Pius  IX.  recht  §  352;  VI  840f  und  Wernz,  Ius  de- 
1851  mit  ihm  den  Bischof  von  Marseille  und  cretalium  II  862  ff. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  623 

Hirtengewalt,  bei  den  Metropoliten  ist  es  dagegen  das  Symbol  der  ihnen  vom 
Nachfolger  Petri  für  eine  bestimmte  Kirchenprovinz  gewährten  und  lediglich  auf 
kirchlichem  Recht  beruhenden  Teilnahme  an  dessen  oberster  Regierungsgewalt. 

So  berechtigt  es  also  auch  ist,  das  Pallium  eine  erzbischöfliche  Insignie  zu 
nennen,  in  erster  Linie  und  vor  allem  ist  es  päpstliches  Abzeichen,  welches  den 
Metropoliten  nur  darum  verliehen  wird ,  weil  sie  in  einem  gewissen  Umfang  Stell- 
vertreter des  Apostolischen  Stuhles  in  der  obersten  Leitung  eines  bestimmten  Bereiches 
der  Kirche  sind.  Die  G-ewährung  dieses  päpstlichen  Schmuckes  soll  die  Übertragung 
der  geistlichen  Obergewalt  zum  Ausdruck  bringen ,  welche  den  Erzbischöfen  als  den 
Repräsentanten  des  Papstes  für  ihre  Kirchenprovinz  zu  teil  wird. 

Aus  der  Bedeutung  des  Palliums  erklärt  es  sich  denn  auch  leicht,  warum  das 
Ornatstück  vor  der  Weihe  auf  die  Confessio  des  Apostelfürsten  gelegt,  warum  es  nach 
derselben  in  der  allernächsten  Nähe  des  Grabes  aufbewahrt  und  warum  sowohl  das 
Pallium  des  Papstes  als  dasjenige  der  Metropoliten  gleichsam  vom  Leibe  des  hl.  Petrus 
genommen  wird  (pallium  de  corpore  b.  Petri  sumptum).  Es  soll  dadurch  ausgedrückt 
werden,  daß  die  geistliche  Gewalt,  welche  durch  das  Ornatstück  versinnbildet  wird, 
unmittelbar  oder  mittelbar  auf  Petrus  zurückgeht.  Unmittelbar  beim  Papste,  dem  per- 
sönlichen Amtsnachfolger  des  Apostelfürsteil ,  mittelbar  bei  den  Metropoliten ,  da  ja 
ihre  Metropolitanvollmachten  eine  ihnen  vom  Papste  gewährte  Teilnahme  an  dessen 
von  Petrus  stammender  Oberhirtengewalt  darstellen. 

Das  Pallium  ist  ein  durchaus  persönlicher  Schmuck,  weil  Symbol 
der  besondern  persönlichen  Beziehung  des  Metropoliten  (Bischofs)  zum  Apo- 
stolischen Stuhle.  Auf  der  andern  Seite  hat  es  indessen  auch  einen  gewissen 
örtlichen  Charakter,  weil  die  spezielle  Stellvertretung  des  Papstes,  welche 
in  der  Verleihung  des  Ornatstückes  zum  Ausdruck  kommt,  auf  eine  bestimmte 
Kirchenprovinz  beschränkt  ist.  Aus  dieser  doppelten  Eigentümlichkeit  des 
Palliums  erklärt  sich  eine  Reihe  eigenartiger  Bestimmungen. 

Wird  z.  B.  ein  Erzbischof  von  einem  Metropolitansitz  auf  einen  andern  versetzt, 
so  bedarf  er  eines  neuen  Palliums.  Würde  er  später  zu  seinem  früheren  Stuhl  zurück- 
kehren, so  müßte  er  für  diesen  wieder  um  das  Ornatstück  nachsuchen.  Ein  gleiches 
gilt  von  einem  Metropoliten,  der  auf  seine  Würde  verzichtete,  sie  aber  später  wieder 
zurückerhält.  Ferner  muß  ein  etwaiger  Inhaber  zweier  Sitze,  die  den  usus  pallii  haben, 
für  beide  gesondert  das  Pallium  erbitten,  ein  Erzbischof  aber,  der  auf  seinen  Sitz 
Verzicht  leistet,  darf  weiterhin  vom  Pallium  keinen  Gebrauch  machen,  selbst  wenn 
er  ein  Bistum  übernehmen  sollte.  Ein  Metropolit  kann  sein  Pallium  keinem  andern 
zum  Gebrauch  überlassen.  Dem  zum  Tragen  des  Ornatstückes  Befugten  wird  das- 
selbe beim  Tode  mit  in  das  Grab  gegeben.  Verscheidet  er  in  der  eigenen  Kirchen- 
provinz (Diözese),  so  legt  man  es  um  seinen  Hals,  wie  er  es  im  Leben  trug,  andern- 
falls unter  den  Kopf.  Alle  diese  und  ähnliche  Gepflogenheiten  finden  ihre  Begrün- 
dung in  dem  Doppelcharakter  des  Palliums,  wonach  es  eine  dem  Metropoliten  für 
seine  Person,  aber  mit  Rücksicht  auf  einen  bestimmten  Bezirk  verliehene  Insignie  ist. 

Die  Übergabe  des  Palliums  an  den  Metropoliten  (Bischof)  findet  ent- 
weder in  Rom  oder  außerhalb  Roms  statt.  Im  ersten  Falle  erfolgt  sie  durch 
den  ersten  der  Kardinaldiakone,  im  letzten  durch  einen  mit  derselben  be- 
auftragten Bischof.  Sie  vollzieht  sich  nach  vorausgegangener  Feier  der  heiligen 
Messe  und  nach  Ablegung  des  Treueides.  Im  übrigen  ist  der  Ritus,  wie  ihn 
das  römische  Pontifikale  für  die  Übergabe  des  Palliums  vorschreibt,  sehr  einfach. 

Die  Worte,  unter  denen  das  Pallium  dem  erwählten  Erzbischof  über  die 
Schultern  gelegt  wird,  lauten:  „Zu  Ehren  des  allmächtigen  Gottes,  der  seligen,  allzeit 
reinen  Jungfrau  Maria,  der  hll.  Apostel  Petrus  und  Paulus,  unseres  Herrn,  des  Pap- 
stes N.,  der  heiligen  römischen  und  der  dir  anvertrauten  Kirche  übergebe  ich  dir  das 
vom  Leib  des  hl.  Petrus  genommene  Pallium ,    in  welchem    die  Fülle  des  pontifikalen 


624 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Amtes  liegt,  zugleich  mit  dem  Titel  Patriarch  (Erzbischof),  auf  daß  du  es  innerhalb 
deiner  Kirche  an  den  in  den  Privilegien  des  Apostolischen  Stuhles  bestimmten  Tagen 
gebrauchen  mögest.  Im  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des  Heiligen  Geistes. 
Amen."  Wie  man  sieht,  kommt  in  dem  Gebet  die  Bedeutung  des  Ornatstückes  klar 
zum  Ausdruck. 

II.    ALTER  DES  RÖMISCHEN   PALLIUMS. 

Nach  dem  sog.  Constitutum  Constantini  reicht  das  römische  Pallium  bis 
in  die  erste  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  hinauf.  Konstantin  soll  nämlich  dem 
Constitutum  zufolge  dem  Papst  Silvester  I.  außer  andern  Auszeichnungen 
auch  das  Recht  verliehen  haben,  das  lorutn,  d.  h.  das  Pallium1,  zu  tragen. 
Indessen  ist  die  Konstantinische  Schenkung  bekanntlich  unecht  und  ihre  An- 
gabe über  die  Verleihung  des  Palliums  durch  Konstantin  durchaus  unglaub- 
würdig. Wenn  der  Fälscher,  der  das  Constitutum  schmiedete,  dieses  auf  den 
ersten  christlichen  Kaiser  zurückführt,  so  tut  er  das  nicht,  weil  sich  noch  eine 
Erinnerung  an  ein  solches  Ereignis  erhalten  hätte,  sondern  weil  er  darauf 
ausgeht,  für  die  bestehenden  Vorrechte  des  Papstes  statt  der  wirklichen  ge- 
schichtlichen und  rechtlichen  Grundlage  ein  an  den  Namen  des  ersten  christ- 
lichen Kaisers  anknüpfendes  und  darum  gewichtigeres  und  bedeutungsvolleres 
Fundament  zu  schaffen.  Sehr  gut  sagt  Grisar:  „Die  Idee,  das  Pallium  von 
Konstantin  herzuleiten,  entstammt  nur  dem  ebenso  irrigen  wie  in  der  Erfindung 
kindlichen  Bemühen,  den  bestehenden  päpstlichen  Gebräuchen  eine  imponierende 
kaiserliche  Grundlage  zu  verleihen.  Die  Idee  ist  kein  Echo  von  damals  noch 
gekannten,  wirklich  historischen  Vorgängen,  ebensowenig  wie  die  in  der  Ur- 
kunde  gemachte  Schenkung  Italiens   und   der  Inseln   des  ganzen  Westens." 2 

Auch  nach  dem  Liber  Pontificalis  war  das  Pallium  schon  in  der  Frühe  des 
4.  Jahrhunderts  im  Gebrauch.  Er  berichtet  nämlich  in  der  Vita  des  Papstes 
Markus,  derselbe  habe  dem  Biscbof  von  Ostia  das  Pallium  verliehen,  weil 
diesem  die  Weihe  des  Papstes  obliege3.  Vielleicht,  daß  der  Angabe  irgend 
eine  örtliche  Überlieferung  zu  Grunde  liegt.    Da  sie  indessen  keine  anderweitige 


1  Pallium  bezeichnet  im  klassischen  Latein 
jede  Art  von  Bedeckung,  zumal  einen  mit 
der  Toga  verwandten  Überwurf.  Die  Belege 
bei  Forcell.  III,  283.  Im  späteren  Latein  hat 
pallium  eine  noch  mannigfaltigere  Bedeutung. 
Es  heißt  hier  Mantel,  Schleier  (Nonnen-, 
Hochzeitsschleier),  Decke  (z.  B.  Altardecke), 
Behang  usw.  Häufig  erscheint  es  auch  als 
Name  eines  Gewebes ,  zumeist  von  besserer 
Art,  ähnlich  wie  unser  „Tuch"  (vgl.  D.  C. 
VI  113 ff).  Isidor  sagt  (Orig.  1.  19,  c.  24 
[M.  82,  689])  bezüglich  der  Ableitung  des 
Wortes:  Dictum  autem  pallium  a  pellibus, 
quia  prius  super  indumenta  pellicea  veteres 
utebantur,  quasi  pellea,  sive  a  palla  per  deri- 
vationem.  Die  letzte  Erklärung  wird  die 
richtige  und  pallium  aus  palla  gebildet  sein. 
Palla  selbst,  womit  vorzüglich  das  mantel- 
artige Obergewand  römischer  Frauen  be- 
zeichnet wurde,  läßt  Varro  (Ling.  lat.  4,  39) 
aus  palam  entstehen,  weil  das  Oewand  sicht- 
bar (palam)  über  den  andern  Kleidern  getragen 
werde,  ähnlich  wie  indusium  von  intus  her- 
komme.   Eine  andere  Etymologie  findet  sich 


bei  S  e  r  v  i  u  s  (ad  Aen.  I  652) :  Rectius 
a-b  roü  tmIXzvj  ,  vibrare ,  ab  irrugatione  et 
mobilitate,  quae  est  in  fine  huiusmodi  vestium 
et  pedibus  in  incedendo  vibrari  et  iactari 
solet.  Beide  Ableitungen  gehören  in  die 
Kategorie  der  mehr  spitzfindigen  als  wahren 
und  oft  genug  recht  sonderbaren  etymo- 
logischen Versuche,  denen  wir  bei  den  alten 
Grammatikern  und  Scholiasten  begegnen. 
Palla  wird  mit  pannus,  yrrjvog  (Faden,  Gewebe) 
zusammenhängen  (Vanicek,  Etymolog. 
Wörterbuch2  332). 

2  Grisar,  Das  römische  Pallium,  in  „Fest- 
schrift zum  1100jährigen  Jubiläum  des 
deutschen  Campo  Santo"  101.  Der  Text  des 
Constitutum  lautet:  Beato  Silvestro  .  .  .  con- 
tradimus  .  .  .  necnon  et  superhumerale,  vide- 
licet  lorum,  qui  imperiale  circumdare  assolet 
collum  (Hinschius,  Decret.  Pseudo-Isi- 
dor.  253). 

3  So  in  der  ersten  Edition  (Du eh. ,  L.  P. 
I  81).  In  der  zweiten  (ebd.  202)  ist  der 
Text  etwas  verschieden ,  doch  der  Sinn  im 
wesentlichen  der  gleiche. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


625 


Bestätigung  findet  und  das  Papstbuch  für  die  ersten  fünf  Jahrhunderte  keine 
zuverlässige  Quelle  ist,  muß  es  dahingestellt  bleiben,  ob  und  inwieweit  an 
der  Sache  etwas  Wahres  ist.  Immerhin  ist  die  Nachricht  des  Papstbuches 
auch  so  zweifellos  von  großer  Bedeutung,  nicht  nur,  weil  sie  das  Vorhanden- 
sein des  römischen  Palliums  für  die  erste  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  außer 
allen  Zweifel  setzt,  sondern  mehr  noch,  weil  wir  aus  ihr  mit  allem  Fug 
schließen  dürfen,  daß  das  Pallium  zu  Rom  schon  eine  geraume  Weile  vor 
dem  6.  Jahrhundert  in  Brauch  war.  Denn  wenn  um  530  der  Verfasser  des 
Papstbuches  den  Papst  Markus  dem  Bischof  von  Ostia  das  Pallium  verleihen 
läßt,  so  muß  dieses  damals  offenbar  schon  seit  Menschengedenken  sowohl  bei 
dem  Papst  als  bei  dem  Bischof  von  Ostia  Verwendung  gefunden  haben  *. 

Eine  Bestätigung  erhält  dieser  Schluß  durch  die  sonstigen  Nachrichten,  die  wir 
aus  dem  6.  Jahrhundert  über  das  Pallium  erhalten.  Im  Jahre  513  zeichnet  Papst 
Symmachus  den  hl.  Cäsarius  von  Alles,  den  er  zu  seinem  Vikar  für  Gallien  bestellt 
hatte,  mit  dem  Pallium  aus  2.  Ein  wenig  mehr  als  zwei  Jahrzehnte  später  versuchte 
Felix  IV.  (526 — 530)  sich  selbst  einen  Nachfolger  zu  geben,  indem  er  dem  Aus- 
erkorenen in  Gegenwart  der  Priester.  Diakone,  Senatoren  und  anderer  Zeugen  sein 
Pallium  übergab 3.  Bald  nachher  ließ  umgekehrt  Belisar  dem  Papst  Silverius  (536 
bis  538)  das  Pallium  abnehmen,  als  er  sich  anmaßte,  diesen  gegen  alles  Becht 
freventlich  seiner  Würde  zu  entsetzen  '.  545  bzw.  546  verlieh  Papst  Vigilius  den 
Nachfolgern  des  hl.  Cäsarius,  den  Bischöfen  Auxanius  und  Aurelian,  das  Pallium ö. 
Unter  Pelagius  I.  (555 — 560)  begegnen  wir  diesem  bei  Secundus  von  Taurominium 
(Taormina)  auf  Sizilien G  und  unter  Johannes  III.  (560 — 573)  bei  dem  Erzbischof 
Petrus  von  Ravenna 7.  Gregor  d.  Gr.  verleiht  das  Pallium  den  Metropoliten  von 
Mailand  und  Ravenna,  Salona,  Korinth,  Nikopolis  und  Iustiniana  prima  (Ochrida  in 
Albanien),  Sevilla,  Arles  und  Canterbury,  sowie  den  Bischöfen  von  Messina,  Palermo, 
Syrakus  und  Autun. 

In  allen  diesen  Nachrichten  erscheint  das  Pallium  als  eine  allbekannte, 
längst  gebräuchliche  Sache,  nirgends  als  ein  erst  in  jüngster  Zeit,  also  im 
6.  Jahrhundert,  eingeführtes  Ornatstück.  Insbesondere  lassen  die  Pallien- 
verleihungen,  denen  wir  mit  Sicherheit  schon  seit  513  begegnen,  keinen  Zweifel, 
daß  das  Pallium  bereits  eine  gute  Weile  vor  dem  Beginn  des  6.  Jahrhunderts 
in  Gebrauch  gekommen  sein  muß. 


1  Nach  Grirualdi  wurden  wirklich  im  Sar- 
kophag Leos  I.  (440 — 461)  gelegentlich  des 
Umbaues  von  St  Peter  Spuren  eines  Palliums 
entdeckt.  Man  fand  auf  der  rechten  Schulter 
ein  kleines  rotes  und  auf  der  Brust  nach 
rechts  zu  ein  etwas  größeres  schwarzes 
Kreuz.  Mitten  vor  der  Brust  sah  man  eine 
goldene ,  in  die  Kasel  hineingesteckte  Nadel 
(Iristrum.  auth.  translat.  ss.  corporum  e  veteri 
in  novam  Principis  apost.  basilicam  f.  60  75 
[Vat.  Barb.  XXXIV  49]).  Kreuze  und  Nadel 
lassen  jedoch  kaum  einen  Zweifel  daran,  daß 
es  sich  um  Reste  eines  Palliums  handelte, 
welches  erst  in  späterer  Zeit  in  den  Sarg 
kam,  wie  P.  Grisar  meint.  In  St  Maximin  zu 
Trier  wurde  vor  der  Aufhebung  des  Klosters 
das  Fragment  eines  Palliums  des  hl.  Maximin 
(t  ca  349)  gezeigt.  Nach  der  Erzählung  des 
Mönches  Sigehard  (ca  962)  wurde  letzteres 
mitsamt  einer  Stola  898  bei  Wiederauffmdung 
des  angeblich  seit  dem  Einfall  der  Nor- 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


mannen  (882)  völlig  verschollenen  Grabes 
aus  dem  Sarg  des  Heiligen  genommen  (AA. 
SS.  29.  Mai;  VII  32).  Allein  es  kann  wohl 
kaum  zweifelhaft  sein,  daß  es  sich  auch  hier 
um  ein  Pallium  handelt,  mit  dem  bei  einer 
früheren  Translation  der  heilige  Leib  ge- 
schmückt worden  war.  Oder  sollen  wir  viel- 
leicht auch  die  Stola  für  ein  Original  aus 
der  ersten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  halten? 

2  Epist.  arelat.  n.  27  41  (M.  G.  Epp.  III 
40  62).  Vita  S.  Caesarii  1.  1 ,  c.  4  (M.  67, 
1016).  Ein  Schreiben,  in  welchem  Papst 
Symmachus  dem  Erzbischof  Theodor  vonLorch 
das  Pallium  verleiht,  ist  unecht  (J.  n.  767). 

3  Du  eh.  ,  L.  P.  I  282  in  nota  4  ad  Vitam 
Bonifacii  IL  4  Ebd.  293. 

5  Epist.  arelat.  n.  41  44  (M.  G.  Epp.  III 
62  66). 

6  Löwenfeld,  Epistolae  Rom.  Pont., 
Lipsiae  1885,  n.  30,  p.  16. 

7  J.  n.  1041. 

40 


626 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Auf  den  Bildwerken  findet  sich  das  römische  Pallium 
nirgends  vor  dem  6.  Jahrhundert.  Wie  die  dem  5.  Jahr- 
hundert entstammende  Darstellung  der  hll.  Ambrosius 
und  Maternus  in  der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  zu  Mailand, 
so  lassen  auch  die  gleichzeitigen  Brustbilder  der  Päpste 
aus  S.  Paolo  zu  Rom  das  Ornatstück  noch  vermissen  1. 
Die  ältesten  Monumente,  welche  das  Pallium  aufweisen, 
sind  die  Mosaiken  in  S.  Vitale  zu  Ravenna  (vgl.  Bild  63, 
S.  159)  und  in  S.  Apollinare  in  Classe,  aufweichen  die  ravenna- 
tischen  Bischöfe  St  Apollinaris,  St  Severus,  St  Ursus,  Eccle- 
sius,  Ursicinus  und  St  Maximian  mit  demselben  geschmückt 
sind  -.  Sie  entstammen  der  Mitte  des  6.  Jahrhunderts.  Die 
ältesten  römischen  Bildwerke,  welche  das  Pallium  zur  Ab- 
bildung bringen,  sind  gegenwärtig  das  Mosaik  in  S.  Agnese 
fuori  le  Mura  mit  den  Abbildungen  der  Päpste  Honorius  (vgl. 
Bild  64,  S.  160)  und  Symmachus  (Bild  293)  und  das  Mosaik 
im  Oratorium  des  hl.  Venantius  mit  den  Bildern  Johannes'  IV., 
seines  Nachfolgers  Theodorns  und  der  Bischöfe  Venantius 
und  Maurus  3.  Die  erste  der  beiden  musivischen  Darstellungen 
ist  das  Werk  Honorius'  I.  (625 — 638) ,  die  zweite  das  Jo- 
hannes' IV.  (640 — 642).  Auf  den  aus  dem  6.  Jahrhundert 
herrührenden  Mosaiken  in  S.  Cosma  e  Damiano  und  S.  Lorenzo 
fuori  le  Mura  haben  die  Darstellungen  Felix'  III.  und  Pelagius' 
eine  so  durchgreifende  Veränderung  erfahren,  daß  sie  in 
keiner  Hinsicht  mehr  als  Originale  gelten  können  4.  Immerhin  lassen  es  die  gleich- 
zeitigen Mosaiken  Bavennas  nicht  zweifelhaft,  daß  beide  Figuren  auch  ursprünglich 
mit  dem  Pallium  ausgestattet  waren. 


Bild  293.  Papst  Sym- 
machus. Mosaik.  Hom, 
S.  Agnese.     (Nach  de  Rossi.) 


III.    DIE  VERLEIHUNG  DES  PALLIUMS. 

Die  Pallium  Verleihungen,  deren  wir  vorhin  gedachten,  sind  nicht  die 
einzigen  im  6.  Jahrhundert  gewesen.  Es  müssen  noch  eine  Anzahl  anderer 
vorgekommen  sein.  Das  erhellt  aus  verschiedenen  Schreiben  Gregors  d.  Gr. 
Denn  wenn  derselbe  einem  Bischof  den  usus  pallii  gewährte,  so  pflegte  er 
dabei  zu  bemerken ,  er  tue  das  ex  more ,  iuxta  antiquum  morem ,  sicut 
prisca  consuetudo  habet,  antiquae  consuetudinis  ordine  provocatus  und  ähnlich 5. 
Auch  wies  er  wohl  den  mit  dem  Pallium  Begnadigten  an,  die  Insignie  in 
der  Weise  zu  tragen,  wie  das  sein  Vorgänger  getan6.  Es  muß  also  schon 
vor  Gregor  die  Verleihung  des  Palliums  in  Flor  gestanden  haben. 

Selbst  die  Sitte,  bestimmten  Sitzen  regelmäßig  den  Gebrauch  des  Ornatstückes 
zu  gewähren,  entstand  nicht  erst  zu  Gregors  Lebzeiten ;  sie  hatte  sich  schon  vor  den 


1  Garr.  tav.  108  ff.  Garrucci  glaubte  bei 
Linus  das  Pallium  wahrnehmen  zu  können. 
Allein  das  Bild  des  Papstes  Linus  ist  wie 
die  Darstellungen  aller  Päpste  von  Petrus 
bis  auf  ürban  so  sehr  durch  spätere  Re- 
stauration verunstaltet,  daß  von  dem  Original 
nur  wenig  mehr  da  ist.  Die  auf  Urban  fol- 
genden Papstbilder  haben  sich  besser  er- 
halten ;  keines  von  diesen  aber  weist  das 
Pallium  auf,  wie  wir  uns  an  Ort  und  Stelle 
selbst  überzeugten.  Vgl.  auchWilp.  ,  Gap. 
30,  nota  2. 

2  Garr.  tav.  258  264  265  267. 


3  De  Rossi,  Mus.  fasc.  III— IV  XIII  bis 
XIV.    Garr.  tav.  272  274. 

1  De  Rossi,  Mus.  fasc.  III— VI.  Garr. 
tav.  253  271.  Über  die  Papst-  und  Bischofs- 
bilder in  S.  Callisto  siehe  oben  S.  159.  Der 
Elfenbeintafel  des  Trierer  Domschatzes  wird 
später  bei  Besprechung  des  griechischen  Pal- 
liums gedacht  werden. 

5  Gregor.  M.  Epist.  1.  4,  n.  1 ;  1.  5,  n.  58 
60  61  62;  1.  6.  n.  8;  1.  9,  n.  176  228  (M.  G. 
Epp.  I  232  368  373  375  376  387;  II  171  221). 

6  Ebd.  1.  5,  n.  62;  1.  6,  n.  8  18;  1.  13,  n.  40 
(I  376  387  397;  II  403). 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  627 

Tagen  des  großen  Papstes  herausgebildet.  Wie  Symmachus  das  Pallium  dem  hl.  Cäsarius 
von  Arles  verlieh,  so  erteilte  Vigilius  es  dessen  Nachfolgern  Auxanius  und  Aurelian 
und  Pelagius  dem  Erzbischof  Sapaudus.  Auch  die  Erzbischöfe  von  Eavenna  wurden, 
wie  sich  aus  den  Mosaiken  in  S.  Vitale  und  in  S.  Apollinare  in  Classe  ergibt,  nicht  erst 
durch  Johannes  III.  und  Gregor  d.  Gr.  der  Ehre  des  Palliums  gewürdigt.  Ebenso  kann 
das,  was  der  Liber  Pontificalis  in  Betreff  der  Verleihung  des  Ornatstückes  an  den 
Bischof  von  Ostia  sagt,  nur  von  einer  gewohnheitsmäßigen  Erteilung  dieses  Privilegs 
verstanden  werden.  Ausdrücklich  aber  bezeugt  den  Brauch  bereits  das  Schreiben 
Johannes'  III.  an  den  Erzbischof  Petrus  von  Kavenna.  „Wir  wissen",  so  heißt  es 
darin,  „daß  es  der  Vernunft  entspricht,  diejenigen  mit  dem  Pallium  zu  schmücken, 
welche  die  Bischofswürde  durch  Gottes  Barmherzigkeit  in  jenen  Städten  ziert,  in 
denen  es  auch  den  früheren  Bischöfen  vom  Apostolischen  Stuhle  nachweislich 
verliehen  wurde."  ' 

Empfänger  des  Palliums  waren  von  Anfang  an  vornehmlich  päpstliche 
Vikare  und  Metropoliten.  Schon  in  den  Briefen  Gregors  d.  Gr.  begegnet 
uns  eine  nennenswerte  Anzahl  von  Würdenträgern  dieser  Art,  deren  Vor- 
gänger bereits  den  usus  pallii  besaßen.  Neu  verleiht  der  Papst  das  Privileg 
dem  hl.  Augustinus  für  die  von  demselben  gegründete  englische  Kirche3. 
Auch  stellt  er  in  seinem  Schreiben  an  den  Heiligen  die  Insignie  den  beiden 
demnächst  zu  gründenden  Metropolitansitzen  London  (später  Canterbury)  und 
York  in  Aussicht.  Indessen  wurde  das  Pallium  um  die  Neige  des  6.  Jahr- 
hunderts noch  keineswegs  von  allen  Metropoliten  des  Abendlandes  getragen, 
wie  man  vielleicht  aus  dem  Verhalten  Gregors  gegenüber  Augustinus  und 
den  beiden  zukünftigen  englischen  Metropolen  schließen  möchte.  Denn  als 
der  Erzbischof  Desiderius  von  Vienne  unter  Hinweis  auf  die  alte  Gewohn- 
heit in  Rom  um  das  Pallium  bat,  weigerte  sich  Gregor,  dem  Ansuchen  zu 
willfahren,  bis  der  Bittsteller  aus  dem  Archiv  seiner  Kirche  nachgewiesen, 
daß  schon  seine  Vorgänger  den  usus  pallii  gehabt 3. 

Ebendarum  aber  kann  damals  auch  noch  nicht  den  Erzbischöfen  die 
Pflicht  obgelegen  haben,  das  Pallium  vom  Apostolischen  Stuhle  zu  erbitten 
und  sich  vor  Empfang  der  Insignie  der  Metropolitanfunktionen  zu 
enthalten.  Wann  diese  Pflicht  sich  herausgebildet  hat,  läßt  sich  nicht  mit 
Genauigkeit  bestimmen.  Um  die  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  war  sie,  nach 
dem  Briefwechsel  zwischen  Papst  Zacharias  und  dem  hl.  Bonifatius  zu  urteilen, 
jedenfalls  noch  nicht  in  Kraft. 

Bonifatius  hatte  für  die  von  ihm  eingesetzten  Metropoliten  Grimo  von  Rouen, 
Abel  von  Reims  und  Hartbercht  von  Sens  von  Zacharias  die  Bestätigung  und  das 
Pallium  erbeten.  Der  Papst  antwortete,  er  sende  die  Pallien  und  habe  über  die  Be- 
deutung und  den  Gebrauch  der  Insignie  usw.  den  Bischöfen  Weisung  zugehen  lassen. 
Noch  ehe  dieser  Brief  jedoch  in  die  Hände  des  Heiligen  kam,  muß  derselbe  ein  neues 
Schreiben  an  Zacharias  gerichtet  haben,  in  dem  er  nur  für  Grimo  das  Pallium  nach- 
suchte. Wie  es  scheint,  veranlagte  die  Furcht,  Sportein  zahlen  zu  müssen,  Abel  und 
Hartbercht,  auf  das  Ornatstück  zu  verzichten.  Zacharias  antwortete  voll  des  Er- 
staunens über  die  Wendung  der  Dinge  und  wünschte  Aufklärung.  Von  der  Pflicht 
der  Metropoliten,  das  Pallium  in  Rom  zu  erbitten,  hören  wir  aber  nicht  das  geringste  *. 

Drei  Jahre  später  hatte  der  Heilige  auf  einer  fränkischen  Synode  den  Be- 
schluß erwirkt,  es  sollten  die  Metropoliten  das  Pallium  beim  Apostolischen  Stuhle 
nachsuchen.     751  aber  muß  er  bei  Zacharias   sich   entschuldigen,    daß  derselbe  noch 


1  M.  77,  655,  nota  h.  3  Ebd.  1.  9,  n.  220  (II  212). 

-  Gregor.  M.  Epist.  1.  11,  n.  39  (M.  G.  *  S.  Bonifacii   Epist.  n.  57    58    (M.  G. 

Epp.  II  311).  Epp.  III  313  315). 

40* 


628  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

nicht  zur  Ausführung  gebracht  sei.  „Was  man  versprochen,  hat  man  bisher  zu 
verwirklichen  gezögert.  Man  schiebt  auf,  überlegt  hin  und  her  und  weiß  darum 
nicht,  was  man  tun  will.  Wäre  es  nach  meinem  Willen  gegangen,  so  wäre  das  Ver- 
sprechen längst  erfüllt."  Die  Ursache  der  Verzögerung  scheint  auch  hier  die  Furcht 
vor  etwaigen  Abgaben  gewesen  zu  sein.  In  der  Antwort  erkennt  Zacharias  den 
guten  Willen  des  hl.  Bonifatius  an;  betreffs  der  Sache  aber  bemerkt  er  bloß:  „Wenn 
die  Metropoliten  gemäß  dem  Beschluß  vorangehen,  wird  ihnen  das  zum  Lobe  gereichen ; 
wenn  nicht,  laß  sie  (sin  vero  aliter  egerint,  ipsi  videbunt).  Wir  geben  durch  Gottes 
Gnade  umsonst,  was  wir  selbst  umsonst  empfangen  haben."  l  Ob  sich  der  Papst 
mit  diesem  Entscheide  begnügt  hätte,  wenn  die  Metropoliten  schon  damals  vorschrifts- 
mäßig um  die  Erteilung  des  Palliums  einkommen  mußten  und  vor  Empfang  der  In- 
signie  keine  erzbischöflichen  Amtshandlungen  vornehmen  durften?    Zweifelsohne  nicht. 

Sicher  bestand  die  kanonische  Bestimmung,  wonach  die  Metropoliten 
nach  ihrer  Wahl  beim  Apostolischen  Stuhle  um  das  Pallium  zu  bitten  hatten 
und  vor  Verleihung  desselben  ihres  Amtes  nicht  walten  durften,  in  der  Haupt- 
sache bereits  um  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts.  Es  ergibt  sich  das  aus  einer 
Verordnung  Nikolaus'  I.,  aus  dem  1.  Kapitel  des  877  unter  Johannes  VIII. 
gehaltenen  Konzils  von  Ravenna  und  aus  einem  Schreiben  Johannes'  VIII.  an 
den  Erzbischof  Rostagnus  von  Arles. 

Auf  eine  Anfrage,  welche  die  Bulgaren  hinsichtlich  des  demnächst  zu  er- 
wählenden Erzbischofes  an  Nikolaus  I.  gerichtet  hatten ,  antwortet  dieser  nämlich, 
es  solle  der  zukünftige  Metropolit  gerade  so,  wie  das  bei  allen  Erzbischöfen  Deutsch- 
lands, Galliens  und  anderer  Länder  bekanntermaßen  geschehe,  vor  dem  Empfang  des 
Palliums  nicht  seinen  Thron  benutzen 2.  Desgleichen  solle  er  keine  Konsekration  mit 
Ausnahme  derjenigen  des  Leibes  und  Blutes  Christi  vornehmen.  Das  erste  Kapitel  der 
S37node  von  Ravenna  bestimmt  in  ähnlicher  Weise,  es  hätten  die  Metropoliten  inner- 
halb dreier  Monate  ihr  Glaubensbekenntnis  dem  Apostolischen  Stuhle  vorzulegen  und 
um  das  Pallium  zu  bitten.  Solange  jemand  in  Bezug  auf  diese  Punkte  die  alte  Sitte 
verachte,  solle  er  weder  seinen  Sitz  einnehmen  noch  Konsekrationen  vollziehen 
dürfen 3.  Johannes  VIII.  endlich  beauftragt  878  in  seinem  Briefe  Rostagnus,  den  er 
zu  seinem  Vikar  gemacht  hatte,  darüber  zu  wachen,  daß  kein  Erzbischof  eine  Weihe 
vornehme,  wofern  er  nicht  vom  Papste  das  Pallium  erhalten  habe,  die  Zuwiderhandelnden 
aber  in  seinem  Namen  zu  tadeln  4.  Er  habe  nämlich  die  Wahrnehmung  gemacht,  daß 
gallische  Bischöfe  schon  vor  Erlangung  des  Palliums  Konsekrationen  auszuüben 
gewagt  hätten,  obschon  doch  sowohl  von  seinen  Vorgängern  (antecessores  nostri)  als 
von  ihm  selbst  solches  untersagt  worden  sei  5. 

Allem  Anschein  nach  fällt  die  Einführung  der  Verordnung,  durch  welche 
die  Metropoliten  verpflichtet  wurden,  das  Pallium  vom  Apostolischen  Stuhl 
zu  erbitten,  in  die  erste  Hälfte  des  9.  oder  noch  in  das  Ende  des  8.  Jahr- 
hunderts6. Ihr  Ziel  war  nicht  die  Schädigung  oder  gar  die  Vernichtung  der 
Metropolitangewalt.  Sie  sollte  vielmehr  die  Metropoliten  zu  innigerer  und 
festerer  Einheit  mit  dem  einzigen  Grund  aller  Metropolitanvollmachten ,  dem 
Stuhle  Petri,  verknüpfen,  sollte  den  dem  innersten  Wesen  der  Kirche  wider- 
strebenden zentrifugalen  und  selbstherrlichen  Bestrebungen  mancher  Metro- 
politen mitsamt  den  daraus  hervorgehenden  Mißständen  in  wirksamer  Weise 
begegnen  und  zugleich   das  in  Auflösung  und  Verfall   geratene  Metropolitan- 


1  S.  Bonifacii  Epist.  n.  78  86  87  (M.  G.  G  Das    Gratiansche     c.    Quoniam     quidem 
Epp.  III  351  368  370).  (Decr.    I,    D.  100,    c.  1;    Corp.  iur.    can.  I, 

2  Resp.adBulg.consultan.73(M.119,1007).  Lipsiae    1879,    352),    eine   Erweiterung   des 

3  Hard.  VI  185.  c.  1  der  Synode  von  Ravenna,  wird  bei  Gratian 

4  Ad  univers.  ep.  Gall.  (M.  126,  778).  irrig  Papst  Pelagius  (II.)    zugeschrieben.    J. 
6  Ad  Rostagnum  arehiep.  (M.  126,  777).  n.  1064. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


629 


System  von  neuem  kräftigen,  festigen  und  zu  frischem  Leben  führen.  Sie 
bildete  so  wenig  einen  Eingriff  in  die  Befugnisse  der  Metropoliten  und  den 
Tod  der  Metropolitanautorität ,  daß  sie  vielmehr  nur  die  Äußerung  eines 
dem  Papste  ureigensten  und  unverlierbaren  Eechtes  und  zugleich  eine  ent- 
schiedene Hebung  und  einen  nachhaltigen  Schirm  der  Metropolitan gewalt  be- 
deutete1. Wie  groß  die  Notwendigkeit  war,  die  Erzbischöfe  enger  mit  Rom 
zu  verknüpfen,  hat  niemand  besser  als  der  große  Apostel  Deutschlands  erkannt; 
daher  denn  auch  Bonifatius  als  der  eifrigste  Förderer  des  römischen  Palliums 
auftrat 2. 

Das  früheste  Beispiel  eines  mit  dem  Pallium  geschmückten  abendländischen 
Suffragans  bietet  der  Bischof  von  Ostia.  In  der  zweiten  Hälfte  des 
6.  Jahrhunderts  begegnet  uns  dann  die  Insignie  bei  verschiedenen  zum  rö- 
mischen Metropolitanverbande  gehörenden  Bischöfen  Siziliens.  Der  Grund, 
warum  sie  diesen  zugestanden  wurde,  mag  in  dem  Umstände  liegen,  daß 
die  Bischöfe  des  Patrimonium  Petri  auf  Sizilien  mehr  als  die  sonstigen  Suffra- 
gane  des  römischen  Metropolitanstuhles  als  Stellvertreter  des  Papstes  er- 
schienen 3.  Es  ist  wohl  nicht  umsonst,  daß  Gregor  in  seinen  Briefen  an  Donus 
von  Messina  und  Johannes  von  Syrakus,  in  welchen  er  denselben  das  Ornat- 
stück verleiht,  zugleich  ausdrücklich  alle  Privilegien  bestätigt,  welche  beiden 
Kirchen  von  seinen  Vorgängern  verliehen  worden  seien4. 

Der  Bischof  von  Ostia  und  die  Bischöfe  von  Sizilien  bleiben  innerhalb 
des  römischen  Metropolitanbereiches  die  einzigen,  bei  denen  wir  den  usus 
pallii  antreffen.  „Im  weiten  Umkreis  von  Rom",  sagt  Grisar,  „absorbierte 
gleichsam  alles  Ansehen  der  in  der  Hauptstadt  regierende  Apostel  Petrus, 
vertreten  durch  seine  Nachfolger.  Die  andern  Bischöfe  waren  auch  zu  zahl- 
reich und  hatten  zu  kleine  Diözesen,  um  besondere  Wichtigkeit  zu  erlangen."  5 

Das  erste  bekannte  Beispiel,  daß  im  Abendland  ein  nicht  zum  römischen 
Metropolitanverband  gehörender  Suffraganbischof  mit  dem  Pallium  geschmückt 
wurde,  bildet  Syagrius  von  Autun.  Der  Grund,  warum  Gregor  diesem  das 
Ornatstück  gewährte ,  waren  teils  die  Verdienste ,  welche  sich  Syagrius 
um  Augustinus,  den  Apostel  Englands,  erworben  hatte,  teils  die  Bitten  des 
fränkischen  Hofes  6.  Bemerkenswert  ist,  daß  der  Papst  dem  Bischof  um  des 
Palliums  willen  —  ne  indumenti  munificentiam  nudam  videamur  quodammodo 
contulisse  —  das  Recht  der  Präzedenz  vor  den  Komprovinzialen  gewährte 
und  ihn  zugleich  mit  der  Sorge  für  die  Zusammenberufung  einer  Synode  der 
gallischen  Bischöfe  beauftragte 7. 


1  Phillips,  Kirchenreclit  §  73;  II  87,  und 
§  348;  VI  813. 

2  Vgl.  den  Briefwechsel  zwischen  Papst 
Zacharias  und  dem  Heiligen  und  des  letzteren 
Brief  an  Erzbischof  Cuthhert  von  Canter- 
bury  (S.  Bonifacii  Epist.  n.  78  [M.  G.  Epp. 
III  351]). 

3  Grisar  (Das  römische  Pallium:  „Fest- 
schrift" etc.  110)  vermutet:  „Die  Berührung 
mit  griechischen  Gebräuchen  mag  auf  Sizi- 
lien, obwohl  diese  Insel  von  jeher  zur 
Kirchenprovinz  des  römischen  Bischofs  ge- 
hörte ,  es  mit  sich  gebracht  haben ,  daß  das 
Pallium  von  manchen  besonders  hervorragen- 
den Bischofssitzen  gebraucht  -wurde." 


i  Gregor.  M.  Epist.  1.  6,  n.  8  18  (M.  G. 
Epp.  I  387  397).  Ein  ständiger  Vikar  war 
in  Sizilien  nicht.  Etwaige  Vikariatsgeschäfte 
besorgten  entweder  der  Defensor  oder  ein 
Bischof  im  Auftrage  des  Papstes  (1.  2,  n.  8 
[I  107]). 

5  Grisar  a.  a.  0.  110. 

e  Gregor.  M.  Epist.  1.  8,  n.  4  ;  1.9,  n.  222 
(M.  G.  Epp.  II  5  213). 

7  Ebd.  Bezeichnend  ist  der  Schluß  des 
Briefes,  worin  er  den  Bischof  ermahnt,  mit 
allem  Eifer  zu  Werk  zu  gehen :  ut  nos 
utiliter  providisse,  qui  vestram  ad  hoc  prae 
ceteris  personam  eligimus ,  videamur ;  vgl. 
auch  Epist.  1.  9,  n.  219  (II  210). 


630 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Wie  unter  Gregor  d.  Gr.  so  kamen  auch  noch  in  der  Folgezeit  neben 
den  Palliumverleihungen  an  Metropoliten  solche  an  gewöhnliche  Bischöfe  vor. 
Sie  waren  indessen  nie  häufig.     Hier  einige  Beispiele  aus  älterer  Zeit. 

Ohrodegang  von  Metz  soll  das  Pallium  durch  Stephan  IL  754  erhalten  haben, 
als  dieser  zur  Salbung  Pipins  ins  Frankenland  kam ',  Drogo  von  Metz  844  durch 
Sergius  IL  -  Actardus  von  Nantes  wurde  868  durch  Hadrian  IL  3,  Wala  von  Metz  878 
durch  Johannes  VIII.  der  Ehre  des  Palliums  gewürdigt 4,  Argrinus  von  Langres  900 
durch  Benedikt  IV. 5,  Eagembert  von  Vercelli  912  durch  Anastasius  III. 6,  Richarius  von 
Lüttich  922  durch  Johannes  X.1,  Atto  von  Vieh  (Spanien)  971  durch  Johannes  XIII. 8 
Leo  IX.  verlieh  es  1051  Stephan  von  Le  Puy9,  1053  Hartwig  von  Bamberg10,  Alex- 
ander IL  1063  Burchard  von  Halberstadt11,  Gregor  VII.  1076  Ivo  von  Dol 12  sowie 
Hermann  von  Metz  '3,  Paschalis  IL  1105  Guido  von  Pavia11,  1111  Otto  von  Bamberg15, 
Calixtll.  (1119— 1124)  Benedikt  von  Lucca  1G,  Innozenz  IL  1139  Egilbert  von  Bamberg  ", 
Eugen  III.  1146  Eberhard  IL  von  Bamberg  ls.  Von  neueren  Beispielen  erwähnen  wir 
die  Palliumverleihung  an  die  Bischöfe  von  Ermeland  und  Würzburg  durch  Bene- 
dikt XIV.  Die  Gewährung  des  Ornatstückes  erfolgte  je  nach  den  Verhältnissen  unter 
ausdrücklicher  Befragung  und  Zustimmung  des  jeweiligen  Metropoliten  und  unter 
Wahrung  der  metropolitanen  Rechte  desselben  ls. 

Bis  zum  11.  Jahrhundert  pflegte  das  Pallium  denjenigen,  welchen  der 
Gebrauch  desselben  zugestanden  worden  war,  durch  einen  Boten  übersandt 
zu  werden.  Ein  persönliches  Erscheinen  beim  Apostolischen  Stuhle  zum  Zwecke 
der  Entgegennahme  des  Ornatstückes  war  nicht  gefordert.  Im  Laufe  des 
11.  Jahrhunderts  drängten  die  Päpste  indessen  mit  aller  Entschiedenheit  darauf, 
es  sollten  die  Bewerber  nach  Rom  kommen,  um  in  eigener  Person  das  Pallium 
daselbst  in  Empfang  zu  nehmen 20.  Das  Unwesen  der  Simonie,  die  papst- 
feindliche Stellung  und  die  Verweltlichung  mancher  Erzbischöfe,  der  gewaltige 
Kampf  gegenüber  den  Übergriffen  der  Macht  der  Fürsten  und  die  sonstigen 
Schäden  der  Zeit  mußten  diese  Maßregel  damals  als  zweckmäßig,  ja  geradezu 
als  nötig  erscheinen  lassen 21.  Mit  dem  Aufhören  der  Gründe  verlor  dieselbe 
ihre  Bedeutung,  weshalb  denn  auch  in  späterer  Zeit  ein  persönliches  Erscheinen 
zu  Rom  nicht  weiter  verlangt  wurde. 

Bei  der  Verleihung  des  Palliums  war  vor  der  Zeit  Gregors  d.  Gr.  eine 
Abgabe  zu  entrichten.  Da  der  Papst  diese  Sportel  durchaus  mißbilligte, 
schaffte  er  sie  auf  der  römischen  Synode  des  Jahres  595  ab,  wobei  er  indessen 


1  M.  G.  SS.  X  568.  2  Ebd.  374. 

3  J.  n.  2904.  *  Ebd.  n.  3183. 

5  Ebd.  n.  3527.  6  Ebd.  n.  3550. 

7  Ebd.  n.  3566.  Die  Bulle  wird  übrigens 
bei  Jaffe  als  zweifelhaft  bezeichnet. 

8  Ebd.  n.  3747.  s  Ebd.  n.  4265. 
10  Ebd.  n.  4287.           "  Ebd.  n.  4498. 

12  Ebd.  n.  5004. 

13  Kraus,  Kunst  und  Altertümer  in  Elsaß- 
Lothringen  III,  Straßburg  1889,  717. 

u  J.  n.  6013. 
15  Ebd.  n.  6291. 
1G  Ebd.  n.  7091. 

17  Ebd.  n.  8048. 

18  Ebd.  n.  8975.  Zugleich  mit  dem  Pallium 
wurde  den  betreffenden  Bischöfen  auch  wohl 
der  Titel  „  Erzbischof "  zu  teil,  wie  z.  B.  dem 
Bischof  Ivo  von  Dol. 


19  Vgl.  z.  B.  das  Schreiben  Hadrians  II. 
vom  Jahr  866  an  Actardus  von  Nantes  und 
Leos  IX.  an  Hartwig  von  Bamberg. 

20  Gregor.  VII.  Epist.  1.  1,  n.  24  (J. 
n.  4795).  Alexandri  II.  Epist.  ad  Raven- 
gerum  electum  Aquileien.  (J.  n.  4504) ,  ad 
Annonem  archiep.  Colon,  und  ad  Hugon.  abb. 
Clun.  (ebd.  n.  4507  4529).  Vgl.  auch  Phillips, 
Kirchenrecht  §  241 ;  V  2,  645. 

21  Bezeichnend  sind  die  Worte  Alexanders II. 
in  seinem  Brief  an  Ravengerus  :  Licet  anti- 
quis  temporibus  pallia  absentibus  metropoli- 
tanis  aliquando  concessa  fuerint ,  .  .  .  tarnen 
antecessores  nostri,  ...  ad  cautelam  maxime 
simoniacae  haereseos ,  quam  in  quibusdam 
nunc  regionibus  praevalere  cognoschnus,  ipsa 
soluminodo  praesentibus  dari  salubri  cousilio 
statuerunt. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


631 


erklärte,  freiwillige  Gaben  sollten  nicht  verboten  sein,  da  in  ihnen  nichts  Ver- 
kehrtes und  Schuldbares  liege  K 

Wie  lange  diese  Bestimmung  in  Kraft  blieb ,  läßt  sich  nicht  sagen.  Der  Ver- 
trag Leos  II.  (681 — 683)  mit  dem  Erzbischof  von  Ravenna,  kraft  dessen  der  rävenna- 
tische  Metropolitansitz  in  Zukunft  von  aller  und  jeder  Palliumsportel  frei  sein  sollte  -, 
dürfte  fast  vermuten  lassen,  es  sei  damals  wieder  eine  solche  erhoben  worden.  In- 
dessen stellt  noch  Papst  Zacharias  744  einer  Bemerkung  des  hl.  Bonifatius  gegen- 
über mit  Entschiedenheit  und  voll  Unwillen  in  Abrede,  daß  der  Apostolische  Stuhl 
für  die  Verleihung  des  Palliums  eine  Belohnung  fordere  und  Geld  verlange.  805  klagen 
aber  die  englischen  Bischöfe  bei  Leo  III. ,  daß  das  Pallium  gekauft  werden  müsse, 
während  es  früher  umsonst  verliehen  worden  sei 3.  Aus  einem  Briefe  des  hl.  Anselm 
(t  1109)  ergibt  sich,  daß  man  damals  bei  Empfang  der  Insignie  einen  Geldbetrag 
entrichtete  4.  Es  erhellt  indessen  nicht,  ob  derselbe  schon  den  Charakter  der  späteren 
sog.  Palliumgelder  hatte. 

Daß  man  zu  Rom  infolge  der  Verhältnisse  im  Laufe  der  Zeit  von  der 
gregorianischen  Praxis  abging  und  eine  Taxe  bei  der  Palliumverleihung  zu 
erheben  begann,  bedarf  keiner  Rechtfertigung.  Man  tat  nur,  was  die  Not 
der  Lage  erheischte.  Die  Palliumgelder  sind  seit  dem  ausgehenden  Mittel- 
alter Gegenstand  mancher  Anfeindung  und  Klage  geworden,  allerdings  häufig 
mit  Unrecht  und  in  übertriebener  Weise. 

Der  Treueid,  welchen  der  Empfänger  des  Palliums  abzulegen  hat,  scheint 
im  11.  Jahrhundert  aufgekommen  zu  sein.  Er  begegnet  uns  schon  unter 
Paschalis  IL  (1099 — 1118) 5.  In  früherer  Zeit  war  statt  dessen  die  Ablegung 
der  professio  fidei  üblich0.  Johannes  VIII.  verweigerte  dem  Erzbischof  Wilibert 
von  Köln  873  das  Pallium,  bis  derselbe  statt  der  ungenügenden  professio  eine 


andere  eingesandt   habe 7. 


Der  Grund   für  die  Einführung  der  Ablegung  des 


Treueides  lag  in  den  Verhältnissen  des  11.  Jahrhunderts. 


IV.    LITURGISCHER  CHARAKTER  DES  ROMISCHEN  PALLIUMS. 
SEINE  VERWENDUNG  BEIM  GOTTESDIENST. 

Über  den  sakralen  Charakter  und  die  gottesdienstliche  Verwendung  des 
römischen  Palliums  schweigen  sowohl  Symmachus  wie  Vigilius,  Pelagius  I. 
wie  Johannes  III.  Erst  Gregor  d.  Gr.  gibt  uns  in  seinen  Briefen  darüber 
näheren  Aufschluß.  Das  Pallium  war,  wie  aus  manchen  seiner  Schreiben  mit 
aller  Bestimmtheit  hervorgeht,  schon  damals  ein  durchaus  liturgisches  Ornat- 
stück, das  nur  innerhalb  der  Kirche,  und  zwar,  falls  nicht  ein  ganz  besonderes 
Privileg  einen  weitergehenden  Gebrauch  gestattete,  lediglich  bei  der  Feier  des 
heiligen  Opfers  getragen  werden  durfte 8.  Das  erhellt  namentlich  aus  dem 
Briefwechsel,  welcher  bezüglich  der  Verwendung  der  Insignie  zwischen  Gregor 
und  Johannes   von  Ravenna  geführt  wurde  9. 


1  C.  5  (M.  77,  1337).  Cf.  Epist.  1.  5,  n.  57 
(M.  G.  Epp.  1  364). 

2  Vita  Leonis  IL  (Du eh.,  L.  P.  I  360). 

3  M.  102,  1033. 

*  Epist.  n.  88  (M.  159,  244). 

5  Epist.  ad  archiep.  Spalat.  (J.  n.  6570). 

c  Liber  diurnus  n.  46  (Sickel  37) ;  Conc. 
Ravenn.  a.  877,  c.  1;  Zachariae  P.  Epist. 
ad  Bonif.  (M.  G.  Epp.  III  313). 

'  J.  n.  2986.  Vgl.  auch  n.  2982,  worin 
Bertulf  von  Trier  zur  Ablegung  der  professio 
fidei  aufgefordert  wird. 


8  Gregor.  M.  Epist.  1.  4,  n.  1;  1.  5, 
n.  61;  1.  9,  n.  222  227;  I.  11,  n.  39  (M.  G. 
Epp.  I  232  375;  II  213  218  311). 

9  Ebd.  1.  3,  n.  66  54;  1.  5,  n.  11  15  61; 
1.  6,  n.  31 ;  1.  9,  n.  167  (I  228  211  291  295 
375  409;  II  165).  Es  ist  unzutreffend,  wenn 
M.  G.  Epp.  III  211,  nota  2  das  Schreiben 
1.  3 ,  n.  54  als  das  frühere ,  n.  66  als  das 
spätere  bezeichnet  wird.  Der  Inhalt  beider 
Briefe,  namentlich  aber  der  Abschnitt,  welcher 
von  der  Mappula  handelt,  beweist  klar,  daß 
umgekehrt  n.  54  erst  nach  n.  66  zu  setzen  ist. 


632  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Gregor  hatte  erfahren,  daß  sich  Johannes  eine  zu  ausgiebige  Verwertung  des 
Palliums  gestattet  habe.  Er  sollte  es  nicht  bloß  bei  der  Messe,  sondern  auch  bei  den 
Litanien  (Prozessionen),  sowie  bei  der  Entgegennahme  der  üblichen  Begrüßungen,  die 
vor  der  Messe  im  Sekretarium  (Sakristei)  statthatten ,  verwendet  haben.  Die  Sache 
führte  zu  einem  längeren,  lebhaften  brieflichen  Meinungsaustausch.  Gregor  tadelt 
das  Verhalten  des  Erzbischofs  mit  ernsten  Worten.  Er  betont,  man  habe,  und  solches 
sei"  Johannes  nicht  unbekannt ,  kaum  je  gehört ,  daß  sich  irgend  ein  Metropolit  in 
irgend  einem  Weltteil  den  Gebrauch  des  Palliums  außerhalb  der  Meßfeier  angemaßt 
habe.  Der  Erzbischof  habe  sich  daher  entweder  der  Gewohnheit  aller  Metropoliten 
anzuschließen ,  oder  nachzuweisen ,  daß  der  Kirche  von  Eavenna  von  Gregors  Vor- 
gängern ausgedehntere  Privilegien  verliehen  worden  seien.  Könne  er  das  letztere 
nicht,  so  solle  er  sich  nicht  weiter  unterfangen,  des  Palliums  sich  auf  der  Straße 
oder  bei  den  Audienzen  im  Sekretarium  zu  bedienen. 

In  einem  zweiten  Schreiben  gestattet  dann  Gregor  auf  Grund  der  Fürsprache 
hochstehender  Personen  dem  Erzbischof,  an  vier  Tagen,  nämlich  den  Festen  des 
hl.  Johannes  Baptist,  der  Apostelfürsten  Petrus  und  Paulus  und  des  hl.  Apollinaris 
sowie  am  Jahrestage  seiner  Konsekration  die  Insignie  bei  dem  feierlichen  Zuge  zur 
Kirche  zu  tragen.  Außerdem  erlaubt  er  ihm,  dieselbe  bereits  im  Sekretarium  nach 
dem  Ende  der  Begrüßung,  statt  erst  am  Altar,  anzulegen. 

Das  Zugeständnis  des  Papstes  scheint  den  Erzbischof  noch  nicht  befriedigt 
zu  haben.  Denn  bald  muß  sich  Gregor  in  einem  dritten  Briefe  wiederum  darüber 
beklagen,  daß  Johannes  das  Pallium  bei  den  Litanien  zu  häufig  benutze.  Zugleich 
bemerkt  er  diesem,"  er  habe  seinen  Geschäftsträger  in  Konstantinopel  beauftragt,  bei 
allen  Metropoliten,  auch  wenn  sie  30  oder  40  Suffragane  hätten,  über  den  Gebrauch 
des  Ornatstückes  Erkundigungen  einzuziehen.  Falls  es  sich  finde,  daß  irgendwo  die 
Gewohnheit  bestehe,  bei  den  Litanien  mit  dem  Pallium  zu  gehen,  so  sei  es  fern  von 
ihm,  die  Kirche  von  Eavenna  in  ihrer  Ehre  beeinträchtigen  zu  wollen. 

Inzwischen  starb  Johannes ,  ohne  daß  Gregor  eine  endgültige  Entscheidung 
getroffen  hatte.  Dem  neuen  Erzbischof  Marianus  gestattete  der  Papst  vielmehr  nur, 
was  er  auch  schon  dessen  Vorgänger  erlaubt  hatte.  Als  derselbe  ihn  jedoch  durch 
seinen  Diakon  Florentius  um  weitere  Vollmachten  anging  und  ein  gewisser  Andreas, 
ein  Mann  von  hohem  Stande,  ihn  drängte,  den  angeblich  alten  Brauch  der  ravenna- 
tischen  Kirche  wiederherzustellen,  befahl  er  seinem  Notar  Castorius  wiederholt,  eine 
genaue  Untersuchung  anzustellen,  ob  es  wirklich  in  Ravenna  Sitte  gewesen  sei,  daß 
der  Erzbischof  bei  allen  feierlichen  Litanien  das  Pallium  trug,  und  welche  Litanien 
als  feierliche  gegolten  hätten.     Wie  die  Sache  auslief,  ist  nicht  bekannt. 

In  welchem  Umfang  der  Papst  selbst  vom  Pallium  bei  kirchlichen 
Funktionen  Gebrauch  machte,  ist  aus  den  Briefen  Gregors  nicht  zu  ersehen. 
Es  scheint  jedoch,  daß  derselbe  es  nicht  bloß  bei  der  Messe,  sondern  auch 
bei  sonstigen  Gelegenheiten,  insbesondere  bei  den  feierlichen  Prozessionen,  an- 
zulegen pflegte.  Denn  es  muß  auffallen,  sowohl  daß  Gregor  dem  Erzbischof 
von  Ravenna  die  Verwendung  der  Insignie  bei  einzelnen  Litanien  gestattet, 
als  auch,  daß  er  gegenüber  Johannes  nie  hervorhebt,  wie  sogar  er  selbst  sich 
des  Palliums  nur  bei  dem  heiligen  Opfer  bediene  K 

Auch  in  der  Folge  bleibt  das  Pallium  ein  durchaus  liturgisches  Ornat- 
stück. Es  genüge,  auf  die  Ausführungen  der  mittelalterlichen  Liturgiker  von 
Hraban   an   bis   zu  Innozenz  III.   und  Durandus,    auf  die   römischen  Ordines, 


1  Daß  Gregor   sich   des  Palliums  je  auch  quid   dicturi  sumus  futuro  iudici,  fr'ater  di- 

bei    andern    als    kirchlichen   Punk-  lectissime ,  se  illud   grave  iugum  atque  vin- 

tionen ,    also    auch    außerliturgisch    bedient  culum    cervicis    nostiae ,    non    dico    pro    ec- 

habe,    ist   mit    den    Anschauungen,    die    er  clesiastica,  sed   pro  quadam  saeculari   nobis 

namentlich  Johannes  von  Ravenna  gegenüber  dignitate  defendimus  (Epist.  1.  3 ,  n.  54  [M. 

entwickelt,  durchaus  unvereinbar.    Man  vor-  G.  Epp.  I   211];  vgl.  auch   1.  9,  n.  213   [II 

gleiche  z.  B.  unter  anderem   die  Worte:   Et  198]). 


Viertes  Kapitel.     Das  Pallium. 


633 


auf  die  einschlägigen  Bestimmungen  des  Corpus  iuris  canonici  und  besonders 
auf  die  Verleihungsbullen  hinzuweisen.  Es  erscheint  darin  überall  nur  als 
liturgisches  Gewandstück,  und  zwar  als  Sakralornat  im  ganz  besondern  Sinne, 
als  Meßornat.  Namentlich  betonen  die  Bullen  immer  wieder,  das  Pallium 
werde  ad  missarum  sollemnia  tantum  celebranda  verliehen  l. 

Allerdings  fehlte  es  noch  im  9.  Jahrhundert  nicht  an  weiter  gehender,  miß- 
bräuchlicher Benutzung  des  ürnatstückes ,  so  daß  sich  die  unter  Johannes  VIII.  877 
abgehaltene  Synode  von  ßavenna  veranlaßt  sah,  im  dritten  Kapitel  ihrer  Dekrete 
denjenigen  Metropoliten  mit  dem  Verlust  des  Palliums  zu  bedrohen,  welcher  sich  seiner 
auf  der  Straße,  bei  den  Litanien  und  an  andern  Tagen  als  den  Hauptfesten  und  den 
sonstigen  vom  Apostolischen  Stuhle   festgesetzten  Zeiten   bei   der  Meßfeier  bediene  -. 

Wie  es  sich  ursprünglich  mit  dem  liturgischen  Charakter  des  Palliums 
verhalten  habe,  läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  feststellen.  Da  dieses  jedoch 
seit  wenigstens  dem  Ende  des  6.  Jahrhunderts  beständig  als  Sakralornat  auf- 
tritt, da  ferner  kein  Anhaltspunkt  vorliegt,  es  sei  das  Pallium  jemals  ein 
außerliturgisches  Abzeichen  gewesen  und  erst  später  sakrale  Insignie  geworden, 
und  da  endlich  das  griechische  Pallium  schon  im  4.  Jahrhundert  als  im  Dienste 
der  Liturgie  stehend  erscheint,  so  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein,  daß  das 
römische   Pallium    stets   ein   liturgisches    Gewandstück   war. 

Eine  ausdrückliche  Angabe  über  die  Tage,  an  welchen  den  Metropoliten 
bzw.  den  mit  dem  Pallium  geschmückten  Bischöfen  das  Tragen  des  Ornat- 
stückes gestattet  Avar,  begegnet  uns  erst  im  9.  Jahrhundert;  indessen  müssen 
bereits  früh  darüber  irgend  welche  Bestimmungen  bestanden  haben. 

Bereits  Gregor  d.  Gr.  schreibt  an  Johannes  von  Palermo,  er  erlaube 
ihm  das  Pallium  zu  den  Zeiten  und  in  der  Ordnung  zu  benutzen  wie  seine 
Vorgänger  und  die  andern  Bischöfe  Siziliens.  Ahnlich  spricht  der  Papst  in 
seinen  Briefen  an  Donus  von  Messina  und  Johannes  von  Syrakus.  Welcher 
Art  diese  Beschränkungen  waren,  und  auf  welche  Tage  sie  sich  bezogen, 
wird  nicht  näher  angegeben.  Bemerkenswert  ist  übrigens,  daß  nur  in  den 
Schreiben  an  die  drei  sizilianischen  Bischöfe,  nicht  aber  in  den  sonstigen 
Briefen  Gregors  von  solchen  die  Rede  ist. 

Einen  sehr  ausgedehnten  Gebrauch  des  Palliums  gestattete  Leo  IV.  851 
dem  Erzbischof  Hinkmar  von  Reims  auf  Bitten  Lothars,  indem  er  ihm  die 
tägliche  Verwendung  des  Ornatstückes  (cotidianum  usum  pallii,  i.  e.  in  diebus 
festis  sive  in  consecratione  episcoporum  aut  alio  quoque  tempore)  erlaubte 3. 
Es  war  das  indessen  gegen  die  gewöhnliche  Praxis.  Die  Tage,  für  welche 
Nikolaus   I.    860   dem   Erzbischof   Adalwinus   von   Salzburg   das   Tragen   der 


1  Vgl.  die  Bullen  bei  Müh  Ib.  II  600  ff. 

2  Hard.  VI  186.  Bei  Ivo  ist  der  Kanon 
als  Dekret  Houorius'  I.  (J.  n.  2030)  bezeichnet. 
In  den  römischen  Ordines  erscheint  das  Pal- 
lium auch  beim  Papst  fast  ausschließlich  als 
Meßornatstück.  Als  sonstige  kirchliche  Ge- 
legenheiten, bei  welchen  derselbe  es  benutzte, 
werden  darin  nur  bestimmte  feierliche  Pro- 
zessionen genannt,  bei  welchen  der  Papst  die 
ganze  Meßkleidung  trug,  ausgenommen  die 
Mitra,  an  deren  Stelle  er  mit  der  Tiara  ge- 
schmückt war.  Vgl  z.  B.  ordo  12,  n.  33  und  ordo 
14,  c.  19  (M.  78,  1078  1130).  Auch  auf  Syn- 
odenbediente sich  der  Papst  des  Palliums  (E  a  d- 
meri  Hist.  novorum  in  Anglia  1.  2  [M.  Gr.  SS. 


XIII  143] :  Papa  non  in  cappa,  sed  in  casula  et 
pallio  desuper  redimitus  concilio  praesidebat). 
3  Die  Verleihung,  von  der,  Flodoard  in 
seiner  Hist.  Rem.  eccl.  1.  3 ,  n.  10  (M.  G. 
SS.  XIII  482)  erzählt,  ist  von  Bona  (1.  1, 
c.  24,  §  16;  II  272)  und  Pagi  (Breviar.  II 
67)  angezweifelt  worden.  Vgl.  jedoch  die 
neuerdings  bekannt  gewordenen  Schreiben 
Leos  an  Lothar  und  Hinkmar  (Ewald,  Die 
Papstbriefe  der  britischen  Sammlung,  Epist. 
Leon.  12  13,  in  „Neues  Archiv"  V  382)  und 
neben  dem  Briefe  Hinkmars  an  Nikolaus  I. 
(Ep.  11,  bei  M.  126,  88  f)  das  Schreiben  des 
letzteren  an  den  Erzbischof  (Ep.  108,  bei  M. 
119,  1110). 


634 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Insignie  zugestand,  waren  nur  Ostern,  die  Apostelfeste,  Maria  Himmelfahrt, 
Weihnachten  und  das  Fest  des  hl.  Johannes  Baptist 1.  Einige  Tage  mehr 
enthielt  die  Bulle,  in  welcher  Hadrian  IL  868  Actardus  von  Nantes  mit  dem 
Pallium  schmückte,  doch  ist  die  Zahl  der  Gelegenheiten  auch  hier  noch  sehr 
beschränkt2.  Als  Herimann  von  Köln  Johannes  X.  (914 — 928)  um  die  Er- 
laubnis bat,  die  Insignie  an  allen  Festtagen  anlegen  zu  dürfen,  gab  ihm  der 
Papst  eine  abschlägige  Antwort 3.  Dagegen  bekam  Bruno  von  Köln  954  die 
außerordentlich  weitgehende  Vollmacht,  das  Ornatstück,  so  oft  er  es  wolle, 
zu  benutzen  *.  Im  übrigen  waren  nach  Ausweis  der  Verleihungsbullen  schon 
im  10.  und  erst  recht  im  11.  Jahrhundert  die  Tage,  für  welche  der  usus 
pallii  erlaubt  zu  werden  pflegte,  fast  die  nämlichen  wie  heute5.  Eine  sehr 
beschränkte  Ermächtigung  wurde  indessen  noch  1052  dem  Bischof  Hartwig 
von  Bamberg  zu  teil,  da  ihm  von  Leo  IX.  der  Gebrauch  der  Insignie  nur  für 
drei  Festtage  zugestanden  wurde 6. 


V.    DIE    PALLIUMVERLEIHUNGEN    IM  VI.  JAHRHUNDERT    UND    DER 

KAISER. 

In  einigen  Fällen  von  Palliumverleihungen  vernehmen  wir  von  einer 
Beteiligung  des  Kaisers  bzw.  seines  Vertreters  in  Italien.  Man  hat  der  Sache 
eine  zu  große  Bedeutung  beigelegt  und  geglaubt,  es  sei  der  Papst  bei  der 
Erteilung  des  Palliums  an  die  Mitwirkung  des  byzantinischen  Hofes  gebunden 
gewesen.  Das  ist  jedoch  durchaus  unrichtig.  Um  jemand  mit  der  Insignie 
zu  schmücken,  dazu  bedurfte  es  für  den  Apostolischen  Stuhl  keinerlei  Mit- 
wirkung des  Kaisers,  dem  weder  das  Recht  des  Vorschlags,  noch  der  Ver- 
leihung, noch  der  Bestätigung,  noch  irgend  eines  Einspruches  zustand.  Doch 
sehen  wir  die  Fälle  etwas  näher  an,  mit  denen  man  beweisen  hat  wollen,  es 
sei  der  Papst  verpflichtet  gewesen,  zu  einer  Erteilung  des  Palliums  die  kaiser- 
liche Genehmigung  einzuholen.     Es  sind  deren  vier. 

Zwei  ereigneten  sich  unter  Vigilius.  Auxanius  von  Arles  hatte  den  Papst 
um  das  Vikariat  und  das  Pallium  gebeten.  Darauf  antwortete  dieser,  er  habe  dem 
Verlangen  mit  bereitwilligem  Herzen  noch  im  gegenwärtigen  Schreiben  ohne  Verzug 
entsprechen  können.  Jedoch  habe  er  es  für  vernünftig  gefunden ,  das  mit  Kenntnis 
des  Kaisers  zu  tun,  sowohl  damit  dem  Bischof  das  Gewährte  doppelt  lieb  komme, 
weil  es  ihm  ja  mit  kaiserlicher  Zustimmung  zu  teil  werde,  als  auch  damit  man  ihm 
selbst  das  Zeugnis  gebe,  er  habe  die  Ehre  des  Glaubens  des  Kaisers  in  geziemender 
Achtung  gewahrt,  d.  i.  er  habe  auf  den  „allerchristlichsten"  Kaiser  gemäfä  dessen 
Interesse   für   den  Glauben   entsprechende  Rücksicht    genommen '.     Anderthalb   Jahre 


1  M.  119,  772.  2  M.  122,  1271. 

3  J.  n.  3568. 

4  Ruotger,  Vita  Brunonis  n.  27  (M.  G. 
SS.  IV  265). 

6  Vgl.  z.  B.  L  e  o  n  i  s  VII.  Epist.  ad  Gerhard, 
arch.  Laureac.  (M.  132,  1071);  Ioann.  XIII. 
Epist.  ad  Landulf.  arch.  Sipont.  (M.  135, 
977)  und  Mühlb.  II  600  ff  608  ff. 

6  M.  143,  700. 

7  Vigil.  Epist.  ad  Auxan.  arch.  Arelat. 
(M.  G.  Epp.  III  59) :  De  his  vero,  quae  Cari- 
tas vestra  tarn  de  usu  pallei  quam  de  aliis 
sibi  a  nobis  petiit  debere  concedi,  libenti  hoc 
animo  etiam  in  praesenti  facere  et  sine  di- 
latione    potuimus ,    nisi    cum    christianissiini 


domni  .  .  .,  sicut  ratio  postulat,  voluissemus 
perficere  notitia,  ut  et  vobis  gratior  prae- 
stitorum  causa  reddatur,  dum,  quae  postu- 
lastis,  cum  consensu  christiauissimi  principis 
conferuntur ,  et  nos  honorem  fidei  eius  ser- 
vasse  cum  competenti  reverentia  iudicemur. 
Es  ist  sonderbar ,  daß  L  ö  n  i  n  g ,  welcher 
(Geschichte  des  deutschen  Kirchenrechts  II, 
Straßburg  1878,  92  ff)  für  eine  Abhängigkeit 
des  Papstes  vom  Kaiser  in  Bezug  auf  die 
Verleihung  des  Palliums  eine  Lanze  bricht, 
mit  keinem  Wort  erwähnt,  daß  Vigilius  aus- 
drücklich betont,  er  könne  sofort  und  ohne 
Verzug  den  Bitten  des  Auxanius  willfahren, 
und   daß   der  Papst  Auxanius   und  Aurelian 


Viertes  Kapitel.     Das  Pallium. 


635 


später  erteilt  dann  Vigilius  in  einem  zweiten  Briefe  wirklich  Auxanius  das  Vikariat. 
Dabei  ermahnt  er  ihn,  für  Justinian  und  Theodora  zu  beten,  welche  zur  Übertragung 
desselben  pia  devotione  ihre  Zustimmung  gegeben  hätten.  Er  solle  desgleichen  Belisars 
im  Gebet  gedenken,  auf  dessen  Anraten  die  Majestäten  das  getan.  Zugleich  fordert  er 
ihn  auf,  auf  Wahrung  des  Friedens  zwischen  Childebert  und  Justinian  hinzuwirken. 
Schließlich  fügt  er  noch  hinzu:  „Und  weil  wir  es  für  angemessen  erachten,  daß  dem- 
jenigen, der  unsere  Stelle  vertritt,  der  Schmuck  des  Palliums  nicht  fehle,  so  gewähren 
wir  Dir  den  Gebrauch  desselben ,  so  wie  ihn  unser  Vorgänger  heiligen  Gedenkens, 
Symmachus,  Deinem  Vorgänger  verlieh,  kraft  der  Autorität  des  hl.  Petrus."  Das 
ist  der  eine  Fall '.     Der  andere  begegnet  uns  kaum  mehr  als  ein  Jahr  später. 

Auxanius  war  gestorben.  Sein  Nachfolger  hatte  sich  ebenfalls  an  Vigilius  mit 
der  Bitte  um  das  Vikariat  und  das  Pallium  gewendet.  Die  Sache  erledigt  sich 
diesmal  umgehend.  In  einem  Briefe  von  23.  August  546  überträgt  Vigilius  Aurelian 
die  päpstliche  Stellvertretung.  Zugleich  schreibt  er  ihm:  „Damit  aber  unser  Vikar 
in  keinem  Punkte  hinter  seinen  Vorgängern  zurückzustehen  scheine ,  halten  wir  es 
für  nötig,  ihm,  wie  wir  es  schon  Eurem  Vorgänger  getan,  kraft  dieses  Schreibens 
(praesenti  auctoritate)  den  usus  pallii  zu  gestatten."  Der  Brief  des  Papstes  endet 
mit  der  Mahnung,  es  möge  Aurelian  mit  allem  Eifer  dafür  sorgen,  daß  die  friedlichen 
Beziehungen  zwischen  dem  Frankenkönig  Childebert  und  Ost-Rom  erhalten  blieben. 
Dann  aber  möge  er  auch  Belisar  dafür  danken ,  daß  derselbe  den  Boten  Aurelians 
der  Mühe  überhoben  habe,  an  den  kaiserlichen  Hof  zu  gehen,  indem  er  die  Sache 
selbst  rasch  erledigt  habe ''. 

Die  beiden  andern  Fälle  ereigneten  sich  unter  Gregor  d.  Gr.  Der  eine  spielt 
im  Osten.  Kaiser  Justin  IL  hatte  den  Patriarchen  Anastasius  von  Antiochien  von 
seinem  Sitze  verjagt.  Gregor,  der  den  Verbannten  hochschätzte,  wollte  demselben 
eine  Genugtuung  gewähren.     Er  ging  deshalb  die  kaiserlichen  Herrschaften  an,  Ana- 


das  Pallium  gewährt  beati  Petri  sancta 
auctoritate,  praesenti  auctoritate. 
Warum  das?  Löning  bringt  doch  die  Stelle 
aus  dem  Brief  an  Aurelian  von  nisi  cum, 
d.  i.  von  da  an,  wo  sie  ihm  paßt, 
zum  Abdruck.  Freilich  läßt  sich  so  leichter 
von  einer  Verpflichtung  des  Papstes  zur 
Einholung  der  kaiserlichen  Genehmigung 
sprechen.  Wenn  Graf  v.  Hacke  (Die 
Palliumverleihungen  bis  1143,  Marburg  1898, 
106)  zum  ersten  Brief  des  Papstes  bemerkt: 
„Vigilius  schreibt  543  Okt.  18  an  Auxanius 
von  Arles,  er  könne  ihm  das  erbetene  Pal- 
lium erst  nach  erhaltener  Einwilligung  des 
Kaisers  übersenden ,  und  wartet  tatsächlich 
auch  ab,  ehe  er  es  ihm  D/2  Jahre  später 
verleiht",  so  ist  das  letzte  natürlich  richtig, 
das  erste  aber  schlechthin  falsch.  Gregor 
sagt  ja  ausdrücklich  das  Gegenteil.  Durch- 
aus ungenau  ist  es,  wenn  es  ebendort  heißt: 
„Aus  einer  freilich  verdächtigen  Erzählung 
des  Agnellus  (M.  G.  SS.  Langob.  326)  hören 
wir ,  daß  Vigilius  eine  Konsekrierung  und 
Palliumverleihung  einmal  direkt  auf  Befehl 
des  Kaisers  vorgenommen  habe ,  die  an 
Maximianus  von  Ravenna."  Hier  ist  nur  zu- 
treffend, daß  nach  Agnellus  Vigilius  auf  Befehl 
des  Kaisers  die  Weihe  vornahm ;  das  Pallium 
verlieh  dem  Maximian  nicht  Vigilius,  sondern 
der  Kaiser,  von  dem  die  Ravennaten  es  angeb- 
lich erbeten  hatten.    Wozu  übrigens  mit  einer 


Angabe  operieren,  die  vom  Verfasser  selbst 
als  verdächtig  bezeichnet  wird  und  nach  dem 
Zusammenhang  nur  eine  Erdichtung  des 
genugsam  als  romfeindlich  bekannten  Ag- 
nellus ist.  Daß  aber  v.  Hacke  des  weiteren 
meint:  „Wenn  Vigilius  die  Intervention  des 
Königs  Childebert  einmal  ein  mandatum,  das 
andere  Mal  voluntas  nennt,  so  ist  in  alledem 
wohl  eine  Einwirkung  des  byzantinischen 
Staatsrechtes  zu  erblicken ,  dessen  Geschöpf 
Vigilius,  der  ehemalige  Apokrisiar  und  Ver- 
traute der  Theodora,  selbst  war",  hat  seinen 
Grund  in  einem  Mißverständnis  der  betreffen- 
den Ausdrücke.  Mandatum  heißt  an  der 
fraglichen  Stelle  nur  „Empfehlung",  voluntas 
aber  „Geneigtheit":  Childeberti  ...  in  per- 
hibendo  vobis  testimonio  voluntas.  Unver- 
ständlich ist,  daß  Graf  v.  Hacke  noch  an  dem 
Phantasiegebilde  einer  fränkischen  National- 
kirche festhält  und  behauptet  (S.  107) ,  der 
Papst  sei  bei  Eingriffen  in  ihr  Gebiet  an 
das  Einverständnis  des  Landesherrn  gebunden 
gewesen,  da  er  doch  S.  128  bezüglich  der  Inter- 
ventionen seitens  fürstlicher  Persönlichkeiten 
durchaus  zutreffend  bemerkt ,  es  dürfe  aus 
ihnen  nicht  gefolgert  weiden,  der  Papst  habe 
das  Pallium  nur  an  die  vom  Herrscher  vor- 
geschlagene Person  verleihen  können. 

1  Ebd.  III  62. 

2  Vigil.  Epist.  ad  Aurel.  archiep.  Arelat. 
(M.  G.  Epp.  III  66). 


636  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

stasius  nach  Rom  zu  schicken  und  zuzulassen ,  daß  derselbe  sich  dort  bei  der 
Meßfeier  des  Palliums  bediene,  damit  er,  wenn  er  nicht  zu  seinem  Sitze  zurückkehren 
dürfe,  doch  wenigstens  bei  Gregor  in  seiner  Würde  leben  könne.  Wir  erfahren  von 
diesen  Bemühungen   des  Papstes   in  dessen  Brief  an  Bischof  Sebastian  von  Eisano  '. 

Der  zweite  betrifft  den  Bischof  Syagrius  von  Autun.  Brunhilde  hatte  Gregor 
gebeten ,  denselben  mit  dem  Pallium  zu  schmücken.  Der  Papst  spricht  darob  in 
seinem  Schreiben  an  die  Königin  seine  Freude  und  zugleich  seine  Bereitwilligkeit 
aus,  ihrem  Ansuchen  zu  willfahren,  zumal  auch  der  Kaiser,  wie  er  das  von  seinem 
Geschäftsträger  vernommen,  der  fraglichen  Verleihung  geneigt  gegenüberstehe,  ja  die- 
selbe durchaus  wünsche  2. 

Das  sind  die  vier  Fälle.  Handelt  es  sich  nun  bei  irgend  einem  derselben  um 
ein  pflichtmäßiges  Nachsuchen  der  kaiserlichen  Zustimmung?  Offenbar  nein.  Nehmen 
wir  den  letzten  Fall.  Einer  Sache  geneigt  sein,  etwas  durchaus  wünschen,  heißt  noch 
lange  nicht  eine  Art  von  Genehmigungs-  oder  Einspruchsrecht  in  Bezug  auf  dieselbe 
haben.  Vieles  kann  uns  sehr  genehm  sein;  wir  können  vieles  durchaus  wünschen, 
ohne  daß  es  uns  darum  zustände,  irgend  einen  entscheidenden  Einfluß  darauf  auszuüben. 
Ebenso  sind  es  zwei  durchaus  verschiedene  Dinge,  eine  Verpflichtung  zur  Einholung 
der  kaiserlichen  Genehmigung  haben  und  sondieren ,  wie  man  sich  in  Byzanz  zu 
irgend  einem  Projekt  stelle,  welche  Stimmung  demselben  gegenüber  am  Hofe  herrsche, 
und  sich  versichern,  daß  dasselbe  nicht  nur  keinen  Schwierigkeiten  seitens  der  Maje- 
stäten begegnen  werde ,  sondern  sogar  deren  Beifall  habe.  Das  bedeutet  kein  Ab- 
hängigkeitsverhältnis, sondern  nur  ein  von  berechtigter  Staatsklugheit  geleitetes  Vor- 
gehen, weiter  nichts.  Es  gehört  in  der  Tat  eine  eigenartige  Auffassung  dazu,  um 
aus  den  Worten  Gregors  herauszulesen,  es  sei  der  Papst  bei  Verleihung  des  Palliums 
pflichtmäßig  an  die  Zustimmung  des  Kaisers  gebunden  gewesen. 

Noch  klarer  liegt  die  Sache  im  ersten  und  zweiten  Fall.  Vigilius  sagt  ja  doch 
ausdrücklich,  daß  er  sofort,  ohne  Aufschub,  also  ohne  den  Kaiser  in  Kenntnis  gesetzt 
zu  haben,  dem  Auxanius  Vikariat  wie  Pallium  gewähren  könne.  Und  wenn  er 
Auxanius  und  Aurelian  mit  dem  Pallium  schmückt,  so  tut  er  es,  wie  er  das  aus- 
drücklich bemerkt,  beati  Petri  sancta  auctoritate,  praesenti  auctoritate.  Klarer  kann 
man  wohl  nicht  sprechen.  Und  dann  sagt  ja  auch  Vigilius  keineswegs,  daß  es  seine 
Pflicht  sei,  dem  Kaiser  von  seinem  Vorhaben  Mitteilung  zu  machen,  und  daß  er  es 
bloß  in  Abhängigkeit  von  demselben  ausführen  könne.  Erhaltes  nur  aus  Zweck- 
mäßigkeitsrücksichten für  vernunftentsprechend  und  angebracht,  der  kaiserlichen 
Majestät  von  der  beabsichtigten  Verleihung  Kenntnis  zu  geben. 

Obendrein  handelt  es  sich  in  Sachen  der  Bischöfe  Auxanius  und  Aurelian  nicht 
sowohl  um  das  Pallium,  als  vielmehr  um  das  päpstliche  Vikariat.  Denn  es  ist  sehr 
auffallend,  daß  Vigilius  in  seinem  Briefe  vom  22.  Mai  545,  in  welchem  er  Auxanius 
beides  verleiht,  nur  bezüglich  der  Stellvertretung  die  Zustimmung  Justinians  und 
Theodoras  erwähnt,  während  er  die  Gewährung  des  Palliums  schlechthin  als  sein 
eigenes  Werk  hinstellt.  Was  konnte  dem  Kaiser  auch  an  dem  Pallium  viel  liegen, 
welches  Vigüius  selbst  nur  als  ornatus  bezeichnet?  Was  ihn  interessierte,  war 
höchstens  die  Übertragung  des  Vikariats.  Indessen  kann  bei  unbefangener  Würdigung 
der  Schreiben  des  Papstes  nicht  einmal  von  einer  pflichtmäßigen  Einholung  der  kaiser- 
lichen Genehmigung  für  die  Verleihung  der  päpstlichen  Stellvertretung  die  Eede  sein. 

Was  endlich  den  dritten  Fall  anlangt,  so  hat  derselbe  es  überhaupt  mit  keiner 
Verleihung  des  Palliums  an  den  Patriarchen  zu  tun ;  es  handelt  sich  in  demselben 
nur  um  die  Ermöglichung  einer  ungestörten  Benutzung  des  Ornatstückes  seitens  des 
Verbannten. 

Allein  man  sagt,  es  lasse  sich  das  Verhalten  Vigilius'  und  Gregors  ohne  die 
Annahme ,  der  Papst  sei  verpflichtet  gewesen ,  zur  Palliumverleihung  die  kaiserliche 
Genehmigung  einzuholen,  nicht  genügend  erklären  3.    Nun,  es  scheint  denn  doch  nicht 


1  Epist.  1.  1,  n.  27  (M.  G.  Epn.  I  41).  s  So  Löning  (a.  a.  0.)  bezüglich  des  1. 

2  Ebd.  1.  8,  n.  4  (ebd.  II  5).  "  2.  und  4.  Falles. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  637 

schwer,  für  das  Vorgehen  beider  eine  völlig  ausreichende  und  ungezwungene  Erklärung 
zu  geben.  Es  sind  Erwägungen  politischer  Klugheit,  welche  sie  zu  ihrem  Handeln 
bestimmten  l. 

Vigilius  kannte  aus  den  Erfahrungen ,  die  er  gemacht ,  Byzanz  sehr  wohl. 
Er  hatte  Grund  genug,  zu  fürchten,  es  werde  die  Verleihung  des  Palliums  oder  besser 
des  Vikariats  an  Auxanius  und  Aurelian  am  Hofe  übel  gedeutet,  ja  vielleicht  gar 
als  Konspiration  mit  den  Pranken  angesehen  werden  und  darum  nicht  bloß  für  ihn 
selbst  allerlei  Mifshelligkeiten ,  sondern  auch  eine  Spannung  zwischen  Ost-Rom  und 
dem  Prankenreiche  zur  Folge  haben  -.  Vigilius  wollte  dem  vorbeugen  und  beschlofä 
deshalb,  schwankend,  zaghaft  und  überrücksichtsvoll  gegen  Byzanz,  wie  er  nun  ein- 
mal war,  dem  Kaiser  seine  ehrfurchtsvolle  Gesinnung  und  seine  Ergebenheit  dadurch 
zu  bekunden,  dafä  er  ihm  von  der  Angelegenheit  Mitteilung  machte. 

Gregor  will  in  Sachen  des  Patriarchen  Anastasius  zweierlei.  Er  suchte  einer- 
seits dem  hochverdienten  und  unschuldig  verfolgten  Manne,  soweit  es  ihm  möglich 
war,  eine  ehrenvolle  Genugtuung  zu  teil  werden  zu  lassen  und  doch  anderseits  Ver- 
wicklungen und  Schwierigkeiten  mit  Ost-Rom  in  der  Angelegenheit  zu  vermeiden.  In 
der  weiteren  Verwendung  des  Omophorion  durch  Anastasius  lag  ja  ausgedrückt,  dafä 
dieser  sich  vor  wie  nach  als  rechtmäßigen  Patriarchen  betrachtete  und  seine  Ab- 
setzung für  ungültig  ansah. 

Rücksichtnahme  auf  die  Umstände  und  Erwägungen  der  Klugheit  sind  es  endlich 
auch,  welche  Gregors  Verhalten  in  der  Angelegenheit  des  Bischofs  Syagrius  be- 
stimmten. Dem  Papste  lag  es  am  Herzen,  den  Frieden  zwischen  dem  Kaiser  und 
der  Königin  zu  befördern,  sowie  Brunhilde  dem  Beherrscher  des  römischen  Reiches 
näher  zu  bringen  und  zu  verpflichten.  Eine  weitere  Bedeutung  hat  es  nicht,  wenn 
der  Papst  sich  bei  seinem  Vertreter  in  Konstantinopel  danach  erkundigt,  welche 
Stellung  Byzanz  dem  Projekt  gegenüber  einnehme,  und  wenn  er  dann  seine  dies- 
bezüglichen Wahrnehmungen  gelegentlich  dem  Schreiben  an  die  Königin  einflicht. 

Es  ist  wirklich  nicht  zu  verwundern,  daß  nachgerade  nicht  mehr  bloß 
katholische  Kanonisten  die  Theorie  von  einer  Verpflichtung  des  Papstes,  zur 
Verleihung  des  Palliums  die  kaiserliche  Autorisation  nachzusuchen,  abweisen, 
sondern  daß  selbst  Hinschius  erklärt:  „An  den  Konsens  des  römischen  Kaisers 
ist  der  Papst  bei  Gewährung  (des  Palliums)  nicht  gebunden  gewesen.  Mehr- 
fache derartige,  vor  derselben  vom  Kömischen  Stuhle  gemachten  Anfragen 
erklären  sich  wohl  aus  speziellen,  nicht  mehr  festzustellenden  Gründen,  da 
in  andern  Fällen  die  Päpste  jene  Auszeichnung  ohne  Berücksichtigung  des 
Kaisers  erteilt  haben."3 

In  der  Tat,  wer  vorurteilslos  die  Schreiben  eines  Vigilius,  eines  Gregor 
und  der  andern  Päpste  prüft,  dem  kann  es  nicht  verborgen  bleiben,  daß  es 
die  Päpste  und  nur  die  Päpste  waren,  welche  das  Pallium  verliehen,  wie  sie 
es  auch  allein  waren,  von  denen  es  abhing,  zu  bestimmen,  in  welchem  Um- 
fang sich  ein  Metropolit  des  Palliums  bedienen  durfte,  und  wie  sie  es  ferner 
allein  waren,  welche  gegen  eine  unzeitige  und  der  bestehenden  Gewohnheit 
widersprechende  Verwendung  der  Insignie  einschritten. 

Das  Pallium  kommt  vom  Sitze  des  hl.  Petrus4,  es  ist  ein  Segensgeschenk5, 
eine  Tröstung  des  Apostelfürsten 6.  Seine  Gewährung  erfolgte  beati  Petri 
sancta   auctoritate,   praesenti  auctoritate 7,    also   kraft   der  dem  Papste  inne- 


1  Vgl.  auch   die    trefflichen  Ausführungen  3  Hinschius,  System  des  katholischen 
Grisars  (Rom  und  die  fränkische  Kirche  VI)  Kirchenrechtes,  Berliu  1S78,  II  26. 

in  Zeitschrift  für  katholische  Theologie  XIV,  *  Gregor.  M.  Epist.  1.  9 ,  n.  228  (M.  G. 

Innsbruck  1890,  488  ff.  Epp.  II  221). 

2  Wie  sehr  es  Vigilius  um  den  Frieden  5  Ebd.  n.  227  (ebd.  218). 
zwischen  den  beiden  Reichen  zu  tun  war,  be-  6  Ebd.  n.  213  (ebd.  198). 
weisen  die  Briefe  an  Auxanius  und  Aurelian.  '  Vgl.  oben  S.  635. 


63S  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

wohnenden  und  von  Petrus  stammenden  apostolischen  Machtvollkommenheit, 
gleichviel,  ob  die  Empfänger  Untertanen  des  Kaisers  waren  oder  nicht.  Wenn 
dabei  aber  in  ein  paar  Fällen  die  Verleihung  der  Insignie  erst  nach  einer  Ver- 
ständigung mit  dem  byzantinischen  Hofe  bzw.  nach  einer  Sondierung  von 
dessen  Wünschen  erfolgt,  so  gibt  es  eine  weit  größere  Zahl  anderer,  in 
welchen  von  einem  derartigen  Vorgehen  nicht  das  geringste  verlautet.  Und 
dann  wird  ja  doch  in  den  zwei  bemerkenswertesten  jener  wenigen  Fälle  aus- 
drücklich betont,  daß  der  Papst  das  Pallium  ohne  weiteres  geben  könne,  daß 
er  es  gebe  beati  Petri  sancta  auctoritate,  praesenti  auctoritate. 

Man  hat  freilich  gemeint,  der  Papst  habe  dann  wenigstens  zu  einer  Verleihung 
des  Palliums  der  Zustimmung  des  Kaisers  bedurft,  wenn  es  sich  bei  der  Person  des 
Empfängers  um  einen  Nichtuntertanen  desselben  gehandelt  habe.  Aber  es  sagt  doch 
Vigilius  gerade  bezüglich  eines  solchen,  nämlich  bezüglich  des  Auxanius,  dafä  er  als- 
bald und  ohne  Verzug  und  ohne  den  Kaiser  von  der  Sache  zu  benachrichtigen,  seiner 
Bitte  um  Vikariat  und  Pallium  entsprechen  könne.  Obendrein  beweist  auch  das  tat- 
sächliche Verhalten  der  Päpste  das  Willkürliche  und  die  Haltlosigkeit  jener  Theorie. 
Wie  Sapaudus  von  Arles  von  Pelagius  I.,  so  erhalten  Leander  von  Sevilla  und  Augu- 
stinus von  Canterbury  von  Gregor  I.  das  Ornatstück,  ohne  daß  dabei  irgendwie  des 
Kaisers  gedacht  wurde.  Ebenso  stellt  Gregor  '  die  Insignie  den  zukünftigen  Metro- 
politen von  York  und  London  in  sichere  Aussicht,  ohne  die  Notwendigkeit  irgend 
einer  Genehmigung  seitens  des  byzantinischen  Hofes  auch  nur  im  geringsten  anzudeuten. 

Es  ist  selbst  grundlos  und  zu  viel  behauptet,  wenn  man  mit  Duchesne '  auch 
nur  sagt,  es  hätten  die  Päpste  im  6.  Jahrhundert  die  Gewohnheit  gehabt,  bei  einer 
Verleihung  des  Palliums  an  Bischöfe,  welche  keine  Untertanen  des  griechischen  Keiches 
waren,  zuvor  die  Autorisation  des  Kaisers  nachzusuchen.  Ganz  abgesehen  davon,  daß 
sie  in  derartigen  Fällen  sich  niemals  eine  Ermächtigung  erbeten  haben  —  sie  be- 
durften einer  solchen  weder,  noch  hatten  ihre  Schritte  den  Charakter  einer  Bitte  um 
Autorisation  — ,  die  Päpste  des  6.  Jahrhunderts  haben  bei  Ausübung  der  ihnen 
durchaus  eigenen  Gewalt,  einem  Bischof  das  Pallium  zu  verleihen,  nur  dann  dem 
byzantinischen  Hofe  von  ihrem  Vorhaben  Mitteilung  gemacht  oder  auf  die  Wünsche 
des  Kaisers  Bücksicht  genommen,  wenn  ihnen  das  in  Anbetracht  der  besondern  Ver- 
hältnisse zweckdienlich  oder  durch  die  Umstände  geraten  schien.  Wie  kann  man 
zudem  bei  nur  drei  Fällen  (Auxanius,  Aurelian  und  Syagrius)  von  einer  Gewohnheit 
reden,  zumal,  da  in  andern  von  einer  Verständigung  mit  dem  Hofe  von  Byzanz  absolut 
keine  Eede  ist? 

Was  von  der  Stellung  des  Kaisers  zur  Verleihung  des  Palliums  gesagt 
wurde,  gilt  in  erhöhtem  Maße  in  Bezug  auf  die  Intervention  anderer  Fürsten. 
Irgend  ein  Recht,  an  dessen  Erteilung  mitzuwirken,  sei  es  auch  nur  durch 
Genehmigung  derselben,  hat  diesen  noch  viel  weniger  als  den  Beherrschern 
Ost-Roms  jemals  zugestanden.  Nicht  einmal  die  fränkischen  Herrscher  haben 
sich  trotz  ihrer  angeblichen  Nationalkirche  eine  solche  Befugnis  beigelegt. 
Die  erste,  welche  von  ihnen  überhaupt  bei  einer  Palliumverleihung  interveniert, 
ist  Brunhilde  im  Falle  des  Bischofs  Syagrius  von  Autun 2.  Wenn  Childebert  I. 
bei  Vigilius  für  Auxanius,  Aurelian  und  Sapaudus  von  Arles 3  und  Childebert  IL 
bei  Gregor  für  Virgilius  von  Arles  4  sich  verwendeten,  so  handelte  es  sich  in 
allen  diesen  Fällen  nicht  um  das  Pallium,  sondern  um  das  Vikariat. 

Die  Intervention  der  Fürsten  erfolgte  lediglich  durch  Wunsch,  Bitte  und 
Empfehlung.     Es   liegt   aber  auf  der  Hand,    daß  die  Päpste,   wo  nur  immer 


1  Orig.  385.  *  Gregor.  M.  Epist.  1.  5,  n.  60  (M.  G.  Epp. 

2  Gregor.  M.   Epist.  1.  8,    n.  4   (M.  G.  I  373).    Die  Intervention  erfolgte  aber  auch 
Epp.  II  5).  in  diesen  Fällen  nur  mittels  Wunsch  und  Emp- 

3  Epist.  Arelat.  n.  51   (M.  G.  Epp.  III  75).  fehlung. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


639 


die  Umstände  es  gestatteten,  den  Herrschern  bereitwilligst  entgegenkamen. 
Lag  es  doch  im  Interesse  ihres  Wirkens  zum  Heile  der  Kirche,  daß  sie  mit 
den  weltlichen  Machthabern,  soweit  nur  möglich,  in  gutem  Einvernehmen  lebten. 

Interventionen  von  Fürsten  bei  Palliumverleihungen  kamen  namentlich  in  der 
früheren  Zeit  häufiger  vor.  Hier  einige  Beispiele :  König  Edwin  interveniert  634 
bei  Honorius  I.  für  die  Erzbischöfe  Honorius  von  Canterbury  und  Paulin  von  York 
(quae  sperastis) ' ,  Karl  d.  Gr.  ca  775  bei  Hadrian  I.  für  Tilpin  von  Reims  (ad 
petitionem)  2  und  ca  790  für  Erminbert  von  Bourges  (affatibus  vestris)3,  Lothar  bei 
Leo  IV.  ca  850  für  Alteus  von  Autun  (mandastis,  ut  concederemus) 4,  Salomo,  König 
der  Bretonen,  865  bei  Nikolaus  I.  für  Festinian  von  Dol  (deprecamini)  5,  Ludwig  II. 
bei  Johannes  VIII.  873  für  Bertulf  von  Trier  (cotidianis  precibus) 6  und  874  für 
Willibert  von  Köln  (interveniente  domno  Ludovico)7,  Karlmann  bei  Johannes  VIII. 
877  für  Theotmar  von  Salzburg  (imperatoris  petitione)8,  Otto  I.  bei  Johannes  XIII. 
968  für  Adalbert  von  Magdeburg  (petitione)3,  Heinrich  III.  bei  Klemens  II.  1047  für 
Eberhard  von  Trier  (supplicatio  imperatoris)  10,  die  Gräfin  Mathilde  bei  Urban  IL  1092 
für  Daimbert  von  Pisa  (precibus)11,  Alfons  von  Kastilien  bei  Paschalis  IL  1104  für 
Didacus  von  Compostela  (precibus) l2  u.  a.  Die  Interventionen  hatten  in  späterer 
Zeit  besonders  dann  statt,  wenn  sich  der  Palliumverleihung  an  einen  Erzbischof  per- 
sönliche oder  sonstige  Schwierigkeiten  entgegenstellten ,  oder  wenn  es  sich  um  eine 
Auszeichnung  für  einen  Bischof  handelte. 


VI.    BEDEUTUNG  DES  PALLIUMS. 

In  der  Kirche  des  Ostens  erscheint  das  Pallium  (Omophorion)  schon 
um  den  Beginn  des  5.  Jahrhunderts  als  Symbol  des  bischöflichen  Hirtenamtes. 
Es  sollte  das  Bild  des  verlorenen  Schäfleins  darstellen,  welches  zur  Herde 
zurückzutragen  der  Bischof  als  der  Nachfolger  des  guten  Hirten  die  Aufgabe 
hat.  Nicht  so  in  der  römischen  Kirche,  wo  das  Pallium  ausschließlich  dem 
Inhaber  des  Apostolischen  Stuhles  vorbehalten  war.  Hier  wird  es  in  der 
älteren  Zeit  nie  als  Symbol  des  bischöflichen  Hirtenamtes  bezeichnet,  obschon 
doch  Gregor  d.  Gr.  diejenigen,  welchen  er  das  Pallium  sendet,  mehrfach  zur 
sorgfältigen  Erfüllung  ihrer  bischöflichen  Amtspflichten  auffordert  und  die 
Formulare  des  Liber  diurnus  teilweise  sogar  weitläufig  dazu  ermahnen.  Viel- 
leicht bietet  der  Brief  Klemens'  IL  an  den  Bischof  Johannes  von  Salerno  eines 
der  ersten  Beispiele  für  das  Vorkommen  dieser  Symbolik  im  Abendlande  13. 
In  Rom  hat  das  Pallium,  sobald  es  uns  daselbst  entgegentritt,  den  Charakter 
einer  den  römischen  Bischof  als  solchen  kennzeichnenden  Insignie  und  eines 
Abzeichens  seiner  papalen  oder  doch  wenigstens  patriarchalen  Gewalt u. 


2  Ebd.  n.  2411. 

4  Ebd.  n.  2603. 

6  Ebd.  n.  2982. 

8  Ebd.  n.  3114. 

10  Ebd.  n.  4151. 


1  J.  n.  2019. 
3  Ebd.  n.  2475. 
5  Ebd.  n.  2789. 
1  Ebd.  n.  2988. 
»  Ebd.  n.  3728. 

11  Ebd.  n.  5464. 

12  Ebd.  n.  5986.  Andere  Beispiele  sind  mit 
großem  Fleiß  zusammengestellt  bei  v.  Hacke, 
Die  Palliumverleihungen   127  f. 

13  J.  n.  4143;  vgl.  auch  ebd.  4151  (Pal- 
liumverleihung an  Eberhard  von  Trier). 

14  Ob  der  Inhaber  des  Apostolischen  Stuhles 
das  Pallium  zu  allen  Zeiten  als  Primas  der  gan- 
zen Kirche  oder  anfänglich  nur  als  Patriarch 
des  Abendlandes  getragen  habe,  dürfte  kaum  zu 


entscheiden  sein.  Nach  Liutprand  von 
Cremona  (Legat.  Constant.  c.  62  [M.  6. 
SS.  III  361])  hätte  der  Patriarch  von  Kon- 
stantinopel bis  zu  Johannes  XII.  zum  Ge- 
brauch des  Palliums  der  Erlaubnis  des  Apo- 
stolischen Stuhles  bedurft;  doch  kann  diese 
Angabe  auf  Richtigkeit  keinen  Anspruch  er- 
heben, da  Liutprand  zu  wenig  glaubwürdig 
ist  und  für  seine  Mitteilung  eine  sonstige  Be- 
stätigung fehlt.  Im  Gegenteil  ist  es  kaum 
zu  bezweifein,  daß  die  Patriarchen  des  Ostens 
weder  das  Pallium  vom  Papst  empfingen, 
noch  daß  sie  dessen  Genehmigung  zum  Tra- 
gen der  Insignie  einholten  (Liberat.  Breviar. 
Hist.  Nest.  c.  20   [M.  68,  1036]). 


640  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Als  Papst  Felix  seinen  Archidiakon  Bonifatius  zu  seinem  Nachfolger  be- 
stimmt, übergibt  er  ihm  zum  Zeichen  dessen  sein  Pallium.  Ferner  war  es,  wie  aus 
dem  Liber  diurnus  hervorgeht,  schon  wenigstens  im  8.  Jahrhundert  Brauch,  den  Papst 
bei  seiner  Konsekration  mit  dem  Pallium  zu  bekleiden  *.  Umgekehrt  berauben 
Belisar  und  Kaiser  Konstantins  die  Päpste  Silverius 2  und  Martin 3  gewaltsam  des 
Ornatstückes,  als  sie  dieselben  eigenmächtig  und  widerrechtlich  absetzen.  Ebenso 
nimmt  die  römische  Synode  des  Jahres  769  dem  Usurpator  Konstantin  die  angemaßte 
Würde,  indem  sie  unter  anderem  ihm  das  Pallium  abreißen  läßt l. 

Unter  solchen  Umständen  könnte  es  scheinen,  es  seien  die  Pallium- 
verleihungen  seitens  des  Apostolischen  Stuhles  stets  der  Ausdruck  der  Über- 
tragung besonderer  geistlichen  Vollmachten  und  der  Gewährung  irgend  einer 
Anteilnahme  an  der  papalen  oder  patriarchalen  Obergewalt  gewesen.  Dem  ist 
indessen  nicht  so.  Die  Erteilung  des  Palliums  hatte  vielmehr  ursprünglich 
nur  den  Charakter  einer  Auszeichnung,  gerade  wie  noch  jetzt  bei  Suffraganen, 
und  das  nicht  bloß  bei  einfachen  Bischöfen,  sondern  auch  bei  den  Metropoliten 
und  päpstlichen  Vikaren. 

Daß  das  Pallium  bei  einem  Suffragan  an  sich  keinerlei  Vorrechte  und 
Vollmachten  einbrachte,  erfahren  wir  aus  Gregors  d.  Gr.  Schreiben  an  Syagrius 
von  Autun 5.  Der  Papst  bezeichnet  ja  darin  die  Verleihung  des  Ornatstückes 
an  den  Bischof  als  nuda  munificentia ;  darum,  sagt  er,  gewähre  er  Syagrius 
außer  dem  Pallium  das  Recht  der  Präzedenz,  ne  indumenti  munificentiam  nudam 
videamur  quodammodo  contulisse. 

Indessen  lag  auch  bei  den  Metropoliten  und  päpstlichen  Vikaren  die 
Sache  nicht  anders.  Allerdings  hatte  bei  ihnen  das  Privileg  vornehmlich  in 
ihrer  hervorragenden  Stellung  seinen  Grund.  Trotzdem  bestand  ursprünglich 
zwischen  der  Verleihung  des  Palliums  und  der  Übertragung  der  Metropolitan- 
und  Vikariatsbefugnisse  nur  ein  sehr  loser  und  bloß  äußerlicher  Zusammen- 
hang. Wie  die  Ausübung  der  Metropolitan-  und  Vikariatsvollmachten  noch 
nicht  an  den  Empfang  des  Palliums  geknüpft  war,  so  erfolgte  auch  deren 
Mitteilung  noch  nicht  durch  die  Gewährung  des  Ornatstückes.  Das  Pallium 
war  lediglich  eine  Ehrenzugabe,  welche  der  Würde  eines  Metropoliten  oder 
päpstlichen  Vikars  je  nach  dem  Ermessen  des  Apostolischen  Stuhles  beigefügt 
wurde.  Man  konnte  Metropolit  sein,  ohne  das  Pallium  zu  besitzen,  und  ander- 
seits des  usus  pallii  verlustig  gehen,  ohne  zugleich  der  Stellung  entsetzt  zu 
werden.  Ebendarum  war  denn  auch  das  Pallium  noch  keine  Insignie  der 
Metropoliten,  welche  diese  von   den  einfachen  Bischöfen  unterschieden  hätte. 

Es  galt  das  den  Vikaren  und  Metropoliten  verliehene  Pallium  nicht  ein- 
mal ursprünglich  als  Sinnbild  der  denselben  verliehenen  besondern  Gewalt. 

Eine  solche  Symbolik  ist  nicht  nur  den  Schreiben  der  vorgregorianischen 
Päpste,  sondern  auch  noch  denen  Gregors,  ja  selbst  noch  den  offiziellen  For- 
mularen des  Liber  diurnus  so  gut  wie  völlig  fremd 6.  Das  Pallium  wird 
darin  überall  nur  als  Ehrenschmuck  (ornatus,  decus,  habitus  praeclarus,  ex- 
terioris  cultus  ornatus,  honoris  beneficium)  bezeichnet.  Insbesondere  ist  das 
in    den  Briefen  Gregors   der  Fall,   welcher   die  Verleihung   des  Palliums   fast 


1  N.  57  (Sickel,  L.  D.  46).  6  Nur   einmal    erscheint    das  Pallium   bei 

2  Vita  Silverii  (Du eh.,  L.  P.  I  293).  Gregor  d.  Gr.  als  Symbol   der  Metropoliten- 

3  Commemoratio  (M.  129,   595).  würde,    nämlich    in    einem    Briefe    an    den 
*  Vita  Stephani  III.  (Duck,  L.  P.  I  472).  Apostel   Englands    (Epist.  1.  11,    n.   39    [M. 

Das  Pallium  heißt   hier  orarium;    ebenso    in  G.  Epp.  II  312]):  Usum   pallii    tibi  concerli- 

der  Vita  Agath.  (ebd.  354).  mus,  ita  ut  per  loca  singula  duodeeim  epis- 

5  Epist.  1.  9,  n.  222  (M.  G.  Epp.  II  213).  copos   ordines,    qui   tuae   subiaceant   dicioni. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  641 

regelmäßig  mit  der  Mahnung  begleitet,  es  solle  der  Empfänger  dafür  sorgen, 
daß  dem  äußeren  Schmuck  die  innere  Tugendzier  entspreche,  und  zugleich 
vor  Überhebung  zu  warnen  pflegt. 

Dagegen  dürfte  schon  früh  die  Verleihung  bzw.  das  Nachsuchen  und 
die  Entgegennahme  des  Ornatstückes  Ausdruck  der  Einheit  und  Eintracht 
zwischen  dem  Apostolischen  Stuhl  und  den  Metropoliten  gewesen  sein. 

Mit  Bestimmtheit  läßt  sich  diese  Auffassung  allerdings  erst  für  das 
8.  Jahrhundert  in  einem  Formular  des  Liber  diurnus J  und  in  einem  Briefe 
des  Papstes  Zacharias  an  den  hl.  Bonifatius  nachweisen 2.  Daß  sie  sich  aber 
nicht  erst  damals  gebildet,  geht  aus  dem  Verhalten  des  Erzbischofs  Maurus 
von  Ravenna  (f  671)  hervor,  welcher  zum  Zeichen  der  Autokephalie  Ravennas 
(Unabhängigkeit  vom  römischen  Patriarchalsitz)  vom  Kaiser  statt  vom  Apo- 
stolischen Stuhle  sich  das  Pallium  erbat 3. 

Eine  bestimmtere,  immer  schärfer  sich  ausprägende  Bedeutung  erhielt 
das  Pallium,  als  in  der  karolingischen  Zeit  sich  in  der  Praxis  der  Pallium- 
verleihungen  ein  bedeutungsvoller  Wechsel  zu  vollziehen  begann. 

Das  römische  Pallium  kam  bei  allen  Metropoliten  in  Brauch.  Es  wurde 
sogar  die  Ausübung  nicht  nur  der  erzbischöflichen,  sondern  selbst  ponti- 
fikaler  Funktionen  von  dem  Empfang  desselben  abhängig.  Den  Metropoliten 
brachte  erst  die  Verleihung  des  Palliums  die  vollen  Metropolitan-  und  bischöf- 
lichen Rechte  samt  dem  Titel.  Sie  und  nur  sie  machte  jene  zu  rechtmäßigen 
Vertretern  des  Papstes  im  Bereich  ihrer  Provinz.  Infolgedessen  lag  es  denn 
auch  nicht  länger  mehr  in  ihrem  Belieben,  um  das  Pallium  zu  bitten  oder 
auf  dasselbe  zu  verzichten.  Sie  hatten  es  vielmehr  innerhalb  einer  bestimmten 
Frist  nach  ihrer  Wahl  bzw.  ihrer  Konsekration  beim  Apostolischen  Stuhle 
nachzusuchen.  Die  Verleihungsbullen  des  10.  Jahrhunderts  bieten  für  alles 
das  reiche  Belege. 

Unter  solchen  Umständen  kann  es  natürlich  nicht  wundernehmen,  daß 
das  Pallium  immer  bestimmter  als  Symbol  der  Metropolitangewalt  und  als 
erzbischöfliche  Insignie  erscheint  und  zuletzt  schlechthin  Ausdruck  und  Inbegriff 
der  pontifikalen  Gewalt  ist  und  die  plenitudo  pontificalis  officii  darstellt. 

Das  Pallium ,  sagt  Hraban ,  ziert  den  Erzbischof,  weil  er  Stellvertreter  des 
Papstes  ist.  Amalar,  Pseudo-Alkuin  und  später  Robert  Paululus  nennen  es  das  Unter- 
scheidungsmerkmal zwischen  den  Metropoliten  und  den  gewöhnlichen  Bischöfen.  Rupert 
von  Deutz  und  Honorius  sehen  in  seiner  Verleihung  die  Übertragung  der  Metropoli- 
tanvollmachten.  Fülle  des  pontifikalen  Amtes  heißt  das  Pallium  bei  Innozenz  III. 
„Das  Pallium  heißt  die  plenitudo  pontificalis  officii",  sagt  dieser,  „weil  in  ihm  und 
mit  ihm  die  Vollgewalt  des  pontifikalen  Amtes  verliehen  wird.  Denn  bevor  der  Metro- 
polit mit  dem  Pallium  geschmückt  wird,  darf  er  weder  Kleriker  ordinieren  noch  Bi- 
schöfe konsekrieren,  noch  Kirchen  weihen,  noch  überhaupt  Erzbischof  tituliert  werden." 

In  den  Verleihungsbullen  wird  das  Pallium  erst  im  11.  Jahrhundert  ausdrücklich 
als  erzbischüfliche  Insignie  bezeichnet.  Anfangs  sind  die  diesbezüglichen  Formeln 
noch  schwankend  und  unbestimmt :  tuae  dignitatis  insigne 4,  supplementum  totius 
sacerdotalis  ordinis  5,  bis  sich  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  unter  Urban  IL  der  Aus- 
druck schärfer  präzisiert:  plenitudo  omnis  sacerdotalis  dignitatis6,  pontificatus  pleni- 
tudo '  und   zuletzt  in  plenitudo  pontificalis  officii s   verdichtet.     Damit   ist  die  Formel 

1  N.  47  (Sickel,  L.  D.  38).  tegri    (n.  113    [ebd.   352]),   mahnte   Maurus 

2  N.  58  (M.  G.  Epp.  III  315).  die  Ravennaten  noch  vor  dem  Tode. 

3  A  g  n  e  1 1  i ,    Liber   pontif. ,    Vita   Mauri  4  J.  n.  4098  5204. 

n.  110  112  (M.  6.  SS.  Langob.  349  ff).    Pal-  6  Ebd.  n.  5258  5412. 

lium  ab  imperatore  petite,  quacumque  enim  c  Ebd.  n.  5366  5450. 

die  Romae  subiugati    fueritis,  non  eritis   in-  7  Ebd.  n.  5386.  8  Ebd.  n.  5464. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  41 


642 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


gemünzt,  welche  von  da  ab  dauernde  Geltung  haben  sollte  und  darum  konstant  wieder- 
kehrt. „Im  Pallium",  heißt  es  z.  B.  bei  Pelagius  IL,  „wird  die  Fülle  der  pontifikalen 
Gewalt  gewährt,  da  es  gemäß  der  Gewohnheit  des  Apostolischen  Stuhles  und  des 
ganzen  Europa  den  Metropoliten  vor  Empfang  des  Palliums  durchaus  nicht  gestattet 
ist,  Bischöfe  zu  weihen  oder  Synoden  zu  halten."  ' 

Seitdem  das  Pallium  eine  gesteigertere  Bedeutung  gewonnen  hatte,  be- 
gann man  auch,  mit  der  Sitte,  dasselbe  vor  seiner  Weihe  oder  seiner  Ver- 
sendung auf  das  Grab  des  Apostelfürsten  niederzulegen,  eine  besondere  Sym- 
bolik zu  verbinden.  Das  Pallium  war  die  verkörperte  Fülle  des  bischöflichen 
Amtes  geworden.  Diese  plenitudo  pontificalis  officii  hinwiederum  stammt 
von  Petrus  her,  welchem  der  Heiland  die  Binde-  und  Lösemacht  für  die  ganze 
Kirche  übertragen  hatte.  Das  war  es  denn,  was  man  nunmehr  in  jener 
Hinterlegung  des  Palliums  sinnfällig  ausgedrückt  fand.  Wie  dem  Erzbischof 
das  Pallium  kam  de  corpore  beati  Petri,  so  die  erzbischöfliche  Vollgewalt 
von  dem  in  den  Päpsten  fortlebenden  Apostelfürsten.  Angedeutet  findet  sich 
diese  Symbolik  bereits  im  Schreiben  Paschalis'  IL  an  den  Erzbischof  von 
Spalato  -. 

Wie  alt  der  Brauch  ist,  das  Pallium  auf  dem  Grabe  des  Apostels  zu  deponieren, 
läßt  sich  nicht  feststellen.  Bestimmte  Zeugnisse  haben  wir  für  ihn  erst  aus  dem 
12.  Jahrhundert3.  Da  indessen  selbst  die  Orarien  im  9.  Jahrhundert  vor  der  Ordi- 
nation der  Diakone  und  Priester  auf  die  Confessio  Petri  gelegt  zu  werden  pflegten  ', 
so  dürfte  ähnliches  damals  auch  wohl  schon  mit  dem  Pallium  geschehen  sein.  Sehr 
fraglich  erscheint,  ob  bereits  in  den  Worten  Gregors  d.  Gr  :  Beverendissimo  autem 
fratri  et  coepiscopo  nostro  Leandro  pallium  a  beati  Petri  apostoli  sede  transmisimus, 
ein  Hinweis  auf  jene  Gewohnheit  enthalten  ist 5. 


VII.    GESTALT  UND  BESCHAFFENHEIT  DES  PALLIUMS. 

Zwischen  dem  Pallium  der  frühchristlichen  Zeit  und  demjenigen  der 
Gegenwart  besteht  nach  Anlegeweise  wie  Beschaffenheit  eine  große  Ver- 
schiedenheit. Wie  mit  den  übrigen  liturgischen  Gewändern,  so  sind  auch 
mit  dem  Pallium  im  Laufe  der  Zeit  manche  Veränderungen  vor  sich  gegangen. 
Dabei  hat  sich  auch  bei  ihm  dieselbe  Erscheinung  wiederholt,  welche  wir 
bei  der  Entwicklung  der  andern  Kultgewänder  gewahren :  die  Umbildung, 
welche  sich  allmählich  mit  dem  Ornatstück  vollzog,  ist  nicht  zu  seinem 
Vorteil  gewesen;  sie  war  nicht  sowohl  eine  Weiterbildung  als  eine  Verbildung. 
Aus  dem  in  leichtem,  lebendigem  und  malerischem  Flusse  die  Brust,  die 
Schultern  und  den  Nacken  umschlingenden  Bande  ist  ein  schmächtiger  Ring 
geworden,  von  welchem  vorn  und  rückwärts  ein  kurzer  Streifen  steif  herab- 
hängt.    Welch   ein  Gegensatz,  wenn  wir   ein   modernes  Pallium    neben  eines 


1  J.  n.  6570.  Vgl.  auch  ebd.  n.  5904  5914 
5948  6088  6831  7039  7099  7136  7231  usw. 
sowie  ordo  12,  n.  81,  wonach  der  Archidiakon, 
wenn  er  dem  Papst  nach  dessen  Konsekration 
das  Pallium  überreichte,  sprach :  Accipe  pal- 
lium, plenitudinem  pontificalis  officii  etc. 

2  M.  163 ,  428 :  Quum  igitur  a  sede  apo- 
stolica  vestrae  insignia  dignitatis  exigitis, 
quae  a  beati  Petri  tantum  corpore  assumun- 
tur,  iustum  est,  ut  vos  quoque  sedi  apo- 
stolicae   subiectionis   debitae    signa   solvatis. 

3  Petri  Mallii  Hist.  Vatic.  Conf.  ad 
Alex.  III.  (A.  SS.  hm.  VII,  app.  35*).  Addit.  ad 


Petr.  Mall.  Hist.  (ebd.  104*).  Vgl.  auch 
die  vorgenannte  Bulle  Paschalis'  IL 

*  Vgl.  oben   S.  580. 

5  Epist.  1.  9,  n.  228  (M.  G.  Epp.  II  221). 
Unmittelbar  vorher  sagt  Gregor:  Clavem 
parvulam  a  sacrätissimo  beati  Petri  apostoli 
corpore  vobis  (nämlich  König  Reccared)  pro 
eius  benedictione  transmisimus.  Wäre  das 
Leander  gesandte  Pallium  vom  Grab  des 
Apostels  genommen  worden,  so  hätte,  scheint 
es ,  der  Papst  statt  a  beati  Petri  apostoli 
sede  auch  wohl  a  beati  Petri  apostoli  cor- 
pore geschrieben. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


643 


der  alten  Papstbilder  auf  den  römischen  Mosaiken,  etwa  neben  dasjenige  der 
Päpste  Symmachus  und  Honorius  in  S.  Agnese,  halten  (vgl.  Bild  293,  S.  626 
und  Bild  64,  S.  160)! 

Für  die  Geschichte  der  Umbildung  des  Palliums  sind  wir  hauptsächlich 
auf  die  zum  Glück  zahlreichen  Monumente  angewiesen.  An  schriftlichen  An- 
gaben, die  uns  über  die  Entwicklung  der  Insignie  Aufschluß  geben,  ist  nur 
sehr  wenig  vorhanden,  von  Originalpallien  aber  ist  beinahe  so  viel  wie  nichts 
auf  uns  gekommen,  weil  schon  früh  der  Brauch  bestand,  das  Ornatstück  dem 
Toten  ins  Grab  mitzugeben. 

Im  ganzen  haben  sich  unseres  Wissens  aus  dem  Mittelalter  nur  vier 
Pallien  erhalten.  Zwei  befinden  sich  zu  St-Trophime  in  Arles.  Eines  von 
ihnen  ist  2,40  m  lang  und  0,09  m  breit.  Es  besteht  aus  sehr  feiner,  weißer 
Wolle  und  ist  statt  mit  Kreuzen  mit  dem  Monogramm  Christi  und  den 
griechischen  Buchstaben  AQ  im  Kettenstich  mittels  roter  Seide  bestickt.  Das 
zweite  Pallium  ist  etwas  kürzer;  denn  es  ist  nur  1,75  m  lang.  Zweifelsohne 
ist  es  etwas  verkürzt.  Seine  Breite  ist  die  gleiche  wie  die  des  ersten  Palliums; 
ebenso  ist  es  wie  dieses  aus  weißer  Wolle  gemacht.  Als  Verzierung  sind 
ihm  drei  Kreuze  aufgenäht,  die  aus  rotem,  dam  astartigem  Seidenstoff  her- 
gestellt sind  1. 

Die  beiden  andern  Pallien  werden  in  der  Pfarrkirche  zu  Siegburg  auf- 
bewahrt. Sie  stammen  von  den  hll.  Heribert  und  Anno.  Wir  werden  später 
auf  sie  zurückkommen.  Spärliche  Fragmente  eines  Palliums,  das  man  bei 
den  jüngsten  Restaurationsarbeiten  des  Domes  zu  Trier  im  Grabe  des  Erz- 
bischofs Otto  von  Ziegenhain  (f  1430)  antraf,  sind  im  Trierer  Dommuseum 
niedergelegt.  Von  den  Pallien,  welche  gelegentlich  früherer  Herstellungs- 
arbeiten bei  den  Leichen  der  Trierer  Erzbischöfe  gefunden  wurden,  hat 
v.  Wilmowsky  zwei  in  seiner  Schrift  über  die  Grabbefunde  im  Dom  zu  Trier 
wiedergegeben.  Leider  hat  er  unterlassen,  von  ihnen  Avie  von  den  andern 
Pallien ,    die  damals   entdeckt  wurden ,    eine   nähere  Beschreibung  zu  geben  -. 

Die  ältesten  Darstellungen  des  römischen  Palliums  erscheinen ,  wie 
schon  bemerkt  wurde,  auf  den  Mosaiken  von  S.  Apollinare  in  Classe  und  von 
S.  Vitale  zu  Piavenna  (vgl.  Bild  63,  S.  159).  Zu  Rom  besitzen  wir  Ab- 
bildungen des  Ornatstückes  erst  auf  Bildwerken,  die  der  Frühe  des  7.  Jahr- 
hunderts entstammen,  nämlich  den  Mosaiken  in  S.  Agnese  fuori  le  Mura  (vgl. 


1  De  Linas,  Rap.  sur  les  vetements  sacer- 
dot.  47.  Roh.  VIII  48.  Die  Pallien  werden 
dem  hl.  Cäsarius  von  Arles  zugeschrieben, 
doch  rührt  das  kleinere  wohl  sicher  nicht  von 
ihm  her ;  die  drei  roten  Damastkreuze  be- 
kunden das.  Beim  größeren  ruft  der  Umstand, 
daß  es  statt  mit  Kreuzen  mit  dem  Mono- 
gramm Christi  bestickt  ist,  sogar  Bedenken 
wach,  ob  es  überhaupt  ein  Pallium  ist. 

2  v.  Wilmowsky,  Die  historisch  denk- 
würdigen Grabstätten  der  Erzbischöfe  im 
Dom  zu  Trier  Tfl  2.  Wenn  Forrer  (Römische 
und  byzantinische  Seidentextilien  19  ff ;  dazu 
Tfl  9  16  17)  von  einer  in  Achmim-Panopolis 
gefundenen  2,17  cm  langen,  mit  aufgesetzten 
Seidenstückchen  und  eingesticktem  Bildwerk 
geschmückten  Leinwandbinde  sagt:  „Die 
kleinen    Seidenfragmente    dürften    vielleicht 


als  Reliquien  zu  deuten  sein.  .  .  .  Dies  allein 
gibt  eine  befriedigende  Deutung  der  kleinen, 
unscheinbaren  Gewebeappliquen.  .  .  .  Dieses 
(Pallium)  wurde  wiederum  durch  jene  Re- 
liquienappliquen  geweiht,  und  auch  nur  ein 
Geweihter,  d.  h.  (!)  ein  Priester  hohen  Ranges, 
Bischof  oder  Erzbischof,  kann  der  Träger 
dieses  Ornatstückes  gewesen  sein.  .  .  .  Wir 
dürften  kaum  fehlgehen  ,  wenn  wir  diese 
Seidenstickerei  als  ein  vom  Papst  einem 
ägyptischen  Erzbischof  verliehenes  päpst- 
liches Insignum,  direkt  als  italisch-römisches 
Kunstwerk  bezeichnen" ,  so  haben  wir  diese 
Auslassungen  zwar  schon  früher  (Pontiflkale 
Gewänder,  Freiburg  1898,  161)  als  bloße  Pro- 
dukte der  Phantasie  charakterisiert,  glauben 
aber,  auch  hier  solches  noch  einmal  tun  zu. 
sollen.  Vgl.  auch  S.  13,  Anm.  1. 
41* 


644 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insisnien. 


Bild  64,  S.  160  und  Bild  293,  S.  626)  und  im  Oratorium  des  hl.  Venantius 
beim  lateranensischen  Baptisterium 1.  Dem  Beginn  des  8.  Jahrhunderts 
gehört  das  Bild  des  mit  dem  Pallium  geschmückten  Johannes  VII.  aus  dem 
ehemaligen  Marien  Oratorium  der  vatikanischen  Basilika  an,  das  sich  nun- 
mehr in  der  Unterkirche  von  St  Peter  befindet.  Es  ist  zwar  vielfach  über- 
arbeitet, weist  aber  in  den  Hauptlinien  noch  die  ursprünglichen  Formen  auf2. 

Auf  allen  diesen  Bildwerken  stellt  das  Pallium  ein  langes,  mittelbreites 
Band  von  weißer  Farbe  dar,  das  seinem  unteren  Ende  zu  mit  einem  schwarzen 
oder  roten  Kreuze  verziert  ist  und  mit  Fransen  abschließt.  Es  ist  in  der 
Weise  um  Brust,  Schultern  und  Nacken  geführt,  daß  es  vorn  eine  Wendung 
bildet,  und  daß  von  der  linken  Schulter  das  eine  der  beiden  Enden  nach  vorn, 
das  andere  nach  hinten  herabsteigt. 

Über  den  Stoff,  aus  welchem  das  Pallium  bestand,  erfahren  wir  natür- 
lich durch  die  Bildwerke  nichts.  Die  beiden  Pallien  zu  Arles  sind  aus  Wolle 
gemacht.  Dagegen  war  dasjenige,  welches  man  unter  Gregor  IV.  im  Sarge 
Gregors  d.  Gr.  fand,  nach  Johannes  Diakonus  aus  Byssus-,  also  aus  feinem 
Linnen  bzw.  aus  Baumwolle  angefertigt 3,  vorausgesetzt,  daß  der  Bericht- 
erstatter unter  byssus  einen  Linnen-  oder  Baumwollstoff  und  nicht  vielmehr 
überhaupt  ein  feines  weißes  Gewebe  ohne  Rücksicht  auf  das  Material  ver- 
steht i.  Noch  um  die  Wende  des  ersten  Jahrtausends  brauchte  das  Pallium 
keineswegs  unter  allen  Umständen  aus  Wolle  zu  sein.  Mochte  dasselbe 
damals  auch  für  gewöhnlich  und  der  Regel  nach  aus  solcher  angefertigt  sein, 
so  waren  andere  Stoffe  jedoch  noch  nicht  schlechthin  unzulässig.  Das  be- 
weist die  Bulle,  in  welcher  Johannes  XV.  989  dem  Erzbischof  Liavizo  von 
Hamburg  das  Pallium  verleiht.  In  einer  Nachschrift  nämlich  teilt  der  Papst 
dem  Erzbischof  mit,  er  überschicke  ihm  zugleich  mit  der  Bulle  ein  Pallium, 
und  erlaube  ihm  obendrein,  dieses  oder  ein  anderes,  von  welcher  Art  es  sein 
möge,  zu  gebrauchen,  vorausgesetzt,  daß  es  von  weißer  Farbe  sei B. 

Nadeln  wurden  zur  Befestigung  des  Palliums  ursprünglich  nicht  an- 
gewandt. Denn  Johannes  Diakonus  verzeichnet  ausdrücklich,  man  habe  bei 
Erhebung  des  Leibes  Gregors  d.  Gr.  die  Wahrnehmung  gemacht,  daß  das 
Pallium  um  die  Schultern  bloß  herumgeschlungen ,  nicht  aber  mit  Nadeln 
(acubus)  befestigt  gewesen  sei,  gerade  wie  man  das  auch  an  den  ältesten 
Mosaiken  und  Malereien  bemerke  6.  Die  drei  noch  jetzt  gebräuchlichen  acus 
oder  spinulae  mögen  im  Verlauf  des  8.  Jahrhunderts  in  Gebrauch  gekommen 
sein.  Jedenfalls  müssen  sie  vor  der  Mitte  desselben  schon  Verwendung  ge- 
funden haben,  da  der  Diakon  oder  Subdiakon,  welcher  dem  Papste  das  Pallium 
anlegte,  bereits   nach  Anweisung  des   ersten  römischen  Ordo  das  Ornatstück 


1  Vgl.  wegen  der  Fresken  in  S.  Callisto 
oben  S.  159. 

-  Grisar,  Das  römische  Pallium,  in  „Fest- 
schrift zum  1100jährigen  Jubiläum  des  Campo 
Santo"  89.  Das  allerdings  stark  restaurierte 
Mosaik  aus  S.  Apollinare  in  Classe ,  den 
Bischof  Reparatus  darstellend ,  wäre  wohl 
auch  noch  hier  zu  erwähnen  (Garr.tav.  27b-). 

3  Vita  Gregor.  1.  4,  n.  80  (M.  75,  228). 

4  Über  die  Bedeutung  von  byssus  sind  viele 
Erörterungen  angestellt  worden.  Eine  Zu- 
sammenstellung derselben  bei  Pauly,  Real- 
encyklopädie  III2  1108.  Im  Mittelalter 
scheint  byssus  nicht  immer  ein  Zeug  aus  be- 


stimmtem Material,  sondern  auch  wohl  all- 
gemein ein  feines  weif3es  Gewebe  bezeichnet 
zu  haben ;  im  späten  Mittelalter  verstand 
man  unter  byssus  gewöhnlich  ein  feines 
weißes  Seidenzeug. 

6  J.  n.  3835.  M.  137,  839.  Pallium  vobis 
mittimus  et  insuper  concedimus,  isto  vel 
alio,  cuiuscumque  generis  nitidi  candoris  vobis 
placuerit,  vos  indui. 

6  Vita  Gregor.  1.  4,  n.  84  (M.  75,  231). 
Rohault  de  Fleury  irrt,  wenn  er  aus 
der  Stelle  herausliest,  es  habe  Johannes  schon 
auf  den  alten  Bildwerken  die  Nadeln  gefunden 
(VIII  51). 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


645 


mit  Nadeln  im  Nacken,  vorn  und  auf  der  linken  Schulter  an  der  Planeta  fest- 
zumachen hat 1. 

Es  scheint,  daß  die  Ingebrauchnahme  der  drei  Nadeln  mit  einem  Wechsel 
in  der  Anlegung  der  Insignie  zusammenhing,  welcher  zwar  zunächst  nur  gering- 
fügig war,  jedoch  in  der  Folge  zu  einer  gänzlichen  Umgestaltung  des  Palliums 
führen  sollte.  Er  bestand  darin,  daß  man  die  Bandenden,  welche  man  bis 
dahin  von  der  linken  Schulter  nach  vorn  und  hinten  lotrecht  herabgeworfen 
hatte,  nunmehr  zunächst  vor  die  Mitte  der  Brust  und  des  Rückens  führte  und 
erst  dann  niederfließen  ließ.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  solches  untunlich 
war,  wenn  man  dabei  nicht  Nadeln  zu  Hilfe  nahm. 

Daß  diese  Veränderung  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  ein- 
getreten war,  ergibt  sich  aus  der  Beschreibung,  welche  Johannes  Diakonus  von  einem 
Bilde  Gregors  I.  gibt,  das  noch  zu  Lebzeiten  des  Papstes  an- 
gefertigt worden  war.  Es  wird  darin  nämlich  hervorgehoben, 
der  von  der  linken  Schulter  nach  vorn  herabfallende  Streifen  sei 
seitlich,  nicht  in  der  Mitte  des  Körpers  herabgestiegen2. 
Angesichts  der  Rubrik  des  ersten  Ordo  über  die  drei  Nadeln 
wird  man  aber  mit  der  Annahme  schwerlich  fehlgehen,  es  habe 
sich  der  Wechsel  bereits  vor  der  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  voll- 
zogen. Was  die  Monumente  anlangt,  so  scheint  die  neue  An- 
legungsweise des  Palliums  schon  auf  dem  ursprünglichen  Mosaik 
des  lateranensischen  Triclinium  zur  Darstellung  gekommen  zu 
sein,  wie  sich  aus  einem  Vergleich  der  verschiedenen  von  dem- 
selben erhaltenen  Abbildungen  ergibt.  Es  war  das  Werk  Leos  III. 
(795 — 816)  3.  Andere  gleichzeitige  oder  nur  um  ein  weniges 
jüngere  Monumente  wie  die  Apsismosaiken  in  S.  Cecilia,  S.  Pras- 
sede  und  S.  Maria  in  Navicella  mit  dem  Bilde  des  Papstes 
Paschalis  I.  (817 — 824)  gestatten  kein  sicheres  Urteil,  weil  der 
Gang  des  Palliums  vor  der  Brust  durch  ein  Buch  oder  sonst 
einen  Gegenstand  verdeckt  ist,  wenngleich  auch  hier  die  ganze 
Führung  des  Bandes  eher  auf  die  neue  Weise  der  Anlegung  hin- 
zudeuten scheint.  Hinreichend  klar  kommt  der  Wechsel  bei  der 
Figur  des  Papstes  Markus  auf  dem  Apsismosaik  Gregors  IV. 
(827—844)  (Bild  294)  in  S.  Marco  zu  Rom  zum  Vorschein.  Hier 
fällt  ersichtlich  der  vordere  Streifen  nicht  mehr  seitlich,  sondern 
in  der  Mitte  herab,  ohne  daß,  wie  die  Paralleldarstellungen  in 
S.  Agnese  und  S.  Venanzo  zeigen,  die  Haltung  der  Figur  eine 
derartige  Anordnung  verlangt  hätte.  Ein  um  einige  Dezennien 
jüngeres  Beispiel  bietet  die  Darstellung  des  hl.  Klemens  auf  dem  von  den  hll.  Cyrillus 
und  Methodius  ca  868  gestifteten  Votivbild  in  der  Unterkirche  von  S.  demente  '. 
Man  hat  auf  diese  Anfangsstufe  in  der  Umbildung  des  Palliums  bislang  nicht  genügend 
geachtet.  Und  doch  darf  man  sie  nicht  unberücksichtigt  lassen ;  denn  sie  erklärt, 
warum  das  Pallium  gerade  die  Gestalt  eines  Y  erhielt,  als  es  eine  feste  Form  bekam. 
Jene  Anfangsstufe  ist  das  naturgemäße  Mittel-  und  Bindeglied  zwischen  der  ersten 
Anlegungsweise,  bei  welcher  die  Enden  an  der  linken  Seite  herabflossen,  und  der  festen 
Y  -Form  mit   ihren  mitten  vor  der  Brust  und  im  Rücken  herabfallenden  Streifen. 

Dem  ersten  Schritt,  der  Überführung  der  Streifenenden  zur  Mitte  der 
Brust  und  des  Rückens,  folgte  bald  ein  zweiter  von  ungleich  einschneidenderer 
Bedeutung.  Bei  jener  ersten,  an  sich  nur  geringfügigen  Veränderung  war 
das  Pallium  ein  förmliches,  lose  umgeschlungenes  Band  geblieben.    Wir  sehen 


Bild   294.     Papst 
Markus.     Mosaik. 

Rom,  S.  Marco. 


1  N.  6  (M.  78,  940). 

2  Vita  Gregor.  1.  4,  n.  84  (ebd.  231). 


3  Garr.  tav.  283. 

4  Abbildung  in  Mitt.  1869,  3. 


646 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


das  deutlich  an  der  Figur  der  Päpste  Markus  und  Gregor  IV.  auf  dem  von 
letzterem  gestifteten  Mosaik  in  S.  Marco  und  der  Figur  Leos  IV.  (847 — 855) 
auf  einem  Fresko  der  Unterkirche  von  S.  demente.  Nun  ging  man  dazu 
über,  durch  entsprechendes  Zusammennähen  des  Streifens  dem  Ornatstück 
dauernd  die  Form  zu  geben,  welche  es  sonst  erst  beim  Anlegen  empfing. 
Am  frühesten  dürfte  sich  diese  Umwandlung  außerhalb  Roms  vollzogen  haben. 
Wir  schließen  das  aus  einer  Miniatur  des  Sakramentars  von  Autun 1,  aus 
den  Miniaturen  eines  Meßkanons  der  Pariser  Nationalbibliothek 2,  aus  den 
Elfenbeinskulpturen  auf  dem  Deckel  des  Drogosakramentars  und  dem  Elfenbein 
der  Frankfurter  Stadtbibliothek  samt  seinem  Gegenstück,  dem  ehemaligen 
Spitzerschen  Elfenbein  (Bild  65 — 68,  S.  167 — 171),  aus  Reliefs  des  unter  Erz- 
bischof  Angilbert  (824 — 860)  entstandenen  Palliotto  in  S.  Ambrogio  zu  Mai- 
land 3  u.  a.  Das  Pallium  hat  auf  allen 
diesen  Monumenten  bereits  die  ausge- 
bildete Y-Form  und  ist  ersichtlich  kein 
loses,  nur  Y  artig  mit  Nadeln  angesteck- 
tes Band  mehr. 

Zu  Rom,  wo  man  konservativer 
war  als  außerhalb  Roms  und  zäher  wie 
hier  auch  in  der  liturgischen  Kleidung 
am  Alten  festhielt,  mag  es  erst  im 
10.  Jahrhundert  zum  fertigen  Y  förmigen 
Pallium  gekommen  sein.  Beispiele  eines 
solchen  bieten  Fresken  mit  Darstellungen 
aus  dem  Leben  der  hll.  Klemens,  Alexius 
und  Cyrillus  in  der  Unterkirche  von 
S.  demente  aus  dem  11.  Jahrhundert4, 
und  etwas  später  die  Mosaiken  im  ehe- 
maligen Oratorium  des  hl.  Nikolaus  beim 
alten  Lateran5  und  in  der  Apsis  von 
S.  Maria  in  Trastevere 6. 

Wir  möchten  übrigens  keineswegs  be- 
haupten, dafo  das  Pallium  außerhalb  Eoms 
bereits  im  9.  und  10.  Jahrhundert  allent- 
halben die  feste  Y  -  Form  gehabt  habe.  Man 
scheint,  nach  den  Bildwerken  zu  urteilen, 
hie  und  da  länger  an  der  ursprünglichen  Weise  festgehalten,  dem  Pallium  seine  lose 
Bandform  belassen  und  sich  begnügt  zu  haben,  die  Streifen  zur  Mitte  des  Körpers 
zu  führen  und  dort  dann  zu  befestigen.  So  sehen  wir  z.  B.  auf  zwei  Miniaturen  in 
der  Vatikanischen  Handschrift  von  Hrabans  Laudes  s.  Crucis  den  vorn  herabfallenden 
Streifen  mit  dem  vor  der  Brust  sich  hinziehenden  auffallenderweise  einen  förmlichen 
Knoten  bilden  7.  Offenbar  hat  der  Miniator  beim  Pallium  noch  an  ein  loses  Band,  das 
erst  beim  Gebrauch  umgeschlungen  wurde,  gedacht.  Der  Kodex  entstammt  dem  10.  Jahr- 
hundert. Freilich  mögen  derartige  Erscheinungen  lediglich  ikonographische  Remini- 
szenzen alten  Brauches  sein.  Finden  wir  doch  z.  B.  noch  bei  einer  Figur  Gregors  d.  Gr. 
in    einem    aus    St    Gereon    zu    Köln    stammenden    Evangeliar    (11.    Jahrhundert)    der 


Bild   295.     Hl.  Gregor.     Miniatur   eines 

Evangeliars  aus  St  Gereon  zu  Köln. 

Stuttgart,  kgl.  Bibliothek. 


1  Abbildung  bei  Wilp. ,  Cap.  77. 

-  Abbildung  in  Arts  sompt.  pl.  xxni. 

3  Abbildung  bei  Roh.  I,  pl.  vin;  VIII, 
pl.  ricxxxn. 

i  Abbildung  in  Mitt.  1863,  Tfl  11  12; 
1869,  1.    Wilp.,  Cap.  33  79. 


5  A.  SS.  Prop.  Maii  210*. 

6  De  Rossi,  Mus.  fasc.  VII— VIII.  Vgl. 
auch  die  zahlreichen  Abbildungen  von  Dar- 
stellungen des  Palliums  bei  R  o  h.  VIII, 
pl.  doxxx — DCXXXVII. 

7  Vgl.  oben  Bild  96,  S.  214. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


647 


Lanclesbibliothek  zu  Stuttgart  ein  dem  Anschein  nach  ein  loses  Band  darstellendes 
Pallium  (Bild  295),  während  doch  in  Wirklichkeit  das  Ornatstück  damals  zu  Köln  nach 
Ausweis  des  Palliums  des  hl.  Heribert  bereits  feste  Gestalt  hatte,  ja  sogar  schon  statt 
der  Y-Form  die  T-Form  aufwies. 

Nicht  näher  bestimmbar  ist,  wie  lange  den  Erzbischöfen  das  Pallium  als  loses 
Band  geschickt  wurde.  Immerhin  ist  es  nicht  so  unwahrscheinlich,  daß  selbst,  nachdem 
man  angefangen  hatte,  das  Ornatstück  in  fester  Form  zu  tragen,  dieses  noch  längere 
Zeit  den  Metropoliten  in  Gestalt  eines  Streifens  zuging,  und  daß  es  erst  an  Ort  und 
Stelle  seine  feste  Form  bekam,  nicht  wie  nachher  bereits  zu  Rom.  Wenigstens  erklärt 
sich  bei  dieser  Annahme  am  leichtesten 
der  Umstand,  daß  es  auf  den  Bildwerken 
hier  früher,  dort  aber  erst  später  in 
fester  Form  auftritt. 

Wir  kommen  zum  letzten  Sta- 
dium im  Umbildungsprozeß  des  Pal- 
liums. Aus  der  Y-Form  wird  die 
T-Form.  Der  die  Schultern,  den 
Rücken  und  die  Brust  umziehende 
Teil  des  Palliums  wird  zu  einem 
wagerecht  den  Oberkörper  umgeben- 
den Ring,  dessen  linksseitige  Hälfte 
sich  meist  aus  einer  doppelten  Stoff- 
lage zusammensetzte.  Deshalb  mer- 
ken einzelne  mittelalterliche  Liturgi- 
ker  ausdrücklich  an,  es  sei  das  Pallium 
in  sinistra  duplex,  während  es  rechts 
nicht  gedoppelt  sei.  So  Bruno  von 
Segni,  Sicard,  Innozenz  III.  und 
später  Durandus.  Die  Vertikalstrei- 
fen mögen  anfangs  mit  dem  Ring 
noch  ein  Ganzes  ausgemacht  haben, 
dann  aber  waren  sie  wie  jetzt  be- 
sondere vorn  und  hinten  in  der 
Mitte  des  Ringes  angenähte  Bänder. 

Die  beste  Illustration  der  neuen 
Form  des  Palliums  bilden  die  beiden 
Pallien  der  hll.  Heribert  (f  1021) 
und  Anno  (f  1075)  in  der  Pfarr- 
kirche zu  Siegburg  (Bild  296),  zwei 
für  die  Geschichte  der  Entwicklung 
des  Palliums  äußerst  wichtige  Erb- 
stücke des  11.  Jahrhunderts.  Beide  stellen  einen  vollständigen  Ring  dar, 
dem  vorn  und  rückwärts  die  Behänge  angesetzt  sind.  Beim  Heriberts- 
pallium  ist  dessen  linksseitige  Hälfte  gedoppelt,  während  er  beim  Annopallium 
ringsum  nur  aus  einer  Bandlage  besteht.  Beide  Pallien  sind  aus  feinster  Wolle 
in  Köperbindung  gewebt,  wobei  jenes  eine  Rauten-,  dieses  eine  Zickzack- 
musterung erhielt.     Der  Ring  hat  (bzw.  hatte)  bei  beiden  Pallien  einen  Um- 


Bild 296. 


Pallien   der   hll.  Heribert  und  Anno. 
Siegburg,  Pfarrkirche. 


fang  von  1,21  m; 


die  Behänge   sind  weder   bei  dem  einen  noch  dem  andern 


mehr  völlig  intakt.  Immerhin  hat  der  Behang  an  der  Vorderseite  des 
Heribertspalliums  noch  jetzt  eine  Länge  von  1,13  m.  Auffallend  ist  bei 
den   beiden   Pallien   der   Unterschied   in    der    Breite    des    Bandes.     Während 


648  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

diese  sich  beim  Heribertspallium  auf  0,075  m  beläuft,  beträgt  sie  beim  Anno- 
pallium  nur  0,05  m. 

Auf  den  Bildwerken  kommen  ausgesprochen  T  formige  Pallien  erst  gegen  1100 
vor.  Frühe  Beispiele  bieten  die  Darstellung  des  Kölner  Erzbischofs  Friedrich  (1100 
bis  1131)  in  den  für  ihn  kopierten  Hieronymusbriefen  der  Kölner  Dombibliothek 
(Bild  215,  S.  450),  das  Bild  Brunos  von  Trier  (f  1124)  in  der  Gothaer  Vita  S.  Willi- 
brordi  (Bild  218,  S.  458),  die  Figur  Gregors  d.  Gr.  in  dem  mehrerwähnten  St  Dunstan- 
pontifikale  in  der  Bibliothek  des  britischen  Museums  u.  a.  Auf  den  Siegeln  der 
Kölner  Erzbischöfe  tritt  die  T-Form  erst  unter  Hermann  von  Nordheim  (f  1099)  auf; 
bis  dahin  kommen  auf  ihnen  nur  Y  förmige  vor.  Es  könnte  auffallend  erscheinen, 
daß  die  Monumente  die  Form  erst  zur  Wiedergabe  bringen,  nachdem  sie  schon  eine 
geraume  Weile  in  Brauch  gekommen  war.  Indessen  steht  diese  Erscheinung  nicht 
vereinzelt  da.  Kommt  doch  etwas  Ähnliches  z.  B.  auch  bei  der  Mitra  und  den  Pontifikal- 
handschuhen  vor.  Namentlich  darf  man  aber  nicht  vergessen,  daß  es  nur  wenige 
Miniatoren  gewesen  sein  mögen,  welchen  es  je  vergönnt  war,  ein  Pallium  mit  eigenen 
Augen  zu  sehen.  Es  begreift  sich  daher  leicht,  wenn  in  Bezug  auf  dieses  die  Tradition 
besonders  lang  nachklang.  Übrigens  findet  sich  schon  eine  Weile 'vor  dem  Ausgang 
des    11.    Jahrhunderts    auf    den    Bildwerken    eine   Mittel-    und   Übergangsform    vom 

Y  förmigen  zum  T  förmigen  Pallium,  bei  welchem  die  Y-Form  sich  der  T-Form  so 
weit  genähert  hat,  daß  es  sich  nicht  immer  leicht  entscheiden  läßt,  ob  noch  die  Y-Form 
oder  schon  die  T-Form  auf  den  betreffenden  Darstellungen  gemeint  ist. 

Es  dauerte  eine  geraume  Zeit  nach  dem  ersten  Auftreten  der  ausgesprochenen 
T-Form,  bis  diese  auf  den  Bildwerken  allgemein  herrschend  geworden  und  die  Y-Form 
ganz  verschwunden  war.  Zum  Teil  mag  das  eine  Widerspiegelung  des  tatsächlichen 
Brauches  sein ;  mehr  noch  aber  hat  es  ohne  Zweifel  seinen  Grund  in  den  gleichen 
Umständen,  welche  die  T-Form  erst  so  spät  auf  den  bildlichen  Darstellungen  er- 
scheinen ließen,  der  künstlerischen  Überlieferung,  den  benutzten  Vorbildern  und  dem 
Mangel  an  eigener  Kenntnis  des  so  seltenen  und  obendrein  so  selten  gebrauchten 
Ornatstückes.     Noch   im    13.    Jahrhundert    kommen  Monumente    vor,    auf   denen   die 

Y  -  Form  erscheint '. 

Was  den  Wechsel  in  der  Form  des  Palliums  herbeiführte,  ist  unbekannt. 
Vielleicht  war  es  bloß  die  Mode,  die  ja  auch  in  Bezug  auf  die  liturgische 
Kleidung  nicht  ohnmächtig  gewesen  ist.  Vielleicht  aber  auch,  daß  er  mit 
der  zunehmenden  Verbreitung  des  Gabelkreuzes  als  Verzierung  der  Kasel 
zusammenhängt.  Seit  dem  11.  Jahrhundert  kommt  der  gabelförmige  Besatz 
auf  derselben  immer  mehr  zur  Verwendung.  Es  mochte  darum  zweckmäßig 
erscheinen,  von  ihm  das  Pallium  dadurch  deutlicher  zu  unterscheiden,  daß 
man  diesem  statt  der  Y-  die  T-Form  gab. 

Was  die  Trag  weise  des  Tförmigen  Palliums  anlangt,  so  ruhte  es 
anfangs  hoch  oben  auf  dem  Oberarm  nahe  an  den  Achseln.  Später  aber  finden 
wir  es  auf  den  Bildwerken  sehr  gewöhnlich  etwa  in  der  Mitte  des  Oberarmes. 
Es  könnte  das  als  Caprice  der  Künstler  gedeutet  werden;  indessen  gibt  der 
14.  Ordo  ausdrücklich  an,  der  Diakon,  welcher  dem  Bischof  beim  Ankleiden 
zu  helfen  habe,  solle  das  Pallium  so  tief  auf  den  Arm  herabziehen,  daß  es 
mitten  zwischen  Schultergelenk  und  Ellenbogen  zu  liegen  komme2. 

Der  vom  Ring  vorn  und  hinten  herabfallende  Streifen  behält  bis 
ins  15.  Jahrhundert  hinein  eine  ansehnliche  Länge.  Man  vergleiche  z.  B. 
die  Grabfigur  Martins  V.  in  der  lateranensischen  Basilika.     Gegen   das  Ende 


1  Das  Tfürmige  Pallium  auf  der  bekannten  hundert  stammt  und  also  auch  nicht  von  der 

Tafel  mit  den  Bildern  der  Apostelfürsten  in  Hand    des    hl.    Methodius    herrühren    kann 

St  Peter  zu  Rom  beweist  mit  aller  Bestimmt-  (vgl.  oben  S.  437). 

heit,   daß   dieselbe  nicht   aus   dem   9.  Jahr-  2  C.  53  (M.  78,  1158). 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


649 


des  Jahrhunderts  ist  er  jedoch  schon  merklich  verkürzt,  wie  beispielsweise 
das  prächtige  Grabmonument  Sixtus'  IV.  in  St  Peter  (Bild  19,  S.  54),  die  Papst- 
bilder in  der  Sistina  (Bild  20,  S.  55),  die  Grabplatte  des  Erzbischofs  Gabriel 
Sforza  in  S.  Maria  Incoronata  zu  Mailand  1  und  die  Figur  des  Mainzer  Kurfürsten 
Diether  von  Isenburg  (f  1482)  im  Dom  zu  Mainz  beweisen.  Immerhin  scheinen 
die  Behänge  noch  bis  ins  16.  Jahrhundert  eine  angemessene  Länge  besessen  zu 
haben,  wie  die  in  mehrfacher  Hinsicht  für  das  Studium  der  liturgischen  Kleidung 
sehr  beachtenswerten  Grabmäler  der  damaligen  Mainzer  Erzbischöfe  bekunden. 
Im  17.  Jahrhundert  verschwindet  mit  der  Kasel  auch  das  Pallium  von  den 
Denkmälern ;  leicht  erklärlich,  da  beide,  weil  allzusehr  zugestutzt,  sich  nicht 
mehr  zur  bildlichen  Darstellung  empfehlen  mochten.  Im  Beginn  des  18.  Jahr- 
hunderts betrug  die  Länge  der  Streifen  nur  noch  ca  0,33  m 2. 

Eine  Übersicht  über  die  Entwicklung  des  Palliums  gewährt  auf  Grund 
der  zuverlässigsten  Monumente  Bild  297.  Es  zeigt  uns  das  Ornatstück  in 
allen  Hauptstadien  seiner  Umbildung  vom  6.  Jahrhundert  an  bis  zu  unsern  Tagen. 

Als  Verzierung  des  Palliums  dienten,  wie  aus  den  ravennatischen  und 
römischen  Mosaiken  erhellt,  bereits  im  6.  und  7.  Jahrhundert  zwei  Kreuze. 


Bild  297.     Übersicht  über  die  Entwicklung  des  Palliums. 


Eines  derselben  befand  sich  auf  dem  vorn,  das  andere  auf  dem  rückwärts 
herabsteigenden  Streifen.  Eine  größere  Anzahl  von  Kreuzen  auf  dem  Pallium 
anzubringen,  scheint  erst  in  der  letzten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts  Sitte  ge- 
worden zu  sein3.  Noch  Hraban  redet,  wie  es  scheint,  bloß  von  zwei  Kreuzen, 
von  denen  sich  das  eine  auf  dem  vorderen,  das  andere  auf  dem  hinteren  Streifen 
befand.  Als  frühe  Beispiele  römischer  Monumente,  auf  denen  das  Pallium  mit 
mehr  als  zwei  Kreuzen  verziert  ist,  führen  wir  an  das  Votivfresko  der  hll.  Cyrillus 
und  Methodius  in  der  Unterkirche  von  S.  demente  mit  der  Darstellung  des  hl.  Kle- 
mens  und  das  Bild  des  Papstes  Urbanus  vom  ehemaligen  Grabe  der  hl.  Cäcilia 
in  S.  Callisto  —  von  de  Rossi  dem  10. — 11.  Jahrhundert  zugeschrieben4. 
Beide  Bildwerke  verraten  übriaens  deutlich  griechischen  Einfluß.     Die  beiden 


1  Abbildung  bei  Braun,  Pontifikale  C4e- 
wänder  165. 

2  Catalani,  Caerem.  eccl.  rom.  I  341. 

3  Ob  die  Zunahme  der  Kreuze  auf  dem 
Pallium  auf  griechischen  Einfluß  zurückgeht 
oder  ob  sie  unabhängig  von  solchem  erfolgte, 
muß  dahingestellt  bleiben.  Immerhin  ver- 
dient Beachtung,  daß  bereits  auf  den  unter 
Johannes  VII.  (t  707)    und  Paul  I.  (f  767) 


entstandenen  Bildern  griechischer  Bischöfe 
in  S.  Maria  Antiqua  zu  Rom  das  Omophorion 
mit  mehr  als  zwei  Kreuzen  versehen  ist. 
Eine  Einwirkung  griechischen  Brauches  auf 
die  Zunahme  der  Kreuze  des  lateinischen 
Palliums  liegt  also  keineswegs  außer  dem 
Bereiche  der  Möglichkeit. 

4  Abbildung    bei   de  Eossi,   R.   sott.  II, 
tav.  6,  und  Wilp.,  Kat.  Tfl  260. 


650  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Bischöfe  auf  dem  Triumphbogenmosaik  in  S.  Prassede,  welche  abweichend 
von  der  Figur  des  Papstes  Paschalis  I.  in  der  Apsis  derselben  Kirche  ebenfalls 
ein  mit  mehreren  Kreuzen  besetztes  Pallium  tragen,  sind  wohl  das  Werk  einer 
späteren  Restauration  *. 

Eine  bestimmte  Eegel  scheint  im  späteren  Mittelalter  bezüglich  der  Zahl  der 
Kreuze  nicht  bestanden  zu  haben.  Zwar  geben  Innozenz  III.  und  Durandus  an,  es  werde 
das  Pallium  mit  vier  Kreuzen  geschmückt,  von  denen  sich  je  eines  auf  der  Brust, 
dem  Kücken  und  den  beiden  Schultern  befinde.  Allein  die  ungemeine  Mannigfaltig- 
keit, welche  in  diesem  Punkte  auf  den  mittelalterlichen  Bildwerken  herrscht,  läßt 
den  Gedanken  an  eine  feste  Norm  nicht  aufkommen.  Bald  fehlen  die  Kreuze  ganz, 
bald  sind  ihrer  zwei,  bald  drei,  vier,  fünf  oder  mehr  auf  der  wahrnehmbaren  Vorder- 
seite angebracht.  Hier  finden  sie  sich  nur  auf  dem  King,  dort  bloß  auf  dem 
Längsstreifen ;  anderswo  sind  sie  gar  durch  eine  das  ganze  Pallium  überziehende 
Musterung  ersetzt.  Und  diese  Verschiedenheit  offenbart  sich  nicht  bloß  auf  den 
außerrömischen  Bildwerken,  sondern  auch  auf  den  römischen  Monumenten,  die  Grab- 
mäler  der  Päpste  nicht  ausgenommen.  Daß  vieles  von  diesem  bunten  Vielerlei  der 
Phantasie  und  Laune  der  Künstler  zugeschrieben  werden  muß,  ist  nun  freilich  klar. 
Schwerlich  würde  indessen  hinsichtlich  der  Anzahl  der  Palliumkreuze  auf  den  mittel- 
alterlichen Bildwerken  ein  solches  Durcheinander  herrschen,  wie  es  uns  tatsächlich 
darauf  begegnet,  wenn  in  diesem  Punkte  eine  bestimmte  Vorschrift  oder  eine  kon- 
stante Gewohnheit  in  Kraft  gewesen  wäre.  Der  Verschiedenheit  auf  den  Monumenten 
hat  gewiß  auch  eine  Verschiedenheit  in  der  Praxis  entsprochen.  In  der  Tat  be- 
weisen die  Beobachtungen,  welche  v.  Wilmowsky  bei  Öffnung  der  Gräber  der  Trierer 
Erzbischöfe  machte,  daß  die  Zahl  der  Palliumkreuze  nicht  überall  gleich  war.  Während 
nämlich  das  Pallium  Alberos  (f  1152)  auf  dem  King  keine,  auf  dem  vordem  Streifen 
aber  fünf  Kreuze  aufwies,  war  dasjenige  Boemunds  (f  1367)  auf  dem  King  mit  vier 
und  auf  den  Behängen  mit  je  zwei  Kreuzen  geschmückt.  Ein  ehedem  zu  St-Denis 
befindliches  Pallium  hatte  auf  dem  Ring  vier  Kreuze,  auf  den  Behängen  aber  keines  2. 
Umgekehrt  weist  das  Heribertspallium  nur  auf  den  Streifen  ein  Kreuz  auf,  das  hart 
am  obern  Ende  angebracht  ist;  auf  dem  Ring  hat  es  bei  ihm  nie  solche  gegeben. 
Das  Annopallium  ist  auf  dem  Ring  mit  vier  Kreuzen  geziert;  wie  es  sich  ehedem  mit 
den  Behängen  verhielt,  ist  jetzt  nicht  mehr  zu  bestimmen.  Die  Verschiedenheit  in 
der  Zahl  der  Kreuze,  wie  sie  uns  auf  den  Bildwerken  beim  Pallium  begegnet,  ist  also 
evident  nur  ein  Widerschein  des  wirklichen  Tatbestandes. 

Auch  bezüglich  der  Farbe  der  Palliumkreuze  hat  es  im  Mittelalter 
keine  sich  gleich  bleibende  Regel  gegeben.  Auf  den  Mosaiken  des  6.,  7.,  8. 
und  9.  Jahrhunderts  sind  die  Kreuze  teils  schwärzlich,  teils  rot.  Ebenso  ver- 
hält es  sich  auf  den  späteren  Bildwerken.  Von  den  Liturgikern  des  Mittel- 
alters, welche  auf  ihre  Farbe  zu  sprechen  kommen,  bezeichnen  Hraban,  Robert 
Paululus,  Innozenz  III.  und  Durandus  die  Kreuze  als  rot,  Sicardus  da- 
gegen als  schwarz.  Das  Pallium,  welches  man  1605  bei  der  Leiche  Boni- 
faz'  VIII.  fand,  war  nach  Grimaldis  Protokoll  mit  schwarzseidenen  Kreuzen 
besetzt3.  Von  gleicher  Farbe  waren  die  Kreuze  des  ehedem  zu  St-Denis 
aufbewahrten  Palliums.  Dagegen  war  dasjenige  des  Kölner  Erzbischofs  Klemens 
August  (f  1761),  des  letzten  Witteisbachers  auf  dem  Stuhl  des  hl.  Maternus, 


1  Abbildung  bei  de  Rossi,  Mus.  fasc.  IX  2  Millet,  Trösor    de  Saint-Denis,  Paris 

bis  X,  und  bei  Gar r.  tav.  285.    Die  größere  1645,    113.     Roh.    VIII    53.     Das    Pallium 

Anzahl   von   Kreuzen   bei   den   Figuren   des  wurde  Stephan  II.  (752 — 757)  zugeschrieben, 

hl.  Apollinaris   in   der  Apsisconcha   und  des  doch  läßt  die  Beschreibung,  welche  wir  von 

Erzbischofs  Reparatus  an  der  Chorwand  von  ihm    erhalten,    keinen  Zweifel,    daß    es    ans 

S.  Apollinare   in  Classe  sind  das  Werk  spä-  weit  späterer  Zeit  stammte, 

terer  Restaurationen.  3  Bzovius,  Annal.  ad  1303;  XIV  51  ff. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  651 

außer  mit  zwei  schwarzen  auch  mit  sechs  roten  Kreuzen  verziert1.  Die 
Kreuze  auf  den  Palliumfragraenten  im  Trierer  Dommuseum  bestehen  aus 
rotem  Taft,  diejenigen  des  Heriberts-  und  Annopalliums  aus  tiefblauem,  fast 
schwarzblauem  Brokatell,  die  des  kleineren  der  beiden  Pallien  zu  Arles  aus 
rotseidenem  Damast. 

Daß  man,  wie  später,  so  auch  schon  wenigstens  um  die  Wende  des 
13.  Jahrhunderts  die  herabfallenden  Pallium  streifen  an  den  Enden  mit 
Blei  beschwerte,  beweist  der  Bericht  Grimaldis  über  die  Untersuchung  des 
Grabes  Bonifaz'  VIII.  Es  wird  darin  mitgeteilt,  daß  an  den  beiden  Be- 
hängen des  Palliums,  welches  man  bei  der  Leiche  fand,  unten  ein  mit  schwarzer 
Seide  überzogenes  Bleistückchen  angebracht  gewesen  sei.  Auch  unter  den 
Fragmenten  des  Palliums,  das  man  bei  den  jüngsten  Eestaurationsarbeiten 
im  Trierer  Dom  auf  der  Leiche  des  Erzbischofs  Otto  von  Ziegenheim  (f  1430) 
entdeckte,  befand  sich  ein  ca  0,08  m  langes,  mit  schwarzer  Seide  überzogenes 
Bleiplättchen ,  das  als  Endstück  des  vorn  herabfallenden  Bandes  gedient 
hatte.  Es  war  von  rechteckiger  Gestalt.  Von  Fransen,  wie  wir  sie  wohl 
an  den  Enden  des  Palliums  auf  den  Bildwerken  antreffen,  war  keine  Spur 
an  seiner  Bekleidung  zu  entdecken. 

Ein  unten  sich  abrundendes  Schlußstück,  also  ein  Schlußstück  von  der 
Form,  wie  sie  heute  demselben  eigen  ist,  treffen  wir  bereits  beim  Grabmal 
Sixtus'  IV.  in  St  Peter  und  einige  Dezennien  früher  beim  Grabmonument  des 
Erzbischofs  Gabriel  Sforza  (f  1457)  im  Baptisterium  von  S.  Maria  Incoronata 
zu  Mailand  an.  Es  wären  demnach  die  Fransen,  welche  sich  noch  das  ganze 
16.  Jahrhundert  hindurch  auf  den  Denkmälern  der  Mainzer  Erzbischöfe  an 
dem  Pallium  finden,  wohl  nur  eine  künstlerische  Freiheit. 

Die  Nadeln,  mit  denen  man  das  Pallium  an  der  Planeta  festheftete, 
blieben,  auch  als  das  Ornatstück  aufgehört  hatte,  ein  loser  Bandstreifen  zu 
sein.  Vielleicht,  daß  sie  noch  bis  zum  12.  Jahrhundert  zur  Befestigung  der 
Insignie  gedient  haben2.  Kaum  hundert  Jahre  später  scheinen  sie  jedoch 
bereits  alle  praktische  Bedeutung  eingebüßt  zu  haben3.  Jedenfalls  waren  sie 
um  den  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  bereits  zu  einem  bloßen  Schmuckstück 
geworden.  Denn  der  14.  Ordo  gebietet  ausdrücklich,  dafür  zu  sorgen,  daß 
die  Spitze  der  Nadel  in  keiner  Weise  die  Planeta  berühre4. 

Nach  Bruno  von  Segni  sollen  vor  alters  an  der  Kasel  Ösen  (ansulae) 
zur  Aufnahme  der  Nadeln  angebracht  gewesen  sein.  Umgekehrt  versah  man  in 
der  Neuzeit,  seitdem  das  Ornatstück  nicht  mehr  an  der  Kasel  befestigt  wurde, 
die  Insignie  selbst  mit  einer  besondern  Vorrichtung  zum  Durchstecken  der 
spinulae.  Verstehen  wir  die  Angaben  des  14.  Ordo  recht,  so  befand  sich 
eine  solche  auch  schon  zur  Zeit  der  Abfassung  desselben  am  Pallium.  Auf- 
fallend ist,  daß  auf  den  Bildwerken  des  Mittelalters  die  Nadeln  im  ganzen 
nur  selten  vorkommen.  Sollen  wir  daraus  schließen,  daß  sie  tatsächlich  mehr 
der  Theorie  wie  der  Praxis  angehörten? 


1  P  e  r  t  s  c  li ,  De  origine,  usu  et  auctoritate  einem  runden  Kopf  und  einem  kostbaren  Stein 
pallii  21.  versehen.     Der   ordo  12   spricht   von    einem 

2  Bruno  Sign.,  Tract.  de  sacr.  eccl.  Hyazinthe;  die  Nadeln,  'welche  man  im  Grab 
(M.  165,  1107J :  Acus  ad  planetam  palliumque  Bonifaz'  VIII.  fand,  waren  mit  einem 
iungendum  inventae  sunt.  Saphir  geschmückt.    Das  Inventar  des  päpst- 

3  Ordo  12,  c.  48  (M.  78,  1098)  und  Inno-  liehen  Schatzes  von  1295  erwähnt  Nadeln  mit 
zenz  III.  scheinen  das  anzudeuten.  Nach  beiden  Granaten,  Rubinen,  Saphiren,  Perlen  u.  a. 
waren  die  Nadeln  aus  Gold  verfertigt  und  mit  i  C.  53  (M.  78,   1157). 


652 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


VIII.  URSPRUNG  DES  PALLIUMS. 

Eine  schon  von  de  Marca,  Thomassin  u.  a.  und  neuerdings  wieder  von 
Duchesne1  vertretene  Ansicht  sieht  in  dem  Pallium  eine  von  Konstantin 
bzw.  einem  seiner  Nachfolger  dem  Bischof  von  Rom  verliehene 
Insignie.  Es  soll  eine  Art  von  Nachahmung  des  durch  Verbildung  der  alten 
Toga  entstandenen  Umwurfes  sein,  der  mehr  als  ornamentale  Zutat  und 
Insignie  denn  als  eigentliches  Gewand  im  4.,  5.  und  6.  Jahrhundert  den 
obersten  Bestandteil  der  konsularen  Tracht  bildete2.  Die  Konsulardiptychen 
aus  jener  Zeit  weisen  genug  Beispiele  desselben  auf.  Hier  der  alten  Toga 
noch  sehr  ähnlich,  wurde  er  später,  seitdem  man  ihn  im  Übermaß  mit  Sticke- 
reien und  Steinen  belud,  zu  einem  breiten  Streifen,  der  kaum  mehr  an  das 
klassische  Römergewand  erinnerte,  von  dem  er  ausgegangen  war.  Er  erhielt  in 
dieser  Form  den  bezeichnenden  Namen  lorum.  Die  Bildwerke  des  7.  und 
der  folgenden  Jahrhunderte  liefern  zahlreiche  Beispiele  des  Gewandes  in 
diesem  seinem  letzten  Verbildungsstadium.  Insbesondere  pflegen  die  beiden 
Himmelsfürsten  Michael  und  Gabriel  regelmäßig  mit  dem  Lorum  dargestellt 
zu  werden,  und  zwar  nicht  bloß  in  der  byzantinischen  Kunst,  sondern  in 
Nachahmung  byzantinischer  auch  auf  abendländischen  Darstellungen. 

Man  begründet  die  Theorie  durch  den  Hinweis  auf  eine  angebliche 
Ähnlichkeit  zwischen  dem  genannten  konsularen  Umwurf  und  dem  Pallium 
und  durch  die  Berufung  auf  das  Constitutum  Konstantins  und  die  angebliche 
Verpflichtung  der  Päpste,  bei  Palliumverleihungen  die  Genehmigung  des  Kaisers 
einzuholen. 

Allein  bezüglich  der  Berufung  auf  das  Constitutum  Konstantins  bemerkt  Grisar 
mit  Recht:  „Nur  infolge  einer  großen  Überschätzung  der  sog.  Konstantinischen  Schen- 
kung kann  man  in  diesem  Dokumente  eine  Bestätigung  der  Ansieht  sehen  wollen."  3  In 
der  Tat,  eine  Fiktion,  wie  sie  der  Urheber  der  Fälschung  ersann,  entspricht  aller- 
dings der  auch  in  weltlicher  Beziehung  hochbedeutenden  Stellung,  welche  die  Päpste 
zu  seinen  Lebzeiten  in  der  christlichen  Völkerfamilie  einnahmen.  In  den  Beginn  des 
4.  Jahrhunderts  paßt  dagegen  die  angebliche  Begabung  des  Papstes  mit  Krone,  Phry- 
gium,  Lorum  und  sonstigen  kaiserlichen  Gewandstücken  in  keiner  Weise. 

Über  die  Pflicht  des  römischen  Stuhles,  den  kaiserlichen  Konsens  zu  einer  Ver- 
leihung des  Palliums  nachzusuchen,  ist  früher  mehr  als  genug  gesagt  worden.  Was  aber 
die  Ähnlichkeit  zwischen  dem  Pallium  einerseits  und  dem  in  Frage  kommenden  Um- 
wurf auf  den  Monumenten  anderseits  in  Bezug  auf  Form  und  Beschaffenheit  anlangt, 
so  ist  dieselbe  denn  doch  zu  geling,  um  daraus  den  Schluß  ziehen  zu  können,  das 
Pallium  stamme  von  kaiserlicher  Bewilligung  her.  Man  vergleiche  nur  einmal  letzteres, 
wie  es  uns  auf  den  ältesten  Darstellungen  begegnet  —  und  wir  haben  keinen  Grund, 
für  die  frühere  Zeit  einen  wesentlichen  oder  auch  nur  größeren  Wechsel  in  Bezug  auf 
das  Aussehen  anzunehmen  — ,  etwa  mit  der  Toga  des  Felix  (Bild  140,  S.  301)  oder 
des  Anonymus  (Bild  257,  S.  518)  usw.  auf  deren  Diptychen.  Indessen  eine  wirkliche 
Ähnlichkeit  einmal   zugegeben,    so  könnte  daraus    doch   höchstens   folgen,    es   sei  die 


1  Orig.  385 :  Cet  insigne  parait  remonter 
ä  une  concession  imperiale. 

2  Das  Verdienst,  das  Ornatstück  als  eine 
Umbildung  der  Toga  nachgewiesen  zu  haben, 
gebührt  Wilpert,  der  fnfiend  auf  den  Unter- 
suchungen des  Baron  Kanzler  über  die  Ent- 
wicklung der  Toga  die  Konsulardiptychen 
einer  eingehenden  Erforschung  bezüglich  der 
Tracht  der  Konsuln  unterzog.  Er  hat  die 
Ergebnisse  in  der  ersten  Studie  seiner  Schrift 


Uli  capitolo  di  storia  del  vestiario  nieder- 
gelegt. Ein  eigentliches  Gewand  im  Sinn  der 
alten  römischen  Toga  kann  der  Überwurf  wohl 
nicht  mehr  genannt  werden.  Als  Oberkleid 
war  an  Stelle  der  letzteren  vielmehr  die  Dal- 
matik  getreten.  Wilpert  bezeichnet  den  Um- 
wurf mit  Recht  als  quasi  im  accessorio  orna- 
mentale (Cap.  8). 

3  Das  römische  Pallium  n.  4  (Festschrift  zum 
1100jährigen  Jubiläum  des  Campo  Santo  101). 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  653 

Einführung  des  Palliums  nach  dem  Vorbilde  des  eine  Art  von  konsularischer  Insignie 
darstellenden  profanen  Ornatstücks  erfolgt,  auf  keinen  Fall  aber,  sie  sei  auf  eine  Be- 
willigung durch  den  Kaiser  zurückzuführen. 

Die  Theorie,  welche  den  Kaiser  als  den  Urheber  des  päpstlichen  Palliums  be- 
trachtet, ist  indessen  nicht  nur  ganz  unbegründet,  sie  entspricht  auch  keineswegs  den 
tatsächlichen  Verhältnissen. 

Das  Pallium  tritt  stets  als  durchaus  liturgisches  Gewandstück  auf,  und  das 
gleichmäßig  in  Rom  wie  in  der  Ostkirche.  Was  hat  aber  der  Kaiser  mit  der  Ein- 
führung eines  Kultuszwecken  vorbehaltenen  Ornates  zu  tun?  Wäre  das  Pallium 
ursprünglich  eine  außerkirchliche,  weltliche  Insignie  des  Papstes  gewesen,  ließe  es 
sich  eher  auf  eine  kaiserliche  Verleihung  zurückführen.  Aber  das  war  es  nach  allem, 
was  wir  von  ihm  wissen,  niemals.  „Es  handelt  sich  um  das  Heiligtum  des  Altars, 
um  die  Liturgie,  und  hier  sind  weltliche  Anordnungen  und  Verleihungen  nicht  ohne 
zwingende  Gründe  anzunehmen.1'  l 

Dann  aber  findet  sich  ein  Pallium  nicht  nur  beim  Papste,  es  begegnet  uns 
unter  dem  Namen  omophorion  auch  bei  den  Bischöfen  des  Ostens,  und  zwar  hier 
schon  bei  Isidor  von  Pelusium.  Rührt  etwa  das  Omophorion  der  griechischen  Litur- 
gie auch  von  kaiserlicher  Bewilligung  her?  Und  woher  das  liturgische  Abzeichen  der 
Diakone,  das  uns  unter  dem  Namen  orarium  bereits  im  22.  Kanon  des  Konzils  von 
Laodicea  entgegentritt? 

Endlich  darf  nicht  übersehen  werden,  daß  die  Päpste ,  welche  Metropoliten 
das  Pallium  gewähren,  das  aus  eigenster  Machtvollkommenheit  und  kraft  der  Auto- 
rität des  hl.  Petrus  tun,  und  daß  das  Pallium  ex  benedictione  S.  Petri  kommt.  Ja, 
wenn  noch  die  Päpste  vom  Kaiser  in  der  Verleihung  des  Palliums  abhängig  gewesen 
wären !  Aber  so  verhielt  sich  die  Sache  nicht.  Wie  daher  die  Zuwendung  der  In- 
signie des  Apostolischen  Stuhles  eigenstes  Recht  war,  so  kann  auch  das  Ornatstück 
selbst  nur  dem  Boden  der  Kirche  erwachsen  und  nur  durch  die  maßgebenden  kirch- 
lichen Paktoren  ins  Dasein  gerufen  worden  sein. 

Indessen  berichtet  ja  Agnellus  im  ravennatischen  Pontifikalbuch ,  es  habe 
Valentinian  III.  den  Erzbischof  Johannes  von  Ravenna  und  später  Justinian  den 
Erzbischof  Maximian  mit  dem  Pallium  begabt "-.  Freilich ;  jedoch  ist  weder  das 
eine  noch  das  andere  richtig,  wie,  von  allem  andern  abgesehen,  klar  aus  dem  früher 
besprochenen  Briefwechsel  zwischen  Gregor  d.  Gr.  und  Johannes  und  Marianus  von 
Ravenna  hervorgeht.  Allein  es  verlieh  doch  Konstantius  II.  dem  schismatischen  Erz- 
bischof Maurus  das  Pallium3.  „Also",  so  folgert  Duchesne,  „sprach  sich  der  Kaiser 
das  Recht  zu,  dasselbe  direkt  zu  gewähren."4  Allerdings,  aber  was  haben  die 
Kaiser  nicht  alles  für  sich  in  Anspruch  genommen!  Wenn  sie  sich  das  Recht 
nahmen,  Bischöfe  einzusetzen  oder  zu  verjagen,  so  konnte  sich  Konstantius  noch  viel 
mehr  die  Verleihung  des  Palliums  anmaßen.  Folgt  daraus  aber,  daß  die  Insignie 
in  kaiserlicher  Bewilligung  ihren  Ursprung  habe?  Doch  wohl  ebensowenig,  wie  Ring 
und  Stab  der  Bischöfe  auf  Heinrich  IV.  zurückzuführen  sind,  weil  derselbe  den  An- 
spruch erhob,  mit  Ring  und  Stab  zu  investieren. 

Es  geht  denn  auch  gegenwärtig  die  herrschende  Stimmung  mit  Recht 
durchaus  dahin,  dem  Pallium  einen  kirchlichen  Ursprung  zuzuschreiben, 
wenngleich  über  die  Zeit  sowie  über  das  Warum  und  das  Wie  seiner  Ein- 
führung die  Ansichten  auseinandergehen. 

Eine  Beziehung  des  Palliums  zum  Ephod  des  Alten  Bundes  (und 
dem  damit  verbundenen  Brustschmuck,  Xöyiov,  rationale)  betonen 
schon   mittelalterliche   Liturgiker5,   ohne   es   indessen   förmlich   von   ihm   ab- 


1  Cirisar,  Das  röm.  Pallium  (a.a.O.  100).  3  Ebd.  n.  110  112  (349  350). 

2  Lib.  pont.  ravennat.  n.  40  70  (M.  G.  SS.  *  Orig.  385. 

Langob.  305  326).  5  Ex.28,9if;  39,2ff.  Flav.Ios.  Antiq.111,7. 


654  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

zuleiten.     Sie   sehen   in   ihm   vielmehr   lediglich   ein   Gegenstück   des    hohen- 
priesterlichen Schulterschmuckes. 

Es  ist  in  der  Tat  an  eine  wirkliche  Herübernahme  des  alttestamentlichen 
Epliod  nicht  zu  denken.  Dem  widerspricht  alles,  was  wir  in  Bezug  auf  seine  Form 
und  Beschaffenheit  wissen.  Und  warum  hat  man  bloß  den  Ephod,  nicht  aber  auch 
die  Brustplatte  dem  jüdischen  Kultus  entlehnt  ?  Warum  fehlt  ferner  jeder  Hinweis 
auf  das  Pallium,  wenn  z.  B.  Hieronymus  oder  Gregor  d.  Gr.  weitläufig  die  Bedeutung 
des  alttestamentlichen  Superhumerale  erörtern  ?  '  Es  könnte  das  jüdische  Sakral- 
schulterkleid höchstens  insofern  der  Anstoß  zur  Einführung  der  Insignie  gewesen  sein, 
als  es  den  Gedanken  an  die  Schaffung  eines  liturgischen  Schulterschmuckes  des  christ- 
lichen Hohenpriesters,  des  Papstes,  angeregt  hätte.  Indessen  mangelt  selbst  dafür 
jeglicher  Anhaltspunkt. 

Andere  haben  das  römische  Pallium  von  einem  Mantel  des  hl.  Pe- 
trus abzuleiten  gesucht,  der  das  Oberhirtenamt  desselben  symbolisierte2. 
Derselbe  soll  von  dem  hl.  Petrus  seinem  Nachfolger  Liuus  hinterlassen  und 
dann  von  diesem  und  den  folgenden  Päpsten  benutzt  worden  sein.  Vielleicht 
auch,  daß  man  Stücke  von  ihm  abschnitt  und  andern  gab.  So  oder  durch 
Verschleiß  oder  sonst  in  einer  Weise,  sagt  man,  ging  jedoch  das  Gewandstück 
im  Lauf  der  Zeit  verloren.  Inzwischen  aber  hatte  sich  die  Sitte,  das  Pallium 
des  Apostelfürsten  zu  tragen  und  andern  davon  mitzuteilen,  so  eingewurzelt, 
daß  man  sie  nicht  mehr  darangeben  konnte ;  man  soll  darum  als  Ersatz 
für  das  pallium  Petri  ein  anderes  in  Gebrauch  gezogen  bzw.  versendet 
haben.  Will  man  dem  Verfasser  des  Artikels  „Pallium"  im  Kirchenlexikon 
glauben,  so  wäre  diese  Meinung  jetzt  ziemlich  allgemein  angenommen;  indessen 
ist   sie  in  Wirklichkeit  ebensowenig  allgemein  wie  begründet. 

Zwar  bringt  Vespasiani,  ihr  Hauptvertreter ,  eine  lange  Reihe  von  Beweisen 
für  sie  vor,  allein  unter  allen  ist  keiner,  der  sie  auch  nur  halbwegs  wahrscheinlich 
machte.  Was  soll  es  z.  B.,  wenn  Vespasiani  sich  auf  Elias  beruft,  der  Elisäus  seinen 
Mantel  hinterließ3?  Was  seine  Bezugnahme  auf  zwei  Zeugnisse  für  die  Kirchen  von 
Jerusalem  und  Alexandrien,  die  noch  zudem  von  sehr  zweifelhaftem  Werte  sind,  auf 
die  Acta  S.  Materni  und  eine  auf  legendarischen  Quellen  beruhende  Notiz  bei  Rupert 
von  Deutz?  Und  nun  erst  die  Beweise  aus  gewissen  Äußerungen  päpstlicher  Schreiben, 
in  welchen  gesagt  wird,  das  Pallium  werde  verliehen  apostolorum  principis  solatio, 
ex  benedictione  S.  Petri  apostoli,  oder  es  komme  de  corpore  beati  Petri;  aus  der 
Segnung  des  Ornatstückes;  aus  der  Weise,  wie  der  Papst  die  Insignie  nach  seiner  Weihe 
annimmt ;  aus  der  Farbe,  dem  Stoff  und  den  Kreuzen  des  Palliums ;  aus  dem  Vorgehen 
des  Apostolischen  Stuhles  bei  Palliumverleihungen ;  aus  der  Praxis  der  Orientalen  und 
gar  aus  dem  Ursprung  der  Kasel,  welche  nach  Vespasiani  ebenfalls  von  dem  Pallium 
Petri  herzuleiten  ist.  Noch  am  bedeutungsvollsten  sind  scheinbar  zwei 'Belege,  die 
aus  einem  dem  Eusebius  von  Cäsarea  zugeschriebenen  Sermo  über  Epiphanie  und 
einer  angeblichen  Rede  des  hl.  Maximus  De  veste  sacerdotali  herrühren  sollen.  Wir 
sagen  scheinbar;  denn  erstens  spricht  in  Wirklichkeit  keine  derselben  von  einem 
Mantel  des  hl.  Petrus ;  das  pallium,  von  dem  sie  reden,  ist  vielmehr  das  pontitikale 
Pallium.  Zweitens  aber  sind  beide  Stellen  höchst  zweifelhafter  Herkunft  und 
darum  wertlos  '. 


1  Ep.  64    ad   Fabiol.  n.   15    (M.  22,    615).  3  3  Kg  19,  19. 

Gregor  M.,  In  lob  1.  28,  c.  5  (M.  76,  455);  *  Vespasiani  hat  die  beiden  Stellen  Cata- 

eiusd.  Regulae  past.  pars  2,  c.  2  3  4  (M.  77,  lanisKommentarzumrömischenCaeremoniale 

27  ff);  Epist.  1.  1,  n.  24  (M.  G.  Epp.  I  28).  (edit.    Rom.    1750)    342,    entlehnt,  während 

2  Vespasiani,  De  sacri  pallii  origine  dieser  sie  aus  Christ.  Marcelli,  Sacr. 
34  ff  66.  Es  genügt  zur  Charakterisierung  caerem.  1.  1,  sect.  5,  c.  10  (bei  Hoffmann, 
dieser  Theorie  und  ihrer  Bedeutung  fast,  Nova  scriptorum  ac  monument.  collectio  II 
dieselbe  wiederzugeben.  423)  genommen  hat.     Bei  Marcellus  werden 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  655 

Weder  das  christliche  Altertum  noch  das  Mittelalter  weiß  etwas  von  dem 
sagenhaften  Mantel  des  Apostelfürsten.  „Zu  Rom  hatte  man",  soviel  bekannt  ist, 
„als  Erbe  Petri  nur  dessen  Kathedra,  und  die  Übertragung  der  Vollmachten  des 
Apostels  an  den  neuen  Papst  wurde  unter  anderem  durch  die  Besitzergreifung  von 
diesem  Stuhle  ausgedrückt."1  Der  Mantel  Petri  gehört  erst  dem  19.  Jahrhundert  an. 
Die  Theorie,  welche  von  ihm  das  päpstliche  Pallium  herleitet,  mag  geistreich  sein ; 
doch  ist  sie  darum  nicht  auch  schon  begründet  und  wahr. 

Eine  dritte  Ansicht  leitet  das  Pallium  von  einem  sakralen  Mantel- 
pallium  ab,  dessen  sich  ursprünglich  die  Päpste  bedient  haben  sollen.  Garrucci, 
der  dieselbe  vertritt2,  will  dieses  angebliche  pallium  sacrum  auf  einigen 
Goldgläsern  gefunden  haben.  Die  Umbildung  des  Mantels  zum  späteren  Pallium 
hätten  wir  uns  ihm  zufolge  etwa  in  folgender  Weise  vorzustellen.  Zunächst 
ging  man  dazu  über,  das  Gewand  zu  einer  Art  von  Streifen  zusammenzu- 
falten. Dann  änderte  man  die  Anlegeweise  dahin,  daß  man,  anstatt  beide  Enden 
über  die  Brust  herabfallen  zu  lassen ,  das  rechte  zur  linken  Schulter  führte 
und  über  diese  zum  Rücken  warf.  Endlich  ersetzte  man  den  durch  Zu- 
sammenfaltung des  Mantels  gebildeten  Streifen  durch  ein  einfaches  Band. 
Die  Theorie  hört  sich  gut  an,  leider  ruht  sie  auf  mehr  denn  unsichern 
Fundamenten. 

Von  dem  angeblichen  sakralen  Mantelpallium  des  Papstes  findet  sich  keine 
Spur  vor.  Es  ist  nichts  als  eine  Fiktion.  Das  Gewandstück  auf  einigen  Goldgläsern, 
in  dem  Garrucci  es  wiederzuerkennen  meinte,  ist  kein  sakraler  Ornat,  sondern  die 
lacerna  des  gewöhnlichen  Lebens.  Es  sind  nicht  bloß  Päpste  auf  den  vetri  mit  ihm 
dargestellt,  sondern  auch  Christus,  Apostel,  zumal  Petrus  und  Paulus,  ein  Timotheus, 
Damas,  Dion,  Ursus,  Demetrius  und  die  hl.  Agnes  3. 

Auch  die  Behauptung,  es  sei  das  Mantelpallium  im  Verlauf  der  Entwicklung 
zu  einem  Streifen  zusammengefaltet  worden ,  entbehrt  jeder  Begründung  und  ist  bloße 
Hypothese. 

Allerdings  weist  Garrucci  unter  Verweis  auf  Tertullian  auf  den  Brauch  hin, 
die  Läna  (wie  er  sagt,  richtig  die  Toga)  streifenartig  zusammenzufalten.  Allein  er 
beachtet  nicht,  daß,  wie  die  Bildwerke  beweisen,  hierbei  nur  ein  Teil  des  Gewandes 
zu  einem  Streifen  zusammengelegt  wurde,  während  der  andere  in  losen  Falten  den 
Körper  umschlang.  Ist  ja  noch  auf  den  Konsulardiptychen  des  6.  Jahrhunderts,  also 
zu  einer  Zeit,  da  doch  das  Pallium  sich  als  ganz  und  gar  streifenartiges  Ornatstück 
gibt,  die  Toga  trotz  aller  mit  ihr  vorgegangenen  Veränderungen  ein  wirkliches  Tuch 
von  nicht  geringer  Breite,  das  nur  etwa  in  seiner  ersten  Hälfte  zu  einer  Art  von 
Band  zusammengeschlagen  ist,  im  übrigen  aber  frei  den  Körper  umzieht  und  in 
natürlichem  Faltenwurf  dem  rechten  Arm  aufliegt. 

Dann  aber  liegt  auf  der  Hand,  daß  aus  einer  Veränderung,  welche  mit  der 
Toga  vor  sich  ging,  keineswegs  ohne  weiteres  geschlossen  werden  kann,  dieselbe  sei 
auch  bei  dem  Mantelpallium  in  Brauch  gekommen.  Das  wäre  vielmehr  offenbar  nur  dann 
zulässig,  wenn  die  gleichen  oder  doch  verwandte  Gründe  für  einen  solchen  Wechsel 
vorlagen.  Die  Sitte,  das  eigentliche  Staatskleid  des  römischen  Bürgers  in  bestimmte 
Falten  zu  legen,  ging  aus  dem  Bestreben  hervor,  dasselbe  prunkvoller  zu  gestalten. 
Man  war  mit  der  alten,  einfacheren  Togaform  nicht  mehr  zufrieden.  Daher  die  neue, 
verzwickte  Weise,  das  Gewand  anzulegen,  welche  Tertullian   mit  so  beißendem  Spott 


sie    leider   nur   so   zitiert:    Maximus    ep.    in  Frühe    unseres    Jahrtausends    hinaufreichen 

homilia    de    veste    sacerdotali    und    Eusebii  dürften. 

Caesareensis  in  sermone  de  Epiphania.    Wir  '  Grisar,  Das  römische  Pallium  (a.  a.  0. 

haben  weder  die  eine  noch  die  andere  dieser  109).             2  Garr.  I  96  106. 

Stellen    irgendwo    entdecken    können.      Bei  3  Ebd.  tav.  179  ff.    Vgl.  ferner  oben  S.  611. 

beiden  haben  wir  es  zweifellos  mit  unechten,  Häufig  tragen  auch  die  drei  Magier  auf  den 

späten    Stücken    zu    tun,    die    kaum    in    die  altchristlichen  Bildwerken  den  Mantel  (I  94). 


656 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


und  köstlichem  Humor  geißelt.  Bestanden  die  gleichen  oder  ähnliche  Tendenzen  auch 
bezüglich  des  sakralen  Mantelpalliums  ?  Wenn  nicht,  und  es  dürfte  das  wohl  niemand 
behaupten  können,  so  läßt  sich  offenbar  von  der  Toga  kein  Schluß  auf  das  Pal- 
lium ziehen. 

Vielleicht  hat  aber  die  Rücksicht  auf  Bequemlichkeit  oder  die  Einführung  der 
Pänula  als  Obergewand  bei  ihm  dasselbe  veranlaßt,  was  bei  der  Toga  Prunkliebe  zu- 
wege brachte.  Vielleicht,  aber  was  beweisen  bloße  Möglichkeiten?  Man  kann  doch  nicht 
Hypothesen  mit  Hypothesen  glaubhaft  machen ;  am  allerwenigsten,  wenn  letztere,  wie 
es  hier  der  Fall  ist,  aller  Wahrscheinlichkeit  entbehren.  Oder  ist  es  wahrscheinlich, 
daß  man  zu  einer  Zeit,  in  welcher  man  die  lange  Ärmeltunika  in  Gebrauch  nahm 
und  die  Toga  zu  einer  Bürde  machte,  aus  Bequemlichkeit  einen  Wechsel  in  der  An- 
legungsweise des  heiligen  Mantelpalliums  vorgenommen  habe  ?  Bequemlichkeitsrück- 
sichten fingen  erst  in  weit  späterer  Zeit  an,  sich  in  Bezug  auf  Schnitt  und  Be- 
schaffenheit der  geistlichen  Gewandung  geltend  zu  machen. 

Auch  die  Einführung  der  Pänula  (Planeta)  als  Obergewand  konnte  kein  Grund 
für  die  Veränderung  sein,  da  ein  Mantel,  wie  er  uns  auf  den  Goldgläsern  begegnet, 
sehr  wohl  über  der  Planeta  getragen  werden  konnte.  Ja  es  ist  nicht  einmal  abzu- 
sehen, wie  die  Pänula  beim  Papst  als  Oberkleid  in  Brauch  kommen  konnte,  falls  es 
bei  ihm  das  angebliche  heilige  Mantelpallium  gab ;  zumal  dann,  wenn  beide  Gewänder 
miteinander  nur  schwer  verträglich  waren.  Es  liegt  doch  auf  der  Hand,  daß  der 
Papst  eher  auf  die  so  ganz  bedeutungslose  Pänula  verzichtet  haben  würde,  als  daß 
er  das  altehrwürdige  Pallium  einer  so  gründlichen  Änderung  unterzogen  hätte. 

Endlich  aber  erklärt  die  Hypothese  nicht,  warum  es  zu  einer  Anlegungsweise 
kam,  bei  der  von  den  beiden  Enden  des  Palliums  eines  vor  der  Brust,  das  andere 
auf  den  Bücken  herabfiel,  während  das  heilige  Mantelpallium  der  Theorie  Garruccis 
nach  Art  des  Pluviale  der  Schulter  auflag  und  vom  auf  der  Brust  mit  einer  Spange 
geschlossen  wurde.  Hätte  es,  wenn  die  Hypothese  richtig  wäre ,  nicht  zu  einer 
Tragweise  kommen  müssen,  wie  sie  bei  der  Priesterstola  üblich  ist? 

Das  einzige,  was  scheinbar  für  die  Theorie  spricht,  ist  der  Name  pallium.  In- 
dessen schwindet  auch  diese  Stütze,  sobald  man  sich  einmal  etwas  näher  nach  dem 
Sinne  des  Wortes  pallium  umsieht.  Allerdings  verstand  man  unter  pallium  auch  einen 
TJmwurf,  einen  Mantel,  indessen  hatte  das  Wort  noch  verschiedene  sonstige  Bedeu- 
tungen. Es  diente  zur  Bezeichnung  eines  kleineren  Schultertuches,  eines  Kopftuches, 
des  Handtuches,  der  Bettdecke,  eines  Vorhanges ;  ja  es  war  selbst  Stoffname,  ge- 
rade wie  unser  „Tuch",  das  überhaupt  in  allen  genannten  Bedeutungen  ein  vorzüg- 
liches Gegenstück  zu  pallium  darstellt.  Wie  wenig  ausschließlich  das  Mantelpallium 
unter  dem  Wort  pallium  zu  verstehen  ist,  beweisen  namentlich  die  pallia  discolora, 
mit  denen  nach  des  Theodosius  Kleideredikt  die  Exekutivbeamten  ihre  Brust  be- 
decken sollten ,  ut  conditionis  suae  necessitatem  ex  huiusmodi  agnitione  testentur  '. 
Denn  diese  über  der  paenula  auf  der  Brust  angebrachten,  in  ihrer  Farbe  von  der- 
jenigen des  Obergewandes  abstehenden  pallia  können  doch  wohl  nur  als  Abzeichen 
von  der  Art  der  -ocßAca,  d.  i.  als  rechteckige  Zeugstücke  aufgefaßt  werden.  Der  Grund- 
bedeutung  nach   bezeichnete   pallium,    wie   Wilpert    mit   Recht    bemerkt2,    allgemein 


1  S.  oben  S.  245.  Wegen  der  räßXia  vgl. 
S.  250.  Auch  Wilpert,  der  früher  (Cap. 
13  ff;  Gew.  48)  in  den  pallia  discolora  ein 
zu  einem  Streifen  zusammengefaltetes,  um 
Brust.  Schulter  und  Rücken  geschlungenes 
Zeugstück  sah ,  also  ein  Gegenstück  des 
päpstlichen  Palliums  nach  dessen  ursprüng- 
licher Form ,  hat  sich  neuerdings  für  die 
obige ,  von  uns  schon  in  „Die  pontifikalen 
Gewänder  des  Abendlandes"  (Freiburg  1898) 
S.  173  vertretene  Auffassung  entschieden 
(Bessarione  X  215).   Doch  geht  es  nicht  an, 


unter  der  paenula  der  Exekutivbeamten,  von 
welchen  das  Dekret  spricht,  die  chlamys  zu 
verstehen.  Denn  nur  wenige  Zeilen  vorher 
wird  iu  der  gleichen  Verordnung  ausdrücklich 
die  paenula  von  der  chlamys  unterschieden : 
Nullus  senatorum  habitum  sibi  vindicet  mili- 
tarem,  sed  chlamydis  terrore  deposito  quieta 
coloborum  ac  paenularum  indnat  vestimenta. 
Wenn  hier  chlamys  und  paenula  mit  aller 
Bestimmtheit  einander  entgegengesetzt  wer- 
den, dann  können  beide  unmittelbar  nachher 
unmöglich  identisch  sein.  -  Cap.  p.  47. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  657 

ein  Stück  Stoff ;  aus  ihr  entwickelten  sich  alle  übrigen.  Angesichts  dieses  Tatbestandes 
liegt  es  aber  auf  der  Hand,  daß  aus  dem  Worte  pallium  nicht  geschlossen  werden 
kann,  das  Pallium  sei  ursprünglich  ein  Mantel  gewesen.  Nur  das  eine  läßt  sich  allen- 
falls aus  ihm  folgern,  daß  es  ursprünglich  ein  Stück  Zeug  und  nicht  ein  bloßes  Band 
darstellte.  Zur  Stütze  der  Theorie  Garruccis  ließe  sich  das  Wort  pallium  nur  dann 
verwerten,  wenn  es  einzig  die  ganz   konkrete  Bedeutung  „Mantel"  gehabt  hätte. 

Eine  vierte  Theorie  hat  Wilpert  aufgestellt.  Sie  schließt  sich  in- 
sofern an  diejenige  Garruccis  an,  als  auch  sie  das  heilige  Pallium  aus 
einem  Mantel  sich  entwickeln  läßt,  weicht  aber  von  jener  darin  ab,  daß  sie 
das  heilige  Mantelpallium,  welches  nach  Garrucci  die  Päpste  ursprünglich  ge- 
tragen haben  sollen,  aufgibt  und  statt  seiner  das  gewöhnliche  Mantelpallium 
zum  Ausgangspunkt  nimmt.  Im  vierten  Jahrhundert  soll  es  Mode  geworden 
sein,  dieses  Pallium,  „das  in  der  Kirche  stets  als  ein  Gewand  der  Auszeichnung 
und  Würde  (un  abito  di  sommo  onore  e  dignitä)  gegolten  habe" 1,  zu  einem 
Streifen  zusammenzufalten,  ähnlich  wie  es  bei  der  Toga  und  der  Palla  der 
Frauen  allmählich  Brauch  geworden.  Ihren  Grund  soll  diese  Änderung  darin 
gehabt  haben,  daß  damals  an  Stelle  des  Palliums  ein  anderer  ebenso  würdiger 
als  zweckmäßiger  Mantel  in  Gestalt  der  Pänula  in  Aufnahme  kam.  Durch 
dieses  neue  Gewand  wurde  das  Pallium,  wie  Wilpert  sagt,  als  wirkliches 
Kleidungsstück  überflüssig;  man  habe  es  aber  nicht  ganz  beiseite  legen 
können,  da  es  bis  dahin  in  der  Kirche  als  das  ehrenvollste  Gewand  gegolten. 
So  habe  man  es  denn  zu  einem  Streifen  zusammengefaltet  und  in  einer  durch 
die  Form  der  Pänula  bedingten  etwas  veränderten  Weise  um  die  Schultern 
geschlagen.  In  dieser  Gestalt  vorzugsweise  auf  den  Schultern  ruhend ,  sei 
es  treffend  von  den  Griechen  ebp.op6pwv  genannt  worden.  Die  Umbildung 
des  Mantelpalliums,  wie  sie  Wilpert  schildert,  soll  sich  in  der  zweiten  Hälfte 
des  4.  Jahrhunderts  vollzogen  haben2.  Die  Theorie  ist  scharfsinnig  und 
klingt,  wie  wir  gern  gestehen,  ungemein  ansprechend  und  überzeugend.  Nichts- 
destoweniger sehen  wir  uns  außer  stände,  die  Ansicht  des  so  ausgezeichneten 
und  hochverdienten  Gelehrten  zu  teilen. 

Zunächst  kann  man  nämlich  doch  wohl  keineswegs  behaupten,  es  sei  das  Pallium 
in  der  Kirche  schon  seit  dem  2.  Jahrhundert  als  abito  di  sommo  onore  e  dignitä 
betrachtet  worden.  Welchen  Anhaltspunkt  gibt  es  hierfür  hinsichtlich  der  Anschauung 
der  Kirche  des  Ostens?  Keinen.  Oder  will  man  etwa  als  Beweis  anführen,  daß 
sich  das  Omophorion  3  der  griechischen  Bischöfe  aus  dem  Pallium  entwickelt  habe? 
Aber  das  wäre  ja  ein  Zirkel ;  denn  das  ist  es  doch  gerade,  was  nachgewiesen  werden  soll. 

In  Afrika  war  das  Mantelpallium  jedenfalls  kein  Gewand  der  höchsten  Ehre 
und  Auszeichnung  bei  den  Christen.  Es  ergibt  sich  das  mit  aller  Deutlichkeit  aus 
der  um  193  abgefaßten  Schrift  Tertullians  De  pallio  *,  in  welcher  dieser  seinen  Lands- 
leuten mit  feinem  Witz  und  übertriebenen  Hymnen  das  Pallium  anstatt  der  Toga 
als  Obergewand  anpreist.  Zwar  war  selbiges  damals  den  Christen  keineswegs  mehr 
fremd,  vielmehr  stand  es  auch  bei  ihnen  schon  in  Gebrauch.  Indessen  war  es  so 
wenig  ein  spezifisch  christliches  oder  auch  nur  bei  den  Christen  in  besonderem  An- 
sehen stehendes  Gewand,    daß  vielmehr,  wie  Tertullian    zum  Preise  des  Palliums  mit 


1  Wilp.  a.  a.  0.  30;  vgl.  Gew.  47:  „Von  Tertullian  das  Christentum  angenommen  hatte, 
dem  Pallium  wissen  wir,  daß  es  in  der  Kirche  Die  Veranlassung  zu  ihrer  Abfassung  war 
schon  seit  dem  2.  Jahrhundert  als  ein  6  e-  der  Spott ,  den  er  sich  dadurch  zugezogen 
wand  der  Auszeichnung  und  Würde  hatte,  daß  er  die  Toga  mit  dem  bei  den  Philo- 
in  Gebrauch  war."  sophen   beliebten    Pallium  vertauscht   hatte. 

2  Wilp.,  Cap.  24  ff;  Gew.  47  ff;  Kat.  74.  Es  geschah  das  wahrscheinlich  gelegentlich 

3  Über  dessen  Ursprung  vgl.  S.  672  f.  seines  Übertrittes  zum  Christentum  (Kirchen- 

4  Die  Schrift  entstand  wohl  bald,  nachdem  lex.  XI2  1397  f). 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  42 


658 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insisnien. 


großem  Wortschwall  hervorhebt,  seiner  sich  alle  zu  bedienen  pflegten,  welche  irgend- 
wie den  freien  Künsten  oblagen,  die  Philosophen,  Grammatiker,  Ehetoren,  Sophisten, 
Arzte,  Dichter,  Musiker,  ja  selbst  die  Astrologen  und  Augurn1. 

Aber  auch  für  Rom  ist  der  Beweis  noch  nicht  geliefert  worden,  daß  das  Pal- 
lium daselbst  bei  den  Christen  als  Gewand  der  höchsten  Ehre  und  Würde  gegolten 
habe.  Wilpert  weist  freilich  auf  die  Katakombenmalereien  hin.  Allein  richtig  ist 
unseres  Erachtens  nur,  daß  auf  ihnen  das  Mantelpallium  als  ein  Gewand  besserer 
Klassen  und  höher  stehender  Personen  erscheint.  Daß  auf  ihnen  die  Fossores  und 
andere  gewöhnliche  Leute  ohne  dasselbe  dargestellt  werden,  ist  ebenso  natürlich,  wie 
daß  der  gute  Hirt  ohne  Pallium  auftritt.  Pflegt  man  doch  auch  heute  noch  in  den 
niedern  Ständen  keinen  Paletot  zu  tragen.  Wem  wird  es  darum  aber  einfallen, 
diesen  als  abito  di  sommo  onore  e  dignitä  zu  bezeichnen? 

Und  dann  sehen  wir  ja  auch  Personen,  wie  die  nichtswürdigen  Altesten  in  den 
Susannaszenen,  mit  dem  Pallium  bekleidet,  während  der  Bischof  bei  der  „Einkleidung 
einer  gottgeweihten  Jungfrau"  kein  Pallium,  sondern  eine  Pänula  trägt.  Namentlich 
diese  letzte  Darstellung  dürfte  denn  doch  deutlich  beweisen,  wie  wenig  zur  Zeit  ihrer 
Entstehung,  d.  i.  im  8.  Jahrhundert,  das  Pallium  als  abito  di  sommo  onore  e  dignitä 
galt.  Übrigens  gesetzt  einmal ,  es  sei  wirklich  das  Pallium  zu  Rom  und  darum 
wohl  überhaupt  in  Italien  als  ein  Gewand  der  höchsten  Ehre  und  Auszeichnung 
angesehen  worden,  wie  hat  es  denn  kommen  können,  daß  man  es  der  Mode  zuhieb 
oder  aus  Bequemlichkeit  mit  der  gewöhnlichen  Pänula  vertauschte,  und  daß  nur  der 
Papst  es  in  Form  eines  unbedeutenden  Streifens  beibehielt,  die  Bischöfe  und  Priester 
aber  es  völlig  aufgaben ?  Es  spricht  das  denn  doch  offenbar  nicht  gerade 
für   eine    sonderliche  Wertschätzung    des   Gewandes. 

Zweitens:  wer  hat  das  Mantelpallium  in  der  Kirche  getragen?  War  es  bloß 
der  Papst  oder  haben  sich  seiner  auch  die  Bischöfe  und  Priester  bedient?  Wohl 
nicht  der  Papst  allein  ;  denn  es  trägt  ja  auch  ein  taufender  Priester  in  einer  der 
sog.  Sakramentskapellen  von  S.  Callisto  das  Gewand.  Zudem  würde  im  andern  Falle 
die  Theorie  im  wesentlichen  so  ziemlich  mit  derjenigen  Garruccis  identisch  sein. 
Und  dann  kommt  ja  auch  das  Pallium  auf  den  Cömeterialmalereien  bei  den  verschie- 
densten Personen  vor. 

Wenn  aber  nicht  bloß  der  Papst ,  sondern  auch  die  Bischöfe  und  Priester  das 
Mantelpallium  getragen  haben,  wie  ist  es  denn  zugegangen,  daß  es  zu  einem  aus- 
schließlich päpstlichen  Schmucke  ward,  als  es  sich  zu  einem  zusammengefalteten  Streifen 
umbildete?  Konnte  es,  die  Sache  praktisch  genommen,  ohne  eine  positive  Bestimmung 
geschehen,  daß  die  Priester  und  Bischöfe  insgesamt  den  abito  di  sommo  onore  e 
dignitä  preisgaben  und  in  der  Kirche  des  Westens  nur  mehr  der  Papst  sich  desselben 
als  eines  einzig  ihm  zustehenden  Ehrengewandes  zu  bedienen  das  Recht  hatte?  Wenn 
aber  das  ohne  eine  solche  Verordnung  nicht  wohl  denkbar  ist,  warum  dann  nicht,  statt 


1  De  pallio  c.  6  (M.  II  1104)  :  Viderit  nunc 
philosophia,  quid  prosit,  non  enim  sola  nie- 
cum  est:  De  meo  (das  Pallium  spricht)  et 
primus  informator  litterarum  et  primus  edo- 
mitor  vocis  et  primus  numerorum  arenarius 
et  grammaticus  et  rlietor  et  sophista  et  me- 
dicus  et  poeta  et  qui  musicam  pulsat  atque 
stellarem  coniectat  et  qui  volaticam  spectat. 
Omnis  liberalitas  studiorura  quattuur  raeis  an- 

gulis  tegitur At  ego  iam  illi  etiam  divinae 

sectaeacdisciplina commercium confero.  Gaude 
pallium  et  exsulta,  melior  iam  te  philosophia 
dignata  est,  ex  quo  christianum  vestire  co  e- 
pisti  (seitdem  du  anfangs  t,  Christen  zu 
bekleiden).  Nicht  recht  verständlich  ist,  wenn 
Wilpert  (Cap.  29 j  sagt:  Difatti  in  questi 


due  manti  (Toga  und  Pallium)  venne  espresso 
il  contrasto  fra  lo  spirito  nazionale  romano 
e  il  cosmopolitismo  cristiano.  War  denn 
das  Pallium  ein  Charakteristikum  der  Christen 
und  trugen  nur  sie  es,  nicht  die  Heiden? 
Freilich  war  auch  noch  im  3.  und  4.  nach- 
christlichen Jahrhundert  die  Toga  das  offizielle 
Staatskleid,  weshalb  natürlich  auch  christliche 
Beamte  und  Senatoren  sie  anlegten,  so  oft  sie 
in  offizieller  Tracht  auftraten;  im  gewöhn- 
lichen Leben  aber  bedienten  sich  die  Heiden 
wie  die  Christen  der  Obergewäuder,  welche 
die  gerade  herrschende  Mode  wollte ,  ohne 
sich  —  von  gewissen  Philosophen  abgesehen  — 
durch  philosophische  und  nationalistische  Er- 
wägungen leiten  zu  lassen. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  659 

durch  so  viele  in  der  Luft  schwebende  Hypothesen  die  Entstehung  des  Palliums  zu 
erklären ,  lieber  einfach  annehmen ,  es  sei  das  Gewandstück  direkt  als  liturgisches 
päpstliches  Distinktivum  in  Form  eines  streifenförmig  zusammengefalteten  Tuches 
durch  eine  diesbezügliche  Bestimmung  des  Papstes  eingeführt  wurden? 

Drittens:  die  Umbildung  des  Mantelpalliums  soll  durch  die  Einführung  der 
Pänula  als  Obergewand  veranlaßt  worden  sein?  Es  wurde  schon  daraufhingewiesen, 
wie  wenig  das  angesichts  des  Charakters,  den  das  Mantelpallium  gehabt  haben  soll, 
verständlich  ist.  Jedenfalls  läßt  sich  ein  derartiges  Außerbrauchkommen  bzw.  eine 
derartige  Umgestaltung  eines  Gewandes  „der  höchsten  Ehre  und  Würde"  nicht  ohne 
hinreichende  Anhaltspunkte  glaubhaft  und  annehmbar  machen.  Gibt  es  nun  aber 
deren?  Nein.  Es  läßt  sich,  wie  bei  Besprechung  der  Theorie  Garruccis  ausgeführt 
wurde,  weder  durch  den  Namen  eine  Umbildung  des  Mantelpalliums  zum  Streifen- 
pallium  begründen,  noch  gibt  es  irgend  ein  Monument  oder  irgend  eine  schrift- 
liche  Nachricht,  die  uns  von  dem  Vorgang  Zeugnis  ablegten. 

Aber  haben  wir  zu  diesem  nicht  wenigstens  eine  Parallele  in  der  Umgestaltung  der 
Toga  ?  Auch  das  nicht  einmal.  Solange  die  Toga  nämlich  zu  Rom  Staatskleid  und  offizielles 
Gewand  war,  ist  sie  weder  durch  die  Pänula  ersetzt  worden,  noch  auch  zu  einem 
schmalen  Band  entartet,  wie  das  heilige  Pallium  es  ist.  Noch  auf  den  Konsular- 
diptychen  des  6.  Jahrhunderts  tritt  sie  trotz  aller  Veränderungen  und  wiewohl  teilweise 
zu  einem  Streifen  zusammengefaltet,  als  ein  Umwurr  auf,  welchem  eine  recht  erheb- 
liche Breite  eigen  ist.  Im  Alltagsleben  und  als  Tracht  des  gewöhnliehen 
römischen  Bürgers  ist  allerdings  die  Toga  ziemlich  früh  aus  dem  Gebrauch  ver- 
schwunden und  der  Pänula  geopfert  worden.  Bezeichnenderweise  aber  hat  man  es  nicht 
der  Mühe  für  wert  gehalten,  sie  streifenförmig  zusammenzufalten  und  in  dieser  Form  als 
Erinnerung  an  die  frühere  Sitte  über  dem  neuen  Obergewand  zu  tragen.  Und  doch 
war  die  Toga  ein  so  hochbedeutsames  und  charakteristisches  Gewand  des  echten 
Römers.  Wozu  also  unter  solchen  Umständen  eine  Berufung  auf  die  Toga?  Ja, 
wenn  noch  das  Mantelpallium  einen  ähnlichen  Charakter  besessen  hätte  wie  die  Toga. 
Aber  das  ist  bislang  weder  im  geringsten  bewiesen  noch  auch  nur  wahrscheinlich 
gemacht  worden.  Jedenfalls  könnte,  wenn  die  Berufung  auf  die  Toga  konsequent 
durchgeführt  werden  soll,  der  Analogieschlufs  nur  lauten:  Im  gewöhnlichen 
Leben  ist  das  Pallium  durch  Aufnahme  der  Pänula  völlig  außer 
Brauch  gekommen;  im  offiziellen  kirchlichen  Leben  hat  man  auf 
Einführung  der  Pänula  verzichtet,  aber  zur  Entfaltung  größeren 
Prunkes  dem  Mantel  eine  kostbarere  Beschaffenheit  gegeben  und 
ihn   in    etwas    komplizierterer  Weise   zu   tragen    angefangen. 

Auch  der  Hinweis  auf  die  angeblich  durch  Umbildung  der  Mantelpalla 
(des  mantelartigen  Obergewandes  der  Frauen)  entstandene  Schärpe,  mit  welcher  die 
Isispriesterinnen  auf  den  Bildwerken  verschiedentlich  dargestellt  werden,  ist 
zur  Stützung  der  Theorie  von  der  Umgestaltung  des  Mantelpalliums  zum  sakralen 
Pallium  von  keinem  Belang.  Denn  zunächst  und  vor  allem  scheint  es  doch  wohl 
kaum  zutreffend,  daß  die  Schärpe  der  Isispriesterinnen  eine  zum  bloßen  Bande  verbildete 
Mantelpalla  ist.  Wilpert  hat  selbst  eine  Statue,  sei  es  der  Isis,  sei  es  einer  Isis- 
priesterin  aus  der  ersten  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts,  zur  Abbildung  gebracht,  welche 
über  der  Mantelpalla  auch  noch  die  in  Frage  stehende  Schärpe  und  somit  Palla  und 
Schärpe  zugleich  aufweist l.  Es  kann  also  die  letztere  unmöglich  die  zum  Streifen  ge- 
wordene oder  streifenartig  gefaltete  Mantelpalla  sein  -.  Außerdem  aber  folgt,  dieümwand- 


1  Cap.  p.   16,  flg.  19.  nur    gewahren   konnte,    wenn    mit    ihr    eine 

2  Wenn  Wilpert  sich  für  seine  Theorie  Reihe  nebeneinanderliegender  Falten  gemeint 
von  dem  Ursprung  der  Schärpe  der  Isis-  ist.  Überhaupt  spricht  der  ganze  Tenor  der 
priesterinnen  auf  die  palla  multiplici  con-  Stelle  durchaus  für  ein  weites  mantelförmiges 
tabulatione  dependuki  beruft,  mit  der  Apu-  Gewand,  nicht  für  eine  zu  einem  bloßen 
lejus  (Metamorph.  11.  24)  die  Isis  im  Traum  Streifen  zusammengefaltete  Palla.  Jedenfalls 
bekleidet  schaute,  so  will  uns  bedünken,  daß  ist  die  erste  Auffassung  der  cont.  muH. 
der  Dichter   diese  contabulatio   multiplex  mindestens  ebenso   berechtigt  wie  die  letzte 

42* 


660 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insiguien. 


lung  der  Palla  zur  Schärpe  einmal  als  wirklich  angenommen,  auch  dann  aus  einem  solchen 
Vorgang  doch  nur,  daß  wie  in  der  ersten  Hälfte  des  2.  Jahrhunderts  die  Mantelpalla 
zum  Streifen  verkümmerte,  so  in  der  zweiten  Hälfte  des  4.  Jahrhunderts  das  Mantel- 
pallium  zu  einem  bloßen  Streifen  werden  konnte,  nicht  jedoch  auch,  daß  es  tat- 
sächlich oder  auch  nur  wahrscheinlich  ein  solcher  wurde.  Das  aber  und 
nicht  die  absolute  Möglichkeit  ist  es,  worauf  es  ankommt. 

Besonderes  Gewicht  legt  Wilpert  zur  Glaubhaftmachung  der  Umbildung  des 
Mantelpalliums  auf  ein  um  356  oder  etwas  später  entstandenes  Fresko  im  Cömeterium 
der  hl.  Domitilla.  Es  stellt  die  hl.  Petronilla  dar,  wie  sie  eine  Verstorbene,  namens 
Venerauda,  in  das  Paradies  einführt.  St  Petronilla  trägt  eine  lange  Untertunika,  eine 
kürzere  Obertunika  und  darüber  die  Palla  (Bild  298).  Man  betrachte  indessen  einmal 
aufmerksam  das  Bild ;  handelt  es  sich  denn  bei  dem  Mantel  der  Heiligen  um  ein 
künstlich  zu  einem  Streifen  zusammengefaltetes  Gewand  ?  Zieht  er  sich  nicht  viel- 
mehr von  der  rechten  Seite  in  langen,  losen  Palten  schräg  vor  dem  Körper  zur  linken 
Schulter  hinauf?  '  Nur  das  Ende  des  Umwurfes  erscheint  zusammengefaltet,  voraus- 
gesetzt, dafä  die  Form,  welche  dasselbe  hat,  eine  getreue  Darstellung  der  Wirklichkeit 
und  nicht  bloß  eine  der  hundert  Zufälligkeiten  oder  Freiheiten  ist,  die  wir  auf  den 
bildlichen  Darstellungen  so  oft  antreffen,  namentlich  aber  auf  Bildwerken  von  so 
handwerksmäßigem,  skizzenhaftem  Charakter,  wie  das  die  Cömeterialfresken  sind? 

Überhaupt  ist  es  nicht  einzusehen,  welche  Bedeutung  das  Fresko  für  die  hier 
uns  beschäftigende  Frage  besitzt,  wie  es  sich  nun  immer  mit  der  Form  der  Palla  der 
hl.  Petronilla  verhalten  mag.  Denn  was  hat,  so  fragen  wir,  diese  Palla,  das  gewöhn- 
liche Obergewand  römischer  Frauen  2,  mit  dem  Mantelpallium  der  Priester  und  Bischöfe 
zu  tun,  dem  abito  di  sommo  onore  e  dignitä,  und  wie  kann  man  von  der  Faltung 
der  einen  auf  die  des  andern  schließen?  Selbst  wenn  Christen  und  Heiden  sich  im 
profanen  Leben  hinsichtlich  des  Mantelpalliums  einer  etwaigen  diesbezüglichen  Mode 
anbequemt  haben  sollten,  so  folgt  daraus  offenbar  noch  lange  nicht,  daß  auch  der 
Papst,  die  Bischöfe  und  Priester  bezüglich  der  bei  der  Liturgie  üblichen  Gewandung 
sich  derselben  unterwarfen.  Zudem  genügte  ein  nur  teilweises  Zusammenfalten  noch 
keineswegs ,  um  aus  dem  Mantelpallium  ein  förmliches  Streifenpallium  werden  zu 
lassen,  von  der  Änderung  in  der  Umlegeweise  ganz  abzusehen.  Allein  nicht  einmal 
einen  Schluß  auf  eine  Faltung  des  Mantelpalliums  der  Laien  gestattet  das  Fresko. 
Oder  kann  man  wirklich  aus  einer  einzigen  Darstellung  einer  an  dem  einen  Ende 
zusammengefalteten  Frauen  palla  eine  entsprechende  Gewohnheit  auch  für  das 
Mantelpallium  der  Männer  herleiten?  Die  Folgerung:  „In  jedem  Falle  beweist  das 
Fresko,  daß  die  Gewohnheit,  die  Palla  -  und  infolgedessen  auch  das 
Pallium  —  zu  falten,  bei  den  Christen  bereits  wenige  Jahre  nach  der  Mitte  des 
4.  Jahrhunderts  in  Übung  war",  geht  offenbar  entschieden  zu  weit3. 


(vgl.  auch  Fo  reell.  I  580).  Hieran  kann 
auch  die  von  Wilpert  veröffentlichte  Isis- 
priesterin  der  vatikanischen  Sammlung  (Cap. 
flg.  18)  nichts  ändern.  Sie  beweist  nur,  daß 
man  auch  auf  der  Schärpe  der  Isispriesterinnen 
die  Symbole  des  Kultus,  Mond  und  Sterne, 
anzubringen  pflegte,  nicht  aber,  daß  diese 
Binde  ursprünglich  ein  förmlicher  Mantel  war. 

1  Wilpert  sagt  von  der  fraglichen  Palla 
(Kat.  76)  selbst:  „Die  Palla  bildet  nicht  in 
ihrer  ganzen  Länge  einen  Streifen ,  sondern 
ist  in  der  zweiten  Hälfte  entfaltet."  Welche 
Bedeutung  hat  aber  dann  noch  die  Darstellung? 

2  Es  ist  doch  nur  eine  Vermutung,  wenn 
Wilpert  (Gew.  48;  Kat.  76)  sagt:  „Der 
Maler  gab  der  Heiligen  offenbar  einen  solchen 
Mantel ,  um  sie  besonders  auszuzeichnen ; 
vielleicht  wollte   er   dadurch    ihre   hohe  Ab- 


kunft andeuten."  Und  dann  war  denn  doch 
die  Palla  keineswegs  ein  auszeich- 
nendes Frauengewand. 

3  Ebd.  Nach  dem  im  Text  angeführten 
Zitat  Wilperts  muß  das  Pallium  noch  nach 
der  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  bei  den  Chri- 
sten überhaupt  in  Gebrauch  gewesen  sein. 
Wann  ist  es  also  ein  Sondergewand  des 
Papstes  geworden  ?  Ein  solcher  Wechsel 
vollzieht  sich  doch  nicht  über  Nacht.  Um 
400  muß  derselbe  nach  Wilpert  schon  voll- 
endet gewesen  sein.  Also  um  356  noch  ein 
wirklicher,  nur  am  Ende  zusammengefal- 
teter, bei  den  Christen  überhaupt  ge- 
bräuchlicher Umwurf  und  um  400  eine  litur- 
gische Speziali nsignie  des  Papstes  von 
völliger  Streifenform.  Wie  es  scheint, 
eine  sehr  rapide  Entwicklung. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


661 


Wilpert '  verweist  auch  auf  das  Elfenbein  aus  der  Sammlung  Harbaville  im  Louvre 
(Bild  299,  S.  663),  auf  das  ich  selbst  ihn  seinerzeit  aufmerksam  machte,  und  auf  eine 
Miniatur  des  Cod.  Vat.  gr.  752,  f.  42  2  als  auf  zwei  Monumente  des  10.  bzw.  12.  Jahr- 
hunderts, auf  denen  sich  eine  letzte  Eeminiszenz  an  das  alte  Mantelpallium  finde. 
Er  meint,  der  Künstler,  der  hier  das  heilige  Pallium  gefaltet  darstellte,  müsse  eine 
Vorlage  aus  einer  Zeit  vor  sich  gehabt  haben,  welche  der  Epoche  nahestand,  in  der 
das  heilige  Pallium  noch  ein  zusammengefaltetes  Mantelpallium  gewesen.  Ob  jedoch 
nicht  auch  hier  das  Wort  gilt :  Non  saprei  dare  grande  autoritä  a  questi  casi  eccezionali, 
essendo  pitture  del  X  e  XII  secolo3.  Kann  man  denn  wirklich  die  genannten  beiden 
Bildwerke  als  Kopien  einer  Vorlage  etwa  aus  dem  4.  oder  5.  Jahrhundert  ansehen  ? 
Werden  wir  nicht  vielmehr  die  sonderbare  zickzackartige  Faltung  des  Endes  des 
Palliums ,  wie  so  manches 
andere  auf  den  alten  Monu- 
menten, als  die  Frucht  der 
Phantasie  oder  der  Laune  des 
Künstlers  zu  betrachten  haben? 
Auf  keinen  Fall  können  die 
Bildwerke  zum  Beweise  die- 
nen, daß  das  heilige  Pallium 
ursprünglich  ein  Mantel  war. 
Höchstens  ließe  sich,  was 
keineswegs  geleugnet  werden 
soll,  aus  ihnen  folgern,  es  sei 
dieses  anfänglich  noch  kein 
schmales  Band  gewesen  wie 
später,  sondern  ein  zu  einer 
Binde  zusammengefalteter 
Zeugstreifen  '. 

Doch  genug  der  Kri- 
tik. Das  Angeführte  dürfte 
ja  zur  Wertung  der  Auf- 
stellungen Wilperts  über 
den  Ursprung  des  Palliums 
vollkommen  ausreichen. 
Der  Schwierigkeiten ,  an 
denen  seine  Theorie  krankt, 
sind  nach  dem  Gesagten 
zu  viele  und  zu  erheb- 
liche. Wir  ziehen  daher 
eine  andere  Erklärung  der 
Entstehung  des  Ornatstückes  vor,  die  wir  zwar  keineswegs  als  schlecht- 
hin sicher  bezeichnen  möchten,  die  aber,  alle  Umstände  in  Rechnung  ge- 
zogen,   immerhin    die   größte  Wahrscheinlichkeit  für  sich  haben  dürfte.     Das 


^8fc233 


Bild  298.     Veneranda  mit  der  hl.  Petronilla.     Fresko 
in  der  Katakombe  S.  Domitilla  zu  Rom.     (Nach  Wilpert.) 


1  Cap.  97;  Gew.  48. 

2  Abbildung  Cap.  83. 

3  Ebd.  75,  nota  5. 

4  Auch  durch  interessante  Rekonstruktions- 
versuche hat  Wilpert  seine  Theorie  zu  be- 
kräftigen sich  bemüht.  Was  dieselben  be- 
weisen, ist  aber  zuletzt  bloß  dies ,  daß  das 
Mantelpallium  absolut  genommen  zu  einem 
freilich  recht  breiten  Streifen  zusammen- 
gefaltet werden  konnte,  wofern  nur  der  Stoff 


nicht  allzu  dick  war.  Für  die  Feststellung 
der  tatsächlichen  Umbildung  des  Mantel- 
palliums  zum  sakralen  Streifenpallium  sind 
solche  Rekonstruktionen  jedoch  ohne  Be- 
deutung, so  bestechend  sie  für  den  Nicht- 
fachmann  sein  mögen.  Nicht  durch  Rekon- 
struktionen kann  die  Frage  nach  dein  Ur- 
sprung des  sakralen  Palliums  gelöst  werden, 
sondern  nur  auf  dem  Weg  der  historischen 
Forschung. 


662 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insisnien. 


Pallium  ist  ihr  zufolge  nicht  das  Produkt  einer  langsamen  Entwicklung, 
nicht  ein  durch  die  Umstände  verkümmertes  Obergewand ;  es  wurde  vielmehr 
zu  Rom  von  Anfang  an  als  das  eingeführt,  als  was  es  uns  stets  in  der 
Geschichte  begegnet,  als  auszeichnender  Schmuck  und  als  Abzeichen  des 
obersten  Hirten  der  Kirche  und  des  Patriarchen  des  Abendlandes,  des  römischen 
Bischofs.  Eine  bloße  Binde  war  es  allerdings  ursprünglich  nicht;  das  wurde 
es  erst  allmählich.  Wie  der  Name  pallium  andeutet,  war  es  vielmehr  an- 
fänglich ein  Tuch,  das  um  Schultern,  Brust  und  Rücken  geschlungen  wurde. 
Ob  es  hierbei  schon  gleich  in  der  ersten  Zeit  streifenförmig  zusammengefaltet 
wurde  oder  ob  man  erst  allmählich  dazu  überging,  es  streifenförmig  zusammen- 
zulegen, muß  dahingestellt  bleiben.  Jedenfalls  dürfte  es,  bevor  es  zum  bloßen 
Bande  wurde,  bereits  zu  einem  Streifen  gefaltet  getragen  worden  sein 1. 

Es  besteht  heutzutage  die  Tendenz,  nach  Möglichkeit  überall  in  der 
Geschichte  einen  Entwicklungsgang  nachzuweisen.  Es  .ist  das  gewiß  nicht 
bloß  zu  billigen,  sondern  selbst  freudig  zu  begrüßen;  denn  erst  das  führt  zu 
einem  tieferen  Verständnis  der  einzelnen  Erscheinungen.  Man  darf  indessen 
nicht  außer  acht  lassen,  daß  eine  naturgemäße  Entwicklung  sich  da,  wo  kein 
positives  Eingreifen  statthat,  nur  langsam  zu  vollziehen  pflegt.  Wie  lange 
hat  es  z.  B.  gedauert,  bis  sich  eine  liturgische  Kleidung  im  besondern  Sinne 
ausgebildet  hatte,  Avie  lange,  bis  Fano  und  Subcinctorium  Sondergewänder 
des  Papstes  geworden  waren.  Man  wird  diese  Tatsache  auch  bei  der  Frage 
nach  dem  Ursprung  des  Palliums  vor  Augen  halten  müssen.  Ohne  irgend 
eine  positive  Bestimmung  oder  Tat  hat  es  unseres  Erachtens  zur  Bildung 
desselben  nicht  kommen  können.  Selbst  wenn  man  mit  Wilpert  annehmen 
wollte,  daß  sich  das  Streifenpallium  aus  dem  Mantelpallium  entwickelt  habe, 
wird  man  einer  solchen  nicht  entbehren  können.  Denn  wie  hat  ein  Gewand, 
das  Priestern  wie  Bischöfen,  ja  selbst  Laien  eigen  war,  in  der  kurzen  Zeit, 
die  Wilpert  dafür  ansetzt,  ohne  irgend  eine  diesbezügliche  Verordnung  im 
Abendland  ein  ausschließliches  päpstliches  Ornatstück  und  die 
Insignie  des  römischen  Bischofs  zu  werden  vermocht? 

Warum  also  unter  solchen  Umständen  nicht  lieber  annehmen,  es  sei 
das  römische  Pallium  von  Anfang  an  als  das  eingeführt  worden  und  das 
gewesen,    als   was   es   uns   allzeit   begegnet,    als   liturgisches   Abzeichen    des 


1  Der  Verfasser  hat  diese  seine  Auffassung 
von  dem  Ursprung  des  römischen  Palliums 
schon  in  seiner  Schrift  „Die  pontifikalen 
Gewänder  des  Abendlandes"  S.  172  ff  zum 
Ausdruck  gebracht.  Eine  verwandte  An- 
schauung hatte  bereits  P.  G  r  i  s  a  r  ausge- 
sprochen in  „Das  römische  Pallium"  Nr  3 
(Festschrift  zur  1100jährigen  Jubelfeier  des 
Campo  Santo,  Freiburg  1897,  101).  Vgl. 
auch  P.  Grisar  (Analecta  Romana,  Rom. 
1899,  677),  wo  er  die  Theorie  Wilperts  sowie 
die  des  Verfassers  ausführlich  bespricht  und 
letzterer  ausdrücklich  die  größere  Wahr- 
scheinlichkeit zuerkennt :  Ammettendo  pure 
un  simile  sviloppo  (Umbildung  des  Mantel- 
palliums  durch  Zusammenfalten),  il  quäle  per 
altro  ha  assai  oscuro ,  si  puö  sempre  e  con 
maggiore  probabilitä  assegnare  al  pallio  sacro 
una  origine  immediata  per  mezzo  di  qualche 
ordinazione    ecclesiastica,    la   quäle  avrebbe 


introdotto  il  pallio  sacro  direttamente  come 
insegna  gerarchica  ed  in  forma  simile  a  quel 
pallio-manto  accorciato  dalla  contabulatio 
imitandone  la  forma  di  modesta  fascia.  Bei 
dem  Vermittlungsvorschlag,  den  Grisar  in 
den  letzten  Worten  macht,  läßt  er  das  Pal- 
lium sich  nicht  aus  dem  Mantelpallium  ent- 
wickeln, sondern  nur  das  gefaltete  Mantel- 
pallium, wie  er  S.  678  sagt,  das  Vorbild 
sein,  dem  jenes  nachgebildet  wurde:  Pren- 
dendo  per  modollo  il  palliomanto,  dimi- 
imito  e  accorciato.  So  jedoch  unterscheidet 
sich  sein  Versuch,  beide  Theorien  in  Einklang 
miteinander  zu  bringen,  im  Grunde  in  keiner 
Weise  von  unsern  Aufstellungen,  nach  wel- 
chen wir  uns  ja,  wie  aus  den  Ausführungen 
oben  im  Text  erhellt,  das  sakrale  Pallium 
keineswegs  von  Anfang  an  als  bloßes  schmales 
Band,  sondern  als  einen  breiten,  aber  zusam- 
mengefalteten Zeugstreifen  zu  denken  haben. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


663 


Papstes?     Das   ist,   wie   es   scheint,    die   einfachste,   nächstliegende   und   den 
tatsächlichen  Verhältnissen  entsprechendste  Erklärung. 

Dabei  braucht  man  natürlich,  wie  eben  schon  gesagt  wurde,  keineswegs 
anzunehmen,  es  sei  das  Pallium  auch  schon  von  Anfang  an  das  schmale, 
nur  ca  0,08 — 0,09  m  breite  Band  gewesen,  als  welches  es  bereits  im  Laufe 
des  6.  und  7.  Jahrhunderts  auf  den  Bildwerken  auftritt.  Im  Gegenteil  wird 
man  es  auf  Grund  des  Namens  pallium  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt 
wohl  als  ein  wirkliches,  wenngleich  zusammengefaltetes  Tuch  von  vielleicht 
0,40 — 0,50  m  Breite  aufzufassen  und  seine  Umbildung  zu  einem  bloßen 
Bande  erst  der  weiteren  Entwicklung  zuzuschreiben  haben. 


Bild  299.     Triptychon  der  Sammlung  Harbaville.     (Rückseite.)     Paris,  Loiwre. 

Eine  solche  Erklärung  der  Entstehung  des  römischen  Palliums  wird 
nicht  nur  dem  Namen  pallium  vollständig  gerecht,  der  als  ganz  begründet 
und  als  durchaus  zutreffend  erscheint,  sie  läßt  auch  der  formellen  Aus- 
gestaltung des  Ornatstückes  alles  Recht  und  allen  Spielraum. 

Es  hat  aber  auch  ein  solcher  Ursprung  durchaus  nichts  Befremdendes. 
Tücher  als  Abzeichen  haben  auch  schon  die  Römer  gekannt.  Oder  waren 
derartige  Abzeichen  nicht  die  infulae  ?  l  Und  war  die  Schärpe  oder  wie 
wir  den  Streifen  nennen  wollen,  welche  die  Isispriesterinnen  über  der 
Tunika    oder    auch    über    Tunika    und    Palla    trugen,    nicht    auch    eine    Art 


1  S.  oben  S.  426  619. 


664 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insianien. 


Insignie?1  Selbst  die  Toga  war  in  der  Form,  welche  sie  im  4.  Jahrhundert  er- 
hielt, mehr  eine  Insignie  als  ein  praktischen  Zwecken  dienendes  Gewand.  Auch 
auf  die  pallia  discolora  des  Theodosianischen  Kleideredikts  darf  hier  wohl  hin- 
gewiesen werden.  Denn  wenn  es  sich  auch  bei  ihnen  nicht  um  Abzeichen  in 
Form  einer  Schärpe  oder  eines  Umwurfes  handelt,  so  bekunden  sie  doch,  daß 
die  Tendenz,  Distinktiva  zu  schaffen,  jenen  Tagen  keinesAvegs  fremd  war2. 

Auf  der  andern  Seite  lag  es  einer  Zeit,  in  welcher  die  beim  Gottes- 
dienste gebräuchliche  Kleidung  sich  dem  Schnitte  nach  noch  nicht  von  der 
außerliturgischen  und  der  Laienkleidung  unterschied,  sicher  nicht  allzufern, 
ein  liturgisches  Distinktivum  einzuführen.  Insbesondere  aber  mußte  das  beim 
Bischof  von  Rom,  dem  Papst,  passend  erscheinen,  seitdem  dieser  nach  dem 
Aufhören  der  Verfolgungen  und  nach  Anerkennung  des  Existenzrechtes  der 
Kirche  seitens  der  staatlichen  Macht  ungehindert  in  der  Öffentlichkeit  seines 
hohenpriesterlichen  Amtes  walten  und  nach  allen  Richtungen  hin  frei  die 
Fülle  seiner  pontifikalen  GeAvalt  entfalten  durfte. 

In  der  Kirche  des  Ostens  muß  das  dem  Pallium  analoge  Omophorion, 
von  dem  im  folgenden  näher  die  Rede  sein  wird,  schon  vor  400  in  Gebrauch 
gekommen  sein.  Das  römische  Pallium  läßt  sich,  wie  wir  hörten,  schon  für 
das  5.  Jahrhundert  mit  genügender  Sicherheit  nachweisen;  ob  es  auch  schon 
im  4.  zur  Verwendung  kam,  muß  dahingestellt  bleiben.  Man  kann  die  Frage 
aufwerfen,  ob  das  römische  Pallium  nach  dem  Vorbilde  des  Omophorion  bzw. 
letzteres  nach  demjenigen  des  päpstlichen  Palliums  eingeführt  wurde  oder 
ob  beide  selbständige,  voneinander  unabhängige  Bildungen  sind.  Eine  sichere 
Antwort  läßt  sich  auf  dieselbe  leider  nicht  geben,  da  wir  nicht  einmal  genau 
wissen,  zu  welcher  Zeit  das  römische  Pallium  aufkam.  Immerbin  darf  es 
als  nicht  so  unwahrscheinlich  gelten,  daß  zwischen  dem  Pallium  und  dem  Omo- 
phorion irgend  ein  Zusammenhang  bestanden  haben  wird.  Denn  die  Punkte, 
in  Bezug  auf  welche  Unterschiede  zwischen  beiden  Ornatstücken  herrschen, 
sind  nur  nebensächlicher  Art;  im  wesentlichen  waren  und  sind  diese  nach  Form, 
Charakter  und  Bestimmung  dasselbe  liturgische  Gewand  3.  Vielleicht  wird  man 
sogar  nicht  fehlgehen,  wenn  man  zu  der  Ansicht  hinneigt,  das  päpstlicbe  Pallium 
sei  eingeführt  worden  nach  dem  Vorbild  des  bereits  in  Gebrauch  befindlichen 
Omophorion.  Der  Einfluß  des  Ostens  auf  den  Westen  war  in  altchristlicher 
Zeit  in  liturgischen  Dingen  größer,  als  man  gemeiniglich  denkt;  auch  Rom 
ist  von  ihm  keineswegs  frei  geblieben4. 

IX.    DAS    BISCHÖFLICHE    SCHULTERGEWAND    IN    DEN    RITEN    DES 

OSTENS. 

Dem  lateinischen  Pallium  entspricht  im  griechischen,  armenischen  und 
syrischen  Ritus  das  Omophorion.  Während  jenes  jedoch  ein  liturgisches 
Sondergewand   des  Papstes   und   der  Erzbischöfe  ist   und  Bischöfen  nur  ganz 


1  W  i  1  p. ,  Cap.  21  25  27.  Bezüglich  des 
Charakters  des  Streifens  sagt  derselbe  zu- 
treffend: Questa  palla,  secondo  ogni  apparenza, 
non  serviva  di  vero  abito,  ma  per  scopo  orna- 
mentale o  piutosto  come  insegna  del  grado 
delle  sacerdotesse  (ebd.  p.   15;  vgl.  23). 

2  Vgl.  auch  den  oben  S.  619,  Anm.  1  er- 
wähnten Grabfund  aus  Antinoe,  der  keinen 
Zweifel  am  Gebrauch  von  Schärpen  als  Ab- 
zeichen lassen  dürfte. 


3  Vgl.  wegen  der  Identität  von  Omophorion 
und  Pallium  G  r  e  g or.  M.,  Bp.  1. 1,  n.  27  (M.  G. 
Epp.  I  41)  und  Li  berat,  Brev.  c.  20  21  23 
(M.  68,  1036  1039  1046),  wo  mit  dem  Worte 
pallium  das  Omophorion  bezeichnet  wird. 

4  Über  den  Einfluß ,  den  der  Osten  in 
Italien  und  namentlich  auch  zu  Rom  aus- 
übte, vgl.  St.  Beisse],  Geschichte  der  Evan- 
gelienbücher in  der  ersten  Hälfte  des  Mittel- 
alters, Freiburg  1906,  72  ff. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


665 


ausnahmsweise  als  Auszeichnung  verliehen  wird,  kommt  dieses  allen  Bischöfen 
als  spezifisch  bischöfliche  Amtsinsignie  zu.  Es  besteht  zwischen  beiden  Ornat- 
stücken aber  auch  ein  Unterschied  bezüglich  der  Form,  der  stofflichen  Be- 
schaffenheit und  der  Anlegungsweise. 

Das  griechische  Omophorion  ist  ein  ca  3,50  m  langes  und  ca  0,25  m 
breites  Band,  welches  frei  um  Brust  und  Schulter  geschlungen  wird.  Soll  es 
angelegt  werden,  dann  befestigt  der  Diakon  es  zunächst  in  der  Weise  an  einem 
auf  des  Bischofs  linker  Schulter  am  Obergewande  angebrachten  Knöpfchen, 
daß  eines  der  beiden  Enden  in  einer  Länge  von  etwa  einem  Meter  nach  vorn 
hinabhängt.  Dann  leitet  er  den  übrigen  Teil  des  Bandes  über  den  Nacken 
zur  rechten  Schulter  und  von  da  nach  vorn  bis  unterhalb  der  Brust.  Dort 
wendet  er  den  Streifen,  führt  ihn  wieder  zur  linken  Schulter  hinauf,  wo  er 
ihn  ein  zweites  Mal  anknüpft,  und  schlägt  zuletzt  den  Rest  so  nach  rückwärts, 
daß  sich  das  andere  Ende  des  Omophorion  dort  ebenfalls  etwa  einen  Meter 
lang  hinabzieht  (Bild  300). 

Über  die  Farbe  des  Omophorion  scheint  gegenwärtig  eine  allgemein 
gültige  Vorschrift  nicht  mehr  zu  bestehen ;  wenigstens  bekommt  man  außer 
weißen  auch  wohl  blaue,  gelbe,  rote  usw.  zu  Gesicht.  Immerhin  darf  Weiß 
bzw.  als  Weiß  geltender  Gold-  oder  Silberstoff  als 
das  Gewöhnliche,  eine  andere  Farbe  dagegen  als  das 
Seltenere  und  mehr  als  Ausnahme  bezeichnet  werden. 
Das  Omophorion  wird  stets  aus  Seide  gemacht.  Sein 
Hauptschmuck  sind  mächtige  Kreuze,  welche  ent- 
weder durch  aufgenähte  Borten  gebildet  oder  in  Gold- 
bzw. Silberstickerei  hergestellt  werden.  Es  sind  ihrer 
zum  mindesten  fünf,  je  eines  an  den  beiden  Enden  und 
auf  den  beiden  Schultern  und  eines  im  Nacken,  falls 
nicht  etwa  ein  Lamm  an  Stelle  des  letzten  zum  Aus- 
druck der  Symbolik  des  Omophorion  angebracht  ist. 
Wie  schon  gelegentlich  bemerkt  wurde,  gilt  dieses  ja 
als  Sinnbild  des  verlorenen  Schäfleins,  das  der  Bischof 

als  guter  Hirt  seiner  Herde  zur  Hürde  zurückbringen  soll.  Übrigens  trifft  man 
außer  Kreuzen  und  dem  Lamme  auch  wohl  andere  Verzierungen,  bildliche  Dar- 
stellungen nicht  ausgeschlossen,  auf  dem  Ornatstück  an,  wie  auch,  wo  die  Mittel 
reichen,  selbst  Edelsteine  und  Perlen  zu  seiner  Ausschmückung  verwendet  werden. 

Das  Omophorion  des  armenischen  Ritus,  emiforon  genannt,  unter- 
scheidet  sich   in   keiner  Weise  von   dem   gleichnamigen   griechischen  Sakral- 


Bild  300.     Omophorion  in 
den    orientalischen    Riten. 


gewand. 


Es  hat  die  gleiche  Form   und   die  gleiche  Beschaffenheit   und  wird 


auch  in  derselben  Weise  angelegt. 

Von  ganz  anderer  Form  ist  dagegen  das  syrische  Omophorion  (omo- 
phorion, bitraschil).  Denn  es-  besteht  aus  einem  ca  2,50  m  langen  und 
ca  30  cm  breiten,  mit  Kreuzen  besetzten  Streifen,  welcher  in  der  Mitte  mit 
einem  Ausschnitt  zum  Durchlassen  des  Kopfes  versehen  ist  und  so  über- 
geworfen wird,  daß  die  eine  Hälfte  über  die  Brust,  die  andere  über  den 
Rücken  herabhängt.  Es  hat  also  mit  einem  doppelten  griechischen  Epi- 
trachelion  oder  einem  Skapulier  große  Ähnlichkeit  (Bild  300). 

Entstanden  ist  die  jetzige  Form  des  syrischen  Omophorion  offenbar 
durch  Verkümmerung  seiner  ursprünglichen  Gestalt  und  Anlegeart.  Noch 
immer  erinnert  das  Ornatstück  in  seinen  Hauptlinien  an  die  Weise,  wie  man 
es  einst,  da  es  noch  ein  Streifen  war,  um  die  Schultern  schlang. 


666 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Die  Nesto rianer  (nichtunierte  Chaldäer)  kennen  weder  beim  Patri- 
arehen noch  bei  den  Bischöfen  ein  Omophorion  oder  sonst  ein  Gegenstück 
zum  lateinischen  Pallium.  Ein  gleiches  gilt  bezüglich  der  Bischöfe  der  zur 
kirchlichen  Einheit  zurückgekehrten  Chaldäer.  Der  Patriarch  der  unierten 
Chaldäer  bedient  sich  des  lateinischen  Palliums,  das  ihm  von  Rom  als  Zeichen 
seiner  Verbindung  mit  dem  Apostolischen  Stuhl  und  der  ihm  übertragenen 
Patriarchalgewalt  verliehen  wird. 

Auch  bei  den  schismatischen  Kopten  gibt  es  kein  dem  römischen 
Pallium  entsprechendes  Ornatstück.  Bei  den  mit  Rom  wiedervereinigten 
Kopten  treffen  wir  als  Abzeichen  des  Patriarchen  und  der  Bischöfe  das 
griechische  Omophorion,  hier  apostolicon  genannt,  an. 

Das  über  das  Omophorion,  wie  es  gegenwärtig  in  den  Riten  des  Ostens 
gebräuchlich  ist.     Nun  zur  Geschichte  desselben. 

Die  erste  sichere  Nachricht  erhalten  wir  über  das  Ornatstück  erst  um 
das  Jahr  400.  Zwar  hören  wir  in  den  Akten  der  konstantinopolitanischen 
Bischöfe  Metrophanes  und  Alexander  bereits  von  einem  Omophorion  des  Metro- 
phanes,  der  zur  Zeit  Konstantins  den  bischöflichen  Stuhl  von  Konstantinopel 
inne  hatte  K  Ja  nach  Liberatus  von  Karthago  besaß  man  zu  Alexandrien 
sogar  ein  angebliches  Pallium  des  hl.  Markus,  das  nach  dem  Tode  eines 
Patriarchen  sein  Nachfolger  zum  Zeichen  der  Übernahme  der  patriarchalen 
Gewalt  um  den  Hals  zu  legen  pflegte2.  Allein  die  Akten  des  Metrophanes 
sind  durchaus  unzuverlässig;  das  pallium  beati  Marci  aber,  von  dem  Liberatus 
erzählt,  war  entweder  ein  vermeintliches  Omophorion  des  Heiligen  oder  wir 
haben  mit  Rücksicht  auf  die  Gründung  der  alexandrinischen  Kirche  durch 
Markus  darunter  lediglich  in  übertragenem  Sinne  das  Omophorion  der  dortigen 
Patriarchen  zu  verstehen.  Es  als  wirkliches  Pallium  (Omophorion)  des  Evan- 
gelisten aufzufassen,  geht  unmöglich  an.  Für  die  Tage  des  hl.  Markus  wäre 
ein  solches  ein  Anachronismus. 

Seit  dem  Beginn  des  5.  Jahrhunderts  ist  mehrfach  von  dem  Omophorion 
die  Rede,  zuerst  bei  Isidor  von  Pelusium 3,  dann  bei  Theodorus  Lektor  *,  bei 
Eustratius5,  bei  Liberatus  von  Karthago13,  bei  Johannes  Moschus7,  von  Späteren 
ganz  zu  schweigen. 

Als  Träger  des  Omophorion  erscheinen  bei  Isidor  von  Pelusium  die 
Bischöfe  schlechthin.  Es  war  dasselbe  also  schon  um  400  ein  allgemein 
bischöfliches  Ornatstück  und  nicht  ein  Sondergewand  der  Inhaber  bestimmter 
hervorragender  Sitze.  Es  ist  eine  Fabel,  wenn  Luitprand  von  Cremona  das 
Omophorion  erst  seit  etwa  950  auch  bei  den  griechischen  Bischöfen  in  Brauch 
kommen  läßt8.  Es  genüge,  dem  entgegen  auf  den  14.  Kanon  des  vierten 
allgemeinen   Konzils   von   Konstantinopel"   und   den  Brief  Johannes'  VIII.  an 


1  Photii,  Bibl.  cod.  256  (Mg.  104,  114). 

2  Breviar.  c.  20  (M.  68,  1036).  Daß  hier 
unter  Pallium  kein  Mantel ,  sondern  das 
Omophorion  zu  verstehen  ist,  folgt  aus  andern 
parallelen  Stellen  derselben  Schrift,  wo  unter 
pallium  nur  das  Omophorion  verstanden  wer- 
den kann,  so  c.  21   (1039)  und  c.  23  (1046). 

3  Epist.  1.  1,  n.  136  (Mg.  78,  272). 

4  Hist.  eccl.  1.  2,  c.  15  (Mg.  86 ',  189). 

'-  Vita  Eutychii  Patr.  c.  5  (Mg.  86 2,  2317). 

6  Breviar.  c.  21  und  23. 

7  Pratum  spirit.  c.  36  (Mg.  87 3,  2885). 


8  Legat.  Constant.  c.  62  (M.  G.  SS.  III 
361). 

9  Hard.  V  1103.  Daß  der  Kanon  dahin 
zu  verstehen  ist,  daß  alle  Bischöfe  bereits 
das  Omophorion  trugen,  nicht  aber,  daß 
dieses  nur  ein  Vorrecht  einzelner  Bischöfe 
war,  folgt  aus  der  Strafandrohung  am  Schlüsse 
des  Kanons.  Es  wird  dort  Absetzung  den 
Bischöfen  in  Aussicht  gestellt,  welche  das 
Ornatstück  anders  als  bei  bestimmten  Ge- 
legenheiten tragen  sollten.  Wäre  das  Omo- 
phorion   damals    noch    kein    allgemein    den 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


667 


Photius 1  hinzuweisen.  —  Immerhin  mag  in  Bezug  auf  den  Gebrauch  des  Omo- 
phorion  ein  Unterschied  zwischen  den  Patriarchen,  den  Metropoliten  und  den 
gewöhnlichen  Bischöfen  bestanden  haben.  Von  den  Patriarchen  scheint  es  in 
früherer  Zeit  auch  wohl  außerhalb  der  eigentlichen  gottesdienstlichen  Funktionen 
getragen  worden  zu  sein  2,  während  es  bei  den  gewöhnlichen  Bischöfen  lediglich 
liturgisches  Ornatstück  war,  das  zudem  nur  an  bestimmten  Tagen  und  bei 
bestimmten  Gelegenheiten  zur  Verwendung  kommen  durfte.  Dem  Bestreben 
mancher  Bischöfe,  ihre  Befugnisse  hinsichtlich  der  Benutzung  des  Omophorion 
zu  erweitern,  trat  der  eben  erwähnte  Kanon  des  vierten  Konzils  von  Konstan- 
tinopel mit  Entschiedenheit  entgegen.  Es  sollten  die  Bischöfe,  so  verordnet  er, 
sich  des  Ornatstückes  nur  bei  den  Gelegenheiten  bedienen,  für  die  ihnen  das 
schriftlich  oder  sonstwie  erlaubt  worden  sei ,  nicht  aber  das  Gewand  aus 
Prunksucht  und  Hoffart  gebrauchen,  noch  zu  jeder  Zeit  während  des  heiligen 
Opfers  oder  bei  jeder  beliebigen  kirchlichen  Funktion.  Den  Zuwiderhandelnden 
wird  für  den  Fall,  daß  sie  sich  nicht  bessern,  Absetzung  angedroht3.  In 
späterer  Zeit  war  das  Omophorion  bei  allen,  auch  den  Patriarchen,  ein  aus- 
schließlich liturgisches  Ornatstück.  Seine  Verwendung  beschränkte  sich  auf 
die  Feier  des  heiligen  Opfers  und  die  Vornahme  von  Weihehandlungen4.  Beim 
Evangelium  wurde  es  abgelegt  und  erst  vor  der  Elevation  nach  der  Kon- 
sekration wieder  angenommen.  Bei  dem  großen  Einzug  wurde  es  von  den  Dia- 
konen dem  Bischof  vorausgetragen 5.  Der  Brauch,  das  Omophorion  beim  Evan- 
gelium abzulegen,  ist  uralt.  Schon  Isidor  von  Pelusium  kennt  ihn.  Er  reicht 
also  sicher  bis  ins  4.  Jahrhundert  hinauf. 

Die  symbolische  Deutung  des  Omophorion,  wonach  dasselbe  Sinnbild 
des  verlorenen  Schäfleins  ist,  welches  der  Heiland  suchte,  auf  seine  Schultern 
nahm  und  zur  Herde  heimtrug,  stammt  von  Isidor  von  Pelusium  6.  Sie  wurde 
in  der  Folge  auch  wohl  dahin  erweitert,  daß  man  in  dem  Ornatstück  ein  Bild 
der  durch  den  Sündenfall  der  Stammeltern  in  die  Irre  gegangenen  mensch- 
lichen Natur  sah,  die  der  Heiland  in  der  Menschwerdung  zum  Heile  des  ver- 
lorenen Menschengeschlechtes  angenommen  und  so  gleichsam  auf  sich  ge- 
laden hatte7. 

Aber  auch  als  Insignie  des  Bischofs  und  als  Sinnbild  seiner  Würde 
und  seines  Amtes  erscheint  das  Omophorion  schon  sehr  früh,  und  zwar 
muß  es  nach  dem  Schreiben  Isidors  von  Pelusium  an  Herminus,  worin  es  dem 
Orarium,  dem  Abzeichen  der  Diakone,  gegenübergestellt  ist,  diesen  Charakter 
schon  im  Beginn  des  5.  Jahrhunderts  besessen  haben.    Auch  der  in  dem  Briefe 


Bischöfen  zustehendes  Gewand,  sondern  bloß 
ein  privilegiertes  Ornatstück  einzelner  Bischöfe 
gewesen ,  hätte  das  Konzil  gewiß  nicht  auf 
Absetzung,  sondern  auf  Entziehung  des  Omo- 
phorion erkannt. 

1  Havd.  VI  75.  Wenn  der  Papst  Photius 
untersagt,  den  bulgarischen  Bischöfen  das 
Pallium  zu  verleihen ,  so  will  er  demselben 
selbstredend  nicht  verbieten  ,  überhaupt 
Bischöfen  das  Omophorion  zu  geben.  Die 
Bulgaren  unterstanden  nicht  dem  Patriarchen 
von  Konstantinopel,  sondern  dem  römischen 
Stuhl.  Es  war  also  rechtswidrig  und  eine 
Anmaßung,  wenn  Photius  Bischöfen,  die  ihm 
nicht  untergeben  waren,  das  Pallium  sandte. 

2  Vgl.  die    angeführten  Stellen    aus  Theo- 


dorus     Lektor ,     Eustratius     und     Johannes 
Moschus. 

3  Hard.  V  1103. 

4  Simeon.  Thessal. ,  De  Sacra  liturgia 
c.  98 ;  De  ordin.  c.  209 ;  De  divino  templo 
c.  69  76  y0  (Mg.  155,  293  f  421  724 
728  739). 

5  So  schon  im  Pseudo-Sophronius  (Mg. 
87 3,  4002).  Vgl.  auch  Simeon  Thessal., 
De  sacra  liturgia  c.  110  und  De  divino  tem- 
plo c.  76  (Mg.  155,  296  728). 

6  Es  kann  nach  dem  einleitenden  Satz  des 
Briefes  kein  Zweifel  sein,  daß  die  Symbolik 
eine  eüp^mg  Isidors  ist. 

7  Simeon.  Thessal.,  De  Sacra  liturgia 
c.  82  (ebd.  260)  u.  a. 


668 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


erwähnte  Brauch,  wonach  der  Bischof  bei  Verlesung  des  Evangeliums  aus 
Ehrfurcht  vor  dem  Worte  Gottes  das  Gewand  abzulegen  hatte,  weist  auf 
jenen  Charakter  hin.  War  das  Omophorion  lediglich  ein  Kleidungsstück  wie 
die  andern,  welche  der  Bischof  sonst  noch  trug,  so  lag  kein  Grund  vor,  sich  des- 
selben bei  dieser  Gelegenheit  zu  entledigen.  Hatte  es  dagegen  den  Charakter 
einer  Insignie,  welche  die  bischöfliche  Würde  nach  außen  hin  kund  tat,  so 
versteht  man  die  Sitte  ohne  Schwierigkeit.  Wenn  das  Evangelium  gelesen 
wurde,  d.  i.  wenn  Christus  selbst  sprach,  war  nämlich  auch  der  Bischof  nur 
Hörer,  nicht  Lehrer,  Untergebener,  wie  Simeon  von  Saloniki  sagt,  nicht  Herr, 
bei  der  Konsekration  aber  erschien  er  nicht  in  seiner  bischöflichen  Hirten- 
gewalt,  sondern  bloß  als  Diener  Christi.  Es  war  mit  dieser  Auffassung  durchaus 
im  Einklang,  wenn  er  sich  bei  jenen  Akten  des  spezifischen  Abzeichens  seiner 
Würde  entkleidete.  Umgekehrt  war  er  von  neuem  der  Hirt  der  Herde,  wenn 
er  die  heiligen  Gestalten  dem  Volke  zeigte  und  den  Gläubigen  die  Kommunion 
austeilte,  und  darum  nahm  er  alsbald  nach  der  Wandlung  die  Insignie  wieder 
an1.  „Wenn  sich  der  wahre  Hirt  beim  Entrollen  der  verehrungswürdigen 
Evangelien  naht,  so  erhebt  sich  der  Bischof  und  legt  das  Gewand  ab,  durch 
das  er  als  dessen  Abbild  dasteht,  um  anzudeuten,  daß  zugegen  sei  der  Herr 
selbst,  der  Oberhirt",  sagt  in  gleichem  Sinne  schon  Isidor  von  Pelusium. 

Ihren  praktischen  Ausdruck  fand  diese  Bedeutung  des  Omophorion  in 
der  Rolle,  welche  dasselbe  ehedem,  und  zwar  schon  wenigstens  seit  dem  6.  Jahr- 
hundert bei  der  Ernennung  und  Absetzung  der  Bischöfe,  Metropoliten  und 
Patriarchen  spielte.  Rückgabe  des  Gewandes  bedeutete  Verzichtleistung'  auf 
das  Amt2;  einem  Bischof,  Metropoliten  oder  Patriarchen  das  Omophorion  ab- 
nehmen, war  dasselbe,  wie  ihn  seines  Amtes  entsetzen3.  Mit  dem  sog.  Omo- 
phorion des  hl.  Markus  sich  bekleiden,  wurde  zu  Alexandrien  als  rechtskräftige 
Besitzergreifung  des  dortigen  Patriarchalstuhles  angesehen4.  Das  Pallium 
jemanden  übergeben,  hieß  ihn  zum  Nachfolger  im  Patriarchat  machen 5.  Von 
einem  Patriarchen  das  Omophorion  annehmen,  besagte,  sich  dessen  Patriarchal- 
gewalt  unterwerfen6.  Bischöfen  das  Gewand  schicken  galt  soviel  wie  die 
Jurisdiktion  über  dieselben  beanspruchen  bzw.  sich  anmaßen7.  Die  genannte 
Bedeutung  des  Omophorion  war  auch  wohl  der  Grund,  weshalb  die  Patriarchen 
von  Konstantinopel  im  6.  Jahrhundert,  wie  es  scheint,  selbst  außerhalb  der 
liturgischen  Funktionen  das  Ornatstück  trugen8. 

Über  die  Beschaffenheit  des  Omophorion  besitzen  wir  aus  dem  Mittel- 
alter nur  äußerst  wenige  Angaben.  Der  Name,  den  es  gleich  bei  seinem  ersten 
Erscheinen  in  der  Literatur  führt,  weist  darauf  hin,  daß  es  schon  damals  ein 
von  dem  'tfidrwv,  dem  Mantelpallium,  ganz  verschiedenes  Schultergewand  war9. 


1  De  div.  templo  c.  70  90  (ebd.  723  739). 

2  Liberati  Breviar.  c.  21  (M.  68,  1039). 

3  Ebd.  c.  23  (1046);  Nicet.  Paphlag.  Vita 
S.  Ignatii  Patr.  (Mg.  105,  520).  Vgl.  auch 
die  Verhandlungen  betreffs  des  Bischofs  Bas- 
sianus  von  Ephesus  auf  dem  Konzil  von 
Chalcedon  451  (H  a  r  d.  II  548),  wo  unter 
dem  Ttspißnkaiov  r/jg  iepwmj>r/g  das  Omophorion 
zu  verstehen  ist  (ebd.  III  1181). 

4  Liberati  Breviar.  c.  20  (M.  68,  1036). 

5  Photii  Bibl.  cod.  256   (Mg.  104,  115). 

6  Constant.  IV.  can.  17  (lat.)  (Hard.  V 
906). 


7  I  o  a  n  n.  VIII.  Epist.  ad  Phot.  (ebd. 
VI   75). 

8  Theodori  Lect.  Hist.  eccl.  1.  2,  c.  15 
(Mg.  86',  189);  Eustratii  Vita  S.  Eutychii 
Patr.  c.  5  8  (Mg.  862,  2317  2359).  Vgl.  Theo- 
phan.,  Chronographia  ad  489  (I,  ed.  Bonnae 
1839,  217). 

9  Unter  dem  ü)ixo<pöpiov  verstand  man,  wie 
aus  Pallad.,  De  vita  S.  loannis  Chrysost. 
c.  6  (Mg.  47,  23)  hervorgellt,  eine  Art  von 
Schal.  Die  Vita  wurde  c.  408  geschrieben, 
ist  also  gleichzeitig  mit  dem  Brief  Isidors 
an    Herminus.      In    der    aus    derselben    Zeit 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


669 


Es  wurde  aus  Wolle  angefertigt,  wie  uns  Isidor  von  Pelusium  und  noch 
Simeon  von  Saloniki1  sagt,  und  nach  Pseudo-Germanus 2  und  dem  Metro- 
politen von  Saloniki  mit  Kreuzen  geschmückt.  Nach  letzterem  gab  es  deren 
vier  auf  ihm.  Aus  dem  von  Krasnojeljcev  herausgegebenen  Fragment3  und 
aus  Pseudo-Sophronius 4  endlich  vernehmen  wir,  daß  es  im  Gegensatz  zum 
diakonalen  Orarium,  das  in  einem  Zug  angelegt  wurde,  in  drei  Zügen  um- 
geschlungen wurde.  Das  ist  alles,  was  uns  vom  Omophorion  erzählt  wird, 
und  dieses  wenige  verteilt  sich  obendrein  auf  die  Zeit  von  nahezu  einem 
Jahrtausend.  Wir  werden  also  diese  spärlichen  Daten  durch  die  Beobachtungen 
zu  ergänzen  haben,  die  uns  die  Bildwerke  gestatten. 

Die  ältesten  Darstellungen  des  Omophorion  finden  sich  auf  den  zwei 
schon  früher  erwähnten  Miniaturen  einer  wahrscheinlich  noch  im  5.  Jahr- 
hundert geschriebenen  Weltchronik5.  Das  nächstfolgende  Monument,  auf 
dem  es  uns  begegnet,  ist  wohl  die  Trierer  Elfenbeintafel  (Bild  301),  wenn  anders 
diese   wirklich   dem    6.  Jahrhundert   angehört6.     Bildwerke   aus    dem   7.  und 


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Bild  301.     Reliquientranslation.    Elfenbeinplatte.     Trier,  Dom. 


8.  Jahrhundert,  welche  das  Omophorion  aufweisen,  sind  die  in  jüngster  Zeit 
entdeckten  Fresken  in  S.  Maria  Antiqua  am  römischen  Forum  mit  den  Bildern 
griechischer  Bischöfe.  Sie  werden  in  die  Zeit  Martins  I.  (f  655),  Johannes'  VII. 
(f  707)  und  Pauls  I.  (f  767)  gesetzt7.    Aus  dem  9.  Jahrhundert  verzeichnen 


stammenden  Historia  Lausiaca  wird  c.  38 
(Mg.  34,  1236)  bestimmt  zwischen  1/j.ärcov 
und  wp.ocpöpwv  als  zwei  verschiedenen  Ge- 
wandstücken unterschieden :  iptmov  xanu^ 
7j     tbij.O(pöpiO)>     7]     uizüdrjfxa      oudi—orz     Xaßslv 

7j&eÄ7]OSV. 

'  De  sacra  liturgia  c.  82  (Mg.  155,  260). 

2  Mg.  98,   396. 

3  N.  Erasnoj  eljce  v,  Addenda  ad  Anec- 
dota  graeco-byzantina  n.  13. 

4  Mg.  87 3,  3985. 

5  Vgl.  über  dieselbe  oben  S.  236. 

6  Über  das  Alter  der  Tafel  vgl.  ebd. 


7  Da  die  Fresken  erst  nach  unserem  Auf- 
enthalt zu  Rom  aufgedeckt  wurden  und  Photo- 
graphien derselben  nicht  erhältlich  sind,  haben 
wir  uns  über  die  Bilder  ein  eigenes  Urteil 
nicht  bilden  können.  Doch  erhielten  wir  Aus- 
kunft über  sie  durch  die  gütigen  Mitteilungen 
von  Msgr  Dr  Wilpert,  der  gerade  eine  Ver- 
öffentlichung aller  in  S.  Maria  Antiqua  ge- 
fundenen Fresken  mit  der  ihm  eigenen,  bei 
der  Herausgabe  der  Katakombenmalereien  so 
glänzend  erprobten  Fähigkeit  leitet.  Ge- 
naueres über  die  Bischofsbilder  wird  eben 
diese  Publikation  bringen. 


670 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


wir  Miniaturen  mit  Darstellungen  des  Ornatstückes  im  Chludolfpsalter  zu 
Moskau  l  und  in  einer  Sammlung  der  Homilien  Gregors  von  Nazianz  in  der 
Pariser  Nationalbibliothek2.  Seit  dem  10.  werden  die  Monumente,  auf  denen 
uns  das  Omophorion  begegnet,  bald  sehr  zahlreich. 

Das  Omophorion,  welches  der  Patriarch  Theophilus  auf  den  Miniaturen 
der  Weltchronik  trägt,  ist  ein  streifenartiges  Tuch,  welches  in  der  Weise 
den  Hals  umgibt,  daß  eines  seiner  Enden  von  der  linken,  das  andere  von  der 
rechten  Schulter  eine  kurze  Strecke  über  die  Brust  herabhängt.  Auf  dem 
Trierer  Elfenbein  (Bild  301)  gleicht  es  dem  Pallium  der  ravennatischen  Mosaiken, 
nur  daß  es  etwas  weniger  tief  und  zugleich  etwas  loser  als  dieses  um  Brust 

und  Nacken  geschlungen  ist.  Wesent- 
lich das  gleiche  Bild  gewährt  auch 
das  Omophorion  auf  den  Dar- 
stellungen aus  dem  7. — 9.  Jahrhun- 
dert, doch  ist  es  hier  bereits  von 
merklich  größerer-  Breite  als  auf 
der  Tafel  zu  Trier;  bisweilen  er- 
scheint es  sogar  fast  doppelt  so 
breit  wie  das  Omophorion  auf  dem 
Trierer  Elfenbein.  Außerdem  zeigt  es 
sich  schon  auf  einzelnen  Bildwerken 
in  Y-Form  umgelegt  (Bild  302). 

Seit  dem  9.  Jahrhundert  ist 
keine  weitere  Entwicklung  in  der 
Form  und  Anlegungsweise  des  Omo- 
phorion auf  den  Monumenten  wahr- 
zunehmen. Das  Bild,  welches  diese 
uns  seit  jener  Zeit  von  dem  Ornat- 
stück gewähren,  ist  regelmäßig  das 
eines  breiten  Bandes,  welches  bald 
nach  Weise  des  Palliums  auf  den 
ravennatischen  und  den  älteren  rö- 
mischen Mosaiken  lose  um  Schul- 
tern, Brust  und  Rücken  geschlungen 
ist,  bald  auf  der  Brust  des  Trägers 
ein  Y  (Bild  42,  S.  97;  111,  S.  237; 
142,  S.  304)  bildet.  Meist  sind  es 
Bildwerke  aus  dem  Ende  des  1.  und 
der  Frühe  des  2.  Jahrtausends,  auf 
denen  diese  letzte  Anlegungsart  auftritt;  in  späterer  Zeit  kommt  sie  auf  den 
Monumenten  seltener  vor  oder  erscheint  doch  wenigstens  auf  ihnen  minder 
scharf  ausgesprochen. 

Von  einer  besondern  Ausstattung  des  Omophorion  ist  auf  den  Miniaturen 
der  alesandriniscben  Weltchronik  und  dem  Trierer  Elfenbein  nichts  wahr- 
zunehmen. Auf  den  Bildwerken  der  Folgezeit  ist  es  regelmäßig  mit  großen 
schwarzen  Kreuzen  verziert,  von  denen  sich  zwei  vor  den  Schultern,  zwei 
andere  nahe  den  unteren  Enden  des  Omophorion  zu  befinden  pflegen. 


Bild  302.    Der  hl.  Gregor  von  Nyssa.    Miniatur 

einer  Sammlung  der  Homilien  Gregors  von 

Nazianz.     Paris,  Bibl.  Nat. 


1  Abbildung   bei  Tikkanen,  Psalterillu- 
strationen 1  82. 

2  F.  gr.  510;  Wiedergabe    der  Miniaturen 


in  H.  Omont,  Facsimiles  des  miniatures 
des  plus  anciens  manuscrits  grecs  de  Ia  Biblio- 
thüque  nationale,  Paris  1902,  pl.  xxvn  ff. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


671 


Die  Farbe  des  Omophorion  ist  auf  den  Monumenten  --  die  Skulpturen 
kommen  natürlich  bezüglich  dieses  Punktes  nicht  in  Betracht  -  -  stets  weiß. 
Ob  es  ursprünglich  aus  mehreren  Stofflagen  bestand  und  nicht  ein  einfaches 
Band,  sondern  ein  streifenartig  zusammengefaltetes  Tuch  war,  lassen  die  Bild- 
werke nicht  erkennen.  Nur  auf  einem  dem  10. — 11.  Jahrhundert  angehörenden 
Elfenbeintriptychon  der  ehemaligen  Sammlung  Harbaville  zu  Arras,  jetzt  im 
Louvre  (Bild  299,  S.  663),  und  auf  einer  Miniatur  einer  griechischen  Hand- 
schrift der  Vaticana  aus  dem  12.  Jahrhundert  scheint  die  eigenartige  Form, 
welche  hier  das  Omo- 
phorion einiger  Bi- 
schofsfiguren unten  hat, 
auf  eine  mehrfache  Fal- 
tung hinzuweisen,  vor- 
ausgesetzt, daß  es  sich  '"<- 
bei  ihr  nicht  um  eine 
künstlerische  Willkür- 
lichkeit handelt,  was 
allerdings,  wie  früher 
gesagt  wurde,  nicht 
gerade  unwahrschein- 
lich ist1. 

Ein  interessantes 
älteres  Omophorion  befin- 
det sich  zu  Grottaferrata 
bei  Frascati  (Bild  303). 
Laut  einer  Inschrift,  die 
nahe  an  dem  einen  der 
beiden  Enden  dem  Ge- 
wand aufgestickt  ist,  ge- 
hörte es  ehedem  dem  Me- 
tropoliten Theophanes 
von  Patrasso.  Es  ist  aus 
weißem,  mit  ganz  ent- 
artetem Granatapfel  ge- 
musterten Damast  ge- 
macht und  außer  mit  vier 
großen,  die  ganze  Breite 
des  Streifens  einnehmen- 
den Kreuzen  in  der  Mitte 
mit  dem  Bilde  des  Erlö- 
sers, nach  den  Enden  zu 
aber  mit  je  zwei  parallelen 
Querstreifen  verziert.  Dazu  kommen  noch  in  den  Winkeln  zwischen  den  Kreuzesbalken 
sechsflügelige  Seraphim.  Die  Kreuze  weisen  je  drei  Szenen  aus  dem  Leben  des  Hei- 
landes und  der  Gottesmutter  auf,  von  denen  die  mittlere  zur  Rechten  und  zur  Linken 
von  einem  Propheten  flankiert  ist.  Die  beiden  Parallelstreifen  an  den  Enden  des 
Omophorion  enthalten  Cherubim.  Alle  diese  Verzierungen  sind  in  Goldstickerei  aus- 
geführt; nur  zur  Herstellung  der  Fleischpartien  und  des  Haares  ist  farbige  Seide 
verwendet. 

Das  Omophorion    trägt   das  Datum    1618,    doch  soll   das  nur  vom    Stoff,    nicht 
von    den  Stickereien   gelten.     Mit  Unrecht.     Ein  Vergleich   der   letzteren   mit  andern 


Bild  303. 


Reichbesticktes  griechisches  Omophorion. 
Grottaferrata,  Kloster. 


S.  oben  S.  661. 


672  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

griechischen  Stickereien  dieser  Zeit  beweist,  dal*3  sie  diesen  nach  Stil  und  Technik 
durchaus  gleichartig  sind.  Wenn  man  sich  für  die  Zuweisung  der  Stickereien  an  das 
13.  Jahrhundert  auf  den  Charakter  der  Inschriften  beruft,  so  ist  zu  beachten,  daß 
gerade  die  Goldstickerei  infolge  ihrer  eigenartigen  schwerfälligen  Technik  länger  als 
die  gewöhnliche  Schrift  an  altertümelnden  Formen  festgehalten  hat l. 

Zwei  andere  ältere  Omophorien  sind  in  den  Antiquites  de  Fennpire  de  Busse 
abgebildet 2.  Sie  sind  mit  einfachen  Kreuzen  besetzt  und  an  den  Enden  mit  Quästchen 
verziert.  Das  eine  soll  angeblich  vom  Metropoliten  Nicetas  (f  1126),  das  andere 
vom  Metropoliten  Moses  (f  1359)  herrühren,  doch  dürften  beide,  ihrer  Beschaffenheit 
nach  zu  urteilen,  aus  weit  späterer  Zeit  stammen. 

Wann  es  im  syrischen  Ritus  zu  der  jetzigen  Form  des  Omophorion 
gekommen,  läßt  sich  nicht  bestimmen.  Dürfen  wir  den  Miniaturen  des  syrischen 
Pontifikale  in  der  Pariser  Nationalbibliothek  trauen,  einer  Arbeit  aus  dem 
Jahre  1239,  so  war  sie  zur  Zeit  der  Entstehung  desselben  schon  in  Brauch. 
Jedenfalls  war  das  Omophorion  damals  bereits  entschieden  im  Stadium  der 
Verbildung  begriffen  (Bild  16,  S.  51;   112,  S.  238). 

Wie  aber  steht  es  um  den  Ursprung  der  bischöflichen  Insignie  in 
den  Riten  des  Ostens?  Ist  diese  hier  vielleicht  auf  eine  kaiserliche  Bewilligung 
zurückzuführen  oder  hat  auch  in  ihnen  die  Kirche  sie  geschaffen  ?  Es  ist  dieselbe 
Frage,  die  wir  hinsichtlich  des  römischen  Palliums  aufwerfen  mußten ;  dieselbe 
Antwort,  die  wir  dort  gaben,  gilt  auch  im  vorliegenden  Fall.  An  sich  und 
absolut  genommen  ließe  sich  ja  freilich  denken,  es  habe  eines  Tages  irgend 
ein  Kaiser  im  4.  Jahrhundert,  etwa  Konstantin,  den  Bischöfen  oder  doch 
wenigstens  den  Inhabern  hervorragender  Sitze  die  Erlaubnis  gegeben,  als 
Auszeichnung  sich  des  Omophorion  zu  bedienen.  In  Wirklichkeit  begegnet 
uns  jedoch  niemals  auch  nur  die  geringste  Spur  eines  derartigen  Ursprungs. 
Zu  Alexandrien  führte  man  vielmehr  —  und  zwar  schon  im  Beginn  des  6.  Jahr- 
hunderts —  das  Omophorion  auf  den  hl.  Markus  zurück.  Zudem  erscheint  das 
Ornatstück  stets  als  ein  ausgesprochen  kirchlicher  Schmuck,  als  die  sakrale 
Insignie  der  Bischöfe.  Und  dann  gab  es  ja  außer  dem  Omophorion  noch  ein 
anderes  liturgisches  Abzeichen,  das  diakonale  Orarium ,  dessen  Ingebrauch- 
nahme sicher  nicht  auf  eine  kaiserliche  Vergünstigung  zurückgeht. 

Allerdings  berichtet  uns  Liberatus3,  daß  Anthimus,  den  Theodora  auf 
den  Stuhl  von  Konstantinopel  erhoben  hatte,  dem  Kaiser  und  der  Kaiserin 
das  Pallium  zurückgegeben,  als  er  erkannt  habe,  daß  er  gegen  den  Einspruch 
des  Papstes  Agapet  sich  nicht  halten  könne.  Indessen  liegt  auf  der  Hand, 
daß  aus  dem  Verhalten  des  Eindringlings  nur  folgt,  das  Omophorion  sei 
damals  ausgesprochene  bischöfliche  Insignie  gewesen,  nicht  aber  auch,  es  sei 
auf  Grund  einer  Bewilligung  durch  irgend  einen  Kaiser  in  Brauch  ge- 
kommen. Als  Anthimus  dem  Kaiserpaar  das  Omophorion  zurückstellte,  be- 
deutete das  lediglich  die  Verzichtleistung  auf  die  Würde,  die  er  durch  die 
Protektion  und  die  Machinationen  der  Kaiserin  Theodora  erhalten  hatte, 
weiter  nichts.  Ähnlich  verhält  es  sich,  wenn  uns  Liberatus  berichtet,  es  habe 
Kaiser  Pelagius  dem  päpstlichen  Apokrisiar  Pelagius,  den  Patriarchen  von 
Jerusalem  und  Antiochien  und  dem  Bischof  von  Ephesus  befohlen,  den 
Patriarchen   Paulus   von  Alexandrien,    der   sein   Mißfallen   erregt   hatte,   des 


1  Über  das  Omopliorion  von  Grottaferrata  sar,  L'omoforio  o  pallio  sacro  di  Grottaferrata 

vgl.  Farabulini,  Archeologiaed  arte  rispetto  (1897)  ser.  XVI,  vol.  IX,  p.  220  ff. 

a  un  raro  monumento  greco,  conservato  nella  a  Antiquites  I,  pl.  97  100. 

badia  di  Grottaferrata,  Roma  1883,  und  Gri-  3  Breviar.  c.  21  (M.  68,  1039). 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium. 


673 


Palliums  zu  entkleiden  und  so  abzusetzen ,  was  denn  auch  in  der  Tat  ge- 
schehen sei1.  Der  Vorgang  beweist  wiederum  bloß,  daß  das  Omophorion 
Abzeichen  der  bischöflichen,  hier  der  patriarchalen  Würde  war;  einen  Schluß 
auf  den  Ursprung  des  Gewandes  gestattet  er  ebensowenig,  wie  der  Befehl 
des  Kaisers,  Paulus  seines  Amtes  zu  entsetzen,  einen  Schluß  auf  den  Ursprung 
der  bischöflichen  Würde  überhaupt  oder  doch  wenigstens  der  Patriarchal würde 
von  Alexandrien  erlaubt. 

Die  Theorie,  wonach  der  Ursprung  des  Omophorion  auf  eine  kaiserliche 
Verleihung  zurückgehen  soll,  hat  darum  auch  noch  viel  weniger  Beifall  ge- 
funden als  die  Hypothese,  welche  clas  päpstliche  Pallium  auf  eine  Bewilligung 
durch  den  Kaiser  zurückführen  wollte.  Was  in  Bezug  auf  dieses  für  manche 
den  mangelnden  Beweis  ersetzte,  der  Wunsch,  eine  Abhängigkeit  des  Papstes 
vom  Kaiser  zu  konstruieren,  fiel  ja 
beim  Omophorion  nicht  ins  Gewicht. 

Wie  ist  es  nun  aber,  wenn  das 
Omophorion  auf  kirchlichem  Boden  ent- 
standen ist,  zur  Einführung  desselben 
gekommen?  Hat  es  sich  vielleicht  in- 
folge des  angeblich  in  Mode  gekommenen 
Brauches,  das  Mantelpallium  Qftdzcov) 
zusammengefaltet  zu  tragen,  aus  dem 
Mantelpallium  entwickelt,  so  daß  es 
also  nur  eine  Verbildung  und  Verküm- 
merung eben  dieses  Mantelpalliums 
wäre?  So  will  es  Wilpert  im  Einklang 
mit  seiner  Hypothese  über  den  Ursprung 
des  römischen  Palliums  2. 

Wir  müssen  eine  solche  Theorie 
auch  hier  ablehnen.  Es  fehlt  jeder 
Anhaltspunkt,  daß  das  Mantelpallium 
im  Osten  bei  den  Christen  und  mehr 
noch  bei  den  Priestern  und  Bischöfen 
je  die  hohe  Bedeutung  hatte,  die  Wil- 
pert ihm  zuschreibt.     Ebenso  mangelt 


Bild  804.     Profanes  Omophorion.     Miniatur 
eines  Psalterium   (10.  Jahrh.).     Paris,  Bibl.  Nat. 


dort  alle  Spur  von  der  angeblichen 
Mode,  das  Himation  zusammengefaltet  umzulegen.  Nichts  weist  ferner  darauf 
hin,  daß  dieses  jemals  ein  den  Bischöfen  vorbehaltenes  Gewand  gewesen  oder 
geworden  sei.  Ja  wenn  das  Omophorion  noch  wenigstens  \jio\riov  hieße  oder 
doch  früher  einmal  so  genannt  worden  wäre.  Allein  es  trägt  weder  jetzt  diesen 
Namen,  noch  findet  sich  der  leiseste  Anhalt,  daß  es  ihn  zu  irgend  einer  Zeit 
geführt  habe.  Wohl  aber  steht  es  fest,  daß  es  schon  um  400  außer  dem 
bischöflichen  Omophorion  auch  bei  andern  Leuten,  Männern  wie  Frauen,  ein 
Schultertuch  des  Namens  cb/wy>6piov  gab 3  (Bild   304),  und  ebenso  ergibt  sich 


1  Ebd.  c.  23  (1046).  2  Cap.  56. 

3  Pal  lad.,  De  vita  S.  Ioannis  Chrys.  c.  6 
(Mg.  47,  23) :  ivuAst  (sc.  Theophilus,  Patriarch 
von  Alexandrien)  tü>  'Ap/iovlw  (er  war  Abt) 
fcjdfii  fjXtxitÖTfl ,  tu  ü>[io<pöptov  iv  TW  TpayjjXui 
olxeiaiq  '/zpai  zai  —X-qj-äq  zalq  mayum'j  adroü 
ip.tpopr^aq,  ovveoTratr/Jiivoig  day.TÜXotq  aifj.d£;aq 
TÜq  phaq.  Histor.  Lausiaca  c.  38  (M.  34, 
Braun,  Die  liturgische  Gewalidung. 


1236) :  '/piiTiov  xauvdv  %  wpopöpiov  rj  ünö- 
drjpa  ouSi-oTt  Xaßeiv  v/t'HXrj<TS)i.  Vgl.  auch  Leo 
Gramm  at. ,  Chronographia,  ed.  Bonnae  1842, 
241  311  (Mg.  108,  1073  1145),  wo  ein  in 
der  Blachernenkirche  zu  Konstantinopel  auf- 
bewahrtes Omophorion  der  Mutter  Gottes  er- 
wähnt wird,  und  Codinus,  De  aedif.,  ed. 
Bonnae  1843,  98  (Mg.  157,  177),  wo  von  einem 

43 


674 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


aus  der  Historia  Lausiaca  mit  aller  Klarheit,  daß  dieses  Omophorion  ein 
durchaus  selbständiges,  neben  dem  Himation  bestehendes  und  von  diesem 
ganz  verschiedenes  Gewandstück  war,  ähnlich  wie  heutzutage  Mantel  und 
Shawl  zwei  besondere,  voneinander  unabhängige  Dinge  sind1.  Wozu  also, 
dürfen  wir  wohl  mit  Recht  fragen,  das  Omophorion  auf  den  zwar  behaupteten, 
aber  nicht  bewiesenen  Brauch,  das  Himation  zusammengefaltet  zu  tragen, 
zurückführen,  wenn  uns  um  400  ein  Gewand  begegnet,  dessen  ganz  und  gar 
konkrete  Benennung  seine  Verwandtschaft  mit  dem  gleichnamigen  bischöflichen 
Ornatstück  zur  Genüge  andeutet?  Ist  es  nicht  das  natürlichste,  die  bischöfliche 
Insignie  mit  eben  diesem  Schultertuch  in  Zusammenhang  zu  bringen? 

Wie  aber  haben  wir  uns  diesen  Zusammenhang  vorzustellen  ?  Nun, 
entweder  haben  die  Bischöfe  ein  dem  gewöhnlichen  Omophorion  gleichartiges 
und  daher  ebenfalls  Omophorion  genanntes  Schultertuch  direkt  durch  eine 
positive  Bestimmung  als  sakrales  bischöfliches  Abzeichen  eingeführt,  und  das 
scheint  uns  das  wahrscheinlichere,  oder  es  hat  das  gewöhnliche  Omophorion 
zunächst  als  bloßer  Schmuck  und  ohne  eine  besondere  Bedeutung  zu  besitzen, 
einen  Bestandteil  der  bischöflichen  Altarkleidung  gebildet,  dann  sich  nach  und 
nach  zu  einem  auszeichnenden  Ornat  der  Bischöfe  entwickelt  und  in  dieser 
Eigenschaft  schließlich  den  Charakter  einer  Insignie  erhalten2.  Wann  das 
Omophorion  als  bischöfliches  Abzeichen  aufkam,  läßt  sich  nicht  feststellen. 
Immerhin  legt  der  Umstand,  daß  bereits  der  22.  Kanon  des  Konzils  von  Laodicea 
ein  Orarium  als  Insignie  der  Diakone  kennt,  die  Vermutung  nahe,  daß  um 
dieselbe  Zeit,  d.  i.  um  das  dritte  Viertel  des  4.  Jahrhunderts,  ebenfalls  schon 
ein  bischöfliches  Abzeichen  in  Gestalt  des  Omophorion  in  Brauch  gewesen 
sei.  Auch  auf  die  Frage,  wo  die  Heimat  des  letzteren  zu  suchen  sei,  läßt 
sich  keine  bestimmte  Antwort  geben.  Am  ehesten  dürfte  es  jedoch  eine 
Schöpfung  der  Kirche  von  Alexandrien  sein ;  denn  es  begegnet  uns  nicht  nur 
zuerst  im  Bereich  der  alexandrinischen  Kirchenprovinz,  es  war  auch  der 
Bischof  von  Alexandrien  bekanntlich  zur  Zeit  der  Entstehung  des  Omophorion 
der  erste  Hierarch  des  Orients  und  überhaupt  der  nächste  im  Rang  nach 
dem  römischen  Bischof,  die  Kirche  zu  Alexandrien  aber  rechtlich  und  tatsäch- 
lich die  hervorragendste  unter  allen  andern  des  Ostens. 


X.    DIE  BISCHÖFLICHE  INSIGNIE  IN   DEN  KIRCHEN  GALLIENS, 
SPANIENS  UND  NORDAFRIKAS. 

Im  bisherigen  war  nur  die  Rede   von   dem  römischen  Pallium  und  dem 
bischöflichen  Omophorion   in   den    Riten   des  Ostens.     Es   erübrigt  daher,    zu 


Omophorion  der  hl.  Anna  die  Rede  ist,  das 
in  der  von  Justinian  erbauten  Kirche  der 
Heiligen  gezeigt  wurde.  Solche  Omophorien 
waren  auch  noch  in  späterer  Zeit  gebräuch- 
lich. Beispiele  derselben  finden  sich  u.  a.  auf 
den  griechischen  Fresken,  die  in  S.  Saba 
zu  Rom  aufgedeckt  wurden,  in  einem  Pariser 
Psalterium  (Msc.  gr.  139,  f.  431")  Bild 
304,  S.  673  und  einem  Pariser  Gregor  von 
Xazianz  (Msc.  gr.  510,  f.  143v  196'  310"). 

1  Wenn  Wilpert,  wie  es  den  Anschein 
hat,  meint,  das  ißäziov  habe  seinen  Namen 
gewechselt,  seitdem  man  es  zusammengefaltet 
auf  der  Schulter  getragen  habe,  und  von 
da   an  wp.CHpopwj  geheißen,  so   ist   nicht  er- 


sichtlich .     welcher    Anhalt   für   eine    solche 
Annahme  vorliegt. 

2  Zu  Rom  dürfte  unseres  Erachtens  das 
Pallium  direkt  als  Insignie  eingeführt  worden 
sein.  Der  Umstand,  daß  es  hier  ursprüng- 
lich ein  spezifisch  päpstliches  Ornatstück  war, 
scheint  durchaus  darauf  hinzuweisen.  Beim 
Omophorion,  welches  schon  nach  Isidor  von 
Pelusium  die  Bischöfe  überhaupt  trugen, 
möchten  wir  dagegen  eine  allmähliche  Aus- 
bildung zur  Insignie  nicht  schlechthin  aus- 
schließen, wiewohl  wir  auch  hier  für  unsere 
Person  am  meisten  zu  der  ersten  im  Text 
dargelegten  Auffassung  von  dem  Ursprung 
des  Ornatstückes  neigen. 


Drittes  Kapitel.     Das  Pallium.  675 

untersuchen,  ob  es  auch  in  den  Kirchen  Galliens,  Spaniens  und  Nordafrikas 
eine  jenen  analoge  bischöfliche  Insignie  gegeben  habe.  Ist  die  Frage  auch 
von  keiner  besondern  Bedeutung,  so  darf  sie  doch  nicht  ganz  unberührt 
bleiben.  Natürlich  kann  es  sich  bei  ihr  nur  um  die  ältere  Zeit  handeln,  für 
Nordafrika  insbesondere  bloß  um  die  Zeit  vor  der  Vernichtung  der  dortigen 
Kirche  durch  die  Sarazenen  im  7.  Jahrhundert. 

Die  Stellen,  in  welchen  man  einen  Hinweis  auf  eine  im  gallikanischen 
Ritus  gebräuchliche  bischöfliche  Insignie  zu  finden  glaubte,  sind  der  6.  Kanon 
der  Synode  von  Mäcon  (583) 1  und  die  auf  ein  liturgisches  pallium  sich  be- 
ziehenden Ausführungen  der  gallikanischen  Mefierklärung.  Daß  eine  solche 
in  Spanien  Verwendung  fand,  soll  der  28.  Kanon  des  vierten  Konzils  von 
Toledo  (633) 2  bekunden.  Für  ihre  Existenz  in  den  Kirchen  Afrikas  beruft 
man  sich  auf  einen  Passus  in  der  Vita  des  hl.  Fulgentius  (f  ca  530) 3  und 
auf  den  Brief4,  in  welchem  Viktor  von  Karthago  dem  Papst  Theodor  (642—649) 
unter  anderem  auch  seine  Erhebung  auf  den  bischöflichen  Stuhl  von  Karthago 
mit  den  Worten  anzeigt,  er  habe  in  sancta  Carthaginiensis  civitatis  ecclesia 
pontificalis  honoris  consecrationem  et  stolam  empfangen. 

Bieten  nun  diese  Stellen  wirklich  eine  genügende  Unterlage  für  die  An- 
nahme, daß  es  in  den  Kirchen  Nordafrikas,  Spaniens  und  Galliens  eine  dem 
römischen  Pallium  oder  dem  griechischen  Omophorion  analoge  bischöfliche 
Insignie  gegeben  habe?  Unseres  Erachtens  nein.  Denn  das  orarium  in  dem 
angeführten  Passus  der  Vita  Fulgentii  kann ,  wie  schon  früher  dargelegt 
wurde,  nach  dem  Zusammenhang  nur  ein  gewöhnliches  Halstuch  besserer 
Qualität  oder  (vielleicht  richtiger)  ein  Schweißtuch,  wie  es  bei  den  Bischöfen, 
nicht  aber  bei  den  Mönchen  in  Gebrauch  war 5,  bedeuten.  Der  Biograph  will  nur 
sagen,  obwohl  der  Heilige  sich  wie  die  andern  Bischöfe  seinem  Stande  gemäß 
einen  gewissen  Luxus  in  der  Kleidung  habe  gestatten  können,  so  habe  er  es  doch 
vorgezogen,  auch  als  Bischof  weiterhin  mönchische  Einfachheit  zu  beobachten. 
Es  ist  also  unter  dem  fraglichen  Orarium  so  wenig  ein  bischöfliches  Pallium 
zu  verstehen,  daß  mit  ihm  nicht  einmal  ein  liturgisches  Ornatstück  gemeint 
ist6.  Was  die  stola  im  Schreiben  Viktors  von  Karthago  betrifft,  so  besagt 
das  Wort  hier  allem  Anschein  nach  nicht  sowohl  ein  bestimmtes  sakrales 
Gewand,  als  vielmehr  entweder  allgemein  die  Pontifikalkleidung  oder  wohl 
zutreffender  metaphorisch  die  bischöfliche  Würde  7.  Das  orarium  im  28.  Kanon 
der  Synode  von  Toledo  erscheint  zwar  als  liturgisches  Ornatstück,  ja  als  litur- 
gisches Abzeichen  s;  bei  ihm  an  eine  spezifisch  bischöfliche  Insignie  von  der  Art 
des  Palliums  oder  des  Omophorion  zu  denken,  verbietet  jedoch  der  Umstand, 
daß  im  gleichen  Kanon  von  einem  diakonalen  und  priesterlichen  Orarium  die 
Rede  ist.  Auch  beim  pallium  des  6.  Kanons  der  Synode  von  Mäcon  und  der 
gallikanischen  Meßerklärung  handelt  es  sich  wohl  nicht  um  ein  spezifisch 
bischöfliches  Abzeichen  von  der  Art  des  römischen  Palliums  oder  des  griechi- 
schen Omophorion.  Denn  in  diesem  Falle  wäre  es  ja  kaum  verständlich,  daß 
sich   die  Synode   von  Mäcon   veranlaßt   sah,    den  Bischöfen   seinen    Gebrauch 


1  M.  G.  Conc.  I  157.  (M.  G.  Conc.   I   7)  :   Monacho   uti   orario   in 

2  Hard.  111  586.  monasterio  .  .  .  non  licet. 

3  C.  18  (M.  65,  136).  G  S.  auch  oben  S.  573. 

4  Hard.  III  755.  '  Im    griechischen    Text    des    Schreibens 

5  Vgl.  z.  B.  Isidori  Reg.  monach.  c.   12  fehlt  aroX-fj  und  ist  auf  die  Gewandung  kein 
(M.  83 ,  882)  :  Orarium  non  est    fas  uti  (sc.  Bezug  genommen. 

monacho)    und    Conc.   Araus.    a.    511,    c.  '20  *  S.  oben  S.  569  f. 

43  * 


676 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


bei  der  Messe  einzuschärfen.  Oder  haben  wir  etwa  in  der  Geschichte  des 
Palliums  und  des  Omophorion  irgend  ein  Gegenstück  zu  einer  solchen  Verord- 
nung? Ging  hier  nicht  im  Gegenteil  die  Tendenz  stets  statt  auf  Verminde- 
rung der  Verwendung  auf  übermäßigen  Gebrauch  der  Insignie  hinaus?  Es 
ist  nicht  ganz  sicher,  welchen  Bestandteil  der  liturgischen  Gewandung  wir  in 
dem  fraglichen  pallium  zu  sehen  haben.  Doch  scheint  es  kaum  zweifelhaft, 
daß  wir  darunter  die  priesterliche  Stola  zu  verstehen  haben  1. 

Die  Theorie  von  einem  afrikanischen,  spanischen  und  gallischen  Pal- 
lium steht  sonach  auf  einer  so  unzuverlässigen  Unterlage,  daß  wir  kein  Be- 
denken tragen,  sie  abzulehnen.  Gab  es  in  den  Kirchen  Nordafrikas,  Spaniens 
und  Galliens  wirklich  ein  Pendant  des  römischen  Palliums  und  des  Omo- 
phorion, so  ist  es  schwer  begreiflich,  daß  wir  nicht  irgend  eine  auch  nur 
halbwegs  sichere  Nachricht  von  ihm  erhalten.  Ferner  ist  es  unverständlich, 
warum  nicht  nur  die  Metropoliten  in  Gallien  und  Spanien,  sondern  auch 
Bischöfe  um  das  römische  Pallium  baten,  falls  sie  eine  eigene  pontifikale 
Insignie  hatten.  Oder  hören  wir  jemals  dergleichen  von  griechischen  Bi- 
schöfen?2 Und  warum  weist  Gregor  d.  Gr.,  der  doch  bei  den  Palliumver- 
leihungen  die  Sache  sehr  genau  nahm,  in  seinen  Verhandlungen  mit  Syagrius 
und  Brunhilde  wegen  der  Erteilung  des  Palliums  an  Syagrius  nicht  mit  irgend 
einem  Wort  auf  das  gallikanische  bischöfliche  Pallium  hin?  Endlich  wie 
konnte  es  zugehen ,  daß  ein  so  hochbedeutsames  Ornatstück  bei  den  Bi- 
schöfen Spaniens  und  Galliens  vollständig  aus  dem  Gebrauch  kam,  ohne  daß 
es  durch  etwas  anderes  ersetzt  wurde?  Solange  nicht  andere  Beweise  für 
ein  bischöfliches  Pallium  in  Nordafrika,  Spanien  und  Gallien  gebracht  werden, 
darf  man  also  ein  solches  wohl  als  unhistorisch  betrachten. 


VIERTES  KAPITEL. 

DAS  RATIONALE. 


I.   DAS  RATIONALE  IN  DER  GEGENWART. 

Unter  dem  Rationale  versteht  man  einen  liturgischen  pontifikalen  Schulter- 
schmuck, ein  Gegenstück  des  erzbischöflichen  Palliums 3.  Es  ist  gegenwärtig 
nur  noch  bei  den  Bischöfen  von  Eichstätt,  Krakau,  Paderborn  und  Toul  ge- 
bräuchlich, während  es  sich  im  Mittelalter  bei  einer  größeren  Anzahl  deutscher 


1  S.  oben  S.  572  f. 

5  Wenn  die  Bischöfe  von  Korinth,  Justiniana 
prima  und  Nikopolis  von  Gr.  d.  Gr.  das 
Pallium  erbaten  und  erhielten  (s.  oben  S.  625), 
so  geschah  das,  weil  sie  damals  noch  zum 
römischen  Patriarchat  gehörten  und  demnach 
das  Omophorion  nicht  trugen. 

3  Die  jüngere  Zeit  hat  eine  Anzahl  mehr 
oder  weniger  eingehende  Untersuchungen 
über  das  Rationale  zu  Tage  gefördert,  von 
denen  wir  hier  die  bemerkenswerteren  ver- 
zeichnen :  Barbier  de  Montault,  Parti- 
cularit6  du  costume  des  eveques  de  Poitiers, 
in  Bullet,  mon.  XUII  (1877)  639;  Le  buste 
de  saint  Adelphe,  in  M6moires  de  la  Soci6tö 
d'arch^ologie    lorraine  1885;  Le  Surhumeral 


des  6veques  de  Toul ,  ebd.  1887 ;  Compte 
rendu  critique  de  la  dissertation  de  l'abbe 
Cerf  sur  le  Rational,  in  Revue  1890.  Cerf, 
Dissertation  sur  le  Rational  en  usage  dans 
l'eglise  romaine  et  dans  l'^glise  de  Reims, 
in  Travaux  de  l'Academie  de  Reims  1889. 
Braun,  Das  Rationale,  in  Zeitschrift  1903. 
P.  Beda  Kleinschmidt,  Das  Rationale 
der  Bischöfe  zu  Toul ,  ebd. ;  Das  Rationale 
im  Domschatz  zu  Regensburg,  in  Kirchen- 
schmuck,  Graz  1904;  Das  Rationale  in  der 
abendländischen  Kirche,  in  Archiv  für  christ- 
liche Kunst  1904.  Eugen  Martin,  Le  Ratio- 
nal et  Surhumeral,  in  Revue  1904.  L.  Eisen- 
hofer,  Das  bischöfliche  Rationale,  seine 
Entstehung  und  Entwicklung,  München  1904. 


Viertes  Kapitel.    Das  Rationale. 


677 


Bischöfe  nachweisen  läßt.  Bei  den  Eichstätter,  Krakauer  und  Paderborner 
Bischöfen  ist  es  nie  völlig  außer  Gebrauch  gekommen.  Die  Verwendung  des 
Schulterschmuckes  wurde  für  Paderborn  auf  Bitten  Ferdinands  von  Fürsten- 
berg 1666  durch  Alexander  VII.  \  für  Eiehstätt  bei  Gelegenheit  der  1000jährigen 
Jubelfeier  der  Diözese  1745  durch  Benedikt  XIV.  von  neuem  bestätigt2.  Zu 
Toul  hörte  die  Benutzung  des  Ornatstückes  im  Laufe  des  17.  Jahrhunderts 
auf,  und  zwar,  wie  es  scheint,  infolge  des  Übergangs  des  Bistums  an  Frank- 
reich durch  den  Westfälischen  Frieden  und  der  damit  in  Verbindung  stehenden 
Okkupierung  des  Bischofsstuhles  durch  Bischöfe  französischer  Nationalität3. 
Es  wurde  jedoch  1852  durch  Bischof  Menjaud  wieder  in  Gebrauch  genommen, 
was  dann  1865  auf  Bitten  des  da- 
maligen Touler  Oberhirten,  des  spä- 
teren Kardinal  Lavigerie,  durch  ein 
päpstliches  Breve  ausdrücklich  gut- 
geheißen wurde 4.  Das  Ornatstück 
heißt  zu  Toul  surhumeral,  und  zwar 
passender,  weil  das  alttestamentliche 
Rationale  kein  Schultergewand,  son- 
dern ein  Brustschmuck  war;  nur  der 
Ephod,  die  Folie,  von  der  sich  das 
Rationale  auf  der  Brust  abhob,  war 
ein  Schultergewand. 

Das  Rationale,  wie  es  zu  Pader- 
born (Bild  305),  Eiehstätt  und  Toul 
gebräuchlich  ist,  hat  die  Form  eines 
Schulterkragens,  der  sowohl  an  der 
Vorder-  wie  der  Rückseite  mit  zwei 
Behängen  versehen  ist.  Das  Krakauer 
besteht  aus  zwei  stolaartigen  Streifen, 
die  an  den  beiden  Enden  durch  ein 
scheibenförmiges,  mit  zwei  kurzen, 
schmalen  Behängen  versehenes  Me- 
daillon verbunden  sind. 

Das  Rationale  ist  keine  In- 
signie,  sondern  nur  ein  auszeichnender 
Schmuck.  Es  wird  wie  das  Pallium 
nur  über  der  Kasel  angelegt.  Be- 
züglich der  Tage,  an  welchen  es  ge- 
tragen werden  darf,  bestehen  für  Eiehstätt  keine  Einschränkungen;  ebenso 
wurde  in  dem  Breve  für  Toul  dem  Bischof  gestattet,  sich  seiner  zu  bedienen, 
so  oft  er  pontificaliter  zelebriere.  Für  Paderborn  dagegen  ist  die  Benutzung 
des  Rationale  an  bestimmte  Tage  gebunden,  ähnlich  wie  es  beim  Pallium  der 
Metropoliten  der  Fall  ist.  Sie  finden  sich  in  der  Bulle  aufgeführt,  durch 
welche  Innozenz  II.  1133  dem  Bischof  Bernhard  I.  den  Gebrauch  des  Ornat- 
stückes gestattete;  doch  kamen  zu  ihnen  einige  weitere  hinzu,  als  Alex- 
ander VII.    den    Paderborner    Bischöfen    diesen    neu    bestätigte:    das    Fron- 


Bild  305.     Rationale  des  Bischofs  von 

Paderborn.      Paderborn,  Bischöfl.  Palais. 


1  Laut   Inschrift    des    zu  Paderborn    noch 
gebräuchlichen  Rationale. 

2  Bullar.  Benedict.  XIV.  III,  Mechlin  1826, 
175. 


s  Revue  1904,  38. 

4  Martin,  Histoire  des  dioceses  de  Toul, 
de  Nancy  et  de  Saint-Di6,  Nancy  1903,  395 
435. 


678  Vierter  Abschnitt.     Die  Insiguien. 

leichnamsfest,  das  Fest  der  Beschneidung  des  Herrn,  sowie  die  Feste  Kreuz- 
Erfindung  und  Kreuz-Erhöhung. 

Was  das  Territorium  anlangt,  in  welchem  das  Rationale  benutzt  werden 
darf,  so  ist  für  Paderborn  sein  Gebrauch  auf  den  Bereich  der  Diözese  be- 
schränkt, für  Eichstätt  besteht  in  dieser  Beziehung  keine  Bestimmung. 

II.   DAS  ERSTE  NACHWEISBARE  AUFTRETEN  DES  RATIONALE. 

Die  früheste  Nachricht  erhalten  wir  über  das  Rationale  durch  einen 
Briefwechsel  zwischen  Adalbero  von  Metz  (984 — 1105)  und  Hildward  von 
Halberstadt  (968 — 995) 1.  Adalbero  bittet  darin  den  Bischof  von  Halber- 
stadt, dieser  möge  ihn  an  der  Erlaubnis  teilnehmen  lassen,  das  Rationale  oder 
logion,  das  Abzeichen  der  Lehre  und  Wahrheit,  zu  tragen,  welche  ja  Papst 
Agapet  IL  (946 — 955)  den  Halberstädter  Bischöfen  verliehen  habe.  Hildward 
gibt  dem  Ansuchen  Folge  und  sendet  eine  Kopie  des  Ornatstückes ;  jedoch 
mußte  sich  Adalbero  verpflichten,  das  Recht,  sich  des  Rationale  zu  bedienen, 
nicht  noch  andern  weiter  zu  übertragen.  Allerdings  gibt  der  Briefwechsel 
keinen  direkten  Aufschluß  über  die  Art  und  Beschaffenheit  des  in  Frage 
stehenden  Rationale;  halten  wir  jedoch  im  Auge,  daß  bei  den  Bischöfen  von 
Metz  bis  dahin  durch  päpstliche  Verleihung  schon  wiederholt  das  Pallium  in 
Gebrauch  gewesen  war2,  daß  Burchard  von  Halberstadt  1063  von  Alexander  IL 
das  Pallium  erhielt3,  daß  das  Rationale,  um  das  es  sich  in  den  Schreiben 
Adalberos  und  Hildwards  handelt,  den  Bischöfen  von  Halberstadt  ebenfalls 
seitens  des  Apostolischen  Stuhles  bewilligt  worden  war,  und  namentlich 
endlich,  daß  bereits  im  Beginn  des  11.  Jahrhunderts  ein  Rationale  im  Sinne 
eines  das  Gegenstück  des  Palliums  bildenden  Schulterschmuckes  mit  aller 
Bestimmtheit  nachweisbar  ist,  so  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein ,  daß  auch 
unter  dem  R.ationale  des  Briefwechsels  eben  dieses  Schultergewand  verstanden 
werden  muß. 

Ein  anderes  sehr  frühes  Zeugnis  bringt  die  Bulle  Johannes'  XIX.  vom 
Jahre  1027,  in  welcher  der  Papst  dem  Patriarchen  Poppo  von  Aquileja  außer 
dem  Pallium  auch  das  Rationale  gewährt,  so  zwar,  daß  der  Patriarch  das 
Pallium  dem  bestehenden  Recht  gemäß  nur  an  den  höchsten  Feiertagen  sowie 
bei  der  Konsekration  von  Bischöfen  tragen  durfte,  während  ihm  das  Rationale 
für  die  übrigen  Feste  zugestanden  wurde4.  Das  Rationale,  von  dem  in  der 
Bulle  die  Rede  ist,  haben  wir  uns  demnach  nicht  als  einen  Schmuck  zu  denken, 
der  zugleich  mit  dem  Pallium  gebraucht  wurde,  sondern  als  Gegenstück  des 
letzteren,  weil  Ersatz  desselben  an  den  gewöhnlichen  Festen,  an  denen  die 
Benutzung  des  Palliums  unstatthaft  war.  Es  kann  darum  auch  kein  bloßer 
Brustschmuck  gewesen  sein,  sondern  muß  als  ein  dem  Pallium  analoges 
Schulterkleid  aufgefaßt  werden. 

Die  Liturgiker  des  Mittelalters  tun  des  Rationale  keine  Erwähnung. 
Wohl  reden  Ivo  von  Chartres,  Honorius  und  im  Anschluß  an  letzteren  auch 
Sicard    von   einem  rationale,    sie  verstehen   aber   darunter   kein   bischöfliches 


1  Sigeberti  Vita  Deodorici  I.  ep.  Metens.  sollemnia  celebranda  uti  vohimus  in  Natali 
c.  9  (M.  G.  SS.  IV  468).  Vgl.  auch  den  Domini  ...  et  in  ceteris  praecipuis  festivi- 
Brief  Hildwards  bei  Labbe,  Novae  biblioth.  I  tatibus  et  in  consecratione  episcoporum.  De 
682.     J.  n    3361.  rationali  autem  idipsum  praecipimus ,  ut  in 

2  S.  oben  S.  630.             3  Ebd.  ceteris     festivitatibus     utamini 
4  J.  n.  4085;  M.  141,  1137:  Insuper  pallium  quemadmodumetdepallio  (sc.  prae- 

vobis    concedimus,    quo    vos    ad    missarum  cepirnus). 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


679 


Schultergewand,  sondern  einen  pontifikalen  Brustschmuck,  auf  den  wir  später 
zurückkommen  werden.  Nur  ein  kurzer  anonymer  Traktat  über  die  litur- 
gische Gewandung  in  einer  dem  12.  Jahrhundert  entstammenden  Handschrift 
der  St  Gallener  Stiftsbibliothek  gedenkt  des  uns  hier  beschäftigenden  Ornat- 
stückes mit  den  wenigen  Worten :  Rationale,  quod  circumdat 
humeros  et  pectus,  doctrinam  et  veritatem  ostendit,  quod  tintinnabulis 
resonans  exemplum  vitae  ad  praedicationem  insinuat. 

In  Sakramentaren  ist  uns  nur  zweimal  ein  rationale  im  Sinne  eines 
pontifikalen  Schmuckes  begegnet :  in  dem  Sakramental'  Ratolds  von  Corbie  ! 
und  in  dem  für  Sigebert  von  Minden  um  1030  geschriebenen,  als  Missa  Illy- 
rica2  bekannten  Ordo.  In  ersterem  ist  unter  ihm  entweder  ein  über  der  Kasel 
am  Superhumerale  (Amikt)  befestigter  Brustschmuck  oder  (vielleicht  richtiger) 
eine  paruraartige  Verzierung  des  Amiktes,  die  nach  Anlegung  der  Kasel 
kragenförmig  um  den  Hals  gelegt  wurde,  zu  verstehen.   An  ein  Schultergewand 


Bild  306.    Rationale  (Rückseite).    Bamberg,  Dom. 


ist  bei  ihm  nicht  zu  denken.  Der  Ordo  Sigeberts  gibt  keinerlei  Andeutung  über 
den  Charakter  des  Gewandes,  das  er  mit  rationale  bezeichnet,  sondern  ver- 
merkt lediglich  das  Gebet,  das  bei  Annahme  des  Ornatstückes  zu  sprechen  war. 
Doch  erhellt  aus  zwei  Bildwerken,  einer  Elfenbeinskulptur  und  einer  Miniatur, 
die  ursprünglich  dem  den  Ordo  enthaltenden  Kodex  zum  Schmuck  dienten,  wie 
wir  uns  das  fragliche  Rationale  zu  denken  haben.  Es  sind  die  zwei  Dar- 
stellungen Sigeberts  von  Minden  (1022 — 1036),  von  welchen  bereits  gelegent- 
lich die  Rede  war.  Sigebert  erscheint  auf  beiden  in  gleicher  Weise  mit 
einem    dem  Pallium  verwandten  Schulterschmuck,   der   die  Gestalt   eines   die 


1  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  11  ;  I  203: 
Postea  ministretur  ei  casula ;  tandem  vero 
rationale  cohaerens  iunetim  (die  Handschrift 
[Paris,  Bibl.  nat.  f.  lat.  n.  1205:.]  hat  vinc- 
tim,  wohl  ein  Fehler  des  Kopisten)  super- 
humerali.  Da  kurz  vorher  der  Amikt  super- 
humerale heißt,  müssen  wir  auch  hier  wohl 
das  Wort  in  der  gleichen  Bedeutung  nehmen, 
zumal  kein  zwingender  Grund  vorliegt,  hier 


in  dem  superhumerale  einen  auszeichnenden 
pontifikalen  Schulterschmuck  zu  sehen.  Es 
scheint  sogar  eine  solche  Auffassung  dem 
Wortlaut  der  Rubrik  wenig  entsprechend. 
Wäre  unter  dem  superhumerale  ein  ponti- 
fikales  Schultergewand  zu  verstehen,  so  hätte 
diese  wohl  lauten  müssen:  tandem  vero  super- 
humerale unacum  rationali  oder  ähnlich. 
2  Ebd.  ordo  4;  I  177. 


580  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Schultern,  die  Brust  und  den  Rücken  umziehenden,  mit  Zierscheiben  und 
Doppelbehängen  besetzten  Ringes  hat,  bekleidet  (vgl.  Bild  69,  S.  177  und 
Bild  124,  S.  266). 

Es  hat  sich  sogar  noch  ein  wirkliches  Rationale  aus  dem  Beginn  des 
11.  Jahrhunderts  erhalten.  Dasselbe  befindet  sich  im  Besitz  des  Domes  zu 
Bamberg  und  stammt  aus  den  Tagen  Heinrichs  II,  wie  ein  Vergleich  mit  der 
von  diesem  herrührenden  Kasel  des  Domschatzes  bekundet  (Bild  306,  S.  679). 
Die  Verwandtschaft  mit  dem  Pallium  tritt  bei  ihm  minder  deutlich  hervor; 
denrt  statt  aus  einem  mit  Scheiben  und  Behängen  verzierten  Ringe  besteht 
es  aus  einem  Vorder-  und  Rückteil,  die  unten,  zum  Ersatz  der  Behänge,  in 
zwei  Streifen  auslaufen  und  über  den  Schultern  durch  eine  Scheibe  verbunden 
sind.  Wir  müssen  später  auf  dies  Rationale  näher  eingehen,  weshalb  wir 
hier  von  einer  eingehenderen  Beschreibung  desselben  absehen  können. 

Das  Bationale  ist  demnach  mit  aller  Sicherheit  bereits  um  die  Wende 
des  Jahrtausends  im  Sinne  eines  dem  Pallium  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
entsprechenden,  auszeichnenden  pontifikalen  Schulterschmuckes  nachweisbar. 
Sehen  wir  daher  zu,  welche  Verbreitung  sein  Gebrauch  im  Mittelalter  ge- 
habt hat. 

III.    VERBREITUNG  DES  GEBRAUCHES  DES  RATIONALE. 

Der  Gebrauch  des  Rationale  läßt  sich  im  Mittelalter  bei  einer  größeren 
Anzahl  von  deutschen  Bischöfen  feststellen.  Wir  finden  es  bei  den  Bischöfen 
von  Würzburg,  Regensburg,  Eichstätt,  Naumburg,  Halberstadt ,  Paderborn, 
Minden,  Speier,  Metz,  Prag,  Olmütz,  sowie  den  ehemals  ebenfalls  zum  deutschen 
Reich  und  zu  deutschen  Metropolitanverbänden  gehörenden  Bischöfen  von  Toul 
und  Lüttich;  bei  verschiedenen  allerdings  nur  vorübergehend,  wie  zu  Speier, 
Metz,  Halberstadt  und  Olmütz1. 

Bei  den  Bischöfen  von  Würz  bürg  kam  es  schon  um  1100  zur  Verwendung,  wie 
die  Würzburger  Bischofssiegel  beweisen.  Das  Rationale  erscheint  auf  denselben  zuerst 
bei  Emehard  von  Rothenburg  (1088  —  1104)  und  erhält  sich  auf  ihnen  bis  auf  Gott- 
fried von  Hohenlohe  (1314 — 1322).  Von  da  ab  wird  es  in  fast  ununterbrochener  Folge 
durch  die  Grabmäler  der  Bischöfe  im  Dom  zu  Würzburg  bezeugt.  Die  Reihe  derselben 
beginnt  mit  Mangold  von  Neuenburg  (f  1303);  mit  Johann  Gottfried  von  Aschhausen 
(1617 — 1622)  tritt  das  Pallium  an  Stelle  des  Rationale.  Bei  der  Grabfigur  Mangolds 
von  Neuenburg  ist  das  Ornatstück  in  Malerei,  bei  den  folgenden  Bischöfen  in  Skulptur 
dargestellt  (Bild  307). 

Auf  den  Regensburg  er  Siegeln  begegnet  uns  das  Rationale  zuerst,  wie  es 
scheint,  bei  Hartwig  I.  (1106  — 1126).  Es  erhält  sieh  auf  denselben  bis  über  die  Mitte 
des  14.  Jahrhunderts,  da  es  sich  noch  auf  einem  aus  dem  Jahre  1353  stammenden 
Siegel  Friedrichs  von  Nürnberg  vorfindet  (1341 — 1368).  Auf  den  Grabmälern  der 
Regensburger  Bischöfe  kommt  es  erst  spät  vor;  der  erste,  bei  dessen  Grabfigur  es 
sich  nachweisen  läßt,  ist  Bischof  Heinrich  von  Absberg  (1465 — 1492).  Freilich 
ist  die  Zahl  älterer  Grabmonumente  sehr  gering.  Seit  dem  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts  tritt   es   dann    aber   bis    zu   Bischof  David   Kölderer    von   Burgstall   (1567 


1  Für  einen  Gebrauch  des  Rationale  seitens  hard  von  Oldenburg  (f  1216)    ein  Rationale 

der   Bischöfe    von   Münster    und    Osnabrück  darstellen   sollen.      Man   wird    indessen   gut 

liegen   keine  Zeugnisse  vor.    Vielleicht,   daß  tun,  auf  derartige  ganz  vereinzelte  Beispiele, 

St  Ludgerus   auf  dem  alten  Siegel  des  Lud-  die  zudem  nicht  einmal  zweifellos  sind,  kein 

geristiftes  (13.  Jahrh.)  mit  ihm  ausgestattet  Gewicht  zu  legen,  zumal  die  Siegel  oft  genug 

ist.     Ebenso    mag   der  Schulterschmuck   auf  von    auswärtigen    Meistern   oder    nach    aus- 

dem    Siegel    des  Osnabrücker   Bischofs  Ger-  wärtigen  Vorlagen  angefertigt  wurden. 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


681 


bis  1579)  auf  einer  ununterbrochenen  Eeihe  prächtigster  Grabplatten  Regensburger 
Bischöfe  auf.  Aus  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  stammt  eine  mit  dem  Eationale 
geschmückte  Bischofsbüste  im  Tympanon  einer  zum  südlichen  Seitenchor  des  Domes 
zu  Regensburg  führenden  Türe,  aus  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  ver- 
schiedene mit  dem  Rationale  ausgezeichnete  Bischofsfiguren  in  den  Fenstern  des  süd- 
lichen Seitenschiffes  und  des  südlichen  Querschiffes. 

Über  den  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  hinaus  läßt  sich  der  Gebrauch  des  Ratio- 
nale zu  Regensburg  nicht  feststellen.  Man  beruft  sich  freilich  auf  eine  Miniatur  in  dem 
aus  Niedermünster  stammenden  Utakodex  aus  dem  Anfang  des  11.  Jahrhunderts.  Allein 
mit  Unrecht.  Die  Miniatur  stellt  den  hl.  Erhard  in  merkwürdiger  Verquickung  der 
pontifikalen  und  jüdisch-hohenpriesterlichen  Tracht  dar1.  So  wenig  aus  dem  Kopf- 
bund und  der  dreieckigen,  goldenen  Stirnplatte  gefolgert  werden  kann,  daß  sich  da 
mals  die  Regensburger  Bischöfe  eines  solchen  Kopfschmuckes  bedienten,  ebenso- 
wenig gestattet  das  geradezu  phantastische 
Schultergewand  St  Erhards  einen  Schluß  auf 
den  Gebrauch  des  Rationale.  Mit  mehr  Recht 
könnte  man  auf  die  Darstellung  St  Emmerams 
in  einem  dem  Ende  des  10.  Jahrhunderts  ent- 
stammenden Kodex  der  kgl.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek zu  München  hinweisen  -'.  Doch  scheint 
uns  die  Sache  auch  hier  zum  mindesten  zweifel- 
haft. Man  darf  nicht  vergessen,  daß  die  Minia- 
turen in  der  Verleihung  des  Palliums  ungleich 
freigebiger  waren  als  Eom,  daß  sie  es  aber 
dafür  auch  gern  nach  Lust  und  Laune  aus- 
statteten und  umgestalteten. 

Zu  Bamberg  fand  das  Rationale,  wie 
das  im  dortigen  Domschatz  befindliche,  noch 
aus  der  Zeit  Heinrichs  IL  stammende  Exemplar 
beweist,  schon  um  1020  Verwendung.  Es  blieb 
daselbst  bis  in  den  Beginn  des  ]7.  Jahrhun- 
derts in  Gebrauch.  Denn  die  Kustodierech- 
nungen  erwähnen  bis  1626  wiederholt  das 
Rationale,  so  für  die  Jahre  1476,  1485,  1512, 
1539,  1544  und  1616;  1544  lieferte  ein  Gold- 
schmied 32  Schellchen  für  das  Rationale,  1626  Bi]d  307>  Grabmal  des  Bischofs  Albert 
reparierten  und  erneuerten  die  Jungfrauen  „zum  von  Hohenlohe  (t  1372).  wih-zburg,  Dom. 
heiligen  Grab"  das  Ornatstück;  auch  reinigten 

sie  damals  die  Perlen  und  Edelsteine,  womit  es  besetzt  war  3.  Die  Angaben  zu  den 
Jahren  1476  und  1485  mögen  sich  auf  das  Rationale  aus  der  Zeit  Heinrichs  IL  be- 
ziehen. Die  späteren,  namentlich  die  Vermerke  zu  den  Jahren  1544  und  1626,  setzen 
indes  ein  zweites  voraus,  das  mit  Perlen,  Edelsteinen  und  Perlen  geschmückt  ge- 
wesen sein  muß. 

Scheinbar  auffallend   ist,    daß   bei  der   langen  Reihe  der  Grabfiguren  der  Bam- 
berger Bischöfe   im  Dom    zu  Bamberg   nirgends    das  Rationale    auftritt,    die  Bischöfe 


1  S.  oben  S.  462,  Anm.  6. 

2  Cim.  14  272.  Abb.  in  G.  Swarzenski, 
Die  Regensburger  Buchmalerei  Tfl  III,  Bild  9 
und  L.  Eisen  hofer,  Das  bischöfl.  Ratio- 
nale, Abb.  4  Man  hat  auch  auf  einer  Dar- 
stellung des  hl.  Wolf'gang  in  dem  Evangeliar 
Heinrichs  IV.  (jetzt  im  Dom  zu  Krakau)  das 
Rationale  finden  wollen;  doch  handelt  es  sich 
hier  lediglich  um  ein  Pallium.  Schon  der 
Umstand,    daß    der    Miniator    den    gleichen 


Schmuck  auch  dem  hl.  Dionysius  gegeben 
hat,  muf3  davon  abhalten,  in  ihm  das  Ratio- 
nale zu  sehen.  Wie  freigebig  die  alten  Künst- 
ler in  der  Verleihung  des  Palliums  waren, 
erhellt  z.  B.  aus  dem  Umstände,  daß  sie  selbst 
den  hl.  Benedikt  damit  schmücken  (so  in 
dem  bekannten  Benedictionale  Ethelwolds  und 
in  einem  Prüm  er  Kartular  des  Staatsarchivs 
zu  Koblenz). 

3  Pf  ist  er,  Der  Dom  zu  Bamberg  74. 


«82 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


tragen  vielmehr  regelmäßig  das  Pallium.  Die  Sache  erklärt  sich  indessen  sehr  leicht 
durch  den  Umstand,  daß  die  Inhaber  des  Bamberger  Bischofsstuhles  seit  1053,  d.  i. 
seitdem  Leo  IX.  Hartwig  den  usus  pallii  verlieh,  das  Privileg  besaßen,  sich  des  Pal- 
liums zu  bedienen'.  Wenn  sie  trotzdem  vor  wie  nach  auch  das  Rationale  ge- 
brauchten --  die  eben  erwähnten  Kustodierechnungen  lassen  keinen  Zweifel  daran  — , 
so  hat  das  seinen  Grund  wohl  darin,  daß  sie  sich  mit  dem  Pallium  nur  an  wenigen 
bestimmten  Tagen  schmücken  durften,  deren  anfangs  bloß  drei  waren.  Die  Bamberger 
Bischöfe  werden  es  wie  Patriarch  Poppo  von  Aquileja  gemacht  haben,  der,  wie  wir 
hörten,  an  denjenigen  Tagen,  an  welchen  ihm  untersagt  war,  das  Pallium  zu  tragen, 
zum  Ersatz  dafür  das  Rationale  anlegte.  Auf  den  Monumenten,  auf  welchen  Pallium 
und  Rationale  nicht  zugleich  dargestellt  werden  konnten,  hatte  natürlich  ersteres  als 
das  vorzüglichere  den  Vorzug. 

Vom  Eiehstätter  Rationale  berichtet  zuerst  Bischof  Philipp  (f  1322)  in 
seiner  Lebensbeschreibung  des  hl.  Willibald.  Er  führt  das  Ornatstück  auf  den  hl.  Boni- 
fatius  zurück.  Dieser  habe,  so  erzählt  er  nämlich,  dem  hl.  Willibald  und  seinen  Nach- 
folgern die  Stellvertreterschaft  des  Erzbischofs  von  Mainz  samt  dem  Vorrang  vor 
allen  andern  Suffraganen  des  Mainzer  Metropolitanverbandes  verliehen  und  zum  Aus- 
druck dieses  Rechtes  ihn  sowie  die  späteren  Eiehstätter  Bischöfe  mit  dem  Ratio- 
nale begabt -.  Die  Angabe  Bischof  Philipps  ist,  wie  kaum  gesagt  zu  werden  braucht, 
nur  eine  Legende,  die  bloß  beweist,  daß  das  Rationale  im  Beginn  des  14.  Jahrhun- 
derts schon  eine  gute  Zeit  zu  Eichstätt  gebräuchlich  gewesen  sein  muß.  Wirklich 
bezeugt  die  zweite  Serie  der  Bischofsbilder  im  Pontih'kale  Gundekars,  daß  es  schon 
wenigstens  im  12.  Jahrhundert  bei  den  Eiehstätter  Bischöfen  Verwendung  fand.  Ob 
auch  bereits  im  11.  Jahrhundert,  ist  zweifelhaft,  da  der  gabelförmige  Schmuck, 
welcher  bei  verschiedenen  Bischofsbildern  der  ersten,  zu  Gundekars  Zeit  entstandenen 
Serie  und  auch  noch  auf  einigen  der  zweiten  vorkommt,  ein  sog.  Gabelkreuz  darzu- 
stellen scheint,  nicht  das  Rationale 3.  Die  wenigen  Eiehstätter  Bischofssiegel,  welche 
uns  zu  Gesicht  gekommen  sind,  lassen  es  unentschieden,  wann  das  Ornatstück  zu 
Eichstätt  in  Gebrauch  kam. 

Zu  Minden  begegnen  wir  dem  Rationale  nach  Ausweis  des  für  Bischof  Sigebert 
geschriebenen  Ordo  und  der  früher  erwähnten  Darstellungen  Sigeberts  schon  im  Be- 
ginn des  11.  Jahrhunderts.  Auf  den  Mindener  Bischofssiegeln  kommt  es  bloß  einige- 
mal vor,  und  zwar  nur  im  13.  Jahrhundert.  Die  Siegel,  auf  denen  es  sich  findet, 
sind  die  Siegel  der  Bischöfe  Widekind  I.  von  Hoya  (f  1261)  und  Volkwin  von 
Schwalenberg  (f  1293) 4.  Das  Chronicon  Mindense  (15.  Jahrhundert)  nennt  das 
Ornatstück  pallium  und  rationale  und  führt  es  auf  Leo  III.  zurück,  der,  wie  die 
Chronik  berichtet,  es  den  Bischöfen  von  Minden  verlieh,  als  er  bei  seiner  Anwesen- 
heit in  Deutschland  im  Jahre  799  den  Dom   zu  Minden  einweihte  b.     Ist  diese  ganze 


1  Historisches  Jahrbuch  XX  6 18  ff.  Vgl. 
auch  oben  S.  630.  Zur  Zeit  Innozenz'  111. 
waren  der  Tage,  an  denen  der  Gebrauch  des 
Palliums  den  Bischöfen  von  Bamberg  erlaubt 
war,    dreizehn    außer    den  Ordinationstagen. 

2  Vita  S.  Willibaldi  c.  23  (ed.  Gretser, 
Ingolstadii  1617,  89). 

5  Vgl.  die  Wiedergabe  der  Miniaturen  des 
Gundekarpontifikale  in  „Eichstätts  Kunst", 
München  1901.  Die  Bilder  der  zweiten  Serie 
entstanden  um  das  Ende  des  12.  Jahrhunderts. 
Der  Umstand,  daß  die  Mehrzahl  der  Bischofs- 
bilder der  zweiten  Serie  das  Rationale  auf- 
weist, dürfte  schwerlich  berechtigen,  in  der 
gabelförmigen  Verzierung,  mit  der  bei  einigen 
Darstellungen  die  Kasel  geschmückt  ist,  eben- 
falls ein  Rationale  zu  sehen.    Dem  Künstler 


hat  es  beliebt,  zu  wechseln.  Den  einen 
Bischöfen  gab  er  das  durch  seine  eigenartige 
Bildung  als  selbständiger  Schmuck  sofort 
auffallende  Bationale,  den  andern  ein  mehr 
oder  weniger  reich  verziertes  Gabelkreuz: 
Zufälligkeiten ,  wie  sie  sich  auf  manchen 
mittelalterlichen  Bildern  finden. 

4  Die  westfälischen  Siegel  des  Mittelalters. 
Siegel  der  Bischöfe  Tfl  54,  4  5. 

5  Meibom,  Rer.  german.  I  552:  Et  hoc 
templum  consecratur  —  a  Leone  et  ditatur  — 
multis  privilegiis  —  nam  hie  praesul  hono- 
ratur  —  Mindensis  qui  vocitatur  —  dignitate 
pallii  —  quod  bene  rationale  —  vocamus  et  hoc 
non  male  —  nam  trini  episcopi  —  tantum  isto 
decorantur  —  per  quem  recte  venerantur  — 
locus,  gens  et  clerici.    Im  Prologus  wird  die- 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


683 


Erzählung  auch  Fabel,  so  erhellt  doch  aus  ihr,  daß  das  Rationale  noch  im  15.  Jahr- 
hundert bei  den  Mindener  Bischöfen  in  Gebrauch  war.  Um  so  auffälliger  ist  es, 
daß  sich  auf  deren  Siegeln  in  jener  Zeit  keine  Spur  von  ihm  bemerklich  macht. 

Die  Bischöfe  von  Paderborn  erhielten  das  Recht,  das  Ornatstück  zu  ge- 
brauchen, 1133  durch  Innozenz  II. '  Auf  den  Siegeln  der  Paderborner  Bischöfe  gewahren 
wir  das  Rationale  nur  bei  Wilbrand  von  Wildeshausen  (f  1227)  und  Bernhard  IV. 
(f  1247)2;  auch  auf  den  sonstigen  Paderborner  Monumenten  findet  es  sich  kaum 
jemals.  Fast  das  einzige  Beispiel  bietet  die  Statue  des  hl.  Liborius  (?)  am  Portal 
der  Domkirche  (13.  Jahrh.),  falls  es  sich  bei  dem  gabelkreuzartigen  Schmuck,  den 
der  Heilige  über  der  Kasel  trägt,  wirklich  um  das  Rationale  handelt. 

Den  Bischöfen  von  Naumburg  wurde  1119  durch  Calixt  IV.  (1119—1124) 
in  einer  Bulle  für  Dietrich  von  Naumburg  die  Erlaubnis  verliehen,  sich  des  Ratio- 
nale zu  bedienen  3.  Wie  lange  sein  Gebrauch  bei  ihnen  gedauert  hat,  läßt  sich  nicht 
bestimmen,  da  weder  schriftliche  noch  monumentale  Nachrichten,  soweit  uns  bekannt, 
darüber  vorliegen.  Von  den  Naumburger  Bischofssiegeln  bei  Lepsius  weisen  nur  zwei 
eine  Art  von  Rationale  auf.  Es  sind  die  mit  Ausnahme  der  Inschrift  völlig  iden- 
tischen Siegel  Utos  (f  1148)  und  Wichmanns  (f  1152),  nach  Charakter  und  Stil  der 
Darstellungen  evidente  Fälschungen  aus  dem  13.  Jahrhundert. 

Zu  Metz  und  Halberstadt  fanden  wir  das  Rationale  bereits  in  der  zweiten 
Hälfte  des  10.  Jahrhunderts.  Das  einzige  Metzer  Siegel,  auf  dem  das  Rationale  auf- 
tritt, ist  das  des  Bischofs  Bertram  (f  1212).  Im  übrigen  läßt  sich  weder  zu  Metz 
noch  zu  Halberstadt  weiter  die  Spur  des  Rationale  verfolgen  '. 

Für  Speier,  Prag  und  Ol  mutz  bieten  nur  die  Inventare  Belege  für  die 
Verwendung  des  Rationale.  Zu  Speier  begegnet  uns  schon  1151  ein  rationale  auro 
et  gemmis  ornatum  ;  zu  Olmütz  wird  das  Ornatstück  erst  im  Inventar  von  1435  er- 
wähnt: Item  rationale  pulchrum  margaritis  et  imaginibus  ornatum,  quod  dedit  dominus 
Wenceslaus  Patriarcha  Antiocenus  ecclesiae  Olomucensi. 

Zu  Prag  treffen  wir  das  Rationale  in  den  Inventaren  von  1354,  1355,  1387  und 
1396  an.  Das  Schatzverzeichnis  von  1354  vermerkt:  Rationalia  duo  cum  perlis, 
unum  episcopale,  aliud  diaconale ;  im  Inventar  von  1387  werden  drei  Rationalien  be- 
schrieben: Rationale  de  perlis  preciosis,  quod  ex  antiquo  reparavit  dominus  Arn estus 
archiepiscopus  Pragensis.  Aliud  rationale  cum  perlis  plenum  (sie)  et  crueibus  nigris,  do- 
natum  per  imperatorem,  in  quo  deficiunt  multae  perlae.  Aliud  rationale  diaconale 
cum  perlis  parvis  et  capitibus  draconum.  In  den  Inventaren  von  1396  und  1397  ist 
ein  viertes  hinzugefügt:  Aliud  rationale,  quod  donavit  Iohannes  archiepiscopus  Pra- 
gensis de  perlis ,  gemmis ,  auro  et  argento ,  habens  a  parte  anteriori  Virginem 
gloriosam  cum  puero ;  a  parte  posteriore  continens  crueifixum.  Dieses  letzte  Ratio- 
nale war  allerdings  auch  schon  1387  vorhanden;  es  wird  jedoch  im  damaligen  Inventar 
nicht  als  Rationale,  sondern  als  crux  de  perlis  super  ornatum,  quem  fecit  dominus 
Iohannes  archiepiscopus  modernus 5  etc. ,  aufgeführt ,  ein  Umstand ,  der  für  Fest- 
stellung des    Charakters   und    der    formellen    Beschaffenheit   der    Prager   Rationalien 


selbe  Begebenheit  erzählt,  nur  daß  hier  das 
von  Leo  III.  angeblich  verliehene  Ornatstück 
bloß  pallium  genannt  wird.  „Hunc  pastorem 
cum  ornavit  —  usu  sacri  pallii." 

1  J.  n.  7630. 

2  Westfälische  Siegel  Tfl  49,  2  4. 

3  J.  n.  6766.  Lepsius,  Geschichte  der 
Bischöfe  des  Hochstifts  Naumburg  I  241. 

4  Eine  jetzt  nicht  mehr  vorhandene,  jedoch 
noch  durch  Abbildung  bekannte  Silberbüste 
des  hl.  Adelf,  Bischofs  von  Metz,  wies  aller- 
dings auch  das  Rationale  auf  (Barbier  de 
Montault,  Le  buste  de  St-Adelphe ,  in 
Memoires  de  la  Soc.  d'archeol.  lorraine  1885) ; 


allein  dieselbe  war,  wie  ein  Vergleich  mit 
der  noch  vorhandenen  Büste  des  hl.  Lambert 
zu  Lüttich  beweist,  eine  bis  ins  kleinste  ge- 
naue Kopie  eben  dieser  letzteren  und  ist 
darum  für  die  Geschichte  des  Rationale  zu 
Metz  ohne  Belang. 

5  P  o  d  1  a  h  a  und  S  i  1 1 1  e  r ,  Chrämovy  pok- 
lad,  XXXIX  (vgl.  LVIII).  Ob  das  fragliche 
Rationale  ursprünglich  als  Gabelkreuz  oder 
als  Rationale  gedacht  war,  ist  von  keiner 
Bedeutung.  Tatsächlich  galt  es  1396  und  1397 
als  Rationale.  Es  muß  also  offenbar  die  Form 
und  Beschaffenheit  besessen  haben,  welche 
diesem  nach  Präger  Brauch  eigen  waren. 


684 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


von  großer  Bedeutung  ist.  Könnte  nämlich  noch  ein  Zweifel  daran  bestehen,  daß 
wir  es  bei  diesen  nicht  mit  einem  Brust-,  sondern  mit  einem  Schulterschmuck  und 
einem  Gegenstück  des  Palliums  zu  tun  haben,  so  wird  er  durch  jene  Angabe  des 
Inventars  von  1887  durchaus  zu  Gunsten  eines  Schultergewandes  behoben.  Auffallend 
und  ungewöhnlich,  aber  darum  um  so  bemerkenswerter  ist  das  rationale  diaconale, 
welches  sich  unter  den  Rationalien  des  Schatzes  befand.  Was  man  darunter  zu  verstehen 
hat,  ist  unklar ;  an  das  Rationale  eines  gewöhnlichen  Diakons  ist  dabei  wohl  kaum 
zu  denken.    Ob  ein  Rationale  des  Suffragans  oder  des  Archidiakons  gemeint  ist? 

Wichtig  ist  die  Notiz  des  Inventars  von  1355,  daß  Erzbischof  Ernst  (1343 
bis  1364),  mit  dem  Prag  zum  Erzbistum  erhoben  wurde,  eines  der  Rationalien,  die 
in  jenem  Verzeichnis  beschrieben  werden,  ex  antiquo  reparieren  ließ.  Sie  beweist, 
daß  das  Ornatstück  zu  Prag  nicht  erst  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  gebräuch- 
lich wurde,  sondern  schon  eine  längere  Weile  vorher  daselbst  zur  Verwendung  ge- 
kommen sein  muß.  Zugleich  bekundet  sie,  daß  auch  dann  noch,  als  die  Prager 
Bischöfe  Erzbischöfe  geworden  waren  und  das  Pallium  erhalten  hatten,  das  Rationale 
vor  wie  nach  in  Benutzung  blieb,  eine  Folgerung,  die  sowohl  durch  das  von  Karl  IV. 
(1346 — 1378)  als  das  von  Erzbischof  Johannes  VI.  (1379 — 1396)  geschenkte  Rationale 
bestätigt  wird  '. 

Den  Lüttich  er  Bischöfen  soll  nachÄgidius  von  Orval,  dem  Verfasser  des  Chroni- 
con  Leodiense,  das  Rationale  von  Papst  Stephan  X.,  einst  Domherr  zu  Lüttich,  verliehen 
worden  sein2.  Ob  dem  wirklich  so  ist,  muß  dahingestellt  bleiben;  wahrscheinlich 
handelt  es  sich  bei  jener  Angabe  nur  um  eine  Lütticher  Tradition.  Denn  die  Bulle, 
durch  welche  Innozenz  II.  1135  dem  Bischof  Adalbero  IL  den  Gebrauch  des  Rationale 
gestattet  —  das  älteste  sichere  Zeugnis  für  die  Verwendung  desselben  seitens  der 
Lütticher  Bischöfe  — ,  nimmt  nicht  nur  keinen  Bezug  auf  eine  frühere  Gewährung 
desselben,  sondern  beschränkt  auch  im  Widerspruch  mit  dem  angeblichen  Privileg- 
Stephans  X.  die  Erlaubnis,  es  zu  tragen,  ausdrücklich  auf  die  Person  Adalberos s. 
Auf  den  Lütticher  Bischofssiegeln  kommt  das  Gewand  zum  ersten-  und  zugleich  für 
länger  zum  letztenmal  bei  Rudolf  von  Zähringen  (f  1191)  vor.  Um  dieselbe  Zeit 
finden  wir  es  aber  auch  bei  dem  Lütticher  Bischof  auf  einer  der  Emailscheiben  des 
St  Heribertsschreines  zu  Deutz,  welche  das  Examen  und  die  Bischofsweihe  des  Hei- 
ligen wiedergibt.  Denn  der  Bischof,  welcher  beide  Akte  vornimmt,  scheint  den  Bischof 
von  Lüttich,  den  nächsten  Suffragan  der  Kölner  Kirchenprovinz,  darstellen  zu  sollen  '. 
Im  späten  Mittelalter  sehen  wir  das  Rationale  regelmäßig  auf  den  Lütticher  Siegeln 
(vgl.  Bild  313,  S.  693)  5.  Häufig  begegnet  es  uns  auch  seit  dem  15.  Jahrhundert 
als  Charakteristikum  des  hl.  Lambert,  bei  dessen  Darstellungen  es  seitdem  bis  tief 
in  die  Neuzeit  hinein  fast  immer  wiederkehrt  (Bild  308) e. 


1  Das  Rationale  fand  zu  Prag  wohl  eine  ähn- 
liehe Verwendung  wie  zu  Aquileja,  wo  ja 
auch  Pallium  und  Rationale  nebeneinander 
in  Gebrauch  waren. 

2  M.  G.  SS.  XXV  88.  Hie  superhumerale 
et  eius  usum  Theoduino  episcopo  suisque 
successoribus  misit. 

3  J.  n.  7733.  Vgl.  übrigens  G  o  r  i ,  The- 
saurus veterum  diptycb.I,  Florentiae  1759. 11. 

4  Der  Schrein  entstand  in  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts.  Als  Meister 
wird  neuestens  Godfroid  de  Ciaire  bezeichnet, 
ein  Künstler  von  der  Maas.  Der  Umstand, 
daß  der  Examinator  und  Konsekrator  des 
bl.  Heribert  auf  dem  Email  mit  dem  Ratio- 
nale geschmückt  ist,  scheint  diese  Zuweisung 
zu  bestätigen.  Wenigstens  begreift  sich  so 
am  leichtesten,  wie  der  Künstler  dazu  kam, 


den  fraglichen  Bischof  auffälligerweise  mit 
jenem  Schultergewand  auszustatten.  Über  den 
St  Heribertsschrein  und  Godfroid  de  Ciaire  vgl. 
v.  Falke  und  Frauberge  r,  Deutsche 
Schmelzarbeiten  des  Mittelalters ,  Frankfurt 
1904,  84  ff;  das  im  Text  erwähnte  Email  auf 
Tfl  88. 

5  Gute  Beispiele  bieten  die  Siegel  Johannes' 
von  Arkel  (f  1378),  Jobannes'  von  Heinsberg 
(t  1455),  Johannes'  von  Hörn  (f  1505),  Eber- 
hards von  der  Mark  (t  1538)  u.  a. 

6  Ob  der  Schulterschmuck,  den  die  Figur 
des  hl.  Lambert  auf  dem  ältesten  Kapitel- 
siegel von  St-Lambert  (ca  1200)  aufweist, 
schon  das  Rationale  oder  nur  einen  Kasel- 
besatz  darstellt,  ist  nicht  klar.  Abbildung 
bei  H  e  1  b  i  g ,  La  sculpture  au  pays  de  Liege, 
Bruges  1890,  132. 


Viertes  Kapitel.     Das  Bationale. 


685 


Für  Toul  fehlt  jede  Nachricht  über  eine  Verleihung  des  Eationale  an  die 
dortigen  Bischöfe.  Denn  es  ist  eine  unbegründete  Tradition ,  wenn  man  diese  mit 
der  Person  Leos  IX.  in  Verbindung  bringt,  der  bekanntlich  vor  seiner  Erhebung 
auf  den  päpstlichen  Stuhl  als  Bruno  von  Dachsburg  die  Diözese  Toul  regierte '. 
Immerhin  müssen  die  Touler  Bischöfe  schon  früh  das  Bationale  getragen  haben,  da 
es  schon  auf  den  Siegeln  Peters  von  Brizey  (f  1192)  und  Odos  von  Sorcy  (f  1228) 
vorkommt2.  Seit  dem  14.  Jahrhundert  erscheint  es  häufig  auf  den  Touler  Bischofs- 
siegeln.  Auch  die  Grabfiguren  Heinrichs  von  Ville-sur-Illon  (f  1436)  in  der  Kathedrale  zu 
Toul  und  Hugos  von  Hazards  (f  1517)  zu  Blenod-les-Toul 3,  sowie  andere  Touler  Bild- 
werke des  späteren  Mittelalters  weisen  das  Eationale  auf J.  Wie  früher  gesagt  wurde, 
erhielt  es  sich  im  Gebrauch ,  bis  das  Bistum  Toul  Frankreich  einverleibt  wurde  und 
Franzosen  den  Bischofsstuhl  bestiegen.  Dann  verschwand  es  allmählich  von  der 
Bildfläche.  1700  wird  seiner  zwar  noch  in  dem  damals  gedruckten  Caeremoniale  ge- 
dacht, doch  fand  es  in  Wirklichkeit  wohl  kaum  mehr  Verwendung;  denn  schon  Dom 
Calmet  konnte  1726  an  Montfaucon  schrei- 
ben .  daß  sich,  die  Bischöfe  von  Toul 
seiner  ehedem  bedient  hätten  5. 

Von  nichtdeutschen  Bischöfen  sind 
nur  zwei  bekannt,  bei  denen  das  Ratio- 
nale im  Gebrauch  war,  der  Patriarch  von 
Aquileja  und  der  Bischof  von  Krakau. 
Bei  ersterem  fand  es  noch  1132  Verwen- 
dung; denn  1132  bestätigte  Innozenz  IL 
dem  Patriarchen  Peregrinus  die  Erlaub- 
nis, sich  des  Palliums  und  des  Bationale 
zu  bedienen,  wie  sie  einst  Poppo  von  Jo- 
hannes XIX.  erhalten  hatte  6.  Wann  zu 
Krakau  das  Ornatstück  heimisch  wurde, 
ist  nicht  zu  ermitteln.  Jedenfalls  kam  es 
dort  schon  um  das  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts zur  Verwendung,  da  das  noch 
jetzt  benutzte  Bationale,  ein  Geschenk 
der  Königin  Hedwig,  der  Gemahlin  Ladis- 
laus'  (1371—1399)  und  Tochter  Ludwigs 
von  Ungarn,  aus  dem  Jahre  1384  stammt '. 
Nach  dem  Bericht  über  die  Erhebung  der 
Leiche  des  seligen  Bischofs  Vinzenz  Kad- 
lubeck  (f  1233)  im  Jahre  1634  dürfte  es 
sogar  schon  im  Beginn  des  13.  Jahrhun- 
derts von  den  Krakauer  Bischöfen  getragen  worden  sein  ;  denn  es  heißt  darin,  man 
habe  die  Beste  an  dem  pallium  episcopale  erkannt,  quo  episcopi  Cracovienses  in  diem 
hodiernum  utuntur,  d.  i.  wohl  an  dem  Eationale.  Bischof  Johannes  Grot  (f  1347)  soll 
bei  Benedikt  XII.  (1334  —  1342)  die  Bestätigung  des  Gebrauches  des  Rationale  nach- 
gesucht und  diese  dann  auch  erhalten  haben  8. 

Sehr  bemerkenswert  ist,  daß  aus  Frankreich  kein  Beispiel  von  der  Ver- 
wendung eines  Eationale  im  Sinne  eines  dem  Pallium  analogen  bischöflichen  Schulter- 
schmuckes bekannt  ist.    Keine  Bulle,  in  der  es  einem  französischen  Bischof  bewilligt 


Bild  308.    Büste  des  hl.  Lambertus. 

Lüttieh,  Kathedrale. 


1  Martin,  Histoire  des  dioceses  de  Toul, 
de  Nancy  et  de  St-Die"  I,  Nancy  1899,  465. 

2  Bobert,  Sigillographie  de  Toul,  Paris 
1868,  pl.  it,  n.  3:  pl.  iv,  n.  19. 

3  Abbildung  bei  Martin  a.  a.  0.  469  470. 

4  Vgl.  z.  B  Bevue  1904,  41  (Grabmal  des 
hl.  Mansuetus  [Anfang  16.  Jahrb.]  in  der  Krypta 
der  Kapelle  des  Faubourg  St-Mansuy  zu  Toul). 


'-  Boh.  VIII  73:  Les  övgques  de  Toul  se 
servaient  autrefois  d'une  espece  d'ephod 
ou  de  superhmneral. 

6  J.  n.  7576. 

7  Alex.  Przezdziecki  und  Edouard 
Eastawiecki,  Monuments  du  moyen-äge 
dans  l'ancienne  Pologne  n.  17. 

s  Encycklopedja  koscielna  XI  371. 


6S6 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


wurde ;  kein  französisches  Inventar,  in  dem  ein  solches  verzeichnet  wäre,  kein  fran- 
zösischer Schriftsteller  des  Mittelalters,  der  seiner  gedächte  ' ;  keine  liturgische  Schrift, 
kein  Sakramental- ,  kein  Caeremoniale ,  die  Zeugnis  dafür  ablegten ,  daß  es  je  von 
französischen  Bischöfen  getragen  worden  sei.  Ist  alles  das  erklärlich,  wenn  das  Kationale, 
wie  man  will,  noch  im  12.  Jahrhundert  in  Frankreich  in  Brauch  war?  Allerdings  hat 
man  zum  Beweise,  daß  auch  dort  das  Ornatstück  Verwendung  gefunden  habe,  auf  ver- 
schiedene Miniaturen  und  sonstige  Bildwerke  hingewiesen.  Mit  Unrecht  jedoch.  Was 
man  für  ein  Bationale  angesehen  hat,  ist  in  Wirklichkeit  bald  ein  kragenförmiger  Besatz 
der  Kasel,  bald  ein  mehr  oder  weniger  phantastisches  Gabelkreuz,  bald  ein  in  freier 
Weise  behandeltes  Pallium.  Wer  die  Weise  der  alten  Meister  näher  kennt ,  wird 
sich  über  derartige  Erscheinungen  ebensowenig  wundern,  wie  ihnen  eine  Bedeutung 
beilegen,  die  sie  weder  besitzen,  noch  nach  der  Absicht  der  Künstler  besitzen  sollten. 
Übrigens  müßte  im  vorliegenden  Falle  allein  schon  das  völlige  Versagen  aller  schrift- 
lichen Nachrichten  abhalten,  auf  den  fraglichen  Bildwerken  das  Rationale  zu  finden. 
Soweit  die  vorhandenen  Quellen  ein  Urteil  gestatten ,  war  dieses  ein  spezifisch 
deutsches  bischöfliches  Ornatstück.  Wenn  es  sich  zu  Krakau  einbürgerte,  kann  das 
wohl  nur  nach  deutschem  Muster  geschehen  sein.  Aber  auch  für  Aquileja  ist  unseres 
Erachtens  in  Deutschland  das  Vorbild  zu  suchen.  War  doch  Poppo  von  Aquileja, 
der  zuerst  die  Erlaubnis  erhielt,  das  Kationale  zu  tragen,  aus  bayrischem  Geschlecht 
und  ein  Verwandter  Meinwerks  von  Paderborn  -.  Wahrscheinlich  hatte  er  das  Gewand 
kennen  gelernt,  als  er  1019  mit  Benedikt  VIII.  nach  Deutschland  kam  und  sich 
mit  dem  Papst  längere  Zeit  zu  Bamberg  aufhielt,  wo  letzterer  bekanntlich  1020  in 
Gegenwart  des  Patriarchen  und  einer  großen  Zahl  von  Bischöfen  die  St  Stephans- 
kirche konsekrierte  3. 

Betont  muß  werden,  daß  das  Rationale  niemals  als  eigentlich  bischöf- 
liche Insignie  erscheint.  Allerdings  brachte  man  es  zu  Eichstätt  und  zu 
Toul  schon  im  späten  Mittelalter  mit  dem  Umstand  in  Verbindung,  daß  die 
dortigen  Bischöfe  angeblich  das  Amt  eines  Dekans  in  den  Kirchenprovinzen 
von  Mainz  und  Trier,  sowie  das  Recht,  ihren  Erzbischof  in  dessen  Abwesen- 
heit zu  vertreten,  besaßen.  Allein  die  Tatsache,  daß  das  Rationale  auch  bei 
andern  Bischöfen  vorkam,  beweist  denn  doch  mit  Bestimmtheit,  daß  dieses 
mit  dem  beanspruchten  Dekanat  nichts  zu  tun  hatte. 

Das  Rationale  war  nur  ein  Schmuck,  wenngleich  ein  auszeichnender 
Schmuck,  also  ein  Ornatstück  von  der  Art,  wie  es  etwa  das  Pallium  war, 
ehe  es  zur  Insignie  der  Metropoliten  und  zum  Ausdruck  der  diesen  vom 
Papst  mitgeteilten  erzbischöflichen  Machtvollkommenheiten  wurde.  Es  brachte 
dem  Inhaber  weder  irgend  eine  Jurisdiktion ,  noch  die  Exemption  von  der 
Metropolitangewalt,  noch  auch  das  bloße  Vorrecht  der  Präzedenz.  Es  be- 
greift sieh  daher  auch  ohne  Schwierigkeit,  wie  es  im  Verlauf  des  17.  Jahr- 
hunderts zu  Toul,  Regensburg,  Lüttich,  zumal  aber  zu  Bamberg,  wo  man  das 
Recht  besaß,    das  Pallium    zu  tragen,    außer  Gebrauch  kommen  konnte.     In- 


'  Das  Rationale ,  welches  uns  in  der  Hi- 
storia  episc.  Autiss  c.  49  (M.  138,  277)  be- 
gegnet, bedeutet  lediglich  den  Brustbesatz 
einer  Prachtalbe ,  die  hier  in  etwas  über- 
schwenglichen Worten  gefeiert  wird.  Mit 
dem  uns  beschäftigenden  Ornatstück  hat  es 
nichts  zu  tun.  Wenn  es  ebendort  (ebd.  278) 
heißt,  das  handbreite  Auriphrygiurn  einer  Kasel 
habe  das  Bild  des  Superhumerale  und  Ratio- 
nale nach  Weise  des  erzbischöflichen  Pal- 
liums dargestellt,  so  sind  unter  diesem  Super- 
humerale   und    Rationale     die     betreffenden 


Ornatstücke  des  levitischen  Hohenpriesters 
zu  verstehen,  nicht  ein  pontifikaler  Schmuck 
des  christlichen  Kultus.  Das  Rationale,  \  on 
welchem  in  der  Bulle  Lucius'  111.  für  Erz- 
bischof Wilhelm  von  Monreale  vom  Jahre 
1183  die  Rede  ist,  hat  nur  metaphorische 
Bedeutung  (J.  n.   14834). 

2  Vita  S.  Meinwerci  c.  199  (M.  G.  SS. 
XI  153).  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs 
unter  Heinrich  II.    111  142. 

3  Adelbert. ,  Vita  Henrici  II.  n.  25  (M. 
G.  SS.  IV  807).     Jahrbücher  etc.  111  159. 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale.  687 

dessen  waren  jedenfalls  auch  die  schlimmen  äußeren  Verhältnisse  des  17.  Jahr- 
hunderts, die  Wirren  und  das  Kriegselend,  die  Anhäufung  von  Bistümern  in 
der  Hand  eines  Bischofs,  der  dann  seine  Nebendiözesen  durch  Weihbischöfe 
und  Generalvikare  verwalten  ließ,  und  ähnliches  von  nicht  geringerem  Einfluß 
darauf.  Nicht  mehr  benutzt,  mußte  das  Rationale  von  selbst  der  Vergessen- 
heit anheimfallen.  Zu  Prag  kam  das  Ornatstück  ohne  Zweifel  durch  die  infolge 
der  hussitischen  Unruhen  eingetretene,  mehr  denn  ein  Jahrhundert  dauernde 
Verwaisung  der  Prager  Erzdiözese  in  Abgang.  Als  diese  1561  wieder  einen 
Hirten  erhielt,  war  mitsamt  den  perlenbesetzten  Rationalien  der  Inventare  von 
1354,  1387  und  1396  auch  die  Erinnerung  an  das  Rationale  selbst  ver- 
schwunden. 

IV.    FORM  UND  AUSSTATTUNG  DES  RATIONALE. 

Die  Form  des  Gewandes  war  weder  überall  noch  zu  allen  Zeiten  die- 
selbe. Wie  die  übrigen  Ornatstücke  hat  auch  das  Rationale  seine  Entwick- 
lung gehabt. 

Zu  Paderborn  erscheint  es,  soweit  die  Monumente  ein  Urteil  gestatten, 
in  seiner  ältesten  Gestalt  als  ein  dem  Yartigen  Pallium  formverwandter 
Schmuck.  Man  vergleiche  z.  B.  die  Siegel  Wilbrands  und  Bernhards  IV.  In 
späterer  Zeit  wurde  es  dort  eine  Art  von  Schulterkragen,  der  vorn  und  hinten 
mit  je  zwei  Behängen  versehen  war.  Von  dieser  Art  ist  das  Rationale,  das 
noch  jetzt  in  Paderborn  gebraucht  wird  (vgl.  Bild  305,  S.  677).  Es  stammt 
aus  der  Zeit  Ferdinands  II.  (f  1683)  und  wurde  unter  Bischof  Hubertus  einer 
Restauration  unterzogen.  Vorder-  und  Rückseite  bestehen  bei  ihm  aus 
einem  Mittelstück  und  zwei  seitlichen  Vertikalstreifen.  Schulterschilde  fehlen, 
es  stoßen  vielmehr  die  den  mittleren  Teil  rechts  und  links  begleitenden  Streifen 
unmittelbar  über  der  Schulter  aneinander.  Durch  eine  reich  mit  Edelsteinen 
besetzte  Agraffe  getrennt  sind  auf  dem  vorderen  Mittelstück  die  Worte 
doctrina  •  veritas,  auf  dem  hinteren  fides  •  spes  •  Caritas  eingestickt. 
Auf  die  Vertikalstreifen  verteilt  sich  eine  Inschrift ,  welche  einen  kurzen 
Abriß  der  Geschichte  des  Paderborner  Rationale  gibt:  Bernardus  I.  epis 
päd.  impetravit  —  Innocentius  II.  P.  M.  concessit  —  Alexander  VII. 
P.  M.  confirmavit  -  -  Ferdinandus  II.  epus  päd.  ampliavit.  An 
die  jüngste  Restauration,  bei  der  die  Vorder-  und  Hinterseite  ein  wenig  ver- 
längert wurden ,  erinnern  die  Worte :  Hubertus  I.  ep.  paderb.  renovavit 
MDCCCXCII,  sowie  das  am  Rand  der  Vorderseite  aufgenähte,  von  Perlen  um- 
rahmte Wappen  des  Bischofs  Hubertus.  Die  Inschriften  auf  dem  Mittelfeld 
wie  den  Streifen  werden  von  zierlichen  Bouillonstickereien  umrahmt.  Die  um 
den  Kopfdurchlaß  liegenden  vier  Zwickel  sind  mit  Perlenstickereien  verziert, 
die  Vertikalstreifen  enden  in  Goldfransen. 

Sehr  lehrreich  ist  in  Bezug  auf  die  Entwicklung  des  Rationale  zu 
Eich  statt  das  Pontifikale  Gundekars  II.  mit  seinen  Abbildungen  der  Eich- 
stätter  Bischöfe.  Es  wurde  unter  Gundekar  II.  begonnen  und  reicht  bis  zum 
Jahre  1540.  Die  Serie  der  Eichstätter  Bischöfe  bis  Gundekar  II.  (f  1076) 
einschließlich  entstand  noch  unter  dem  Pontifikat  Gundekars,  die  Bilder  der 
Bischöfe  des  12.  Jahrhunderts  wurden  um  1200  gemalt,  die  übrigen  nach  und 
nach  hinzugefügt.  Es  läßt  sich  nun  freilich  nicht  verkennen,  daß  bei  diesen 
Darstellungen  die  Phantasie  des  Künstlers  ein  gutes  Stück  mitgearbeitet  hat. 
Eine  so  bunte  Mannigfaltigkeit,  wie  sie  uns  hier  in  Bezug  auf  die  Gestalt 
und  Ausstattung   des  Rationale   entgegentritt,  ist  zweifelsohne  nicht  vornan- 


688  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

den  gewesen.  Sieht  man  indessen  von  den  Einzelheiten  ab  und  achtet  man 
bloß  auf  den  Typus,  so  dürfen  die  Miniaturen  als  ein  genügend  treues  Spiegelbild 
der  Entwicklung  des  Ornatstückes  zu  Eichstätt  gelten.  Bei  den  Bischöfen  des 
12.  Jahrhunderts,  bei  welchen  dasselbe  zuerst  vorkommt,  steht  es,  was  die 
Form  anlangt,  dem  Pallium  noch  recht  nahe,  nur  daß  der  Behang  kürzer  ist 
wie  bei  diesem,  und  daß  auf  den  Schultern  bei  der  Mehrzahl  der  Darstellungen 
scheibenförmige  Zierstücke  angebracht  sind.  Im  13.  Jahrhundert  entfernt  sich 
dann  das  Rationale  immer  mehr  vom  Pallium,  indem  es  sich  in  demselben  Maße 
der  Kragenform  nähert,  bis  im  Beginn  des  14.  Jahrhunderts  die  doppelten 
Behänge  auf  Brust  und  Rücken  auftreten. 

Wie  das  Ornatstück  im  15.  Jahrhundert  zu  Eichstätt  beschaffen  war, 
zeigt  das  noch  erhaltene,  in  Gold-  und  Perlenstickerei  ausgeführte  prächtige  Ratio- 
nale des  Bischofs  Johannes  von  Eich  (1445 — 1464) 1.  Es  besteht  aus  einem 
Vorder-  und  einem  Rückteil,  welche  durch  scheibenförmige  Schulterstücke 
miteinander  verbunden  sind.  Auf  der  einen  von  diesen  Scheiben  ist  der 
hl.  Bonifatius  mit  dem  Mainzer,  auf  der  andern  der  hl.  Willibald  mit  dem 
Eichstätter  Wappen  dargestellt.  Vorn  und  im  Rücken  ist  das  Rationale  in 
Perlen  mit  einer  von  Eichenranken  eingerahmten  Inschrift  geschmückt,  die 
sich  teils  auf  das  Mittelstück,  teils  auf  die  Behänge  verteilt.  Sie  lautet 
auf  der  Vorderseite :  Fides,  spes,  Caritas  (Mitte),  iustitia  (linker),  forti- 
tudo  (rechter  Behang),  auf  der  Rückseite  veritas,  disciplina  (Mitte), 
temperantia  (linker),  prudentia  (rechter  Behang).  Das  die  Inschriften 
umziehende  Eichenlaub  weist  nach  Art  eines  redenden  Wappens  auf  den 
Namen  des  Bischofs  hin. 

Das  Rationale  auf  den  Darstellungen  Sigeberts  von  Minden  besteht 
aus  einem  Ring,  dem  vor  der  Brust  zwei  kurze  Behänge  angefügt  und 
außerdem  als  Verzierung  noch  zwei  Rundscheiben  aufgesetzt  sind  (Bild  69, 
S.  177  und  Bild  124,  S.  266).  Von  ganz  gleicher  Art  war  der  Schulter- 
schmuck, mit  dem  Bischof  Bruno  (f  1055)  auf  seiner  ehedem  in  der  Mau- 
ritiuskirche zu  Minden  befindlichen  Grabplatte  ausgestattet  war.  Auch  hier 
bildete  das  Rationale  ein  die  Brust,  die  Schultern  und  den  Rücken  umziehendes, 
pallium artiges  Band  mit  zwei  kurzen  Behängen,  die  von  zwei  auf  dem  Ring 
befindlichen  Zierscheiben  ausgingen  2.  Auf  den  Siegeln  Widekinds  und  Volk- 
wins  erscheint  es  dagegen  als  Ring,  an  welchem  —  die  Siegel  sind  nicht 
sehr  scharf  -  -  kleine  kreuz-  oder  quastenartige  Anhängsel  angebracht    sind. 

Form  und  Beschaffenheit  des  Bamberg  er  Rationale  kennen  wir  nur 
aus  dem  früher  schon  erwähnten  Exemplar  im  Domschatz  zu  Bamberg  (Bild  300, 
S.  679).  Es  besteht  wie  das  des  Bischofs  Johannes  von  Eich  aus  einem 
vorderen  und  hinteren  Teil,  welche  durch  Scheiben  miteinander  verbunden 
sind,  und  ist  ganz  in  Goldstickerei  ausgeführt,  bei  der  als  Stickmaterial  ein 
mit  purem  Gold  hergestellter  Faden  verwendet  ist.  Leider  ist  das  kostbare 
Ornatstück  in  sehr  schlechtem  Zustande.  Stark  beschädigt  wurde  es  gegen 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  auf  die  Glockenkasel  aufgeheftet,  auf  der  es  sich 
zur  Zeit  befindet,  dabei  aber  vorn  mitten  durchgeschnitten.    Von  der  Technik 


1  Abbildung  bei  Bock  II,  Tfl  27  und  in  tektur  beweist  das  auch  die  Form  der  Dal- 
„Eicbstätts   Kunst"  5.  matik.  Es  soll  sich  jetzt  nach  der  Angabe  des 

2  Abbildung  in  Schröder,  Chronik  des  P.  Beda  Kleinschmidt  in  der  Simeons- 
ßistums  und  der  Stadt  Minden,  Minden  1886,  kirche  zu  Minden  umgekehrt  in  den  Fußboden 
80.  Das  Grabmal  kann  erst  im  12.  Jahr-  eingelassen  befinden  (Das  Rationale  in  der 
hundert   entstanden  sein.     Außer  der  Archi-  abendländischen  Kunst  22). 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


689 


der  Stickerei  gilt  das  gleiche,  was  früher  von  den  bestickten  Kasein  des  Bam- 
berger Domschatzes  bemerkt  wurde.  Tiefsinnig  ist  der  Bilderschmuck  des  Ornat- 
stückes. Auf  den  Schulterscheiben  sind  in  der  Mitte  zwei  einander  begegnende 
bzw.  zwei  einander  sich  küssende  Frauengestalten  dargestellt,  deren  Bedeutung 
durch  die  Umschrift:  Misericordia  et  veritas  obviaverunt  sibi  und: 
Iustitia  et  pax  osculatae  sunt  (Ps  84,  11)  gekennzeichnet  ist,  die 
Symbole  des  Alten  und  des  Neuen  Bundes.  Um  sie  herum  sind,  durch  ein 
Blattornament  voneinander  getrennt,  je  sechs  Brustbilder  angebracht,  laut 
Beischrift  die  zwölf  Stämme  Israels  darstellend.  Die  vor  der  Brust  und  im 
Rücken  herabfallenden  Teile  des  Ornatstücks  setzen  sich  aus  zwei  schmalen 
seitlichen  Vertikalstreifen  und  einem  etwas  kürzeren  Mittelfelde  zusammen. 
Die  Vertikalstreifen  enthalten  je  drei  Halbbilder  der  zwölf  Apostel.  Im  mittleren 
Felde  ist  auf  der  Rückseite  das  Lamm  der  Apokalypse  abgebildet,  um- 
geben von  Engeln  und  von  den  Evangelistensym- 
bolen. Von  den  Engeln  reicht  einer  dem 
hl.  Johannes  eine  Rolle  zum  Schreiben,  ein 
anderer  bläst  in  eine  Posaune.  Über  dem 
Mittelfelde  gewahrt  man  den  Weltenrichter, 
rechts  und  links  von  einem  Engel  begleitet. 
Auf  der  Vorderseite  füllt  eine  großartig  ge- 
dachte Allegorie  der  Kirche  die  Mitte.  Unter 
fünftürmigem  Überbau ,  der  mit  Behängen 
drappiert  ist,  steht  Christus,  der  neue  Salomon, 
der  rex  pacificus,  wie  es  auf  dem  Rationale 
heißt,  auf  einer  Estrade,  dem  ferculum  Salo- 
monis  und  reclinatorium  aureum,  zu  der  rechts 
und  links  ein  Aufstieg  führt.  Der  Überbau 
ruht  auf  zwei  Säulen,  den  columnae  argenteae, 
neben  denen  Petrus  und  Paulus,  die  Säulen 
der  Kirche,  stehen.  In  dem  Aufstieg  zur  Linken 
sehen  wir  Märtyrer,  von  denen  einer  als  Ste- 
phanus  bezeichnet  ist ,  in  dem  Aufstieg  zur  Bild  309.  Vom  Grabmal  des  Bisehofs 
Rechten  den  Herold  der  Liebe,  Johannes  Ev.        Heinrich  von  Absberg  (f  1492). 

r,        ■     -tut  J...1  -n    •     i  i  ..     •  i  Kegensburg,  Dom. 

Zwei    Wege   fuhren    zum    In-iedenskomg,    das 

Martertum,  der  ascensus  purpureus,  und  die  Liebe.  Vor  der  Estrade  erhebt  sich 
in  der  Mitte  eine  Frauengestalt,  die  Kirche,  zu  deren  Füßen  die  Halbbilder 
zweier  anderer  Frauen  angebracht  sind,  die  ausdrücklich  als  Maria  und  Martha 
bezeichnet  sind,  das  beschauliche  und  das  tätige  Leben.  Zahlreiche  Beischriften 
erläutern  auf  der  Vorderseite  wie  auf  der  Rückseite  das  Bildwerk.  Die  Dar- 
stellungen der  Vorderseite  beruhen  ganz  auf  der  Apokalypse,  die  der  Rück- 
seite im  wesentlichen  auf  dem  Hohenlied  und  seinen  mystischen  Deutungen 
bei  den  alten  Exegeten 1. 


1  Es  sei  übrigens  bemerkt,  daß  das  Bam- 
berger Rationale  wohl  nie  ein  selbständiges 
Ornatstück  darstellte,  sondern  von  Anfang 
an  einer  Kasel  aufgestickt  war.  Es  beweist 
das  der  Umstand,  daß  auf  der  Rückseite  der 
Heiland  mit  den  beiden  Engeln  zu  seinen  Seiten 
nicht  innerhalb  des  Mittelfeldes,  sondern 
über  demselben  angebracht  ist.  Er  kann  auch 
nie  innerhalb  desselben  gestanden  haben,  wie 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


die  Maßverhältnisse  der  Vorder-  und  Rück- 
seite des  Rationale  bekunden.  Es  muß  dieses 
daher  von  Beginn  an  auf  einer  Kasel  seinen 
Platz  gehabt  und  der  Kaselstoff  für  dasselbe  als 
Stickgrund  gedient  haben.  Auf  dem  Regens- 
burger Rationale,  das  unzweifelhaft  als  selb- 
ständiges Ornatstück  gedacht  und  ausgeführt 
wurde,  hat  der  Heiland  mit  den  Engeln  auf  dem 
Mittelfeld  der  Rückseite  eine  Stelle  gefunden. 
U 


690 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insisuien. 


Sehr  gut 
Kationale 


läßt  sich  die  Entwicklung 
Regensbu r 2  verfol- 


zn 


wo  Siegel,  Glasgemälde,   Grabmäler 


des 
gen, 

und  sonstige  Monumente  samt  zwei  wirk- 
lichen Rationalien  reiches  Material  zum 
Studium  des  Ornatstückes  bieten.  Für  die 
ältere  Zeit  sind  es  die  Siegel,  welche  uns 
über  die  Form  des  Ornatstückes  Aufschluß 
geben,  in  der  späteren  namentlich  die 
Grabmonumente.  Die  Siegel  beginnen  bei 
Hartwig  I.  (1106—1126).  Bis  zu  Konrad  V. 
von  Luppurg  (1296 — 1313)  hat  das  Ratio- 
nale auf  ihnen  eine  dem  Pallium  durchaus 
verwandte  Gestalt.  Fast  der  einzige  Punkt, 
durch  welchen  es  sich  von  diesem  unter- 
scheidet, ist  die  merklich  größere  Kürze 
seines  Behanges.  Scheiben  auf  den  Schul- 
tern kommen  erst  seit  der  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  vor.  Doppelbehänge  treten  zuerst  bei  Nikolaus  von  Stacho- 
witz  (1313—1340)  und  Friedrich  von  Nürnberg  (1342—1368)  auf.  Auf  den 
Grabmälern  erscheint  dann  das  Gewand  als  förmlicher  mit  Doppelbehängen  aus- 
gestatteter Kragen  (Bild  309,  S.  689). 


Bild  310.     Rationale  (Vorderseite). 

München,  Natioualmuseum. 


Von  den  beiden  noch  erhaltenen  Regens- 


burger Rationalien  befindet  sich  eines  im  Dom  zu  Regensburg,  das  andere 
in  dem  kgl.  bayr.  Nationalmuseum  zu  München,  wohin  es  von  Schloß  Tießling 
bei  Mühldorf  kam.    Nach  Tießling  scheint  es  im  Nachlaß  des  Bischofs  Franz 


Wilhelm  von  Wartenberg 

Das  Rationale  im 
Dom  zu  Regensburg 1 
ist  eine  Kopie  des  Barn- 
Rationale  ,  das 
nicht    bloß  was   die 


(1649  —  1661) 


gelangt 


zu  sein. 


Mi, 


berger 


es 


Form,  sondern  auch  was 
das  Bildwerk  betrifft, 
von  unwesentlichen  Ver- 
änderungen   abgesehen, 


getreu  wiedergibt. 


Be- 


züglich der  Form  weicht 
es  darin  von  seiner  Vor- 
lage ab,  daß  die  Dar- 
stellung des  Weltenrich- 
ters bei  ihm  auf  dem 
Mittelfeld  der  Rückseite 
einen  Platz  erhielt,  wäh- 
rend sie  beim  Bamberger 
Rationale  über  diesem 
angebracht  ist.  Die 
Folge    war,    daß    dem 


Nationaluiuseum. 


1  Abbildung    bei    C  a  h  i  e  r  ,    Ivoires    196         s  c  h  m  i  d  t 
199.    De  Farcy  pl.  6  und  P.  ßeda  Klein-         Nr  48. 


in  Kirchenschmuck ,  Graz  1904, 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


691 


mittleren  Teil  eine  größere  Länge  gegeben  werden  mußte.  Was  die  Bilder 
anlangt,  so  unterscheidet  sich  das  Regensburger  Rationale  von  seinem  Bam- 
berger Vorbild  nur  durch  Vereinfachung  der  Inschriften.  Der  Hauptunterschied 
zwischen  beiden  Gewändern  betrifft  den  Stil  des  Bildschmuckes  und  die  Technik. 
In  dem  einen  wie  in  der  andern  steht  das  Regensburger  ungleich  höher  als 
das  Bamberger  Rationale.  Während  bei  diesem  nur  das  Bildwerk  gestickt 
wurde,  ist  bei  jenem  alles,  auch  der  Bond,  in  Stickerei  ausgeführt.  In  Seide  sind 
hergestellt  die  Fleischpartien,  das  Haar,  die  Konturen  und  einiges  sonstige 
kleinere  Detail.  Alles  übrige  ist  in  entwickeltster  Abhefttechnik  in  Gold  ge- 
stickt. Die  Hand,  welche  das 
Rationale  schuf,  hat  es  meister- 
lich verstanden,  durch  Wechsel 
im  Abheften  und  in  der  Lage- 
rung der  Goldfäden  die  ver- 
schiedensten Effekte  zu  erzielen. 
Sie  hat  überall  nach  Maßgabe 
des  Gegenstandes  gearbeitet. 
Auch  zeichnerisch  betrachtet 
sind  die  Darstellungen  vorzüg- 
lich ;  sie  sind  ebenso  ausdrucks- 
voll wie  edel  in  der  Form. 

Wann  diese  Kopie  nach 
Regensburg  gekommen  ist, 
läßt  sich  nicht  feststellen.  Für 
Regensburg  angefertigt  ist  sie 
jedoch  wohl  kaum,  da  den  Bild- 
werken zufolge  das  Rationale 
daselbst  erst  um  das  zweite 
Viertel  des  14.  Jahrhunderts 
eine  dem  Bamberger  verwandte 
Form  annahm. 

Das  Rationale  im  kgl. 
bayr.  Nationalmuseum  (Bild 
310  und  311)  ist  eine  getreue 
Kopie  des  Regensburger.  Es 
entstand,  wie  es  scheint,  in 
der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahr- 
hunderts und  ist  für  die  da- 
malige Zeit  nicht  ungeschickt  gearbeitet 


Bild  312.     Rationale.     Krakau,  Dom. 

Am  wenigsten  gelang  es  der  Hand 


des  Stickers  oder  der  Stickerin,  den  Stil  der  Vorlage  wiederzugeben.  Bezeich- 
nend ist,  daß  die  Inschriften  entweder  ganz  weggelassen  oder  durch  neue 
ersetzt  wurden,  bei  denen  die  reiche  Allegorie,  welche  den  Bilderschmuck 
beherrscht,   kaum   mehr  zur  Geltung  kommt.      Die  mystischen  Auffassungen 


waren  eben  andere  geworden. 


Keine  besondere  Entwicklung  hat  das  Rationale  zu  Würzburg  er- 
fahren; es  erscheint  hier  von  seinem  ersten  Auftreten  unter  Emehard  bis 
zum  Augenblick,  da  es  durch  das  Pallium  ersetzt  wird,  auf  den  Monumenten, 
Siegeln  wie  Grabmälern,  als  palliumartiges  Ornatstück.  Es  sind  im  ganzen 
vielleicht  etwa  drei  Siegel,  auf  welchen  es  eine  etwas  abweichende  Form  zeigt, 


zwei   Siegel    Embrichos    von    Leiningen    (f    1146)    und    ein 


Siegel 
44* 


Herolds 


692 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


von  Höchheim  (f  1172).  Sie  sind  jedoch  um  so  weniger  von  Bedeutung,  als 
es  auf  andern  Siegeln  derselben  Bischöfe  die  normale  Bildung  hat. 

Von  eigentümlicher  Art  ist  das  Krakauer  Rationale.  Es  besteht  aus 
zwei  den  Schultern  aufliegenden  Streifen,  welche  vor  der  Brust  und  im  Rücken 
unter  einem  rechten  Winkel  zusammenstoßen.  Über  diesen  Kreuzungsstellen 
ist  eine  in  Gold  gestickte  Rundscheibe  mit  dem  Bild  des  Gotteslammes  an- 
gebracht, an  welche  zwei  mit  Fransen  besetzte,  schmälere  Behänge  angesetzt 
sind.  Die  den  Schulterstreifen  in  Gold  aufgestickten  Inschriften  sind  zurzeit 
verderbt.  Nach  einem  Inventar  von  1563  lauteten  sie:  DOCTRINA  VERITAS 
ET  PRVDENS  SIMPLICITAS1.  Auf  den  Behängen  ist  der  Name  der  Stifterin 
verewigt :  Hedwigis  regina  filia  regis  Lodovici  (Bild  312,  S.  691).  Die  mit  Fransen 
verzierten  Endstücke  weisen  die  Wappen  von  Polen,  Ungarn  und  Anjou  auf. 

Die  Rationalien,  welche  in  den  Prager  Inventaren  erwähnt  werden, 
besaßen  nach  dem  früher  Gesagten  wohl  eine  dem  Pallium  verwandte  Form. 

Zu  Lüttich  zeigte  das  Rationale,  wie  das  Siegel  Johannes'  von  Heins- 
berg (Bild  313)  bekundet,  schon  wenigstens  im  frühen  15.  Jahrhundert  den  Typus, 
welchen  das  Bamberger  und  dessen  Abkömmlinge  aufweisen.  Doch  waren 
Vorder-  und  Rückteil  kürzer;  auch  liefen  beide  nicht  in  zwei,  sondern  in 
drei  Streifen  aus.  Außerdem  haben  die  Schulterstücke  auf  den  späteren  Bild- 
werken nicht  Scheiben-,  sondern  Halbkreisform  wie  beim  Touler.  Vielleicht  daß 
schon  im  12.  Jahrhundert  das  Gewand  zu  Lüttich  eine  ähnliche  Form  wie 
das  Bamberger  hatte.  Das  Rationale,  welches  auf  dem  früher  erwähnten 
Email  des  St  Heribertsschreines  sich  findet,  hat  allerdings  das  Aussehen  eines 
Schulterbandes,  dem  drei  kurze  Streifen  angesetzt  sind,  einer  in  der  Mitte 
der  Brust  und  je  einer  vor  den  Schultern ;  dagegen  scheint  es  auf  dem  Siegel 
Rudolfs  von  Zähringen  aus  zwei  Mittelteilen  und  zwei  verbindenden  Schulter- 
stücken zu  bestehen2. 

Sehr  mannigfach  ist  das  Rationale  auf  den  Darstellungen  der  Touler 
Bischöfe.  Auf  dem  Siegel  Peters  von  Brizey  (f  1192)  hat  es  die  Form  eines  die 
Schultern,  die  Brust  und  den  Rücken  umziehenden  Bandes,  an  dem  kleine,  durch 
bogenförmige  Zacken  getrennte  Kreuzchen  hangen.  Bei  Odo  von  Sorcy  (f  1228) 
befindet  sich  in  der  Mitte  der  Brust  über  dem  Ring  ein  mächtiges  Rund- 
medaillon, von  dem  zwei  kurze  Streifen  herabfallen.  Beim  oberflächlichen 
Zuschauen  könnte  man  auf  den  Glauben  kommen,  es  bestehe  aus  zwei  Bändern, 
die  sich  vor  der  Brust  kreuzen.  Als  Schulterband,  dem  zwei  getrennte  Behänge 
angebracht  sind,  erscheint  das  Rationale  zuerst  auf  dem  Siegel  Thomas'  von 


1  Inventar  1563,  f.  39.  Nach  gütiger  Mit- 
teilung  meines   Ordensbruders  P.  Overmans. 

2  Nach  Gori  (Thesaurus  veterum  diptych. 
I,  Florentiae  1759,  11)  besaß  man  gegen  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  in  der  Kathedrale 
zu  Lüttich  noch  ein  Rationale  in  Form  eines 
Palliums,  das  6  Zoll  (=  0,16  m)  breit  und 
zur  Zeit ,  als  Gori  es  sah ,  einer  Kasel  als 
Kaselkreuz  aufgenäht  war.  Am  unteren  Ende 
der  Rückseite  bemerkte  der  Berichterstatter 
eine  Bisehofsfigur  in  Pluviale  und  Mitra.  Er 
hielt  sie  für  eine  Darstellung  Stephans  IX., 
der  angeblich  nach  der  Lütticher  Chronik 
(s.  oben  S.  684)  dem  Bischof  Theodwin  für 
ihn  und  seine  Nachfolger  die  Erlaubnis  gab, 
das  Rationale  (Superbumerale)  zu  tragen,  und 


vermutete,  es  sei  das  fragliche  Rationale 
eben  jenes  Superbumerale,  welches  StephanlX. 
dem  Bischof  damals  zum  Geschenk  übersandt 
haben  sollte.  Indessen  wird  diese  Annahme 
widerlegt  durch  die  Beschreibung,  welche 
Gori  von  der  Bischofsflgur  gibt.  Überhaupt 
kann  es  wohl  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  es 
sich  bei  dem  angeblichen  Rationale  nur  um 
ein  Gabelkreuz  gehandelt  hat.  Die  Breite 
und  die  auf  das  späte  Mittelalter,  in  dem 
das  Lütticher  Rationale  nach  Ausweis  der 
Siegel  ein  Schulterkragen  war,  hinweisende 
Bischofsfigur  bekunden  das.  Gori  hatte,  das 
zeigen  seine  Ausführungen,  von  dem  Gabel- 
kreuz der  mittelalterlichen  Kasein  keine 
Ahnung. 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


693 


Bourlemont  (f  1353).  Bei  der  Grabfigur  Heinrichs  von  Ville  (f  1436)  ist  der 
Ring  am  unteren  Rand  außerdem  mit  Fransen  eingefaßt,  bei  derjenigen  des  Bi- 
schofs Hugo  (f  1517)  haben  sich  zu  den  Behängen  halbkreisförmige  Ansätze  über 
den  Schultern  gesellt.  Es  ist  das  die  Form,  welche  die  Statuta  von  Toul  aus 
dem  Jahre  1497  mit  den  Worten  beschreiben:  Est  stola  larga,  fimbriata,  cir- 
cuiens  desuper  humeros  cum  duobus  manipulis  dimissis  ante  et  retro  et 
circa  spatulas  ex  utraque  parte  in  modum  scuti  rotundi  lapidibus  pretiosis 
cooperti.  Bei  einem  Bilde  des  hl.  Mansuetus  in  der  Krypta  der  Kapelle  des 
Faubourg  St-Mansuy  zu  Toul  (Beginn  des  16.  Jahrhunderts)  ist  das  Ornat- 
stück ein  förmlicher  Kragen,  der  mit  zwei  halbkreisförmigen  Schulterstücken 
geschmückt  ist  und  unten  die  üblichen  streifenartigen  Behänge  aufweist. 

Fassen  wir  das  Gesagte  kurz  zusammen,  so  lassen  sich  im  ganzen  drei 
Haupttypen  des  Rationale  unterscheiden.  Typus  I  gibt  ein  Yförmiges  Pallium 
wieder,  nur  daß  der  Behang  weniger  lang  und  die  Ornamentation  ungleich 
reicher  und  freier  ist.  Typus  II  gleicht  einem  T förmigen  Pallium,  bei  welchem 
der  eine  Streifen  in  der  Mitte  durch 
zwei  kurze,  nach  den  Seiten  zu  ange- 
brachte ersetzt  ist.  Bei  Typus  III, 
der  schon  im  Bamberger  Kationale  ge- 
geben erscheint,  tritt  eine  Verwandt- 
schaft mit  der  erzbischöflichen  Insignie 
kaum  zu  Tage,  um  so  mehr  aber  die 
Reminiszenz  an  den  alttestamentlichen 
hohenpriesterlichen  Schulterschmuck. 
Dem  Typus  I  kann  als  Nebentypus  die 
Form  hinzugezählt  werden,  welche  im 
Krakauer  Rationale  und  auf  dem  Siegel 
des  Touler  Bischofs  Odo  von  Sorcy  ver- 
treten ist. 

Typus   I    erhielt    sich    bis    in    die 
Neuzeit  zu  Würzburg.    Zu  Eichstätt  und 


Regensburg    zeigt    das    Rationale    zu- 


Bild 313.     Siegel  des  Lütticher  Bischofs 
Johannes  von  Heinsberg  (1419 — 1455). 


nächst  Typus  I,  hierauf  Typus  II,  um 
dann  gegen  Ende  des  Mittelalters  langsam  in  den  im  Bamberger  Rationale  ver- 
körperten Typus  III  überzugehen.  Ob  auch  zu  Paderborn  zwischen  den 
ursprünglichen  Typus  I  und  den  späteren  Typus  III  (der  freilich  nicht  ganz 
rein  ist,  da  die  Scheiben  fehlen)  Typus  II  sich  als  verbindendes  Mittelglied 
einschob,  läßt  sich  beim  Mangel  an  Monumenten  nicht  bestimmen.  Zu  Toul, 
wo  sich  Typus  I  nur  in  der  Form  des  Nebentypus  nachweisen  läßt,  wie  er  durch 
das  Krakauer  Rationale  dargestellt  wird,  dauert  Typus  II  im  wesentlichen 
unverändert  bis  zur  Zeit  fort,  zu  der  das  Rationale  dort  aus  dem  Gebrauch 
verschwindet.  Denn  wenn  sich  auch  um  1500  an  dem  Schulterband  halb- 
kreisförmige Scheiben  einbürgern,  so  bilden  diese  doch  nicht  eigentlich  die 
Verbindung  zwischen  dem  Brust-  und  Rückenteil ,  wie  bei  dem  Bamberger 
Rationale  und  dessen  Regensburger  Kopien,  sowie  bei  dem  Eichstätter  Rationale. 
Auch  zu  Lüttich  ist  Typus  I  nicht  nachweisbar.  Das  Rationale  auf  der  früher 
erwähnten  Emailplatte  des  Heribertsschreines  gehört  dem  Typus  II  an,  das 
Rationale  auf  dem  Siegel  Rudolfs  von  Zähringen  dagegen,  wenn  anders  es 
sich  hier  um  das  Rationale  handelt,  dem  Typus  III,  wie  es  scheint.  Die  Lütticher 
Bischofssiegel  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  gestatten  zum  Teil  kein  genaues 


694  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Urteil  über  den  Typus,  den  das  Rationale  auf  ihnen  vertritt.  Klar  erscheint 
Typus  III  auf  dem  Siegel  Johannes'  von  Heinsberg. 

Für  die  Ornamentation  des  Gewandes  gab  es  keine  Regeln.  Das  be- 
kundet zur  Genüge  der  bunte  Wirrwarr,  den  die  Rationalien  auf  den  Monu- 
menten hinsichtlich  ihrer  Verzierung  bieten.  Man  betrachte  nur  die  Minia- 
turen des  Gundekarpontifikale  oder  die  Siegel  und  Grabmäler  der  Würz- 
burger und  Regensburger  Bischöfe.  Hätte  es  irgend  welche  Normen  für  die 
Verzierung  des  Rationale  gegeben,  so  hätten  die  Künstler,  deren  Hand  die 
Bildwerke  schuf,  unmöglich  ihrer  Phantasie  so  freien  Lauf  lassen  können,  wie 
sie  es  wirklich  getan  haben. 

An  dem  Saum  des  Rationale  brachte  man,  wie  die  Bildwerke  bekun- 
den, gern  Glöckchen  an.  Auch  der  St  Gallener  Kodex  bezeugt  das:  Tintin- 
nabulis  resonans.  Das  gleiche  tun  die  Kustodierechnungen  des  Bamberger 
Domes  zum  Jahre  1544.  Erhalten  haben  sich  noch  einzelne  Schellchen  an 
den  Rationalien  zu  Regensburg  und  Eichstätt. 

V.   URSPRUNG  DES  RATIONALE. 

Über  den  Ursprung  des  Rationale  im  Sinne  eines  pontifikalen  Schulter- 
schmuckes hat  man  die  verschiedensten  Hypothesen  aufgestellt. 

Nach  einer  derselben  kommt  es  von  einem  Tunikabesatz  her,  der  uns  im 
Bilde  auf  altchristlichen  und  mittelalterlichen  Monumenten ,  in  Wirklichkeit  bei 
den  koptischen  Grabfunden  begegnet  und  aus  zwei  auf  den  Achseln  angebrachten 
Scheiben  und  zwei  von  den  Schultern  bis  über  die  Brust  sich  herabziehenden  Streifen 
besteht.  Es  soll  sich  diese  Verzierung,  zu  der  oft  noch  eine  den  Kopfdurchlaß  ver- 
zierende Borte  kam.  im  Mittelalter  losgelöst  haben  und  als  selbständiger  Schulter- 
schmuck zu  einem  Distinktivum  kirchlicher  Dignitare  geworden  sein.  Dieser  Meinung 
widerspricht  indessen,  daß  wir  den  Besatz  nur  bei  der  Tunika,  nicht  aber  auch  bei 
der  Planeta  (Kasel)  antreffen.  Wie  soll  also,  fragen  wir  wohl  nicht  mit  Unrecht, 
das  von  der  Tunika  losgelöste  Ornament  den  Charakter  eines  über  der  Kasel  an- 
gelegten selbständigen  Gewandes  erlangt  haben?  Außerdem  ist  das  Bationale  nur  in 
Deutschland  und  den  angrenzenden  Teilen  von  Deutschland  in  Gebrauch  gewesen,  hier 
aber  hat  man  den  fraglichen  Besatz  der  Tunika  nicht  gekannt.  Endlich  stimmt  die 
Hypothese  durchaus  nicht  mit  dem  überein,  was  die  Monumente  uns  von  der  anfäng- 
lichen Form  des  Ornatstückes  und  seiner  Entwicklung  zu  erzählen  wissen. 

Andere  glauben,  das  Rationale  bzw.  Superhumerale  habe  sieh  aus  der  breiten, 
kragenartigen  Verzierung  gebildet,  welche  wir  nicht  selten  auf  Bildwerken  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  um  den  Kopfdurchschlupf'  der  Kasel  herum  angebracht  sehen.  Allein 
wir  treffen  eine  solche  Verzierung  nicht  bloß  bei  der  Kasel,  sondern  auch  bei  der 
Dalmatik  und  Tuniceila  an;  ja  nicht  bloß  bei  Geistlichen,  sondern  auch  bei  Laien, 
Männern  und  Frauen.  Außerdem  erscheint  dieser  nicht  selten  geradezu  bizarre  und 
phantastische  Besatz  des  Meßgewandes  niemals  als  Besonderheit  eines  bestimmten 
Bischofs,  noch  auch  als  irgend  einem  Land  eigentümlich ;  denn  wir  begegnen  ihm 
ebensowohl  auf  französischen  und  italienischen  wie  englischen  und  deutschen  Bild- 
werken, und  zwar  auch  noch  dann,  als  das  Rationale  schon  längst  als  Auszeichnung 
bestimmter  Bischöfe  in  Gebrauch  war.  Wie  kam  es,  daß  wir  trotzdem  das  Ornatstück 
nur  bei  deutschen  Bischöfen  und  bei  ein  paar  Deutschland  benachbarten  Prälaten  finden? 
Wie,  daß  jener  Kaselbesatz  ein  Gewandstück  wurde,  zu  dessen  Benutzung  man  eines 
Privilegs  des  Apostolischen  Stuhles  bedurfte,  weil  es  als  eine  Art  von  Gegenstück  des 
Palliums  galt?  Wie,  daß  das  Rationale  von  Anfang  an  in  ganz  bestimmten  Typen 
auftritt,  die  mit  jenem  Kaselbesatz  bei  genauem  Zusehen  formell  wenig  oder  keine 
Verwandtschaft  bekunden?  Wie  endlich,  daß  wir  diesen,  nachdem  er  angeblich  zum 
bischöflichen  Rationale   geworden   war,    vor   wie   nach  immer  wieder    auf  den  Monu- 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale.  695 

menten  dargestellt  sehen?  Nimmt  man  die  Sache  freilieh  bloß  als  Möglichkeit,  so 
ist  es  gewiß  denkbar,  daß  sieh  das  Bationale  in  der  Weise  bilden  konnte,  wie  es  die 
Hypothese  will ;  allein  es  kommt  nicht  darauf  an,  was  absolut  genommen  geschehen 
konnte,  sondern  was  nach  Maßgabe  der  tatsächlichen  Verhältnisse  wirklich  geschehen 
sein  wird. 

Eine  dritte  Hypothese  leitet  das  Rationale  vom  päpstlichen  Fano  ab,  mit  dem 
es  identisch  sein  soll.  Sie  übersieht  jedoch,  daß  der  Fano  im  Grunde  nichts  anderes 
ist  als  der  gewöhnliche  Amikt;  daß  er  noch  im  12.  und  13.,  ja  14.  Jahrhundert  ein 
wirklicher  Amikt  war,  der  freilich  statt  unter  der  Albe  über  derselben  getragen  wurde ; 
endlich  daß  er  noch  gegen  Ende  des  Mittelalters  ein  förmliches  Tuch  darstellte  und 
erst  zu  einer  Art  von  Schulterkragen  wurde,  als  das  gewöhnliche  Humerale  in  die 
Pontifikalkleidung  des  Papstes  Aufnahme  fand.  Ebenso  läßt  sie  ganz  außer  acht, 
daß  das  Rationale  zu  keiner  Zeit  mit  dem  Fano  irgend  welche  Ähnlichkeit  hatte, 
sondern  stets  als  ein  ganz  eigenartiger  Schmuck  auftritt,  mag  es  nun  als  ein  dem  Pallium 
formverwandtes  Ornatstück,  oder,  wie  zu  Bamberg ,  als  eine  Art  Schultergewand 
erscheinen. 

Eine  vierte  Theorie  führt  das  Rationale  auf  ein  gallikanisches  bischöfliches 
Pallium  zurück,  indem  sie  im  Anschluß  an  Ruinart  auf  Grund  des  Konzils  von  Mäcon 
in  der  altgallischen  Kirche  ein  bischöfliches  Pallium  im  Sinne  eines  spezifisch  bischöf- 
lichen Abzeichens  und  Ehrenschmuckes  annimmt.  Allein,  hat  es  denn  wirklich  ein  galli- 
kanisches bischöfliches  Pallium  gegeben?  Unseres  Erachtens  ist  das  zum  mindesten  sehr 
unwahrscheinlich.  Das  Pallium,  von  dem  die  gallikanische  Meßerklärung  und  die  Synode 
von  Mäcon  reden,  kann  allem  Anschein  nach  nur  im  Sinne  der  bischöflich-priester- 
lichen Stola  verstanden  werden  *.  Jedenfalls  ist  bisher  in  keiner  Weise  bewiesen 
worden,  daß  noch  im  9.  und  10.  Jahrhundert  das  angebliche  gallikanische  Pallium 
in  Gebrauch  war.  Im  Gegenteil  kann  es  wohl  kaum  zweifelhaft  sein,  daß  ein  solches 
damals  nicht  zur  Verwendung  kam ,  gleichviel ,  wie  es  sich  früher  verhalten  haben 
mag.  Keiner  der  Liturgiker  weiß  etwas  von  ihm ,  nicht  einmal  Hraban,  der  doch 
den  deutschen  Brauch  gewiß  kannte ;  kein  Monument  bringt  uns  von  ihm  Kunde : 
diese  wie  jene  kennen  nur  ein  Pallium,  das  römische.  Und  wenn  das  Rationale  nichts 
anderes  als  das  gallikanische  Pallium  ist,  wie  kommt  es  denn,  daß  es  bei  seinem 
ersten  Auftreten  alsbald  drei  verschiedene  Typen  aufweist,  von  denen  einer  in  aller 
Klarheit  als  Nachbildung  des  hohenpriesterlichen  Schulterschmuckes  erscheint?  Wie, 
daß  das  Rationale  gerade  im  Heimatlande  des  gallikanischen  Palliums  nirgends  nach- 
weisbar ist,  sondern  nur  auf  deutschem  Boden  und  bei  ein  paar  den  deutschen 
Grenzen  benachbarten  Bischöfen? 

Eine  fünfte  Meinung  will  das  Rationale  von  dem  Schulterschmuck  des  alt- 
testamentlichen  Hohenpriesters  herleiten.  In  der  Tat  kann  es  wohl  nicht  bezweifelt 
werden,  daß  die  Erinnerung  an  jenen  auszeichnenden  Ornat  Aarons  und  seiner  Nach- 
folger auf  die  Entstehung  des  Rationale  von  irgend  welchem  Einfluß  war.  Das  be- 
weist nicht  bloß  der  Name,  den  das  Ornatstück  von  jeher  geführt  hat,  das  zeigen  auch 
die  Erinnerungen  an  den  jüdischen  pontifikalen  Schulterschmuck,  die  beim  Bamberger 
Rationale  unverkennbar  in  der  Form  wie  in  dem  Bilderschmuck  zu  Tage  treten.  An 
die  am  Ephod,  dem  Sehultergewand,  angebrachten  Schulterstücke,  auf  denen  je  sechs 
Namen  der  Stämme  Israels  angebracht  waren,  gemahnen  hier  deutlich  die  Scheiben 
mit  den  Darstellungen  von  je  sechs  Söhnen  Jakobs,  an  die  Brustplatte  mit  den  Namen 
der  zwölf  Stämme,  die  auf  den  beiden  Blättern  des  Bamberger  Ornats  sich  findenden 
Apostelbilder.  Eine  Kopie  des  alttestamentlichen  hohenpriesterlichen  Schulter-  und 
Brustornats  ist  das  Rationale  zu  Bamberg  freilich  nicht.  Allein  abgesehen  davon, 
daß  es  bei  der  Dunkelheit  der  Berichte,  welche  die  Heilige  Schrift  und  Flavius  Josephus 
über  den  Schmuck  geben,  unmöglich  war,  diesen  schlechthin  nachzubilden,  verboten 
auch  die  veränderten  Verhältnisse,  ihn  herüberzunehmen,  ohne  ihn  mit  christlichem 
Gehalt  erfüllt  zu  haben. 


1  S.  oben  S.  674  f. 


(396  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Indessen  ist  die  Erinnerung  an  das  Schultergewand  und  das  Rationale 
des  alttestamentlichen  Kultus  nicht  der  einzige  Faktor,  dem  der  uns  hier 
beschäftigende  pontifikale  Schulterschmuck  sein  Dasein  verdankt.  Sie  kann 
nicht  einmal  als  der  Hauptfaktor  betrachtet  werden.  Die  verschiedenen  Typen, 
welche  das  Rationale  bereits  bei  seinem  ersten  Auftreten  aufweist,  lassen 
keinen  Zweifel,  daß  noch  ein  anderer  auf  seine  Entstehung  eine  Einwirkung 
ausgeübt  hat,  ja,  wie  es  scheint,  sogar  eine  größere  als.  der  Hinblick  auf  den 
hohenpriesterlichen  Ornat  des  mosaischen  Kultus :  das  Bestreben,  einen  dem 
Pallium  analogen  bischöflichen  Schmuck  zu  schaffen,  der  den  Bischöfen  eine 
Art  von  Ersatz  der  ihnen  nicht  zustehenden  erzbischöflichen  Insignie  bieten 
sollte.  Wie  bei  dem  Bamberger  Rationale  die  Beziehung  zum  Ornat  des 
Hohenpriesters  unverkennbar  ist,  so  liegt  bei  der  Form,  welche  das  Ornatstück 
ursprünglich  zu  Regensburg  und  Eichstätt  hatte  und  zu  Würzburg  bis  zum 
17.  Jahrhundert  behielt,  der  Anklang  an  das  Pallium  offen  zu  Tage.  Selbst 
Typus  II,  der  schon  auf  den  Bildern  Sigeberts  von  Minden  vertreten  ist, 
erinnert,  weil  ein  Schulterband  darstellend,  klar  an  die  erzbischöfliche  Insignie. 

Aber  auch  aus  den  Bullen,  in  welchen  Innozenz  II.  den  Bischöfen 
Adalbero  IL  von  Lüttich  und  Bernhard  I.  von  Paderborn  das  Recht  ver- 
leiht, das  Rationale  zu  tragen,  erhellt,  daf3  wirklich  beide  Faktoren  bei  Ent- 
stehung des  Ornatstückes  mitgewirkt  haben. 

„Billig  ist  es,  daß  Du",  so  heißt  es  in  der  zweiten,  „für  die  Willfährig- 
keit, welche  Du  gezeigt,  vom  Apostolischen  Stuhl  einer  besondern  Ehrung 
teilhaft  werdest  und  .  .  .  zeitlich  Avie  geistlich  willkommenen  Vorteil  empfangest. 
Und  weil  Du  wie  ein  anderer  Aaron  zum  Gipfel  der  bischöflichen  Würde  durch 
Gottes  Walten  berufen  und  an  Stelle  Moses'  zum  Herrscher  und  Leiter  des 
christlichen  Volkes  hingestellt  wardst,  so  machen  wir  Dich  auch  ihrer  Aus- 
zeichnung teilhaft  und  verleihen  Dir  und  Deinen  Nachfolgern  aus  des  Aposto- 
lischen Stuhles  Gnade  den  Gebrauch  des  Rationale."  In  der  für  Adalbero 
bestimmten  Bulle  aber  sagt  der  Papst:  „Und  wie  sie  (die  römische  Kirche) 
als  gute  Mutter  ihre  Kinder  zu  Hohem  erhebt  und  andere  zu  Patriarchen, 
andere  zu  Erzbischöfen,  andere  zu  Bischöfen  macht,  so  ziert  sie  aus  der  reichen 
Fülle  der  ihr  von  Gott  verliehenen  Gaben  dieselben  auch  voll  Milde  mit  dem 
Schmuck  verschiedener  Abzeichen." 

In  der  zweiten  Bulle  erscheint  das  Rationale  in  aller  Bestimmtheit  als 
Gegenstück  des  erzbischöflichen  Palliums.  Daher  denn  auch  seine  Verwen- 
dung ähnlichen  Beschränkungen  unterlag.  Es  durfte  gerade  wie  das  Pallium 
nur  im  Bereich  der  eigenen  Diözese,  und  zwar  bloß  bei  wenigen  ausdrücklich 
festgesetzten  Gelegenheiten  und  Festen,  getragen  werden.  Dazu  war  sein 
Gebrauch  nur  in  der  Kirche,  also  z.  B.  nicht  bei  Prozessionen,  gestattet. 

„Wir  verordnen",  sagt  die  für  Bernhard  von  Paderborn  erlassene  Bulle, 
„daß  Du  Dich  des  Rationale  nur  in  Deiner  Diözese  innerhalb  der  Kirche  am 
Gründonnerstag,  an  Ostern,  Christi  Himmelfahrt,  Pfingsten,  am  Geburts- 
fest Johannes'  d.  T.,  an  den  Festen  der  Apostelfürsten  und  der  Gottesmutter, 
am  Allerheiligenfeste,  an  Epiphanie.  am  Feste  des  hl.  Liborius,  bei  der  Ein- 
weihung von  Kirchen  und  der  Ordination  der  Kleriker  und  am  Jahrestag 
der  Konsekration  der  Kathedralkirche  bedienest."  Ähnlich  lauten  die  Be- 
stimmungen der  Bulle,  in  welcher  Innozenz  IL  Adalbero  den  Gebrauch  des 
Rationale  gestattet. 

Noch  bezeichnender  für  den  Ursprung  des  Rationale  übrigens  als  die 
Bullen  Innozenz'  IL  ist  die  Bulle  Johannes'  XIX.  für  Poppo  von  Aquileja.    Denn 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


697 


wenn  irgendwo,  so  erscheint  gerade  in  ihr  das  Rationale  in  aller  Bestimmt- 
heit als  Gegenstück  und  als  Ersatz  des  Palliums  für  den  Patriarchen  bei  der 
Feier  der  Messe  an  den  niederen  Festen,  an  welchen  ihm  der  Gebrauch  des  Pal- 
liums selbst  untersagt  war.  Wenn  man  aber  das  Ornatstück  Rationale  nannte 
und  ihm  eine  von  dem  Pallium  mehr  oder  weniger  abweichende,  von  Erinne- 
rungen an  den  alttestamentlichen  hohenpriesterlichen  Schulter-  und  Brust- 
schmuck beeinflußte  Form  gab,  so  geschah  das  zweifelsohne,  um  es  von  dem 
Pallium  zu  unterscheiden  und  einer  Verwechslung  beider  Ornatstücke  vor- 
zubeugen i. 

Wie  aber  kam  es,  daß  das  Rationale  erst  um  den  Ausgang  des  zehnten 
Jahrhunderts  auftauchte,  und  zwar  gerade  in  Deutschland?  Eine  bestimmte 
Antwort  läßt  sich  auf  diese  Fragen  leider  nicht  geben.  Immerhin  muß  auf  zwei 
Punkte  aufmerksam  gemacht  werden,  welche  einiges  Licht  auf  sie  zu  werfen 
geeignet  sind.  Daß  es  überhaupt  zu  einer  Einführung  des  Rationale  kam, 
dürfte  mit  dem  gleichzeitigen  lebhaften  Streben  zusammenhangen,  die  Ponti- 
fikalgewandung  möglichst  glänzend  und  reich  auszugestalten.  Die  Zeit,  in 
der  uns  das  Rationale  zum  erstenmal  begegnet,  sah  nicht  bloß  die  Gewand - 
schränke  der  Dome  sich  mit  den  kostbarsten  Ornaten  füllen  wie  kaum  zuvor 
—  man  denke  nur  an  die  goldgestickten  Prachtkasein  im  Schatz  des  Bamberger 
Domes  — ,  sondern  bereicherte  die  Pontifikaltracht  auch  um  die  pontifikalen 
Handschuhe,  das  Subcinctorium  und  die  Mitra.  Daß  aber  das  Rationale  gerade 
auf  deutschem  Boden  entstand  und  Verbreitung  fand,  mag  mit  der  hervor- 
ragenden Stellung  zusammenhangen,  welche  hier  der  Episkopat  vor  den  übrigen 
Ländern  einnahm,  zumal  aber  seit  den  Tagen  der  Ottonen. 


VI.    DAS  RATIONALE  ALS  BISCHÖFLICHER  BRUSTSCHMUCK. 

Außer  einem  Rationale  im  Sinne  eines  Schulterschmuckes  begegnet  uns 
im  Mittelalter  hie  und  da  auch  ein  Rationale  in  der  Bedeutung  eines  Brust- 
schmuckes.   Von  Rationalien  dieser  Art  reden,  wie  wir  früher  schon  hörten, 


1  Wenn  Eisenhofer  in  seiner  trefflichen 
Schrift  über  das  bischöfliche  Rationale  (S.  31) 
meint:  „Will  man  .  .  .  nicht  zu  der  in  der 
liturgischen  Tradition  nicht  begründeten  und 
historisch  sehr  anfechtbaren  Hypothese  seine 
Zuflucht  nehmen ,  daß  das  Rationale  seine 
Entstehung  einer  gewissen  Konkurrenz  gegen 
das  erzbischöfliche  römische  Pallium  ver- 
dankt, so  sieht  man  sich  zur  Annahme  ge- 
nötigt ,  daß  das  Pallium-Rationale  nach 
Deutschland  kam  aus  einem  Lande,  wo  das- 
selbe schon  längst  bekannt  und  in  Gebrauch 
war";  dazu  die  Fußnote:  „Es  ist  ganz  un- 
denkbar ,  daß  die  Metropoliten  oder  der 
römische  Stuhl  ein  solches  Unterfangen  ge- 
duldet haben  würden",  so  gibt  es  erstens 
doch  auch  andere  Erscheinungen  in  der  Sa- 
kralkleidung, die  nicht  in  der  liturgischen 
Tradition  begründet  waren;  man  denke  nur 
an  die  Handschuhe  und  die  Mitra,  an  die 
Pariiren  der  Albe  und  des  Amikts  u.  a. 
Ebenso  darf  wohl  an  das  Bestreben  so  man- 
cher Abte,  den  Bischöfen  gleich  das  Recht 
zum    Gebrauch    der    Pontiflkalgewänder    zu 


erlangen,  erinnert  werden.  Dann  aber  geht 
es  auch  angesichts  der  tatsächlichen  Ver- 
hältnisse ,  namentlich  aber  angesichts  des 
Wortlautes  der  päpstlichen  Bullen ,  wohl 
nicht  gut  an  ,  von  einer  historisch  sehr  an- 
fechtbaren Hj'pothese  zu  reden.  Wäre  die 
Einführung  des  Rationale  der  Ausdruck  des 
Bestrebens  gewesen,  mit  diesem  Ornat  zu- 
gleich eine  Art  von  Exemtion  von  der 
Metropolitangewalt  und  gewisse  Jurisdik- 
tionelle Rechte  zu  erlangen ,  so  hätte 
Eisenhofer  gewiß  recht ,  daß  weder  die 
Metropoliten  noch  der  Papst  ein  solches 
Unterfangen  geduldet  haben  würden.  Allein 
den  Sinn  hatte  sie  in  keiner  Weise.  Das 
Rationale  war  nur  Schmuck ,  der  keinerlei 
Rechte,  nicht  einmal  die  Präzedenz  brachte, 
ähnlich  wie  die  Mitra  oder,  wenn  man  will, 
das  Bischöfen  verliehene  Pallium.  Darum 
hat  sich  denn  auch  nie  eine  Opposition  gegen 
die  Ingebrauchnahme  des  Rationale  geregt, 
noch  haben  die  Päpste  je  Bedenken  gefunden, 
Bischöfen  als  Auszeichnung  den  Gebrauch 
des  Rationale  zu   gestatten. 


698 


Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 


Ivo,  Honorius  und  Sicard.  Bei  dem  Rationale,  von  dem  Ivo  spricht,  hat  man 
allerdings  an  das  erzbischöfliche  Pallium  gedacht;  jedoch  macht  es  der  Zu- 
sammenhang mehr  als  wahrscheinlich,  daß  auch  er  bei  seinen  Worten  einen 
bischöflichen  Brustschmuck  im  Sinne  hat.  Hie  ornatus  solius  erat  pontificis, 
sicut  et  nunc  est  apud  eos,  quibus  eo  uti  concessum  est  propter  distantiam 
maiorum  et  minorum  sacerdotum,  schreibt  er,  nachdem  er  den  Brustschild  des 
alttestamentlichen  Hohenpriesters  mystisch  gedeutet  hatte.  Auch  in  dem 
Sakramental'  Ratolds,  das  ursprünglich  für  die  Kathedrale  zu  Arras  bestimmt 
war,  ist  unter  dem  Rationale  wohl  ein  Brustschild  zu  verstehen,  falls  nicht 
etwa,  wie  früher  gesagt  wurde,  damit  eine  Amiktverzierung  gemeint  ist. 

Von  einem  Rationale  dieser  Art  berichtet  um  1200  ein  Mönch  des 
Klosters  Admont.  Bischof  Gebhard  von  Salzburg  (f  1088),  so  erzählt  er, 
hatte  es,  als  er  zu  Gesandtschaftszwecken  am  byzantinischen  Hofe  weilte, 
vom  Kaiser  zum  Andenken  erhalten,  weil  er  dessen  Sohn  getauft  hatte.  Es 
war  aus  Gold  und  Edelsteinen  verfertigt,  hing  an  goldenen  Ketten  und  wurde 
auf  1000  Mark  gewertet.  Das  Kleinod  ging,  wie  der  Admonter  Mönch  klagt, 
leider  schon  1085  in  den  Wirren,  welche  der  Eindringling 
Berthold  anstiftete,  schmählich  zu  Grunde1. 

Rationalien  im  Sinne  eines  auf  der  Brust  über  der 
Kasel  befestigten  bischöflichen  Brustschildes  haben  sich 
aus  dem  Mittelalter  nicht  erhalten.  Dagegen  gibt  es  eine 
Anzahl  von  Bischofsdarstellungen  aus  dem  12.  und  13.  Jahr- 
hundert, welche  das  Rationale  aufweisen  und  treffliche 
Illustrationen  zu  den  Ausführungen  eines  Ivo  und  Honorius 
bilden.  So  findet  sich  der  Brustschmuck  beipielsweise  auf 
den  Siegeln  der  Münsterischen  Bischöfe  Werner  (f  1151), 
Ludolf  (f  1248),  Wilhelm  (f  1260),  der  Paderborner  Bi- 
schöfe Bernhard  III.  (f  1223),  Bernhard  IV.  (f  1247), 
Simon  I.  (f  1277),  der  Mindener  Bischöfe  Johann  (f  1253),  Wilhelm  I.  (f  1242) 
und  Widekind  I.  (f  1261) 2,  der  Mainzer  Erzbischöfe  Christian  (f  1251),  Ger- 
hard I.  (f  1259),  AVerner  (f  1284) 3,  sowie  auf  dem  Siegel  des  Mainzer  Dom- 
stiftes (Bild  123,  S.  263).  Auch  auf  sonstigen  Monumenten  begegnet  es  uns 
nicht  selten.  Wir  erwähnen  hier  nur  die  drei  aus  Maastricht  stammenden 
Reliquiare  des  Musee  Cinquantenaire  zu  Brüssel  mit  den  Darstellungen  der 
hll.  Monulphus,  Gondulphus  und  Valentin i,  die  Statuette  des  hl.  Servatius 
am  Kopfende  des  Schreines  des  Heiligen  in  der  St  Servatiuskirche  zu  Maas- 
tricht5, die  Statue  des  hl.  Gregor  d.  Gr.  am  Südportal  der  Kathedrale  von 
Chartres  und  ganz  besonders  die  Figur  des  heiligen  Papstes  Klemens  (Bild  314) 6 
und  die  Bilder  der  Reimser  Erzbischöfe  am  Nordportal  und  an  der  Fassade 
der  Kathedrale  von  Reims,  sowie  die  nach  deren  Vorbild  gearbeitete  Statue 
Klemens'  II.  im  Dom  zu  Bamberg  (Bild  315) 7. 


Bild  314.  Statue 
des  hl.  Klemens. 
Keims,  Kathedrale. 


1  Monachi  Admont.  Vita  Gebehardi  n.  8 
(M.  Gr.  SS.  XI  39).  Eine  Keliquienkapsel 
oder  ein  Brustkreuz  war  das  Rationale,  nach 
dem  Bericht  zu  urteilen,  wohl  nicht. 

2  Abbildungen  in  „Die  westfälischen  Siegel 
des  Mittelalters"  Tfl  1 3  43 2  44 3  49  » 2  3  54  3  5  G. 

3  Abbildungen  bei  Würdtwein,  Nova 
subsid.  dipl.  111,  tab.  18;  IV,  tab.  20. 

■'  Abbildung  bei  J.  Destr^e,  Les  mus<5es 
royaux  du  Parc  du  Cinquantenaire,  livr.  5. 


6  Abbildung  bei  Bock  und  M.  "Willem- 
sen,  Die  mittelalterlichen  Kunst-  und  Re- 
liquienschätze zu  Maastricht,  Köln  1872,  47. 

G  Abbildung  der  Statue  des  hl.  Klemens 
bei  Bock  I  3,  Tfl  6. 

7  Neueste  Abbildungen  bei  A.  W  e  e  s  e, 
Die  Bamberger  Domskulpturen,  Straßb.  1897, 
Abb.  32  33.  Die  Bamberger  Statue,  auch  bei 
Hasak,  Geschichte  der  deutschen  Bildhauer- 
kunst des  13.  Jahrh.,  Berlin  1899,  64. 


Viertes  Kapitel.     Das  Rationale. 


699 


Der  Brustschmuck,  den  wir  auf  den  genannten  Bildwerken  antreffen, 
ist  meist  von  rechteckiger  Form,  doch  auch  wohl  rund.  Er  ist  bald  größer, 
bald  kleiner,  immer  aber  reich  verziert,  zumal  mit  Steinen.  Angebracht  ist 
er  oben  über  der  Kasel  hart  unter  dem  Kopfdurchlaß.  Er  scheint  im  Ein- 
klang mit  den  Angaben  des  Honorius  fast  immer  an  der  Kasel  befestigt  zu 
sein.  Bei  der  Klemensstatue  und  den  andern  Bischofsdarstellungen  am  Portal 
des  Querbaues  und  an  der  Fassade  der  Kathedrale  von  Reims  hängt  das 
Rationale  an  Kettchen,  die  unter  der  Parura  des  Amikts  verschwinden. 

Das  Rationale  im  Sinne  eines  pontifikalen  Brust- 
schmuckes dürfte  nie  sehr  verbreitet  gewesen  sein,  viel- 
leicht weniger  verbreitet,  als  es  nach  den  Bildwerken 
scheinen  könnte.  Denn  es  kann  wohl  kaum  einem  Zweifel 
unterliegen,  daß  es  sich  bei  der  Agraffe  oder  dem 
agraffenartigen  Schmuck,  welche  man  auf  diesen  bei  Bi- 
schöfen vorn  oben  über  der  Kasel  bemerkt,  nicht  selten 
statt  um  das  Rationale  um  eine  dem  Künstler  zur  Last 
fallende  Verzierung  handelt.  Wenn  irgendwo  bei  Ver- , 
wertung  der  Monumente,  dann  ist  bezüglich  des  in  Frage 
stehenden  pontifikalen  Brustschmuckes  Vorsicht  und  nüch- 
terne Zurückhaltung  nötig. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  ver- 
schwindet der  Schmuck  von  den  Bildwerken.  Wenn  er 
sich  zu  Reims  länger  auf  ihnen  erhielt,  so  hatte  das  seinen 
Grund  in  dem  Umstand,  daß  er  hier  tatsächlich  fort- 
dauernd Verwendung  fand.  War  doch  das  Rationale  im 
Sinne  eines  Brustschildes  nach  Ausweis  der  Inventare 
der  Kathedrale  von  1470  und  1518  daselbst  noch  um  den 
Beginn  der  Neuzeit  im  Gebrauch1.  Es  gab  damals  im 
Schatz  zwei  Rationalien,  ein  größeres  und  ein  kleineres. 
Das  größere  bestand  aus  lauterem  Gold  und  war  mit 
zwölf  verschiedenfarbigen  Edelsteinen  besetzt,  auf  denen 
die  Namen  der  zwölf  Kinder  Israels  eingegraben  waren. 
An  seinen  vier  Ecken  waren  Ringe  und  Agraffen  an- 
gebracht. Die  goldene  Kette,  mit  der  es  am  Hals  auf-  ^llcl  ab- 
gehängt  wurde,   wies  auf  den   Schultern   einen   in   Gold       PaPst  Elemens  IL 

.  .  -„   .  Bamberg,  Dom. 

gefaßten  Sardomx,  im  Nacken  aber  einen  großen  Kristall 
auf.  Das  kleinere  Rationale  war  ebenfalls  aus  Gold  gemacht  und  mit  gol- 
dener Kette  versehen,  im  übrigen  aber  ungleich  einfacher;  denn  seine  Verzie- 
rung bestand  nur  aus  einem  freilich  außergewöhnlich  großen  Sardonix,  den 
vier  Smaragde  und  vier  Rubine  umgaben.  Zu  beiden  Rationalien  gehörten 
drei  silbervergoldete  Nadeln,  ad  tenendum  dicta  rationalia  cum  casula,  deren 
Zweck  also  war,  die  Rationalien  an  der  Kasel  anzuheften,  offenbar,  um  ein 
ebenso  unschönes  wie  lästiges  Hin-  und  Herbaumeln  des  Schmuckes  zu 
verhüten 2. 


1  Cerf,  Dissertation  sur  le  rational.  Tra- 
vaux  de  l'Acadeinie  de  Reims  1889,  251. 

2  Vielleicht  spielt  schon  um  1180  Petrus 
Cellensis,  damals  Abt  von  St-Remi,  in  seinem 
Brief    an     Erzbischof   Wilhelm    von    Reims 


an.  Certe,  schreibt  er,  hoc  in  rationali  (das 
Rationale)  et  superhumerali  (Pallium)  tuo, 
pater  amantissime,  stylo  ferreo  .  .  .  scribetur, 
quod  in  vicariis  Christi  eligendis  nulla  te 
movet  humana  gratia  (Ep.  1.  2,  ep.  17  [M.  202, 


(t   1202)    auf   den   fraglichen   Brustschmuck  567]). 


700  Vierter  Abschnitt.     Die  Insignien. 

Nach  Ivo  von  Chartres  war  der  Brustschmuck  ein  privilegiertes  Ornat- 
stück entweder  der  Bischöfe  überhaupt  oder  doch  solcher  Bischöfe,  denen  das 
besondere  Vorrecht  zu  teil  geworden  war,  sich  seiner  zu  bedienen.  Das 
erste  ist  das  wahrscheinlichere,  um  nicht  zu  sagen  das  richtige;  denn  in 
einer  späteren  Äußerung  weist  Ivo  das  Rationale  den  Bischöfen  schlechthin 
im  Gegensatz  zu  den  Priestern  zu1.  Wirklich  ist  keine  Bulle  bekannt,  in 
welcher  einem  Bischof  vom  Apostolischen  Stuhle  eine  Erlaubnis  gegeben 
worden  wäre,  den  fraglichen  Brustschmuck  zu  tragen.  Wenn  Johannes  XIX. 
dem  Patriarchen  Poppo  von  Aquileja  gestattet,  außer  dem  Pallium  sich  auch 
des  Rationale  zu  bedienen,  so  ist  hier,  wie  aus  dem  Zusammenhang  erhellt  und 
früher  schon  näher  ausgeführt  wurde ,  nicht  ein  Brustschmuck ,  sondern 
ein  dem  Pallium  analoges  Schulterkleid  zu  verstehen.  Auf  den  Bildwerken 
findet  sich  der  Brustschmuck  auch  wohl  zugleich  mit  dem  Pallium  oder  mit 
dem  Rationale  im  Sinne  eines  Schultergewandes  vor. 

Was  den  Ursprung  des  Brustschmuckes  anlangt,  so  werden  wir  wohl 
nicht  fehlgehen,  wenn  wir  auch  ihn  vor  allem  auf  die  im  11.  Jahrhundert 
zunehmende  Prachtliebe  in  der  Ausstattung  der  pontifikalen  Gewandung  zurück- 
führen, also  auf  denselben  Grund,  dem  das  Rationale  in  der  Bedeutung  eines 
Gegenstücks  des  Palliums  vorzüglich  sein  Dasein  schuldete.  Der  Gedanke 
an  einen  solchen  Schmuck  mochte  sich  aber  um  so  eher  nahe  legen,  als  es 
vielfach  gebräuchlich  war,  am  unteren  Ende  des  Kopfdurchschlupfes  der  Kasel 
aus  praktischen  und  ästhetischen  Gründen  einen  Zierbesatz  anzubringen.  Viel- 
leicht auch,  daß  die  manchmal  sehr  kostbare  Agraffe,  mit  der  man  die  zum 
Schließen  des  Pluviale  bestimmten  Laschen  schmückte,  die  Idee  weckte,  mit 
einer  ähnlichen  Zierat  die  Kasel  zu  versehen.  Indessen  war  auch  wohl  die 
Erinnerung  an  die  Brustplatte  des  jüdischen  Hohenpriesters  auf  die  Entstehung 
des  uns  beschäftigenden  Brustschmuckes  von  Einfluß;  das  Reim ser  Rationale 
mit  seiner  dem  hohenpriesterlichen  Rationale  durchaus  nachgebildeten  Aus- 
stattung bekundet  das.  Jedenfalls  erhielt  der  Schmuck  von  letzterem  seinen 
Namen.  Der  Ursprung  des  Rationale  im  Sinne  eines  pontifikalen  Brust- 
schmuckes erklärt  sich  sonach  in  ähnlicher  Weise  wie  derjenige  des  Ratio- 
nale  im  Sinne  eines  Gegenstückes  des  erzbischöflichen  Palliums. 


1  M.  162,  524:  Novi  testamenti  sacerdotes  nee  duabus  tunicis  utuntur,  nee  rationali  praeter 
solos  pontifices. 


FÜNFTER   ABSCHNITT. 


SYMBOLIK,  FARBE  UND  SEGNUNG  DER 
LITURGISCHEN  GEWÄNDER. 

ERSTES  KAPITEL. 

DIE   MYSTISCHE   DEUTUNG   DER   LITURGISCHEN 

GEWÄNDER. 

I.    DIE  MYSTISCHE  DEUTUNG  IM  ABENDLAND. 

Eine  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  muß  sich  notwendig  auch 
mit  der  mystischen  Deutung  beschäftigen,  welche  den  einzelnen  Ornatstücken 
im  Laufe  der  Zeit  zu  teil  geworden  ist.  Wir  verstehen  darunter  aber  nicht 
jene  Symbolik,  kraft  deren  einzelne  der  Sakralgewänder,  wie  Pallium,  Stola 
und  Manipel ,  den  Charakter  eines  Abzeichens  haben ;  vielmehr  meinen  wir 
jene  symbolischen  Erklärungen,  wonach  die  verschiedenen  Bestandteile  der  litur- 
gischen Kleidung  entweder  moralisch  auf  die  dem  Priester  nötigen  Eigen- 
schaften und  Tugenden  hinweisen,  oder  typisch  auf  Christus,  den  großen 
Opferpriester,  dessen  Abbild  und  Vertreter  der  zelebrierende  Priester  ist.  Man 
kann  diese  letztere  Symbolik  passend  die  dogmatische  nennen,  weil  sie 
an  das  erinnern  soll,  was  der  Glaube  von  Christus  lehrt.  Die  mystische  Be- 
deutung der  heiligen  Gewänder,  wie  sie  gegenwärtig  namentlich  in  den  Ge- 
beten der  Kirche,  dann  aber  auch  in  den  Handbüchern  der  Liturgik  vor- 
getragen wird,  ist  nicht  eine  Frucht  des  Zufalls  oder  der  Willkür,  sondern 
wie  der  Ritus   und    die  Gewandung  das  Ergebnis   einer   langen  Entwicklung. 

Man  hat  geglaubt  und  behauptet,  die  liturgischen  Gewänder  verdankten 
ihr  Dasein  eben  diesen  mystischen  Anschauungen.  Das  ist  indessen  unzu- 
treffend. Es  gibt  keinen  Bestandteil  des  liturgischen  Ornates,  dessen  Ein- 
führung auch  nur  mit  einigem  Schein  von  Berechtigung  solchen  Auffassungen 
zugeschrieben  werden  könnte.  Die  Wahrheit  ist,  daß  sich  derartige  Deu- 
tungen durchaus  an  die  bereits  im  Gebrauch  befindlichen  liturgischen  Kleider 
anschlössen.  Sie  gingen  denselben  nicht  voraus,  sondern  kamen  erst  auf, 
seitdem  jene  im  Laufe  der  Zeit  einen  liturgischen  Charakter  erhalten  hatten. 
Selbst  die  mitunter  eigenartige  Verzierungsweise  der  Sakralgewänder  ist  kaum 
je  die  Frucht  solcher  tiefsinnigen  Spekulationen  gewesen.  Am  frühesten  wird 
dem  Pallium  bzw.  Omophorion  und  dem  diakonalen  Orarium  eine  mystische 
Deutung  zu  teil,  begreiflich,  weil  gerade  diese  Gewandstücke  als  sakrale 
Abzeichen  am  ehesten  einen  liturgischen  Charakter  erhielten. 

Im  Orient  sah  schon  der  hl.  Isidor  von  Pelusium  im  Omophorion  die 
Aufforderung,  daß  der  Bischof  ein  guter  Hirt  sein  solle,  der  nach  dem  Vor- 
bild des  göttlichen  Hirten  das  verirrte  Schäflein  liebreich  aufsucht  und  auf 
seinen  Schultern  zur  Herde  zurückträgt.  Im  Abendland  aber  galt  bereits 
zu  Gregors  d.  Gr.  Zeit  das  Pallium  als  Symbol  der  Tugenden,  mit  denen  die 


702       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Seele  der  zum  Tragen  des  Ornatstückes  berechtigten  Prälaten  ausgestattet 
sein  müsse.  Das  diakonale  Orarinm  gemahnte  schon  nach  Isidor  die  Diakone, 
nach  dem  Beispiele  Christi,  der  wie  ein  niedriger  Diener  vor  dem  letzten 
Abendmahl  seiner  Jünger  Füße  gewaschen  und  abgetrocknet  hatte,  demütig  zu  sein. 

Auch  die  Albe  und  der  Gürtel  erfuhren  zu  guter  Stunde  eine  symbo- 
lische Deutung;  denn  sie  erscheinen  bereits  in  dem  sog.  Stowe-Missale  als 
Sinnbild  der  Keuschheit  und  der  Liebe. 

Die  älteste,  umfassendere  Deutung  der  liturgischen  Gewandung,  von 
der  wir  aus  dem  Abendland  wissen,  gehört  noch  der  vorkarolingischen 
Zeit  an;  es  ist  die  sog.  gallikanische  Meßerklärung.  Sie  behandelt  die  Kasel, 
ein  „pallium",  die  „manicalia  oder  manicae"  sowie  die  diakonale  Alba  und 
Stola.  Die  mystischen  Erörterungen,  welche  an  diese  Gewänder  angeknüpft 
werden,  sind  moralischen  Charakters,  dabei  aber  sehr  willkürlich,  unklar  und 
verworren.  Am  ausführlichsten  beschäftigt  sich  der  Verfasser  der  Schrift 
mit  der  Alba  der  Diakone.  Weil  diese  von  weißer  Farbe  sei,  versinnbilde 
sie  die  Reinheit,  welche  die  Seele  des  Trägers  zieren  müsse.  Sei  sie  aus 
Seide  gemacht,  so  erinnere  sie  im  besondern  an  die  zukünftige  Auferstehung, 
da  ja  der  Seidenwurm,  von  dem  die  Seide  stamme,  zuerst  gleichsam  absterbe, 
um  dann  herrlich  aus  seinem  Grab  zu  erstehen.  Daß  sie  lose  den  Körper 
umwalle  und  der  Gürtung  entbehre,  mahne  den  Leviten,  daß  er  in  seinem 
Sehnen  nach  dem  himmlischen  Vaterland  sich  von  dem  Erdenwerke  ledig 
halten  müsse  und  mit  dem  Gürtel  der  Sünde  nicht  umgeben  sein  dürfe. 

Im  ganzen  scheint  man  sich  vor  der  karolingischen  Zeit  im  Abendland 
noch  wenig  mit  der  Deutung  der  liturgischen  Gewandung  befaßt  zu  haben. 
Gedenkt  doch  der  ehrwürdige  Beda  in  seiner  Abhandlung  De  tabernaculo, 
in  welcher  er  im  Anschluß  an  des  hl.  Hieronymus  Brief  an  Fabiola  die  Be- 
deutung der  alttestamentlichen  Kultkleidung  aufs  eingehendste  erörtert,  in 
keiner  Weise  der  liturgischen  Gewandung  des  Neuen  Bundes,  obschon  es  an 
manchen  Stellen  sehr  nahe  gelegen  hätte,  einige  Worte  auch  über  deren 
Symbolik  zu  sagen. 

Erst  die  Karolinger  zeit  ist  es,  welche  uns  mit  reichlicheren  Er- 
örterungen über  den  mystischen  Sinn  der  neutestamentlichen  Sakralgewänder 
beschenkt.  Den  Beigen  in  der  Ausdeutung  der  liturgischen  Kleidung  er- 
öffnete Hraban.  Seine  Auslegungen  sind  schlicht.  Für  den  Amikt,  die  Albe 
und  das  Cingulum  lehnt  er  sich  an  Bedas  Schrift  De  tabernaculo  an,  indem 
er  auf  jene  überträgt,  was  diese  von  dem  Ephod  des  Hohenpriesters  und 
von  der  Linnentunika  sowie  dem  Gürtel  der  Priester  sagt.  Den  Ausführungen 
über  das  Orarium  liegt  die  Bemerkung  des  40.  Kapitels  des  4.  Konzils  von 
Toledo  zu  Grunde:  Orarium  oportet  levitam  gestare  in  sinistro  humero,  quod 
orat,  i.  e.  praedieat.  Bei  der  Kasel  geht  Hraban  von  der  Erklärung  aus,  welche 
Isidor  von  dem  Wort  casula  gibt,  bei  den  Sandalen  von  Mk  6,  8.  Eigenartig  ist 
die  Deutung  der  mappula  oder  des  mantile,  d.  i.  des  Fano  oder  des  Manipels. 
Hraban  findet  in  den  Etymologien  Isidors  die  Definitionen :  Mappae  convivii 
et  epularum  appositarum  sunt  .  .  .,  cuius  diminutivum  mapella  est,  und:  Man- 
tilia  nunc  pro  operiendis  mensis  sunt,  quae  ut  nomen  ipsum  indicat,  olim 
tergendis  manibus  praebebantur 1.  Auf  der  andern  Seite  erinnert  er  sich, 
daß  die  Messe  nicht  bloß  ein  Opfer,  sondern  auch  ein  Mahl  ist.  Er  faßt 
darum    die  mappula  als   eine  Art  von  Serviette   auf,    welche    der  Bischof  in 


1  Etymol.  1.  19,  c.  26  (M.  82,  694). 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  703 

der  Hand  halte  zum  Zeichen,  daß  er  zum  Dienst  des  Tisches  des  Herrn  be- 
reit sei,  und  deutet  sie  dann  im  Einklang  hiermit  auf  die  innere  Bereitschaft 
des  Bischofs,  der  sich  zur  Feier  der  heiligen  Geheimnisse  anschickt. 

Dem  Abt  von  Fulda  folgt  hart  auf  dem  Fuß  Amalar.  Auch  dieser 
entnimmt  den  einen  oder  andern  Gedanken  den  Schriften  Bedas,  im  übrigen 
aber  ist  er  nicht  nur  ungleich  ausführlicher,  sondern  auch  wesentlich  origineller 
als  Hraban.  Amalar  legt  alles  bis  auf  die  geringsten  Kleinigkeiten  symbolisch 
aus;  überall  unterscheidet  er  Buchstaben  und  Geist,  die  äußere  Erscheinung  und  den 
inneren  Sinn.    Besonders  eingehend  behandelt  er  die  Dalmatik  und  die  Sandalen. 

Die  Deutungsweise  Amalars  fand  indessen  bald  in  Florus  von  Lyon 
einen  ebenso  erbitterten  wie  voreingenommenen  und  zugleich  unehrlichen 
Gegner,  der  durch  seine  einseitige  Darstellung  der  Sachlage  es  zuletzt 
dahin  brachte,  daß  die  Synode  von  Quiercy  838  über  das  Vorgehen  Amalars 
das  Verwerfungsurteil  aussprach.  Sein  ganzes  System  sei  verdammungswürdig 
und  von  Grund  aus  von  allen  Katholiken  abzuweisen.  Seine  Lehre  sei  von 
der  Reinheit  des  wahren  Glaubens  und  dem  Geist  der  Kirche  sehr  weit  ent- 
fernt. Im  Alten  Bunde  habe  es  Vorbilder  und  Typen  gegeben.  Im  Neuen 
Bunde  sei  es  nie  jemand  erlaubt  gewesen,  neue  Arten  von  Typen  und 
mystischen  Deutungen  aufzustellen.  Man  solle  bezüglich  der  kirchlichen  Ge- 
wandung und  beim  mannigfaltigen  Gebrauch  der  heiligen  Geräte  demütig 
den  Anordnungen  der  Kirche  folgen,  ohne  sich  in  allerlei  nebelhaften  Phan- 
tasien und  eiteln  Deutereien  zu  ergehen.  So  berichtet  uns  wenigstens  Florus 
über  den  Ausgang  des  Streites  J,  doch  mag  man  mit  Mönchemeier  zweifeln, 
ob  das  Urteil  der  Synode  wirklich  gerade  so  gelautet,  wie  es  der  Diakon 
von  Lyon  mitteilt2.  Denn  unter  den  zu  Quiercy  versammelten  Prälaten  be- 
fand sich  auch  Hraban;  hätte  die  Synode  gesprochen,  wie  Florus  zu  erzählen 
weiß,  so  hätte  sich  ja  der  Abt  von  Fulda  damit  selbst  gerichtet3. 

Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  manches  in  den  Deutungen  Amalars 
gesucht,  gekünstelt,  kleinlich,  verworren  und  Spielerei  ist;  aber  es  ist  ebenso 
sicher,  daß  es  wenige  Männer  im  9.  Jahrhundert  gegeben  hat,  welche  an  Geist 
und  Scharfsinn  Amalar  überlegen  oder  auch  nur  gleich  gewesen  sind.  Eine 
Reihe  von  Vorwürfen,  die  Florus  gegen  Amalar  erhob,  sind  nichts  als  perfide 
Verdrehungen.  Der  Lyoner  Diakon  riß  Sätze  aus  ihrem  Zusammenhang 
heraus,  legte  ihnen  einen  fremden  Sinn  unter  und  bekämpfte  sie  dann  als 
unkircblich  und  verwerflich.  Von  andern  Anschuldigungen  waren  lediglich 
Haß  und  Tadelsucht  die  Eltern.  Es  fehlt  für  sie  jeder  auch  nur  scheinbare 
Untergrund 4.  Bei  allen  Sonderbarkeiten  enthalten  die  Deutungen  Amalars 
so  viel  des  Schönen,  des  Großartigen  und  Erbaulichen,  daß  man  darüber 
etwaige  Spreu  schon  gern  mit  in  den  Kauf  nimmt.  Darum  hat  denn  auch 
die  Folgezeit  das  Urteil  der  Synode  von  Quiercy  keineswegs  bestätigt.  Es 
hat  so  wenig  die  Verbreitung  der  Schriften  Amalars  hindern  können,  daß 
der  Verfasser  des  Liber  de  tribus  epistolis  bereits  im  Jahre  853  sich  bitter 
darüber  beklagt,  daß  dieselben  in  fast  allen  Kirchen  des  Frankenlandes  und 
selbst  über  dessen  Grenzen  hinaus  Aufnahme  gefunden  hätten  und  ihre  un- 
heilvolle Wirksamkeit  ausübten5. 

Hraban  und  namentlich  Amalar  sind  für  die  ganze  spätere  Zeit  ton- 
angebend  geworden.    Auf  sie  gründen  sich  Pseudo-Alkuin  und  Pseudo-Beda, 


1  Opusculum  de  causa  fldei  (M.  119,  82  f).  4  Sehr  gut  ist  die  ganze  Frage  bei  Münche- 

2  Mönche meier,  Amalar  von  Metz  53,         meier  a.  a.  0.  44 ff  behandelt. 
Anm.  3.  3  Epist.  Flori  (M.  119,  71).  5  M.  121,  1054. 


704      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

auf  sie  die  Liturgiker  des  11.  und  12.  Jahrhunderts,  Innozenz  III.  nicht  aus- 
genommen; aus  ihnen  schöpfte  Durandus  für  sein  Rationale.  Ja  wenn  jemand 
die  Deutungen  liest,  welche  am  Ausgang  des  Mittelalters  ein  Gabriel  Biel 
in  seiner  Sacri  canonis  missae  expositio  litteralis  et  m}'stica  und  ein  halbes 
Jahrhundert  später  ein  Berthold  von  Chiemsee  in  seinem  Tewtsch  Rational  den 
liturgischen  Gewändern  angedeihen  läßt,  so  wird  er  auch  hier  noch  überall 
Anklänge  an  Hrabans  und  Amalars  Auslassungen  wiederfinden.  Das  bezeichnet 
mehr  als  alles  andere,  welchen  Wert  man  den  mystischen  Erörterungen  des 
großen  Fuldaer  Abtes  und  namentlich  des  in  diesem  Punkte  bei  seinen  Leb- 
zeiten so  heftig  angefeindeten  Metzer  Diakons  beigelegt  hat. 

Übrigens  hat  man  den  Einfluß,  den  Hrabans  und  Amalars  Schriften 
auf  die  Ausdeutung  des  liturgischen  Ornats  bei  der  Nachwelt  ausübten,  nicht 
dahin  zu  verstehen,  daß  alles,  was  man  später  darüber  schrieb,  nur  eine 
gedankenlose  Wiederholung  dessen  war,  was  einst  die  beiden  Liturgiker  ge- 
sagt hatten.  Einige  Schriften  von  untergeordneter  Bedeutung  sind  allerdings 
lediglich  Exzerpte  aus  Hraban  und  Amalar.  Bei  andern  Liturgikern  aber 
haben  wir,  so  sehr  sie  auf  diesen  beiden  fußen  mögen,  durchaus  selbstän- 
dige Gedanken  und  eigene  Verarbeitung  vor  uns.  Das  gilt  z.  B.  von  Bruno 
von  Segni,  Ivo  von  Chartres,  Rupert  von  Deutz,  von  den  Verfassern  der  „Predigt 
über  die  priesterlichen  Gewänder"  und  des  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae, 
von  Innozenz  III.  und  zum  Teil  selbst  von  Honorius  und  Sicard. 

Nicht  viel  mehr  als  bloße  Kompilation  sind  die  Erörterungen  des 
Durandus  über  die  Symbolik  der  liturgischen  Gewänder.  Wir  haben  in  seinem 
Rationale  so  ziemlich  alles  zusammen,  was  die  Liturgiker  bis  auf  ihn  über 
die  heilige  Gewandung  an  Naivem,  Fremdartigem  und  Kleinlichem,  aber  auch 
an  Schönem,  Erhabenem,  Tiefsinnigem  und  Erbaulichem  ersonnen  hatten.  Von 
besonderem  Werte  war  das  natürlich  für  die  damalige  Zeit.  Denn  nun  war  es 
nicht  mehr  nötig,  so  und  so  viele,  oft  schwer  bekömmliche  Bücher  zur  Hand 
zu  nehmen,  um  sich  über  die  Symbolik  der  liturgischen  Gewänder  zu  unter- 
richten. Durandus  hatte  die  Arbeit  ein  und  für  allemal  getan,  und  zwar  recht 
gründlich  und  ausführlich.  Um  alles  in  vollstem  Maße  zu  finden,  wonach 
man  verlangte,  brauchte  man  nur  nach  seinem  Rationale  zu  greifen.  Aus  diesem 
hat  man  denn  auch  seitdem  bis  ins  16.  Jahrhundert  hinein  vornehmlich 
statt  aus  den  Originalschriften  geschöpft,  was  man  über  die  mystische  Be- 
deutung der  liturgischen  Gewänder  zu  sagen  pflegte.  Von  neuer  Symbolik 
ist  seitdem  im  ganzen  nicht  viel  mehr  vorgebracht  worden.  Dahin  gehört 
z.  B.,  daß  man  in  den  Zierbesätzen  an  den  Säumen  und  auf  den  Ärmeln 
der  Albe  und  am  Humerale  ein  Sinnbild  der  heiligen  fünf  Wunden  sah  oder 
daß  man  die  Paruren  unten  an  der  Albe  auf  Kugeln  auslegte,  mit  denen 
des  Heilandes  Füße  nach  der  Gefangennahme  belastet  worden  seien  i.  Denn 
auch  die  Deutung  der  liturgischen  Gewänder  auf  das  Leiden  des  Herrn  ist 
schon  dem  Durandus  bekannt  gewesen. 

Bei  Hraban  und  Amalar  sind  die  mystischen  Deutungen  ausschließlich 
moralischer  Art.  Kaum,  daß  sich  bei  ihnen  auch  nur  ein  leiser  Anklang 
an  eine  typische  Auslegung  findet.  Die  liturgischen  Gewänder  sind  für  beide 
Symbole  der  diakonalen,  priesterlichen  und  bischöflichen  Amts-  und  Standes- 
tugenden. 


1  Christian  Petersen,  Danske  Skriften         sich  manche  interessante  Notizen  bei  Franz, 
II  475.     Über  die  Deutung    der  liturgischen  Die  Messe  im  deutschen  Mittelalter,  Abschn. 

Kleidung  im  14.  und  15.  Jahrhundert  finden         8 — 14. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  705 

Erst  im  12.  Jahrhundert  tritt  neben  die  bis  dahin  gepflegte  moralische 
Auslegung  die  typisch- dogmatische.  Ist  der  Priester  bei  der  Opfer- 
feier Stellvertreter  Christi,  dann  lag  es  in  der  Tat  nicht  fern,  die  liturgischen 
Gewänder  auch  auf  Christus  zu  deuten.  Bruno  von  Segni,  Ivo  von  Chartres 
und  Honorius  ziehen  noch  die  alten  Wege.  Der  erste,  welcher  die  sakralen 
Kleider  auf  Christus  auslegt,  ist  Rupert  von  Deutz.  Die  typische  Deutung 
steht  aber  bei  ihm  ersichtlich  noch  in  den  Anfängen,  bestimmter  ausgeprägt 
und  entschiedener  durchgeführt  erscheint  sie  erst  bei  Sicai'd  und  Innozenz  III. 
Die  liturgischen  Gewänder  versinnbilden  bei  ihr  bald  die  Menschwerdung 
Christi ,  seine  beiden  Naturen ,  ihre  Einheit  und  ihr  Verhältnis  zueinander, 
bald  Tugenden  des  Erlösers,  bald  seine  Lehre,  bald  endlich  seine  Beziehungen 
zur  Kirche.  Das  Leiden  und  der  Opfertod  wird  eigentümlicherweise,  so  sehr 
das  auch  zu  erwarten  gewesen  wäre,  von  keinem  berücksichtigt  und  noch 
viel  weniger  zum  Ausgangspunkt  der  Symbolik  genommen,  nicht  einmal  von 
Innozenz  III. ,  der  doch  die  typische  Deutung  am  vollständigsten  und  kon- 
sequentesten pflegt.  Zu  jener  im  späten  Mittelalter  so  beliebten  Auslegung 
der  Meßgewänder,  bei  welchen  der  mit  ihnen  bekleidete  Priester  als  Abbild 
des  leidenden  Erlösers  und  sie  selbst  als  Symbole  seiner  Ketten,  Banden  und 
Fesseln,  des  Spottkleides,  des  Purpurmantels  und  des  Kreuzes  erscheinen, 
kommt  es  erst  im  18.  Jahrhundert. 

Eine  um  1200  enstandene  gereimte  deutsche  Meßerklärung  erwähnt 
diese  Symbolik  noch  nicht;  sie  deutet  die  Gewänder  meist  moralisch;  den 
Manipel  bezieht  sie  auf  die  Siegesbeute,  mit  welcher  der  Heiland  aus  der 
Vorhölle  heimkehrte ,  die  Stola  .  eigentümlicherweise  auf  das  Kreuz  Petri 1. 
In  der  Predigt  Bertholds  von  Regensburg  (f  1272)  werden  die  Meßkleider 
zwar  auf  Christus  ausgelegt,  doch  versinnbilden  sie  hier  lediglich  die  Mensch- 
werdung des  Herrn,  seine  Tugenden,  seine  Mühen  (Manipel)  und  seine  lange 
Marter  im  allgemeinen  (Stola).  Indessen  kennt  denn  doch  bereits  Duran- 
dus  jene  Deutung  auf  den  leidenden  Heiland;  ein  Zeichen,  daß  sie,  wie  eben 
bemerkt,  schon  vor  dem  letzten  Dezennium  des  13.  Jahrhunderts  ziemlich 
bekannt  gewesen  sein  muß. 

Das  Aufkommen  dieser  Art  von  typischer  Deutungsweise,  die  man  die 
dogmatisch-repräsentative  nennen  kann,  weil  die  Gewänder  bei  ihr  an 
die  einzelnen  Phasen  des  Leidens  Christi  erinnern  und  den  leidenden  Heiland 
in  der  Person  des  Priesters  vorführen,  dürfte  mit  dem  im  13.  Jahrhundert 
so  entschieden  auftretenden  Bestreben  zusammenhängen,  das  christliche  Volk 
tiefer  in  die  Bedeutung  der  Messe  einzuführen.  Für  diesen  Zweck  war  es 
ja  unzweifelhaft  sehr  praktisch,  den  Priester  am  Altar  dadurch,  daß  man  seine 
Gewänder  auf  die  Fesseln  usw.  des  leidenden  Erlösers  deutete,  gewissermaßen 
sinnfällig  als  das  hinzustellen,  was  er  nach  der  Lehre  der  Kirche  wirklich  ist, 
d.  i.  als  Stellvertreter  Christi,  welcher  an  des  Gottmenschen  Statt  unblutiger- 
weise das  Kreuzesopfer  erneuert.  Zudem  war  das  die  einfachste  und  für  das 
Volk  verständlichste  Symbolik  der  liturgischen  Kleidung. 

Außer  den  genannten  begegnet  uns  übrigens  im  12.  Jahrhundert  noch 
eine  Deutung  der  Sakralgewandung,  die  man  wohl  am  besten  als  die  alle- 
gorische bezeichnet.  Sie  scheint  nur  wenig  verbreitet  gewesen  zu  sein  ;  nichts- 


1  Kelle,    Speculum    ecclesiae ,   München  heit  bezeichnet  werden,  sind  wohl  nicht  Bäff- 

1858,    149  ff.     Unter   den  „läppen",  die    der  chen  zu  verstehen,  wie  Franz  (a.  a.  0.  680, 

Geistliche  tragen  soll  und  die  vom  Verfasser  Anm.  1)  meint,  sondern  ein  skapulierartiges 

der  Meßerklärung   als  Sinnbild   der  Keusch-  Surrogat  der  klerikalen  Camisia. 
Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  45 


706       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

destoweniger  verdient  sie  hier,  und  wäre  es  auch  nur  der  Vollständigkeit  halber, 
eine  kurze  Erwähnung:  der  Bischof  (Priester)  ist-  ihr  zufolge  am  Altar  ein 
Kämpe,  der  in  hartem  Streit  mit  dem  Feinde  des  Volkes  Gottes  ringt.  Daran 
erinnern  die  Gewänder,  in  denen  er  beim  heiligen  Opfer  erscheint.  Die  San- 
dalen sind  gleichsam  die  Beinschienen,  das  Humerale  der  Helm,  die  Albe  der 
Panzer,  die  Stola  die  Lanze,  das  Cingulum  der  Bogen,  das  Subcingulum  der 
Köcher,  die  Kasel  der  Schild,  der  Manipel  die  Keule. 

Diese  Symbolik  dürfte  ihren  Grund  in  der  biblischen  Anschauung  haben, 
wonach  Christi  Leiden  und  Kreuzestod  ein  Kampf  gegen  den  höllischen 
Feind  des  Menschengeschlechtes  war.  Stand  der  Erlöser  in  seinem  Opfertod 
als  Streiter  da,  so  konnten  in  der  Tat  auch  die  Priester  und  Bischöfe  bei 
Erneuerung  dieses  Opfers  als  Kämpen  gedeutet  werden. 

Schon  bei  Amalar  findet  sich  ein  Ansatz  zu  dieser  Symbolik.  Ebenso 
erscheinen  bereits  in  Ankleidegebeten  des  9.  und  10.  Jahrhunderts  Spuren  der- 
selben ,  so  in  dem  Gebete  eines  Sakramentars  von  Tours :  Pone,  Domine, 
galeam  salutis  in  capite  meo  ad  expugnandas  diabolicas  fraudes  et  omnium 
inimicorum  meorum  persequentium  ine  saevitiam  superandam ,  und  in  dem 
eines  Pontifikale  von  Troyes:  „Indue  me,  Domine,  lorica  fidei  et  galea  salutis 
et  gladio  Spiritus  Saneti.  Ausgewirkt  tritt  sie  uns  jedoch  erst  bei  Honorius 
entgegen.  Von  späteren  Liturgikern  erwähnen  sie  nur  Johannes  Beleth  und 
Durandus,  deren  Ausführungen  wörtlich  aus  der  Gemma  animae  herüber- 
genommen sind.  Dann  verschwindet  sie  ganz  vom  Schauplatz.  Es  ist  auf- 
fallend, daß  die  fragliche  Symbolik  so  wenig  Beachtung  gefunden  hat,  zumal 
sie   sich  leicht  mit  der  moralischen  Deutung  hätte  vereinigen  lassen. 

Neben  der  mystischen  Auslegung  der  liturgischen  Gewänder,  die  uns 
bei  den  Liturgikern  entgegentritt,  gab  es  aber  schon  früh  eine  andere,  die 
vielfach  unbekümmert  um  das,  was  die  Liturgiker  erdacht  hatten,  ihre  eigenen 
Wege  geht.  Sie  kommt  in  den  Gebeten  zum  Ausdruck,  welche  der  Priester 
bzw.  Bischof  bei  Anlegung  der  heiligen  Gewänder  zu  beten  hatte,  und 
kann  darum  im  Gegensatz  zur  rein  privaten  Symbolik,  welche  ein  Hraban, 
ein  Amalar,  ein  Bruno  u.  a.  mit  der  Sakralkleidung  verbanden,  die  offiziell 
kirchliche  genannt  werden;  allerdings  nicht  in  dem  Sinne,  in  welchem 
heutzutage  der  römische  Ritus  der  offiziell  kirchliche  heißt.  Die  rituelle  Ein- 
heit, welche  gegenwärtig  in  der  abendländischen  Kirche  herrscht,  war  dem 
Mittelalter  fremd.  Selbst  wo  man  römischen  Brauch  angenommen  hatte, 
gab  es  noch  eine  Menge  partikulärer  Gewohnheiten  und  liturgischer  Sonder- 
gebräuche. Es  war  erst  dem  Konzil  von  Trient  vorbehalten,  eine  größere 
Einheit  im  Ritus  anzubahnen.  Wenn  wir  also  von  einer  in  den  Ankleide- 
gebeten sich  aussprechenden  offiziell  kirchlichen  Symbolik  der  heiligen  Ge- 
wänder reden,  so  will  das  nur  sagen,  es  handle  sich  dabei  um  die  Symbolik, 
welche  in  die  offiziellen  liturgischen  Bücher  Aufnahme  gefunden  hatte ;  nicht  aber, 
es  sei  die  in  jenen  Gebeten  sich  findende  Deutung  der  sakralen  Kleider  infolge 
rechtsgültiger  Praxis  oder  ausdrücklicher  Bestimmungen  als  die  kirchlich 
allein  maßgebende  anerkannt  gewesen;  ja  nicht  einmal,  sie  sei  allenthalben 
in  den  Ankleidegebeten  in  gleicher  Weise  zum  Ausdruck  gekommen.  So  ver- 
schieden vielmehr  die  Missalien  waren,  fast  ebenso  wechselnd  Avaren  auch  die 
Ankleidegebete  und  die  in  diesen  niedergelegte  Symbolik.  Quot  missalia,  tot 
sensus.  Kaum ,  daß  man  von  bestimmten  Typen  reden  kann.  Erst  gegen 
Ende  des  Mittelalters  bildete  sich  eine  größere  Übereinstimmung  aus,  doch 
blieb   auch  jetzt  noch  die  Verschiedenheit  bis  zur  allgemeinen  Annahme  des 


s 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  707 

römischen  Missale  bzw.  der  Anpassung  nichtrömischer  Missalien  an  den  römi- 
schen Ritus  recht  groß. 

Bemerkenswert  ist,  daß,  wie  eben  schon  angedeutet  wurde,  die  den 
mittelalterlichen  Ankleidegebeten  zu  Grunde  liegende  Symbolik  sich  keines- 
wegs überall  mit  derjenigen  deckt,  welche  die  alten  Liturgiker  vortrugen. 
Die  Abweichungen  sind  nicht  selten  geradezu  auffallend.  Die  Symbolik, 
welche  in  den  Ankleidegebeten  sich  ausspricht,  hat  vorherrschend  eine 
moralisierende  Tendenz.  Es  erscheinen  die  heiligen  Gewänder  in  ihnen 
mit  Vorliebe  als  Sinnbilder  der  priesterlichen  Tugenden.  Die  namentlich  im 
späten  Mittelalter  so  beliebte  typische  Auslegung  auf  Christus,  als  dessen 
Stellvertreter  der  Priester  am  Altar  steht,  ist  ihnen  völlig  fremd.  Dagegen 
findet  sich  in  ihnen  nicht  selten  die  vorhin  besprochene  allegorische  Deutung 
auf  die  geistliche  Rüstung  des  Priesters,  des  Streiters  Christi.  Auch  sehen 
die  Ankleidegebete  bisweilen  von  einer  eigentlichen  Symbolisierung  der  Ge- 
wänder ganz  ab  und  begnügen  sich  mit  der  Bitte  um  Heil,  Gnade  oder  Gottes 
Schutz,  ohne  dabei  auf  den  Charakter  und  die  Beschaffenheit  des  betreffenden 
Ornatstückes  nähere  Rücksicht  zu  nehmen.  Das  ist  z.  B.  der  Fall,  wenn  ein 
Sakramental-  von  St-Denis  den  Priester  beim  Anziehen  der  Albe  beten  heißt : 
„Zerreiß,  o  Herr,  meinen  Sack  und  umgib  mich  mit  der  Freude  deines 
Heiles'1 1,  oder  wenn  ein  Missale  von  Chälons  für  den  Manipel  das  Gebet  vor- 
sieht: „Gib,  Herr,  mir  rechten  Sinn  und  reine  Rede,  daß  ich  dein  Lob 
künden  kann."  2 

II.    DIE  MYSTISCHE  DEUTUNG  DER  LITURGISCHEN  GEWÄNDER 
IN  DEN   RITEN  DES  OSTENS. 

Den  frühesten  bekannten  Versuch  einer  umfassenden  Deutung  der  litur- 
gischen Gewandung  des  griechischen  Ritus  bietet  die  laropia.  Sie  behandelt 
aber  nur  die  bischöflichen  Gewänder,  die  avok/j,  hier  wohl  das  Phelonion,  das 
Sticharion,  das  Epitrachelion  und  das  Omophorion.  Die  Symbolik,  die  uns  in 
ihr  entgegentritt,  ist  die  typische.  Der  Bischof  erscheint  als  Abbild  Christi. 
Sein  Obergewand  sinnbildet  das  heilige  Fleisch  Christi,  den  Purpurmantel,  den 
er  beim  Leiden  trug,  aber  auch  das  Kreuz,  das  er  zum  Kalvarienberg  schleppte. 
Die  rote  Farbe  der  azolrj  erinnert  an  die  Worte  der  Heiligen  Schrift:  Qui 
facit  angelos  suos  spiritus  et  ministros  suos  {tobe,  XEiToopyobc,  auzoo)  flammam 
ignis3;  femer:  Quis  est  iste,  qui  venit  de  Edom,  tinctis  vestibus  de  Bosra?4; 
endlich:  Quare  rubrum  est  indumentum  tuum  et  vestimenta  tua  sicut  calcantium 
in  torculari?5;  Stellen,  von  denen  die  erste  auf  den  Altardienst,  die  Liturgie, 
die  beiden  andern  auf  Christus  bezogen  sind.  Aber  auch  daran  gemahnt  sie, 
daß  des  Erlösers  heiliges  Fleisch  am  Kreuz  mit  seinem  Blut  gerötet  wurde. 
Ungegürtet  ist  das  Phelonion ,  weil  ja  auch  Christus  ungegürtet ,  d.  i.  frei- 
willig, zum  Kalvarienberg  das  Kreuz  trug.  Die  Besätze  an  den  Ärmeln  des 
Sticharion  stellen  nach  der  ^laropia  die  Fesseln  dar,  mit  denen  der  Heiland 
gebunden  war,  als  er  von  Kaiphas  zu  Pilatus  geführt  wurde,  die  clavi  des 
Gewandes  aber  die  Ströme  des  heiligen  Blutes,  das  aus  der  Seite  Christi  am 
Kreuze  floß.  In  dem  Epitrachelion  sieht  sie  das  Tuch,  mit  dem  dieser  am 
Nacken   gebunden   war,    als    man   ihn   zur   Kreuzigung   hinausbrachte.     Das 


1  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  5;  I  187.  griechischen  Text  zitiert;  im  lateinischen  ist 

-  Ebd.  1.  1,  c.  4,  art.   1,  n.  13;  I  127.  statt  der  dritten  die  zweite  Person  gebraucht. 

3  Ps    103,   4.     Die    Stelle    ist    nach    dem  4  Is  63,  1.  5  Is  63,  2. 

45* 


708       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Omophorion  endlich  erinnert  an  das  große  Sudarium  (Schweißtuch),  welches 
der  alttestamentliche  Hohepriester  einst  nach  der  Iaropia  auf  der  linken 
Schulter  zu  tragen  pflegte  l. 

Die  VffTopia  blieb  mit  ihren  Deutungen  für  lange  Zeit  tonangebend.  Was 
Pseudo-Germanus,  Pseudo-Sophronius  und  das  von  Krasnojeljcev  in  jüngster 
Zeit  herausgegebene  Fragment  über  den  mystischen  Sinn  der  liturgischen  Ge- 
wänder sagen ,  ist  zum  größten  Teil  nur  eine  mehr  oder  weniger  wörtliche 
Wiederholung  der  Ausführungen  der  'htopla.  Was  sie  darüber  hinaus  bieten, 
ist  unbedeutend ;  obendrein  bestehen  selbst  diese  Zusätze  meist  gleichfalls 
wieder  nur  aus  Entlehnungen.  Wenn  in  ihnen  z.  B.  die  Diakone  als  Ab- 
bilder der  himmlischen  Geister  dargestellt  werden,  deren  Orarium  an  die 
Flügel  der  Engel  erinnere,  so  treffen  wir  diese  Symbolik  schon  in  der  früher 
dem  hl.  Johannes  Chrysostomus  zugeschriebenen,  in  der  Tat  aber  wohl  von 
Severian  von  Gabala  (f  nach  408)  verfaßten  Predigt  über  den  verlornen  Sohn 
an.  Die  Deutung  des  Omophorion  auf  den  guten  Hirten  und  des  Orarium 
auf  die  von  Christus  bei  der  Fußwaschung  geübte  Demut  ist  Isidor  von 
Pelusium  entnommen. 

Was  aber  auch  immer  zu  den  Ausführungen  der  'lazopta  hinzukommt, 
die  Auslegung  bleibt  immer  im  Rahmen  der  typischen  Symbolik.  Selbst  da,  wo 
auf  Tugenden  Bezug  genommen  wird,  sind  es  nicht  die  Tugenden  des  Trägers 
der  Gewänder,  welche  zunächst  gemeint  sind,  sondern  die  Tugenden  Christi. 
Eine  ausgesprochenere  moralische  Ausdeutung  der  liturgischen  Kleidung  findet 
sich  erst  bei  Simeon  von  Saloniki,  vielleicht  im  Zusammenhang  mit  der  Sym- 
bolik, welche  jene  mittlerweile  in  den  offiziellen  liturgischen  Büchern  be- 
kommen hatten.  Denn  auch  in  dem  griechischen  Ritus  kamen  im  Laufe  der 
Zeit  bestimmte  Ankleidegebete  auf;  wann  und  unter  welchen  Umständen,  ist 
allerdings  unbekannt.  Simeon  von  Saloniki  erwähnt  sie  bereits2  und  knüpft 
bei  seinen  Deutungen  an  sie  an.  Sie  waren  also  jedenfalls  schon  im  14.  Jahr- 
hundert in  Gebrauch.  In  diesen  Gebeten,  in  denen  ähnlich  wie  in  der  abend- 
ländischen Kirche  die  Symbolik  enthalten  ist,  die  man  offiziell  mit  der  litur- 
gischen Kleidung  verband,  kommt  ausschließlich  die  moralische  Auslegung 
zur  Geltung.  Entnommen  sind  sie  der  Heiligen  Schrift,  namentlich  den  Psal- 
men; eine  Ausnahme  bildet  nur  das  Gebet,  welches  der  Bischof  nach  Simeon 
von  Saloniki  zu  sprechen  hatte,  wenn  er  sich  mit  dem  Omophorion  bekleidete. 
Denn  dieses  nimmt  Bezug  auf  die  bereits  früher  von  uns  gelegentlich  erwähnte 
Deutung,  welche  in  dem  Gewände  die  in  die  Irre  gegangene  Menschennatur 
sah,  und  lautet  nach  Simeon:  „Die  verlorene  Menschennatur  hast  du,  Christe, 
auf  deine  Schultern  genommen  und,  in  den  Himmel  erhöht,  Gott  und  dem 
Vater  dargebracht." 3 

Die  Gebete,  welche  der  Priester  bei  Anlegung  der  Tunika,  des  Gürtels 
und  des  Phelonion  beten  muß,  erinnern  an  Gebete  verwandten  Inhaltes,  welche 
ehedem  vielenorts  in  der  abendländischen  Kirche  bei  Bekleidung  mit  den 
genannten  Gewändern  in  Gebrauch  waren.    Doch  dürfte  diese  Ähnlichkeit  nur 


1  Woher  die  Iaropia  es  hat,  dafä  die  Hohen-  div.  templo  n.  33  ff  (ebd.  7 12  ff).  Die  Hand- 
priester auf  der  linken  Schulter  ein  großes  Schrift  2509  der  Pariser  Nationalbibliothek 
Sudarium  trugen,  ist  uns  unbekannt.  Die  f.  gr.  (ca  1430)  hat  ebenfalls  schon  die  Ge- 
Heilige  Schrift  spricht  nicht  davon,  aber  bete.  Die  Gebete,  welche  jetzt  gesprochen 
auch  bei  Josephus  Flavius  ist  von  dem  an-  werden,  sind  ganz  die  gleichen  wie  die, 
geblichen  Sudarium  nichts  zu  finden.  welche  bereits  Simeon  von  Saloniki  erwähnt. 

2  De  div.  liturg.  c.  81  (Mg.  155,  257  f);  De  3  De  div.  templo  n.  44  (ebd.  716). 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder. 


709 


eine  zufällige  oder,  besser  gesagt,  nur  eine  durch  den  Charakter  der  betreffenden 
Gewänder  veranlafite  sein 1. 

Auch  bei  andern  Riten  des  Orients  treffen  wir  schon  im  Mittelalter  Deu- 
tungen der  liturgischen  Kleidung  an.  Eine  kurze,  aber  eigenartige  und  inter- 
essante Erörterung  der  Symbolik  der  Sakralgewänder  des  nestorianischen 
Ritus  findet  sich  in  dem  „Buch  der  Väter".  Der  Gürtel,  so  heifit  es  hier, 
versinnbildet  die  Losschälung  von  den  irdischen  Dingen  und  die  Unter- 
drückung der  sinnlichen  Begierden.  Die  Stola  der  Diakone  und  Subdiakone 
solle  an  die  Eingeweide  erinnern,  mit  denen  die  Juden  zum  Spott  der  Apostel 
Hals  umschlangen,  da  es  ja  doch  nicht  passend  sei,  daß  sie,  um  den  Aposteln 
ähnlich  zu  werden,  wirkliche  Eingeweide  um  den  Hals  legten.  Die  Priester- 
stola bedeute  die  Engelsflügel,  weil  Bischöfe  und  Priester  die  Engel  auf  Erden 
seien.  Der  Mantel  keimzeichnet  den  Bischof  als  Hirten,  die  Kopfhülle  (maaphra) 
versinnbilde  den  Schleier,  mit  dem  Moses  sein  Angesicht  verhüllt  habe,  wenn 
er  zum  Volk  geredet2.  Wie  man  sieht,  wechselt  hier  die  moralische  und 
typische  Auslegung. 

Die  Symbolik,  welche  man  bei  den  Syro-Ja.  kobiten  mit  den  heiligen 
Gewändern  verknüpfte,  erhellt  aus  den  Ankleidegebeten  der  syrischen  Mefi- 
liturgie,  welche  zuerst  Guido  Fabricius  Boderianus  zugleich  mit  dem  Taufritus 
des  Patriarchen  Severus  von  Antiochien  herausgab3.  Die  Gewänder  sind  in 
ihnen  teils  moralisch,  teils  allegorisch  auf  den  geistlichen  Streit  gedeutet. 
Die  Tunika  erscheint  als  Sinnbild  der  heiligmachenden  Gnade  und  der  über- 
natürlichen Gnadenkraft  des  Heiligen  Geistes ,  die  Stola  als  das  geistliche 
Schwert,  das  zu  ruhmreichem  Siege  führt.  Beim  Angürten  des  Cingulum 
fleht  der  Priester,  Gott  möge  ihm  Stärke  zum  Kampfe  verleihen  und  alle 
Feinde  und  Widersacher  vor  ihm  vernichten ;  beim  Anziehen  des  Meßgewandes 
betet  er:  „Deine  Priester  mögen  gekleidet  sein  in  Gerechtigkeit  und  mit  dem 
Ruhm  deines  Gerechten;  um  deines  Knechtes  David  willen  weise  nicht  ab 
das  Angesicht  deines  Gesalbten"  (Ps  131,  10).  Unverkennbar  klingt  auch 
in  den  Ankleidegebeten  des  syrischen  Ritus  die  Symbolik  an  diejenige  in  den 
mittelalterlichen  abendländischen  an,  doch  ist  das  ebenso  hier  wohl  nur  Zufall 
und  begründet  in  dem  Charakter  der  Gewänder  und  in  der  gleichen  Auf- 
fassung von  der  Tätigkeit  des  Priesters.  Dagegen  ist  es  sehr  wahrschein- 
lich, daß  die  Gebete,  welche  im  armenischen  Ritus  der  Priester  beim 
Anziehen  der  liturgischen  Gewänder  sprechen  muß,  und  damit  auch  die  in 
ihnen  ausgesprochene  Symbolik  aus  dem  Abendlande  stammt.  Die  Überein- 
stimmung   derselben    mit    den    entsprechenden    Gebeten    mittelalterlicher    la- 


1  Um  eine  Idee  der  griechischen  Ankleide- 
gebete zu  geben,  und  auch,  um  einen  Ver- 
gleich derselben  mit  den  abendländischen  zu 
ermöglichen,  geben  wir  hier  einige  von  ihnen 
wieder.  Bei  Anlegung  des  Sticharion  betet 
der  Priester:  „Meine  Seele  jubelt  im  Herrn; 
denn  er  hat  mir  angezogen  das  Gewand  des 
Heiles  und  mich  umgeben  mit  dem  Kleid 
der  Freude  und  wie  einem  Bräutigam  mir 
den  Kopfbund  aufgesetzt  und  einer  Braut 
gleich  mit  Geschmeide  mich  geziert"  (1s  61, 
10).  Bei  Angürtung  des  Cingulum  lautet 
das  Gebet:  „Gepriesen  sei  der  Herr,  der  mich 
mit  Kraft  umgürtet  und  seine  Gnade  immer- 
dar  über    mir    ausgießt    jetzt    und    in    alle 


Ewigkeit."  Bei  Annahme  des  Epigonation : 
„Schirre  dir  an  das  Schwert  über  deinem 
Schenkel,  Hochmächtiger  usw."  (Ps  44,  4  ff). 
Das  Anziehen  des  Phelonion  begleitet  der 
Priester  mit  den  Worten:  „Deine  Priester 
sollen  sich  mit  Gerechtigkeit  bekleiden ,  o 
Herr,  und  deine  Heiligen  allzeit  jubeln  jetzt 
und  in  alle  Ewigkeit"  (Ps  131,  9).  Beim 
Anstreifen  der  Epimanikien  und  beim  Um- 
legen der  Stola  endlich  soll  derselbe  Ex  15, 
6f  und  Ps  118,  73,  bzw.  Ps  132,  2  ff 
sprechen. 

2  Dom  Jean  Parisot,    Livre   des  Peres, 
in  La  science  catholique  1890,  450. 

3  Ed.  Antverp.  1572,  105  f. 


710      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewiinder. 

teinischer  Missalien  ist  überraschend.  Beim  Aufsetzen  der  Mitra  betet  z.  B. 
der  Bischof  (Priester):  „Setze,  o  Herr,  den  Helm  des  Heiles  auf  mein  Haupt 
zum  Kampf  gegen  die  Macht  des  Feindes  durch  die  Gnade  unseres  Herrn 
Jesu  Christi,  dem  Ruhm,  Macht  und  Ehre  sei  in  alle  Ewigkeit."  Beim  An- 
ziehen der  Tunika  lautet  das  Gebet:  „Bekleide  mich,  o  Herr,  mit  dem  Ge- 
wand des  Heiles  und  mit  der  Tunika  der  Gerechtigkeit  und  umgib  mich  mit 
dem  Kleid  der  Freude";  bei  der  Gürtung:  „Binde  das  Cingulum  des  Glaubens 
um  mein  Herz  und  meinen  Sinn  und  ersticke  darin  alle  unreinen  Gedanken 
und  laß  wohnen  darin  deine  Gnade  für  immer";  beim  Anlegen  der  Stauchen: 
„Gib,  Herr,  Kraft  meiner  Hand  und  wasche  ab  alle  meine  Unreinigkeit,  auf 
daß  ich  mit  reiner  Seele  und  reinem  Leib  dir  zu  dienen  vermöge." 

Es  sind  das  alles  Gebete,  welche  auch  in  den  abendländischen  mittel- 
alterlichen Missalien,  und  zwar  bei  den  gleichen  oder  doch  bei  ähnlichen 
Gewändern  vorkommen1.  Die  Worte,  welche  nach  dem  armenischen  Ritus 
beim  Anlegen  der  liturgischen  Stauchen  gesprochen  werden,  sind  noch  jetzt  im 
römischen  Ritus  gebräuchlich,  wenngleich  nicht  mehr,  wie  es  im  Mittelalter  hie 
und  da  der  Fall  war,  bei  Anlegung  des  Manipels,  sondern  beim  Händewaschen. 
Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Gebet,  das  der  armenische  Priester  beim 
Anziehen  der  Tunika  verrichtet;  es  wird  mit  unbedeutender  Veränderung  im 
Abendland  vom  Bischof  gesprochen,  wenn  er  mit  der  Dalmatik  bekleidet 
wird,  während  es  einst  häufig  bei  Anlegung  der  Albe  gebetet  wurde. 

Die  Übereinstimmung  läßt  sich  kaum  anders  als  durch  die  Annahme 
erklären,  es  seien  die  fraglichen  Gebete  infolge  der  lebhaften  Unions- 
bestrebungen des  14.  Jahrhunderts  und  des  dadurch  angebahnten  freund- 
schaftlichen Verkehrs  zwischen  Rom  und  den  Armeniern  im  armenischen  Ritus 
in  Aufnahme  gekommen.  Sicher  ist,  daß  auf  diesem  Wege  Elemente  des 
römischen  Ritus  in  den  armenischen  hineingebracht  wurden. 

III.    DIE  SYMBOLISCHE  BEDEUTUNG  DER  PRIESTERLICHEN 
GEWÄNDER  IM  ABENDLAND. 

Es  ist  nicht  nötig,  näher  auf  die  Symbolik  einzugehen,  welche  man  in 
den  Riten  des  Ostens  im  einzelnen  mit  der  Sakralgewandung  verknüpfte. 
Das  Gesagte  reicht  zu  ihrer  Charakterisierung  vollständig  aus.  Dagegen 
empfiehlt  es  sich  dringend,  die  mystische  Bedeutung  genauer  ins  Auge  zu 
fassen,  welche  im  Abendland  den  verschiedenen  Gewändern  während  des 
Mittelalters  in  den  Schriften  der  Liturgiker  und  den  liturgischen  Büchern  bei- 
gelegt wurde.  Wer  verstehen  will,  warum  heute  mit  jedem  der  sakralen 
Kleider  eine  bestimmte  Symbolik  verbunden  wird,  muß  wissen,  was  man  von 
ihm  in  der  Vorzeit  ersonnen  und  gesagt  hat.  Natürlich  ist  es  weder  möglich, 
alle  Deutungen  zu  berühren,  welche  irgend  einmal  jemand  vorgebracht  hat, 
zumal  soweit  sie  nur  nebensächliche  Punkte  betreffen,  noch  auch  alle  An- 
kleidegebete hier  zusammenzustellen,  die  sich  in  den  mittelalterlichen  Sakra- 
mentaren usw.  finden.  Der  zur  Verfügung  stehende  Raum  reicht  dazu  bei 
weitem   nicht  hin.     Es   muß  genügen,  das  Charakteristischste  hervorzuheben. 

Das  Schultertuch  giltHraban  als  Sinnbild  der  guten  Werke,  der  Zeichen  eines 
makellosen  Herzens  und  aufrichtigen  Glaubens ;    Amalar  deutet  es  auf  die  Bewachung 


1  Vgl.  die  Auszüge  aus  mittelalterlichen  so  Vat.  lat.  4730,  f.  19"  und  Ottob.  27, 
Missalien  bei  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  1,  n.  13  f.  10»  (Mitra) ;  ebd.  4770,  f.  114;  9340,  f.  78 
und  art.  12,  ordo  3  ff;  1  126  176  ff.     Eben-         (Tunika  und  Cingulum)  u.  a. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  711 

der  Zunge,  Pseiulo-Alkuin  auf  die  Keinheit  des  Leibes  von  aller  Sünde.  Hraban  und 
Pseudo-Alkuin  gehen  bei  ihrer  Deutung  aus  von  der  Farbe  und  Beschaffenheit  des 
Stoffes,  aus  welchem  das  Humerale  bestehen  mußte ;  Amalar  denkt  an  die  Weise,  wie 
es  getragen  wurde  (collum  undique  cingimus).  Von  den  späteren  Liturgikern  schließt 
sich  Ivo  von  Ghartres  an  Hraban,  Bruno  von  Segni  aber,  für  welchen  der  Amikt  sowohl 
die  Keinheit  des  inneren  Menschen  als  auch  die  Wahrhaftigkeit  in  der  Rede  bedeutet, 
an  Pseudo-Alkuin  und  Amalar  an.  Der  Sermo  „über  die  priesterlichen  Gewänder"  legt  das 
Schultertuch  auf  das  dem  Priester  so  notwendige  geduldige  Ertragen  der  Erdenmühen 
aus ;  Rupert  von  Deutz  sieht  in  ihm  ein  Sinnbild  der  heiligen  Menschheit,  mit  welcher 
Christus  in  der  Menschwerdung  sein  Haupt,  d.  i.  seine  Gottheit,  gleichsam  verschleiert 
habe.  Er  hat  dabei  ersichtlich  den  Brauch  im  Auge,  wonach  man  den  Amikt  beim  An- 
legen zunächst  um  den  Kopf  schlug.  Nach  Honorius  gemahnt  das  Humerale  an  die  Hoff- 
nung auf  den  Himmel.  In  dem  Umstand,  daß  man  mit  ihm  den  Kopf  bedeckte,  findet 
er  angedeutet,  daß  man  um  des  Himmels  willen  Gott  dienen  müsse ;  darin,  daß  es  den 
Hals  umgebe  und  die  Schultern  verhülle,  sieht  er  die  Aufforderung,  im  Hinblick  auf 
den  Himmel  nur  Gottes  Lob  zu  künden  und  des  Lebens  Last  in  Geduld  zu  tragen. 
Die  beiden  Enden  des  Schultertuches,  die  auf  der  Brust  miteinander  verknüpft  werden, 
sinnbilden  nach  Honorius  Glauben  und  Wirken.  Vor  der  Brust  wird  der  Amikt 
gebunden,  um  anzudeuten,  daß  um  des  himmlischen  Vaterlandes  willen  aller  böse 
Gedanke  von  der  Seele  ferngehalten  werden  müsse.  Das  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae 
legt  das  Gewand  auf  die  Weisheit  aus,  die  dem  Priester  eigen  sein  soll.  Damit  hatte 
die  Symbolik  des  Amikts  vorläufig  ihren  Abschluß  gefunden.  Was  Sicardus,  Inno- 
zenz III.  und  die  andern  Liturgiker  vorbringen,  ist  nichts  wesentlich  Neues,  und 
so  bleibt  es  in  Bezug  auf  die  Ausdeutung  des  Gewandes,  bis  man  anfing,  den  Amikt 
auf  die  Binden,  mit  denen  die  Schergen  das  Haupt  des  Heilandes  umbanden,  und 
seine  Parura  auf  die  Seitenwunde  oder  die  Wunden  des  heiligen  Hauptes  Christi  aus- 
zulegen. In  der  früher  erwähnten,  um  1200  entstandenen  gereimten  deutschen  Meß- 
erklärung wird  das  Humerale  als  „Schatten  des  Heiligen  Geistes"  hingestellt1.  Die 
Deutung  erinnert  an  ein  Ankleidegebet,  welches  wiederholt  in  mittelalterlichen  Mis- 
salien vorkommt  und  lautet:  „Beschatte,  o  Herr,  mein  Haupt  mit  dem  Schirm  des 
heiligen  Glaubens  und  vertreibe  aus  mir  aller  Unwissenheit  Gewölk."  Sowohl  dies 
Gebet  wie  die  Auslegung  jenes  Gedichtes  über  die  Messe  beruhen  ersichtlich  auf  der 
Sitte,  den  Amikt  bis  nach  Annahme  der  Kasel  auf  dem  Haupt  zu  behalten. 

Mannigfaltig  wie  bei  den  Liturgikern  ist  auch  in  den  Gebeten,  welche  der 
Priester  bei  Anlegung  des  Schultertuches  zu  sprechen  hatte,  die  Symbolik.  In  einem 
Gebet  des  Sakramentars  von  Corbie  schließt  sie  sich  an  die  Deutung  Hrabans  an. 
Es  lautet : 

Allgewaltiger  Gott,  des  Weltalls  herrlicher  Lenker, 

Segne  doch  unsern  Amikt,  mit  dem  wir  nunmehr  uns  rüsten, 

Daß  die  Macht  uns  sei,   dir  züchtigen  Herzens  zu  dienen 2. 

In  andern  geht  sie  von  dem  Umstand  aus,  daß  der  Amikt  Schultern  und  Nacken 
bedeckt.  Er  ist  in  diesem  Falle  bald  Bild  des  Joches  Christi,  bald  des  göttlichen 
Gnadenschutzes.  So  läßt  ein  Sakramental-  von  Tours  den  Priester  beten:  „Lege,  o 
Herr  Jesu  Christe,  auf  meinen  Hals  dein  Joch  —  denn  es  ist  süß  —  und  deine 
Bürde  —  denn  sie  ist  leicht"  s,  während  wir  in  dem  Ordo  Sigeberts  von  Minden 
lesen:  „Decke,  o  Herr,  meine  Schultern  mit  der  Gnade  des  Heiligen  Geistes  und  um- 
gürte meine  Nieren  nach  Austreibung  aller  Laster,  damit  ich  dir  opfern  möge,  der 
da   lebt   und  regiert   in  Ewigkeit."  '     Ein    Sakramentar   von  Amiens   hat  (für  Amikt 


1  S.  oben  S.  705.  Vgl.  auch  die  in  deut-  3  Ebd.  1.  1,  c.  4,  art.  1;  I  126.  Vgl. 
sehen  Inventaren  des  späten  Mittelalters  auch  Vat.  lat.  4770  (saec.  X — XI)  und  4772 
geläufige  Bezeichnung  des  Schultertuches  als  (saec.   XI). 

umbrale,    vielleicht   unter   dem   Einfluf3    der  4  Ebd.  1.  1,  c.  4,    art.  12,   ordo  4;    I  177. 

Symbolik  vom  „Schatten  des  Heiligen  Geistes"  Vgl.  ferner  Vat.  lat.  5742  (saec.  XIV — XV) 

aus  humerale  verderbt.  und  Missale  Colon,  a.  1487 ;  Missale  August. 

2  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  11;  I  203.  (Augsburg)  a.  1555  u.  a. 


"12       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 


und  Albe  zugleich) :  „Bekleide  mich,  o  Herr,  mit  dem  Gewände  des  Heiles  und  umgib 
mich  mit  dem  Kleide  der  Gerechtigkeit  immerdar"  ';  nach  einem  Sakramentar  von 
St-Denis  aber  soll  der  Priester  beim  Anlegen  des  Amiktes  sprechen:  „Umgib  mich, 
o  Herr,  mit  den  Waffen  der  Freude  und  des  Glaubens,  auf  daf3  ich,  gegen  die  Pfeile 
der  Bosheit  geschützt,  Billigkeit  und  Gerechtigkeit  zu  bewahren  vermöge."  2 

Eigenartig  ist  das  in  verschiedenen  mittelalterlichen  Missalien  wiederholt  vor- 
kommende Gebet:  „Zerreiß,  o  Herr,  meinen  Sack  und  umgib  mich  mit  der  Freude  des 
Heiles."  3  Unter  dem  Sack,  im  Alten  Testament  das  Gewand  der  Trauer,  ist  hier  die 
Sünde  verstanden,  weshalb  er  in  einem  Augsburger  Missale  deutlicher  Saccus  peccati 
mei  heißt;  der  Amikt  bedeutet  also  in  jenem  Gebet  die  heiligmachende  Gnade. 

Die  Gebete,  in  welchen  der  Amikt  als  geistlicher  Helm  oder  als  Schirm  des 
Hauptes  bezeichnet  wird,  lehnen  an  die  Sitte  an,  ihn  zunächst  auf  den  Kopf  zu  legen 
und  erst  nach  dem  Anziehen  der  Kasel  auf  die  Schultern  herabzulassen.  Es  sind  ihrer 
vornehmlich  zwei.  Das  eine  wurde  schon  vorhin  erwähnt:  „Beschatte,  o  Herr,  mein 
Haupt  mit  dem  Schirm  des  heiligen  Glaubens  und  vertreibe  von  mir  der  Unwissenheit 
Nebel."  Das  andere  ist  das  bekannte  Gebet,  welches  noch  jetzt  der  Priester  und  mit 
einer  kleinen  Erweiterung  auch  der  Bischof  betet:  „Setze,  o  Herr,  des  Heiles  Helm 
auf  mein  Haupt,  daß  ich  die  teuflischen  Ränke  abwehren  möge."  Es  kommt,  wenn- 
gleich nur  vereinzelt,  schon  vor  Beginn  des  zweiten  Jahrtausends  vor  4,  also  noch  ehe 
die  Liturgiker  jener  Sitte  gedenken.  Nach  1000  wird  es  bald  häufig  und  in  den 
letzten  Jahrhunderten  des  Mittelalters  vorherrschend 5. 

Hinsichtlich  der  mystischen  Deutungen  der  Albe  herrscht  bei  den  mittelalter- 
lichen Liturgikern  wenig  Verschiedenheit  und  Entwicklung.  Da  Durandus  die  Aus- 
legungen seiner  Vorgänger  allesamt  mit  großer  Emsigkeit  und  vieler  Sorgfalt  ge- 
sammelt hat,  genügt  es,  ihn  zu  hören,  um  zu  erfahren,  was  das  Mittelalter  vor  ihm 
über  die  Bedeutung  unseres  Gewandes  schrieb. 

Ihrer  Farbe  wegen,  so  belehrt  uns  das  Rationale,  ist  die  Albe  das  Sinnbild  der 
Reinheit.  Aus  Linnen  wird  sie  angefertigt,  um  anzudeuten,  daß  die  Reinheit  der  Seele 
die  Frucht  angestrengten,  von  der  Gnade  unterstützten  Strebens,  vieler  Abtötung  und 
eifriger  Ausübung  guter  Werke  ist.  Denn  das  Linnen  hat  nicht  von  Natur  aus  seine 
blendende  Weiße,  sondern  erhält  sie  erst  durch  die  Bearbeitung,  wobei  es  Stöße  und 
Schläge  aushalten  muß.  Demnach  liegt  in  der  Albe  für  den  Priester  die  Mahnung, 
den  Worten  des  Apostels  gemäß  seinen  Leib  zu  kasteien  und  in  die  Knechtschaft  zu 
bringen,  damit  er  nicht  selbst  verloren  gehe,  während  er  andern  predigt  (1  Kor  9,  27). 
Die  Halseinfassung  bedeutet,  daß  der  Priester  die  Verpflichtung  zur  Keuschheit  über- 
nommen hat;  die  Schließe  an  derselben,  die  ligula,  aber  sinnbildet  die  Zunge  des 
Priesters,  welche  bindet  oder  losspricht,  je  nachdem  der  Sünder  hartnäckig  bei  der 
Sünde  beharrt  oder  sie  bereut.  Weit  ist  die  Albe  in  Erinnerung  an  die  Freiheit  der 
Gotteskinder ;  ihre  kostbare  Ausstattung  läßt  den  Priester  als  königliche  Braut  Christi 
erscheinen ;  gegürtet  wird  sie ,  damit  sich  der  Priester  erinnere ,  alle  fleischlichen 
Gelüste  zu  bezähmen;  als  ein  Gewand,  das  bis  zu  den  Füßen  reicht,  ermahnt  sie  zur 
Beharrlichkeit.  So  weit  die  Symbolik  der  Albe  im  Lichte  der  moralischen  Deutung. 
Typisch  auf  Christus  bezogen,  weist  das  Gewand,  wie  Durandus  sagt,  weil  weiß  und 
makellos,    auf   Christi  Sündenlosigkeit   hin ;    aus  demselben  Grund  erinnert  es  an  die 


1  Bibl.  Nat.  f.  lat.  9432.  Vgl.  ebenfalls 
Vat.  lat.  4772. 

2  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.   12,  ordo  5;  I  187. 

3  Vat.  lat.  3808;  Bibl.  Angelica  zu  Rom 
477 ;  Trierer  Missale  des  13.  Jahrhunderts 
(Dombibliothek  zu  Trier  n.  155);  Missale  des 
Stiftes  Pfalzel  bei  Trier  1429  —  1449  (Stadt- 
bibliothek daselbst  n.  358) ;  Trierer  Missale, 
Erstdruck  von  1498  (Seminarbibliothek  da- 
selbst) ;  Pontifikale  von  Troyes  (Mart.  1.  1, 
c.  4,  art.  12,  ordo  6;  I  190). 


4  So  in  einem  Sakramental-  von  Tours, 
St-Gatien  (Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  7; 
I  192) ,  und  einem  Pontifikale  von  Troyes 
(ebd.  ordo  6;  I  190}.  Vgl.  über  das  letztere 
indessen  oben  S.  29,  Anm.  1. 

5  Vgl.  die  Auszüge  ebd. ;  ferner  Vat.  Ottob. 
27  221  574  576;  Vat.  lat.  1145  4730  4743 
6082  7231  9340:  Vat.  Barber.  BX  1;  Rom, 
Bibl.  Angel.  1092 ;  Paris,  Bibl.  Nat.  f.  lat. 
2293;  Florenz,  Bibl.  Riccard.  300;  Mailand, 
Bibl.  Ambros.  84  u.  a. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  713 

strahlende  Weiße,  welche  die  Gewänder  des  Herrn  bei  der  Verklärung  annahmen.  Es 
ist  aber  auch  ein  Abbild  des  weißen  Spottkleides,  mit  dem  Herodes  den  Heiland  ver- 
höhnte. Einzig  neu,  d.  i.  nicht  bei  den  früheren  Liturgikern  vorkommend,  ist  die 
Deutung  auf  das  Spottgewand. 

Es  ist  interessant,  mit  den  Deutungen  der  Liturgiker  die  Symbolik  der  Albe  zu 
vergleichen,  welche  in  den  Ankleidegebeten  zum  Ausdruck  kommt. 

Das  Gebet,  welches  der  Priester  heute  spricht,  ist  bekannt:  „Läutere  mich, 
o  Herr",  so  lautet  es,  „und  reinige  mein  Herz,  auf  daß  ich,  im  Blute  des  Lammes 
gereinigt,  verdienen  möge,  die  ewigen  Freuden  zu  genießen.'  Es  betrachtet  die  Albe 
als  Sinnbild  der  Reinheit  und  findet  sich  schon,  wenngleich  nicht  allzuhäufig,  in  mittel- 
alterlichen Missalien  '.  Andere  Ankleidegebete  des  Mittelalters  sehen  in  ihr  das 
Gewand  des  Heiles  und  den  Panzer  der  Stärke,  wieder  andere,  mit  Bücksicht  auf 
ihre  weiße  Farbe,  ein  Symbol  der  heiligen  Freude  oder  der  Gerechtigkeit.  Am  gewöhn- 
lichsten, und  zwar  vom  10.  Jahrhundert  an  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters,  ja 
selbst  bis  in  die  Neuzeit  hinein,  ist  das  Gebet:  „Bekleide  mich,  o  Herr,  mit  dem 
Gewand  des  Heiles  und  umgib  mich  mit  dem  Kleid  der  Gerechtigkeit  immerdar"  2. 
Das  Gebet  des  Stowe-Missale  faßt  die  Albe  als  Bild  der  Keuschheit  auf.  Mehr  auf 
die  Reinheit  im  allgemeinen  weist  dasjenige  der  Missa  Illyrica  hin.  Ganz  kriegerisch  3 
lautet  es  im  Pontifikale  von  Troyes:  „Bekleide  mich,  o  Herr,  mit  dem  Panzer  des 
Glaubens ,  mit  dem  Helm  des  Heiles  und  dem  Schwert  des  Heiligen  Geistes. "  Sehr 
schön  aber  läßt  im  Anschluß  an  die  allgemeinere  Auffassung  das  Sakramentar  von 
Corbie  den  Bischof  flehen : 

Daß  im  Engelsgewande  wir  Spende  heiligen  Duftes 
Dir  zu  reichen  vermögen,    gewähr  es,    o  König   der  Milde ; 
Tilge  voll  Güte  darum  des  schlimmen  Sinnes  Befleckung 
Und  nimm  eilig  hinweg,  was  meine  Seele  beschmutzet. 

Das  Cingulum  erscheint  bei  Hraban  als  Symbol  der  custodia  mentis.  Die 
Gürtung  der  Albe  soll  dem  Priester  ins  Gedächtnis  rufen,  daß  er  in  Bewahrung  der 
Keuschheit  nicht  nachlässig  und  träge  sein  dürfe,  daß  er  die  Überhebung  und  den 
Stolz  fliehen  müsse  und  daß  er  nicht  im  Übennaß  nach  Tugend  strebe,  damit  nicht 
diese  selbst  durch  den  Schmutz  der  irdischen  Begierlichkeit  befleckt  werde.  Pseudo- 
Alkuin  sieht  in  dem  Cingulum  in  Anlehnung  an  den  letzten  Gedanken  der  Symbolik 
Hrabans  die  discretio  virtutum ,  das  Einhalten  der  goldenen  Mitte ;  die  Tugenden 
seien  ohne  diese  discretio  nicht  Tugenden,  sondern  Laster;  die  Tugend  beruhe  viel- 
mehr im  rechten  Mittelmaß.  Die  übrigen  Liturgiker,  von  Amalar  bis  Durandus, 
beschränken  sich  fast  alle  darauf,  das  Gürten  der  Albe  mittels  des  Cingulums  als 
Sinnbild  der  Enthaltsamkeit  und  der  Bezähmung  der  sinnlichen  Begierden  hinzustellen. 
Es  lag  das  in  der  Tat  am  nächsten.  Galt  die  Albe  als  Symbol  der  Reinheit  und  Keusch- 
heit, so  war  es  das  natürlichste,  ihre  Gürtung  auf  die  Bändigung  der  ungeordneten 
niederen  Triebe  zu  deuten.  Debet  alba  .  .  .  praecingi  .  .  .,  sagt  Durandus,  ut  castitas, 
per  albam  significata,  nullis  incentivorum  stimulis  solvatur;  cingulum  namque  con- 
tinentiam  significat.  Auch  in  den  Ankleidegebeten  wird  das  Cingulum  fast  nur  als 
Symbol  der  Enthaltsamkeit  und  der  Abtötung  aller  fleischlichen  Begierlichkeit  hin- 
gestellt.    So  heißt  es  sehr  schön  im  Sakramentar  von  Corbie : 

Der  du  die  Herzen  erforschest,  du  Freund   des  züchtigen  Sinnes, 
Göttlicher  Richter  des  Innern,  o  gürte  mir  gnädig  die  Lenden, 
Jegliches  sündige  Regen  im  keuschen  Leibe  ertötend  4. 


1  Z.  B.  in  einem  Pontifikale  von  Cambrai  9340 ;  Vat.  Barber.  B  X  1 ;  Rom,  Bibl.  Angel. 
(Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  1;  I  127);  ferner  Vat.  1092;  Florenz,  Bibl.  Riccard.  299  300,  beide 
lat.  4730  und  Ottob.  27  221.  aus    dem    11.   Jahrhundert;    Mailand,    Bibl. 

2  Vgl.  die  Auszüge  aus  französischen  und  Ambros.  84  u.  a. 

deutschen   Missalien    bei  Mart.  1.   1 ,    c.  4,  3  Mart.  ebd.  ordo  6;  I  190. 

art.  12;  die  oben  S.  712,  Anm.  8  erwähnten  4  Die    gleichen  Gebete   im    Sakr.  Leofrics 

Trierer  Missalien ;  ferner  Vat.  lat.  1145  4770  von  Exeter  (ed.  Oxford  1883,  59). 


714      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Kurz,  aber  kräftig  lautet  das  Gebet  in  den  Sakramentaren  von  St-Denis,  Tours  und 
andern:  , Umgürte,  o  Herr,  meine  Lenden  und  beschneide  die  Laster  meines  Herzens." ' 
Das  Gebet  im  Missale  des  hl.  Karl  Borromäus  -  und  in  den  Pontifikalien  von  Karbonne, 
Chälons,  Cambrai,  Troyes 3  und  Amiens  4  deckt  sich  fast  wörtlich  mit  demjenigen, 
welches  der  Bischof  nach  dem  römischen  Missale  bei  der  Gürtung  spricht:  „Um- 
gürte mich,  o  Herr,  mit  dem  Gürtel  des  Glaubens  und  meine  Lenden  mit  der  Tugend 
der  Keuschheit  und  tilge  in  ihnen  aus  alle  fleischlichen  Triebe,  auf  daß  in  mir  immer- 
dar die  Lebensfrisehe  aller  Keuschheit  verbleibe."  5 

Das  Gebet,  welches  der  Priester  gegenwärtig  nach  dem  römischen  Missale 
bei  Anlegung  des  Gürtels  zu  beten  hat,  ist  uns  in  mittelalterlichen  Missalien  nicht 
aufgestoßen.  Es  ist  allem  Anschein  nach  lediglich  eine  Vereinfachung  des  Gebetes : 
„Umgürte  mich,  o  Herr,  mit  dem  Gürtel  des  Glaubens  usw." 

Es  gibt  nur  wenige  Ankleidegebete,  welche  von  der  gewöhnlicheren  Anschauung 
abweichen ;  so  heißt  es  im  Gedankengang  Hrabans  in  verschiedenen  mittelalterlichen 
Missalien:  „Herr,  gürte  mir  an  die  Bewachung  des  Geistes  und  laß  diesen  nicht  durch 
den  Geist  der  Überhebung  abgelenkt  werden."  ° 

Ungewöhnlich,  aber  schön,  entschieden  und  mutig,  und  des  Mannes,  der  sich 
zum  geistlichen  Streite  rüstet,  würdig,  klingt  das  Gebet  eines  Missale  von  Stablo  ' : 
„Gürte  mir  dein  Schwert  über  meinen  Schenkel,  Allmächtiger,  auf  daß  ich  mannhaft 
und  in  der  festen  Zuversicht  auf  deine  Wahrheit  gegen  meine  Feinde  zu  kämpfen 
vermöge."  Es  ist  die  uns  schon  bekannte  Symbolik,  wonach  der  Priester  beim  hei- 
ligen Opfer  gleichsam  als  Kämpfer  gegen  den  Teufel  auftritt.  Auf  Christus  bezogen, 
wird  der  Gürtel  bei  Durandus  im  Anschluß  an  das  Wort  des  Propheten  Isaias :  Et 
erit  iustitia  cingulum  lumborum  eius,  auf  Christi  Gerechtigkeit  gedeutet.  Doch  kennt 
der  Verfasser  des  Bationale  auch  schon  die  Symbolik,  derzufolge  das  Cingulum  als 
Sinnbild  der  Geißeln  galt,  mit  denen  Pilatus  den  Herrn  geißeln  ließ. 

Manche  mystischen  Deutungen  hat  der  Manipel  gefunden.  Für  Hraban,  der 
seine  Ausführungen  auf  Isidors  Definition  von  mappa  und  mantile  aufbaut,  ist  er 
das  Sinnbild,  daß  der  Priester,  der  nach  Anlegung  desselben  äußerlich  zum  heiligen 
Opfer  vorbereitet  erscheint,  auch  innerlich  in  der  Verfassung  sein  muß,  die  eine  solch 
heilige  Handlung  erfordert.  Nach  Amalar  bedeutet  das  Sudarium  fromme  und  heilige 
Gedanken  und  Erwägungen,  doch  auch  den  Hinblick  auf  die  heiligen  Väter,  wodurch 
wir  alle  natürlichen  und  gleichsam  angeborenen  verkehrten  Ergötzlichkeiten  aus  uns 
entfernen  und  die  aus  der  Gebrechlichkeit  des  Körpers  hervorgehenden  Belästigungen 
der  Seele  wegschaffen  sollen.  Begierlichkeit  und  Überdruß  kennt  nur  das  Erdenwallen, 
das  durch  die  linke  Seite  bezeichnet  wird,  nicht  der  Himmel,  dessen  Sinnbild  die 
rechte  ist ;  daher  trägt  man  das  Sudarium  nicht  in  der  rechten ,  sondern  in  der 
linken  Hand.  Nach  Ivo  von  Chartres  mahnt  der  Manipel  den  Priester,  mit  Fleiß  und 
Wachsamkeit  der  einschleichenden  Sorglosigkeit  zu  begegnen ;  nach  dem  Sermo  XIV 
aber  fordert  er  ihn  auf,  alle  Nachlässigkeit  zu  meiden,  wenn  er  seinen  heiligen 
Dienst  verrichtet;  denn  er  legt  ihn  ja  an  den  Arm  der  Vorsicht  halber,  pro  cautela. 


1  Ebd.  ordo  5;  I  187.  Etwas  erweitert 
findet  sich  das  Gebet  in  einem  Pontifikale 
von  Troyes,  einem  Sakramental' von  Tours  (ebd. 
ordo  6  7;  I  190 f)  sowie  in  manchen  sonstigen 
Missalien,  z.  B.  in  Vat.  lat.  5742  und  Vat. 
Ottob.  221,  den  früher  erwähnten  drei  Trierer 
Missalien,  einem  St  Gallener  Sakramental' 
(Stiftsbibl.  354) ,  dem  Kölner  Missale  von 
1487  u.  a. 

2  Mar t.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  3;  I  173. 

3  Ebd.  art.  1,  n.  13;  I  127. 

4  Bibl.  Nat.  f.  lat.  n.  9432. 

5  Das  Gebet  kommt  auch  sonst  nicht  selten 
vor,  wie  Vat.  lat.  4743  und  9340 ;  Vat.  Ottob. 


27  und  221  ;  Vat.  ßarber.  XII  2  und  B  X  1  : 
Florenz,  Bibl.  Riccard.  300  u.  a. 

6  Mar t.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  12;  I  204. 
So  auch  in  Vat.  lat.  4772  6082  7231;  Vat. 
Ottob.  574;  Florenz,  Bibl.  Riccard.  299 und  300 
(hier  neben  einem  andern  Gebet)  sowie  Stifts- 
bibliothek von  St  Gallen  339.  Vgl.  den  Aus- 
zug aus  einem  Sakramental-  des  11.  Jahr- 
hunderts in  M.  78,  245. 

7  Nach  cod.  354  der  St  Gallener  Stiftsbiblio- 
thek bei  Anlegung  des  Subcinctorium  zu 
sprechen ;  ebenso  in  einem  Sakramental-  von 
Arezzo  (Vat.  lat.  4772),  beide  aus  dem  Be- 
ginn des  11.  Jahrhunderts. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  715 

Honorius  und  andere  sehen  im  Manipel  ein  Sinnbild  der  Buße,  durch  welche  die 
Makel  der  täglichen  Ausschreitungen  getilgt  werde.  Wie  man  sieht,  klingen  diese 
Auslegungen  meist  in  irgend  einer  Weise  an  den  ursprünglichen  Charakter  des  Ornat- 
stückes an. 

Einige  wenige  Deutungen  lehnen  sich  an  die  Psalmworte  an :  Euntes  ibant  et 
flebant,  mittentes  semina  sua,  venientes  autem  venient  cum  exsultatione,  portantes 
manipulos  suos ;  sie  betrachten  das  Gewandstück  als  Sinnbild  der  Garben  der  Ge- 
rechtigkeit und  des  himmlischen  Lohnes '.  Veranlassung  hierzu  bildete  ersichtlich 
der  Name  manipulus.  In  den  Gebeten ,  mit  welchen  der  Priester  gemäß  der  An- 
weisung der  mittelalterlichen  Missalien  die  Anlegung  des  Manipels  begleiten  soll,  wird 
nur  wenig  auf  dessen  anfänglichen  Charakter  angespielt.  Begreiflieh,  da  sie  meistens 
aus  einer  Zeit  stammen,  in  welcher  das  Ornatstück  desselben  schon  längst  ganz  ent- 
kleidet und  zum  bloßen  Zierstreifen  geworden  war. 

Einen,  wenn  auch  nur  entfernten  Hinweis  auf  ihn  bietet  z.  B.  das  Gebet,  welches 
zwei  Sakramentare  des  11.  Jahrhunderts  den  Priester  sprechen  lassen:  „Gib,  o  Herr, 
den  Manipel  in  meine  Hände  zur  Entfernung  des  Schmutzes  meines  Herzens  und 
Leibes,  auf  daß  ich,  frei  von  Makel,  dir,  o  Herr,  zu  dienen  würdig  sei."  2  Ähnlich  ver- 
hält es  sich  mit  dem  andern  Gebete:  „Gib,  o  Herr,  meinen  Händen  die  Kraft,  alle  Makel 
abzuwaschen,  damit  ich  ohne  Befleckung  von  Leib  und  Seele  dir  zu  dienen  vermöge", 
Worte,  die  der  Priester  nach  gegenwärtigem  Brauch  bei  der  Händewaschung  spricht, 
die  ehedem  aber  häufig  bei  Annahme  des  Manipels  gebetet  wurden  3.  Das  Gebet, 
welches  der  Priester  nach  der  Anweisung  des  römischen  Missale  zu  verrichten  hat : 
„Möge  ich,  o  Herr,  es  verdienen ,  den  Manipel  des  Weinens  und  des  Schmerzes  zu 
tragen,  auf  daß  ich  voller  Freude  den  Lohn  für  meine  Mühen  erlange",  schließt  sich 
wie  die  obengenannte  gleichartige  Deutung  einiger  Liturgiker  rein  äußerlich  in  An- 
knüpfung an  den  Ausdruck  manipulu  an  den  Psalmvers :  Euntes  ibant  usw.  an.  Es 
war  schon  sehr  früh  in  Gebrauch,  da  es  sich  bereits  mit  geringen  Abweichungen 
im  Pontifikale  von  Troyes  *  vorfindet.  Häufiger  treffen  wir  es  in  den  Missalien  aber 
erst  in  den  letzten  Zeiten  des  Mittelalters  an  5. 

In  verschiedenen  Gebeten  ist  ein  Grund  der  in  ihnen  zum  Ausdruck  kommenden 
Symbolik  nicht  oder  doch  kaum  erkennbar,  so  z.  B.  in  dem  Spruch  eines  Missale 
von  Chälons :  „Gib  mir,  o  Herr,  rechten  Sinn  und  reine  Stimme,  damit  ich  dein  Lob 
wirken  könne"6,  und  in  der  Bitte  einer  St  Gallener  Handschrift:  „Zerreiße,  o  Herr, 
alle  Schlingen  des  Satans  und  bekräftige  in  uns  den  Anteil  deiner  Erbschaft."  7  Im 
letzten  Fall  scheint  der  Manipel  als  Sinnbild  der  Gotteskindschaft,  des  funiculus  haeredi- 
tatis,  gedacht  zu  sein.  Auf  die  Keuschheit  bezogen  wird  er  in  einem  Augustiner- 
missale der  Vaticana:  „Lege  den  Manipel  der  Unschuld,  o  Herr,  an  meine  Hand,  daß 
ich,  von  deiner  Vaterliebe  geschützt,  reinen  Sinnes  und  Herzens  alle  unerlaubten  Be- 
rührungen vermeiden  und  unter  Frohlocken  die  Garben  wahrer  Seligkeit  unter  deinen 
Heiligen  auf  immer  besitzen  möge."  8  Einige  Gebete  deuten  ihn,  weil  Schmuck  der 
Hand,  auf  die  Werke  der  Hände.  So  heißt  es  in  einem  Missale  von  Beauvais  mit  den 
Worten  des  17.  Verses  des  89.  Psalmes:  „Sit  splendor  Domini  Dei  nostri  super  nos, 
et  opera  manuum  nostrarum  dirige  super  nos,  et  opus  manuum  nostrarum  dirige."  9 
Auch  in  dem  hie  und  da  vorkommenden  Gebete:  „Durch  die  Anlegung  dieses 
Manipels  bitte  ich  dich  flehentlich,    o  Herr,    du  wollest  mir  in  meiner  Lebenszeit  ein 


1  So  z.  B.  Bruno  von  Segni  (M.  165,  6  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  1,  n.  13:  I  127.  Vgl. 
1107).  auch  ebd.  art.  12,  ordo  16:  I  214;  dann  den 

2  Florenz,  Bibl.  Riccard  299  300.  Auszug  aus  einem  Sakramental-  des  11.  Jahr- 

3  Rom,  Bibl.  Angel.  477  ;  Kölner  Missale  hunderts  bei  M.  78,  246,  sowie  der  St  Gallener 
von  1487;  Missale  von  Augsburg  von  1555  Bibliothek  339;  Vat.  lat.  6082  und  7231: 
u.  a.  Vgl.  auch  die  Auszüge  bei  Mart.  Vat.  Ottob.  574  und  576  u.  a.  7  Cod.  354. 
a.  a.  O.  8  Vat.  Ottob.  221.     Auch    im    Gebet    des 

4  Ebd.  1.  1,    c.  4,   art.  12,   ordo  6 ;    I  190.  Sakramentars     von     Corbie      erscheint     der 

5  Vat.  lat.  4730  5742  und  9430 ;  Vat.  Ottob.  Manipel  als  Sinnbild  der  Keuschheit. 

27;  Vat.  Barber.  XII  2  und  B  X  1.  '■>  Mart.  1.  1,   c.  4,  art.  1,  n.  13 ;  I  127. 


716      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 


solches  Wirken  verleihen,  daß  ich  nach  dem  Beispiel  der  alten  Väter  in  Zukunft  die 
ewige  Freude  verdiene"  ',  spricht  sich  diese  Auffassung  aus. 

Die  Symbolik,  welche  in  den  Worten  zum  Ausdruck  kommt,  mit  welchen  der 
Bischof  hei  der  Weihe  die  Übergabe  des  Manipels  begleitete ,  bietet  wenig  Neues. 
Die  betreffenden  Gebete  sind  recht  zahlreich.  Eines  der  gebräuchlichsten  war :  „Nimm 
hin  den  Manipel,  durch  den  die  Frucht  der  guten  Werke  bezeichnet  wird."2  In  einem 
andern,  das  uns  ebenfalls  in  den  alten  Pontifikalien  nicht  selten  begegnet,  erscheint 
das  Ornatstück  als  Insignie  des  subdiakonalen  Ordo,  ohne  daß  eine  weitere  Symbolik 
mit  ihm  verbunden  wäre :  „Nimm  hin  den  Manipel  und  warte  deines  Amtes  3.  Gott 
ist  mächtig  genug,  dir  seine  Gnade  zu  mehren."  Sinnbild  der  Reinheit  ist  das 
Ornatstück  in  dem  Spruch:  „Nimm  den  Manipel  in  deine  Hände  zur  Tilgung  der  Makel 
an  Seele  und  Leib,  auf  daß  du  ohne  Befleckung  dem  allmächtigen  Gott  zu  dienen 
vermögest."  4  An  den  geistigen  Streit  gegen  die  Höllenmächte  erinnern  die  Worte 
eines  Pontifikale  von  Kiga:  „Nimm  hin  diesen  Fano  zum  Kampf  gegen  die  Nach- 
stellungen des  Seelenfeindes."  5  Was  sonst  noch  an  Gebeten  bei  der  fraglichen  Zere- 
monie üblich  war,  kann  hier  übergangen  werden. 

Auf  Christus  bezogen,  wird  der  Manipel  von  Innozenz  III.  auf  den  himmlischen 
Lohn  ausgelegt,  den  der  Heiland  durch  sein  Leiden  für  seine  heilige  Menschheit  ver- 
diente. Spätere  sahen  in  ihm  die  Stricke  und  Banden,  mit  welchen  die  Judenrotte  den 
Gottessohn  fesselte. 

Die  Stola  gilt  bei  den  mittelalterlichen  Liturgikern  vorzugsweise  als  Symbol 
des  Amtes.  Indem  Diakon  und  Priester  sich  dem  besondern  Dienste  Gottes  weihen, 
der  ihnen  heilige  Pflichten  und  schwere  Obliegenheiten  auferlegt,  treten  sie  unter  das 
Joch  des  Herrn  und  laden  dessen  Bürde  auf  Schulter  und  Nacken.  Das  Sinnbild 
dieses  Joches  und  dieser  Bürde  ist  die  auf  der  Schulter  bzw.  dem  Nacken  ruhende 
Stola ;  beider  Übernahme  wird  durch  die  Anlegung  der  Stola  bei  der  Weihe  dargestellt. 

Aus  dieser  ersten  und  grundlegenden  Symbolik  der  Stola  ergaben  sich  alsbald 
und  wie  von  selbst  für  die  Liturgiker  verschiedene  andere  Bedeutungen.  Nach  Hraban, 
welcher  das  Gewand  (orarium)  zu  dem  Predigtamt  in  besondere  Beziehung  bringt, 
mahnt  es  den  Träger,  wohl  zu  überdenken,  was  er  mit  dem  Munde  vorbringe,  damit 
er  nicht  unvorbereitet  und  sinnlos  rede  und  Schaden  leide.  Amalar  findet  in  der 
Stola  die  Aufforderung  zur  Demut.  Ivo  von  Chartres  legt  sie  auf  die  Waffe  der 
Gerechtigkeit,  d.  i.  die  Tugend  des  Starkmuts,  aus,  mit  welcher  der  Priester  in  Glück 
und  Unglück  —  er  trägt  ja  auf  beiden  Seiten,  der  rechten  wie  der  linken,  einen 
Streifen  der  Stola  —  versehen  sein  soll.  Eupert  von  Deutz  deutet  das  Ornatstück 
auf  den  Gehorsam,  Honorius  auf  die  Reinheit ,  Innozenz  III.  auf  die  Weisheit  und 
Geduld.  Der  Umstand,  daß  die  Stola  mit  dem  Cingulum  verknüpft  wird,  soll  nach  den 
Liturgikern  sinnbilden,  daß  die  durch  die  Stola  symbolisierten  Tugenden  mit  Selbst- 
bezähmung  verbunden  sein  müssen,  wenn  anders  sie  beim  Andrang  der  Versuchung 
nicht  Gefahr  laufen  wollen. 

In  den  Gebeten,  welche  der  Priester  beim  Umlegen  der  Stola  zu  sprechen  hatte, 
tritt  die  Grundsymbolik  des  Ornatstückes  weit  weniger  deutlich  hervor  als  in  den 
Auslegungen  der  Liturgiker. 


1  Vat.  lat.  3808.  Vgl.  auch  das  Ankleide- 
gebet in  der  Missa  Illyrica  bei  Mart.  1.  1, 
c.  4,  art.  12,  ordo  4;  I  177. 

2  Ebd.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  16;  II  79. 
Vat.  lat.  1159  6748  7114;  Vat.  Ottob.  27 
330  501. 

3  Mart.  ebd.  ordo  10;  II  62.  Vat.  Borgh. 
99:  Cod.  Vat.  lat.  3748  u.  a.  Es  ist  eines 
der  ältesten  der  Gebete  seiner  Art,  ja  wahr- 
scheinlich das  älteste;  denn  es  reicht  bis 
hoch  ins  12.  Jahrhundert  hinauf.  Doch 
stammt  es  jedenfalls  erst  aus  einer  Zeit,  da 


der  Subdiakonat  höherer  Ordo  geworden  war. 
Eigenartig  ist  das  Gebet  in  Vat.  Barber. 
1868:  „Nimm  hin  den  Fano,  das  Symbol 
der  Verkündigung  des  Wortes  Gottes."  Es 
findet  sich  auch  in  Vat.  Borgh.  49.  Beide 
Codices  stammen  aus  dem  13.  Jahrhundert. 
Unter  der  Verkündigung  des  Wortes  Gottes 
ist  in  dem  Gebet  wohl  die  Absingung  der 
Epistel  verstanden.  Jedenfalls  erscheint  auch 
in  ihm  der  Manipel  als  Insignie  des  sub- 
diakonalen Ordo. 
1  Vat.  lat.  4746.  5  Vat.  Borgh.   14. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  717 

Zwar  fehlt  auch  in  ihnen  der  Hinweis  auf  die  Amtsbürde  nicht,  doch  knüpft 
die  in  ihnen  zum  Ausdruck  gelangende  Symbolik  mindestens  ebensohäufig  an  den 
Namen  Stola  an.  Das  Ornatstück  war  das  liturgische  Gewand  im  vorzüglichen  Sinne, 
die  eigentliche  liturgische  Insignie,  das  Gewand  schlechthin,  ohne  das  der  Priester 
keinerlei  Funktionen  vornehmen  durfte.  Es  begreift  sich  daher,  daß  man  in  ihr  ein 
Abbild  des  Kleides  der  Gerechtigkeit  und  Unsterblichkeit,  d.  i.  das  Symbol  der  heilig- 
machenden Gnade  sah,  und  daß  sie  in  dieser  Eigenschaft  dann  weiterhin  auch  als 
das  Gewand  der  Freude  und  des  Frohlockens  bezeichnet  wurde. 

Die  Gebete,  welche  bei  Anlegung  der  Stola  gesprochen  zu  werden  pflegten,  sind 
im  Gegensatz  zu  denjenigen,  welche  bei  den  übrigen  Gewändern  gebetet  wurden,  aus- 
nahmsweise wenig  mannigfaltig.  Auf  den  ersten  Blick  mag  das  bei  einem  so  bedeutungs- 
vollen Gewände  auffällig  erscheinen.  Man  versteht  es  aber  unschwer,  sobald  man 
die  hohe  Bedeutung  der  Stola  als  des  Sinnbildes  des  Amtes  und  als  des  liturgi- 
schen Gewandes  schlechthin  ins  Auge  faßt. 

Die  Gebete  lassen  sich  auf  vier  Grundtypen  zurückführen.  Der  eine  lautet : 
„Zerbrich,  o  Herr,  meiner  Sünden  Banden,  auf  daß  ich,  angeschirrt  an  das  Joch 
deines  Dienstes,  mit  Furcht  und  Ehrerbietung  dir  zu  dienen  vermöge ;  denn  du  hast 
gesagt:  Mein  Joch  ist  süß  und  meine  Bürde  ist  leicht";  der  zweite:  „Umgib  meinen 
Nacken  mit  dem  Gewand  der  Gerechtigkeit  und  reinige  meinen  Sinn  von  allem  Sünden- 
verderben." Den  dritten  Typus  stellt  das  heute  noch  beim  Bischof  gebräuchliche  Gebet 
dar:  „Gib  mir  wieder,  o  Herr,  ich  flehe,  das  Gewand  der  Unsterblichkeit,  das  ich 
durch  die  Sünde  des  Stammvaters  verloren,  und  weil  ich  nun  mit  diesem  Schmuck, 
wenngleich  unwürdig,  deinem  Dienste  mich  nahe,  gewähre  mir,  auf  ewig  mit  ihm  mich 
zu  erfreuen."  Beim  seltener  vorkommenden  vierten  heißt  das  Gebet:  „Es  bekleide 
mich  der  Herr  Jesus  Christus  mit  dem  Gewände  der  Freude  und  des  Frohlockens, 
der  da  zu  seinen  Jüngern  gesagt:   Mein  Joch  ist  süß  und  meine  Bürde  ist  leicht."  ' 

Typus  II  und  III  begegnen  uns  schon  in  einem  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
9.  Jahrhunderts  stammenden  Sakramentar  von  Amiens  -.  Der  vierte  ist  der  jüngste ; 
er  tritt  erst  in  späteren  Missalien  auf.  Typus  I  und  II  erscheinen  meist  getrennt,  doch 
sind  sie  auch  wohl  miteinander  verbunden. 

Was  an  sonstigen  Gebeten  noch  bei  Anlegung  der  Stola  in  den  mittelalterlichen 
Missalien  vermerkt  wird,  ist  keiner  besondern  Beachtung  wert.  Erwähnung  finden  möge 
von  ihnen  nur  das  Gebet  einer  Handschrift  der  Vaticana  aus  dem  11.  Jahrhundert : 
„Bekleide  mich,  o  Herr,  mit  dem  Schmuck  der  Demut,  der  Liebe  und  des  Friedens, 
auf  daß  ich,  von  Tugenden  allseitig  beschirmt,  den  Feinden  der  Seele  und  des  Leibes 
zu  widerstehen  vermöge" 3;  die  Stola  wird  als  liturgisches  Gewand  im  besondern  Sinne 
darin  auf  den  Tugendschmuck  der  Seele  gedeutet. 

In  dem  Gebete,  unter  welchem  der  Bischof  bei  der  Priesterweihe  das  rechte 
Stolaende  über  die  Schulter  des  Ordinanden  zur  Brust  führte,  erscheint  die  Stola 
fast  immer  als  Symbol  des  presbyteralen  Amtes.  „Nimm  hin",  so  pflegte  jener  nach 
fast  allen  Pontinkalien  zu  sagen,  „das  Joch  des  Herrn;  denn  sein  Joch  ist  süß  und 
seine  Bürde  ist  leicht."  Bei  der  Diakonatsweihe  lautete  das  Gebet,  unter  welchem 
der  Bischof  dem  Ordinanden  die  Stola  anlegte,  in  der  Regel  entweder:  „Nimm  hin 
deine  Stola  und  erfülle  deinen  Dienst;  Gott  ist  ja  mächtig,  dir  seine  Gnade  zu  ver- 
mehren, der  da  lebt  usw.",  oder:  „Nimm  hin,  in  den  Augen  der  göttlichen  Majestät 
von  allem  Sündenschmutz  rein,  von  des  Herrn  Hand  die  weiße  Stola,  auf  daß  dein 
Lebenswandel  allen  ein  Vorbild  sei  und  das  in  Christi  Namen  geheiligte  Volk  dir 
nachfolge  und  in  der  Gerechtigkeit  dir  ähnlich  werde."  4   In  dem  letzten  dieser  beiden 


1  Es  mag  genügen ,  auf  die  Auszüge  bei  3  Vat.  lat.  4772.  Vgl.  auch  das  Sakra- 
Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  1  und  12;  I  126 f  171  ff  mentar  von  Stablo  bei  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12, 
zu  verweisen,  wo  sich  genug  Belege  finden.  ordo  15  ;  I  210. 

Eine  Verbindung  von  Typus  I  und  II  z.  B.  in  4  Vgl.  die  Auszüge  aus  dem  Weiheritus  bei 

Vat.    lat.    5742    und    Ottob.   576;  eine   Ver-  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  3  ff ;    II  87  ff, 

bindung  von  I  und  III  in  Ottob.  221.  sowie  Vat.  lat.    1153  1159  4745  5791  7114; 

2  Paris,  Bibl.  Nat.  f.  lat.  9432.  Vat.  Ottob.   27  270;  Vat.  Borgh.  99  u.  a. 


'18       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 


Gebete  ist  die  Stola  das  Sinnbild  der  Heiligkeit,  welche  den  Diakon  zieren  muß,  im 
ersten  aber  das  Symbol  des  diakonalen  Amtes.  Daß  in  diesen  Weihegebeten  noch 
geringere  Mannigfaltigkeit  herrscht  als  in  den  Ankleidegebeten,  liegt  hauptsächlich 
wohl  an  dem  Charakter  der  Zeremonie,  bei  der  sie  gesprochen  wurden.  Weil  näm- 
lich die  Stola  als  Insignie  des  priesterlichen  und  diakonalen  Amtes  galt,  so  lag  es 
offenbar  am  nächsten,  bei  den  Gebeten,  unter  denen  der  fragliche  Eitus  statthatte, 
vor  allem  auf  eben  diese  Symbolik  Rücksicht  zu  nehmen. 

Typisch  wurde  die  Stola  auf  den  Gehorsam  gedeutet,  in  dem  Christus  Knechts- 
gestalt annahm  und  bis  zum  Tode  unterwürfig  ward ;  auf  den  leidenden  Gottmenschen 
bezogen,  war  sie  bald  Sinnbild  des  Strickes,  den  man  ihm  am  Ölberg  um  den  Hals 
sehlang,  bald  des  Kreuzes,  das  er  tragen  mußte,  bald,  und  zwar  schon  bei  Durandus, 
der  Fesseln,  womit  man  ihn  an  die  Geißelsäule  band. 

In  dem  Gebete,  mit  welchem  der  Bischof  jetzt  bei  der  Weihe  die  Anlegung  des 
Meßgewandes  begleitet,  wird  dasselbe  als  ein  Sinnbild  der  Liebe  bezeichnet.  Das 
ist  auch  die  Bedeutung,  welche  die  Liturgiker  des  Mittelalters  von  Hraban  an  bis  auf 
Durandus  in  einer  überraschenden  Einmütigkeit  mit  der  Kasel  verknüpfen.  „Dieses 
Kleid"  —  welches  als  das  oberste  aller  Gewänder  alle  andern  deckt  und  schützt  — 
„können  wir",  sagt  Hraban,  „als  die  Liebe  auffassen,  welche  alle  Tugenden  über- 
ragt und  ihnen  Schönheit,  Schutz  und  Glanz  verleiht."  Die  übrigen  Liturgiker  haben 
diese  Deutung  entweder  bloß  wiederholt  oder  mit  Beziehung  auf  die  beiden  Hälften 
des  Gewandes  und  die  bei  dessen  Anlegung  entstehenden  Balten  im  Geiste  der  Zeit 
weiter  ausgesponnen '.  Nur  Amalar  und  Rupert  gehen  ihre  eigenen  Wege ;  jener 
deutet  die  Kasel  auf  die  guten  Werke,  dieser  auf  die  Kirche. 

Auch  in  dem  Gebete,  welches  der  Priester  nach  den  mittelalterlichen  Sakra- 
mentaren und  Missalien  bei  Anlegung  der  Kasel  sprechen  sollte,  findet  sich  oft  unser 
Gewand  als  Sinnbild  der  Liebe  aufgefaßt.  „Bekleide  mich,  o  Herr",  so  lautet  ein 
häufig  vorkommendes  Gebet,  „mit  der  Zier  der  Demut,  der  Liebe  und  des  Friedens, 
auf  daß  ich,  allseitig  mit  Tugenden  ausgerüstet,  den  Lastern  und  den  Feinden  zu 
widerstehen  vermöge."  2  Liebe  setzt  wahre  Demut  voraus;  ihre  Frucht  aber  ist  der 
Friede.  Allein  die  Kasel  erscheint  in  den  Ankleidegebeten  keineswegs  ausschließlich 
als  Sinnbild  der  Liebe  wie  bei  den  Liturgikern,  sondern  auch  als  Symbol  der  priester- 


lichen   Gerechtigkeit   und   Heiligkeit : 


als   Abbild   der    Gnade    des   Heiligen    Geistes, 


welche  der  Priester  beim  Anlegen  des  Mefsgewandes  auf  sich  herabflehte  *,  ja  sogar 
vereinzelt  als  Panzer  des  Glaubens  und  als  Helm  der  Hoffnung  5.  Besonders  häufig 
aber  kam  das  Gebet  zur  Verwendung,  welches  gegenwärtig  allgemein  beim  Anziehen 
der  Kasel  gesprochen  wird  und  das  Gewand  auf  das  süße  und  leichte  Joch  Christi 
deutet s.     Es  findet  sich  schon  in  den  Sakramentaren  des  9.  und  10.  Jahrhunderts. 

Ahnlich  wie  mit  den  Ankleidegebeten  verhält  es  sich  mit  den  Worten,  unter 
welchen  der  Bischof  dem  Ordinanden  bei  der  Priesterweihe  die  Kasel  anzulegen  pflegte. 
Auch  hier  herrscht  keine  Einheit.  Am  häufigsten  versinnbildet  darin  das  Meßgewand 
allerdings  die  Liebe ,  jedoch  erscheint  es  in  ihnen  oft  auch  als  Symbol  der  Un- 
schuld :  Stola  innocentiae  induat  te  Dominus.  Vielleicht  bei  keinem  Gewand  zeigt 
sich  in  so  auffallender  Weise,  wie  wenig  Einfluß  die  mystischen  Auslegungen  der 
Liturgiker  auf  die  Deutung  in  der  Praxis  hatten,  als  gerade  bei  der  Kasel. 


1  So   bei  Honorius,    Sicard,    Innozenz  LI. 

2  Vat.  lat.  5742  6082  7231 ;  Vat.  Ottob. 
221  576.  Vgl.  ferner  die  drei  Trierer  Mis- 
salien (S.  712,  Anm.  3) ;  die  beiden  Sakramen- 
tare von  St  Gallen  (339  und  354) ,  das  Kölner 
Missale  von  1487 ;  die  beiden  Sakramentare 
der  Bibl.  Riccard.  zu  Florenz  299  und  300; 
desgleichen  verschiedene  der  bei  Mart.  1.  1, 
c.  4,  art.  1  und  12  sich  findenden  Aus- 
züge aus  mittelalterlichen  Missalien,  sowie 
M.  78,  246. 


3  Vat.  lat.  3808  und  4743 ;  Rom,  Bibl.  Angel. 
477  u.  a.      So    auch    in   der   Missa  Illyrica. 

4  Cod.  Vat.  lat.  4770  und  4772;  das  Mis- 
sale von  Augsburg   (1555)  u.  a. 

5  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  1;  I  126  f  (Sakra- 
mental' von  Tours  und  Missale  von  Au- 
xerre). 

c  Vat.  lat.  4730  und  9340 ;  Rom,  Bibl.  Angel. 
1092.  Vgl.  ferner  die  Auszüge  bei  Mart. 
a.  a.  O.  u.  a.  Das  Gebet  kommt  am  frühesten 
in  französischen  Sakramentaren  vor. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  719 

Im  typischen  Sinne  wurde  das  Meßgewand  auf  die  Kirche  als  das  Gewand 
Christi  gedeutet,  und  zwar  sah  man  in  seiner  vorderen  Hallte  die  Kirche  des  Alten 
Bundes,  in  seiner  hinteren  aber  die  des  Neuen  Bundes.  In  dem  Umstand,  dafä  die 
Kasel  ringsum  geschlossen  und  nirgends  aufgeschlitzt  war,  erkannte  man  ein  Bild  der 
Einheit  der  Kirche.  Im  späten  Mittelalter  galt  das  Gewand  allgemein  als  Abbild  des 
Purpurmantels,  den  die  Soldaten  nach  der  Dornenkrünung  dem  Heiland  umwarfen. 
Schon  Durandus  gedenkt  dieser  Deutung,  die  demnach  im  13.  Jahrhundert  aufgekommen 
sein  muß.  Berthold  von  Regensburg  erklärt  die  Kasel  als  Sinnbild  der  „großen  und 
ganzen  minne,  die  unser  herre  zuo  de  menschen  hat"  *. 

IV.    DIE  SYMBOLIK  DER  BISCHÖFLICHEN  ORNATSTÜCKE. 

Auch  die  spezifischen  Pontifikalgewänder,  die  Mitra,  die  Handschuhe, 
die  pontifikale  Fußbekleidung,  das  Subcinctorium  und  das  Pallium,  haben 
mannigfaltige  Ausdeutungen  erfahren,  wenngleich  nicht  in  dem  Maße  wie  die 
Bestandteile  der  priesterlichen  Kleidung.  Obendrein  beschäftigen  sich  die 
Liturgiker  seit  Durandus  kaum  mehr  mit  der  Darlegung  ihrer  Symbolik.  Die 
liturgischen  Schriften  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  behandeln  in  der  Regel 
nur  die  Symbolik  der  priesterlichen  Gewandung. 

Der  erste  unter  den  Liturgikern,  welcher  die  Mitra  mystisch  deutet,  ist  Bruno 
von  Segni.  Weil  aus  Linnen  gemacht,  ist  sie  für  ihn  Sinnbild  der  Keuschheit ;  weil 
das  Haupt  des  Bischofs  deckend,  wird  sie  von  ihm  als  Mahnung  betrachtet,  die  Sinne 
zu  bewachen.  Honorius  fügt  der  Auslegung  Brunos  die  Deutung  auf  Christus  und 
die  Kirche  hinzu.  Christus  ist  das  Haupt,  der  Bischof  der  Stellvertreter  Christi, 
die  Kirche  die  Mitra.  Eine  Mitra,  sagt  Honorius,  umgibt  das  Haupt  des  Bischofs, 
wenn  die  in  der  Taufe  gereinigte  und.  durch  gute  Werke  strahlende  Kirche  Christus 
in  seinen  mannigfaltigen  Leiden  im  Hinblick  auf  die  Krone  der  Herrlichkeit  nach- 
ahmt, wenn  die  Gläubigen,  durch  des  Bischofs  Unterweisung  erleuchtet,  der  bischöf- 
lichen Würde  den  Tribut  ihrer  Verehrung  zollen,  wenn  Klerus  und  Volk  sich  um  ihn 
als  ihren  Hirten  scharen.  Von  Hörnern  der  Mitra  gibt  weder  Bruno  noch  Honorius 
eine  mystische   Erklärung.     Begreiflich,  da  beide  solche  noch  nicht  kennen  konnten. 

Die  früheste  Symbolik  der  Hörner  findet  sich  in  Übereinstimmung  mit  der  Ent- 
wicklung der  Mitra  bei  Robert  Paululus,  im  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  und  im 
Tractatus  de  sacramento  altaris.  Sie  werden  hier  auf  die  beiden  Testamente  aus- 
gelegt, eine  Deutung,  die  in  der  Folge  auch  in  die  liturgischen  Gebete  überging.  „Des 
Bischofs  gehörnte  Mitra",  sagt  das  Speculum,  „stellt  die  beiden  Testamente  dar, 
mittels  deren  er  der  Kirche  Feinde  besiegen  muß."  Ähnlich  drücken  sich  Robert 
Paululus,  der  irrig  Stephan  von  Bauge  zugeschriebene  Tractatus  de  sacramento  altaris  2, 
Sicard  von  Cremona  und  Innozenz  III.  aus. 

Sehr  weitläufig  erörtert  Durandus  die  Bedeutung  der  Mitra.  Die  cornua  be- 
trachtet er  als  Sinnbilder  der  beiden  Hauptgebote  der  Gottes-  und  Nächstenliebe,  aber 
auch  als  Symbole  des  Alten  und  Neuen  Bundes,  mit  welchen  ja  der  Bischof  durchaus 
vertraut  sein  müsse.  Den  circulus  des  Ornatstückes,  welcher  dessen  beide  Hälften 
umschließt,  deutet  er  auf  den  scriba  doctus  in  regno  coelorum,  qui  profert  de  the- 
sauro  suo  nova  et  vetera,  d.  i.  auf  den  Bischof  selbst,  der  aus  den  Schätzen  beider 
Testamente  zu  Nutz  und  Frommen  seiner  Herde  hervorlangen  soll.  In  den  Streifen, 
die  von  der  pontifikalen  Kopfbedeckung  herabhangen,  sieht  Durandus,  indem  er  an 
seiner  Auslegung  weiterspinnt,  Geist  und  Buchstaben,  d.  i.  das  mystische  und  das 
historische  Verständnis  der  Heiligen  Schrift.  Die  fasciae  sind  mit  roten  Fransen  an 
den  Enden  versehen,   um  die  Bereitwilligkeit   des  Bischofs    anzudeuten,    Glauben  und 


1  Wakernagel,  Altdeutsche  Predigten,  ben,  wie  das  Speculum  Hugo  von  St  Victor 
Basel  1876,  70.  fcall41).    Weder  der  eine  noch  der  andere 

2  Der  Tractatus  wird  mit  dem  gleichen  Un-  konnte  von  Hörnern  der  Mitra  reden,  wie  es 
recht  Stephan  von  Bange  (f  1136)  zugeschrie-  doch  in  beiden  Schriften  geschieht. 


720       Fünftel-  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Schrift  selbst  mit  seinem  Blut  zu  verteidigen.  Sie  hangen  über  die  Schultern  herab, 
mit  denen  man  die  Lasten  trägt,  weil  sie  den  Pontifex  darauf  hinweisen  sollen,  das 
in  die  Tat  umzusetzen,  was  er  mit  dem  Munde  predigt '.  Auf  Christus  gedeutet ,  be- 
zeichnet die  Mitra  nach  dem  Rationale  die  Vei-herrlichung  und  Glorie  der  heiligen 
Menschheit  Christi,  eine  Symbolik,  die  Sicard  und  Innozenz  III.  entlehnt  ist;  doch 
wurde  der  pontifikale  Kopfschmuck,  wie  Durandus  mitteilt,  von  einigen  auch  wohl 
als  Sinnbild  der  Dornenkrone  Christi  hingestellt. 

Ein  Gebet  scheint  nur  sehr  selten  beim  Aufsetzen  der  Mitra  gesprochen  worden 
zu  sein.  Wir  haben  ein  solches  bisher  nur  in  zwei  mittelalterlichen  Handschriften  ge- 
funden 2.  Es  lautet  beide  Male:  „Setze  auf,  o  Herr,  die  Mitra  als  Helm  des  Heiles 
auf  mein  Haupt,  damit  ich  gegen  des  alten  Feindes  und  aller  Gegner  Nachstellungen 
geschirmt  sei. "  Es  ist  das  gleiche  Gebet,  welches  der  Bischof  heute  beim  Aufsetzen  der 
Mitra  zu  sprechen  pflegt.  In  dem  erst  im  14.  bis  15.  Jahrhundert  entstandenen  Gebete, 
unter  welchem  dem  neugeweihten  Bischof  die  Mitra  aufgesetzt  wird,  erscheint  diese 
gleichfalls  als  Helm  des  Heiles;  doch  ist  darin  auch  die  Symbolik  aufgenommen, 
welche  die  liturgischen  Schriften  seit  Ausgang  des  12.  Jahrhunderts  mit  den  beiden 
cornua  der  Mitra  verbanden. 

Von  den  Deutungen,  welche  die  Liturgiker  seit  dem  Beginn  des  12.  Jahr- 
hunderts den  Pontifikalh  and  schuhen  angedeihen  lassen,  ist  diejenige  am  ein- 
fachsten, natürlichsten  und  ansprechendsten,  welche  sich  bei  Bruno  von  Segni  findet: 
,Du  fragst,  warum  die  Hände  (des  Bischofs)  mit  Handschuhen  bekleidet  werden? 
Nun,  ich  antworte  kurz  und  bündig:  auf  daß  sie  rein,  sauber,  von  allem  Schmutze 
frei  und  lauter  seien."  Schön  ist  indessen  auch  eine  andere  mehrfach  wiederkehrende 
Auslegung.  Sie  knüpft  an  die  Auffassung  an,  wonach  die  Hände  das  Sinnbild  der 
guten  Werke  sind.  Die  chirothecae  mahnen  ihr  zufolge  den  Bischof,  er  möge,  wie 
er  bald  die  Hände  mit  den  Handschuhen  verhüllt,  bald  wieder  entblößt,  so  auch  die 
guten  Werke  bald  der  Demut  halber  im  verborgenen,  bald  des  guten  Beispiels  wegen 
in  der  Öffentlichkeit  üben  3.  Durandus  sieht  in  Anlehnung  an  diese  Deutung  in  den 
Handschuhen  das  Symbol  jener  Behutsamkeit,  kraft  deren  man  es  sich  angelegen  sein 
läßt,  die  guten  Werke  in  demütiger  Gesinnung  zu  verrichten,  auf  daß  sie  auch  dann, 
wenn  sie  öffentlich  geschehen  müssen,  wenigstens  was  die  Absicht  anlangt,  gleichsam 
im  verborgenen  bleiben  *.  Nach  dem  Speculum  erinnern  die  Handschuhe  an  die  Taten 
der  Heiligen,  die  der  Bischof  in  seinen  Werken  zum  Vorbild  nehmen  muß.  Zugleich 
sollen  sie  diesen  auffordern,  sein  Tun  von  aller  Makel  frei  zu  halten  6. 

Der  erste,  welcher  die  Pontifikalhandschuhe  auf  Christus  deutet,  ist  Innozenz  III. 
Er  vergleicht  sie  mit  den  Ziegenfellchen,  mit  denen  ßebekka  die  Hände  Jakobs  um- 
gab, und  betrachtet  sie  wie  diese  als  Sinnbilder  der  sündenähnlichen  Menschennatur, 
mit  welcher  der  Gottessohn  durch  die  Kraft  des  Heiligen  Geistes  bekleidet  ward". 

In  dem  Gebete,  welches  der  Bischof  nach  der  Anweisung  der  Missa  Illyrica 
bei  Anlegung  der  Handschuhe  verrichten  soll,  fleht  derselbe,  Gott  möge  ihn  mit  dem 
Gewände  der  Gerechtigkeit  und  Freude  umkleiden ,  auf  daß  er  verdiene,  mit  reiner 
Seele  vor  sein  Angesicht  zu  treten 7.  Das  Ornatstück  erscheint  hier  als  Sinnbild 
der  Herzensreinheit,  welche  den  christlichen  Hohenpriester  schmücken  muß,  wenn 
er  sich  zum  heiligen  Opfer  anschickt.  Eine  ähnliche  Anschauung  begegnet  uns  in 
den  Worten ,  welche  der  Bischof  nach  dem  Sakramental-  von  Corbie  zu  sprechen 
hatte,  wenn  ihm  der  Minister  die  Handschuhe  überreichte 8,  nur  daß  diese  hier  im 
Sinne  Brunos  von  Segni   auf  die  Reinheit    der  Hände   gedeutet   werden.     Die  beiden 


1  Gewisse   Häretiker  verglichen,  wie  Du-  6  C.  6  (M.  177,  354). 

randus  (Rationale  1.  3,  c.  13;  f.  75)  erzählt,  G  Die    Auslegung    der    Bockfellcheu ,    mit 

den  Bischof,  dessen  Haupt  die  Mitra  schmücke,  denen  Jakobs  Hände  umkleidet  wurden,   auf 

mit   der   zweihijrnigen    Bestie,    von    welcher  die  sündenbeladene  Menschcnnatur  findet  sich 

Offb  13,  11  die  Rede  ist.  schon  beim  hl.  Augustinus  (De  mendacio 

"-  Vat.  lat.  4730  und  Vat.  Ottob.  27.  c.  10,  n.  24  [M.  40,  534]). 

3  So  Honorius  u.  a.  7  Mart.  I.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  4;  I  177. 

4  Rationale  1.  3,  c.  13;  f.  75.  8  Ebd.  ordo  11;  I  203. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  721 

Gebete  bieten  die  älteste  Symbolik  der  pontifikalen  chirothecae.  Ein  Pontifikale  des 
15.  Jahrhunderts  sieht  in  den  Handschuhen  das  Sinnbild  einer  reinen  Meinung,  wenn 
es  den  Bischof  beim  Anziehen  derselben  beten  heißt :  „Beschirme  mit  den  Hand- 
schuhen einer  reinen  Meinung  mein  Wirken,  auf  daß  ich  dir,  allmächtiger  Gott,  nach 
Willen  und  Tat  gefalle."  ' 

Das  Gebet,  welches  nach  älteren  Pontifikalien  gesprochen  wurde,  während  der 
Archidiakon  in  Gegenwart  zweier  Bischöfe,  der  Mitkonsekratoren,  und  unter  Beihilfe 
der  Subdiakonen  den  Konsekranden  mit  den  Pontifikalhandschuhen  ausstattete,  lautet : 
„Allmächtiger,  mildreichster  Gott,  wir  bitten  deine  unermeßliche  Güte,  du  wollest  die 
Hände  dieses  deines  Dieners,  unseres  Mitbruders,  so  wie  sie  äußerlich  mit  diesen  Hand- 
schuhen umhüllt  werden,  innerlich  mit  deines  Segens  Tau  besprengen,  auf  daß,  was 
sie  immer  zu  segnen  oder  zu  weihen  haben,  durch  dich  gesegnet  und  geweiht  werde."  2 
Die  Handschuhe  erscheinen  in  ihm  als  Sinnbild  der  übernatürlichen  Segenskraft  des 
Bischofs,  eine  Deutung,  welche  sich  bei  den  Liturgikern  des  12.  und  13.  Jahrhunderts 
nirgends  findet.  Das  Gebet,  welches  der  Konsekrator  nach  Pontifikalien  des  späten 
Mittelalters  bei  jener  Zeremonie  sprechen  mußte,  schließt  sich  der  Symbolik  an,  welche 
Innozenz  III.  mit  den  Handschuhen  verknüpft.  Es  ist  dasselbe,  welches  noch  jetzt 
nach  dem  römischen  Pontifikale  bei  der  Bischofsweihe  gebetet  und  auch  bei  dem 
Pontifikalamt   vom  Bischof  während  des  Anziehens   der  Handschuhe   verrichtet  wird. 

Von  der  mystischen  Bedeutung  der  C  a  1  i  g  a  e  handeln  die  mittelalterlichen  Litur- 
giker  nur  wenig.  Nach  Amalar  versinnbildet  die  linnene  Umhüllung  des  Fußes 
die  Zucht  der  Füße,  kraft  deren  diese  gehindert  werden,  zum  Bösen  zu  eilen.  Ivo 
von  Chartres  sieht  in  den  aus  weißem  Byssus  oder  Linnen  angefertigten  Caligae  eine 
Mahnung  für  den  Träger,  den  rechten  Weg  zu  wandeln.  Den  Umstand,  daß  die 
Strümpfe  am  Knie  mit  Bändern  befestigt  wurden,  betrachtet  er  als  eine  Auffor- 
derung an  den  Bischof,  die  etwa  durch  allerlei  Nachlässigkeiten  geschwächten  Knie 
zu  stärken  und  so  zur  Verkündigung  des  Evangeliums  zu  eilen.  Auch  dem  Speculum 
zufolge  symbolisiert  die  Anlegung  der  Pontifikalstrümpfe  die  Vorbereitung  auf  die  Reise 
zur  Predigt  des  Wortes  Gottes ;  nach  Sicard  sind  die  Caligae  ein  Bild  der  Beinheit 
des  Wandels,    die  den  Boden  des  Heiles  zieren  muß. 

Wenn  die  Liturgiker  die  Caligae  auf  die  Makellosigkeit  des  Lebens  deuten,  so 
tun  sie  das  mit  Rücksicht  auf  deren  weiße  Farbe.  Wenn  sie  aber  in  der  Auslegung 
derselben  auf  das  Predigtamt  des  Bischofs  Bezug  nehmen,  so  hängt  das  mit  dem  Um- 
stand zusammen,  daß  die  Caligae  als  Beigabe  und  als  Zubehör  zu  den  Pontifikal- 
schuhen  galten,  die  letzteren  aber  seit  dem  9.  Jahrhundert  von  den  Liturgikern  stets 
und  allgemein  als  Hinweis  auf  die  Verkündigung  des  Wortes  Gottes  angesehen  wurden. 
Hraban  ist  der  erste,  welcher  im  Anschluß  an  Bedas  Erklärung  zu  Mk  6,  9  die 
Sandalen  auf  die  Predigttätigkeit  bezieht. 

Ihm  ist  der  Fuß,  welcher  den  Glaubensboten  hinausträgt,  Sinnbild  des  Evan- 
geliums, welches  gepredigt  wird.  Daher  sollen  die  oben  offenen,  nach  dem  Boden  zu 
mit  fester  Sohle  versehenen  pontifikalen  Schuhe  andeuten,  erstens  ut  nee  oecultetur 
evangelium,  nee  terrenis  commodis  initatur,  daß  also  das  Wort  Gottes  nicht  unter 
dem  Scheffel  bleiben  und  anderseits  der  Prediger  sich  ebensowenig  von  zeitlichen 
Vorteilen  bei  Ausübung  seiner  hohen  Aufgabe  leiten  lassen  dürfe ;  zweitens  daß  der 
Bote  Gottes  die  Wahrheiten  des  Evangeliums  teils  unerschlossen  lassen,  teils  offen 
verkünden  müsse,  damit  die  gläubigen  und  frommen  Seelen  im  Glauben  hinreichend 
unterrichtet  seien,  die  Ungläubigen  und  Spötter  aber  keinen  Stoff  zu  ihren  Lästerungen 
hätten.  Mit  andern  Worten :  Hraban  sieht  in  den  Sandalen  die  Mahnung  zu  eifriger, 
uneigennütziger  und  umsichtiger  Verwaltung  des  mit  den  priesterlichen  Funktionen 
innig  zusammenhängenden  Predigtamtes. 

Weit  eingehender  als  Hraban  behandelt  Amalar  die  Pontifikalschuhe ;  ja  es  ist, 
als  ob  dieser  bei  ihnen  mehr  noch  wie  bei  allen  andern  liturgischen  Gewändern  seinen 


1  Vat.  lat.   1145.  2  Hitt.  109.     Vgl.  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  11,  ordo  16;  II  82. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  46 


722       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Scharfsinn  und  seine  Deutungsgabe  spielen  lasse ,  damit  nur  gar  nichts  unaus- 
gelegt  bleibe. 

Die  Sandalen  erinnern  nach  Ahialär  den  Prediger  daran,  daß  er  zur  Verkündigung 
des  Wortes  Gottes  umherziehen  müsse.  Die  Sohle  ermahne  ihn,  sich  nicht  in  irdische 
Angelegenheiten  zu  verwickeln,  das  weiße  Leder  zwischen  Fuß  und  Sohle  aber  weise 
ihn  darauf  hin,  daß  dieses  Fernhalten  von  der  Welt  aufrichtig  und  ernst  gemeint  sein 
müsse.  Die  Kappe  der  Sandale  stellt  nach  Amalar  die  Zunge  derjenigen  dar,  welche 
dem  Prediger  ein  gutes  Leumundszeugnis  zu  geben  haben,  das  Vorderleder  dagegen  die 
Zunge  der  geistlich  gesinnten  Männer,  welche  den  Prediger  ins  Predigtamt  einführen. 
Das  weiße  Leder,  womit  die  Sandalen  inwendig  gefüttert  waren,  soll  die  reine  Absicht 
des  Heilsboten  bezeichnen,  die  schwarze  Farbe  des  Äußern  aber  zum  Ausdruck  bringen, 
daß  den  Weltmenschen  das  Leben  der  Prediger  wegen  der  vielen  Bedrängnisse  dieser 
Welt  verächtlich  vorkomme.  Außen-  und  Innenleder  sind  an  den  Rändern  mit  vielen 
Fäden  vernäht,  um  anzuzeigen,  daß  beim  Verkündiger  des  Wortes  Gottes  die  äußeren 
Werke  und  der  innere  Tugendglanz  in  Einklang  stehen  müssen.  Das  Vorderleder  kann 
man  nach  Amalar  auch  als  Sinnbild  der  eigenen  Zunge  des  Predigers  auffassen; 
dann  mag  der  mittlere  Streifen  desselben  die  evangelische  Vollkommenheit,  den  Gegen- 
stand der  Predigt,  bedeuten,  während  die  Streifen,  welche  von  den  Seiten  zur  Mitte 
hin  laufen,  als  Symbol  des  Gesetzes  und  der  Propheten,  deren  Ziel  und  Ende  das 
Evangelium  ist,  betrachtet  werden  können.  Unter  den  Riemen,  die  mit  der  Hand 
zum  Zwecke  der  Bindung  hierhin  und  dorthin  geführt  werden,  meint  Amalar,  lasse 
sich  die  Arbeit  verstehen ,  die  Paulus  zur  Verkündigung  des  Evangeliums  hinzu  auf 
sich  nahm,  um  seinen  Lebensunterhalt  zu  verdienen.  „Mit  sicherem  Schritt  zieht  der 
Prediger  einher,  welcher  niemand  zur  Last  fällt."    So  ähnlich  der  Metz  er  Chorbischof. 

Was  Amalar  in  der  Deutung  der  Sandalen  vorgebracht,  taucht  seitdem  immer 
wieder  bald  in  etwas  vereinfachter,  bald  in  teilweise  erweiterter  Form  bis  auf  Duran- 
dus  bei  den  Liturgikern  auf.  Auch  in  den  Worten,  welche  der  Bischof  nach  den 
mittelalterlichen  Sakramentaren  bei  Anlegung  der  Sandalen  zu  sprechen  hatte,  wird 
die  pontifikale  Beschuhung  auf  die  Verkündigung  des  Evangeliums  ausgelegt.  Das 
gleiche  geschieht  in  dem  Gebete,  unter  welchem  nach  einzelnen  alten  Weiheordines 
die  assistierenden  Bischöfe  den  Electus  mit  den  Pontilikalschuhen  bekleideten. 

Den  Grund  zu  dieser  Symbolik  bilden ,  wie  aus  Hraban  hervorgeht,  die  zwei 
Stellen  in  dem  Evangelium  des  hl.  Markus  und  dem  Briefe  des  Apostels  an  die 
Ephesier.  Nach  jener  (6,  9)  sandte  der  Herr  die  Apostel  aus  zur  Predigt  des  Reiches 
Gottes  „mit  Sandalen  beschuht".  Im  6.  Kapitel  des  Ephesierbriefes  aber  schildert 
der  hl.  Paulus  die  Waffenrüstung  des  Christen  und  mahnt  dabei  die  Gläubigen,  unter 
anderem  auch  „an  den  Füßen  beschuht  zu  sein  mit  der  Bereitung  des  Friedensevan- 
geliums". 

Gebete,  die  man  beim  Anschuhen  der  Pontifikalsandalen  sprach,  kommen  übrigens 
in  den  Sakramentaren  und  Pontifikalien  verhältnismäßig  nur  selten  vor.  Es  scheint 
das  Gewöhnlichere  gewesen  zu  sein ,  daß  man  das  Anlegen  der  liturgischen  Be- 
schuhung während  der  Vorbereitungsgebete  auf  die  Messe  vornahm.  Sicher  war  es 
so  im  15.  Jahrhundert  zu  Rom  Brauch,  wie  ein  Pontifikale  der  Vatikanischen  Biblio- 
thek ausdrücklich  angibt  '.  Daß  es  aber  auch  anderswo  so  gehalten  wurde,  ergibt 
sich  z.  B.  aus  einem  Minoritenmissale  -.  Natürlich  war ,  wo  diese  Sitte  bestand,  ein 
besonderes  Anlegegebet  überflüssig ,  ja  nicht  einmal  am  Platz .  Am  häufigsten 
stoßen  wir  auf  das  Gebet,  welches  auch  jetzt  noch  beim  Anziehen  der  liturgischen 
Fußbekleidung  gesprochen  wird  3.  Daneben  finden  sich  aber  auch  einige  andere  von 
allgemeinerer  Fassung,  wie  z.  B. :  „Mit  den  Sandalen  deines  Schutzes  beschirme,  o  Herr, 
meine  Füße,    daß   ich  nach  der  Heiligen  Beispiel  würdig  deine  Geheimnisse  feiere."  * 


1  Vat.   lat.  1145:    Melius  tarnen  est,  quod  2  Vat.  lat.  4743.   Vgl.  auch  Vat.  lat.  9340 

calcietur,    dum   dicit  psalmos,    ut   citius  ex-  (Pontifikale  von  Monte  Cassino). 

pediatur,  et  sie   fit  in  curia  romana,  et  tunc  *  Siebe  oben  S.  385. 

nihil  aliud  dicit  pontifex,  dum  calciatur.  '  Vat.  lat.  1145. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  723 

Die  Worte,  welche  beim  Anziehen  der  Sandalen  gesprochen  wurden,  galten  in 
der  Regel  auch  für  die  Caligae,  also  für  die  ganze  Fußbekleidung,  gerade  wie  gegen- 
wärtig. Nur  selten  findet  sich  ein  besonderes  Gebet  für  die  Pontifikalstrümpfe  an- 
gegeben. So  soll  z.  B.  nach  zwei  Pontifikalien  der  Vaticana  der  Bischof  beim  An- 
ziehen derselben  flehen:  „Ziehe  mir  an,  o  Herr,  die  Caligae  der  Freude  und  stärke 
meine  schwachen  Knie,  auf  daß  ich,  ohne  zu  ermüden,  auf  dem  Weg  deiner  Gebote 
zu  dir  gelangen  möge."  '  Das  Gebet  erinnert  an  die  Symbolik,  welche  Ivo  von  Chartres 
mit  den  Caligae  verbindet.  Typisch  aufgefaßt  sind  die  Pontifikalschuhe  nach  Eupert 
von  Deutz  wie  der  Amikt  ein  Sinnbild  der  heiligen  Menschheit  Christi ,  wobei  ins- 
besondere das  Bindwerk  auf  die  geheimnisvolle  Einigung  der  beiden  Naturen  hin- 
weist. Durandus  sieht  näher  in  den  Caligae  das  heilige  Fleisch  des  Erlösers,  in  den 
Sandalen  seine  heilige  Seele  symbolisiert. 

Dem  päpstlichen  F  a  n  o  scheint  eine  besondere  Symbolik  nicht  beigelegt  worden 
zu  sein.  Wenn  Innozenz  III.  und  Durandus  seiner  Erwähnung  tun,  so  geschieht  es 
bloß,  um  ihn  als  päpstliches  Sondergewand  zu  bezeichnen,  nicht  aber,  um  daran 
irgend  eine  symbolische  Erörterung  zu  knüpfen. 

Dagegen  ist  das  Subcinctorium,  das  ja  auch  ein  allgemeiner  gebräuchliches 
Ornatstück  war,  mehrfach  mystisch  gedeutet  worden.  Nach  Robert  Paululus  und 
Honorius  sinnbildet  es  den  Eifer  im  Almosenspenden,  wobei  dieses  jedoch  im  weiteren 
Sinne  zu  fassen  ist.  Der  eine  Streifen  soll  den  Träger  des  Subcinctorium  ermahnen, 
durch  Vermeidung  der  Sünde  an  der  eigenen  Seele  Erbarmen  zu  üben;  der  andere 
dem  Nächsten  durch  Hilfe  in  dessen  Nöten  Barmherzigkeit  zu  erweisen.  Bruno  von 
Segni  und  Innozenz  III.  sehen  in  dem  Ornatstück  einen  Hinweis  auf  Gebet  und 
Fasten  als  die  beiden  zur  Bewahrung  der  Keuschheit  so  notwendigen  Mittel.  Für 
Durandus  bedeutet  das  Subcinctorium  wie  das  Cingulum  die  Keuschheit.  Während 
letzteres  jedoch  die  castitas  mentis  symbolisiere ,  sei  ersteres  Sinnbild  der  castitas 
corporis,  daher  es  denn  auch  an  der  linken,  der  minder  ehrenvollen  Seite  aufgehängt 
werde;  die  geistige  Keuschheit  stehe  ja  höher  und  sei  vorzüglicher   als  die  leibliche. 

Das  ist  in  der  Hauptsache  die  Symbolik,  welche  die  Liturgiker  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  mit  dem  Subcinctorium  verbanden.  Ein  Gebet  dürfte  man  im  Mittel- 
alter bei  Anlegung  desselben  nur  selten  gesprochen  haben,  wahrscheinlich,  weil  man 
es  gewöhnlich  zugleich  mit  dem  Cingulum  anlegte.  Die  Missa  Illyrica  läßt  den  Bischof 
bei  Annahme  des  praecinctorium  flehen:  „Umgürte  mich,  o  Herr,  mit  Kraft  und 
mache  makellos  meinen  Wandel."  Nach  dem  Sakramental-  von  Corbie  soll  der  Pon- 
tifex,  wenn  ihm  der  Minister  das  Subcinctorium  reicht,  beten:  „Ich  bitte  dich,  höchster 
Gott  der  Heerscharen,  heiliger  Vater,  du  wollest  mir  gnädigst  Keuschheit  angürten 
und  meine  Lenden  mit  dem  balteus  deiner  Furcht  umgeben  und  meine  Nieren  mit 
dem  Feuer  deiner  Liebe  ausbrennen,  auf  daß  ich  um  Verzeihung  meiner  Sünden  dich 
anzuflehen,  für  des  umstehenden  Volkes  Vergehen  Nachlaß  zu  verdienen  und  frieden- 
bringende Opfergaben  für  alle  einzelnen  darzubringen  vermag."  -  Das  Gebet  im  Ponti- 
fikale  von  Cambrai  (ad  balteum)  hat  beinahe  denselben  Wortlaut  wie  dasjenige  des 
Corbieer  Sakramentars.  Die  Symbolik,  welche  in  diesen  Gebeten  zum  Ausdruck 
kommt,  ist  die  gleiche,  welche  mit  dem  Cingulum  verknüpft  zu  werden  pflegte.  An- 
gesichts der  Bedeutung,  welche  man  im  Mittelalter  mit  dem  Subcinctorium  verband, 
versteht  man,  weshalb  der  hl.  Karl  Borromäus  bestimmt,  der  Bischof  solle  ein  Sub- 
cinctorium haben  pro  ratione  mysterii,  um  seines  mystischen  Sinnes  willen. 

Von  der  offiziellen  Symbolik  des  Palliums  mußte  schon  früher  geredet  werden. 
Hier  kann  es  sich  also  bloß  um  die  mystische  Betrachtung  handeln,  welche  die  Litur- 
giker zur  Karolingerzeit  sowie  im  12.  und  13.  Jahrhundert  dem  über  alle  andern 
hervorragenden  Ornatstück  haben  zu  teil  werden  lassen. 

'  Ebd.  4730  und  Vat.  Ottob.  27  ;  ein  ahn-  castigare  digneris  accingere  et  meos  lumbos 

liches  Gebet  in  Vat.  lat.   1145.  balteo  tui  timoris  ambire.     Castigare  ist  ein 

2  Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  11  ;  I  203.  Schreibfehler   für   castitate ,  wie    aus   einem 

Hier    lautet,  wie    im  Original    (Bibl.  Nat.  f.  Vergleich    mit    der    ursprünglichen    Vorlage 

lat.   12  052),  das  Gebet:  Rogo  te  .  .  .  ut  nie  erhellt. 

46* 


724       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik.  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Bei  Hraban,  Amalar  und  Pseudo-Alkuin  halten  sich  die  diesbezüglichen  Aus- 
führungen noch  in  mäßigen  Grenzen.  Es  war  ja  auch  das  Pallium  noch  nicht  offi- 
zielles Symbol  der  plenitudo  pontificalis  officii.  Im  12.  Jahrhundert  war  das  jedoch 
anders  geworden ,  und  darum  sehen  wir  denn  auch  die  späteren  Liturgiker  sich  ein- 
gehender mit  der  mystischen  Auslegung  des  Ornatstückes  beschäftigen.  Bald  beziehen 
sie  es  auf  das  Leiden  Christi,  das  der  Inhaber  des  Gewandes  durch  Wort  und  Bei- 
spiel predigen  müsse,  bald  moralisch  auf  die  Zucht,  mit  welcher  der  Erzbischof  sich  selbst 
und  die  Untergebenen  zu  regieren  habe.  Veranlassung  zur  Deutung  auf  Christi  Leiden 
boten  die  dem  Pallium  aufgenähten  purpurnen  Kreuze.  Es  ist  nicht  möglich,  auf 
alle  diese  mystischen  Betrachtungen  einzugehen.  Es  muß  zu  ihrer  Charakterisierung 
genügen,  als  Beispiel  die  Erörterungen  anzuführen,  welche  Innozenz  III.  über  die  Be- 
deutung des  Palliums  anstellt.  Das  Pallium  symbolisiert  nach  ihm  die  Zucht,  in 
welcher  der  Träger  sich  selbst  und  seine  Untergebenen  halten  soll.  Die  Wolle,  aus 
der  das  Gewandstück  gemacht  ist,  erinnert  daran,  daß  es  ihm  nicht  an  Strenge, 
die  weiße  Farbe  desselben ,  daß  es  ihm  aber  auch  nicht  an  Milde  fehlen  dürfe. 
Eben  um  des  letzteren  Umstandes  willen  werde  es  ja  auch  nicht  aus  dem  Haar  jedes 
beliebigen  Tieres,  sondern  aus  dem  des  sanftmütigen  Lammes  gemacht.  Der  sich  um 
die  Schultern  ziehende  Ring  des  Palliums  sinnbildet  nach  Innozenz  die  Furcht  des 
Herrn,  welche  vom  Unerlaubten  abhält  und  im  Überfluß  zum  Maßhalten  führt.  Die 
vier  Kreuze  vorn,  hinten  und  auf  den  Schultern  legt  er  auf  die  vier  Kardinaltugenden 
aus;  ihre  Purpurfarbe  soll  darauf  hinweisen,  daß  diese  Tugenden  gleichsam  in  Christi 
Blut  gerötet ,  d.  h.  verübernatürlicht  werden  müssen,  falls  sie  wahre  Tugenden  sein 
und  zur  ewigen  Seligkeit  führen  sollen.  In  den  beiden  Streifen,  die  vom  Ring  herab- 
hangen, sieht  Innozenz  das  tätige  und  das  beschauliche  Leben,  dessen  sich  der  Träger 
des  Palliums  befleißigen  soll.  Beide  ziehen  sich  nach  unten,  weil  der  Leib  die  Seele 
gleichsam  beschwert  und  zur  Erde  niederdrückt.  Auf  der  linken  Schulter  ist  das 
Pallium  gedoppelt,  weil  das  Leben  hienieden,  das  durch  die  linke  Seite  versinnbildet 
wird,  voll  ist  von  Mühsalen ;  auf  der  rechten  ist  es  dagegen  einfach,  um  anzudeuten, 
daß  das  zukünftige,  dessen  Bild  die  rechte  Seite  darstellt,  nur  Ruhe  und  Friede  ist. 
Doppelt  ist  es  ferner  auf  der  Linken,  weil  sein  Träger  stark  sein  muß,  um  die 
Widerwärtigkeiten  dieses  Lebens  zu  ertragen ;  einfach  auf  der  Rechten,  weil  er  mit 
allem  Verlangen  nach  dem  Himmel  seufzen  soll.  Die  drei  Nadeln,  welche  dem  Pallium 
vor  der  Brust,  auf  der  linken  Schulter  und  im  Rücken  angeheftet  sind,  bezeichnen 
das  Mitleid  mit  dem  Nächsten,  die  Verwaltung  des  Amtes  und  das  zukünftige  strenge 
Gericht.  Denn  das  sind  drei  Dinge,  welche  die  Seele  stechen ,  das  erste  durch  das 
Mitgefühl,  das  zweite  durch  die  Mühe,  das  dritte  durch  die  Furcht.  Daß  auf  der 
rechten  Schulter  die  Nadel  fehlt,  besagt,  daß  es  im  Himmel  keinen  Stachel  der 
Betrübnis  gibt.  Daß  die  Nadel  unten  zwar  spitz,  oben  aber  abgerundet  ist ,  soll 
daran  erinnern,  daß  der  gute  Seelenhirt  auf  Erden  in  der  Sorge  um  seine  Herde 
allerdings  viele  Plagen  hat,  daß  er  dafür  aber  auch  einst  im  Himmel  gekrönt  und 
jene  kostbare  Perle  besitzen  wird,  von  welcher  der  Herr  im  Evangelium  redet. 

Die  Ausführungen  Innozenz'  III.  zeigen  zur  Genüge,  in  welcher  Weise  die  Litur- 
giker des  12.  und  13.  Jahrhunderts  das  Pallium  symbolisch  auszulegen  pflegten.  In 
die  liturgischen  Bücher  haben  ihre  Deutungen  keinen  Eingang  gefunden.  Ein  Gebet 
bei  Anlegung  des  Palliums  zu  sprechen,  ist  nicht  Brauch  geworden. 

V.    DIE    SYMBOLISCHE    BEDEUTUNG    DES    SUPERPELLICEUM ,    DER 
LEVITENGEWÄNDER  UND  DES  PLUVIALE. 

Es  erübrigt  noch,  auf  die  Symbolik  des  Superpelliceum,  der  Leviten- 
gewänder, der  Dalmatik  und  der  Tunicella,  und  des  Pluviale  einzugehen. 
Sie  sind  nur  in  geringem  Maße  Gegenstand  mystischer  Auslegung  geworden. 
Am  meisten  haben  sich  die  Liturgiker  noch  mit  der  Dalmatik  beschäftigt. 
Ankleidegebete,  welche  die  genannten  Gewandstücke  sinnbildlich  deuten,  waren 
zum  Teil   gar  nicht,   zum  Teil   nur  in  sehr  beschränktem  Malü  in  Gebrauch. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder.  725 

Von  der  Symbolik  des  Superpelliceum  sagt  Durandus,  es  bezeichne  wegen 
seiner  Weiße  die  Keuschheit,  doch  bedeute  es  auch  die  Unschuld  überhaupt  und 
mahne  darum  seinen  dem  Dienste  Gottes  geweihten  Träger,  sich  alle  Tage  des 
Lebens  durch  schuldlosen  Wandel  hervorzutun.  Wegen  seiner  Weite  sinnbilde  es 
die  allumfassende  Liebe.  Über  die  profanen  Kleider  gezogen,  erinnere  es  daran, 
daß  die  Liebe  der  Sünden  Menge  bedeckt.  Endlich  symbolisiere  es,  weil  es  bei  aus- 
gebreiteten Ärmeln  Kreuzesgestalt  habe,  Christi  Kreuz  und  Leiden  und  ermahne  den- 
jenigen, der  mit  ihm  bekleidet  sei,  sich  selbst  mit  allen  Fehlern  und  allen  Gelüsten 
zu  kreuzigen.  Durandus'  Auslegungen  sind  ein  wenig  gesucht,  doch  ansprechend. 
Seine  Erfindung  sind  sie  aber  nicht.  Wir  finden  sie  schon  bei  Sicard ,  bei  Arno 
und  Gerhoh  von  Eeichersberg,  ja  schon  bei  Anselm  von  Havelberg. 

Die  Symbolik  der  Dalmatik  zeigt  von  der  Karolingerzeit  an  bis  auf  Durandus 
immer  wesentlich  dasselbe  Bild.  Hraban  legt  das  Gewand  mit  Bücksicht  darauf,  daß 
es  Kreuzesform  darstelle  und  vorn,  auf  dem  Bücken  und  an  den  Ärmelsäumen  mit 
roten  Streifen  besetzt  sei,  auf  das  Leiden  Christi  aus.  Er  findet  demgemäß  in  ihm 
für  den  Diener  Christi  die  Mahnung,  seines  hohen  Amtes  stets  zu  gedenken,  auf  daß  er, 
wenn  er  im  heiligen  Opfer  das  Gedächtnis  des  Leidens  des  Herrn  begehe,  selbst  dabei 
eine  Gott  wohlgefällige  Opfergabe  werde.  Amalar  deutet  das  Gewand  auf  die  Bein- 
heit  und  die  Liebe  zum  Nächsten,  welche  dem  Träger  desselben  eigen  sein  sollen.  Die 
weiße  Farbe  symbolisiere  die  Beinheit,  die  Purpurstreifen  und  Fransen ,  mit  denen 
die  Dalmatik  geschmückt  werde,  die  Liebe  zum  Nächsten.  Den  Umstand,  daß  sich 
diese  Streifen  sowohl  von  der  rechten  wie  von  der  linken  Schulter  herabzogen,  legt  der 
Metzer  Diakon  dahin  aus ,  daß  die  Liebe  zum  Nächsten  sich  im  Glück  (rechte 
Seite)  wie  im  Unglück  (linke  Seite)  bewähren  müsse.  Daß  die  Zierstreifen  auf  der 
Vorder-  und  Bückseite  des  Gewandes  angebracht  wurden,  versinnbildet  nach  Amalar, 
daß  das  Gebot  der  Liebe  im  Alten  wie  im  Neuen  Bunde  eingeschärft  werde.  Die 
Weite  der  Ärmel  solle  an  freudige  Freigebigkeit  beim  Spenden  gemahnen. 

Was  die  Folgezeit  an  Deutungen  der  Dalmatik  bringt,  bewegt  sich  im  ganzen 
im  Bahmen  der  Gedanken  und  Auffassungen  Hrabans  und  namentlich  Amalars.  Man 
vergleiche  z.  B.  nur,  was  Honorius,  Bobert  Paululus,  Sicard  und  Innozenz  III.  uns 
von  ihrer  Symbolik  erzählen.  Nirgends  findet  sich  etwas  Neues,  das  irgendwie  von 
Belang  wäre.  Nur  Bruno  von  Segni  geht  in  der  Deutung  des  Gewandes  seine  eigenen 
Wege,  wenn  er  dasselbe  als  Mahnung  auffaßt,  nach  dem  von  Leiden,  Sorgen  und 
Beschwerden  freien  Leben  im  Jenseits  zu  streben. 

Gebete,  die  beim  Anlegen  der  Dalmatik  gesprochen  wurden,  begegnen  uns 
nur  selten  in  den  liturgischen  Büchern  des  Mittelalters,  und  selbst  diese  wenigen 
sind  dem  Wortlaut  nach  sehr  verschieden,  ein  einziges  ausgenommen.  Dasselbe 
schließt  sich  an  die  Deutung  Hrabans  an  und  findet  sich  schon  in  der  sog. 
Missa  Illyrica.  Es  lautet:  „Mit  diesem  nach  dem  Vorbild  der  früheren  Väter  in 
Kreuzesform  gemachten  und  mit  Purpurstreifen  besetzten  Gewände  bekleidet,  bitte  ich 
demütig,  o  Herr,  daß  ich  dir  durch  die  Begehung  deines  Leidens  immerdar  wohl- 
gefällig sei.'  '  In  den  andern  Gebeten  erscheint  die  Dalmatik  als  Gewand  des 
Heiles,  der  Freude,  der  Gerechtigkeit  oder  als  Abbild  des  neuen  Menschen,  d.  i.  der 
übernatürlichen  Heiligkeit.  Der  Grund  für  diese  Symbolik  mag  bald  ihre  weiße  Farbe, 
bald  der  Umstand  gebildet  haben,  daß  sie  als  Feierkleid  galt.  Das  Gebet,  welches 
jetzt  der  Bischof  nach  dem  römischen  Missale  beim  Anziehen  des  Gewandes  zu  beten 
hat,  findet  sich  schon  in  einer  Praeparatio  ad  missam  der  Vaticana  aus  dem  14.  bis 
15.  Jahrhundert.  Wo  es  bei  der  Diakonatsweihe  üblich  war,  die  Anlegung  der  Dal- 
matik mit  einem  Gebete  zu  begleiten,  sprach  der  Bischof  meistens  entweder  ähnlich 
wie  jetzt:  „Es  bekleide  dich  der  Herr  mit  dem  Gewände  des  Heiles,  mit  dem  Kleid 
der  Freude  und  der  Dalmatik  der  Gerechtigkeit",  oder:  „Es  ziehe  der  Herr  dir  an  den 
neuen  Menschen,  der   nach  Gott   geschaffen   ist   in  Gerechtigkeit  und  wahrer  Heilig- 


Es  kommt  ferner  vor  in  Vat.  lat.  4746  und  Vat.  Ottob.  27:  abgekürzt  in  Vat.  lat.  1145. 


726       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

keit."1  Die  Symbolik  ist  in  diesen  Gebeten  die  gleiche  wie  in  den  vorhin  erwähnten 
Ankleidegebeten. 

Die  Tunika  hat  nur  wenige  Ausleger  gefunden.  Sie  wird  bald  auf  die  Tugenden 
gedeutet,  welche  die  Seele  des  Bischofs  schmücken  sollen,  bald,  weil  tief  herabfallend 
auf  die  Beharrlichkeit,  bald  endlich  auf  die  Gerechtigkeit,  die  wie  ein  Panzer  den 
Subdiakon  umgeben  soll.  Die  Ankleidegebete,  die  uns  hie  und  da  in  den  Pontifikalien 
begegnen,  lassen  die  Tunika,  ähnlich  wie  die  Dalmatik,  Symbol  des  Heiles,  der  Ge- 
rechtigkeit und  der  geistlichen  Freude  sein.  Eigenartig  ist  das  Gebet:  „Bekleide  mich, 
o  Herr,  mit  der  Strikta  (anderer  Name  für  Tunika)  der  Enthaltsamkeit  von  allem,  was 
mir  schadet,  auf  daß  ich  in  deinem  Dienste  beständig  verharre.'  '-  Es  klingt  an  die 
zweite  der  eben  angeführten  Deutungen  an. 

Wenn  der  Bischof  sich  bei  der  Subdiakonatsweihe  unter  der  Überreichung  der 
Tunika  eines  Gebetes  bediente,  pflegte  er  wohl  am  häufigsten  zu  sprechen :  „Mit  der 
Tunika  der  Wonne  und  dem  Gewand  der  Freude  bekleide  dich  der  Herr."  Es  sind  die 
Worte,  welche  heute  bei  dieser  Zeremonie  gebetet  werden.  Wir  treffen  sie  schon  bei  Sieard 
von  Cremona 3  und  in  einem  dem  12.  Jahrhundert  entstammenden  Pontifikale  von 
Besancon  4  an.  In  andern  Gebeten  erscheint  die  Tunika  als  Gewand  des  Heiles  und 
als  Kleid  der  Gerechtigkeit,  doch  auch  wohl  als  Tunika  der  Starkmut b. 

Das  Pluviale  findet  erst  spät  seine  Deutung,  weil  es  erst  spät  als  liturgisches 
Gewand  in  Gebrauch  kam.  Es  reicht  aus,  anzuführen,  was  Honorius  uns  von  seiner 
S3'mbolik  zu  sagen  weiß.  Das  Gewand  versinnbildet,  wie  dieser  uns  belehrt,  einen 
heiligen  Wandel.  Daß  es  bis  auf  die  Füße  geht,  legt  der  Liturgiker  auf  die  Be- 
harrlichkeit aus.  In  den  Fransen  am  Saume  des  Gewandes  sieht  er  die  Mühen, 
welche  mit  dem  Dienste  Gottes  verbunden  sind.  Daß  es  vorn  offen  ist,  will  bedeuten, 
daß  den  Dienern  Christi  zum  Lohn  für  ihren  heiligen  Lebenswandel  der  Himmel  offen 
steht.  In  der  Kapuze  endlich,  mit  der  die  Cappa  damals  noch  versehen  war,  findet 
Honorius  einen  Hinweis  auf  die  Himmelsfreude. 

Das  wäre  in  der  Hauptsache  die  mystische  Bedeutung,  welche  man  im 
Mittelalter  seit  den  Tagen  eines  Hraban  und  Amalar  den  liturgischen  Ge- 
wändern beizulegen  pflegte.  Wir  sagen:  in  der  Hauptsache;  denn  auf  alle 
Einzelheiten  einzugehen,  war  angesichts  des  zu  Gebote  stehenden  Raumes 
unmöglich.  Indessen  reicht  ja  auch  das  Gebotene  zu  einer  Charakterisierung 
der  Symbolik,  welche  die  Liturgiker  und  liturgischen  Bücher  im  Mittelalter  mit 
der  heiligen  Kleidung  verbanden,  völlig  aus. 

Auf  die  Ausdeutung,  welche  die  liturgischen  Gewänder  seit  dem  Aus- 
gang des  13.  Jahrhunderts  fanden,  sind  wir  mit  Absicht  nur  wenig  ein- 
gegangen. Sie  bietet  nichts  besonders  Neues.  Mit  dem  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts war  die  Symbolik  der  Sakralgewandung,  wie  früher  schon  bemerkt 
wurde,  im  wesentlichen  abgeschlossen.  Mehr  als  man  bis  dahin  darüber  er- 
sonnen und  gesagt,  ließ  sich  in  der  Tat  auch  kaum  ersinnen  und  sagen. 
Durandus  hatte  alles,  was  die  frühere  Zeit  an  Deutungen  hervorgebracht 
hatte,  mit  Bienenfleiß  zusammengestellt.  Bei  ihm  holten  von  da  an  alle  den 
Honig  mystischer  Auslegung  der  liturgischen  Kleidung.  Nur  sieht  man  von 
den  vielen  Einzelheiten  ab,  auf  welche  die  Liturgiker  der  früheren  Jahrhun- 
derte einzugehen  pflegten,  und  beschränkt  sich  auf  den  einen  oder  andern 
hervorstechenden  Punkt.  Beliebt  war  namentlich  die  Deutung  auf  das  Leiden 
des  Heilandes.  In  kurzen,  aber  festen  Zügen  tritt  uns  diese  Symbolik  in 
einer  Folge  von  Hexametern  entgegen,  welche  wir  einem  Augsburger  Missale 


1  Vgl.  z.  B.  einzelne  der  Weiheordines  bei  2  Cod.  Vat.  lat.  1145. 

Mart.  1.  1,   c.  8,  art.  5;    II  31  ff.     Ferner  3  Mitralis  1.  2,  c.  2   (M.  213,  63). 

Vat.  lat.  1152  1153  5791  7114;  Vat.  Ottoh.  *  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  12,  ordo  10;  II  62. 

27;  Cod.  Vat.  Borgh.  99  u.  a.  6  Vat.  lat.  7114. 


Erstes  Kapitel.     Die  mystische  Deutung  der  liturgischen  Gewänder. 


727 


vom  Jahre  1555  entnehmen.  Sie  verdienen  es,  daß  wir  sie  zum  Schluß  ab- 
drucken. Die  Verse  sind  keineswegs  klassisch;  Poesie  steckt  auch  nicht  ge- 
rade in  ihnen.  Interessant,  anmutend  und  erbaulich  sind  sie  aber  ohne 
Zweifel.     Sie  lauten  übersetzt : 

„Willst  zum  Altare  du  treten,  das  heilige  Opfer  zu  feiern, 

Oder  willst  anwohnen  du  dem  übergroßen  Geheimnis, 

0  dann  denke  daran  und  frommen  Sinnes  erwäge, 

Welche  Kämpfe  der  Herr  um  deinetwillen  bestanden. 

Daß  man  sein  Haupt  verhüllt,  ihn  höhnend,  sagt  der  Amikt  dir, 

Ihn  mit  weißem  Gewände  zum  Spotte  bekleidet,  die  Albe. 

Gurt  und  Manipel  bedeuten  die  grausigen  Ketten  und  Stricke ; 

An  das  Kreuz  gemahnt,  das  Jesus  getragen,  die  Stola, 

Bild  der  klaffenden  Wunden  an  Haupt,  an  Händen  und  Füßen 

Ist  des  Amiktes  Zier  mitsamt  den  Besätzen  der  Albe. 

Schaust  zur  Kasel  du  hin,  gedenke  des  purpurnen  Mantels 

Und  der  Ströme  von  Blut,  so  deinen  Erlöser  umflossen. 

Eilt  zum  Altare  der  Priester,  erwäge  mit  Andacht  im  Herzen, 

Wie  den  Kalvarienberg  aus  Liebe  der  Heiland  erstiegen 

Frei,  um  dort  zu  sterben  am  Kreuz  zu  deiner  Erlösung. 

Das  beherzige  fromm  und  klopf  an  die  Brust  voller  Reue."  l 

Man  hat  die  Symbolik,  welche  das  Mittelalter  der  liturgischon  Gewan- 
dung beigelegt  hat,  sehr  verschieden  beurteilt.  Begreiflich,  der  Geschmack 
ist  sehr  ungleich.  Man  vergißt  indessen,  wenn  man  über  dieselbe  den  Stab 
bricht,  nur  zu  oft,  daß  eine  rechte  und  gerechte  Würdigung  derselben  nur 
möglich  ist,  wenn  man  sich  in  die  tiefgläubigen  Anschauungen  der  Vorzeit 
hineinversetzt.  Wer  das  nicht  tun  will  oder  das  nicht  zu  tun  vermag,  der 
wird  freilich  sehen  und  doch  nicht  sehen. 

Gewiß  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden ,  daß  nicht  weniges  an 
den  alten  mystischen  Deutungen  gekünstelt,  schwach  und  wertlos  ist;  allein 
es  gibt  in  ihnen  auch  viele  Goldkörner.  Die  Zeit  hat  die  Schlacken  davon 
entfernt.  Was  heute  an  Symbolik  der  liturgischen  Gewandung  vorgebracht 
zu  werden  pflegt,  ist  zumeist  das  geläuterte  Gold  aus  den  Schriften  der 
alten  Liturgiker. 


1  Tu   quicumque    voles    missam    celebrare 

sacerdos : 
Et  quicumque  voles  tantis  assistere  sacris : 
Sis  memor  et  tota  devotus  mente  revolve, 
Qualia  sit  christus  pro  te  certamina  passus. 
Velatum  capite  et  derisum  signat  amictus. 
Linea  vestis  item  quod  sit  despectus  in  alba : 
Vinculasignificant  fera  tortaque  zonamaniplus : 
Est   stola   imago  crucis :    quam    humeris  ge- 

stavit  Jesus. 
Cernis    amictu    atque   inde    quater  tu  cernis 

in  alba 
Signa  terebrati  capitis :  manuumque  pedumque. 
Purpuree,  spectans   casulam ,    vestis  memor 

esto: 
Et  rubeo  ut  fuerit  perfusus  sanguine  christus. 


Cumque  sacerdotem   properantem    cernis   ad 

aram : 
Tunc  animo  volvas  memori,  ut  conscenderit 

ultro 
Calvarie  montem,  moriturus  de  cruce  pro  te. 
Omnia   dicta   pie  memorando  pectora  tunde. 

In  etwas  verkürzter  Fassung  finden  sich 
die  Verse  in  des  Minoriten  Stephan  Bru- 
lefer  (f  zwischen  1496  und  1499)  Altissi- 
morum  misteriorum  misse  brevis  et  utilissima 
declaratio,  aus  der  sie  bei  Franz,  Die  Messe 
603,  Anm.  4  abgedruckt  sind.  Die  Stola  er- 
scheint hier,  wie  Cingulum  und  Manipel,  als 
Sinnbild  der  Fesseln.  Ausgelassen  ist  die  Sym- 
bolik der  Besätze  des  Amikts  und  der  Albe. 


728       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

ZWEITES  KAPITEL. 

DIE  LITURGISCHEN  FARBEN. 

I.  DIE  LITURGISCHEN  FARBEN  NACH  DER  GEGENWÄRTIGEN  PRAXIS. 

Unter  den  liturgischen  Farben  verstellt  man  die  Farben,  welche 
von  der  Kirche  je  nach  dem  Charakter  des  Tages  oder  der  gottesdienstlichen 
Funktion  für  die  beim  Kultus  zur  Verwendung  kommenden  Paramente  vor- 
geschrieben sind.  Sie  sind  gegenwärtig  überall  im  Abendlande,  mit  Aus- 
nahme   von   Mailand,    das    seinen   besondern  Farbenkanon  hat,  die  gleichen. 

Im  ganzen  gibt  es  heute  im  römischen  Ritus  fünf  liturgische  Farben: 
Weiß,  Rot,  Grün,  Violett  und  Schwarz.  Sie  sind  durch  das  Missale 
Pius'  V.  endgültig  festgestellt  worden.  Gelb  und  Blau  gehören  nicht  zu  dem 
liturgischen  Farbenkanon,  wie  ihn  dieses  aufgenommen  hat,  weshalb  denn 
auch  durch  wiederholte  Entscheidungen  der  Ritenkongregation  gelbe  und  blaue 
Paramente  als  durchaus  unzulässig  bezeichnet  wurden1.  Dagegen  sind  Pa- 
ramente aus  Gold-  oder  Silberstoff  mit  Rücksicht  auf  deren  Kostbarkeit 
als  erlaubt  erklärt  worden,  und  zwar  können  jene  anstatt  weißer,  roter  und 
grüner,  diese  anstatt  weißer  gebraucht  werden  2. 

Der  Sinn  des  liturgischen  Farbenkanons  erheischt  übrigens  nicht,  daß 
die  Paramente  nur  eine  Farbe  aufweisen.  Es  dürfen  vielmehr  auch  zwei- 
und  mehrfarbige  Stoffe  zu  ihnen  verwendet  werden,  wofern  nur  auf  ihnen 
eine  Farbe  vorherrscht  und  diese  Farbe  zu  den  fünf  liturgischen  zählt 3.  Aus- 
geschlossen sind  also  erstens  Zeuge  ohne  bestimmt  erkennbare  Hauptfarbe 
und  zweitens  Stoffe,  die  als  Hauptfarbe  eine  nicht  liturgische  Farbe  auf- 
weisen. In  einem  gemusterten  zwei-  oder  mehrfarbigen  Gewebe  gibt  in  der 
Regel  die  Farbe  des  Grundes  den  Hauptfarbenton  an.  Nur  wenn  das  Muster 
so  überwiegt,  daß  der  Grund  neben  ihm  nur  mehr  wenig  zur  Geltung  kommt, 
wäre  die  Farbe  der  Musterung  für  die  Bestimmung  des  Farbencharakters  ent- 
scheidend. Ausdrücklich  untersagt  ist  es,  Paramente,  die  aus  zwei-  oder 
mehrfarbigen  Zeugen  gemacht  sind,  zugleich  für  die  verschiedenen  auf  ihnen 
vorkommenden  liturgischen  Farben  zu  gebrauchen4. 

Die  Regeln  über  die  Verwendung  der  liturgischen  Farben  sind  in  der  Haupt- 
sache folgende  5 : 

Weiß  müssen  die  Paramente  sein  am  Dreifaltigkeitssonntag,  an  den  Festen 
des  Herrn  mit  Ausnahme  derjenigen,  welche  dessen  Leiden  als  solches  zum  Gegen- 
stand haben,  an  allen  Festtagen  der  allerseligsten  Jungfrau,  der  heiligen  Engel  und 
Bekenner,  der  heiligen  Jungfrauen  und  Frauen,  welche  nicht  Märtyrerinnen  sind,  am 
Tag  der  Geburt  des  hl.  Johannes  Bapt.  und  dem  Hauptfest  des  heiligen  Evangelisten 
Johannes,  an  den  Festen  der  Ketten-  und  Stuhlfeier  Petri,  der  Bekehrung  Pauli  und 
Allerheiligen,  hei  der  Kirch-  und  Altarweihe,  am  Jahrestag  der  Wahl  und  Krönung 
des  Papstes  sowie  der  Wahl  und  Weihe  des  Bischofs.  Desgleichen  verlangen  die 
weiße  Farbe  die  Oktaven  der  angeführten  Feste  und  die  Werktage  zwischen  Ostern 
und  Pfingsten,   wofern   nicht  Feste   und   Gelegenheiten   einfallen,    die   eine   besondere 


1  Entscheidung     vom      16.     März     1833,  3  Entscheidung  vom  23.   Sept.  1837    (ebd. 
23.  Febr.  1839,  26.  März  1859,  5.  Dez.  1868,  n.  2769). 

23.  Juni    1892    (Decret.  auth.  n.   2704   2788  *  Entscheidung  vom  19.  Dez.  1829,  12.  Nov. 

3082  3191  3779).  1831,    23.    Sept.    1837    (ebd.   n.    2675    2682 

2  Entscheidung  vom  28.  April  1866,  5.  Dez.  2769). 

1868,  20.  Nov.  1885  (ebd.  n.  3145  3191  3646).  '-  Missale  rom.,  Rubr.  gen.  tit.  XVIII. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  729 

Farbe  erheischen,  die  Votivmessen  von  Geheimnissen  und  Heiligen,  deren  Festen  Weiß 
zukommt,  und  die  Brautmesse. 

Ferner  sollen  weiß  sein  die  Paramente,  welche  bei  sakramentalen  Prozessionen 
und  bei  Andachten  vor  ausgesetztem  hochwürdigstem  Gut  zur  Verwendung  kommen, 
dann  alle,  welche  in  näherer  Beziehung  zum  heiligsten  Sakrament  stehen,  wie  der 
Baldachin,  die  Bekleidung  des  Tabernakelinnern,  das  Ciboriummäntelchen,  endlich  die 
Paramente.  welche  beim  Begräbnis  eines  Kindes,  das  vor  erlangtem  Vernunftgebrauch 
starb,  getragen  werden,  sowie  die  Stola,  welche  der  Priester  bei  Ausspendung  der 
heiligen  Taufe,  bei  Erteilung  der  heiligen  Wegzehrung  und  bei  Einsegnung  der  Ehe 
gebraucht.  Bis  zur  Abnahme  des  Glaubensbekenntnisses  bedient  sich  der  Priester  bei 
den  Taufzeremonien  mit  Kücksicht  auf  die  Exorzismen,  die  er  vornimmt,  einer  vio- 
letten Stola.  Spendet  der  Priester  in  der  Kirche  außer  der  Messe  die  heilige  Kom- 
munion, so  kann  sich  die  Farbe  der  Stola  auch  nach  der  Tagesfarbe  richten '. 

Kote  Paramente  sind  vorgeschrieben  am  Samstag  vor  Pfingsten,  am  Pfingstfest 
und  während  dessen  Oktav,  an  den  Festen  des  Herrn,  an  welchen  die  Erinnerung  an 
sein  Leiden  begangen  wird,  wie  den  Festen  der  heiligen  Leidenswerkzeuge,  des  kost- 
baren Blutes,  der  Auffindung  und  Erhöhung  des  heiligen  Kreuzes,  an  allen  Apostel- 
festen mit  Ausnahme  der  wenigen  schon  genannten  Tage,  an  welchen  man  sich  weißer 
Paramente  zu  bedienen  hat,  an  den  Festen  der  heiligen  Märtyrer,  gleichviel  welchen 
Alters  und  Geschlechtes  sie  sind,  sowie  bei  der  Messe  um  eine  glückliche  Papstwahl. 
Auch  den  Votivmessen  der  genannten  Feste  und  ihren  Oktaven  eignet  die  rote  Farbe. 
Am  Feste  der  unschuldigen  Kinder  bedient  man  sich  roter  Paramente,  wenn  es  auf 
einen  Sonntag,  violetter,  wenn  es  auf  einen  Wochentag  fällt ;  sein  Oktavtag  verlangt 
jedoch  stets  Rot. 

Die  grüne  Farbe  haben  die  Sonn-  und  Werktage  zwischen  Epiphanie  und 
Septuagesima  sowie  zwischen  Trinitatissonntag  und  Advent,  an  denen  kein  Fest  ein- 
fällt. Eine  Ausnahme  bilden  jedoch  die  in  dieser  Zeit  eintreffenden  Quatembertage 
und  Vigilien,  welche  Fasttage  sind  und  denen  stets  Violett  zukommt.  Desgleichen 
machen  die  Sonntage,  welche  innerhalb  einer  Oktav  liegen,  eine  Ausnahme,  da  sie 
sich  hinsichtlich  der  Farbe  der  Paramente  nach  der  Farbe  eben  dieser  Oktav  zu 
richten  haben. 

Violett  erfordern  der  Advent,  die  Zeit  zwischen  Septuagesima  und  Grün- 
donnerstag, die  Vigiltage,  welche  zugleich  Fasttage  sind,  und  die  Quatembertage,  aus- 
genommen die  Vigil  vor  Pfingsten  und  die  Quatembertage  der  Pfingstwoche.  Ferner 
müssen  violette  Paramente  gebraucht  werden  bei  der  Messe  der  Bittage,  der  Votiv- 
messe  vom  Leiden  des  Herrn  und  gewissen  Votivmessen  von  ausgesprochenem  Buß- 
oder  Bittcharakter,  bei  Bittprozessionen,  bei  der  Kerzensegnung  am  Liehtmeßtag  und  bei 
der  Taufwasserweihe.  Ebenso  muß  die  Stola,  deren  sich  der  Priester  bei  Spendnng 
des  Bußsakraments  und  der  heiligen  Ölung  bedient,  violett  sein. 

Schwarz  ist  die  Farbe  für  die  Totenmesse,  für  die  Präsanktifikatenmesse  am 
Karfreitag  und  für  den  Begräbnisritus  sowie  die  Exequien  aller,  welche  nach  erlangtem 
Vernunftgebrauch  gestorben  sind. 

II.    DAS    ERSTE   AUFTRETEN    DES    LITURGISCHEN    FARBENKANONS. 

Ein  vollständiger  Farbenkanon  begegnet  uns  zum  ersten  Male  in  der 
Schrift  Innozenz'  III.  über  das  heilige  Meßopfer,  also  gegen  1200.  Er  ist 
dem  jetzt  maßgebenden  schon  im  wesentlichen  gleich.  Für  die  Feste  Kreuz- 
Erfindung  und  Kreuz-Erhöhung  gibt  der  Papst  neben  Weiß  auch  Rot  an, 
empfiehlt  aber  ersteres  als  entsprechender.  Für  die  Fasten-  und  Adventszeit 
verzeichnet  er  Schwarz,  für  Lätaresonntag  Schwarz  oder  besser  Violett.  Am 
Fest   der    unschuldigen   Kinder   wurde   zu    Rom   Violett   gebraucht,    während 


1  Entscheidung  vom  12.  März  1836  (ebd.  n.  2740). 


730       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 


man  anderswo  schwarze  oder  rote  Gewänder  für  passender  hielt.  Dem  Rot 
endlich  gesellt  Innozenz  Scharlach,  dem  Grün  Gelb  (croceus  color),  dem 
Schwarz  Violett  als  Nebenfarben  zu,  fügt  dabei  aber  zugleich  an,  daß  einige 
den  Crocus,  d.  i.  Gelb,  auf  die  Bekenner  bezögen,  wie  die  Rosen  (Rot)  auf  die 
Märtyrer  und  die  Lilien  (Weiß)  auf  die  Jungfrauen. 

Eine  eigentlich  verpflichtende  Kraft  legt  Innozenz  III.  dem  Farbenkanon 
nicht  bei.  Er  erörtert  nur,  wie  es  die  römische  Kirche,  die  hier  im  engeren 
Sinne  zu  nehmen  ist  und  auch  wohl  curia  romana  genannt  wird,  hinsichtlich 
der  Farbe  der  liturgischen  Gewänder  halte.  Abweichende  Anschauungen  und 
Gewohnheiten  betrachtet  er  als  statthaft,  wie  die  Weise  zeigt,  in  welcher  sie 
von  ihm  besprochen  werden.  Gleichzeitig  mit  Innozenz  III.  erwähnt  auch  Sicard 
von  Cremona  das  Bestehen  eines  liturgischen  Farbenkanons,  ohne  jedoch  den- 
selben in  seinen  Einzelheiten  mitzuteilen1.  Er  belehrt  uns  nur,  es  wechsle 
die  Farbe  der  Kasel  je  nach  der  Zeit.  So  werde  Ostern  ein  weißes,  Pfingsten 
ein  rotes  Meßgewand  gebraucht. 

Bei  den  übrigen  Liturgikern  des  12.  Jahrhunderts,  angefangen  von 
Bruno  von  Segni,  Honorius,  Rupert  von  Deutz  und  Ivo  von  Chartres  bis  auf 
Johannes  Beleth,  herrscht  bezüglich  einer  liturgischen  Farbenregel  ein  Schwei- 
gen, das  unter  Annahme  eines  bereits  bestehenden  Farbenkanons  ganz  un- 
erklärlich ist. 

Ivo  von  Chartres  redet  ausführlich  von  den  Farben  der  Sakralgewandung  des 
mosaischen  Kultus,  dagegen  tut  er  in  seiner  Deutung  der  heiligen  Kleidung  des  Neuen 
Bundes  irgendwelcher  liturgischer  Farben  nicht  die  geringste  Erwähnung.  An  einzelnen 
Stellen  ist  sein  Verhalten  besonders  auffällig,  so  z.  B.,  wenn  er  gelegentlich  der 
Besprechung  des  jüdischen  Ephod  bemerkt :  Quod  autem  nostrorum  pontificum  super- 
humerale  (gemeint  ist  der  Amikt)  non  est  tot  coloribus  intextum,  nee  est  tarn  pretiosis 
gemmis  redimitum,  nihil  refert,  cum  christiana  religio  veritati  serviens  compendiosis 
figuris  idem  intellegi  faciat,  quod  vetus  observantia  sumptuosis  2. 

Sehr  bezeichnend  für  die  Lage  der  Dinge  ist,  was  Bruno  von  Segni  hinsichtlich 
der  Farbe  der  bischöflichen  Tunika  bemerkt:  „Wenn  sie  weÜ3  ist,  sinnbildet  sie,  daß 
alle,  welche  der  Kirche  die  Speise  des  Gotteswortes  reichen,  rein  und  makellos  sein 
müssen;  hat  sie  eine  andere  Farbe,  mag  man  sie  anders  deuten."3 

Rupert  hebt  hervor,  es  habe  bei  den  alttestamentlichen  Kultkleidern  alles, 
auch  die  Farbe,  einen  mystischen  Sinn  gehabt  * ;  nichtsdestoweniger  läßt  er  bei  den 
Erörterungen  über  die  liturgische  Gewandung  der  Kirche  deren  Farbe  ganz  und  gar 
unberührt. 

Honorius  schildert  in  der  Gemma  animae  den  Garten  Gottes  und  vergleicht 
dabei  die  Märtyrer  mit  Bösen,  die  Jungfrauen  mit  Lilien,  diejenigen,  welche  die  Welt 
verachten,  mit  Veilchen,  die  Weisen  mit  grünen  Kräutern  5.  Wer  jedoch  auf  Grund 
hiervon  erwartet,  es  werde  Honorius,  wenn  er  gleich  darauf  die  heilige  Kleidung  der 
Bischöfe,  Priester  und  übrigen  Kleriker  behandelt,  auch  der  Farbe  derselben  ein  Wort 
widmen,  wird  sich  völlig  enttäuscht  sehen. 


1  Mitralis  1.  2,  c.  5  (M.  213,  77). 

2  Sermo  3  (M.  162,  523) ;  vgl.  über  die 
Farbe  des  Cingulum  ebd.  521. 

3  De  sacr.  eccl.  (M.  165,   1105). 

*  De  div.  offic.  1.  1 ,  c.  18  (M.  170,  22). 
Nach  der  Übersetzung,  welche  Rohault  de 
Fleury  (La  Messe  VIII  37)  von  dieser 
Stelle  gibt,  sollte  man  glauben,  Rupert  rede 
in  ihr  von  liturgischen  Farben  der  Kirche. 
Rohault  hat  indessen  Ruperts  Worte  gänz- 
lich mißverstanden. 


5  L.  1,  c.  162  (M.  172,  594).  Rohault 
de  Fleury  (a.  a.  0.)  läßt  Honorius  in  der 
Gemma  animae  sagen ,  die  Farbe  für  die 
Märtyrer  sei  Rot,  für  die  Jungfrauen  Weiß. 
In  vielen  Riten  seien  Grün  und  Gelb  die 
Farbe  für  Bischöfe  und  Doctores,  Violett  die 
der  Mönche  und  heiligen  Frauen.  Er  ist 
jedoch  auch  in  diesem  Falle  im  Irrtum,  da 
sich  bei  Honorius  weder  in  der  Stelle  des 
Textes  noch  sonst  das  Geringste  über  eine 
liturgische  Farbenregel  findet. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  731 

Das  Sakramentarium  erzählt  uns  ',  der  Panther  habe  sieben  Farben :  Schwarz, 
Weiß,  Grau,  Gelb,  Grün,  Blau,  Rot.  Dann  deutet  es  dieselben,  doch  nicht  auf  die 
Farbe  der  priesterlichen  Kleider,  sondern  auf  deren  Zahl  und  die  sieben  Tugenden, 
die  dem  Priester  eigen  sein  müßten. 

Das  Speculum  de  mysteriis  ecclesiae  weiß  uns  nur  zu  berichten :  Coccinea  pla- 
neta,  qua  induitur  apostolicus,  quocumque  proficiscatur  praedicando,  martyrium  declarat  -. 

Robert  Paululus  beschränkt  sich  auf  die  Bemerkung,  man  trage  von  Karsamstag 
an  bis  zum  Samstag  nach  Ostern  weiße  Gewänder  3.  Johannes  Beleth  berichtet  uns, 
vor  der  Matutin  von  Weihnachten  und  Ostern  würden  wohl  drei  Tücher  auf  den  Altar 
gelegt,  ein  schwarzes,  weißliches  und  rotes  als  Sinnbilder  der  Zeit  vor  dem  Gesetze, 
der  Zeit  unter  dem  Gesetze  und  der  Zeit  der  Gnade,  und  dann  nach  jeder  Nokturn 
bzw.  nach  den  einzelnen  Lektionen  des  Osteroffiziums  eines  weggenommen  4.  Das  ist 
aber  auch  alles,  was  wir  von  ihm  vernehmen. 

Es  kann  hiernach  nicht  bezweifelt  werden,  daß  der  liturgische  Farben- 
kanon erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  entstanden  ist.  Das 
allgemeine  Schweigen  der  Liturgiker  unter  Umständen ,  unter  denen  man 
eine  Erörterung  über  eine  etwa  bestehende  Regel  hinsichtlich  der  Farbe  der 
Meßgewandung  notwendig  erwarten  müßte,  kann  um  so  weniger  anders  ge- 
deutet werden,  als  uns  auch  sonst  nichts  von  einem  ausgebildeten  Farben- 
kanon berichtet  wird. 

Es  ist  auffällig,  am  Ende  des  12.  Jahrhunderts  scheinbar  so  ganz  wie 
auf  einmal  eine  fertige  liturgische  Farbenreihe  vor  sich  zu  sehen.  In  Wirk- 
lichkeit tritt  der  Kanon  Innozenz'  III.  jedoch  nicht  so  ganz  unvermittelt  auf, 
als  man  beim  ersten  Anblick  glauben  sollte.  Schon  in  sehr  früher  Zeit 
zeigen  sich  im  Abendland  die  ersten  Keime  zu  einer  liturgischen  Farbenregel. 
So  heißt  es  bereits  in  der  Erklärung  der  gallikanischen  Messe:  „Ostern  zieht 
man  weiße  Gewänder  an,  da  die  Engel  am  Grab  in  weißen  Gewändern  er- 
schienen. Weiße  Kleider  bedeuten  nämlich  Freude."  Es  war  demnach  im 
gallikanischen  Ritus  Brauch,  am  Osterfeste  beim  Gottesdienste  sich  weiß- 
farbiger Kleider  zu  bedienen.  Wirklich  werden,  wie  wir  schon  gelegentlich 
vernahmen,  bei  Gregor  von  Tours  casulae  candidae,  quae  per  paschalia  festa 
humeris  sacerdotum  imponuntur,  erwähnt5.  Ob  auch  die  Erzählung  der 
Biographie  des  hl.  Cäsarius  von  Arles  (f  542)  hierher  bezogen  werden  könne, 
es  habe  der  Heilige  einem  Armen  eines  Tages,  da  er  sonst  nichts  besessen, 
casulam  quam  processoriam  habebat  albamque  paschalem6  gegeben,  mit  der 
Weisung,  sie  an  jemand  aus  dem  Klerus  zu  verkaufen,  muß  auf  sich  be- 
ruhen bleiben;  denn  es  ist  unklar,  ob  in  ihr  unter  alba  eine  Tunika  oder  mit 
Ergänzung  von  casula  eine  weiße  Osterkasel  zu  verstehen  ist. 

Wie  es  damals  außerhalb  Galliens  zu  Ostern  in  Bezug  auf  die  Farbe 
des  Meßgewandes  gehalten  wurde  und  ob  auch  hier  dann  mit  Vorzug  weiße 
Kleidung  getragen  wurde ,  läßt  sich  nicht  feststellen.  Wenn  nach  einer 
Notiz  der  Vita  des  hl.  Columba  die  Mönche  des  Klosters  Hy  an  Festtagen 
beim  Gottesdienst  weiße  Kleider  trugen 7.  so  ist  nicht  die  liturgische  Gewandung, 
sondern  die  Mönchstracht  gemeint. 


1  C.  29  (M.   172,  762).  schon  die  Consuetudines  von  Farfa  (A 1  b  e  r  s, 

2  C.  45  (M.  177,  354).  Consuet.  Farfens.   16)  und  Cluny  (Udalrici 

3  De  off.  eccl.  1.  3,  c.  27  (ebd.  453).  Consuet.  Cluniac.  1.  1,  c.  11   [M..149,  656]). 

4  Rationale  c.  69    115  (M.  202,    75    120).  5  Vita  Patrum  c.  8,  n.  5   (M.  71,  1045). 
Die    Sitte,    drei    Tücher    von    verschiedener      <        6  L.  1 ,    n.    32    (M.  67,  1017);    vgl.    oben 
Farbe  vor  der  Matutin  von  Weihnachten  und  S.  67,  Anm.  2. 

Ostern  auf  den  Altar  zu  legen  und  dann  bei  7  Adamani  Vita  S.  Columbae  1.  3,  n.  15 

derselben  nach  einander  wegzuholen,  kennen  (M.  88,  765). 


732       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Die  ältesten  Zeugnisse  über  irgend  einen  Farbenunterschied  hinsichtlich 
der  liturgischen  Gewänder  im  römischen  Ritus  stammen  erst  aus  karolingischer 
Zeit.  Sie  finden  sich  in  dem  von  Duchesne  veröffentlichten  Ordo  aus  der 
Frühe  des  9.  Jahrhunderts,  in  der  pseudoalkuinischen  Schrift  „De  divinis 
officiis"  und  in  dem  St  Gallener  Kleiderverzeichnis. 

Der  Duchesnesche  Ordo  vermerkt  für  die  Feier  am  Lichtmeßtag :  Interim 
ingreditur  pontifex  in  sacrario  (sie)  et  induit  se  vestimentis  nigris  et  diaconi 
similiter  planetas  nigras  induunt.  Für  den  Karfreitag  lautet  die  Vorschrift: 
Hora  V  procedit  ad  eeclesiam  omnis  clerus  et  ingreditur  archidiaconus  cum 
aliis  diaconibus  in  sacrario  (sie)  et  induunt  se  planetas  fuscas:  für  die  Bittage: 
et  ingreditur  pontifex  in  sacrario  (sie)  seu  et  diaconi  et  induunt  se  planetas 
fuscas1.  Mit  diesen  Angaben  stimmt  überein,  was  Pseudo-Alkuin  bezüglich 
der  gottesdienstlichen  Kleidung  bei  der  Liehtmeßprozessiön  und  den  Karfreitags- 
zeremonien sagt.  Denn  auch  er  verzeichnet  für  erstere  vestes  nigrae,  für 
letztere  planetae  fuscae2.  Man  trug  also  in  Korn  im  9.  Jahrhundert  bei  Ge- 
legenheiten, welche  den  Charakter  der  Trauer  oder  Buße  hatten,  schwarze 
oder  dunkle  Sakralkleider,  ganz  nach  altrömischer  Anschauung,  wonach  weiße 
Gewänder  Zeichen  der  Freude,  dunkle  aber  Ausdruck  der  Trauer  waren. 

Das  St  Gallener  Kleiderverzeichnis  schreibt,  wo  es  von  der  Sakralkleidung 
des  Papstes  handelt:  In  his  diebus,  natl.  Dom.,  pascha,  sei  petri  et  die  ordi- 
nationis  suae  (pontifex  Romanus)  aliud  colere  (colore)  planeta  induitur.  Leider 
gibt  der  Verfasser  nicht  an,  Avas  das  für  eine  andere  Farbe  gewesen,  welche 
die  liturgische  Gewandung  des  Papstes  am  Weihnachtstage,  Ostern,  am  Feste 
des  Apostelfürsten  und  am  Tag  (Jahrestag)  seiner  Weihe  zu  haben  pflegte. 
Am  ehesten  möchte  man,  weil  auch  Ostern  unter  den  Tagen  genannt  ist,  an 
Weiß  denken.  Jedenfalls  bekundet  die  Notiz  des  Ordo,  daß  man  zu  Rom 
schon  eine  geraume  Weile  vor  dem  Entstehen  des  liturgischen  Farbenkanons 
in  irgend  einer  Weise  einige  Feste  von  andern  durch  die  Farbe  der  liturgischen 
Gewandung  unterschied. 

Wann  zu  Rom  der  Brauch  sich  festsetzte,  bei  den  Prozessionen  am  Licht- 
meßtage  und  an  den  Bittagen  sowie  bei  den  gottesdienstlichen  Funktionen  am 
Karfreitage  dunkle  bzw.  schwarze  Gewänder  zu  tragen,  läßt  sich  nicht  sagen. 
Da  er  indessen  durchaus  dem  Charakter  dieser  Zeremonien  entspricht  und  die 
denselben  eigene  Stimmung  in  ihm  einen  natürlichen  Ausdruck  findet,  mag 
er  so  alt  sein  wie  diese  Kultakte.  Wenigstens  darf  das  hinsichtlich  jener  Pro- 
zessionen angenommen  werden. 

Im  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  trug  der  Papst  nach  dem  11.  Ordo 
Mabillons  am  Ostertag  und  in  der  Osterwoche  beim  Gottesdienst  eine  weiße 
Planeta3.  Der  10.  römische  Ordo  verzeichnet  auch  für  den  Gründonnerstag 
weiße  Gewänder4.  Für  den  Karfreitag  schreibt  derselbe  Ordo  den  ornatus 
quadragesimalis,  also  gemäß  dem  alten  römischen  Brauch  schwarze  oder  doch 
dunkle  Kleidung  vor5.  Als  Kardinal  Cencius  Sabellius  zwischen  1192  und  1198 
seinen  Ordo,  den  12.  Mabillons,  verfaßte,  gab  es  zu  Rom  schon  einen 
Farbenkanon  6. 


1  Du  eh.,  Orig.  468  474  479.  6  Nach   dem    12.   Ordo   bediente   sich   der 

2  De    div.    offic.    c.  7    18    (M.  101,  1181         Papst    am    Stephanstage    bei    seinem    Zuge 
1208).  nach  S.  Stefano  einer  weißen,  bei  der  Messe 

3  N.  45  (M.  78,  1043).  aber  einer  roten  Kasel.  Für  Lichtmeß  und 
*  N.  3  (ebd.  1010).  Ostern  notiert  der  Ordo  ein  weißes  Meß- 
5  N.  13  (ebd.  1013).  gewand    (c.  3  5  15    [ebd.  1067   1069    1078). 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  733 

Die  ersten  Keime  zu  einer  liturgischen  Farbenregel  reichen  also  in  der 
Tat  weit  über  das  12.  Jahrhundert  zurück.  Sie  blieben  freilich  bis  dahin 
auch  nur  Keime.  Es  war  dem  späten  12.  Jahrhundert  vorbehalten,  sie  zu  einem 
vollständigen  Farbenkanon  auszugestalten.  Eine  Regelung  der  Farbe  der 
Kultgewänder  lag  in  jener  Zeit  starker  mystischer  Tendenzen  und  aus- 
gesprochener Neigung  zum  Symbolisieren  gleichsam  in  der  Luft.  Neue  litur- 
gische Gewänder  konnte  man  dem  Mystizismus  zulieb  nicht  schaffen,  da 
an  solchen  sich  kaum  mehr  Neues  ersinnen  ließ.  Anders  verhielt  es  sich 
mit  der  Farbe  der  Kultkleidung.  Hier  war  erst  der  Anfang  gemacht;  hier 
hatte  also  der  Mystizismus  Gelegenheit,  sich  schöpferisch  zu  betätigen. 

Freilich  waren  auch  die  äußeren  Umstände  für  die  Bildung  einer  litur- 
gischen Farbenregel  weit  günstiger  als  zu  irgend  einer  früheren  Zeit.  Nicht 
bloß  die  Theologie  und  Philosophie  mit  ihren  scharfsinnigen  Spekulationen, 
nicht  bloß  das  religiöse  Leben  mit  seinem  tiefen  Mystizismus,  auch  die  Kunst 
hatte  sich  auf  allen  Gebieten  ihres  Schaffens  rasch  in  ungeahntem  Maße 
entfaltet  und  mit  ihr  zugleich  der  Sinn  für  das  Schöne  und  die  Liebe  zum 
Schönen.  Dazu  kam ,  daß  nicht  bloß  der  hochgesteigerte  Verkehr  mit  dem 
Orient  größere  Mengen  farbiger  Seidenzeuge  als  je  dem  Abendlande  zuführte, 
sondern  daß  sich  mittlerweile  auch  in  diesem  eine  blühende  Seidenindustrie 
entwickelt  hatte,  deren  Erzeugnisse  rasch  in  lebhafte  Konkurrenz  mit  den 
byzantinischen  und  sarazenischen  Geweben  getreten  waren.  Die  Folge  hiervon 
war,  daß  an  dem  wichtigsten  Faktor  für  die  Ausbildung  eines  liturgischen 
Farbenkanons,  an  farbigen  Stoffen,  kein  Mangel  mehr  herrschte. 

Wir  haben  uns  darum  auch  den  Hergang  nicht  so  zu  denken,  als  ob 
sich  zuerst  zu  Rom  ein  Farbenkanon  gebildet  habe  und  dieser  dann  außer- 
halb Roms  adoptiert  worden  sei  oder  umgekehrt.  Hier  wie  dort  hat  er  sich 
infolge  der  gleichen  geistigen  Strömung  des  12.  Jahrhunderts  und  durch 
die  Gunst  der  gleichen  Verhältnisse  in  selbständiger  Weise  entwickelt.  Daß  es 
aber  dabei  im  wesentlichen  zum  gleichen  Resultat  kommen  mußte,  leuchtet 
sofort  ein,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  die  Farbenregel  bestimmenden  An- 
schauungen bis  zu  einem  gewissen  Grade  nicht  willkürlich  waren,  sondern 
ihren  Grund  in  der  Natur  der  Sache  hatten. 

Wirklich  finden  sich  schon  in  der  Frühe  des  12.  Jahrhunderts  auch 
außerhalb  Roms  Ansätze  zur  Fixierung  der  liturgischen  Farbe.  So  will 
das  um  1130  durch  Beroldus  für  die  Kathedrale  von  Mailand  zusammengestellte 
Ordinarium,  daß  in  der  Fastenzeit  über  Altar  und  Kanzel  ein  schwarzes,  in 
der  Passionszeit  aber  ein  rotes  Tuch  ausgebreitet  werde.  Ferner  lesen  wir 
darin,  daß  die  Kasel,  welche  der  Bischof  am  Karfreitag  bei  der  Lesung  der 
Passion  trug,  von  roter  Farbe  sein  mußte,  und  daß  der  Diakon  am  Grün- 
donnerstag in  alba  rubea,  d.  i.  in  roter  Tunika,  die  Lektion,  die  Epistel  und 
das  Evangelium  zu  singen  hatte 1.  Ein  Pontifikale  von  Besancon  aus  dem 
Beginn  des  12.  Jahrhunderts  schreibt  für  den  Karfreitag  purpurne  Kasein  vor2, 
während  ein  Ordinarium  von  Laon  aus  dem  dritten  Viertel  desselben  den 
Bischof  in  einer  casula  crocei  coloris  die  Karfreitagszeremonien  vornehmen  läßt3. 


1  Mur. ,  Ant.  IV  883  889  891  901.  Fest  des  1170  ermordeten  Thomas  Becket  er- 

2  Mart.  1.  4,  c.  23;  III  135.  wähnt  wird.    Eine  eigentümliche  irische  Ab- 

3  Chevalier,  Ordinaires  de  l'eglise  catb.6-  handlung  über  die  Farbe  der  Easel  bei 
drale  de  Laon  113.  Das  Ordinarium  ist  das  Moran,  Essay  on  the  origin,  doctrines  and 
AVerk  des  Dekans  Lisiardus  (1153 — 1168),  discipline  of  the  early  irish  church,  Dublin 
doch  wurde  es  später  interpoliert,  da  S.  53  das  1864;    französisch    bei   Roh.  VIII  29.     Der 


734       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Natürlich  sind  das  nur  vereinzelte  Daten.  Sie  beweisen  indessen,  daß 
auch  außerhalb  Roms  die  Neigung  auf  die  Ausbildung  einer  liturgischen 
Farbenregel  hinausging.  Das  erklärt  denn  auch  die  Abweichungen,  die 
schon  zu  Innozenz'  III.  Zeit  hinsichtlich  der  Farbe  einzelner  Tage  und  Zei- 
ten des  Kirchenjahres  bestanden  und  bald  sich  noch  weit  greller  bemerk- 
bar machten. 

Man  hat  Innozenz  III.  selbst  für  den  Urheber  der  Farben- 
ordnung angesehen,  die  er  in  seiner  Schrift  über  das  Meßopfer  mitteilt. 
Allein  ohne  Grund.  Man  braucht  nur  mit  ein  wenig  Aufmerksamkeit  die 
Ausführungen  des  Papstes  anzusehen,  um  zu  erkennen,  daß  er  beschreiben 
will,  nicht  was  er  selbst  geschaffen,  sondern  nur  was  seinerzeit  Brauch  der 
römischen  Kirche  war.  Es  muß  schon  vor  Innozenz  III.  die  Farbe  der  gottes- 
dienstlichen Gewänder,  sei  es  durch  den  Usus  oder  durch  irgend  eine  be- 
sondere Verordnung,  eine  Regelung  erfahren  haben.  Das  deutet  auch  zur  Ge- 
nüge der  Umstand  an,  daß  bereits  der  unter  Cölestin  III.  entstandene  12.  Ordo 
den  Papst  am  Stephanstage  bei  der  Messe  eine  rote  Kasel  tragen  läßt. 

Dagegen  ist  unzweifelhaft  Innozenz"  III.  Schrift  für  die  anderwärtige 
Aufnahme  des  römischen  Farbenkanons  von  größtem  Einfluß  gewesen.  Einen 
nicht  geringen  Anteil  an  seiner  Verbreitung  hat  um  das  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts freilich  auch  Durandus  durch  sein  weitverbreitetes  Rationale  und 
sein  Pontifikale  gehabt1. 

Die  Farbenregel,  wie  sie  zu  Rom  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts bestand,  gibt  außer  Durandus  teilweise  auch  das  auf  Befehl  Gregors  X. 
herausgegebene  Caeremoniale  romanum2,  diejenige  des  frühen  14.  Jahrhunderts 
der  Ordo  des  Jacobus  Gajetanus3.  Zu  Durandus  Zeit  war  zu  Rom  noch  als 
Nebenfarbe  von  Grün  Gelb  gebräuchlich.  In  dem  Farbenkanon  des  14.  Ordo 
wird  Gelb  dagegen  nicht  mehr  erwähnt.  Allerdings  werden  noch  in  dem 
Inventar  von  St  Peter  aus  dem  Jahre  1361  im  Einklang  mit  der  Angabe 
des  Durandus  eine  Anzahl  gelber  Paramente  aufgeführt4.  Doch  mögen  auch 
zu  Rom  Theorie  und  Praxis  sich  nicht  stets  völlig  gedeckt  haben.  Vio- 
lett ist  in  der  Farbenregel  des  14.  Ordo  noch  immer,  wie  auch  bei  Duran- 
dus, gleichwertig  mit  Schwarz;  denn  sie  bezeichnet  es  als  „nicht  unpassend", 
daß  man  an  den  Tagen,  denen  Schwarz  zukomme,  violette  Gewänder  gebrauche. 
Es  galten  selbst  noch  im  Beginn  des  15.  Jahrhunderts,  wie  eine  Notiz  des 
15.  Ordo  beweist,  Schwarz,  Violett  und  Indigo  als  gleichwertig6. 

In  der  Farbenregel,  die  Pius  V.  dem  römischen  Missale  einfügen  ließ, 
fehlt  nicht  nur  Gelb,  es  sind  auch  Violett  und  Schwarz  in  ihr  völlig  ge- 
schieden. 

Der  älteste  unter  den  bisher  bekannt  gewordenen  außer  römischen 
Farbenkanones  aus  dem  Mittelalter  findet  sich ,  wenn  wir  von  den  kurzen 
Andeutungen  Sicards  von  Cremona  absehen,  in  den  Statuten  Hugo  Patesbulls, 
Bischofs  von  Lichfield  in  England  (1239 — 1241).  Er  ist  von  besonderem 
Interesse;    denn    er   trägt    noch    deutlich    den    Charakter    des    Entwicklungs- 


Verfasser  will,  daß  auf  jeder  Kasel  sich  finde  '  L.  3,  c.  18.    Mart.  1.  1,  c.  4,  art.  12, 

Gelb,  Blau,  Weiß,  Grün,  Braun,  Rot,  Schwarz,  ordo  23;  I  225. 

Purpur,     und     führt     das     auf     Anordnung  2  N.   18  ff  (M.  78,   1116  f). 

Moses'  zurück.    Für  die  Geschichte  der  litur-  s  C.  49  ff  (ebd.  1154  f). 

gischen    Farben    hat   die    Schrift    keine    Be-  '  Müntz    e   Frothingham,    11   Tesoro 

deutung ;  immerhin  verdient  sie,  wenigstens  di  S.  Pietro  39. 

erwähnt  zu  werden.  5  C.  24  (M.  78,  1288). 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  735 

Stadiums  an  sich  und  kennt  erst  drei  festbestimmte  Farben:  Weiß,  Rot  und 
Schwarz.  Für  das  Weilmachtsfest  merkt  er  an  „pretiosiora  indumenta".  Für 
die  Paramente  beim  Officium  de  tempore  von  Epiphanie  bis  Septuagesima 
und  von  Trinitatissonntag  bis  Advent,  an  den  Festen  der  Geburt  des  hl.  Jo- 
hannes d.  T.,  der  Stuhlfeier  Petri,  der  hl.  Maria  Magdalena,  Allerheiligen  und 
eines  Bekenners  gibt  er  noch  keine  Farbe  an,  sondern  begnügt  sich  mit  der 
unbestimmt  gehaltenen  Anweisung  „varii  coloris".  Der  Sakristan  soll  an 
diesen  Tagen  die  Farbe  der  Gewänder  nach  seinem  Gutdünken  festsetzen1. 

Daß  in  der  Tat  die  liturgische  Farbenregel  in  England  um  die  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts  erst  im  Beginn  ihrer  Ausbildung  stand,  beweist 
Kap.  1  der  1240  abgehaltenen  Synode  von  Worcester.  Denn  wenn  dieses  be- 
stimmt, es  sollten  in  jeder  Kirche  zwei  Kasein  vorhanden  sein,  und  zwar  ohne 
irgend  eine  Bemerkung  über  deren  Farbe  zu  machen2,  so  setzt  das  offenbar 
voraus ,  daß  es  damals  in  der  Diözese  Worcester  noch  keinen  vollständigen 
Farbenkanon  gab.  Selbst  die  Farbenordnung  des  „Liber  consuetudinarius" 
des  Abtes  Richard  de  Ware  von  Westminster  (1258 — 1283)  ist  noch  nicht 
in  allen  ihren  Teilen  fixiert3.  So  lautet  z.  B.  die  Anweisung  für  Pfingsten: 
In  die  vero  et  infra  octavas  Pentecostes  ernnt  indumenta  praedicta  (Kasel, 
Dalmatik  und  Tuniceila)  diebus  quibus  brudata  (mit  Stickereien  versehen) 
non  sunt,  scintillata  aut  rubea  vel  etiam  crocei  aut  glauci  coloris.  Am 
Pfingstfest  und  in  seiner  Oktav  konnte  man  also  nach  Belieben  bestickte, 
funkenfarbige,  rote,  gelbe  oder  blaue  Gewänder  gebrauchen.  Für  das  Fest 
des  hl.  Johannes  vor  dem  latinischen  Tore  verzeichnet  der  „Liber  con- 
suetudinarius" :  capae  cantorum  ad  vesperas  albi  coloris  erunt  et  capae  sacer- 
dotum  crocei  sive  glauci  coloris.  Für  die  Bekenner  mangeln  Angaben.  Die 
englischen  Farbenkanones  aus  dem  14.  Jahrhundert  erscheinen  völlig  aus- 
gebildet. 

Die  Entwicklung  der  liturgischen  Farben  in  England  kann  als  Beispiel  der 
Ausgestaltung  der  kirchlichen  Farbenordnung  überhaupt  gelten.  Denn  wie  dort, 
wird  es  sich  ähnlich  auch  anderswo  verhalten  haben.  Hiernach  haben  wir  uns  die 
Entstehungsweise  des  liturgischen  Farbenkanons  wohl  in  folgender  Weise  zu 
denken.  Anfänglich  wurden  nur  die  Feste  von  scharf  ausgeprägtem  Charakter 
durch  eine  ihrer  Stimmung  und  ihrer  Bedeutung  entsprechende  besondere  Farbe 
ausgezeichnet,  und  zwar  kamen  hierbei  zunächst  nur  Weiß,  Rot  und  Schwarz 
(Dunkel)  zur  Verwendung.  Für  die  übrigen  Tage  blieb  die  Gewandfarbe  noch 
unbestimmt.  Dann  aber  hielt  man  es  für  passender,  auch  für  diese  eine  Farbe 
zu  fixieren.  Man  wählte  dazu  die  Farben,  die  man  als  Mittelfarbe  zwischen 
Weiß,  Rot  und  Schwarz  ansah,  Grün  oder  Gelb,  seltener  Blau.  Gleichzeitig 
wurde  Violett  wegen  seines  trüben  Aussehens  dem  Schwarz  als  Nebenfarbe 
zugesellt,  mit  dem  Unterschied,  daß  man  es  vornehmlich  an  jenen  Bußtagen 
brauchte,  an  welchen  die  Bußstimmung  in  gemilderter  Form  zum  Aus- 
druck  kam.     So  war  der  Farbenkanon  in  seinen  Grundzügen  fertig. 

Unter  den  Farbenregeln  aus  dem  16.  Jahrhundert  ist  eine  der  bemerkens- 
wertesten und  eigenartigsten  diejenige  der  Stiftskirche  von  Ellwangen,  über 
welche  der  „Liber    caeremoniarum  ecclesiae  Elvangensis.    Anno  Domini  1574, 


1  Dugdale,    Monastieon  angl.  (nov.  ed.)  englische  Farbenregeln   aus    dem  Mittelalter 
VI  8,   1259.  bei  Wickham  Legg,  History  of  the  eccl. 

2  Hard.  VII  331.  colours,    London  1882,    und  bei  Chambers 

3  Diese   sowie    noch    verschiedene    andere  app.  I  und  suppl. 


736       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  C4ewänder. 

I.  die  mensis  Marcii"  1  Aufschluß  gibt.  Es  sind  darin  sieben  Kirchenfarben 
verzeichnet:  Weiß,  Rot,  Grün,  Gelb,  Violett,  Schwarz  und  Aschgrau. 

Der  aschgrauen  Farbe  bediente  man  sich  beim  Offizium  am  Aschermittwoch, 
der  schwarzen  ini  Advent,  in  der  Zeit  zwischen  Septuagesima  und  Passionssonntag, 
an  allen  "Vigilien,  welche  Fasttage  waren,  mit  Ausnahme  von  Karsamstag  und  den 
Vigilien  vor  Pfingsten  und  Maria  Himmelfahrt,  bei  den  Prophetien  am  Karsamstag  und 
an  der  Pfingstvigil,  bei  den  Prozessionen  am  Montag,  Mittwoch  und  Freitag  der  Fasten- 
zeit sowie  endlich  beim  Gottesdienst  für  die  Verstorbenen.  Violette  Gewänder  trug 
man  bei  der  ersten  Vesper  von  Weihnachten,  dem  dritten  Hochamt  am  Weihnachtstag, 
an  den  in  die  Oktav  des  Christfestes  einfallenden  Sonn-  und  Ferialtagen  und  endlich 
in  der  Zeit  zwischen  der  Oktav  von  Epiphanie  und  Septuagesima. 

Gelb  war  die  Farbe  für  Lätare,  das  Fest  der  Beschneidung,  Epiphanie,  das  Fest 
der  heiligsten  Dreifaltigkeit  und  den  Sonntag  innerhalb  der  Fronleichnamsoktav. 

Grüne  Paramente  gebrauchte  man  bei  der  Weihe  der  Osterkerze,  an  den  Festen  der 
Bekenner,  das  Geburtsfest  des  hl.  Johannes  des  Täufers  miteingeschlossen,  und  an  den  Fest- 
tagen heiliger  Witwen  und  Frauen,  die  nicht  Jungfrauen  und  Märtyrinnen  waren.  Doch  war 
für  das  Fest  der  hl.  Anna  und  das  der  hl.  Elisabeth  von  Thüringen  Violett  vorgeschrieben. 

In  Rot  kleidete  man  sich  bei  der  zweiten  Messe  am  Weihnachtstag,  am  Feste 
des  hl.  Stephanus  und  der  unschuldigen  Kinder,  an  den  Festen  der  heiligen  Apostel 
und  Märtyrer,  in  der  Passionszeit,  den  Gründonnerstag  nicht  ausgenommen,  an  Pfingsten 
und  ungewöhnlicherweise  auch  am  Feste  Maria  Heimsuchung.  Für  den  Karfreitag 
sind  casulae  speciales  angemerkt.  Die  beiden  Kanoniker,  welche  an  diesem  Tage  bei 
der  Prozession  zum  heiligen  Grab  den  mit  einer  roten  Kasel  bekleideten  Leichnam 
Christi  trugen,  waren  mit  roter  Stola  versehen. 

Die  weiße  Farbe  galt  für  die  ganze  Osterzeit,  selbst  den  Markustag  und  die 
Bittprozessionen  eingerechnet,  das  Fest  Christi  Himmelfahrt  und  Fronleichnam,  die 
Feste  Maria  und  die  Tage  heiliger  Jungfrauen.  Außerdem  bediente  man  sich  ihrer 
bei  der  ersten  Messe  des  Christfestes  und  bei  der  Taufwasserweihe  sowie  der  Messe 
am  Karsamstag  und  an  der  Pfingstvigil. 

Für  die  Sonntage  nach  Pfingsten  fehlt  eine  Angabe  über  die  Farbe.  Wenn  am 
Mittwoch  und  Freitag  das  officium  dominicale  der  betreffenden  Woche  wiederholt 
wurde,  so  hatte  man  dabei  schwarze  Paramente  zu  gebrauchen. 

Liturgische  Farbenkanones  aus  dem  Mittelalter  sind  selten,  zumal  solche 
aus  dem  13.  und  14.  Jahrhundert.  Verhältnismäßig  die  meisten  mittelalterlichen 
Farbenreihen  sind  aus  englischen  Kirchen  bekannt  geworden.  Noch  in  der 
ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  findet  sich  eine  Anweisung  über  die  Farbe 
der  Paramente  nur  selten  in  den  Missalien.  Häufiger  wird  in  diesen  eine  solche 
erst  in  dessen  zweiter  Hälfte,  namentlich  seitdem  1570  das  offizielle  römische 
Missale  erschienen  war.  Im  17.  Jahrhundert  begegnet  uns  ein  Farbenkanon 
fast  regelmäßig  in  den  Meßbüchern,  und  zwar  auch  da,  wo  das  römische 
Missale  nicht  rezipiert  worden  war. 

Wo  eine  vom  römischen  Gebrauch  bezüglich  der  liturgischen  Farben 
abweichende  Gewohnheit  bestand,  wurde  sie  noch  nach  Erscheinen  des  offi- 
ziellen römischen  Meßbuches  anfänglich  vielfach  beibehalten,  auch  wenn  man 
im  übrigen  den  römischen  Eitus  adoptierte.  Allmählich  aber  paßten  sich 
selbst  solche  Missalien,  die  nach  der  Bestimmung  Pius'  V.  unverändert  hätten 
fortbestehen  können,  wie  hinsichtlich  des  sonstigen  Ritus,  so  auch  bezüglich 
der  Farben  dem  römischen  Missale  an.  In  Mailand  blieb  zugleich  mit  dem 
ambrosianischen  Ritus  auch  dessen  besondere  Farbenregel  bis  auf  die  Gegen- 
wart in  Kraft.  Aber  auch  in  Frankreich  bestanden  bis  ins  19.  Jahrhundert 
hinein  in  einer  Reihe  von  Diözesen  eigene  und  eigentümliche  Farbenkanones. 


1  Kirchenscbmuck  XXV  23  ff. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  737 

III.    MANNIGFALTIGKEIT   DER    LITURGISCHEN    FARBENREGELN    IN 

DER  VERGANGENHEIT. 

Vergleicht  man  die  Vorschriften  über  die  Farbe  der  Sakralgewandung, 
wie  sie  uns  seit  dem  13.  Jahrhundert  zu  den  verschiedenen  Zeiten  und  an 
den  verschiedenen  Orten  begegnen,  so  sieht  man  sich  einem  äußerst  wechsel- 
vollen Bilde  gegenüber.    Woher  das? 

Das  liturgische  Recht  der  Bischöfe  hatte  bis  zum  Tridentinum  einen 
ungleich  weiteren  Umfang  als  jetzt.  Rom  ließ,  ja  mußte  ihnen  infolge  der 
Umstände  in  vielen  Stücken  freie  Hand  lassen.  Es  konnte  damals  unmöglich 
eine  so  umfassende  heilsame  Kontrole  in  Sachen  der  Liturgie  wie  heutzutage 
ausüben.  Daher  die  vielen  Eigentümlichkeiten  in  den  gottesdienstlichen  Ge- 
bräuchen nicht  nur  der  einzelnen  Länder,  sondern  auch  der  einzelnen  Diözesen, 
ja  einzelner  Kirchen,  von  denen  wir  jetzt  kaum  mehr  eine  Ahnung  haben, 
und  die  uns  bisweilen  höchlichst  befremden,  wenn  wir  ihnen  in  einem  alten 
Ordinarium  begegnen.  Daher  aber  auch  die  Verschiedenheiten  bezüglich  des 
kirchlichen  Farbenkanons.  Ja,  weil  Rom  hinsichtlich  der  Farbe  der  Paramente 
am  wenigsten  gebietend  auftrat,  und  weil  außerdem  zuletzt  fast  jeder  Farbe 
verschiedene  mystische  Bedeutungen  unterlegt  werden  können,  mußte  sich 
in  Bezug  auf  die  liturgischen  Farbenregeln  erst  recht  eine  üppige  Mannig- 
faltigkeit entwickeln. 

Überhaupt  beruhte  die  liturgische  Farbenordnung  das  ganze  späte  Mittel- 
alter hindurch  vielfach  mehr  auf  einem  allem  Wechsel  unterworfenen  und 
von  subjektivem  Ermessen  in  hohem  Maße  abhängigen  Usus  als  auf  bindenden 
Vorschriften.  Auch  nachdem  schon  längst  Farbenregeln  bestanden,  war  für 
die  Benutzung  der  Paramente  noch  vielfach  nicht  deren  Farbe,  sondern 
ihre  Qualität  maßgebend.  Sehr  belehrend  sind  in  dieser  Beziehung  die  In- 
ventare  der  Kapellen  der  Kathedrale  von  York  von  1360.  Die  Zahl  der 
Kasein  geht  in  den  einzelnen  Verzeichnissen  kaum  je  über  drei  hinaus;  Norm 
für  ihren  Gebrauch  aber  ist  lediglich  der  Ritus  des  Offizium.  So  heißt  es 
im  Inventar  der  Kapelle  des  hl.  Eduard:  unum  vestimentum  pro  festis  dupli- 
cibus,  unum  vestimentum  pro  IX.  lectionibus,  tertium  feriale  und  in  den  der 
Kapelle  B.M.V.  et  s.  Ioannis:  unum  vestimentum  bonum  et  sufficiens  pro 
diebus  duplicibus  et  festis,  unum  vestimentum  pro  diebus  ferialibus.  Ähnlich 
wird  im  Schatzverzeichnis  der  Kathedrale  von  Cambrai  von  1359  bezüglich  der 
Verwendung  der  Paramente  zwischen  festa  IX  et  III  lectionum  unterschieden. 
Sogar  im  16.  Jahrhundert  war  jenes  Prinzip  noch  vielfach  bestimmend,  wie 
z.  B.  das  sehr  interessante  Inventar  von  St  Michael  zu  Zeitz  (Sachsen)  aus 
dem  Jahre  1514  bekundet.  Von  den  sieben  darin  verzeichneten  Ornaten  für 
die  Apostelfeste  sind  zwei  grün,  zwei  rot,  zwei  blau  und  einer  braun;  für  die 
Ferialtage  ist  einer  braun,  einer  rot  und  einer  schwarz.  Auffallend  gering 
ist  in  dem  Verzeichnis  die  Zahl  weißer  Kasein,  deren  es  unter  32  nur  vier 
gibt  gegenüber  15  roten,  und  selbst  von  diesen  vier  werden  drei  als  „Fasten- 
gereth"  bezeichnet.  Sogar  im  Inventar  der  Schloßkirche  zu  Heilsberg  von  1581 
finden  sich  noch  Notizen  wie  diese:  1  braun  atlas  Casel,  die  man  braucht, 
wenn  es  duplex,  item  1  blaw  Casell  mit  blumen,  die  man  braucht  in  semiduplici 
festo,  1  rot  quotidian  Casel1. 


1  Hipler,  Schatzverzeichnisse  64.     Sehr  instruktiv  ist  auch  das  Inventar  der  Stiftskirche 
zu  Ecouis  (Eure)  von  1565. 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  47 


738      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Noch  bezeichnender  aber  ist  eine  Meßgewandordnung  des  Klosters  Eber- 
bach im  Rheingau  aus  dem  16.  Jahrhundert,  welche  für  das  Amt  an  den 
einzelnen  Festen  des  Jahres  die  Kasel  bestimmt.  Kaum,  daß  sich  in  ihr  auch 
nur  eine  Spur  eines  Farbenkanons  offenbart1.  Sie  ist  es  wert,  hier  ab- 
gedruckt zu  werden.  Wir  lassen  sie  darum  nachstehend  folgen.  Tabula 
denotans  quibus  sacris  vestibus  in  festis  totius  anni  utendum : 

Translationis  S.  Benedicti,  das  alt  rot  sammet. 

Mariae  Magdalenae,  das  grün  seiden  mit  Trauben. 

Iacobi  apli,  das  grün  sammet. 

Annae  matris  Mariae,  das  weiß  Damast. 

Ad  vincula  S.  Petri,  das  blow  seiden  mit  Löwen. 

Laurentii  mart.,  das  rot  seiden. 

Coronae  spineae  dni,  das  rot  verblümbt  sammet. 

Assumptionis  B.  Mariae  V.,  das  weiß  silberstück. 

Bernardi  abb.,  das  grauenstück. 

Bartholomaei  apli,  das  grün  sammet. 

Augustini  epi,  das  blow  sammet. 

Decollationis  Iois,  das  blow  seiden  mit  gülden  Löwen. 

Nativitatis  Mariae,  das  alt  weiß  gülden  Stück  mit  Perlen. 

Esaltationis  S.  Crucis,  das  rot  seiden. 

Matthiae  apostoli,  das  grün. 

Michaelis  archangeli,  das  alt  braun  seiden  Widerschein. 

Lucae  Evang.,  das  gelb  sammet. 

Undecim  milliirm  Virg.,  das  alt  gülden  stück. 

Simonis  et  Iuclae,  das  grün  verblümbt  sammet. 

Omnium  S.S  ,  das  grün  gülden  stück. 

Omnium  animarum,  das  schwarz  Sammet. 

Martini  epi,  das  blow  sammet. 

Ceciliae  virginis,  das  braun  seiden  mit  laubwerk. 

Catharinae  V.,  das  weiß  Damast. 

Adventus  dni,  das  alt  gülden  stück. 

Andreae  apostoli,  das  grün  verblümt  sammet. 

Conceptionis  Mariae,  das  Eselfarb  güldenstück. 

Thomae  apostoli,  das  grün  sammet. 

In  Vigilia  Nat.  dni,  das  braun  seiden. 

In  sacra  nocte,  das  grauenstück. 

In  aurora,  das  rot  new  gülden  stück. 

Ad  summam  missam,  das  grün  güldenstück. 

Circumcisionis  dni,  das  roth  new  gülden  Stück. 

Epiphanie  dni,  das  Eselfarb  gülden  stück. 

Agnetis  virginis,  das  roth  verblümbt  Sammet  Ornament. 

Conversionis  Pauli,  das  blow  Seiden  mit  gülden  Löwen. 

Purificationis  Mariae,  das  alt  weiß  gülden  Stück  mit  Perlen. 

Agathae  virginis,  das  grün  seiden  mit  roten  Träublen. 

Cathedra  S.  Petri,  das  alt  gelb  Stück. 

Matthiae  apostoli,  das  grün  Sammet. 

losephi  et  Benedicti  abbatis,  das  rot  Sammet. 

Annunciationis  B.  M.  V.,  das  weiß  gülden  stück  mit  Perlen. 

Ambrosii  episcopi,  das  blow  sammet. 

In  die  Palmarum,  das  roth  verblümbt  sammet. 

In  coena  dni,  das  weiß  Damast. 

Parasceve,  das  roth  seiden. 


1  Roth.  Geschichtsquellen  aus  Nassau  III,  Wiesbaden  1880,  457. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  739 

Vigilia  Paschae,  das  braun  seiden  verblümbt. 

In  die  sancto,  das  weiß  silber  Stück. 

Altero  die  Paschae,  das  grün  verblümbt  sammet. 

Tertio  die,  das  grün  verblümbt  sammet,  ut  supra. 

Quarto  die,  das  blow  sammet. 

In  Octava  Paschae,  das  blow  seiden  mit  gülden  Löwen. 

Marci  Evang.,  das  gelb  sammet. 

Inventionis  S.  Crucis,  das  gülden  Stück. 

Dedicationis  ecclesiae,  das  grauen  Stück. 

Vigilia  Pentecost.,  sicut  in  vigilia  Paschae. 

In  die  Pentecost.,  das  grün  gülden  Stück. 

Peria  2.,  3.  et  4.,  sicut  in  feriis  paschalibus. 

SS.  Trinitatis,  das  Eselfarb  gülden  Stück. 

Corporis  Chri,  das  rot  new  gülden  Stück. 

Nat.  Iois  Baptistae,  das  roth  verblümbt  sammet. 

Visitationis  Mariae,  sicut  SS.  Trinitatis. 

Petri  et  Pauli,  sicut  in  secundo  Paschae. 

Stephani  prothomart.,  das  rot  verblümbt  sammet. 

Iois  Evang.,  das  grün  sammet. 

In  die  S.S.  Innocentum,  das  alt  güldenstück. 

Sehen  wir  von  den  Apostelfesten ,  für  die  in  den  meisten  Fällen  Grün 
verzeichnet  ist,  und  von  den  Marienfesten  ab,  so  gibt  es  keine  bestimmte  Norm 
für  den  Gebrauch  der  Farbe  in  dieser  Meßgewandordnung.  Man  beachte  be- 
sonders, wie  das  Fest  der  hl.  Agnes  Rot  hat,  während  für  die  Feste  der  Elf- 
tausend Jungfrauen,  der  hl.  Cäcilia  und  der  hl.  Katharina  Gold,  Braun  und 
Weiß  vermerkt  werden. 

Im  Jahre  1603  verordnete  eine  Synode  von  Brixen,  es  sollten  Paramente 
von  allen  fünf  liturgischen  Farben  in  allen  Kirchen  vorhanden  sein.  Ahnlich 
eine  Synode  von  Konstanz  aus  dem  Jahre  1609  1. 

Das  bunte  Farbenspiel  in  den  Farbenordnungen  der  französischen  Missalien 
des  ausgehenden  17.  wie  des  ganzen  18.  Jahrhunderts  hatte  teils  seinen 
Grund  im  Festhalten  an  mittelalterlichem  Brauch ,  teils  war  es  die  Folge 
der  gallikanischen  Reformbestrebungen  am  Ausgang  des  17.  und  im  Beginn 
des  18.  Jahrhunderts,  indem  manche  Bischöfe  die  gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts in  sehr  vielen  Diözesen  eingeführte  römische  Liturgie  wieder  ab- 
schafften und  auf  den  früheren  Ritus  zurückgriffen.  Natürlich  gab  man  mit 
dem  römischen  Missale  auch  den  römischen  Farbenkanon  preis. 

Um  einen  Einblick  in  die  Mannigfaltigkeit  der  liturgischen  Farben- 
ordnungen zu  erhalten,  empfiehlt  es  sich,  einen  Rundgang  durch  das  Kirchen- 
jahr zu  machen  und  dabei  die  verschiedene  Praxis  in  Bezug  auf  die  Farbe 
der  Paramente  Revue  passieren  zu  lassen 2.  Wir  erhalten  so  ein  anschauliches 
Bild  des  bunten  Wechsels,  der  ehedem  in  Bezug  auf  die  Farbe  der  litur- 
gischen Kleidung  bestand.     Wir  beginnen  mit  dem  Advent. 

Der  Advent  ist  das  Nachbild  der  Jahrtausende,  in  denen  die  Menschheit  der 
Ankunft  dessen  harrte,  der  sie  aus  Sündennot  und  Verderben  retten  sollte.  Zugleich 
ist  er  die  Vorbereitung  auf  den  Jahrestag  der  leiblichen  Geburt  des  Gottessohnes 
und  auf  die  geistige  Einkehr  des  Heilandes  in  die  Seele.  In  beider  Beziehung  ist 
der  Advent  eine  Zeit  der  Trauer  und  Bufne,  weßhalb  denn  auch  meist  beim  Advents- 


1  Hartzh.  VIII  565  909.  Schrift  Wickham  Leggs,  History  of  the 

-  Eine  sehr  fleißige  Sammlung  von  Farben-  eccl.  colours ;  französische  auch  bei  M  a  1  a  i  s, 

Ordnungen  aus  England,  Frankreich,  Deutsch-  Des  couleurs  liturgiques,  Dieppe  1879 ,  eng- 

land   und   Spanien   in    der   schon  erwähnten         lische  bei  Chambers  app.  I  und  suppl. 

47* 


740       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

gottesdienst  Violett  oder  Schwarz  gebraucht  wurde.  Doch  kamen  auch  weiße  Ge- 
wänder zur  Verwendung.  So  findet  sich  Weiß  für  den  Advent  verzeichnet  in  dem 
schon  erwähnten  Farbenkanon  der  Westminsterabtei,  in  einem  Pariser  Missale  von 
1666,  einem  Missale  von  Sigüenza  in  Spanien  (1552)  und  von  Auxerre  (1738)  u.  a. 
Anderswo  bediente  man  sich  roter  Paramente,  so  zu  Salisbury  in  England  (15.  Jahr- 
hundert) und  Mainz  (M  [=  Missale]  von  1602).  In  den  Statuten  von  Wells  in  England 
(14.  Jahrhundert)  ist  für  den  Advent  dunkelblau  vorgeschrieben.  Ein  Franziskaner- 
missale des  15.  Jahrhunderts  in  der  Vaticana  '  vermerkt  für  die  Adventszeit  im  allge- 
meinen Violett,  für  den  Sonntag  Gaudete  aber  Weiß.  Von  rosafarbenen  Paramenten, 
wie  sie  das  römische  Caeremoniale  -  für  das  Hochamt  am  dritten  Adventssonntag  vor- 
sieht, findet  sich  in  den  mittelalterlichen  römischen  Ordines  noch  keine  Spur. 

An  der  Weihna chtsvigil  war  in  Eom  zu  Innozenz'  III.  Zeit,  wie  es  scheint, 
Schwarz,  seit  etwa  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  aber  Violett  gebräuch- 
lich. Der  Liber  consuetudinarius  von  Westminster,  Durandus  (Rationale  und  Pontifikale), 
das  erwähnte  Franziskanermissale  und  das  Missale  eines  Augustinerklosters  zu  Neapel 
aus  dem  Jahre  1506 3  vermerken  jedoch  Weiß  für  sie,  in  signum  pudoris  partus 
futuri,  wie  das  Franziskanermissale  erklärend  beifügt.  Gelb  war  zu  Eichstätt  (ca  1600) 4, 
Schwarz  zu  Ellwangen  und  überhaupt  fast  überall  da  im  Gebrauch,  wo  im  Advent 
schwarze  Paramente  getragen  wurden,  Rot  zu  Evesham  in  England 5. 

Dem  Weihnachtsfest  und  der  Weihn  achtszeit  eignete  fast  allenthalben 
Weiß.  In  Ellwangen  war  es,  wie  wir  bereits  hörten,  merkwürdigerweise  Sitte,  sich 
bei  der  ersten  Messe  am  Feste  weißer,  bei  der  zweiten  roter,  bei  der  dritten  sowie 
in  der  Oktav  violetter  Gewänder  zu  bedienen.  In  dem  Lyoner  Missale  von  1771 
war  für  die  Messe  in  galli  cantu  Violett,  für  die  zweite  Weiß,  für  die  dritte  Rot 
vorgeschrieben.  Zu  Mainz  (M  1602)  wurde  die  erste  Messe  in  roten,  die  zweite 
in  weißen  Gewändern  zelebriert.  Für  die  dritte  und  die  Oktav  fehlt  eine  Angabe. 
Eine  dem  Mainzer  Brauch  ähnliche  Sitte  wird  bei  Martene  auch  für  Corbie  und 
St  Germain-des-Pres  zu  Paris  erwähnt 6.  Die  Statuten  von  Wells  bestimmen :  In 
die  natalis  Domini  omnia  alba  praeter  in  secunda  missa,  geben  jedoch  nicht  an, 
welcher  Farbe  man  sich  bei  dieser  Messe  bediente.  Zu  Evesham  war  es  Sitte,  bei  der 
missa  magna  am  Weihnachtsfest  eine  große  schwarze  Kasel  zu  tragen,  bei  der  missa 
in  galli  cantu  aber  eine  alba  casula  diasperata  (gemustert)  et  auro  stragulata. 

Es  ist  nicht  klar,  welches  der  Grund  war,  die  Messen  am  Weihnachtsfeste 
alle  oder  teilweise  in  verschiedenen  Farben  zu  feiern.  Vielleicht  daß  die  weiße  Farbe 
die  menschgewordene  Gottheit  oder  seine  ewige  Geburt,  die  rote  seine  heilige  Mensch- 
heit bzw.  seine  zeitliche  Geburt,  Violett  aber  das  Wort  des  Apostels:  „Er  hat  sich 
selbst  erniedrigt"  (Phil  2,  8)  versinnbilden  sollte. 

Am  Feste  der  Beschneidung  des  Herrn  bediente  man  sich  entweder 
weißer  oder  roter  Paramente,  weißer,  um  Christi  unendliche  Reinheit  und  Gottheit 
anzudeuten,  roter,  um  an  seine  erste  Blutvergießung  zu  erinnern.  Beides  war  gleich 
gebräuchlich.  Der  beiden  Bräuchen  zu  Grunde  liegenden  Auffassung  suchten  in  eigen- 
artiger Weise  die  Statuten  von  Wells  dadurch  gerecht  zu  ■  werden ,  daß  von  den 
funktionierenden  Geistlichen  die  einen  in  Rot,  die  andern  in  Weiß  auftraten.  Das 
Mainzer  Missale  von  1602  verzeichnet  für  das  Fest  der  Beschneidung  Blau7. 


1  Vat.  Capp.   206.  aliis  vero  festis  sequentibus    (sc.  festum  In- 

2  L.  2,  c.  13,  n.  11.  nocentium) ,    sive    festum    confessorum    sive 

3  Vat.  Ottob.  221.  virginum,    utitur   colore   albo,   rubeo  in  do- 

4  Kirchenschmuck  XXI  24.  minicis  a  Nativitate  usque  ad  Octavam  Epi- 

5  Offic.  eccl.  abbat,  sec.  usum  Evesham.  phaniae ,  si  facit  de  dominica  non  de  aliquo 
monast.  (Bradshaw  S  o  c. ,  London  1893)  festo  utitur  colore  albo,  ist  ersichtlich  fehler- 
166.  Verfaßt  zur  Zeit  Eduards  III.  oder  haft.  Vielleicht  ist  zu  lesen:  utitur  colore 
Richards  IL  albo  vel  rubeo  (je  nachdem  die  virgo  nämlich 

n  Mari,  Mon.  1.  2,  c.  4,  n.  9  18:  IV  95.  bloß  Jungfrau   oder  auch   zugleich  Märtyrin 

7  Die  Angabe    des    13.  Ordo    (n.   18) :    In  war).     In  dominicis  etc. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben. 


741 


Dem  Feste  Epiphanie  und  seiner  Oktav  eignete  wie  Weihnachten  vor- 
nehmlich Weiß;  jedoch  wurden  auch  rote  Gewander  gebraucht,  so  zu  Toledo 
(M.  1550),  Lichfield  (13.  Jahrhundert),  Clermont  in  der  Auvergne l.  Gelb  war  die 
Farbe  für  Epiphanie  zu  Ellwangen  und  Toulouse  (M.  1832),  Violett  zu  Soissons 
(M.  1745).  Zu  Lisieux  benutzte  man  entweder  rote  Paramente  oder  Paramente  von 
Goldstoff'.     Eigenartig  ist  das  Grün  zu  Le  Mans  (M.  1655). 

In  der  Zeit  von  Epiphanie  bis  Septuagesima  begegnen  uns  Weiß,  Kot, 
Violett  und  Grün.  Weiß  zu  Paris  (M.  1666),  Sens  (M.  1715),  Auxerre  (M.  1738). 
Bourges  (M.  1741),  Toledo  (M.  1550),  Toul  (Caeremoniale  1700),  Eot  zu  Lyon  (M.  1771), 
Salisbury  (14.  und  15.  Jahrh.),  Wells  (14.  Jahrh.),  Mainz  (M.  1602),  Gelb  zu  Palencia 
in  Spanien  (M.  1568) 3,  Violett  zu  Ellwangen  und  Le  Mans  (M.  1655).  Am  ver- 
breitetsten  war,  wohl  infolge  des  Einflusses  des  römischen  Kanons,  Grün.  Wir  be- 
gegnen ihm  z.  B.  zu  Soissons  (M.  1745),  in  Sizilien  (M.  1568),  zu  Mailand  (M.  1795),  in 
dem  Augustinermissale  von  Neapel  (1506) ,  dem  vorhin  erwähnten  Minoritenmissale 
(15.  Jahrh.),  einem  Caeremoniale  episcoporum  der  Vaticana  (15.  Jahrh.)4,  zu  Eich- 
stätt  (M.  1600),  Exeter  (Ordinale  von  1337),  London  (St  Paul,  Pontifikale  des  Bischofs 
Clifford  [1406  bis  1426]),  in  einem  Dominikanermissale  aus  dem  Beginn  des  16.  Jahr- 
hunderts 5,  zu  Köln  (M.  1626),  Trier  (M.  1608)  u.  a.  Wo  man  sich  einer  sonstigen 
Farbe  bediente,  lag  das  meist  daran,  daß  man  die  Farbe  der  Weihnachtsoktav  bis 
Septuagesima  beibehielt.  Das  Gelb  zu  Palencia  erklärt  sich  vielleicht  durch  den  Um- 
stand, daß  Gelb  Nebenfarbe  von  Grün  war.  Hier  und  dort  behielt  man  die  Weih- 
nachtsfarbe bis  Lichtmeß  bei  und  ging  erst  dann  zu  einer  andern  Farbe  über.  So 
will  es  z.  B.  das  Pariser  Missale  von  1685;  so  war  es  auch  zu  Eouen  üblich".  Dort 
trat  Rot,  hier  Grün  an  die  Stelle  von  Weiß. 

Von  Septuagesima  bis  zur  Fastenzeit  herrschte  die  violette  Farbe  vor. 
Bot  scheint  im  13.  und  14.  Jahrhundert  namentlich  in  England  Brauch  gewesen  zu 
sein;  später  kommt  es  auch  anderswo  vor,  so  zu  Mainz  (M.  1602)  und  Paris  (M.  1666). 
Schwarz  sei  beispielsweise  für  Köln  (M.  1626)  sowie  für  Ellwangen  und  Gubbio 
(M.  14.  bis  15.  Jahrh. 7)  angemerkt. 

In  der  Fastenzeit  bediente  man  sich,  wie  schon  früher  bemerkt  wurde,  zu 
Eom  noch  im  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  schwarzer  Paramente,  dann  aber  im 
Wechsel  mit  schwarzen  auch  violetter  und  indigofar-biger,  nicht  lange  nachher  aber 
nur  violetter.  Außerhalb  Roms  war  teils  Violett,  teils  Schwarz  gebräuchlich,  und 
zwar  nicht  bloß  im  Mittelalter,  sondern  bis  wenigstens  in  das  17.  Jahrhundert 
hinein.  Zu  Köln  muß  nach  Ausweis  des  Inventars  von  St  Brigiden  aus  dem  Jahre 
1508,  welches  eine  Anzahl  weißer  Paramente  ausdrücklich  als  Fastengewänder  be- 
zeichnet, um  das  beginnende  16.  Jahrhundert  Weiß  die  Farbe  für  die  Fastenzeit 
gewesen  sein  3.  Daß  die  Kölner  aber  damit  in  jener  Zeit  nicht  allein  standen,  erhellt  aus 
der  Aschermittwochspredigt  des  Osnabrücker  Augustiners  Gottschalk  Holen  (ca  1490), 
worin  es  heißt :  In  hoc  sciendum ,  quod  casula  quadragesimalis  est  alba  et  habet 
rubeam  crucem  9;  ferner  aus  dem  Inventar  von  Zeitz  (1514),  einem  Inventar  der  Schloß- 
kirche zu  Heilsberg  (1581),  dem  Inventar  der  St-Gertrudenkapelle  zu  Braunschweig 
(Ende  15.  Jahrh.),  dem  Inventar  der  Infirmary  Chapel  zu  Peterborough  (one  vestiment 
of  white  fustian  [Baumwolle]  for  Lent)  u.  a. lu    Das  Mainzer  Missale  verzeichnete  für 


.    '  Guy  et,    Heortologia   III,   Urbini    1728, 
9  28. 

2  Malais,  Des  couleurs  liturgiques  10. 

3  Vat.  Barber.  B  X  1. 

4  Vat.  Reg.  280. 

5  Bischöfliches  Museum  zu  Haarlem. 

6  Wickham  Legg,  History  of  the  eccl. 
colours,  London  1882,  17  19. 

7  Vat.  lat.  4743. 

8  Ditges,    Eine   Kölner   Gerkammer  im 
XVL  Jahrhundert  in  Annalen  des  historischen 


Vereins  XLV  120 :  Seven  wisser  vastengeger 
mit  sees  stoelen ,  5  manipuln.  Vunf  vasten 
wiss  g(eger)  mit  alven ,  stoelen  etc.  Das 
Kölner  Missale  von  1626  schreibt  schwarz 
für  die  Werktage  der  Fastenzeit  vor,  an  den 
Sonntagen  bediente  man  sich  violetter  Para- 
mente. 

9  Kirchenschmuck  IX  58. 
10  Im  Preßburger  Inventar  von  1425  finden 
sich  2  casulae  quadragesimales,  quarum  una 
est  alba  et  una  rubea. 


742       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

die  Fasten  Blau.  Es  scheint  dieses  ein  Ersatz  für  Violett  sein  zu  sollen,  welches  in 
der  Mainzer  Farhenordnung  auffälligerweiser  nicht  erwähnt  wird.  In  französischen 
Diözesen  bediente  man  sich  seit  etwa  dem  16.  Jahrhundert  während  der  Fastenzeit 
vielenorts  aschgrauer  Gewänder,  und  zwar  bis  tief  in  die  neueste  Zeit  hinein, 
so  zu  Paris  (M.  1685),  Bourges  (M.  1741),  Poitiers  (M.  1767),  Lyon  (M.  1771), 
Frejus  (M.  1786),  Pamiers  (M.  1845),  Meaux  (M.  1845),  Autun  (M.  1845)  u.  a. 
Solche  kamen  aber  auch  anderswo  vor,  so  zu  Toledo  (M.  1550)  und  Ellwangen.  Selbst 
im  Inventar  von  St  Peter  zu  Rom  aus  dem  Jahre  1441  finden  wir  eine  tunicella, 
dalniatica,  planeta  cineritia  ad  usum  primi  diei  quadragesimae '. 

War  für  die  Zeit  von  Septuagesima  bis  zu  den  Fasten  eine  andere  Farbe  im 
Gebrauch  wie  in  der  Fastenzeit,  so  folgte  der  Aschermittwoch  regelmäßig  der 
Farbe  der  letzteren.  Eine  Ausnahme  hiervon  scheint  nur  sehr  selten  gemacht  worden 
zu  sein,  wie  z.  B.  zu  Paris  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  wo  man  die  Fastenzeit 
erst  mit  dem  Sonntag  nach  Aschermittwoch  begann  2. 

An  verschiedenen  Orten  waren  schwarze  Paramente  nur  an  den  Werktagen 
der  Fastenzeit  in  Gebrauch,  während  man  sich  an  den  Sonntagen  violetter  be- 
diente, so  zu  Köln  (M.  1626),  Sens  (M.  1715)  u.  a.  Man  wollte  dadurch  den  Sonntag 
vor  den  Werktagen  aus-  und  kennzeichnen  und  die  feierlichere  und  gehobenere  Sonn- 
tagsstimmung auch  in  der  Farbe  der  liturgischen  Gewandung  einigermaßen  zum  Aus- 
druck bringen. 

Für  den  Sonntag  Laetare  merkt  das  mehrfach  genannte  Franziskaner- 
missale des  15.  Jahrhunderts  gerade  wie  für  den  Sonntag  Gaudete  Weiß  an,  in 
signum  laetitiae  et  victoriae,  wie  es  sagt.  Auch  zu  Palencia  (M.  1568)  und  Sigüenza 
(M.  1572)  bediente  man  sich  an  Laetare  weißer  Paramente,  während  man  zu  Burgo 
de  Osma  rote,  zu  Ellwangen  gelbe  und  zu  Lyon  grüne  trug.  Bezüglich  der  rosa- 
farbenen Gewänder,  welche  das  römische  Caeremoniale,  wenn  möglich,  an  diesem 
Tage  beim  Amte  getragen  wissen  will,  gilt,  was  in  Betreff  derselben  beim  Sonntag 
Gaudete  gesagt  wurde.  Schon  zu  Innozenz'  III.  Zeit  zeichnete  man  den  Sonntag 
Laetare  zu  Rom  dadurch  aus,  daß  man  an  ihm  statt  schwarzer  Paramente  wie  sonst 
in  der  Fastenzeit  violette  gebrauchte. 

Während  der  Passionszeit  hielt  man  zu  Eom  an  der  Farbe  der  Fastenzeit 
fest.  In  vielen  außerrömischen  Diözesen  hatte  jene  jedoch  eine  besondere  liturgische 
Farbe.  In  Spanien  scheint  für  sie  Schwarz  bevorzugt  worden  zu  sein.  Wir  finden 
dieses  in  der  Passionszeit  z.  B.  zu  Toledo  (M.  1550),  zu  Sigüenza  (M.  1552),  zu  Burgo 
de  Osma  (M.  1561)  und  zu  Palencia  (M.  1568)  in  Gebrauch.  Auch  ein  Missale  von 
Monte  Cassino  aus  dem  Jahre  1515  gibt  für  die  beiden  letzten  Wochen  vor  Ostern 
Schwarz  an.  In  Frankreich  begegnet  uns  daselbe  zu  Cahors  (M.  1760),  Lucon  (M.  1828), 
Toulouse  (M.  1832),  Autun  (M.  1845),  Pamiers  (H.  1845)  und  Albi  (M.  1848).  Es 
scheint  jedoch,  daß  der  Gebrauch  schwarzer  Paramente  in  der  Passionszeit  hier  durch- 
weg sehr  jungen  Datums  war. 

Am  verbreitetsten  war  Rot.  Wir  finden  es  ebensowohl  in  englischen  (Wells, 
Westminster,  Salisbury,  Exeter,  London)  und  deutschen  (Köln,  Mainz,  Eichstätt, 
Trier,  Salzburg)  wie  in  französischen  Kirchen.  Besonders  charakteristisch  war  es 
für  Frankreich.  Schon  der  13.  Ordo  (zweite  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts)  hebt  aus- 
drücklich hervor,  daß  man  sich  im  Gegensatz  zum  römischen  Brauch  in  der  galli- 
kanischen  Kirche  vom  Palmsonntag  ab  roter  Paramente  bediene3.  Roch  im  16.,  17. 
und  18.  Jahrhundert  war  Rot  als  Farbe  für  die  Passionszeit  in  Frankreich  sehr  ge- 
bräuchlich, so  z.  B.  zu  Reims  (M.  1553),  Laon  (Belotte,  Ritus  eccl.  Laud.  1662),  Le 
Mans  (M.  1665),  Besancon  (Ceremoniel  1707),  Sens  (M.  1715),  Auxerre  (M.  1738), 
Bourges  (M.  1741)  u.  a. 

Am  Palmsonntag  hatten  die  Gewänder  bei  der  Messe  die  Farbe  der 
Passionszeit.     Anders  verhielt  es  sich  dagegen  vielenorts  bei  der  Palm  weihe   und 


1  Müntz   e   Frothingham,   11  Tesoro  2  De  Moleon  (Lebrun-Desmarettes) ,  Iter 

di  S.  Pietro  97.  liturg.  247.  3  N.  21   (M.  78,  1117). 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  743 

der  Palmprozession.  Bei  diesen  war,  wie  schon  Durandus  hervorhebt,  Weiß 
sehr  verbreitet '.  Eine  Ausnahme  ist  es,  wenn  zu  Eichstätt  für  sie  Gelb  vorgeschrieben 
war.  Häufiger  war  Grün  bei  ihnen  in  Gebrauch,  wohl  wegen  der  Palmzweige,  mit 
denen  die  Juden  dem  in  Jerusalem  einziehenden  Heiland  entgegenkamen,  so  zu  Laon, 
Toledo,  Sevilla  (M.  1507  und  1534)  und  Vienne2.  Li  Mailand  trägt  man  bei  der  Palm- 
prozession violette  Paramente,  während  man  sich  bei  der  Messe  roter  bedient ;  ein 
Missale  von  Lucon  von  1828  schreibt  umgekehrt  für  die  Messe  am  Palmsonntag- 
Violett,  für  die  Palmprozession  aber  Eot  vor.  Ähnlich  das  Caeremoniale  von  Toul 
von  1700.  Zu  Cahors  war  nach  dem  Missale  von  1760  bei  der  Messe  Schwarz, 
bei  der  Palmweihe  und  Palmprozession  aber  Violett  gebräuchlich. 

Am  Gründonnerstag  waren  im  Gegensatz  zur  römischen  Farbenregel,  welche 
Weiß  verlangt,  in  deutschen,  englischen  und  französischen  Diözesen  vielfach  rote  Para- 
mente üblich.  Verschiedene  Missalien  vermerken,  es  sollten  weiße  Gewänder  nur 
gebraucht  werden,  falls  in  der  Messe  die  Weihe  der  heiligen  Öle  statthabe,  andern- 
falls aber  rote,  z.  B.  die  Missalien  von  Toledo  (M.  1550),  Burgo  de  Osma  (M.  1561), 
Palencia  (M.  1568),  Lyon  (M.  1771).  Ähnlich  bemerkt  das  Ordinale  des  Bischofs 
Grandisson  von  Exeter  (ca  1337) :  Secundum  quosdam  in  coena  Domini,  si  Episcopus 
non  celebrat,  vestimentis  rubeis  est  utendum,  d.  i. ,  wenn  keine  Olweihe  stattfindet. 
Es  ist  beachtenswert,  wie  schon  in  dem  ältesten  römischen  Ordo  angeordnet  ist,  es 
sollten  die  Ampullen  mit  dem  zu  weihenden  Öle  in  ein  weißes  seidenes  Tuch  ein- 
gehüllt sein 3.  Von  demselben  Brauch  berichtet  uns  im  Beginn  des  9.  Jahrhunderts 
auch  Amalar  von  Metz  '. 

Zu  Eichstätt  bediente  man  sich  um  den  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  am 
Gründonnerstag  grüner  Gewänder,  vielleicht,  um  durch  dieselben  dem  Namen  des 
Tages  gerecht  zu  werden.  Dasselbe  geschah  nach  Märten e  im  Kloster  des  hl.  Martin 
zu  Lyon  5.  Zu  Mainz  trug  der  Diakon,  welcher  das  Evangelium  bei  der  Fußwaschung 
sang,  eine  grüne  Dalmatik,  während  dort  im  übrigen  am  Gründonnerstag  rote  Para- 
mente gebraucht  wurden. 

Am  Karfreitag  benützte  man  nach  dem  Beispiel  der  römischen  Kirche  viel- 
fach schwarze  Paramente.  Doch  waren  rote  an  diesem  Tage  kaum  minder  beliebt, 
namentlich  auch  in  Deutschland.  Wir  finden  am  Karfreitag  solche  z.  B.  zu  Passau 
(M.  1522),  Salzburg  (M.  1507),  Würzburg  (Rituale  von  1564),  Mainz,  Köln,  Trier, 
Eichstätt.  Selten  kommt  Violett  vor,  wie  zu  Lyon  (1771),  ganz  vereinzelt  Gelb 
(Laon,  Belotte,  Ritus  eccl.  Laudun.  1662) G.  Zu  Vienne  trugen  der  praecentor  und 
cantor,  welche  bei  der  adoratio  crucis  das  Ecce  lignum  anhüben,  eigentümlicherweise 
grüne  Chorkappen,  wohl  im  Hinblick  auf  den  neues  geistliches  Leben  sprossenden 
Kreuzesbaum '. 

Die  Messe  am  Karsamstag  pflegte,  weil  im  Grunde  Ostergottesdienst,  wie 
im  römischen  Ritus  meist  in  weißer  Farbe  gehalten  zu  werden.  Zu  Le  Mans 8  und 
Evesham  bediente  man  sich  bei  ihr  roter,  zu  Mainz  blauer,  zu  Eichstätt  gelber, 
zu  Soissons  (M.  1745)  grüner  Paramente.  Mannigfaltig  war  der  Brauch  bezüglich 
der  Farbe  der  Gewänder  bei  den  der  Messe  vorausgehenden  Zeremonien,  der  Feuer- 
weihe, der  Kerzenweihe ,  der  Lesung  der  Propheten,  der  Segnung  des  Taufwassers 
und  der  Absingung  der  Litanei.  Hier  geschah  alles  das  in  Weiß  wie  zu  Lyon  (M.  1771), 
Sevilla  (M.   1507),    Burgo    de  Osma    (M.  1561),    dort  galt   der  römische  Brauch.     Zu 


'  Rationale  1.  3,   c.  18,  n.  9 :  f.  83.  tragen,  paßt   durchaus  nicht  zum  Geist  des 

2  De  Moleon  a.  a.  O.  37.    Statt  Si  papa  römischen  Farbenkanons. 

hac  die  Palmarum  celebraret,  portare  debet  3  N.  31  (M.  78,  952). 

paramenta   violacea  vel   viridis   coloris   sine  4  De  eccl.  offic.  1.  1,  c.  12  (M.  105,  1017). 

perlis  im  14.  Ordo,  c.  82  (M.  78,  1204)  muß  5  Mart.  1.  4,  c.  22;  III  126. 

es  wohl,  wie  der  15.  Ordo,  c.  65  (ebd.  1301)  6  Vgl.    auch    schon    das    Ordinarium    des 

schreibt,  heißen,  paramenta  violacea  vel  indii  Lisiardus    bei    Chevalier,    Ordinaires    de 

coloris.     Das  dunkle  Indigoblau  wurde  auch  l'^glise  cathedrale  de  Laon  113. 

sonst  als  Ersatz  für  Violett  betrachtet.  Beider  ''  Mart.  1.  4,  c.  23;  III  139. 

Messe    am   Palmsonntag    grüne    Gewänder  8  De  Moleon,  Iter  liturg.  222. 


744-       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Salisbury  wurde  die  Feuerweihe  in  roten  Paramenten  vorgenommen.  Ebenso  wurde 
dort  die  Litanei  in  roter  Cappa  gesungen ;  wenn  aber  drei  Geistliehe  sie  sangen,  so 
mußte  der  mittlere  eine  weiße,  die  beiden  andern  eine  rote  tragen.  Zu  Mainz  war 
für  die  Feuerweihe  Rot,  für  die  Kerzenweihe  Grün,  für  die  Taufwasserweihe  Eot  vor- 
geschrieben, zu  Monte  Cassino  (M.  1515)  für  die  Feuer-  und  Kerzensegnung  Weiß, 
für  die  übrigen  Zeremonien  Violett  oder  Blau.  Zu  Paris  war  Violett  nur  während 
der  Lesung  der  Prophezien  im  Gebrauch.     Alles  übrige  vollzog  man  in  Weiß. 

Am  Oster  tage  wie  in  der  Osterwoche  wurden  nach  uralter  Sitte  überall  weiße 
Paramente  gebraucht.  Es  sind  äußerst  seltene  Ausnahmen,  wenn  das  Kalendarium 
von  Wells  und  der  Liber  Consuetudinarius  von  Westminster  für  Ostern  und  die  Oster- 
oktav  Kot  vermerken,  das  Missale  von  Soissons  von  1745  aber  Grün. 

Der  Osterzeit  eignete  ebenfalls  fast  allgemein  Weiß.  In  Salisbury  waren 
sogar  an  allen  in  sie  einfallenden  Festen,  Kreuzerfindung  allein  ausgenommen,  weiße 
Gewänder  in  Gebrauch.  Grün  treffen  wir  in  der  Osterzeit  außer  zu  Soissons  zu 
Köln  (M.  1626),  Mailand  (M.  1795)  und  Eheims  (M.  1688),  Kot  zu  Westminster 
und  Wells  an. 

Am  Himmelfahrtsfeste  und  in  dessen  Oktav  war  wie  an  Ostern  fast  aus- 
nahmslos Weiß  gebräuchlich.  Auch  Köln,  Mailand,  Wells  und  Westminster  folgten 
hierin  der  allgemeinen  Praxis.  Eine  Ausnahme  machte  mit  seinem  Grün  Rheims  und 
wohl  auch  Soissons. 

Eine  seltene  Einmütigkeit  herrschte  bezüglich  der  Farbe  des  Pf ingstf estes. 
Der  Liber  Consuetudinarius  von  Westminster  läßt  zwar  an  diesem  Tage  auch  Gelb 
und  Blau  zu,  doch  schließt  er  Rot  so  wenig  aus,  daß  er  es  vielmehr  vor  diesen  beiden 
Farben  anführt. 

Bunt,  recht  bunt  sali  es  dagegen  wieder  am  Trinitatissonntag  aus.  Hier 
trug  man  weiße,  da  gelbe,  hier  blaue,  da  violette,  hier  grüne,  da  rote  Paramente. 
So  gab  es  Violett  zu  Soissons  (M.  1745),  Blau  zu  Toledo  (M.  1550)  und  Mainz 
(M.  1602),  Grün  zu  Exeter  (ca  1337),  Gelb  zu  Ellwangen  (M.  1574),  Rot  zu  Paris 
(M.  1685),  Le  Mans  (M.  1655),  Sigüenza  (M.  1552),  Eichstätt  (M.  1600)  u.  a.,  Weiß 
zu  Palencia  (M.  1568),    Mailand  (M.  1795),  Lyon  (M.  1771),  in  Sizilien  (1568)    u.  a. 

Am  Fronleichnamsfest  war  die  liturgische  Kleidung  vorherrschend  von 
weißer  Farbe;  jedoch  war  an  diesem  Tage  vielfach  auch  Rot  gebräuchlich,  zumal  in 
Frankreich.  Das  Grün  zu  Eichstätt  und  zu  Clermont  '  ist  eine  vereinzelte  Erscheinung. 
Ein  interessanter  Brauch  bestand  zu  Exeter.  Nach  dem  Ordinale  Grandissons  sollte 
nämlich  der  Priester  am  Fronleichnamstag  bei  der  Messe  in  Weiß,  der  ihm  assistie- 
rende Geistliche  in  Rot  gekleidet  sein.  Ferner  sollte  der  Diakon  in  roter  Dalmatik, 
der  Subdiakon  aber  in  weißer  Tunicella  ministrieren.  Es  sollte  dadurch  das  unter 
den  Gestalten  von  Brot  und  Wein  eingesetzte  heilige  Sakrament,  Christi  Leib  und 
Blut  sowie  Christi  Reinheit  und  Liebe  symbolisiert  werden:  Propter  similitudinem 
panis  et  vini  et  corporis  et  sanguinis  Jesu  Christi  et  qui  candidus  est  et  rubicundus. 

Vom  Dreifaltigkeitssonntag  an  bis  zum  Advent  verlangte  die  römische 
Sitte  im  Officium  de  tempore  Grün.  In  andern  Kirchen  war  dagegen,  soweit  man 
nicht  der  römischen  Sitte  folgte,  bald  Rot  oder  Violett,  bald  Blau  oder  Gelb  in  Ge- 
rauch,  also  wiederum  mit  Ausnahme  von  Weiß  und  Schwarz  alle  Farben.  Violette 
Paramente  waren  z.  B.  üblich  zu  Le  Mans  (M.  1665),  blaue  zu  Toledo  (M.  1550), 
gelbe  zu  Palencia  (M.  1568)  und  Eichstätt.  Sehr  gebräuchlich  war  Rot,  so  z.  B.  zu 
Wells  (14.  Jahrh,),  Westminster  (13.  Jahrh.),  Salisbury  (14.  und  15.  Jahrh.),  Prag 
(Inventar  von  1387),  Würzburg  (Inventar  von  1448),  Paris  (M.  1685),  Lyon  (M.  1771), 
Toulouse  (M.  1832),  Coutances  (Ceremoniel  1825),  Le  Puy  (M.  1783),  Mainz  (M.  1602). 
Zu  Mainz  bediente  man  sich  der  roten  Farbe  bis  zum  dritten  Sonntag  im  Oktober,  dem 
Kirchweihfest  der  Kathedrale,  dann  vertauschte   man   sie   bis  zum  Advent  mit  Grün. 

An  den  Muttergottes  festen  kamen  mit  verschwindenden  Ausnahmen  überall 
weiße  Paramente  zur  Verwendung.    Blaue  trug   man  zu  Eichstätt  an  den  Festen  Maria 


Guy  et,  Heortologia  III  29,  9. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  745 

Lichtmeß  und  Maria  Opferung,  sowie  bei  der  Samstagsmesse  de  Beata  von  Pfingsten 
bis  zum  Advent,  rote  zu  Ellwangen  am  Feste  Maria  Heimsuchung.  Zu  Prag  unter- 
schied man  nach  dem  Inventar  von  1387  zwischen  Fest  und  Oktav.  An  den  Festen 
wurde  Weiß,  in  den  Oktaven  derselben  Blau  gebraucht. 

Den  Engelfesten  eignete  meistens,  doch  nicht  ausschließlich  Weiß.  Außer 
Eot  (Mainz  M.  1602,  Le  Mans  M.  1665  u.  a.)  war  namentlich  auch  Gelb  an  ihnen 
in  Gebrauch  (Le  Puy  M.  1783,  Frejus  M.  1786,  Poitiers  M.  1767,  Autun  M.  1845 
u.  a.).    Das  Kalendarium  von  Wells  notiert  für  das  Fest  des  hl.  Michael  Blau  und  Weiß. 

Am  Allerheiligen  fest  trug  man,  wie  schon  Innozenz  III.  und  Durandus 
angeben,  bald  weiße,  bald  rote,  bald  mehrfarbige  Gewänder ;  letztere,  um  durch  die 
verschiedenen  Farben  die  Tugenden  der  Heiligen  zu  versinnbilden.  Solche  bunte 
Gewänder  waren  z.  B.  zu  Toledo  (M.  1550),  Burgo  de  Osma  (M.  1561),  Sigüenza 
(M.  1552)  und  Mainz  (M.  1602)  gebräulich.  Auch  wurde  es  wohl  an  Allerheiligen 
in  das  Belieben  des  Priesters  gesetzt,  zu  bestimmen,  was  für  Paramente  er  anziehen 
wolle.  So  sagt  z.  B.  Grandissons  Ordinale :  In  festo  omnium  sanctorum  . . .  omnibus  colori- 
bus  indifferenter,  ita  tarnen,  quod  candidum  et  rubeum  praeponantur,  ad  libitum  est  uten- 
dum.  Annderswo  überließ  man  dem  Priester  wenigstens,  zwischen  Weiß  und  Kot  zu 
wählen.  Das  mehrfach  erwähnte  Franziskanermissale  aus  dem  15.  Jahrhundert  will, 
daß  Allerheiligen  der  Priester  Weiß,  der  Diakon  Rot  und  der  Subdiakon  Grün  oder 
Gelb  trage,  offenbar,  um  so  alle  Stände  der  Heiligen  zu  symbolisieren. 

Am  Feste  der  Geburt  des  hl.  Johannes  Baptist  waren  mit  Rücksicht  auf 
dessen  Heiligung  im  Mutterschoß  vorzugsweise  weiße  Gewänder  üblich ;  grüner  be- 
diente man  sich  zu  Mainz,  Le  Mans,  Toledo  u.  a.,  violetter  zu  Soissons  (M.  1745) 
und  Bourges  (M.  1741),  doch  hier  nur  in  der  Kathedrale,  blauer  zu  Wells. 

Das  Fest  der  Enthauptung  des,  Heiligen  wurde  wie  ein  Martyrfest  behan- 
delt. Violette  Paramente  schreiben  für  diesen  Tag  vor  das  Ordinale  Grandissons  von 
Exeter  und  das  Pontifikale  des  Bischofs  Clifford  von  London.  Als  Grund  führen  die- 
selben an :  Quia  ad  limbum  descendit.  Der  Martertod  führte  den  Vorläufer  Christi 
noch  nicht  sogleich  in  den  Himmel.  Wohl  infolge  der  gleichen  Auffassung  scheint 
zu  Prag  nach  dem  Inventar  von  1387  Blau  an  diesem  Tage  üblich  gewesen  zu  sein. 

An  den  Aposteltagen  gebrauchte  man  in  seltener  Übereinstimmung  rote 
Gewänder.  Das  Mainzer  Missale  verzeichnet  Grün.  Eine  Ausnahme  bildeten  auch 
gewisse  Nebenfeste  der  Apostel,  wie  Petri  Stuhlfeier  und  Pauli  Bekehrung,  sowie 
das  Hauptfest  des  heiligen  Evangelisten  Johannes.  Man  feierte  an  diesen  Tagen 
nicht  die  Erinnerung  an  das  Martyrium  der  betreffenden  Apostel.  Daher  behandelte 
man  sie  meist  nach  Weise  der  Bekennerfeste  und  benutzte  an  ihnen  grüne,  weiße, 
blaue,  violette  oder  gelbe  Paramente,  je  nachdem  die  einen  oder  die  andern  in  den 
betreffenden  Kirchen  an  den  Bekennertagen  in  Gebrauch  waren.  Petri  Kettenfeier 
wurde  bald  wie  ein  Bekennerfest  behandelt,  bald  bediente  man  sich  an  ihr  roter 
Gewänder.  Am  Feste  des  hl.  Johannes  ante  portam  latinam  herrschte  in  Rücksicht 
auf  das  Martyrium  des  Apostels,  dessen  Andenken  man  dann  beging,  Rot  vor.  Weiß 
begegnet  uns  an  diesem  Tage  vorzüglich  in  einigen  englischen  Diözesen  (Wells, 
Salisbury,  Westminster).  Für  den  Markus-  und  den  Lukastag  schreibt  das  Missale 
von  Palencia  (M.  1568)  Weiß  vor.  Im  übrigen  war  an  diesen  beiden  Tagen  Rot 
gebräuchlich,  obwohl  das  Martyrium  des  hl.  Lukas  zweifelhaft  ist. 

Die  Märtyrer  feste  sind  neben  den  Festen  der  heiligen  Jungfrauen, 
welche  nicht  zugleich  Märtyrinnen  waren ,  die  wenigen  Tage,  an  denen  überall 
dieselbe  Farbe  in  Kraft  war.  In  allen  liturgischen  Farbenkanons  wird  den  Märtyrern 
Rot,  den  Junfrauen  Weiß  zugewiesen.  Einigermaßen  schwankt  der  Brauch  an  den 
Festen  der  Jungfrauen,  die  zugleich  als  Märtyrinnen  verehrt  wurden.  Zwar  herrscht 
auch  hier  Rot  vor,  doch  fehlt  es  nicht  an  Kirchen,  in  denen  man  Weiß  ge- 
brauchte, z.B.  zu  Lyon  (M.  1771).  Das  Kalendar  vonWels  vermerkt:  Quando  de  virgine 
et  martyre  rubea  et  alba,  und  Grandissons  Ordinale  bestimmt:  In  festis  virginum  et 
martyrum  partim  albis  partim  rubeis  vel  eisdem  coloribus  mixtis  (est  utendum).  Wie 
das    partim    albis    partim   rubeis    zu  verstehen    sei,    darüber   belehrt    uns    die   Notiz, 


746      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewander. 

welche  sich  an  die  früher  erwähnte  Verordnung  des  Ordinales  über  die  Farbe  der 
Paramente  am  Fronleichnamstage  anschließt:  Eodem  modo  fiat  de  virginibus  et 
martyribus. 

Eine  ungemeine  Mannigfaltigkeit  herrscht  in  den  verschiedenen  Farbenregeln 
hinsichtlich  der  Feste  der  Bekenn  er.  Da  finden  wir  geradezu  alle  Farben,  Schwarz 
nicht  ausgeschlossen.  Am  häufigsten  kommen  Weiß,  Grün,  und  Gelb  vor.  Blau  gab 
es  zu  Prag  (Inventar  1387)  und  Mainz  (M.  1602),  Schwarz  im  Dom  von  Eichstätt  an 
den  Festen  der  Bekenner,  die  nicht  Bischöfe  waren  ',  und  in  einem  Karmelitermissale  an 
den  Gedächtnistagen  heiliger  Mönche  2.  Zu  Evesham  trug  man  Schwarz  an  den  Festen 
der  Ml.  Egwin  und  Wulstan 3.  Zu  Lincoln  waren  im  1 3.  Jahrhundert  an  den  Bekenner- 
tagen auch  braune  und  dunkle  Gewänder  (coloris  fusci)  in  Gebrauch.  In  manchen 
Kirchen  waren  die  Bekennerfeste  geteilt,  indem  man  an  den  Festen  der  Bekenner- 
bischöfe  sich  andersfarbiger  Paramente  bediente,  wie  an  den  Tagen  der  gewöhnlichen 
Bekenner.  Ja  man  unterschied  sogar  hie  und  da  die  heiligen  Bekennerpäpste  von 
den  einfachen  Bischöfen  oder  die  Abte  und  Mönche  von  den  andern  Bekennern, 
die  nicht  Bischöfe  waren.  Das  mehrfach  angeführte  Minoritenmissale  der  Vaticana  ver- 
merkt für  die  Papstfeste  Weiß,  für  die  Feste  der  Bekennerbischöfe  Grün,  für  die  Tage 
der  heiligen  Priester,  Mönche  und  Einsiedler  Gelb  an.  Das  Missale  von  Palencia  (1568), 
früher  in  der  Barberinischen  Bibliothek  zu  Rom,  jetzt  ebenfalls  in  der  Vaticana, 
weist  den  Bischöfen  Grün,  den  Nichtbisehöfen  Violett  zu.  Zu  Mailand  ist  an  den 
Festen  heiliger  Bischöfe,  heiliger  Kirchenlehrer  und  Priester  Weiß,  an  denen  heiliger 
Abte  und  heiliger  Laien  Grün  gebräuchlich.  Zu  Eouen  trug  man  an  den  Festtagen 
von  Bischöfen  und  Priestern  weiße,  an  den  Festen  von  Kirchenlehrern  grüne,  an  den 
Tagen  von  Heiligen  des  Alten  Bundes,  von  Äbten,  Mönchen  und  sonstigen  Bekennern 
violette  Paramente.  Am  buntesten  mag  es  aber  zu  Wells  ausgesehen  haben,  wo  es, 
ohne  erkennbare  Regel,  im  Kalendar  bei  dem  einen  Bekenner  heißt :  omnis  viridia  et 
crocea,  bei  dem  andern  omnia  crocea  etc. 

Die  Feste  heiliger  Frauen  wurden  ähnlich  wie  die  Feste  heiliger  Bekenner 
behandelt.  Ein  treffliches  Beispiel,  welche  Mannigfaltigkeit  hinsichtlich  der  Farbe 
der  liturgischen  Gewänder  an  ihnen  herrschte,  bietet  die  Notiz  des  Ordinale  Gran- 
dissons  bezüglich  des  Festes  der  heiligen  Maria  Magdalena:  In  festo  Maria  Magda- 
lenae  secundum<  quosdam  vestimentis  indici  id  est  aerei  coloris  vel  blavi,  si  pulchra 
habeantur,  non  inconvenienter  indui  possunt.  In  festo  tarnen  Magdalene  quidam  albis, 
quidam  croceis  utuntur.  Das  Gewöhnlichste  an  den  Festen  heiliger  Frauen  war  Violett ; 
Grün  war  nach  dem  Inventar  von  1387  zu  Prag  üblich4. 

Bei  der  Kirchweihe  wurden  nach  römischer  Sitte  weiße  Paramente  ge- 
braucht. Aber  auch  aufäerhalb  Korns  wurde  es  fast  allgemein  so  gehalten,  propter 
nuptias  Christi  et  ecclesiae,  wie  das  Pontifikale  des  Bischofs  Clifford  von  London 
nach  dem  Vorgang  Innozenz'  III.  sagt.  Entsprechend  war  denn  auch  am  Jahrestag 
der  Kirchweihe  beinahe  allenthalben  Weiß  üblich.  Zu  Le  Mans  war  für  das  Fest 
der  Kirchweih  Kot  vorgeschrieben.  Das  Kalendar  von  Wells  merkt  für  dasselbe 
Blau  und  Weiß  an,  während  das  Ordinale  Grandissons  erklärt,  man  könne  an  ihm 
alle  Farben  nach  Belieben  gebrauchen;  jedoch  möge  man  Rot  und  Weiß  den  Vor- 
zug geben. 

Bei  den  Exequien  bediente  man  sich  in  der  Regel  schwarzer  Paramente. 
So  vor  allem  zu  Rom,  wo  man  nach  dem  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  ent- 
standenen Ordo  des  Petrus  Amelius  selbst  bei  den  Exequien  des  Papstes  schwarze 
Gewänder    trug 5.     Das    Kalendar    von    Wells    (14.    Jahrh.)   bestimmt    ausdrücklich : 


1  Kirchenschmuck  XXI  24.    Möglich,  daß  2  Wickham  Legg,  History  of  the  eccl. 

Schwarz  auf  einem  Irrtum  beruht,  aber  auch  colours  33. 

nur  möglich.  Ob  aber  dann,  wie  im  „Kirchen-  3  Offic.    eccl.   abbat,   sec.   usum  Evesham. 

schmuck"  gemeint  wird,  dafür  Blau  einzusetzen  monasterii,  166. 

ist,  scheint  fraglich.  Eine  Stütze  für  diese  An-  '  A.  Podlaha    und   E.   Sittler,   Chrä- 

nahme  könnte  allerdings  sein,  daß  auch  das  movy  poklad  u  Sv.  Vita  v  Praze  XXXVIII. 

Fest  der  Commemoratio  des  hl.  Paulus  Blau  hat.  '  C.  146  (M.  78,  1353  f). 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  747 

Memorandum,  quoties  et  quandocumque  agitur  pro  defunctis ,  omnia  erunt  nigra  et 
simplicia,  licet  agatur  pro  rege  vel  episcopo.  Ein  Missale  von  Salisbury  (15.  Jahrh.) 
bemerkt  ähnlich:  In  omnibus  missis  pro  defunctis  per  totum  annum  utuntur  vesti- 
mentis  nigris.  Es  kamen  aber  auch  violette  Paramente  bei  Exequien  zur  Verwen- 
dung, so  besonders  in  Prankreich,  wie  zu  Narbonne  u.  a.  Auch  im  Ordinale  Gran- 
dissons  heißt  es :  In  solemnibus  exequiis  mortuorum  et  etiam  sepulturis  eorum  satis 
congrue  violaceo  colore  est  utendum.  Violette  Paramente  wurden  namentlich  bei 
Leichenfeierlichkeiten  von  Fürsten  und  Standespersonen  gebraucht. 

Es  sind  nur  einige  fünfzig  Kanones,  welche  wir  unsern  Ausführungen  haben 
zu  Grunde  legen  können;  sie  bieten  bei  weitem  kein  vollständiges  Bild,  und  doch 
welche  Verschiedenheit.  Kaum  könnte  man  sich  eine  buntere  Mannigfaltigkeit 
denken.  Es  lassen  sich,  wenn  wir  von  dem  römischen  Farbenkanon  ab- 
sehen, nicht  einmal  bestimmte  Typen  unterscheiden.  Wohl  zeigen  die  Farben- 
regeln in  den  einzelnen  Ländern,  wie  Spanien,  Frankreich,  England  mehrfach 
eine  gewisse  Übereinstimmung;  so  herrscht  z.  B.  in  den  gallikanischen  Kirchen 
eine  Neigung  zu  Bot  vor,  während  in  den  englischen  Farbenordnungen  den 
Bekennern  mit  Vorliebe  Gelb  zugewiesen  wird.  Indessen  gestattet  eine  solche 
größere  oder  geringere  Verwandtschaft  noch  keineswegs  von  einem  englischen, 
spanischen  oder  gallikanischen  Typus  zu  sprechen.  Dafür  sind  der  Verschieden- 
heiten in  andern  Punkten  zu  viele   und  zu  bedeutende. 

Es  wäre  interessant,  einmal  alle  Farbenkanones,  die  je  im  Gebrauche 
waren,  beisammen  zu  haben.  Welche  Fülle  von  Auffassungen  und  Gewohn- 
heiten würde  uns  dann  nicht  erst  entgegentreten. 

Waren  doch  nicht  einmal  in  den  einzelnen  Diözesen  überall  dieselben 
Vorschriften  über  die  liturgischen  Farben  in  Kraft  und  das  Vorbild  der 
Metropolitankirche  für  die  andern  Kirchen  des  Bistums  keineswegs  immer 
maßgebend.  Nicht  selten  hatte  die  Kathedrale  wie  einzelne  besondere  Riten, 
so  auch  bezüglich  der  Farben  ihre  Eigenheiten.  So  war  z.  B.  in  der  Oktav 
von  Epiphanie  zu  Paris  (1776)  Gelb  nur  in  Notre-Dame  gebräuchlich1.  Zu 
Eichstätt  bediente  man  sich  ca  1600  während  des  Advents  im  Dom  der 
schwarzen,  in  der  Diözese  der  violetten  Farbe.  Ebenso  trug  man  daselbst 
an  den  Festen  der  Bekenner  im  Dom  schwarze,  in  der  Diözese  grüne  Para- 
mente. Für  die  Sonntage  nach  Trinitatis  war  im  Dom  Gelb,  in  der  Diözese 
Grün  Regel.  Am  Fest  des  hl.  Johannes  Bapt.  waren  in  der  Metropolitankirche 
zu  Bourges  (M.  1741)  violette  Gewänder  üblich,  während  in  der  Diözese  weiße 
in  Gebrauch  waren. 

Insbesondere  folgten  nicht  nur  die  Ordenskirchen,  die  sehr  gewöhnlich 
ihre  eigenen  Gebräuche  hatten,  sondern  häufig  auch  die  Stiftskirchen  einem 
mehr  oder  weniger  von  dem  der  Kathedrale  abweichenden  Farbenkanon. 

Nicht  wenig  ward  die  Mannigfaltigkeit,  welche  uns  in  den  alten  Farben- 
kanones entgegentritt,  auch  durch  deren  geringe  Stabilität  begünstigt. 

Leider  gestattet  die  geringe  Zahl  der  noch  vorhandenen  alten  Farben- 
regeln nicht,  deren  Entwicklung  und  Umbildung  in  den  einzelnen  Kirchen 
oder  Diözesen  zu  verfolgen.  Was  wir  von  ihrer  Geschichte  zu  wissen  be- 
kommen, sind  zuletzt  nur  vereinzelte  Ausschnitte,  die  uns  unmöglich  ein 
Bild  des  Wechsels  zu  geben  vermögen,  der  sich  im  Lauf  der  Zeit  mit  ihnen 
vollzog. 

Es  ist  ein  Vorzug  der  römischen  Farbenregel ,  daß  sie  sich  seit  den 
Tagen  Innozenz'  III.  wenigstens   in  Theorie    stets  gleich   geblieben   ist.     Die 


1  Migne,  Origines  et  raison  de  la  liturgie,  Paris  1844,  443. 


748      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Veränderungen,  welche  sie  im  Laufe  der  Zeit  erfuhr,  waren  sehr  unbedeutend 
und  bezogen  sich  fast  nur  auf  Ausscheidung  des  Gelb  und  scharfe  Trennung 
von  Schwarz  und  Violett.  Nicht  so  in  den  außerrömischen  Farbenkanones, 
in  denen  die  jeweiligen  subjektiven  Anschauungen  einen  weiten  Spielraum 
hatten,  ganz  abgesehen  von  den  Veränderungen,  welche  die  Annäherung  an 
den  römischen  Brauch  manchenorts  bewirkte. 

Wenn  irgendwo  auf  liturgischem  Gebiet,  dann  tritt  gerade  in  Bezug  auf 
die  liturgischen  Farben  in  auffallender  Weise  ein  übertriebener  Subjektivis- 
mus zu  Tage.  Hier  hielt  man  es  so ,  dort  so ,  je  nachdem  man  aus  den 
einzelnen  Farben  die  eine  oder  andere  Symbolik  herauslas.  Heute  bevorzugte 
man  für  denselben  Tag  Grün,  um  sich  morgen  zu  Gelb  oder  Weiß  zu  wenden. 
Es  macht  in  dem  Wirrwarr  der  verschiedenen  und  oft  so  verschiedenartigen 
Farbenregeln  wirklich  einen  wohltuenden  Eindruck,  wenn  man  sieht,  wie  auch 
hier  sich  die  römische  Kirche  als  festen  Punkt  erwies. 

Man  mag  die  Vorzeit  in  gewissem  Sinne  um  ihre  größere  Freiheit  be- 
züglich der  liturgischen  Farben  beneiden.  Und  doch  war  es  gut,  daß  Pius  V. 
auch  den  römischen  Farbenkanon  in  das  Missale  aufnahm  und  mit  diesem 
überall  da  zur  Norm  machte,  wo  nicht  bereits  seit  zweihundert  Jahren  ein 
eigenes  Missale  vorhanden  war. 

Als  entscheidend  für  die  Farbe  der  Paramente  galt  nicht  etwa  die  Farbe 
der  Musterung,  sondern,  wie  auch  natürlich,  die  Grundfarbe  des  Stoffes. 
Das  geht  klar  aus  den  Inventaren  hervor.  Wo  immer  dieselben  sich  auf  eine 
genauere  Beschreibung  der  Gewänder  einlassen ,  ersieht  man ,  daß  sie  den 
liturgischen  Farbenwert  derselben  nach  der  Grundfarbe  des  Materials,  aus 
dem  sie  gemacht  waren,  bemessen.  Man  vergleiche  beispielsweise  die  aus- 
führlichen Angaben  des  Schatzverzeichnisses  des  Apostolischen  Stuhles  von  1295, 
das  Inventar  von  St  Peter  aus  dem  Jahre  1361,  das  Inventar  des  Domes  von 
Prag  (1387),  die  Inventare  der  Kathedrale  von  Angers  aus  dem  14.,  15.  und 
16.  Jahrhundert  usw.  Ausdrücklich  sagt  Grandisson  in  seinem  Ordinale:  Colores 
vestimentorum  sunt  quatuor  vel  sex  ...  et  quilibet  horum  colorum  ita  consi- 
derandus  est,  si  major  pars,  qui  campus  panni  dicitur,  huius  fuerit,  quamvis 
auro  vel  alio  colore  fuerit  permixtus  et  quilibet  horum  colorum  est  utendus 
prout  infra  hie  continetur.  Also  entscheidend  für  den  Farbenwert  war  der 
campus  panni,  der  Grund  des  Stoffes,  nicht  das  goldene  oder  andersfarbige 
Dessin 1.  Bezüglich  etwaiger  Gewänder  von  bunter  oder  unbestimmter  Färbung 
sagt  das  Ordinale:  Si  autem  aliqua  vestimenta  varii  et  incerti  coloris  forte 
habeantur,  juxta  Judicium  seniorum  seeundum  eorum  pulchritudinem  et  valorem 
in   usum  ponantur,    aliis  vestibus   interim  parcendo. 

Werfen  wir  zum  Schluß  einen  kurzen  Bückblick  auf  das  Gesagte,  indem 
wir  die  Hauptergebnisse  unserer  Untersuchung  nochmals  zusammenfassen. 
Ein  liturgischer  Farbenkanon  hat  sich  erst  im  Verlauf,  genauer  in  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  unter  dem  Einfluß  des  mächtiger  auftretenden 
Mystizismus  und  unter  der  Gunst  der  äußeren  Verhältnisse  ausgebildet.  Wohl 
kamen  schon  früh  farbige  Gewänder  beim  Gottesdienst  zur  Verwendung,  doch 
gab  es  für  ihren  Gebrauch  noch  keine  umfassende,  auf  religiöser  Farbensymbolik 
beruhende  Normen.  Es  sind  bestenfalls  keimhafte  Ansätze  zur  späteren  Farben- 
regel, was  uns  vor  dem  12.  Jahrhundert  begegnet. 


1  Man  vgl.  damit  die  inhaltlich  ähnliche  Entscheidung  der  Ritenkongregation  in  Sachen  des 
Bischofs  von  Marsi  vom    7.  April  1883. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  749 

In  der  römischen  Kirche  steht  die  liturgische  Farbenreihe  schon  gegen 
1200  im  wesentlichen  fertig  da.  Dagegen  bürgert  sich  außerhalb  Roms  eine 
solche  zum  Teil  eine  gute  Weile  später  ein.  Zu  einer  einheitlichen  Praxis 
kam  es  in  Bezug  auf  die  Farbe  der  Paramente  erst,  als  in  dem  zweiten  Viertel 
des  19.  Jahrhunderts  die  vielfach  noch  in  Gebrauch  stehenden  besondern 
Farbenregeln  abgeschafft  und  endgültig  mit  dem  Farbenkanon  des  römischen 
Ritus  vertauscht  wurden.  Nur  der  ambrosianische  Ritus  hielt  wie  an  seiner 
alten  Liturgie,  so  auch  an  der  ihm  eigenen,  in  ihren  Anfängen  schon  im 
Beginn  des  12.  Jahrhunderts  nachweisbaren  liturgischen  Farbenregel  fest. 

IV.  URSPRUNG  UND  SYMBOLIK  DER  LITURGISCHEN  FARBENREGEL. 

Man  hat  gesagt,  die  liturgische  Farbenregel  sei  im  Hinblick  auf  die 
Farben  der  alttestam entlichen  Kultkleidung  eingeführt  worden  und 
als  Zeuge  dessen  Innozenz  III.  angeführt.  Natürlich  kann  nur  eine  mittelbare. 
Ableitung  gemeint  sein,  indessen  verkennt  auch  so  jene  Ansicht  vollständig 
die  wirkliche  Entstehung  des  kirchlichen  Farbenkanons.  Zwischen  ihm  und 
den  Farben  der  jüdischen  Sakralgewandung  besteht  ein  zu  tiefgreifender 
Unterschied,  als  daß  man  im  Ernst  ihn  zu  diesen  in  irgend  eine  verwandt- 
schaftliche Beziehung  setzen  könnte. 

Die  alttestamentliche  Farbenreihe  setzte  sich  aus  Weiß,  Scharlach  und 
zwei  Purpurarten,  also  aus  Weiß  und  drei  Nuancen  von  Rot  zusammen.  Die 
Farben  galten  nicht  gleichmäßig  für  die  ganze  Kleidung,  sondern  waren  für 
die  einzelnen  Gewänder  .verschieden.  Hüftschurz  und  Tunika  mußten  weiß, 
der  Gürtel  weiß,  scharlachfarbig',  rot-  und  blaupurpurn,  die  Obertunika, 
Meil,  blaupurpurn,  das  Schulterkleid,  Ephod,  wiederum  weiß,  scharlachfarbig, 
blau-  und  rotpurpurn,  die  Kopfbedeckung  weiß  und  das  Band,  mit  der  die 
goldene  Stirnplatte  über  der  Tiara  des  Hohenpriesters  angebunden  war,  blau- 
purpurn sein.  Die  Verschiedenheit  der  Feste  und  Funktionen  hatte  auf  die 
Farbe  der  Sakralgewandung  keinen  Einfluß;  dieselbe  war  zu  allen  Zeiten  und  bei 
allen  Gelegenheiten  die  gleiche  für  die  einzelnen  Kleider,  ausgenommen  den 
großen  Versöhnungstag ,  an  welchem  diese  ausschließlich  von  weißer  Farbe 
sein  mußten. 

Ganz  anders  verhielt  es  sich  von  Anfang  an  mit  unserem  liturgischen 
Farbenkanon.  Hier  haben  wir  Weiß,  Rot,  Schwarz  und  Grün  mit  Violett, 
Blau  und  Gelb  als  Nebenfarben.  Hier  ist  ein  und  dieselbe  Farbe  die  gleiche 
bei  allen  Gewändern,  für  welche  der  Farbenkanon  Geltung  hatte ;  hier  wechselt 
endlich  die  Farbe  der  Sakralkleidung  stetig  nach  Zeiten,  Festen  und  Funktionen, 
wobei  der  Charakter  der  letzteren  Prinzip  und  Norm  für  den  Gebrauch  der  ein- 
zelnen Farben  ist.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  bei  einer  solchen  Verschiedenheit 
der  Farben  und  ihrer  Verwendung  von  einer  Verwandtschaft  zwischen  der 
Farbenvorschrift  des  mosaischen  Kultus  und  dem  liturgischen  Farbenkanon, 
wie  er  sich  im  letzten  Viertel  des  12.  Jahrhunderts  zu  Rom  ausgestaltete. 
keine  Rede  sein  kann.  Es  ist  aber  auch  ganz  unzutreffend,  Innozenz  III.  als 
Gewährsmann  dafür  anzuführen,  daß  die  Kirchenfarben  im  Hinblick  auf  das 
alttestamentliche  Vorbild  eingeführt  worden  seien.  Wenn  der  Papst  bei  Be- 
sprechung der  liturgischen  Farbenregel  bemerkt:  „Es  gibt  vier  Hauptfarben, 
durch  welche  die  römische  Kirche  je  nach  der  Eigentümlichkeit  der  Tage  die 
liturgischen  Kleider  unterscheidet,  Weiß,  Rot,  Schwarz  und  Grün ;  denn  auch 
im  Alten  Bunde   hatte    man   für   die   heilige  Kleidung   vier  Farben,   Byssus, 


750      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Purpur.  Hyazinth  (Blaupurpur)  und  Scharlach",  so  ist  das  nur  eine  der  bei 
den  alten  Liturgikern  so  beliebten  nachträglichen  Gegenüberstellungen  eines 
alt-  und  neutestamentlichen  Brauches.  Über  das  Verhältnis  der  beiden  zu- 
einander geben  die  Worte  Innozenz'  III.  keinen  Aufschluß.  Wie  wenig  dieser 
an  eine  wirkliche  Ableitung  des  liturgischen  Farbenkanons  von  den  Farben 
der  jüdischen  Kultkleidung  denkt,  ergibt  sich  auf  das  klarste  aus  der  Weise, 
wie  er  die  Einführung  des  Grün  begründet. 

Der  Ursprung  der  liturgischen  Farbenregel  liegt  ganz  anderswo  als  in 
einem  Hinblick  auf  alttestamentlichen  Brauch ;  sie  ist  aus  dem  Schoß  der 
symbolisierenden  Tendenzen  des  12.  Jahrhunderts  geboren  worden. 
Auf  die  Entstehung  der  liturgischen  Kleidung  hat  die  Symbolik  keinen  Ein- 
fluß ausgeübt,  dagegen  ist  der  kirchliche  Farbenkanon  im  eigentlichsten  Sinne 
ihre  Schöpfung.  Er  ist  ganz  und  gar  auf  dem  Boden  jener  mystischen  Be- 
trachtungen und  Anschauungen  erwachsen,  welche  eine  gewisse  Verwandt- 
schaft fanden  oder  doch  zu  finden  glaubten  zwischen  dem  Charakter  der  ein- 
zelnen Farben  und  ihrer  Wirkung  auf  das  Gemüt  einerseits  und  dem  geistigen 
Kolorit  der  verschiedenen  kirchlichen  Feste  und'  der  diesen  eigentümlichen 
religiösen  Stimmung   anderseits. 

Die  Symbolik,  welche  man  in  Eom  um  1200  mit  den  liturgischen  Farben  ver- 
band, hat  Innozenz  III.  weitläufig  erörtert.  Durandus  hat  dieselbe  fast  wörtlich  in 
sein  Eationale  aufgenommen.  Sie  ist  es  ohne  Zweifel,  welche  in  Rom  kurz  vor  den 
Tagen  des  großen  Innozenz  zur  Feststellung  der  römischen  Kirchenfarben  geführt  hat. 
Die  mystischen  Deutungen,  welche  dieser  den  einzelnen  Farben  gibt,  bilden  in  ihrer 
Einfachheit  und  Natürlichkeit  einen  wohltuenden  Gegensatz  zu  den  überschwenglichen 
Auslegungen,  welchen  man  heute  nicht  selten  in  erbaulichen,  aber  auch  in  liturgischen 
Schriften  antrifft. 

An  den  Festen  der  Bekenner  und  Jungfrauen,  so  belehrt  uns  Innozenz  III, 
symbolisiere  Weiß  Unversehrtheit  und  Unschuld.  Er  führt  dabei  die  Schriftworte  an : 
Nam  candidi  facti  sunt  nazaraei  eius  ',  und:  Ambulabunt  semper  cum  eo  in  albis.  Vir- 
gines  enim  sunt  et  sequuntur  Agnum,  quocumque  ierit 2.  Unter  den  nazaraei,  Aus- 
erwählten, versteht  er  die  Bekenner.  Symbol  makelloser  Reinheit  ist  die  weiße  Farbe 
auch  an  den  Festen  der  heiligen  Engel,  am  Fest  der  Geburt  des  Vorläufers  des 
Erlösers,  des  hl.  Johannes,  der  zwar  in  Sünde  empfangen,  aber  schon  im  Mutterschoß 
geheiligt  wurde,  und  zumal  am  Geburtsfest  des  Heilandes.  Am  Fest  der  Erscheinung 
des  Herrn  betrachtet  der  Papst  dagegen  die  weiße  Farbe  der  Paramente  als  Erinnerung 
an  den  Glanz  jenes  wundersamen  Sternes,  welcher  die  Weisen  zum  menschgewordenen 
Gottessohne  nach  Bethlehem  führte.  Am  Lichtmeßtag  sind  es  nach  Innozenz  zugleich 
Maria  jungfräuliche  Reinheit  und  Christus  als  das  Gotteslicht  „zur  Erleuchtung  der 
Heiden  und  zur  Verherrlichung  seines  Volkes  Israel",  welche  durch  das  Weiß  des 
Festes  versimibildet  werden.  Am  Gründonnerstag,  hören  wir,  werde  die  weiße  Farbe 
gebraucht  sowohl  um  der  Segnung  des  Chrisanis  willen,  das  zum  Zweck  der  Reinigung 
(Heiligung)  der  Seele  geweiht  werde,  als  auch,  weil  das  Evangelium  dieses  Tages,  das 
die  Fußwaschung  berichtet,  die  Reinheit  der  Seele  in  besonderem  Maße  anempfehle. 
Der  Papst  beruft  sich  auf  die  Worte,  die  der  Herr  zu  Petrus  sprach :  Qui  lotus  est, 
non  indiget,  nisi  ut  pedes  lavet,  sed  est  mundus  totus,  und :  Si  non  lavero  te,  non 
habebis  partem  mecum  3.  Ostern  sollen  uns  die  weißen  Paramente  an  die  Boten  der 
Auferstehung,  die  Engel,  erinnern,  die  in  weißem  Kleid  am  Grabe  des  Auferstandenen 
den  Frauen  erschienen  und  ihnen  die  frohe  Kunde  brachten,  daß  der  Herr  erstanden 
sei;  am  Himmelfahrtstag  an  die  weiße  Wolke,  in  der  Christus  zum  Himmel  auffuhr, 
wie  auch  an  die  beiden  Engel  in  weißem  Gewände,  welche  den  auf  dem  Ölberg  Ver- 
sammelten erschienen  und    sie  über  die  Auffahrt   des  Erlösers  trösteten.     Am  Kirch- 


Klgl  4,  7.  2  Offb  3,  4  und  14,  4.  3  Jo  13,  10  8. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  751 

weihfest,  so  werden  wir  belehrt,  symbolisiere  die  weiße  Farbe,  daß  die  Kirche  die 
makellose  Braut  des  Gottessohnes  ist. 

Rot  erinnert  nach  Innozenz  an  den  Festen  der  Apostel  und  Märtyrer,  daß  diese 
für  Christus  ihr  Blut  vergossen.  Eine  gleiche  Symbolik  hat  für  ihn  die  rote  Farbe 
der  Paramente  an  den  Festen  Kreuz-Erfindung  und  Kreuz-Erhöhung,  wenngleich  er 
lieber  weiße  an  diesen  beiden  Tagen  getragen  sehen  möchte,  da  an  ihnen  ja  nicht  sowohl 
das  Andenken  an  das  Leiden  des  Erlösers  als  vielmehr  das  freudige  Gedächtnis  der 
Auffindung  und  Erhöhung  des  Kreuzes  Christi  begangen  werde.  Pfingsten  ist  das 
Rot  der  liturgischen  Gewänder  Symbol  der  Feuerzungen,  in  Gestalt  derer  der  Heilige 
Geist  sich  auf  die  Apostel  niederließ.  Am  Festtag  einer  heiligen  Jungfrau,  die  zu- 
gleich Märtyrin  war,  hält  Innozenz  rote  Paramente  für  die  passendsten,  weil  das  Mar- 
tyrium als  Zeichen  der  vollkommensten  Liebe  (maiorem  caritatem  nemo  habet,  quam  ut 
animam  suam  ponat  quis  pro  amicis  suis  ')  vor  der  Jungfräulichkeit  den  Vorzug  habe. 
Dagegen  belehrt  er  uns,  daß  man  sich  an  Allerheiligen  zu  Rom,  abweichend  vom 
Gebrauch  an  andern  Orten,  nicht  roter,  sondern  weißer  Gewänder  bediene,  weil  „nicht 
sowohl  an  diesem  Tag,  sondern  von  diesem  Tag  die  Kirche  sage,  es  ständen  nach 
der  Offenbarung  des  hl.  Johannes  die  Heiligen  in  weißen  Gewändern,  Palmen  in  den 
Händen  vor  dem  Lamme",  d.  h.  weil  an  diesem  Tage  nicht  der  besondere  Charakter 
der  Seligen,  sondern  ihre  Seligkeit  im  allgemeinen  der  Gegenstand  der  Festfeier  sei. 

Die  schwarze  Farbe  beim  Gottesdienst  im  Advent,  zwischen  Septuagesima  und 
Ostern  und  für  die  Verstorbenen  erklärt  Innozenz  durch  den  Hinweis  auf  den  Cha- 
rakter der  Trauer,  Buße  und  Sühne,  den  derselbe  besitze.  Auch  am  Tage  der  un- 
schuldigen Kinder  brauche  man  wohl  schwarze  Paramente,  indem  man  dadurch  die 
Trauer  über  deren  Ermordung  zum  Ausdruck  bringen  wolle. 

Für  den  Gebrauch  des  Violett  gibt  Innozenz  keinen  mystischen  Grund  an, 
sondern  begnügt  sich  damit,  es  als  Nebenfarbe  und  Ersatz  für  Schwarz  zu  bezeichnen. 
Wir  finden  ihn  jedoch  bei  Durandus ;  derselbe  belehrt  uns  nämlich,  nachdem  er  die 
Tage  verzeichnet  hat,  an  denen  man  violette  Paramente  brauchte,  man  bediene  sich  an 
ihnen  der  violetten  Farbe,  weil  sie  pallidus  et  quasi  lividus  sei,  d.  h.  weil  dieselbe 
trüb  und  wie  blutunterlaufen  aussehe.  Merkwürdig,  wie  eine  Farbe,  welche  ehedem 
den  ersten  Rang  unter  allen  Farben  eingenommen  hatte  und  die  Kaiserfarbe  im  be- 
sondern Sinne  gewesen  war,  im  Lauf  der  Zeit  den  Charakter  einer  Trauerfarbe  bekam. 

Interessant  und  zugleich  bedeutsam  für  die  Entstehungsgeschichte  des  römischen 
Farbenkanons  ist  die  Weise,  wie  der  Papst  das  Grün  begründet.  Vom  Grün  der 
Hoffnung  und  ähnlichem,  womit  man  heute  gern  die  grüne  Farbe  der  Paramente 
erklärt,  sagt  er  kein  Wort.  Grün  brauche  man,  belehrt  er  uns,  quia  viridis  color 
medius  est  inter  albedinem  et  nigredinem  et  ruborem.  Innozenz  will  sagen :  Es  gibt 
Tage,  die  keinen  bestimmt  ausgesprochenen  Charakter  haben,  so  daß  für  sie  weder 
Weiß  noch  Rot  noch  Schwarz  paßt.  Sie  sind  weder  Bußtage,  noch  feiert  man  an 
ihnen  das  Andenken  an  Christi  Leiden  oder  das  Martyrium  eines  Heiligen,  noch  begeht 
man  an  ihnen  das  Gedächtnis  an  ein  freudiges  Geheimnis  oder  einen  Heiligen,  dessen 
Heiligkeit  in  Weiß  seinen  entsprechenden  Ausdruck  fände.  Man  nimmt  daher  an 
diesen  Tagen  passend  eine  Farbe,  die,  was  ihren  Farbenwert  anlangt,  in  der  Mitte 
zwischen  Weiß,  Rot  und  Schwarz  (Violett)  steht,  d.  i.  Grün.  Die  Erklärung  ist 
weniger  poetisch  als  manch  spätere  Deutung ;  sie  gibt  jedoch  ohne  Zweifel  den  rich- 
tigen Grund  an,  der  dem  Grün  Aufnahme  in  den  liturgischen  Farbenkanon  verschafft 
hat.  Allerdings  läßt  sich,  was  Innozenz  sagt,  auch  auf  Gelb  anwenden.  Indessen 
hören  wir  ja  von  dem  Papst .  daß  man  wirklich  dieses  wohl  als  Nebenfarbe  von 
Grün  behandelte. 

Welche  Bedeutung  man  da,  wo  man  eine  vom  römischen  Farbenkanon 
verschiedene  Farbenregel  beobachtete,  den  einzelnen  Farben  beilegte,  ist  ge- 
wöhnlich nicht  gesagt,  doch  ist  es  in  den  meisten  Fällen  nicht  schwer,  die 
Symbolik  zu  erraten. 

1  Ebd.  15,  13. 


752      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Weiß  im  Advent  sollte  z.  B.  auf  die  Makellosigkeit  der  Geburt  des  kommenden 
Gottessohnes  und  die  jungfräuliche  Beinheit  derjenigen,  die  ihn  gebären  werde,  hin- 
weisen. Bei  der  Palmprozession  war  die  weiße  Farbe  der  Paramente  der  Ausdruck 
der  Freude  und  des  Jubels,  mit  dem  einst  die  Bewohner  Jerusalems  den  Heiland 
bei  seinem  feierlichen  Einzug  in  die  Stadt  empfingen  und  ihn  zum  Tempel  geleiteten. 
Ein  anderer  Grund  für  ihren  Gebrauch  bei  der  Prozession  lag  in  dem  Umstand,  daß 
man  bei  derselben  wohl  das  heiligste  Sakrament,  d.  i.  den  Erlöser  unter  sakramentaler 
Gestalt,  umhertrug.  Wenn  man  sich  in  der  ganzen  Zeit  von  Epiphanie  bis  Lichtmeß 
bzw.  Septuagesima  weißer  Gewänder  beim  Gottesdienst  bediente,  so  lag  das  daran,  daß 
man  dieselbe  noch  als  Teil  der  Weihnachtszeit  ansah. 

Bot  in  der  Passionszeit  erklärt  sich  leicht  durch  den  Hinblick  auf  das  Leiden 
des  Erlösers  und  sein  für  uns  vergossenes  Blut.  In  der  Weihnachtszeit  und  Weih- 
nachten mochte  es  die  Liehe  versinnbilden  sollen,  die  der  Gottessohn  durch  seine 
Menschwerdung  zu  uns  bekundete.  Am  Allerheiligenfest  trug  man  rote  Paramente  ob 
martyres,  wie  das  alte  Trierer  Missale  sagt,  also  mit  Bücksicht  auf  die  heiligen 
Märtyrer,  die  aus  Liebe  zu  Christus  ihr  Blut  vergossen  hatten.  Von  Trinitatis- 
sonntag  bis  Advent  war  Bot  darum  wohl  üblich,  weil  diese  Zeit  das  Wirken  des 
Heiligen  Geistes  in  der  Kirche  darstellt.  Eine  verwandte  Symbolik  mag  auch  Ursache 
gewesen  sein,  daß  man  zu  Ellwangen  am  Fest  Maria  Heimsuchung  rote  Paramente 
trug.  Wie  es  scheint,  sollte  dadurch  ausgedrückt  werden,  daß  Elisabeth  bei  ihrer 
Begegnung  mit  Maria  vom  Heiligen  Geist  erfüllt  und  der  hl.  Johannes  in  ihrem 
Schöße  geheiligt  wurde.  Warum  man  am  Oktavtag  der  unschuldigen  Kinder  statt  des 
Schwarz  oder  Violett  des  Festes  rote  Gewänder  trug,  sagt  uns  das  Ordinale  Grandis- 
sons  von  Exeter,  wenn  es  bezüglich  dieser  Sitte  bemerkt:  Quia  octava  resurrectionem 
significat,  weil  der  Oktavtag  die  Auferstehung  bedeute. 

Der  Gebrauch  des  Gelb  am  Fest  der  Erscheinung  des  Herrn  geschah  unzweifel- 
haft, um  den  goldigen  Glanz  des  Sternes  anzudeuten.  Croceus  auro  similis  fulgenti, 
heißt  es  im  Ordinale  Grandissons.  Gelb  an  der  Vigil  vor  Ostern,  Pfingsten  und 
Weihnachten,  wie  wir  es  zu  Eichstätt  antreffen,  mochte  seinen  Grund  darin  haben, 
daß  man  diesen  Tagen  ihren  Vigilcharakter  zu  wahren  und  doch  sie  zugleich  vor  den 
übrigen  Vigilien  auszuzeichnen  suchte.  An  den  Festen  der  Bekenner  waren  vielfach 
gelbe  (grüne)  Gewänder  im  Brauch,  weil  man  die  heiligen  Bekenner  weder  als  virgines 
noch  als  martyres  behandeln  wollte  und  darum  einen  color  medius,  wie  Innozenz  das 
Grün  nennt,  für  das  Geeignetste  hielt. 

Ein  Minoritenmissale  der  vatikanischen  Bibliothek  sieht  in  dem  Gelb  der  Bekenner- 
feste ein  signum  eorum  abstinentiae  et  afflictionis  '.  Wenn  man  aber  Grün  an  den 
Festen  der  Bekennerbischöfe  und  Gelb  an  denjenigen  der  übrigen  Bekenner  bzw.  um- 
gekehrt brauchte,  so  geschah  das  wohl  lediglich,  um  die  einen  von  den  andern  zu 
unterscheiden,  wie  ein  Caeremoniale  der  Vaticana  2  sagt :  ad  distinguendum  ( confessores 
non  pontifices)  a  confessoribus  pontificibus. 

Warum  man  den  color  cinericius,  die  Farbe  der  Asche,  den  Paramenten  am 
Aschermittwoch  und  in  der  Fastenzeit  gab,  liegt  auf  der  Hand.  Will  man  Violett 
am  Weihnachtsfeste  nicht  durch  den  Hinweis  auf  die  Erniedrigung  erklären,  in  die 
sich  Christus  durch  die  Menschwerdung  begab,  so  mag  man  vielleicht  in  ihm  eine 
Beminiszenz  an  die  Wertschätzung  sehen,  deren  sich  einst  die  violette  Farbe  zu 
erfreuen  hatte.  Bei  Bekennern,  zumal  Äbten  und  Mönchen,  bei  heiligen  Frauen  und 
Witwen  werden  violette  Gewänder  Buße,  Weltverachtung  und  Entsagung  bedeutet  haben. 

Doch  genug  davon.  Ein  praktisches  Interesse  haben  diese  Deutungen,  so 
interessant  sie  sind,  ja  doch  nicht  mehr.  Sie  gehören  vergangenen  Tagen  an.  Seit 
dem  Verschwinden  der  nichtrümischen  Farbenregeln  hat  auch  deren  Symbolik  nur 
mehr  einen  geschichtlichen  Wert.  Als  Probe,  wie  man  einst  die  verschiedenen  Farben 
deutete,  und  zugleich  als  Erklärung,  wie  es  in  den  alten  Farbenkanones  zu  so  manchen 
Eigentümlichkeiten  gekommen  ist,  reicht  aber  das  Gesagte  vollkommen  aus. 


Vat.  Capp.  206.  2  Vat.  Reg.  280. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  753 

V.    DIE  RITEN  DES  OSTENS  UND  DIE  LITURGISCHEN  FARBEN. 

In  den  Riten  des  Ostens  gibt  es  keinen  liturgischen  Farbenkanon, 
ja  die  meisten  kennen  überhaupt  keine  liturgischen  Farben.  Man  nimmt  die 
Stoffe ,  wie  man  sie  eben  haben  kann ;  doch  pflegen ,  wenngleich  keines- 
wegs allgemein  und  ausnahmslos,  die  liturgischen  Stauchen,  der  Gürtel,  die 
Stola  und  der  liturgische  Mantel  aus  demselben  Zeug  gemacht  zu  werden, 
also  von  derselben  Farbe  zu  sein.  Nur  im  griechischen  Ritus  findet  sich  ein 
schwacher  Anklang  an  eine  liturgische  Farbenregel.  Im  allgemeinen  sind 
für  die  liturgische  Kleidung  alle  Farben  erlaubt,  doch  werden  die  hellen, 
glänzenden,  leuchtenden  bevorzugt.  Von  Ostern  bis  Christi  Himmelfahrt 
ist  Weiß  vorgeschrieben,  und  zwar  selbst  für  die  Begräbnisse  '.  Während  der 
großen  vierzigtägigen  Fasten  haben  die  Gewänder  gewöhnlich  eine  dunkle, 
und  zwar  meistens  blaue  oder  violette  Farbe.  Doch  trägt  man  in  dieser 
Zeit  bei  der  Liturgie  auch  wohl  eine  dunkelrote  Gewandung,  um  an  Christi 
Blut,  das  für  uns  vergossen  ward,  zu  erinnern.  Bei  Begräbnissen  wie  am 
Karfreitag  pflegt  man  sich  der  schwarzen  Farbe  zu  bedienen.  In  der  Kiew- 
schen  Metropole  sind  an  den  Aposteltagen  Paramente  aus  Goldstoff,  an  den 
Märtyrertagen  rote  Kirchengewänder  im  Gebrauch.  Das  priesterliche  Unter- 
gewand ist  zwar  nicht  notwendig,  aber  doch  gewöhnlich  von  weißer  oder 
wenigstens  heller  Farbe.  In  Rußland  wird  in  Hofkirchen  häufig  die  sog. 
alexandrinische  Meßkleidung  getragen.  Sie  besteht  aus  grünem,  mit  Kreuzen 
geschmücktem  Phelonion  (Kasel),  rotem  Gürtel,  roten  Epimanikien  (Stauchen), 
rotem  Epigonation  (Kniestück)  und  rotem  Epitrachelion  (Stola)2.  Wie  wenig 
übrigens  selbst  im  griechischen  Ritus  von  einer  strikten  Farbenregel  die  Rede 
sein  kann,  beweist  klar  die  Tatsache,  daß  bei  den  Konzelebrationen,  bei  denen 
mehrere  Priester  gemeinschaftlich  das  heilige  Opfer  darbringen,  die  verschiedenen 
Priester  keineswegs  gehalten  sind,  Gewänder  derselben  Farbe  zu  tragen.  Bei 
solchen  Konzelebrationen  kann  man  den  einen  Priester  in  einem  grünen,  den 
andern  in  einem  blauen,  einen  dritten  in  einem  violetten,  den  Hauptcelebrans 
aber  in  weißem  Phelonion  am  Altar  stehen  sehen.  Eine  ausgebildete  Farbenregel 
haben  unter  den  Anhängern  des  griechischen  Ritus  nur  die  galizischen  Ruthenen. 
Dieselbe  ist  indessen  sehr  jungen  Datums,  da  es  erst  1891  auf  dem  Provinzial- 
konzil  von  Lemberg  zu  ihrer  Feststellung  kam.  Sie  ist  dem  römischen  Farben- 
kanon nachgebildet. 

In  der  Ostkirche  steht  es  also  hinsichtlich  einer  liturgischen  Farben- 
ordnung noch  jetzt  so,  wie  es  im  Abendlande  sich  damit  bis  gegen  das  letzte 
Viertel  des  12.  Jahrhunderts  verhielt. 

Bezüglich  der  Geschichte  der  liturgischen  Farben  im  griechischen  Ritus 
müssen  wir  uns  kurz  fassen,  da  soviel  wie  keine  Nachrichten  darüber  vor- 
liegen. Schon  die  unter  dem  Namen  des  hl.  Sophronius  gehende  Meßerklärung 
kennt  sowohl  weiße  wie  rote  Phelonien  und  weiß  auch  für  beide  eine  ent- 
sprechende Deutung3.  Dagegen  scheint  ihr  die  Praxis,  wonach  rote  Phelonien 
nur  in  der  Fastenzeit  und  beim  Leichengottesdienst  getragen  wurden,  noch 
fremd  zu  sein.  Indessen  wird  diese  denn  doch  schon  vom  bulgarischen  Erz- 
bischof Demetrius  Chomatenus  in  seinem  Antwortschreiben  an  den  Metropoliten 
von  Dyrrhachium  Konstantin  Kabasilas  erwähnt4,    so   daß  sie  also  spätestens 

1  v.  Maltzew,  Fasten-  und  Blumen-Tri-  s  Mg.  87 3,  3988. 

odion  lxxxv.  4  Mg.  119,  949  und  Pitra,  Analecta  sacra 

2  Nach  gütiger  Mitteilung  des  HerrnPropstes  et  classica,  Iuris  eccl.  graecorum  selecta  para- 
v.  Maltzew  zu  Berlin.  lipouiena,   Paris.    1891,    634:  'Ev  /xö^aig   yäp 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  48 


754       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

iu  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  aufgekommen  sein  muß.  Im  Be- 
ginn des  15.  Jahrhunderts  gedenkt  ihrer  Simeon  von  Saloniki1  und  etwas 
später  Kodinus2. 

Wie  es  in  den  übrigen  Riten  früher  mit  der  Farbe  der  liturgischen  Ge- 
wänder gehalten  wurde,  läßt  sich  nicht  bestimmen.  Ein  unter  dem  Namen 
des  hl.  Basilius  gehender,  jedenfalls  aber  späterer  Kanon  in  der  um  die 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts  entstandenen  koptischen  Kanonessammlung  des 
Ibn  'Assäl  will,  daß  die  bei  der  Feier  der  Liturgie  zur  Verwendung  kommenden 
Kleider  weiß,  nicht  aber  gefärbt  seien3.  Wie  weit  ihm  allerdings  die  Praxis 
entsprochen,  muß  dahingestellt  bleiben. 


VI.   WEISS  ALS  LITURGISCHE  FARBE  IN  DER  VORKAROLINGISCHEN 

ZEIT. 

Es  ist  gesagt  worden,  in  der  ältesten  Zeit  sei  Weiß  die  ausschließliche 
Farbe  der  liturgischen  Gewandung  und  die  alleinige  liturgische  Farbe  gewesen, 
und  zwar  soll  es  so  bis  zum  9.  Jahrhundert  geblieben  sein.  Wir  müssen 
etwas  näher  auf  diese  Frage  eingehen.  Natürlich  kann  es  sich  dabei  nicht 
um  die  Farbe  der  liturgischen  Untergewandung,  des  Humerale  und  der  Albe, 
handeln ;  denn  für  diese  blieb  bis  in  die  Gegenwart  die  weiße  Farbe  Brauch ; 
es  kommt  vielmehr  bloß  die  Obergewandung,  genauer  die  Kasel  in  Betracht. 
Denn  von  dem  Pluviale  kann  vor  der  Karolingerzeit  noch  nicht  die  Rede  sein, 
die  diakonale  und  die  subdiakonale  Obertunika  aber  bewahrten  ihre  weiße 
Farbe  noch  eine  gute  Weile  über  das  9.  Jahrhundert  hinaus.  Farbige  Dal- 
matiken  und  Tunicellen  werden  erst  um  die  Wende  des  Jahrtausends  gebräuch- 
lich. Wir  haben  also,  um  eine  richtige  Antwort  zu  ermöglichen  und  nicht 
Gewänder  mit  Gewändern  zu  vermengen ,  die  Frage  genauer  entweder  zu 
formulieren:  „War  auch  für  die  Kasel  vor  dem  9.  Jahrhundert  die  weiße  Farbe 
vorgeschrieben?"  oder,  was  auf  dasselbe  hinauskommt:  „Mußte  bis  dahin  die 
ganze  Kleidung  des  Liturgen  beim  Gottesdienst  weiß  sein?"  Wird  sie  so 
gefaßt,  so  geht  die  oben  angeführte  Behauptung  ohne  Zweifel  entschieden  zu 
weit.  Jedenfalls  gilt  das  bezüglich  des  abendländischen  Brauches  in  nach- 
konstantinischer  Zeit. 

Allerdings  ist  im  Abendland  vor  dem  9.  Jahrhundert  wiederholt  von 
weißen  liturgischen  Gewändern  die  Rede,  doch  handelt  es  sich  in  den  meisten 
Fällen  um  die  Tunika  der  Diakone  oder  des  niederen  Klerus.  So  ist  die  dia- 
konale Tunika  gemeint,  wenn  es  in  dem  wohl  mit  Unrecht  dem  hl.  Hieronymus 
abgesprochenen,  jedenfalls  aber  vor  dem  Ende  des  4.  Jahrhunderts  entstandenen 
Brief  an  den  Diakon  Präsidius  von  Piacenza  heißt:  „Beachte  doch,  was  für 
eine  schwierige  Stellung  es  ist,  des  Stephanus  oder  Paulus  Platz  einzunehmen, 
eine  Art  englischen  Dienstes  auszuüben  und  auf  das  untergebene  Volk  in 
glänzendem  (weißem)  Gewände  herabzuschauen."    Von  weißen  Tuniken  (albae) 


wozißoig  -Ijßdpais  xal  iv  p.vyjp.oaüvoiq  änzXfh'ivTio'j 
ypumav&v  p.zzo.  rü>\>  zoioürmv  (sc.  —op(pupöj<j 
ialhjßd/rcoii)  o'c  äp/cspsig  Eubttomv  hpnupyiag 
Tzoizlv.  Vgl.  auch  P  i  t  r  a  a.  a.  0.  731  f,  wo 
als  Grund  für  den  Gebrauch  purpurner  Ge- 
wänder in  den  Fasten  der  Bußeharakter  dieser 
Zeit  und  die  Erinnerung  an  das  Purpurkleid 
des  Heilandes  angegeben  wird. 

1  De  sacra  ordinal  c.  83  (Mg.  155,  261). 


2  De  offic.  eccl.  c.  9  (Mg.  157,  83). 

3  Renaudot,  Liturg.  orient.  collect.  I  160. 
Vgl.  auch  can.  99  der  sog.  Kanones  des 
hl.  Basilius  bei  W.  Riedel,  Die  Kirchen- 
rechtsquellen des  Patriarchats  Alexandrien, 
Leipzig  1890,  272,  und  can.  28  der  sog. 
Kanones  des  hl.  Athanasius,  deren  Mitteilung 
ich  der  Güte  des  Herrn  Prof.  Dr  Riedel  zu 
Greifswald  verdanke. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  755 

erzählt  die  Vita  P.  P.  Emeritensium 1.  Eine  Schar  weißstrahlender  Diakone 
begegnet  uns  bei  Gregor  von  Tours  in  der  Schrift  De  gloria  eonfes- 
sorum2,  und  eine  Schar  Diakone,  die  in  Albae  eine  Bittprozession  gegen 
Regen  abhalten,  in  ebendesselben  Vita  S.  Aridii3.  Von  einem  Archidiakon, 
der  am  Weihnachtstage  mit  einer  Alba  bekleidet  den  zur  Kirche  kommenden 
Bischof  in  Empfang  nimmt,  erzählt  uns  die  Historia  Francorum  Gregors4. 
Von  der  Alba  der  Diakone  und  Lektoren  handelt  der  12.  Kanon  der  Synode 
von  Narbonne  vom  Jahre  589 5,  von  der  Alba  der  Diakone  der  41.  Kanon 
des  sog.  vierten  Konzils  von  Karthago 6. 

Die  wenigen  Stellen ,  welche  von  der  liturgischen  Gewandung  im  all- 
gemeinen oder  dem  priesterlichen  Obergewande  im  besondern  sprechen,  be- 
weisen höchstens,  daß  man  sich  weißer  Gewänder  mit  Vorzug  oder  bei  be- 
stimmten Gelegenheiten  bedient  habe,  nicht  aber,  daß  Weiß  die  ausschließliche 
liturgische  Farbe  gewesen  sei.  So,  wenn  wir  in  Gregors  von  Tours  Schrift 
De  gloria  confessorum7  lesen,  daß  bei  der  Einweihung  einer  Kapelle  Priester 
und  Leviten  in  vestibus  albis  erschienen  seien;  wenn  wir  in  ebendesselben 
Vita  Patrum8  von  casulae  candidae  hörten,  quae  per  paschalia  festa  humeris 
sacerdotum  imponuntur,  oder  wenn  die  gallikanische  Meßerklärung  uns  be- 
richtet, man  trage  am  Ostertage  weiße  Gewänder. 

Wie  es  in  Gallien  für  gewöhnlich  gehalten  wurde,  ersehen  wir  aus  dem 
Lobgedicht  des  Venantius  Fortunatus  auf  den  Klerus  von  Paris.    Denn  wenn 

es  darin  heißt: 

Inde  sacerdotes,  leviticus  liinc  micat  ordo. 

Illos  canities,  hos  stola  pulchra  tegit; 

Uli  iam  senio,  sed  et  hi  bene  vestibus  albent, 

so  weist  das  zur  Genüge  darauf  hin,  daß  eine  weiße  Gewandung  eine  Eigen- 
tümlichkeit der  Leviten  war  und  daß  die  Priester  für  gewöhnlich  nicht  ganz 
in  Weiß  erschienen9. 

Auch  die  bekannten  Worte  des  hl.  Hieronymus:  „Was  für  ein  Unrecht 
gegen  Gott  soll  darin  liegen ,  wenn  ich  eine  reinere  Tunika  habe  und  wenn 
der  Bischof,  die  Priester,  der  Diakon  und  der  übrige  Klerus  bei  der  Dar- 
bringung des  heiligen  Opfers  in  glänzendem  Gewände  (veste  Candida]  aufziehen? " 10, 
sind  keineswegs  ein  Beweis,  daß  damals  Weiß  die  ausschließliche  Farbe  der 
liturgischen  Kleidung  war.  Sie  sind  gegen  die  Pelagianer  gerichtet,  welche 
in  stoischer  Einseitigkeit  die  gloria  vestium  et  ornamentorum,  eine  reiche 
Kleidung  als  Gott  zuwider  bezeichneten.  Für  ihr  Verständnis  ist  von  Belang, 
was  der  Heilige,  auf  die  Pelagianer  anspielend,  im  Anschluß  an  die  angeführten 
Worte  weiter  bemerkt:  „Ihr  Geistliche,  seht  euch  vor",  ruft  er  aus,  „seht 
euch  vor,  ihr  Mönche,  ihr  (gottgeweihten)  Jungfrauen  und  Witwen,  ihr  seid 
in  Gefahr,  wenn  euch  das  Volk  nicht  in  Schmutz  und  mit  Lumpen  bedeckt 
sieht.  Von  den  Weltleuten  ganz  und  gar  zu  schweigen,  denen  man  offen 
Krieg  ankündigt  und  die  man  zu  Feinden  Gottes  stempelt,  wenn  sie  sich 
kostbarer  und  glänzender  Kleidung  bedienen."  Offenbar  will  Hieronymus 
keineswegs  sagen ,  es  seien  zu  seiner  Zeit  die  liturgischen  Gewänder  aus- 
schließlich weiß   gewesen.     Noch  jetzt,    da   es   doch  verschiedene   liturgische 


1  C.  6  (M.  80,  133).  7  C.  20  (M.  71,  843). 

2  C.  61   (M.  71,  872).  »  C.  8,  n.  5  (ebd.  1045).    Vgl.  Cypriani 

3  C.  8  (ebd.  1124).  Vita  S.  Caesar.  1.  1,  c.  4  (M.  67,  1017). 
'  L.  4,  c.  38  (ebd.  306).  9  Miscell.  1.  2,  c.  13  (M.  88,  102). 

s  Hard.  III  493.  6  Ebd.  981.  10  Adv.  Pelag.  1.  1,  n.  29  (M.  23,  524). 

48* 


756       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Farben  gibt,  könnte  der  Heilige  dieselbe  Sprache  führen.  Obendrein 
darf  man  nach  dem  Zusammenhang  das  Wort  candidum  nicht  zu  sehr 
pressen.  Es  hat  hier  offenbar  nicht  den  speziellen  Sinn  von  Weiß,  sondern 
mehr  den  allgemeineren  von  Glänzend.  Auch  ist  nicht  einmal  sicher,  ob  die 
vestis  Candida,  von  der  Hieronymus  redet,  das  Obergewand  oder  die  Tunika 
bedeutet.  Für  letzteres  spricht  nicht  bloß  die  tunica  mundior,  der  un- 
mittelbar vorher  Erwähnung  geschieht,  sondern  auch  der  Umstand,  daß  der 
Heilige  ausdrücklich  von  der  vestis  Candida  aller  Kleriker  redet.  Sollte  aber 
wirklich  unter  ihr  nur  die  Tunika  zu  verstehen  sein,  so  leuchtet  ein,  daß 
dann  erst  recht  die  Stelle  nicht  zum  Beweis  herangezogen  werden  kann. 
Denn  auch  heute  muß  die  Albe  stets  weiß  sein. 

Wie  es  sich  tatsächlich  im  ausgehenden  5.,  im  6.,  7.,  8.  und  9.  Jahr- 
hundert verhielt,  ersehen  wir  aus  den  Monumenten  aus  jener  Zeit.  Sitte  und 
Brauch,  wie  sie  damals  bestanden,  haben  auf  denselben  einen  unzweifel- 
haften Ausdruck  gefunden.  Fast  ausnahmslos  sind  auf  ihnen,  soweit  sie 
wenigstens  dem  Abendlande  angehören,  die  Bischöfe  und  Priester  in  farbiger 
Planeta  dargestellt.  So  auf  dem  Mosaik  der  Kapelle  des  hl.  Satyrus  bei 
S.  Ambrogio  zu  Mailand  (Ende  des  5.  Jahrhunderts),  den  ravennatischen 
Mosaiken  des  6.  Jahrhunderts,  einem  Fresko  in  der  Katakombe  des  Pontian 
zu  Rom  (6.  Jahrhundert),  den  römischen  Mosaiken  des  7.  und  9.  Jahrhunderts, 
einem  wohl  noch  ins  7.  Jahrhundert  reichenden,  die  hll.  Kornelius,  Cyprianus 
Xystus  und  Optatus  darstellenden  Fresko  in  der  Katakombe  von  S.  Callisto 
zu  Rom,  dem  Diptychon  zu  Brescia  mit  den  Bildern  des  hl.  Hieronymus, 
Augustinus  und  Gregor  d.  Gr.  (8.  Jahrhundert)  und  dem  noch  zu  Lebzeiten 
des  großen  Gregor  in  dem  von  ihm  gestifteten  Kloster  auf  dem  Clivus 
Scauri  gemalten  Porträt  des  Papstes,  von  dem  Johannes  Diakonus  eine  ein- 
gehende Beschreibung  hinterlassen  hat.  Bald  ist  die  Planeta  auf  diesen  Monu- 
menten von  kastanienbrauner,  bald  von  gelber,  violettpurpurner,  grünlicher, 
roter  oder  blauer  Farbe.  In  weißer  Planeta  erscheint  einzig  Papst  Pelagius 
auf  dem  Triumphbogenmosaik  in  S.  Lorenzo  fuori  le  Mura  zu  Rom.  Aber 
gerade  die  Figur  dieses  Papstes  ist  auf  dem  betreffenden  Mosaik  eine  voll- 
ständig neue 1. 


1  Auf  die  Farbe  der  Obergewänder  der 
Bischöfe  und  Priester  auf  den  Mosaiken  und 
Fresken  des  5. — 9.  Jahrhunderts  hatte  der 
Verfasser  schon  in  einem  Aufsatz  der  Inns- 
brucker Zeitschrift  für  katholische  Theologie 
(1901,  157)  als  Beweis  hingewiesen,  daß 
in  jener  Zeit  nicht  ausschließlich  Weiß  die 
liturgische  Farbe  gebildet  habe.  Dazu  be- 
merkt nun  H.  Kellner  (Heortologie,  Frei- 
burg 1906,  52,  Anm.  1):  „  Braun  bestreitet, 
daß  Weiß  die  einzige  Kultfarbe  gewesen  sei, 
und  beruft  sich  auf  einzelne  Bildwerke  aus 
dem  5. — 9.  Jahrhundert  (nicht  Miniaturen), 
auf  welchen  gelbe ,  braune  und  andere  Far- 
ben erscheinen.  Allein  „Weiß"  braucht  nicht 
gerade  schneeweiß  zu  sein  und  die  Natur- 
farbe der  Seide  spielt  bekanntlich  ins  Gelb- 
liche. Auch  können  die  Bildwerke  nachge- 
dunkelt oder  später  übermalt  sein.  Jeden- 
falls   ist   sein    Beweismaterial   nicht   kräftig 


genug,  um  gegen  die  vielen  Aussprüche  der 
Quellen,  die  für  die  herrschende  Ansicht  sind, 
aufzukommen."  Hierauf  dürfte  indessen  zu 
erwidern  sein:  1.  Bei  Prüfung  und  Wertung 
der  keineswegs  vielen  schriftlichen  Zeugnisse 
muß  man  durchaus  Land,  Zeit  und  Gewand 
unterscheiden.  2.  Weiß  braucht  gewiß  nicht 
schneeweiß  zu  sein,  aber  unmöglich  können 
Kastanienbraun  ,  Purpurviolett ,  Dunkelblau, 
Grün  als  „Weiß"  gelten.  3.  Bei  Mosaiken  und 
Fresken  kann  von  einem  Nachdunkeln  nicht 
die  Rede  sein ;  Fresken  pflegen  im  Gegenteil 
zu  verbleichen.  Auch  darf  man  wohl  fragen, 
warum  nur  die  Planeta  ihre  Farbe  verändert 
haben  soll,  während  doch  die  Tunika  und 
Dalmatik  ihr  Weiß  in  aller  Frische  behielt. 
4.  Keine  der  im  Text  angeführten  Darstel- 
lungen ist  in  späterer  Zeit  übermalt  worden, 
was  bei  den  Mosaiken  ohnehin  ausgeschlos- 
sen ist. 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben. 


757 


Wie  wenig  man  sagen  kann,  es  sei  im  Okzident  bis  zum  9.  Jahrhundert 
Weiß  ausschließlich  die  liturgische  Farbe  gewesen,  erhellt  auch  aus  dem  schon 
in  der  Frühe  des  7.  Jahrhunderts  sich  geltend  machenden  Bestreben  spanischer 
Diakone,  farbige  Orarien  einzuführen.  „Caveat",  so  verordnet  das  vierte 
Konzil  von  Toledo  633  in  seinem  40.  Kanon,  „amodo  levita  gemino  uti  orario, 
sed  uno'  tantum  et  puro  nee  ullis  coloribus  aut  auro  ornato."  ' 

Man  vergesse  doch  auch  nicht  die  Verhältnisse,  in  denen  sich  die  Kirche 
in  der  uns  hier  beschäftigenden  Zeit  befand.  Sie  hatte  durch  Konstantin  den 
Frieden  erlangt  und  konnte  ungehindert  den  Gottesdienst  mit  dem  seiner 
Würde  entsprechenden  Glanz  umgeben.  Es  fehlte  ihr  auch  keineswegs  dazu 
an  den  nötigen  Mitteln;  denn  die  christlich  gewordene  Welt,  geistlich  wie 
weltlich,  legte  mit  höchster  Freigebigkeit  ihre  Gaben  auf  die  Altäre  nieder. 
Es  erstanden  die  herrlichen  von  Marmor  strahlenden  Basiliken  mit  ihren  von 
Gold  und  Farbe  leuchtenden  Mosaiken,  mit  ihrem  reichen  Altargerät,  mit 
ihren  Lichterkronen,  Bildwerken,  Altarbekleidungen  aus  edeln  Metallen  und 
kostbarem  Gestein  und  ihren  purpurnen,  grünen  oder  golddurchwirkten  Altar- 
und  Wandbehängen  aus  prächtigen  orientalischen  und  byzantinischen  Seiden- 
stoffen, oft  das  Werk  eines  Gebers.  Man  vergleiche  nur  die  so  wichtige 
Carta  Cornutiana  und  die  Angaben,  welche  sie  enthält2.  Es  wäre  wahrlich 
ein  Wunder  gewesen,  hätte  man  die  kostbaren  farbigen  Stoffe,  mit  denen  man 
die  Mauern  bekleidete,  zwischen  den  Säulen  des  Schiffes  eine  Folge  glänzendster 
Draperien  bildete  und  selbst  den  Altar  umgab,  nicht  auch  zur  Herstellung 
der  liturgischen  Kleidung  verwendet. 

Etwas  anders  wie  im  Abendlande  scheint  es  sich  im  Orient  verhalten 
zu  haben.  Hier  dürfte  in  der  Tat  hie  und  da  Weiß  als  die  eigentliche  Farbe 
der  liturgischen  Gewandung  gegolten  haben.  Denn  es  lassen  nicht  bloß  die 
sog.  Apostolischen  Konstitutionen  den  Bischof  in  einer  ka.fj.npa  eadrtc,  zum 
Altare  gehen3,  sondern  es  sagt  auch  der  37.  der  sog.  Kanones  des  Hippolyt: 
„So  oft  der  Priester  die  Mysterien  genießen  will,  sollen  sich  die  Diakone  und 
Priester  in  weißen,  ganz  vorzüglich  reinen  Gewändern,  die  schöner  sind  als 
die  des  ganzen  übrigen  Volkes,  bei  ihm  versammeln4.  Auch  der  99.  der 
sog.  Kanones  des  hl.  Basilius5  und  der  28.  der  sog.  Athanasianischen  Kanones6 
wollten,  daß  die  liturgische  Kleidung  weiß  sei.  „Die  Gewandung,  worin  die 
Priester  zelebrieren,  soll  weiß  und  gewaschen  sein",  sagt  dieser;  jener  aber 
bestimmt:  „Die  Kleider,  welche  sich  für  das  Priestertum  ziemen,  sollen  weiß 
sein,  nicht  mit  Farben  gefärbt." 7  Allerdings  ist  durchaus  nicht  sicher,  ob 
die  beiden  letztgenannten  Kanones  noch  in  die  altchristliche  Zeit  hinaufreichen. 


1  Hai- d.  III  588. 

■  Die  Carta  Cornutiana  (Du eh.,  L.  P.  I, 
cxlvii),  die  Stiftungsurkunde  einer  Kirche 
bei  Tivoli,  stammt  aus  dem  Jahre  471.  Sie 
erwähnt  unter  andern  :  vela  blattea  auroclava 
paragandata,  vela  tramosirica  prasinopurpura, 
vela  tramosirica  leueorodina,  vela  tramosirica 
leueoporphyra,  vela  olosirica  coecoprasina  etc. 
Und  alles  das  befand  sich  nicht  in  einer  der 
großen  Kirchen  Roms,  sondern  in  einer  Land- 
kirche. 

3  L.  8,  c.  12   (Mg.  1,  1092). 

4  Mg.  10,  962.  Vgl.  auch  Riedel,  Die 
Kirchenrechtsquellen  des  Patriarchats  Alex- 
andrien  224. 


5  Ebd.  272.  6  S.  oben  S.  754. 

7  Wenn  das  Testamentum  D.  N.  Iesu 
Christi  (1.  1,  c.  24  [ed.  Rahmani  83])  be- 
stimmt: „Wer  unter  den  Diakonen  durch 
Fleiß  und  Verwaltungstüchtigkeit  hervor- 
ragt ,  soll  mit  der  Aufnahme  der  Fremden 
betraut  werden  und  in  dem  in  der  Kirche 
befindlichen  Hospiz  weilen,  wobei  er  mit 
weißem  Gewand  bekleidet  zu  sein  und  auf 
der  Schulter  das  Orarium  zu  tragen  hat", 
so  ist  unter  dem  weißen  Gewand  unzweifel- 
haft die  Tunika  zu  verstehen.  Bloß  von 
der  diakonalen  Tunika  redet  auch  der  hl.  Jo- 
hannes Chrysostomus  in  der  82.  Homilie  zu 
Matthäus,  wenn  er  den  Diakonen  zuruft :  „Das 


758       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Übrigens  darf  man  auf  den  angeführten  Stellen  nicht  allzuweit  gehende 
Folgerungen  aufbauen.  Denn  erstens  hat  wohl  keine  der  genannten  Bestimmungen 
jemals  allgemeine  Geltung  besessen.  Außerdem  ist  zweitens  fraglieh,  ob  der 
Theorie  auch  wirklich  die  Praxis  entsprochen  habe.  Schon  Theodoret  erzählt 
uns  von  einem  kostbaren,  aus  Goldstoff  gemachten  Gewand,  welches  Konstantin 
dem  Bischof  Makarius  von  Jerusalem  für  die  Vornahme  der  Taufliturgie 
schenkte1.  Bemerkenswert  ist  ferner,  daß  auch  bereits  die  Varopia  ixx/.^aca- 
ozr/.Y).  welche  doch  noch  vor  dem  9.  Jahrhundert  entstand,  von  einem  roten 
Phelonion  des  Bischofs  redet.  Es  wäre  in  der  Tat  zu  auffallend,  wenn  man 
die  Prachtgewebe,  die  in  Byzanz,  in  Syrien,  Ägypten  usw.  geschaffen  wurden, 
so  ganz  und  gar  bei  Herstellung  der  liturgischen  Gewandung  verschmäht  hätte. 
Schwerlich  ist  auch  die  Schenkung  Konstantins  an  Bischof  Makarius  ein  ganz 
allein  stehendes  Ereignis  geblieben. 

Leider  lassen  uns  die  griechischen  Monumente  in  unserer  Frage  fast  ganz 
im  Stich.  Die  Kasel,  welche  Bischof  Eusebius  auf  einer  Miniatur  des  syrischen 
Evangeliar  der  Laurentiana  zu  Florenz  trägt  (6.  Jahrhundert),  ist  braun;  jedoch 
ist  es  fraglich,  ob  es  sich  hier  bei  dem  Gewand  um  ein  liturgisches  Kleidungs- 
stück handelt.  Welche  Farbe  das  Phelonion  des  Bischofs  Philippus  und  des 
Presbyter  Romanus  auf  den  Mosaiken  der  ehemaligen  St  Georgskirche  (jetzt 
Moschee)  zu  Saloniki  hat,  lassen  die  davon  vorliegenden  Reproduktionen 
nicht  mit  Sicherheit  erkennen2.  Das  Obergewand  des  Patriarchen  Theophilus 
auf  den  Miniaturen  der  früher  erwähnten  alexandrinischen  Weltchronik3  ist 
rotbraun  bzw.  blauviolett.  Es  sind  die  einzigen  Bildwerke,  die  etwa  hier 
in  Betracht  kommen  könnten. 

Die  bisherigen  Erörterungen  galten  der  nachkonstantinischen  Zeit.  Wie 
es  sieb  in  vorkonstantinischer  hinsichtlich  der  Farbe  der  liturgischen  Ge- 
wänder verhielt,  darüber  fehlen  alle  Zeugnisse,  wenn  man  nicht  etwa  gegen 
alle  Wahrscheinlichkeit  den  37.  der  sog.  Kanones  des  Hippolyt  als  wirklich 
von  diesem  herrührend  ansehen  sollte.  Wir  erhalten  weder  aus  dem  Osten 
noch  dem  Westen  eine  Nachricht,  welche  uns  berechtigte,  Weiß  als  die  Farbe 
zu  bezeichnen,  die  in  der  Frühzeit  des  Christentums  mit  Ausschluß  aller  andern 
für  die  liturgischen  Gewänder  gebraucht  werden  mußte. 

Man  beruft  sich  freilich  auf  Äußerungen  Klemens'  von  Alexandrien* 
und  Tertullians 5,  in  welchen  diese  gegen  bunte  und  gefärbte  Kleider  eifern, 
die  Wollfärber  verbannt  sehen  möchten  und  weiße  bzw.  naturfarbene  Kleider 
zu  tragen  empfehlen.  Indessen  sind  das  nur  Philippiken  gegen  den  Kleider- 
prunk,   den  Luxus  und  die  damit  zusammenhängende  Zügel-  und  Sittenlosig- 


isfc  eure  Würde ,  das  eure  Sicherheit  und 
Krone  (d.  i.  zu  unterscheiden,  wen  sie  zum 
Tisch  des  Herrn  zulassen  können) ,  nicht  in 
weißer,  glänzender  Tunika  herumzugehen" 
(Mg.  58,  745).  Wenn  aber  in  des  Palladius 
Dialog  über  das  Leben  des  hl.  Johannes  Chry- 
sostomus  erzählt  wird  (Mg.  47,  38),  es  habe 
sich  der  Heilige  auf  dem  Wege  in  die  Ver- 
bannung, da  er  sein  Ende  nahe  gefühlt,  zu 
einem  bei  der  Stadt  Comana  gelegenen  Mar- 
tyrium (Kapelle  über  einem  Märtyrergrab) 
bringen  lassen,  dort  seine  Kleider  mit  glän- 
zenden, seines  Standes  würdigen  Gewändern 
(tö.  ät-ta  zoij  ßiou  ko.ij.-Kpa,  ip.äTia)  vertauscht 


und  so  die  heilige  Wegzehrung  empfangen, 
so  ist  wiederum  nicht  klar,  ob  hier  Aaßxpdg 
ausschließlich  weiß  bedeutet.  Keinesfalls  aber 
folgt  aus  dem  Bericht,  daß  zu  des  Heiligen 
Zeiten,  also  um  400,  in  der  Ostkirche  Weiß 
ausschließlich  Kultfarbe  gewesen  sei. 

1  Hist.  eccl.  1.  2,  c.  23  (Mg.  82,  1066). 

2  Abbildungen  nach  T  e  x  i  e  r  und  P  u  1 1  a  n 
(Architect.  Byzant.  pl.  xxx)  bei  M  a  r  r. 
pl.  xvm  xx. 

3  S.  oben  S.  236. 

4  L.  2,  c.  10;  1.  3,  c.  11  (Mg.  8,  521  ff  627  ff). 

5  De  eultu  femin.  1.  1 ,  c.  8 ;  1.  2 ,  c.  12 
(M.  1,  1312  1330). 


Zweites  Kapitel.     Die  liturgischen  Farben.  759 

keit.  Auf  keinen  Fall  kann  man  aus  diesen  nicht  wenig  von  einseitigem 
Rigorismus  getragenen  Auslassungen  berechtigterweise  einen  Schluß  auf  die 
gottesdienstliche  Praxis  der  Kirche  machen,  ja  auch  nur  dieselben  als  der  all- 
gemeinen Anschauung  der  alten  Kirche  entsprechend  hinstellen  und  aus  ihnen 
folgern,  es  hätten  sich  die  Christen  des  2.  und  3.  Jahrhunderts  prinzipiell  nur 
weißer  oder  naturfarbener  Gewänder  bedient.  Ebensowenig  ist  für  unsere 
Frage  von  entscheidendem  Belang  die  Bemerkung  der  Stromata,  man  müsse 
gewaschen,  rein  und  glänzend  zur  Teilnahme  an  der  Opferfeier  kommen,  und 
zwar,  wie  aus  dem  Zusammenhang  folgt,  nicht  bloß  im  Sinne  körperlicher 
und  moralischer  Reinheit,  sondern  auch  in  dem  einer  säubern  Kleidung1;  denn 
es  ist  in  ihr  nicht  an  die  Priester,  sondern  an  die  Gläubigen  gedacht.  Allerdings 
könnte  man  schließen :  wenn  Klemens  schon  von  den  Laien  verlangt,  in  lichter 
Gewandung  bei  der  Liturgie  zu  erscheinen,  um  wieviel  mehr  wird  er  dann 
gefordert  haben,  daß  der  Klerus  selbst  bei  seinen  Funktionen  sich  einer  solchen 
bediene.  Gewiß;  indessen  liegt  auf  der  Hand,  daß  mit  dieser  Folgerung  noch 
keineswegs  bewies'en  ist,  es  sei  zur  Zeit  des  Alexandriners  wirklich  feststehen- 
der Brauch  gewesen,  die  liturgischen  Verrichtungen  mit  Ausschluß  jeder  andern 
in  weißer  Gewandung  zu  vollziehen,  und  das  ist  es  ja  doch,  um  dessen  Nachweis 
es  sich  handelt.  Inwieweit  haben  überhaupt  die  Zeitgenossen  des  Klemens  dessen 
Anschauungen  geteilt  und  inwieweit  hat  man  ihnen  in  der  Praxis  entsprochen? 

Was  man  bestenfalls  aus  den  angeführten  Stellen  folgern  darf,  ist  eine 
gewisse  Bevorzugung  weißer  Kleider  bei  Vornahme  der  gottesdienstlichen  Ver- 
richtungen. Eine  solche  kann  nun  freilich  im  altchristlichen  Kultus  nicht 
auffallen.  In  Kleidern  weiß  wie  Schnee,  so  weiß  wie  kein  Walker  auf  Erden 
sie  machen  kann,  erschien  der  Heiland  bei  der  Verklärung  auf  Tabor.  Weiße 
Gewandung  umfloß  die  Engel,  welche  den  Frauen  des  Herrn  Auferstehung 
verkündeten ,  weiße  Gewandung  die  Himmelsboten ,  welche  die  Apostel  und 
Jünger  nach  des  Herrn  Auffahrt  trösteten.  Weiß  gekleidet  waren  die  Scharen 
der  Seligen,  welche  Johannes  vor  dem  Throne  des  Lammes  schaute ;  sie  kamen 
aus  großer  Trübsal  und  hatten  ihre  Kleider  gewaschen  und  weiß  gemacht  in 
des  Lammes  Blut.  Weiß  ist  die  Kleidung,  welche  die  vierundzwanzig'  Ältesten 
am  Throne  des  Herrn  tragen;  glänzender  Byssus  deckt  in  der  Vision  des 
Apokalyptikers  die  Braut  des  Lammes,  weißer  Byssus  das  Heer,  das  auf 
weißen  Rossen  dem  himmlischen  Reiter  folgt.  Weiße  Gewandung  wird  den 
Auserwählten  als  Siegeslohn  verheißen. 

Dazu  kommt,  daß  Weiß,  wie  es  im  jüdischen  Kultus  eine  so  bedeutungs- 
volle Stellung  eingenommen  hatte,  so  auch  in  den  heidnischen  Kulten  wenn  auch 
keine  ausschließliche,  doch  eine  hervorragende  Verwendung  fand.  Außerdem 
war  Weiß  bekanntlich  bis  wenigstens  zum  4.  christlichen  Jahrhundert  die 
vorzüglichste  Farbe  der  Festgewandung  in  der  griechisch-römischen  Welt. 

Indessen  handelt  es  sich  ja  nicht  darum,  ob  man  in  altchristlicher 
Zeit  bei  der  Kleidung  des  Liturgen  Weiß  bevorzugt  habe  —  das  konnte 
geschehen ,  weil  auch  im  gewöhnlichen  Leben  bei  besseren  Gewändern  Weiß 
vorherrschte  — ,  sondern  darum,  ob  jene  nach  Brauch  und  Herkommen  weiß 
sein  mußte  oder  doch  tatsächlich  stets  weiß  war.  Denn  nur  in  diesem  Falle 
kann  man  von  Weiß  als  von  einer  wirklich  liturgischen  Farbe  reden. 

Übrigens  wird  die  Bevorzugung  der  weißen  Kleidung  bei  den  gottes- 
dienstlichen Verrichtungen   sehr  von   den   äußeren   Umständen    und  von   dem 


1  L.  4,  c.  22  (Mg.  8,  1351). 


760       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Brauch  der  verschiedenen  Länder  abgehangen  haben.  Wie  die  Gewandung 
der  Liturgen  sich  von  der  profanen  Tracht  bezüglich  der  Form  noch  nicht 
unterschied  und  über  diese  noch  keine  besondern  Vorschriften  bestanden, 
so  wird  es  auch  hinsichtlich  der  Farbe  derselben  gewesen  sein :  man  wird  sich 
in  den  verschiedenen  Gegenden  nach  des  Landes  Herkommen  und  Sitte  wie 
auch  nach  den  augenblicklichen  Verhältnissen  gerichtet  haben. 

Monumente,  die  uns  Aufschluß  geben  könnten,  fehlen  aus  vorkonstan- 
tinischer  Zeit  so  gut  wie  völlig.  Das  einzige  Bildwerk,  welches  etwa  in  Betracht 
kommt,  ist  das  bekannte  Fresko  in  der  Katakombe  von  S.  Priscilla,  welches  ge- 
wöhnlich als  Einkleidung  einer  gottgeweihten  Jungfrau  erklärt  wird.  Der 
Bischof,  welcher  die  Zeremonie  vornimmt,  trägt  über  einer  mit  schwärzlichem 
Clavus  verzierten  Ärmeltunika  eine  gelblich  braune  Pänula  (Kasel),  der 
Diakon  aber,  welcher  als  dessen  Minister  fungiert,  eine  grünliche  Tunika.  Es 
scheinen  also  im  3.  Jahrhundert,  welchem  das  Bild  zugeschrieben  wird,  zu 
Rom  nicht  ausschließlich  weiße  Gewänder  bei  liturgischen  Akten  getragen 
worden  zu  sein.  Allein,  gibt  das  Bild  die  Wirklichkeit  wieder?  Es  liegt 
kein  Grund  vor,  daran  zu  zweifeln.  Denn  wäre  Weiß  ausschließlich  die  Farbe 
der  Kultkleidung  gewesen ,  so  würde  der  Maler  den  Bischof  und  seinen  Diakon 
wohl  schwerlich  anders  als  in  Weiß  dargestellt  haben. 

DRITTES  KAPITEL. 

SEGNUNG  DER  LITURGISCHEN  GEWÄNDER. 

Alles,  was  die  Kirche  in  den  nächsten  Dienst  der  heiligen  Geheimnisse 
zieht,  pflegt  sie  durch  ihre  Segnungen  dem  profanen  Gebrauch  zu  entziehen, 
dem  Allerhöchsten  und  seinem  Kultus  zu  weihen  und  dem  erhabenen  Zweck 
gemäß,  zu  dem  es  verwendet  werden  soll,  einen  heiligen  Charakter  zu  ver- 
leihen. So  das  Gotteshaus,  so  den  Altar,  so  Kelch  und  Patene,  so  das  Altar- 
linnen, so  auch  die  liturgischen  Gewänder.  Allerdings  ist,  was  die  letzteren 
anlangt,  die  Benediktion  nicht  für  alle  in  gleichem  Maße  vorgeschrieben.  Alle 
können  gesegnet  werden;  ja  es  darf  als  durchaus  angemessen  bezeichnet 
werden,  daß  alle  durch  die  kirchlichen  Segnungen  zu  res  sacrae  gemacht 
werden,  eine  strenge  Pflicht  ist  das  jedoch  nur  bezüglich  des  Amikts,  der  Albe, 
des  Manipels,  der  Stola,  der  Kasel  und,  wie  es  scheint,  auch  des  Cingulum, 
also  bezüglich  der  priesterlichen  Meßgewandung. 

Die  Vollmacht,  die  liturgischen  Gewänder  zu  segnen,  ist  ein  Vorrecht 
der  Bischöfe ;  Priester  können  nur  dann  die  Benediktion  derselben  vornehmen, 
wenn  sie,  was  freilich  sehr  häufig  geschieht,  zu  ihr  besonders  ermächtigt 
werden.  Selbst  im  Notfall  ist  ihnen  ohne  besondere  Delegation  die  Segnung 
nicht  gestattet.  Auch  wird  ein  Parament,  das  im  Notfalle  oder  im  guten 
Glauben  bei  der  Messe  gebraucht  wurde,  ohne  vorher  benediziert  zu  sein,  nicht 
schon  durch  diese  Verwendung  zu  einer  res  sacra,  die  einer  Benediktion  nicht 
weiter  bedarf.  Es  muß  vielmehr  auch  so  noch  vom  Bischof  oder  dessen  Stell- 
vertreter gesegnet  werden  *. 

Die  Formulare,  deren  sich  der  Bischof  bei  der  Segnung  der  liturgischen 
Kleider  zu  bedienen  hat,  finden  sich  im  Pontifikale2.  Es  sind  ihrer  zwei.  Das 
eine,  allgemeinere,  in  welchem  bestimmte  Gewänder  nicht  genannt  werden, 
umfaßt  zwei  Gebete,  von  denen  das  erste  mit  den  Worten  beginnt :  Omnipotens, 


1  C.  R.  31.  Aug.  1867  (Decret.  auth.  3162).  2  Pontif.  rom.  p.  II,  De  Benedict, 


Drittes  Kapitel.     Segnung  der  liturgischen  Gewänder.  761 

sempiterne  Deus ,  qui  per  Moysen  famulum  tuum  etc. ,  das  zweite :  Deus  in- 
victae  virtutis  triumphator  et  omnium  rerum  creator  etc.  Das  andere  ist 
Benedictio  specialis  cuiuslibet  indumenti  überschrieben  und  besteht  nur  aus 
einem  Gebet,  in  dem  die  zu  weihenden  Gegenstände  ausdrücklich  angeführt 
werden.  Priester,  welche  die  Vollmacht  erhielten,  die  Segnung  vorzunehmen, 
haben  sich  des  aus  drei  Gebeten  bestehenden  Formulars  zu  bedienen,  welches 
im  römischen  Rituale  enthalten  ist1.  Die  beiden  ersten  Gebete  sind  eins  mit 
den  beiden,  welche  das  erste  Benediktionsformular  des  Pontifikale  bilden, 
das  dritte,  gleichfalls  allgemein  lautende,  hebt  an:  Domine  Deus  omnipotens, 
qui  vestimenta  pontiticibus,  sacerdotibus  et  levitis  etc.  Es  wurde  im  Mittel- 
alter namentlich  zur  Segnung  der  Stola  und  der  Kasel  verwendet,  zumal  aber 
der  Stola,  woran  noch  jetzt  die  Bitte  erinnert,  mit  der  es  schließt:  Atque 
ministros  altaris  tui,  qui  ea  induerint  (sc.  vestimenta),  septiformis  gratia 
dignanter  repleri  atque  castitatis  stola  beata  facias  cum  bonorum  fructu 
operum  ministerii  congruentis  immortalitate  vestiri. 

Das  Alter  des  Brauches,  die  liturgische  Gewandung  zu  segnen,  ist  nicht 
bestimmbar.  Wie  für  manches  andere  fehlt  es  auch  hierfür  an  Nachrichten.  Aber 
auch  auf  aprioristischem  Wege  läßt  sich  die  Zeit  nicht  feststellen.  Denn  mag 
es  auch  angemessen  sein,  daß  die  Sakralkleider  durch  die  Segnung  über  das 
Niveau  der  profanen  Gewandung  erhoben  und  für  den  heiligen  Dienst  aus- 
geschieden werden,  so  ist  solches  doch  weder  durch  die  Natur  der  Sache 
noch  kraft  eines  positiven  göttlichen  Gebotes  unbedingt  erforderlich.  Liegt 
doch  noch  heute  keine  strenge  Pflicht  vor,  die  Tunicella,  die  Dalmatik,  das 
Pluviale  und  das  Superpelliceum  zu  segnen.  Und  dann  erhält  ja  ein  Gewand 
schon  dadurch,  daß  es  zu  gottesdienstlichem  Zwecke  und  nur  zu  diesem  be- 
stimmt ist,  wenn  auch  nicht  den  Charakter  einer  gesegneten  Sache,  so  doch 
eine  gewisse  Heiligkeit  und  Würde. 

Man  hat  an  die  lepä  axu):q  erinnert,  welche  nach  Theodoret  Konstantin 
dem  Bischof  Makarius  von  Jerusalem  zum  Geschenk  machte2;  allein  mit  Un- 
recht. Theodoret  konnte  das  Gewand  heilig  nennen,  weil  es  für  die  Ver- 
wendung bei  gottesdienstlichen  Verrichtungen  gespendet  und  dann  auch  bei 
diesen  gebraucht  worden  war.  Noch  weniger  beweist  der  äjioc,  -Roo-qp-qq,  von 
dem  Eusebius  in  seiner  bei  der  Einweihung  der  Basilika  zu  Tyrus  gehaltenen 
Rede  spricht3;  gar  nichts  der  auf  Grund  einer  Notiz  in  der  Vita  Stephans  I. 
von  Pseudo-Isidor  gefälschte  Brief  des  Papstes  an  den  Bischof  Hilarius,  in 
welchem  es  heißt:  Vestimenta  ecclesiastica,  quibus  Domino  ministratur,  et 
sacrata  debent  esse  et  honesta4,  Worte,  die  bekanntlich  auch  ins  kanonische 
Recht  Aufnahme  fanden. 

Immerhin  soll  schon  wenigstens  im  Beginn  des  6.  Jahrhunderts  die 
Segnung  der  liturgischen  Gewänder  zu  Rom  in  Übung  gewesen  sein.  Das 
im  ersten  Teil  des  Papstbuches,  welcher  um  jene  Zeit  entstand,  mitgeteilte 
angebliche  Dekret  Stephans  I.  (254 — 257):  Hie  constituit  sacerdotes  et  levitas, 
ut  vestes  sacratas  in  usu  cotidiano  non  uti  nisi  in  ecclesia5,  tue  das  dar, 
meint  man.  In  der  Tat  kann  kein  Zweifel  sein,  daß  damals  wirklich  be- 
reits eine  Benediktion  der  liturgischen  Kleidung  bekannt  war  und  in  Brauch 
stand,  wofern  unter  den  vestes  sacratae  jener  Verordnung  nicht  bloß  heilige 


1  Rituale  Rom.  tit.  VIII,  c.  20.  i  Hinschius,  Decret.  Pseudo-Isidorianae, 

2  Hist.  eccl.  1.  2,  c.  23  (Mg.  82,  1066).  Lipsiae  1863,  183. 

3  S.  oben  S.  95.  5  Du  eh.,  L.  P.  I  154. 


762       Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewiinder. 

Gewänder  im  Sinne  von  vestes  sacrae,  d.  i.  Gewänder,  die  durch  Zweck 
und  Gebrauch  geheiligt  waren,  zu  verstehen  sind,  sondern  durch  eine  be- 
sondere Segnung  geheiligte  Ornatstücke.  Allein  angesichts  der  mehrfachen 
Bedeutung,  die  man  mit  dem  Worte  sacratus  zu  verbinden  pflegte 1,  ist  eben 
dieses  sehr  unsicher.  Jedenfalls  wird  man  dem  Sinne  der  Stelle  schon  dann 
völlig  gerecht,  wenn  man  unter  den  vestes  sacratae  Gewänder  versteht,  welche 
durch  die  Verwendung  bei  der  Feier  der  Liturgie  einen  sakralen  Charakter  im 
weiteren  Sinn  erhalten  hatten.  Beachtenswert  ist,  daß  Hieronymus  und 
Augustinus  selbst  die  Heiligkeit  der  mit  den  heiligen  Gebeimnissen  in  nächste 
Berührung  kommenden  Altargeräte,  der  Kelche  und  Altartücher,  nicht  aus 
einer  Weihe,  sondern  aus  deren  gottesdienstlichem  Gebrauch  herleiten  2.  Was 
gegen  die  Auffassung  der  vestes  sacratae  als  gesegneter  Kleider  spricht, 
ist  namentlich  der  Umstand,  daß  weder  das  gelasianische,  noch  das  gregorianische 
Sakramental'  in  seiner  älteren  Gestalt  eine  benedictio  vestum  sacerdotalium 
kennt,  obscbon  doch  bereits  das  Gelasianum  außer  den  Segensgebeten  für  die 
Weihe  des  Kelches,  der  Patene  und  Korporalien  sogar  eine  benedictio  vesti- 
mentorum  virginum  enthält.  Allerdings  enthält  das  gelasianische  Sakramental" 
auch  eine  Segensformel  für  alles,  was  zum  Gebrauche  der  Kirche  dient,  doch 
ist  diese  erstens  schwerlich  ursprünglich  und  dann  scheint  bei  ihr  nur  an 
kirchliche  Gerätschaften  gedacht  zu  sein. 

Die  früheste  sichere  Nachricht  über  eine  Segnung  der  Sakralgewänder 
erhalten  wir  erst  im  9.  Jahrbundert,  woraus  freilich  nicht  folgt,  daß  sie  erst 
damals  in  Brauch  kam.  Sie  mag  vielmehr  schon  eine  geraume  Zeit  in  Übung 
gewesen  sein,  nur  fehlt  es  an  diesbezüglichen  Angaben.  Es  sind  Pseudo- 
Isidor  und  Benedikt  Levita,  die  zuerst  von  ihr  sprechen,  jener  in  dem  schon 
angeführten  gefälschten  Schreiben  Stephans  I. ,  dieser  in  1.  3,  c.  431  seiner 
Kapitularensammlung 3.  Um  das  Ende  des  9.  Jahrhunderts  begegnen  uns 
in  dem  Ordo  der  Kirchweihe  eines  Sakramentars  der  Kathedrale  zu  Reims 
zwei  Gebete  für  die  Segnung  der  Stola,  der  Planeta  und  des  Cingulum4.  Sie 
sind,  wenn  die  Datierung  des  Pontifikale  bei  Martene  richtig  ist,  die  ältesten 
bekannten  Beispiele  vou  Benediktionsformularen;  denn  das  sog.  Egbertsponti- 
fikale,  welches  in  dem  Weiheritus  nicht  weniger  denn  vier  verschiedene  Gebete 
für  die  Segnung  der  liturgischen  Kleider  enthält,  stammt  in  seiner  jetzigen 
Form  nicht  aus  der  Zeit  Egberts  von  York  (f  766)  wie  Hefele,  Krieg,  Thal- 
hofer  u.  a.  irrtümlich  glaubten,  sondern  frühestens  aus  der  Mitte  des  10.  Jahr- 
hunderts. Zu  den  Bereicherungen,  die  sein  Inhalt  damals  erfuhr,  gehört  auch 
die  Benedictio  ad  stolas  vel  planetas,  quando  levitae  seu  presbyteri  ordinandi 
sunt  aut  ordinati  quidem  reperiuntur5,  ersichtlich  ein  späteres  Einschiebsel  in 
den  ursprünglichen  Ordo.  Ihre  merkwürdige  verworrene  Stellung  im  Weihe- 
ritus sowohl  als  ein  Vergleich  des  Pontifikale  mit  andern  gleichartigen  wie 
mit  dem  Pontifikale  von  Aletis  oder  Jumieges  in  der  Stadtbibliothek  zu  Rouen 
und  dem  St  Dunstans-Pontifikale  der  Pariser  Nationalbibliothek  (jenes  aus  dem 
Ende    des  10.,  dieses   aus   dem  Beginn   des  11.  Jahrhunderts)   lassen   keinen 


1  Vgl.  z.  B.  den  Index  zum  Register  Gre-  vasa  initiata  und  nova  et  nequaquam  initiata 
gors  d.  Gr.  sub  sacratus  und  sacrare  bei  (De  eccl.  ministr.  1.  2,  c.  28  [M.  16,  142])  läßt 
M.  G.  Epp.  II  587.  es  zweifelhaft,  ob  die  Weihe  durch  den  Ge- 

2  Augustin.,    Enarrat.   in   psalm.  113,  brauch  oder  eine  Segnung  erfolgte. 

sermo  2,  n.  6  (M.  37,  1484) ;  Hieron.,  Epist.  8  M.97,853;M.G.LL.(ed.Pertz)IIp.alt.l29. 

114    ad   Theoph.   n.    2    (M.  22,    934).     Die  '  Mart.  1.  2,  c.  13,  ordo  5;  II  260. 

Unterscheidung    des  hl.  Ambrosius  zwischen  6  Ebd.  1.  1,  c.  8,  art.   11,  ordo  2;  II  34. 


Drittes  Kapitel.     Segnung  der  liturgischen  Gewänder.  763 

ernsten  Zweifel  daran.  Die  Benediktionsgebete,  deren  in  diesen  beiden  nur 
drei  vorkommen,  sind  in  ihnen  dem  Ordo  der  Kirchweihe  eingefügt,  wo  sie 
auch  sonst  in  den  mittelalterlichen  Pontifikalien  zu  stehen  pflegen.  Welche 
Verbreitung  der  Brauch,  die  liturgischen  Gewänder  zu  segnen,  im  9.  Jahr- 
hundert besaß,  ist  bei  den  wenigen  Angaben,  die  wir  aus  jener  Zeit  über  ihn 
erhalten,  nicht  festzustellen.  Immerhin  läßt  der  Umstand,  daß  Pseudo-Isidor 
und  Benedikt  Levita  ihn  wie  eine  allbekannte  Sache  behandelt,  darauf  schließen, 
daß  er  damals  weder  etwas  Neues  noch  eine  seltene  Erscheinung  war. 

Die  Gebete,  durch  welche  nach  dem  römischen  Pontifikale  und  Rituale 
die  Segnung  der  Sakralkleider  vollzogen  wird,  lassen  sich  alle  schon  bald, 
nachdem  wir  zum  erstenmal  sichere  Nachrichten  über  diese  Zeremonie  erhalten 
haben,  in  den  liturgischen  Büchern,  den  Sakramentaren  und  Pontifikalien, 
nachweisen.  So  findet  sich  das  beiden  eigene  Omnipotens  sempiterne  Deus, 
qui  per  Moysen  famulum  tuum  etc.,  schon  in  dem  sog.  Egbertspontifikale, 
ferner  in  dem  Pontifikale  St  Dunstans  >,  dem  Pontifikale  von  Aletis2,  einem 
Reichenauer  Pontifikale  des  12.  Jahrhunderts3.  Das  Gebet  Deus  invictae 
virtutis  triumphator  begegnet  uns  in  einem  Pontifikale  der  Barberiniana 
(11. — 12.  Jahrh.)4,  dem  Sakramentar  Leofriks  (11.  Jahrh.)5,  dem  Egbert- 
pontifikale,  einem  Pontifikale  von  Cahors  (9. — 10.  Jahrb.)6,  einem  Salzburger 
Pontifikale  (12.  Jahrh.)7  u.  a.  Die  dritte  Oration  des  Segensformulars  im 
Rituale  treffen  wir  in  dem  ebengenannten  Pontifikale  der  Barberiniana,  dem 
Pontifikale  von  Cahors8,  einem  Wiener  Kodex  bei  Gerbert9  u.  a.  an.  Das 
Gebet  des  zweiten  Benediktionsformulars  im  römischen  Pontifikale  kommt  seltener 
vor,  so  in  den  zu  einem  Typus  gehörenden  Pontifikalien  St  Dunstans  und  Eg- 
berts und  dem  verwandten  Pontifikale  von  Aletis. 

Wie  in  Bezug  auf  so  manches  andere,  so  herrscht  auch  in  Bezug  auf 
die  Formulare  für  die  Segnung  der  liturgischen  Gewänder  in  den  mittelalter- 
lichen Pontifikalien  wenig  Übereinstimmung.  Hier  sind  die  Gebete  merkwürdig 
gehäuft,  dort  beschränkt  man  sich  auf  zwei  oder  nur  eines ;  anderswo  wieder 
ist  für  Gewänder  und  Geräte  ein  und  dasselbe  Gebet  angegeben  10.  Im  späten 
Mittelalter  kommen  auch  Segensformulare  vor,  bei  denen  jedes  Gewand  ein 
eigenes,  seiner  mystischen  Bedeutung  angepaßtes  Gebet  hat.  Sehr  interessante 
Beispiele  bieten  ein  Pontifikale  der  Vaticana  11  und  ein  bei  Martene  abgedruckter 
Auszug  aus  einem  Pontifikale  von  Sees  12.  Die  Gebete  des  letzteren  schließen 
sich  an  die  moralische  Symbolik  an,  die  man  mit  den  liturgischen  Gewändern 
verband,  die  des  ersteren  dagegen  auch  an  jene  typische  Deutung,  bei  welcher 
man  den  Priester  als  Abbild  des  leidenden  Heilandes  und  die  Gewänder  als 
Bilder  der  Leidenswerkzeuge  betrachtete.  So  wird  der  Amikt  auf  das  Schweiß- 
tuch bezogen,  womit  das  Angesicht  des  Erlösers  nach  dem  von  Kaiphas 
gefällten  Urteilsspruch  verhüllt  wurde,  die  Albe  auf  das  weiße  Spottkleid,  das 
Cingulum  auf  die  Stricke,  mit  denen  der  Herr  an  die  Säule  gebunden 
wurde,  usw. 


1  Ebd.  1.  2,  c.  13,  ordo  4;  II  257.  3  Gerbert  a.  a.  0.  55. 

2  Ebd.  ordo  3;  II  252.  I0  So    die   Pontifikalien  von  Narbonne   und 

3  Gerbert,  Monumenta  vet.  liturg.  alem.          Lyon   bei  M  a  r  t.  1.  2,  c.  13,    ordo  8  9 ;    II 
II,  St  Blasien  1779,  52.  266  270. 

4  Cod.  Vat.  Barber.  1869.  "  Vat.  Ottob.  221,  f.  257* ff  (1506).    Vgl. 
6  Ed.  Warren  215.  auch  die  verwandten   Benediktionsgebete  im 

6  Mart.  1.  1,  c.  8,  art.  9,  ordo  5;  II  45.          Offic.  eccl.  abb.  in  Evenham.  monast.    (Brad- 

7  Ebd.  ordo  8;  II  52.  shaw  Society),  London  1893,  c.  51  ff. 

8  Ebd.  1.  2,  c.  13,  ordo  7;  II  263.  12  Mart.  1.  3,  c.  23;  II  300. 


764      Fünfter  Abschnitt.     Symbolik,  Farbe  und  Segnung  der  liturgischen  Gewänder. 

Das  Recht,  die  liturgischen  Gewänder  zu  segnen,  scheint  von  jeher  als 
bischöfliches  Privileg  gegolten  zu  haben.  Es  ist  nicht  erst  Innozenz  III., 
der  ihre  Benediktion  unter  den  Vollmachten  aufführt ],  welche  den  Bischöfen 
vor  den  Priestern  eignen.  Schon  fast  ein  Jahrhundert  früher  schreibt  Gilbert 
von  Limerick :  Consecrat  autem  episcopus  utensilia  ecclesiae,  vestimenta  vide- 
licet  sacerdotalia  et  pontificalia,  altaris  velamenta  etc. 2,  während  um  dieselbe 
Zeit  die  Synode  von  Poitiers  allen  Nichtbischöfen  durchaus  die  Segnung  der 
priesterlichen  Kleider  untersagt:  Ut  nullus  vestimenta  sacerdotalia  praeter 
episcopum  benedicere  praesumat 3,  ein  Kanon,  der  gegen  die  Übergriffe  ein- 
zelner Abte  gerichtet  gewesen  zu  sein  scheint.  Es  war  sogar  schon  im  9.  Jahr- 
hundert ein  bischöfliches  Vorrecht,  die  liturgischen  Gewänder  zu  segnen. 
Denn  in  der  Kapitularensammlung  des  Benedikt  Levita  heifit  es:  Sunt  etiam 
ab  episcopo  consecranda  et  benedicenda  corporales,  pallae  et  alia  vestimenta 
sacerdotalia.  Der  Grund,  warum  die  Segnung  der  liturgischen  Kleidung  den 
Bischöfen  vorbehalten  war,  liegt  wohl  darin,  daß  sie  eine  Ergänzung  der  nur 
diesen  zustehenden  Weihe  der  Kirche  bildete. 

Auch  in  den  Riten  des  Ostens  ist  eine  Segnung  der  liturgischen  Kleidung, 
wie  sie  im  Abendland  Brauch  ist,  üblich,  ausgenommen  vielleicht  bei  den 
Nestorianern.  Außerdem  aber  werden  im  griechischen  und  koptischen  die 
Gewänder  auch  noch  jedesmal  beim  Anziehen  vom  zelebrierenden  Bischof  oder 
Priester  gesegnet 4.  Die  Benediktionsgebete,  welche  im  griechischen  Ritus  bei 
der  Segnung  der  liturgischen  Kleider  verrichtet  werden  5,  haben  große  Ver- 
wandtschaft mit  denjenigen  des  lateinischen  Ritus.  Leider  fehlt  es  an  Material, 
um  einen  etwaigen  Zusammenhang  zwischen  beiden  näher  bestimmen  zu  können. 
Im  griechischen  Ritus  ist  die  Segnung  erst  um  1400  nachweisbar,  was  natür- 
lich nicht  ausschließt,  daß  sie  weit  älter  ist.  Sie  ist  in  ihm  keine  den 
Bischöfen  vorbehaltene  Handlung.  Schon  aus  einer  Angabe  Simeons  von 
Saloniki  erhellt,  daß  auch  die  Priester  sie  vornehmen  durften,  wenigstens  im 
Notfall 6. 


1  De  sacro  altaris  mysterio  1.  1,  c.  9  (M.  einzelnen  Ankleidegebete  des  Bischofs  durch 
217,  779).  ein  Iube  domne  benedicere  des  Diakons  ein- 

2  M.  159,  1002.  geleitet  werden. 

3  C.  3   (Sdralek,  Wolfenbüttler  Fragm.,  5  Das  Formular  ist  abgedruckt  bei  v.  Mal- 
Münster  1891,  136).  tzew,  Bitt-,  Dank-  und  Weihegottesdienst, 

4  Ein   Gegenstück   zur    griechischen    Sitte  Berlin  1897,  987  ff. 

findet  sich  im  Sakramental- von  Corbie  (Mart.  6  Resp.  ad  Gabr.  Pentap.  q.  17  (Mg.  155, 

1.  1,  c.  4,  art.  12,  ordo  11;  I  202),  wo  die  868). 


SCHLUSSABSCHNITT. 

DIE  LITURGISCHE  GEWANDUNG  IN  IHRER  GESAMT- 
ENTWICKLUNG. 

I.    DIE  LITURGISCHE    KLEIDUNG    IN    IHRER    BEZIEHUNG   ZUR  ALT- 
TESTAMENTLICHEN   KULTTRACHT. 

Christus  hat  in  seiner  Kirche  nicht  einen  bis  in  die  kleinsten  Teile 
geregelten  Gottesdienst  angeordnet;  er  gab  die  wesentlichen,  unwandelbaren 
Grundlagen  und  überließ  es  seiner  Stellvertreterin,  nach  Ort  und  Zeit,  nach 
Bedürfnis  und  Zweckmäßigkeit  die  äußeren  Kultformen  zur  Entwicklung 
und  Entfaltung  zu  bringen.  Nichts  ist  daher  unrichtiger,  als  die  frühere 
Zeit  einfachbin  an  der  Gegenwart  zu  messen  und  die  gottesdienstlichen  Zere- 
monien und  Riten,  wie  sie  jetzt  im  Gebrauch  sind,  unverändert  auf  frühere 
Tage  zu  übertragen.  Alle  Jahrhunderte  haben  ihre  Eigentümlichkeiten  auch 
im  Kultus  gehabt;  nie  ist  der  Gottesdienst  eine  bloße  Schablone  und  ein 
totes,  starres  Etwas  gewesen.  Das  göttliche  Leben,  das  den  mystischen  Leib 
Christi  durchzieht,  hat  auch  in  der  Ausgestaltung  der  Kultusformen  stets 
seine  treibende  Kraft  bewährt.  Das  muß  auch  derjenige  vor  Augen  behalten, 
welcher  die  liturgische  Kleidung  in  Gegenwart  und  Vergangenheit  zum  Gegen- 
stande seiner  Forschungen  macht.  Auch  bei  ihr  gab  es  eine  Entwicklung. 
Anders  verhält  es  sich  in  der  jetzigen  Zeit,  anders  stand  es  im  Mittelalter, 
anders  in  den  Tagen  der  Karolinger  und  wieder  anders  in  der  Jugendzeit 
der  Kirche.  Die  bisherigen  Untersuchungen  betreffs  der  einzelnen  liturgischen 
Gewänder  haben  das  klar  gezeigt.  Noch  deutlicher  wird  das  indessen  zu  Tage 
treten,  wenn  wir  auf  Grund  der  bisherigen  Resultate  über  die  Gesamtentwick- 
lung der  Sakralgewandung  eine  Überschau  halten.  Scharf  abgegrenzte  Ab- 
schnitte lassen  sich  für  dieselbe  allerdings  nicht  feststellen,  da  die  Ausbildung 
der  liturgischen  Kleidung  nicht  überall  gleichen  Schritt  hielt  oder  doch  über 
dieselbe  für  die  verschiedenen  Länder  nicht  in  gleichem  Maß  Nachrichten 
vorliegen.  Immerhin  kann  man  unterscheiden  die  Zeit  bis  zur  Freierklärung 
der  Kirche,  die  Zeit  von  Konstantin  bis  zur  karolingischen  Reform,  die  Zeit 
von  Karl  d.  Gr.  bis  zum  13.  Jahrhundert  und  endlich  die  Zeit  vom  13.  Jahr- 
hundert bis  zur  Gegenwart.  Bevor  wir  indessen  auf  diese  einzelnen  Phasen 
in  der  Entwicklung  der  liturgischen  Kleidung  näher  eingehen,  müssen  wir  in 
Kürze  das  Verhältnis  der  neutestamen  fliehen  zur  alttestamentlichen 
Kulttracht  betrachten. 

Nach  der  Vorschrift,  die  Gott  der  Herr  Moses  betreffs  der  Opferkleidung  der 
jüdischen  Priester  gab,  sollte  die  heilige  Gewandung  des  Hohenpriesters  in  den 
Miehnasim,  der  Kethonet,  dem  Abnet,  dem  Meli,  dem  Ephod,  dem  Choschen  und  der 
Miznephet  mit  dem  Ziz  bestehen.  Die  niederen  Priester  sollten  nur  die  Miehnasim, 
die  Kethonet,  den  Abnet  und  die  Migbaoth  tragen  '. 


1  Ex  c.  28  und  39.    Vgl.  auch  Flav.  los.,  Antiq.  1.  3,  c.  7,  und  Hieron  ,   Epist.  64  ad 
Fabiol.  (M.  22,  607). 


766  Schlußabschnitt. 

Die  Miclinasim  (feminalia)  waren  eine  Art  Hose  oder  Leibschurz;  sie  deckten 
den  Unterleib  von  den  Hüften  an  bis  zu  den  Oberschenkeln  herab  und  mußten  aus 
Linnen  verfertigt  sein.  Die  Kethonet  (linea  subucula,  linea  stricta)  bestand  in 
einem  eng  anschließenden  Leibrock,  der  ebenfalls  aus  Linnen  gemacht  sein  sollte.  Nach 
Josephus,  dem  hl.  Hieroii3'mus  und  den  Eabbinen  reichte  er  bis  zu  den  Knöcheln.  Der 
A  b  n  e  t  (balteus)  war  ein  Gürtel,  der  über  der  Linnentunika  getragen  wurde.  Er 
diente  vor  allem  dem  praktischen  Zweck  des  Aufschürzens ;  doch  war  er  auch  ein 
Schmuckstück  des  Priesters  '.  Derjenige  des  Hohenpriesters  wird  ausdrücklich  als  das 
Werk  des  Eokem  (des  Buntwirkers)  bezeichnet;  es  scheint  aber,  daß  auch  die  gewöhn- 
lichen Priester  mit  dem  vierfarbigen  (Weiß,  Blaupurpur,  Rotpurpur  und  Scharlach) 
Gürtel  ausgestattet  waren.  Nach  Josephus  glich  der  vier  Finger  breite  Abnet  einer 
Schlangenhaut  und  war  allerlei  Blumenwerk  in  den  eben  genannten  Farben  in  ihn 
hineingewebt.  Zu  Christi  Zeiten  muß  der  Gürtel  eine  bedeutende  Länge  gehabt  haben. 
Denn  er  wurde  nach  des  Josephus  Angabe  beim  Anlegen  einigemal  in  der  Brustgegend 
um  den  Körper  gewickelt,  und  doch  hingen  alsdann  noch  seine  Enden  vorn  bis  zu  den 
Fußknöcheln  herab,  so  daß  die  Priester  während  des  Opferdienstes  gezwungen  waren, 
dieselben  über  die  linke  Schulter  zu  werfen,  um  nicht  durch  sie  behindert  zu  sein. 
Der  Meli  (tunica)  war  eine  Obertunika  aus  Blaupurpur.  Er  war  an  seinem  unteren 
Saum  mit  Granatäpfeln  und  Schellchen  geziert  und  ging  nach  Josephus  bis  auf  die 
Füße.  Oben  hatte  das  Kleid  einen  Schlitz  zum  Durchlassen  des  Kopfes,  an  den  Seiten 
aber  Armlöcher.  Der  Ephod  (superhumerale)  mit  dem  Choschen  (rationale),  ein  be- 
sonderer Schmuck  des  Hohenpriesters,  war  eine  Art  Schultergewand  aus  kostbarem, 
buntfarbigem  Stoff  (Gold,  Weiß,  Blau-  und  Rotpurpur  sowie  Scharlach).  Wie  dasselbe 
formell  beschaffen  war,  läßt  sich  aus  der  Heiligen  Schrift  nicht  mit  Sicherheit  ersehen ; 
Josephus  beschreibt  den  Ephod  seiner  Zeit  als  eine  Art  von  kurzer  Ärmeltunika,  die  vorn 
einen  Ausschnitt  zur  Aufnahme  des  Choschen  hatte.  Dieser,  der  Richters chmuck,  dessen 
prächtige  Folie  der  Ephod  gleichsam  bildete,  war,  wie  es  scheint,  eine  Art  Tasche 
aus  demselben  Material,  aus  dem  das  Schulterkleid  angefertigt  war,  und  mit  zwölf  in 
Gold  gefaßten  und  mit  dem  Namen  der  zwölf  Stämme  versehenen  Edelsteinen  besetzt. 
Miznephet  und  Migbaoth  (tiarae)  hieß  die  turban-  oder  mützenartige  Kopf- 
bedeckung des  Hohenpriesters  bzw.  der  Priester  -.  Der  Ziz  (lamina),  ein  Goldblech, 
dem  die  Worte  „Heilig  dem  Herrn"  eingegraben  sein  sollten,  war  eine  Auszeichnung 
des  Hohenpriesters,  der  ihn  über  der  Tiara  trug. 

Auch  wenn  wir  nichts  über  den  wirklichen  Ursprung  der  liturgischen 
Kleidung  des  Neuen  Bundes  wüßten,  würde  ein  bloß  oberflächlicher  Vergleich 
derselben  mit  der  jüdischen  Kultgewandung  alsbald  mit  aller  Bestimmtheit 
dartun,  daß  sie  so,  wie  sie  sich  in  der  Kirche  ausgebildet  hat,  unmöglich 
aus  dem  Alten  Bunde  herübergekommen  sein  kann.  Ja  für  Stola,  Manipel 
und  Pallium,  für  Amikt  und  Kasel,  für  Dalmatik  und  Tunicella,  für  Fano  und 
Subcinctorium,  für  die  pontifikalen  Strümpfe,  Schuhe  und  Handschuhe,  für  Epi- 
manikien,  Epigonation  und  Sakkos  fehlen  in  der  aaronitischen  Kultkleidung 
so  sehr  die  Gegenstücke,  daß  wir  jene  nicht  einmal  als  spätere  Nachbildungen 
alttestamentlicher  Gewänder  zu  betrachten  vermögen.  Die  einzigen  Gewand- 
teile ,  bei  denen  man  allenfalls  an  irgend  eine  vorbildliche  Beeinflussung 
durch  die  entsprechenden  Stücke  der  jüdischen  Sakralkleidung  denken  könnte, 
sind  Albe,  Mitra  und  Rationale.  Indessen  war  selbst  bei  diesen  eine  solche 
jedenfalls  nur  sehr  gering  und  nur  von  geringer  Bedeutung.  Bei  der  Albe, 
die  unmittelbar  unzweifelhaft  auf  die  Tunika  des  Alltagslebens  zurückzuführen 
ist,  mag  sie  vielleicht  darin  bestanden  haben,  daß  man  die  im  bürgerlichen 
Verkehr  gebräuchlich  gewordene  Talartunika  namentlich  auch  mit  Rücksicht 
auf  den  poderes   des  Alten  Bundes   für    die   gottesdienstlichen  Verrichtungen 


Ex  28,  40.  -  Vgl.  oben  S.  424. 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung.  767 

bevorzugte.  Wir  erinnnern  an  die  Rede  des  Eusebius  bei  der  Einweihung  der 
Basilika  zu  Tyrus.  Ist  der  poderes  hier  auch  nur  symbolisch  aufzufassen  J, 
so  bekundet  die  Stelle  doch,  daß  der  Gedanke  an  die  Talartunika  des  aaroni- 
tischen  Priestertums  dem  Ideenkreis  in  damaliger  Zeit  keineswegs  fern  lag. 
Ausdrücklich  weist  auf  den  alttestamentlichen  poderes  der  hl.  Martin,  Bischof 
von  Braga  (f  580),  im  66.  seiner  Kapitel  mit  den  Worten  hin:  Non  oportet 
clericos  comam  nutrire  et  sie  ministrare  ...  et  seeundum  Aaron  talarem 
vestem  induere,  ut  sint  in  habitu  ordinato 2.  Was  die  Mitra  anlangt,  so  kann 
sich  ein  etwaiger  Einfluß  höchstens  im  allgemeinen  auf  die  Ingebrauchnahme 
eines  pontifikalen  Kopfschmuckes  bezogen  haben ,  nicht  aber  auch  auf  die 
Form.  Indessen  liegt  nicht  einmal  für  das  erstere  ein  Anhalt  vor.  Jedenfalls 
war  der  Hinblick  auf  die  Kopfbedeckung  der  alttestamentlichen  Priester  nicht 
der  einzige  und  noch  weniger  der  Hauptanlaß  zur  Einführung  des  litur- 
gischen Kopfschmuckes  unserer  Bischöfe.  Am  meisten  noch  dürfte  in  Bezug 
auf  den  Ursprung  des  Rationale  (Superhumerale)  einige  vorbildliche  Ein- 
wirkung des  parallelen  Schmuckes  des  alttestamentlichen  Hohenpriesters  an- 
zunehmen sein ;  doch  verdankt  selbst  dieses  sein  Entstehen  nicht  einer  solchen 
allein  und  mit  Ausschluß  jedes  andern  Faktors.  Etwas  anderes  aber  als 
die  Ableitung  der  einzelnen  Gewänder  des  christlichen  Kultus  von  der  mosai- 
schen Sakraltracht  ist  die  Annahme  eines  bloß  allgemeinen  Einflusses  der 
letzteren  auf  die  Entstehung  der  liturgischen  Gewandung  des  Christentums. 
Eine  derartige  nur  ganz  im  allgemeinen  auf  die  Einführung  einer  besondern 
Kleidung  im  Gottesdienst  des  Neuen  Bundes  hinzielende  Einwirkung  der  alt- 
testamentlichen heiligen  Gewandung  dürfte  sich  schwerlich  kurzer  Hand  ab- 
weisen lassen.  Denn  es  kann  wohl  nicht  bezweifelt  werden,  daß  die  Juden- 
christen aus  dem  Judentum  jene  Überzeugung  mitbrachten,  welche  der 
hl.  Hieronymus  in  die  Worte  kleidet:  „Die  göttliche  Religion  hat  ein  anderes 
Gewand  im  heiligen  Dienst,  ein  anderes  im  gewöhnlichen  Verkehr  und  Leben." B 
Diese  Anschauung,  welche  auch  den  Heidenchristen  durch  die  stets  wieder- 
holte Lesung  der  heiligen  Schriften  sich  aufdrängen  mußte,  konnte  um  so 
weniger  ohne  Einfluß  auf  die  Unterscheidung  zwischen  Altar-  und  Alltagstracht 
und  die  allmähliche  Bildung  einer  ausschließlichen  Kultgewandung  bleiben, 
als  ja  der  Neue  Bund  die  Erfüllung  des  Alten  und  die  Wirklichkeit  war,  auf 
welche  der  Schatten  des  mosaischen  Kultus  hingewiesen  hatte.  Ist  also  auch 
die  Sakralkleidung  des  letzteren  nicht  in  dem  Sinn  Prototyp  der  liturgischen 
Gewandung  des  Neuen  Bundes,  daß  sie  für  die  einzelnen  Bestandteile  der- 
selben, wie  diese  sich  geschichtlich  herausgebildet  haben  und  noch  jetzt  in  Ge- 
brauch sind,  vorbildlich  wurde,  sc  kann  anderseits  doch  wohl  kaum  bezweifelt 
werden,  daß  die  Erinnerung  an  sie  immerhin  wenigstens  im  allgemeinen 
und  bis  zu  einem  gewissen  Grad  anregend  und  fördernd  eingewirkt  hat  auf 
die  Ausscheidung  einer  besondern,  der  Feier  des  Gottesdienstes  vorbehaltenen 
Kleidung  der  christlichen  Liturgen. 

II.     DIE    LITURGISCHE    GEWANDUNG    IN    VORKONSTANTINISCHER 

ZEIT. 

Daß  es  in  vorkonstantinischer  Zeit,  d.  i.  in  den  drei  ersten 
Jahrhunderten  der  christlichen  Kirche,  noch  keine  nach  Form  und  Aus- 
stattung von  der  nichtliturgischen  Tracht  unterschiedene  Sakralkleidung  gegeben 


S.  oben  S.  95.  -  M.  84,  583.  3  In  Ez.  1.  13,  c.  44  (M.  25,  437). 


768 


Schlußabschnitt. 


habe,  ist  jetzt  allgemein  zugestanden.  Sollte  es  doch  noch  Jahrhunderte 
dauern,  bis  es  zu  einer  derartigen  Kultgewandung  kam.  Gab  es  schon  damals 
eine  besondere  liturgische  Kleidung,  so  kann  das  höchstens  im  Sinn  einer 
lediglich  bei  den  gottesdienstlichen  Funktionen  gebräuchlichen  und  ausschließ- 
lich für  diese  bestimmten  Gewandung  verstanden  werden.  Aber  nicht  einmal 
das  läßt  sich  mit  Sicherheit  nachweisen.  Das  einzige  Zeugnis,  welches  wir 
darüber  besitzen,  ist  das  vom  Papstbuch  mitgeteilte  Dekret  Stephans  I. J 
Unzweifelhaft  ist,  daß  die  darin  erwähnten  vestes  sacratae  wenigstens  aus- 
schließlich für  den  Gebrauch  beim  Gottesdienst  bestimmte  Gewänder  bezeichnen. 
Allein  wie  schon  früher  gesagt  wurde,  ist  es  sehr  unsicher,  ob  jene  Be- 
stimmung wirklich  vom  Papst  Stephan,  ja  überhaupt  aus  vorkonstantinischer 
Zeit  herrührt.  Unmöglich  ist  das  freilich  nicht.  Denn  vestes  sacratae  in 
der  Bedeutung  von  Gewändern,  welche  nur  bei  der  Feier  der  Liturgie  ver- 
wendet werden  durften,  nach  Schnitt  und  Beschaffenheit  aber  den  gewöhn- 
lichen Kleidern  gleich  waren,  konnten  selbstverständlich  auch  zur  Zeit  Valerians 
auf  der  Straße  getragen  werden,  ohne  aufzufallen.  Allein  es  genügt  offenbar 
nicht,  daß  der  Inhalt  des  fraglichen  Dekretes  der  Zeit  Stephans  I.  nicht 
widerspricht.  Solange  nicht  feststeht,  daß  selbiges  in  Wirklichkeit  von  diesem 
herstammt,  ist  es  für  unsere  Frage  ohne  Belang. 

Auch  a  priori,  d.  i.  aus  der  Natur  der  Sache,  läßt  sich  nicht  dartun, 
daß  bereits  in  vorkonstantinischer  Zeit  eine  besondere  liturgische  Gewandung 
in  dem  vorhin  angegebenen  weiteren  Sinn  Verwendung  gefunden  habe.  Wenn 
wir  später  eine  solche  in  Gebrauch  antreffen,  so  folgt  daraus  keineswegs,  daß 
schon  an  sich  und  abgesehen  von  jeder  positiven  Bestimmung  der  Kirche 
oder  einer  diesbezüglichen  rechtskräftigen  Gewohnheit  unter  allen  Umständen 
für  den  Gottesdienst  eine  eigene,  ihm  ausschließlich  vorbehaltene  Kleidung 
nötig  sei.  Denn  der  den  heiligen  Geheimnissen  gegenüber  schuldigen  Ehr- 
furcht genügt  zweifellos  beim  Mangel  ausdrücklicher  Anordnungen  jede  reine, 
würdige  Gewandung.  Sonst  müßte  man  zuletzt  verlangen,  daß  auch  der 
Talar,  den  der  Priester  unter  der  Albe  zu  tragen  hat,  und  die  Schuhe,  welche 
seine  Füße  bedecken  sollen,  lediglich  bei  der  Messe  benutzt  werden. 

Es  liegt  aber  auch  keine  Erklärung  des  kirchlichen  Lehramtes  vor,  aus 
welcher  hervorginge,  daß  die  Heiligkeit  der  Kultakte  schon  an  sich  notwendig 


1  S.  oben  S.  65.  Man  hat  sich  auch  auf 
die  Angabe  des  Bischofs  Polykrates  von 
Ephesus  und  des  Epiphanius,  es  hätten  der 
hl.  Johannes  bzw.  der  hl.  Jakobus  das  Peta- 
lon  (die  goldene  Stirnplatte  des  jüdischen 
Hohenpristers)  getragen  (s.  oben  S.  488), 
sowie  auf  die  Erzählung  der  Vita  S.  Sil- 
vestri  vom  Colobium  des  hl.  Jakobus  (s.  oben 
S.  68)  berufen.  Es  mag  hier  genügen,  gegen- 
über solchen  Beweisversuchen  wie  auch  rück- 
sichtlich gewisser  Reliquien  aus  der  Früh- 
zeit  der  Kirche  —  liturgische  Gewänder  oder 
Reste  von  solchen  —  auf  die  diesbezüg- 
lichen früheren  Ausführungen  dieses  Wer- 
kes (S.  12  f  68)  sowie  auf  das  in  den 
.Stimmen  aus  Maria-Laach"  LIV  (1898),  401  f 
Gesagte  hinzuweisen.  Weder  jene  ange- 
zogenen Stellen,  noch  jene  Reliquien  sind 
für  die  hier  uns  beschäftigende  Frage  von 
irgend  einer  Bedeutung.    Ohne  Wert  ist  für 


sie  auch  die  bisweilen  angeführte  Notiz  des 
Hegesippus  bei  Eusebius,  es  habe  der  hl.  Jo- 
hannes linnene ,  nicht  wollene  Kleider  ge- 
tragen, und  darum  sei  es  ihm  allein  erlaubt 
gewesen ,  in  das  Tempelheilige  einzutreten 
(Hist.  eccl.  1.  2,  c.  23  (Mg.  20,  197).  Wie 
es  immer  um  deren  Richtigkeit  stehen  mag, 
jedenfalls  folgt  aus  ihr  nicht,  daß  der  Apostel 
sich  bei  der  Feier  der  heiligen  Geheimnisse, 
die  er  sicher  nicht  im  Heiligen  des  Tempels 
vornahm,  irgend  einer  besondern  Tracht 
oder  auch  nur  einer  besseren  als  der  Alltags- 
kleidung bedient  habe,  und  noch  viel  weniger, 
daß  damals  allgemein  bei  der  Liturgie 
eine  eigene  Gewandung  gebraucht  wurde. 
Aus  den  Worten  des  Hegesippus  geht  sogar 
hervor,  daß  nur  Jakobus  gewohnt  war, 
sich  in  Linnen  zu  kleiden,  nicht  auch  die 
übrigen  Apostel,  weshalb  auch  er  allein  ins 
Heilige  hineingehen  durfte. 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung.  769 

eine  besondere  Kleidung  beim  Gottesdienst  erheische;  ebensowenig  hat  das- 
selbe je  entschieden,  daß  die  im  katholischen  Kultus  übliche  Sakralgewandung 
auf  göttlicher  Anordnung  beruhe  oder  doch  bereits  von  den  Aposteln  zur 
Wahrung  der  Würde  des  Gottesdienstes  eingeführt  worden  sei.  Zwar  erklärt 
das  Konzil  von  Trient  im  5.  Kapitel  der  22.  Sitzung:  „Weil  die  menschliche 
Natur  so  beschaffen  ist,  daß  sie  sich  nicht  leicht  ohne  äußerliche  Beihilfe  zur 
Betrachtung  göttlicher  Dinge  zu  erheben  vermag  .  .  .,  so  ordnete  die  Kirche 
nach  der  apostolischen  Disziplin  und  Überlieferung  Zeremonien 
an,  wie  mystische  Segnungen,  Lichter,  Räucherungen,  Gewänder  und  vieles 
andere  der  Art,  sowohl  um  die  Herrlichkeit  dieses  so  großen  Opfers  dadurch 
anzuzeigen,  als  auch  um  die  Gemüter  der  Gläubigen  durch  diese  sichtbaren 
Zeichen  der  Religion  und  Frömmigkeit  zur  Betrachtung  der  hocherhabenen 
Geheimnisse  anzuregen,  welche  in  diesem  Opfer  verborgen  sind."  Jedoch  will 
es  damit  nur  sagen,  daß  die  Kirche  nicht  willkürlich  die  Opferfeier  mit  mannig- 
fachen Zeremonien  usw.  umgeben  habe,  wie  die  Reformatoren  behaupteten, 
sondern  gemäß  ihrer  in  apostolischer  Disziplin  und  Tradition  begründeten 
Stellung  als  Hüterin  der  heiligen  Geheimnisse  und  gemäß  des  ihr  durch 
eben  diese  Lehrüberlieferung  gewordenen  Auftrags,  das  Heilige  heilig  zu 
halten,  die  Gläubigen  mit  Ehrfurcht  gegen  die  Mysterien  des  Glaubens  zu  er- 
füllen und  zu  erbauen.  Die  Worte  des  5.  Kapitels  sprechen  positiv  aus,  was  im 
7.  Kanon  derselben  Sitzung  negativ  zum  Ausdruck  kommt,  wenn  es  darin 
heißt:  „Wenn  jemand  sagt,  die  Zeremonien,  Gewänder  und  äußerlichen  Zei- 
chen, deren  sich  die  Kirche  bei  der  Feier  der  heiligen  Messe  bedient,  seien 
eher  Reizmittel  zur  Gottlosigkeit  als  Erweise  der  Frömmigkeit,  so  sei  er  im 
Banne."  Es  läßt  sich  aber  aus  ihnen  nicht  folgern,  daß  schon  die  Apostel 
eine  von  der  profanen  Tracht  durchaus  verschiedene  liturgische  Kleidung 
vorschrieben  oder  auch  nur  verordneten,  daß  sich  der  Priester  bei  der  Feier 
des  heiligen  Opfers  einer  lediglich  bei  der  Liturgie  zu  verwendenden  Ge- 
wandung bedienen  müsse. 

Mit  Sicherheit  ist  also  eine  besondere  gottesdienstliche  Kleidung  in 
keinem  Sinne  für  die  vorkonstantinische  Zeit  nachweisbar,  weder  mit  histori- 
schen Belegen  noch  mit  dogmatischen  Zeugnissen  noch  endlich  aus  der  Natur 
der  Sache.  Immerhin  darf  es  als  wahrscheinlich  betrachtet  werden,  daß  man 
bereits  vor  den  Tagen  Konstantins  begann,  wo  immer  die  Verhältnisse  das 
ermöglichten,  einen  Unterschied  zwischen  der  Alltags-  und  der  Altartracht 
zu  machen.  Es  ist  schwer  glaubhaft,  daß  die  Anfänge  einer  christlichen 
Sakralgewandung  erst  in  das  4.  Jahrhundert  fallen  sollen.  Denn  die  Gründe, 
um  derentwillen  man  später  bei  den  gottesdienstlichen  Verrichtungen  sich 
einer  nur  bei  diesen  zur  Verwendung  kommenden  Kleidung  bediente,  die  Ehr- 
furcht gegen  die  heiligen  Geheimnisse,  die  Pflicht  der  kirchlichen  Vorsteher, 
in  den  Gläubigen  die  Hochschätzung  gegen  das  vom  Gottessohne  der  Kirche 
hinterlassene  unblutige  Opfer  des  Neuen  Bundes  zu  wecken  und  zu  befördern, 
hatten  doch  auch  schon  in  der  Jugendzeit  des  Christentums  Bedeutung;  ja 
damals  vielleicht  in  besonderem  Maße,  weil  es  galt,  den  für  die  christ- 
liche Lehre  gewonnenen  Juden  und  Heiden  Hochachtung  vor  den  Geheim- 
nissen des  Glaubens  und  den  Mysterien  des  Neuen  Bundes  einzuflößen.  Ins- 
besondere, scheint  es,  hätte  die  Außerachtlassung  jeden  Unterschiedes 
zwischen  Kult-  und  Alltagskleidung  den  Judenchristen  zum  großen  Ärgernis 
gereichen  müssen,  denen  die  Idee  einer  Opfergewandung  in  der  ersten  Zeit 
noch    durch    persönliche    Anschauung,    nach    Zerstörung    des    Tempels    aber 

Braun,  Die  liturgische  Gewandung.  49 


770 


Schlußabschnitt. 


wenigstens  durch  die  Lesung  der  heiligen  Schriften  vertraut  war.  Auch 
waren  ja  che  drei  ersten  Jahrhunderte  keineswegs  eine  Zeit  ohne  Unter- 
brechung sich  hinziehender  Verfolgungen.  Zwischen  Perioden  der  heftigsten 
Bedrängnisse  gab  es  wiederholt  solche  des  Friedens  und  der  Ruhe,  namentlich 
im  3.  Jahrhundert.  Ebenso  wütete  der  Kampf  nicht  immer  an  allen  Orten 
und  in  allen  Gegenden  des  weiten  römischen  Reiches  in  gleichem  Maße. 
Jedenfalls  darf  als  sehr  wahrscheinlich  gelten,  daß  man  schon  in  vorkonstan- 
tinischer  Zeit  wenigstens  insofern  einen  Unterschied  zwischen  der  Alltags- 
und Altarkleidung  machte,  als  man  bei  der  Feier  der  Liturgie,  wo  immer 
solches  anging,  bessere  oder  doch  anständige  Gewänder  benutzte.  Denn  wenn 
Klemens  von  Alexandrien  sagt,  man  müsse  gewaschen,  rein  und  glänzend  zu 
den  Opferfeiern  und  Gebeten  erscheinen  *  -  -  er  versteht  das  aber,  wie  aus 
seinen  folgenden  Ausführungen  hervorgeht,  insbesondere  auch  mit  Bezug  auf 
die  Kleidung  — ,  und  wenn  er  verlangt,  es  müsse  Mann  und  Weib  in  ordent- 
licher Gewandung  zur  gottesdienstlichen  Versammlung  kommen 2,  so  wird  es 
erst  recht  für  schicklich  gegolten  haben,  daß  der  Liturg  und  seine  Gehilfen 
bei  der  Feier  des  heiligen  Opfers  in  anderer  als  der  gewöhnlichen  Haus-, 
Straßen-  und  Arbeitstracht  am  Altar  erschienen.  Es  wäre  den  Gläubigen, 
die  selbst  die  Kleider  wechselten,  ehe  sie  zum  Gottesdienste  gingen,  sicherlich 
ein  Anstoß  gewesen,  hätten  sie  den  Bischof,  die  Priester  und  Diakone  in 
bestaubter,  beschmutzter  oder  abgegriffener  Alltagstracht  ihres  hohen  Amtes 
walten  sehen. 

Wir  sagen:  wo  immer  es  anging;  denn  wenn  man  während  der  Tage 
der  Verfolgung  im  Drange  der  Not  in  Grüften  und  Höhlen,  ja  selbst  in 
Kerkern  die  heiligen  Geheimnisse  zu  feiern  sich  gezwungen  sah,  oder  wenn 
die  Boten  des  Evangeliums  unter  den  ungünstigsten  Verhältnissen  in  die  Welt 
hinauszogen,  um  Christi  Lehre  zu  verkünden,  so  konnte  natürlich  hier  wie 
dort  bei  der  Feier  der  heiligen  Geheimnisse  nicht  alles  durchgeführt  werden, 
was  an  sich  passend  und  in  andern  Lagen  und  Umständen  möglich  war.  In 
normalen  Zeiten  und  in  den  Tagen  der  Ruhe  war  sicher  auch  schon  vor  dem 
4.  Jahrhundert  die  Anschauung  maßgebend,  welche  in  den  sog.  Kanones  des 
Hippolyt  ihren  Ausdruck  findet  in  der  Bestimmung:  „So  oft  der  Bischof  die 
Mysterien  genießen  will,  sollen  sich  die  Diakone  und  Priester,  angetan  mit 
weißen,  ganz  vorzüglich  reinen  Kleidern,  die  schöner  als  die  des  übrigen 
Volkes  sind,  bei  ihm  versammeln.  .  .  .  Auch  die  Vorleser  sollen  wie  jene 
Festkleider  haben"3;  eine  Anschauung,  die  von  Hieronymus  in  seiner  Er- 
klärung von  Ez  44,  19  in  die  Worte  gefaßt  wird:  „Hieraus  lernen  wir,  daß 
wir   nicht   in   den   alltäglichen    oder   in    sonst   welchen ,    durch   das   gewöhn- 


1  Strom.  1.  4,  c.  22  (Mg.  8,  1352). 

-  Paedag.  1.  3,  c.  11  (ebd.  657).  Aus  den 
weiteren  Worten  an  dieser  Stelle  geht  her- 
vor, daß  die  Gläubigen  in  der  Tat  andere 
Kleider  anlegten,  ehe  sie  zum  Gottesdienste 
gingen.  Klemens  tadelt  dieselben  nämlich, 
daß  sie  bei  der  Heimkehr  von  der  Kirche 
zugleich  mit  der  Kleidung  die  Sitten  wech- 
selten und  statt  der  Würde  und  des  Ernstes, 
die  sie  im  Gotteshause  bekundeten ,  sich 
Leichtfertigkeiten  aller  Art  erlaubten.  Man 
trug  also  bei  der  Teilnahme  an  der  Liturgie 
nicht   die   gewöhnlichen    Haus-  und  Arbeits- 


kleider,   sondern    pflegte    für    dieselbe    eine 
bessere  Gewandung  anzuziehen. 

3  Can.  37  (Mg.  10,  962).  A  c  h  e  1  i  s  ,  Die 
CanonesHippolyti  (Texte  und  Untersuchungen 
VI,  Hft  4,  Leipzig  1891,  118);  Riedel, 
Die  Kirchenrechtsquellen  des  Patriarchats 
Alexandrien  224.  Über  das  Alter  der  Ka- 
nones, für  deren  nichthippolytanischen  Ur- 
sprung F.  X.  Funk  gegen  Achelis  entschieden 
und  mit  guten  Gründen  eintritt,  vgl.  Bar- 
denhewer,  Geschichte  der  altkirchlichen 
Literatur  II,  Freiburg  1903,  541  ff,  wo  auch 
die  einschlägige  Literatur  angegeben  ist. 


Die  liturgische  C4ewandung  in  ihrer  Gesamtenhvicklung.  771 

liehe  Leben  und  Treiben  beschmutzten  Gewändern  in  das  Allerheiligste  ein- 
treten, sondern  mit  reinem  Herzen  und  reinen  Kleidern  an  den  Geheimnissen 
des  Herrn  teilnehmen  sollen  "  t 

Die  Gewänder,  in  denen  wir  uns  die  Bischöfe  und  Priester  in  vor- 
konstantinischer  Zeit  bei  ihren  Funktionen  zu  denken  haben,  waren  die  Tunika, 
dann,  wo  es  Brauch  war,  die  Tunika  zu  schürzen,  ein  Gürtel  und  endlich  ein 
Mantel,  welcher  im  Orient  vielleicht  schon  früh,  zu  Bom  wie  überhaupt  in 
Balien  aber  seit  etwa  dem  Verlauf  des  3.  Jahrhunderts  in  der  Pänula  be- 
standen haben  dürfte.  Bei  den  Diakonen  mag  der  Mantel  vielfach  gefehlt  haben, 
weil  das  für  sie  bei  den  mannigfachen  Verrichtungen  ihres  Dienstes  be- 
quemer war.  Die  übrigen  Kleriker  werden  wohl  für  gewöhnlich  die  gleiche 
Gewandung  wie  die  Priester  gehabt  haben.  War  doch  zu  Bom  noch  im 
8.  Jahrhundert  die  Gewandung  der  Subdiakone  und  der  andern  Minoristen 
fast  dieselbe  wie  diejenige  der  Priester,  während  wir  im  griechischen  Bitus 
noch  bis  ins  zweite  Jahrtausend  hinein  bei  jenen  ebenso  wie  bei  diesen  außer 
der  Tunika  ein  Phelonion  antreffen.  In  Bezug  auf  Schnitt,  Ausstattung  und 
ähnliches  war  für  die  Altarkleidung  an  den  verschiedenen  Orten  natürlich 
die  für  die  profane  Tracht  geltende  Sitte  maßgebend.  Ob  es  auch  schon  in 
vorkonstantinischer  Zeit  oder  doch  wenigstens  im  3.  Jahrhundert  ein  liturgisches 
Distinktivum  (Stola,  Orarium,  Omophorion,  Pallium)  zur  Unterscheidung  der 
fungierenden  Geistlichen  voneinander  und  von  den  Laien  gegeben  habe,  muß 
dahingestellt  bleiben 2. 

III.    DIE   LITURGISGHE   KLEIDUNG  VOM   IV.  BIS  IX.  JAHRHUNDERT. 

Die  Zeit  vom  4.  bis  9.  Jahrhundert  bildet  den  bedeutungsvollsten  Ab- 
schnitt in  der  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung.  Zwar  ist  die  Ent- 
wicklung der  letzteren  mit  ihm  noch  keineswegs  abgeschlossen ;  immerhin 
gelangt  die  Sakraltracht,  wie  sie  heute  besteht,  bereits  in  dieser  zweiten 
Periode  in  ihren  wesentlichen  Bestandteilen  und  Eigentümlichkeiten  zur 
Vollendung.  Die  Nachrichten,  die  wir  aus  dieser  Zeit  über  die  beim  Gottes- 
dienst gebräuchlichen  Gewänder  erhalten,  sind  allerdings  noch  immer  recht 
unvollständig  und  mangelhaft ;  für  einige  Bestandteile  der  liturgischen  Kleidung 
fließen  sogar  auch  jetzt  noch  die  schriftlichen  und  monumentalen  Quellen 
äußerst  sparsam.  Immerhin  gestattet,  was  an  Monumenten  und  schriftlichen 
Angaben  vorliegt,  den  Werdegang  der  Sakralkleidung  in  diesem  Abschnitt 
ihrer  Geschichte   wenigstens   im  großen   und   ganzen  genügend  zu  verfolgen. 

Bei  der  Ausbildung,  welche  die  liturgische  Kleidung  während  der  zweiten 
Periode  ihrer  Entwicklung  erfährt,  lassen  sich  fünf  verschiedene  Momente 
unterscheiden:  1.  Ausscheiden  der  bei  den  gottesdienstlichen  Funktionen 
gebräuchlichen  Kleidung  aus  allem  außerliturgischen  Gebrauch,  2.  Auswahl 
und  Festlegung  bestimmter  Gewänder  für  die  liturgischen  Verachtungen, 
3.  Einführung  sakraler  Distinktiva  in  Gestalt  des  Palliums  bzw.  des  Omo- 
phorion und  der  Stola  bzw.  des  Orarium ,  4.  Verwendung  der  für  den 
Gottesdienst  bestimmten  Gewänder  unter  Beibehaltung  der  außerliturgischen 
Kleidung,  also  über  dieser,  nicht  mehr  anstatt  derselben,  5.  endlich  Ein- 
führung der  Sitte,  die  zum  Kultornat  gehörenden  Kleider  durch  eine  be- 
sondere Segnung  für  ihren   erhabenen  Gebrauch  zu  heiligen. 


1  In  Ezech.  1.   13,  c.  44  (M.  25,  436). 

2  Über  die  Dalmatifc  im   Kultus  zu  vorkonstantinischer  Zeit  vgl.  oben  S.  250. 

49* 


772  Schlußabsclmitt. 

Die  Scheidung  zwischen  liturgischer  und  außerliturgischer  Tracht  in 
dem  im  vorigen  Paragraphen  dargelegten  Sinne  begann  wahrscheinlich  schon  in 
vorkonstantinischer  Zeit.  Sicher  aber  wird  dies  bald  geschehen  sein,  nach- 
dem der  Kirche  die  Freiheit  geworden  war,  da  nun  ja  die  Kirche  ohne  alle 
Hindernisse  in  der  Öffentlichkeit  auftreten  konnte  und  die  Umstände  weg- 
gefallen waren1,  welche  vordem  jene  Unterscheidung  erschwerten,  ja  in 
manchen  Fällen  unmöglich  machten.  Aber  auch  die  Fixierung  bestimmter 
Gewänder  zum  Gebrauch  bei  den  gottesdienstlichen  Funktionen  dürfte 
schon  im  4.  Jahrhundert  begonnen  haben.  Erinnert  sei  an  die  Dalmatik 
der  römischen  und  an  die  Tunika  der  griechischen  Diakone,  von  welch 
letzterer  ja  bereits  Johannes  Chrysostomus  redet.  Jedenfalls  waren  bereits 
im  6.  Jahrhundert  die  hauptsächlichsten  Bestandteile  der  liturgischen  Ge- 
wandung festgesetzt.  Für  Rom  und  Italien  ergibt  sich  das  aus  den  Mo- 
saiken und  Fresken  zu  Mailand,  Born  und  Ravenna,  für  Spanien  aus  den 
früher  erwähnten  Kanones  der  2.  Synode  von  Braga  und  der  4.  Synode  von 
Toledo2,  von  denen  die  letzte  zwar  erst  dem  zweiten  Viertel  des  7.  Jahr- 
hunderts angehört,  aber  ersichtlich  nichts  Neues  bietet,  sondern  nur,  was 
dem  Herkommen  entsprach.  Daß  im  gallikanischen  Ritus  im  6.  Jahrhundert 
eine  aus  bestimmten  Bestandteilen  sich  zusammensetzende  Sakralkleidung  in 
Gebrauch  war,  beweisen,  abgesehen  von  vereinzelten  Notizen  bei  Gregor  von 
Tours  u.  a. 3,  die  früher  erwähnten  Verordnungen  der  Statuta  ecclesiae  antiqua 
und  der  Synode  von  Narbonne 4,  sowie  namentlich  die  gallikanische  Meßerklärung. 
Für  den  Orient  sei  an  die  Darstellung  des  Bischofs  Theophylus  von  Alex- 
andrien  auf  einem  Papyrus,  der  wahrscheinlich  noch  in  das  5.  Jahrhundert 
hinaufreicht,  und  an  die  Trierer  Elfenbeintafel  erinnert 5.  Auch  der  Umstand, 
daß  im  Osten  so  früh  schon  sich  liturgische  Abzeichen  in  Gestalt  des  Orarium 
und  des  Omophorion  einbürgerten,  läßt  vermuten,  daß  dort  bald  eine  be- 
stimmte Kleidung  für  den  Liturgen  und  seine  Gehilfen   festgelegt  worden  sei. 

Liturgische  Distinktiva  treffen  wir  im  Orient  schon  im  4.  Jahrhundert 
an.  Im  Abendland  begegnen  sie  uns  erst  eine  Weile  später.  Zu  Born  läßt 
sich  mit  Sicherheit  ein  sakrales  Abzeichen  —  das  päpstliche  Pallium  —  erst 
für  das  5.  Jahrhundert  nachweisen,  in  Spanien  und  Gallien  ein  solches  —  Stola, 
Orarium  —  aber  erst  für  das  6.,  woraus  freilich  nicht  folgt,  daß  es  nicht  auch 
schon  früher  daselbst  diese  Distinktiva  gegeben  habe. 

Unbestimmbar  ist,  seit  wann  man  anfing,  die  liturgische  Gewandung  über 
die  Alltagskleider  anzuziehen.  Die  Frage  nach  dem  Alter  dieser  Sitte  hängt 
mit  der  andern  zusammen,  seit  welcher  Zeit  man  begonnen  habe,  erst  im 
Sekretarium  sich  für  die  Feier  des  Gottesdienstes  anzukleiden.  Denn  eine 
Anlegung  der  liturgischen  Kleider,  welche  im  Sekretarium  vorgenommen 
wurde,  kann  offenbar  nur  von  einem  Anziehen  derselben  verstanden  werden, 
bei  welchem  wenigstens  die  Unterkleider  der  Alltagstracht  beibehalten  wurden. 
Die   erste    zuverlässige   Nachricht    über   den   Kleiderwechsel   im   Sekretarium 


1  Vgl.  z.  B.  Palladii  Vita  S.  Ioan.  Cliry-  (Mg.  47,  lxxix)  heif3en  die  Gewänder,  welche 

sost.   (M.  47,  38),  wo  erzählt  wird,   als  der  der  Heilige  anstatt  der   gewöhnlichen  an- 

Heilige  auf  seinem  Wege  in  die  Verbannung  legte,  noch  deutlicher  rä  1/j.dzia  rä  t^s  äyiaq 

schwer  erkrankte,  habe   er  rä  ä$ia  rou  ßiou  Xeiroupyiaq. 

Xa/j/npa  1/j.firia,  die  Kleidung  bis  auf  die  Schuhe  -  Vgl.  oben  S.  155  253. 

gewechselt  und  dann  die  heiligen  Geheimnisse  3  Vgl.  oben  S.  66  156  754. 

empfangen.  Bei  Theodor  von Tr im u thi s  4  Vgl.  oben  S.  156  253. 

(De  vita   et   exilio   S.  Ioan.  Chrysost.  n.  25  5  Vgl.  oben  S.  236. 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwieklung.  773 

bringt  der  erste  römische  Ordo.  In  ihm  hätten  wir  demnach  zugleich  das 
erste  sichere  Zeugnis  für  den  Brauch,  die  liturgische  Kleidung  über  den  vestes 
communes  zu  tragen.  Indessen  wird  dieser  zweifelsohne  weit  höher  als  bis 
ins  8.  Jahrhundert  hinaufgehen.  Wahrscheinlich  hat  er  sich  sogar  schon 
bald  gebildet,  nachdem  man  begonnen  hatte,  zwischen  liturgischer  und  außer- 
liturgischer  Gewandung  streng  zu  unterscheiden.  Es  konnten  darum  auch 
im  6.  Jahrhundert  die  gallischen  Diakone  und  Lektoren  schon  vor  Ende  der 
Messe  sich  ihres  sakralen  Obergewandes,  der  Alba,  die  wir  uns  offenbar  über 
der  gewöhnlichen  Kleidung  befindlich  zu  denken  haben,  ohne  alle  Schwierig- 
keit entledigen  l. 

Über  die  Zeit,  zu  der  es  Sitte  wurde,  durch  eine  besondere  Segnung 
die  liturgischen  Gewänder  aller  profanen  Verwendung  zu  entziehen,  wurde 
früher  des  näheren  gehandelt.  Bestimmt  nachweisen  läßt  sich  die  benedictio 
vestium  erst  gegen  Ende  der  uns  beschäftigenden  Periode,  und  zwar  selbst 
dann  nur  für  das  Abendland,  genauer  für  den  römischen  Ritus. 

Inwieweit  die  Ausbildung  einer  liturgischen  Kleidung  sich  vollzog  auf 
dem  Wege  der  bloßen  Gewohnheit  und  inwieweit  durch  die  positive  kirch- 
liche Gesetzgebung,  läßt  sich  nicht  abmessen.  Als  sicher  darf  es  jedoch 
gelten,  daß  es  nicht  lediglich  durch  Brauch  und  Sitte  zu  einer  Sakralkleidung 
kam.  Insbesondere  ist  die  Einführung  liturgischer  Abzeichen  ohne  Zweifel 
das  Werk  positiver  Verordnungen.  Aber  auch  bezüglich  sonstiger  Gewand- 
stücke sowie  der  Sakralgewandung  im  allgemeinen  war  die  kirchliche  Gesetz- 
gebung mit  ausdrücklichen  Bestimmungen  an  der  Ausbildung  der  liturgischen 
Kleidung  beteiligt.  Wir  ersehen  das  z.  B.  aus  den  Angaben  des  L.  F.,  wo- 
nach Silvester  I.  die  Diakone  Dalmatik  und  Mappula  tragen  hieß  und 
Stephan  I.  den  Gebrauch  der  vestes  sacratae  im  gewöhnlichen  Leben  zu  ge- 
brauchen verbot.  Ist  es  auch  fraglich,  ob  die  beiden  Dekrete  wirklich  von 
Silvester  I.  bzw.  Stephan  I.  herstammen,  so  zeigen  sie  doch  wenigstens,  daß 
auch  die  positive  Gesetzgebung,  wie  übrigens  natürlich,  zu  den  Faktoren  ge- 
hörte, welche  bei  der  Ausgestaltung  einer  besondern  liturgischen  Kleidung 
und  ihrer  einzelnen  Bestandteile  tätig  waren  2. 

Auf  keinen  Fall  haben  wir  uns  übrigens  die  Fixierung  und  Ausgestal- 
tung der  Sakralkleidung  als  allenthalben  in  gleichem  Schritt  geschehen  zu 
denken.  Es  ging  damit  wie  mit  der  Ausbildung  so  mancher  liturgischen 
Zeremonien.  Hier  vollzog  sich  der  Prozeß  rascher,  dort  langsamer.  Außerdem 
aber  muß  zwischen  Theorie  und  Praxis  unterschieden  werden.  Auch  bezüg- 
lich der  Verwendung  einer  liturgischen  Gewandung  standen  diese  keines- 
wegs überall  in  voller  Übereinstimmung.  Der  Umstand,  daß  die  Idee  einer 
besondern  Sakralkleidung  sich  bereits  in  der  Theorie  vollständig  durchgerungen 
hatte,  bedeutete  noch  nicht,  daß  solches  ebenso  schon  in  durchgreifender 
Weise  in  der  Praxis  der  Fall  war.  So  sahen  sich  die  Statuta  ecclesiae  antiqua 
veranlaßt,  den  Diakonen  zu  untersagen,  die  Alba  außerhalb  ihrer  gottesdienst- 
lichen Verrichtungen  anzuziehen.  Vom  hl.  Fulgentius  (f  535)  aber  teilt  uns 
dessen  Biograph  die  bezeichnende  Tatsache  mit,  der  Heilige  habe  in  derselben 
Tunika,  in  welcher  er  geschlafen,  das  heilige  Opfer  dargebracht.  Zur  Be- 
gründung und  Rechtfertigung  dieses  Verhaltens  habe  derselbe  bemerkt,  man 


1  Vgl.    c.    12    der   Synode    von    Narbonne  c.  9  der  2.  Synode  von  Braga,  c.  28  und  40 
vom  Jahre  589  (s.  oben  S.  258).  des  4.  Konzils  von  Toledo,  c.  22  des  Konzils 

2  Vgl.    auch   c.  12    der   Synode   von   Nar-  von  Laodicea,  c.  66  der  Kapitel  Martins  von 
bonne,    c.  41    der  Statuta  ecclesiae  antiqua,  Braga  u.  a. 


774  Schlu  ßabsclmitt. 

solle  zur  Zeit  des  Opfers  lieber  die  Herzen  als  die  Kleider  wechseln  K  Selbst 
zur  Karolingerzeit  war  die  Unterscheidung  zwischen  liturgischen  und  außer- 
liturgischen Gewändern  in  der  Praxis  noch  keineswegs  vollständig  durch- 
gedrungen, wie  die  früher  angeführten  Verordnungen  über  den  Gebrauch  der 
Albe  beweisen 2.  Auch  die  entschiedene  Betonung  des  angeblichen  Dekretes 
Stephans  I.  bei  Pseudo-Isidor 3  läßt  vermuten,  daß  im  Frankenreiche  damals 
Theorie  und  Praxis  in  Bezug  auf  die  Verwendung  der  gottesdienstlichen  Ge- 
wandung nicht  immer  übereinstimmten.  Am  längsten  dauerte  es  in  einigen 
Sekten  des  Orients,  bis  die  Idee  einer  besondern  Sakraltracht  sich  in  Auffassung 
wie  Brauch  Geltung  verschafft  hatte.  Für  die  Anschauung,  welche  bei  den 
Nestorianern  noch  um  das  9.  Jahrhundert  in  Betreff  der  Verwendung  einer  be- 
sondern liturgischen  Gewandung  herrschte,  ist  die  Antwort  bezeichnend,  welche 
Patriarch  Johannes  Bar  Abgar  (f  905)  auf  die  Frage  gab,  ob  der  Priester  mit 
Schuhen  an  den  Altar  treten  könne,  die  er  auf  dem  Markte  getragen.  Billig  und 
recht  wäre  es  freilich,  meinte  er,  wenn  die  Priester  in  besondern  Gewändern  und 
Schuhen  zum  kirchlichen  Dienst  hinzuträten.  Falls  aber  die  Notwendigkeit  es 
anders  anrate  oder  die  Priester  zu  arm  seien,  stehe  nichts  im  Wege,  solches  in 
den  Schuhen  und  Kleidern  zutun,  die  sie  in  ihrer  Werkstatt  und 
bei  ihrer  gewöhnlichen  Beschäftigung  gebrauchten4.  Bei  den 
Armeniern  wurde  für  die  Abhaltung  der  Liturgie  vielfach  selbst  noch  im 
12.  Jahrhundert  die  Kleidung  nicht  gewechselt,  wie  der  Katholikos  Isaak  in 
seinen  Invectivae  adversus  Armenos  bezeugt  und  auch  Nerses  von  Lampron 
in  seinem  Kommentar  zur  göttlichen  und  heiligen  Liturgie  andeutet5.  Viel- 
leicht war  übrigens  eine  solche  laxe  Auffassung  in  jenen  orientalischen  Sekten 
nur  ein  Abirren  von  früheren,  strengeren  Anschauungen  und  Grundsätzen  be- 
züglich der  Unterscheidung  zwischen  der  liturgischen  und  der  Alltagsgewandung. 
In  formeller  Hinsicht  bestand,  wenn  wir  von  den  liturgischen  Ab- 
zeichen absehen,  auch  nachdem  die  Kirche  die  Freiheit  erlangt  hatte,  noch 
mehrere  Jahrhunderte  kein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  der  liturgischen 
Kleidung  und  der  besseren  bürgerlichen  Tracht,  zumal  der  bürgerlichen 
Festtagskleidung.  Die  Gewandstücke,  deren  man  sich  am  Altare  bediente,  be- 
gegnen uns  noch  eine  gute  Weile  ebenso  bei  Laien  und  noch  weit  länger  in 
der  außerliturgischen  klerikalen  Gewandung.  Selbst  zu  Rom  waren  sie  noch 
im  6.  Jahrhundert  der  Art,  daß  man  sie  im  gewöhnlichen  Leben  tragen  konnte, 
ohne  aufzufallen.  Es  erhellt  das  z.  B.  aus  der  Überschrift,  welche  Dionysius 
Exiguus  in  seiner  Sammlung  von  Papstbriefen  dem  bekannten  Schreiben 
Cölestins  I.  (423 — 432)  an  die  gallischen  Bischöfe  gab.  Indem  er  näm- 
lich die  Worte  Cölestins:  Discernendi  sumus  a  plebe  vel  ceteris  doctrina, 
non  veste,  conversatione,  non  habitu,  mentis  puritate,  non  cultu 6,  auf  die  Altar- 
kleidung bezieht  (nicht,  wie  es  richtig  hätte  geschehen  sollen,  auf  die  außer- 
liturgische geistliche  Gewandung),  bekundet  er,  daß  zu  seiner  Zeit,  also 
um  530,  zu  Rom  die  liturgische  Kleidung  noch  keineswegs  von  der  lai- 
kalen  formell  wesentlich  verschieden  war.  Sehr  lehrreich  ist  in  dieser  Beziehung 
auch  die  Beschreibung,  welche  Johannes  Diakonus  von  den  noch  zu  Lebzeiten 


1  C.  18  (M.  65,  136).  114,  952):    Primis   temporibus  communi   in- 

-  Vgl.  oben  S.  62.  dumento  vestiti  missas  agebant,  sicut   et 

s  S  teph.  1.,  Epist.  n.  3  (Hi  nschi  us,  De-  hactenus  quidamorientales  facere 

cret.  Pseudoisid.  183).  perhibentur.            6  Vgl.  oben   S.  98. 

1  Ass.,  Bibl.  III  I  251.    Vgl.  auch  Wala-  »  C.  1  (M.  50,  430).   Vgl.  auch  oben  S.  620 

fried,  De  exordiis  et  incrementis  c.  24  (M.  Anm.   1. 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung. 


775 


Gregors  d.  Gr.  gemachten  Bildern  des  Vaters  Gregors,  Gordianus,  und  des 
Papstes  selbst  gibt.     Nur  das  Pallium  unterschied  Vater  und  Sohn. 

Ein  durchgreifenderer  Unterschied  zwischen  der  laikalen  und  der  liturgi- 
schen Tracht  trat  erst  ein,  als  im  profanen  Leben  die  im  3.  Jahrhundert  in 
Aufnahme  gekommene  Talartunika  wieder  der  kurzen  Tunika  und  die  nicht 
gerade  bequeme  Pänula  dem  offenen  Mantel  weichen  mußte,  die  Kirche  aber 
an  beiden  als  Bestandteilen  sowohl  der  außerliturgischen  wie  namentlich  der 
liturgischen  Kleidung  der  Geistlichen  festhielt. 

Es  war  kein  öder  Konservativismus,  der  sie  dazu  veranlagte,  sondern 
die  Erwägung  und  Erkenntnis,  daß  eben  diese  Gewandung  sich  besser  als 
jede  andere  für  den  Klerus  im  täglichen  Leben  wie  am  Altar  eigne,  weil  sie 
der  ihm  eigenen  Würde  wie  auch  der  Würde  der  gottesdienstlichen  Funk- 
tionen angemessener  erschien.  Außerdem  aber  hat  darauf  zweifelsohne  die 
Tendenz  eingewirkt,  den  Klerus  auch  in  seiner  Kleidung,  und  zwar  sowohl 
im  täglichen  Leben  als  namentlich  am  Altare,  von  den  Gläubigen  möglichst 
sinnfällig  zu  unterscheiden,  eine  Tendenz,  die  im  Osten  schon  im  4.  Jahr- 
hundert zu  liturgischen  Distinktiva  in  Gestalt  des  Orarium  und  des  Omo- 
phorion  geführt  hatte.  Auf  das  Festhalten  an  der  Talartunika  mag  oben- 
drein, wie  früher  gesagt  wurde,  die  Erinnerung  an  den  poderes  des  jüdischen 
Kultus  von  Einfluß  gewesen  sein. 

Man  hat  den  eben  erwähnten  Wechsel  in  der  profanen  Kleidung  mit 
dem  Einbruch  der  germanischen  Völker  zu  erklären  gesucht  und  in  der  kurzen 
Tunika  und  dem  offenen  Mantel  eine  Nachbildung  der  germanischen  Soldaten- 
tracht sehen  wollen 1.  Ohne  Grund.  Sowohl  die  offenen  Mäntel  wie  die 
kurzen  Tuniken  waren  bei  einem  großen,  die  letzteren  sogar  bei  dem  größten 
Teil  der  Bevölkerung  nie  außer  Gebrauch  gekommen.  Insbesondere  aber 
waren  die  einen  wie  die  andern  stets  dem  Militär  und  der  Mehrzahl  der  kaiser- 
lichen Beamten  eigen.  Es  bedurfte  darum  nicht  erst  eines  vorbildlichen 
Einflusses  der  Gewandung  der  nordischen  Barbaren,  um  die  Talartunika  und 
die  Pänula  im  bürgerlichen  Leben  wieder  außer  Verwendung  zu  bringen  und 
an  ihre  Stelle  die  kurze  Tunika  und  den  offenen  Mantel  treten  zu  lassen. 
Die  Talartunika  und  die  Pänula  waren  eine  Mode,  wie  es  deren  so  viele 
schon  gegeben  hatte.  Sie  erschienen  im  3.  bzw.  4.  Jahrhundert  auf  dem 
Plan  und  verschwanden  dann  wieder,  als  ihre  Zeit  um  war,  als  sie  nicht 
mehr  gefielen,  als  sie  sich  gleichsam  ausgelebt  hatten. 

Im  Orient  erhielten  sich  die  tunica  talaris  und  die  paenula,  den  Bild- 
werken nach  zu  urteilen,  länger  im  allgemeinen  Gebrauch.  Es  kam  darum  hier 
erst  in  viel  späterer  Zeit  zu  einer  liturgischen  Gewandung,  die  auch  nach  ihrer 


1  Vgl.  Marr.  xlvi  ,  und  im  Anschluß  an 
diesen  Realenc.  II  182.  Marriott  beruft  sich 
namentlich  auf  die  Bemerkung  des  Johannes 
Diakonus  (9.  Jahrhundert) :  Nullus  pontifici 
(sc.  Gregor  d.  Gr.)  famulautium  a  minimo 
usque  ad  maximum  barbarum  quodlibet  in 
sermone  vel  habitu  praeferebat,  sed  togata 
Quiritium  more  vel  trabeata  latinitas  suum 
Latium  in  ipso  Latiali  palatio  singulariter 
pbtinebat  (Vita  Greg.  M.  1.  2,  c.  13  [M.  75, 
92]).  Allein  wie  kann  man,  dürfen  wir  wohl 
fragen,  diese  Angabe  des  Biographen  Gregors 
auf  das  Ausscheiden  der  Talartunika  und  der 
Pänula    aus    der    Tracht     des    bürgerlichen 


Lebens  anwenden  ?  Oder  waren  etwa  die 
kurze  Tunika,  die  Chlamys  und  die  Lacerna 
unrömische ,  den  nordischen  Barbaren  ent- 
lehnte Gewänder?  Völlig  unverständlich  ist, 
wie  Kraus  (Kunstgeschichte  I  533)  schreiben 
konnte:  „Auf  den  Mosaiken  von  S.  Vitale 
zu  Ravenna  ist  die  Tracht  der  einfachen 
Geistlichen  noch  nicht  wesentlich  von  der 
der  Hofbeamten  des  Kaisers  Justinian  ver- 
schieden." Die  kurze  Tunika  und  die  Chlamys 
der  Hofbeamten  sind  denn  doch  etwas  ganz 
anderes  als  die  Dalmatik  und  die  Planeta 
Maximians  und  als  die  Dalmatik  der  Diakone 
des  Erzbischofs  (vgl.  oben  B  ld  63,    S.  159). 


776  Schlußabschnitt. 

formellen  Seite  hin  von  der  Alltagskleidung  verschieden  war.  Vielleicht  erklärt 
sich  daraus  auch,  warum  Walafried  im  Anschluß  an  die  Worte:  Primis  tempori- 
bus  communi  indumento  (Volkstracht)  induti  missas  agebant,  mit  Bezug  auf 
den  Osten  fortfährt:  Sicut  et  hactenus  quidam  orientales  facere  perhibentur *. 
Betont  muß  werden,  daß  die  liturgische  Kleidung  aus  dem  Boden  jener 
Gewandung  erwuchs,  welche  seit  etwa  dem  4.  Jahrhundert  das  Gemeingut 
der  römisch-griechischen  Welt  geworden  war,  nicht  aber  ausschließlich 
aus  demjenigen  der  römischen  Tracht  oder  der  Tracht  des  Ostens.  Ebendarum 
denn  auch  die  wesentliche  Übereinstimmung  in  Bezug  auf  die  liturgische 
Kleidung  zu  Rom  und  in  den  von  dem  römischen  Ritus  abhängigen  Pro- 
vinzen des  Abendlandes  einerseits  und  in  den  verschiedenen  Landesteilen  des 
weiten  Ostens  anderseits.  Daß  bei  jenem  Entwicklungsprozeß  der  Sakral- 
gewandung Rom  und  der  römische  Brauch  einen  bestimmenden  oder  vorbild- 
lichen Einfluß  auf  den  Orient  ausgeübt  habe,  ist  zwar  behauptet,  aber  nicht 
bewiesen  worden  und  unseres  Erachtens  auch  nicht  einmal  wahrscheinlich. 
Wohl  aber  kann  man  umgekehrt  von  einer  Einwirkung  des  Ostens  auf  den 
Westen  reden.  Namentlich  darf  eine  solche  für  Spanien  und  Gallien  an- 
genommen werden.  Die  Übereinstimmung,  welche  zwischen  der  Sakral- 
gewandung des  griechischen  Ritus  und  derjenigen  der  gallikanischen  und  alt- 
spanischen Kirche  besteht,  ist  zu  auffällig,  als  daß  man  sie  als  bloßen  Zufall 
zu  deuten  hätte.  Allein  selbst  zu  Rom  dürfte  griechischer  Brauch  nicht  ganz 
ohne  Nachahmung  geblieben  sein.  Wenigstens  ist  es  keineswegs  so  ganz 
unwahrscheinlich,  daß  das  Pallium  und  die  Stola  dorthin  aus  dem  griechischen 
Ritus  ihren  Weg  genommen  haben.  Im  übrigen  war  die  Entwicklung  der  litur- 
gischen Gewandung  zu  Rom  freilich  eine  durchaus  selbständige.  Man  denke  nur 
an  das  Schultertuch,  die  Mappula,  die  Dalmatik  und  die  liturgische  Beschuhung. 
Aber  auch  in  der  Neigung,  die  Gewa.ndstücke  zu  häufen,  zeigt  sich  schon 
in  der  uns  hier  beschäftigenden  Periode  der  Geschichte  der  Sakraltracht  eine 
charakteristische  Eigenart  der  römischen  Kultkleidung.  Eine  teilweise  Ein- 
wirkung des  römischen  Brauches  auf  die  liturgische  Kleidung  in  Gallien  setzte 
bereits  im  6.  Jahrhundert  durch  Verleihung  des  Palliums  und  die  Erteilung 
des  Privilegs,  die  Dalmatik  zu  tragen,  ein ;  durchgreifend  wurde  sie  jedoch 
erst  zur  Karolingerzeit. 

Was  die  Gewänder  anlangt,  aus  denen  sich  die  liturgische  Kleidung 
zusammensetzte,  so  bestand  diese  um  den  Beginn  des  7.  Jahrhunderts 
in  Spanien  bei  den  Subdiakonen  bloß  aus  einer  Tunika,  bei  den  Dia- 
konen aus  Alba  und  Orarium,  bei  den  Priestern  und  Bischöfen 
aus  Alba,  Gürtel,  Orarium  und  Planeta,  in  Gallien  bei  den  niedern 
Klerikern  aus  der  Alba,  bei  den  Diakonen  aus  Alba  und  Stola,  bei  den 
Priestern  und  Bischöfen  aus  Tunika,  Gürtel,  Stauchen,  Stola  (pallium) 
und  Kasel.  Zu  Rom  bedienten  sich  damals  die  Minoristen,  die  Subdia- 
kone  eingeschlossen,  der  Alba  und  Planeta,  wie  es  scheint,  ob  auch  schon 
der  Mappula,  ist  fraglich,  die  Diakone  der  udones,  der  campagi,  der 
Dalmatik  und  der  Mappula,  sowie  auch  wohl  einer  unteren  Tunika  (Albe). 
Über  die  liturgische  Tracht  der  römischen  Priester  fehlen  für  den  Beginn 
des  7.  Jahrhunderts  genügende  Angaben ;  wir  dürften  indessen  kaum  irre- 
gehen, wenn  wir  uns  dieselben  mit  Albe,  Cingulum ,  Mappula  und  Kasel  be- 
kleidet   denken.     Der    Papst    trug   udones,    campagi,    Albe    und    Cingulum, 


De  exordiis  et  incrementis  c.  24  (M.  114,  952). 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung.  777 

Dalmatik,  Planeta,  Mappula  und  Pallium.  Unsicher  ist,  ob  er  auch  schon 
die  Tunika  oder  dalmatica  linea  hatte.  Wegen  des  Gebrauches  des  Orarium 
seitens  der  Diakone,  der  Priester  und  des  Papstes  ist  nachzusehen ,  was 
darüber  bei  Besprechung  des  Alters  der  Stola  gesagt  wurde.  Außerhalb 
Roms  wurde  es  überall  da,  wo  der  römische  Ritus  maßgebend  war,  ohne 
Zweifel  mit  der  liturgischen  Gewandung  im  großen  und  ganzen  gerade  so  ge- 
halten wie  zu  Rom  selbst.  Man  vergleiche  z.  B.  die  Mosaiken  von  S.  Vitale  zu 
Ravenna  und  von  S.  Apollinare  in  Classe.  Die  Mappula  und  die  liturgische  Be- 
schuhung waren  natürlich  im  Anfang  des  7.  Jahrhunderts  nur  wenig  verbreitet, 
da  der  römische  Klerus  diese  noch  als  sein  besonderes  Vorrecht  betrachtete  und 
demgemäß  wachsamen  Auges  behütete.  Dagegen  war  die  Dalmatik  wohl 
bereits  allgemein  bei  den  Diakonen  und  Bischöfen  des  römischen  Ritus  in 
Gebrauch.  Des  Palliums  durften  sich  selbstverständlich  nur  jene  Bischöfe  be- 
dienen, welche  vom  Papste  mit  demselben  ausgezeichnet  worden  waren. 

Im  Orient  finden  wir  zu  Beginn  des  7.  Jahrhunderts  bei  den  Dia- 
konen das  Sticharion  und  das  Orarium,  bei  den  Bischöfen  das  gegürtete 
Sticharion,  das  Epitrachelion,  das  Phelonion  und  Omophorion.  Vom  Epi- 
trachelion  hören  wir  freilich  erst  in  der  ^lazopia ;  immerhin  darf  unbedenklich 
auch  schon  für  das  frühe  7.  seine  Verwendung  angenommen  werden.  Bezüg- 
lich der  liturgischen  Kleidung  der  niedern  Kleriker  und  der  Priester 
liegen  für  diese  Zeit  keine  Nachrichten  vor.  Wenn  jene  indessen  noch  um 
das  Ende  des  Jahrtausends  ein  gegürtetes  Sticharion  und  das  Phelonion  trugen, 
so  wird  es  auch  im  7.  Jahrhundert  wohl  so  gewesen  sein,  und  wenn  die 
priesterliche  Tracht,  wie  nicht  zweifelhaft,  nur  eine  vereinfachte  bischöfliche 
Kleidung  darstellte,  so  haben  die  Priester  damals  wohl  in  gegürtetem  Sticharion, 
im  Epitrachelion  und  im  Phelonion  ihres  Amtes  gewaltet. 

Über  den  Verlauf,  welchen  die  Entwicklung  der  liturgischen  Kleidung 
im  Lauf  des  7.  und  8.  Jahrhunderts  nahm,  sind  wir  im  einzelnen  nicht  näher 
unterrichtet.  In  Gallien  und  Spanien  bereitete  sich  die  Aufnahme  des  römi- 
schen Brauches  vor.  Im  griechischen  Ritus  scheint  sich  im  8.  Jahrhundert 
den  liturgischen  Ornatstücken  der  Bischöfe  das  Enchirion ,  das  liturgische 
Etikettetuch ,  zugesellt  zu  haben.  Besonders  reich  gestaltete  sich  aber  in 
dieser  Zeit  die  Sakralgewandung  zu  Rom  aus,  wo  allerdings  die  ungemein 
einflußreiche  Stellung  und  die  hohe  Bedeutung,  welche  Papst  und  Klerus 
inzwischen  dort  erlangt  hatten,  eine  solche  Entfaltung  in  hervorragendem 
Maße  begünstigten,  ja  fast  notwendig  herbeiführen  mußten.  Ihr  Ergebnis  kommt 
im  1 .  und  3.  römischen  Ordo,  namentlich  aber  im  S.  G.  K.  zum  Ausdruck. 
Dort  ist  es  vornehmlich  die  päpstliche  Gewandung,  über  die  wir  Aufschluß 
erhalten.  Hier  wird  uns  eine  erschöpfende  Zusammenstellung  des  gottesdienst- 
lichen Ornates  aller  einzelnen  Stufen  des  römischen  Klerus  geboten,  die  etwa 
den  Stand  der  Dinge  im  2.  Viertel  des  9.  Jahrhunderts  wiedergibt.  Eben- 
deshalb lassen  wir  das  für  die  Geschichte  der  liturgischen  Gewandung  des 
römischen  Ritus  so  wichtige  Verzeichnis  in  einem  neuen,  auf  den  handschrift- 
lichen Text  sich  stützenden,  durchaus  korrekten  Abdruck  folgen. 

De  vestimento  pontificis.  Inprimis  camisia  et  cingitur  supra,  deinde  linea 
cum  costis  (sie)  seriea  et  cingitur,  post  haec  mittitur  anagolaium  (sie),  exinde  dalmatica 
minore,  postea  maiore  dalmatica  et  super  orarium,  post  haec  planeta  et  super  mittitur 
pallium.  Nam  in  his  diebus,  natali  Dmi,  pascha,  sei.  Petri  et  die  ordinationis  suae 
aliud  colere  (eolore)  jdaneta  induitur.  Sestace  in  manu  portat;  item  ealciamenta,  in- 
primis odhones,  deinde  campagos. 


778  Schlußabschnitt. 

Item  de  vestimento  alii  romani  episcopi.  Inprimis  camisia  et  cin- 
gitur,  postea  tunica  alba,  deinde  orarium,  post  haec  planeta  et  sestace  in  manu. 
Calciamenta,  odhones  et  campagos. 

Presbyter  romanus  similiter  praeter  tantum  subtulares  \  quos  mittit  presbyter 2. 

Diaconus  inprimis  camisia  et  super  cingitur,  postea  tonica  (sie)  alba  et  cingitur, 
deinde  anagolagium,  post  lioc  brachiale  in  dextra  manu,  dalmatica  minore  et  maiore  et 
planeta  usque  dum  venitur  presby terio,  ibidem  tollitur  ab  acolito.  Calciamenta  sicut pontifex. 

Subdiaconus.  Camisia  et  cingitur,  deinde  anagolagium  et  tunica  alba,  orarium 
et  sestace  in  sinistra  manu. 

Acoliti.  Camisia  et  cingitur,  sestace  in  sinistra  latere  ad  cingulum  pendens 
(pendit?),  tonica  (sie)  alba  et  orarium  ad  Collum  et  planeta,  et  quando  in  gradu  psallitur, 
planeta  abstollitur  et  orarium  portat  in  manu.  Calciamenta,  odhones  et  subtulares 
sicut  et  subdiaconus. 

ßeliqui  vero  inferiores  gradu  ecclesiae,  qui  in  gradu  psallunt  sicut 
et  acoliti,  illi  vero  qui  in  ammone  (ambone)  non  psallunt,  si  habuerint,  similiter  in- 
duantur.     Sin  autem  non  potuerint  .  .  . 

Item  cottidianis  diebus  qualiter  pontifex  induitur.  Inprimis 
camisia  et  cingitur.  Deinde  tonica  serica,  orarium,  planeta  et  pallium,  sestace  in 
manu.  Calciamenta  vero  tarn  pontifex  quam  etiam  et  omnes  reliqui  sive  festis  diebus 
sive  cottidianis  suo  modo  induuntur.     Item  diaconi3. 

Eines  Kommentars  bedarf  das  Verzeichnis  nicht,  da  an  manchen  Stellen 
dieses  Werkes,  auf  die  hier  verwiesen  werden  kann,  auf  dasselbe  Bezug  ge- 
nommen wurde.  Es  sei  daher  nur  auf  die  eigenartige  Häufung  der  liturgischen 
Ornatstücke  aufmerksam  gemacht,  wie  sie  uns  in  dem  S.  Gr.  K.  entgegen- 
tritt, und  zwar  nicht  bloß  beim  Papst,  sondern  selbst  bei  den  Akolythen. 
Dabei  ist  bemerkenswert,  daß  die  Gewandung  der  römischen  Hebdomadar- 
bischöfe  und  Priester  im  Vergleich  mit  derjenigen  der  übrigen  Ordines  auffallend 
einfach  ist.  Am  reichsten  ausgestattet  ist  der  liturgische  Ornat  des  Papstes 
und  der  Diakone;  begreiflich,  da  eben  diese  zu  Rom  die  hervorragendste 
Stelle  einnahmen,  der  Papst  als  summus  pontifex,  die  Diakone  als  seine 
nächsten  Ministri  und  zugleich  als  die  papabili.  Beachtung  verdient  auch 
der  Umstand,  daß  der  Papst  beim  Gottesdienst  an  gewöhnlichen  Tagen  eine 
einfachere  Gewandung  trug  als  an  den  hohen  Festen,  an  denen  er  in  vollem 
Glanz  pontifizierte. 

Charakteristisch  ist  für  die  hier  in  Frage  kommende  Periode  die  große 
Schlichtheit  der  liturgischen  Gewänder.  Dieselben  erscheinen  auf  den  Bild- 
werken stets  ungemustert,  und,  wenn  wir  die  Dalmatik  mit  ihren  traditionellen 
clavi  ausnehmen,  fast  immer  ohne  allen  Zierbesatz.  Es  liegt  aber  kein  Grund 
vor,  welcher  uns  berechtigte,  die  Monumente  in  Bezug  auf  diesen  Punkt  als 
der  Wirklichkeit  nicht  entsprechend  zu  betrachten.  Indessen  bedurfte  es 
ja  auch  bei  der  weiten,  vollen,  faltenreichen  Form  der  Gewänder  keineswegs 
eines  reichen  Schmuckes  derselben,  um  den  Liturgen  und  seinen  Gehilfen 
ihrer  erhabenen  Stellung  gemäß  auszuzeichnen.  Auch  ohne  besonderes  Orna- 
ment auf  ihrer  Gewandung  waren  diese,  wie  die  römischen  und  ravennati- 
schen  Mosaiken  so  sinnfällig  bekunden,   ungemein  würdevolle  Erscheinungen. 


1  In  der  Handschrift  steht  subtula  und  Trennungszeichen  Kommata  gesetzt ,  b)  die 
dann  in  der  folgenden  Zeile  mit  Wieder-  Worte  einheitlich,  sofern  es  sich  nicht  um 
holung  von  la  lares,  offenbar  ein  Irrtum  des  den  Satzanfang  handelt,  mit  kleinen  Anfangs- 
Schreibers,  buchstaben  geschrieben,  c)  die  Abkürzungen 
-  Das  Manuskript  hat  pbs  =  presbyteres.  aufgelöst,  d)  zwei  evidente  Schreibfehler  ver- 
3  Bei  der  Wiedergabe  des  Kataloges  wurden  bessert.  In  allem  übrigen  ist  der  Text  mit 
aj  statt  der  Punkte  innerhalb  der  Sätze  als  aller  Treue  wiedergegeben. 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung.  779 

IV.  DIE  LITURGISCHE  GEWANDUNG  VOM  IX.  BIS  XIII.  JAHRHUNDERT. 

Seit  dem  9.  Jahrhundert  war  die  römische  Sakralkleidung  im  ganzen 
Abendland  herrschend.  Für  Spanien  bezeugen  das  die  Inventare;  sie  muß 
hier  spätestens  im  S.  Jahrhundert  Aufnahme  gefunden  haben.  Nach  Eng- 
land war  sie  zugleich  mit  den  römischen  Glaubensboten  gekommen,  die  Gre- 
gor d.  Gr.  dorthin  geschickt  und  mit  dem  zur  Feier  der  Liturgie  nötigen 
Apparat  ausgerüstet  hatte.  In  Gallien  hatte  die  karolingische  Reform  die 
liturgische  Gewandung,  wie  sie  zu  Rom  in  Gebrauch  war,  endgültig  eingebürgert. 
Was  Hraban,  Amalar,  Pseudo-Alkuin,  Walafried  und  die  fränkischen  Inventare 
des  9.  Jahrhunderts  an  liturgischen  Gewändern  aufzählen,  ist  durchaus  die  Sa- 
kralkleidung des  römischen  Ritus.  Daß  diese  in  Italien  gebräuchlich  war, 
braucht  kaum  ausdrücklich  bemerkt  zu  werden.  Selbst  im  Süden,  wo  sich 
griechischer  Einfluß  geltend  machte,  und  zu  Mailand  waren  die  Abweichungen 
unbedeutend.  Fraglich  ist,  wie  es  im  9.  Jahrhundert  in  Irland  stand.  Wir 
haben  darüber  für  diese  Zeit  keine  Nachrichten.  Erst  um  1100  erfahren  wir 
Näheres  über  die  daselbst  übliche  gottesdienstliche  Kleidung.  Damals  war 
in  Bezug  auf  diese  in   Irland  römische  Sitte  maßgebend. 

Natürlich  haben  wir  die  Aufnahme  römischen  Brauches  nicht  dahin 
aufzufassen,  als  ob  die  römische  Sakralkleidung  bis  in  ihre  kleinsten  Einzel- 
heiten kopiert  worden  wäre.  Für  die  damalige  Zeit  mit  ihrer  Weitherzig- 
keit und  ihrer  Freiheit  in  liturgischen  Dingen  wäre  das  ein  Ding  der  Un- 
möglichkeit gewesen.  Es  waren  aber  nur  nebensächliche  Punkte,  in  denen 
man  von  Rom  abwich.  Insbesondere  war^die  Kleidung  der  Minoristen  ein- 
facher als  zu  Rom ;  das  Orarium  scheint  außerhalb  Roms  bei  denselben 
nie  gebräuchlich  gewesen  zu  sein,  die  Mappula  nur  bei  den  Subdiakonen. 
Die  Bischöfe  bedienten  sich  nach  dem  Vorbild  der  römischen  Hebdomadar- 
bischöfe  wohl  meist  nur  einer  Obertunika,  also  nicht  zugleich  der  Dalmatik 
und  Tunika,  die  Diakone  zu  Mailand  und  in  Süditalien  aber  behielten  die  Ge- 
pflogenheit bei,  die  Stola  über  der  Dalmatik  zu  tragen.  Volle  Überein- 
stimmung bestand  in  Bezug  auf  die  priesterliche  Kleidung,  höchstens  daß 
in  Bezug  auf  den  Gebrauch  des  Amikts  zwar  nicht  in  der  Theorie,  so  doch 
in  der  Praxis  einiges  Schwanken  herrschte.  Abweichungen  hinsichtlich  der 
Form  und  Beschaffenheit  der  Paramente  machen  sich  im  9.  Jahrhundert  nur 
wenige  bemerklich.  Am  deutlichsten  treten  solche  bei  der  Dalmatik  auf,  und 
zwar  sowohl  hinsichtlich  der  Länge  als  der  Verzierung  derselben.  Außer- 
halb Roms,  und  zwar  im  Norden,  war  es  auch  wohl,  wo  die  Mappula  sich 
am  frühesten  zum  bloßen  Zierstreifen  umbildete. 

Die  Entwicklung,  welche  die  liturgische  Kleidung  seit  dem  9.  Jahr- 
hundert nahm,  äußerte  sich  namentlich  nach  zwei  Richtungen  hin,  erstens  in 
der  Modifizierung  der  Verwendung  einzelner  Gewandstücke  im  Sinne  des  heute 
bestehenden  Brauches  und  dann  in  der  Erweiterung  der  Sakraltracht  durch 
Einführung  neuer  Bestandteile. 

Die  Kasel,  die  Stola  und  die  Mappula  kamen  bei  den  Akolythen,  die 
Kasel  und  Stola  bei  den  Subdiakonen  allenthalben  in  Abgang;  die  Kasel 
wurde  spezifisches  Meßgewand,  der  Manipel  Insignie  der  Subdiakone  und 
mit  der  Tuniceila  die  eigentlich  subdiakonale  Gewandung. 

Gewänder,  die  neu  in  Gebrauch  kamen,  waren  die  Cappa  und  das 
Superpelliceum.  Insbesondere  aber  erfuhr  die  pontifikale  Kleidung  durch  Auf- 
nahme neuer  Stücke  eine  weitere  Ausgestaltung.     Schon  um  die  Wende  des 


780  Schlußabschnitt. 

9.  Jahrhunderts  begegnen  uns  die  Pontifikalhandschuhe,  die  wir  dann  bald  all- 
gemein in  Gebrauch  gewahren.  Das  10.  Jahrhundert  sieht  die  liturgische  Mitra 
entstehen.  In  Süditalien  schon  im  ersten  Viertel  des  11.  Jahrhunderts  beim 
Erzbischof  von  Bari  Verwendung  findend,  wird  sie  1049  auch  in  Deutsch- 
land und  dann  rasch  überall  heimisch.  Ferner  kommen  im  10.  Jahr- 
hundert das  bischöfliche  Subcinctorium  und  das  Rationale  auf,  welch  letzteres 
allerdings  fast  ausschließlich  auf  deutschen  Boden  beschränkt  bleibt.  Zur 
gleichen  Zeit  wird  die  liturgische  Fußbekleidung,  die  vordem,  wenngleich 
mit  gewissen  Modifikationen ,  bei  allen  Weihestufen  des  römischen  Klerus 
Verwendung  fand,  eine  spezifische  Eigentümlichkeit  und  ein  Privileg  der 
Kardinäle  und  Bischöfe.    Auch  die  Anfänge  des  Biretts  fallen  in  diese  Periode. 

Die  Veränderungen,  welche  in  Bezug  auf  die  Form  der  liturgischen  Ge- 
wänder vor  sich  geht,  sind  noch  unbedeutend.  Bei  der  Tunicella  und 
der  Dalmatik  machen  sich  auch  weiterhin  auf  Verkürzung  derselben  hinaus- 
gehende Tendenzen  geltend.  Die  Pontifikalsandalen  bilden  sich  gegen  Ende 
der  Periode  zu  einem  Schuh  um.  Die  Mitra,  ursprünglich  eine  konische 
Mütze,  erhält  nach  mehrfachem  Schwanken  im  wesentlichen  ihre  endgültige 
Form.  Die  Mappula  verkümmert  allgemein  und  für  immer  zum  Zierstreifen. 
Stola  und  Manipel  werden  überschmale  Bänder,  die  an  den  Enden  gern  mit 
trapezartigen  Ansätzen  abschließen.  An  Amikt  und  Albe  bürgern  sich  im 
Laufe  des  12.  Jahrhunderts  die  Paruren  ein.  Als  letzte  Frucht  aber  schafft 
dasselbe  Jahrhundert  den  liturgischen  Farbenkanon.  Besonderer  Wert  —  größerer 
wohl  als  je  zuvor  --  wird  auf  die  reiche  Beschaffenheit  und  kostbare 
Ausstattung  der  liturgischen  Gewänder  gelegt.  Man  betrachte  nur  die  Bild- 
werke, auf  denen  diese  bis  zur  Karolingerzeit,  ja  selbst  noch  bis  zur  Wende 
des  Jahrtausends  eine  auffallende  Schlichtheit  zur  Schau  tragen.  Sie  spiegeln 
seit  dem  11.  Jahrhundert  allenthalben  deutlich  die  der  sakralen  Kleidung  in- 
zwischen zu  teil  gewordene  gesteigerte  Prachtentfaltung  wider. 

Zwei  Punkte  sind  für  die  Geschichte  der  Ausbildung  der  liturgischen 
Kleidung  in  der  Zeit  vom  9.  bis  13.  Jahrhundert  charakteristisch.  Erstens  ist 
es  nicht  Rom  allein,  welches  die  neuen  Gewänder  schafft  und  gibt. 
Die  Pontifikalhandschuhe,  die  Cappa,  das  Supperpelliceum  und  wohl  auch  das 
Subcinctorium  sind  nicht  römischen  Ursprungs.  Sie  kamen  von  auswärts 
nach  Rom.  Auch  der  liturgische  Farbenkanon  ist  nichts  spezifisch  Römisches. 
Wie  früher  gesagt  wurde,  lag  er  in  der  Zeit  und  trat  darum  auch  gleichzeitig 
zu  Rom  und  außerhalb  Roms  ins  Dasein ;  am  wenigsten  römisch  ist  das  Ratio- 
nale. Nur  die  Mitra  ist  eigentlich  römischer  Herkunft  und  von  Rom  aus 
in  das  übrige  Abendland  importiert  worden.  Ähnlich  wie  mit  den  genannten 
neuen  Ornatstücken  verhielt  es  sich  mit  den  Namen  der  liturgischen  Ge- 
wänder. Die  alten  römischen  Bezeichnungen  kamen  zum  größten  Teil  außer 
Gebrauch  und  machten  andern  Platz,  die  von  außen  nach  Rom  gebracht 
worden  waren.  Die  Beziehungen  des  übrigen  Abendlandes  zu  Rom  als  dem 
Mittelpunkte  der  Kirche  waren  innigere,  der  Verkehr  zwischen  beiden  ein 
ungleich  lebendigerer  geworden.  Rom  gab,  aber  es  wußte  auch  das  Gute 
zu  schätzen,  was  es  anderswo  fand ;  zugleich  war  es  weitherzig  genug,  solches 
Gute  in  seinen  eigenen  Brauch  aufzunehmen. 

Zweitens  muß  auffallen,  daß  es  gerade  die  Pontifikalgewandung  ist, 
welche  in  dieser  Periode  sich  im  besondern  Maß  ausgestaltete.  Ohne  Zweifel 
hängt  das  mit  dem  mächtigen  Wachstum  zusammen,  welches  das  äußere  An- 
sehen der  Bischöfe  seit  der  Karolingerzeit  erfahren  hatte.    Allerdings  hatten 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  C4esamtentwicklung.  7g  1 

diese  nicht  überall  die  hohe,  selbst  in  weltlichen  Beziehungen  so  einfluß- 
reiche Stellung  erlangt,  welche  ihnen  auf  deutschem  Boden  zu  teil  ge- 
worden war;  doch  war  auch  anderswo  ihre  Bedeutung  nach  außen  um  ein 
Vieles  gewachsen.  Begreiflich  also,  daß  gerade  die  Pontifikalkleidung  eine 
besondere  Ausbildung  erfuhr. 

Es  ist  gesagt  worden i,  daß  diese  Erweiterung  der  pontifikalen  Tracht 
unter  dem  Einfluß  der  alten  Liturgiker  erfolgt  sei.  Wir  können  diese  An- 
sicht nicht  teilen.  Denn  die  Liturgiker  der  Karolingerzeit  wissen  noch  gar 
nichts  von  den  neuen  bischöflichen  Gewandstücken;  auch  findet  sich  bei 
ihnen  nicht  die  geringste  Tendenz  auf  Erweiterung  der  Pontifikaltracht.  Die 
Liturgiker  des  ausgehenden  11.  und  12.  Jahrhunderts  aber  sahen  schon  die 
neuen  Bestandteile  der  bischöflichen  liturgischen  Kleidung  allesamt  fertig  vor 
sich.  Wie  unter  solchen  Umständen  die  Liturgiker  auf  die  Ausgestaltung  der 
Pontifikaltracht  eine  Einwirkung  ausgeübt  haben,  ist  sonach  schwer  ver- 
ständlich. 

Als  Amalar  seine  Schrift  De  officiis  ecclesiasticis  schrieb,  zählten  zur 
liturgischen  Gewandung  folgende  Stücke:  Amikt,  Albe,  Cingulum,  Manipel, 
Stola,  Tunika,  Dalmatik,  Kasel,  Pontifikalschuhe  samt  Pontifikalstrümpfen 
und  Pallium.  Es  waren  ihrer  im  ganzen  elf.  Am  Ende  der  Periode,  d.  i. 
um  1200,  gehörten  außerdem  noch  zu  ihr  Cappa,  Superpelliceum ,  Hand- 
schuhe, Subcinctorium,  Mitra  und  Kationale,  vom  päpstlichen  Fano  oder  Orale, 
damals  noch  lediglich  Amikt,  ganz  abgesehen.  Es  waren  also  neu  hinzu- 
gekommen nicht  weniger  denn  sechs  Gewänder.  Damit  hatte  dann  freilich 
die  Ausbildung  ihren  naturgemäßen  Abschluß  erreicht.  Es  wäre  in  der  Tat 
auch  schon  schwer  geworden,  ein  weiteres  Gewand  zu  ersinnen. 

Was  die  Riten  des  Ostens  anlangt,  so  läßt  sich  nur  im  griechi- 
schen Ritus  für  die  Zeit  vom  9.  bis  13.  Jahrhundert  die  Entwicklung  der  Ge- 
wandung einigermaßen  verfolgen.  Sie  betrifft  lediglich  die  Pontifikalkleidung, 
welche  um  die  Epimanikien  und,  falls  solches  nicht  schon  vor  dem  9.  Jahr- 
hundert geschehen  sein  sollte,  jedenfalls  noch  vor  1000  um  das  Enchirion 
bereichert  wird.  Außerdem  kommt  bei  den  Patriarchen  im  Laufe  des 
11.  Jahrhunderts  der  allem  Anschein  nach  der  byzantinischen  Hoftracht,  ge- 
nauer der  kaiserlichen  Gewandkammer,  entlehnte  Sakkos  in  Gebrauch.  Eine 
formelle  Veränderung  läßt  sich  in  der  hier  in  Frage  stehenden  Periode  nur 
beim  Enchirion  feststellen.  Sie  hatte  frühestens  im  Verlauf  des  12.  Jahr- 
hunderts statt.  Das  Enchirion  wurde  dabei  aus  einem  Tuche  ein  rauten- 
förmiges, gesteiftes  Zierstück. 

V.   DIE  LITURGISCHE  GEWANDUNG  IM  SPÄTEN  MITTELALTER  UND 

IN  DER  NEUZEIT. 

Seit  Beginn  des  13.  Jahrhunderts  erscheint  die  Ausbildung  der 
liturgischen  Gewandung,  was  Zahl  und  Charakter  ihrer  einzelnen  Bestandteile 
anlangt,  abgeschlossen.  Kein  weiteres  Gewand  kam  in  der  Folge  zu  dem 
Kanon  der  Sakralkleidung,  wie  er  zu  Innozenz'  III.  Zeit  bestand,  hinzu,  eben- 
sowenig aber  schied  irgend  eines  der  verschiedenen  Ornatstücke  völlig  aus 
dem  Gebrauch  aus.  Denn  wenn  auch  der  päpstliche  Fano  dadurch,  daß 
der  Papst  zu  ihm  hinzu  den  gewöhnlichen  Amikt  annahm ,  seine  praktische 
Bedeutung  verlor  und  zum  bloßen  Zierstück  wurde,  so  fand  er  doch  nach  wie 


1  Realenc.  II  184. 


1 82  Sclilufiabschnitt. 

vor  Verwendung;  und  wenn  das  Subcinctorium  bei  den  Bischöfen  in  Abgang 
kam,  so  blieb  es  doch  bis  auf  die  Gegenwart  ein  Bestandteil  der  päpstlichen 
Pontifikaltracht.  Selbst  das  Rationale  erhielt  sich,  obschon  es  nie  eine  Aveite 
Verbreitung  gefunden  hatte,  vereinzelt  bis  auf  unsere  Tage. 

Auch  bezüglich  der  Verwendung  der  liturgischen  Gewänder  brachte  das 
späte  Mittelalter  und  die  Neuzeit  keine  andere  bemerkenswerte  Veränderung, 
als  daß  seit  dem  13.  Jahrhundert  das  Superpelliceum  immer  mehr  an  Stelle 
der  Albe  in  Gebrauch  kam  und  namentlich  an  deren  Statt  das  liturgische 
Kleid  der  niedern  Kleriker  wurde. 

Die  Geschichte  der  Sakralkleidung  geht  demnach  seit  dem  13.  Jahr- 
hundert fast  ganz  auf  in  der  Geschichte  ihrer  formellen  Umbildung, 
ihrer  stofflichen  Beschaffenheit  und  ihrer  Ausstattung.  Es 
würde  selbstverständlich  zu  weit  führen ,  hier  auf  einzelnes  näher  einzu- 
gehen; es  muß  und  kann  ja  auch  auf  das,  was  darüber  bei  Besprechung  der 
verschiedenen  Gewänder  gesagt  wurde,  verwiesen  werden.  Wir  beschränken 
uns  daher  an  dieser  Stelle  auf  einige  allgemeine  Gedanken. 

Für  die  formelle  Umbildung  im  späten  Mittelalter,  namentlich  aber  seit 
dem  16.  Jahrhundert,  ist  bezeichnend  die  allgemeine  und  rapid  zunehmende  Ten- 
denz, die  Gewänder  immer  mehr  zu  verkürzen.  Verkürzungen  kamen  freilich 
bei  einzelnen  derselben  auch  schon  früher  vor,  sie  blieben  aber  recht  bescheiden 
und  waren  keineswegs  grundsätzlicher  Art,  während  das  Zustutzen  in  der 
letzten  Periode  der  Geschichte  der  Sakralkleidung  Prinzip,  Grundton  der  Ent- 
wicklung ist.  Manipel.  Stola  und  Pallium,  Tuniceila,  Dalmatik  und  Super- 
pelliceum, die  Kasel  und  selbst  die  Albe  mußten  es  an  sich  erfahren.  Am 
übelsten  wurde  der  Kasel  mitgespielt,  die  aus  dem  weiten,  glockenförmigen 
Mantel,  den  sie  noch  um  1200  darstellte,  zuletzt  zu  einer  Art  von  Skapulier 
wurde.  Unberührt  blieben,  wenn  wir  von  Amikt,  Cingulum  und  Subcinctorium, 
den  Pontifikalhandschuhen  und  der  pontinkalen  Fußbekleidung  absehen,  Ge- 
wandstücke, bei  denen  es  nichts  zu  verkürzen  gab,  nur  das  Pluviale  und 
die  Mitra.  Ja  es  machte  sich  bei  diesen  sogar  eigentümlicherweise  ein  gegen- 
teiliges Bestreben  geltend.  Beim  Pluviale  wurde  der  Schild  allmählich  so 
sehr  vergrößert,  daß  zwischen  ihm  und  dem  Gewände  jedes  entsprechende 
Verhältnis  schwand.  Die  Mitra  aber  ließ  man  zu  einer  solchen  Höhe  und 
Breite  anwachsen ,  daß  sie  zum  förmlichen ,  jedes  Maßes  entbehrenden  Turm 
wurde.  Alles  in  allem  war  es  keine  weitere  Ausgestaltung  der  liturgischen 
Gewänder,  was  mit  diesen  seit  dem  13.  Jahrhundert  in  formeller  Hinsicht 
vor  sich  ging,  sondern  eine  beklagenswerte  Verbildung  derselben. 

Ungleich  erfreulicher  ist  das  Bild ,  welches  die  Sakralgewandung  seit 
dem  13.  Jahrhundert  nach  ihrer  stofflichen  Beschaffenheit  und 
nach  ihrer  Ausstattung  bietet;  weniger  freilich  in  der  Neuzeit  als  im 
späten  Mittelalter.  Allerdings  hatte  es  schon  vorher  manchen  kostbaren  Ornat 
gegeben :  den  Beweis  liefern  die  Inventare  sowohl  wie  die  noch  vorhandenen 
Gewandstücke  aus  der  Frühe  des  Jahrtausends.  Allein  was  die  Menge  der 
prächtigsten  Gewänder,  die  Qualität  der  zu  ihnen  verwendeten  Stoffe  und  ihre 
reiche  Ornamentierung  mittels  Perlen,  Edelsteinen,  Plättchen  aus  edeln  Me- 
tallen und  Emails,  namentlich  aber  mittels  großartiger,  kunstvollster  Stickereien 
anlangt,  hält  die  Zeit  vor  dem  13.  Jahrhundert  mit  dem  späten  Mittelalter 
im  ganzen  genommen  keinen  Vergleich  aus.  Freilich  war  alles  in  diesem 
der  Pflege  der  Paramentik  ungleich  günstiger  als  je  zuvor.  Die  mächtig 
aufgeblühten  und  alle  Schichten  interessierenden  Kunstbestrebungen ;    der  ge- 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung. 


783 


steigerte  religiöse  Sinn,  der  überall  heilige  Bilder  zu  sehen  liebte,  um  sieh 
an  ihnen  zu  erbauen;  die  staunenswerte  Opferfreudigkeit  des  späten  Mittel- 
alters, wo  es  galt,  die  Ehre  Gottes  zu  fördern  und  die  Zierde  seines  Hauses  zu 
mehren,  in  Verbindung  mit  dem  um  ein  bedeutendes  gestiegenen  allgemeinen 
Wohlstand  und  der  in  weiten  Kreisen  beimisch  gewordenen  Bildung  und 
Lebensverfeinerung;  das  rasche  frische  Aufblühen  der  Seidenindustrie  in 
Mittel-  und  Norditalien  und  dann  auch  diesseits  der  Alpen  in  Flandern  und 
Frankreich;  die  dadurch  ermöglichte  Leichtigkeit  in  Beschaffung  glänzender 
Paramentenstoffe;  die  nach  Technik  und  künstlerischer  Durchbildung  aufs  höchste 
vervollkommnete  Stickkunst  und  manche  andere  Faktoren  wirkten  zusammen, 
um  das  späte  Mittelalter  zum  goldenen  Zeitalter  der  stofflichen  Beschaffen- 
heit und  der  Verzierung  der  Paramente  zu  machen. 

Das  16.  und  17.  Jahrhundert  folgte,  was  Material  und  Ausstattung 
der  liturgischen  Gewänder  anlangt,  im  ganzen  noch  mehr  oder  minder  den 
spätmittelalterlichen  Traditionen ;  doch  begann  bereits  im  Lauf  des  17.  auch 
in  Bezug  auf  jene  der  traurige  Verfall,  welcher  hinsichtlich  der  Form  schon 
eine  gute  Weile  früher  eingesetzt  hatte.  Er  nahm  rasch  zu  und  erreichte 
zur  Zeit  einer  nüchternen  Aufklärung  in  den  Ornaten  aus  Leder  und  Stroh, 
aus  Sopha-  und  Kleiderzeugen  seinen  tiefsten  Stand.  So  verblieb  es,  bis  im 
zweiten  Viertel  des  19.  Jahrhunderts  das  neu  aufblühende  kirchliche  Leben 
und  mächtig  erwachte  religiöse  Bewußtsein  eine  glückliche  Reform  der  litur- 
gischen Gewandung,  wenn  auch  vornehmlich  nur  nach  Stoff  und  Ornamen- 
tierung, herbeiführten. 

In  Bezug  auf  die  liturgische  Kleidung  im  griechischen  Ritus  — von 
den  übrigen  orientalischen  Riten  müssen  wir  auch  hier  wieder  absehen  - 
hatte  in  der  Zeit  von  1200  bis  in  die  Gegenwart  eine  eigentliche  Ent- 
wicklung nicht  statt.  Die  Monumente  des  13.,  des  15.,  des  17.,  ja  des 
19.  Jahrhunderts  gewähren  dasselbe  Bild  der  Sakraltracht  bei  den  verschiedenen 
Weihestufen  wie  die  des  1 1 .  Das  einzige  Ornatstück,  welches  zu  den  bereits 
vorhandenen  hinzukommt,  ist  die  im  Lauf  des  15.  oder  16.  Jahrhunderts  ein- 
geführte bischöfliche  Mitra. 

Was  die  Verwendung  der  Gewänder  anlangt,  blieb  es  im  wesentlichen 
beim  alten.  Denn  es  kann  wohl  kaum  eine  bedeutende  Veränderung  genannt 
werden,  wenn  der  Sakkos  auch  bei  den  Metropoliten  und  in  einzelnen  Zweigen 
des  griechischen  Ritus  selbst  bei  den  Bischöfen  sich  einbürgerte,  wenn  das 
Epigonation  allmählich  niedern  Prälaten  als  Auszeichnung  verliehen  wurde 
und  die  Epimanikien  bei  den  Priestern,  ja  bei  den  Diakonen  in  Gebrauch  kamen. 
Der  Mangel  an  Leben  und  Entwicklung,  der  im  Osten  seit  einem  Jahrtausend 
für  die  Riten  als  solche  charakteristisch  ist,  offenbart  sich  daselbst  auch  in 
Bezug  auf  die  liturgische  Gewandung'. 

Man  kann  an  das  Studium  der  liturgischen  Gewänder  unter  mancherlei 
Gesichtspunkten  herantreten.    Von  welchem  Standpunkte  man  sich  aber  auch 


1  Wir  fügen  einen  kleinen  Nachtrag  an. 
S.  6  wird  der  10.  Ordo  Mabillons  als  dem 
11. — 12.  Jahrhundert  angehörend  bezeichnet; 
genauer  wird  man  ihn  wohl  der  zweiten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts  zuschreiben.  Übrigens 
ist  der  Ordo  für  die  Geschichte  der  liturgi- 
schen Gewandung  von  wenig  Bedeutung.  Der 
koptische  Patriarch  Gabriel  ferner,  der  S.  51 


und  99  als  Gewährsmann  angeführt  wird, 
hatte  den  Patriarchalstuhl  von  Alexandrien 
1409 — 1427  inne.  Sein  Rituale  stammt  aus 
dem  Jahre  1411  (Renaudot,  Liturg.  Orient, 
coli.  I  158).  S.  51,  Zeile  1  von  unten  und 
S.  99,  Zeile  11  von  oben  muß  es  daher 
15.  Jahrh.  heißen,  nicht,  wie  infolge  eines 
Versehens,   12.  Jahrh. 


784  Schlufiabschnit.t. 

mit  ihnen  beschäftigen  mag,  immer  bieten  sie  eine  reiche  Fülle  des  Wissens- 
werten und  Interessanten.  Die  Sakralkleidung  ist  das  Produkt  jenes  Lebens, 
das  den  mystischen  Leib  Christi  durchzieht  und  ihn  so  wunderbar  fruchtbar 
und  schöpferisch  macht.  Wie  aus  diesem  Quell  Dogma  und  Moral  ihre  herr- 
liche Entfaltung  schöpften,  und  wie  diesem  Leben  je  nach  den  Zeiten  und 
Verhältnissen  die  äußeren  Formen  des  Gottesdienstes  und  eine  reichste  Fülle  der 
bedeutungsvollsten  und  erbaulichsten  Zeremonien  entsprossen,  so  hat  auch  unter 
dem  Einfluß  derselben  treibenden  Kraft  die  gottesdienstliche  Kleidung  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  ihr  Dasein  und  ihre  bestimmte  Gestalt  erhalten.  Die  heiligen 
Gewänder  sind  weder  das  Ergebnis  des  Zufalls  noch  die  Frucht  der  Willkür  oder 
spielender  Phantasie.  Sie  sind  das  Werk  der  Kirche,  der  Verwalterin  der  heiligen 
Geheimnisse,  welche  sie  kraft  der  ihr  von  Christus  verliehenen  Gewalt  und 
in  treuer  Sorge  für  die  Zierde  des  Gotteshauses  und  des  Kultes  in  langsamer, 
aber  stetiger  Entwicklung  aus  der  Festagskleidung  der  alten  griechisch- 
römischen Welt  sich  herausbilden  ließ.  Die  Kirche  ist  es,  unter  deren  wachen- 
den Augen  die  heiligen  Gewänder  nach  und  nach  ihre  eigenartige  Gestalt 
gewannen.  Sie  ist  es,  die  wie  im  großen,  so  im  kleinen  die  Verwendung  der 
Sakralgewandung  bei  den  verschiedenen  Funktionen  unter  Berücksichtigung 
der  örtlichen  und  zeitlichen  Bedürfnisse  wie  des  religiösen  Dekors  zu  allen 
Zeiten  sorgsam  regelte  und  noch  immer  regelt.  Ebendarum  aber  spiegelt  sich 
ganz  naturgemäß  in  der  Geschichte  der  liturgischen  Kleidung  das  Leben  der 
Kirche  in  den  verschiedenen  Zeiten  in  aller  Deutlichkeit  wider.  Jugendzeit 
und  Mannesalter  der  Kirche,  Flut  und  Ebbe,  welche  das  Leben  und  Wirken 
der  Kirche  im  Laufe  der  Jahrhunderte  infolge  der  mannigfaltigsten  inneren 
und  äußeren  Einflüsse  erfuhren,  haben  ihre  Spuren  auch  der  Kultkleidung 
aufgedrückt. 

Allerdings  darfauch  der  Einfluß  außerkirchlicher  Faktoren  in  dem  Entwick- 
lungsprozeß der  liturgischen  Gewandung  keineswegs  verkannt  werden.  ZAvischen 
der  Kirche,  die  für  die  Menschen  da  ist  und  aus  Menschen  besteht,  und  der 
Welt,  in  deren  Strom  sie  sich  bewegt  und  wirkt,  gibt  es  ja  mancherlei  Be- 
rührungspunkte und  wechselseitige  Beziehungen.  Die  Geschichte  der  einzelnen 
Gewänder  bietet  in  der  Tat  mehr  als  einen  Beleg  für  die  Einwirkung,  welche 
die  äußeren  Verhältnisse  auf  Ausgestaltung  der  liturgischen  Tracht  nach  Form, 
Stoff  und  Verzierung  ausübten.  Allein  welcher  Art  dieselbe  auch  war  und 
in  welchem  Maße  sie  sich  geltend  machte,  immer  bleibt  dabei  wahr,  daß  wie 
die  Zeremonien,  welche  die  gottesdienstlichen  Verrichtungen  als  ebensoviele 
Variationen  ihres  einen  großen  Grundgedankens  umspielen,  so  in  gleicher 
Weise  die  Gewandung  der  Diener  des  Heiligtums  zuletzt  das  eigenste  Werk 
der  Braut  Christi  auf  Erden  ist.  Wenn  aber  die  Kirche  jenen  eine  besondere 
Kleidung  gab,  wenn  sie  diese  Kleidung  durch  ihren  Segen  heiligte,  wenn  sie 
wollte,  daß  die  Sakralgewandung  rein  und  geziemend  ausgeschmückt  sei,  so 
geschah  alles  das  in  der  Absicht,  die  Liturgen  am  Altare  auch  in  ihrem 
Äußern  über  die  Sphäre  des  alltäglichen,  gewöhnlichen  Lebens  zu  erheben  und  mit 
einem  Glänze  auszustatten,  welcher  den  inneren  Wert  der  göttlichen  Geheim- 
nisse, ihre  Würde  und  Erhabenheit  zwar  nimmer  voll  zum  Ausdruck  zu  bringen 
vermag,  aber  immerhin  einigermaßen  sinnfällig  in  die  Erscheinung  treten  läßt. 

Schließen  wir  mit  den  begeisterten  Worten,  in  denen  Jesus  Ben  Sirach 
(Kap.  50,  Vers  8  — 11)  den  Hohenpriester  Simon,  des  Onias  Sohn,  im  Glanz 
seiner  pontifikalen  Kleidung  schildert,  „Wie  der  Regenbogen  glänzet  zwischen 
herrlichen   Wolken",    so   sagt   er,    „wie   blühende    Rosen   in    den    Tagen    des 


Die  liturgische  Gewandung  in  ihrer  Gesamtentwicklung. 


785 


Frühlings,  wie  Lilien  an  Wasserbächen,  wie  duftende  Weihrauchstauden  in 
den  Tagen  des  Sommers,  wie  leuchtendes  Feuer  und  im  Feuer  entzündeter 
Weihrauch,  wie  ein  Gefäß  von  gediegenem  Gold  mit  allerlei  kostbaren  Steinen 
geziert,  wie  ein  fruchtbarer  Ölbaum,  wie  eine  in  die  Höhe  aufsteigende 
Cypresse,  so  war  er,  wenn  er  das  Ehrenkleid  anzog  und  mit  allem  Schmuck 
bekleidet  war." 

Es  muß  in  der  Tat  ein  herrlicher  Anblick  gewesen  sein,  wenn  der  Hobe- 
priester, umgeben  von  einer  Schar  weiß  gekleideter  Priester  und  Leviten,  in 
der  von  Moses  auf  Geheiß  des  Herrn  angeordneten  Prachtgewandung  ins 
Heilige  einzog,  um  dort  am  Opferaltar  als  Mittler  zwischen  Gott  und  dem 
Volke  der  Auserwählung  seines  erhabenen  Amtes  zu  walten,  bekleidet  mit  der 
bis  auf  die  Füße  herabwallenden,  weißglänzenden,  mit  buntfarbigem  Gürtel 
geschürzten  Kethonet,  darüber  die  blaupurpurne,  am  Saum  mit  purpurnen  und 
scharlachnen  Granatäpfeln  und  goldenen  Schellchen  besetzte  Obertunika,  auf 
dem  Oberkörper  den  vierfarbigen,  mit  Gold  reich  durchwirkten  Ephod,  auf 
jeder  Schulter  in  goldener  Fassung  einen  kostbaren  Edelstein  mit  den  Namen 
von  sechs  Söhnen  Israels,  vor  der  Brust  das  goldstrahlende  Rationale  mit 
seinen  zwölf  Edelsteinen  und  seinen  Ketten  aus  lauterem  Golde,  auf  dem  Haupte 
endlich  die  weißglänzende  Mitra  mit  der  goldenen  Stirnplatte.  Und  doch,  ob 
nicht  der  gottbegeisterte  Erguß  des  Sohnes  Sirachs  in  ungleich  höherem  Maße 
und  mit  weit  größerem  Recht  von  dem  christlichen  Hohenpriester,  dem  Bischöfe, 
gilt,  wenn  dieser  inmitten  seines  Klerus,  alle  geschmückt  mit  auserlesener 
heiliger  Kleidung,  er  selbst  sogar  an  Hand  und  Fuß  strahlend,  zur  Opferstätte 
des  Neuen  Bundes  schreitet,  um  dort  gemäß  des  Erlösers  letztem  Willen  das 
Gedächtnis  an  die  wunderbare  Opfertat  auf  Golgatha  feierlich  zu  begehen  und 
dabei  zugleich  als  Stellvertreter  Christi  und  im  Namen  der  Kirche  statt  der 
Vorbilder  und  der  Schatten  von  einst,  die  erhabenste  Wirklichkeit,  das  Lamm, 
das  am  Kreuz  sein  Leben  zum  Heil  der  Welt  hingab,  auf  geheimnisvolle,  un- 
blutige Weise  dem  Allerhöchsten  von  neuem  für  das  ganze  gläubige  Volk  dar- 
zubringen als  würdigstes  Lob-,  heiligstes  Dank-,  gnadenvollstes  Bitt-  und 
kräftigstes  Sühnopfer  ? 


Braun,  Die  liturgische  Gewandung. 


50 


I.  VERZEICHNIS 
DER  BESPROCHENEN  ALTEN  GEWÄNDER 


Aachen  (Münster) :  Hand- 
schuhe 362  ;  Kasel  220 ;  Ma- 
nipel  542 ;  Pluvialschüeßen 
324;  Stola  599. 

Admont:  Mitra  481. 

Altenburg  (Tirol):  Kasel  188. 

Ambazac :  Dalmatik  269. 

Amiens  (Stadtbiblioth.) :  Hand- 
schuh 370;  Mitra  479. 

Anagni  (Kathedrale):  Dalma- 
tiken 271  272;  Kasel  225: 
Manipel  541 ;  Mitren  467 
468;Pluviale272  34l;  Stola 
598;  Tunicella  272. 

Andechs:  Cingulum  110;  Ma- 
nipel 540;  Stola  599. 

Arles(St-Trophime) :  Cingulum 
103  105;  Stola  572  591; 
Pallien  643. 

Arlon  (St-Donat):  Kasel  179; 
Manipel  539;  Stola  592. 

Arras  (Kath.):  Rochett  132. 

Aschafl'enburg  (Schloßkirche) : 
Kasel  178211;  (Stiftskirche) : 
Stola  572  591  597. 

Ascoli  (Kath):    Pluviale   339. 

Assisi  (S.  Chiara) :  Albe  77 
82  87. 

Augsburg  (Dommuseum)  :  Cin- 
gulum 110  111;  Kasein  178 
211;  (St  Ulrich) :  Dalmatik 
269;  Kasel  178. 

Avignon  (St-Pierre)  :  Dalmatik 
280. 

Bagnoreo  (Collegio  delle  Mis- 
sioni) :  Mitra  476. 

Bamberg  (Dom)  :  Kasein  178 
185  225  227  228:  Mantel 
230;  Mitra  468;  Rationale 
680  688;  (St  Michael) :  Kasel 
468;  Mitra  468. 

Barcelona  (Kath.) :  Mitra  468. 


Bayeux  (Kath.) :  Kasel  174  211; 
Manipel  539:  Stola  598. 

Beauvais  ( Museum ) :  Mitra467 ; 
(Privatbesitz):  Dalmatik  277. 

Berlin  (k.  Kunstgewerbe-Mu- 
seum) :  Albenparura  87 ;  Dal- 
matik 276  282 ;  Kasein  207  : 
Kaselkreuze  218  221;  Ma- 
nipel 539;  Mitren  481;  Plu- 
vialschließe  326 ;  Sandalen 
414. 

Bern  (Hist.  Museum) :  Dal- 
matiken  275  277  279  280: 
Kasein  187;  Pluviale  333; 
Stola  599;  Tunicellen  290  293. 

Besancon  (Kath.):  Kasel  193; 
Mitra  478. 

Billerbeck:  Kasel  207. 

Bi  ville:  Kasel  180 187;  Stola598. 

Bologna  (Dom):  Mitren  438 
476;  (Museo  civico):  Plu- 
viale 344. 

Brandenburg  (Dom) :  Albe  77 
87  :  Dalmatiken  275  277  280  ; 
Kasein  188  ;  Tunicellen  290. 

Braunschweig  (Herz.Museum): 
Dalmatik  270;  Kasein  188; 
Mantel  225. 

Brauweiler:  Kasel  178  211. 

Briennon :  Kasel  187. 

Brignoles  ( Var.):  Dalmatik  277 ; 
Handschuhe  369  ;  Mitra  479. 

Brixen  (Dom) :  Handschuhe  370 
375  376 :  Kasein  1 74 :  Mitren 
468  480;  Sandalen  412. 

Brüssel  (Must5eCinquant.) :  Plu- 
vialbesatz  334;  Sandalen  403. 

CJahors  (Kath.) :  Handschuh- 
plättchen  375. 

Capua  (Dom):  Mitra  43S  468. 

Castel  S.  Elia:  Alben  75  ;  Dal- 
matiken   (Tunicellen)    276  : 


Kasein  180  188  193  f  216: 
Mitren   468;    Sandalen  402. 

Chälons-sur- Marne  (Kath.) : 
Sandale  403;  Mitra  479. 

Chelles:  Sandalen  403. 

Cividale  (Dom) :  Mitra  438  476. 

Comminges  (St-Bertrand):  Albe 
77 ;  Handschuhe  370  376  : 
Mitra  467;  Pluviale  342: 
Sandalen  412. 

Conflens :  Handschuhe  370. 

Courtrai(St-Michel):  Kasel  179. 

Danzig  (St  Marien) :  Alben 
76  82  87  ;  Albenparuren  87  ; 
Amikt  36 ;  Amiktparuren  38  ; 
Cingula  108  112;  Dalmatiken 
270  275  ;  Dalmatikfliigel  277 
278;  Kasein  188  215  216: 
Manipel  541  ;  Pluvialien  333: 
Stolen592599;Tunicellen293. 

Darmstadt  (Museum):  Pluvial- 
schließe H36. 

Delkhofen:  Kasel  207. 

Delsberg:  Caligae  401;  San- 
dalen 395. 

Deutz:  Kasel  178. 

Dokkum :  Kasel  174. 

Durham  (Kath.):  Cingulum  110; 
Manipel  532;  Stola  596. 

Düsseldorf  (Kunstgewerbe-Mu- 
seum) :  Epigonation  551 ; 
Stola,  arm.  603;  Stola,  griech. 
607 ;  Tunika,  arm.  95. 

Eichstätt  (Dom) :  Albe  77  87  ; 
Amikt  36:  Kasel  188:  Ra- 
tionale 688:  (Bischöfl.  Pa- 
lais) :  Kasel  207 :  (St  Wal- 
burga)  :  Kasel  188. 

Einsiedeln:  Kasel  192. 

Elten:  Pluvialschließe  323. 

Essen:  Pluvialschließe  323. 


1  Aufgenommen  sind  in  das  Verzeichnis  nur  solche  Gewänder,  die  noch  vorhanden 
sind,  nicht  aber  solche,  über  die  nur  noch  Berichte  vorliegen,  die  jedoch  inzwischen  zu 
Grunde  gegangen  sind.  Über  die  mittelalterlichen  Paramente,  welche  sich  unter  den  in  der 
Kapelle  Sancta  sanctorum  durch  P.  Grisar  wiederaufgefundenen  Schätzen  befinden  sollen, 
vermochte  ich  keine  Auskunft  zu  erhalten,  wie  sie  für  diese  Arbeit  notwendig  gewesen  wäre. 
Sie  blieben  deshalb  unberücksichtigt.  Die  mir  von  dem  Entdecker  freundlichst  angebotenen 
Klischees  verschiedener  hochinteressanter  Textilien  des  Schatzes  mußte  ich  leider  mit  herz- 
lichstem Dank  ablehnen,  teils  weil  der  Druck  der  Arbeit  bereits  zu  weit  fortgeschritten  war, 
als  daß  ich  sie  noch  hätte  erwarten  können,  teils  weil  es  sich  nicht  um  eigentliche  Gewand- 
reste handelte. 

50*. 


788 


I.   Verzeichnis  der  besprochenen  alten  Gewänder. 


Evreux  (Museum) :  Mitra  478. 
Exaeten  (Canisius-Kolleg):  Kä- 
se]  191. 

Ferentino  (Kath  )  :  Mitra  468.  j 

Florenz  (Museo  degli  Arrazzi): 
Dalmatik   280 ;    (Opera   del  I 
Duomo):    Kasel    192    233; 
(S.  Trinitä):  Handschuh  369 
376;  KaseilSO;  Mitra  467. 

Frankfurt  a.  M.  (Dom) :   Plu- 
vialschließe     326 :      (Roth-  ! 
schildmuseum)  :        Pluvial- 
schließen  326 ;  (Stadt.  Histor.  ' 
Museum) :  Sandalen  414. 

Freiburg  (Münster) :  Hand- 
schuhe 372;  Mitren  485; 
Sandalen  414. 

Goß :  Albe  90 :  Dalmatik  272 
273;    Kasel    179  232:    Plu-  ! 
viale  338;  Tunicella  293. 

Gran  (Dom) :  Mitra  483. 

Grottaferrata:  Omophorion  671. 

Halberstadt  (Dom):  Amikt  36: 
Amiktparura  37;  Caligae  41 1 ; 
Cingula  107  108;  Dalma- 
tiken  270  271  275  280: 
Handschuhe  370  876:  Ka- 
sein 185  188  193  202  222 
225;  Manipel  541;  Mitren 
468  480  481 :  Pluvialien  333; 
Sandalen  412  413;  Stolen 
592  597  599 ;  Tunicellen  290. 

Hamont :  Pluvialschließe  325. 

Hannover  (Provinzialmuseum): 
Alben  77  89. 

Herford  (Johanniskirche):  Plu- 
vialschließe 326. 

Hildesheim  (Dom):  Kasel  178; 
Sandalen  402;  (St  Gode- 
hard):  Kasel  178  225;  San- 
dalen 414. 

Husaby:  Kasel  203. 

Iburg:  Kasel  178. 

Kamp  (Niederrhein) :  Hand- 
schuhe 372;  Mitra  484. 

Kempen:  Pluvialschließe  323. 

Kendenich:  Kasel  207. 

Köln  (Dom):  Kasel  234;  Mi- 
tren485;  (Sammlung Schnüt- 
gen):  Kasel  179;  (St  An- 
dreas): Kasel  599;  Manipel 
541;  Stola  599;  (St  Maria 
Himmelfahrtskirche) :  Kasel 
222;  (St  Ursula):  Pluvial- 
schließe 325. 

Kopenhagen  (Nationalmuse- 
um): Mitra  480;  Sandalen 
412. 

Krakau  (Domi:  Kasel  219; 
Mitra  481;  Rationale  685 
692. 

Kremsbrücken:  Dalmatik  282. 

Tjausanne  (Museum):  Sandale 
403. 


Limburg  (Dom):  Mitra  483. 

Limerick  (Kathedrale) :  Mitra 
480. 

Lisieux  (Hospiz):  Albe  74  88; 
Dalmatiken  275. 

London  (Corpus  Christ  House) : 
Pluviale  343;  (Kensington 
Museum):Albe  77  88;Manipel 
540;  Mitra  482;  Pluvialien 
340  341;  Stolen  599. 

Louannec:  Kasel  180. 

Lyon  (Kathedrale):  Mitren 467 
478. 

Maastricht  (Liebfrauen):  Tu- 
nika 261. 

Madrid  (Museum) :  Pluviale 
340. 

Mailand  (S.  Ambrogio) :  Dal- 
matik 261;   Kasel  190  218. 

Mainz  (St  Stephan):  Kasel  178 
183. 

Marienberg:  Kasel  179  232; 
Stola  597. 

Martinsberg:  Kasel  179  230. 

Maubeuge:  Kasel  180. 

Melk:  Kasel  179  216. 

Mochenwangen:  Kasel  207. 

Mondovi  (Kathedrale):  Caligae 
411;  Sandalen  413. 

Mons  (St- Nicolas) :  Pluviale 
334. 

Monza  (Dom):  Mitren  467. 

Moskau :  Mitren  492 ;  Omopho- 
rien  672;  Sakkos  305. 

Moutiers  (Kathedrale) :  Hand- 
schuhe 377. 

Moyen-Moutier:  Dalmatik  260. 

München  (Liebfrauen) :  Kasel 
179;  Mitra  468;  (National- 
museum) :  Albe  77  78;  Hand- 
schuhe 372:  Kasein  178  189 
211:  Pluvialschließe  326; 
Rationale  691;  Tunika  230. 

Münster  (Diözesanmuseum) : 
Kasein  174  183  207;  San- 
dalen 414. 

BJamur  (Kloster  U.  L.  Frau) : 

Manipel  538;  Mitren  468. 
Narni  (Dom):  Handschuhe 377. 
Neresheim         (Schloßkirche) : 

Albe  77:  Amikt  36. 
Niederaltaich:    Cingulum    109 

112;    Kasel    178;     Sandale 

402. 
Nürnberg     (Germ.    Museum) : 

Kasel  207;  Mitra  468. 

Oberwesel  (Stiftskirche) :  Dal- 
matik 282. 

Ofen  (Kronschatz):  Kasel  179 
229. 

Oppenweiler  (Schloßkapelle) : 
Kasel  207. 

Orvieto  (Opera  del  Duomo): 
Dalmatik  280. 

Osnabrück  (Dom) :  Pluvial- 
besatz  334. 


Oxford  (Maria  Magdalena-Kol- 
leg): Caligae  411:  Sandalen 
412;  (New  College):  Hand- 
schuhe 377  380;"Mitia  480. 

Paderborn  (Bußdorfkirche) : 
Kasel  178  211:  (DonO:  Plu- 
vialschließe 325;  Rationale 
677  687. 

Paris  (Cluny-Museum) :  Caligae 
411;  Handschuh 370;  Mitren 
478  479;  Sandalen  403  414: 
(Sammlung  Hochon) :  Plu- 
vialschild  332. 

Perugia  (Universität):  Plu- 
viale 334. 

Petersburg  (k.  Zeichenschule): 
Pluvialschließe  326. 

Pienza  (Kathedrale):  Pluviale 
346. 

Pisa  (Museo  civico):  Pluviale 
344. 

Pleasington:  Pluviale  346. 

Pontigny:  Manipel  539;  Mitra 
467;  Sandalen 403  ;Stola597. 

Prag  (Dom) :  Albenparuren  88 
89:  Handschuh  370  375  378: 
Kasel  208;  Mitren  480  485; 
(Goldschmiedegilde) :  Mitra 
438. 

Provins:  Kasel  180  211;  Ma- 
nipel 539;  Stola  597. 

Raab  (Dom):  Mitra  483. 

Ratzeburg  (Dom) :  Alben  77  87. 

Ravenna  (Dom):  Kasel  174 
225;  (Museo  civico):  Mitra 
476. 

Regensburg  (Alte  Kapelle): 
Dalmatiken  269  280;  Kasein 
188;  Tunicellen  290  293; 
(Dom) :  Kasel  179:  Rationale 
690;  (St  Emmeram):  Kasel 
178  211;  Mitra  438  468. 

Reims  (Kathedrale) :  Kasein 
212. 

Rivadeo:  Sandalen  403. 

Robecco  (Sammlung  Visconti) : 
Kasein  203  216. 

Rom  (S.  Giovanni):  Pluviale 
346;  (S.  Maria  Maggiore): 
Dalmatiken  281 ;  Kasein  190 
218;  Manipel  542;  (S.  Mar- 
tino  ai  Monti):  Mitra  438 
477;  Sandalen  395;  (St  Pe- 
ter):  Sakkos  304;  (S.  Pietro 
in  Vincoli):  Mitra  476;  (Va- 
tikan, Museo  cristiano):  Mi- 
tra 476. 

Rostock  (Museum):  Amikt  36. 

Salzburg  (Dom):  Mitren  468; 
(St Peter):  Cingula  109;  Ka- 
sel 179;  Mitra  482. 

Saragossa  (Kathedrale) :  Mitra 
478. 

Sens  (Kathedrale) :  Albe  73  87 ; 
Albenparuren  88;  Amikt- 
parura   37;    Cingulum    106 


II.  Übersicht  über  die  dem  Werke  zu  Grunde  liegenden  monument.  u.  schriftl.  Quellen.      789 


107  111;  Dalmatik  474  475: 
Kasein  174  180  211:  Mani- 
pel  538;  Mitren  467;  Stolen 
547  598. 

Siegburg:  Pallien  643. 

Siena  (Dom):  Kasel  192  233; 
(Opera  del  Duomo) :  Kasel 
187;  Manipel  541. 

Sigmaringen  (Hohenzoll.  Mu- 
seum): Pluvialschliefie  326. 

Spalato  (Dom) :  Handschuh- 
stulpen  372. 

Speier  (Dom):  Haudschuh- 
scheibchen  369  376. 

St-Gildas-de-Ruis:   Mitra  438. 

St-Hubert:  Stola  591  596. 

St-Lizier-de-Conserans:  Mitra 
467. 

St-Maximin:  Pluviale  340. 

St  Paul  (Kärnten):  Kasel  179 
230;  Pluviale  318  319  338. 

St  -  Rambert -sur- Loire:  Kasel 
180. 

Steeple-Aston:  Pluviale  343. 

Stockholm  (Nationalmuseum) : 
Mitra  479. 

Strasburg  (Sammlung  Forrer) : 
Kasel  203. 

Strengnäs  (Kathedrale) :  San- 
dale 412. 

Stuttgart  (Altertumssamm- 
lung): Kasel  207. 


Taben:  Dalmatik  261. 

Toledo  (Kathedrale) :  Mitra 
478;  Pluviale  346. 

Tongern :  Pluvialschließen324. 

Toul  (St-Gengoul):  Sandale395. 

Toulouse  (St-Sernin):  Hand- 
schuhe 375;  Kasein  180  187 
216;  Mitra  438. 

Tournai  (Kathedrale) :  Kasel 
179. 

Trier  (Dommuseum):  Hand- 
schuhscheibchen  376;  Kasel- 
fragmente225;  Manipel536; 
Palliumfragmente  643;  San- 
dale 402  403  415  f;  Stola 
592  598;  (Liebfrauen) :  Stola 
592  598. 

Troyes  (Kathedrale):  Hand- 
schubscheibchen  376:  Ma- 
nipel 539. 

Utrecht  (Jansen.  Ordinariat): 
Albe  73  81;  Manipel  535; 
Stola  591  596. 

Valencia:  Kasel  183  187  188. 
Valsainte:  Albe  77  88;  Amikt 

37;  Manipel  540;  Stola  598. 
Venedig    (S.    Marco):    Kasein 

183  218. 
Verona  (S.  Zeno) :   Mitra  438 

461  468. 


Vieh  (Museo  episcopal) :  Mi- 
tren 468  477;  Pluviale 
346. 

Villingen:  Pluvialschliefie  326. 

Viterbo   (Dom):  Albe  77. 

Vreden:  Dalmatik  280. 

Waldsee:  Superpelliceuml48. 

Westeris  (Kathedrale) :  Mitra 
479. 

Wien  (Hofburg) :  Caligae  401 ; 
Cingulum  109;  Dalmatik  273 
274:  Kasel  232;  Pluvialien 
346;  Sandalen404;  Tuniceila 
293 ;  (Museum  für  Kunst  und 
Industrie) :  Albenparuren  87 ; 
Mitra  481. 

Worms  (Museum ) :  Sandalen 
402. 

Würzburg  (Dom) :  Handschuhe 
372;  Kasein  178  230;  Mitra 
482;  Sandalen  414;  (Histor. 
Verein) :  Sandalen  414. 

Xanten  (Dom) :  Albenparura 
87 :  Dalmatiken  278  280 ;  Ka- 
sein 178  193  211;  Manipel 
541;  Pluvialien  334;  Stola 
599;  Tunicellen  293. 

Zürich  (Landesmuseum) :  Ka- 
sein 207. 


II.   ÜBERSICHT  ÜBER  DIE  DEM  WERK  ZU  GRUNDE 
LIEGENDEN  MONUMENTALEN  UND  SCHRIFTLICHEN 

QUELLEN1. 

A.   MONUMENTE. 


Elfenbeinarbeiten  62  167  169 

170   174   176   177   209  236 

266   268   284  300   305  312 

423  435  465   517   532  545 

559   646   652  660   669  679 
688. 

trlasgemälde  681. 

Goldgläser  611  612  655. 

Grabmonumente  41  42  43  54  90 
112  190  193  215  216  241 
242  357  401  413  414  417 
418  462  465  466  491  500 
501  502  503  504  505  509 
512  514  536  586  649  651 
680  681  688  690  693. 


Katakombenfresken  63  72  159 

305  312  313 

314  316  31S 

173  241  251  254  258  259 

355  367  395 

435  448  450 

260  388  392  423  435  559 

459  460  461 

462  463  465 

649  658  660  756  760. 

466  490  492 

501  522  532 

533  536  543 

544  546  552 

Metallarbeiten  62  73  262  263 

553  559  582 

583  584  585 

268  284  305  351  366  423 

587  588  593 

601  606  615 

435  459  463  465  466  501 

646  648  660 

669  670  673 

502  503  505  521  552  585 

679  681  682 

756  758. 

646  684  698. 

Mosaiken  43  57 

72  90  146  158 

Miniaturen  27  50  62  73  97 

159  173  174 

175  192  209 

99  101  106  114  116  141  145 

218  235  242 

252  254  258 

167  169  170  174  176  177 

259  260  265 

266  267  303 

209  210  213  236  237  238 

304  348  351 

387  388  389 

239  242  255  262  263  265 

392  393  417 

423  435  501 

266  267  268  289  294  302 

502  503  552 

559  576  585 

1  Die  beiden  nachfolgenden  Verzeichnisse  bezwecken  bloß,  eine  Übersicht  über  die 
benutzten  Quellen  zu  ermöglichen.  Einzeln  angeführt  wurden  außer  den  römischen  Ordines 
nur  die  Autoren.  Einen  detaillierten  Nachweis  auch  für  die  Monumente,  Konzilien,  Bullen, 
Sakramentare,  Inventare  und  ähnliches  zu  geben,  wie  anfänglich  beabsichtigt  war,  zeigte  sich 
leider  als  schlechthin  untunlich,  da  solches  zu  viele  Seiten  in  Anspruch  genommen  haben 
würde.  Die  bei  den  betreffenden  Stichworten  vermerkten  Zahlen  bezeichnen  daher  nur  die 
Seiten,  auf  denen  überhaupt  Monumente,  Konzilien  usw.  erwähnt  werden. 


790  IL  Übersicht  über  die  dem  Werke  zu  Grunde  liegenden  monument.  u.  schriftl.  Quellen. 


611  612  613  626  643  644 
645  646  756  758. 
Münzen  463  497  499. 

Siegel  34  263  367  435  450 
451  457  461  463  464  465 
466  648  680  682  683  684 
685  690  691  692  698. 


Skulpturen  43  45  46  53  70 
140  216  240  241  242  243 
300  348  367  369  417  462 
466  501  502  503  577  586 
587  619  659  681  683  698. 

Tafelgemälde  54  55  111  145 
148  278  304  436  502  561  64S. 


Wandgemälde  43  54  55  90 
111  112  133  144  146  158 

175  266  274  275  304  353 
354  450  459  500  501  502 
509  536  544  588  626  645 
646  649  669  674  756. 


B.    SCHRIFTLICHE  QUELLEN. 


Abälard  535. 

Absalom  von  Lund  137. 

Acta  s.  Chroniken. 

Adalhard  von  Corbie  383. 

Adam  von  Bremen  287. 

—  Prämonstr.  137. 

Adamanus  731. 

Ademar  von  Chavannes  318. 

Admonitio  synodalis  (Synodal- 
ermahnung) 26  61  102  155 
391  520  566  582. 

Aelfrik  445  519. 

Agnellus  308  386  577  635  641 
653. 

Aldhelmus  428. 

Alkuin  307  582. 

Amalar  26  29  61  72  102  155 
163  166  167  169  283  284 
291  363  391  392  393  394 
433  441  518  520  521  531 
555  566  575  578  579  580 
586  589  641  703  706  711 
713  714  716  718  721  722 
724  725  743. 

Ambrosius  426  564  762. 

Ammianus  Marcellinus  439. 

Ammonius  von  Alexandrien 
564. 

Amru  50. 

Andreas  Praeval.  440. 

Ansegisus  383. 

Anselm  von  Havelberg  137  143. 

Apostol.  Konstitutionen  614. 

Arabisch-  nicänische  Kanones 
116. 

Arno  von  Reichersberg  137 
143. 

Arnulf  von  Luxeuil  351. 

Arsenius  von  Elas.  491. 

Artemidor  245. 

Asterius  von  Amasea  13. 

Athanasius  95  440. 

Athelstan  443. 

Augustinus  70  1 57  564  720  762. 

Auslegung  des  Amts  der  hei- 
ligen Messe  186. 

Bar  Abgar  Johannes,  nestor. 

Patr.  774. 
Barhebräus  50. 
Balsamon    100    237    302    490 

494  551  565  608. 
Beda  Venerab.   389    390    393 

440  444  497  721. 
Beleth  loan.  118  425  548  706 

711  713  731. 
Benedict.  Anian.  388  389. 


Benedikt  Levita  391  762  764. 
Benzo  von  Alba  504. 
Bernhard    von    Clairvaux   122 

369  449  454. 
Beroldus  60  291  449  733. 
Berthold  von  Chiemsee  704. 

—  von  Regensburg  155  186 
705  719. 

Blastares  565. 

Bonifatius  156  427  627  629. 

Bonizo  von  Sutri  455. 

Braulio  440. 

Bromyard  588. 

Brulefer  Steph.  727. 

Bruno  von  Köln  311. 

—  von  Segni  29  118  291  297 
366  378  384  396  429  449 
458  544  567  583  588  646 
651  711  715  719  720  723 
730. 

Buch  der  Väter  50  494  605  709. 

Bullen  uud  Papstbriefe  121 
122  128  135  136  143  144 
146  147  251  252  256  257 
286  356  365  367  380  385 
398  399  408  419  427  428 
447  448  449  452  453  454 
455  456  457  511  527  620 
621  625  626  627  628  629 
630  631  633  634  635  636 
637  638  639  640  641  642 
644  668  677  678  682  683 
684  685  696. 

Burchard  von  Straßburg  30. 

Caeremoniale  episc.  124  128 
165  171  200  247  289  290 
297  306  307  360  384  429 
440  516  517  563  621  740 
742. 

Cäremonialien  s.  Ritualien. 

Carta  Cornutiana  757. 

Cäsar  426. 

Cassian  157  245  301. 

Cellini  Benv.  507. 

Chrodegang  160  307. 

Chronicon  paschale  287  245. 

Chroniken:  Gesta,  Acta,  Hi- 
storiae  33  80  81  118  119 
122  131  136  138  140  153 
154  155  168  201  213  214 
253  287  291  292  293  296 
308  311  316  318  327  329 
351  364  379  386  388  390 
396  425  427  457  493  510 
511  519  534  538  564  571 
633  682  686. 


Cicero  244  426  427. 

Constitutum  Constantini  352 
387  496  527  624. 

Consuetudinare  s.  Mönchs- 
regeln. 

Corpus  iur.  can.  431  621  628. 

—  iur.  civ.  426. 

Cyrillus  von  Jerusalem  614. 

Decreta  authentica  728  729 
748  760. 

Demetrius  Chomatenus  237 
303  753. 

Diokletian  (Maximaltarif)  244 
300  301  388  565. 

Dionysius  Exiguus  620  774. 

Dorotheus  301. 

Dunstan  St  314. 

Burandus  30  32  55  83  102  118 
138  139  164  166  169  171 
173  287  400  429  472  486 
520  544  546  547  548  567 
586  588  610  646  650  706 
712  713  719  720  723  725 
740. 

Eadmerus  316  633. 

Ebedjesu  50. 

Eberhard  von  Bamberg  352. 

Ebroin  von  Bourges  441. 

Ekkehard  IV.  287  293  311. 

Ennodius  440. 

Epiktet  245. 

Epiphanius  488. 

Eucherius  von  Lyon  243  247. 

Eusebius  von  Cäsarea  95  302 

488  564  761  768. 
Eustratius  666  668. 

Ferrandus  Fulgentius  574. 

Festus  426. 

Flavius  Josephus  424  765. 

-  Vopiscus  564. 
Flodoard  427  571  633. 
Florianus  abb.  440. 
Florus  von  Lyon  703. 
Folcuin  311.  ' 

Gabriel  Biel  704. 

-  kopt.  Patr.  51  99  783. 
GallikanischeMeßerklärung  25 

60  67  103  152  156  253  362 

565  572  702  731. 
Georg  von  Arbela  50. 
Gerhoh  von  Reichersberg  131 

143  352. 


II.  Übersicht  über  die  dem  Werke  zu  Grunde  liegenden  mouument.  u.  schriftl.  Quellen.      791 


Gerland  Job.  139  153. 
Gesetze  s.  Kapitulare. 
Gesta  s.  Chroniken. 
Gilbert  von  Linierick   27    121 

131    141    164  285   366   397 

449  520  548  764. 
Grandisson,  Bischof  von  Exeter 

743   744   745   746   747   748 

752. 
Gregor  von  Antivari  137. 

-  d.  Gr.  153  250  251  254  283 
386  526  528  626  627  629 
631  632  637  638  640  642 
644  654. 

—  von  Nazianz  95  488. 

-  von  Tours  156  284  307  564 
731  755. 

Gualterus  Cancell.  136. 

Helgaud  227  311. 
Herard  von  Tours  391  444. 
Heribertus     monach.     cisterc. 
122. 

—  de  Boseham  584. 
Hermannus  Contractus  396. 
Hieronymus   47    66    247    425 

440  508  564  654  755  762 
765  767  771. 

Hildebert  von  Le  Mans  441. 

Hildward  von  Halberstadt  678. 

Hinkmar  von  Reims  445  633. 

Hippolytus  (Kanones)  757  770. 

Holen  Gottschalk  741. 

Honorius  29  32  118  131  141 
166  174  285  287  288  295 
315  366  369  396  400  425 
426  429  449  495  510  518 
523  531  547  586  588  610 
641  678  698  711  719  723 
726  730. 

Hraban  26  29  61  72  102  155 

363  391  394  432  517  519 
520  563  566  567  574  578 
579  641  650  702  711  713 
714  716  718  721  724  725. 

Hugo,  Erzb.  von  Benevent  498. 

—  Metellus  137. 

-  von  Pateshull  734. 

Ibn  'Assal  96  754. 

Ibn  Sabaa  10  52. 

Innozenz  III.  28  32  53  55  83 
118  171  285  366  374  382 
396  400  454  457  458  493 
520  531  544  546  548  567 
588  641  646  650  651  705 
719  720  723  724  729  742 
750  751. 

Inventare  26  30  31  32  36  39 
40  41  42  55  60  61  69  79 
80  81  82  84  85  86  90  106 
113  114  119  121  127  153 
154  201  202  227  264  265 
278  279  283  286  287  288 
289  291  292  296  307  308 
310  311  321  322  327  330 
331  335  336  338  359  363 

364  378  418  473  474  517 
518  519  533  534  537  560 


566  567  568  569  592  593 
594  651  683  692  734  737 

741  742  744  745  746  748. 
Irenäus  65. 

Isaak,  arm.  Katholikos  50  98 

239  493  774. 
Isidor  von  Pelusium  605  613 

666  667  668  669  701. 

-  von  Sevilla  122  154  243 
252  253  301  307  363  425 
564  573  624  702. 

laTopia    i/.y.Xrimaarixri    96    603 

707  758  777. 
Itinerarium  Hierosolymit.  252. 
Ivo  von  Chartres  29   32  285 

291   366   391   396  400  449 

544  547  563  588  633  678 
698  700  711  714  716  721 
730. 

Johannes  von  Avranches  27  29 
69  138  164  166  269  291  520. 

—  Balbis  122. 

—  von  Bayon  119. 

-  Chrysostomus  96  247. 

—  Cluniac.  584. 

-  Diakonus  104  157  158  527 
644  645  775. 

-  Longus  364  438. 

—  von  Ravenna  526. 

—  von  Salisbury  121. 
Julius  Pollux  245. 
Justinus  65. 

Kapitulare,  Gesetze  126   131 

138  139  363  383  390  391 
581. 

Karl  d.  Gr.  120. 

Klemens  von  Alexandrien  758 
770. 

Kodinus  673  754. 

Konrad  von  Mainz  452. 

Konzilien,  Synodalstatuten  27 
42  44  58  60  66  72  78  90  103 
104  112  118120121  126  127 
128   129   180   132   137   138 

139  146  147  153  154  155 
160  191  19S  217  253  284 
289  297  307  308  352  355 
357  358  369  380  390  425 
510  511  512  513  523  585 
542  543  547   561    565  566 

567  568  569  570  571  572 
573  581  582  595  600  604 
614  628  633  666  667  668 
675   703   734   735   739  740 

742  743  744  745  746  747 
748  752  753  755  757  764 
769  773. 

Iiampridius  244. 

Lanfrank  69  314  315  316  522 

545  549. 

Leo  Grammat.  673. 

—  von  Ostia  122   131. 
Leodebod  von  Aniane  350  390. 
Liber  diurnus  631  640  641. 

—  Pontiflcalis  65  68  79  111 
238  249   301   385  424  444 


496  498  499  523  524  526 
574  575  624  625  631  640 
761  768  773. 

Liberatus  639  644  666  668  670. 

Liturgische  Bücher  der  Orient. 
Riten  94  98  117  237  239 
550  601  603  709  710. 

Liutprand  von  Cremona  639 
666. 

Livius  426. 

Lucanus  426. 

Lydus  237  245  422. 

Lyndwoode  127. 

Marcellus  Christoph.  55. 

Marculfus  440. 

Martial  122  244. 

Martin  von  Braga  767. 

Menander  237  245. 

Mefserklärung,  deutsche,  ge- 
reimte 705  711. 

Micrologus  164. 

Missale  rom.  22  125  150  165 
248  306  385  517  728. 

Missalien  s.  Sakramentare. 

Mönchsregeln,  Consuetudinare, 
Statuten  von  Orden,  Kathe- 
dral-  und  Stiftskirchen  47 
61  69  128  137  140  143 
144  147  153  160  166  201 
286  296  307  313  314  315 
316  329  354  355  356  363 
381  383  388  389  425  439 
511  522  535  545  560  564 
567  573  583  693  731  735 
738  740  741  742  743  744 
745  746  763. 

Moschos  158  666. 

Muartx))  t'/swpia  s.  Pseudo-Ger- 
manus. 

Jfagoldus  309  584. 
Nebridius  von  Mündelheim  136. 
Nerses  von  Lampron  50  98  99 

239  550  551  606  774. 
Nicephorus  von  Konstantinopel 

96  531  552  578  603. 
Nicetas  Paphlag.  668. 
Nikolaus  von  Clairvaux  486. 
Notker  von  St  Gallen  519. 

öbituarium  der  Sorbonne  287. 
Odilo  427. 

Optatus  von  Mileve  425. 
Ordinäre  s.  Ritualien. 
Ordines  romani  Hittorps  60  80 

162  163  285  294  295  298 
359  361  366  382  389  419 
548  549  721. 

Ordines  romani  Mabillons : 
Ordo  1  23  28  56  61  157  161 

163  167  168  171  259  283 
284  296  361  432  517  520 
530  543  546  567  574  578 
644  743;  II  161  167  263 
361  441  521  546;  III  26 
28  56  60  61  161  171  263 
361  432  517  520  546:  VI 
162   163   255   309   317   543 


II.  Übersicht  über  die  dem  Werke  zu  Grunde  liegenden  monument.  u.  schritt].  Quellen. 


544;  VIII  157  163  172  297 
574  579  580  589;  IX  28 
297  429  497  499  521  579 
580  584  589  590  617:  X  295 
309  317  419  732:  XI  309 
317  429  456  732;  XII  317 
351  352  429  456  472  499 
633  651  732:  XIII  28  4S 
53  f  60  130  135  171  173 
289  294  351  357  366  379 
381  397  400  419  420  456 
472  485  520  523  633  734 
740  742 ;  XIV  28  30  48  53 
60  118  120  124  127  129 
130  136  143  166  171  299 
353  366  380  381  397  419 
420  425  456  457  485  509 
512  545  588  593  651  734: 
XV  28  48  53  60  69  120 
128  351  352  353  380  381 
418  419  485  509  512  734 
746. 

Ordo  romanus  Ducbesnes  24  29 
163  169  283  295  296  361 
432  589  732. 

Otto  von  Freising  457. 

Palladius    116    668   669    673 

772. 
Papstbriefe  s.  Bullen. 
Paschasius  Lilybet.  440. 
Passiones  s.  Vitae. 
Paulinus  Nol.  440  445  446. 

—  von  Perigueux  153. 
Pelagius  247. 
Persius  243. 
Pertinax  299. 

Peter  von  Blois  454. 
Petrus  Cantor  454. 

—  Cellensis  699. 

-  Damiani  351  427  428. 

—  Diakonus  351. 

—  Malleus  642. 

-  Patr.    von    Antiochien    99 
551  606. 

Philotheus  Patr.  Const.  603  608. 
Photius  666  668. 
Plautus  244. 
Polykrates  488  768. 

Pontiflcale  rom.  128  142   149 

360  431  621. 
Pontifikalien   28  29  60  61  68 

118   119   121    129  142   143 

162  170  171  172  173  285 
289  294  295  298  299  314 
316  359  366  380  381  382 
389  419  420  421  472  486 
517  518  523  545  546  549 
550  566  582  588  589  590 
706  712  713  714  715  716 
717  718  721  722  723  725 
726  740  741  745  746  762 
763. 

Prokop  157. 
Prudentius  427  564. 
Pseudo-Alkuin  26  29  105  155 

163  166  295  391  434  489 
517  531  559  563  567  609 
641  711  713  724  732. 


Pseudo-Atbanasius  754  757. 
Pseudo-Basilius  754  757. 
Pseudo-Beda  24  26  29  155  163 

166  175  563. 
Pseudo-Germanus  96  116  551 

60'3  669  708. 
Pseudo-Isidor    352     387    496 

527  624  761  762  774. 
Pseudo-Sophronius     116     551 

554  666  669  708  753. 


Quaestiones  Vet.  et  Nov.  Test. 
249  556  558  614. 


JRadulf  von  Bayeux  355. 
Ratherius  von  Verona  567  583. 
Ratramnus  489. 
Reginald  von  Durhani  406  442. 
Regino  von  Prüm  61    62    155 

518  520  582. 
Riculf  von  Soissons  26  61  103 

155   201   391  518  520  566. 
Rinthon  245. 
Ritenkongregation,  Dekrete  21 

57  101  125  126  150  152  199 

248  249   357   360  383  430 

516  517  563. 

Ritualien,  Ordinäre,  Cärerao- 
nialien  131  141  147  172  196 
285  288  294  296  314  316 
318  854  355  380  381  425 
733  735  740  741  742  743 
744  746  752. 

Robert  Paululus  30  32  118 
164  166  285  366  896  426 
429  495  518  531  547  563 
641  650  719  723  731. 

Romuald  von  Salerno  153. 

Rufinus  301  497. 

Ruotgerus  monach.  Colon.  634. 

Rupert  von  Deutz  29  69  164 
174  175  285  307  396  400 
426  520  535  641  705  711 
716  718  730. 

Sakramentare,  Missalien  61 

67  68  103  121  122  129  153 

162  164  172  285  287  288 
359  365  381  384  421  434 

517  518  548  566  567  582 
589  679  702  706  707  710 
711  712  713  714  715  717 
718  720  721  723  725  727 
740  741  742  743  744  745 
746  747  763  764. 

S.  Gr.  K.  (St  Gallener  Kleider- 
katalog) 23  28  56  61  130 

163  167  255  263  286  294 
387  432  519  545  546  548 
574  579  580  584  586  723 
777  778. 

Seneca  427. 

SermoXIV  131  153  548  714. 

Servius  Honoratus  426  624. 

Severian  von  Gabala  605  708. 

Sieard  von  Cremona  30  32  118 
131  136  137  143  171  285 
287   291   299   366   369  382 


396  400  425   426  429  458 

493  495  518  520   531   545 

548  549   567   583   610   646 
698  705  726  730. 

Sidonius  440. 
Siegfried  von  Mainz  452. 
Sigehard  monach.  Trev.  625. 
Simeon  von  Saloniki   96    100 
116   117   237   239   303  490 

494  554  565   603   607  60S 
667  669  708  754  764. 

Simokattes  237  245. 

Speculum  de  myst.  eccl.  153 
264  269  291  366  396  400 
449  458  547  563  711  719 
720  731. 

Statuten  von  Orden  und  Stifts- 
kirchen s.  Mönchsregeln. 

Stephan  von  Tournai  136  137. 

Sueton  244. 

Suger  von  St-Denis  499. 

Suidas  616. 

Sulpicius  Severus  67  152. 

Symmachus  251. 

Synodalstatuten  s.  Konzilien. 

Tacitus  244. 

Tertullian  65  244  247  426  445 

657. 
Testamentum  D.  N.  I.  Christi 

604  614  615  757. 
Thegan  120  519. 
Theodemar  von  Monte  Cassino 

307. 
Theodor   von   Canterbury  369 

389. 

-  Lector  666  668. 

-  von  Trimithus  497  772. 
Theodoret  758  761. 
Theodosius  d.  Gr.  245  301  619 

656  664. 

—  monach.  386. 

-  von  Jerusalem  488. 
Theodulf  von  Orleans  61   391 

392  393  420  433. 
Theophanes  497  668. 
Theophylakt  122. 
Thomas  Cantiprat.  454. 

—  von  Aquin  118  123. 

-  von  Kempen  217. 
Tractatus   de  sacr.  altaris  30 

285   291   299   396   449   548 

549  719. 
Translationes  s.  Vitae. 
Trebellius  Pollio  564. 

ITlpian  244  389. 
ürban  V.  129. 

Varro  244  624. 

Venantius  Fortunatus  153  440 
755. 

Viktor  von  Karthago  675. 

Vincentius  von  Lerin  440. 

Virgil  426. 

Vitae,  Translationes,  Passiones 
26  67  68  103  104  120  122 
137   142   153   156   157   158 


III.    Sachregister. 


793 


162  190  198  227  245  250 

251  253  284  307  309  313 

317  361  362  363  385  386 

389  406  426  427  428  442 

443  444  445  446  456  499 

530  564  566  573  583  584 


613  625  634  666  675  682 
686  698  731  755  773. 

Walafried  Strabo  26  61  102 
155  363  391  433  517  520 

567  774  776. 


Wilhelm  von  Malmesbury  136 

140. 
Willegis  von  Mainz  819  428 

510. 
William  de  Chambre  129. 
Wipert  von  Toul  566. 


III.   SACHREGISTER. 


Abnet  766. 

Alba  im  gallikanischen  und 
spanischen    Ritus    67    252 ; 

albaromana59;  =  Rochettl28. 

alba  =  Tunicella  288. 

Albe:  in  der  Gegenwart  57  f; 
Namen  59  f ;  in  karolingi- 
scher  Zeit  61  f;  in  vorkaro- 
lingischer  Zeit  63  f ;  Verwen- 
dung 68  f ;  im  Gebrauch  bei 
den  Mönchen  69;  Form  69  f; 
Stoff  78  f;  Ausstattung  801. 

Almucia :  Alter 355 ;  Form  355 f; 
Verzierung  356;  Name  358. 

Alttestamentliche  Kultklei- 
dung :  ihre  Bestandteile  765 ; 
Farbe  749;  Beziehung  zur 
christlichen  766  f. 

Amikt:  nach  heutigem  Brauch 
21  f ;  Tragweise  nach  Lyo- 
ner Brauch  22  28 ;  nach 
Mailänder  Brauch  22  28; 
im  Ritus  der  Subdiakonats- 
weihe  23  30;  Alter  im  rö- 
mischen Ritus  23  f ;  Alter 
außerhalb  Roms  24  f ;  Trag- 
weise nach  mittelalterlichem 
Brauch  28  f ;  über  dem  Ro- 
chett  (Superpelliceum)  28; 
Form  32;  Ausstattung  im 
Mittelalter  32  f;  Stoff  43; 
Ursprung  44;  Namen  48. 

Amiktbesatz :  Beschaffenheit 
33;  Form  34  f;  Ursprung 
und  Alter  35;  Namen  36. 

Amiktkragen  nach  Lyoner, 
Mailänder  und  spanischem 
Brauch  22. 

amphibalus :  laikaler  Mantel 
153;  liturgischer  Mantel  s. 
Kasel;  klerikaler  Mantel  153. 

anabolagium  (ambolagium)  23 
48. 

uyaßoXatov  48. 

anagolagium  (anagolaium)  = 
anabolagium. 

Armeltunika  70. 

aurifrisium  (auriphrygium)  = 
Parura  36  81 ;  Besatz  der 
Mitra  470. 

aurum  filatum  39. 

—  tractitium  39. 

Balteus :  Gürtel  der  alttest. 
Priester  105;  =  Schwert- 
koppell20;  =subcinctorium 

120  f. 


Bänder  am  Amikt  22. 

Barockkasel  175   196. 

batraschil,  Stola  im  koptischen 
Ritus  601. 

Bearbeitungen  der  Gesch.  der 
lit.  Gew.:  im  16.  und  17. 
Jahrb.  15  f;  im  19.Jahrh.  17  ff. 

Behänge  der  Mitra  459  460 
471;  ihre  Entstehung  460. 

Benediktion  der  liturgischen 
Gewänder  s.  Segnung. 

Bernarduskasel  198. 

Beschuhung :  pontifikale,  in  der 
Gegenwart  384  f ;  zu  Rom 
bis  zum  2.  Jahrtausend  385  f ; 
Namen  388 ;  außerhalb  Roms 
bis  zum  2.  Jahrtausend  389  f ; 
Bestandteile  (Schuhe  und 
Strümpfe)  391  f;  Beschaffen 
heit  bis  zum  2.  Jahrtausend 
393  f ;  ein  spezifisch  bischöf'l. 
Schmuck  396;  bei  den  Kar- 
dinälen 396  f;  Verleihung  an 
Abte  und  andere  Geistliche 
398  f ;  Beschaffenheit  bis  zum 
14.  Jahrh.  399  f;  Beschaffen- 
heit seit  dem  14.  Jahrb.  410  f; 
Verwendung  419  f :  Ursprung 
421  f. 

Bildstickereien  33  37  38  39 
40  41  84  85  86  88  220  222 
227—233  272  273  279  305 
331  332  333—347  372  470 
477—482  535  537—541  542 
551  671  688. 

Birett:  Alter  510  f;  Entwick- 
lung 512  f. 

biruna,  Amikt  der  Nestorianer 
50  488  494. 

Borromäuskasel  198. 

Brederken  =  Parura  des 
Amikts  36:  der  Albe  82. 

burnos,  Meßgewand  im  kopti- 
schen Ritus  235. 

Calceus  senatorius  422  f. 
Caligä  (Pontifikalstrümpfe)  s. 

Beschuhung. 
Caligae    in    Nadelarbeit   401; 

aus  Seidenstücken  402  410. 
camelaucum :     Kopfbedeckung 

des   Papstes  496  f ;    profane 

Kopfbedeckung  497. 
camilli  (Opferdiener)  557  613 

615. 
camisia  =  Albe  59 ;  =  Decke 

79;  =Rochett  126  128. 


campagus.  liturgischer   Schuh 

385  f  388  422  f. 
capitium  =  Kopfdurchlafi  der 

Albe    73;   =   Kapuze    der 

Cappa  318. 
Cappa  cantorumSIS;  choralis 

308  353;  clericalis  307  317: 

magna  352:    manicata  308; 

der  Mönche  307 ;  professionis 

329;  romana  307 ;  rubea  352. 

—  —  Pluviale:  nach  heutigem 
Gebrauch  306;  Namen  307  f; 
Alter  310  f;  Entwicklung 
ihrer  Verwendung  beim  Got- 
tesdienst 314  f;  Form  und 
Beschaffenheit  317  f;  Ka- 
puze 318  f;  Schild  320  f: 
Schließe  321  f;  Stoff  326  f; 
Verzierung  329  f. 

casula  diptycha  16. 
-  Etymologie  154. 
catexamitum  s.  examitum. 
cauda  der  Cappa  magna  353. 
caudatarius  353. 
chirotheca,  Alter  des  Namens 
362. 

—  inconsutiles  369. 
Chlamys  245  656. 
Chorkappe  =  Cappa  (Pluviale). 
choschen  766. 

cidaris  =  Mitra  428. 

Cingulum :  in  der  Gegenwart 
101  f;  in  vorkarolingischer 
Zeit  102  f;  seit  dem  9.  Jahrh., 
Form  105  f;  Material  112; 
Verzierung  113  f. 

—  in  den  orientalischen  Riten 
115;    seine  Geschichte  116. 

circulus  der  Mitra  469  472. 

collare  s.  Parura  des  Amikts. 

collarin,  spanischer  Amikt- 
kragen 22. 

collet,  colletin,  Lyoner  Amikt- 
kragen 22. 

compassus  336. 

contabulatio  659. 

cornua  der  Mitra  458  f. 

Corona  als  Anrede  440;  = 
Tiara  429  485  499. 

Cotta  =  Superpelliceum    136. 

cottus  (cottis),  Rock  137. 

cuphia  =  Mitra  428. 

Dalmatik :  nach  gegenwärti- 
gem Gebrauch  247  f ;  Alter 
249f;  spezifisches  Gewand  des 
römischen  Ritus  251  f;  Ver- 


794 


III.    Sachregister. 


leihung  au  auswärtige  Bi- 
schöfe und  Diakone  251;  als 
Decke  der  Bahre  gebraucht 
254;  bei  den  römischen  Kar- 
dinalpriestern  255;  Verlei- 
hung an  Abte  256;  Verlei- 
hung an  sonstige  Priester 
257;  Beschaffenheit  in  vor- 
karolingischer  Zeit  258  f ; 
in  nachkarolingischer  Zeit 
261  f :  im  späten  Mittelalter 
270  f ;  in  der  Neuzeit  280  f ; 
ihre  liturgische  Verwendung 
298  f ;  ihr  Gebrauch  an  Buß- 
tagen 294 ;  am  Gründonners- 
tag 295;  bei  Totenmessen 
296;  bei  der  Diakonenweihe 

.    297.  - 

Dalmatik:  Clavi  259  265; 
Farbe  258  264;  Flügel  (sca- 
pularia)  27S;  Fransen  260 
277 :  Flöckchen  266 :  Quasten 
274;  seitliche  Schlitze  260 
274  281;  seitliche  Aus- 
schnitte 262;  Stoff  259  263 
270;  Zierbesätze  276. 

delicati  (Tafeldiener)  557  613 
615. 

dien-  (Dienst-)  rock  (=  Tuni- 
cella)  289. 

Diensttuch,  diakonales  556  f. 

doigtier  561. 

Egbertpontiflkale:  Alter  519 
549. 

Enchirion  (iy/aiptov)  124  551  f. 

Endverzierung:  des  Cingulum 
1 14;  desManipels  5H3  536;  der 
Stola  595;  des  Palliums  651. 

Entwicklung  der  liturgischen 
Gewandung :  in  vorkonstan- 
tinischer  Zeit  767  f ;  vom  4. 
bis  9.  Jahrh.  771  f;  vom  9. 
bis  13.  Jahrh.  779  f:  vom  13. 
bis  20.  Jahrh.  781  f. 

Entwicklungsformen :  des  Bi- 
retts  513;  der  Kasel  195;  der 
Mitra475;  des  Palliums  649. 

ephod  653  695  766. 

Epigonation:  Form  und  Aus- 
stattung 550;  Charakter 
(Gegenstück  des  Manipels) 
550  560;  Alter  und  Ab- 
leitung 551  f ;  zum  Tragen 
des  Epigonation  Berechtigte 
553  f. 

Epimanikien :  Form  98 :  Farbe 
99;  Alter  und  Ursprung  99  f. 

i.TtiTpo.yji).wj  (Epitrachelion), 
griechische  Priesterstola  601 
603. 

Etikettetuch  559. 

examitum  (samitum)  225. 

Facistergia  (facistercula)  560 

561. 
fano  =  Amikt  49;  =  Behang 

der  Mitra  459;    =  Fanoiie 

52;  —  Manipel  518. 


Fanone  (Fano),  päpstlicher  Or- 
nat: Beschaffenheit  52  55; 
Form  52;  Verwendung  53  f; 
Alter  56. 

Farben,  liturgische:  nach  heu- 
tigem Brauch  728  f;  Alter  der 
liturgischen  Farbenreseln 
729  f;  ihr  Urheber  734:  Ihre 
frühere  Mannigfaltigkeit 
737  f ;  Norm  für  die  Bestim- 
mung der  Farben  748;  Ur- 
sprung der  Farbenregeln 
749  f ;  Symbolik  der  ver- 
schiedenen Farben  750  f  ; 
liturgische  Farben  in  den 
Riten  des  Ostens  753  f ;  Weiß 
als  liturgische  Farbe  in  vor- 
karolingischer  Zeit  754  f. 

fasciae  der  Mitra  s.  Behänge. 

femoralia  der  jüdischen  Prie- 
ster  (michnasim)    123   766. 

festa  in  albis  69. 

flbula:  der  Cappa  s.  Pluvial- 
schließe;  als  Verzierungs- 
mittel s.  Zierplättchen. 

fimbriae :  des  Amikts,  der  Albe 
s.  Parura;  der  Mitra  s.  Be- 
hänge; der  Mitra,  der  Dal- 
matik, des  Manipels,  der 
Stola  s.  Fransen. 

firmale  (firmarium)  s.  Pluvial- 
schließe. 

flatterchen,  los  hangende  Ver- 
zierungen aus  Metall  37. 

Flügelrock,  eine  Art  Super- 
pelliceum  145. 

Fransen  (Quästchen ,  Glöck- 
chen):  des  Cingulum  112; 
der  Dalmatik  260  266  277; 
des  Manipels  516  534  536; 
der  Mitrabehänge  429  458 
472;  des  Pluviale  329;  der 
Stola  593  600;  des  Palliums 
651. 

frigium  (plnygium)  =  tiara 
497  499. 

frisium  (frixium)  =  Parura 
36  81. 

Fußkuß  418. 

Futter  der  Kasel  211. 

Gabelkreuzförmiger  Besatz : 
auf  Laienkasein  209;  auf 
liturgischen  Kasein:  Alter 
209;  Charakter  213  f;  Blüte- 
zeit 215;  Entartung  216; 
auf  den  Pontifikalschuhen 
401. 

Gallikanische  Meßerklärung: 
Alter  7. 

Gebetsmanteltheorie  611. 

gemma  s.  Parura. 

Girenalbe  59. 

Glockenkasel:  Form  180  f; 
Schnitt  und  Herstellung  182 ; 
Schlitze  in  den  Seiten  182  f; 
Schnüre  zum  Aufziehen  183. 

Goldfaden  219;  sog.  cyprischer 
39  219. 


grammata  s.  Parura. 

Granatapfel  206. 

Gremiale  123. 

Guipe  (Hochstickerei  in  Gold 

oder  Silber)  223  234. 
Guipuren  (Spitzen)  92. 
Gürtelschließe,    gallische   103 

105. 

Halstuch,  profanes:  auf  Monu- 
menten 45 :  bei  den  Schrift- 
stellern 46. 

handlin  =  Manipel  519. 

Handschuhe:  Namen  359;  nach 
heutigem  Gebrauch  359  f ; 
Alter  361  f;  Verbreitung  im 
12.  und  13.  Jahrh.  366  f; 
Verleihung  an  Nichtbischöfe 
367  f;  Form  369;  Herstel- 
lungsweise 370  f ;  Stulpen 
372;  Verzierung  374  f;  Stoff 
378;  Farbe  379  f;  Verwen- 
dung 380  f ;  im  Weiheritus 
382;  Ursprung  383. 

Handvelum  554  f. 

hantfane  (hantfano)  518. 

heubtdoech  =  Amikt  30. 

Hörner  der  Mitra  s.  cornua. 

Humerale  =  Amikt  21  48. 

Immantatio     des      erwählten 

Papstes  351. 
infula:  Bedeutung  426  f  444  f 

619;  =  casula  153. 
infulae  der  Mitra   s.  Behänge 

der  Mitra. 
Inventare   als   Quelle   für   die 

Gesch.  der  lit.  Gew.  10. 
Inschriften :    arabische    205  f ; 

auf  dem  Cingulum  113. 
Isispriesterinnen  659  663. 
'laropia:  Alter  10  603. 

Kalotte,  Scheitelkäppchen 
509. 

V-Ame\&uk\on(-/.aßf]Xa6y.io\>)  pro- 
fane Kopfbedeckung  497 ; 
klerikale  Kopfbedeckung  50. 

xd/j-ayog,  profaner  Standes- 
schuh 422. 

Kapuze:  an  der  Kasel  176  f  188; 
der  Cappa  318. 

Kasel  (Amphibalus,  Planeta) : 
nach  gegenwärtigem  Ge- 
brauch 149;  planeta  plicata 
149;  moderne  Kaseltypen 
1 50  f ;  Namen  der  Kasel  152  f ; 
Alter  155  f ;  Gebrauch  sei- 
tens der  Subdiakone  und 
Minoristen  160  f ;  Gebrauch 
seitens  der  Diakone  163  f : 
Tragweise  bei  den  Diakonen, 
Subdiakonen  und  Minoristen 
166  f ;  Verwendung  bei  den 
gottesdienstlichen  Funktio- 
nen 169  f;  Verwendung  im 
Weiheritus  172  f;  Form  bis 
zum  13.  Jahrh.  173  f;  Än- 
derung der  Form  184  f ;  Ver- 


Sachregister. 


795 


such  der  Wiedereinführung 
der  spätmittelalterlichen  Ka- 
selform  197  f;  Stoff  152 
200  f ;  Verzierung  209  f;  Ur- 
sprung 239  f. 

Kasel  bei  Buddhastatuen  243. 

Kaselbesatztypus :  nordischer 
(Gabelkreuz)  212  f;  italieni- 
scher 217. 

Kasel,  gotische  198. 

Kaselkreuzarten:  Gabelkreuz 
209  213  f;  schrägarmiges 
215;  horizontalarmiges  216. 

Kasel  (Amphibalus,  Planeta) : 
Teil  der  klerikalen  Tracht 
153  160;  der  Laientracht 
153  157;  derMönchskleidung 
153  157. 

Kaseltypus:  deutscher  151; 
französischer  151  f;  römi- 
scher 150;    spanischer   151. 

—  Verwendung  bei  dem  prot. 
Gottesdienst  197. 

kethonet  766. 

Klerikale  Tracht  72. 

Kölner  Borten  221. 

Kolobium  68  301. 

Kolobiumförmiges  Superpelli- 
ceum  146. 

Kopfbedeckung ,  liturgische : 
im  Abendland  s.  Mitra:  im 
Orient  487  f :  im  griechischen 
Ritus  490  f :  im  syrischen 
492 ;  im  armenischen  493 ; 
im  chaldäischen  494 :  im 
koptischen  494. 

Koptische  Grabfunde,  Bedeu- 
tung und  Irrtümer  in  Bezug 
auf  dieselben  13  447  550  643. 
-  Verzierungen  der  Tunika 
83  97  694. 

korerock  =  Tunicella  289. 

Kreuzchen:  auf  dem  Manipel 
516  536;  den  Sandalen  393 
416  f:  der  Stola  593  f;  dem 
Pallium  649  f. 

kuklion,  Meßgewand  der  Kop- 
ten 235. 

Ijacerna  348. 

lamina,  Stirnplatte  des  jüdi- 
schen    Hohenpriesters    488 

766. 
Lederkasein  207. 
Leinwand  (Baumwollzeug)  :  als 

Kaselstoff    202:     bedruckte 

203. 
less-   (leis-)   rock  =  Tunicella 

289. 
Liber   Pontificalis,   Alter  250. 
licinum,  Name  des  Pontifikal- 

strumpfes  398. 
ligulae     (linguae)     der    Mitra 

s.  Behänge  der  Mitra. 
linea  (tunica  linea)  =  Albe  59: 

=  Tunicella  288. 
lingula  =  Bindevorrichtung  der 

Albe  73. 
Linnenkasein  202. 


Liturgiker:  der  Karolingerzeit  ' 
8f;    des    11.,    12.    und    13. 
Jahrh.  9. 

Liturgische  Bücher  als  Quelle 
der  Gesch.  der  lit.  Gew.  6. 

—  Gewänder,  alte:  Irrtümer 
in  Bezug  auf  ihre  Datierung 
13:  Quellen  für  die  Gesch. 
der  lit.  Gew.  12  ff 

—  Gewandung :  Begriff  1 :  Über- 
sicht über  ihre  Bestandteile 
in  dem  lat.  Ritus  1 ;  in  den 
orientalischen  Riten  1  f. 

Xwpia :  Besätze  der  Tunika  100. 
lorum  =  Pallium  624. 

Maaphra  des  nestorianischen 
Ritus  =  Kopfschleier  50  494 : 
=  Meßgewand  235. 

macnaftä,  Schultertuch  des 
syrischen  Ritus  49  f  493. 

mandyas  (p.avdüaq) ,  Mantel 
der  griechischen  Bischöfe 
350. 

manica  =  Handschuh  359  363 : 
=  Stauche  101  362. 

Manipel:  in  der  Gegen  wart  5 1 5  f : 
Namen  517  f :  der  Manipel 
zu  und  seit  der  Karolinger- 
zeit 520  f  531 :  im  Gebrauch 
bei  Mönchen  522:  in  vor- 
karolingischer  Zeit  523  f : 
Umbildung  zum  Zierstreifen 
531  f:  Stoff  und  Verzierung 
bis  zum  13.  Jahrh.  534  f : 
Beschaffenheit  seit  dem  12. 
Jahrh.  535  f ;  in  der  Neuzeit 
541  f:  Tragweise  in  ältester 
Zeit  543 :  Änderung  in  der 
Tragweise  544;  liturgischer 
Gebrauch  545f:Zeitpunktder 
Anlegung  545  f :  Verwendung 
im  Weiheritus  548  f :  der  Ma- 
nipel im  armenischen  Ritus 
550 ;  Ursprung  554  f. 

manipulus,  Bedeutung  519. 

mantile  =  Manipel  51 9:  =  Ser- 
viette, Handtuch  519  558. 

Mantum  351. 

manuale  =  Manipel  519:  = 
Stauche  362. 

mapilla  527. 

mappa,  Bedeutung  517  559. 

Mappula  =  Manipel  517  520 
526  f  530  f;  =  =  Halstuch, 
Schweißtuch,  Baldachin  517 : 
Velum  517  530. 

—  (mappulus)  =  Schabracke 
526. 

mappularii  317. 

meil  766. 

meszachel  (missahachul,  masse 

hacele)  =  Kasel  155. 
Meßgewand    im    armenischen, 

syrischen,  chaldäischen  und 

koptischen  Ritus  235  239. 
Methode    in    der    Behandlung 

der  Gesch.  der  lit.  Gew.  4. 
michnasim  766. 


migba'ah  424  766. 

Missa  Illyrica,  Alter  122. 

Mitra :  Namen  des  Ornatstückes 
424  f:  Bedeutung  des  Wortes 
mitra  425;  die  Mitra  im 
heutigen  Gebrauch  429  f :  ihr 
Alter  431  f ;  die  ersten  Ver- 
leihungen an  Bischöfe  447  f ; 
bischöflicher  Ornat  449;  bei 
Kanonikern  452;  bei  Äbten 
453  f ;  bei  den  Kardinälen 
455  f ;  bei  weltlichen  Fürsten 
456:  bei  dem  Kaiser  (der 
Kaiserin)  457. 

—  Form  und  Beschaffenheit: 
Kegel- (Kalotten-)  form  458f; 
angeblich  ursprünglich  Kopf- 
tuch 462 :  mit  seitlichen  Hör- 
nern 463  f :  mit  Hörnern  über 
Stirn  und  Hinterhaupt  464  f; 
Herstellungsweise  im  12.  und 
13.  Jahrh.  469:  Verzierung 
im  12  und  13.  Jahrh.  470  f; 
Arten  der  Mitra  472;  Form 
und  Ausstattung  im  späten 
Mittelalter  und  in  der  Neu- 
zeit 474  f ;  zur  Zeit  des  Ba- 
rocks 483 ;  des  Rokoko  484 ; 
liturgischer  Gebrauch  485  f ; 
Verwendung  im  Ritus  der 
Bischofsweihe  486  :Ursprung 
495  f. 

mitra:  cum  aurifrisio  in  circulo 
ettitulo472:  cum  aurifrisio 
in  titulo  sine  circulo  472 : 
auriphrygiata  429  472 :  pre- 
tiosa429:  simplex  429  472. 

Mitra  in  den  Riten  des  Ostens 
s.  Kopfbedeckung,  liturg. 

miznephet  51  424  766. 

Mönchsgürtel  104  116. 

Monumente:  als  Quellen  für  die 
Gesch.  der  lit.  Gew.  11  f:  Re- 
geln für  ihre  Verwertung  1 1  f. 

morsus,  Pluvialschließe  321. 

Mozzetta:  Form,  Alter  357: 
Ableitung  358. 

IVaccus  (nattus)  =  Schabracke 

527. 
Nadeln    zur   Befestigung    des 

Palliums  644  651. 

Offertorium  =  Mappula  521. 

Offlzialen,  Tracht  245  656. 

Omophorion,  profanes  668  673. 
-  sakrales:  griechisches  und 
armenisches  665;  syrisches 
665:  Alter  666;  Symbolik 
und  Charakter  667  f :  Be- 
schaffenheit 665  668:  Trag- 
weise 670  f ;  Ursprung  672  f. 

opus  anglicanum,  romanum  etc. 
41  221  347. 

ojpäpto'j,  griechische  Diakonen- 
stola 565  601. 

Orarium  :  Etymologie  563  567  : 
=  Pallium  574:  =  profanes 
Tuch  564  573;  =  Stola  565  f. 


F96 


Sachregister. 


Ordines,   römische,  Mabilloris, 

Alter  6  256  497  783. 
d#6vi)  =  wpdptov  605  613  615. 
ouvraige    de   Fleurence    (opus 

Florentinurn)  347. 

Paenula  243. 

Palla,  Frauenmantel  659. 

Pallium,  Bedeutung  des  Wor-  j 
tes  624  656. 

pallium :  gallicanum  25  572 
573  675  f  695 ;  linostimum 
524  574. 

Pallium,  liturgisches,  nach  heu- 
tigem Gebrauch:  Segnung 
620:  Charakter  621:  Ge- 
brauch 621  f :  Bedeutung 
622  f :  Ritus  der  Übergabe 
623. 

—  Geschichte:  Alter  624  f; 
Verleihungen  an  päpstliche 
Vikare  u.  Metropoliten  626  f ; 
Verpflichtung  der  Metropoli- 
ten, um  das  Pallium  nach- 
zusuchen 627  f :  Verleihung 
anSuffragane  629  f;  Übersen- 
dung und  persönliche  In- 
empfangnahme 630 :  Pal- 
liumsporteln  631 ;  professio 
fidei  und  Treueid  vor  Emp- 
fang 631 :  sakraler  Charak- 
ter 631  f;  Verwendung  632  f: 
Stellung  der  'weltlichen  Für- 
sten zu  den  Palliumverlei- 
hungen  624  f :  Interventio- 
nen weltlicher  Fürsten  638  f : 
Bedeutung  des  Palliums 
639  f;  älteste  Form  desselben 
642  f;  Stoff  644:  Nadeln  zur 
Befestigung  644  651:  Ände- 
rung in  der  Form  645  f ; 
Kreuze  auf  dem  Pallium 
649  f;  Farbe  der  Kreuze  650 ; 
Endstücke  und  Fransen  651. 

—  Ursprung  vom  Kaiser  ver- 
liehene Insignie  652;  Ab- 
leitung vom  Ephod  des  Alten 
Bundes  653;  Ableitung  von 
einem  Mantel  des  hl.  Petrus 
654:  Ableitung  von  einem 
sakralen  Mantelpallium  655 : 
Ableitung  von  einem  pro- 
fanen Mantelpallium  657  f ; 
als  Insignie  eingeführt  661  f. 

—  in  Gallien,  Spanien,  Afrika 
674  f. 

—  profaner  Mantel  64  656 
657  f. 

Parura,  paratura:  des  Amikts 

33  f :  der  Albe  81  f ;  der  Dal- 

matik  276. 
pedules,  Strümpfe,  Pontifikal- 

strümpfe  389  398. 
pellicea  (Pelzkleid)  139  f. 
penduli  der  Mitra  s.  Behänge 

der  Mitra. 
■nepioxsXides  =  udones  422. 
-ipiTpo.yrj).wv   =   i-nczpayrjhov 

603.  " 


Perlenstickereien  37  38  39  88 
212  233  374  377  470  473 
474  477  478  480  481  482 
483  537. 

Pestkasein -203. 

phaina,  Meßgewand  des  syri- 
schen Ritus  235. 

cpaiv6Xi]z  {ipawöXtov)  s.  peiil^s 
(wsXovio'j). 

tp£\6v7jz,  profaner  Mantel  245  ; 
=  Buchhülle  247. 

Phelonion  (<psX6vtov,  (pslöv-qq) , 
Meßgewand  des  griechischen 
Ritus:  Form  234:  Stoff 
235 :  Geschichte  236 ;  Träger 
238. 

Philosophentracht  64  f. 

Pileolus  509. 

pileus  cantorum  319  510. 

—  =  Mitra  428. 
plaga,  plagnla  s.  Parura. 
Planeta  s.  Kasel. 
planeta,  Etymologie  154. 

—  plicata  149  166  f.' 
Pluvialagraffe       s.       Pluvial- 

schließe. 

Pluviale  s.  Cappa. 

pluviale,  Etymologie  309. 

Pluvialschließe  321  f. 

poderes  =  Albe  59;  =  Talar- 
tunika  der  jüdischen  Prie- 
ster 95  767. 

polystaurion  (TioXocraupiov), 
mit  Kreuzen  verziertes  Meß- 
gewand 237. 

-orapoc  94  96  350. 

praecinctorium  =  subcincto- 
rium  120. 

praetexta  s.  Parura. 

presbyterium,  Geldspende  135. 

procedere  (Bedeutung)  528. 

Pseudo-Beda:  Alter  8. 

Pseudo-Germanus:  Alter  10. 

Pseudo-Sophronius:  Alter  10. 

Quaestiones  Vet.  et  Novi  Test. : 

Alter  249. 
Quellen  für  die  Gesch.  der  lit. 

Gew.  5. 

Kationale  des  jüdischen  Ho- 
henpriesters 653  766. 

—  pontiflkales  Schultergewand 
in  der  Gegenwart  676  f;  Alter 
678  f;  Verbreitung  680  f : 
Charakter  686;  Beschaffen- 
heit 687  f;  Typen  693:  Ur- 
sprung 694  f;  pontifikaler 
Brustschmuck  697  f. 

Rauchmantel  =  Cappa  306. 

Reformversuch  Pauls  IV.  190. 

regnum  =  Tiara  497  499  f. 

Religiöse  Bilder  auf  profanen 
Gew.  13. 

roccus  =  Tunicella  288. 

Rochett:  Unterschied  vom  Su- 
perpelliceum:  Form  125: 
Namen  126  f;  Charakter 
des   Gewandes  129  f :   Alter 


130  f;  Beschaffenheit  132  f: 
Verzierung  (Spitzen)   135. 
romanum  (opus)  =  de  Romania 
(Griechenland)  221. 

saghavart,  Kopfbedeckung  des 
armenischen  Ritus  487  493. 

Sakkos:  Charakter  und  Be- 
schaffenheit 302;  Alter  302; 
Träger  303;  Ursprung  305. 

samitum  225. 

Sandalen  s.  Beschuhung. 

—  Farbe  393  405  418;  Löch- 
lein im  Oberstoff  406 ;  Ma- 
terial 405 :  Typen  im  Mit- 
telalter 393  404  412;  in 
der  Neuzeit  413  f;  in  Stiefel- 
form 414. 

sarcos  (saroht,  sarcotium,  sar- 
rotus)  =  Rochett  127. 

scapularia    s.    Dalmatikflügel. 

Schabracke,  weiße,  als  Aus- 
zeichnung verliehen  526  f. 

Schärpen  619  659  663. 

Schaufäden  611. 

Schaufelmanipel  542. 

Schaufelstola  600. 

Schild  =  Parura  36 :  des  Plu- 
viale 320  f. 

Schultertuch  im  gewöhnlichen 
Leben  s.  Halstuch. 

—  im  armenischen  49 ;  chal- 
däischen  50:  koptischen  49 
51 ;  syrischen  Ritus  49  50  f. 

schurtschar,  Meßgewand  des 
armenischen  Ritus  235. 

Schweißtuch  558  f  561. 

segmenta,  Verzierung  der  Tu- 
nika 83. 

Segnung  der  liturgischen  Ge- 
wänder: nach  heutigem  Ge- 
brauch 760 ;  Alter  761  f :  For- 
mulare 762  ;  ein  bischöfliches 
Vorrecht  764:  in  den  Riten 
des  Ostens  764. 

semicinctium  =  Hüfttuch  122; 
=  Subcinctorium  122. 

Senatorenschuh  s.  calceus  se- 
natorius. 

Senatorentracht  245. 

Sermo  XIV:  Alter  9. 

sestace  =  Manipel  519. 

sigilla,  Verzierung  der  Tunika 
83. 

Soli-Deo  =  Pileolus  509. 

sotularis  =  Caliga  388. 

Spange  s.  Zierplättchen. 

Spatelalbe  59. 

Speculum  de  myst.  eccl.:  Al- 
ter 9  719. 

Spitzen  :  bei  der  Albe  91 :  beim 
Rochett  135;  beim  Super- 
pelliceum  148. 

Statuta  ecclesiae  antiqua  (Conc. 
Carth.  IV  vulg.),  Alter  253. 

Staurophor  554. 

Stoffe,  bedruckte  203. 

Stoffmuster:  in  der  Frühe  des 
zweiten    Jahrtausends    204: 


Sachregister. 


797 


im  13.  und  14.  Jahrh.  205; 
im  15.  Jahrh.  206. 
Stola:  nach  heutigem  Brauch 
562;  als  Insignie  563;  Na- 
men 563  f ;  Ursprung  des 
Namens  Stola  568;  Alter 
569  f ;  zur  Karolingerzeit 
578  f:  als  Insignie  580  f: 
Verwendung  582  f :  Trag- 
weise 584  f ;  im  Weiheritus 
589  f :  Beschaffenheit  in  vor- 
karolingischer  Zeit  590  f : 
seit  dem  9.  Jahrh.  591  f:  Fran- 
sen (Gloekchen)  593 :  Kreuze 
593  f:  Farbe  594:  Endstücke 
595;  Ursprung  608  f. 

—  in  den  Riten  des  Ostens: 
Form  601  f;  Tragweise  602: 
Verwendung  602  f  608;  Ge- 
schichte 603  f. 

—  latior  (stolone)   150. 

—  =  Matronengewand  609. 

Stowe-Missale,  Alter  7. 

stricta  =  Tuniceila  288. 

Strohkasel  208. 

Stulpen  an  den  Handschuhen 
372. 

subbiretum  =  Pileolus  509. 

subcingulum  =  Subcinctorium 
118. 

Subcinctorium :  nach  gegen- 
wärtigem Gehrauch  117;  Al- 
ter 118;  Beschaffenheit,  Aus- 
stattung, Tragweise  119: 
Namen  120f:  Ursprung  123f. 

submitrale  =  Pileolus  509. 

subtalaris  =  campagus  388. 

subtile  =  Tuniceila  287. 

succa,  sucta,  subta  =  Rochett 
128. 

sudarium  =  Manipel  518  558  f. 

superhumerale  =  Amikt  48. 

Superpelliceum:  Alter  135  f: 
Namen  136  f;  Gebrauch  138; 
Ursprung  des  Namens  139  f : 
des  Gewandes  140  f :  Ver- 
wendung im  Ordinationsritus 
142:  älteste  Form  143  f; 
Änderungen  in  der  Form 
144  f :  Verzierung  (Spitzen) 
147  f;  Fältelung  148. 

Symbolik,  Arten:  moralische 
700  ;  dogmatisch  -  typische 
700  705 :  dogmatisch-reprä- 
sentative 705 :  allegorische 
705  f. 

—  in  den  Stoffmustern  206. 


Symbolische  Deutung  der  li- 
turgischen Gewänder  im 
Abendland:  in  vorkarolingi- 
scher  Zeit  702;  zur  Karo- 
lingerzeit 702  f;  im  12.  und 
13.  Jahrh.  704:  im  späten 
Mittelalter  704. 

-  im  griechischen  Ritus 
707;  im  nestorianischen 
709;  im  syrischen  709;  im 
armenischen  709  f. 

—  —  des  Schultertuches  710; 
der  Albe  712;  des  Cingulum 
713:  desManipels  714;  der 
Stola  716;  der  Kasel  718: 
der  Mitra  719;  der  Ponti- 
fikalhandschuhe  720:  der 
Caligae  und  Pontifikalschuhe 
721:  des  Subcinctorium  723: 
des  Pallium  723  f :  des  Super- 
pelliceum 725 :  der  Dalmatik 
(Tuniceila)  725;  desPluviale 
726:  der  liturgischen  Farben 
750. 

TußXia  350  656. 

talaris  tunica  =  Albe  59. 

Talartunika  71. 

Tallith  (Talles),  jüdischer  Ge- 
betsmantel 564  611. 

Taschenmanipel  542. 

tassellus  s.  Zierplättchen  und 
Pluvialschließe. 

Tiara :  ohne  Kronreifen  498 ; 
mit  einem  Kronreif'en  499  f: 
mit  gezacktem  Kronreifen 
500:  Behänge  501;  Beschaf- 
fenheit 502;  mit  zwei  Kro- 
nen 503;  mit  drei  Kronen 
504  f ;  oberer  Abschluß  506 ; 
Ausschmückung  506  f;  Ur- 
sprung 508. 

tiara  =  Mitra  428. 

titulus  der  Mitra  469. 

Toga  652  657  658  664. 

Totentanzdarstellung  334. 

Tractatus  de  sacr.  altaris,  Al- 
ter 9  719. 

trica,  Dalmatikverzierung  279. 

triregnum  =  Tiara  504  f. 

truncus  s.  Parura. 

Tüllspitzen  92. 

tunica  epistolaria  =  Tuniceila 
288. 

Tuniceila:  nach  gegenwärtigem 
Gebrauch  247  f:  Alter  ihrer 
Verwendung  283  f ;  bei  Ako- 


lythen  285 :  bei  Abten  286 : 
Namen  287  f ;  Beschaffenheit 
in  dem  Mittelalter  und  der 
Neuzeit  289  f ;  liturgische 
Verwendung  293  f ;  an  Buß- 
tagen 294:  am  Gründonners- 
tag 295:  bei  Totenmessen  296: 
bei  der  Subdiakonenweihe 
298:  Farbe  291:  Form  289  f: 
Stoff  290;  Verzierung  292. 
Tunika  in  den  orientalischen 
Riten  :  Form  92  ;  Farbe,  Ver- 
zierung 93 ;  Gebrauch  94 : 
Verwendung  im  Weiheritus 
94;  Geschichte  95  f. 

—  des  Liturgen  in  vorkon- 
stantinischer  Zeit  63  ff. 

—  profane,  im  Altertum  70  f. 

Udo:  Pontifikalstrumpf  385  f 
422,-  profane  Fußbekleidung 
387  422. 

umbral  =  humerale  48  711. 

um)Sfjij.a  =  xdij—ayog  4cH. 

urar,  Stola  im  armenischen 
Ritus  601. 

uroro ,  Stola  im  syrischen 
Ritus  601. 

Ursprung  der  liturgischen  Ge- 
wandung 765  f  776. 

Vakas,  Schultertuch  im  ar- 
menischen Ritus  49. 

vellus,  Bedeutung  362. 

Verhältnis :  der  lit.  Gew.  des 
lat.  Ritus  zu  der  der  Orient. 
Riten  1 ;  der  lit.  Gew.  der 
Orient.   Riten   zueinander  2. 

Vespermantel  =  cappa  306. 

vittae  der  Mitra  s.  Behänge 
der  Mitra. 

Vorspan  (Fürspan)  =  Zier- 
plättchen 41. 

Wantus  —  Handschuh  359. 
wardecor  =  Dalmatik  287. 
Weihetuch  619. 

Zierplättchen  (Scheibchen): als 
Verzierung  der  Handschuhe 
375  376:  bei  sonstigen  Pa- 
ramenten  36  37  40  41  114 
221  278  476  477  480. 

ziz  =  lamina  424  766. 

zizith,  Quasten  am  jüdischen 
Obergewand  611. 

zona  roinana  105. 


Von  demselben  Verfasser  sind  in  der  Herdersellen  Verlagshandluiig  zu  Freibarg 
im  Breisgau  erschienen  und  können  durch  alle  Buchhandlungen  bezogen  werden : 

200  Vorlagen  für  Paramentenstickereien,  entworfen 

nach  Motiven  mittelalterlicher  Kunst.  28  Tafeln  nebst  Text.  Zweite, 
vermehrte  Auflage.  Größe  der  Tafeln  52  X  70  cm.  Text:  Lex.-8° 
(VI  u.  26)     In  Halbleinwand-Mappe  M  18.— 

Dasselbe  Werk  ist  auch  in  französischer  und  englischer  Ausgabe  erschienen. 

„Im  Vorjahre  bereits  hatten  wir  Anlaß  genommen,  auf  dieses  ganz  ausgezeichnete  Werk 
hinzuweisen,  und  in  Nr  2  des  laufenden  Jahrgangs  unseres  Blattes  ist  ja  unsern  Lesern 
Gelegenheit  geworden,  den  in  dieser  Materie  wohlbewanderten  Autor  in  seinen  eigenen  Aus- 
führungen kennen  zu  lernen.  Nach  kaum  mehr  denn  Jahresfrist  liegt  uns  nun  sein  Haupt- 
werk bereits  in  Zweitauflage  vor,  der  beste  Beweis  dafür,  daß  in  jenen  Kreisen,  welche  für 
dieses  Fach  beschäftigt  oder  sonst  irgendwie  interessiert  sind,  diese  Motivenmappe  sich  ent- 
sprechende Wertschätzung  errungen  hat.  Dieser  gute  Erfolg  hat  denn  auch  P.  Braun  ermuntert, 
die  Erstausgabe  um  vier  Tafeln  —  mit  50  Vorlagen  —  zu  vermehren ;  dieselben  beziehen 
sich  auf  die  künstlerische  Ausschmückung  von  Kirchenwäsche  verschiedener  Bestimmung, 
von  Kasein,  Pluvialen,  Schultervelen  und  Dalmatiken,  eine  gewiß  vielfach  dankenswert  emp- 
fundene Bereicherung  des  gebotenen  Stoffes.  Die  hierzu  gebrachten  Motive  zeichnen  sich  durch 
Gefälligkeit  wie  auch  durch  große  Verschiedenartigkeit  aus,  die  Größe  ihrer  Darstellung 
erleichtert  wesentlich  ihre  Verwendung  in  den  verschiedenen  Bearbeitungsformen.  Damit  ist 
zweifellos  ein  höchst  beachtenswertes  Hilfswerk  zur  Betätigung  dieses  Zweiges  kirchlicher 
Kunstpfiege  geschaffen:  möge  ihm  auch  die  verdiente  Wertschätzung  nicht  vorenthalten  bleiben." 

(Der  Kunstfreund,  Innsbruck  1904,  Nr  5 ) 

„Unter  den  200  Vorlagen  der  Sammlung  befinden  sich  14  bzw.  16  Entwürfe  zu  Kasel- 
kreuzen,  5  bzw.  6  zu  Pluvialausstattungen,  7  zu  Dalmatikbesätzen,  7  zur  Verzierung  von 
Segensvelen,  11  zu  Stolen,  mehr  denn  40  zu  Bordüren  für  Alben,  Altartücher,  Superpellicien, 
etwa  15  zum  Besticken  von  Baldachinbehängen,  24  zur  Verzierung  von  Pallen  usw.  Das  sehr 
bedeutende  Material  kann  noch  erhöht  werden  durch  passende  Vergrößerung  oder  Verkleinerung 
mancher  Vorlagen  oder  durch  geeignete  Kombinationen  derselben.  Die  Vorlagen  sind  teils 
im  romanischen,  vorzugsweise  im  gotischen  Stile  gehalten,  viele  originell  und  von  hervor- 
ragender Schönheit,  alle  tragen  echt  kirchlichen  Charakter.  Das  Werk  hat  bereits  in  seiner 
ersten  Auflage  sowohl  seitens  fachkundiger  Gelehrten  wie  praktisch  tätiger  Stickerinnen  von 
hervorragenden  Leistungen  ungeteilte  Anerkennung  gefunden.  Von  ersteren  nennen  wir  nur 
den  hochw.  Herrn  Domkapitular  Prof.  Dr  Schnütgen,  einen  der  vorzüglichsten  Kenner  und 
Förderer  der  mittelalterlichen  Kunst  und  zumal  der  mittelalterlichen  Paramentik.  Der  Samm- 
lung ein  weiteres  Wort  der  Empfehlung  beizugeben,  halten  wir  für  unnötig:  ihre  Zeitgemäßheit 
wie  ihre  Brauchbarkeit  beweist  am  besten  die  innerhalb  eines  Jahres  notwendig  gewordene 
zweite  Auflage.  Dem  Verfasser  gebührt  für  seine  Mühewaltung  der  wärmste  Dank.  Die 
Fundgrube  von  Vorlagen  ist  eine  in  hohem  Grade  brauchbare  Beihilfe  zur  würdigen  Ausstattung 
der  dem  Dienste  des  Allerhöchsten  und  des  Lammes  geweihten  Gewandung  und  Paramente." 

(Pastoralblatt,  Köln  1904,  Kr  6.) 

„Schon  die  erste  Auflage  dieses  wertvollen  Paramentenschatzes  hat  wegen  der  schönen 
Ausführung  und  praktischen  Verwendbarkeit  der  Vorlagen  allseitige  Anerkennung  und  günstige 
Aufnahme  gefunden,  so  daß  schon  nach  Jahresfrist  eine  Neuauflage  nötig  wurde.  Diese  neue 
Auflage  ist  um  vier  Tafeln  mit  über  50  neuen  Vorlagen  vermehrt  worden  und  bietet  nun 
eine  außerordentlich  reiche  Auswahl  hübscher  und  stilvoller  Motive  für  Paramentenstickereien, 
teils  romanisch,  meist  aber  in  den  mannigfaltigen  und  effektvollen  Formen  der  Gotik  gebalten. 
Über  die  Verwendung  der  einzelnen  Muster  und  die  Art  der  Ausführung  belehrt  ein  separat 
gedruckter  Text,  der  zu  jeder  Tafel  und  Nummer  die  nötigen  Angaben  enthält.  Der  Verfasser, 
der  über  eine  genaue  Kenntnis  der  mittelalterlichen  Zierformen  verfügt,  hat  mit  der  Heraus- 
gabe dieser  Vorlagen  der  kirchlichen  Kunst  einen  wichtigen  Dienst  geleistet.  Wir  wünschen 
auch  dieser  neuen,  bereicherten  Ausgabe  seines  Werkes  weiteste  Verbreitung." 

(Alte  und  Neue  Welt,  Einsiedeln  19C4,  Nr  21.) 

Winke  für  die  Anfertigung'  und  Verzierung-  der 

Paramente.  Mit  2  Tafeln  und  74  Abbildungen  im  Text.  Ergänzung 
zu  der  Sammlung  von  „Vorlagen  für  Paramentenstickereien".  Mit  ober- 
hirtlicher  Approbation.   Lex.-8°  (XII  u.  188)  M  6.40;  geb.  in  Leinw.  il/8.— 

„P.  Braun  ist  zur  Zeit  wohl  der  erste  Kenner  der  Paramentik  sowohl  nach  der  historischen 
wie  auch  nach  der  ästhetischen  Seite  des  Gegenstandes.  —  Vorliegender  Band,  wie  der  Titel 
anzeigt,  insbesondere  als  Ergänzung  zu  des  Verfassers  .Vorlagen'  gedacht,  enthält  eingehende 
Unterweisungen  über  Stoff  und  Bearbeitung  wie  über  Aufbewahrung  und  Reparatur  der  Para- 
mente. Künstler,  Archäolog  und  Praktiker  in  einer  Person,  hat  Verfasser  ein  äußerst  nützliches 
Werk  geboten,  das  volle  Beachtung  aller  beteiligten  Kreise  verdient.  Gewiß  wird  es  weite 
Verbreitung  finden  und  somit  auch  noch  manche  Auflagen  erleben.  ..." 

(Allgemeines  Literaturblatt,  Wien  1905,  Nr  2.) 


In  der  Herdersclien  Yerlagsliandlmigr  zu  Freibnrg'  im  Breisgau  ist  erschienen  und  kann 
durch  alle  Buchhandlungen  bezogen  werden : 


Geschichte 


der 


Christlichen  Kunst, 

Von 

Franz  Xaver  Kraus. 

In  zwei  Bänden.     Mit  zahlreichen  Illustrationen.     Lex. -8° 


Erster  Band:   Die  hellenistisch-römische   Kunst  der  alten   Christen.     Die 
byzantinische  Kunst.     Anfänge  der  Kunst  hei  den  Völkern  des  Nordens. 

Mit  Titelbild  in  Farbendruck  und  484  Abbildungen  im  Text.    (XX  u.  622) 
M.W.—  ;  geb.  in  Örig.-Einb. :  Halbsaffian  M  21.—  :  Einbanddecke  M 3.— 

Zweiter  Band:  Die  Kunst  des  Mittelalters,  der  Renaissance  und  der  Neuzeit. 

Erste  Abteilung:  Mittelalter.  Mit  Titelbild  in  Heliogravüre  und 
306  Abbildungen  im  Text.  (XII  u.  512)  71/14.—:  geb.  M  19.—  Einband- 
decke M  3. — 

Zweite  Abteilung:  Renaissance  und  Neuzeit.  Erste  Hälfte.  Mit 
132  Abbildungen.     (IV  u.  S.  1—282)     M  8.— 

Die  zweite,  das  Werk  abschließende  Hälfte  von  Band  II,  2.  Abteilung 
wird  im  Sommer  1907  erscheinen. 


„.  .  .  Kraus  gibt  uns  eine  .Geschichte  der  christlichen  Kunst',  worin  nur  die  Werke 
christlicher  Meister  ins  Auge  gefaßt  werden,  aber  auch  unter  diesen  nur  jene,  welche  religiös 
sind  oder  sein  sollen,  nicht  also  bürgerliche  Baukunst,  Ausstattung  von  Schlössern  u.  dgl. 
Überdies  betont  er  die  geschichtliche  Ausbildung  des  Inhaltes  der  Kunstvorstellungen,  die 
Einwirkung  der  gesellschaftlichen  und  literarischen  Kultur  auf  die  Kunsttätigkeit.  Seine 
Ausführungen  gründen  sich,  wie  man  dies  bei  allen  seinen  Arbeiten  zu  finden  gewohnt  ist, 
auf  eine  ausgedehnte,  Staunen  erregende  Kenntnis  der  älteren  und  neueren  Forschungen. 
Sie  berücksichtigen  mit  Vorliebe  alle  jene  Fragen,  welche  durch  die  so  lebhaft  geförderte 
Kunstforschung  unserer  Tage  in  den  Vordergrund  geschoben  und  kühn  aufgestellt,  mit  Eifer 
verfochten  und  vorschnell  angenommen  oder  auch  rasch  abgewiesen  werden.  .  .  . 

„Die  Kritik  hat  von  allen  Seiten  her  sein  Buch  als  eine  hervorragende  Leistung  anerkannt. 
Auch  Männer,  welche  dessen  bekannte  kirchenpolitischen  Ansichten  nicht  teilen,  haben  frei- 
gebiges Lob  ausgesprochen.  Der  geistreiche  Bischof  von  Rottenburg  nannte  das  Werk 
,eine  literarische  Großtat,  auf  welche  das  katholische  Deutschland  stolz  sein  darf,  Professor 
Neumann  einen  mächtigen  Bau,  welcher  ,auf  lange  Zeit  hin  als  das  Hauptwerk  (dieser  Art) 
gelten  wird',  die  , Studien  aus  dem  Benediktiner-  und  Cistercienserorden'  ,eine  wissenschaftliche 
Leistung  ersten   Hanges'.  ..."  (Stimmen  aus  Maria-Laach,  Freiburg  1901,  4.  Hoft.)